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(AGV) Studenten-Wallfahrt 2009 - Unitas

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2<br />

INHALT Dokumentiert: Der Papstbrief an die Bischöfe > 03<br />

Herausgeber und Verlag<br />

Verband der wissenschaftlichen katholischen <strong>Studenten</strong>vereine e.V.,<br />

Aachener Str. 29, 41564 Kaarst (Büttgen), Tel. 02131 / 27 17 25, Fax 0 21 31 / 27 59 60,<br />

Homepage: www.unitas.org, E-Mail: vgs@unitas.org, stiftung@unitas.org<br />

Vorort<br />

W.K.St.V. UNITAS Landshut Köln<br />

Pantaleonswall 32, 50676 Köln, Tel.: 0221 / 92 32 054,<br />

E-Mail: landshut@unitas.org, vop@unitas.org<br />

Vorortspräsident<br />

Benedikt Schwedhelm, Pantaleonswall 32, 50676 Köln, Tel.: 0221 / 92 32 054,<br />

Mobil: 0177 / 7196882, E-Mail: benedikt_schwedhelm@gmx.de; vop@unitas.org<br />

Verbands-Konten<br />

PAX-Bank Köln, Nr. 28 796 013, BLZ 370 601 93<br />

Spendenkonten<br />

Stiftung UNITAS 150plus: Pax-Bank e.G., Köln, Kto.-Nr. 444 555, BLZ 370 601 93,<br />

Bank für Sozialwirtschaft, Kto.-Nr. 80 61 000, BLZ 370 205 00<br />

Soziales Projekt: Spk Bonn, Kto.-Nr. 71 61, BLZ 380 500 00, Verwendungszweck: Osek<br />

Schriftleitung<br />

Dr. Christof M. Beckmann, Hülsmannstr. 74, 45355 Essen-Borbeck,<br />

Tel. 0201 / 66 47 57 (p), 0208 / 46 84 99 61 (d), FAX 0208 / 46 84 99 69,<br />

E-Mail: unitas@unitas.org, kipnrw@aol.com<br />

Hermann-Josef Großimlinghaus (Bonn), Rheinstraße 12, 53179 Bonn,<br />

Tel. 0228 / 21 14 87, 0228 / 10 32 68 (d), E-Mail: H.Grossimlinghaus@DBK.de<br />

Der Bezugspreis der unitas beträgt halbjährlich 2,50 EUR zzgl. Zustellgebühr. Für Mitglieder<br />

des UNITAS-Verbandes ist er im jährlichen Verbandsbeitrag von 60,- EUR enthalten.<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge stellen nicht in jedem Fall die Meinung des Herausgebers<br />

und der Redaktion dar.<br />

Fotos: C. Beckmann, H.-J. Grossimlinghaus, L'Osservatore Romano, Reinhold Reisch,<br />

Reinhold Schönemund, privat.<br />

Druck<br />

DZE Druckzentrum, Essen<br />

Redaktionsschluss für die Ausgabe 2/<strong>2009</strong>: 18.05.<strong>2009</strong><br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

In memoriam Bbr. Walter Keller > 06<br />

Europa: EU-Parlamentspräsident Prof. Pöttering > 08<br />

60 Jahre Bundesrepublik: Friedrich Nowottny > 10<br />

Die Krise als Chance: Kirche und Wirtschaft > 15<br />

<strong>AGV</strong>: Sozialpolitische Standpunkte & Wahlprüfsteine > 20<br />

AHB-/HDB-Tag: Die Zukunft des Sozialstaats > 27<br />

Aktiventag in Essen: Stammzellforschung > 32<br />

Schönstatt und die UNITAS: P. Josef Kentenich > 46<br />

Bbr. Eduard Müller: Ehrung für „Lübecker Märtyrer“ > 52<br />

Lebendiges Christentum: Denkanstoss zur GV > 56<br />

unitas<br />

Zeitschrift des Verbandes der wissenschaftlichen<br />

katholischen <strong>Studenten</strong>vereine UNITAS<br />

ISSN-Nr.0344-9769<br />

Aus dem Verband > 59<br />

Namen & Nachrichten > 70<br />

In memoriam > 76<br />

FORUM / Leserbriefe > 79<br />

Bücher / Medien > 81<br />

Geburtstage von März bis Juni > 83<br />

Einladung zum AHB-/HDB-Tag in Münster > 88<br />

Liebe Leser,<br />

liebe Bundesschwestern und Bundesbrüder!<br />

... „Frühling lässt sein blaues Band...“ – oft genug in diesen<br />

Wochen will einem sogar keine naturromantische Ader pulsen.<br />

Eher schwillt einem der Kamm. So scheint es manchen im Verband<br />

zu gehen, die sich im Internet zu den Themen unserer Zeit<br />

heftige Argumenteschlachten lieferten. Was da durch den Wolf<br />

gedreht wurde, nahm Bezug auf so einige „wohlbekannte Düfte“,<br />

die „ahnungsvoll das Land“ streiften. Und viele Veilchen, die sich<br />

anschickten, sich langsam träumend ans Licht zu recken, sind im<br />

Schockverfahren mit Donner und Blitz geweckt worden. Dabei<br />

ging der leise Harfenton des Frühlings im Getrampel einer berittenen<br />

Medienartillerie unter und verstummte im unaufhörlichen<br />

Kartätschenlärm der Nachrichtenlage: „Schwarzer Freitag<br />

reloaded“ hieß es, Börsenkrach und Inflationsgefahr bestimmten<br />

die Debatte, Millionenabfindungen für Versager, Staatsinterventionen<br />

und der drohende Abgrund bestimmten die Debatten.<br />

Säfte treiben, Knospen knallen<br />

Aber längst nicht nur das. Denn wer wollte sich mit Weltuntergangsstimmungen<br />

aufhalten, als das Thema langsam allen<br />

auf den Geist zu gehen drohte und erschöpft behandelt schien?<br />

Dankbar und engagiert von den Meinungsbildnern der Republik<br />

aufgenommen, kam da das Thema um die so genannten „Traditionalisten“<br />

gerade recht: Die hochpeitschenden medialen<br />

Wogen der Erregung schwappten wie ein Tsunami über dem<br />

Vatikan zusammen. Und wer als Normalgläubiger nicht komplett<br />

abtauchte, der kam heftig ins Schwimmen. Bissige Kommentare,<br />

humorig-befriedigte Experten, die es schon immer besser wussten,<br />

Klingelalarm bei Beratungs- und Austrittsstellen – die Papstkirche<br />

mit dem Rücken zur Wand. Und als ob das nicht reichte,<br />

nahm das angeschlagene Kirchenschiff nach kurzer Spielpause<br />

gleich noch mehr Wasser: Während Millionen Afrikaner vor<br />

Freude über päpstlichen Besuch schon auf den Straßen tanzten,<br />

ereiferte man sich in der zweiten Halbzeit öffentlich über ein<br />

offensichtlich gestörtes Verhältnis der Kirche zur sexuellen Aufklärung<br />

– es traf zwar kaum das Thema der Reise, war auch nichts<br />

Neues, aber auf jeden Fall noch weniger stimmungsfördernd.<br />

Denn auch die Politik schiebt derzeit kaum Glücksfaktoren in<br />

Sichtweite: Die Herausforderungen sind gewaltig, aber der Ehrgeiz<br />

der Großen im Stellungsgefecht auch. Im Super-Wahljahr<br />

werden Freund-Feind-Bilder sortiert und reaktiviert, während die<br />

in randständiger Radikalisierung wachsenden Polit-Sekten kaum<br />

zur Beruhigung der Gemüter beitragen. Schon gar nicht entsetzliche<br />

Verbrechen wie die Schulmorde, die zahllose Menschen tief<br />

berührt haben.<br />

Dies alles sollte uns nicht vom Nachdenken abhalten – im<br />

Gegenteil. Darüber, wo wir gefordert sind in allen diesen Fragen.<br />

Auch darüber, was es bedeutet, über alle Zeitthemen hinaus einer<br />

Gemeinschaft mit dem Namen „UNITAS“ anzugehören – ein<br />

hoher Anspruch. Gerade im Gespräch unter vielen Generationen:<br />

Was Begegnung und Austausch von Jung und Alt möglich macht,<br />

lässt sich etwa auf den Seiten des Kondolenzbuches nachspüren,<br />

das zum Tode unseres Ehrenseniors Walter Keller im Internet<br />

eröffnet wurde. Es ist ein Dank, wie er für viele wichtige und gute<br />

Begegnungen in unserem Leben gilt. Und dem wir uns jederzeit<br />

anschließen können.<br />

Wir sehen uns bei der 132. Generalversammlung in Marburg.<br />

semper in unitate,<br />

Dr. Christof M. Beckmann ( M3, B2, M5 )<br />

Editorial


„ER WIRD UNS LEITEN – AUCH IN TURBULENTEN ZEITEN...“<br />

Dokumentiert: Der Papstbrief an die Bischöfe<br />

Auch dem Vatikan können Fehler unterlaufen: Das räumte Papst Benedikt XVI. in einem persönlichen Brief an die Bischöfe weltweit zur<br />

umstrittenen Rücknahme von Exkommunikationen ein. Dabei kündigt er Konsequenzen an. In dem am 12. März <strong>2009</strong> im Vatikan veröffentlichten<br />

Brief bekräftigte der Papst nachdrücklich seinen Willen zur Versöhnung, beklagt aber auch die „Feindseligkeit“, die ihm im<br />

Streit um die Pius-Bruderschaft und den Holocaust-Leugner Richard Williamson entgegengeschlagen sei. Im Folgenden dokumentieren<br />

wir den Wortlaut des Briefes nach der autorisierten Fassung des Pressesaals des Heiligen Stuhls.<br />

„BRIEF SEINER HEILIGKEIT PAPST BENEDIKT XVI.<br />

AN DIE BISCHÖFE DER KATHOLISCHEN KIRCHE<br />

IN SACHEN AUFHEBUNG DER EXKOMMUNIKATION<br />

DER VIER VON ERZBISCHOF LEFEBVRE GEWEIHTEN BISCHÖFE<br />

Liebe Mitbrüder im bischöflichen Dienst!<br />

Die Aufhebung der Exkommunikation für die vier von Erzbischof<br />

Lefebvre im Jahr 1988 ohne Mandat des Heiligen Stuhls geweihten<br />

Bischöfe hat innerhalb und außerhalb der katholischen Kirche aus<br />

vielfältigen Gründen zu einer Auseinandersetzung von einer Heftigkeit<br />

geführt, wie wir sie seit langem nicht mehr erlebt haben. Viele<br />

Bischöfe fühlten sich ratlos vor einem Ereignis, das unerwartet gekommen<br />

und kaum positiv in die Fragen und Aufgaben der Kirche<br />

von heute einzuordnen war. Auch wenn viele Hirten und Gläubige<br />

den Versöhnungswillen des Papstes grundsätzlich positiv zu werten<br />

bereit waren, so stand dagegen doch die Frage nach der Angemessenheit<br />

einer solchen Gebärde angesichts der wirklichen Dringlichkeiten<br />

gläubigen Lebens in unserer Zeit. Verschiedene Gruppierungen<br />

hingegen beschuldigten den Papst ganz offen, hinter das Konzil<br />

zurückgehen zu wollen: eine Lawine von Protesten setzte sich in<br />

Bewegung, deren Bitterkeit Verletzungen sichtbar machte, die über<br />

den Augenblick hinausreichen. So fühle ich mich gedrängt, an Euch,<br />

liebe Mitbrüder, ein klärendes Wort zu richten, das helfen soll, die<br />

Absichten zu verstehen, die mich und die zuständigen Organe des<br />

Heiligen Stuhls bei diesem Schritt geleitet haben. Ich hoffe, auf<br />

diese Weise zum Frieden in der Kirche beizutragen.<br />

Eine für mich nicht vorhersehbare Panne bestand darin, daß die<br />

Aufhebung der Exkommunikation überlagert wurde von dem Fall<br />

Williamson. Der leise Gestus der Barmherzigkeit gegenüber vier<br />

gültig, aber nicht rechtmäßig geweihten Bischöfen erschien plötzlich<br />

als etwas ganz anderes: als Absage an die christlich-jüdische<br />

Versöhnung, als Rücknahme dessen, was das Konzil in dieser Sache<br />

zum Weg der Kirche erklärt hat. Aus einer Einladung zur Versöhnung<br />

mit einer sich abspaltenden kirchlichen Gruppe war auf diese<br />

Weise das Umgekehrte geworden: ein scheinbarer Rückweg hinter<br />

alle Schritte der Versöhnung von Christen und Juden, die seit dem<br />

Konzil gegangen wurden und die mitzugehen und weiterzubringen<br />

von Anfang an ein Ziel meiner theologischen Arbeit gewesen war.<br />

Daß diese Überlagerung zweier gegensätzlicher Vorgänge eingetreten<br />

ist und den Frieden zwischen Christen und Juden wie auch den<br />

Frieden in der Kirche für einen Augenblick gestört hat, kann ich nur<br />

zutiefst bedauern. Ich höre, daß aufmerksames Verfolgen der im<br />

Internet zugänglichen Nachrichten es ermöglicht hätte, rechtzeitig<br />

von dem Problem Kenntnis zu erhalten. Ich lerne daraus, daß wir<br />

beim Heiligen Stuhl auf diese Nachrichtenquelle in Zukunft aufmerksamer<br />

achten müssen. Betrübt hat mich, daß auch Katholiken,<br />

die es eigentlich besser wissen konnten, mit sprungbereiter Feindseligkeit<br />

auf mich einschlagen zu müssen glaubten. Um so mehr<br />

danke ich den jüdischen Freunden, die geholfen haben, das Mißverständnis<br />

schnell aus der Welt zu schaffen und die Atmosphäre<br />

der Freundschaft und des Vertrauens wiederherzustellen, die – wie<br />

zur Zeit von Papst Johannes Paul II. – auch während der ganzen Zeit<br />

meines Pontifikats bestanden hatte und gottlob weiter besteht.<br />

Eine weitere Panne, die ich ehrlich bedaure, besteht darin, daß<br />

Grenze und Reichweite der Maßnahme vom 21. 1. <strong>2009</strong> bei der<br />

Veröffentlichung des Vorgangs nicht klar genug dargestellt worden<br />

sind. Die Exkommunikation trifft Personen, nicht Institutionen.<br />

Bischofsweihe ohne päpstlichen Auftrag bedeutet die Gefahr eines<br />

Schismas, weil sie die Einheit des Bischofskollegiums mit dem Papst<br />

in Frage stellt. Die Kirche muß deshalb mit der härtesten Strafe, der<br />

Exkommunikation, reagieren, und zwar, um die so Bestraften zur<br />

Reue und in die Einheit zurückzurufen. 20 Jahre nach den Weihen ist<br />

dieses Ziel leider noch immer nicht erreicht worden. Die Rücknahme<br />

der Exkommunikation dient dem gleichen Ziel wie die Strafe selbst:<br />

noch einmal die vier Bischöfe zur Rückkehr einzuladen. Diese Geste<br />

war möglich, nachdem die Betroffenen ihre grundsätzliche Anerkennung<br />

des Papstes und seiner Hirtengewalt ausgesprochen hatten,<br />

wenn auch mit Vorbehalten, was den Gehorsam gegen seine<br />

Lehrautorität und gegen die des Konzils betrifft.<br />

Damit komme ich zur Unterscheidung von Person und Institution<br />

zurück. Die Lösung der Exkommunikation war eine Maßnahme<br />

im Bereich der kirchlichen Disziplin: Die Personen wurden von der<br />

Gewissenslast der schwersten Kirchenstrafe befreit. Von dieser disziplinären<br />

Ebene ist der doktrinelle Bereich zu unterscheiden. Daß<br />

die Bruderschaft Pius’ X. keine kanonische Stellung in der Kirche hat,<br />

beruht nicht eigentlich auf disziplinären, sondern auf doktrinellen<br />

Gründen. Solange die Bruderschaft keine kanonische Stellung in der<br />

Kirche hat, solange üben auch ihre Amtsträger keine rechtmäßigen<br />

Ämter in der Kirche aus. Es ist also zu unterscheiden zwischen der<br />

die Personen als Personen betreffenden disziplinären Ebene und der<br />

doktrinellen Ebene, bei der Amt und Institution in Frage stehen. Um<br />

es noch einmal zu sagen: Solange die doktrinellen Fragen nicht<br />

geklärt sind, hat die Bruderschaft keinen kanonischen Status in der<br />

Kirche und solange üben ihre Amtsträger, auch wenn sie von der<br />

Kirchenstrafe frei sind, keine Ämter rechtmäßig in der Kirche aus.<br />

Angesichts dieser Situation beabsichtige ich, die Päpstliche<br />

Kommission „Ecclesia Dei“, die seit 1988 für diejenigen Gemeinschaften<br />

und Personen zuständig ist, die von der Bruderschaft Pius’<br />

X. oder ähnlichen Gruppierungen kommend in die volle Gemeinschaft<br />

mit dem Papst zurückkehren wollen, in Zukunft mit der<br />

Glaubenskongregation zu verbinden. Damit soll deutlich werden,<br />

daß die jetzt zu behandelnden Probleme wesentlich doktrineller<br />

Natur sind, vor allem die Annahme des II. Vatikanischen Konzils und<br />

des nachkonziliaren Lehramts der Päpste betreffen. Die kollegialen<br />

Organe, mit denen die Kongregation die anfallenden Fragen bearbeitet<br />

(besonders die regelmäßige Kardinalsversammlung an den<br />

Mittwochen und die ein- bis zweijährige Vollversammlung), garantieren<br />

die Einbeziehung der Präfekten verschiedener römischer<br />

Kongregationen und des weltweiten Episkopats in die zu fällenden<br />

Entscheidungen. Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im<br />

Jahr 1962 einfrieren – das muß der Bruderschaft ganz klar sein. >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 3


Aber manchen von denen, die sich als große Verteidiger des Konzils<br />

hervortun, muß auch in Erinnerung gerufen werden, daß das II.<br />

Vaticanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer<br />

ihm gehorsam sein will, muß den Glauben der Jahrhunderte annehmen<br />

und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der<br />

Baum lebt.<br />

Ich hoffe, liebe Mitbrüder, daß damit die positive Bedeutung wie<br />

auch die Grenze der Maßnahme vom 21. 1. <strong>2009</strong> geklärt ist. Aber nun<br />

bleibt die Frage:War das notwendig? War das wirklich eine Priorität?<br />

Gibt es nicht sehr viel Wichtigeres? Natürlich gibt es Wichtigeres<br />

und Vordringlicheres. Ich denke, daß ich die Prioritäten des Pontifikats<br />

in meinen Reden zu dessen Anfang deutlich gemacht habe. Das<br />

damals Gesagte bleibt unverändert meine Leitlinie. Die erste Priorität<br />

für den Petrusnachfolger hat der Herr im Abendmahlssaal unmißverständlich<br />

fixiert: „Du aber stärke deine Brüder“ (Lk 22, 32).<br />

Petrus selber hat in seinem ersten Brief diese Priorität neu formuliert:„Seid<br />

stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach<br />

der Hoffnung fragt, die in euch ist“ (1 Petr 3, 15). In unserer Zeit, in der<br />

der Glaube in weiten Teilen der Welt zu verlöschen droht wie eine<br />

Flamme, die keine Nahrung mehr findet, ist die allererste Priorität,<br />

Gott gegenwärtig zu machen in dieser Welt und den Menschen den<br />

Zugang zu Gott zu öffnen. Nicht zu irgendeinem Gott, sondern zu<br />

dem Gott, der am Sinai gesprochen hat; zu dem Gott, dessen Gesicht<br />

wir in der Liebe bis zum Ende (Joh 13, 1) – im gekreuzigten und<br />

auferstandenen Jesus Christus erkennen. Das eigentliche Problem<br />

unserer Geschichtsstunde ist es, daß Gott aus dem Horizont der<br />

Menschen verschwindet und daß mit dem Erlöschen des von Gott<br />

kommenden Lichts Orientierungslosigkeit in die Menschheit hereinbricht,<br />

deren zerstörerische Wirkungen wir immer mehr zu sehen<br />

bekommen.<br />

Die Menschen zu Gott, dem in der Bibel sprechenden Gott zu<br />

führen, ist die oberste und grundlegende Priorität der Kirche und<br />

des Petrusnachfolgers in dieser Zeit. Aus ihr ergibt sich dann von<br />

selbst, daß es uns um die Einheit der Glaubenden gehen muß. Denn<br />

ihr Streit, ihr innerer Widerspruch, stellt die Rede von Gott in Frage.<br />

Daher ist das Mühen um das gemeinsame Glaubenszeugnis der<br />

Christen – um die Ökumene – in der obersten Priorität mit eingeschlossen.<br />

Dazu kommt die Notwendigkeit, daß alle, die an Gott<br />

glauben, miteinander den Frieden suchen, versuchen einander<br />

näher zu werden, um so in der Unterschiedenheit ihres Gottesbildes<br />

doch gemeinsam auf die Quelle des Lichts zuzugehen – der interreligiöse<br />

Dialog. Wer Gott als Liebe bis ans Ende verkündigt, muß das<br />

Zeugnis der Liebe geben: den Leidenden in Liebe zugewandt sein,<br />

Haß und Feindschaft abwehren – die soziale Dimension des christlichen<br />

Glaubens, von der ich in der Enzyklika „Deus caritas est“<br />

gesprochen habe.<br />

Wenn also das Ringen um den Glauben, um die Hoffnung und<br />

um die Liebe in der Welt die wahre Priorität für die Kirche in dieser<br />

Stunde (und in unterschiedlichen Formen immer) darstellt, so gehören<br />

doch auch die kleinen und mittleren Versöhnungen mit dazu.<br />

Daß die leise Gebärde einer hingehaltenen Hand zu einem großen<br />

Lärm und gerade so zum Gegenteil von Versöhnung geworden ist,<br />

müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber nun frage ich doch: War und<br />

ist es wirklich verkehrt, auch hier dem Bruder entgegenzugehen,„der<br />

etwas gegen dich hat“ und Versöhnung zu versuchen (vgl. Mt 5, 23f)?<br />

Muß nicht auch die zivile Gesellschaft versuchen, Radikalisierungen<br />

zuvorzukommen, ihre möglichen Träger – wenn irgend möglich –<br />

zurückzubinden in die großen gestaltenden Kräfte des gesellschaftlichen<br />

Lebens, um Abkapselung und all ihre Folgen zu vermeiden?<br />

Kann es ganz falsch sein, sich um die Lösung von Verkrampfungen<br />

und Verengungen zu bemühen und dem Raum zu geben, was sich an<br />

Positivem findet und sich ins Ganze einfügen läßt? Ich habe selbst in<br />

den Jahren nach 1988 erlebt, wie sich durch die Heimkehr von vorher<br />

von Rom sich abtrennenden Gemeinschaften dort das innere Klima<br />

verändert hat; wie die Heimkehr in die große, weite und gemeinsame<br />

Kirche Einseitigkeiten überwand und Verkrampfungen löste, so<br />

daß nun daraus positive Kräfte für das Ganze wurden. Kann uns eine<br />

4<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Gemeinschaft ganz gleichgültig sein, in der es 491 Priester, 215<br />

Seminaristen, 6 Seminare, 88 Schulen, 2 Universitäts-Institute, 117<br />

Brüder und 164 Schwestern gibt? Sollen wir sie wirklich beruhigt von<br />

der Kirche wegtreiben lassen? Ich denke zum Beispiel an die 491<br />

Priester. Das Geflecht ihrer Motivationen können wir nicht kennen.<br />

Aber ich denke, daß sie sich nicht für das Priestertum entschieden<br />

hätten, wenn nicht neben manchem Schiefen oder Kranken die Liebe<br />

zu Christus da gewesen wäre und der Wille, ihn und mit ihm den<br />

lebendigen Gott zu verkünden. Sollen wir sie einfach als Vertreter<br />

einer radikalen Randgruppe aus der Suche nach Versöhnung und<br />

Einheit ausschalten? Was wird dann werden?<br />

Gewiß, wir haben seit langem und wieder beim gegebenen Anlaß<br />

viele Mißtöne von Vertretern dieser Gemeinschaft gehört –<br />

Hochmut und Besserwisserei, Fixierung in Einseitigkeiten hinein<br />

usw. Dabei muß ich der Wahrheit wegen anfügen, daß ich auch eine<br />

Reihe bewegender Zeugnisse der Dankbarkeit empfangen habe, in<br />

denen eine Öffnung der Herzen spürbar wurde. Aber sollte die<br />

Großkirche nicht auch großmütig sein können im Wissen um den<br />

langen Atem, den sie hat; im Wissen um die Verheißung, die ihr<br />

gegeben ist? Sollten wir nicht wie rechte Erzieher manches Ungute<br />

auch überhören können und ruhig aus der Enge herauszuführen<br />

uns mühen? Und müssen wir nicht zugeben, daß auch aus kirchlichen<br />

Kreisen Mißtönendes gekommen ist? Manchmal hat man<br />

den Eindruck, daß unsere Gesellschaft wenigstens eine Gruppe<br />

benötigt, der gegenüber es keine Toleranz zu geben braucht; auf die<br />

man ruhig mit Haß losgehen darf. Und wer sie anzurühren wagte –<br />

in diesem Fall der Papst –, ging auch selber des Rechts auf Toleranz<br />

verlustig und durfte ohne Scheu und Zurückhaltung ebenfalls mit<br />

Haß bedacht werden.<br />

Liebe Mitbrüder, in den Tagen, in denen mir in den Sinn kam, diesen<br />

Brief zu schreiben, ergab es sich zufällig, daß ich im Priesterseminar<br />

zu Rom die Stelle aus Gal 5, 13 – 15 auslegen und kommentieren<br />

mußte. Ich war überrascht, wie direkt sie von der Gegenwart<br />

dieser Stunde redet:„Nehmt die Freiheit nicht zum Vorwand für das<br />

Fleisch, sondern dient einander in Liebe! Das ganze Gesetz wird in<br />

dem einen Wort zusammengefaßt: Du sollst deinen Nächsten lieben<br />

wie dich selbst! Wenn ihr einander beißt und zerreißt, dann<br />

gebt acht, daß ihr euch nicht gegenseitig umbringt.“ Ich war immer<br />

geneigt, diesen Satz als eine der rhetorischen Übertreibungen anzusehen,<br />

die es gelegentlich beim heiligen Paulus gibt. In gewisser<br />

Hinsicht mag er dies auch sein.<br />

Aber leider gibt es das „Beißen und Zerreißen“ auch heute in der<br />

Kirche als Ausdruck einer schlecht verstandenen Freiheit. Ist es verwunderlich,<br />

daß wir auch nicht besser sind als die Galater? Daß uns<br />

mindestens die gleichen Versuchungen bedrohen? Daß wir den<br />

rechten Gebrauch der Freiheit immer neu lernen müssen? Und daß<br />

wir immer neu die oberste Priorität lernen müssen: die Liebe? An<br />

dem Tag, an dem ich darüber im Priesterseminar zu reden hatte,<br />

wurde in Rom das Fest der Madonna della Fiducia – unserer Lieben<br />

Frau vom Vertrauen – begangen. In der Tat – Maria lehrt uns das<br />

Vertrauen. Sie führt uns zum Sohn, dem wir alle vertrauen dürfen. Er<br />

wird uns leiten – auch in turbulenten Zeiten. So möchte ich am<br />

Schluß all den vielen Bischöfen von Herzen danken, die mir in dieser<br />

Zeit bewegende Zeichen des Vertrauens und der Zuneigung, vor<br />

allem aber ihr Gebet geschenkt haben. Dieser Dank gilt auch allen<br />

Gläubigen, die mir in dieser Zeit ihre unveränderte Treue zum<br />

Nachfolger des heiligen Petrus bezeugt haben. Der Herr behüte uns<br />

alle und führe uns auf den Weg des Friedens. Das ist ein Wunsch, der<br />

spontan aus meinem Herzen aufsteigt, gerade jetzt zu Beginn der<br />

Fastenzeit, einer liturgischen Zeit, die der inneren Läuterung besonders<br />

förderlich ist und die uns alle einlädt, mit neuer Hoffnung auf<br />

das leuchtende Ziel des Osterfestes zu schauen.<br />

Mit einem besonderen Apostolischen Segen<br />

verbleibe ich im Herrn Euer<br />

[Benedictus PP. XVI]<br />

Aus dem Vatikan, am 10. März <strong>2009</strong>


VATIKANSTADT (Fidesdienst) –<br />

„Wenn ihr euch aus Christus<br />

speist und in Ihm lebt, wie der<br />

Apostel Paulus, dann werdet<br />

ihr nicht umhin können, von<br />

Ihm zu sprechen und Ihn<br />

unter vielen eurer Freunde<br />

und Altersgenossen bekannt<br />

zu machen und dafür zu sorgen,<br />

dass sie Ihn lieben. Die<br />

Kirche zählt auf euch, wenn es um diese anspruchsvolle Sendung<br />

geht: lasst euch von den Schwierigkeiten und Prüfungen nicht entmutigen“,<br />

heißt es in der Botschaft des Papstes zum 24. Weltjugendtag,<br />

der am 5. April, dem Palmsonntag, in den Diözesen<br />

gefeiert wird. Er steht unter dem Pauluswort „Denn wir haben unsere<br />

Hoffnung auf den lebendigen Gott gesetzt“ (1 Tim 4,10).<br />

„Liebe Freunde, wie Paulus, zeugt vom<br />

Auferstandenen! … Macht ihn allen bekannt,<br />

unter euren Altersgenossen und unter den<br />

Erwachsenen, die auf der Suche nach der<br />

,großen Hoffnung‘ sind, die ihrem Leben<br />

Sinn gibt“, so der Heilige Vater weiter,<br />

„Wenn Jesus eure Hoffung geworden ist,<br />

dann sagt dies auch den anderen mit eurer<br />

Freude und mit eurem geistlichen, apostolischen<br />

und sozialen Engagement.Von Christus<br />

bewohnt, nachdem ihr euren ganzen Glauben<br />

auf ihn setzt und ihm euer ganzes Vertrauen<br />

schenkt, verbreitet diese Hoffnung auch um<br />

euch herum“. Der Papst fordert die Jugendlichen<br />

auf, Entscheidungen zu treffen, die<br />

ihren Glauben zum Ausdruck bringen und<br />

sich nicht von „Trugbildern“ verführen zu<br />

lassen, nicht der „Logik egoistischer Interessen“<br />

zu verfallen: „Der wahre Christ ist nie<br />

traurig, auch wenn er Prüfungen verschiedener<br />

Art gegenüber steht, denn die Gegenwart<br />

Jesu ist das Geheimnis seiner Freude und<br />

seines Friedens“.<br />

Die Frage der Hoffnung<br />

Mit Bezug auf das WJT-Thema <strong>2009</strong> betont Papst Benedikt XVI.,<br />

dass die Frage der Hoffnung in Wirklichkeit im Mittelpunkt unsers<br />

Lebens als Menschen und unserer Sendung als Christen steht, insbesondere<br />

in der heutigen Zeit: „Wir empfinden alle das Bedürfnis<br />

nach Hoffnung, doch nicht nach irgendeiner Hoffnung, sondern<br />

nach einer festen und glaubwürdigen Hoffnung, wie ich es auch in<br />

der Enzyklika „Spe salvi“ betont habe. Vor allem die Jugend ist eine<br />

Zeit der Hoffnung, den sie blickt mit vielen Erwartungen in die<br />

Zukunft“. In diesem Lebensabschnitt träten auch grundlegende existenzielle<br />

Fragen zutage und angesichts von Hindernissen, die<br />

manchmal unüberwindbar erscheinen frage man sich: „Wo soll ich<br />

die Hoffnung hernehmen und wie kann ich im Herzen diese<br />

Flamme am Brennen erhalten?“<br />

Gegen die Orientierungslosigkeit<br />

„Wie ich in der bereits zitierten Enzyklika „Spe salvi“ geschrieben<br />

habe, können Politik,Wissenschaft,Technik,Wirtschaft und jede<br />

andere materielle Ressource allein nicht die große Hoffnung schen-<br />

Botschaft des Papstes an die Jugendlichen<br />

zum Weltjugendtag am Palmsonntag<br />

ken, nach der wir uns sehnen. Diese Hoffnung kann nur Gott sein,<br />

der das Ganze umfasst und der uns geben und schenken kann, was<br />

wir allein nicht vermögen' (Nr. 31)“. Zu den hauptsächlichen Folgen<br />

des Gottvergessens gehöre die Orientierungslosigkeit, die unsere<br />

heutige Gesellschaft kennzeichne, „mit den Folgen der Einsamkeit<br />

und der Gewalt, der Unzufriedenheit und des Verlusts der Zuversicht,<br />

die nicht selten zu Verzweiflung führen“, so der Papst weiter.<br />

Er weist darauf hin, dass „die Hoffnungskrise vor allem die neue<br />

Generationen betrifft, die in einem soziokulturellen Kontext leben,<br />

in dem es keine Gewissheit, keine Werte und keine soliden Bezugspunkte<br />

gibt und die sich mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen, die<br />

die eigenen Kräfte übersteigen.“<br />

Hier wendet sich der Papst auch an die vielen Jugendlichen, die<br />

„vom Leben verletzt, von einer persönlichen Unreife eingeschränkt<br />

sind, die oft Folge einer familiären Leere ist, einer permissiven Erziehung<br />

ohne feste Regeln und negativer<br />

oder traumatischer Erfahrungen. „Für<br />

einige – und leider sind es nicht wenige –<br />

ist der fast obligatorische Ausweg die<br />

entfremdende Flucht in gefährliche oder<br />

gewaltsame Verhaltensweisen, in die Abhängigkeit<br />

von Drogen und Alkohol, und<br />

in viele Formen der jugendlichen<br />

Unzufriedenheit“. Damit man diesen<br />

Jugendlichen die Hoffnung verkünden<br />

könne, so der Papst, sei eine Neuevangelisierung<br />

notwendig, „die den<br />

neuen Generationen hilft, zu erkennen,<br />

dass das wahre Gesicht Gottes die Liebe<br />

ist“. An die Jugendlichen „auf der Suche<br />

nach einer festen Hoffnung“ wendet sich<br />

der Papst mit den Worten des heiligen<br />

Paulus, der an die verfolgten Christen im<br />

damaligen Rom schrieb: „Der Gott der<br />

Hoffnung aber erfülle euch mit aller<br />

Freude und mit allem Frieden im<br />

Glauben, damit ihr reich werdet an<br />

Hoffnung in der Kraft des Heiligen<br />

Geistes“ (Röm, 15,13).<br />

Durch die Erfahrung des Glaubens wachsen<br />

Paulus habe sich als „Zeugen der Hoffnung“ inmitten vieler<br />

Schwierigkeiten und vielfältiger Prüfungen befunden und doch nie<br />

die Hoffnung verloren, die in ihm durch die Begegnung mit dem<br />

auferstandenen Christus auf dem Weg nach Damaskus entstanden<br />

war. „Wie er einst dem jungen Paulus begegnetet, so will Jesus<br />

auch jedem von euch begegnen, liebe Jugendliche“, so Papst<br />

Benedikt XVI.:„Wenn wir im Gebet unseren Glauben zum Ausdruck<br />

bringen, dann begegnen wir ihm bereits in der Finsternis, denn er<br />

will sich uns schenken. Das inständige öffnet das Herz, damit wir<br />

ihn empfangen können“. In diesem Zusammenhang erinnert der<br />

Papst auch an die Erfahrung in „Gruppe und Bewegungen, bei<br />

Treffen und gemeinsamen Wegen, bei denen wir lernen, wie wir<br />

beten können und damit wie wir durch die Erfahrung des Glaubens<br />

wachsen“. Maria als Mutter der Hoffnung, sei Beistand auf diesem<br />

Weg: „Sie, die die Hoffnung Israels verkörpert hat, die der Welt den<br />

Erlöser geschenkt hat, und am Fuß des Kreuzes voller Hoffnung<br />

war, ist für uns Vorbild und Beistand. Vor allem möge Maria<br />

Fürsprache für uns halten und uns aus der Finsternis unserer<br />

Schwierigkeiten zur strahlenden Morgenröte der Begegnung mit<br />

dem Auferstandenen leiten“.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 5


Die Prinzipien in vorbildlicher Weise vorgelebt<br />

DER EHRENSENIOR, BBR. WALTER KELLER, WURDE IN MÜNCHEN ZU GRABE GETRAGEN<br />

Der Ehrensenior des UNITAS-Verbandes,<br />

Bbr. Ltd. Dir. a.D. Walter Keller,<br />

ist am Sonntag, 1. März <strong>2009</strong>, nach<br />

einer Herzoperation, die er zunächst<br />

gut überstanden hatte, im gesegneten<br />

Alter von 91 Jahren verstorben<br />

und zu seinem Schöpfer heimgegangen.<br />

Eine große Trauergemeinde gab<br />

Walter Keller am 5. März in München<br />

das letzte Geleit. Elf Chargenteams<br />

waren zur Messe angetreten und<br />

führten den langen Trauerzug an, der<br />

den verstorbenen Ehrensenior des<br />

Verbandes auf dem Nordfriedhof zur<br />

letzten Ruhe begleitete.<br />

„Dilexit ecclesiam!“<br />

Der Geistliche Beirat des Verbandes, Kpl.<br />

Helmut Wiechmann, sprach als Zelebrant<br />

des Requiems in der Allerheiligen-Kirche in<br />

München-Schwabing in seiner Predigt über<br />

die christliche Auferstehungshoffnung und<br />

nahm die unitarische Gemeinschaft ins<br />

Gebet. Er skizzierte ein erfülltes Leben „in absoluter<br />

Treue und Gradlinigkeit in Welt und<br />

Kirche“: Geprägt vom Glauben seiner Mutter<br />

und der Menschen im Lande der Hl. Hedwig,<br />

Schlesien, habe sich Walter Keller nicht nur<br />

im Beruf, sondern auch in Familie und<br />

UNITAS als präsent und stets bereit gezeigt,<br />

kompetent in der Sache und treu im Kleinen<br />

zu dienen:„Über sein Leben darf man schreiben:<br />

DILEXIT ECCLESIAM – Er liebte die<br />

Kirche! Sein Glaube prägte sein Leben und<br />

das Leben so vieler“, so der Zelebrant.<br />

Besonders erinnerte die Predigt an die<br />

lebenslange Freundschaft, die Walter Keller<br />

in diesem Geist mit Bbr. Ludwig Freibüter<br />

verband. Dabei verwies Bbr. Wiechmann<br />

6<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

auf ein „geistiges Testament“ des Verstorbenen,<br />

das dieser anlässlich seines 90. Geburtstags<br />

den Aktiven ans Herz legte: Darin<br />

hatte er deutlich herausgestellt, dass Fragen<br />

nach Organisation und Strukturen nur<br />

sekundär seien.„Wichtig ist nur die geistige<br />

Haltung und das katholische Prinzip. Das<br />

muss uneingeschränkt aufrecht erhalten<br />

bleiben“, erklärte Bbr. Keller damals. Der<br />

Verstorbene lebe nun in der Welt des Friedens<br />

der <strong>Unitas</strong> und der Caritas, so Bbr.<br />

Wiechmann. „Sein letzter Atemzug ist<br />

hineingenommen in den Heiligen Atem<br />

Gottes, den Atem des ewigen Lichtes, dass<br />

die Dunkelheit unseres Lebens erhellt, in<br />

den Atem der göttlichen Liebe und Barmherzigkeit.“<br />

Wer im Kleinen getreu war,<br />

dem werde ER auch im Großen getreu sein.<br />

Nachruf des<br />

Verbandsgeschäftsführers<br />

Auch Verbandsgeschäftsführer Bbr.<br />

Dieter Krüll würdigte in einer Ansprache<br />

nach dem Gottesdienst in der Allerheiligen-Kirche<br />

den Verstorbenen und sein<br />

Leben für die UNITAS. „Der Wissenschaftliche<br />

Katholische <strong>Studenten</strong>verband <strong>Unitas</strong><br />

e.V. und alle Bundesbrüder und Bundesschwestern<br />

trauern um ihren hochverehrten<br />

Ehrensenior Bbr. Ltd. Dir. a. D. Walter<br />

Keller, einen lieben, treuen Freund und<br />

Bundesbruder, der unsere unitarischen<br />

Prinzipien Virtus, Scientia, Amicitia in vorbildlicher<br />

Weise gelebt und vorgelebt hat“,<br />

erklärte der Verbandsgeschäftsführer. „In<br />

tief empfundener Dankbarkeit verneigen<br />

wir uns vor diesem großen Unitarier, dem<br />

der <strong>Unitas</strong>-Verband unendlich viel zu verdanken<br />

hat.“<br />

In seiner biografischen Skizze stellte<br />

Bbr. Krüll insbesondere den „Irrsinns und<br />

die Grausamkeit des Weltkrieges“ heraus,<br />

die Bbr. Walter Keller in Polen, Frankreich<br />

und beim Russlandfeldzug erfahren hatte.<br />

Prägend sei gewesen, dass er in englischer<br />

Kriegsgefangenschaft in Schottland mit<br />

zwei weiteren Unitariern nur dank des<br />

Eingreifens des Lagergeistlichen die Verschwörung<br />

eines Femegerichts unbelehrbarer<br />

Nazis am 20. April 1945 überlebte. Im<br />

Lager hatte er in Bbr. Dr. Ludwig Maria<br />

Freibüter einen gleichgesinnten, aufrech-<br />

ten Katholiken kennengelernt, dem er als<br />

Unitarier und Freund bis zu dessen Tod am<br />

20. August 2004 sein Leben lang verbunden<br />

bleiben sollte. Bbr. Krüll erinnerte an Bbr.<br />

Freibüters Bericht von der gemeinsamen<br />

Kriegsgefangenschaft: „In einer von den<br />

Engländern zugeteilten Baracke findet nun<br />

regelmäßig das heilige Messopfer statt.<br />

Und jeden Morgen wandert Walter Keller<br />

zum Gespött vieler Mitgefangener mit dem<br />

großen Kreuz quer durch das Lager zu dieser<br />

Baracke, um dort den Altar aufzubauen.<br />

Wer versteht heute noch, welch ein Bekennermut<br />

dazu gehörte.“<br />

Sozial, tolerant, frei<br />

Was eine solche Vita der Kriegsgeneration<br />

bedeute, „können wir uns heute überhaupt<br />

nicht mehr vorstellen“, erklärte Bbr.<br />

Krüll. Doch beeindruckende Fakten eines<br />

langen und erfüllten Lebens sagten nur<br />

wenig aus über den Menschen Walter<br />

Keller und die Triebfeder seines Handelns<br />

und seiner Arbeit in und für die <strong>Unitas</strong>, so<br />

der Verbandsgeschäftsführer.<br />

Dazu zitierte er aus einem Interview<br />

mit seinem Amtsvorgänger aus dem Jahr<br />

1992:„Die Motivation für den Eintritt in den<br />

<strong>Unitas</strong>-Verband ist klar und eindeutig.<br />

Bestechend für mich war die eindeutige


Zielsetzung und Aufgabenstellung des<br />

<strong>Unitas</strong>-Verbandes, seine religiöse Einstellung,<br />

seine Stellung zur Kirche, zu Papst<br />

und Bischöfen, sein soziales Engagement,<br />

seine Toleranz, bei der sich jeder so entfalten<br />

kann und angenommen wird, wie er<br />

von Gott geschaffen wurde, und die Ablehnung<br />

jeden Standesdünkels!“ Und an anderer<br />

Stelle sagte Bbr. Keller: „Im <strong>Unitas</strong>-<br />

Verband ist heute noch eine Orientierung<br />

und geistige Auseinandersetzung möglich;<br />

er vermittelt das richtige Menschen- und<br />

Weltbild sowie eine Werteordnung, die das<br />

Leben in Freiheit und in der Bindung an<br />

Gott ermöglicht.“<br />

Loyalität, Mut, Disziplin<br />

Sein Credo habe er in den unitarischen<br />

Prinzipien „virtus, scientia, amicitia“ verwirklicht<br />

gesehen. „Die Botschaft unserer Prinzipien<br />

war seine Mission, der er alles unterordnete.<br />

Walter Keller war im Namen Jesu ein<br />

Menschenfischer in der <strong>Unitas</strong>“, erklärte Bbr.<br />

Dieter Krüll und zitierte aus einer Festrede<br />

von Bbr. Alois Konstantin Fürst zu Löwenstein<br />

zum 80. Geburtstag des Ehrenseniors:<br />

„Walter Keller und <strong>Unitas</strong>, das ist eines. Und<br />

Du warst uns Vorbild. Vorbild, weil Du vieles<br />

von dem, was ich selber als richtig und wegweisend<br />

kannte und annahm, vorgelebt<br />

hast. Du hast ein Vorbild gegeben an Treue,<br />

Treue zu Deiner Kirche, Treue zu Deinem Verband,<br />

Treue zu Deiner Nation, an Loyalität,<br />

der Loyalität gegenüber den Jungen. Du hast<br />

Mut bewiesen und Disziplin.“<br />

„Nein, es ist genug, ich möchte zu<br />

mei-nem Herrgott gehen“, habe Bbr. Walter<br />

Keller bei einem Besuch am 1. Februar <strong>2009</strong><br />

in dem neuen Münchener Heim beim<br />

Scherzen über seinen zu erwartenden 100.<br />

Geburtstag in einigen Jahren erklärt. „Da<br />

war keinerlei Angst oder gar Bitterkeit,<br />

nein, nur tiefes Vertrauen und das Wissen<br />

um das ewige Leben in der Herrlichkeit<br />

seines Gottes“, unterstrich der Verbandsgeschäftsführer<br />

aus einer Ansprache.<br />

„Wir werden sein Vorbild stets in unseren<br />

Herzen bewahren! Wie es sicherlich<br />

sein Wunsch gewesen wäre möchte ich<br />

dem lieben Walter heute nachrufen: Vivat,<br />

floreat, crescat <strong>Unitas</strong> ad multos annos!<br />

Dies ist unser Versprechen, lieber Walter!“,<br />

unterstrich Bbr. Krüll in seinem Nachruf.<br />

Anfang Mai werde die UNITAS bei der<br />

Verbandsmesse anlässlich der 132. Generalversammlung<br />

des Verbandes in Marburg<br />

des Verstorbenen in besonderer Weise im<br />

Gebet gedenken.<br />

Statt Kränzen bat die Familie in Walters Sinne um<br />

eine Spende, entweder an die Stiftung UNITAS 150<br />

PLUS (PAX-Bank Köln, Kto. 32230016, BLZ:<br />

37060193; Spende Walter Keller) oder an das<br />

Soziale Projekt der <strong>Unitas</strong> (<strong>Unitas</strong>-Verband<br />

Soziales Projekt, Sparkasse KölnBonn, Kto. 7161, BLZ<br />

37050198; Stichwort: Osek / Spende Walter Keller).<br />

Die unitarische Trauergemeinde gab ihrem Ehrensenior in München das letzte Geleit.<br />

IN MEMORIAM WALTER KELLER<br />

Der gebürtige Breslauer, am 21. September im Kriegsjahr 1917 geboren und Schüler<br />

am Missionsgymnasium der Oblaten in Striegau, empfing das Sakrament der<br />

Firmung durch Adolf Kardinal Bertram und besuchte das Matthias-Gymnasium in<br />

Breslau bis zum Abitur 1937. Der bekennende Gegner der Nationalsozialisten meldete<br />

sich im zweiten Semester notgedrungen zum Militär, ist ab 1938 Soldat und<br />

Offizier. Bei der Invasion im September 1944 zunächst in belgischer Gefangenschaft,<br />

dann in ein englisches Lager überstellt, studiert er nach der Freilassung 1945 in<br />

München Jura. Dort wird er 1947 in die UNITAS Albertus-Magnus rezipiert, ist<br />

anschließend in Freiburg bei UNITAS Paulus und dann als Gründungssenior bei<br />

UNITAS Rheinfranken in Düsseldorf aktiv.<br />

Sein Beruf führte ihn zur Allianz in Frankfurt, der LVA in Düsseldorf und 1959 nach<br />

Würzburg zur LVA-Unterfranken. Der Direktor in der Rentenversicherungsanstalt wird<br />

auf der 85. GV in Tübingen 1962 als Nachfolger von Dr. Ludwig Florian zum Verbandsgeschäftsführer<br />

gewählt und ist bis 1985 in diesem Amt tätig. 1983 wurde er<br />

nach Ludwig Freibüter sen. (1959) und Dr. Ludwig Florian (1973) dritter Ehrensenior<br />

des Verbandes. Für seine Verdienste bereits 1973 mit der Goldenen UNITAS-Nadel<br />

ausgezeichnet, wurde Bbr. Walter Keller für seine vielfältigen Engagements neben<br />

dem Bundesverdienstkreuz Erster Klasse am Bande auch mit der Lorenz-Werthmann-<br />

Medaille der Caritas und dem Komturkreuz des Päpstlichen Sivesterordens geehrt.<br />

Seine B-Philisterschaften in 16 Altherrenvereinen und seine Ehrenmitgliedschaften<br />

in mehreren Vereinen zeugen von seinem großen Einsatz für die UNITAS. Zu seinem<br />

90. Geburtstag ehrte ihn der UNITAS-Verband mit einem großen Fest (vgl. „Walter<br />

Keller – Ein unitarisches Leben“, in: unitas 3-4/2007).<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 7


„Mehr Lust auf Europa!“ –<br />

EU-PARLAMENTSPRÄSIDENT PROF. DR. HANS-GERT PÖTTERING<br />

APPELLIERT ZUM EINSATZ FÜR EUROPÄISCHE WERTEGEMEINSCHAFT<br />

„Wir wählen in Deutschland am 7. Juni<br />

unsere Abgeordneten des Europäischen<br />

Parlaments. Europa wird immer<br />

bedeutsamer für die Vertretung unserer<br />

Werte und Interessen in der Welt!<br />

Dabei steht das Europäische Parlament<br />

im Mittelpunkt und deswegen<br />

ist es mein Rat an die Bürgerinnen<br />

und Bürger, diese Chance, Europa mitzugestalten,<br />

auch am 7. Juni wahrzunehmen.“<br />

Seinen leidenschaftlichen Appell richtete<br />

Prof. Hans-Gert Pöttering, Präsident des<br />

Europaparlaments, im Gespräch mit der<br />

Verbandszeitschrift vor allem an die Jugend<br />

und motivierte zu aktivem Einsatz für den<br />

europäischen Gedanken: „Die Europäische<br />

Union bedeutet für die junge Generation<br />

Chancen. Sie können überall dort arbeiten,<br />

wo sie möchten, die jungen Menschen kön-<br />

8<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

nen studieren, wo sie möchten, Europa gibt<br />

Unterstützung für die Ausbildung in anderen<br />

Ländern der Europäischen Union. Die<br />

Europäische Union ist in sich heute grenzenlos,<br />

wir haben eine gemeinsame europäische<br />

Währung: In vielen Ländern der<br />

Europäischen Union ist dies eine große<br />

Chance für die junge Generation im 21.<br />

Jahrhundert“, so Pöttering und forderte:<br />

„Mehr Lust auf Europa!“<br />

Europa –<br />

eine Wertegemeinschaft<br />

Prof. Pöttering, der seit 1979 dem Europäischen<br />

Parlament angehört, sprach am<br />

25. Februar beim Sozialpolitischen Aschermittwoch<br />

der Kirchen im Ruhrgebiet im<br />

Essener Dom zum Thema „Europa als<br />

Wertegemeinschaft – Die europäische<br />

Perspektive, Werte, Politik, Wirtschaft“ und<br />

betonte, die Europäische Union (EU) sei<br />

nicht nur eine geografische oder wirtschaftliche<br />

Gemeinschaft. „Die Würde des<br />

Menschen muss immer Maßstab<br />

allen Handelns sein, das ist der Kern<br />

unserer europäischen Überzeugung“,<br />

betonte der Vorsitzende des<br />

Parlaments und ehemalige Fraktionsvorsitzende<br />

der Europäischen<br />

Volkspartei (EVP). Aus diesem Selbstverständnis<br />

entsprängen Menschenrechte,<br />

Demokratie, Freiheit und<br />

Frieden genauso wie die christlichen<br />

Prinzipien von Gerechtigkeit und<br />

Solidarität.<br />

Die Entwicklung der Europäischen<br />

Union von den Römischen<br />

Verträgen 1957 bis zur heute 27<br />

Länder und 500 Millionen Menschen<br />

umfassenden Gemeinschaft zeige in<br />

ihrer Ost-Erweiterung, „dass sich das<br />

christliche Menschenbild gegen den<br />

totalitären Kommunismus durchgesetzt<br />

hat“, erklärte Pöttering. Er bedauerte,<br />

dass es nicht gelungen sei,<br />

den Gottesbezug in der Europäischen<br />

Verfassung zu verankern.<br />

„Doch wir sollten uns als Christen<br />

immer für unsere Prinzipien und<br />

Wertvorstellungen einsetzen, ob es<br />

in der Verfassung steht oder nicht“,<br />

unterstrich der Politiker. Europäer<br />

dürften nicht schweigen, wenn<br />

Menschenrechte und die Würde des<br />

Menschen verletzt würden. „Wir<br />

müssen uns öffnen für die Menschen in<br />

Europa und in der Welt, die noch keine<br />

Chance haben, in Freiheit zu leben.“ Hier<br />

nannte Pöttering Tibet genauso wie die<br />

Christen im Sudan und die Notwendigkeit<br />

einer Friedensregelung im Nahen Osten.<br />

Soeben von einem Aufenthalt im Gaza-<br />

Streifen und Israel zurückgekehrt, betonte<br />

er das „Recht auf Frieden“, und zwar auf<br />

beiden Seiten.„Die Würde der Menschen ist<br />

gleich, sowohl die der Israelis als auch die<br />

der Palästinenser“, unterstrich der Parlamentspräsident.<br />

Der Friedensprozess<br />

müsse weitergehen.<br />

Dialog der Kulturen<br />

angemahnt<br />

Nachdrücklich forderte Pöttering einen<br />

Dialog der Kulturen. „Unsere Zukunft wird<br />

in einem großen Maße davon abhängen,<br />

wie wir mit den Kulturen in der Welt zusammenarbeiten,<br />

vor allem mit dem<br />

Islam“, so die Überzeugung des CDU-<br />

Politikers. Er nannte es eine „politische und


moralische Pflicht“, einen Zusammenprall<br />

der Kulturen zu verhindern. Wenn Muslime<br />

in Europa in Moscheen beten könnten,<br />

müsse es auch Christen erlaubt sein, in islamischen<br />

Ländern ihren Glauben zu leben.<br />

Eine „Einbahnstraße“ dürfe es beim Dialog<br />

der Kulturen nicht geben. „Hier ist eine<br />

Toleranz gefordert, die das Respektieren<br />

anderer Kulturen beinhaltet“, so Pöttering.<br />

„Im Vatikan gibt es auch keine Moschee“,<br />

hatten sich Politiker bei seinem jüngsten<br />

Besuch in Saudi-Arabien herausgeredet,<br />

kritisierte Pöttering. Diese Sichtweise<br />

könne allenfalls für Orte wie Mekka oder<br />

Medina gelten, nicht aber für ein ganzes<br />

Land, habe er entgegnet. In vielen muslimischen<br />

Ländern lebten Hunderttausende<br />

christliche Gastarbeiter, die Gottesdienst<br />

feiern wollten, betonte der Parlamentspräsident.<br />

Warnung vor<br />

nationalen Egoismen<br />

Angesichts der Finanzkrise warnte der<br />

Parlamentspräsident vor nationalen Egoismen.<br />

„Der Markt ist kein Selbstzweck, er<br />

muss dem Menschen dienen“, sagte der<br />

Politiker. In der augenblicklichen Finanzund<br />

Wirtschaftskrise dürfe es keinen<br />

„Rückfall in den Nationalismus“ geben.<br />

Alleingänge bei der Unterstützung einzelner<br />

Wirtschaftsbereiche zerstörten den<br />

europäischen Binnenmarkt. Subventionen<br />

für einzelne Unternehmen oder die Errichtung<br />

von Zollschranken müssten unbedingt<br />

auf europäischer Ebene entschieden<br />

werden, um Europas Binnenmarkt zu bewahren.<br />

Hauptleidtragender sei sonst<br />

wegen des hohen Exports Deutschland.<br />

Pöttering warnte vor unbegrenzter Verschuldung,<br />

einer damit verbundenen Inflationsgefahr<br />

und forderte für das Bankensystem<br />

„Transparenz und eine verantwortungsvolle<br />

Kontrolle“:„Diese Gesetzgebung<br />

müssen wir in den nächsten Monaten verabschieden.“<br />

Mit Blick auf die Wirtschaft<br />

unterstrich er die zentrale Rolle der sozialen<br />

Marktwirtschaft. „Wir sind für den Markt,<br />

weil der Markt den Menschen Freiheit ermöglicht,<br />

aber der Markt ist kein Wert an<br />

sich und kein Zweck in sich, sondern er<br />

muss dem Menschen dienen. Und deswegen<br />

treten wir für die Soziale Marktwirtschaft,<br />

die im Übrigen auch in dem Vertrag<br />

von Lissabon, dem Reformvertrag der Europäischen<br />

Union, Eingang gefunden hat.“<br />

Gefragt zur Rolle der Kirchen im europäischen<br />

Einigungsprozess, machte Pöttering<br />

deutlich, dass ihr Beitrag unverzichtbar<br />

sei:„Die Kirchen sollten sich zu allen Fragen<br />

der Gesellschaftspolitik äußern und dazu<br />

gehört auch die europäische Einigung“,<br />

erklärte der Parlamentspräsident. „Die<br />

Kirchen sollten immer positiv-kritisch die<br />

Europapolitik begleiten. Das wäre mein<br />

Wunsch.“<br />

Robert Schuman<br />

ist ein Vorbild<br />

Bereits zu früherer Gelegenheit hatte<br />

sich Hans-Gert Pöttering im Interview mit<br />

der „<strong>Unitas</strong>“ zur Bedeutung des französischen<br />

Politikers und Bundesbruders<br />

Robert Schuman<br />

(1886 bis 1963) geäußert,<br />

für den am 23. Juni<br />

2004 nach 14-jährigen<br />

Vorarbeiten im Bistum<br />

Metz das Verfahren zur<br />

Seligsprechung im Vatikan<br />

aufgenommen worden<br />

war. Nachdrücklich<br />

unterstrich der Nachfolger<br />

des ersten EU-<br />

Parlamentspräsidenten<br />

die große Rolle des „Vaters<br />

Europas“ für die Gegenwart<br />

und Zukunft:„Robert<br />

Schuman ist ein großes<br />

Vorbild, weil er ein Mann<br />

des Friedens, des Ausgleichs<br />

und der Versöhnung<br />

war. Wenn er<br />

heilig gesprochen werden<br />

würde, würde es seinem Leben entsprechen.<br />

Aber dann sollte man nicht<br />

weitere Politiker heiligsprechen. Er sollte<br />

der krönende Abschluss sein“, erklärte<br />

Pöttering.<br />

Gerne erinnerte sich Pöttering im Gespräch<br />

mit der Verbandszeitschrift noch der<br />

125. UNITAS-Generalversammlung 2002 in<br />

Münster. Damals hatte der damalige EVP-<br />

Fraktionsvorsitzende als Festredner beim<br />

Festkommers in der Halle Münsterland<br />

gesprochen.<br />

C. Beckmann<br />

Zur Person<br />

Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, geboren<br />

am 15. September 1945 in Bersenbrück /<br />

Niedersachsen.<br />

Studium der Rechtswissenschaften,<br />

Politik und Geschichte an den Universitäten<br />

Bonn und Genf sowie am Institut<br />

des Hautes Études Internationales, Genf.<br />

Studienaufenthalt an der Columbia<br />

University, New York, 1976 zweites juristisches<br />

Staatsexamen; 1974 Promotion,<br />

1974 bis 1980 europapolitischer Sprecher<br />

der Jungen Union Niedersachsen. 1976<br />

bis 1979 wissenschaftlicher Angestellter,<br />

zahlreiche Veröffentlichungen zur europäischen<br />

Politik, Berufung zum Honorarprofessor<br />

an der Universität Osnabrück<br />

im September 1995.<br />

Seit 1990 CDU-Kreisvorsitzender im<br />

Landkreis Osnabrück. Mitglied des<br />

Europäischen Parlaments seit 1979; 1981-<br />

1991 Landesvorsitzender der Europa-<br />

Union Niedersachsen, 1984 bis 1994 Vorsitzender<br />

des Unterausschusses „Sicherheit<br />

und Abrüstung“; 1994 bis 1999 stellvertretender<br />

Fraktionsvorsitzender der<br />

Europäischen Volkspartei, 1996-1999<br />

Leitung der Arbeitsgruppe „Erweiterung<br />

der Europäischen Union“. 1997-1999<br />

Präsident der Europa-Union Deutschland.<br />

Mitglied im Ausschuss für auswärtige<br />

Angelegenheiten, Menschenrechte,<br />

gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik,<br />

Fraktionsvorsitzender der<br />

EVP im Europäischen Parlament.<br />

Am 16. Januar 2007 wurde Prof. Hans-<br />

Gert Pöttering zum Präsidenten des<br />

Europäischen Parlaments gewählt.<br />

Weitere Quellen: Bistum Essen,<br />

Foto: Nicole Cronauge<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 9


60 Jahre Bundesrepublik Deutschland<br />

FRIEDRICH NOWOTTNY BEIM NEUJAHRSEMPFANG DER UNITAS-SALIA<br />

VON BBR. HERMANN-JOSEF GROSSIMLINGHAUS<br />

Wie jedes Jahr hatte die UNITAS-Salia Bonn zu ihrem Neujahrsempfang<br />

am 23. Januar wieder einen Ehrengast eingeladen:<br />

Friedrich Nowottny, ehemaliger WDR-Intendant und langjähriger<br />

Moderator des ARD-Fernsehmagazins „Bericht aus Bonn“, blickte<br />

zurück auf die vergangenen 60 Jahre seit der Gründung der Bundesrepublik<br />

Deutschland. Schon lange, bevor der populäre Medienmann<br />

eintraf, war der große Saal des Salia-Hauses bis auf den letzten<br />

Platz gefüllt. Manche konnten das Geschehen nur noch vom<br />

Foyer aus verfolgen. So freute sich Senior Robert Weichselbaum,<br />

rund 100 Gäste begrüßen zu können, darunter den Altherrenbunds-<br />

Vorsitzenden Heinrich Sudmann und Verbandsgeschäftsführer<br />

Dieter Krüll. Anekdotenreich und mit zahlreichen Aperçus ließ<br />

Friedrich Nowottny in Schlaglichtern die ersten 60 Jahre der<br />

Bundesrepublik Revue passieren.<br />

Nowottny lenkte zunächst den Blick auf<br />

die Haltung der Deutschen zu Politik und<br />

Politikern. Er sieht eine „gewisse Skepsis,<br />

wenn sie auf die Akteure der Politik schauen“.<br />

Sie seien oft verdrossen. Sie seien<br />

manchmal interessiert, aber nicht sehr.<br />

Politik werde eher beiläufig wahrgenommen.<br />

Doch dies kann nach Auffassung des<br />

Redners nicht verwundern angesichts der<br />

Kompliziertheit heutiger Probleme und der<br />

vorgeschlagenen Lösungswege. „Kein<br />

Mensch, außer vielleicht im Regierungsviertel<br />

in Berlin-Mitte und früher in Bonn,<br />

beschäftigt sich den ganzen Tag mit<br />

Politik.“ Dafür gebe es die Politiker, und die<br />

Bürger gingen davon aus, „dass Politik<br />

gefälligst funktionieren sollte“. Doch da<br />

bestünden oft Zweifel, ob dies auch tatsächlich<br />

der Fall ist.<br />

Zwischen Politikern<br />

und ihren Wählern habe<br />

es immer eine natürlichkritische<br />

Distanz gegeben,<br />

sagte Nowottny. Und dies<br />

sei auch gut so. Dennoch<br />

hält er die Beteiligung an<br />

den Wahlen zum Deutschen<br />

Bundestag im internationalen<br />

Vergleich für<br />

bemerkenswert hoch.<br />

Zwischen 1953 und 1987<br />

lag sie in den hohen 80er-<br />

Werten, 1972 bei der so<br />

genannten „Willy-Wahl“ –<br />

gemeint ist Willy Brandt –<br />

sogar bei 91 Prozent. Seit<br />

der Wiedervereinigung<br />

bröckeln die hohen Werte<br />

10<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

allerdings. „Unsere Brüder und Schwestern<br />

in den neuen Bundesländern wählen weniger<br />

als die Wessis“, so die Feststellung des<br />

Polit-Journalisten. Die ersten gesamtdeutschen<br />

Wahlen am 2.12.1990 kamen auf Beteiligungswerte<br />

von 77,8 Prozent; 2002<br />

waren es 79,1 Prozent und 2005 77,7 Prozent.<br />

Der Redner hob hervor, dass bei der ersten<br />

Bundestagswahl im Jahr 1949 78,5 Prozent<br />

der Deutschen zur Wahlurne gegangen<br />

waren, also mehr als bei der Wahl 2005.<br />

Abgeordnete sind<br />

ganz normale Menschen<br />

Friedrich Nowottny glaubt aber, dass<br />

Politikerverdrossenheit nur eine sehr pau-<br />

Friedrich Nowottny bei seinem lebendigen Rückblick auf die<br />

Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland seit ihrer<br />

Gründung im Jahr 1949<br />

schale und ungenaue Einschätzung ist<br />

für die schwindende Bereitschaft, wählen<br />

zu gehen. Inzwischen habe sich ja auch<br />

herumgesprochen, dass die Abgeordneten,<br />

ganz normale Menschen sind mit sehr<br />

unterschiedlichen Charaktereigenschaften,<br />

mit ganz unterschiedlichen Temperamenten<br />

und Begabungen, zumeist mit einem<br />

ausgeprägten Selbstwertgefühl. „Manche<br />

sollen sogar Machtgelüste haben“, spottete<br />

der ehemalige WDR-Intendant. Natürlich<br />

gebe es auch die Idealisten, „die ehrliche<br />

Haut“, aber ebenso die „skrupellosen Ehrgeizlinge“<br />

und die Abgeordneten, „die<br />

schon mal mit den Versuchungen zu kämpfen<br />

haben, die ihnen in Berlin und anderswo<br />

begegnen. „Allerdings wird es in unserem<br />

medienbestimmten Politikalltag für<br />

Politiker immer schwerer,<br />

ihr Tun im Verborgenen<br />

abzuwickeln“, so der<br />

erfahrene Journalist, der<br />

die bundesdeutsche Medienkultur<br />

maßgeblich<br />

mitgeprägt hat.<br />

Nowottny bedauerte<br />

in diesem Zusammenhang,<br />

dass es heute immer<br />

weniger Stammtische<br />

gebe. Dort habe<br />

man sich früher so richtig<br />

„abarbeiten“ können.<br />

„Also wenn sie einen<br />

haben, schätzen sie sich<br />

glücklich, räsonieren Sie,<br />

schimpfen oder loben<br />

Sie, wenn es um die<br />

Agenda 2010 oder das


Rauchverbot, um die Suche nach Abgaswerten<br />

oder die Verschrottungsprämien für<br />

acht Jahre alte Autos geht“, ermuntere der<br />

Redner die Zuhörer zum politischen Disput<br />

am Stammtisch.<br />

Abgeordnete müssen um geplante Vorhaben<br />

häufig werben und kämpfen – erst<br />

in den Parteien und dann bei den Wählern.<br />

Dabei geraten sie nicht selten intern und<br />

extern unter Druck: „Sie müssen ihr Verhalten<br />

abwägen, gelegentlich rechtfertigen;<br />

sie müssen oft dem Druck der<br />

Lobbyisten-Regimenter widerstehen“, stellte<br />

Nowotny fest. Die Zahl der Lobbyisten<br />

hat sich in Berlin gegenüber der Bonner Zeit<br />

verdreifacht und ist dort inzwischen ein<br />

wichtiger Wirtschaftszweig geworden. Und<br />

Friedrich Nowottny fordert: „Bei allem, was<br />

Abgeordnete tun, sollten sie daran denken,<br />

dass sie Vertreter des ganzen Volkes sind –<br />

gemäß Artikel 38 (1) des Grundgesetzes ‚an<br />

Aufträge und Weisungen nicht gebunden<br />

und nur ihrem Gewissen unterworfen‘.“<br />

Manchmal sei die Frage zu hören: „Verlangt<br />

man heute nicht einfach zu viel von<br />

der Politik?“ Doch das Mitgefühl des Vollblutjournalisten<br />

hält sich in Grenzen. Auch<br />

der erste Kanzler des damals noch geteilten<br />

Landes, Konrad Adenauer, habe seine<br />

Schwierigkeiten gehabt mit der CDU und<br />

der CSU, mit der Opposition, mit den<br />

Ländern und dem Bundesrat, mit Parteifreunden,<br />

mit der Wirtschaft und ihrer<br />

Lobby und mit den Besatzungsmächten, die<br />

die eigentlichen Herren im Lande waren.<br />

„Aber Konrad Adenauer war eine Autorität<br />

und bereit, autoritär und verantwortungsbewusst<br />

ohne Netz und doppelten Boden<br />

zu handeln, wo ihm das notwendig erschien“,<br />

so Nowottnys Antwort auf die Ausgangsfrage.<br />

Die Zahl seiner Freunde habe Adenauer<br />

immer überschaubar gehalten. Er habe<br />

seine ganz spezielle Sicht zum Thema<br />

„Freundschaft und Feindschaft in der Politik“<br />

gehabt. Freund und Feind waren bei<br />

ihm klar definiert in der Steigerung „Feind,<br />

Erzfeind, Parteifreund“. „Warum mir in diesem<br />

Zusammenhang gerade der Name<br />

Ypsilanti einfällt, weiß ich nicht“, spöttelte<br />

Friedrich Nowottny.<br />

Politikergenerationen seit 1949<br />

Dann blickte er zurück auf die verschiedenen<br />

Politikergenerationen seit der Gründung<br />

der Bundesrepublik. Die erste Bundesregierung<br />

sei noch von Persönlichkeiten<br />

dominiert worden, deren Auffassungen<br />

und Verhaltensformen den Werteskalen<br />

des 19. Jahrhunderts entsprochen hätten.<br />

Ihr folgte die „Front- und Kriegsgeneration“<br />

– Überlebende des II. Weltkriegs. „Es war<br />

gestern schon eindrucksvoll zu sehen, wie<br />

der alte Schmidt immer noch aus dieser<br />

Zeit geprägt ist“, bekannte der Redner fast<br />

etwas wehmütig im Blick auf<br />

eine Veranstaltung am<br />

Vortag in Hamburg anlässlich<br />

des 90. Geburtstags von<br />

Alt-Kanzler Helmut Schmidt.<br />

Dann folgten die so<br />

genannten „Flakhelfer“ und<br />

die „Volksstürmer“, zu denen<br />

sich auch Nowottny zählt.<br />

„Wir haben ja Kriegserfahrungen<br />

zu verarbeiten,<br />

die wir mit fünfzehn, sechzehn<br />

Jahren gemacht haben“,<br />

so der fast Achtzigjährige.<br />

Dann hätten sich –<br />

zunächst unmerklich und<br />

dann immer auffälliger – die<br />

68er in die politische Szene<br />

des Landes eingemischt.„Die<br />

Damen und Herren, die<br />

damals in den 70er und 80er<br />

Jahren diesen Staat abschotten<br />

wollten, genießen<br />

ja zumeist heute die staatlichen<br />

Pensionsregelungen<br />

und erinnern sich mit großem<br />

Vergnügen an die Zeiten,<br />

zu denen sie versucht<br />

haben, die Axt an dieses<br />

Staatsgebilde zu legen“, lautete<br />

der ironische Kommentar<br />

des Pioniers des Infotainments<br />

im deutschen Fernsehen.<br />

Es kam zu einer für<br />

Bonn und den Rest der<br />

Republik für die damalige<br />

Zeit neuen „Demonstrationskultur“,<br />

etwa gegen die<br />

Notstandsgesetze und die<br />

Nachrüstung. Die RAF habe<br />

versucht, die Bundesrepublik<br />

zu liquidieren, was ihr Gott<br />

sei Dank nicht gelungen sei.<br />

„Die heute gelegentliche<br />

Beweihräucherung dieser<br />

Terroristenbande kann ich<br />

überhaupt nicht begreifen“,<br />

ärgerte sich Nowottny.<br />

In der Folgezeit versammelten<br />

sich dann die Versprengten<br />

von links, aber<br />

auch das Protestpotenzial<br />

aus den bürgerlichen Lagern bei den<br />

„Grünen“, die 1983 in das Parlament einzogen.<br />

Die heutige Politikergeneration sieht<br />

Friedrich Nowottny als eine Mischung, die<br />

man nach Gutdünken als „Internet-,<br />

Google- oder Globalisierungsgeneration“<br />

bezeichnen könne. Der scharfzüngige Medienmann<br />

konnte sich an dieser Stelle die<br />

spöttische Bemerkung nicht verkneifen,<br />

dass bei manchen jungen, aufstrebenden<br />

Nachwuchspolitikern das Bemühen zu<br />

beobachten sei, „auf möglichst kurzem<br />

Wege an die Schaltstellen der Politik zu<br />

kommen nach dem Karrieremuster ‚Kreis-<br />

saal, Hörsaal, Plenarsaal‘.“<br />

„Wenn wir das heutige<br />

parlamentarische<br />

Getümmel in Bund und<br />

Ländern sehen, dürfen<br />

wir eines nicht vergessen:<br />

In den Bundestagen<br />

der Gründerzeit<br />

wurde auch mit harten<br />

Bandagen um die neue<br />

Staatsordnung gerungen“,<br />

erinnerte Nowottny.<br />

1949 saßen<br />

noch acht Parteien im<br />

Parlament und kämpften<br />

dort um Geltung,<br />

„darunter Kommunisten<br />

und alte Nazis“.<br />

Dies habe sich später<br />

durch die Einführung<br />

der Fünf-Prozent-Klausel<br />

etwas entspannt.<br />

Gerungen wurde in<br />

den ersten Jahren um<br />

grundsätzliche Fragen<br />

des neuen Staatswesens,<br />

etwa um eine<br />

neue Wirtschaftsordnung,<br />

um eine neue<br />

Bündnispolitik angesichts<br />

des heraufziehenden<br />

„Kalten Krieges“,<br />

um eine neue soziale<br />

Ordnung. Zwölf<br />

Millionen Flüchtlinge<br />

mussten in das Land<br />

integriert werden: „Ich<br />

halte das immer noch<br />

für eine der herausragenden<br />

Leistungen dieser<br />

Gesellschaft“, betonte<br />

Nowottny. Dies<br />

sei völlig in Vergessenheit<br />

geraten. „Frieden<br />

auf dem Kontinent erhob<br />

sich nur mühsam<br />

aus den Trümmern<br />

des Krieges, und man<br />

versuchte an neue Ufer<br />

zu kommen.“<br />

Turbulente Zeiten in den ersten<br />

Jahren des Bundestages<br />

Es seien stürmische Zeiten im Bundestag<br />

unten am Rhein gewesen. Der Präsident<br />

habe es dabei äußerst schwer gehabt,<br />

Ordnung zu schaffen, Beleidigungen<br />

zu ahnden und Tumulte zu unterbinden.<br />

Damals sei es ganz normal gewesen, den<br />

gegnerischen Debattenredner als „Verleumder“<br />

oder „Kriegshetzer“ zu beschimpfen.<br />

„Der langjährige Fraktionschef der SPD,<br />

Herbert Wehner, schien gar Ordnungsrufe<br />

zu sammeln wie andere Briefmarken“,<br />

bemerkte Friedrich Nowottny. >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 11


Der gelernte Journalist konnte natürlich<br />

auch nicht umhin, die Rolle der Medien in<br />

der Politik näher zu beleuchten. Er verwies<br />

auf die Flut von Informationen, mit denen<br />

die Medien von allen Seiten gefüttert werden<br />

und aus denen die wesentlichen Nachrichten<br />

herausgefiltert werden müssen.<br />

Täglich erreichen die Deutsche Presse-<br />

Agentur rund 500 Faxe, 500 E-Mails und<br />

ungezählte Telefonate. Hinzu kommen<br />

Berichte von Korrespondenten aus dem Inund<br />

Ausland, aus Pressekonferenzen und<br />

oft genug auch Indiskretionen.<br />

Politik und Medien sind aufeinander<br />

angewiesen<br />

Dann sind da noch die Netzwerke und<br />

Seilschaften der Politiker, vornehmlich mit<br />

der Wirtschaft und mit Journalisten. „Diese<br />

sind so gut wie unsichtbar, aber sie funktionieren<br />

ganz gut“, stellte Nowottny fest.<br />

Medien und Politik seien aufeinander angewiesen<br />

und die Medienvertreter seien<br />

dankbar für jede Schlagzeile, die ihnen über<br />

die alltäglichen Themen hinaus etwas<br />

Besonderes biete. Als Beispiel nannte er die<br />

Fürther Landrätin Pauli: „Glauben Sie denn,<br />

diese Dame hätte ohne Medienhilfe die<br />

CSU-Szene in München so durcheinander<br />

wirbeln können – mit dem Sturz des Regierungschefs,<br />

mit Wahlen, die die CSU so<br />

schlecht haben aussehen lassen wie nie<br />

zuvor in der Geschichte?“<br />

12<br />

Zur Person<br />

Friedrich Nowottny wurde am 16. Mai<br />

1929 in Hindenburg, Oberschlesien<br />

(heute Zabrze, Polen) geboren. Nach<br />

seinem Schulabschluss arbeitete er<br />

von 1946 bis 1948 bei der britischen<br />

Besatzungsmacht in Bielefeld. Dort<br />

begann er auch 1948 seine Medienkarriere<br />

als freier Mitarbeiter bei der<br />

Tageszeitung Freie Presse, wo er zum<br />

Ressortleiter aufstieg. 1962 wechselte<br />

Nowottny zum Saarländischen Rundfunk<br />

und wurde Leiter der Fernsehabteilung<br />

für Wirtschaft und Soziales.<br />

1967 ging er zum WDR als stellv. Leiter<br />

des Studio-Bonn, dessen Chef er 1973<br />

wurde. Bis 1985 moderierte er genau<br />

1000-mal die Sendung „Bericht aus<br />

Bonn“ und machte das Polit-Magazin<br />

zur Institution. Von 1985 bis 1995 war<br />

Friedrich Nowottny Intendant des<br />

WDR, 1991 und 1992 gleichzeitig<br />

Vorsitzender der ARD. Heute arbeitet<br />

der fast Achtzigjährige noch als freier<br />

Journalist und Medienberater.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Netzwerke und Seilschaften<br />

funktionieren nach Auffassung<br />

des alt gedienten Medienexperten<br />

überall dort, wo es um<br />

Macht und Einfluss geht – in<br />

der Politik und im Zusammenspiel<br />

von Politik, Medien und<br />

Wirtschaft. „Verlassen Sie sich<br />

darauf: Wer im politischen<br />

Alltag – und nicht nur da –<br />

einen Konkurrenten in ein<br />

schiefes Licht stellen möchte,<br />

der findet jemanden in den<br />

Medien, der ihm dabei hilft“,<br />

betonte Nowottny.<br />

Eher kritisch bewertete er<br />

den starken Einfluss von Voraussagen<br />

und Umfragen in der<br />

heutigen „Prognosegesellschaft“.<br />

So legten viele Wirtschaftsforschungsinstitutejeden<br />

Tag neue Zahlen auf den<br />

Tisch. Sage das Institut A eine<br />

günstige Konjunkturentwicklung<br />

voraus, widerspreche das<br />

Institut B sofort vehement; beides<br />

werde gedruckt mit dem<br />

Anspruch der Seriosität. „Was<br />

diese Institute schon angerichtet<br />

haben im Zusammenwirken<br />

mit den Medien, geht auf keine<br />

Kuhhaut“, empörte sich Nowottny.<br />

Gleiches gelte für die „Zielgenauigkeit“<br />

der Demoskopen,<br />

die uns täglich mit neuen Erkenntnissen<br />

beglückten. Wenn man heute<br />

sage, Angela Merkel strebe die Farbkombination<br />

schwarz/gelb an, würde dies dem<br />

von den Meinungsforschern veröffentlichten<br />

Bild der Gegenwart entsprechen. Aber<br />

niemand wisse, ob die Kanzlerin dies<br />

wirklich wolle. „Denn die große Koalition<br />

hat auch viele Vorteile für sie. Sie kann<br />

an Dingen mitwirken, mit denen sie in<br />

der eigenen Partei nie durchgekommen<br />

ist“, hielt Friedrich Nowottny dem entgegen.<br />

„Es ist nicht ganz einfach, im Wettlauf<br />

um die höchstmögliche Beliebtheit bei den<br />

Wählern immer die vorderen Plätze zu belegen“,<br />

sagte der alte Fahrensmann. Auch in<br />

den eigenen Parteien werde mit Argusaugen<br />

verfolgt, wie es um das Ansehen der<br />

Spitzenleute bestellt sei, denn das eigene<br />

Mandat hänge auch vom Erfolg der Führungspersonen<br />

ab. „Denken Sie nur daran,<br />

wie viele sozialdemokratische Abgeordnete<br />

sich in Hessen eben noch im Landtag<br />

wähnten und nun sauer sind, dass sie durch<br />

das schlechte Abschneiden der SPD nicht<br />

mehr in das Parlament gekommen sind.<br />

Und wie viele bei der CDU vergeblich<br />

gehofft haben, einen Riesensieg ihrer Partei<br />

feiern zu können, und nun feststellen mussten,<br />

dass das Ergebnis für Roland Koch auch<br />

nicht sehr viel besser war als das Resultat,<br />

Nach der Verabschiedung des Grundgesetzes gründet der<br />

Parlamentarische Rat auf seiner letzten Sitzung am 23. Mai<br />

1949 die Bundesrepublik Deutschland • Beurkundungsseite<br />

des Grundgesetzes<br />

das er ein Jahr zuvor hatte“, untermauerte<br />

Nowottny seine These.<br />

Machtspiele gehören<br />

zum Geschäft<br />

Probleme mit dem Führungspersonal<br />

seien in der Geschichte der Bundesrepublik<br />

schon häufig mit offenem oder verstecktem<br />

Mobbing geregelt worden.<br />

„Machtspiele gehören zum politischen<br />

Geschäft dazu“, bemerkte Friedrich Nowottny<br />

und erinnerte an die Art und Weise,<br />

wie die CDU-Vorsitzende Angela Merkel<br />

ihren damaligen Fraktionschef Friedrich<br />

Merz aus seinem Amt „gekegelt“ habe,<br />

ohne dass dieser sich groß dagegen wehren<br />

konnte.<br />

Das Ziel, für die eigene Sache in der<br />

Politik Aufmerksamkeit zu mobilisieren,<br />

war – so die Beobachtung des ehemaligen<br />

Chefs der größten deutschen Fernsehanstalt<br />

– in den Gründerjahren einfacher als<br />

heute. Es war alles etwas behäbiger.<br />

Damals habe noch nicht der Konkurrenzkampf<br />

getobt, den wir in jüngerer Zeit erleben.<br />

„Für einige Sekunden in den TV-Hauptnachrichtensendungen,<br />

für einen Platz in<br />

den Talkshows, gleichgültig in welchem<br />

Programm, für Präsenz in den Radionach-


ichten werden heute ungewöhnlicheAnstrengungen<br />

unternommen.<br />

Wer in den Morgensendungen<br />

des Radios<br />

und des Fernsehens<br />

Interviews gab oder gibt,<br />

dem gehörten die Nachrichten<br />

bis zu den Mittagsstunden“,<br />

hob Nowottny<br />

hervor. Ein „Musterexemplar“<br />

für diese<br />

„Fleiß-Frühaufsteher“ sei<br />

Hans-Dietrich Genscher<br />

gewesen. Er habe um<br />

sechs Uhr Deutschlandfunk<br />

gehört, sei dann<br />

bereits um halb sieben<br />

mit einer Stellungnahme<br />

zu irgendeinem Thema<br />

auf Sendung gewesen<br />

und habe bis zwölf die<br />

Nachrichten beherrscht.<br />

Vom Liebling<br />

zum Prügelknaben<br />

Die Mächtigen der Politik lassen sich<br />

gerne von der Sonne der Öffentlichkeit bescheinen.<br />

Schwindet nämlich die Macht<br />

und verbleicht der Glanz der Erfolge, so<br />

schwindet auch die Anhänglichkeit der<br />

Parteifreunde und der Medien: „Eben noch<br />

hoch gelobt und hoch geschrieben, findet<br />

sich mancher Politiker schon kurze Zeit später<br />

auf der Liste der Absteiger. Vom Liebling<br />

zum Prügelknaben, das ist ein ganz kurzer<br />

Weg“, erklärte Nowottny.<br />

Als Beispiele aus der Vergangenheit<br />

nannte er Ludwig Erhard, den „Vater des<br />

Wirtschaftswunders“. Und Rainer Barzel –<br />

CDU-Vorsitzender und Fraktionschef der<br />

Union im Bundestag, ein aufopferungsvoller<br />

Parteisoldat und Kanzlerkandidat. Sie seien<br />

dem Druck nicht gewachsen gewesen, der<br />

von den eigenen Parteifreunden und von<br />

der politischen Großwetterlage ausgegan-<br />

Das Museum König in Bonn – 1948/49 Tagungsort des<br />

Parlamentarischen Rates<br />

Die deutschen Bundeskanzler seit 1949:<br />

(obere Reihe, v. l.) Konrad Adenauer (1949-1963), Ludwig Erhard (1963-1966),<br />

Kurt-Georg Kiesinger (1966-1969), Willy Brandt (1969-1974);<br />

(untere Reihe, v. l.) Helmut Schmidt(1974-1982), Helmut Kohl (1982-1998),<br />

Gerhard Schröder (1998-2005), Angela Merkel (seit 2005)<br />

gen sei. Auch Karl Schiller und Alex Möller,<br />

beide Sozialdemokraten, gehören nach<br />

Auffassung von Friedrich Nowottny in diese<br />

Reihe. Schiller sei ein großartiger Wirtschaftsminister<br />

und Möller ein hervorragender<br />

Finanzminister gewesen. Beide seien<br />

aber an den Forderungen ihrer Partei zerbrochen<br />

und politisch gescheitert.<br />

Der langjährige Moderator des „Berichts<br />

aus Bonn“ erinnerte sich, dass kein<br />

Kanzler von den Medien gestürzt wurde,<br />

wie so gern behauptet werde. Dies sei<br />

zumeist von den Rivalen und Konkurrenten<br />

aus den eigenen Parteien besorgt worden.<br />

So war Konrad Adenauer zwar in erster<br />

Linie sein eigenes Opfer, weil er nicht abtreten<br />

wollte. Aber die CDU habe ihn am Ende<br />

eben auch „abserviert“. Obwohl Ludwig<br />

Erhard als Wirtschaftsminister für die<br />

Union viele Wahlen gewonnen hat, ist er als<br />

Kanzler an der eigenen Partei gescheitert.<br />

Kurt-Georg Kiesinger, Kanzler der ersten<br />

großen Koalition zwischen 1966 und 1969,<br />

verlor seine Parteiämter<br />

nach der Gründung der<br />

sozial-liberalen Koalition<br />

zwischen SPD und FDP im<br />

Jahr 1969, weil er diese<br />

neue Konstellation nicht<br />

verhindern konnte. Willy<br />

Brandt hatte sein Amt<br />

aus Gründen aufgegeben,<br />

die mit dem DDR-Spion<br />

Guillaume nicht wirklich<br />

überzeugend zu erklären<br />

waren; vielmehr fürchteten<br />

die SPD und ihre<br />

Abgeordneten im Bundestag<br />

um ihren Erfolg<br />

und ihre Mandate.<br />

Schließlich verlor Helmut<br />

Schmidt in der SPD mit<br />

dem Nachrüstungsbeschluss<br />

indirekt die Mehr-<br />

heit und wurde durch ein konstruktives<br />

Misstrauensvotum am 1. Oktober<br />

1982 von Helmut Kohl abgelöst.<br />

Kohl war dann der erste Bundeskanzler,<br />

der – so Nowottny –<br />

„durch das Wahlvolk in die Wüste<br />

geschickt wurde“. Gerhard Schröder<br />

war der zweite.<br />

Kohl war kein Medienkanzler:<br />

„Ich weiß, wovon ich rede“, bekräftigte<br />

Friedrich Nowottny diese Erkenntnis.<br />

„Im Gegensatz zum<br />

Selbstverständnis von Gerhard<br />

Schröder, der ja glaubte – um seine<br />

eigenen Worte zu zitieren – ‚Bild,<br />

BamS und Glotze‘ zu seinen Helfern<br />

machen zu können, um so sein<br />

Mandat auf Ewigkeit sichern zu<br />

können.“ Kohl habe die Welt hingegen<br />

schlicht und einfach nach<br />

Freund und Feind sortiert – auch bei<br />

den Medien. Dem Spiegel, einstmals<br />

Themenvorgeber der Nation, habe<br />

er seit 1976 jedes Interview verweigert.<br />

Anderen Wochenblättern sei es ebenso<br />

gegangen.<br />

Helmut Kohl habe seine Stärke aus seiner<br />

Partei, der CDU bezogen, „die er kraftvoll<br />

geführt habe „mit dem dichtesten<br />

Netzwerk, das ein einzelner Mensch überhaupt<br />

haben konnte“. Er sei auch „König der<br />

Telefonherrschaft“ gewesen, wusste Nowottny<br />

zu berichten. „Wenn irgendein<br />

Kreisvorsitzender auf einem Parteitag 15<br />

Stimmen bringen konnte, rief er ihn an, weil<br />

er glaubte, diesen Mann für sich gewinnen<br />

zu müssen.“ Manchmal hätten die Angerufenen<br />

geglaubt, sie seien einem Stimmenimitator<br />

aufgesessen.<br />

Medien liegen Kanzlerin<br />

zu Füßen<br />

Die aktuelle Kanzlerin Angela Merkel<br />

hat sich nach Einschätzung von Friedrich<br />

Nowottny außerordentlich schnell mit den<br />

Spielregeln der Berliner Machtinstrumente<br />

vertraut gemacht. Die Masse ihrer publizistischen<br />

Bemühungen lasse erkennen, dass<br />

sie nicht nur Kanzlerin, sondern gleichzeitig<br />

auch CDU-Vorsitzende ist, die den permanenten<br />

Wahlkampf nicht scheut. Glaube<br />

man den Meinungsumfragen, so hat sie<br />

großen Erfolg damit: „Die Medien liegen<br />

der Kanzlerin zu Füßen und Angela Merkel<br />

wird glänzend bedient.“<br />

Schon in den Jahren als Oppositionsführerin<br />

habe Merkel gezeigt, dass sie eine<br />

„Langstreckenläuferin“ sei. „Sie hat die<br />

Fähigkeit, Vergangenheit hinter sich zu lassen,<br />

auch die eigene“, stellte der Redner<br />

fest. Sie passe ihr Handeln geschmeidig<br />

den erkennbaren Gestaltungsmöglichkeiten<br />

an. Dabei scheine sie auch in Kauf zu<br />

nehmen, in den Wirtschaftskreisen der<br />

eigenen Partei verdächtigt zu werden, eine >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 13


Sozialdemokratisierung der CDU zu betreiben.<br />

Friedrich Nowottny hält diesen Vorwurf<br />

für übertrieben. Merkel komme es<br />

nach seiner Meinung darauf an, zunächst<br />

einmal die große Koalition über die Runden<br />

zu bringen. Dafür mache sie viele Zugeständnisse.<br />

Noch bis vor kurzem habe sie<br />

propagiert: „Mindestlohn wird es mit mir<br />

nicht geben!“ Und jetzt haben wir bereits<br />

Mindestlöhne für mindesten vier Millionen<br />

Arbeitnehmer.<br />

Verlässliche politische Stabilität<br />

Der erfahrene Beobachter der politischen<br />

Szene hob hervor, „dass wir mit der<br />

zweiten deutschen Republik mehr Glück<br />

hatten als mit der ersten“. Im Gegensatz zu<br />

den Jahren 1919 bis 1933 gab es nach 1949<br />

eine „verlässliche politische Stabilität“.<br />

Parteien von ganz rechts und ganz links, die<br />

versuchen, die Politikverdrossenen aufzufangen,<br />

werde es auch in Zukunft geben.<br />

„Sie haben die Grundlagen der Bundesrepublik<br />

Deutschland aber nicht zerstören<br />

können“, so Friedrich Nowottny. Allerdings<br />

wagte er keine Prognose, ob dies so bleibe.<br />

Wirtschaftlich wurde Deutschland nach<br />

dem Zusammenbruch zu einer weltweit<br />

führenden, stabilen Industrienation. Die<br />

Älteren haben 1948 eine Währungsreform<br />

und die damit verbundene vollständige<br />

Geldentwertung überstanden. Und alle<br />

haben gelernt, mit dem Euro umzugehen.<br />

Der Neujahrs-Empfang bietet auch immer eine gute Gelegenheit<br />

zur Begegnung und zum Gespräch<br />

14<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

„Ich finde, auch daraus<br />

wurde eine<br />

großartige Erfolgsgeschichte.<br />

Ohne den<br />

Euro sähe die heutige<br />

Finanzkrise noch sehr<br />

viel schlimmer aus,<br />

als es ohnehin schon<br />

der Fall ist“, lobte<br />

Nowottny.<br />

Er erwähnte weiter<br />

den immensen<br />

Kraftaufwand der<br />

bundesrepublikanischen<br />

Gesellschaft,<br />

der zur Wiedervereinigung<br />

der beiden<br />

deutschen Staaten<br />

notwendig war. Die<br />

Deutschen seien<br />

auch nicht Opfer der<br />

weltweiten Globalisierung geworden, wobei<br />

er ausdrücklich den Kapitalmarkt ausnahm.<br />

Für die Kompetenz der Banker fand<br />

er nur Spott. Schon als junger Wirtschaftsredakteur<br />

habe er immer gesagt: „Bankiers<br />

unterscheiden sich von uns nur dadurch,<br />

dass sie den besseren Schneider haben.“<br />

Den Menschen in der Bundesrepublik<br />

Deutschland bescheinigte Nowottny, viele<br />

Krisen überstanden und gegen Ängste angekämpft<br />

zu haben, „so wie wir das auch<br />

jetzt tun“.Wir hätten unsinnige, von der Politik<br />

vorgegebene Rahmenbedingungen<br />

verarbeitet, ohne in die Knie<br />

zu gehen. Deutschland blieb<br />

nach 1945 von Kriegen verschont<br />

– die längste Friedensperiode<br />

seit der Zeit<br />

Bismarcks. „Jetzt müssen wir<br />

mit neuen Bedrohungen fertig<br />

werden: Der Terrorismus,<br />

der Einsatz deutscher Soldaten<br />

im Balkankonflikt und<br />

in Afghanistan schaffen<br />

neue, unkalkulierbare Risiken<br />

auch für unser Land“,<br />

sagte Friedrich Nowottny.<br />

Der Senior der UNITAS-Salia, Robert Weichselbaum,<br />

bedankt sich bei Friedrich Nowottny mit einem Wein-Geschenk.<br />

Links: der AHV-Vors. Dr. Winfried Gottschlich<br />

Und weiter:„Wir alle hatten<br />

und haben oft den Mut,<br />

mit zum Teil scharfer Kritik<br />

zu begleiten, was die da<br />

oben angerichtet und uns<br />

beschert haben. Ich finde,<br />

das gehört einfach dazu.“ In<br />

einem stabilen, demokratischen<br />

Gemeinwesen müssten<br />

die vom Volk Gewählten<br />

und damit auch dem Volk<br />

Verantwortlichen damit<br />

rechnen, oft im Mittelpunkt<br />

kritischer Auseinandersetzungen<br />

zu stehen.<br />

Im Blick auf die aktuellen<br />

Konjunkturprogramme betonte<br />

der frühere Wirt-<br />

schaftsredakteur: „Den Sozialstaat tragen<br />

wir alle.“ Er sei die Grundlage der Stabilität<br />

unseres Landes. Wer diese Stabilität aufs<br />

Spiel setze, gleichgültig ob als Gesetzgeber<br />

oder durch Missbrauch, „muss sicher mit<br />

unserem Einspruch rechnen“.<br />

Politik vollzieht sich – so Nowottny –<br />

überall auf der Welt im Spannungsfeld von<br />

Machtansprüchen. Es sei Sache der Politik,<br />

die sich daraus oft ergebenden Spannungszustände<br />

aufzufangen und zu lösen. Aber<br />

eben nicht nur der Politik allein. „Schauen<br />

wir ihr also auf die Finger und zögern wir<br />

nicht, auch schon mal auf den Tisch zu<br />

hauen, und zwar so, dass diejenigen, die wir<br />

meinen, es auch hören können“, lautete der<br />

Appell des streitbaren Redners. Wahlenthaltung<br />

sei hingegen keine geeignete<br />

Antwort.<br />

„Das Grundgesetz ist ein<br />

großartiges Papier“<br />

Friedrich Nowottny bezeichnete das<br />

Grundgesetz, dessen Verkündigung sich am<br />

23. Mai <strong>2009</strong> zum 60. Mal jährt, als eine<br />

gute und solide Grundlage für unser Gemeinwesen.<br />

Es sei das noch immer vorzeigbare<br />

und verpflichtende Ergebnis der Arbeit<br />

des Parlamentarischen Rates, der im September<br />

1948 im Bonner Museum König<br />

seine Arbeit aufgenommen hatte. „Das<br />

Grundgesetz ist ein großartiges Papier; ich<br />

rate jedem, es zu lesen“, gab der vielfach<br />

ausgezeichnete Journalist dem Auditorium<br />

als Empfehlung mit auf den Weg.<br />

Zum Schluss des Vortrags zitierte Nowottny<br />

Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die<br />

Würde des Menschen ist unantastbar.“<br />

Dieser eindrucksvolle Satz müsse in unserem<br />

Bewusstsein lebendig bleiben und<br />

unser Handeln bestimmen, auch das Handeln<br />

derer, die Politik in unserem Auftrag<br />

machen.


Die Krise als Chance<br />

ERZBISCHOF BBR. DR. REINHARD MARX<br />

PLÄDIERT FÜR EINE ERNEUERUNG<br />

DER SOZIALEN MARKTWIRTSCHAFT<br />

VON BBR. CHRISTOF BECKMANN<br />

In diesen Tagen ist er viel unterwegs:<br />

Der Münchner Erzbischof, Bbr. Reinhard<br />

Marx (55), seit 2006 deutscher Vertreter<br />

in der EU-Bischofskommission COMECE<br />

und bei ihrer Vollversammlung am<br />

20. März in Brüssel zum neuen Vizepräsidenten<br />

gewählt. „Es ist wichtig, dass<br />

wir als Europäische Union in der Wirtschafts-<br />

und Finanzkrise den Blick auf<br />

die armen Länder der Erde und auf die<br />

soziale Ungerechtigkeit in Europa nicht<br />

verlieren. Dafür will ich mich auf europäischer<br />

Ebene weiter engagieren“,<br />

erklärte Marx nach seiner Wahl.<br />

„Europa sollte nicht protektionistischen<br />

Tendenzen folgen, sondern die Krise als<br />

Lernort begreifen, damit die armen<br />

Länder eine Chance bekommen.“<br />

Der katholische „Sozialbischof“, wie er<br />

oft bezeichnet wird, schöpft aus jahrlangem<br />

praktischem Einsatz für die<br />

Katholische Soziallehre. Im Sozialinstitut<br />

seines Heimatbistums Paderborn, in der<br />

Kommende in Dortmund, brachte er<br />

Manager, Unternehmer, Gewerkschafter,<br />

Arbeitnehmer, Schüler und Auszubildende<br />

zusammen, vermittelte Grundlage und<br />

brachte sie ins Gespräch über das, was das<br />

Wirtschaften ausmacht, welche Rolle der<br />

Mensch spielt, welcher Verantwortung<br />

sich diejenigen stellen, die Arbeit schaffen<br />

und mit Hilfe ihrer Mitarbeiter ihre<br />

Produkte und Dienstleistungen am Markt<br />

platzieren.<br />

Falsches Menschenbild<br />

Dass dieser Markt inzwischen aus dem<br />

Leim geht, dass vertraute Ordnungen durch<br />

einen von gierigen Zockern ausgelösten<br />

Spekulations-Tsunami über Bord gespült<br />

werden, hat der frühere Professor für<br />

Christliche Gesellschaftslehre vielfach wortgewaltig<br />

beklagt. Lange bevor die Blase<br />

platzte, hatten christliche Sozialethiker<br />

immer wieder gemahnt, den wuchernden<br />

Globalisierungskapitalismus an die Leine zu<br />

legen und verlässliche Regeln aufzustellen.<br />

Die Ursachen der derzeitigen Wirtschaftskrise<br />

beruhten nicht zuletzt auf einem<br />

falschen Menschenbild, erklärte Reinhard<br />

Marx jetzt vor rund 3.800 Teilnehmern beim<br />

6. Kongress christlicher Führungskräfte in<br />

Düsseldorf. Das dem Kapitalismus zugrunde<br />

liegende Menschenbild vom „homo<br />

oeconomicus“, der allein an seine eigenen<br />

Interessen denkt, habe die Welt zum<br />

Schlechteren verändert.<br />

Die Chance der Krise nutzen<br />

Aber Reinhard Marx lamentiert nicht.<br />

Im Gegenteil. „In jeder Krise steckt eine<br />

Chance“, unterstreicht er im Gespräch nachdrücklich<br />

– auch wenn die Dimensionen der<br />

Krise mit ihren vielschichtigen Folgen insgesamt<br />

noch nicht zu überschauen seien.<br />

„Ich habe die große Sorge,<br />

dass möglicherweise noch<br />

nicht begriffen wird, wie<br />

wir aus der Krise lernen<br />

können. Das ist allerdings<br />

auch meine große Hoffnung,<br />

dass diese Krise zu<br />

einem Lernort wird, wo<br />

man wirklich auch mal in<br />

die Tiefe der Probleme<br />

hineingeht.“ Es sei eine<br />

Systemkrise, es seien Regeln<br />

verletzt worden, es<br />

sei nicht langfristig und<br />

nicht nachhaltig gedacht<br />

worden, so Marx. „Aber es<br />

ist auch eine moralische<br />

Krise, manche Menschenbilder,<br />

manche Wertvorstellung<br />

waren falsch. Sie<br />

haben sich durchgesetzt, sie haben dominiert<br />

– und da muss man auch was<br />

korrigieren. Ich hoffe sehr, dass die Krise<br />

auch eine Chance ist, es in Zukunft besser<br />

zu machen.“<br />

Bewährte Werte<br />

und Tugenden<br />

Eindeutig plädiert der Erzbischof für eine<br />

Rückbesinnung auf bewährte Werte und<br />

Tugenden, auf verlässliche Ordnungsrahmen.<br />

„Wir von der katholischen Soziallehre<br />

wissen: Man braucht Strukturreformen,<br />

Verfahren und Überlegungen, wie man die<br />

Soziale Marktwirtschaft immer wieder neu<br />

organisiert, so dass es auch funktioniert,<br />

dass es zu guten Ergebnissen führt und<br />

dass es auch dem Menschen dient. Und wir<br />

brauchen auf der anderen Seite eine Gesinnungsreform,<br />

auch den ethischen Impuls<br />

für den Einzelnen, dass er in seinem<br />

Bereich versucht, das Gute durchzusetzen,<br />

nach Recht und Gerechtigkeit zu handeln.“<br />

So erinnert er an die Tugenden des<br />

„ehrbaren Kaufmanns“, daran, dass nicht<br />

Bbr. Erzbischof Dr. Reinhard Marx überreicht Papst Benedikt XVI.<br />

ein Exemplar seines Buches „Das Kapital“<br />

Foto: L’Osservatore Romano<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 15<br />

>>


der Staat für alles in Haftung genommen<br />

werden könne, dass Eigeninitiative ermöglicht<br />

und entfaltet werden müsse.<br />

Beides, die moralische Verantwortung des<br />

Einzelnen, aber auch die Verantwortung der<br />

Allgemeinheit, seien<br />

aufeinander bezogen:<br />

„Dies müssen wir neu<br />

auf den Weg bringen.<br />

Beides ist wichtig und<br />

man kann das eine<br />

nicht gegen das<br />

andere stellen.“ Mit<br />

moralischen Appellen<br />

komme man nicht<br />

weiter: „Man muss<br />

wirklich wissen: Wo<br />

muss man was verändern?“<br />

Hier kommt eines<br />

seiner Lieblingsbilder<br />

ins Spiel. Es ist die<br />

Geschichte vom<br />

Mann, der auf dem<br />

Weg nach Jericho unter die Räuber fiel.<br />

Hilfeleistung sei richtig, sagt Reinhard Marx.<br />

Die Verantwortung des Einzelnen bleibe<br />

gefragt und müsse gestärkt werden. Doch<br />

andererseits müsse die Straße nach Jericho<br />

schlicht sicher gemacht werden: „Wir<br />

brauchen eben auch die ordnungspolitischen<br />

Rahmenbedingungen, ohne die<br />

wir eine gerechte Gesellschaft nicht<br />

schaffen können. Und dazu gehört eine<br />

vernünftige, erneuerte Soziale Marktwirtschaft,<br />

zu der ich keine Alternative<br />

sehe!“<br />

Die Krise an den internationalen Finanzmärkten<br />

und die Wirtschaftskrise<br />

haben Deutschland mit aller Wucht erfasst.<br />

Wir erleben weltweit eine Besorgnis<br />

erregende Situation. Die Menschen machen<br />

sich Gedanken um ihre Zukunft, die<br />

Zukunft ihrer Familien und um die Zukunft<br />

unseres Landes. Angesichts dieser tiefen<br />

Verunsicherung stehen wir vor grundlegenden<br />

Fragen der gesellschaftlichen und<br />

wirtschaftlichen Ordnung, denen sich die<br />

Kirche vor dem Hintergrund ihres politischdiakonischen<br />

Auftrags stellen muss. (…) Ich<br />

möchte einige Punkte nennen, die in diesem<br />

Zusammenhang wichtig sind.<br />

16<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Wider die Resignation<br />

Dass deren Regeln so unterlaufen und<br />

verletzt werden konnten, sieht er neben den<br />

wirtschaftlichen Konsequenzen auch in<br />

anderer Hinsicht als problematisch.<br />

Politisch und<br />

wirtschaftlich Handelnde,<br />

aber auch „die großen Experten“<br />

hätten in den letzten<br />

Jahren Dinge propagiert,<br />

die sich als falsch erwiesen.<br />

„Insofern kann man verstehen,<br />

dass da auch<br />

manche resignieren und<br />

sagen: Was ist da überhaupt<br />

– schau ich noch durch?“<br />

Doch Marx warnt vor Mutlosigkeit.<br />

Die Krise sei alles<br />

andere als ein Naturgesetz<br />

oder unabänderliches Verhängnis.<br />

„Gerade da müssten,<br />

meine ich, Christen<br />

sagen: Nein – es gibt immer<br />

einen Durchblick!“<br />

Für die von der Kirche vertretenen gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen<br />

Grundlinien selbst scheine sich inzwischen<br />

wachsender Zuspruch abzuzeichnen. Er<br />

selbst, so Reinhard Marx, stelle etwa im<br />

Blick auf die Katholische Soziallehre und zu<br />

den Reaktionen auf sein 2008 veröffentlichtes<br />

Buch „Das Kapital“ fest: „Die großen<br />

Prinzipien, die großen Leitideen, ordnungspolitischen<br />

Rahmenbedingungen für eine<br />

globale Gestaltung der Welt nach den<br />

Prinzipien des Weltgemeinwohls, auch um<br />

eine globale Finanzarchitektur, sind richtig.<br />

Sie haben sich bewährt. Viele Wissenschaftler<br />

und Führungskräfte sagen: Die<br />

große Richtung stimmt.“<br />

Ein Signal von Hamburg?<br />

Die – noch – diffuse Lage sei jetzt in<br />

gründlicher Art und Weise zu analysieren.<br />

Damit die Folgen abschätzbar und nachhaltige<br />

Lösungen gefunden werden. „Wir<br />

werden auf jeden Fall dazu ermutigen, weil<br />

tatsächlich alles, was Menschen machen,<br />

auch vom Menschen gestaltet und geändert<br />

werdet kann zum Guten“, so Marx.<br />

„Wenn wir Christen nicht diese Überzeugung<br />

haben, dass Menschen die Welt<br />

besser machen können, im Kleinen wie im<br />

Großen, dann weiß ich nicht, woher die<br />

Hoffnung kommen soll.“<br />

Resignation angesichts der Unübersichtlichkeit<br />

der Lage sei fehl am Platz, gibt<br />

er zu verstehen. Auf die Frage, ob das<br />

Bischofstreffen an der Elbe als „Signal von<br />

Hamburg“ verstanden werden könne,<br />

antwortet der Münchner Erzbischof: „Ich<br />

denke schon! Wir als Christen sollten auf<br />

jeden Fall – und wir als Bischöfe erst recht –<br />

ein Signal der Ermutigung aussenden und<br />

sagen: Wir können etwas machen! Es ist<br />

eine schwere Krise, aber es ist nicht das<br />

Ende der Welt. Wir fangen an, wir müssen<br />

immer wieder etwas Neues in Gang<br />

bringen. Und das können wir auch. Und wir<br />

haben das Instrument in der Katholischen<br />

Soziallehre.“<br />

„Ordnung braucht ihre Entsprechung in der<br />

Ausbildung von Werten und Grundhaltungen!“<br />

VON ERZBISCHOF DR. ROBERT ZOLLITSCH<br />

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Dr. Robert<br />

Zollitsch, hat sich bei der Herbst-Vollversammlung der deutschen Bischöfe zur<br />

aktuellen Finanzkrise geäußert. Hier sein leicht gekürztes Statement:<br />

1. Freiheit braucht Ordnung!<br />

Die Krise nährt den Ruf nach staatlicher<br />

Ordnung, damit ist die Erwartung<br />

einer besseren und gerechteren Ordnung<br />

verknüpft. Das Fehlen funktionsfähiger<br />

Finanzmärkte und die Verunsicherung<br />

durch die Wirtschaftkrise haben die Idee<br />

der Ordnungspolitik belebt. Gleichzeitig<br />

wächst das Misstrauen gegen die Freiheit.<br />

Auch wenn wir deren Missbrauch nicht<br />

ausschließen können, dürfen wir sie aber<br />

deshalb nicht grundlegend beschränken. Es<br />

braucht ein Vertrauen darauf, dass die Freiheit<br />

im Ganzen mehr Dynamik zum Guten<br />

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch<br />

als zum Schlechten auslöst. Aufgabe des<br />

Staates ist es, die Rahmenbedingungen für


die freie Entfaltung des Einzelnen zu<br />

setzen.<br />

Die Dauerspannung zwischen Freiheit<br />

und Ordnung spiegelt auch das Verhältnis<br />

von Markt und Staat wider. In Deutschland<br />

haben wir uns für das Modell der Sozialen<br />

Marktwirtschaft entschieden, weil es ihr<br />

gelingt, wirtschaftlichen Erfolg mit sozialem<br />

Ausgleich zu verbinden und der Freiheit<br />

eine Ordnung zu geben. Sie impliziert<br />

eine Verpflichtung zu wertebasiertem<br />

Handeln in einem Wirtschaftsprozess, in<br />

dem Markt und Wettbewerb dem Menschen<br />

dienen sollen. Die Erfahrungen der<br />

aktuellen Krise zeigen erneut, dass die<br />

international agierenden Unternehmen,<br />

die so genannten Global Player, der nationalen<br />

Ordnungspolitik auf immer mehr Gebieten<br />

entwachsen sind. Deshalb braucht<br />

auch das globalisierte Wirtschaftssystem<br />

einen ordnenden Rahmen. Die Grundprinzipien<br />

der Sozialen Marktwirtschaft bieten<br />

eine Orientierung für die zu schaffenden<br />

Rahmenbedingungen des internationalen<br />

Finanz- und Wirtschaftssystems.<br />

2. Freiheit braucht<br />

Verantwortung!<br />

Während die einen also nach dem starken<br />

Staat rufen, der ordnend eingreifen soll,<br />

beklagen andere den Verlust moralischer<br />

Selbstverpflichtung, weshalb jegliches Regelwerk<br />

nur ins Leere zielen kann. So stellt<br />

sich letztlich die Frage, ob die Rahmenordnung<br />

der Ort der Moral ist oder die ethische<br />

Gesinnung des Einzelnen.<br />

Die öffentliche Wahrnehmung konzentriert<br />

sich oft auf übermäßiges Gewinnstreben<br />

und mangelndes Verantwortungsbewusstsein.<br />

Erlauben sie mir hierzu zwei<br />

Anmerkungen:<br />

Zum einen hat die Krise natürlich viel<br />

mit menschlichen Schwächen wie Gier und<br />

Verantwortungslosigkeit zu tun. Dies sind<br />

aber nicht die alleinigen Ursachen. Die<br />

meisten Mitarbeiter in der Banken- und Fi-<br />

nanzbranche haben<br />

ganz seriös ihre<br />

Arbeit getan und<br />

mit der Entstehung<br />

der Krise wenig<br />

oder gar nichts zu<br />

tun. Viele von ihnen<br />

sind selbst von der<br />

Krise massiv betroffen.<br />

Zum anderen<br />

darf bei aller Kritik<br />

auch nicht vergessen<br />

werden, dass<br />

ein gesundes Gewinnstreben<br />

die<br />

zentrale Antriebskraft<br />

für jeden Akteur<br />

in der Wirtschaft ist. Das Gewinnprinzip<br />

ist Grundlage einer funktionierenden<br />

Wirtschaft. Letztlich ist doch auch der Griff<br />

nach dem günstigsten Produkt im Supermarkt<br />

von diesem Gewinnstreben geleitet.<br />

Dennoch ist die Zügellosigkeit der Interessen<br />

nicht bloß ein Märchen. Die Krise hat<br />

gezeigt, dass die Idee der Haftung an<br />

Bedeutung verloren hat, Leichtgläubigkeit<br />

und Laxheit um sich gegriffen haben und<br />

die Erfahrung: „wenn nicht ich so handle,<br />

tun es eben die anderen“ zu weniger Verantwortungsbewusstsein<br />

beigetragen hat.<br />

Sicher hat die Komplexität und Dynamik<br />

der internationalen Märkte und ihrer Instrumente<br />

diese Entwicklung unterstützt,<br />

doch muss in Zukunft – das scheint mir eine<br />

der Lehren aus der Krise zu sein – die Verantwortung<br />

des Einzelnen, der Unternehmen<br />

sowie der verschiedenen Interessengruppen<br />

und ihrer Vertreter in den Vordergrund<br />

rücken.<br />

Ordnung braucht ihre Entsprechung in<br />

der Ausbildung von Werten und Grundhaltungen<br />

wie Verantwortung, Rechenschaft,<br />

Konsequenz, Transparenz, Vertrauen und<br />

langfristige Orientierung. Denn gerade angesichts<br />

der Dynamik und Komplexität der<br />

globalisierten Wirtschaft wird nicht alles,<br />

was von Rechts wegen zulässig ist, auch<br />

ethisch vertretbar sein. Freiheit braucht<br />

Moral!<br />

3. Gerechtigkeit!<br />

Diese grundsätzlichen Überlegungen<br />

können auch Orientierung für die dringend<br />

erforderliche Neuordnung der Finanzwirtschaft<br />

sein, die derzeit von der<br />

Frage überlagert wird, wie den Auswirkungen<br />

der Finanzmarktkrise – vor allem auf<br />

die nationale Wirtschaft – am besten zu begegnen<br />

sei. Damit die Antworten nicht<br />

kurzatmig und kurzsichtig sind, sondern<br />

auch in Zukunft tragfähig, müssen sie am<br />

Prinzip der Gerechtigkeit und dem Wohle<br />

aller ausgerichtet sein.<br />

Dies gilt angesichts der gewaltigen<br />

Staatsverschuldung zum Beispiel für die<br />

Frage der Generationengerechtigkeit.<br />

Durch die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise<br />

stehen wir weltweit vor einer ungeahnten<br />

Schuldenexplosion. Es ist einsichtig,<br />

dass um einer notwendigen konjunkturellen<br />

Stabilisierung willen eine langfristig<br />

wirksame Staatsverschuldung in Kauf genommen<br />

werden muss, weil der Verzicht<br />

auf diese Maßnahmen an anderer Stelle<br />

eine Verschärfung der Probleme zur Folge<br />

hätte, die insbesondere die wirtschaftlich<br />

Schwächeren und Armen stark schädigen<br />

würde. Doch ist gleichzeitig immer zu bedenken,<br />

dass wir diese Staatsverschuldung<br />

den nächsten Generationen vererben. Ich<br />

habe die Sorge, dass die gewaltige Staatsverschuldung<br />

in einigen Jahren durch eine<br />

Inflation zurückgeführt wird, mit allen<br />

negativen wirtschaftlichen und sozialen<br />

Auswirkungen.<br />

Auch scheint mir wichtig, dass die Maßnahmen<br />

zur Stützung der Konjunktur<br />

zugleich auch möglichst zielgenau über die<br />

bloße Konjunkturbelebung hinausgehende<br />

sinnvolle Ergebnisse zeitigen sollten. Ich<br />

denke hier insbesondere an die Bereiche<br />

Bildung, verbesserte Infrastruktur, Energieeinsparung<br />

oder erneuerbarer Energien.<br />

Wir müssen bei derzeitigen Ausgaben<br />

insbesondere die Interessen der nächsten<br />

Generation im Blick haben!<br />

Auch wenn unser Blick sich zurzeit vor<br />

allem auf die eigenen Probleme und die<br />

unserer nächsten Nachbarn und stärksten<br />

Wirtschaftspartner richtet, dürfen wir die<br />

Schwellen- und Entwicklungsländer nicht<br />

vergessen, die darauf angewiesen sind, ihre<br />

Produkte auf unseren Märkten zu verkaufen.<br />

Ein neuer Protektionismus, aber auch<br />

ein Nachlassen im Kampf gegen Armut und<br />

Hunger sowie die Folgen des Klimawandels<br />

können nicht die Antwort auf diese Krise<br />

sein.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 17


Die deutschen Bischöfe zur Finanzkrise<br />

ERZBISCHOF MARX: „KIRCHE MUSS GESELLSCHAFT ORIENTIERUNG GEBEN“<br />

Die Frühjahrs-Vollversammlung der<br />

deutschen Bischöfe, die sich vom 2. bis<br />

5. März in Hamburg versammelt hatten,<br />

hat sich bei einem Studien-Halbtag mit der<br />

aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise befasst.<br />

Bbr. Erzbischof Dr. Reinhard Marx,<br />

Vorsitzender der Kommission für gesellschaftliche<br />

und soziale Fragen der Deutschen<br />

Bischofskonferenz legte anschließend<br />

Eckpunkte einer kirchlichen Bewertung<br />

der Krise vor, die die UNITAS nachstehend<br />

(leicht gekürzt) dokumentiert:<br />

„Am Ende des Studienhalbtages stellt<br />

sich die Frage nach dem kirchlichen<br />

Sprechen und Handeln in der Krise: Muss<br />

sich die Kirche nicht selbst bewusst werden,<br />

auf welchen Schatz sie mit der Katholischen<br />

Soziallehre und ihrer einmaligen Tradition<br />

sozialethischer Verkündigung zurückgreifen<br />

kann? Das Erbe der Katholischen Soziallehre<br />

ist insofern auch eine Herausforderung<br />

an uns selbst. Die große Linie der Sozialenzykliken<br />

hat sich bewährt und besitzt<br />

gerade aus heutiger Perspektive eine<br />

geradezu zeitlose Gültigkeit.<br />

Bbr. Erzbischof Dr. Reinhard Marx<br />

Worauf kommt es jetzt also an? Im Folgenden<br />

will ich versuchen, mit Blick auf die<br />

Ergebnisse des heutigen Tages erste Eckpunkte<br />

einer kirchlichen Bewertung der<br />

Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise zu<br />

formulieren.<br />

1.<br />

Ausgang unserer Bewertung ist das<br />

christliche Verständnis vom Menschen:<br />

Im Mittelpunkt steht immer der Mensch.<br />

Unser Blick richtet sich deshalb zunächst<br />

auf all diejenigen, die national und international<br />

am meisten von der derzeitigen<br />

Krise betroffen sind. Denn eine solche Krise<br />

ist nicht nur eine Frage der Stabilität und<br />

18<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Effizienz eines wirtschaftlichen Systems,<br />

etwa im Zuge von Wachstumseinbußen<br />

oder einem gefährdeten Finanzmarkt, sondern<br />

sie ist insbesondere eine Frage der Gerechtigkeit.<br />

Uns bewegt die Krise nicht aus<br />

wirtschaftstheoretischem Interesse, sondern<br />

weil es uns um die Menschen geht –<br />

die Menschen, die in Deutschland besonders<br />

von der Krise betroffen sind, und die<br />

Menschen, die anderswo wegen der Krise<br />

hungern! Deshalb müssen wir uns fragen,<br />

welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um<br />

zukünftige Krisen möglichst zu vermeiden.<br />

Natürlich ist das Risiko von Finanz- und<br />

Wirtschaftskrisen nicht generell auszuschließen,<br />

aber soziale Gerechtigkeit und<br />

Gemeinwohl verpflichten uns, alles zu tun,<br />

um die Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit<br />

von Finanzkrisen zu reduzieren.<br />

2.<br />

Eine grundlegende Voraussetzung der<br />

Prävention ist allerdings, die Ursachen<br />

und den Verlauf der Finanzmarktkrise zu<br />

verstehen. Die Ursachen sind vielfältig: die<br />

Verselbstständigung von Finanzmarktprodukten,<br />

eine fehlerhafte Geschäftspolitik<br />

und zu große Risikobereitschaft<br />

von Banken, eine unzureichende<br />

staatliche Aufsicht,<br />

falsche politische Anreize<br />

und staatliche Geldpolitik<br />

sowie nicht zuletzt auch<br />

individuelles Versagen, das<br />

sich unter anderem in überhöhten<br />

Renditeerwartungen<br />

niedergeschlagen hat.<br />

Daneben hat aber auch<br />

das Zusammentreffen an sich<br />

guter Ideen zu Fehlentwicklungen<br />

geführt, wie etwa die<br />

Verbindung von Wohnungseigentumspolitik<br />

und laxer<br />

Kreditvergabe in den USA<br />

oder aber die leistungsorientierte<br />

Entlohnung, die erst<br />

in Verbindung mit kurzfristigenGewinnerwartungen<br />

zu schlechten Ergebnissen geführt hat.<br />

Auch wenn wir das ganze Ausmaß noch<br />

nicht absehen können, wissen wir: Es gibt<br />

eine Krise im System! Es handelt sich dabei<br />

auch um eine moralische Krise: Freiheit,<br />

Verantwortung und Ordnung sind aus dem<br />

Gleichgewicht geraten. Keiner von uns will<br />

deshalb ein neues System, aber wir brauchen<br />

eine Erneuerung im Sinne einer<br />

Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft.<br />

3.<br />

Auf den internationalen Finanzmärkten<br />

bestehen strukturelle Schwächen<br />

und Defizite, die einer dringenden Reform<br />

und Neuordnung bedürfen. Es ist nicht<br />

Aufgabe der Bischöfe, konkrete Reformvorschläge<br />

zu machen, dennoch seien einige<br />

Felder kurz benannt, auf denen<br />

Handlungsbedarf besteht:<br />

Die Weiterentwicklung der Bankenregulierung<br />

ist eine drängende Aufgabe.<br />

Hierbei geht es vor allem um eine effiziente<br />

Bankenaufsicht, die Finanzmarktprodukte<br />

und Finanzinstitute wirkungsvoll überwacht.<br />

Löcher in der Regulierung müssen<br />

erkannt, analysiert und geschlossen werden;<br />

dazu gibt es geeignete Instrumente,<br />

die auch angewandt werden müssen.<br />

Aufgabe der Bankenregulierung ist es, die<br />

Stabilität und Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes<br />

zu sichern; eine wesentliche<br />

Voraussetzung hierfür ist die Solvenz der<br />

Banken. Daher muss dafür Sorge getragen<br />

werden, dass die Risiken der Finanzinstitute<br />

mit angemessenem Eigenkapital unterlegt<br />

sind. Dies zu umgehen, darf nicht mehr<br />

möglich sein.<br />

Sicher gehört zur Funktionsfähigkeit<br />

des Finanzmarktes die Erwartung, dass<br />

beim Zusammenbruch einer Bank letzten<br />

Endes der Staat einspringt und die Einlagen<br />

zu einem gewissen Maß sichert. Doch darf<br />

diese Erwartungshaltung nicht dazu führen,<br />

dass Risiken ungeniert eingegangen<br />

werden können und die Idee der Haftung<br />

an Bedeutung verliert, weil im Zweifelsfall<br />

andere für den Schaden aufkommen.<br />

Eine weitere Fehlentwicklung waren<br />

überhöhte und zum Teil unrealistische Renditeerwartungen,<br />

die vor allem auf eine unzureichende<br />

Abwägung von Ertrag und<br />

Risiko zurückgehen. Wie mehrfach angeklungen,<br />

darf trotz aller Kritik nicht vergessen<br />

werden, dass ein gesundes Gewinnstreben<br />

die Grundlage einer funktionierenden<br />

Wirtschaft ist. Doch ist auch der Gewinn<br />

einer gewissen Ordnung verpflichtet.


Gewinn um jeden Preis trägt nicht über den<br />

Tag hinaus und vernachlässigt die Perspektive<br />

langfristigen, zukunftsfähigen Handelns.<br />

Auch die Gehaltstrukturen der Manager<br />

scheinen reformbedürftig. Bei Bonuszahlungen<br />

werden leistungsorientierte Zulagen<br />

vereinbart, die wohl weniger am<br />

langfristigen Erfolg orientiert, sondern<br />

primär auf Quartalsberichte und kurzfristige<br />

Gewinne fixiert sind, die sich dann<br />

oftmals nur durch eine exzessive, aber<br />

verborgene Risikoübernahme maximieren<br />

lassen. Für die Zukunft müssen Leistungsbewertungen<br />

und Vergütungssysteme mit<br />

Blick auf ihre Anreizstrukturen neu überdacht<br />

werden.<br />

Außerdem scheint ein kritischer Blick<br />

auf die Geld- und Zinspolitik der Notenbanken<br />

erforderlich. Lange Zeit galt die<br />

Geldpolitik der US-Notenbank als vorbildlich,<br />

mit billigem Geld den Konsum und<br />

einen scheinbaren Wohlstand zu fördern,<br />

tatsächlich wurde jedoch über die Verhältnisse<br />

gelebt, wie sich jetzt zeigt. Es wurde<br />

dabei außer Acht gelassen, dass es Aufgabe<br />

der Notenbanken ist, für Geldstabilität zu<br />

sorgen. Gerade im europäischen und internationalen<br />

Rahmen muss an dieser Position<br />

festgehalten werden.<br />

4.<br />

Neben diesen sehr konkreten Aspekten<br />

zur Neuordnung der Finanzmärkte ist<br />

aber auch eine Rückbesinnung auf grundlegende<br />

ordnungspolitische und sozialethische<br />

Überlegungen erforderlich. In<br />

Krisenzeiten wird der Ruf nach einem<br />

starken Staat immer lauter. Dabei dürfen<br />

aber die Grenzen des Staates und der Wert<br />

einer freiheitlichen sozialen Marktordnung<br />

nicht übersehen werden. Der Staat muss einen<br />

Ordnungsrahmen setzen, dieser allein<br />

reicht aber nicht aus. Schon im gemeinsamen<br />

Text der Deutschen Bischofskonferenz<br />

und des Rates der Evangelischen<br />

Kirche in Deutschland „Demokratie braucht<br />

Tugenden“ haben wir festgestellt: „Die Vorstellung,<br />

in einer Ordnung der Freiheit<br />

könne jeder ohne Rücksicht auf das Ganze<br />

seinen Interessen nachgehen, weil die<br />

Regeln aus eigener Kraft im Stande seien,<br />

einen vernünftigen Ausgleich zu bewirken,<br />

ist zwar weit verbreitet [...]. Aber sie ist<br />

illusionär. Freiheitliche Institutionen, so<br />

klug sie auch entworfen sein mögen,<br />

können nicht aus sich heraus das notwendige<br />

Minimum an Gemeinwohlorientierung<br />

[...] gewährleisten.“ (S. 16) Mit der<br />

Freiheit muss persönliche Verantwortung<br />

korrespondieren. Die Idee der Sozialen<br />

Marktwirtschaft verknüpft beides untrennbar<br />

miteinander und verpflichtet so zur<br />

Ausbildung von Werten und Grundhaltungen.<br />

Gerade dies ist in letzter Zeit zu<br />

kurz gekommen! Nicht nur Demokratie,<br />

auch Soziale Marktwirtschaft braucht<br />

Tugenden!<br />

5.<br />

Damit stehen wir aber auch in Zukunft<br />

fest auf dem Fundament der Sozialen<br />

Marktwirtschaft, weil es ihr gelingt, wirtschaftlichen<br />

Erfolg mit sozialem Ausgleich<br />

zu verbinden und der Freiheit eine Ordnung<br />

zu geben. Allerdings zeigen die Erfahrungen<br />

der Krise, dass die international<br />

agierende Finanzwirtschaft der nationalen<br />

Ord-nungspolitik immer mehr entwächst<br />

und das globalisierte Wirtschaftssystem<br />

ebenfalls einen ordnenden Rahmen<br />

braucht. Es besteht jetzt die Notwendigkeit,<br />

im Sinne der Sozialen Marktwirtschaft<br />

Einfluss auf die Ausgestaltung der internationalen<br />

Ordnung zu nehmen. Dabei<br />

müssen wir auch die außerökonomischen<br />

Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft<br />

im Blick haben: Das christliche Verständnis<br />

vom Menschen und die Idee der Demokratie<br />

sind der geistige Nährboden, auf<br />

dem sich die Soziale Marktwirtschaft entwickelt<br />

hat. Gerade deshalb könnte die<br />

Katholische Soziallehre Maßstab für die<br />

Gestaltung einer Weltwirtschaftsordnung<br />

sein. Europa, aber auch die transatlantische<br />

Wertegemeinschaft, müssen auf diesem<br />

Weg eine Vorreiterrolle spielen.<br />

6.<br />

Neben der Neuordnung der Finanzmärkte<br />

kommt es in Zukunft aber auch<br />

darauf an, den Auswirkungen der Krise entgegenzuwirken.<br />

Das<br />

rasche Eingreifen der<br />

Bundesregierung und<br />

der Staats- und Regierungschefs<br />

der EU sowie<br />

die Einberufung<br />

des Finanzmarktgipfels<br />

der G20-Staaten<br />

im November 2008<br />

haben gezeigt, dass in<br />

einer Situation, in der<br />

ein Kollaps der Finanzwirtschaft<br />

drohte,<br />

schnelle und entschlosseneMaßnahmen<br />

dringend notwendig<br />

waren. Doch<br />

stellt sich nach einer<br />

ersten Stabilisierung des Systems die Frage:<br />

Wie soll es weitergehen? Wir müssen jetzt<br />

Lösungen entwickeln, die langfristig tragfähig<br />

sind. Die Krise macht ja unsere<br />

bisherigen wirtschafts- und sozialpolitischen<br />

Überlegungen nicht alle hinfällig.<br />

Bereits eingeschlagene und bewährte<br />

Wege dürfen jetzt nicht vorschnell über<br />

Bord geworfen werden. Ordnungspolitische<br />

Vernunft und sozialethische Ziele<br />

dürfen nicht unter die Räder der Erwartungen<br />

kommen, denen die Verantwortlichen<br />

in Politik und Wirtschaft derzeit gegenüber<br />

stehen. Gerade in der jetzigen Situation<br />

wird die Gefahr der Dominanz partikularer<br />

Interessen erneut virulent, auf die wir<br />

bereits mit dem Impulstext „Das Soziale<br />

neu denken“ hingewiesen haben. Dies gilt<br />

national mit Blick auf große Konzerne im<br />

Gegensatz zu kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen, auf internationaler<br />

Ebene vor allem im Hinblick auf einen zunehmenden<br />

Protektionismus, mit dem<br />

Schwellen- und Transformationsländer<br />

zurückgedrängt und damit die positiven<br />

Effekte der Globalisierung untergraben<br />

werden. Auch in Europa darf der Protektionismus<br />

die grundlegenden Errungenschaften<br />

des Binnenmarktes nicht aufs<br />

Spiel setzen.<br />

7.<br />

Bisher steht bei allen Maßnahmen<br />

primär die Krisenbewältigung im Vordergrund.<br />

Angesichts der Schuldenberge,<br />

die im Zuge der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise<br />

immens erhöht wurden, stellt<br />

sich aber auch die Frage, wie diese Verschuldung<br />

wieder abgebaut werden soll.<br />

Eine offene Diskussion unter den Aspekten<br />

der Generationen- und Beteiligungsgerechtigkeit<br />

ist jedoch dringend erforderlich, um<br />

geeignete Kriterien der Lastenverteilung zu<br />

entwickeln. Es ist zu vermeiden, dass die<br />

Verschuldungsfrage über eine Inflation mit<br />

allen damit verbundenen sozialen Verwerfungen<br />

gelöst wird. Darüber hinaus dürfen<br />

auch die großen Herausforderungen des 21.<br />

Jahrhunderts – Ernährungssicherheit, Armutsbekämpfung<br />

und Klimawandel –, die<br />

sich in besonderem Maße auf die Armen<br />

der Welt auswirken, nicht aus dem Blick<br />

geraten.<br />

Wir müssen jetzt Konsequenzen ziehen,<br />

die Krise als Chance begreifen und als<br />

Lernort nutzen: Es reicht nicht aus, die Krise<br />

zu überwintern und danach weiterzumachen<br />

wie bisher. Wir müssen die Wirtschafts-<br />

und Finanzmärkte neu ordnen und<br />

Verantwortung zur Leitwährung machen!<br />

In der aktuellen Situation sind wir gefordert,<br />

der Gesellschaft Richtschnur zu<br />

geben! Wir müssen einerseits darauf<br />

drängen, dass die notwendigen Reformen<br />

vorangetrieben werden, wir müssen aber<br />

auch die Verantwortung der Akteure<br />

einfordern! Selten gab es in der Gesellschaft<br />

so fruchtbaren Boden für christliche<br />

Werte und Grundhaltungen! Kommen wir<br />

als Kirche also unserer Verpflichtung nach,<br />

Partner im Dialog über den Aufbau eines<br />

wertgebundenen Ordnungsrahmens zu<br />

sein!“<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 19


<strong>AGV</strong> verabschiedet Positionspapier<br />

zu sozialpolitischen Fragen<br />

VORORTE TRAFEN SICH ZU KLAUSURTAGUNG IM SCHWARZWALD<br />

VON BBR. HERMANN-JOSEF GROSSIMLINGHAUS UND TILL KAESBACH (KV)<br />

Fünfzig Zentimeter Schnee, ein altes<br />

Schwarzwaldhaus, das man mit dem<br />

Auto selbst mit Schneeketten nicht<br />

mehr erreichen kann, sondern nur<br />

noch mit einem Raupenfahrzeug –<br />

genau der richtige abgeschiedene Ort<br />

für eine Klausurtagung. Vom 5. bis 7.<br />

Dezember 2008 hatte die Arbeitsgemeinschaft<br />

katholischer <strong>Studenten</strong>verbände<br />

(<strong>AGV</strong>) sich in das Hercynen-<br />

Berghaus – in 1100 Metern Höhe am<br />

Feldberg im Hochschwarzwald gelegen<br />

– zu ihrer traditionellen Mitgliederversammlung<br />

im Advent zurückgezogen.<br />

In der vorweihnachtlichen<br />

Hüttenatmosphäre stand vor allem in<br />

zweiter Lesung der Entwurf eines<br />

„Positionspapiers für eine verantwortungsvolle<br />

Sozialpolitik im 21. Jahrhundert“<br />

zur Diskussion und wurde<br />

schließlich einstimmig verabschiedet.<br />

„Für manchen mag sich nicht auf den<br />

ersten Blick erschließen, warum sich ausgerechnet<br />

die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

mit Sozialpolitik befassen“, erklärte<br />

der stellvertretende <strong>AGV</strong>-Vorsitzende Bernd<br />

Schulte (KV). Die <strong>AGV</strong> sei jedoch der Ansicht,<br />

20<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Konzentrierte Arbeit in der Mitgliederversammlung<br />

dass sich ihre Verantwortung, an der gesellschaftlichen<br />

Meinungsbildung zu partizipieren,<br />

über die Hochschule hinaus erstrekken<br />

müsse. „Auch <strong>Studenten</strong> und gerade<br />

junge Akademiker sind von der Ausgestaltung<br />

einzelner sozialpolitischer Regelungen<br />

Die Teilnehmer der Klausurtagung vor der verschneiten Schwarzwaldkulisse. Der UNITAS-Verband<br />

war vertreten durch VOP Benedikt Schwedhelm (6.v.r.), die Leiterin des Beirats für Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Nachwuchs Lina Brockhaus (5.v.r.), den stv. <strong>AGV</strong>-Vorsitzenden Claus Broekmans (4.v.r.), den <strong>AGV</strong>-<br />

Ehrenvorsitzenden Hermann-Josef Großimlinghaus (l. außen) und den ehemaligen <strong>AGV</strong>-Vorsitzenden<br />

Hans-Achim Michna (3.v.r.).<br />

elementar betroffen“, hob Schulte hervor.<br />

Darüber hinaus wolle die <strong>AGV</strong> mit ihrem<br />

aktuellen Positionspapier die sozialpolitische<br />

Debatte stimulieren und ihren Beitrag<br />

dazu leisten.<br />

Zu den Kernbereichen der Sozialpolitik –<br />

Arbeitsmarkt, Rente, Gesundheit und Pflege<br />

– formulieren die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

auf der Grundlage der katholischen<br />

Soziallehre mit ihren Prinzipien der<br />

Subsidiarität und Solidarität eindeutige<br />

Thesen. Im Mittelpunkt steht dabei ein klares<br />

Bekenntnis zur sozialen Marktwirtschaft.<br />

Dem Einzelnen muss soviel Freiheit<br />

wie möglich zugestanden werden bei<br />

gleichzeitigem Aufspannen eines Netzes<br />

von Sozialleistungen, das engmaschig genug<br />

ist, um die Schwachen und Benachteiligten<br />

aufzufangen. Konkret leitet sich<br />

daraus für die <strong>AGV</strong> der Grundsatz „Arbeit<br />

muss sich lohnen“ ab, der sich in den Standpunkten<br />

zum Niedriglohnsektor, zum Kündigungsschutz<br />

und zum Mindestlohn widerspiegelt.<br />

Anreize für häusliche<br />

Pflege schaffen<br />

Besondere Beachtung findet in dem<br />

Positionspapier die Generationengerechtigkeit.<br />

So schließt sich die <strong>AGV</strong> dem dreistufi-


gen Rentenmodell der KAB „Solidarische<br />

Alterssicherung“ an. „In einer<br />

solidarischen Gesellschaft ist auch<br />

das Ehrenamt unverzichtbares Element“,<br />

unterstrich Bernd Schulte.<br />

Die <strong>AGV</strong> fordert, gerade im Bereich<br />

der Pflege über Kompensationsmodelle<br />

Anreize für die häusliche<br />

Betreuung durch Verwandte zu<br />

geben. Der Gesetzgeber wird aufgefordert,<br />

Regelungen zu schaffen, die<br />

eine berufliche Auszeit zur Pflege<br />

möglich machen.<br />

Um die Kostenprogression im<br />

Gesundheitswesen aufzuhalten,<br />

erachten die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

das zweigliedrige System<br />

aus privater und gesetzlicher<br />

Krankenversicherung bei Festhalten<br />

an der Familienmitversicherung für<br />

geeignet, auch in Zukunft umfassende<br />

Gesundheitsleistungen<br />

bereitzustellen.<br />

„Die <strong>AGV</strong> tritt auch für mehr<br />

Chancengleichheit ein“, stellte<br />

Bernd Schulte bei der Präsentation<br />

des Positionspapiers fest. Den<br />

Schlüssel hierfür sehe sie in einer<br />

verbesserten Bildung. Die schulische<br />

Ausbildung solle dabei gebührenfrei<br />

bleiben. Hingegen befürworteten<br />

die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

– wie schon früher<br />

in einem eigenen Positionspapier<br />

zur Bildungs- und Hochschulpolitik<br />

vertreten – Studienbeiträge bis zu<br />

500 Euro zur Aufbringung der von<br />

den Hochschulen dringend benötigten<br />

Finanzmittel. „Allerdings nur<br />

unter der Voraussetzung, dass sie<br />

nicht zur Entlastung der öffentlichen<br />

Haushalte genutzt und Studierende<br />

aus sozial schwachen Familien<br />

nicht benachteiligt werden“,<br />

betonte der Münsteraner Jurastudent.<br />

Der vollständige Text des Positionspapiers<br />

„Verantwortungsvolle Sozialpolitik<br />

im 21. Jahrhundert“ ist als Heft<br />

Nr. 11 in der <strong>AGV</strong>-Schriftenreihe STAND-<br />

PUNKTE veröffentlicht und findet sich im<br />

Internet auf der <strong>AGV</strong>-Homepage unter<br />

folgendem Link:<br />

www.agvnet.de (➞ Publikationen)<br />

Verbände schauen<br />

hoffnungsvoll in die Zukunft<br />

In den Berichten der einzelnen Verbandsvertreter<br />

war insgesamt eine positive<br />

Tendenz erkennbar. <strong>Unitas</strong>-Vorortspräsident<br />

Benedikt Schwedhelm sprach von einer<br />

„sehr guten Stimmung innerhalb des<br />

<strong>Unitas</strong>-Verbandes“ und einem guten Zusammenhalt<br />

der Vereine, RKDB-Ringpräsident<br />

Hanno Dockter konnte auf zwei erfolg-<br />

Die Klausurtagung dient dem besseren Kennenlernen zwischen den<br />

Vororten in ungezwungener Atmosphäre: bei der gemeinsamen Arbeit,<br />

bei einer Schneewanderung in der Umgebung des Feldbergs und<br />

in geselliger Runde bei einer Spontankneipe (links: der Präside des<br />

Abends, der stv. <strong>AGV</strong>-Vorsitzende Bernd Schulte).<br />

reiche Reaktivierungen von Korporationen<br />

in Freiburg und Trier verweisen. Der KV geht<br />

aktiv die Frage an, wie in Zukunft ehrenamtliches<br />

Engagement in Verband und Vereinen<br />

vor dem Hintergrund der Auswirkungen des<br />

Bologna-Prozesses sichergestellt werden<br />

kann. Eine bundesweite Fuxentagung soll<br />

dem Ideenaustausch zu diesem Problemfeld<br />

dienen.<br />

Die <strong>AGV</strong> setzte bei ihrer Klausurtagung<br />

auch Eckdaten für ihre inhaltliche Arbeit im<br />

kommenden Jahr: „<strong>2009</strong> feiern wir das 60jährige<br />

Bestehen der Bundesrepublik<br />

Deutschland, vor 20 Jahren fiel die Mauer<br />

und die Auswirkungen der weltweiten<br />

Finanzkrise werden uns<br />

sicher weiter beschäftigen“,<br />

listete <strong>AGV</strong>-Vize Bbr. Claus<br />

Broekmans einige Themenstellungen<br />

auf. Die Arbeitsgemeinschaft<br />

richte in ihrem<br />

DIALOGPROGRAMM mit hochkarätig<br />

besetzten Seminaren in<br />

München und Hamburg den<br />

Focus auf diese Themen. Speziell<br />

werde sie sich mit den Herausforderungen<br />

des Extremismus<br />

auf unsere Demokratie und dem<br />

Zusammenhang von Globalisierung<br />

und Bildung befassen. Auch<br />

kündigte Bbr. Broekmans an,<br />

dass die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

eine gemeinsame<br />

Erklärung zur im September des<br />

nächsten Jahres anstehenden<br />

Bundestagswahl mit so genannten<br />

„Wahl-Prüfsteinen“ zur Beurteilung<br />

der einzelnen Kandidaten<br />

erarbeiten werden (s. S. 22).<br />

Die nächste <strong>Studenten</strong>-<strong>Wallfahrt</strong><br />

der <strong>AGV</strong> führt im September<br />

<strong>2009</strong> auf den Spuren des<br />

Apostels Paulus und der frühen<br />

Christen in die Türkei (s. S. 26).<br />

Neuer Beirat soll<br />

Vorstand unterstützen<br />

Claus Broekmans informierte<br />

ferner darüber, dass die <strong>AGV</strong><br />

einen Beirat eingerichtet hat, in<br />

den vor allem ehemalige Vorstandsmitglieder<br />

ihre Erfahrungen<br />

und ihre heutige berufliche<br />

Kompetenz einbringen und so<br />

die Arbeit des Vorstands unterstützen<br />

sollen. Zunächst wurden<br />

Dr. Michael Güntner (CV), Büroleiter<br />

beim Vorsitzenden der<br />

CDU/CSU-Bundestagsfraktion<br />

Volker Kauder, Hans-Achim Michna<br />

(UV), hessischer Landesausländerbeauftragter,<br />

Andreas<br />

Kraus (CV), stellv. Leiter der Presseabteilung<br />

des Verbandes der<br />

Automobilindustrie, und Matthias<br />

Belafi (KV), Geschäftsführer<br />

der Kommission für gesellschaftliche<br />

und soziale Fragen der Deutschen Bischofskonferenz,<br />

in dieses Gremium berufen.<br />

In den Grußworten bei einer vom stellvertretenden<br />

<strong>AGV</strong>-Vorsitzenden Bernd<br />

Schulte souverän geleiteten Spontankneipe<br />

wurde die sehr freundschaftliche und ungezwungene<br />

Atmosphäre des Treffens im<br />

Schwarzwald gelobt, aber auch die Notwendigkeit<br />

für die Verbände hervorgehoben,<br />

in der <strong>AGV</strong> konstruktiv zusammenzuarbeiten,<br />

wenn die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

sich im politischen, kirchlichen<br />

und gesellschaftlichen Raum Gehör verschaffen<br />

wollen.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 21


Wahl-Prüfsteine<br />

GEMEINSAME ERKLÄRUNG DER IN DER ARBEITS-<br />

GEMEINSCHAFT KATHOLISCHER STUDENTENVERBÄNDE<br />

(<strong>AGV</strong>) ZUSAMMENGESCHLOSSENEN VEREINIGUNGEN<br />

ZUR BUNDESTAGSWAHL AM 27. SEPTEMBER<br />

Die Arbeitsgemeinschaft katholischer<br />

<strong>Studenten</strong>verbände (<strong>AGV</strong>) hat bei<br />

ihrer Mitgliederversammlung am 11.<br />

März <strong>2009</strong> in einer Erklärung zur bevorstehenden<br />

Bundestagswahl Ende<br />

September <strong>2009</strong> so genannte „Wahl-<br />

Prüfsteine“ verabschiedet, die aus<br />

christlicher Sicht als Kriterien für die<br />

Beurteilung und damit letztlich die<br />

Wählbarkeit der Kandidaten dienen<br />

sollen. Das gemeinsame Papier von<br />

CV, KV, UNITAS-Verband und RKDB<br />

wird nachstehend dokumentiert:<br />

Nicht jeder ist wählbar!<br />

(1) Wir sind auf der Suche nach christlichen<br />

Politikern. Dabei haben wir keine bestimmte<br />

parteipolitische Präferenz.<br />

Als Folge der geistigen<br />

Säkularisation, der Lösung<br />

von religiösen Bindungen in<br />

unserer pluralistischen Gesellschaft,<br />

gibt es heute immer<br />

weniger Persönlichkeiten,<br />

Männer und Frauen, in<br />

der Politik, die aus festen<br />

christlichen Bindungen kommen<br />

und so von ihrem Glauben<br />

und von einem christlichen<br />

Menschenbild geprägt<br />

sind. Die Zahl der Politiker, für<br />

die Glaube und politisches<br />

Engagement ganz selbstverständlich<br />

eng und unmittelbar verflochten<br />

sind, nimmt ständig ab. Überzeugte Christen<br />

sind im eigentlich politischen Feld eher<br />

die Ausnahme geworden.<br />

Doch gerade sie werden nach Auffassung<br />

der katholischen <strong>Studenten</strong>verbände<br />

22<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

heute dringender denn je gebraucht, um<br />

christliche Grundhaltungen überzeugend<br />

und nachhaltig in die politische Willensbildung<br />

einzubringen; denn unsere Zeit ist gekennzeichnet<br />

von zahlreichen schwerwiegenden<br />

Problemen und Wandlungen. Die<br />

ökonomischen, ökologischen und sozialen<br />

Herausforderungen erfordern neue und<br />

mutige Lösungswege und Entscheidungen,<br />

die sowohl in das gesellschaftliche wie<br />

das persönliche Leben tief eingreifen können.<br />

Hier einige Beispiele:<br />

� Trotz gewisser Erfolge auf dem Arbeitsmarkt<br />

haben wir nach wie vor eine<br />

hohe Arbeitslosigkeit mit großen sozialen<br />

und zum Teil auch psychologischen<br />

Problemen für die Betroffenen. Die Zahl<br />

der Arbeitslosen wird durch die Auswirkungen<br />

der aktuellen Finanz- und Bankenkrise<br />

sogar wieder steigen. Daher<br />

muss schnellstens ein neues Vertrauen<br />

zwischen den Wirtschaftspartnern auf<br />

der Basis moralischer Prinzipien aufge-<br />

„Die Leitidee der repräsentativen Demokratie,<br />

Regierungsmacht auf Zeit mit der Chance oder<br />

Gefahr des Wechsels durch Wahl besitzt eine<br />

automatische Scheuklappenwirkung gegen die<br />

Zukunft. Niemand wagt, um einer verantwortlichen<br />

Zukunftsvorsorge willen Vorschläge zu<br />

machen, die eine Belastung in der Gegenwart<br />

mit sich bringen könnte. Die Zukunft wird zu<br />

Gunsten der Gegenwart vernachlässigt.“<br />

(Richard von Weizsäcker)<br />

baut werden. Dies erfordert effektive<br />

Konzepte zur Reform des Weltfinanzund<br />

Handelssystems mit Regelungen für<br />

die Märkte, die nicht lediglich Spielball<br />

grenzenlosen und bedenkenlosen Gewinnstrebens<br />

sein dürfen, sondern eines<br />

ordnungspolitischen Rahmens bedürfen.<br />

� Die Schere zwischen den Armen und<br />

Reichen innerhalb unserer Gesellschaft,<br />

aber auch zwischen den entwickelten<br />

und sich entwickelnden Ländern geht<br />

nach wie vor auseinander und erfordert<br />

weiter unsere solidarische Hilfe. Es bedarf<br />

wirksamer Konzepte im Kampf gegen<br />

Armut, um national und international<br />

eine größere Verteilungsgerechtigkeit<br />

zu erreichen.<br />

� Die Strukturelemente unseres Sozialstaats<br />

– die soziale Altersvorsorge, die<br />

gesetzliche Krankenversicherung, die<br />

Arbeitslosenversicherung und die Sozialhilfe<br />

– müssen weiter an die bevölkerungsbedingten<br />

Mehrbelastungen der<br />

kommenden Jahrzehnte angepasst werden.<br />

� Die zunehmende Verschuldung der öffentlichen<br />

Haushalte darf nicht dazu<br />

führen, dass die Gesellschaft von heute<br />

auf Kosten der Generation von morgen<br />

lebt.<br />

� Die Tatsache, dass in der Bundesrepublik<br />

Deutschland jährlich schätzungsweise<br />

über 200.000 ungeborene Kinder getötet<br />

werden (Statistik der offiziell gemeldeten<br />

Abtreibungen für 2008:<br />

115.000), führt drastisch die Notwendigkeit<br />

vor Augen, das Bewusstsein weiter<br />

zu stärken, dass es keinen Unterschied<br />

zwischen geborenem und ungeborenem<br />

Leben gibt.<br />

1 Die katholischen <strong>Studenten</strong>verbände haben<br />

in einem Positionspapier ihren Standpunkt<br />

zu aktuellen sozialpolitischen Fragen<br />

dargelegt. Vgl. Arbeitsgemeinschaft<br />

katholischer <strong>Studenten</strong>verbände: STAND-<br />

PUNKTE Nr. 11 – Positionspapier zu einer<br />

verantwortungsbewussten Sozialpolitik<br />

im 21. Jahrhundert, Bonn <strong>2009</strong>.


� Die modernen Fortpflanzungshilfen<br />

und die neuen Möglichkeiten zu genetischen<br />

Eingriffen stellen uns vor große<br />

ethische und rechtliche Fragen, die einer<br />

raschen Antwort bedürfen, wenn<br />

die Würde der menschlichen Person gewahrt<br />

werden soll.<br />

� Angesichts des sich abzeichnenden<br />

Klimawandels müssen möglichst rasch<br />

vernünftige Maßnahmen gegen die<br />

möglichen Ursachen und Folgen ergriffen<br />

werden. Ideologische Scheuklappen,<br />

fiskalische und wirtschaftspolitische<br />

Verantwortungslosigkeit, aber<br />

auch übereilter Aktionismus dürfen dieses<br />

Ziel nicht behindern.<br />

(2) Wir als junge Erwachsene erachten die<br />

bevorstehenden Wahlen zum 17. Deutschen<br />

Bundestag am 27. September <strong>2009</strong> als zentrale<br />

politische Richtungsentscheidung. In<br />

der kommenden Legislaturperiode müssen<br />

Entscheidungen getroffen werden, die unsere<br />

Zukunft und die kommender Generationen<br />

irreversibel zum Guten oder zum<br />

Schlechten beeinflussen werden. Die in der<br />

Arbeitsgemeinschaft katholischer <strong>Studenten</strong>verbände<br />

zusammengeschlossenen<br />

Vereinigungen legen daher im Blick auf die<br />

kommende Wahlentscheidung der Öffentlichkeit<br />

folgende Überlegungen vor:<br />

Von der Zuschauer- zur<br />

Teilnehmer-Demokratie<br />

(3) In den vergangenen Jahren ist immer<br />

wieder öffentliche Kritik an Politikern, Parteien<br />

und Parlament laut geworden, insbesondere<br />

unter jüngeren Bundesbürgern.<br />

Man spricht nicht selten von „Politiker-“<br />

oder „Parteien-Verdrossenheit“. Rückzug ins<br />

Private, eine apolitische Haltung oder sogar<br />

die Abwanderung zu extremistischen<br />

Gruppierungen als Protesthaltung sind oftmals<br />

die Folgen.<br />

Meinungsumfragen,<br />

die über längere Zeiträume<br />

erhoben wurden,<br />

belegen nach wie vor eine<br />

bemerkenswert hohe Präferenz<br />

der Bundesbürger<br />

für die demokratische<br />

Staatsform.<br />

Immer mehr Wähler<br />

stoßen sich allerdings an<br />

der Diskrepanz zwischen<br />

dem Anspruch und dem<br />

tatsächlichen Wirken der<br />

Parteien und ihrem vom<br />

Grundgesetz vorgegebenen<br />

Auftrag. Dort wird<br />

ihnen in Artikel 21 lediglich<br />

ein Mitwirkungsrecht<br />

an der politischen Willensbildung<br />

des Volkes<br />

eingeräumt. Ihre Praxis<br />

legt jedoch gelegentlich den Verdacht<br />

nahe, dass der Verfassungsgrundsatz, wonach<br />

alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht,<br />

dem nachgeordnet sei.<br />

Eine solche Entwicklung steht in zunehmendem<br />

Widerspruch zur Gültigkeit des<br />

Artikels 38 des Grundgesetzes, wonach die<br />

Abgeordneten des Deutschen Bundestags<br />

„an Aufträge und Weisungen nicht gebun-<br />

Der Arbeitsgemeinschaft katholischer<br />

<strong>Studenten</strong>verbände (<strong>AGV</strong>) gehören an:<br />

Der Cartellverband der katholischen<br />

deutschen <strong>Studenten</strong>verbindungen<br />

(CV), der Kartellverband katholischer<br />

deutscher <strong>Studenten</strong>vereine (KV),<br />

der Verband der wissenschaftlichen<br />

katholischen <strong>Studenten</strong>vereine<br />

UNITAS (UV), der Ring katholischer<br />

deutscher Burschenschaften (RKDB)<br />

und der Technische Cartell-Verband<br />

(TCV).<br />

Die <strong>AGV</strong> repräsentiert in ihren fünf<br />

Mitgliedsverbänden rund 10.000<br />

katholische Studierende. Sie ist Plattform<br />

für gemeinsame Projekte und<br />

Initiativen der Verbände und vertritt<br />

die Interessen katholischer <strong>Studenten</strong><br />

gegenüber Staat, Kirche, Hochschule<br />

und Gesellschaft. In diesem Jahr kann<br />

die Arbeitsgemeinschaft auf ihr<br />

40-jähriges Bestehen zurückblicken.<br />

Mehr Informationen unter:<br />

www.agvnet.de<br />

den und nur ihrem Gewissen unterworfen“<br />

sind. Kurzfristige wahltaktische Gesichtspunkte<br />

und Parteiräson erhalten häufig bei<br />

Sach- wie bei Personalentscheidungen den<br />

Vorzug vor Qualität und Solidität. Unter<br />

den Stichworten „Ausgewogenheit“ oder<br />

„demokratischer Konsens“ verbirgt sich<br />

nicht selten ein hohes Maß an Überanpassung<br />

und Gemeinplatzkultur. Dies lässt<br />

Konturen verblassen und führt zu einer<br />

Orientierungs- und Identitätsschwäche der<br />

Parteien. Ohne starke Persönlichkeiten gibt<br />

es keine starken Parteien.<br />

(4) Hinzu kommt, dass die anstehenden<br />

Probleme immer komplexer und komplizierter<br />

und somit für die meisten Bürger<br />

immer schwieriger durchschaubar und<br />

nachvollziehbar sind. Die häufig schon<br />

bestehende Kluft zwischen Repräsentanten<br />

und Repräsentierten muss wieder geschlossen<br />

werden. Eine parlamentarische<br />

Demokratie bedarf der Identifikation des<br />

Bürgers mit seinem Staat und dessen politischen<br />

Entscheidungsprozessen.<br />

Eine Partizipation des Einzelnen bedingt<br />

jedoch, dass entscheidende Sachverhalte<br />

und Fragestellungen offen dargelegt<br />

werden, anstatt sie hinter nebulösen<br />

Formulierungen und politischen Floskeln<br />

zu verbergen. Vermeintlich einfache Antworten<br />

auf komplizierte Problemstellungen<br />

sind meist eher der Medientauglichkeit<br />

als der Sache selbst geschuldet.<br />

Politik muss also dem Bürger auch komplexe<br />

Antworten erklären, anstatt ihn mit<br />

plakativen Phrasen abzuspeisen. Wir brauchen<br />

eine „Teilnehmer-“ und keine „Zuschauer-Demokratie“!<br />

Demokratie braucht glaubwürdige<br />

Repräsentanten<br />

(5) Die Demokratie ist in hohem Maße darauf<br />

angewiesen, dass im Volk moralische<br />

Konventionen und Traditionen wirksam<br />

sind, die für den Bestand des Gemeinwesens<br />

unerlässlich sind. Zu den notwendigen<br />

demokratischen Tugenden gehört an<br />

erster Stelle die Bereitschaft, das eigene,<br />

partikulare Interesse dem Gemeinwohl einoder<br />

unterzuordnen.<br />

Eine Demokratie ist auf Dauer nur funktionsfähig,<br />

wenn sie sich auf den Konsens<br />

darüber berufen kann, dass dem Wohl aller<br />

Priorität zukommen muss. Diese Einsicht<br />

drückt sich auch im Prinzip der Solidargemeinschaft<br />

aus: Der Stärkere soll dem<br />

Schwächeren beistehen.<br />

Das demokratische System stellt die<br />

Unvollkommenheit des Menschen in Rechnung.<br />

Deshalb verzichtet es auf absolute<br />

Wahrheiten oder vollkommene Lösungen >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 23


und belässt es bei der Vorläufigkeit oder<br />

Kompromisshaftigkeit von Entscheidungen.<br />

Demselben Motiv entspringt das Misstrauen<br />

gegen die Macht und die Mächtigen;<br />

deshalb werden wirksame Kontrollmechanismen<br />

eingesetzt.<br />

Gewiss können Politiker keine „Übermenschen“<br />

sein. Aber dennoch legt ihnen<br />

ihr Amt eine besondere Verpflichtung auf.<br />

Wenn sie sich zum Repräsentativ-System<br />

bekennen, muss dieses durch sie auch<br />

seine Glaubwürdigkeit gewinnen. Wer ein<br />

Mandat übernimmt, zehrt von einem<br />

Vorschuss an Vertrauen, das er rechtfertigen<br />

muss. Wenn er glaubwürdig bleiben<br />

will, muss deutlich werden, dass er sich<br />

nicht korrumpieren lässt und dass er nicht<br />

seine eigenen Interessen in den Vordergrund<br />

stellt. Wenn er vom Volk Opfer und<br />

Verzicht verlangt, muss er selbst dafür<br />

Beispiele geben.<br />

Auch in der Demokratie wird Herrschaft<br />

ausgeübt. Da solche Macht aber immer nur<br />

stellvertretend für das Volk wahrgenommen<br />

werden kann, kommt es darauf an,<br />

dass sich die jeweils Verantwortlichen als<br />

glaubwürdig erweisen. Sobald sich Misstrauen<br />

gegen die „Obrigkeiten“ ausbreitet,<br />

droht dem Staat eine Vertrauenskrise, die<br />

ihn in seinen Wurzeln trifft.<br />

Vor diesem Hintergrund<br />

stellen wir uns als<br />

katholische <strong>Studenten</strong>verbände<br />

angesichts der<br />

bevorstehenden Bundestagswahl<br />

die Frage, wie<br />

wir uns als Christen in<br />

unserer pluralistischen,<br />

säkularisierten Gesellschaft<br />

und Lebenswelt<br />

Gehör verschaffen können,<br />

um unser Verständnis<br />

der lebensdienlichen,<br />

unverzichtbaren Grundwerte<br />

und deren letztlich<br />

religiöse Substanz glaubwürdig<br />

zu bezeugen und praktisch werden<br />

zu lassen.<br />

Politisches Handeln<br />

im Geist des Evangeliums<br />

(6) Dazu gehört in erster Linie die Besinnung<br />

auf jene Grundlagen, von denen<br />

Christen bestimmt sein müssen, wenn sie<br />

ihre Verantwortung für die Welt wahrnehmen.<br />

In den Aussagen des II. Vatikanischen<br />

Konzils heißt es:„Das Erlösungswerk Christi<br />

zielt an sich auf das Heil des Menschen, es<br />

umfasst aber auch den Aufbau der gesamten<br />

zeitlichen Ordnung. Daraus ergibt sich<br />

für den Christen die Notwendigkeit, die<br />

zeitliche Ordnung im Geiste des Evangeliums<br />

zu vervollkommnen und zu durchdringen“<br />

(Apostolicam Actuositatem, 5).<br />

24<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Dabei lässt er<br />

sich zum einen von<br />

den Grundsätzen<br />

einer christlichen<br />

Ethik leiten, zum<br />

anderen von der<br />

grundlegenden<br />

Verpflichtung des<br />

einzelnen, über<br />

den unmittelbar individuellen Bereich<br />

hinaus die aus der Sozialnatur des Menschen<br />

erwachsene Verpflichtung für die<br />

Gesellschaft als Ganze zu sehen und zu<br />

beachten.<br />

Dies heißt aber auch, dass der Christ<br />

das Handeln des einzelnen Politikers und<br />

der Parteien im Geiste des Evangeliums<br />

prüfen soll. Diese Prüfung hat den Glauben<br />

zum Maßstab, nicht als konkretes Handlungsprogramm,<br />

sondern als normative<br />

Orientierung.<br />

Politik muss auf<br />

Zukunft angelegt sein<br />

(7) Wir fordern eine neue Besinnung auf die<br />

Werte der Freiheit und auf die Tugend der<br />

zwischenmenschlichen Gerechtigkeit. Dabei<br />

muss die Würde des Menschen das Maß<br />

aller Dinge sein. Angesichts von Umweltzerstörung,<br />

Bedrohung des Weltfriedens<br />

und neuer Technologien fordern<br />

wir mutigere, kompromisslosere<br />

und manchmal<br />

auch unbequeme Entscheidungen,<br />

um den Menschen in<br />

unserem Land und weltweit<br />

die Hoffnung auf ein menschenwürdiges<br />

Leben zu erhalten<br />

bzw. zu ermöglichen.<br />

Die dazu notwendigen Konzeptionen<br />

einer freiheitlichen<br />

und die Forderung nach sozialer<br />

Gerechtigkeit respektierenden<br />

Politik müssen – sollen<br />

sie nicht Reißbrettspiele<br />

bleiben – auf Zukunft angelegt<br />

sein, die länger dauert als bis zum<br />

nächsten Wahltermin. Gelingen wird dies<br />

aber nur, wenn solche Konzepte auf den<br />

christlichen Strukturprinzipien von Staat<br />

und Gesellschaft aufbauen:<br />

� Personalität – damit die Würde des<br />

Menschen, das Recht und die Freiheit<br />

der Person gewahrt bleiben;<br />

� Solidarität – damit alle Menschen sich<br />

verantwortlich füreinander wissen und<br />

danach handeln;<br />

� Subsidiarität – damit die Freiheit des<br />

einzelnen gesichert wird gegenüber<br />

dem Zugriff des Systems.<br />

� Nachhaltigkeit – damit künftige Generationen<br />

nicht ihrer Möglichkeiten beraubt<br />

werden.<br />

Wahlprüfsteine<br />

(8) Wir begrüßen das Bestreben der politischen<br />

Parteien in der Bundesrepublik<br />

Deutschland, Grundwerte als Maßstäbe für<br />

das politische Handeln zu formulieren.<br />

Diese Werte dürfen jedoch nicht Theorie<br />

bleiben, sondern müssen in die Praxis umgesetzt<br />

werden.<br />

Alle Bürger, insbesondere die Politiker,<br />

müssen diese Werte leben, und das heißt:<br />

Ihr tagespolitisches Handeln muss von<br />

Werten geformt werden. Nur so können<br />

Politiker Vorbildcharakter gerade für die<br />

jungen Menschen gewinnen.<br />

Kandidaten konkret auf ihre<br />

Ziele und Haltungen<br />

ansprechen<br />

(9) Das demokratische Gemeinwesen<br />

braucht vertrauenswürdige und verantwortliche<br />

Repräsentanten, die Führungsaufgaben<br />

so verlässlich wahrnehmen, dass<br />

die Bürger sich an Person und Position<br />

orientieren können. Der Kampf um den<br />

Erwerb und die Erhaltung politischer Macht<br />

ist ein notwendiges Element im politischen<br />

Prozess. Politiker müssen dabei das Vertrauen<br />

der Bürger erwerben. Der demokratische<br />

Staat ist darauf angewiesen, dass<br />

Politiker sich an ethischen Maßstäben messen<br />

und sich von anderen darauf ansprechen<br />

lassen.<br />

Die <strong>AGV</strong> fordert daher alle christlichen<br />

Wähler, insbesondere die Studentinnen<br />

und <strong>Studenten</strong> ihrer Mitgliedsverbände,<br />

auf, sich im Blick auf dieses Ziel konkret mit<br />

den einzelnen Kandidaten für den nächsten<br />

Bundestag auseinander zu setzen und sich<br />

von den Bewerbern um ein politisches<br />

Mandat und ihrer Glaubwürdigkeit ein<br />

möglichst umfassendes Bild zu machen. Sie<br />

sollen versuchen, die Kandidaten persönlich<br />

zu befragen, sei es in einer Sprechstunde<br />

im Wahlkreis oder bei einer Wahlkampfveranstaltung.<br />

(10) Entsprechende Ansatzpunkte als Kriterien<br />

für die Beurteilung und damit letztlich<br />

die Wählbarkeit der Kandidaten sind nach<br />

Auffassung der <strong>AGV</strong>:<br />

� Dass sie ihre Verpflichtung dem Gemeinwohl<br />

gegenüber nicht durch einseitige<br />

Abhängigkeit von gesellschaftlichen<br />

Interessengruppen beeinträchtigen<br />

lassen;


� dass sie willens und in der Lage sind, in<br />

Gewissensfragen unbeeinflusst von<br />

Partei- und sonstigen Zwängen nur ihrem<br />

christlich geprägten Gewissen verpflichtet<br />

zu votieren;<br />

� dass sie bereit sind, Entscheidungsprozesse<br />

und Beweggründe ihres Handelns<br />

transparenter, befragbarer und<br />

für den Bürger beeinflussbarer zu machen<br />

und so der Gefahr einer Ablösung<br />

der politischen Entscheidungsfindung<br />

von den Bürgern entgegenwirken;<br />

� dass sie Zukunftsperspektiven entwickeln,<br />

die den Menschen im Mittelpunkt<br />

sehen und dem Machbarkeitsdenken<br />

die Grenze der Verantwortbarkeit<br />

entgegenhalten;<br />

� dass sie die Herausforderungen der<br />

Zukunft – Umbau der sozialen Sicherungssysteme,<br />

eine verantwortungsbewusste<br />

Finanzpolitik und die Bewahrung<br />

der Schöpfung – nicht zugunsten<br />

der Gegenwart vernachlässigen<br />

� dass sie dem Schutz und dem Wohl des<br />

Lebens – des ungeborenen, des behinderten<br />

und des entrechteten – den<br />

uneingeschränkten Vorrang vor wahltaktischen<br />

und politisch-strategischen<br />

Erwägungen einräumen und eindeutige<br />

Aussagen gegen die Abtreibung treffen;<br />

� dass sie der Gefahr der Manipulation<br />

unseres Erbgutes durch die immensen<br />

Fortschritte in der Gentechnologie<br />

durch klare rechtliche Vorschriften entgegenwirken<br />

und so die Würde und<br />

Einzigartigkeit des Menschen sicherstellen;<br />

� dass sie sich zur persönlichen Aufgabe<br />

machen, eine von Nächstenliebe geprägte,<br />

sozial gerechte Gesellschaft aufzubauen,<br />

die weder Ellbogenmentalität<br />

in ihren Mittelpunkt stellt, noch<br />

Gleichgültigkeit zulässt, sondern vielmehr<br />

die sozial Schwachen, am Rande<br />

unserer Gesellschaft<br />

lebende Menschen, insbesondere<br />

Minderheiten,<br />

nicht ausgrenzt und ihre<br />

Rechte wahrt;<br />

� dass sie für die Durchsetzung<br />

der Menschenrechte<br />

in allen Teilen der<br />

Welt eintreten und nicht<br />

nur in solchen Fällen, für<br />

die eine öffentliche Meinung<br />

mobilisierbar ist;<br />

� dass sie in der Zusammenarbeit<br />

mit der so genannten<br />

„Dritten Welt“<br />

Perspektiven für eine gemeinsame<br />

Zukunft in<br />

wechselseitiger Solidarität fördern, wobei<br />

Entwicklungspolitik in erster Linie<br />

als „Option für die Armen“ verstanden<br />

wird und den Menschen hilft, ihre eigenen<br />

Kräfte zu entfalten;<br />

� dass sie familienpolitisch den auflöserischen,<br />

liberalistischen und zentrifugalen<br />

Entwicklungen in unserer Gesellschaft<br />

entgegenwirken, indem sie dafür<br />

sorgen, dass alte Menschen respektiert<br />

und nicht abgeschoben werden und<br />

dass junge Menschen nicht entmutigt<br />

werden, sodass der Wert „Familie“ wieder<br />

neue Geltung bekommt;<br />

� dass sie bildungspolitisch solche Ziele<br />

verfolgen, die auch dem akademischen<br />

Nachwuchs noch Chancen eröffnen<br />

und die den <strong>Studenten</strong> personal begreifen<br />

und ihm an Hochschulen und Universitäten<br />

Bildung statt reiner Fach-<br />

Ausbildung vermitteln;<br />

� dass sie alles tun, dass die Menschen –<br />

unabhängig ihres Glaubens, ihrer Rasse<br />

und ihrer politischen Überzeugung – in<br />

innerem und äußerem Frieden leben<br />

können;<br />

� dass sie mithelfen, den Glauben an Freiheit<br />

und Menschenwürde als elementaren<br />

Beitrag zum Frieden und als Zukunftsperspektive<br />

zu begreifen.<br />

(11) Wir fordern alle Wahlberechtigten, insbesondere<br />

die studentische Jugend auf, sich aktiv<br />

an der nächsten Bundestagswahl zu beteiligen<br />

und ihr Wahlrecht wahrzunehmen.<br />

Ein demokratischer Staat braucht eine ihm<br />

entsprechende demokratische Gesellschaft,<br />

die von ihren Rechten Gebrauch macht, sich<br />

die Grundentscheidungen der Demokratie<br />

zueigen macht und aus ihnen lebt.<br />

(12) Gleichzeitig appellieren wir an das<br />

Gewissen der Mitglieder unserer Verbände<br />

sowie aller übrigen Bürger, nur solche Kandidaten<br />

zu wählen, die christlich verantwortbare<br />

Positionen glaubwürdig in Wort<br />

und Tat vertreten. Ob ein Christ einen bestimmten<br />

Kandidaten oder eine bestimmte<br />

Partei wählen kann, bestimmen diese selbst,<br />

nämlich inwieweit sie in ihrem Programm<br />

und in ihrer praktischen Politik christliche<br />

Werte berücksichtigen.<br />

(13) Nicht zuletzt wollen wir auch darauf<br />

hinweisen, dass die Art und Weise, wie ein<br />

Wahlkampf geführt wird,<br />

Ausdruck einer christlichen<br />

Grundhaltung sein kann. Die an<br />

der Wahl beteiligten Parteien<br />

und ihre Kandidaten fordern<br />

wir auf, den Wahlkampf sachlich<br />

zu führen, die Meinungen<br />

der Gegner zu tolerieren und zu<br />

respektieren. Obwohl Streit um<br />

die Sache und auch um die<br />

Macht zu den legitimen Erscheinungsformen<br />

der Demokratie<br />

gehört, dürfen die auszutragenden<br />

Gegensätze nicht zu<br />

einem Freund-Feind-Verhältnis<br />

entarten, indem der politische<br />

Gegner diffamiert und verletzt<br />

wird.<br />

München, den 11. März <strong>2009</strong><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 25


26<br />

Arbeitsgemeinschaft katholischer <strong>Studenten</strong>verbände (<strong>AGV</strong>)<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

<strong>Studenten</strong>-<strong>Wallfahrt</strong> <strong>2009</strong><br />

„Auf den Spuren des Apostels Paulus und der frühen Christen“<br />

vom 02. bis 13. September <strong>2009</strong><br />

in die Türkei<br />

Die 12-tägige <strong>Studenten</strong>-<strong>Wallfahrt</strong> der <strong>AGV</strong> folgt im ausklingenden Paulus-Jahr<br />

noch einmal den Spuren des Völkerapostels, dieses Mal nach Kleinasien. Auf dem<br />

Gebiet der heutigen Türkei bildeten sich die ersten christlichen Gemeinden, von<br />

denen die Apostelgeschichte, die Paulusbriefe und die Sendschreiben aus der<br />

Offenbarung des Johannes Zeugnis geben. Diese Abschnitte aus dem Neuen<br />

Testament bilden den geistlich-inhaltlichen Rahmen der Pilgerreise. Aber auch die<br />

schwierige aktuelle Situation der kleinen christlichen Gemeinden in der heute<br />

überwiegend muslimischen Türkei wird uns beschäftigen.<br />

Unser erstes Ziel ist Ephesus und seine Umgebung, wo Paulus bereits 54 n. Chr.<br />

der Bevölkerung den neuen Glauben brachte. Hier besuchen wir das einmalige<br />

Ausgrabungsgelände mit der Marienkirche, in der 431 das III. Ökumenische<br />

Konzil stattfand, das Marienhaus auf dem Nachtigallenberg, wo die Mutter Jesu<br />

der Überlieferung nach ihre letzten Jahre verbracht haben soll, und die Reste der<br />

Johannesbasilika, wo seit dem 2. Jh. das Grab des Evangelisten Johannes verehrt<br />

wurde, der zusammen mit Maria nach Ephesus gekommen sein soll.<br />

Der Apostel Paulus<br />

Ein besonderes Erlebnis wird die mehrtägige Bootsfahrt mit einem Motorsegler,<br />

einer Gület, sein. Vor der Kulisse der imposanten Bergwelt des Lykischen Taurus<br />

mit Gipfeln von weit über 3.000 Metern Höhe genießen wir die zerklüftete Küste mit ihren vielfältigen Reizen, werfen Anker<br />

in malerischen Buchten, können an herrlichen Sandstränden baden und machen Landausflüge zu interessanten Orten, etwa nach<br />

Myra, der Stadt des hl. Nikolaus. Auch hier folgen wir dem Apostel Paulus, der auf seinen Reisen mehrfach diese Region mit<br />

dem Schiff besucht hat.<br />

Den Abschluss der Pilgerreise bildet ein Besuch in Istanbul, dem einstigen Byzanz und Konstantinopel, wo wir noch einmal den<br />

Zauber des Orients mit seiner Anziehungskraft in besonderer Weise erleben werden.<br />

Teilnehmerbeitrag für Studierende aus dem UNITAS-Verband: 590,- EUR<br />

Teilnehmerbeitrag für sonstige Studierende und Auszubildende: 850,- EUR<br />

Teilnehmerbeitrag für Jungakademiker/-innen: 1.100,- EUR<br />

Programm und ausführliche Informationen sind im Internet unter www.agvnet.de unter der Rubrik „<strong>Wallfahrt</strong>en“ oder<br />

unter www.unitas.org unter der Rubrik „Aktuelles“ zu finden oder können bei der <strong>AGV</strong>-Geschäftstelle, Luisenstr. 36, 53129<br />

Bonn, angefordert werden.<br />

CV • KV • UV • RKDB • TCV


THEMA DES ALTHERRENBUNDS-/HOHEDAMENBUNDSTAGES <strong>2009</strong> IN MÜNSTER:<br />

Die Zukunft des Sozialstaates<br />

angesichts von Globalisierung und<br />

demografischem Wandel<br />

VON BBR. HEINRICH SUDMANN<br />

Die Geschichte der Bundesrepublik<br />

Deutschland ist nicht zuletzt auch eine<br />

Erfolgsgeschichte der sozialen Marktwirtschaft.<br />

Neben der großen Aufbauleistung<br />

nach den Zerstörungen des<br />

Zweiten Weltkrieges steht der Ausbau des<br />

Sozialstaates, der ganz entscheidend zur<br />

Identifikation der Bürger mit ihrem Staat<br />

und zu weitgehend sozialem Frieden beigetragen<br />

hat. Es ist heute fast selbstverständlich,<br />

dass viele sich bei Krankheit und<br />

Schicksalsschlägen nicht mehr sorgen müssen,<br />

in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet<br />

zu sein. Die Alterssicherung wird<br />

unter dem Anspruch einer Sicherung des<br />

erworbenen Lebensstandards beurteilt. Wir<br />

haben uns daran gewöhnt, immer mehr<br />

fordern und mit immer höheren Leistungen<br />

rechnen zu können.<br />

Das ist in den letzten Jahren anders geworden:<br />

Die einmaligen Bedingungen der<br />

Wiederaufbauphase nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg haben sich entscheidend verändert.<br />

Viele Bedingungen, die die angesprochene<br />

Entwicklung ermöglicht haben, gelten<br />

nicht mehr.<br />

„Der bisherige Erfolg der westlichen<br />

Sozial- oder Wohlfahrtsstaaten beruhte<br />

� auf dem dynamischen Zusammenhang<br />

zwischen einem starken, d.h. entscheidungs-<br />

und steuerungsfähigen Staat,<br />

� einer die Dispositionsfreiheit der Unternehmer<br />

sichernden, ihre Produktion<br />

fortwährend steigernden Marktwirtschaft,<br />

� dem Ausbau eines die Folgeprobleme<br />

der Wirtschaftsdynamik auffangenden<br />

und die Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung<br />

stabilisierenden Sozialsektors<br />

und den Leistungen der<br />

privaten Haushalte, insbesondere der<br />

Familien.<br />

Alle bisherigen theoretischen Bemühungen<br />

zum Verständnis der Sozialund<br />

Wohlfahrtsstaatlichkeit setzen den<br />

Nationalstaat als entscheidende Bedingung<br />

voraus. 1<br />

Symptome einer Krise<br />

Unseren derzeitigen Zustand beschreibt<br />

Franz-Xaver Kaufmann mit dem<br />

Satz: „Es ist ungemütlich geworden im<br />

deutschen Sozialstaat.“ 2 Wir alle kennen<br />

und beobachten Entwicklungen, die das<br />

deutlich machen:<br />

� die Diskussion um die Sicherheit unserer<br />

Renten;<br />

� ausbleibende oder nur geringfügige<br />

Rentenerhöhungen;<br />

� Heraufsetzung des Rentenalters;<br />

� Kürzungen im Bereich der Sozialhilfe<br />

und der Arbeitslosenversicherung;<br />

� die Diskussion um die Krankenversicherung<br />

und die Reform des Gesundheitswesens;<br />

� die Frage nach der Zukunftsfähigkeit<br />

der Pflegversicherung;<br />

� Ausdehnung der sozialen Systeme auf<br />

alle Lebensbereiche;<br />

� die Klage über die Höhe der Lohnnebenkosten;<br />

� die hohe Staatsverschuldung mit 1605<br />

Milliarden Euro direkten Schulden;<br />

� strukturelle Arbeitslosigkeit mit ca. vier<br />

Mio. Betroffenen.<br />

Es gibt keine Kriterien für eine Begrenzung<br />

der Umverteilung im Sinne einer größeren<br />

sozialen Gerechtigkeit. „So gesehen<br />

ist es durchaus verständlich, dass über soziale<br />

Unausgewogenheit und soziale<br />

Gerechtigkeit auch dann noch mit Erfolg<br />

räsoniert werden kann, wenn der Staatsanteil<br />

am Bruttoinlandsprodukt 47 Prozent<br />

erreicht, der Sozialstaat davon rund 60 Prozent<br />

für sich beansprucht und die Verschuldung<br />

des Gesamtstaates kontinuierlich<br />

wächst.“ 3<br />

„Wie groß die Widersprüche inzwischen<br />

sind, zeigt uns die Entwicklung der Schuldenquote.<br />

Sie verbindet Wachstum und<br />

Verschuldung des Staates. Steigt die Schuldenquote,<br />

so bedeutet dies, dass die Verschuldung<br />

schneller wächst als die Wirtschaftsleistung<br />

des Landes. Im Jahr 1970<br />

betrug die Schuldenquote 18 Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts. 1981 war sie auf 31<br />

Prozent gestiegen, 1990 auf 42 Prozent, im<br />

Jahr 2000 auf 60 Prozent. Heute beträgt sie<br />

68 Prozent. In diesen Zahlen wird die<br />

Vergeblichkeit des Versuchs deutlich, durch<br />

Staatsverschuldung Wachstum zu fördern.“<br />

4 Biedenkopf fasst zusammen: „Die<br />

Lasten steigen, und die Leistungen, zu<br />

denen wir fähig sind, gehen zurück.“<br />

Auf der anderen Seite irritieren viele<br />

Bürger steigende Aktienkurse, hohe Managergehälter<br />

und die Senkung der Steuern<br />

für Unternehmer und Spitzenverdiener.<br />

Eine völlig neue Dimension hat die Entwicklung<br />

mit der Bankenkrise, dem Rückgang<br />

der Konjunktur und milliardenschweren<br />

Sanierungsprogrammen erreicht. Damit<br />

erscheinen Korrekturen der letzten Jahre<br />

zur Reduzierung der entstandenen Probleme<br />

wie die Gesundheitsreform und die<br />

Heraufsetzung des Rentenalters auf 67<br />

Jahre geradezu als Tropfen auf dem heißen<br />

Stein.<br />

Beide „Reformen“ zeigen zudem auch,<br />

dass unsere politische und gesellschaftliche<br />

Situation nur Kompromisse zulässt und<br />

nicht, wie es immer wieder gefordert wird,<br />

eine grundlegende Neuordnung mit einer >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 27


gemeinsamen Perspektive für alle verschiedenen<br />

Reformansätze. So beschreibt Klaus-<br />

Dirk Henke (FAZ vom 17. 2. 2007) das Ergebnis<br />

der Gesundheitsreform wie folgt: „Die<br />

verquere wirtschaftliche, politische und<br />

begriffliche Ausgangslage hat mit dazu beigetragen,<br />

dass es in den Eckpunkten der<br />

nunmehr verabschiedeten Gesundheitsreform<br />

zu der Fondslösung gekommen ist.<br />

Mit der Dichotomie zwischen Bürgerversicherung<br />

und Kopfpauschale befand sich<br />

die Koalition bereits in einer Kompromissfalle.<br />

Denn es musste sichergestellt werden,<br />

dass nach der<br />

nächsten Bundestagswahl<br />

eine ‚linke‘ Regierung<br />

in Richtung der<br />

gewünschten Steuerlösung<br />

gehen kann und<br />

dass umgekehrt eine<br />

‚rechte‘ Regierung den<br />

Paradigmenwechsel zu<br />

einem Prämienmodell<br />

fortführen kann.“<br />

Auch bei der Rentenreform<br />

kommt die<br />

Diskussion trotz mehrerer<br />

Reformvorhaben<br />

nicht zur Ruhe. Während<br />

die einen in der Heraufsetzung<br />

der Altersgrenze<br />

den einzigen<br />

Weg sehen, „der das<br />

Rentensystem aus heutiger<br />

Sicht auf halbwegs<br />

schonende Weise weiter<br />

befestigen kann“ (FAZ<br />

vom 1. 6. 2007) fordern<br />

die anderen, so jüngst<br />

im Einvernehmen mit den Gewerkschaften<br />

die stellv. SPD-Vorsitzende Andrea Nahles,<br />

die Änderung oder den Verzicht auf diesen<br />

Reformansatz.<br />

Ursachen<br />

Demografischer Wandel<br />

Zu den volkswirtschaftlichen Erkenntnissen,<br />

die eigentlich Allgemeingut sind,<br />

aber trotzdem immer wieder aus dem Auge<br />

verloren werden, gehört die Tatsache, dass<br />

wir alle aus dem jeweils aktuell erwirtschafteten<br />

Volkseinkommen unseren Lebensbedarf<br />

bestreiten müssen. Das gilt<br />

sowohl für die noch nicht im Arbeitsleben<br />

Stehenden, für die aktiv im Erwerbsleben<br />

Stehenden als auch für die schon aus der<br />

aktiven Beteiligung an der Erwirtschaftung<br />

des Sozialprodukts Ausgeschiedenen.<br />

Wir stehen vor der Situation, dass eine<br />

immer geringer werdende Zahl von aktiv<br />

Erwerbstätigen und Produzierenden das<br />

Sozialprodukt mit einer immer größeren<br />

Zahl von nicht im Erwerbsleben Stehenden<br />

teilen muss. Daraus ergeben sich im Hin-<br />

28<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

blick auf die Zukunft Fragen, wie z.B.: Bis zu<br />

welchem Anteil wird diese Solidaritätspflicht<br />

ohne Widerstand geleistet? Bis zu<br />

welchem Punkt gefährdet diese Pflicht zur<br />

Solidarität auf Seiten der Erwerbstätigen<br />

die Motivation zur Arbeit nicht und bleiben<br />

entsprechende Regelungen zur sozialen<br />

Sicherung politisch mehrheitsfähig? Man<br />

kann auch fragen: Wie viel soziale Sicherheit<br />

kann eine immer größere Zahl älterer<br />

Wähler erzwingen, ohne die Belastbarkeit<br />

eines Wirtschafts- und Sozialsystems zu<br />

überfordern?<br />

Auch wenn es viele noch nicht wahrhaben<br />

wollen, steht doch fest: Wir alle, ob wir<br />

heute kinderlos bleiben oder Verantwortung<br />

als Eltern übernehmen, können von<br />

einer sozial gesicherten Zukunft nur ausgehen,<br />

wenn die Zahl der Kinder ausreicht,<br />

auch zukünftig die aus dem Arbeitsleben<br />

Ausgeschiedenen ebenso wie die noch<br />

nicht im Arbeitslebenden Stehenden mit zu<br />

versorgen.<br />

Die Altersgruppe, die in Deutschland<br />

am stärksten wächst, sind die 80- bis 100-<br />

Jährigen. Nach den Zahlen des Statistischen<br />

Bundesamtes nimmt Deutschlands<br />

Bevölkerung ab, seine Menschen werden<br />

älter, und es werden noch weniger Kinder<br />

geboren. Am 31. 12. 2007 hatte Deutschland<br />

rund 82.218.000 Einwohner. Das waren<br />

97.000 weniger als Ende 2006. Der Bevölkerungsrückgang<br />

im Jahre 2007 ist darauf<br />

zurückzuführen, dass dem Geburtendefizit<br />

von 142.000 Personen lediglich ein Zuwanderungsüberschuss<br />

von 44.000 Personen<br />

gegenüberstand.<br />

Die Zahl der Menschen im Erwerbsalter<br />

von 20 bis 64 Jahren sinkt von derzeit<br />

50 Millionen bis 2050 um rund 22 Prozent<br />

auf 39 Millionen. 2005 kamen auf 100<br />

Menschen im Alter zwischen 20 und 65<br />

Jahren 32 Rentner. Bis 2050 wird sich dieser<br />

Wert auf 64 verschlechtern. Wenn man diesen<br />

Stand auf 32 halten wollte, müsste man<br />

das Rentenalter auf 74 bis 75 Jahre im Jahr<br />

2050 anheben. Der Anteil der unter 20-<br />

Jährigen und der Anteil der über 64-Jährigen<br />

beträgt heute jeweils 20 Prozent. 2050<br />

wird allerdings jeder Dritte in Deutschland<br />

65 oder älter sein. Das hat gravierende<br />

Auswirkungen auf unser Alterssicherungssystem.<br />

Ein Beispiel: Wenn man die<br />

Renten angesichts der angesprochenen<br />

Entwicklung stabil<br />

halten wollte, müsste man den<br />

Beitragssatz von jetzt 20 Prozent<br />

in den nächsten 20 Jahren<br />

auf 40 Prozent verdoppeln, will<br />

man den Beitragssatz konstant<br />

halten, würden sich die Renten<br />

halbieren.<br />

Im Übrigen ist das Problem<br />

der geringen Geburtenzahl zu<br />

einem nicht geringen Teil<br />

durch das Rentensystem selbst<br />

hervorgerufen. Die Beitragsbezogenheit<br />

führt nämlich<br />

dazu, dass Beitragszahler<br />

Rentenansprüche erwerben,<br />

und Mütter (und Vä-ter), die<br />

einige Jahre keine Beiträge<br />

zahlen, auch geringere Ansprüche<br />

erwerben. Durch die<br />

„Bestrafung“ von Eltern gräbt<br />

sich unser Rentensystem seine<br />

eigenen Wurzeln ab.<br />

Die deutschen Bischöfe nennen in ihrer<br />

Schrift „Das Soziale neu denken – Für eine<br />

langfristig angelegte Reformpolitik“ als<br />

schwerwiegende Probleme für die Entwicklung<br />

des Sozialstaates zwei Ungleichgewichte:<br />

„das Ungleichgewicht im politischen<br />

Prozess zwischen gut organisierten<br />

und daher einflussreichen Interessen einerseits<br />

und schlecht organisierbaren, aber in<br />

besonderer Weise der Unterstützung des<br />

Staates bedürftiger Interessen andererseits,<br />

sowie das Ungleichgewicht zwischen<br />

den aktuellen Problemen und Forderungen<br />

einerseits und den absehbaren, möglicherweise<br />

schwer wiegenden Problemen und<br />

Forderungen der Zukunft andererseits“.<br />

Diese Punkte gehören zu grundlegenden<br />

Problemen in unserer Gesellschaft, die<br />

eine Veränderung zum Besseren blockieren.<br />

So erscheint es nur schwer möglich, bei den<br />

derzeitigen Einstellungen und Machtkonstellationen<br />

in unserer Gesellschaft eine<br />

Mehrheit zu organisieren, die zu grundlegenden<br />

Veränderungen bereit wäre.<br />

In seinem schon zitierten Buch beschäftigt<br />

sich Biedenkopf zentral mit<br />

dem Problem der „Entgrenzung“: „Sie<br />

tritt in allen Bereichen des staatlichen,


des gesellschaftlichen und des individuellen<br />

Lebens auf. Ihre Symptome zeugen<br />

vom Verlust eindeutiger Maßstäbe, von<br />

der Auflösung staatlicher Zuständigkeiten<br />

und der schwindenden Autorität der<br />

Gesetze.“ 5<br />

Obwohl das Ziel ständiger Steigerung<br />

des Wirtschaftswachstums immer problematischer<br />

wird und letztlich dazu führt,<br />

dass wir es mit Schulden zu Lasten der<br />

kommenden Generation finanzieren, bleibt<br />

die Politik „in vertrauten Gefilden. Man entdeckt<br />

immer neue soziale Unausgewogenheiten<br />

und erklärt die soziale<br />

Gerechtigkeit zum Herzensanliegen. Wo<br />

immer derzeit politisch diskutiert und<br />

gestritten wird, geht es gerade nicht um die<br />

Zukunft der heute Aktiven, ihrer Eltern und<br />

um eine mögliche Ausbeutung der Enkel. Es<br />

geht um die Fortsetzung des 20. Jahrhunderts.<br />

Seine Gesetze, Erfahrungen und<br />

lieb gewonnenen Wohltaten sollen möglichst<br />

lange auch für das 21. Jahrhundert<br />

gültig bleiben“. 6<br />

Es gibt also nicht nur quantitative<br />

Probleme, sondern offensichtlich auch<br />

Einstellungen und Haltungen, die sich im<br />

Hinblick auf notwendige Reform als<br />

Blockaden erweisen.<br />

Die Reformunfähigkeit unserer Gesellschaft<br />

sieht etwa Paul Nolte in „postmodernen<br />

Illusionen“, die er in seinem Buch:<br />

„Generation Reform – Jenseits der blockierten<br />

Republik“ wie folgt beschreibt: „Die<br />

Deutschen setzen ihren Glauben an die<br />

wundersame Vermehrung von Wohlstand,<br />

Freizeit und Freiheit ohne irgendwie entstehende<br />

Kosten jetzt in vergrößertem Maßstab<br />

fort. Man könnte es das Rumpelstilzchen-Modell<br />

nennen: Irgendwie würde<br />

es schon gelingen, aus Dreck Gold zu<br />

machen. Weniger arbeiten, weniger produzieren,<br />

weniger investieren, sowohl betrieblich<br />

als auch privat, weniger Kinder großziehen<br />

– und dennoch mehr kaufen, mehr<br />

Urlaub machen, mehr Sicherheit im Alter<br />

genießen. Ein ganzes Bündel von Illusionen<br />

verdichtet sich im Laufe der Jahre zu diesem<br />

Rumpelstilzchen-Syndrom.“ 7<br />

Erwerbsarbeit ist ein Auslaufmodell<br />

und ein Verteilungsproblem. Hier geht es<br />

um die These vom Ende der Arbeitsgesellschaft.<br />

Entsprechend geht es nicht mehr<br />

um die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern<br />

um eine gerechtere Verteilung der vorhandenen<br />

Arbeit. Entsprechend werden<br />

Kürzungen der Arbeitszeit angestrebt, was<br />

gleichzeitig mehr Freizeit bedeutet.<br />

Weniger Erwerbsarbeit ermöglicht gesellschaftlichen<br />

Fortschritt. Die verkürzte<br />

Arbeitszeit schafft für Männer mehr Möglichkeiten,<br />

sich auch um Haushalt und<br />

Kinder zu kümmern. Dadurch wird gleichzeitig<br />

die Gleichberechtigung der Geschlechter<br />

gefördert. Die Vermutung, dass<br />

kürzere Arbeitszeiten auch zu zusätzlichem<br />

gesellschaftlichem Engagement führen<br />

würden, haben sich allerdings als Illusion<br />

erwiesen.<br />

Liberalisierung heißt Bindungslosigkeit<br />

und laissez faire. Der Druck steigt, eine fehlende<br />

Liberalisierung nachzuholen und auf<br />

weitere Bereiche auszudehnen. Das führte<br />

zu einer Tendenz zum Ego-Utilitarismus.<br />

Alternde Arbeitsgesellschaft<br />

Eine Überkompensation, die aus dem zum<br />

Komplex gewordenen Liberalitätsdefizit<br />

resultierte, führte zumal bei prägenden<br />

Generationen der bundesdeutschen Geschichte<br />

u.a. zu einer falschen Toleranz<br />

gegenüber bestimmten Formen der „verblödenden<br />

und gewaltfördernden Massenkultur“.<br />

Später sind wir noch reicher, deshalb<br />

dürfen wir jetzt ruhig Schulden machen.<br />

Die Erwartung, dass das erschütterte Fortschrittsbewusstsein<br />

nicht dauerhaft anhalten<br />

werde, führten zu einem Über-die-<br />

Verhältnisse-Leben und zum Schuldenmachen<br />

zulasten der kommenden Generationen.<br />

Angesichts der Grenzen des Wachstums<br />

lohnen sich Investitionen und Dynamik<br />

ohnehin nicht mehr. Weil die „Grenzen<br />

des Wachstums“ erreicht seien, sollte es nur<br />

noch darum gehen, Bestandsschutz zu<br />

betreiben. „Entschleunigung“ wurde zum<br />

Signalwort der Zeit.<br />

Die „Privatisierung des Privaten“ wurde<br />

insbesondere auch für die Entscheidung<br />

für Familie und Kinder eingefordert: Die<br />

Entscheidung für Familie und Kinder ist<br />

eine reine Privatsache. Dabei wurde übersehen,<br />

dass diese Entscheidungen Folgen<br />

hatten, die durchaus nicht nur eine<br />

Privatangelegenheit einzelner Männer<br />

und Frauen waren. Viele Folgen privater<br />

Entscheidungen wie Kinderlosigkeit und<br />

Scheidungen hatte die Allgemeinheit zu<br />

tragen.<br />

„Sich an die eigene Nase zu fassen<br />

haben die Deutschen offensichtlich verlernt.<br />

Schuld sind immer die Anderen. 8 So konnte<br />

ein gesellschaftlich-kulturelles Klima gedeihen,<br />

in dem Verantwortlichkeit für das eigene<br />

Handeln kaum mehr existiert.“<br />

„Es ist an der Zeit, sich von den Illusionen<br />

des Rumpelstilzchen-Modells zu<br />

verabschieden. Das Paradies auf Erden werden<br />

wir so schnell nicht<br />

erreichen, und die harmonisierenden<br />

Utopien der<br />

Konfliktvermeidung und<br />

Konfliktüberwindung haben<br />

uns Schaden zugefügt.<br />

Wir können nicht alle<br />

Vorteile gewinnen, ohne<br />

bestimmte Lasten, Kosten,<br />

Nachteile damit in Kauf zu<br />

nehmen.“ 9<br />

Weil viele die Notwendigkeit,<br />

den Sozialstaat<br />

neu zu denken, für sich<br />

noch nicht akzeptiert<br />

haben, steht im Mittelpunkt<br />

konkreter politischer<br />

Maßnahmen häufig eine<br />

Bewirtschaftung des Mangels.<br />

Wenn die Arbeit weniger<br />

wird, muss die wenige<br />

Arbeit neu verteilt werden. Paul Nolte<br />

beschreibt das Problem als Equilibrium-<br />

Syndrom: eine Gesellschaft, in der sich alles<br />

im Ausgleich befindet, und wo nicht, dann<br />

möglichst gleichmäßig aus- und angeglichen<br />

werden muss.<br />

Viele sehen in dem ständigen Ausbau<br />

des Sozialstaates eine der Ursachen für<br />

seine Überforderung. Die Kritiker des „Weiter<br />

so!“ berufen sich auf die Ausgangspositionen<br />

aus den Aufbaujahren unseres<br />

Sozialstaates. Ein häufig zitiertes Dokument<br />

ist die Rothenfelser Denkschrift, die<br />

1955 von Hans Achinger, Hans Muthesius.<br />

Ludwig Neundörfer und Joseph Höffner<br />

verfasst wurde.<br />

Dabei geht es vor allem um die Grenzen<br />

staatlicher Sozialpolitik und die Subsidiarität:<br />

„1. Der Staat dient der sozialen Sicherung<br />

dadurch am meisten, dass er die persönliche<br />

Verantwortung seiner Bürger, das<br />

Sorgen und das Vorsorgen der Familie und<br />

der anderen kleinen Lebenskreise sowie die<br />

genossenschaftliche Selbsthilfe anerkennt<br />

und sich entfalten lässt.<br />

2. Sofern gewisse Notstände durch die<br />

verschiedenen Formen der Selbsthilfe<br />

nicht behoben werden können, wird die<br />

staatliche Sozialhilfe ihre vordringlichste<br />

Aufgabe in der Hilfe zur Selbsthilfe sehen<br />

müssen. Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet soziale<br />

Investition, nicht soziale Redistribution.“<br />

10 >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 29


Auch Ludwig Erhard betonte immer<br />

wieder sein Credo: Wirtschaftliche Freiheit<br />

und totaler Versicherungszwang vertragen<br />

sich wie Feuer und Wasser. „Man will offenbar<br />

nicht erkennen, dass wirtschaftlicher<br />

Fortschritt und leistungsmäßig fundierter<br />

Wohlstand mit einem System kollektiver<br />

Sicherheit unvereinbar sind.“ 11<br />

Aktuell formuliert Heike Göbel: „Auf<br />

Dauer kann es nicht gelingen, die notwendige<br />

Zustimmung zur Marktwirtschaft<br />

über das Versprechen einer immer ausgeklügelteren<br />

und ausgreifenderen staatlichen<br />

Organisation des Sozialen zu<br />

gewährleisten. Auf diesem Weg kommen<br />

zwangsläufig jene abhanden, die bereit<br />

sind, Risiken zu tragen und zu investieren in<br />

ihre Ausbildung, in Qualifikationen, in neue<br />

Ideen.“ 12<br />

Gegen diese Feststellungen setzte Helmut<br />

Kohl den Satz: Ich will Wahlen gewinnen,<br />

nicht den Ludwig-Erhard-Preis.<br />

Globalisierung<br />

Eine entscheidende Bedingung für ein<br />

Erstarken des Sozialstaates ist eine in großem<br />

Umfang national gestaltbare Politik.<br />

Diese Voraussetzung ist in den letzten<br />

Jahren stark infrage gestellt worden.<br />

Gerade die jüngsten Entwicklungen in der<br />

Finanzwelt, im internationalen Warenaustausch<br />

und in den Volkswirtschaften in<br />

allen Ländern zeigen, wie stark nationales<br />

Handeln inzwischen von internationalen<br />

Geschehnissen beeinflusst wird.<br />

Die Globalisierung gewinnt immer größeren<br />

Einfluss auf die Entwicklungen auch<br />

in unserem Land. Das gilt<br />

� für die Märkte für Güter und Dienstleistungen,<br />

� für die Arbeitsmärkte und<br />

� für die Kapitalmärkte.<br />

Galt in der Nachkriegszeit und in den<br />

Aufbaujahren noch die Regel, dass steigende<br />

Wirtschaftskraft auch größere Spielräume<br />

für den Sozialstaat bot, so haben<br />

sich hier in den letzten Jahren wichtige<br />

Veränderungen vollzogen. „Die Erweiterung<br />

der Europäischen Union und die<br />

zunehmende Globalisierung der Märkte<br />

haben den Unternehmen die Möglichkeit<br />

eröffnet, sich den Belastungen durch<br />

Steuern und Abgaben zu entziehen.<br />

Praktisch heißt das: In Zukunft geht es bei<br />

der Begrenzung des Sozialstaates immer<br />

weniger um die Belastbarkeit der Wirtschaft<br />

im bisherigen Sinne. Es geht zunehmend<br />

um die Belastbarkeit ihrer Bereitschaft<br />

zu Leistungen. Der Sozialstaat ist<br />

dabei, einen wesentlichen Teil seiner wirtschaftlichen<br />

Grundlagen zu verlieren. Denn<br />

30<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

mit den Unternehmen verlassen auch Arbeitsplätze<br />

das Land, durch die nicht nur<br />

Einkommen, sondern auch Steuern und<br />

Abgaben erarbeitet werden.“ 13<br />

Was geschieht,<br />

wenn nichts geschieht<br />

Biedenkopf weist darauf hin, dass die<br />

Bedingungen, noch etwas zu ändern, immer<br />

schlechter werden. Er begründet das<br />

damit, dass die geburtenstarken Jahrgänge<br />

zwischen 2015 und 2030 in Rente gehen.<br />

Diese werden sich dann zunehmend mit<br />

ihren Problemen in der Gegenwart beschäftigen<br />

und nur noch wenig Interesse<br />

für die Gestaltung der Zukunft aufbringen.<br />

Damit schwinden dann aber auch die<br />

Voraussetzungen dafür, Mehrheiten für<br />

notwendige Veränderungen zu finden.<br />

„Bis dahin werden die Schulden des<br />

Staates weiter – und schneller – gewachsen,<br />

die Last der Ansprüche auf Renten- und<br />

Pensionszahlungen noch drückender geworden,<br />

die Arbeitslosigkeit, vor allem die<br />

Langzeitarbeitslosigkeit, noch höher gestiegen<br />

sein.“ 14<br />

Wege aus der Krise<br />

Vielen Menschen ist inzwischen bewusst,<br />

dass ein Lösungsansatz für die aufgezeigten<br />

Probleme des Sozialstaates nicht<br />

mehr nur innerhalb des Systems gefunden<br />

werden kann. Deshalb müssen wir grundsätzlich<br />

über die Kultur unseres Lebens, Arbeitens<br />

und Wirtschaftens neu nachdenken.<br />

Dazu schreibt Kurt Biedenkopf: „Wo<br />

immer der Versuch gemacht wird, durch<br />

einen Kompromiss den Bedürfnissen der<br />

Freiheit ebenso zu entsprechen wie denen<br />

nach Planung aller wesentlichen Lebensverhältnisse,<br />

gerät die Gesamtordnung aus<br />

dem Gleichgewicht. Sie wird zunehmend<br />

widersprüchlich. Konkret: Eine Gesamtordnung,<br />

deren Wirtschaft prinzipiell marktwirtschaftlich<br />

und deren Sozialordnung<br />

prinzipiell planwirtschaftlich gestaltet<br />

wird, ist nicht gleichgewichtsfähig. Denn<br />

die beiden Ordnungsformen sind nicht miteinander<br />

vereinbar.“ 15<br />

„Am wichtigsten ist die Überwindung<br />

der wirtschaftlichen Ausgangslage. Durch<br />

nachhaltiges Wirtschaftswachstum, mehr<br />

Investitionen in Bildung und Wissenschaft,<br />

eine zunehmende Geburtenrate, mehr qualifizierte<br />

Einwanderer, die auch Steuern und<br />

Sozialversicherungsbeiträge zahlen, weniger<br />

Abwanderung, mehr Teilkapitalbildung<br />

in der sozialen Sicherung und durch höhere<br />

Beiträge und Abgaben der älteren Menschen<br />

ließe sich die schwierige Ausgangslage<br />

(bei der Gesundheitsreform, d.V.) verbessern“<br />

(Klaus-Dirk Henke, FAZ vom<br />

17.2.2007).<br />

Wir können nicht mehr auf ein Wirtschaftswachstum<br />

setzen, das durch Schuldenmachen<br />

finanziert wird. Wir können<br />

den Menschen nicht mehr versprechen,<br />

dass ihnen auch zukünftig ein lückenloses<br />

Netz der sozialen Sicherheit angeboten<br />

wird. Eigenvorsorge und größere Bereitschaft<br />

zu Leistung und Verantwortung sind<br />

erforderlich.<br />

Berechnungen, wie sie heute verstärkt<br />

zur Rentabilität von Beitragszahlungen im<br />

Verhältnis zur späteren Rente angestellt<br />

werden, verbieten es, weitere Lasten von<br />

der Gegenwart in die Zukunft zu verschieben.<br />

Deshalb muss eine weitere Schuldenaufnahme<br />

auf jeden Fall verhindert werden.<br />

Bundesfinanzminister Steinbrück<br />

muss unterstützt werden, wenn er bestrebt<br />

ist, jede Nettoneuverschuldung zu vermeiden.<br />

Die entscheidenden Stichwörter für einen<br />

Neuanfang:<br />

� mehr Verantwortung des Einzelnen;<br />

� Gemeinwohlorientierung statt ausschließlicher<br />

Interessenwahrnehmung;<br />

� Förderung der Familien;<br />

� Subsidiarität.<br />

Das Nachdenken über einen Neuanfang<br />

kann sich nicht auf Deutschland beschränken.<br />

Wie unser Wirtschaftsleben und der<br />

Arbeitsmarkt immer stärker im Rahmen der<br />

EU ihre Ausprägung finden, so müssen wir<br />

– auch wenn für weite Bereiche der<br />

Sozialpolitik noch die Nationalstaaten verantwortlich<br />

sind – eine Gesamtstrategie<br />

zur Ausgestaltung der sozialen Dimension<br />

der EU entwickeln. Wir brauchen den Austausch<br />

von Informationen und die gegenseitige<br />

Absprache bei der inhaltlichen Ausformung<br />

und Umsetzung des Europäischen<br />

Sozialmodells, wie es auch das Zentralkomitee<br />

der deutschen Katholiken (ZdK) in<br />

einer Erklärung vom 25. November 2006<br />

gefordert hat.<br />

Wie schwer es ist, den Gedanken der<br />

Verantwortung des Einzelnen für sich<br />

selbst und für andere mit einer Priorität<br />

gegenüber einer die Freiheit einschränkenden<br />

Politik des Staates durchzusetzen,<br />

zeigen die Ergebnisse einer Umfrage, die<br />

der Tagesspiegel Anfang Dezember 2006<br />

veröffentlichte: 34 Prozent der Befragten<br />

gaben an, sie würden lieber in Freiheit<br />

leben, wo sich jeder ungehindert entfalten<br />

kann. Dagegen würden 58 Prozent lieber in<br />

einer Gesellschaft leben, in der möglichst<br />

große Gerechtigkeit in dem Sinne herrscht,<br />

dass die sozialen Unterschiede nicht zu<br />

groß sind.<br />

Es scheint, dass wir es geschafft haben,<br />

den „kleinen Leuten“ das Gefühl zu vermit-


teln, dass sie ohne von großen<br />

Interessenverbänden wie den<br />

Gewerkschaften definierten<br />

und wahrgenommenen Interessen<br />

nicht zu „ihrem Recht“<br />

kommen können. Die entscheidende<br />

Frage für die Zukunft ist<br />

aber, wie es gelingen kann,<br />

jedem Bürger dieses Landes<br />

Eigenverantwortung und Motivation<br />

zur Leistung ebenso wie<br />

das erforderliche Wissen und<br />

Können zu vermitteln.<br />

Die erste Voraussetzung<br />

dafür ist die Stärkung der<br />

Erziehungskraft der Familien.<br />

Das betrifft ganz besonders<br />

den Bereich der Grundorientierungen<br />

und Sinnfragen.<br />

Wir brauchen mehr Entlastung der Eltern<br />

sowie Eltern- und Familienbildung, die zu<br />

einer ganzheitlichen Erziehung der Kinder<br />

befähigt. Wir brauchen aber auch ein qualitativ<br />

hochwertiges und quantitativ bedarfsgerechtes<br />

Angebot der Tagesbetreuung<br />

von Kindern auch in den ersten<br />

Lebensjahren.<br />

Der Kindergarten muss mehr und mehr<br />

auch Lern- und Bildungsaufgaben übernehmen.<br />

Gerade unter dem Gesichtspunkt,<br />

dass viele Kinder in Deutschland<br />

nicht mehr ausreichend Deutsch können,<br />

gehört die Förderung der Deutschkenntnisse<br />

zu den Aufgaben, die so früh wie<br />

möglich und so umfassend wie nötig geleistet<br />

werden müssen.<br />

Die Erziehungskraft der Familien stärken<br />

Wer die Familie stärken und ihr Zeit zur<br />

Erfüllung ihrer vielfältigen Aufgaben lassen<br />

will, darf bei der Vermeidung von Familienarbeit<br />

nicht nur auf die Erwerbstätigkeit<br />

beider Elternteile setzen, wie es derzeit<br />

offensichtlich verfolgt wird. Es ist richtig,<br />

dass an erster Stelle die Entlastung von<br />

Eltern bei der Besteuerung stehen muss:<br />

Selbst erwirtschaftetes Einkommen, das für<br />

die Aufgaben in der Familie und für die Kinder<br />

gebraucht wird, darf nicht mit Steuern<br />

belastet sein. Deshalb sind hohe Grundfreibeträge<br />

und Freibeträge für Kinder unverzichtbar.<br />

Sie sind nach meiner Auffassung<br />

auch zielgenauer als die Ausweitung<br />

des Ehegattensplittings zu einem Familiensplitting,<br />

wie es aus mir nicht rational nach-<br />

Jede Begabung so früh wie möglich entdecken und fördern<br />

vollziehbaren Gründen immer wieder neu<br />

diskutiert und gefordert wird.<br />

Über eine familiengerechte Besteuerung<br />

hinaus müssen wir berücksichtigen,<br />

dass es in unteren und mittleren Einkommensbereichen<br />

eine große Zahl von<br />

Familien gibt, die von Steuerfreistellungen<br />

nur wenig oder nichts haben, weil sie die<br />

angebotenen Steuerfreibeträge und<br />

Steuervergünstigungen nicht ausschöpfen<br />

können. Diesen Familien muss durch direkte<br />

Geldleistungen geholfen werden.<br />

Deshalb ist es geradezu unsinnig, wenn<br />

diskutiert wird, zu Gunsten eines Ausbaus<br />

struktureller Angebote für Familien das<br />

Kindergeld zu kürzen. Das hieße nämlich<br />

konkret: die Familien noch ärmer machen,<br />

damit sie umso<br />

mehr ihre originären<br />

Aufgaben an<br />

staatliche Einrichtungen<br />

abtreten.<br />

Über die Familienpolitikhinaus<br />

muss der BildungspolitikerhöhteAufmerksamkeit<br />

geschenkt<br />

werden. „Eine Wissensgesellschaft<br />

lebt davon, jede<br />

Begabung zu entdecken und so früh wie<br />

möglich zu fördern: Es kann gar nicht<br />

genug gut ausgebildete Menschen geben.<br />

Wenn Menschen länger leben und arbeiten,<br />

ist es ein Gebot ökonomischer und<br />

sozialer Vernunft, in allen Phasen des<br />

Lebens neue Kompetenzen zu erwerben.<br />

Lebenslanges Lernen wird zur besten<br />

Versicherung gegen die Wechselfälle des<br />

Lebens. Wenn sich das Wissen rascher als<br />

früher erneuert und künftige Berufe<br />

anspruchsvoller werden, dann ist die Frage<br />

einer optimalen Bildung und Ausbildung<br />

die soziale Frage des 21. Jahrhunderts.“ 16<br />

Das sollte dann auch alle Bürger, wie es<br />

ebenfalls gefordert wird, verstärkt dazu<br />

befähigen, Eigenverantwortung<br />

wahrzunehmen und ihre<br />

Kräfte und Anlagen frei zu entwickeln.<br />

Eine zukünftige Sozialordnung<br />

muss Subsidiarität<br />

wieder stärker berücksichtigen,<br />

als es in der Entwicklung der<br />

letzten Jahrzehnte der Fall war.<br />

Das setzt aber nicht nur leistungsbereite,<br />

zur Übernahme<br />

von Verantwortung fähige<br />

Staatsbürger voraus, sondern<br />

auch Strukturen, in denen sich<br />

dezentral Solidarität entfalten<br />

kann. Diese müssen gefördert<br />

und ausgebaut werden.<br />

Der Wechsel von der<br />

Versorgung zu einem Mehr an Eigenverantwortung<br />

lässt sich nur verwirklichen,<br />

wenn eine Mehrheit der Bürger dazu bereit<br />

ist. Solange jeder Schritt der Anpassung<br />

staatlicher Leistungen an die tatsächlichen<br />

Möglichkeiten zum Verlust politischer<br />

Mehrheiten führt, können wir eine neue<br />

tragfähige Sozialordnung nicht erwarten.<br />

Deshalb hat die Deutsche Bischofskonferenz<br />

Recht, wenn sie zum Schluss ihrer<br />

Stellungnahme „Das Soziale neu denken“<br />

feststellt: „Es geht nicht nur um einzelne<br />

Maßnahmen und kurzsichtige Anpassungsreformen.<br />

Was jetzt ansteht, sind ein<br />

Wandel der Mentalitäten und eine gemeinsame<br />

Neubesinnung auf Grundlagen,<br />

Werte und Ziele des Zusammenlebens in<br />

einer Zeit des Wandels und der Krise und<br />

das heißt immer auch: der Gefahren und<br />

der Chancen.“<br />

Anmerkungen:<br />

1 Franz-Xaver Kaufmann: Herausforde-<br />

2<br />

rungen des Sozialstaates, Frankfurt 1997,<br />

S. 11<br />

ebd. S. 7<br />

3 Kurt Biedenkopf: Die Ausbeutung der<br />

Enkel, Berlin 2006, S. 71<br />

4 Ebenda S. 111<br />

5 Kurt Biedenkopf: a.a.O. S. 30<br />

6 Ebenda, S. 40<br />

7 Paul Nolte: Generation Reform, München<br />

2004, S. 26<br />

8 Paul Nolte: a.a.O. S. 17 ff.<br />

9 Paul Nolte: a.a.O. S. 31<br />

10 zitiert bei Biedenkopf: a.a.O. S. 65<br />

11 Heike Göbel, FAZ vom 14. 10. 2006, S. 15<br />

12 Ebenda<br />

13 Kurt Biedenkopf: a.a.O. S. 74 f.<br />

14 Ebenda S. 45<br />

15 Kurt Biedenkopf: a.a.O. S. 15<br />

16 Beschluss der Grundsatzprogramm-Kommission<br />

der CDU Deutschlands vom 7.<br />

Mai 2007, Nr. 94<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 31


Menschenwürde, der moralische Status von Embryonen<br />

und die Forschung mit embryonalen Stammzellen<br />

Unter dem Generalthema „Naturwissenschaft<br />

und Glaube“ stand der UNITAS-<br />

Aktiventag vom 14. bis 16. November 2008<br />

in Essen. Angesichts der fortschreitenden<br />

medizinischen Forschung stand das hervorragend<br />

besuchte Treffen in der Ruhrgebietsmetropole<br />

unter dem Titel „Stammzellenforschung<br />

– Chancen – Grenzen –<br />

Konsequenzen“. Mittelpunkt der dichtesten<br />

deutschen Universitätslandschaft<br />

sollte der Blick auf die ethische Einordnung,<br />

medizinische, politische, juristische<br />

und theologische Aspekte gerichtet, Bewusstsein<br />

für ein entscheidendes Thema<br />

unserer Zeit geschaffen und Aufmerksamkeit<br />

auf die damit verbundenen Folgen<br />

gelenkt werden.<br />

Den Auftakt machte Prof. Dr. Ulrich Eibach,<br />

apl. Professor für Systematische<br />

Theologie und Ethik, Evangelisch-theologische<br />

Fakultät der Rheinischen Friedrich-<br />

Wilhelms-Universität Bonn, Pfarrer am<br />

Universitätsklinikum Bonn und Beauftragter<br />

der „Evangelischen Kirche im Rheinland“<br />

für Fortbildung in Krankenhausseelsorge<br />

und Fragen der Ethik in Biologie<br />

und Medizin a.D. Der Biologe, Theologe<br />

und Ethiker begann mit einer Beurteilung<br />

der Stammzellforschung aus christlichethischer<br />

Sicht, gab mit seinem Vortrag<br />

eine umfassende Grundlage zum Thema<br />

und erörterte Begriff und Inhalt der Menschenwürde<br />

im Zusammenhang „verbrauchender“<br />

Embryonenforschung, an die sich<br />

32<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

VON PROF. DR. ULRICH EIBACH<br />

hohe medizinische Erwartungen knüpften.<br />

Eindeutig stellte er die Gottebenbildlichkeit<br />

des Menschen heraus, dem keine<br />

Menschenwürde zugesprochen werden<br />

könne, sondern die ihm bereits von Beginn<br />

an zukomme. Wir dokumentieren seinen<br />

Vortrag im Folgenden im Wortlaut:<br />

1. Forschung mit<br />

embryonalen Stammzellen:<br />

Deutsche Rechtslage<br />

Das deutsche Embryonenschutzgesetz<br />

(EschG1990) untersagt einen verbrauchenden<br />

Umgang mit menschlichen Embryonen<br />

und damit die Herstellung von Stammzelllinien<br />

aus Embryonen. 2002 hatte der<br />

deutsche Bundestag in einem „Stammzellgesetz“<br />

beschlossen, dass die Herstellung<br />

von Stammzellen aus Embryonen in<br />

Deutschland „grundsätzlich verboten“<br />

bleibt, der Import von Stammzellen aus<br />

dem Ausland aber „ausnahmsweise“ zulässig<br />

sei, wenn keine ethisch unbedenklichen<br />

Alternativen gegeben sind, um die angestrebten<br />

Ziele der Forschung zu erreichen.<br />

Diese Ziele sollen „hochrangiger“ Art sein.<br />

Die Stammzellen müssen vor dem 1. Januar<br />

2002 im Ausland hergestellt sein. Diese<br />

„Stichtagsregelung“ war ein mühsam gefundener<br />

Kompromiss, der die Achtung der<br />

Menschenwürde allen embryonalen Lebens<br />

festhalten und doch eine Möglichkeit offen<br />

halten sollte, mit embryonalen Stammzellen<br />

zu forschen. Zunächst zeigten sich<br />

die deutschen Forscher mit dieser Regelung<br />

zufrieden, doch stellte sich bald heraus,<br />

dass die in anderen Ländern nach diesem<br />

Stichtag hergestellten Stammzelllinien<br />

„besser“ waren. Deshalb forderten viele<br />

Forscher schon bald eine Aufhebung der<br />

Stichtagsregelung. Daraufhin beschloss der<br />

Deutsche Bundestag Anfang des Jahres<br />

mehrheitlich, diese Stichtagsregelung auf<br />

den 1. Januar 2007 zu verlegen.<br />

Es ist fraglich, ob diese als einmalig ausgegebene<br />

Verschiebung des Stichtags Bestand<br />

haben wird, denn es zeigt sich schon<br />

heute, dass Stammzelllinien „altern“ und<br />

damit irgendwann „untauglich“ werden<br />

und dass neuere Stammzelllinien immer<br />

die „besseren“ sein werden und dass so ein<br />

Druck entsteht, den Stichtag immer wieder<br />

zu verschieben. Es stellt sich daher die<br />

Frage, ob diese erste Verschiebung des<br />

Stichtags nicht einer rechtlichen Billigung<br />

eines verbrauchenden Umgangs mit Embryonen<br />

im Ausland wenigstens nahe und<br />

weitere Verschiebungen ihr gleich kommen.<br />

Im Ausland ist dann ethisch erlaubt,<br />

was in Deutschland ethisch und rechtlich<br />

verboten ist. Wieso dürfen Embryonen<br />

nicht auch in Deutschland zur Gewinnung<br />

von embryonalen Stammzellen verbraucht<br />

werden? Kommt der Import von embryonalen<br />

Stammzellen aus dem Ausland<br />

nicht einer ethischen und rechtlichen<br />

Billigung des verbrauchenden Umgangs<br />

mit menschlichen Embryonen gleich und<br />

soll dann doch in Deutschland verboten<br />

sein? Das ist sicher eine kaum begründbare<br />

Doppelmoral. Hinzu kommen Fragen wie<br />

die, ob es wirklich keine Alternativen zur<br />

embryonalen Stammzellforschung gibt.<br />

Das wird von vielen Zellbiologen angesichts<br />

der Erfolge in der Forschung mit adulten<br />

Stammzellen und insbesondere seit der<br />

Herstellung von totipotenten Stammzellen<br />

aus Körperzellen durch deren Reprogrammierung<br />

bestritten. Viele behaupten zwar,<br />

dass eine Forschung mit embryonalen<br />

Stammzellen trotzdem als Kontrollforschung<br />

wichtig sei, doch ist man sich weitgehend<br />

einig, dass die mit der embryonalen<br />

Stammzellforschung angestrebten „hochrangigen<br />

Ziele“ der Heilung schwerer<br />

Krankheiten letztlich nur über den Weg der<br />

adulten Stammzellforschung zu erreichen<br />

sind, mit der die Risiken bei der Übertragung<br />

embryonaler Stammzellen, vor allem


das Risiko der Tumorbildung, weitgehend<br />

ausgeschlossen werden kann. Die Forschung<br />

mit embryonalen Stammzellen<br />

dient also nur dazu, die Entwicklung von<br />

Heilverfahren mit körpereigenen Stammzellen<br />

zu beschleunigen und zu verbessern.<br />

Auch als solche ist sie derzeit nur eine Form<br />

der Grundlagenforschung, in der deutsche<br />

Forscher durch den neuen Stichtag nicht<br />

benachteiligt und Deutschland nicht um<br />

ökonomische Chancen gebracht werden<br />

sollen.<br />

Die Stichtagsregelung ist ein mühsam<br />

gefundener Kompromiss, der die Achtung<br />

der Menschenwürde allen embryonalen<br />

Lebens festhalten und doch eine Möglichkeit<br />

offen halten will, mit embryonalen<br />

Stammzellen zu forschen.Würde man diese<br />

Stichtagsregelung einmal oder vielleicht<br />

gar stetig anpassen oder gar fallen lassen,<br />

so käme das einer rechtlichen Billigung<br />

eines verbrauchenden Umgangs mit Embryonen<br />

zu Forschungszwecken wenigstens<br />

nahe oder gar gleich. Eine einmalige<br />

Änderung des Stichtags wird kaum Bestand<br />

haben, wenn man davon ausgeht, dass<br />

Stammzelllinien „altern“ und damit irgendwann<br />

„untauglich“ werden und dass<br />

es immer „bessere“ Stammzellen geben<br />

wird. Wird es daher dazu kommen, dass<br />

man das Stammzellgesetz oder gar das<br />

EschG abschafft? Handelt es sich bei der<br />

alten wie der neuen Stichtagsregelung um<br />

den Sieg wissenschaftlicher und ökonomischer<br />

Interessen über bisherige ethische<br />

und rechtliche Grundüberzeugungen, die<br />

das EschG festschreiben wollte?<br />

2. Welchem menschlichen Leben<br />

kommt Menschenwürde zu?<br />

Eingriffe der Biomedizin ins Leben berühren<br />

immer mehr grundlegende Fragen<br />

des Menschenbilds, der Ethik und des<br />

Rechts. Der Diskussion über eine verbrauchende<br />

Forschung mit Embryonen, über die<br />

damit gewonnenen embryonalen Stammzellen,<br />

die Selektion kranker Embryonen bei<br />

der „Präimplantationsdiagnostik“ (PID) u. a.<br />

kommt deshalb besondere Bedeutung zu,<br />

weil hier grundsätzliche ethische und verfassungsrechtliche<br />

Fragen zur Diskussion<br />

stehen, die eine weit über die Forschungen<br />

mit Embryonen hinausgehende Bedeutung<br />

haben. Diese Fragen ergeben sich nicht nur<br />

aus den Fortschritten der Biomedizin, sondern<br />

ebenso aus dem Wandel der Lebensund<br />

Wertvorstellungen in den von der technischen<br />

Zivilisation geprägten säkularen<br />

Gesellschaften. Dabei spielt insbesondere<br />

die „Verheißung“ eine Rolle, durch die<br />

Forschungen an und mit menschlichen<br />

Embryonen viele der bisher unheilbaren<br />

Krankheiten in Zukunft heilen und durch<br />

die PID ein gesundes Kind garantieren zu<br />

können. Durch diese „Verheißungen“ der<br />

Medizin entstehen zugleich Ansprüche an<br />

die Mediziner (z.B. Anspruch auf ein „gesundes“<br />

Kind), die diese wiederum zur<br />

Legitimation ihrer eigenen wissenschaftlichen<br />

und ökonomischen Interessen ins<br />

Feld führen. Stehen bisher als grundlegend<br />

erachtete ethische und rechtliche Auffassungen<br />

der Durchsetzung dieser Interessen<br />

entgegen, so führt dies zu der Forderung,<br />

diese so zu verändern, dass die Erfüllung<br />

dieser Interessen möglich wird. Dies erscheint<br />

insbesondere plausibel, wenn es<br />

sich um Versprechen zur Heilung von<br />

schweren Krankheiten handelt.<br />

Diejenigen, die daran festhalten, dass<br />

der Medizin nur solche Mittel und Wege der<br />

Forschung und Therapie erlaubt sind, die<br />

nicht gegen wesentliche ethische und<br />

rechtliche Normen und Werte verstoßen,<br />

kommen dann schnell in den Geruch, unbarmherzige<br />

„Prinzipienreiter“ zu sein, die<br />

kein Verständnis für leidende Menschen<br />

haben. Als solche immer unbedingt zu<br />

beachtende Prinzipien gelten insbesondere<br />

die unbedingte Achtung der Menschenwürde,<br />

das Verbot von Lebensunwerturteilen<br />

und das Verbot, menschliches Leben<br />

zu töten. Damit gerät eine solche Prinzipethik<br />

schnell in Konflikt mit einer utilitaristischen<br />

„Ethik der Interessen an Heilung“.<br />

Um diesen Konflikt aufzulösen, liegt es<br />

nahe, die Geltung dieser Prinzipien für<br />

bestimmte Bereiche des menschlichen<br />

Lebens in Frage zu stellen.<br />

Ein verbrauchender, also die Tötung einschließender<br />

Umgang mit menschlichem<br />

Leben als reines „biologisches Forschungsmaterial“<br />

und als Mittel zu Zwecken<br />

(Interessen) anderer Menschen kann auf<br />

zweierlei Weise gerechtfertigt werden, einmal<br />

dadurch, dass man bestimmte Stadien<br />

menschlichen Lebens wertmäßig so einstuft,<br />

dass sie nicht oder nur sehr eingeschränkt<br />

unter dem Schutz der Menschenwürde<br />

nach Artikel 1.1 des Grundgesetzes<br />

stehen. Dann würde derartiges menschliches<br />

Leben auch nicht unter den Schutz<br />

des Gebots fallen, Menschenleben nicht zu<br />

töten. Voraussetzung dieser Begründung<br />

ist die Unterscheidung eines angeblich<br />

bloß biologisch menschlichen Lebens einerseits<br />

vom Menschsein im „eigentlichen“<br />

Sinne andererseits, also das, was Verfassungsrechtler<br />

als „Antiäquivalenztheorie“<br />

von Leben und Menschsein, dem Menschenwürde<br />

zukommt, bezeichnen. Nach<br />

ihr wird die Achtung der Menschenwürde<br />

nicht mehr in erster Linie im Schutz des<br />

Lebens konkret, sondern der Schutz gilt nur<br />

den Eigenschaften, die das Menschsein<br />

ausmachen sollen. Diese Position ermöglicht<br />

es, angeblich noch bloß biologischmenschliches<br />

Leben gegen andere Güter<br />

und Interessen abzuwägen. Sie ist allerdings<br />

genötigt, Kriterien zu benennen und<br />

zu begründen, ab wann in der Entwicklung<br />

des biologisch-menschlichen Lebens diesem<br />

das Prädikat „Mensch“ und deshalb<br />

auch Menschenwürde und dementspre-<br />

chende Schutzrechte zukommen, oder,<br />

wenn man behauptet, dass diese Schutzrechte<br />

je nach Grad der Lebensentwicklung<br />

abgestuft zu denken sind, welche Schutzrechte<br />

dem jeweiligen Entwicklungsstand<br />

des Lebens zukommen und gegen welche<br />

fremdnützigen Zwecke sie jeweils abgewogen<br />

werden dürfen.<br />

Soweit man den Begriff „Menschenwürde“<br />

nicht als eine rechtlich untaugliche<br />

„Leerformel“ betrachtet, herrscht weitgehend<br />

Einigkeit, dass sie quantifizierbar ist<br />

und dass sie daher nicht gegen andere<br />

Grundrechte abgewogen werden darf. Strittig<br />

bleibt dann aber, worin die Menschenwürde<br />

besteht und welchem menschlichen<br />

Leben sie zukommt. In diesen Fragen<br />

bestehen teils unüberbrückbare Differenzen,<br />

selbst im Bereich der Theologie und<br />

der Kirchen. Hier sind sie vor allem dadurch<br />

bedingt, dass man sich selbst dort philosophische<br />

Positionen zueigen macht, die die<br />

Menschenwürde nicht mehr in erster Linie<br />

von der Gottebenbildlichkeit her, sondern<br />

von den Qualitäten eines gesund geborenen<br />

Menschen her inhaltlich füllen.<br />

Anzuerkennen ist, dass das Prädikat<br />

„Menschenwürde“ sich nicht aus dem Gegebensein<br />

von biologisch-menschlichem<br />

Leben an sich unmittelbar ableiten lässt.<br />

Dies käme einem „naturalistischen Fehlschluss“<br />

gleich. Daraus folgern viele, dass<br />

menschliches Leben sich nicht von seinem<br />

Anfang an als Mensch, sondern sich zum<br />

Menschsein hin entwickelt, ja dass von<br />

Menschsein und einer ihm entsprechenden<br />

Würde nur dann gesprochen werden, wenn<br />

die Voraussetzungen für eine Geburt und<br />

die Qualitätsmerkmale für ein selbstständiges<br />

Leben als geborener Mensch vorliegen.<br />

Diese Bedingungen können unterschiedlich<br />

bestimmt werden. Auf jeden Fall muss die<br />

Einnistung in die Gebärmutter, die Nidation<br />

vollzogen sein, die in sich in reines<br />

Naturfaktum und keinesfalls ein spezifisch<br />

menschliches oder gar ein personales Geschehen<br />

ist. Eigentlich aber müsste bei diesem<br />

Denkansatz das Geborenwerden als<br />

hirnorganisch einigermaßen gesundes Leben<br />

das entscheidende biologische und<br />

psychosoziale Geschehen sein. Auf jeden<br />

Fall folgt aus dieser Position, dass menschlichem<br />

Leben, das nicht von einer Mutter<br />

geborenen werden wird, kein Menschsein<br />

und keine Menschenwürde zukommt. Bei<br />

der künstlichen Befruchtung (IVF) entstandene<br />

überzählige Embryonen, die vom<br />

Transfer in den Mutterleib ausgeschlossen<br />

werden, haben die Potenzialität, in die irdische<br />

Lebenswelt geboren zu werden, nicht,<br />

aber nicht aufgrund fehlender biologischer<br />

Fähigkeiten, sondern aufgrund menschlichen<br />

Entscheidens und Handelns nicht. Das<br />

Recht, ein Mensch zu sein und entsprechend<br />

behandelt zu werden, wird dann<br />

nicht nur vom Vorhandensein bestimmter<br />

biologischer und seelisch-geistiger Eigenschaften<br />

abhängig gemacht, sondern letzt- >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 33


lich auch von menschlichem Entscheiden<br />

und Handeln, durch das dem Leben die<br />

Bedingungen zum Geborenwerden zugesprochen<br />

oder vorenthalten werden. Das<br />

Menschsein und die Menschenwürde werden<br />

damit zum Gegenstand menschlicher<br />

Zuschreibungen, auch wenn diese sich an<br />

biologischen Fakten wie der Nidation, der<br />

Geburt, dem hirnorganischen Zustand, der<br />

selbstständigen Lebensfähigkeit orientieren.<br />

Menschsein und Menschenwürde<br />

demnach kommen menschlichem Leben<br />

nur von dem Ziel des Lebens her zu, dem<br />

selbstständigen Leben in<br />

dieser irdischen Welt. Dieses<br />

Ziel des Menschenlebens<br />

kann bar jeder theologischen<br />

Bestimmung erfasst<br />

werden, wird nicht im vollendeten<br />

Sein in der Gemeinschaft<br />

mit Gott gesehen,<br />

sondern rein innerweltlich<br />

als „In-der-Welt-Sein“ als<br />

selbstständig lebensfähiger<br />

Mensch. Von einer solchen<br />

Ausgangsbasis aus ist es<br />

nicht verwunderlich, dass<br />

man gegen einen verbrauchenden<br />

Umgang mit<br />

menschlichen Embryonen,<br />

die die biologische Potenzialität,<br />

ein erwachsener<br />

Mensch zu werden, zwar haben,<br />

aber aufgrund menschlichen<br />

Entscheidens und<br />

Handelns nicht mehr haben<br />

sollen, keine grundsätzlichen<br />

ethischen Bedenken<br />

mehr geltend machen kann.<br />

Diese Position übernimmt<br />

also die „Antiäquivalenz-Theorie“<br />

von menschlichem Leben<br />

und Menschenwürde und folgt damit<br />

philosophischen Positionen, die das<br />

Vorliegen der Menschenwürde von dem<br />

Vorhandensein empirisch feststellbarer<br />

Qualitäten des Lebens abhängig machen,<br />

und die in der westlichen Welt in dem<br />

Maße – auch bei Juristen – Zustimmung<br />

finden, wie die religiöstranszendente Begründung<br />

der Menschenwürde verblasst<br />

und als rational nicht begründbare, weil<br />

den Glauben an Gott voraussetzende<br />

„Gruppenmoral“ abgetan wird. Das Verständnis<br />

von Menschenwürde in Artikel 1<br />

des GG’es ist aber maßgeblich mit geprägt<br />

durch die jüdisch-christliche Vorstellung<br />

von der Gottebenbildlichkeit des Menschen.<br />

Diese gründet in der besonderen Beziehung<br />

Gottes zum Geschöpf Mensch. Der<br />

Mensch konstituiert sich weder in seinem<br />

Leben noch in seiner Würde selbst. Er „verdankt“<br />

sein Leben, sein Personsein und<br />

seine Würde anderen, letztlich nicht den<br />

Eltern, sondern Gott. Die menschliche<br />

Würde, sein Personsein gründet darin, dass<br />

menschliches Leben durch einen Schöpfungsakt<br />

Gottes ins Dasein gerufen wird<br />

und mit dieser Erschaffung immer zugleich<br />

34<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

von Gott zu seinem Partner und zu irdischer<br />

und ewiger Gemeinschaft mit Gott<br />

bestimmt ist, also immer als Person geschaffen<br />

und angeredet ist. In seinem irdischen<br />

Leben wird der Mensch dieser Bestimmung<br />

zur Gottebenbildlichkeit nie gerecht,<br />

er bleibt hier immer Gottebenbild<br />

im „Fragment“. Die Gottebenbildlichkeit<br />

wird erst in der Gemeinschaft mit Gott im<br />

„ewigen Leben“ vollendet, ist also im strikten<br />

Sinne eine in Gott gründende und<br />

zukünftige Größe, die aber schon diesem<br />

irdischen Leben von Gott zugesagt ist.<br />

Demnach sind Personsein und Menschenwürde<br />

keine empirischen Qualitäten,<br />

sondern „transzendente“ Größen, die – von<br />

Gott her – dem ganzen leiblichen, dem organismischen<br />

Leben von seinem Beginn bis zu<br />

seinem Tod unverlierbar zugesprochen sind.<br />

Kein menschliches Leben muss erst Lebensqualitäten<br />

vorweisen, die erweisen, dass<br />

es der Prädikate Person und Menschenwürde<br />

würdig ist. Deshalb muss ihm die<br />

Menschenwürde auch nicht erst von Menschen<br />

zuerkannt werden, vielmehr ist sie<br />

von allen Menschen zugleich mit dem<br />

Gegebensein von Leben in allen Stadien des<br />

Lebens anzuerkennen, unabhängig vom<br />

Grad seiner körperlichen und seelisch-geistigen<br />

Fähigkeiten. In diesem Begründetsein<br />

der Menschenwürde in „Transzendenz“, in<br />

Gott, ist der Grund zu suchen, dass alles<br />

Leben einer totalen ge- und verbrauchenden<br />

Verfügung von Menschen entzogen sein<br />

soll. Es kann dem Menschen nach dieser<br />

christlichen Sicht nur verboten sein, die Bestimmung<br />

zum Menschsein, zum Personsein,<br />

zum Partnersein Gottes vom göttlichen<br />

Schöpfungsakt des Lebens abzulösen und zu<br />

behaupten, es gäbe Stadien menschlichen<br />

Lebens, die nicht unter dieser göttlichen<br />

Bestimmung stehen, und der Mensch dürfe<br />

eigenmächtig definieren, ab wann und bis<br />

wann menschliches Leben unter dieser Bestimmung<br />

stehe und ihm deshalb Würde<br />

zukomme. Dann wird Gottes Handeln durch<br />

menschliches Handeln ersetzt, dem Menschen<br />

die Definitionshoheit über das Leben<br />

überantwortet, zu sagen, ab wann und bis<br />

wann menschliches Leben unter der Verheißung<br />

steht, zur Gottebenbildlichkeit bestimmt<br />

zu sein. Dies kann dem Menschen<br />

nur verboten sein, weil er sich damit ein uneingeschränktes<br />

Verfügungsrecht über<br />

menschliches Leben anmaßt.<br />

Der Mensch hat<br />

davon auszugehen, dass<br />

alles menschliche Leben<br />

von seinem Beginn an<br />

unter dieser Bestimmung<br />

und Verheißung Gottes<br />

steht, Ebenbild Gottes zu<br />

sein; er hat in seinem Entscheiden<br />

und Handeln<br />

dieser Verheißung zu entsprechen,<br />

und das heißt,<br />

jedem menschlichen Leben<br />

in einer entsprechenden<br />

Achtung zu begegnen<br />

und ihm gegenüber<br />

die Haltung der Fürsorge<br />

für das Leben einzunehmen,<br />

die auf jeden Fall<br />

immer Entscheidungen<br />

und Handlungen ausschließt,<br />

die das Leben<br />

bewusst schädigen oder<br />

gar töten. Dass das<br />

Werden menschlichen Lebens<br />

– gerade zu seinem<br />

Beginn – in hohem Maße<br />

scheitert und dem Tod<br />

ausgeliefert ist, kann<br />

nicht rechtfertigen, dass der Mensch von<br />

sich aus auch daran mitwirken darf, dass<br />

Leben sich nicht weiter zum erwachsenen<br />

Menschsein entwickeln darf.<br />

Es ist zwar umstritten, inwieweit dieses<br />

christlich geprägte Verständnis von Menschenwürde<br />

ohne diese religiösen Voraussetzungen<br />

zu begründen ist. Jedoch ist<br />

auch in der deutsches Rechtsverständnis<br />

maßgeblich prägenden Philosophie I. Kants<br />

festgehalten, dass die Freiheit und mit<br />

ihr die Würde des Menschen keine<br />

empirischen Größen, sondern transzendentale<br />

Ideen sind, und dass das Prädikat<br />

Person dem Menschen als „Natur- und<br />

Gattungswesen“, also allem biologisch<br />

menschlichen Leben zuzuordnen ist. Das<br />

Gegebensein von Leben gebietet uneingeschränkte<br />

Achtung vor seiner Würde, die<br />

es verbietet, menschliches Leben bloß als<br />

Mittel zum Zweck, insbesondere fremdnützigen<br />

Zwecken, zu ge- und verbrauchen. Insofern<br />

stimmt Kants Begründung der Menschenwürde<br />

wenigstens in ihren praktischen<br />

Konsequenzen mit der kurz angedeuteten<br />

christlichen Sicht vollkommen<br />

überein.


Nach dieser Sicht ist die Achtung der<br />

Menschenwürde an keine anderen empirischen<br />

Voraussetzungen gebunden als das<br />

Gegebensein von artspezifischem Leben,<br />

das sich zu einem erwachsenen Menschenleben<br />

entwickeln kann. Die Vorstellung,<br />

dass menschliches Leben sich erst zum<br />

Menschen – im Sinne von Person – entwickelt,<br />

erst mit dem Auftauchen bestimmter<br />

Qualitäten Mensch wird, ist daher auszuschließen.<br />

Menschliches Leben ist zwar<br />

immer – vom Beginn bis zum Tod – ein<br />

Leben im Werden und Wandel, doch hat es<br />

in diesem kontinuierlichen Werdeprozess<br />

immer den Status eines Menschen. Es gibt<br />

kein Werden zum Menschen, sondern nur als<br />

Mensch. Verfassungsrechtlich bedeutet das,<br />

dass der ganze Lebensträger (= Organismus)<br />

vom Beginn bis zu seinem Tod unverlierbar<br />

unter dem Schutz der Menschenwürde<br />

steht, dass der Sinn des Artikels 1,1<br />

GG sich in erster Linie gemäß Artikel 2,2 im<br />

uneingeschränkten Schutz des Lebens vor<br />

schädigenden Verfügungen durch andere,<br />

insbesondere vor der Tötung konkretisiert<br />

(= „Äquivalenz-Theorie“ von Würde und<br />

Leben). Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht<br />

(BVG) – bisher noch –<br />

immer das Konzept einer abgestuften<br />

Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens<br />

abgelehnt.<br />

3. Beginn menschlichen<br />

Lebens aus biologischer<br />

und anthropologischer Sicht<br />

Geht man von der kurz dargelegten theologischen<br />

Begründung der „Äquivalenz-<br />

Theorie“ von Leben und Menschenwürde<br />

aus, so besteht die erste entscheidende<br />

Frage darin, wann biologisch-menschliches<br />

Leben beginnt. Diese Frage können Theologie,<br />

Philosophie und Rechtswissenschaften<br />

nicht aufgrund ihrer eigenen<br />

Erkenntnisse klären. Sie sind dazu an die<br />

Biologie verwiesen. An die Biologie werden<br />

also Fragen herangetragen mit der Absicht,<br />

durch ihre Erkenntnisse zu einer näheren<br />

Bestimmung des Geltungsbereichs ethischer<br />

und rechtlicher Normen zu kommen,<br />

nicht aber, um ethische Aussagen direkt<br />

aus biologischen Erkenntnissen abzuleiten.<br />

Die Notwendigkeit, das Ende menschlichen<br />

Lebens zeitlich genau zu definieren, ergab<br />

sich erst, als man todgeweihten Menschen<br />

Organe zum Zweck der Organtransplantation<br />

entnehmen wollte, und die Notwendigkeit,<br />

den Beginn menschlichen Lebens<br />

genau zu definieren, ergab sich erst, als<br />

man durch IVF Embryonen außerhalb des<br />

Mutterleibes durch Menschen Hand erzeugen<br />

konnte und als man beabsichtigte, mit<br />

menschlichen Embryonen, die bei der IVF<br />

überzählig waren, verbrauchende Forschungen<br />

anzustellen. In beiden Fällen<br />

stand also der Gebrauch menschlichen<br />

Lebens zu fremdnützigen Zwecken und das<br />

Tötungsverbot zur Diskussion.<br />

Für die Frage nach dem Beginn des Lebens<br />

ist entscheidend, dass aus menschlichen<br />

Keimzellen nur menschliches Leben<br />

entstehen kann, dass die Embryonalentwicklung<br />

nie in erster Linie eine Wiederholung<br />

der Phylogenese, der Embryo mithin<br />

von Anfang an menschliches Leben ist.<br />

Dieser Werdeprozess stellt von seinem<br />

Beginn an eine Kontinuität dar. Er vermittelt<br />

durch dieses leibliche Leben eine Identität<br />

als derselbige Mensch, auch wenn der<br />

Mensch diese Identität erst später rückblickend<br />

erkennen kann. Muss man in diesem<br />

Werdeprozess des Lebens Anfang und<br />

Ende aufgrund bestimmter Interessen oder<br />

aus ethischen und rechtlichen Gründen<br />

zeitlich genau festlegen, so sind diese<br />

Definitionen primär bestimmt durch diese<br />

Fragestellungen. Dabei muss man von einer<br />

biologischen Definition von individuellem<br />

Leben ausgehen. Bei höheren Lebewesen<br />

mit geschlechtlicher Fortpflanzung sind<br />

dafür folgende Kriterien entscheidend: (1)<br />

Es muss eine genetische Individualität vorliegen.<br />

Die Entstehung von neuem Leben ist<br />

ein Prozess, der mit dem Eindringen des<br />

Spermiums ins Ei beginnt und mit der<br />

Bildung des neuen individuellen Genoms<br />

aus mütterlichem und väterlichem Erbgut<br />

die entscheidende Zäsur zur Konstitution<br />

neuen Lebens überschreitet. (2) Es muss ein<br />

zu einer Ganzheit integriertes, also organismisches<br />

Lebensgeschehen gegeben sein, das<br />

zu einer eigenständigen Lebensdynamik<br />

fähig ist (Stoffwechsel, Wachstum u. a.), so<br />

dass aus ihm ein erwachsener Organismus<br />

werden kann. Dieser Entwicklungsprozess<br />

wird mit der Bildung der Zygote zugleich in<br />

Gang gesetzt. Es wird oft behauptet, frühe<br />

Embryonen erfüllten dieses zweite Kriterium<br />

nicht, sie seien ein bloßer „Zellhaufen“.<br />

Eine organismische Ganzheit wird aber<br />

nicht nur durch spezielle integrierende<br />

Systeme wie das Nerven- und das Herzkreislaufsystem<br />

bewirkt, sondern schon<br />

durch unmittelbare physiologische Interaktionen<br />

der Zellen. Dass nur aus einem Teil<br />

dieser Zellen der Embryo, aus anderen das<br />

„Nährgewebe“ (Trophoblast) wird, widerspricht<br />

dem auch nicht, weil dieses Differenzierungsgeschehen<br />

nicht präformistisch<br />

determiniert ist, man also nicht vorweg<br />

sagen kann, welche der Zellen zu was werden.<br />

Andere im Entwicklungsgeschehen<br />

aufweisbare Zäsuren sind nicht vergleichbar<br />

mit dem Neuanfang von individuellem<br />

Leben, der mit der vollendeten Bildung der<br />

Zygote gegeben ist. Sicher sind die abgeschlossene<br />

Einnistung (Nidation) in die<br />

Gebärmutter (etwa 14 Tage nach der Befruchtung)<br />

und vor allem die Geburt entscheidende<br />

Ereignisse in der Entwicklung<br />

des Lebens, aber sie können bei gesamtbiologischer<br />

Betrachtung keine Leben<br />

konstituierenden Zäsuren darstellen, weil<br />

sich selbst bei hoch organisierten Wirbeltieren<br />

eine Entwicklung in der Gebärmutter<br />

nur bei den Säugetieren voll-<br />

zieht. Spezifisch menschlich ist dieses biologische<br />

Faktum aber nicht, so dass sich aus<br />

ihm keine philosophisch- und theologisch<br />

personalen Beziehungen ableiten lassen.<br />

Auch die Herausbildung innerembryonaler<br />

Qualitäten, wie die Unfähigkeit zur Zwillingsbildung,<br />

die Herausbildung der Körperachse,<br />

des Neuralrohrs und anderes, sind<br />

keine derart entscheidenden Zäsuren. All<br />

dies sind nur Entwicklungsschritte innerhalb<br />

des Lebensprozesses. Nur durch die<br />

Bildung der Zygote wird neues individuelles<br />

Leben konstituiert.<br />

Jede andere Festlegung des Beginns<br />

menschlichen Lebens und seines der<br />

Menschenwürde entsprechenden Schutzes<br />

macht diesen nicht nur abhängig vom<br />

Vorliegen bestimmter Eigenschaften, sondern<br />

unverkennbar auch von den jeweiligen<br />

wissenschaftlichen, therapeutischen<br />

und sonstigen Interessen und Erfordernissen<br />

an einem verbrauchenden Umgang<br />

mit Embryonen, denen entsprechend der<br />

„Rubikon“ zum verbrauchenden Umgang<br />

sowohl hinsichtlich der Ziele wie auch des<br />

anvisierten Entwicklungszeitraums, bis zu<br />

dem mit Embryonen geforscht werden<br />

darf, immer mehr erweitert werden wird.<br />

Eine Grenzziehung bis zum 14. Tag der<br />

Entwicklung (natürlicherweise abgeschlossene<br />

Einnistung in die Gebärmutter) erscheint<br />

dann willkürlich (wird auch in dem<br />

„Übereinkommen über Menschenrechte<br />

und Biomedizin“ des Europarats nicht mehr<br />

genannt) und wird auf längere Frist, wenn<br />

man entsprechende „hochrangige“ wissenschaftliche<br />

und therapeutische Zielsetzungen<br />

an einer weitergehenden Forschung<br />

mit Embryonen geltend macht, kaum als<br />

unbedingte Grenze zu begründen und als<br />

solche einhaltbar sein. Der Embryo ist ein in<br />

jeder Hinsicht für wissenschaftliche und<br />

therapeutische Zielsetzungen hoch interessantes<br />

Forschungsobjekt. Deshalb wird sich<br />

ein verbrauchender Umgang mit Embryonen<br />

auch nicht auf eng umgrenzte Ziele,<br />

wie z. B. die Gewinnung von Stammzellen,<br />

begrenzen lassen.<br />

4. Relativierung des<br />

Tötungsverbots im<br />

Umgang mit menschlichen<br />

Embryonen?<br />

Es gibt zwei Möglichkeiten, die Tötung<br />

menschlichen Lebens zu rechtfertigen, einmal<br />

den dargestellten Weg, Stadien des<br />

Lebens wertmäßig so einzustufen, dass sie<br />

nicht unter dem uneingeschränkten Schutz<br />

der Menschenwürde stehen. Verbunden ist<br />

damit fast immer, dass man die Menschenwürde<br />

an das Vorliegen bestimmter empirisch<br />

feststellbarer Lebensqualitäten bindet.<br />

Damit ist eine weitreichende Veränderung<br />

des für den unbedingten Schutz allen<br />

menschlichen Lebens grundlegenden Verständnisses<br />

von Menschenwürde eingelei- >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 35


tet. Dieser Schritt kann letztlich unkontrollierbare<br />

Folgen für den Schutz des Lebens in<br />

allen Lebensbereichen haben, auch den des<br />

geborenen, insbesondere des hirnorganisch<br />

versehrten und des schwerstpflegebedürftigen<br />

Lebens, z. B. dementer Menschen.<br />

Es könnte durch den Verlust von<br />

Lebensqualitäten zum Verlust der Menschenwürde<br />

kommen. Lebensunwerturteile<br />

müssten dann mehr oder weniger als<br />

rechtens anerkannt werden. Die Relativierung<br />

des Tötungsverbots für Menschenleben,<br />

dem keine Menschenwürde zukommen<br />

soll. ergibt sich notwendig aus diesem<br />

veränderten Verständnis von Menschenwürde.<br />

Die andere, und letztlich weniger gefährliche<br />

Möglichkeit, einen verbrauchenden<br />

Umgang mit menschlichem Leben zu<br />

rechtfertigen, besteht darin, das Tötungsverbot<br />

in bestimmten kontrollierbaren<br />

„Ausnahmesituationen“ außer Kraft zu setzen,<br />

ohne dass man das Menschsein dieses<br />

Menschenlebens bestreitet. Als solche werden<br />

Konfliktsituationen anerkannt, in denen<br />

das Leben durch andere Menschen ernsthaft<br />

bedroht ist, also Situationen der<br />

Notwehr. Gedacht wird auch an tragische<br />

Leidenssituationen, in denen das Leiden mit<br />

medizinischen und sonstigen Mitteln nicht<br />

erträglich gestaltet werden kann und in<br />

denen dann eine Tötung des Lebens erwogen<br />

wird. Ob und inwiefern beim Schwangerschaftsabbruch<br />

aus psychosozialer Notlage<br />

oder aufgrund einer Krankheit des<br />

Feten und bei einer PID eine solche unausweichliche<br />

Situation vorliegt, kann hier<br />

nicht näher erörtert werden. Faktisch werden<br />

beide an sich zu unterscheidenden<br />

Argumente für einen „tödlichen“ Umgang<br />

mit menschlichem Leben meist miteinander<br />

kombiniert. Leitend ist dabei fast<br />

immer die Infragestellung dessen, dass das<br />

menschliche Leben, das man zu „selektieren“<br />

oder zu Forschungszwecken zu verbrauchen<br />

gedenkt, nicht unter dem uneingeschränkten<br />

Schutz der Menschenwürde<br />

steht. Dies ist auch bei allen Formen des<br />

Schwangerschaftsabbruchs deutlich.<br />

Bei keinem todbringenden Verbrauch<br />

von menschlichem Leben zu wissenschaftlichen<br />

Zwecken, auch solchen mit therapeutischer<br />

Zielsetzung, liegt eine solche<br />

Konflikt- oder Notwehrsituation zwischen<br />

Leben und Leben vor. Die therapeutischen<br />

Möglichkeiten, die sich aus solcher<br />

Forschung ergeben sollen, sind völlig offen<br />

und liegen überwiegend in einer mehr oder<br />

weniger fernen Zukunft. Von einer Konfliktsituation<br />

zwischen Leben und Leben kann<br />

hier also nicht geredet werden. Es ist ein<br />

rein theoretisch konstruierter Konflikt, kein<br />

echter Lebenskonflikt. Sicher gibt es in der<br />

Medizin Situationen, in denen durch die<br />

Überschreitung des Tötungsverbots anderen<br />

gegenwärtig lebenden kranken Menschen<br />

geholfen oder gar ihr Leben gerettet<br />

werden könnte, z.B. dadurch, dass man ster-<br />

36<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

benden Menschen, die ohnehin in absehbarer<br />

Zeit tot sein werden und die als Organspender<br />

in Frage kommen, schon vor ihrem<br />

Hirntod Organe entnimmt. Hier könnte<br />

man berechtigterweise von einer solchen<br />

Konfliktsituation zwischen Leben und<br />

Leben reden.<br />

Beispiel: Herr K., 38 Jahre alt, Vater von<br />

zwei Kindern unter zehn Jahren, hat um<br />

meinen Besuch gebeten. Infolge einer<br />

Hepatitis-C-Infektion ist sein Leben von<br />

einem Leberversagen bedroht. Die einzige<br />

Chance, sein Leben zu erhalten,<br />

besteht darin, dass ihm innerhalb von<br />

etwa zwei Tagen eine Leber transplantiert<br />

wird. Tags darauf werde ich in die<br />

Neurochirurgie gerufen. Ein 20-jähriger<br />

Mann ist mit einem schweren Schädel-<br />

Hirn-Trauma eingeliefert worden und<br />

liegt im Sterben. Die Eltern haben um<br />

ein Gespräch gebeten. Auf der Intensivstation<br />

erfahre ich, dass Herr S. noch<br />

weiter intensiv behandelt wird, weil er<br />

als Organspender in Frage komme. Man<br />

habe den Eltern diese Möglichkeit angedeutet.<br />

Die klinischen Anzeichen seien<br />

jetzt so eindeutig, dass man die Hirntoddiagnostik<br />

einleiten könne. Mein<br />

Gespräch mit den Eltern berührt auch<br />

die Möglichkeit der Organentnahme. Ich<br />

denke dabei an Herrn K. Das Organ des<br />

jungen Mannes könnte, wenn es einigermaßen<br />

passt, dessen Leben retten,<br />

vorausgesetzt, der Tod tritt bald ein. Unvermeidlich<br />

drängt sich die Frage auf,<br />

warum man eigentlich, wenn der Tod<br />

ohnehin notwendig bald eintreten wird,<br />

nicht jetzt schon mit einer Organentnahme<br />

beginnen darf, wenn ein<br />

anderes Leben damit gerettet werden<br />

kann. Aber schon nach dem Gespräch<br />

mit mir kommen die Eltern zum Entschluss,<br />

einer Organentnahme nicht<br />

zuzustimmen.<br />

Zwischen dem Umgang mit menschlichem<br />

Leben am Lebensanfang und am<br />

Lebensende bestehen – bei nicht zu leugnenden<br />

Unterschieden – viele Parallelen. So<br />

ist bei Herrn S. z.B. das Bewusstsein bereits<br />

erloschen und die „Potenzialität“ zu überleben<br />

aufgrund eines „schicksalhaften Geschehens“<br />

nicht mehr gegeben. Es besteht<br />

am Ende des Lebens aber Einigkeit darüber,<br />

dass diese Tatsachen nicht dazu berechtigen,<br />

den noch lebenden „Körper“ als<br />

Mittel zu fremdnützigen Zwecken wie die<br />

Organgewinnung oder zu wissenschaftlich-therapeutischen<br />

Forschungen zu gebrauchen<br />

und ihn dadurch schwer zu schädigen<br />

oder gar zu töten. Es gibt kein Recht<br />

auf Leben und Gesundheit, das um den<br />

Preis der schweren Schädigung oder gar<br />

Tötung anderer Menschen eingefordert<br />

werden kann.<br />

Überträgt man diese Überlegungen auf<br />

den Umgang mit Embryonen und anerkennt,<br />

dass auch frühe Embryonen unter<br />

dem uneingeschränkten Schutz der Menschenwürde<br />

stehen, so kann der Tatbestand,<br />

dass es rechtswidrig, entgegen den<br />

Bestimmungen des EschG’es erzeugte<br />

„überzählige“ Embryonen gibt, die ohnehin<br />

dem Tode geweiht sind, einen Verbrauch als<br />

„biologischer Rohstoff“, als reines Mittel zu<br />

fremdnützigen Zwecken keinesfalls ethisch<br />

rechtfertigen. Der dann einzig angemessene<br />

Umgang mit solchen überzähligen“<br />

Embryonen wäre der, dass man sie sterben<br />

lässt wie Menschenleben, das nicht mehr<br />

zu retten ist (z. B. bei spontanen Aborten,<br />

bei notwendig sterbenden Menschen).<br />

Sterbenlassen und Töten sind nicht nur am<br />

Lebensende, sondern auch am Lebensanfang<br />

grundsätzlich zu unterscheiden.<br />

Selbst wenn der Tod von Embryonen unvermeidbar<br />

ist, kann es noch einen ihrer Würde<br />

angemessenen achtungsvollen Umgang<br />

mit ihnen geben, wie wir ihn heute auch<br />

bei Spontanaborten, Spätabtreibungen und<br />

Totgeburten immer mehr pflegen (z. B.<br />

keine einfache Beseitigung mit „Organ-<br />

Abfällen“ aus menschlichen Körpern, sondern<br />

besondere anonyme „Sammel-Bestattungen“<br />

auf Friedhöfen).<br />

Auch das zusätzliche Argument, dass<br />

ein solcher verbrauchender Umgang mit<br />

Embryonen nur auf „hochrangige“ therapeutische<br />

Ziele eingegrenzt werden soll<br />

(vorausgesetzt man kann definieren, was<br />

darunter abgesehen von den jeweiligen<br />

Gruppeninteressen zu verstehen ist), vermag<br />

nicht darüber hinwegzutäuschen,<br />

dass damit gegenüber der ursprünglichen<br />

Zweckbestimmung der Embryonen, die<br />

Geburt eines Kindes zu ermöglichen, ein<br />

ethisch gesehen grundsätzlich anderer<br />

Zweck das Handeln bestimmt. Eine solche<br />

Änderung der Zweckbestimmung in einen<br />

fremdnützigen Verbrauch stellt ein ethisches<br />

Novum im wissenschaftlich-medizinischen<br />

Umgang mit menschlichem Leben<br />

dar. An die Stelle der Bestimmung zum<br />

Leben tritt die Bestimmung zum tödlichen<br />

Verbrauch. Er ist bisher auch zu hochrangigen<br />

therapeutischen Zwecken nur nach<br />

dem Tod des Menschenlebens ethisch<br />

erlaubt und rechtlich gebilligt (z.B. Organentnahme,<br />

Sektionen). Im Wissen darum<br />

argumentieren fast alle Befürworter einer<br />

verbrauchenden Forschung mit Embryonen<br />

nie allein mit der Relativierung des Tötungsverbots<br />

in einer Notwehr- und Konfliktsituation,<br />

sondern meist primär mit der<br />

Relativierung des moralischen Status früher<br />

menschlicher Embryonen, der wenigstens<br />

so niedrig angesetzt wird, dass diese<br />

nicht unter dem uneingeschränkten Schutz<br />

der jedem Menschenleben zukommenden<br />

Würde und damit auch nicht unter den des<br />

Tötungsverbot zu stehen kommen.


5. Ethik der Achtung –<br />

Menschenwürde gegen<br />

eine Ethik des Heilens?<br />

Es ist eine schiefe Alternative, wenn<br />

man eine Ethik, die Prinzipien geltend<br />

macht, gegen eine an den Folgen des<br />

Handelns orientierte Verantwortungsethik,<br />

in unserem Fall eine „Ethik des Heilens“,<br />

ausspielt. Die Aufgabe der Medizin, Krankheiten<br />

zu heilen und Leiden zu lindern, wurzelt<br />

in der Achtung der Menschenwürde<br />

allen Menschenlebens, die nur solche<br />

Mittel erlaubt sein lässt, die nicht das<br />

Lebensrecht anderen Menschenlebens verletzen<br />

(GG Art.2). Die Beachtung dieses<br />

ethischen Prinzips bildet die Grundlage der<br />

„Erklärung von Helsinki“ (1964, 7. Fassung<br />

2000) zur medizinischen Forschung an<br />

Menschen. Sie entstand auf dem Boden der<br />

Erkenntnisse aus den Nürnberger Prozessen<br />

gegen Ärzte im „Dritten Reich“. Der Arzt<br />

V. v. Weizsäcker hat in diesem Zusammenhang<br />

1947 darauf hingewiesen, dass der<br />

ungeheure Kampf der Medizin für die<br />

Gesundheit einerseits und der experimentelle<br />

und vernichtende Umgang mit angeblich<br />

„bloß biologischem“ und „lebensunwertem“<br />

Leben andererseits nur die zwei<br />

Seiten ein- und derselben Medaille seien,<br />

nämlich der Glorifizierung der Gesundheit<br />

und des diesseitigen Lebens als höchste<br />

Güter und eines transzendenzlosen, gottlosen<br />

Verständnisses vom Menschsein, das<br />

keine ewige Vollendung irdischen Lebens<br />

und daher keinen einzigartigen Wert des<br />

Menschenlebens mehr anerkenne und deshalb<br />

Leben auch als Mittel zu fremdnützigen,<br />

angeblich „höheren“ Zwecken verbrauchen<br />

kann, wenn es ohnehin nicht zu heilen,<br />

„wertlos“ im Sinne von „nutzlos“ und<br />

dem Tod geweiht ist.<br />

Es ist eine Illusion zu glauben, dass die<br />

durch Krankheit, Altern und Tod aufgeworfenen<br />

Probleme sich durch weitere technische<br />

Fortschritte der Medizin lösen lassen.<br />

Es gibt hinreichend Indizien, dass sie sich<br />

damit immer mehr verschärfen, dass die<br />

Zahl der unheilbar kranken und pflegebedürftigen<br />

Menschen sich dadurch stetig erhöht<br />

und dies zu sozialen und ökonomischen<br />

Problemen führen wird, die immer<br />

mehr zur Infragestellung der Menschenwürde<br />

und Menschenrechte der unheilbaren<br />

und hilfsbedürftigsten Menschen führen<br />

werden. Dann wird ganz deutlich werden,<br />

dass sich die Humanität einer Gesellschaft<br />

weniger daran zeigt, ob sie diese<br />

oder jene Krankheit medizinisch-technisch<br />

besser behandeln kann, als vielmehr daran,<br />

wie sie mit den „Unheilbaren“ umgeht. Angesichts<br />

dieser absehbaren Entwicklung<br />

sind alle medizinischen Methoden und wissenschaftlich-therapeutischenExperimente,<br />

die nur durch eine Veränderung des Verständnisses<br />

von Menschenwürde in Richtung<br />

einer „Anti-Äquivalenz-Theorie“ von<br />

Menschenwürde und Leben gerechtfertigt<br />

werden können, ethisch und rechtlich<br />

äußerst bedenklich, ja sie sollten verboten<br />

bleiben, weil sie die Türen zu Lebensunwerturteilen<br />

und weitergehenden Verfügungen<br />

über Menschenleben und einem<br />

sehr eingeschränkten Schutz des unheilbar<br />

kranken und schwerstpflegebedürftigen<br />

Lebens öffnen.<br />

Dazu gehört neben jedem verbrauchenden<br />

Umgang mit Embryonen nicht zuletzt<br />

auch die Prä-Implantations-Diagnostik<br />

(PID), da sie zu ihrer Entwicklung notwendig<br />

Embryonen verbrauchen muss, sie notwendig<br />

„überzählige“, auch gesunde<br />

Embryonen erzeugt und vor allem, weil die<br />

PID ein medizinisch-diagnostisches Verfahren<br />

darstellt, eine „mangelnde Lebensqualität“<br />

festzustellen, die die bewusste Tötung<br />

von Menschenleben rechtfertigen soll.<br />

Eine rechtliche Billigung der PID würde<br />

daher gleichbedeutend sein mit der Billigung<br />

von „negativen Lebenswerturteilen“,<br />

die das Lebensrecht in Frage stellen. Damit<br />

ist deutlich, dass die Anerkennung der<br />

Menschenwürde (GG Art. 1) und der ihr entsprechenden<br />

Menschenrechte, bis hin zum<br />

Lebensrecht (Art. 2), vom Gegebensein bestimmter<br />

Lebensqualitäten abhängig gemacht<br />

und zugleich gegen GG Art. 3,3 verstoßen<br />

wird, nach dem niemand aufgrund<br />

einer Behinderung benachteiligt werden<br />

darf. Gerade die rechtliche Billigung von<br />

negativen „Lebenswerturteilen“ und entsprechenden<br />

Selektionsverfahren im vorgeburtlichen<br />

Bereich kann auf lange Frist – bei<br />

wachsendem sozial-ökonomischen Druck,<br />

der von den schwerstpflegebedürftigen<br />

Menschen ausgeht – nicht ohne Auswirkungen<br />

auf das geborene Leben, insbesondere<br />

auf behinderte und hirnorganisch<br />

geschädigte Menschen (z. B. Demenzen)<br />

bleiben. Es entsteht also zugleich die Frage,<br />

ob solche Urteile und mit welchen Begründungen<br />

sie nur auf bestimmte Stadien<br />

am Anfang des Lebens begrenzt, ob sie<br />

nicht auf alle Stadien des vorgeburtlichen<br />

und des geborenen Lebens, wenigstens<br />

aber auf alle Grenzbereiche des Lebens ausgedehnt<br />

werden dürfen, zumal Argumentationen,<br />

die in einem Bereich des Lebens<br />

und der Medizin als zutreffend anerkannt<br />

werden, in anderen, aber ähnlich gelagerten<br />

Lebenssituationen nicht grundsätzlich<br />

falsch sein können.<br />

Wenn der Gesetzgeber Menschenleben<br />

unabhängig von seinen Lebensqualitäten<br />

unter den uneingeschränkten Schutz der<br />

Menschenwürde stellen will, dann muss er<br />

es von Anfang dieses Lebens an bis zu seinem<br />

Ende tun. So gesehen ist die Alternative<br />

zwischen einer Ethik, die Prinzipien geltend<br />

macht (z.B. uneingeschränkte Achtung<br />

der Würde allen Menschenlebens, des<br />

Tötungsverbots), und einer (Verantwortungs-)Ethik,<br />

die von den Folgen her denkt<br />

(z. B. „Ethik des Heilens“), nicht aufrecht zu<br />

erhalten, denn das Insistieren auf der<br />

uneingeschränkten Beachtung grundle-<br />

gender ethischer Prinzipien wie der Menschenwürde<br />

allen leibhaften Menschenlebens<br />

und dem Tötungsverbot dient dem<br />

Schutz des Lebens aller Menschen, insbesondere<br />

des Lebens der schwächsten Menschen,<br />

die ihre (Menschen-)Rechte nicht<br />

oder nicht mehr selbst geltend machen<br />

können, und dem Gelingen des Lebens aller<br />

Menschen in der Gemeinschaft der Menschen,<br />

sie sind also keine abstrakten oder<br />

gar lieblosen und lebensfeindlichen Prinzipien,<br />

sondern dienen dem Leben, schützen<br />

es, und dienen nicht zuletzt der „moralischen<br />

Gesundheit“ einer Gesellschaft,<br />

indem in der Gesellschaft nicht die Kräfte<br />

der Liebe und der Achtung vor unheilbarem<br />

Menschenleben ausgehöhlt werden, ohne<br />

Literatur des Verfassers zum Thema:<br />

U. Eibach: Gentechnik und Embryonenforschung<br />

– Leben als Schöpfung<br />

aus Menschenhand? Wuppertal (R.<br />

Brockhaus) 2. Aufl. 2005<br />

die letztlich keiner leben kann. Es wäre<br />

gefährlich, wenn man alle Hoffnung auf<br />

das medizintechnische „Wegmachen“ von<br />

Krankheiten setzt und zu diesem Zweck<br />

diejenigen moralischen Grundlagen in der<br />

Gesellschaft untergräbt, die die Sorge für<br />

ein menschenwürdiges Leben in den gerade<br />

durch die Erfolge der Medizin immer<br />

häufiger werdenden Zuständen langer<br />

chronischer Krankheit und Pflegebedürftigkeit<br />

gebieten. Alle „Ethik des Heilens“ wurzelt<br />

in der Achtung der Menschenwürde<br />

und Menschenrechte allen Menschenlebens<br />

und ist ihr uneingeschränkt ein-<br />

und unterzuordnen. Nur bei einer uneingeschränkten<br />

Beachtung dieses und anderer<br />

fundamentaler ethischer Grundsätze<br />

wird sich die fortschreitende wissenschaftliche<br />

Beherrschung menschlichen Lebens<br />

nach ethischen Kriterien steuern lassen<br />

und die Ethik sich nicht in die Position<br />

abgedrängt sehen, dass sie die wissenschaftlichen<br />

und therapeutischen Zielsetzungen<br />

der Biomediziner primär ethisch<br />

so legitimiert, dass sie in der Gesellschaft<br />

akzeptiert und vom Gesetzgeber rechtlich<br />

gebilligt werden. >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 37


6. Schlussfolgerungen für die<br />

embryonale Stammzellforschung<br />

Das Stammzellgesetz von 2002 stellt<br />

einen politischen Kompromiss dar, mit dem<br />

die meisten Bundestagsabgeordneten gemäß<br />

dem EschG ein verändertes Verständnis<br />

von Menschenwürde abwehren und<br />

doch die Forschung mit im Ausland gewonnenen<br />

embryonalen Stammzellen ermöglichen<br />

wollten. Damit sollte ein weitergehender<br />

verbrauchender Umgang mit<br />

Embryonen (etwa zum Zweck der PID) verhindert<br />

werden und ein „Rechtsfrieden“<br />

erhalten werden. Dieses Bemühen ist politisch<br />

anerkennenswert. Der Kompromiss ist<br />

aber auf ethischer Ebene kaum begründbar,<br />

weil er letztlich – insbesondere aufgrund<br />

der Verschiebung des Stichtags von 2002<br />

auf 2007 – einer ethischen Billigung eines<br />

verbrauchenden Umgangs mit Embryonen<br />

im Ausland nahe oder gleich kommt, sie für<br />

Deutschland aber ethisch ablehnt.<br />

38<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Die einzig ethisch schlüssige Forderung<br />

wäre, eine Herstellung von embryonalen<br />

Stammzellen und damit einen verbrauchenden<br />

Umgang mit Embryonen auch in<br />

Deutschland zu erlauben, der dann aber<br />

wohl kaum auf die Gewinnung von Stammzellen<br />

zu begrenzen wäre und keinesfalls<br />

nur die Selektion von Embryonen bei der<br />

PID einschließen würde. Ein solcher Schritt<br />

impliziert aber ein verändertes Verständnis<br />

von Menschenwürde im Sinne der „Antiäquivalenztherorie“<br />

von Menschenwürde<br />

und Leben, die behauptet, dass es biologisch<br />

menschliches Leben gibt, das aufgrund<br />

fehlender Lebensqualitäten nicht<br />

unter dem Schutz der Menschenwürde<br />

steht. Dieser Schritt hat weitgehende<br />

Folgen auch für den Schutz schwer behinderten<br />

und schwer kranken, vor allem hirnorganisch<br />

versehrten Menschenlebens.<br />

Wer diese Veränderung des Verständnisses<br />

von Menschenwürde aufgrund z.B.<br />

christlicher Überzeugungen ablehnt und<br />

damit auch an der Geltung des Tötungsverbots<br />

für alles menschliche Leben festhält,<br />

der kann auch eine Herstellung von<br />

embryonalen Stammzellen und damit eine<br />

Tötung von Embryonen zu diesem Zweck<br />

nur ethisch ablehnen und muss auch den<br />

politisch-rechtlichen Kompromiss sehr kritisch<br />

sehen. Dies hat nichts mit einer verantwortungslosen<br />

„Prinzipienreiterei“ zu<br />

tun, die kein Verständnis für leidende<br />

Menschen hat, denen von der Forschung<br />

mit embryonalen Stammzellen Heilung<br />

versprochen wird. Vielmehr dient die uneingeschränkte<br />

Beachtung dieser ethischen<br />

Prinzipien – auch in der Gesetzgebung –<br />

dem Schutz und der Achtung des Lebens<br />

aller, insbesondere aber des Lebens der<br />

unheilbaren Menschen. Zudem gibt die<br />

Entwicklung der Forschung mit Stammzellen<br />

denen recht, die medizinisch aussichtsreiche<br />

Therapien nur auf der Basis der<br />

Arbeit mit adulten Stammzellen gegeben<br />

sehen.<br />

Autologe adulte koronare Stammzelltransplantation<br />

VON PD DR. CHRISTIANA MIRA SCHANNWELL<br />

Ganz im Gegensatz zur Gewinnung von Stammzellen aus Embryonen macht die Entwicklung von Therapien aus<br />

adulten Stammzellen längst erheblich größere Fortschritte: Dies zeigte der lebendige und anschauliche Vortrag von<br />

Dr. Christiana Mira Schannwell, Privatdozentin an der Uni-Klinik in Düsseldorf, beim Aktiventag in Essen. Gerade erst<br />

mit einem begehrten US-amerikanischen „Research Award“ geehrt, verzeichneten die von ihr vorgestellten und in<br />

Deutschland entwickelten neuen Verfahren zur Behandlung von Herzinfarktpatienten eine sprunghafte Anwendung weltweit.<br />

Alle Daten zur Therapie mit Stammzellen nach einem akuten Herzinfarkt zeigten Spitzenergebnisse zu Verträglichkeit,<br />

Wohlbefinden des Patienten, Krankheitsverlauf und -dauer. Nebeneffekte seien nicht zu beobachten. Vor allem:<br />

Für den Einsatz von adulten Zellen aus dem Knochenmark des Menschen gebe es – im Gegensatz zu den embryonalen<br />

Stammzellen – keine ethischen Probleme. Im Folgenden dokumentieren wir Ihren Vortrag.<br />

Am 30. März 2001 wurde am Düsseldorfer<br />

Heinrich-Heine-Universitätsklinikum<br />

durch Professor Dr. B. E. Strauer weltweit<br />

der erste Patient nach einem Herzinfarkt<br />

mit adulten Stammzellen behandelt. Das<br />

Verfahren wurde von Professor Dr. B. E.<br />

Strauer entwickelt.<br />

Vor mehreren Jahren gelang es bei dem<br />

experimentellen Herzinfarkt der Maus,<br />

durch Injektion von körpereigenen Mausstammzellen<br />

eine Regeneration des Herzmuskelgewebes<br />

zu erreichen. Dies war der<br />

Ansatz, auch in der Klinik, beim akuten und<br />

chronischen Infarkt des Patienten, eine<br />

Myokardregeneration mit körpereigenen<br />

Stammzellen zu erreichen.<br />

1,3 Millionen Menschen in Deutschland<br />

haben eine Herzschwäche, pro Jahr kommen<br />

in Deutschland 116.000 Patienten mit<br />

Herzschwäche dazu. Die Herzschwäche hat<br />

eine schlechte Prognose: nach fünf Jahren<br />

ohne adäquate Behandlung sind 50 Prozent<br />

der Patienten bereits verstorben.<br />

Die Herzschwäche ist durch das Unvermögen<br />

des Herzens gekennzeichnet, sich<br />

selbst und andere Organe ausreichend mit<br />

Blut und Sauerstoff zu versorgen. Herzschwäche<br />

entsteht am häufigsten durch<br />

Herzinfarkte, Bluthochdruck und Herzmuskelentzündungen.<br />

Sie ist eine der gravierendsten<br />

Erkrankungen in Deutschland<br />

und trägt zur hohen Sterblichkeit der Herzkrankheiten<br />

bei. Neben Allgemeinmaßnahmen<br />

(Meiden von Kochsalz, Flüssigkeitsrestriktion,<br />

milde Bewegungen etc.)<br />

sind medikamentöse Maßnahmen sinnvoll<br />

(z. B. herzunterstützende Medikamente,<br />

Entwässerungsmedikamente). Wenn diese<br />

Maßnahmen nicht greifen, so kann durch<br />

eine Reihe von anderen Verfahren eine Besserung<br />

der Herzschwäche additiv erreicht


werden: Einsatz bestimmter Masken-Beatmungsverfahren,<br />

die nächtlich eingesetzt<br />

werden, dosierte Trainingsprogramme, die<br />

bei Herzschwäche, nicht zuletzt auch durch<br />

eine Freisetzung von die Herzkraft stärkenden<br />

Stammzellen erreicht werden. Ferner<br />

lässt sich in den Endstadien, durch maschinelle<br />

Verfahren eine Behandlung der Herzinsuffizienz<br />

erreichen.<br />

Akuter Herzinfarkt<br />

Die akute Behandlung des Herzinfarktes<br />

hat zum Ziel, eine möglichst rasche<br />

Wiedereröffnung der verschlossenen Herzkranzarterie<br />

(= Infarktgefäß) zu erreichen.<br />

Durch die Verfügbarkeit von Ballonverfahren<br />

und Stent-Techniken ist es möglich<br />

geworden, den akuten Verschluss einer<br />

Herzkranzarterie, der zum Herzinfarkt führte,<br />

rückgängig zu machen und das Gefäß<br />

wieder zu öffnen. Allerdings wird damit<br />

lediglich die Durchblutung wieder hergestellt,<br />

der untergegangene Herzmuskel<br />

wird dadurch nicht regeneriert. Somit stellt<br />

das Ballonverfahren mit seinen Alternativen<br />

(Stent, Laser etc.) eine sehr wirksame,<br />

wenn aber auch nur symptomatische<br />

Therapiemöglichkeit im akuten und Postinfarktstadium<br />

dar. Eine Kausaltherapie<br />

wäre wünschenswert, indem zum Beispiel<br />

das zugrunde gegangene Herzmuskelgewebe<br />

wieder regeneriert würde.<br />

Durch die akute Wiedereröffnung des<br />

Infarktgefässes soll die Infarktzone begrenzt,<br />

eine durch Umbauvorgänge verursachte<br />

Ausdehnung des Infarktareals gebremst<br />

und schlussendlich akute und langfristige<br />

Komplikationen verhindert werden.<br />

Trotz der Verbesserungen der Therapiemaßnahmen<br />

steht die Nekrose (= Absterben)<br />

von Herzmuskelzellen nach wie vor im<br />

Mittelpunkt des Krankheitsgeschehens,<br />

weil sie einen irreversiblen Verlust an<br />

kontraktiler Substanz bedeutet.<br />

Das Herz verfügt nicht über die Möglichkeit,<br />

einmal verlorengegangenes Herz-<br />

muskelgewebe sowie kleine Herzgefäße<br />

wie Arteriolen und Kapillaren zu ersetzen.<br />

Die eintretende Defektheilung mit Narbenbildung<br />

führt im chronischen Infarktstadium<br />

in 30 Prozent der Patienten zu einem<br />

fehlerhaften strukturellen Umbau des Restventrikels<br />

aufgrund einer kontraktilen<br />

Überlastung der Herzmuskelzellen mit<br />

einer konsekutiven progredienten Pumpfunktionsverschlechterung<br />

(Remodeling).<br />

Trotz einer adäquaten medikamentösen<br />

Mehrfachtherapie stellt die Herzschwäche<br />

eine den Patienten in seiner Lebensqualität<br />

einschränkende, in seiner Lebenserwartung<br />

limitierende sowie das Gesundheitswesen<br />

durch Folgekosten belastende Erkrankung<br />

dar.<br />

Für das neue therapeutische Verfahren,<br />

die intrakoronare autologe Stammzelltherapie,<br />

wird in schonender Weise etwa 80<br />

ml Knochenmarkblut aus dem Beckenkamm<br />

entnommen. Die mononukleäre<br />

Zellfraktion des Knochenmarks kann außerhalb<br />

des Körpers von den übrigen Knochenmarkzellen<br />

separiert werden. Diese mononukleären<br />

Zellen werden ca. vier Stunden<br />

später bei einer erneuten Herzkatheteruntersuchung<br />

direkt in die eröffnete Herzkranzarterie<br />

– welche relevant eingeengt<br />

war oder vormals den Herzinfarkt ausgelöst<br />

hatte – zurückgegeben.<br />

Eine wichtige Voraussetzung der Wirksamkeit<br />

der Stammzelltherapie ist die<br />

Erreichbarkeit der sogenannten Randzone<br />

durch die mononukleären Knochenmarkzellen,<br />

d. h. derjenigen Zone, die im Randgebiet<br />

des Infarktes zum gesunden Gewebe<br />

besteht. Man weiß, dass in dieser<br />

Zone die Zellerneuerungsraten viermal so<br />

hoch sind wie im normalen Herzmuskel.<br />

Mittels der in Düsseldorf entwickelten<br />

Ballontechnik war es möglich gewesen,<br />

die unter „Good Manufactoring Practice“-<br />

Bedingungen, entsprechend den Paul-<br />

Ehrlich-Bedingungen aufgearbeiteten<br />

Knochenmarkzellen konzentriert in die<br />

Randzone zu injizieren und zu transplantieren,<br />

so dass damit eine Anreicherung dieser<br />

Zellen dort deponiert werden kann. Dies<br />

war eine wichtige Voraussetzung, dass die<br />

Zelltherapie Wirkung entfaltete.<br />

Der genaue Wirkmechanismus der Zellen<br />

ist allerdings noch nicht vollständig erforscht.<br />

Zum einen veränderen und beschleunigen<br />

die Stammzellen lokal den<br />

Umbau des Gewebes, zum anderen bildeten<br />

sie kleine Gefäße, die dann zu einer<br />

besseren Durchblutung führen.<br />

Systematische Nachuntersuchungen<br />

aller Patienten nach der Stammzelltransplantation<br />

nach akutem Herzmuskelinfarkt<br />

haben ergeben, dass der Effekt noch nach<br />

Jahren messbar ist. Es konnte eine Verbesserung<br />

der Pumpfunktion und Durchblutung<br />

des Herzmuskels sowie eine signifikante<br />

Reduktion der Infarktgröße dokumentiert<br />

werden. Die Stammzelltherapie<br />

beim akuten Herzinfarkt war in quasi allen<br />

Fällen wirksam, wenn auch nicht immer<br />

gleichermaßen ausgeprägt, dass sie zu einer<br />

Verbesserung der Herzleistung führt, zu<br />

einer Verbesserung der Durchblutung; die<br />

Stammzelltherapie beim akuten Herzinfarkt<br />

in quasi allen Fällen wirksam ist,<br />

wenn auch nicht immer gleichermaßen<br />

ausgeprägt, dass sie zu einer Verbesserung<br />

der Herzleistung führt, zu einer Verbesserung<br />

der Durchblutung und zu einer<br />

Verbesserung des Herzstoffwechsels bei<br />

ehemals nekrotischem, d.h. abgestorbenem<br />

Herzmuskelgewebe. Eine erneute Verschlechterung<br />

der Herzpumpfunktion<br />

wurde bisher 7,5 Jahre nach der ersten<br />

intrakoronaren autologen Stammzelltransplantation<br />

nicht gesehen.<br />

Diese Therapie ist gefahrlos zu<br />

handhaben und verbessert nachweislich<br />

Durchblutung, Herzkraft und Herzgröße.<br />

Bei keinem der Patienten bzw.<br />

keiner der Patientinnen, die bisher mit<br />

eigenen Knochenmarkstammzellen intrakoronar<br />

behandelt worden sind, wurden<br />

bisher Nebenwirkungen festgestellt, die<br />

mit der Stammzelltherapie zusammenhängen.<br />

>><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 39


Chronisch ischämische<br />

Herzerkrankung<br />

Auf der Basis der Randzonenüberlegungen<br />

und des überzeugenden Erfolgs der<br />

intrakoronaren autologen Stammzelltherapie<br />

nach akutem Herzinfarkt wurde<br />

die zweite Indikation geschaffen, nämlich<br />

die Behandlung des chronischen Herzinfarktes<br />

mittels Knochenmarksstammzellen.<br />

Chronischer Herzinfarkt bedeutet,<br />

dass die Patienten viele Jahre vor der jetzigen<br />

Stammzelltherapie einen Herzinfarkt<br />

durchgemacht hatten und in der Folgezeit<br />

eine Herzschwäche, Herzrhythmusstörungen,<br />

Herzversagen oder Luftnot und<br />

andere Symptome erlitten. In den Spätstadien<br />

resultieren die Summe der strukturellen<br />

und funktionellen Umbauvorgänge<br />

mit Herzerweiterung, weiterer Funktionsabnahme<br />

(„Remodeling“).<br />

Auch wenn es in den letzten Jahren<br />

möglich geworden ist, durch die Summe<br />

der verfügbaren medikamentösen und interventionellen<br />

Therapiemaßnahmen eine<br />

Reduktion der Sterblichkeit zu<br />

erreichen, so ist nach wie vor das<br />

Pumpversagen und der akute<br />

rhythmogene Herztod derartig<br />

sterblichkeitspotent, dass immer<br />

noch mehr als die Hälfte<br />

aller Herztodesfälle auf dem<br />

Boden von Herz-Kreislauferkrankungen<br />

auftreten. Damit ist die<br />

Todesrate an Herz-Kreislauferkrankungen<br />

doppelt so hoch<br />

wie die Summe aller malignen<br />

Tumoren (Geschwulstformen).<br />

Es wurde demzufolge eine<br />

Behandlungsstudie in der Düsseldorfer<br />

Universitätsklinik initiiert<br />

und abgeschlossen, die als<br />

IACT-Studie (Intracoronary Autologous<br />

Bone Marrow Cell Transplantation<br />

in Chronic Coronary<br />

Artery Disease) in die Weltliteratur<br />

eingegangen ist. Es konnte<br />

erstmals gezeigt werden, dass<br />

auch im chronischen Infarktstadium<br />

durch die intrakoronare<br />

Gabe autologer, angereicherter<br />

mononukleärer Zellen aus dem<br />

Knochenmark eine deutliche<br />

(30 Prozent) Regeneration des<br />

infarzierten Muskelbereichs erreicht<br />

werden kann und dass<br />

damit Beschwerden, Medikamentenverbrauch,<br />

Leistungsfähigkeit der Patienten<br />

und Herzinfarktkomplikationen vermindert<br />

werden konnten.<br />

Die Methode der intrakoronaren autologen<br />

Stammzelltransplantation ist wie bei<br />

den Patienten nach akutem Herzinfarkt.<br />

Aus dem Beckenkamm wird das Knochenmarkblut<br />

entnommen und die mononukleären<br />

Zellen von den übrigen Knochenmarkszellen<br />

separiert. Ca. vier Stunden spä-<br />

40<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

ter bei einer erneuten Herzkatheteruntersuchung<br />

wird die autologe Stammzellsuspension<br />

direkt in die Arterie – welche<br />

vormals den Herzinfarkt ausgelöst hatte –<br />

zurückgegeben.<br />

Bei Patienten mit einem akuten und einem<br />

länger zurückliegenden Herzinfarkt<br />

führte die intrakoronare autologe Stammzelltransplantation<br />

zu einer Verbesserung<br />

der Durchblutung und zu einer Verbesserung<br />

der Pumpfunktion, und dadurch<br />

bedingt zu einer verbesserten Leistungsfähigkeit<br />

der Patienten.<br />

Dilatative<br />

Herzmuskelerkrankung<br />

Bei der therapieresistenten Herzinsuffizienz,<br />

also der Herzschwäche in fortgeschrittenen<br />

Stadien, auf dem Boden<br />

einer dilatativen Kardiomyopathie (einem<br />

vergrößerten Herzen ohne Nachweis einer<br />

koronaren Herzerkrankung oder eines Bluthochdrucks)<br />

konnte in Düsseldorf erstmalig<br />

durch eine Stammzelltherapie<br />

(körpereigene Stammzellen werden<br />

verwendet) eine deutliche<br />

Besserung der Pumpfunktion<br />

und eine Verbesserung der<br />

Lebensqualität erreicht werden.<br />

Bei Patienten mit Herzschwäche<br />

wird versucht mit den<br />

unterschiedlichsten Maßnahmen<br />

die Herzschwäche ursächlich<br />

zu behandeln. Dies ist jedoch<br />

leider häufig nicht möglich oder<br />

gelingt nicht erfolgreich. Dadurch<br />

kann die Herzleistung in<br />

Zukunft weiter eingeschränkt<br />

bleiben oder auch noch im Laufe<br />

der Zeit schlechter werden.<br />

Wieder erfolgt die Entnahme des<br />

Knochenmarkblutes aus dem<br />

Beckenkamm. Durchschnittlich<br />

wird 80 ml Knochenmarkblut<br />

entnommen und die mononukleäre<br />

(Zellen mit nur einem<br />

Kern) Zellfraktion des Knochenmarks<br />

außerhalb des Körpers<br />

von den übrigen Knochenmarkzellen<br />

getrennt. Die mononukleären<br />

Zellen (20 ml Stammzellsuspension)<br />

werden intrakoronar<br />

sowohl in die rechte Herzkranzarterie<br />

als auch in die linke<br />

Koronararterie distal des mittels low-dose<br />

PTCA aufgedehnten Ballons gegeben.<br />

Während der Transplantation (Übertragung<br />

von Zellen) der autologen (aus dem<br />

Körper entstanden, nicht von außen eingebracht)<br />

Zellen wird der Herzschlag der<br />

Patienten vorübergehend durch eine medikamentöse<br />

Behandlung leicht gesteigert,<br />

um die Implantation der Zellen in das<br />

schlecht pumpende Herzmuskelareal zu<br />

verbessern. Diese Form der Therapie (Be-<br />

handlung) wird „intrakoronare (in das<br />

Herzkranzgefäß) autologe Stammzelltherapie“<br />

genannt.<br />

Eine Kontroll-Untersuchung wird nach<br />

drei Monaten, nach zwölf Monaten und<br />

nach 60 Monaten durchgeführt. Die Resultate<br />

der Düsseldorfer ABCD (Autologous<br />

Bone Marrow Cells in Dilated cardiomyopathy)-Studie<br />

zeigen eindrucksvoll sowohl<br />

eine Verbesserung der Auswurffraktion, der<br />

Lebensqualität und Reduktion der Sterblichkeit.<br />

PD Dr. Dr. Christiana Mira Schannwell, Heinrich-Heine-Universität<br />

Düsseldorf, Medizinische<br />

Klinik und Poliklinik B, Stellvertretende<br />

Klinikdirektorin und Oberärztin der Klinik für<br />

Kardiologie, Pneumologie und Angiologie<br />

Mögliche Beschwerden,<br />

unerwünschte Ereignisse<br />

und Risiken<br />

Neben dem erwarteten Nutzen können<br />

mögliche Risiken nicht 100 Prozent ausgeschlossen<br />

werden. Die Patienten unterziehen<br />

sich invasiven (in den Körper eindringenden)<br />

Standardeingriffen (Knochenmarkspunktion,<br />

Herzkatheteruntersuchung), welche<br />

für diese Therapieform notwendig sind. Alle<br />

diese Eingriffe werden in dem Düsseldorfer<br />

Universitätsklinikum jedoch routinemäßig<br />

durchgeführt und sind in der Regel ohne<br />

wesentliche Nebenwirkungen durchführbar.<br />

Über die Eingriffe und die damit verbundenen<br />

Risiken werden die Patienten<br />

gesondert aufgeklärt.<br />

Die Zellen werden in einem Labor (Institut<br />

für Transplantationsdiagnostik und<br />

Zelltherapeutika), welches für den Einsatz<br />

von Zelltherapieverfahren am Menschen<br />

zugelassen ist, in circa vier Stunden kultiviert.<br />

Sämtliche Voruntersuchungen haben<br />

zeigen können, dass dieses Verfahren sicher<br />

ist und keine unerwünschten Nebenwirkungen<br />

auftreten.


Mit dem in der Düsseldorfer Kardiologie<br />

entwickeltem Verfahren der adulten autologen<br />

Stammzelltransplantation wurden in<br />

Düsseldorf selbst bereits ca. 450 Patienten<br />

und weltweit ca. 6.000 Patienten erfolgreich<br />

behandelt. Die derzeitigen Indikationen<br />

aus kardialer Sicht betreffen den akuten<br />

Herzinfarkt, das chronische Postinfarktstadium<br />

(bis zu 14 Jahre nach Infarkt), sowie<br />

die chronische Herzmuskelschwäche (Herzinsuffizienz)<br />

auf dem Boden von Herzmuskelerkrankungen<br />

(Myokarditis, dilatative<br />

Kardiomyopathie). Es ist zu erwarten, dass<br />

auch andere Herzerkrankungen, zum Beispiel<br />

lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen,<br />

durch die autologe Stammzelltransplantation<br />

erheblich gebessert<br />

werden können.<br />

Zwischenzeitlich konnte auch nachgewiesen<br />

werden, dass eine wiederholte<br />

Gabe von autologen Stammzellen zu einer<br />

additiven Verbesserung bei allen Patienten<br />

geführt hat.<br />

Periphere arterielle Verschlusskrankheit<br />

(Raucherbein, Schaufensterkrankheit)<br />

Weltweit erstmalig im Jahre 2005 konnte<br />

im Universitätsklinikum Düsseldorf die<br />

Stammzelltherapie beim diabetischen Fuss<br />

und bei der fortgeschrittenen peripheren<br />

Verschlusskrankheit (Schaufensterkrankheit,<br />

Raucherbein) eingesetzt werden: Durch die<br />

kombinierte intraarterielle und intramuskuläre<br />

Transplantation von autologen adulten<br />

Knochenmarksstammzellen gelang es, die<br />

Gehstrecke der behandelten Patienten um<br />

ein Vielfaches zu steigern, die Beinschmerzen<br />

zu beseitigen sowie das „offene“ Bein<br />

zum Abheilen zu bringen. Derzeit wurden<br />

über 50 Patienten mit diesem in der Düsseldorfer<br />

Klinik entwickelten Verfahren erfolgreich<br />

behandelt. Es konnte gezeigt werden,<br />

dass die Durchblutung und außerdem die<br />

Gehstrecke verbessert werden konnte.<br />

Wenn auch die Wirkmechanismen dieser<br />

Zelltherapie bis heute nicht eindeutig<br />

geklärt sind (Zytokininduzierte Muskelzellregeneration?,<br />

und/oder Gefäßneubildung?,<br />

Mobilisierung intrinsischer Stammzellen?)<br />

ist davon auszugehen, dass damit<br />

eine wirksame Kausaltherapie verfügbar<br />

geworden ist, die nicht nur zur Linderung<br />

der Beschwerden, Verbesserung der Leistungsfähigkeit<br />

und Abnahme der Infarktkomplikationen<br />

führt, sondern auch eben<br />

durch den kausaltherapeutischen Ansatz<br />

zu Reduktion herz- und gefäßbedingter<br />

Spätschäden mit Abnahme der Hospitalisationsfrequenz,<br />

mit Medikamentenreduktion<br />

und weniger Herztodesfällen. Auch<br />

unter Kostengesichtspunkten ist daher<br />

diese neuartige Therapieform, die zwischenzeitlich<br />

von den Krankenkassen mit<br />

einer eigenen DRG-Ziffer ausgestattet<br />

wurde, zu begrüßen und wichtig.<br />

Zusammenfassung<br />

1. Für den Einsatz adulter Stammzellen<br />

aus dem Knochenmark des Menschen<br />

gibt es, im Gegensatz zu embryonalen<br />

Stammzellen, keine ethischen Probleme.<br />

2. Die klinische Therapie wird mittels<br />

üblicher Herzkathetertechniken durchgeführt<br />

(PTCA). Der Zeitfaktor beträgt<br />

ca. 30 bis 40 Minuten.<br />

3. Bei schwerer Herzschwäche steigt die<br />

körperliche Leistungsfähigkeit nach der<br />

Therapie deutlich an. Die spiroergometrische<br />

Sauerstoffaufnahme nimmt um<br />

zehn bis 15 Prozent zu.<br />

4. Die Auswurffraktion des linken Ventrikels<br />

nimmt um acht bis 15 Prozent zu.<br />

5. Die Herzmuskeldurchblutung (Myokardszintigraphie)<br />

sowie die Glucoseaufnahme<br />

(PET) steigen erheblich an,<br />

als Folge einer neu entstandenen<br />

Durchblutungszunahme sowie eines<br />

verbesserten Stoffwechsels.<br />

6. Nebeneffekte wurden bislang nicht<br />

beobachtet, die Therapie ist gut verträglich,<br />

Herzrhythmusstörungen oder<br />

Entzündungszeichen treten nicht auf.<br />

Die bisher in Düsseldorf an über 400<br />

Patienten durchgeführten Therapien repräsentieren<br />

eine gute Basis für weitere klinische<br />

Therapieansätze. Größere Studien und<br />

Weiterentwicklungen, insbesondere im<br />

Hinblick auf die koronar injizierte Stammzellenmenge,<br />

Vitalitätstest und verbesserte<br />

Transplantationstechniken.<br />

Wissenswertes über Stammzellen<br />

Im Gegensatz zu embryonalen Stammzellen sind adulte Stammzellen ethisch nicht umstritten<br />

und werden vom eigenen Körper nicht abgestoßen.<br />

Berichte über die Stammzellforschung erobern immer wieder die Schlagzeilen. Dabei unterscheiden<br />

Wissenschaftler zwei völlig unterschiedliche Arten der Hoffnungsträger: embryonale<br />

und adulte Stammzellen. Vergleicht man die menschliche Erbinformation mit einer Bibliothek,<br />

so hat jede Körperzelle den kompletten Bücherbestand zur Verfügung. Fertige Körperzellen in<br />

der Haut oder in Darmschleimhaut, im Gehirn oder in der Leber „benutzen“ aber nur wenige<br />

Kapitel. Damit lesen sie zum Beispiel die Information, bestimmte Eiweiße wie Insulin oder Verdauungsenzyme<br />

zu produzieren. Diese Zellen sind auf die Aufgabe, die sie ausüben, spezialisiert.<br />

Meist büßen sie damit ihre Fähigkeit ein, sich zu teilen. Sterben zum Beispiel Hautzellen<br />

ab, können sie nicht selbst für Nachschub sorgen. Stammzellen dagegen sind nicht spezialisiert<br />

– oder, besser gesagt, ihre Spezialisierung besteht darin, dass sie ihre Fähigkeit zur Vermehrung<br />

nicht einbüßen. Teilen sie sich, bleibt immer eine Tochterzelle Stammzelle. Die andere Zelle bildet<br />

weiter spezialisierte Zellen, zum Beispiel Vorläuferzellen für Blut oder Haut.<br />

Embryonale Stammzellen<br />

Aus einer befruchteten Eizelle entwickelt sich ein ganzes Lebewesen. Diese Fähigkeit nennen<br />

Forscher Totipotenz. Bis die befruchtete Eizelle sich dreimal geteilt hat, behalten alle Zellen diese<br />

Fähigkeit bei. Nach weiteren Zellteilungen – im Mutterleib etwa nach drei Tagen – entsteht das<br />

so genannte Keimbläschen (Blastozyste). Es enthält embryonale Stammzellen, die über 200 verschiedene<br />

Zelltypen bilden können – aber kein ganzes Lebewesen mehr. Wissenschaftler sprechen<br />

von „Pluripotenz“. Embryonale Stammzellen gelten als heiß begehrte „Tausendsassas“.<br />

Forscher hoffen, aus ihnen eines Tages Ersatzzellen oder gar ganze Organe nachzuzüchten. Zu<br />

Forschungszwecken gewinnt man sie aus überzähligen befruchteten Eizellen. Für die<br />

Gewinnung der Stammzellen geht der frühe Embryo zu Grunde. Deshalb ist die Forschung mit<br />

embryonalen Stammzellen umstritten. Kritiker befürchten, dass Embryonen gezielt als<br />

„Ersatzteillager“ für kranke Menschen missbraucht werden. In Deutschland ist die Forschung an<br />

menschlichen embryonalen Stammzellen daher nur unter strengen Auflagen erlaubt.<br />

Adulte Stammzellen<br />

Die so genannten adulten Stammzellen verfügen ebenfalls über ein hohes Regenerationspotenzial,<br />

sind aber nicht so flexibel wie embryonale Stammzellen. Forscher fanden sie in<br />

den unterschiedlichsten Organen, zum Beispiel im Knochenmark, im Fettgewebe, im Blut und<br />

im Gehirn. Sie sorgen permanent für Nachschub an Körperzellen. So bilden beispielsweise die<br />

Stammzellen im Knochenmark lebenslänglich verschiedene Blutzellen. Eine adulte Stammzelle<br />

kann jedoch nur noch bestimmte Zelllinien hervorbringen und nicht mehr alle 200 Typen, auch<br />

keinen neuen Menschen. Forscher nennen diese Fähigkeit „Multipotenz“.<br />

„Die biotechnologische Revolution kann auch ohne (die viel diskutierten) embryonalen<br />

Stammzellen stattfinden,“ schrieb die Deutsche Medizinische Wochenschrift darauf in ihrem<br />

Editorial (2001).<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 41


Neue Akademische<br />

Vereinigung in<br />

Moskau gegründet<br />

MOSKAU. Jetzt lebt auch in der russischen<br />

Hauptstadt Moskau das Korporationsstudententum:<br />

Bereits im vergangenen Jahr<br />

gründete sich unter dem Vorsitz von Philipp<br />

Rowe (CV) die Akademische Vereinigung<br />

Moscovia. Nachdem sich in der russischen<br />

Hauptstadt lebende Verbindungsstudenten<br />

der verschiedensten Verbände auf Initiative<br />

des Bonner Corpsstudenten Thomas<br />

Fasbender (C! Borussia Bonn) schon vor<br />

mehreren Jahren zu einem Moskauer<br />

Farbenstammtisch zusammengefunden<br />

hatten, entschlossen sich die Akademiker<br />

im April 2008, eine verbandsübergreifende<br />

Vereinigung ins Leben zu rufen. Man einigte<br />

sich auf die Bundesfarben Schwarz, Rot,<br />

Gold plus rotem Stern und wählte den<br />

Wahlspruch „Nicht der Pflicht nur zu genügen“<br />

wie auch das gleichnamige Lied als<br />

Bundeshymne. Unter dem Namen Moscovia<br />

will die Vereinigung für alle deutschsprachigen<br />

Verbindungsstudenten in Moskau<br />

offen sein und versteht sich dabei auch<br />

als Plattform zum Austausch und zur<br />

gegenseitigen Unterstützung.<br />

42<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

HOCHSCHULNEWS<br />

Korporationsstudententum an der Moskwa: Deutsche<br />

und Österreicher gründen Akademische Vereinigung in<br />

Russland • Stammtisch der Moscovia<br />

Seit der Gründung ist sowohl die Zahl<br />

der Mitglieder, als auch die Zahl derjenigen,<br />

die regelmäßig über das Verbindungsleben<br />

in Moskau informiert werden<br />

möchten, stark angestiegen. „Zurzeit gibt<br />

es bereits 29 Mitglieder aus fast allen<br />

Verbänden. Neben Deutschen und Österreichern<br />

gehören zu den Mitgliedern auch<br />

Russen, die an deutschsprachigen Hochschulen<br />

studiert haben und dort aktiv<br />

waren“, erläuterte Rowe.<br />

Die A.V. Moscovia veranstaltet regelmäßig<br />

Stammtische, Kneipen und weitere<br />

Veranstaltungen. „So können wir studentisches<br />

Brauchtum auch fern der Heimat<br />

pflegen und Korporierten in Moskau die<br />

Möglichkeit gegeben, den Kontakt zum<br />

Verbindungsstudententum und zur Heimatverbindung<br />

aufrecht zu halten“, erklärte<br />

Rowe. Neuankömmlinge in Moskau<br />

erhielten so einen schnellen Zugang zur<br />

deutschen und österreichischen Gemeinde<br />

vor Ort. Bisheriger Höhepunkt der jungen<br />

Vereinigung war die „Österreich-Kneipe“<br />

am 30. Oktober 2008 in der Deutschen<br />

Botschaft in Moskau. Deutsche, österreichische<br />

und russische Verbindungsstudenten<br />

würdigten so gemeinsam den Nationalfeiertag<br />

der Republik Österreich.<br />

Dr. Wolfgang Leitner (Franco-<br />

Bavaria Wien im ÖCV) brachte in<br />

seiner Ansprache vor allem den<br />

Nicht-Österreichern in der Corona<br />

die historischen Begleitumstände<br />

und die Bedeutung<br />

dieses Tages näher. Als nächste<br />

Veranstaltungen sind unter<br />

anderem eine gemeinsame<br />

Fahrt nach St. Petersburg sowie<br />

eine „Deutschland-Kneipe“ geplant.<br />

Die wirtschaftlichen Beziehungen<br />

zwischen dem<br />

deutschsprachigen Kulturraum<br />

und der Russischen Föderation<br />

kann man als außerordentlich<br />

gut bezeichnen. Deutschland ist<br />

Russlands wichtigster Handelspartner<br />

und mit über 4.600<br />

deutschen Unternehmen im<br />

Land gehören die Deutschen zur<br />

größten Geschäftsgemeinde in<br />

Russland. In der 14-Millionen-<br />

Stadt Moskau leben, arbeiten<br />

und studieren deutsche und<br />

österreichische Manager, Geschäftsleute<br />

und Austauschstudenten,<br />

darunter auch zahlreiche<br />

Korporationsstudenten.<br />

Weitere Informationen und<br />

die Termine der nächsten Veran-<br />

staltungen beim Vorsitzenden Philipp<br />

Rowe,E-Mail: ro-we@rufil-consulting.de.<br />

Andreas Kraus (CV)<br />

Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

fördert mehr Studierende<br />

BERLIN. In den beiden letzten Jahren hat<br />

die Konrad-Adenauer-Stiftung so viele<br />

Studierende wie noch nie in ihre Begabtenförderung<br />

aufgenommen. Damit hat sie<br />

erheblich zum Erfolg der Initiative von<br />

Bildungsministerin Dr. Annette Schavan zur<br />

Steigerung der Stipendiatenzahl beigetragen.<br />

Ihr Ministerium hatte 2006 die Mittel<br />

für die Begabtenförderwerke deutlich erhöht<br />

und damit den Auftrag verbunden, die<br />

Zahl der geförderten Studierenden auf ein<br />

Prozent eines Jahrgangs zu steigern.<br />

„Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat ihre<br />

Aufgabe erfüllt und sogar noch übertroffen“,<br />

sagte der Vorsitzende der Stiftung,<br />

Prof. Dr. Bernhard Vogel. Besonders erfreut<br />

habe ihn die verstärkte Aufnahme von Studierenden<br />

aus bildungsfernen Schichten,<br />

also vornehmlich aus Familien mit Migrationshintergund<br />

und aus Arbeiterfamilien.<br />

2008 fördert die Konrad-Adenauer-Stiftung<br />

2.604 Stipendiatinnen und Stipendiaten,<br />

sowohl deutsche Studierende, deutsche<br />

Graduierte als auch ausländische Studierende<br />

und Graduierte. Die Zahl von 1.938<br />

geförderten deutschen Studierenden aller<br />

Fachrichtungen liegt um über 60 Prozent<br />

höher als im Jahr 2005, im Jahr vor Beginn<br />

der Initiative des Bildungsministeriums.<br />

Die individuelle Förderung begabter,<br />

leistungsbereiter und wertorientierter Studierender<br />

versteht die Konrad-Adenauer-<br />

Stiftung als Beitrag zur Bildung zukünftiger<br />

Führungseliten und damit als Investition in<br />

Deutschlands Zukunft. Neben der finanziellen<br />

Unterstützung bietet ein umfangreiches<br />

Seminarprogramm den Stipendiaten<br />

Gelegenheiten, die Grenzen ihres Faches zu<br />

überschreiten und gesellschaftliche Probleme<br />

interdisziplinär zu erörtern. 10.000<br />

Altstipendiaten nehmen heute wichtige<br />

Aufgaben in Wissenschaft und Politik, in<br />

Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur wahr.<br />

Mehr: www.kas.de.


EU-Kommission startet neue<br />

Phase von „Erasmus Mundus“<br />

BRÜSSEL. Die EU-Kommission hat Mitte<br />

Februar offiziell den Startschuss für das<br />

neue weltweite Austauschprogramm für<br />

Studierende und Lehrpersonal gegeben. Bis<br />

2013 sollen mit rund 950 Millionen Euro für<br />

„Erasmus Mundus“ deutlich mehr Mittel zur<br />

Verfügung stehen als für das erste Programm<br />

dieser Art, teilte die EU-Kommission<br />

mit. Nach dem Vorbild des Erasmus-Programms<br />

für Gastaufenthalte von EU-<strong>Studenten</strong><br />

und -Lehrkräften in anderen europäischen<br />

Staaten können mit „Erasmus Mundus“<br />

besonders begabte Studierende und<br />

Lehrkräfte aus Nicht-EU-Staaten Förderung<br />

für Aufenthalte in der EU bekommen. Ziel<br />

ist, den Austausch europäischer Hochschulen<br />

mit anderen Erdteilen zu intensivieren.<br />

Zwischen 2004 und 2008 wurden nach<br />

Angaben der EU-Kommission rund 10.000<br />

Stipendien in einem Umfang von rund 609<br />

Millionen Euro vergeben. Künftig sollen<br />

auch Doktoranden an dem Programm teilnehmen<br />

können. Für europäische <strong>Studenten</strong><br />

solle mehr Geld bereitstehen. EU-<br />

Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner<br />

sagte, das Programm sichere akademisches<br />

Spitzenniveau und helfe den Studierenden,<br />

eine gemeinsame Vision für die Welt zu entwickeln.<br />

Gewerkschaft fordert<br />

43 Milliarden Euro mehr<br />

für Bildung<br />

HANNOVER. Mehr Geld für Bildung fordert<br />

die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft<br />

(GEW). Auf der Bildungsmesse<br />

„didacta“ in Hannover bezifferte der GEW-<br />

Vorsitzende Ulrich Thöne am 10. Februar<br />

den zusätzlichen Bedarf auf 43 Milliarden<br />

Euro. Wenn die Qualität von Bildung in<br />

Deutschland verbessert und internationale<br />

Standards erreicht werden sollten, müsse<br />

auch so viel Geld wie in anderen Staaten<br />

investiert werden. Die Summe könne bereit<br />

gestellt werden, wenn Deutschland seine<br />

Bildungsausgaben auf sieben Prozent des<br />

Bruttoinlandsprodukts anhöbe. Die Ausgaben<br />

seien dringend notwendig, um aus<br />

dem Krippenprogramm eine Erfolgsgeschichte<br />

zu machen und die Akademiker-<br />

Quote auf deutlich über 40 Prozent der<br />

Menschen eines Jahrgangs ansteigen zu<br />

lassen, unterstrich der GEW-Vorsitzende.<br />

„Bonner Modell“: Uni-Beginn<br />

immer zum 1. Oktober<br />

BONN. Ein „Bonner Modell“ zur europaweiten<br />

Harmonisierung der Semesterzeiten<br />

hat die Uni Bonn vorgeschlagen. Danach<br />

soll das 15 Wochen lange Wintersemester<br />

künftig immer in der Woche vom<br />

1. Oktober beginnen, teilte die Hochschule<br />

am 10. Februar in der Bundesstadt mit. Der<br />

Vorlesungsbeginn zum 14 Wochen langen<br />

Sommersemester solle in die Woche fallen,<br />

in der der 1. April liegt. Durch die Vorverlegung<br />

der Semester sei sichergestellt, dass<br />

<strong>Studenten</strong> bei Aufnahme und Beendigung<br />

eines Auslandssemesters keinen Zeitverlust<br />

hinnehmen müssten.<br />

Ein Semesterbeginn bereits Anfang<br />

September komme nicht infrage, so die Uni.<br />

Das kollidiere mit anderen Terminen der<br />

<strong>Studenten</strong> und Lehrenden wie Prüfungsterminen,<br />

Exkursionen, Sprachkursen und<br />

berufsqualifizierenden Praktika. Auch sei<br />

für viele Disziplinen dies der ideale Monat<br />

für Forschungsaufenthalte und Tagungen,<br />

gerade auch in denjenigen Ländern, in<br />

denen das Semester die Vorlesungen bereits<br />

im September beginne. „Eine Harmonisierung<br />

der Semesterzeiten in Europa ist<br />

ein integraler Bestandteil des Bologna-<br />

Prozesses und dringend geboten“, so Uni-<br />

Rektor Matthias Winiger. Dennoch müssten<br />

die Vorlesungsphasen „zwischen Lissabon<br />

und London nicht am selben Tag beginnen“.<br />

Ein gewisser Spielraum, der örtliche und<br />

fachspezifische Bedingungen berücksichtige,<br />

müsse möglich sein.<br />

Hochschulrektorenkonferenz<br />

verteidigt Bologna-Prozess<br />

BERLIN. Die Hochschulrektorenkonferenz<br />

(HRK) hat grundsätzliche Kritik am Bologna-<br />

Prozess zurückgewiesen. Es gebe zwar<br />

Umsetzungsprobleme, sagte Präsidentin<br />

Margret Wintermantel Ende Januar in<br />

Berlin. Die Ziele<br />

seien aber unstrittig.<br />

Sie könne<br />

nicht sehen, dass<br />

der Reformprozess<br />

die bisherige Identität deutscher Universitäten<br />

gefährde. Angestrebt wird eine Vereinheitlichung<br />

des Europäischen Hochschulraums<br />

(EHR); dies geht mit tiefgreifenden<br />

Reformen des deutschen Hochschulwesens<br />

einher. Neben anderen Kritikern<br />

hatte der Mainzer katholische Theologieprofessor<br />

Marius Reiser unlängst beklagt, dass<br />

der Prozess „die endgültige Abkehr vom<br />

Prinzip der Autonomie und der Unabhängigkeit<br />

der Wissenschaft“ bedeute. Der<br />

54-jährige Experte für Neues Testament<br />

hatte aus Protest gegen den Bologna-Prozess<br />

seinen Lehrstuhl aufgegeben. Laut HRK<br />

sind derzeit insgesamt 75 Prozent des<br />

Lehrangebots an Hochschulen auf Bachelor<br />

und Master umgestellt. Bis 2010 soll der<br />

Europäische Hochschulraum hergestellt<br />

sein. Als weitere Ziele nannte Wintermantel<br />

eine Verbesserung der internationalen akademischen<br />

Mobilität und der Anerkennung<br />

von Studienabschlüssen, eine stärkere Abstimmung<br />

auf den Arbeitsmarkt, eine<br />

Qualitätssicherung sowie die Förderung<br />

eines lebenslangen Lernens. Ferner sollen<br />

die Curricula verschlankt und stärker aufeinander<br />

abgestimmt werden, um ein erfolgreiches<br />

Studium zu gewährleisten.<br />

KMK-Präsident will frühkindliche<br />

Bildung verbessern<br />

BERLIN. Mecklenburg-Vorpommerns Kultusminister<br />

Henry Tesch (CDU) will als<br />

neuer Vorsitzender der Kultusministerkonferenz<br />

die frühkindliche Bildung ausbauen<br />

und die Erzieherinnenausbildung<br />

verbessern. Als weitere Schwerpunkte seiner<br />

KMK-Präsidentschaft für <strong>2009</strong> nannte<br />

Tesch am 19. Januar bei der Amtsübernahme<br />

in Berlin den Hochschulzugang für<br />

beruflich qualifizierte Bewerber. Der 46jährige<br />

gebürtige Schweriner Bildungspolitiker<br />

und ehemalige Gymnasialdirektor<br />

sagte, Erzieherinnen sollten künftig ein<br />

Studium absolvieren können. Es gehe um<br />

„die Besten für die Jüngsten“. Dazu müssten<br />

sich die Länder wie bei der Lehrerausbildung<br />

auf Standards einigen.<br />

Der neue KMK-Präsident sprach sich<br />

auch für eine größere Durchlässigkeit des<br />

Bildungssystems aus. Künftig sollten auch<br />

beruflich hoch qualifizierte Bürger zu einem<br />

Studium berechtigt sein. Er hoffe, dieses<br />

Thema noch in diesem Jahr abschließend<br />

regeln zu können. Deutschland hat im<br />

Vergleich zu anderen Industrieländern eine<br />

unterdurchschnittliche Zahl an <strong>Studenten</strong><br />

und Hochschulabsolventen. Mit dem<br />

Konjunkturpakt II legt der Bund den<br />

Schwerpunkt auf Bildung: Der Bund stellt<br />

6,5 Milliarden Euro an Investitionssumme<br />

für den Ausbau und die Sanierung von Kindergärten,<br />

Schulen und Hochschulen bereit.<br />

Gegen EU-Hochschulranking<br />

BERLIN. Gegen die Einführung einer europäischen<br />

Hochschul-Rangliste haben sich<br />

CDU und CSU ausgesprochen. Mit dem geplanten<br />

Hochschulranking versuche die<br />

Europäische Kommission, die Bildungspolitik<br />

der Mitgliedsstaaten aus Brüssel zu<br />

steuern und die europäischen Hochschulsysteme<br />

nach ihren Vorstellungen anzugleichen,<br />

erklärte der bildungs- und forschungspolitische<br />

Sprecher der CDU/CSU-<br />

Bundestagsfraktion, Alexander Dobrindt<br />

(CSU), Mitte Januar in Berlin. Zwar seien<br />

Vergleiche und Rankings grundsätzlich<br />

sinnvoll, doch sei die EU-Kommission kein<br />

unparteiischer Schiedsrichter, sondern verfolge<br />

offen eigene strategische Bildungsziele<br />

und vergebe Fördermittel in Milliardenhöhe.<br />

Durch eine Rangliste könne sie<br />

deshalb „massiv in die Hochschulpolitik der<br />

Mitgliedsstaaten eingreifen und die Hochschulen<br />

mehr und mehr gleichschalten“.<br />

Die Europäische Kommission hatte im<br />

Dezember eine Ausschreibung für ein<br />

neues Ranking-Verfahren für Universitäten<br />

gestartet. Es soll Forschung, Lehre und<br />

Qualität des Hochschullebens miteinander<br />

vergleichen. Erste Ergebnisse des geplanten<br />

Pilotprojekts werden für Anfang 2011 erwartet.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 43<br />

>>


Viele angehende Bio-Lehrer<br />

bezweifeln Evolutionslehre<br />

HAMBURG. Jeder achte angehende Biologie-Lehrer<br />

zweifelt nach einer Studie des<br />

Dortmunder Professors Dittmar Graf an<br />

Darwins Evolutionslehre. Bei einer Umfrage<br />

unter 1.200 Erstsemestern hätten „erschreckend<br />

viele angegeben“, sie glaubten<br />

nicht an gemeinsame Ahnen aller Lebewesen,<br />

sagte der Dortmunder Biologie-<br />

Didaktiker am 20. Februar gegenüber „Spiegel<br />

online“. Er befragte Lehramtsstudenten<br />

in Dortmund, Siegen und Hildesheim.<br />

Laut Graf handelt es sich dabei nicht<br />

nur um religiöse Eiferer. Zwar hingen religiöse<br />

Überzeugung und Evolutionsskepsis<br />

zusammen, doch viel stärker wirke ein naives<br />

Wissenschaftsbild. Gleichwohl sei der<br />

Trend zum Gedankengut des Kreationismus<br />

ungebrochen. Die aus Amerika stammende<br />

Lehre legt die biblische Schöpfungsgeschichte<br />

streng wörtlich in biologischer<br />

Weise aus.<br />

Vatikan warnt vor genetischer<br />

Auslese von Menschen<br />

VATIKANSTADT. Der Vatikan hat sich gegen<br />

eine genetische Auslese von Menschen gewandt.<br />

Der vatikanische Chef-Ethiker Erzbischof<br />

Rino Fisichella warnte am 17. Februar<br />

anlässlich eines Fachkongresses über<br />

„Neue Chancen der Genetik und das Risiko<br />

der Eugenik“ vor einem „langsamen, aber<br />

unaufhaltsamen“ Abdriften zur Eugenik.<br />

Der Begriff selbst sei gebannt, doch werde<br />

die genetische Auslese von Menschen mit<br />

dem besten Gewissen praktiziert, sagte der<br />

Präsident der Päpstlichen Akademie für das<br />

Leben. Der Kurien-Erzbischof bezog sich<br />

dabei auf neue Möglichkeiten von Gen-<br />

Untersuchungen.<br />

Ein subtiler Sprachgebrauch vereint mit<br />

einer guten Publicity und unterstützt von<br />

starken Wirtschaftsinteressen verschleiere<br />

die Gefahren der Gen-Diagnostik. Der<br />

Ethiker wandte sich gegen den Anspruch<br />

der Technologie, ein „normales Leben“<br />

sicherstellen zu wollen. Niemand könne<br />

sich anmaßen, Regeln und Ziel eines sogenannten<br />

normalen Lebens für einen<br />

Menschen zu definieren.<br />

Studie: Armut ist Haupthindernis<br />

für frühkindliche Bildung<br />

BRÜSSEL. Armut ist nach Einschätzung<br />

einer neuen EU-Studie bereits in der frühkindlichen<br />

Phase Haupthindernis für einen<br />

erfolgreichen Bildungsweg. Sozial schwache<br />

Familien, allein Erziehende und Eltern mit<br />

Migrationshintergrund nutzten am wenigsten<br />

die Bildungs- und Betreuungsangebote<br />

für Kleinkinder. Danach lebt in Europa nahezu<br />

jedes sechste Kind unter sechs Jahren an<br />

44<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

der Armutsgrenze. In Estland, Italien,<br />

Litauen, Luxemburg, Polen und Portugal sei<br />

die Armutsentwicklung besonders Besorgnis<br />

erregend. In Großbritannien lebte sogar<br />

jedes fünfte Kleinkind in Armut.<br />

Die Studie untersucht die Strategien<br />

frühkindlicher Bildung in 30 Ländern Europas.<br />

Im EU-Raum besuchten 2006 demnach<br />

87 Prozent der Vierjährigen eine Vorschuleinrichtung.<br />

Ziel der EU-Kommission ist, den<br />

Anteil bis 2020 auf 90 Prozent zu steigern.<br />

Hochwertige Vorschulerziehung bringe erhebliche<br />

Vorteile für ein lebenslanges Lernen,<br />

heißt es in der Untersuchung. Zum Erfolg<br />

eines frühkindlichen Bildungsangebotes<br />

zählten ein gutes Betreuungsverhältnis, die<br />

angemessene Ausbildung des Bildungspersonals<br />

und die Beteiligung der Eltern.<br />

„Kulturweit“: Neuer<br />

Freiwilligendienst<br />

BERLIN. Das Auswärtige Amt hat 13. Februar<br />

den internationalen Freiwilligendienst<br />

„Kulturweit“ gestartet. Er basiert auf den<br />

Regeln des Freiwilligen Sozialen Jahres und<br />

gilt damit auch als Ersatz für den Wehrdienst.<br />

Im Rahmen des neuen Freiwilligendienstes<br />

können sich 18- bis 26-Jährige<br />

sechs oder zwölf Monate in der auswärtigen<br />

Kultur- und Bildungspolitik engagieren.<br />

Die Deutsche UNESCO-Kommission koordiniert<br />

die Durchführung von „Kulturweit“.<br />

Partner sind der Deutsche Akademische<br />

Austausch Dienst (DAAD), das Deutsche<br />

Archäologische Institut (DAI) das Goethe-<br />

Institut (GI) und der Pädagogische Austauschdienst<br />

(PAD). Die Partnerorganisationen<br />

bieten den Freiwilligen Einsatzstellen<br />

in Afrika, Asien, Lateinamerika sowie Mittelund<br />

Osteuropa mit vielfältigen Aufgaben<br />

an. Typische Einsatzfelder sind z. B.: Einsatz<br />

in einer deutschen Schule (Hausaufgabenbetreuung,<br />

Schultheater, Unterstützung<br />

des schulischen Angebotes) und Organisation<br />

von Projekten in einer Außenstelle<br />

des Deutschen Akademischen Austausch<br />

Diensts, des Goethe-Instituts oder des<br />

Deutschen Archäologischen Instituts.<br />

Durch den Dienst können junge Menschen<br />

an Kultur- und Bildungsarbeit im<br />

Ausland unmittelbar teilnehmen. Mit dem<br />

Freiwilligendienst will das Auswärtige Amt<br />

bürgerschaftliches Engagement, interkulturelle<br />

Kompetenz und Weltoffenheit der jungen<br />

Menschen fördern. Er unterstützt die<br />

Arbeit der deutschen Kulturmittler im Ausland.<br />

Die Freiwilligen erwerben im direkten<br />

Kontakt mit neuen Kulturen und Gesellschaften<br />

internationale Erfahrung für ihre<br />

persönliche und berufliche Entwicklung.<br />

Die Freiwilligen sind während ihres Einsatzes<br />

umfassend versichert: Auslandskranken-,<br />

Haftpflicht- und Unfallversicherung<br />

sowie Sozialversicherung in Deutschland<br />

werden übernommen. Die Freiwilligen<br />

erhalten finanzielle Unterstützung. Neben<br />

der Übernahme der oben genannten Versicherungskosten<br />

wird ein Zuschuss für<br />

Kost und Logis (ca. 200,- Euro/Monat),<br />

Taschengeld (ca. 150,- Euro/Monat) sowie<br />

ein einmaliger Zuschuss zum Flugticket<br />

gewährt. Die Bewerbung erfolgt ausschließlich<br />

online auf www.kulturweit.de.<br />

Jugendforscher warnt<br />

vor Protestbewegungen<br />

OSNABRÜCK. Der Jugendforscher Klaus<br />

Hurrelmann warnt vor einer Rebellion Jugendlicher<br />

wegen des immensen Schuldenbergs,<br />

den der Bund derzeit anhäuft. Der<br />

„Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Hurrelmann<br />

am 11. Februar, die politische Protesthaltung<br />

schlage sich derzeit zwar noch in<br />

einem „resignativen Zurückziehen in privatere<br />

Bereiche“ nieder. „Aber ich würde<br />

durchaus die Prognose wagen, dass es in ein<br />

paar Jahren nicht mehr so still sein wird und<br />

dass dann ein Funke genügt, um Unzufriedenheit<br />

auszulösen“, mahnte er. Nachdrücklich<br />

sprach sich Hurrelmann für ein<br />

Schulfach „Finanzen“ aus: „Wir haben Schulen,<br />

in denen Wirtschaft,Technik und rechtliche<br />

Fragen kaum vorkommen.“ Es sei überhaupt<br />

nicht nachvollziehbar, dass diese<br />

Bereiche ausgeklammert würden. Man könne<br />

„mit Fug und Recht von einem ökonomischen<br />

Analphabetismus sprechen“.<br />

Jüdischer Religionsunterricht<br />

hat zentrale Rolle<br />

BERLIN. Der Historiker Michael Brenner hält<br />

jüdischen Religionsunterricht in der Schule<br />

für unersetzlich. Das Fach habe eine zentrale<br />

Rolle für den Fortbestand jüdischen<br />

Lebens in Deutschland, schreibt Brenner<br />

in der „Jüdischen Allgemeinen“ vom<br />

29. Januar. Der Religionsunterricht in der<br />

Schule sei für viele junge Juden die einzige<br />

Möglichkeit, Wissen über ihre Religion zu<br />

erhalten und ihre Identität zu stärken.<br />

Brenners Beitrag auf der Titelseite der<br />

Zeitung trägt die Überschrift „Pro Reli“.<br />

Toleranz im Umgang mit anderen setze<br />

„das Wissen um das Eigene“ voraus, betont<br />

Brenner. Die schulische Vermittlung grundlegenden<br />

Wissens über das jüdische Leben<br />

sei insbesondere wichtig in einer Situation,<br />

in der die meisten jüdischen Schüler Eltern<br />

hätten, die selbst solche Inhalte nicht<br />

weitergeben könnten. In Berlin steht ein


Volksentscheid über eine Gleichstellung<br />

des Religions- mit dem Ethikunterricht<br />

bevor. Kirchen und Jüdische Gemeinde wollen,<br />

dass die Schüler den konfessionellen<br />

Unterricht als Alternative zum staatlichen<br />

Ethikfach wählen können. Gegen starke<br />

Proteste hatte Berlins Regierender Bürgermeister<br />

Klaus Wowereit inzwischen die<br />

Abstimmung auf den 26. April gelegt. Die<br />

Mehrkosten für den Termin, der nun nicht<br />

an die Europawahl gekoppelt ist, werden<br />

auf 1,4 Millionen Euro beziffert. Die Bürgerinitiative<br />

„Pro Reli“ unter dem Vorsitz von<br />

Bbr. Dr. Christoph Lehmann (UNITAS Berlin)<br />

hatte für den gleichzeitigen Urnengang mit<br />

der Europawahl gesetzt, da die Wahlbeteiligung<br />

größer ist.<br />

Schutz des arbeitsfreien Sonntags:<br />

Europaabgeordnete bringen<br />

schriftliche Erklärung ein<br />

BRÜSSEL. Das Sekretariat der Bischofskonferenzen<br />

der Europäischen Gemeinschaft<br />

(COMECE), die Evangelische Kirche in<br />

Deutschland (EKD)<br />

und die Church of<br />

England begrüßten<br />

am 11. Februar <strong>2009</strong><br />

die Initiative einiger<br />

Mitglieder des Europäischen<br />

Parlaments, eine<br />

schriftliche Erklärung<br />

„zum Schutz des<br />

arbeitsfreien Sonntags als tragendem Element<br />

des europäischen Sozialmodells und<br />

Teil des europäischen Kulturerbes“ zur Entscheidung<br />

zu bringen. Diese wäre ein wichtiges<br />

Bekenntnis des Europäischen Parlaments<br />

zum Sozialen Europa, so die Stellungnahme.<br />

Nun komme es darauf an, die notwendige<br />

Mehrheit für diese überparteiliche<br />

Resolution zu finden, die am 2. Februar <strong>2009</strong><br />

von fünf Europaparlamentariern aus den<br />

politischen Gruppen der EVP, PSE, ALDE und<br />

UEN eingebracht worden ist. „Die Finanzund<br />

Wirtschaftskrise hat die Grenzen einer<br />

Ökonomisierung aller Lebensbereiche deutlich<br />

gemacht. Konsum ohne Maß entspricht<br />

weder dem Modell nachhaltigen Wirtschaftens<br />

noch ist er ein Leitbild für die menschliche<br />

Entwicklung“, heißt es in der gemeinsamen<br />

Stellungnahme. „Männer und<br />

Frauen, die sonntags arbeiten, sind in ihren<br />

sozialen Beziehungen benachteiligt. Ihr<br />

Familienleben, ihre persönliche Entfaltung,<br />

sogar ihre Gesundheit werden nachweislich<br />

beeinträchtigt.“ Als europäisches Kulturerbe<br />

mit langer Tradition und von hohem Wert<br />

sei der arbeitsfreie Sonntag für die Vereinbarkeit<br />

von Berufs- und Familienleben ein<br />

entscheidender Faktor. Für die familiären<br />

Beziehungen, aber auch für das soziale und<br />

kulturelle Leben sei es von bleibender Bedeutung,<br />

eine der wenigen Zeiten zu bewahren,<br />

die Kinder und Eltern gemeinsam<br />

verbringen können. In den vergangenen<br />

Jahren war der Schutz des Sonntags in zahlreichen<br />

Mitgliedstaaten mit dem bloßen<br />

Verweis auf Möglichkeiten der Konsumsteigerung<br />

weiter verringert worden. Um angenommen<br />

zu werden, muss die schriftliche<br />

Erklärung bis zum 7. Mai <strong>2009</strong> von der Mehrheit<br />

der Europaparlamentarier (d.h. von 394<br />

Abgeordneten) unterschrieben werden.<br />

UDE: Neues Exzellenznetzwerk<br />

bringt Service-Revolution im<br />

Internet<br />

DUISBURG / ESSEN. Guter Service spielt<br />

nicht nur im Restaurant, im Taxi oder beim<br />

Friseur eine große Rolle. Perfekte Dienstleistungen<br />

sind immer mehr auch im<br />

Internet gefragt. Hier können die Nutzer<br />

durch so genannte Software-Services beispielsweise<br />

Flüge buchen, online einkaufen<br />

oder Kontakte in sozialen Netzwerken pflegen.<br />

Bekannte Anbieter solcher Programme<br />

sind Google, YouTube, Expedia, Amazon,<br />

eBay und facebook. Was aber verbirgt sich<br />

dahinter? Wie können Anwender solche<br />

Dienste künftig noch besser nutzen und an<br />

ihre individuellen Bedürfnisse anpassen?<br />

Dieser Aufgabe widmet sich das europäische<br />

Exzellenznetzwerk S-Cube, das von der<br />

Arbeitsgruppe Software Systems Engineering<br />

(SSE) der Universität Duisburg-<br />

Essen koordiniert wird.<br />

Innerhalb von vier Jahren soll S-Cube<br />

die Grundpfeiler für eine multidisziplinäre<br />

Forschungsgemeinschaft legen, die die<br />

Software-Service-Entwicklung in Europa<br />

entscheidend vorantreibt, denn diese Forschung<br />

ist wesentlich für die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der EU. „Das heutige Angebot<br />

und die skizzierten Beispiele sind nur<br />

die Spitze des Eisbergs. Die Zahl sowie die<br />

Vielfalt der Dienstleistungen nehmen stetig<br />

zu. So wird sich die Bedeutung von Software-Services<br />

sowohl im privaten als auch<br />

im geschäftlichen Umfeld rasant weiterentwickeln.<br />

Die Art und Weise, wie wir das<br />

servicebasierte Internet der Zukunft nutzen,<br />

wird sich wesentlich verändern“, prognostiziert<br />

Projektkoordinator Prof. Dr.<br />

Klaus Pohl von der Arbeitsgruppe SSE. Innovative<br />

Software-Services entstehen zunehmend<br />

durch die Kombination unterschiedlicher<br />

Software-Bausteine und existierender<br />

Services. „Diese Herausforderungen<br />

können nicht von einer einzelnen Gruppe<br />

oder Forschungsdisziplin bewältigt werden.<br />

Sie erfordern die interdisziplinäre Zusammenarbeit<br />

von Software Engineering,<br />

Geschäftsprozessmanagement, Service-<br />

Oriented Computing, Verteilte Systeme und<br />

Middleware“, unterstreicht Pohl. Ein wesentliches<br />

Element der Arbeiten im Exzellenznetzwerk<br />

S-Cube sei daher, Synergien<br />

zwischen unterschiedlichen Forschungsrichtungen<br />

zu nutzen.<br />

Erarbeitet werden neue Ansätze für<br />

selbstanpassbare Software-Services, moderne<br />

Techniken für die Qualitätssicherung<br />

sowie Methoden für die Erhebung und das<br />

Management von Anforderungen an innovative<br />

Services. Professor Pohls Team arbeitet<br />

hierzu mit mehr als 70 Forschern und<br />

über 50 Doktoranden aus 16 Forschungseinrichtungen<br />

in zehn europäischen Ländern<br />

zusammen. S-Cube wird von der Europäischen<br />

Kommission mit 8,5 Millionen<br />

Euro gefördert. Mehr: www.s-cube-network.eu;www.sse.uni-due.de.<br />

Frankreichs Universitätsrektoren<br />

kritisieren Vatikan-Abkommen<br />

PARIS. Die Rektoren der französischen<br />

Universitäten haben scharf gegen die mit<br />

Rom ausgehandelte Anerkennung von<br />

katholischen Bildungsabschlüssen protestiert.<br />

In einem offenen Brief an Staatspräsident<br />

Nicolas Sarkozy werten die<br />

Rektoren das Abkommen mit dem Vatikan<br />

als schweren Schlag gegen das französische<br />

Universitätssystem.<br />

Jede katholische Universitätseinrichtung<br />

in Frankreich sei eine „universitäre<br />

Fremdeinpflanzung“, die der direkten Unterweisung<br />

des Vatikan unterstehe, so die<br />

Rektoren. Die Anerkennung ihrer Abschlüsse<br />

sei inakzeptabel und provoziere Widerstand<br />

seitens der „Verteidiger der republikanischen<br />

Werte“. Damit lebe die Debatte<br />

über den Laizismus wieder auf.<br />

Ende Dezember hatten Frankreich und<br />

der Vatikan ein Abkommen zur gegenseitigen<br />

Anerkennung von Studienabschlüssen<br />

und Diplomen vereinbart. Darin erkennt<br />

der Heilige Stuhl im Rahmen des Bologna-<br />

Prozesses für ein einheitliches europäisches<br />

Hochschulwesen die von den staatlichen<br />

Behörden Frankreichs bestätigten akademischen<br />

Abschlüsse an. Frankreich wiederum<br />

bestätigt die Diplome der katholischen<br />

Universitäten, kirchlichen Fakultäten und<br />

entsprechenden höheren Lehranstalten.<br />

Gericht: Prager Veitsdom<br />

gehört dem Staat<br />

PRAG. Der berühmte Prager Veitsdom<br />

ist vom höchsten tschechischen Gericht<br />

endgültig dem Staat zugesprochen worden.<br />

Gegen das Urteil gebe es keine<br />

Rechtsmittel mehr. Der Streit darüber, ob<br />

das wichtigste böhmische Gotteshaus<br />

dem Staat oder der katholischen Kirche<br />

zusteht, dauert schon 16 Jahre. Der<br />

Prager Kardinal, Bbr. Miloslav Vlk, hatte<br />

in der Vergangenheit wiederholt erklärt,<br />

in dem Rechtsstreit nicht nachgeben zu<br />

wollen und angekündigt, notfalls den<br />

Europäischen Menschenrechtsgerichtshof<br />

in Straßburg anzurufen.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 45


Schönstatt und die UNITAS<br />

DER UNITARIER JOSEF KENTENICH,<br />

GRÜNDER DER SCHÖNSTATTBEWEGUNG<br />

VON BBR. HARALD BRAUN<br />

In diesem Jahr feiert der Wissenschaftliche<br />

Katholische <strong>Studenten</strong>verein<br />

UNITAS Rolandia Münster ein<br />

besonderes Jubiläum: Im Sommer<br />

<strong>2009</strong> jährt sich die Gründung des<br />

Vereins zum 90. Mal. Aus dem Geist<br />

der Jugendbewegung und geprägt<br />

durch die Erlebnisse des Ersten<br />

Weltkrieges bildete sich am 17. Juli<br />

1919 in Münster ein neustudentisch<br />

ausgerichteter sechster UNITAS Verein<br />

mit den bewährten Prinzipien: virtus,<br />

scientia und amicitia.<br />

Doch was hat das mit Josef Kentenich,<br />

dem Gründer der Schönstattbewegung, zu<br />

tun? Die UNITAS Rolandia Münster kann im<br />

Jahr <strong>2009</strong> nicht nur ihr 90. Stiftungsfest<br />

feiern, sondern auch die neunzigjährige<br />

Mitgliedschaft ihres im Seligsprechungsprozess<br />

stehenden Bundesbruders: Josef<br />

Kentenich. Am Mittwoch, dem 3. Dezember<br />

1919, trat – so nachzulesen im „Schwarzen<br />

Brett der UNITAS“ – „Kentenig Josef, theol.,<br />

Vallendar, Schönstattstraße“ 1 als „Auswärtiger<br />

Inaktiver“ in die neu gegründete<br />

UNITAS Rolandia Münster ein.<br />

Wie kam es dazu? Was hat<br />

den Pallottinerpater Kentenich<br />

bewogen, mitten in der<br />

Gründungsphase Schönstatts<br />

einem katholischen <strong>Studenten</strong>verein<br />

beizutreten? Welche<br />

Umstände haben dazu geführt,<br />

dass Josef Kentenich in<br />

die UNITAS, einen studentischen<br />

„Lebensbund“, eintrat,<br />

dem er bis zu seinem Tod im<br />

Jahre 1968 als Mitglied treu<br />

blieb?<br />

Nachdem der UNITAS Verband<br />

die Mitgliedschaft<br />

Kentenichs in den letzten Jahren<br />

mehrfach in verschiedenen<br />

Beiträgen veröffentlicht<br />

hat 2 , werden im Folgenden die<br />

näheren Umstände beleuchtet,<br />

die zum Eintritt in die UNITAS Rolandia<br />

Münster geführt haben. Darüber hinaus<br />

wird ein Versuch unternommen, den Gründen<br />

für den Eintritt in die UNITAS „auf die<br />

Spur“ zu kommen.<br />

46<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Die Gründung der<br />

Schönstattbewegung<br />

Nachdem der Pallottinerstudent<br />

Josef Kentenich am 8. Juli 1910 zum<br />

Priester geweiht worden war, wurde er<br />

zunächst zum Lehrer der Nachwuchsschule<br />

der Pallottiner in Ehrenbreitstein<br />

ernannt. Nach Zusammenschluss der<br />

Schule mit dem Institut der unteren<br />

Klassen in Vallendar wurde Kentenich<br />

im Oktober 1912 zum Spiritual des<br />

Studienheims in Schönstatt (ein Ortsteil<br />

von Vallendar) berufen.<br />

Am 27. Oktober 1912 trug Josef Kentenich<br />

erstmals seine geistlichen Instruktionen<br />

den Schülern der beiden oberen<br />

Klassen vor. Dieser Vortrag wurde von<br />

ihm später als „Vorgründungsurkunde“ bezeichnet<br />

und stellt das früheste Dokument<br />

der beginnenden Schönstattgeschichte dar.<br />

„Wir wollen lernen, uns unter dem Schutze<br />

Mariens selbst zu erziehen zu festen, freien<br />

priesterlichen Charakteren.“ Das Ideal Kentenichs,<br />

vom „neuen Menschen in der<br />

neuen Gemeinschaft“ fand in den Worten<br />

der geistlichen Instruktionen seinen tiefen<br />

Ausdruck.<br />

Kentenich war bestrebt, für die Umsetzung<br />

seines Ideals „eine innere Organisation“<br />

zu schaffen, „wie sie bekanntlich an<br />

verschiedenen Gymnasien und Universitäten<br />

bestehen“. Im Jahre 1912/13 kam es<br />

Die Gründer der UNITAS Rolandia Münster<br />

im Wintersemester 1990/20<br />

zunächst zur Gründung eines Missionsvereins<br />

für die Oberklassen, dem im<br />

Sommer 1913 eine Abteilung für die mittleren<br />

Klassen folgte. Im Frühjahr 1914 entstand<br />

im Studienheim Schönstatts durch<br />

Genehmigung der Provinzleitung der Pallottiner<br />

und Approbation des Bischöflichen<br />

Ordinariats Trier eine Marianische Kongregation,<br />

die anfänglich nur den Schülern<br />

der oberen Klassen („Congregatio maior“),<br />

später auch den Schülern der mittleren<br />

Klassen („Congregatio minor“) offen stand.<br />

Im Juli 1914 überließ die Provinzleitung<br />

der jungen Marianischen Kongregation auf<br />

Bitten Kentenichs die im Tal gelegene ungenutzte<br />

„Michaels-Kapelle“ als Versammlungsort.<br />

1915 erhielten die Jugendlichen die<br />

Kopie eines Marienbildes des Tessiner<br />

Malers Luigi Crosio (1835 bis 1915), die fortan<br />

das zentrale Gestaltungselement der Kongregationskapelle<br />

bildete. In Anlehnung an<br />

die Marianische Kongregation des Jesuitenpaters<br />

Jakob Rem (1546 bis<br />

1618) wird Maria im so genannten<br />

„Kapellchen von Schönstatt“<br />

mit dem Titel der „Mater<br />

ter admirabilis“ („Dreimal Wunderbare<br />

Mutter“) angesprochen<br />

und verehrt. Wenige Wochen<br />

nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

versammelte Josef<br />

Kentenich am 18. Oktober 1914<br />

die Mitglieder (Sodalen) der<br />

Marianischen Kongregation im<br />

alten Michaelskapellchen, um<br />

die Kongregationsarbeit für das<br />

neue Schuljahr mit einem Vortrag<br />

zu eröffnen. In diesem<br />

Vortrag formulierte Kentenich<br />

das so genannte „Liebesbündnis“,<br />

ein Bündnis zwischen der<br />

Gottesmutter und dem beginnenden<br />

Schönstattwerk, repräsentiert<br />

in der Person des Gründers<br />

und in den Sodalen der Marianischen<br />

Kongregation. Das Ereignis des 18. Oktober<br />

1914 markiert die Gründung der Schönstattbewegung<br />

und wird daher auch als<br />

Gründungsurkunde bezeichnet. 3


Kentenichs Kontakt mit der<br />

UNITAS<br />

Bereits im Jahre 1917 kam Josef Kentenich<br />

durch den Versand der von ihm gegründeten<br />

Zeitschrift „Mater ter admirabilis“<br />

(MTA) an die im Feld stehenden Mitglieder<br />

der Marianischen Kongregation von<br />

Schönstatt mit der UNITAS in Berührung. 4<br />

Der Unitarier Prof. Dr. Josef Kuckhoff MdR<br />

gab eine Feldgabe 5 von Mitgliedern des<br />

UNITAS-Verbandes heraus und verschickte<br />

diese – ebenso wie Kentenich – in mehreren<br />

tausend Exemplaren an die an der Front<br />

stehenden <strong>Studenten</strong>.<br />

Ebenfalls 1917 (im Januar) hatte Kentenich<br />

in Düsseldorf anlässlich einer vom<br />

Generalpräses der Katholischen Jungmännervereine<br />

einberufenen wissenschaftlichen<br />

Tagung über Jugendführung, an der<br />

zahlreiche Jugendseelsorger aus ganz<br />

Deutschland teilnahmen, engeren Kontakt<br />

mit Bbr. Prof. Dr. Josef Mausbach MdR 6 .<br />

Mausbach war einer der Referenten der<br />

Tagung. Kentenich und Mausbach waren<br />

sich einig, dass in die <strong>Studenten</strong>arbeit auch<br />

die Akademikerinnen einbezogen werden<br />

müssten.<br />

Den entscheidenden Anstoß zum Eintritt<br />

Josef Kentenichs in die UNITAS gab<br />

dann allerdings offenbar ein junger Schönstätter:<br />

Alois Zeppenfeld.<br />

Alois Zeppenfeld –<br />

Schönstätter und Unitarier<br />

Kontakt mit Schönstatt<br />

über die Außenorganisation<br />

Alois Zeppenfeld wurde am 1. Dezember<br />

1896 in Dortmund-Hörde geboren. Er lernte<br />

die Marianische Kongregation im Winter<br />

1916/17 an der Front durch einen Schönstätter<br />

Sodalen kennen, schloss sich ihr in<br />

der so genannten „Congregatio militaris“,<br />

der „Außenorganisation“ an und wurde<br />

einer ihrer Abteilungsführer (sog. „Turma<br />

Zeppenfeld“). 7 Zeppenfeld legte am 8. Dezember<br />

1917 seine Weihe an die Mater ter<br />

admirabilis ab und trat hiermit formell der<br />

Marianischen Kongregation bei. Als Leutnant<br />

d. R. kehrte der ehemalige Kompanieführer<br />

– ausgezeichnet mit dem Eisernen<br />

Kreuz I – im November 1918 aus dem<br />

Krieg zurück. Noch auf dem Rückmarsch<br />

mit seiner Kompanie bat er Josef Kentenich<br />

in einem Brief um Exerzitien in Schönstatt<br />

für Anfang Januar 1919. Kentenich kam der<br />

Bitte Zeppenfelds zunächst nicht nach; er<br />

antwortete ihm: „Zu meinem Bedauern<br />

kann ich vorerst nur versprechen, dass wir<br />

die Mater ter admirabilis nicht eingehen<br />

lassen. Die anderen angeschnittenen Fragen<br />

sind noch nicht spruchreif.“ 8 Die Absage<br />

Kentenichs hemmte jedoch nicht den<br />

Tatendrang Zeppenfelds, die Außenorganisation<br />

auch nach den Kriegsjahren weiter<br />

fortleben zu lassen. Er ließ nicht locker und<br />

unternahm im Frühjahr 1919 einen erneuten<br />

Anlauf, Kentenich für eine Begleitung<br />

der Außenorganisation zu gewinnen. Diesmal<br />

hatte er mehr Erfolg. Kentenich kam<br />

dem Drängen der Auswärtigen nach und<br />

gab im April 1919 sein Einverständnis zu<br />

Bildung neuer Gruppen.<br />

Der junge Josef Kentenich<br />

Umgehend nahm Zeppenfeld – wie<br />

schon so oft – das Heft in die Hand und<br />

schrieb mehrere Aufrufe an die ehemaligen<br />

Abteilungsmitglieder der Außenorganisation.<br />

Was dann folgte, waren die<br />

Vorbereitungen für einen Sodalentag, der<br />

in Absprache mit Josef Kentenich am 19.<br />

und 20. August 1919 in Dortmund-Hörde<br />

stattfinden sollte. 9 Innerhalb kürzester Zeit<br />

entwickelte sich so zwischen Alois Zeppenfeld<br />

und Kentenich ein intensiver Kontakt,<br />

der in der Gründung des Apostolischen<br />

Bundes seinen Fortgang fand.<br />

Gründungsmitglied<br />

des Apostolischen Bundes<br />

Alois Zeppenfeld war unter den Gründungsmitgliedern<br />

des Apostolischen Bundes<br />

zweifellos die treibende Kraft. Aufgrund<br />

seiner umtriebigen Persönlichkeit,<br />

seines Organisationstalents, seiner – teils<br />

forschen und burschikosen – Art, die Dinge<br />

beim Namen zu nennen, aber insbesondere<br />

aufgrund seiner Liebe und Treue zur Mater<br />

ter admirabilis, war er das ideale<br />

„Zugpferd“, um die Hörder-Sodalentagung<br />

zu organisieren, durchzuführen und nachzubereiten.<br />

Die nachfolgenden Ausschnitte<br />

aus dem Wirken Zeppenfelds können dies<br />

verdeutlichen:<br />

Am 7. August 1919 traf sich Alois Zeppenfeld<br />

zur Vorbereitung der Hörder-Tagung<br />

mit anderen Teilnehmern der<br />

bevorstehenden Versammlung. Einer<br />

der Teilnehmer, Willi Girke, beschreibt<br />

Zeppenfeld in einem Brief vom 8.<br />

August 1919 an Albert Eise, den Präfekten<br />

der Marianischen Kongregation,<br />

als prächtigen Menschen, urgemütlich<br />

und von scharfem Verstand<br />

und klarem Urteil 10 .<br />

Pater Heinrich Schulte, ehemaliger<br />

Präfekt der Marianischen Kongregation<br />

und Teilnehmer der Hörder<br />

Tagung, schreibt in einem Bericht vom<br />

11. März 1957 über den Sodalentag: „Es<br />

ist nun das unbestreitbare Verdienst<br />

von Alois Zeppenfeld, dass er die ganze<br />

Sache in Bewegung brachte. Für ein<br />

paar Jahre war er es wohl, der am<br />

stärksten für Leben und Bewegung in<br />

der neu entstehenden Organisation<br />

sorgte. Er schrieb Briefe über Briefe,<br />

drängte und protestierte, bis P. Kentenich<br />

schließlich aus seiner Zurückhaltung<br />

heraustrat und das Zeichen<br />

gab zum Beginn der Arbeit. [...] Alois<br />

Zeppenfeld übernahm es, in seiner<br />

Heimatstadt Dortmund-Hörde diese<br />

Tagung vorzubereiten. [...]<br />

Alois Zeppenfeld hatte gut gesorgt.<br />

Jeder wurde in einer gut katholischen<br />

Familie untergebracht, die<br />

zudem auf jede Vergütung verzichtete.<br />

Alois hatte ihnen in seiner forschen<br />

Art schon beigebracht, welch ein großes<br />

Werk es sei, an dem sie dadurch mithelfen<br />

dürften.“ 11<br />

Schulte berichtet weiter in seinen<br />

Erinnerungen 12 , dass Alois Zeppenfeld am<br />

Abend des 19. August 1919 die Begrüßungsansprache<br />

im Kolpinghaus gehalten und<br />

dabei die anwesenden Schönstätter<br />

freundschaftlich als „Trottel“ und „Schafsnasen“<br />

beschimpft habe, da sie die Auswärtigen<br />

nach dem Krieg im Stich gelassen<br />

hätten. Schulte erinnert sich weiter,<br />

Zeppenfeld habe für die hl. Messe am<br />

Morgen des 20. August 1919 einen Franziskanerpater<br />

gewinnen können; die Leitung<br />

der sich daran anschließenden Tagung<br />

habe wieder in den Händen Alois Zeppenfelds<br />

gelegen. Auch Willi Waldbröl, ein<br />

anderer Tagungsteilnehmer, beschreibt –<br />

schon in direkter Zeitnähe des Geschehens<br />

am 1. September 1919 – in seinem Brief an<br />

Albert Eise die Ereignisse der Hörder-Tagung<br />

und hebt dabei die Initiative<br />

Zeppenfelds hervor. 13 >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 47


Nach dieser Versammlung bat Kentenich<br />

den Initiator Alois Zeppenfeld, nach<br />

Schönstatt zu kommen, um den Statutenentwurf<br />

des Apostolischen Bundes durchzusprechen.<br />

In der Zeitschrift „MTA“ veröffentlichte<br />

Zeppenfeld im<br />

November 1919 einen<br />

Abteilungsbrief, darin<br />

enthalten den Statutenentwurf<br />

des Apostolischen<br />

Bundes, wie er<br />

inzwischen mit Kentenich<br />

abgesprochen war.<br />

Der Abteilungsbrief<br />

schließt mit folgenden<br />

Worten: „Für heute soll’s<br />

genug sein. Caritas<br />

Christi urget nos! Das ist<br />

fortan unser Kampfesruf.<br />

[...] Diese Liebe wird<br />

von jetzt an der lebendige<br />

Pulsschlag unseres<br />

Herzens, die treibende<br />

Kraft, ‚allen alles zu werden,<br />

um alle selig zu<br />

machen’. [...] Gott befohlen!“<br />

14 Zeppenfeld hatte intensiv die geistliche<br />

Ausrichtung durch Josef Kentenich<br />

aufgenommen.<br />

Mitglied der UNITAS<br />

Rolandia Münster<br />

Nach den großen Ferien legte Alois<br />

Zeppenfeld auf dem Staatlichen Gymnasium<br />

in Dortmund die Reifeprüfung 15 ab<br />

und begann im Herbst 1919 sein Theologiestudium<br />

in Münster. 16 Besondere Aktivitäten<br />

entfaltete dort die UNITAS in der<br />

Nachkriegsphase des Ersten Weltkrieges:<br />

Sechs aktive UNITAS Vereine sorgten für ein<br />

florierendes unitarisches Leben und keilten<br />

die katholischen Neustudenten für einen<br />

Beitritt in ihren Verein. Darüber hinaus galt<br />

unter den <strong>Studenten</strong>verbindungen Münsters<br />

die UNITAS in der Hochschulpolitik als<br />

besonders aktiv. 17<br />

Zeppenfeld muss in Münster schnell<br />

mit der UNITAS in Kontakt gekommen sein,<br />

denn er trat bereits am 13. Oktober 1919 in<br />

die UNITAS Rolandia ein. 18 In einem Vereinsbericht<br />

der Rolandia von November 1919<br />

heißt es: „Trotz aller Schwierigkeiten [...]<br />

gelang es uns doch, fünf neue Mitglieder zu<br />

erwerben, die zum Teil nur durch unser<br />

Programm angezogen waren, die Herren:<br />

[...] theol. Zeppenfeld [...].“ 19<br />

Die UNITAS Rolandia war als sechster<br />

UNITAS-Verein in Münster (M6) am 17. Juli<br />

1919 als so genannte „neustudentische“<br />

Korporation gegründet worden. Im UNITAS<br />

Handbuch heißt es dazu: „Nach dem Krieg<br />

strömten dem UNITAS-Verband vor allem<br />

<strong>Studenten</strong> zu, die für die alten Formen des<br />

studentischen Lebens wenig Sinn hatten.<br />

Geprägt vom Geist der Jugendbewegung,<br />

wollten diese aus dem Kriegsinferno zu-<br />

48<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

rückgekehrten <strong>Studenten</strong> die Prinzipien der<br />

UNITAS bewusst nach der Form der Gründer<br />

leben. Angesprochen von den Gedanken<br />

einer gemeinsamen Eucharistie, dem<br />

betont wissenschaftlichen Streben und der<br />

Verpflichtung zu sozialem<br />

Engagement in<br />

der UNITAS lehnten sie<br />

alle Formen altstudentischen<br />

Lebens ab.“ 20<br />

Ein Vereinsbericht<br />

der UNITAS Rolandia<br />

führt im August 1919<br />

dazu aus: „Leben und<br />

Freude wurzeln in<br />

Gott; deshalb suchen<br />

die Rolanden bewusst<br />

die Gottesnähe, und<br />

das findet Ausdruck in<br />

monatlicher Kommunion<br />

und auch in häufigeren<br />

Vorträgen und<br />

Besprechungen religiöser<br />

Art, um so den tiefen<br />

Gehalt unseres<br />

katholischen Glaubens ganz zu erfassen.<br />

Die Rolanden sind Unitarier ohne Kneipe<br />

und Komment, aber nicht ohne Fröhlichkeit.“<br />

21<br />

Im Januar 1920 wurde Alois Zeppenfeld<br />

– zusammen mit sechs anderen Unitariern –<br />

„nach erfolgreichem Examen und auf Grund<br />

ihrer ganzen Persönlichkeit die Burschenrechte<br />

verliehen.“ 22 Dabei zeigte sich Zeppenfels<br />

Engagement – wie bei der Gründung<br />

des Apostolischen Bundes – auch in<br />

der UNITAS. In mehreren Wissenschaftlichen<br />

Sitzungen und Vorträgen referierte er<br />

zu folgenden Themen: „Kirche und Gebildete“,<br />

„Wissenswertes für den Volksbildner“,<br />

„Innenpolitik des Vereins“<br />

und „Die Arbeiterbewegung,<br />

vorwärts – rückwärts“. Auch die<br />

Übernahme unitarischer Ämter<br />

war für Zeppenfeld selbstverständlich:<br />

Im Jahre 1920 wurde<br />

er Vorsitzender der Münsteraner<br />

UNITAS-Vereine, deren Vorsitz<br />

die Rolandia in diesem Jahr<br />

innehatte. Im WS 1920/21<br />

wurde Zeppenfeld zum Senior<br />

der UNITAS Rolandia Münster<br />

gewählt. Im Sommer 1921 setzte<br />

er sein Theologiestudium in<br />

Paderborn fort und schloss sich<br />

der ebenfalls neustudentisch<br />

ausgerichteten UNITAS Angrivaria<br />

an, der er als Generaldispensierter<br />

bis zum Jahre<br />

1924 angehörte.<br />

Alois Zeppenfeld wurde am<br />

10. August 1924 in Paderborn<br />

zum Priester geweiht und<br />

starb am 12. September 1954 in<br />

Bochum. Sein Grab befindet<br />

sich auf dem Propstei-Friedhof<br />

in Wattenscheid.<br />

Die Mitgliedschaft<br />

Josef Kentenichs<br />

Nachweise in den unitarischen<br />

Verzeichnissen<br />

Die Mitgliedschaft Josef Kentenichs ist<br />

in den Verzeichnissen der UNITAS mehrmals<br />

dokumentiert. Diese namentlichen<br />

Nennungen sollen zunächst kurz wiedergegeben<br />

werden, bevor wir uns den damit<br />

verbundenen inhaltlichen Fragen zuwenden:<br />

Erstmalig erwähnt das „Schwarze<br />

Brett der UNITAS“ im Dezember 1919 seinen<br />

Eintritt in die UNITAS Rolandia Münster. In<br />

einem Vereinsbericht heißt es: „Sechs neue<br />

Mitglieder sprangen ein, die Herren: […], P.<br />

Kentenig, […].“ 23<br />

Der hier anfänglich eingeführte<br />

Schreibfehler wird bis März 1920 in den namentlichen<br />

Nennungen Kentenichs weitergeführt<br />

und dann korrigiert. Im Januar<br />

1920 wird Kentenich in den Vereinslisten<br />

der UNITAS-Vereine als „Auswärtiger Inaktiver“<br />

benannt. Dort ist nachzulesen:<br />

„Vereinslisten. (Vor Weihnachten.)<br />

I. Füchse.<br />

II. Aktive Burschen.<br />

III. Hospitanten.<br />

IV. Ortsanwesende Inaktive.<br />

V. Ortsanwesende Generaldispensierte.<br />

VI. Ortsanwesende Extralozierte.<br />

VII. Auswärtige Inaktive.<br />

UNITAS Rolandia I. […]. II. […]. VII. […],<br />

Kentenig, […].“ 24<br />

Dasselbe Verzeichnis listet ihn in einer<br />

Studierendenübersicht als rezipiertes Mitglied<br />

der UNITAS auf und benennt dabei<br />

den 3. Dezember 1919 als genaues Auf-<br />

P. Kentenich in Audienz bei Papst Paul VI.


nahmedatum: „Studierende. Kentenig Josef<br />

°theol.° Vallendar, Schönstattstraße (3.12.19)<br />

M6.“ 25 Im März 1920 ist Josef Kentenich<br />

wieder in der Vereinsliste der UNITAS<br />

Rolandia als „Auswärtiger Inaktiver“ aufgeführt<br />

– diesmal mit korrekter Schreibweise<br />

„Kentenich“. 26<br />

Neben den damaligen unitarischen<br />

Publikationen ist die Mitgliedschaft Josef<br />

Kentenichs auch in den Gesamtverzeichnissen<br />

des UNITAS-Verbandes nachzulesen.<br />

Im Gesamtverzeichnis des Jahres 1925 wird<br />

er wie folgt benannt: „M6 * Kentenich Jos. °<br />

Pater, P.S.M. ° Vallendar (Rhein), Schönstatt<br />

(H 19).“ 27 Für die Jahre 1927 28 und 1930 29 findet<br />

sich in den Gesamtverzeichnissen des<br />

UNITAS Verbandes der identische Wortlaut.<br />

Letztmalig findet Josef Kentenich im<br />

Gesamtverzeichnis der UNITAS im Jahre<br />

1968 Berücksichtigung. Darin heißt es:<br />

„Kentenich, Josef – Pater SAC – 5424 W.<br />

Bluemound Road, Milwaukee 8 Wisc. / USA<br />

(H 19) M6“ 30 .<br />

Hintergründe zum Eintritt<br />

Josef Kentenichs in die UNITAS<br />

Die genauen Umstände,<br />

die zur Mitgliedschaft<br />

Kentenichs in der<br />

UNITAS Rolandia Münster<br />

geführt haben, liegen<br />

in Ermangelung entsprechender<br />

Zeitdokumente<br />

(noch) im Dunkeln. 31<br />

Im Herbstsemester<br />

des Jahres 1919 wurden<br />

in die UNITAS Rolandia<br />

insgesamt acht neue<br />

Bundesbrüder aufgenommen.<br />

Fünf davon<br />

waren Theologiestudenten, einer Priester<br />

(Josef Kentenich) und zwei <strong>Studenten</strong> der<br />

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.<br />

Nach den Verzeichnissen der UNITAS wurde<br />

Kentenich am Mittwoch, den 3. Dezember<br />

1919, in die UNITAS Rolandia Münster rezipiert.<br />

Ausweislich der damaligen Studierendenverzeichnisse<br />

fanden alle anderen<br />

Aufnahmen in die Rolandia an einem<br />

Montag statt: Drei Bundesbrüder wurden<br />

am 13. Oktober 1919 rezipiert, ein Bundesbruder<br />

wurde am 20. Oktober 1919 in die<br />

Rolandia aufgenommen; einen Monat später<br />

wurde am 10. November 1919 ein<br />

Bundesbruder und am 24. November 1919<br />

zwei weitere Bundesbrüder Mitglied dieses<br />

UNITAS-Vereins. Es ist davon auszugehen,<br />

dass die Rolandia immer an Montagen eine<br />

Veranstaltung hatte (Konvent, Wissenschaftliche<br />

Sitzung etc.) und die Bewerber<br />

in diesem Rahmen feierlich in den Verein<br />

aufgenommen wurden.<br />

Josef Kentenichs Aufnahme ist aufgrund<br />

des Eintrittsdatums auffällig: Er ist<br />

der einzige „Rolande“, der in dieser Zeit<br />

„mittwochs“ dem UNITAS-Verein beigetreten<br />

ist. Über die Gründe hierfür kann nur<br />

spekuliert werden: Möglich, dass die Mitgliedschaft<br />

nicht langfristig geplant war<br />

und eventuell ad hoc während Kentenichs<br />

Aufenthalt in Münster entschieden wurde;<br />

möglich auch, dass er für eine Teilnahme an<br />

den turnusmäßigen Montagen verhindert<br />

war und deshalb der Mittwoch gewählt<br />

wurde. Sicher ist lediglich, dass sich Josef<br />

Kentenich am Mittwoch, den 3. Dezember<br />

1919 in Münster aufgehalten hat und an<br />

diesem Tag der UNITAS Rolandia beigetreten<br />

ist.<br />

Da keine weiteren<br />

Quellen über einen Aufenthalt<br />

Josef Kentenichs<br />

für Anfang Dezember<br />

1919 in Münster vorliegen,<br />

bleibt die Frage, ob<br />

Kentenich womöglich in<br />

Abwesenheit der Rolandia<br />

beigetreten sein<br />

könnte? Dazu ist Folgendes<br />

zu sagen: Nach<br />

dem Aufnahmeritus der<br />

UNITAS ist ein persönliches<br />

Erscheinen des<br />

Neumitglieds bei der<br />

Rezipierung zwingend erforderlich. Die<br />

Verpflichtung auf die Prinzipien der UNITAS<br />

und die Bereitschaft, diese zu achten und<br />

die Rechte und Pflichten als Unitarier zu<br />

wahren, stellen einen Akt dar, der nicht in<br />

Abwesenheit vollzogen werden kann. Insofern<br />

kann eine Aufnahme Kentenichs in<br />

Abwesenheit ausgeschlossen werden.<br />

Die Aufnahme als „Auswärtiger Inaktiver“<br />

trug der Tatsache Rechnung, dass<br />

Kentenich nicht in Münster gewohnt, sondern<br />

zu dieser Zeit in Vallendar seinen<br />

Wohnsitz hatte. Aufgrund dieses Umstandes<br />

kam zum damaligen Zeitpunkt nur<br />

eine Aufnahme mit dem Status eines<br />

„Auswärtigen Inaktiven“ in Frage. 32 Mit<br />

Josef Kentenich teilten noch acht weitere<br />

Bundesbrüder der UNITAS Rolandia den<br />

Status eines „Auswärtigen Inaktiven“.<br />

Josef Kentenich war zum Zeitpunkt seiner<br />

Aufnahme in die UNITAS Rolandia<br />

Münster 34 Jahre alt und bereits neun Jahr<br />

Priester. Wie kam es dazu, dass er als „Akademiker“,<br />

d. h. nach Beendigung des Stu-<br />

diums, in die UNITAS eingetreten ist? Nach<br />

der Neugründung der Rolandia am 17. Juli<br />

1919 war der junge Verein auf den Eintritt<br />

von <strong>Studenten</strong> angewiesen. Nur so war ein<br />

aktives Vereinsleben möglich; umso mehr,<br />

als die Rolandia neustudentisch ausgerichtet<br />

war und per se um Neumitglieder intensiver<br />

werben musste als andere UNITAS<br />

Vereine. Darüber hinaus fehlte es der<br />

Rolandia kurz nach der Gründung zunächst<br />

an Alten Herren, die im Zusammenschluss<br />

eines Altherrenvereins die Aktivitas – auch<br />

finanziell – unterstützen konnten. Die Aufnahme<br />

von Priestern unterschied sich dahingehend,<br />

als dass diese (bis zum heutigen<br />

Tag) keinen Vereinsbeitrag zu entrichten<br />

hatten. Deren Unterstützung war somit<br />

mehr von „geistlicher Natur“. Die Aufnahme<br />

des „Priesters Josef Kentenichs“ in<br />

die UNITAS diente – von Seiten des Vereines<br />

her – diesem Ziel einer ideellen Unterstützung<br />

und reihte sich ein in die<br />

Aufnahme zahlreicher anderer Priester und<br />

Ordensleute. Hinzu kam, dass der UNITAS-<br />

Verband am Anfang des letzten Jahrhunderts<br />

noch stark an den Theologie Studierenden<br />

ausgerichtet war; lag doch die<br />

Öffnung des ehemaligen „Theologenverbandes“<br />

für andere Fakultäten erst 32<br />

Jahre zurück.<br />

Zu den Beweggründen<br />

Josef Kentenichs<br />

Um es vorweg zu nehmen: Die Motive<br />

Josef Kentenichs, mitten in der Gründungsphase<br />

Schönstatts in einen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>verein und damit in einen<br />

„Lebensbund“ einzutreten, lassen sich nur<br />

vermuten. Dennoch kann aus dem damaligen<br />

Lebensgefüge Kentenichs heraus ein<br />

Versuch unternommen werden, den Gründen<br />

„auf die Spur“ zu kommen.<br />

Die „erste Spur“ ist zweifellos bei der<br />

persönlichen Situation Kentenichs selbst zu<br />

suchen: Nachdem er am 18. Juli 1919 von der<br />

Aufgabe als Spiritual freigestellt worden<br />

war, konnte er sich – soweit dies sein angeschlagener<br />

Gesundheitszustand hergab –<br />

den neuen Aufgaben zur „Gründung eines<br />

apostolischen <strong>Studenten</strong>-, Lehrer- und Akademikerbundes“<br />

widmen. In einem Brief<br />

Anfang August 1919 schreibt Kentenich an<br />

Josef Fischer:„Da nun meine Hauptkraft der<br />

Seelsorge auswärtiger <strong>Studenten</strong> gehört,<br />

bin ich gerne bereit, Ihre persönlichen<br />

Fragen zu beantworten, [...].“ 33 Zweifellos<br />

galt seine „Seelsorge auswärtiger <strong>Studenten</strong>“<br />

auch der Person, die eine zentrale Rolle<br />

im Gründungsgeschehen des Apostolischen<br />

Bundes hatte: Alois Zeppenfeld.<br />

Wie bereits erwähnt, wurde Zeppenfeld<br />

unmittelbar nach Aufnahme seines Theologiestudiums<br />

Unitarier bei der Rolandia.<br />

Kentenich stand seit längerem mit ihm in<br />

Kontakt und war dem Mitbegründer des<br />

Apostolischen Bundes mehr als wohlgeson- >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 49


Eine kleine Marienkapelle, ein großer <strong>Wallfahrt</strong>sort<br />

in Vallendar bei Koblenz am Rhein und<br />

eine weltweite apostolische Bewegung –<br />

das ist Schönstatt. Gründer der Bewegung,<br />

die hier ihren Ursprungsort hat, ist Pater Josef<br />

Kentenich. Zusammen mit Jugendlichen der<br />

Marianischen Kongregation schloss er 1914 in<br />

dieser Kapelle ein Liebesbündnis mit Maria.<br />

nen. Alois Zeppenfeld war zu dieser Zeit<br />

die treibende Kraft und Dreh- und Angelpunkt<br />

des Apostolischen Bundes. Die<br />

„Seelsorge auswärtiger <strong>Studenten</strong>“, wie<br />

Kentenich es formulierte, konnte so ihren<br />

Niederschlag auch bei dem Theologiestudenten<br />

Zeppenfeld finden. Zeppenfeld<br />

war ein engagierter Unitarier. Es liegt nahe<br />

zu vermuten, dass er es war, der Kentenich<br />

im Umfeld einer seelsorgerlichen Reise<br />

nach Münster den Beitritt zur Rolandia<br />

nahe gebracht hat.<br />

Hinzu kam die Affinität Kentenichs zu<br />

wesentlichen Elementen des UNITAS-Verbandes.<br />

Im Unterschied von anderen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>verbänden war die UNI-<br />

TAS durch ihre marianische und stark kirchlich<br />

gesinnte Ausrichtung mit „Maria Immaculata“<br />

als Patronin besonders für Theologen<br />

attraktiv. Hinzu kam der zweite Patron<br />

Heiligabend 1965: Bbr. P. Kentenich feiert die Messe<br />

im Urheiligtum<br />

50<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

der UNITAS: Thomas von Aquin, mit dem<br />

Kentenich durch sein neuscholastisches<br />

Studium gut vertraut war und dessen Verhältnisbestimmung<br />

von Gott und Welt wesentlich<br />

die theologische Sicht der „Zweitursachen“<br />

34 prägte, wie sie für die Schönstatt-Bewegung<br />

typisch werden sollte.<br />

Neben dieser spirituell-theologischen<br />

Prägung der UNITAS können als Elemente<br />

einer möglichen Identifikation Kentenichs<br />

mit der UNITAS auch deren „Internationalität“<br />

und das „soziale Engagement“ benannt<br />

werden. Die deutsche Nationalität<br />

war und ist bis heute keine Voraussetzung<br />

für die Aufnahme in einen UNITAS-Verein;<br />

frühe unitarische Tradition war es hingegen,<br />

caritativ tätig zu sein und für soziale<br />

Gerechtigkeit einzustehen. Dementsprechend<br />

hat die UNITAS stets Standesdünkel<br />

abgelehnt und war immer offen für jeden<br />

katholischen <strong>Studenten</strong>, unabhängig von<br />

seiner finanziellen Lage und gesellschaftlichen<br />

Herkunft. 35 Die Herkunft Kentenichs<br />

aus einfachsten sozialen Verhältnissen<br />

stellte hier ebenfalls kein Hindernis dar.<br />

Gerade die neustudentische Ausrichtung<br />

des Münsteraner UNITAS-Vereins<br />

Rolandia spielt hier womöglich auch eine<br />

Rolle: sowohl für Zeppenfelds Eintritt als<br />

auch für den Josef Kentenichs. Hier fanden<br />

sich vornehmlich Männer, die – oftmals<br />

gerade aus dem Krieg zurückgekehrt –<br />

keinerlei Ambitionen zu militärischen<br />

Gesten in Kleidung und Sitte hatten (dies in<br />

deutlicher Absetzung von anderen unitarischen<br />

Vereinen und anderen <strong>Studenten</strong>verbänden)<br />

und froh waren, dem Wahnsinn<br />

des Ersten Weltkrieges lebend entkommen<br />

zu sein. Einer wie auch immer gearteten<br />

Militarisierung von Politik und Gesellschaft<br />

stand man hier äußerst kritisch gegenüber.<br />

Europa aus dem Geist Jesu Christi und in<br />

voller Identifikation mit der katholischen<br />

Kirche zu prägen, war Motivation des Zusammenschlusses<br />

in den neustudentischen<br />

Vereinen in diesen frühen Nachkriegsjahren.<br />

Neben den hier benannten unitarischen<br />

„Spuren“ dürften weitere Anknüpfungspunkte<br />

für die Mitgliedschaft<br />

Josef Kentenichs<br />

in der UNITAS auch in der bewussten<br />

Fühlungnahme des<br />

Gründers mit zahlreichen<br />

katholischen Strömungen<br />

des deutschen Katholizismus<br />

nach dem Ersten Weltkrieg<br />

zu suchen sein. In der<br />

Gründungsphase Schönstatts<br />

stellten sich die Fragen:<br />

„Wo können wir Fuß<br />

fassen und wo können wir<br />

Kontakt aufnehmen zu anderen<br />

katholischen Organisationen?“<br />

Kentenichs Teilnahme<br />

an der Jugendführertagung<br />

im Januar 1917<br />

Das Gnadenbild im Urheiligtum von Schönstatt:<br />

Maria, die „Dreimal Wunderbare<br />

Mutter“<br />

in Düsseldorf und seine dortige Begegnung<br />

mit Bbr. Mausbach gehört in diesen Zusammenhang.<br />

Solche Begegnungen boten für Kentenich<br />

zum einen die Möglichkeit, die eigene<br />

Zielsetzung präziser in den Blick zu bekommen,<br />

zum anderen trieb ihn – wie viele der<br />

jungen Schönstätter – der Eifer, die frühen<br />

Erfahrungen der eigenen Bewegung in weitere<br />

Kreise hineinzutragen. Da <strong>Studenten</strong><br />

und Akademiker von Anfang an im Fokus<br />

Josef Kentenichs standen, und „Schönstatt<br />

als katholische Lebensbewegung [...] als ‚universell’<br />

gedacht und konzipiert“ 36 worden<br />

war, lag es nahe, den „Schönstätter Geist“<br />

mit geistesverwandten studentischen Bewegungen<br />

zu kommunizieren. Im Jahre 1956<br />

schreibt Kentenich selbst über jene Zeit:„[…];<br />

der Blick auf Menschen und Verhältnisse<br />

hielt Ausschau nach greifbaren Anknüpfungspunkten,<br />

nach Hilfen und Werkzeugen,<br />

die jeweils und zur rechten Zeit und am<br />

rechten Platz eingesetzt werden sollten,<br />

[…].“ 37 Sicher gilt dies auch im Hinblick auf<br />

Kentenichs Kontakt zur UNITAS.<br />

Die von Vinzenz Pallotti, dem Gründer<br />

der Pallottiner, übernommene „Grundidee<br />

einer föderativen Zusammenarbeit aller<br />

apostolischen Kräfte der Kirche“ zur Gründung<br />

eines „Weltapostolatsverbandes“, der<br />

nicht nur für kirchliche Gemeinschaften,<br />

sondern „auch für Vereine offen“ sein sollte<br />

38 , mag ebenfalls den Schritt des Eintrittes<br />

in einen unitarischen Verein befördert<br />

haben. Dass es dann gerade die UNI-<br />

TAS Rolandia traf, dürfte – wie oben erwähnt<br />

– der freundschaftlichen und seelsorgerlichen<br />

Nähe von Josef Kentenich zu<br />

Alois Zeppenfeld geschuldet sein.


Pallottiner und<br />

Schönstätter in der UNITAS<br />

Josef Kentenich war nicht der einzige<br />

Pallottiner bzw. Schönstätter in der UNITAS.<br />

Immer wieder fanden Mitglieder dieser<br />

Gemeinschaften Zugang zu unitarischen<br />

Vereinen. Nur einige seien hier erwähnt:<br />

Bereits im Wintersemester 1916 trat als<br />

Pallottinerstudent der spätere Spiritual in<br />

Vallendar, Pater Johannes Valerius SAC, in<br />

Frankfurt der UNITAS bei. Im WS 1918/19<br />

wurde Pater Eugen Weber SAC, später<br />

Bbr. P. Kentenich mit dem Münsteraner Bischof<br />

Bbr. Heinrich Tenhumberg (vorne rechts), der seit<br />

seiner Studienzeit mit der Schönstatt-Bewegung<br />

verbunden war<br />

Direktor des Studienhauses der Pallottiner<br />

in Südafrika, als 28-jähriger Priester in die<br />

UNITAS Frisia zu Münster rezipiert. Im SS<br />

1933 fanden Pater Dr. Wilhelm Bange SAC,<br />

später Vize-Provinzial, und Pater Albert<br />

Renn SAC, später Standesleiter der männ-<br />

lichen Schönstattjugend in Paderborn und<br />

Spiritual, ihren Weg in die UNITAS Berlin.<br />

Der wohl bekannteste unitarische<br />

Schönstätter war jedoch der ehemalige<br />

Bischof von Münster, Bbr. Heinrich Tenhumberg.<br />

Wie Bischof Tenhumberg zur<br />

UNITAS gelangte, lässt sich nicht mehr feststellen.<br />

Eines steht jedoch fest: Im Rahmen<br />

seiner Freisemester studierte Tenhumberg,<br />

zusammen mit seinem Freund Karl Leisner,<br />

in Freiburg und trat dort im Jahre 1936 in<br />

die UNITAS Eckhardia ein. Noch im selben<br />

Jahr legte er seine Weihe an die Mater ter<br />

admirabilis in Schönstatt ab. Schon in seinem<br />

zweiten unitarischen Semester übernahm<br />

er in Freiburg das Amt des Fuchsmajors.<br />

Nach Münster zurückgekehrt trat<br />

er dort der UNITAS Burgundia bei und<br />

wurde später – bereits als Weihbischof –<br />

Geistlicher Beirat des gesamten UNITAS-<br />

Verbandes. Mehr noch als Kentenich, der<br />

zeitlebens inaktives Mitglied des Verbandes<br />

blieb, repräsentierte Tenhumberg die<br />

selbstverständliche Vereinbarkeit von<br />

Mitgliedschaft in der UNITAS und Schönstättischer<br />

Bindung.<br />

Schlussbetrachtung<br />

Anmerkungen/Quellen:<br />

1 Schwarzes Brett der UNITAS, Nummer 4, 60 (1920) 74.<br />

2 Zuletzt in: UNITAS, Nummer 4, 145 (2005) 198f.<br />

3 Zum Ganzen vgl. Engelbert Monnerjahn, P. Josef Kentenich, Ein Leben<br />

für die Kirche, Vallendar 1975.<br />

4 Vgl. W. Burr (Hrsg.), UNITAS Handbuch, Bd. IV, Bonn 2000, 342ff.<br />

5 Aufwärts, Eine Feldgabe von Mitgliedern des Verbandes der wiss. kath.<br />

<strong>Studenten</strong>vereine UNITAS, Gladbach 1917, 176.<br />

6 Josef Mausbach studierte Theologie in Münster, promovierte dort und<br />

nahm ebenfalls in Münster eine Professur für Moraltheologie und<br />

Apologetik an.<br />

7 Vgl. Engelbert Monnerjahn, P. Josef Kentenich, Ein Leben für die Kirche,<br />

Vallendar 1975, 95ff.<br />

8 Ebd. 97.<br />

9 Die Ausführungen zum Sodalentag in Dortmund-Hörde sind weitgehend<br />

entnommen: Heinrich M. Hug (Hrsg.), Hörde 1919 – Größe und<br />

Grenze einer Versammlung, Schönstatt 2008, 69ff.<br />

10 Vgl. ebd. 72.<br />

11 Ebd. 94-96.<br />

12 Vgl. ebd. 100f.<br />

13 Vgl. ebd. 86-91.<br />

14 Ebd. 110.<br />

15 Vgl. Fritz Ernst, Die Bedeutung der Hörder Tagung 1919 für die<br />

Apostolische Bewegung von Schönstatt, Paderborn 1959, 31.<br />

16 In den Jahren 1919/20 fand an den deutschen Universitäten ein sog.<br />

Zwischensemester insbesondere für Kriegsrückkehrer statt. Der<br />

Zeitraum lag von Herbst bis Weihnachten und von Weihnachten bis<br />

zum Sommersemester. Das Herbstsemester in Münster wurde mit der<br />

Rektoratsübergabe am 15. September 1919 eröffnet.<br />

17 Im Jahre 1919 war AStA-Vorsitzender der Unitarier stud. rer. pol.<br />

Heinrich Hollenberg.<br />

18 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 3, 60 (1919) 50.<br />

Die Mitgliedschaft Josef Kentenichs in<br />

der UNITAS ist zweifelsfrei belegt. Am<br />

Mittwoch, dem 3. Dezember 1919 trat er in<br />

den Wissenschaftlichen Katholischen <strong>Studenten</strong>verein<br />

UNITAS Rolandia Münster<br />

ein. Die genaueren Hintergründe seines<br />

Eintritts und seine Beweggründe hierfür<br />

liegen leider (noch) im Dunkeln. Sie können<br />

derzeit nur vermutet werden.<br />

Klar ist jedoch eins: Das Bindeglied zwischen<br />

Josef Kentenich und der UNITAS ist<br />

Alois Zeppenfeld gewesen. Nur durch ihn<br />

kann er zu der neustudentisch ausgerichteten<br />

UNITAS Rolandia gekommen sein.<br />

Josef Kentenich war kein aktiver Unitarier.<br />

Als „Auswärtiger Inaktiver“ war es ihm<br />

nicht möglich, an einem Vereinsleben teilzunehmen.<br />

Sein kritischer Gesundheitszustand<br />

in den Nachkriegsjahren und sein<br />

Einsatz für den Aufbau des Schönstattwerkes<br />

ließen ein aktives unitarisches<br />

Leben auch nicht zu. Dennoch ist Kentenich<br />

der UNITAS insofern treu geblieben, als<br />

dass die Mitgliedschaft in der UNITAS bis zu<br />

seinem Tod fortbestanden hat. Anfang der<br />

50er-Jahre führte der UNITAS-Verband eine<br />

„Bereinigung der Kartei“ durch, weshalb<br />

von da an all diejenigen nicht weitergeführt<br />

wurden, die sich im Rahmen dieser<br />

Aktion nicht zurückgemeldet hatten.<br />

Kentenich muss dieser Anfrage allerdings<br />

nachgekommen sein, da sich nach diesem<br />

Zeitpunkt in der Tat seine korrekte Adresse<br />

im amerikanischen Exil in den Verbandsverzeichnissen<br />

der UNITAS findet.<br />

Die UNITAS kann stolz darauf sein, Josef<br />

Kentenich, den Gründer der Schönstattbewegung,<br />

in ihren Reihen zu haben<br />

und ihn einen Bundesbruder nennen zu<br />

dürfen.<br />

19 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 2, 60 (1919) 28.<br />

20 W. Burr (Hrsg.), UNITAS Handbuch. Bd. II, Bonn 1996, 40f.<br />

21 UNITAS, Organ des Verbandes der wissenschaftlichen kathol. <strong>Studenten</strong>vereine<br />

UNITAS, Nr. 6, 59 (1919) 279.<br />

22 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 4, 60 (1920) 68.<br />

23 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 3, 60 (1919) 44.<br />

24 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 4, 60 (1920) 72.<br />

25 Ebd. 74.<br />

26 Schwarzes Brett der UNITAS, Nr. 6, 60 (1920) 118.<br />

27 Gesamtverzeichnis des Verbandes der wissenschaftlichen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>vereine UNITAS, o.O. 1925, 65.<br />

28 Gesamtverzeichnis des Verbandes der wissenschaftlichen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>vereine UNITAS, o.O. 1927, 87.<br />

29 Gesamtverzeichnis des Verbandes der wissenschaftlichen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>vereine UNITAS, o.O. 1930, 71.<br />

30 Gesamtverzeichnis, Verband der wissenschaftlichen katholischen<br />

<strong>Studenten</strong>vereine UNITAS, o.O. 1968, 144.<br />

31 Nach Auskunft der UNITAS Rolandia Münster sind Vereinsdokumente<br />

aus dem Jahre 1919 nicht auffindbar.<br />

32 Im Jahr 1919 wurden bei der UNITAS Rolandia Münster alle<br />

„Auswärtigen“ als inaktiv deklariert.<br />

33 Heinrich M. Hug (Hrsg.), Hörde 1919 – Größe und Grenze einer Ver-<br />

sammlung, Schönstatt 2008, 83.<br />

34 Vgl. CAUSA SECUNDA. Textbuch zur Zweitursachenlehre bei P. Josef<br />

Kentenich, hrsg. vom Josef-Kentenich-Institut, Freiburg i. Br. 1979.<br />

35 Vgl. W. Burr (Hrsg.), UNITAS Handbuch, Bd. I, Bonn 1995, 26.<br />

36 Vgl. Hubertus Brantzen u. a. (Hrsg.), Schönstatt-Lexikon, Vallendar-<br />

Schönstatt 1996, 401f.<br />

37 Heinrich M. Hug, (Hrsg.), Hörde 1919 – Größe und Grenze einer Versammlung,<br />

Schönstatt 2008, 12.<br />

38 Vgl. Hubertus Brantzen u. a. (Hrsg.), Schönstatt-Lexikon, Vallendar-<br />

Schönstatt 1996, 422ff.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 51


Bbr. Eduard Müller: Ehrung für „Lübecker Märtyrer“<br />

Weihbischof Hubert Berenbrinker (rechts)<br />

und Bürgermeister Burkhard Deppe nahmen<br />

die Umwidmung der Straße zum Eduard-Müller-<br />

Weg vor.<br />

Foto: www.clementinum-paderborn.de<br />

BAD DRIBURG/PADERBORN. In Bad Driburg<br />

gibt es ab sofort einen „Eduard-Müller-<br />

Weg“. Damit ehrt die Stadt Kaplan Bbr.<br />

Eduard Müller, der von 1931 bis 1935 im dortigen<br />

Clementinum sein Abitur erworben<br />

hatte und unter nationalsozialistischer<br />

Herrschaft hingerichtet wurde. Zur<br />

offiziellen Umbenennung der<br />

Straße, die vom Clemensheim hinauf<br />

zur Waldkapelle führt, war am<br />

Dienstag, 3. Februar, der Paderborner<br />

Weihbischof Hubert Berenbrinker<br />

nach Bad Driburg gekommen.<br />

Bbr. Eduard Müller gehört zu<br />

den so genannten „Lübecker<br />

Märtyrern“. Diese Gruppe von<br />

Geistlichen brachte Predigten des<br />

damaligen Bischofs von Münster,<br />

Clemens August Graf von Galen,<br />

unter das Volk, in denen dieser sich<br />

gegen die Ermordung physisch<br />

und psychisch Kranker durch die<br />

Nationalsozialisten wandte. Auf<br />

Gruppenabenden wurde zudem offen über<br />

die Sinnlosigkeit des Krieges diskutiert. Die<br />

beteiligten Geistlichen wurden verhaftet<br />

und 1943 wegen „landesverräterischer<br />

Feindbegünstigung“, „Wehrkraftzersetzung“,<br />

„Vergehen gegen das Rundfunkgesetz“<br />

und das „Heimtückegesetz“ zum<br />

Tode verurteilt und hingerichtet. Seit 2004<br />

läuft in Rom das Seligsprechungsverfahren<br />

für die Lübecker Märtyrer.<br />

Der Rat der Stadt Bad Driburg hatte<br />

kürzlich den einstimmigen Beschluss gefasst,<br />

eine Straße nach dem ehemaligen<br />

Clementiner Bbr. Eduard Müller zu benen-<br />

52<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

nen. Zugleich wurde im Rathaus eine<br />

Ausstellung zu den Lübecker Märtyrern eröffnet,<br />

die bis Ende Februar <strong>2009</strong> zu sehen<br />

war. Die Ausstellung kam auf Initiative des<br />

Clementinums Paderborn und des Fördervereins<br />

St. Klemens zu Stande.<br />

Von 1928 an konnten im Bad Driburger<br />

Clementinum Männer, die Priester werden<br />

wollten, auf dem zweiten Bildungsweg<br />

das Abitur erlangen. 1997 wurde die vom<br />

Clemens-Hofbauer-Hilfswerk für Priesterspätberufe<br />

e.V. getragene Schule wegen<br />

rückläufiger Schülerzahlen geschlossen.<br />

Seither besuchen die Schüler das Westfalenkolleg<br />

Paderborn und wohnen in der<br />

Theodor-Heuss-Straße im Clementinum<br />

Paderborn. Das Clemens-Hofbauer-Hilfswerk<br />

ist aber weiterhin Träger des ehemaligen<br />

Gebäudes in Bad Driburg, das jetzt<br />

an das Kolpingbildungszentrum vermietet<br />

ist.<br />

Bbr. Eduard Müller –<br />

beliebter Seelsorger<br />

Bundesbruder Eduard Müller, geboren<br />

am 20. August 1911 in Neumünster, kam aus<br />

armen Verhältnissen. Der Vater hatte die<br />

Familie mit sieben Kindern früh verlassen,<br />

die Mutter schlug sich mit Gelegenheits-<br />

Ein Kohlenkeller wird zum Jugendheim. Kaplan Müller<br />

und die Pfarrjugend)<br />

arbeiten durch. Müller lernte Tischler, war in<br />

der katholischen Jugendbewegung aktiv<br />

und wäre gerne Priester geworden. Seinen<br />

Wunsch, Priester zu werden, musste er über<br />

den mühsamen Weg privater Lateinstunden,<br />

Spätberufenenkonvikt mit Abitur,<br />

dann Studium in Münster, verwirklichen.<br />

Der Neumünsteraner Kaplan und Bundesbruder<br />

Dr. Bernhard Schräder (später Weihbischof<br />

in Schwerin) förderte ihn und<br />

besorgte Geldgeber für seine Schulbildung.<br />

1936 legte Bbr. Müller sein Abitur am<br />

Spätberufenen-Kolleg in Bad Driburg ab<br />

und nahm in Münster das Studium der<br />

Theologie auf. 1940 wurde er in Osnabrück<br />

zum Priester geweiht und kam noch im<br />

gleichen Jahr nach Lübeck.<br />

Als Adjunkt in der Lübecker Herz-Jesu-<br />

Gemeinde wurde er von Pfarrer Msgr. Dr.<br />

Albert Bültel, ebenfalls Bundesbruder und<br />

pastor primarius in Lübeck, sehr gefördert.<br />

Müller war besonders bei der Jugend und<br />

bei den einfachen Leuten beliebt. Er legte<br />

Hand an, wenn ein Handwerker gebraucht<br />

wurde. Seine erfolgreiche Jugendarbeit veranlasste<br />

die HJ, die Hitlerjugend, ihn um<br />

Mitarbeit zu bitten. Er aber blieb bei seiner<br />

Gemeindejugend.<br />

Müller sah sich als „Soldat“ des „Königs“<br />

Christus. In einem Brief an den<br />

Bischof schrieb er kurz vor der Hinrichtung:<br />

„Knapp zwei Jahre durfte ich als Priester<br />

ihrer Diözese helfen am Aufbau des Reiches<br />

Gottes. Und wenn ich an Gottes Thron stehen<br />

darf, dann werde ich auch dort helfen<br />

am Aufbau des Reiches Gottes in unserem<br />

lieben Vaterland und besonders in unserer<br />

Diözese.“ Der junge Priester hatte keine<br />

politischen Ambitionen. Er war sich aber im<br />

Klaren, dass Nationalsozialismus und<br />

Christentum unvereinbar waren. Wie bei<br />

Bbr. Johannes Prassek konnte ihm die<br />

Anklage keine öffentliche Kritik an der NS-<br />

Herrschaft vorwerfen. Trotzdem wurde er<br />

am 22. Juni 1942 festgenommen und zum<br />

Tode verurteilt.<br />

1942/43: Prozess<br />

vor dem Volksgerichtshof<br />

Der Prozess gegen die vier Geistlichen,<br />

Bundesbruder Kaplan Johannes Prassek<br />

(* 13. 8. 1911 in Hamburg), Bundesbruder Ad-


junkt Eduard Müller (* 20. 8. 1911 in Neumünster),<br />

gegen Vikar Hermann Lange<br />

(* 16. 4. 1912 zu Leer in Ostfriesland) und<br />

Pastor Karl Friedrich Stellbrink dauerte<br />

kaum zwei Tage (22./23. April). In der Anklage<br />

gegen die drei katholischen Geistlichen,<br />

die gemeinsam an der Lübecker<br />

Herz-Jesu-Kirche in der Seelsorge tätig<br />

waren, hieß es: „Ihnen ist zur Last gelegt,<br />

seit 1940 oder Anfang 1941 ständig<br />

deutschsprachige Sendungen des feindlichen<br />

Rundfunks<br />

abgehört und verbreitet<br />

und dadurch<br />

die Feindpropaganda<br />

gefördert zu haben.<br />

Sie haben ferner<br />

seit Frühjahr oder<br />

Sommer 1941 auf<br />

Anordnung Ihrer vorgesetztenKirchenbehörde<br />

regelmäßig<br />

Gruppenabende veranstaltet,<br />

die der<br />

religiösen Vertiefung<br />

der Teilnehmer dienen<br />

sollten und zu<br />

denen sich auf Einladung<br />

durch die<br />

Angeklagten überwiegend<br />

junge Männer<br />

einfanden, die<br />

zum Teil der Wehrmacht<br />

angehörten<br />

und die weitere Gäste einführten; sie sind<br />

weiter beschuldigt, auf diesen Gruppenabenden<br />

durch Hetze gegen den nationalsozialistischen<br />

Staat und zwar auch durch<br />

Verteilung von Schriften, dem Kriegsfeind<br />

Vorschub geleistet und Vorbereitung zum<br />

Hochverrat begangen zu haben.“<br />

Das Urteil des Volksgerichtshofes vom<br />

23. April 1942 lautete: „Im Namen des deutschen<br />

Volkes ... Die Angeklagten haben jeder<br />

Rundfunkverbrechen, landesverräteri-<br />

sche Feindbegünstigung und<br />

Zersetzung der Wehrkraft begangen.<br />

Wer den Staat angreift,<br />

kämpft damit unmittelbar<br />

gegen die geschlossene<br />

und einige Gemeinschaft der<br />

Deutschen ... Die Angeklagten<br />

sind hartnäckige, fanatisierte<br />

und auch gänzlich unbelehrbare<br />

Hasser des nationalsozialistischen<br />

Staates. Für solche<br />

Verbrecher am Volksganzen<br />

wie die Angeklagten Prassek,<br />

Lange und Müller es sind, kann<br />

es nur die härteste Strafe<br />

geben, die das Gesetz zum<br />

Schutz des Volkes zulässt, die<br />

Todesstrafe!“<br />

Von einem Gerichtsprozess<br />

konnte keine Rede sein. Das<br />

Urteil stand bereits vorher fest.<br />

Bbr. Eduard Müller wies im<br />

Prozess vor dem Volksgerichtshof<br />

alle Anschuldigungen von sich. Wahrscheinlich<br />

war er wirklich kaum an den<br />

Handlungen der anderen beteiligt. Nach<br />

der Urteilsverkündigung schrieb er: „So<br />

habe ich die Erwartung und Hoffnung, dass<br />

ich in keinem Stück werde zuschanden werden,<br />

sondern dass in allem Freimut, wie<br />

immer, auch jetzt Christus an meinem<br />

Leibe verherrlicht werde, sei es durch Leben,<br />

sei es durch Tod. Denn für mich ist das<br />

Leben Christus und das Sterben Gewinn.“<br />

Das Gebet lautete:<br />

„Herr, hier sind<br />

meine Hände. Lege<br />

darauf, was du<br />

willst. Nimm hinweg,<br />

was du willst.<br />

Führe mich, wohin<br />

du willst. In allem<br />

geschehe dein<br />

Wille.“ (Vgl. <strong>Unitas</strong><br />

1/2005)<br />

Wenige Tage<br />

nach der Gerichtsverhandlungwurden<br />

die vier Verurteilten<br />

in das Zuchthaus<br />

Hamburg-<br />

Holstenglacis verlegt<br />

(s. Erinnerungstafel<br />

am Gefängnis).<br />

Die letzten Monate<br />

verbrachten sie in<br />

Einzelhaft, durften aber Besuche (u. a. von<br />

ihrem Bischof Wilhelm Berning) empfangen.<br />

Am Mittag des 10. November 1943<br />

erhielten die Häftlinge Nachricht, dass ihre<br />

Hinrichtung am gleichen Abend sein<br />

werde. Die Notiz lautete: „Heute 18 Uhr<br />

Urteilsvollstreckung: Tod durch Enthauptung.“<br />

Die Geistlichen schrieben Abschiedsbriefe,<br />

kurz vor 18 Uhr wurden die Häftlinge<br />

aus dem Gebet gerissen, und einer nach<br />

dem anderen gefesselt zum Schafott geführt<br />

und durch das Fallbeil hingerichtet.<br />

Im Abstand von drei Minuten sterben zuerst<br />

Eduard Müller (32), dann Hermann<br />

Lange (31), dann Johannes Prassek (31) und<br />

zuletzt Karl-Friedrich Stellbrink (49). Die<br />

Leichen von Hermann Lange und Karl<br />

Friedrich Stellbrink wurden im Ohlsdorfer<br />

Krematorium eingeäschert. Die sterblichen<br />

Überreste unserer Bundesbrüder Johannes<br />

Prassek und Eduard Müller sind verschwunden.<br />

Die Märtyrer von Lübeck –<br />

Auf dem Weg<br />

zur Seligsprechung<br />

Das gemeinsame Gedenken an die „vier<br />

Lübecker Märtyrer“ ist heute eine feste ökumenische<br />

Angelegenheit der Lübecker<br />

Christen. In der Hamburger St. Ansgar-Gemeinde/Kleiner<br />

Michel wird die Erinnerung<br />

an die Martyrer und Glaubenszeugen wach<br />

gehalten. Die Gefängniskirche in ihrer<br />

Hinrichtungsstätte erhielt im Gedenken an<br />

die vier Lübecker Geistlichen den Namen<br />

„Kapelle des 10. November“. Das am 10. Mai<br />

2004 im Erzbistum Hamburg begonnene<br />

Verfahren für das Seligsprechungsverfahren<br />

der drei Kapläne Prassek, Müller und<br />

Lange wurde am 10. November 2005 abgeschlossen.<br />

Die 2.110 Seiten umfassenden<br />

Prozessakten wurden für den zweiten und<br />

entscheidenden Teil des Verfahrens an die<br />

vatikanische Kongregation für Selig- und<br />

Heiligsprechungen nach Rom geschickt.<br />

Wie viel Zeit bis zur Entscheidung vergehen<br />

wird, ist derzeit nicht absehbar.<br />

Am 9. November 2003, einen Tag vor<br />

dem 60. Todestag des Seelsorgers, wurde<br />

das katholische Gemeindehaus in Neumünster,<br />

wo Bbr. Müller geboren und aufgewachsen<br />

war, mit einer Gedenkfeier in<br />

„Eduard-Müller-Haus“ benannt (Bild oben).<br />

Heute finden in dem Pfarrzentrum in der<br />

Linienstraße jährlich rund 150 überregionale<br />

Veranstaltungen statt.<br />

CB<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 53


VOR ZEHN JAHREN:<br />

Bischof Dr. Franjo Komarica – unser Ehrenmitglied<br />

Zehn Jahre ist es her und es war ein<br />

festlicher Tag in Bonn: Beim Vereinsfest<br />

Maria Immaculata am 6. Dezember<br />

1998 wurde Dr. Franjo Komarica,<br />

Bischof von Banja Luka, die Ehrenmitgliedschaft<br />

im UNITAS-Verband<br />

zuerkannt. Wenige Tage vor dem<br />

50. Jahrestag der Verkündung der<br />

Menschenrechte würdigte die UNITAS<br />

damals mit einem Festakt im Collegium<br />

Albertinum die Verdienste des<br />

engagierten Oberhirten aus Bosnien-<br />

Herzegowina für seinen unermüdlichen<br />

Kampf für Gerechtigkeit und<br />

Frieden.<br />

Der UNITAS-Verband schätze sich glükklich,<br />

dass er den Antrag angenommen und<br />

ihm die Ehre erwiesen habe, Ehrenmitglied<br />

des UV zu sein, stellte der damalige<br />

Vorsitzende des Altherrenbundes, Günther<br />

Ganz, bei der Festveranstaltung das eigentliche<br />

Gewicht der höchsten Auszeichnung<br />

des Verbandes heraus. In Anwesenheit des<br />

Botschafters von Kroatien, Prof. Dr. Zoran<br />

Jasic, des Botschafters von Bosnien-Herzegowina,<br />

Magister Anton Balkowic, sowie<br />

weiterer Kultur- und Militärattachés der<br />

Länder erinnerte Bbr. Ganz an den Wahlspruch<br />

des Bischofs „Der Herr ist meine<br />

Stärke und mein Lied“ aus dem 118. Psalm.<br />

Es sei das „Wissen um den Beistand Gottes<br />

auch in größter Not, das gläubigen Menschen<br />

Kraft gibt, allen Schrecknissen unserer<br />

Zeit zu widerstehen und durch mutiges<br />

und besonnenes Verhalten anderen Men-<br />

54<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

schen Vorbild und Beispiel zu<br />

geben“, unterstrich Ganz in<br />

seiner Laudatio vor rund 120<br />

Bundesbrüdern, -schwestern<br />

und Gästen im großen Saal<br />

des Collegium Albertinum.<br />

Die vom amtierenden<br />

Vorortspräsidenten Johannes<br />

Schmitz (Aachen) überreichte<br />

Ernennungsurkunde<br />

würdigte Bischof Komaricas<br />

„beispielhaftes Eintreten für<br />

die Achtung der unveräußerlichen<br />

Würde jedes Menschen<br />

ungeachtet seiner<br />

Religions- oder Volkszugehörigkeit,<br />

sein unbeugsames<br />

Ausharren als Oberhirte seiner Diözese in<br />

den Zeiten der Bedrängnis, Unterdrückung<br />

und Verfolgung, seinen mutigen und<br />

besonnenen Einsatz zur Verhinderung des<br />

Ausbruchs größerer kriegerischer Zusammenstöße<br />

in seiner Heimat und seinen<br />

unermüdlichen Kampf für die ethnische<br />

Aussöhnung in Bosnien-Herzegowina.“ Tief<br />

bewegt nahm Bischof Komarica die Urkunde<br />

als neuer Bundesbruder entgegen.<br />

Bischof Komarica –<br />

ein mutiger Christ<br />

Bischof Dr. Komarica, 1946 in Banja Luka<br />

geboren, studierte im österreichischen<br />

Innsbruck Theologie und Kirchenmusik,<br />

promovierte 1978 im Fach Liturgiewissenschaften<br />

und lehrte bis<br />

1986 an der Theologischen<br />

Hochschule in<br />

Sarajevo. 1985 wurde er<br />

Weihbischof in Banja<br />

Luka, vor 20 Jahren dann,<br />

1989, Bischof – in einem<br />

damals noch multikulturellen<br />

und multiethnischen<br />

Gebiet. Komarica<br />

nutzte die Möglichkeiten<br />

seines Amtes seit den<br />

ersten Auflösungserscheinungen<br />

des kommunistisch<br />

regierten, noch gemeinsamen<br />

Staates der<br />

Serben, Bosnier und Kroaten,<br />

leitete viele Initiativen für eine lebendigere<br />

Kirche in seinem Bistum ein. Als<br />

Vertreter der römisch-katholischen Kirche<br />

im ehemaligen Jugoslawien war er lange<br />

Zeit das jüngste Mitglied der Bischofskonferenz<br />

in Rom. Seit 1992 Mitglied des<br />

Päpstlichen Rates für den Dialog der<br />

Kirchen, setzte er sich immer für ein gutes<br />

Verhältnis zu den anderen Konfessionen<br />

seines Landes ein.<br />

1992 bis 1995, während des Krieges in<br />

Bosnien-Herzegowina, kamen 80 Prozent<br />

des Bistums Banja Luka (Bild oben: Die<br />

Bischofskathedrale) unter die Kontrolle<br />

der bosnischen Serben, die mit „ethnischen<br />

Säuberungen“ ein Regime der Unterdrückung<br />

und Vertreibung errichteten.<br />

In dieser Zeit wurde Bischof Dr. Komarica<br />

zum mutigen Streiter für die Menschenrechte<br />

und die Würde jedes Menschen,<br />

rettete durch besonnene Verhandlungen<br />

und Appelle unzähligen Menschen,<br />

Katholiken, Orthodoxen und Moslems, das<br />

Leben. Dem Druck der serbischen Behörden<br />

beugte er sich nicht. Auch der zynischen<br />

Aufforderung, die Stadt „um seiner<br />

Sicherheit willen“ zu verlassen, folgte er<br />

nicht.<br />

Von Mai bis Dezember<br />

1995 unter Hausarrest gestellt,<br />

machte Bischof Komarica<br />

durch Appelle weltweit<br />

auf die brutale Verletzung<br />

der Menschenrechte<br />

und auf die materielle<br />

Not in seinem Land<br />

aufmerksam und suchte<br />

die politisch Verantwortlichen<br />

der Welt mit Briefen<br />

und Denkschriften aufzurütteln.<br />

Der Balkankrieg<br />

war für die Region Banja<br />

Luka verheerend: 25.000<br />

Katholiken fielen den serbischen<br />

Aggressoren zum<br />

Opfer. Sie wurden aus ihren Häusern<br />

getrieben, misshandelt und ermordet.<br />

Gleichzeitig wurden 98 Prozent der<br />

Kirchen und Klöster zerstört, Priester und<br />

Ordensleute mussten fliehen oder wurden<br />

umgebracht. Bei der Unterzeichnung des<br />

Friedensvertrags von Dayton warnte er<br />

die Verantwortlichen vor neuen Ungerechtigkeiten,<br />

die das Abkommen mit sich<br />

bringe.


Friedensstreiter Gottes<br />

Bereits im Mai 1997 war Bischof Komarica<br />

mit dem Heinrich-Pesch-Preis ausgezeichnet<br />

worden. Bei der Verleihung<br />

äußerte der Vorsitzende des nach dem<br />

Jesuiten, Sozialethiker und Unitarier<br />

benannten Preises, Bbr. Professor Lothar<br />

Roos: „Sie haben angesichts der unermesslichen<br />

Leiden, die Sie persönlich, die ihnen<br />

anvertrauten Gläubigen und viele andere<br />

der auf dem Gebiet Ihrer Diözese lebenden<br />

Menschen durch die zurückliegenden kriegerischen<br />

Ereignisse erdulden mussten, das<br />

Beispiel eines wahrhaft guten Hirten gegeben.<br />

Sie haben durch ihr Ausharren, Ihre sozial-karitative<br />

Tätigkeit gegenüber den<br />

Notleidenden ohne Unterschied der ethnischen<br />

Zugehörigkeit und Religion und durch<br />

ihr Eintreten für die Würde und Rechte aller<br />

Menschen, öffentlich kundgemacht, wofür<br />

die Soziallehre der Kirche steht.“<br />

Der Bischof bekannte sich auch in Essen<br />

öffentlich zur UNITAS und bekundete<br />

sein Interesse für die Geschichte und<br />

Prinzipien des Verbandes: Bei einer gemeinsamen<br />

Veranstaltung von UNITAS Ruhrania<br />

und Junger Union, Stadtbezirk Ruhrhalbinsel,<br />

hatte er am 29. Oktober 1997 nach<br />

einer gemeinsamen Messe einen Vortrag in<br />

der bis auf den letzten Platz gefüllten<br />

Unterkirche von St. Gertrud gehalten. Das<br />

christliche Abendland verrate seine Wurzeln,<br />

erklärte er damals, wenn statt Prinzipien<br />

nur Interessen die Politik bestimmten.<br />

„Europa ist sehr herzkrank“, so Bischof<br />

Komarica. Die Lage in Bosnien-Herzegowina<br />

bleibe ein Krebsgeschwür des Kontinents,<br />

eine „furchtbare Tragödie und die<br />

größte Schande seit dem Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges.“ Im „Haus Europa“ dürfe seine<br />

Heimat nicht „wie ein Abstellraum“ behandelt<br />

werden. Nach dem Vortrag hatten<br />

ihm die Bundesbrüder der UNITAS Ruhrania<br />

bei einem Abendessen im Restaurant<br />

„Herzegowina“ die Ehrenmitgliedschaft<br />

angetragen. Komarica unterstrich seinerzeit:„Die<br />

UNITAS ist eine großartige Idee. Es<br />

ist schade, dass sie sich noch nicht bei uns<br />

entwickelt hat. Haltet an ihr fest, füllt sie<br />

mit Leben!“<br />

Europa braucht<br />

ein Fundament<br />

Bischof Komarica zeigte sich in Bonn bei<br />

der Verleihung der Ehrenmitgliedschaft<br />

sehr bewegt: „Wir sind hier aus vielen<br />

Völkern Europas. Und wir fühlen uns dem<br />

Prinzip der Solidarität verpflichtet.“ Es<br />

bedeute gemeinsames Füreinander-Einstehen,<br />

das Gefühl einer inneren Zugehörigkeit<br />

vieler untereinander und werde in der<br />

Form der christlichen Nächstenliebe am<br />

konkretesten. „Solidarität begegnet uns in<br />

Christus in ihrer vollkommensten Form“, erklärte<br />

er und erinnerte zugleich daran, dass<br />

Christsein sich auch darin zeige, ob man<br />

gewillt sei, Opfer zu bringen. Der Kontinent<br />

Europa, in dem seine dezimierten Landsleute<br />

um das „Recht auf Heimat“ kämpften,<br />

brauche insgesamt diese christlich verstandene<br />

Solidarität, um nicht den zerstörerischen<br />

Kräften ausgeliefert zu werden. Mit<br />

einer gewissen Skepsis fragte er: „Quo<br />

vadis, Europa?“ Wohin Europa steuere, welchen<br />

Weg es einschlage, hänge entscheidend<br />

von den großen Völkern ab. Europa<br />

erwarte die neue Besinnung auf verbindende<br />

Grundlagen und Werte. Ohne sie bleibe<br />

Europa eine Utopie. Von den kleinsten<br />

Gemeinschaften, aus den Familien und<br />

Vereinen, sei die „Hoffnung Europa“ aufzubauen.<br />

„Sind wir gerüstet für unseren<br />

Einsatz auf der Baustelle Europa und für die<br />

Arbeit im Weinberg des Herrn?“<br />

UNITAS ist gefordert<br />

Gerade die UNITAS-Mitglieder seien<br />

mit ihren Prinzipien herausgefordert, sich<br />

an den geistigen Auseinandersetzungen<br />

um das Fundament Europas aktiv zu beteiligen.<br />

Angesichts der gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten<br />

müsse die UNITAS kraftvoll und optimistisch<br />

nach ihren Möglichkeiten wirken.<br />

„Auch eine kleine Gruppe überzeugter<br />

Christen kann viel erreichen“, meinte er mit<br />

Verweis auf den Burscheneid. Unitarier<br />

seien zu gesellschaftlicher Einflussnahme<br />

berufen und dürften sich im vielstimmigen<br />

Konzert der Meinungsmacher und Entscheidungsträger<br />

nicht verstecken. Sie<br />

seien die entscheidenden, betonte Bischof<br />

Komarica. „Diesen Tag werde ich nie vergessen“,<br />

versicherte das neue Ehrenmitglied<br />

seinerzeit. Er fühle sich unter<br />

„echten Bundesbrüdern“. Wann immer<br />

Bundesbrüder seine Heimat in der heutigen<br />

„Serbischen Republik Bosnien“ besuchten,<br />

seien sie herzlich in seinem Bischofshaus<br />

eingeladen.<br />

Bbr. Komarica:<br />

Vielfach ausgezeichnet<br />

Bischof Franjo Komarica, den die Fraktion<br />

der Europäischen Volkspartei im<br />

Europa-Parlament mit der Robert-Schuman-Medaille<br />

ehrte,<br />

ist seit 2002 Präsident<br />

der Bosnisch-<br />

Herzegowinschen Bischofskonferenz.<br />

Im<br />

selben Jahr wurde<br />

ihm die Auszeichnung<br />

der Coudenhove-Kalergi-Stiftung<br />

verliehen, 2005<br />

wurde ihm der Franz-<br />

Werfel-Menschenrechtspreis<br />

(s. Bild)<br />

zuerkannt, 2006 der Aschaffenburger<br />

Mutigpreis. In einem Interview mit Radio<br />

Vatikan rief er Anfang August 2008 überra-<br />

schend zum Gebet für den als Kriegsverbrecher<br />

angeklagten Radovan Karadzic<br />

auf. Der frühere Führer der bosnischen<br />

Serben, für den bald in Den Haag ein<br />

Prozess beginnt, sei eigentlich ein „armer<br />

Mann“ und nur ein Rädchen in einer Tötungs-<br />

und Vertreibungs-Maschinerie gewesen,<br />

erklärte er. Was verbrecherisch und<br />

unmenschlich war, müsse man verurteilen<br />

– das sei die Sünde –, aber den Sünder<br />

müsse man retten, für die Sünder müsse<br />

man beten. Für Besorgnis erregend halte er,<br />

dass noch immer viele Verbrecher frei, viele<br />

Mörder auch in den einflussreichen, gesellschaftlichen<br />

und politischen Funktionen<br />

seien.„Wir wollen kämpfen für eine bessere<br />

Zukunft – gerade, weil wir erlebt haben, wie<br />

wenig einfach das menschliche Leben gilt,<br />

wollen wir uns einsetzen für das Gedeihen<br />

des Lebens.“<br />

UNITAS in<br />

Bosnien engagiert<br />

1999 hatte der UNITAS-Verband den<br />

Wiederaufbau eines großen Kinderheims in<br />

Sarajewo abschließen können. Mehr als<br />

600.000 DM Spenden kamen in drei Jahren<br />

für das Haus „Egypta“ zusammen, das ehemalige<br />

Mutterhaus des auch im Bistum<br />

Essen vertretenen Ordens der „Dienerinnen<br />

vom Kinde Jesu“ (Kroatische Gemeinde in<br />

Borbeck-Vogelheim), in dem<br />

50 Waisenkinder eine neue<br />

Heimat fanden.<br />

Wenig später hatte der<br />

UNITAS-Verband Bbr. Franjo<br />

Komarica mit einem weiteren<br />

sozialen Verbandsprojekt<br />

unterstützt. Ab 2003<br />

wurde ein ehemaliges Presbyterium<br />

in Prijedor, Diözese<br />

Banja Luka/Bosnien-<br />

Herzegowina, mit 112.000<br />

Euro zu einem Internat für 20 Schüler aus<br />

entfernten Bergregionen umgebaut.<br />

CB<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 55


„Lebendiges Christentum –<br />

der Katholische Glaube in einer postmodernen Gesellschaft“<br />

– EIN DENKANSTOß ZUR VORBEREITUNG AUF DIE DIESJÄHRIGE GENERALVERSAMMLUNG –<br />

VON BSR. EDITH BREIL<br />

UND BSR. LISA STEINHAGE<br />

„Sind wir noch Papst?“, fragte die<br />

ZDF-Moderatorin Maybritt Illner in<br />

ihrer Sendung am fünften Februar<br />

dieses Jahres. Und: „Religion im Rückwärtsgang?“.<br />

Um Antwort auf diese<br />

Fragen rangen an diesem Abend u.a.<br />

Erzbischof Robert Zollitsch, der Journalist<br />

Peter Frey und der Kirchenkritiker<br />

Henryk M. Broder. Hat der Papst<br />

auf der einen Seite richtig und auf<br />

der anderen Seite glaubwürdig gehandelt?<br />

Darf eine deutsche Bundeskanzlerin<br />

den Vatikan kritisieren? Und<br />

vor allem: Ist die Katholische Kirche<br />

tatsächlich ein Verein voller rückwärtsgewandter<br />

Betonklötze? Die<br />

Diskussion um die Rücknahme der<br />

Exkommunikation eines Mitglieds der<br />

umstrittenen Pius-Bruderschaft, das<br />

öffentlich den Holocaust geleugnet<br />

hatte, hatte dabei nicht nur in<br />

Deutschland, sondern in aller Welt<br />

hohe Wellen geschlagen. Der Papst<br />

stand in der Kritik und die Katholische<br />

Kirche im Mittelpunkt der Diskussion.<br />

Sie hatte vermeintlich einmal mehr<br />

an Glaubwürdigkeit eingebüßt.<br />

Zwar fand die Debatte ihren Ursprung<br />

in der Äußerung eines Einzelnen – sie zeigt<br />

jedoch auch, dass das Verhalten der Katholischen<br />

Kirche viele bewegt und zum Mitdiskutieren<br />

anregt, und zwar Mitglieder,<br />

Andersgläubige und Nichtgläubige gleichermaßen.<br />

Und sie weist auf ein Problem<br />

hin, welchem sich die Katholische Kirche<br />

immer wieder von Neuem stellen muss: ist<br />

die Kirche in der Art, wie sie sich heute präsentiert,<br />

überhaupt noch zeitgemäß? Kann<br />

sie sich in Zeiten, in denen Menschen stets<br />

nach neueren und schnelleren Lösungen<br />

streben, in der Gesellschaft behaupten? Ist<br />

sie in Zeiten materieller Werte konkurrenzfähig?<br />

Kirche und Gesellschaft legen ein<br />

unterschiedliches Tempo vor – und dabei<br />

scheint die aktive Teilnahme am kirchlichen<br />

Leben hinter der aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen<br />

Leben immer weiter zurück<br />

zu fallen.<br />

56<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Welle der Entrüstung über dem Vatikan: Der Medien-Hype um die Aufhebung der Exkommunikation<br />

der Traditionalisten-Bischöfe hatte einen Tsunami missverständlicher Berichterstattung ausgelöst.<br />

Aufgeregte Verunsicherung prägte auch das innerkirchliche Bild. Das Bildmotiv stammt von<br />

der Homepage der UNITAS Ruhrania, die ein Dossier mit Hintergrundinformationen und Kommentaren<br />

zu den Vorgängen auf ihre Homepage gesetzt hatte.<br />

Die Sprache der Zahlen<br />

Jahr für Jahr entscheiden sich Menschen<br />

gegen die Kirche und vollenden diese<br />

Entscheidung mit ihrem Kirchenaustritt.<br />

Dabei verläuft die Entwicklung bei den<br />

Kirchenaustritten seit dem Jahre 1960 in<br />

Phasen. Während es zu Beginn der 1960er<br />

Jahre noch etwa 25.000 Kirchenaustritte<br />

jährlich waren, stieg die Zahl in den 1970-er<br />

Jahren immens an – die umfassenden<br />

gesellschaftlichen Veränderungen machten<br />

auch vor der Kirchenzugehörigkeit nicht<br />

halt. So beschlossen in dieser Zeit jährlich<br />

mehr als 50.000 Menschen, der Kirche den<br />

Rücken zu kehren. Die Zahl der Austritte<br />

nahm in den 1980er Jahren weiter zu,<br />

erreichte Anfang der 1990er Jahre ihren<br />

Höhepunkt (sicher auch im Kontext der<br />

Einführung des Solidaritätszuschlags nach<br />

der Wiedervereinigung) und hat sich bis<br />

heute auf einem jährlichen Niveau von<br />

etwa 100.000 stabilisiert.<br />

Doch wie sieht es mit denjenigen aus,<br />

die in der Kirche verbleiben? Aktiv am religiösen<br />

Leben nimmt nur ein geringer Prozentsatz<br />

der Mitglieder teil. Denn auch die<br />

Zahl der Gottesdienstteilnehmer nimmt<br />

immer weiter ab. Anfang der 1960er Jahre<br />

besuchte noch fast jeder zweite Katholik<br />

den sonntäglichen Gottesdienst, Mitte der<br />

1980er Jahre jeder vierte. Waren es im Jahr<br />

1990 noch etwas über 20 Prozent der Gläubigen,<br />

die regelmäßig sonntags einem Gottesdienst<br />

beiwohnten, so verzeichnet man<br />

für das Jahr 2006 nur noch 14 von 100 Mitglieder,<br />

die sich sonntags zur Teilnahme an<br />

der Heiligen Messe versammeln. Das Verhalten<br />

einiger katholischer Gläubiger<br />

scheint sich gewandelt zu haben: sie hinterfragen<br />

die Teilnahme an einem Gottesdienst,<br />

die früher als Bestandteil des gesellschaftlichen<br />

Lebens selbstverständlich war,<br />

und entscheiden sich Sonntag für Sonntag<br />

bewusst für oder gegen den Kirchgang.<br />

Überhaupt: Sie hinterfragen nicht nur die<br />

Teilnahme am Gottesdienst, sondern auch<br />

das Denken und Handeln katholischer<br />

Würdenträger in der heutigen Welt. Es sind<br />

Themen wie Umweltschutz, Gerechtigkeit<br />

und Solidarität, die viele Menschen bewegen,<br />

aber auch alltägliche Dinge wie Ehe<br />

und Familie. Und diese Menschen fragen<br />

sich, welche Einstellung die Kirche vertritt<br />

und was sie unternimmt, um ihren Mitgliedern<br />

unterstützend zur Seite zu stehen.<br />

Sie suchen nach dem Sinn ihres eigenen<br />

Lebens und sie möchten sich an Werten<br />

orientieren, nach denen es sich lohnt, zu


streben. Sie hoffen, sie glauben, sie lieben –<br />

und am Ende bleibt die alles entscheidende<br />

Frage stehen: „Bin ich glücklich?“<br />

Die Jagd nach dem Glück<br />

Gott hat dem Menschen ein natürliches<br />

Verlangen nach Glück in das Herz gelegt.<br />

Dieses Verlangen prägt das Verhalten aller<br />

Menschen gleichermaßen – doch scheinen<br />

die meisten dabei nicht der Ansicht der<br />

Kirche zu folgen, nach der nur Gott dieses<br />

Glück zu stillen vermag. Das Glück lauert<br />

eher auf der nächsten Party, auf dem<br />

Sportplatz oder im Entspannungskurs der<br />

Volkshochschule. Es gilt, dem Glück hinterher<br />

zu sprinten. Je schneller dabei der<br />

Laufschritt, desto besser, und je abwechslungsreicher<br />

die Strecke, desto<br />

wahrscheinlicher wird es, das<br />

Glück zu finden. So hetzen<br />

wir von Freizeittermin zu<br />

Freizeittermin, von einem<br />

Treffen mit Freunden zum<br />

nächsten, und dabei sind wir<br />

viel zu schnell unterwegs, um das<br />

Glück überhaupt zu bemerken. Es scheint<br />

vielen Menschen nicht in den Sinn zu kommen,<br />

das Glück in der Langsamkeit zu<br />

suchen, im Innehalten und Nachdenken.<br />

Und dieses Glück wird nicht mehr von<br />

einem selbst, geschweige denn von der<br />

Kirche definiert, sondern von der Gesellschaft<br />

als Ganzes und der sozialen Umwelt<br />

eines jeden Einzelnen.<br />

Eine Möglichkeit, wieder ein Gespür für<br />

das eigene Glück zu entwickeln, bestünde<br />

jedoch vielleicht im Besuch eines sonntäglichen<br />

Gottesdienstes. Nur eine einzige<br />

Stunde in der Woche, die man ausschließlich<br />

dem Glauben widmet – und doch für<br />

viele bereits eine Stunde zu viel. Denn diese<br />

Zeit ist vermeintlich verloren und könnte<br />

doch viel gewinnbringender eingesetzt<br />

werden, beim Sport etwa, beim gemütlichen<br />

Beisammensein mit der Familie. Es<br />

ist sicherlich unbestritten: Sport ist gesund<br />

und eine lustige Runde im Kreise von<br />

Gleichgesinnten erfreut das Gemüt. Nicht<br />

umsonst tritt in der unitarischen Gemeinschaft<br />

zu den Prinzipien der virtus und der<br />

scientia auch die amicitia hinzu. Und doch<br />

gewinnen viele Aktivitäten enorm an Wert,<br />

wenn sie unterbrochen werden durch ruhige<br />

und besinnliche Momente.<br />

Die Zeichen der Zeit<br />

Ist es nun der Kirche geschuldet, dass<br />

ruhige und besinnliche Momente bei vielen<br />

losgelöst vom Glauben an Gott stattfinden?<br />

Oder ist es der Gesellschaft geschuldet, die<br />

blindlings losrennt, obwohl die Kirche gute<br />

Orientierung bieten könnte, welches Tempo<br />

und welcher Weg womöglich geeignet sein<br />

könnten? „Der christliche Glaube ist in<br />

besonderer Weise zukunftsfähig, und zwar<br />

nicht durch eine zuerst vom Menschen her<br />

versuchte Anpassungsstrategie, sondern<br />

von innen heraus“, schreibt Karl Kardinal<br />

Lehmann in seiner Veröffentlichung aus<br />

dem Jahr 2005 „Neue Zeichen der Zeit –<br />

Unterscheidungskriterien zur Diagnose der<br />

Situation der Kirche in der Gesellschaft und<br />

zum kirchlichen Handeln heute“.<br />

„Die bleibende Neuheit des christlichen<br />

Glaubens muss freilich immer wieder gefunden<br />

werden. Dies ist nur möglich, wenn<br />

man sich den jeweiligen Herausforderungen<br />

stellt. Man möchte wissen, welche<br />

Stunde geschlagen hat“, heißt es dort weiter.<br />

Demnach soll man also aufmerksam<br />

Das Schiff Petri in Seenot – oder Leuchtturm in<br />

der Brandung? In neccessariis UNITAS –<br />

Orientierung und Gemeinschaft sind gefragt.<br />

Collage: Homepage der UNITAS Ruhrania /<br />

www.UNITAS-ruhrania.org.<br />

durch die Welt gehen, um die Herausforderungen<br />

zu erkennen, die die aktuelle Stunde<br />

mit sich bringt. In allen Situationen wird<br />

dann die immerwährende Aktualität des<br />

christlichen Glaubens Orientierung bieten<br />

und Lösungswege aufzeigen. Das Zweite<br />

Vatikanische Konzil hat vor diesem Hintergrund<br />

versucht, neue Entwicklungen aufzunehmen<br />

und diese im Licht des Evangeliums<br />

zu deuten. Die insgesamt über 3.000<br />

Teilnehmer entschieden zugunsten der<br />

Religionsfreiheit in der bürgerlichen Staatsordnung<br />

und machten sich stark für einen<br />

verstärkten Dialog mit Anders- oder Nichtgläubigen.<br />

Um die Zeichen der Zeit richtig<br />

zu deuten, stößt man jedoch direkt zu<br />

Beginn auf ein grundlegendes Problem.<br />

Welche Zeichen sind wirklich wichtig und<br />

welche Zeichen werden auch zukünftig<br />

Bestand haben und sollten deshalb aufmerksam<br />

betrachtet werden? Im Zeitalter<br />

zunehmender Verflechtungen zwischen<br />

geografischen Einheiten, aber auch zwischen<br />

Denk- und Glaubensrichtungen, erscheint<br />

es immer schwieriger aus der Flut<br />

von Informationen diejenigen herauszufischen,<br />

die für die jeweilige Situation der<br />

Kirche und ihrer Mitglieder einer Diskussion<br />

und einer möglichen Anpassung bedürfen.<br />

Die Werte einer Gesellschaft können<br />

ihren Ursprung jedoch immer nur in<br />

den Werten des einzelnen Individuums finden<br />

– und so wird die Vorstellung, welche<br />

Zeichen der Zeit beachtet werden müssen,<br />

von jedem einzelnen Mitglied der Kirche<br />

und dessen Wahrnehmung geprägt.<br />

In neccessariis UNITAS<br />

Wir Unitarier sehen uns von jeher als<br />

Teil dieser Gemeinschaft und jeder einzelne<br />

prägt mit seinem Denken und seinem<br />

Handeln das Bild der Kirche mit. „In necessariis<br />

UNITAS, in dubiis libertas, in omnibus<br />

caritas.“ Die grundlegende Identität des<br />

Verbandes vereint neue und langjährige<br />

Mitglieder gleichermaßen. Sie scheint<br />

ebenso wie die Kirche eine Aktualität aus<br />

ihrem Wesen heraus zu besitzen und bietet<br />

gleichzeitig die Möglichkeit für jeden einzelnen,<br />

seine Vorstellungen und Neuerungen<br />

darzulegen und zur Diskussion zu stellen.<br />

Die UNITAS als Katholischer Verband,<br />

der versucht, neue Mitglieder zu begeistern<br />

und diese zur aktiven Mitarbeit anzuregen.<br />

Wenn nun die Kirche keine Lösungen mehr<br />

aufzuzeigen weiß für aktuelle Probleme,<br />

weiß denn die unitarische Gemeinschaft<br />

Lösungen anzubieten und junge Menschen<br />

zu begeistern?<br />

Herausforderungen stellen<br />

Wer sich engagiert, darf und soll auch<br />

mitreden. Sei es in der kleinen Gemeinschaft<br />

der Unitarier oder in der großen Gemeinschaft<br />

der Kirche. Und vor diesem<br />

Hintergrund erscheint die Meinung einer<br />

kleinen Gruppe von Menschen, die sich weigern,<br />

wichtige Teile des Zweiten Vatikanischen<br />

Konzils anzuerkennen unwichtig<br />

im Vergleich zu der großen Gruppe an<br />

Gläubigen, die bereit sind, nach vorne zu<br />

blicken und sich den Herausforderungen<br />

der Gegenwart zu stellen. Es gilt, sich immer<br />

wieder zu hinterfragen und Anpassungen<br />

vorzunehmen, wenn sich gesellschaftliche<br />

Entwicklungen ergeben, die eben<br />

solche Anpassungen erforderlich machen.<br />

Der UNITAS-Verband als Wissenschaftlicher<br />

Katholischer <strong>Studenten</strong>- und Akademikerverband<br />

bietet mit seiner Vielfalt an<br />

Charakteren und Meinungen eine Diskussionsplattform<br />

für aktuelle Themen unserer<br />

Zeit. Und die Frage zum Verhältnis von<br />

Kirche und Gesellschaft scheint nicht nur<br />

angesichts der Diskussion in den Medien<br />

aktueller denn je.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 57


Mit Ethik am Rechtsberatungsmarkt bestehen<br />

BKR FEIERT ZEHNJÄHRIGES BESTEHEN – MARIE-LUISE DÖTT HIELT FESTREDE<br />

BONN. Die Jahrestagung des Bundes<br />

Katholischer Rechtsanwälte (BKR), der am<br />

15.11.2008 in Bonn sein zehnjähriges Bestehen<br />

feierte, stand ganz im Zeichen der<br />

Berufsethik. Auf dem Haus der gastfreundlichen<br />

Farbenbrüder des K.St.V. Arminia im<br />

KV begann die Tagung mit der Mitgliederversammlung,<br />

in der der Vorsitzende Dieter<br />

Trimborn v. Landenberg einmal mehr auf<br />

ein erfolgreiches Jahr zurückblicken konnte.<br />

Neben steigenden Mitgliederzahlen und<br />

soliden Finanzen hat der BKR auch inhaltlich<br />

an Profil gewonnen.<br />

Als Ergebnis einer verbandsinternen<br />

Diskussion über die Grundlagen der Berufsausübung<br />

wurde einstimmig der Ethik-<br />

Kodex des BKR verabschiedet. Neben den<br />

gemeinsamen Werten sind dort verbindliche<br />

Verhaltensregeln festgelegt, die teilweise<br />

über die Berufspflichten hinausgehen.<br />

Beispielsweise verpflichten sich die<br />

Rechtsanwälte des BKR zu Beginn des<br />

Mandats über die Vergütungsfrage aufzuklären,<br />

damit die Anwaltskosten kalkulierbar<br />

sind. Auch sind die Mitglieder bereit,<br />

pro-bono-Fälle zu bearbeiten.<br />

Nach dem Mittagessen, an dem auch<br />

die parallel tagenden Delegierten der Katholischen<br />

Akademikerarbeit Deutschlands<br />

58<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

(KAD) teilnahmen, ging es weiter mit einem<br />

Seminar zum Thema „Anwaltliches Marketing“,<br />

gehalten von Prof. Dr. Christoph Hommerich,<br />

dem Vorstand des Soldaninstitutes<br />

für Anwaltmanagement in Essen. Er stellte<br />

heraus, dass Dienstleistungsmarketing das<br />

Ziel verfolgen müsse, Vertrauen aufzubauen<br />

und zu stabilisieren. In Zeiten der Deregulierung<br />

von Märkten komme es darauf<br />

an, dieses Vertrauen durch ethische Normen<br />

verbindlich abzusichern. Neben der<br />

Kompetenz auf seinem Rechtsgebiet muss<br />

der Rechtsanwalt heute auch seine Wahrnehmung<br />

in der Öffentlichkeit pflegen, z.B.<br />

durch Bildung von Netzwerken. Der Referent<br />

verstand es, durch viele anschauliche<br />

Beispiele Anregungen zur Umsetzung in<br />

der eigenen Kanzlei zu geben.<br />

Festkommers mit<br />

Marie-Luise Dött<br />

Den glanzvollen Höhepunkt bildete der<br />

abendliche Festkommers im historischen<br />

Kneipsaal, der bei Kerzenlicht in bester couleurstudentischer<br />

Tradition von Aktiven der<br />

Arminia geleitet wurde. In einem Grußwort<br />

für den Altherrenvorstand des CV stellte Ulf<br />

Reermann fest, dass es dem BKR gelungen<br />

sei, ein korporationsübergreifendes Netz-<br />

werk zu schaffen, das Vorbildcharakter für<br />

vergleichbare Austauschrunden katholischer<br />

<strong>Studenten</strong>verbände habe.<br />

Die Festrede hielt Marie-Luise Dött MdB<br />

(CDU) und Vorsitzende des Bundes<br />

Katholischer Unternehmer, die die von<br />

ihrem Verband erarbeiteten „Zehn Gebote<br />

für Unternehmer“ vorstellte.<br />

Nach dem offiziellen Teil erwartete die<br />

Gäste, darunter eigens aus Österreich und<br />

Ungarn angereiste Kollegen, ein Mitternachtsbuffet<br />

und manch angeregtes Gespräch<br />

mit alten und neuen Freunden.<br />

Die nächste Jahrestagung findet am<br />

14.11.<strong>2009</strong> wieder in Bonn statt. Mehr<br />

Informationen über den BKR sind über die<br />

Geschäftsstelle zu erhalten: Bund Katholischer<br />

Rechtsanwälte e.V., Postfach 1449,<br />

56804 Cochem, (Tel.:02671-91566-2, Fax: - 1),<br />

E-Mail: info@bkr-netzwerk.de.<br />

INFO: Der Bund Katholischer Rechtsanwälte, hervorgegangen<br />

aus einer Initiative im UNITAS-Verband, ist<br />

ein Zusammenschluss von katholischen Rechtsanwälten,<br />

Notaren, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern,<br />

der seit 1998 besteht. Derzeit hat er über 180<br />

Mitglieder. Der BKR versteht sich als Netzwerk von<br />

Gleichgesinnten, die ihre Arbeit am christlichen<br />

Menschenbild und Wertesystem orientieren.<br />

Mehr: http://www.bkr-netzwerk.de/


Jubiläums-<strong>Wallfahrt</strong><br />

zum Kreuzberg <strong>2009</strong><br />

Zum fünfundzwanzigsten Mal wird in<br />

diesem Jahr die UNITAS-<strong>Wallfahrt</strong> zum<br />

Kreuzberg in der Rhön, dem heiligen Berg<br />

der Franken, stattfinden. Alle Unitarier<br />

sind vom 2. bis 4. Oktober <strong>2009</strong> mit ihren<br />

Familien, Freunden und Bekannten eingeladen,<br />

sich mit auf den Weg zu machen zu<br />

diesem traditionellen <strong>Wallfahrt</strong>sort.<br />

Freitag, 2. Oktober:<br />

Bis 19:00 Uhr Eintreffen mit PKW in<br />

Stralsbach, Gasthof „Weißes Rössel“<br />

20:00 Uhr Wortgottesdienst zur Eröffnung<br />

in der Pfarrkirche Burkardroth<br />

Samstag, 3. Oktober:<br />

08:30 Uhr Aufbruch zum Kreuzberg ab<br />

Marktplatz Burkardroth<br />

19:00 Uhr Eucharistiefeier in der Kreuzbergkirche;<br />

anschl. gemütliches Beisammensein<br />

Stammtisch-Termine<br />

des AHZ Buchen<br />

BUCHEN / ODENWALD. Die Mitglieder des<br />

AHZ-Buchen treffen sich jeden zweiten Freitag<br />

im Monat im Hotel „Prinz Carl“. Im Sommer<br />

ist eine Besichtigung des neuen Römermuseums<br />

in Osterburken geplant. Der Termin<br />

hierzu wird noch bekannt gegeben.<br />

Am 3. Oktober kommen die Unitarier<br />

der Region zum Badisch-Fränkischen Unitariertreffen<br />

im Kinder- und Jugenddorf Klinge<br />

in Seckach zusammen. Am 11. Dezember<br />

versammeln sich die Bundesbrüder zum<br />

traditionellen Wildessen im Hotel „Prinz<br />

Carl“ (Hochstadtstraße 1, 74722 Buchen<br />

(Odenwald), Tel. 06281/5269-0).<br />

Wir freuen uns viele Bundesbrüder auf<br />

unseren Treffen willkommen zu heißen.<br />

Hermann Schmerbeck, AHZ-X<br />

AUS DEM VERBAND<br />

Sonntag, 4. Oktober:<br />

08:30 Uhr Laudes; anschließend Frühstück<br />

10:00 Uhr Kreuzweg zum Gipfel<br />

11:30 Uhr Mittagessen<br />

12:30 Uhr Eucharistiefeier in der Kreuzbergkirche<br />

14:00 Uhr Gemeinsame Rückfahrt mit<br />

dem Bus nach Burkardroth<br />

Die Kreuzbergwallfahrt unter der bewährten<br />

geistlichen Leitung unseres Bundesbruders<br />

Domdekan Klaus Schimmöller<br />

„Nutzt eure Chancen!“<br />

Journalistin Astrid Wirtz vom Kölner Stadtanzeiger<br />

zu Gast bei der UNITAS Theophanu<br />

KÖLN. Am 22. Januar <strong>2009</strong> durfte die UNI-<br />

TAS Theophanu Köln die Journalistin Astrid<br />

Wirtz vom Kölner Stadtanzeiger begrüßen.<br />

Aktive, HDHD, AHAH und Gäste hörten zum<br />

Thema „Die Rolle der Frau in den Medien“<br />

einen sehr interessanten und lebendigen<br />

Vortrag.<br />

Obwohl das Kulturgut „Zeitung“ an Attraktivität<br />

bei der jüngeren Generation verloren<br />

habe und das Internet als Haupt-Informationslieferant<br />

diene, sei, so Astrid Wirtz,<br />

hat bislang in jedem Jahr einen tiefen und<br />

nachhaltigen Eindruck vor allem auch bei<br />

den Aktiven hinterlassen. Eingebettet in<br />

die reizvolle Herbstlandschaft der Rhön<br />

bietet sie im gemeinsamen Unterwegssein<br />

zugleich Kontemplation, Gebet, Meditation<br />

und damit die Hinführung zur Mitte. Sie ist<br />

von jedem ohne Rücksicht auf das Alter zu<br />

bewältigen und man kann auch in Etappen<br />

teilnehmen, da jederzeit Begleitfahrzeuge<br />

zur Verfügung stehen, die auch das Gepäck<br />

befördern. Jeder Teilnehmer erhält noch<br />

genaue Informationen.<br />

Für die Aktiven übernimmt der Verband<br />

die Übernachtungskosten. Wegen<br />

der Anfahrtskosten mögen sich die<br />

Aktiven an ihren AHV wenden.<br />

Da die Teilnehmerzahl von Jahr zu Jahr<br />

ansteigt, ist es wichtig, sich für die Übernachtung<br />

frühzeitig anzumelden (wer<br />

zuerst kommt, …), und zwar bis spätestens<br />

15. Juli <strong>2009</strong> bei Bbr. Fritz Flach,<br />

Matthias-Ehrenfried-Straße 6, 97074<br />

Würzburg, Tel. 0931 / 870276, E-Mail:<br />

fritz@flach-online.de<br />

die Zeitung noch immer fester Bestandteil<br />

des Lebens vieler Menschen. Besonders im<br />

Berufsfeld des Journalismus steige der<br />

Anteil der Frauen an, jedoch seien immer<br />

noch wenig Frauen in Führungspositionen<br />

tätig, was meist mit den Lebens- und<br />

Familiensituationen zusammenhänge. Vor<br />

allem das Vereinbaren von Karriere und<br />

Familie bzw. Kinderwunsch sei hier ein großes<br />

Problem, welches in der Natur der<br />

Tätigkeiten eines/r Journalisten/in liege. Oft<br />

müsse man sich entscheiden und es heiße:<br />

Karriere oder Familie. Doch an ihrer eigenen<br />

Biografie zeigte Frau Wirtz, dass man<br />

Lösungen finden und Chancen nutzen kann.<br />

Männer und Frauen seien heute flexibler<br />

und aufgeschlossener.<br />

Frau Wirtz appellierte an ihre Zuhörer,<br />

ihre Chancen zu nutzen, egal ob Mann oder<br />

Frau, und für das zu kämpfen, was einem am<br />

Herz liege.<br />

Veronika Hebben<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 59<br />

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Bbr. Erzbischof Dr. Reinhard Marx<br />

macht UNITAS Mut für die Zukunft<br />

MÜNCHEN. Trotz seines übervollen<br />

Terminkalenders nahm sich Bbr. Erzbischof<br />

Dr. Reinhard Marx am Samstag,<br />

13. Dezember 2008, am Nachmittag<br />

und Abend Zeit, das Vereinsfest<br />

Maria Immaculata gemeinsam<br />

mit den Bundesbrüdern seiner<br />

Kirchenprovinz zu feiern.<br />

Das Vereinsfest in St. Joseph, München<br />

Schwabing, an dem mehr als 80 Bundesbrüder<br />

mit ihren Angehörigen – insgesamt<br />

ca. 150 Personen – teilnahmen, begann mit<br />

den Vorstellungen der UNITAS-Vereine aus<br />

München, Augsburg und Regensburg durch<br />

die Senioren und die Vorsitzenden der Altherrenvereine.<br />

Diese schilderten dem Erzbischof<br />

die Anzahl der Aktiven und AHAH,<br />

ihre unitarische Vergangenheit und die<br />

aktuellen Veranstaltungen, so dass er sich<br />

ein genaues Bild über das unitarische Leben<br />

in seiner Kirchenprovinz machen konnte.<br />

Bbr. Dr. Dr. Thomas Lohmann, stellvertretender<br />

Vorsitzender des Altherrenbundes,<br />

stellte die Lebensdaten und den unitarischen<br />

Werdegang von Bbr. Reinhard Marx<br />

vor und dann folgten die Gedanken von Bbr.<br />

Reinhard Marx, auf die alle Teilnehmer<br />

sehnsüchtig gewartet hatten, um „ihren“<br />

Bundesbruder und Erzbischof näher kennen<br />

zu lernen.<br />

Bbr. Erzbischof Dr. Reinhard Marx bedankte<br />

sich ganz herzlich für die Einladung<br />

zum Vereinsfest, der er gerne gefolgt sei. In<br />

seinem ersten Jahr als Erzbischof der Erzdiözese<br />

München und Freising habe er viele<br />

60<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Einladungen von den verschiedensten Seiten<br />

erhalten. Viele wollten den neuen Erzbischof<br />

treffen. Da es sein eigener Wunsch<br />

sei, sich die Diözese bald vertraut zu<br />

machen, habe er inzwischen fast alle Landkreise<br />

und Dekanate besucht. Alle Einladungen<br />

könne er aber nicht annehmen.<br />

Hin und wieder erhalte er auch schon den<br />

Konzelebranten: P. Siegfried ofmCap, Erzbischof<br />

Bbr. Marx und Bbr. Pfr. Peter Krauss (v.l.)<br />

Volles Haus in St. Joseph, München-<br />

Schwabing: Bbr. Reinhard Marx, Erzbischof<br />

von München und Freising, feierte mit<br />

Münchener und Augsburger Unitariern das<br />

Vereinsfest<br />

v.l.: MUV-Senior Martin Steinberg, Thomas Lohmann, Reinhard Marx, P. Siegfried ofmCap, AHV-X<br />

Peter Koniczek<br />

wohlmeinenden Ratschlag, auf seine Gesundheit<br />

zuachten und sich nicht zu übernehmen.<br />

Oft würde dieser Ratschlag freilich<br />

direkt mit einer neuen weiteren Einladung<br />

und dem Wunsch eines Besuches<br />

des Erzbischofs verbunden.<br />

Lebensfreude in der<br />

unitarischen Gemeinschaft<br />

Auch wenn er als Erzbischof nicht mehr<br />

so intensiv am unitarischen Leben teilnehmen<br />

könne wie zu seinen studentischen<br />

Zeiten, fühle er sich der unitarischen Gemeinschaft<br />

immer noch sehr verbunden. Er<br />

ermunterte die Unitarier, das Leben und<br />

das Engagement für die UNITAS nicht vorrangig<br />

als Übernahme von Last und von<br />

Verantwortung zu verstehen. Im Vordergrund<br />

sollte eher die Freude stehen, etwas<br />

in und mit der unitarischen Gemeinschaft<br />

gestalten und formen zu können.


In seinem ersten Jahr als Erzbischof sei<br />

er in der Erzdiözese München und Freising<br />

sehr wohlwollend und freundlich aufgenommen<br />

worden. In keinem der Briefe, die<br />

Mitten unter Bundesbrüdern: Bbr. Reinhard Marx,<br />

Erzbischof von München und Freising,<br />

er zu seiner Einführung erhalten habe, sei<br />

Unmut darüber zu spüren gewesen, dass<br />

nun ein Westfale Erzbischof in München<br />

und Freising geworden sei. Sein erster Eindruck,<br />

dass Bayern und Westfalen sich gut<br />

verstehen, habe sich bestätigt.<br />

Kein Ende<br />

der Kirche in Sicht<br />

In seiner Ansprache ging Erzbischof<br />

Marx auch auf die Situation der UNITAS<br />

und der katholischen Kirche insgesamt ein.<br />

Bereits in seiner aktiven Zeit in den 70er<br />

Jahren habe es Stimmen gegeben, die der<br />

UNITAS keine große Zukunft und ihr baldi-<br />

ges Ende vorausgesagt hätten. Genauso<br />

habe es in der Geschichte der Kirche Situationen<br />

gegeben, die Anlass zu der Annahme<br />

lieferten, vom alsbaldigen Ende der<br />

Kirche auszugehen. Erzbischof Marx erinnerte<br />

hier an die Verschleppung von<br />

Papst Pius VI. 1799 im Zuge der französischen<br />

Besetzung des Kirchenstaates nach<br />

Valence in Frankreich, wo dieser bald darauf<br />

verstarb. Es habe zwar einige Zeit gedauert,<br />

bis sich die katholische Kirche von diesem<br />

Schlag erholt habe, aber bereits 100 Jahre<br />

später habe die Kirche, vor allem dank der<br />

zahlreichen tatkräftigen Laienbewegungen,<br />

so stark wie selten zuvor wieder da<br />

gestanden.<br />

Den Kern<br />

der Botschaft verkünden<br />

Voraussetzung dafür sei eine innere<br />

Öffnung und Wandlung. Dies gelte für die<br />

Kirche wie für die UNITAS. Dabei gehe es<br />

nicht darum, sich allem und jedem anzugleichen,<br />

bis jeder meinte mitmachen zu<br />

können. Vielmehr gelte es, den Kern der<br />

christlichen Botschaft engagiert und mit<br />

Freude zu leben und zu verkünden. Er<br />

ermunterte die unitarische Familie, sich<br />

dafür in München, Augsburg und Regensburg,<br />

aber nicht nur dort, gemeinsam zu<br />

engagieren. Dann brauche sich auch die<br />

UNITAS um ihre<br />

Zukunft nicht zu<br />

sorgen.<br />

Die anschließende<br />

hl. Messe<br />

feierte Bbr. Marx<br />

zusammen mit den<br />

Bundesbrüdern,<br />

ihren Angehörigen<br />

und der Gemeinde<br />

St. Joseph. In seiner<br />

Predigt stellte er<br />

Maria und Johannes<br />

den Täufer als<br />

Vorbild gerade im<br />

Advent vor. Nach<br />

dem gemeinsamen<br />

Abendessen<br />

Nach der Messe in St. Joseph<br />

Der Tölzer Geigenverein hatte die musikalische<br />

Gestaltung des Nachmittags und der<br />

Hl. Messe übernommen.<br />

mit Südtiroler Jause und Wein folgte ein<br />

bayerischer Adventsabend mit der Aufführung<br />

der Heiligen Nacht von Ludwig<br />

Thoma durch Bbr. Markus Fürst und den<br />

Tölzer Geigenverein, der bereits die musikalische<br />

Gestaltung des Nachmittags und der<br />

Hl. Messe übernommen hatte.<br />

Semper in unitate: Beim stimmungsvollen<br />

Ausklang<br />

Der offizielle Teil endete mit einem besonderen<br />

Dank an Bbr. Reinhard Marx und<br />

an die Organisatoren, besonders an das<br />

Ehepaar Bbr. Hermann Rötzer, der inoffizielle<br />

endete etwas später bei den Resten von<br />

Wein und Jause.<br />

Text: Bernhard Freitag, Thomas Lohmann,<br />

Bilder: Oskar Hilner und Dr. Karl-Heinz Gorges >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 61


62<br />

Bbr. Prof. Dr.<br />

Josef Anton Stüttler<br />

VORARLBERG/ÖSTERREICH.<br />

Nach langer schwerer Krankheit ist Bbr.<br />

Prof. Dr. Josef Anton Stüttler am 25. Februar<br />

<strong>2009</strong> in seinem Geburts- und<br />

Wohnort Tschagguns in Vorarlberg<br />

gestorben. Bbr. Stüttler war von 1972-<br />

1996 als Professor für die Lehrgebiete<br />

Sozialphilosophie und Politikwissenschaft<br />

einschließlich Sozialpolitik an<br />

der Katholischen Hochschule NRW,<br />

Abt. Köln tätig. Zuvor war er wissenschaftlicher<br />

Assistent an der Kommende<br />

in Dortmund und seit 1970<br />

zunächst hauptamtlich und dann als<br />

freier Mitarbeiter in der Zentrale des<br />

Kolpingwerkes Referent für Gesellschaftspolitik.<br />

In diesen Jahren hat Josef Anton<br />

Stüttler insbesondere im Kolping-werk<br />

und im Bund der Deutschen Katholischen<br />

Jugend mit seiner klaren Position<br />

und seinem fundierten Wissen die<br />

damals entwickelten Grundlagenpapiere<br />

mit geprägt. Der 1956 in Innsbruck<br />

rezipierte Bundesbruder war ein<br />

beeindruckender Mensch mit Ecken<br />

und Kanten. Prof. Dr. Maximilian<br />

Buchka formulierte das in seinen<br />

„Erinnerungen an Prof. Dr. Anton<br />

Stüttler“: „Mit ihm ist eines der letzten<br />

‚Originale‘ von uns gegangen, über die<br />

wir in der Anfangszeit der Katholischen<br />

Hochschule noch reichlich verfügten. …<br />

Sie waren Persönlichkeiten, die die Dozentenkonferenzen<br />

nicht zum ‚administrativen<br />

Tagesgeschäft‘ werden ließen,<br />

sondern die dafür sorgten, dass<br />

eine geistige Auseinandersetzung um<br />

die Hochschulideale stattfand.“<br />

Mir ist Bundesbruder Stüttler seit<br />

meinen Jahren beim BDKJ immer ein<br />

guter Freund und überaus wertvoller<br />

Ratgeber gewesen.<br />

Heinrich Sudmann<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Die Reisegruppe der Unitarier vor dem Matthias-Gymnasium in Breslau<br />

100 Jahre UNITAS Guestfalia-Sigfridia<br />

FRANKFURT. Zusammen mit dem AHZ UNI-<br />

TAS-Taunus unternahm der AHV UNITAS<br />

Guestfalia-Sigfridia als Auftakt zu seinem<br />

besonderen Jubiläum seine 14. Fahrt in Folge<br />

– diesmal ins eindrucksvolle Breslau.<br />

Vom 25.-29. September 2008 wandelten<br />

wir auf den Spuren unserer Väter, die 1909<br />

die Guestfalia-UNITAS und 1919 die Sigfridia-UNITAS<br />

in Breslau gegründet hatten.<br />

Unter sachkundiger Führung und bei herrlichem<br />

Wetter lernten wir unsere „Geburtsplätze“<br />

kennen, u. a. das Matthiasgymnasium,<br />

die Universität aus dem Jahre 1702, den<br />

mit fast 200 Metern Länge größten Barockbau<br />

Schlesiens, und seine prächtige Aula<br />

Leopoldina, das Vincenzheim und den<br />

Schweidnitzer Keller im historischen Rathaus,<br />

Stätten der WSWS und Convente.<br />

Einen besonderen Höhepunkt bildeten<br />

Bischofspalais und Dom, wo 1927 der Festgottesdienst<br />

zur GV mit unserem Bbr. Kardinal<br />

A. Bertram stattfand. Zwei Ziele der<br />

damaligen Exbummel wie der 700 m hohe<br />

Zobten, der Hausberg Breslaus, und das im<br />

Krieg nicht zerstörte St. Hedwigskloster in<br />

Trebnitz, 25 km nördlich von Breslau, standen<br />

auch auf dem Programm.<br />

Die Traditionskorporation UNITAS<br />

Guestfalia-Sigfridia feiert ihr 100-jähriges<br />

Stiftungsfest am 20. und 21. Juni <strong>2009</strong> in<br />

Frankfurt/Main.<br />

Hans-Leo Pabel, x-hc<br />

60 Jahre UNITAS Willigis Mainz<br />

MAINZ. Der 1926 gegründete W.K.St.V.<br />

UNITAS Mainz begeht am 20./21. Juni <strong>2009</strong><br />

nicht nur sein 83. Stiftungsfest, sondern zugleich<br />

das 60. Jahr seiner Rekonstituierung<br />

am 6.3.1949 unter dem neuen Namen<br />

UNITAS WILLIGIS Mainz.<br />

Mit dem Namen des Erzbischofs und<br />

Erzkanzlers des Reiches Willigis sollte zum<br />

Ausdruck gebracht werden, dass der Verein<br />

stets so fest für den Glauben eintreten und<br />

zugleich in Staat und Gesellschaft seinen<br />

Beitrag leisten will, wie Willigis dies mit dem<br />

Bau des Domes, der vor 1000 Jahren eingeweiht<br />

wurde und seitdem das Wahrzeichen<br />

von Mainz ist, und mit seiner Treue als kaiserlicher<br />

Berater getan hat.<br />

Der W.K.St.V. UNITAS Willigis Mainz und<br />

sein AHV würden sich sehr freuen, wenn<br />

viele Bundesbrüder und Bundesschwestern<br />

aus Nah und Fern aus Anlass dieses besonderen<br />

Stiftungsfestes ihre Mitfreude durch<br />

Teilnahme beim Festkommers am 20.6. im<br />

Kurfürstlichen Schloss und/oder am 21.6. bei<br />

der Festmesse und der anschließenden Akademischen<br />

Morgenfeier bezeugen wollten.<br />

Günther Ganz


UNITAS-SALIA BONN FEIERTE DAS DREI-KÖNIGS-FEST IM KÖLNER DOM<br />

„... mitten im kalten Winter ...“<br />

… diese Zeile aus dem Weihnachtslied<br />

„Es ist ein Ros entsprungen“ geht so geschmeidig<br />

über die Zunge. Ob wir das Lied<br />

auch am Tag der Heiligen Drei Könige im<br />

Kölner Dom gesungen haben, weiß ich gar<br />

nicht mehr. Gepasst hätte jedenfalls das<br />

Bild vom Blümlein im kalten Winter, also<br />

von etwas Schönem und Großartigem, das<br />

einem widerfährt, obwohl die Umstände<br />

gar nicht danach sind.<br />

Der 6. Januar brachte den Kölnern die<br />

kälteste Nacht seit Jahren. Im Hohen Dom<br />

gefror das Weihwasser. Trotz der klirrenden<br />

Vor dem Drei-Königs-Schrein im Kölner Dom: (von links)<br />

die Bundesbrüder VOP Benedikt Schwedhelm, sein Vater<br />

Walter Schwedhelm, der AHV-Vorsitzende Dr. Winfried<br />

Gottschlich und Senior Robert Weichselbaum<br />

Kälte strömten die Gläubigen zum abendlichen<br />

Pontifikalamt mit Prozession zum<br />

Drei-Königs-Schrein. Auch eine Gruppe der<br />

UNITAS-Salia in der Stärke von 15 Personen<br />

hatte sich auf den Weg nach Köln gemacht.<br />

Die Messe zelebrierte der Pariser Kardinal<br />

André Vingt-Trois. Einhellige Meinung der<br />

unitarischen Pilgerschar war, dass sie den<br />

Dom noch nie so feierlich erlebt hat: Die<br />

sechs Bischöfe am Altar, die dicken Weihrauchschwaden,<br />

der stimmgewaltige Chor,<br />

die funkelnden Lichter der Weihnachtsbäume,<br />

die Kerzen oben im Ostchor und<br />

natürlich der golden leuchtende Drei-<br />

Königs-Schrein. Die Luft war eisig, aber die<br />

Atmosphäre erwärmte das Herz<br />

und inspirierte den Geist.<br />

Kardinal Vingt-Trois hob in seiner<br />

Predigt hervor, dass sich die<br />

Heiligen Drei Könige auf Kenntnisse<br />

der Astronomie gestützt und im<br />

Lichte der Vernunft auf die Suche<br />

gemacht hätten. Im Kind von<br />

Bethlehem hätten sie dann das<br />

Licht Gottes gefunden.Wahrscheinlich<br />

hat sich Bbr. Benedikt Schwedhelm<br />

von den Heiligen Drei Königen<br />

leiten lassen und deshalb das<br />

Thema „Glaube und Wissenschaft“<br />

für das Kölner Vorortsjahr gewählt.<br />

Höhepunkt des Abends war<br />

dann die Prozession zum Drei-<br />

Königs-Schrein.<br />

Nach dem Pontifikalamt im Dom:<br />

In geselliger Runde im Gewölbekeller des<br />

Brauhaus Früh<br />

Inzwischen waren gut zwei Stunden<br />

vergangen und die Kälte forderte ihren<br />

Tribut. Nun hatten wir uns ein warmes<br />

Plätzchen, eine kräftige Stärkung und ein<br />

leckeres Kölsch wahrlich verdient. Was ist<br />

da besser geeignet, als der Gewölbekeller<br />

des Brauhauses Früh? Draußen fiel inzwischen<br />

das Thermometer auf minus 15 Grad<br />

Celsius. In der sternklaren Nacht fühlten<br />

sich die Bundesbrüder wie die Könige<br />

selbst.<br />

Dr. Winfried Gottschlich<br />

Frankfurter Verbindungen präsentieren sich neu an der Goethe-Universität<br />

FRANKFURT. Eine Initiative der Vereinigung<br />

der Akademikerverbände Frankfurt Rhein/<br />

Main (VAV) und der Johann-Wolfgang<br />

Goethe-Universität realisierte in den vergangen<br />

zwei Monaten das Projekt „Schaukästen<br />

für die Frankfurter Verbindungen“.<br />

Vorausgegangen war am 17. Januar 2008<br />

eine gemeinsame Vereinbarung von Uni-<br />

Präsident Prof. Dr. Rudolf Steinberg und dem<br />

VAV-Vorsitzenden Dr. Günter Paul über die<br />

Förderung der Zusammenarbeit zwischen<br />

Frankfurt am Main und der VAV. Ziel der<br />

Vereinbarung ist, eine vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />

zum gegenseitigen Nutzen<br />

die Beziehungen zwischen Ehemaligen,<br />

Freunden, Studierenden, und Mitarbeitern<br />

der Universität zu intensivieren und den<br />

Informationsaustausch insgesamt zu verbessern.<br />

Am 11. Dezember wurde der erste<br />

Schaukasten der Frankfurter Verbindungen<br />

auf dem Uni-Campus Riedberg bestückt.<br />

Der gleiche ist für das Klinikum vorgesehen.<br />

Zu sehen sind Kurzporträts der Verbindungen<br />

und Vereine – unter ihnen auch der<br />

UNITAS Rheno-Moenania Frankfurt. Auf<br />

dem Campus Westend wurden die Schaukästen<br />

im Januar montiert und Informationen<br />

in Bockenheim aufgehängt.<br />

Gegner der Korporationen haben bereits<br />

kurz darauf den erste Kasten beklebt und<br />

besprüht. Auch der AStA der Universität ist<br />

inzwischen aufmerksam geworden und beschäftigt<br />

die Hochschulleitung mit Anfragen<br />

über die Verbindungen, die dieser<br />

Vereinbarung angehören. Der AStA hat starke<br />

Bedenken, unterstellt eine Ungleichbehandlung<br />

der Studierendenschaft und<br />

bezeichnet die Kooperation mit Hochschulen<br />

als klares Indiz für „Vetternwirtschaft“.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 63<br />

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Der Präsident des rheinland-pfälzischen Landtages, Joachim Mertes, zu Gast bei UNITAS Trebeta in Trier<br />

Die Mischung macht’s! –<br />

Das Wintersemester der UNITAS Trebeta<br />

VON BBR. GEREON HELMES<br />

TRIER. Im Winter ist es kalt und dunkel.<br />

Wenn man morgens das Haus verlässt und<br />

einem der Nieselregen die Sicht durch die<br />

Brillengläser erschwert, in einen überfüllten<br />

Bus steigt, um den noch volleren Hörsaal<br />

zu erreichen, dann ist der Moment gekommen:<br />

Man freut sich auf den Abend.<br />

Man freut sich auf eine unitarische Runde.<br />

Im Semester ist die erste Gelegenheit die<br />

Semesterankneipe. Die Spannung auf das<br />

bevorstehende Semester entlädt sich in<br />

brausendem Gesang und dem Klirren der<br />

Krüge. Der Anfang ist gemacht.<br />

Zu Gast: Christa Klaß, MdEP<br />

Bei einem Vortrag durch die Europaabgeordnete<br />

Christa Klaß ergründete die<br />

Trebeta die Zukunft der Machtverhältnisse<br />

auf unserem Kontinent und fragte sich:<br />

„Brüssel, unsere neue Hauptstadt?“ Mit<br />

Frau Klaß besuchte uns eine gestandene<br />

64<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Politikerin, die uns Mut zusprach, die<br />

Herausforderungen der Zukunft anzunehmen,<br />

den deutschen Pessimismus abzulegen<br />

und an uns zu glauben. Wir erlebten<br />

eine Vollblutpolitikerin, die sich mit großem<br />

Engagement für die bessere Vermittlung<br />

des europäischen Gedankens einsetzt. Und<br />

dies betont in der Tradition von Bbr. Robert<br />

Schuman.<br />

Wir fechten nicht, aber wir spielen Fußball.<br />

Und so konnten wir unsere durch studentische<br />

Speisekultur gestählten Körper<br />

mit der Teilnahme am UNITAS-West-Turnier<br />

in Köln und dem Sieg im Turnier der katholischen<br />

Trierer Korporationen bewegen.<br />

Als Höhepunkt des Semesters ist die<br />

Philistrierungskneipe zu nennen. Den<br />

Hausgottesdienst zelebrierten die Bundesbrüder<br />

Andreas Müller und Hermann-Josef<br />

Reckenthäler, ein Gründungsmitglied der<br />

Trierer UNITAS.<br />

Mit dem Präsidenten des rheinlandpfälzischen<br />

Landtags, Joachim Mertes,<br />

diskutierten wir nach den Weihnachtsferien<br />

über den Zustand des deutschen<br />

Landtagspräsident Joachim Mertes<br />

Parteiensystems. Im Superwahljahr <strong>2009</strong><br />

sieht er für die Partei „Die Linke“ eine wichtige<br />

Wegmarke. In diesem Jahr entscheidet<br />

sich, ob sie sich nachhaltig in allen Parlamenten<br />

festsetzt oder nicht. Als Sozialdemokrat<br />

sei es schwierig, verlorene Schafe<br />

wieder einzufangen, da man Populismus<br />

nur mit noch größerem Populismus bekämpfen<br />

könne, so der Landtagspräsident.<br />

Dies sei nicht im Sinne einer verantwortungsbewussten<br />

Politik. In guter Atmosphäre<br />

stellte sich Mertes, der erstmals eine<br />

<strong>Studenten</strong>verbindung besuchte, den Fragen<br />

und freute sich zahlreiche Anregungen<br />

mit nach Mainz nehmen zu können.


Die Klausurphase beginnt und pünktlich<br />

wird das Semesterprogramm strammer.<br />

Ein Stiftungsfest bringt alle zusammen.<br />

Alte Herren kehren an ihren Studienort<br />

zurück, um mit der Aktivitas auf das<br />

Bestehen einer Gemeinschaft anzustoßen,<br />

die man erfinden müsste, wenn es sie nicht<br />

schon gebe. Mit Monsignore Dr. Georg<br />

Bätzing, dem Regens des Bischöflichen<br />

Priesterseminars zu Trier, konnten wir den<br />

Leiter der Institution gewinnen, aus dem<br />

die Trierer UNITAS einst entstanden ist. Der<br />

Regens berichtete über die aktuelle Situa-<br />

tion der Trierer Kirche und nahm Stellung<br />

zur Frage: „Manager oder Gottesmann. Zur<br />

Zukunft des priesterlichen Dienstes.“<br />

Bevor die Semester-Exkneipe die Erinnerungen<br />

an den Stress und die Anstrengungen<br />

des Semesters dahinraffte, besuchte<br />

die Trebeta mit einer Tagesfahrt die<br />

NSDAP-Ordensburg Vogelsang in der Eifel.<br />

Das Gelände, das bis 2005 als Truppenübungsplatz<br />

des belgischen Militärs genutzt<br />

wurde, ist seit 2006 der Öffentlichkeit<br />

zugänglich. Durch den gut erhaltenen<br />

Impressionen vom 52. Stiftungsfest im Kneipsaal des alten Winzerhauses der Trebeten<br />

Flottes Semester an der Ruhr<br />

UNITAS RUHRANIA MACHTE DAS „KLEEBLATT“ VOLL<br />

ESSEN. Mit der wohl ersten je geschlagenen<br />

„Altfrid-Kneipe“ machte<br />

UNITAS Ruhrania bereits im August<br />

2008 einen vorgezogenen Semesterstart,<br />

freute sich über zwei Burschungen<br />

und legte bis Februar <strong>2009</strong> mit<br />

vier Rezipierungen gleich nach: Der<br />

Ex-Convent zog ein zufriedenes Fazit.<br />

Dass sich das Leben der UNITAS an<br />

der Ruhr weiterentwickelt, stellt das<br />

angelaufene Semester auf dem Ende<br />

Mai 2008 eingeweihten „Feldschlößchen“<br />

deutlich unter Beweis. Gleich zur Antrittskneipe<br />

im Oktober sangen sich<br />

viele Gäste und Bundesbrüder durch<br />

die bestens vorbereiteten Ritualien, erstmals<br />

geschlagen von Senior Christoph<br />

Weyer. Der von Bundeslied und Nationalhymne<br />

eingerahmte Höhepunkt: Die<br />

Aufnahme von Neumitglied Damian<br />

Juretzki. Zwei weitere <strong>Studenten</strong> stellten<br />

formvollendet ihren Antrag auf einem<br />

Bierdeckel.<br />

Alles neu auf dem Haus<br />

Hatten im Sommer im Haus noch<br />

Austauschstudenten aus Frankreich und<br />

Polen gewohnt, gab es nun auch erstmals<br />

ein Programm für die neu zusammengefundene<br />

Hausgemeinschaft: Gemeinsam<br />

erkundeten sie den Stadtteil und besuch-<br />

Bau gewann man einen Einblick in die<br />

nationalsozialistische Architektur, die Art<br />

der Ideologievermittlung und den heute<br />

immer noch schwer zu erfassenden Zeitgeist<br />

des Dritten Reichs.<br />

Die Trebeta blickt auf ein gelungenes<br />

Semester zurück, das mit einem bunten<br />

Programm die Gemeinschaft stärkte.<br />

Im Winter ist es kalt und dunkel, aber in<br />

einer Pekesche friert man nicht.<br />

ten die historische Dauerausstellung auf<br />

Schloss Borbeck, der ehemaligen Residenz<br />

der Fürstäbtissinnen, von der aus das<br />

Reichstift Essen fast 1000 Jahre lang von<br />

Frauen regiert wurde. Gut besucht war<br />

auch eine ausgezeichnete Wissenschaftliche<br />

Sitzung, die lange vor dem Wahlsieg<br />

von US-Präsident Barack Hussein Obama<br />

Regina und Bbr. Andreas Rydzek (Bildvordergrund) hatten sich spontan und tatkräftig der dringend<br />

notwendigen Renovierung der im Januar 1960 von dem damaligen Ehrensenior Prälat Heinrich<br />

Portmann zuerst gesegneten Ruhranen-Fahne angenommen. Paramentenstickerin Frau Antonie<br />

Bürger in Erwitte restaurierte das kostbare Tuch mit dem Paulus-Dom zu Münster.<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 65<br />

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dessen Wahlsieg mit einer Probeabstimmung<br />

im UNITAS-Haus „Feldschlößchen“<br />

vorwegnahm. Eine gemeinsame<br />

WS mit dem AHZ Essen war dem<br />

Thema „Mystik“ gewidmet, zu dem Bbr.<br />

Dr. med. Otto Hermanns referierte. Zum<br />

Martinsfest versammelten sich die<br />

Aktiven mit dem AHZ Wuppertal-Niederberg<br />

zum Martinsgansessen in Essen-<br />

Werden.<br />

Aktiventag band alle Kräfte<br />

Insbesondere hielten den Verein die<br />

Vorbereitungen des Aktiventags zum<br />

Thema „Naturwissenschaft und Glaube“<br />

Mitte November in Atem. Nach einer ganzen<br />

Reihe von Planungsgesprächen und<br />

Arbeitseinsätzen stand die Logistik. Ein<br />

Einsatz, der sich lohnte: Über 100 Aktive<br />

hatten sich zum Bundestreffen an der Ruhr<br />

angesagt, die Unterbringung und Exkursion<br />

nach Werden machten mit der Region vertraut,<br />

die Wissenschaftsarbeit im Don<br />

Bosco-Gymnasium konnte sich sehen lassen<br />

und über 200 Gäste feierten den Festkommers<br />

auf Schloss Borbeck – zahlreiche<br />

Artikel in der Presse berichteten.<br />

Während als letzter Bauabschnitt ein<br />

über 50 Quadratmeter großer Wintergarten<br />

am „Feldschlößchen“ entstand, trafen<br />

sich die Ruhranen mit Krankenhauspfarrer<br />

Berthold Boenig aus Oberhausen zur<br />

Besinnung im Advent, stürzten sich aber<br />

auch in verdiente Fidulitäten: Sie schwangen<br />

wie jedes Jahr zu Anfang Dezember das<br />

Tanzbein beim traditionellen Barbaraball<br />

des örtlichen CV-Zirkels „Kohle“ im Schloss,<br />

eine Nikolaus-Kneipe würdigte den Schutzpatron<br />

der <strong>Studenten</strong> und das Vereinsfest<br />

brachte nach der Messe eine hervorragende<br />

Morgensitzung von Bbr. Rüdiger Duckheim<br />

zum Thema „Maria Immaculata et<br />

Assumpta – Typos des erlösten Menschen“;<br />

eine gute Gelegenheit, dem langjährigen<br />

Antreiber des Vereins zum bestens bestandenen<br />

Diplomtheologen zu gratulieren.<br />

Eine zünftige Feuerzangenbowle zum<br />

gleichnamigen Film und eine professionell<br />

vorbereitete rauschende Silvesterparty mit<br />

fast 100 Besuchern markierten den Jahresabschluss,<br />

ein Neujahrsempfang versammelte<br />

Mitglieder aus den UNITAS-Zirkeln<br />

der Region zum Start ins Jahr <strong>2009</strong>.<br />

Wissenschaft<br />

mit aktuellen Themen<br />

Engagierte Debatten brachte eine Wissenschaftliche<br />

Sitzung zum bevorstehenden<br />

50. Jahrestag der Verkündigung des II.<br />

Vatikanischen Konzils, mit der unerwartet<br />

die wesentlichen Themen der Ereignisse<br />

der folgenden Wochen vorweggenommen<br />

wurden. Bei der gut besuchten Veranstaltung<br />

legte Referent Pastor Heinrich Grafflage<br />

von St. Dionysius Essen-Borbeck den<br />

66<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Aktiven besonders das Konzilsdokument<br />

„Nostra Aetate“ ans Herz, stellte sich den<br />

Fragen zur „Alten Messe“ und traditionalistischen<br />

Strömungen in der Kirche.<br />

Zum Höhepunkt des Semesters wurde<br />

das 98. Stiftungs- und Vereinsfest Ende<br />

Januar. Intensive Debatten prägten den CC<br />

am Nachmittag, der sich sehr grundsätzlich<br />

Fragen stellte. Sie galten etwa dem Umgang<br />

mit den unterschiedlichen Traditionen,<br />

in die sich der aktive UNITAS-Verein im<br />

Revier bewusst gestellt hat, aber auch sehr<br />

praktischen Aspekten: Besonders unterstrichen<br />

wurden der große Einsatz unterschiedlicher<br />

Kreise um den Bau und Betrieb<br />

des 2008 eingeweihten neuen UNITAS-<br />

Zentrums, die Verpflichtungen gegenüber<br />

dem Gesamtverband, die Formen der<br />

Unterstützung für das Wachsen einer jungen<br />

Generation in der Region und die gute<br />

Entwicklung der Hausgemeinschaft.<br />

Fahnenweihe<br />

zum 98. Stiftungsfest<br />

Zur eigenen gottesdienstlichen Feier<br />

wandelte sich der Conventsaal mit schnellen<br />

Handgriffen rasch zur Kapelle: Vor der<br />

Segnung der restaurierten Münster-Fahne<br />

griff der Altherrenvereins-Vorsitzende Kaplan<br />

Helmut Wiechmann das Thema der<br />

Tradition auf, erinnerte an die Bedeutung<br />

des Zeichens für die Gemeinschaft. Das<br />

Kreuz und die Nachfolge Jesu seien das<br />

bestimmende Element des unitarischen<br />

Lebensbundes – auch in Zukunft müsse die<br />

ursprünglich aus Münster stammende<br />

Fahne dafür immer stehen, betonte der<br />

Geistliche Beirat des Verbandes, segnete<br />

das Tuch und die Gottesdienstgemeinde.<br />

Ihr gab er mit dem aus dem Lukas-<br />

Evangelium entnommenen Wort „Wer im<br />

Geringsten treu ist, der ist auch im Großen<br />

treu“ (16,10) einen wichtigen Gedanken<br />

mit: Sich Einzuüben „Im Kleinen treu“ zu<br />

sein. In den Fürbitten nahm die Gemeinde<br />

die Lebenden und Verstorbenen ins Gebet.<br />

Die Feier schloss mit dem Te Deum.<br />

Den Festvortrag nach dem gemeinsamen<br />

Abendessen in der Hausgastronomie<br />

widmete Bbr. P. Benedikt Kisters vom Redemptoristenkloster<br />

Bottrop-Kirchhellen<br />

dem ältesten Verbandspatron der UNITAS,<br />

dem Hl. Thomas von Aquin (1225 bis 1274).<br />

Vor zahlreichen Gästen zeichnete er dessen<br />

Leben nach und umriss die äußeren Bedingungen<br />

der rastlosen Forscher- und Lehrtätigkeit<br />

des Kirchenlehrers aus dem Orden<br />

der Dominikaner. Deutlich strich Pater<br />

Benedikt die bleibenden Leistungen des<br />

Wissenschaftlers heraus, der als solcher als<br />

Erster in den Kreis der Heiligen gezählt<br />

wurde: Im dem von ihm geschaffenen versöhnten<br />

Gleichgewicht von Theologie und<br />

Philosophie, von Glaube und Wissenschaft,<br />

liege auch wesentlich Grundlage und<br />

Antrieb für die Gemeinschaft und<br />

Prinzipien der UNITAS, so der Festredner,<br />

dem die Corona mit großem Applaus für<br />

seine Ausführungen dankte.<br />

Im hochoffiziellen Teil erlebte die Corona<br />

mit dem Bundeslied die feierliche<br />

Aufnahme von zwei Neumitgliedern: Neue<br />

Ruhranen sind Philipp Ast (21) aus Neuss,<br />

Student der Wirtschaftsinformatik, und<br />

Benedikt Koch (22) aus Essen-Bergerhausen,<br />

angehender Wirtschaftsingenieur an<br />

der FH Gelsenkirchen mit dem Schwerpunkt<br />

„Facility Management“. Nicht nur<br />

zwei neue Aktive schlossen sich der UNITAS<br />

Ruhrania an: Auch Bauingenieur Heinrich<br />

Loosen wurde vom AHV-Vorsitzenden<br />

ebenso offiziell in die Altherrenschaft aufgenommen<br />

und vom Essener Zirkel mit<br />

einer Erinnerungsurkunde ausgestattet.<br />

Themen weiterer Wissenschaftlicher<br />

Sitzungen waren „Paulus und der Kopftuchstreit“<br />

(Bbr. StR i. R. Richard Laudage) und<br />

„Franz Kafka im Wandel unserer Tage“ (Bbr.<br />

stud. mus. ecc. Christoph Weyer, X), bevor<br />

ein gelungenes Semester bei der Ex-Kneipe<br />

unter den Tisch geschlagen wurde. Gäste<br />

von UNITAS Rhenania Bonn, UNITAS Rheinfranken<br />

und UNITAS Hetania erlebten eine<br />

weitere Neuaufnahme: Matthias Meyke,<br />

Student der Kirchenmusik, machte das<br />

Kleeblatt der Neu-Ruhranen in einem erfolgreichen<br />

WS 2008/09 voll. Zum Sommersemester<br />

sind alle neun Zimmer im<br />

„Feldschlößchen“ wieder komplett vermietet.<br />

Zum Treiben an der Ruhr und über vielfältige<br />

Themen informiert die neugestaltete<br />

Homepage des Vereins: Innerhalb von<br />

sieben Monaten verzeichnete sie inzwischen<br />

über 9.000 Besucher.<br />

Adresse: www.unitas-ruhrania.org.


Die prachtvolle „neue alte“ Fahne der Vindelicen<br />

VON BBR. KARLHEINZ SIEBER<br />

Wie es sich gehört: mit einer Keilkneipe<br />

schlug am 18.10.1958 die Geburtsstunde der<br />

UNITAS Vindelicia. Allerdings erfolgte die<br />

Gründung nicht, wie der Historiker sagen<br />

würde, „aus wilder Wurzel“, sondern mit<br />

und durch Bundesbrüder, die der UNITAS<br />

Guelfia München angehörten, aber in und<br />

um Augsburg wohnten und wegen der<br />

ungünstigen Zugverbindungen nur unter<br />

Mühen am Vereinsleben in München teilnehmen<br />

konnten. Es ehrt die Guelfia, die<br />

wir Augsburger deshalb unsere Mutterkorporation<br />

nennen, dass sie die Neugründung<br />

in Augsburg durch einen regelrechten<br />

eigenen Aderlass möglich machte.<br />

Zwölf Bundesbrüder aus den Reihen der<br />

Guelfia und ein neu hinzugekommener bildeten<br />

die Aktivitas des SS 1959: German<br />

Baumgärtner, Norbert Beier, Hans-Georg<br />

Benkart, Theo Fischer, Martin Geiger, Winfried<br />

Kiefer, Hans Masching, Ludwig Mayr,<br />

Peter Mayr, Klaus Nowotny, Hugo Seiter,<br />

Hans Stöffel und Konrad Müller. Drei dieser<br />

Bundesbrüder sind bereits verstorben, drei<br />

sind aus der Korporation ausgetreten, und<br />

sechs sind bis heute Mitglieder.<br />

Drei Bundesbrüder aus dem Gründungsteam<br />

waren beim Stiftungsfest anwesend:<br />

Der erste Senior, Bbr. Norbert Beier,<br />

der Consenior und Scriptor, Bbr. Dr. Klaus<br />

Nowotny, und Hans Masching, Consenior<br />

des WS 1959/60. An diesen Beginn zu erinnern<br />

und die amicitia als eines unserer<br />

Verbandsprinzipien zu feiern, war Aufgabe<br />

des Stiftungsfestes, das, wie es gute unitarische<br />

Tradition ist, einen feierlichen Gottesdienst<br />

und einen Festkommers umfasste.<br />

Den Gottesdienst in der Kirche St.<br />

Wolfgang in Augsburg-Spickel zelebrierte<br />

unser Bbr. Bischof em. Manfred Müller, der<br />

trotz seines fortgeschrittenen Alters spontan<br />

seine Zusage gegeben hatte. Wir Augsburger<br />

Unitarier haben ja Erfahrung mit<br />

den Gottesdiensten „unseres“ Bischofs und<br />

50 Jahre UNITAS Vindelicia<br />

Augsburg<br />

wussten, dass wir uns wieder einmal auf<br />

eine ebenso würdige wie gehaltvolle Messe<br />

freuen durften, die, über die liturgischen<br />

Texte hinaus, wesentlich von der fordernden<br />

Predigt bestimmt war, in der Bbr.<br />

Müller einen Vergleich zwischen Leben und<br />

Wirken des Nobelpreisträgers Max Planck<br />

und den Prinzipien der UNITAS: virtus,<br />

scientia, amicitia, exemplifizierte. Über<br />

„scientia“ wird man bei einem so hoch<br />

dekorierten Naturwissenschaftler nicht<br />

lange sinnieren müssen. Weniger bekannt<br />

dürfte vielen Zuhörern der persönliche Mut<br />

Plancks den Nationalsozialisten gegenüber<br />

gewesen sein, mit dem er ihm Nahestehende<br />

zu schützen versuchte, und die Ernsthaftigkeit<br />

und Aufrichtigkeit seines Forschens<br />

und vor allen Dingen Denkens über<br />

den eigenen Horizont der<br />

Physik hinaus.<br />

Immer wieder flocht<br />

Bbr. Müller dabei auch liebevolle<br />

und ehrende Gedanken<br />

an einen anderen<br />

unserer lieben Bundesbrüder<br />

ein, Weihbischof<br />

em. Rudolf Schmid, der seines<br />

hohen Alters wegen<br />

nicht am Stiftungsfest teilnehmen<br />

konnte, durch die<br />

immer wiederkehrenden<br />

Hinweise aber präsent gesetzt<br />

wurde und so auf<br />

eine geistige Weise teil-<br />

STIFTUNGSFEST AM 29.11.<strong>2009</strong><br />

Bbr. Bischof em. Manfred Müller<br />

nehmen konnte. Den kräftigen Gesang „ad<br />

maiorem dei gloriam“ begleitete unser Bbr.<br />

Michael Stocker v Orlando gekonnt vom<br />

Orgeltisch aus. Bei der schwachbrüstigen,<br />

in Teilen schon defekten Orgel war wirkliches<br />

Können gefragt.<br />

Neue Vereinsfahne<br />

Nicht weit weg von der Kirche, im Atrium<br />

der Handwerkskammer Schwaben, fand<br />

das Stiftungsfest seine Fortsetzung. Einen<br />

ebenso realen Blickpunkt wie auch einigendes<br />

Symbol stellte unsere restaurierte<br />

Vereinsfahne dar, die im Festsaal vor dem<br />

Präsidium in fast luftiger Höhe hing und die<br />

Geschichte der Vindelicia repräsentierte.<br />

Ehe jedoch Essen und Kommers über<br />

die Bühne gehen konnten, hatte der Vorsitzende<br />

des Altherrenvereins, StD i. R. Karlheinz<br />

Sieber, zu einem kurzen Konvent<br />

gebeten zur Regelung der Beitragsverhältnisse<br />

im Altherrenverein, die der Kassier,<br />

Bbr. Werner Haible, auf der Basis eines<br />

Kassenberichts erläuterte. Die Tatsache,<br />

dass dieser Tagesordnungspunkt praktisch<br />

ohne Diskussion abgearbeitet und die vorgeschlagene<br />

Lösung einstimmig angenommen<br />

wurde, zeigte, wenn auch vielleicht<br />

aus einer eher ungewohnten Optik,<br />

auch ein Stück „amicitia“. Diese bewährte<br />

sich, wie der Vorsitzende ausführte, auch in<br />

dem hohen Spendenaufkommen für die<br />

4.500,- Euro teure Restaurierung unserer<br />

schon in die Jahre gekommenen und verschlissenen<br />

Vereinsfahne, so dass eine<br />

zugesagte Bürgschaft für die Kosten der<br />

Fahnenerneuerung nicht in Anspruch<br />

genommen werden musste. Durch eine<br />

Einzelspende in Höhe von 750,- Euro konnte<br />

eine zusätzliche Pekesche angeschafft wer- >><br />

Bunte Chargia formierte sich: vorne UNITAS München,<br />

das Präsidium hinten<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 67


den, die auch einen etwas „stärkeren“<br />

Chargierten der Vindelicia elegant aussehen<br />

lässt.<br />

Die Großzügigkeit der räumlichen Verhältnisse<br />

bewährte sich schon während des<br />

Altherrenkonvents, denn die Damen konnten,<br />

ohne sich ausgeschlossen fühlen zu<br />

müssen, warme oder kalte Getränke in<br />

einem Nebenraum zu sich nehmen und<br />

miteinander Gespräche führen und Kontakte<br />

knüpfen, was vielleicht in Begleitung<br />

der jeweiligen Herren jedenfalls in der<br />

stattgehabten Weise, nicht möglich gewesen<br />

wäre.<br />

Inzwischen hatte wohl jeder Hunger.<br />

Mancher wird vielleicht, in Erwartung des<br />

abendlichen Buffets, das Mittagessen<br />

bescheidener gehalten oder gar ausfallen<br />

lassen haben, und so wurde dem vom Koch<br />

des Hauses lecker zubereiteten und ansehnlich<br />

präsentierten umfangreichen italienischen<br />

Buffet wacker zugesprochen. Am<br />

Nachtischbüffet bedienten sich sogar den<br />

ganzen Abend hindurch Jung und Alt. Auch<br />

hier bewährte sich wieder die Großzügigkeit<br />

der Räumlichkeiten, denn das Büffet<br />

war in einem großen Foyer aufgebaut, so<br />

dass man gemütlich und ohne Drängeleien<br />

anstehen und seine mehr oder minder<br />

gefüllten Teller in den Saal tragen konnte.<br />

Manche Nachspeise, etliche Tassen Kaffee<br />

oder Tee und viele kalte Getränke wurden in<br />

diesem Foyer auch im Stehen eingenommen,<br />

so dass eine wohltuende Entzerrung<br />

stattfand und sich zwanglos Gesprächsgruppen<br />

bilden konnten.<br />

Festkommers mit Gästen<br />

Den Höhepunkt des Abends bildete aber<br />

natürlich der Festkommers, der von Bbr.<br />

Martin Rudert (x), Bbr. Markus Wamser (xx)<br />

und Bbr. Jürgen Immler (xxxx) geschlagen<br />

wurde. Es war uns eine große Freude, Abordnungen<br />

befreundeter Augsburger Korporationen<br />

in Vollwichs begrüßen zu dürfen:<br />

von der KDStV Algovia im CV, der Burschenschaft<br />

Rheno-Palatia und der Landsmannschaft<br />

Suevia. Und natürlich freuten<br />

Das Präsidium: Martin Rudert (X), Markus Wamser (XX)<br />

und Jürgen Immler (XXXX)<br />

68<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Der Bierorgler Bbr. Werner Haible, stv. Vors. des AHV<br />

wir uns besonders über die Vertreter e. l.<br />

Schwesterkorporation UNITAS München, in<br />

der, seit der Vereinigung, auch unsere<br />

Mutterkorporation Guelfia anwesend war.<br />

Der Vorortspräsident Benedikt Schwedhelm<br />

Nachdem der Einzug mit klangvoller<br />

Hilfe unseres Bierorglers Bbr. Werner Haible<br />

würdig und ansehnlich vonstatten gegangen<br />

und der Kommers mit kräftigem Gesang<br />

auch musikalisch ansprechend eröffnet<br />

worden war, gaben uns die Vertreter<br />

sämtlicher anwesender befreundeter Korporationen<br />

die Ehre ihrer Grußworte, die<br />

teils launig und teils sinnig-hintersinnig<br />

auf den runden Geburtstag der UNITAS<br />

Vindelicia anspielten. Wenn auch nur ein<br />

Bruchteil der guten Wünsche in Erfüllung<br />

geht, dann steht der Vindelicia eine glänzende<br />

Zukunft bevor.<br />

Glückwünsche<br />

zum Fest<br />

Den Glückwünschen<br />

schlossen sich der Vorortspräsident,<br />

Bbr. Benedikt<br />

Schwedhelm, als<br />

Vertreter des Verbandes,<br />

und der stellvertretende<br />

Vorsitzende des Altherrenbundes,<br />

Bbr. Dr. Dr. Lohmann,<br />

der die Vindelica<br />

auch seine Heimat nennen<br />

kann, für den Altherrenbund<br />

an. Für den Altherrenverein<br />

der Vindelicia als<br />

Organisator des Stifungs-<br />

festes sprach schließlich dessen Vorsitzender,<br />

Bbr. Karlheinz Sieber, der einen kurzen<br />

Rückblick auf die Geschichte der Vindelicia<br />

gab. Ein wesentlicher Teil seiner Ausführungen<br />

beschäftigte sich mit Grundgedanken<br />

unseres Verbindungslebens:<br />

„Was ist an dieser UNITAS Vindelicia<br />

dran, dass ihr acht Bundesbrüder aus dem<br />

Jahre 1958 und viele andere, die später in<br />

unsere Korporation eintraten, z.T. bis zum Tod<br />

die Treue gehalten haben und noch immer<br />

halten? Oder dass der Festredner des heutigen<br />

Abends spontan seine Reise zu einem<br />

wissenschaftlichen Kongress in Brasilien um<br />

einen Tag verschiebt, um zu uns sprechen zu<br />

können?“ Den zugrunde liegenden „unitarischen<br />

Wesenskern“ benannte Bbr. Sieber<br />

dann mit einer zunächst überraschenden<br />

Definition: „Ein Unitarier ist ein anständiger<br />

Katholik. Ein Unitarier ist ein neugieriger<br />

Mensch, den interessiert, was um ihn herum<br />

in den vielfältigen Bereichen der Wissenschaft<br />

über die Lebensbedingungen auf<br />

unserem Planeten erforscht und entdeckt<br />

wird. Ein Unitarier freut sich, wenn seine<br />

Verbindung ihm die Gelegenheit vermittelt,<br />

mit Gleichgesinnten ... in vertrautem Kreis<br />

beisammen zu sein.“<br />

Der Stv. Vorsitzende des AHB, Bbr. Dr. Thomas<br />

Lohmann<br />

Der Vors. des AHV, Karlheinz Sieber v/o Taurus


Mit der Überleitung<br />

„Doch Wunder gibt es<br />

immer wieder“ kam er<br />

schließlich auf die Tatsache<br />

zu sprechen, dass<br />

die 2.000 suspendierte<br />

Aktivitas 2004 wieder erstanden<br />

ist und heute<br />

mit neun jungen Bundesbrüdern<br />

in Blüte steht.<br />

Dieser Neubeginn ist mit<br />

dem Namen des jetzigen<br />

Diakons und früheren<br />

<strong>Studenten</strong> der Theologie<br />

Benedikt Gruber verbunden und insofern<br />

eine glückliche Fügung, als Benedikt –<br />

gewissermaßen ins Blaue hinein – eine<br />

katholische <strong>Studenten</strong>verbindung suchte,<br />

deren Zusammenkünfte stets donnerstags<br />

stattfanden, an jenem Tag, an dem er im<br />

Priesterseminar Ausgang hatte. Unter allen<br />

Augsburger katholischen <strong>Studenten</strong>verbindungen<br />

trifft sich nur die Vindelica am<br />

Donnerstag – und so begann das aktive<br />

Leben wieder.<br />

Der Beifall, der allen Rednern reichlich<br />

gespendet wurde, machte deutlich, dass die<br />

Worte die beabsichtigte Wirkung erreicht<br />

hatten.<br />

Festredner Bbr. Prof. Dr. Jochen Litterst<br />

Unitarische Scientia<br />

Wie es sich für eine wissenschaftliche<br />

<strong>Studenten</strong>verbindung gehört, war eines der<br />

zentralen Ereignisse des Abends ein wissenschaftlicher<br />

Vortrag, gehalten von dem<br />

der Vindelicia zugehörigen, jetzt aber in<br />

Braunschweig lebenden und an der dortigen<br />

Technischen Universität lehrenden Bbr.<br />

Prof. Dr. Jochen Litterst vom Institut der<br />

Physik der kondensierten Materie. „Citius –<br />

altius – fortius in der Physik. Wozu?“ lautete<br />

der Titel seines anspruchsvollen Vortrages,<br />

der vor allem deshalb imponierte,<br />

weil ein auf der Höhe modernster Forschung<br />

stehender Wissenschaftler nicht<br />

blinden Zukunftsglauben predigte oder<br />

utopische Möglichkeiten aus dem Entwicklungspotenzial<br />

der Physik vorstellte. Vielmehr<br />

zeigten seine vielfältigen Rückgriffe<br />

auf antike Erkenntnisse, in welcher ungebrochenen<br />

Tradition auch die moderne<br />

Physik steht und in welchem Maße Er-<br />

Zusammen 300 Semester Vindeliciae:<br />

Norbert Beier, Dr. Claus Nowotny, Hans Masching<br />

kenntnisse dieser scheinbar längst vergangenen<br />

und damit angeblich überholten Zeit<br />

im „System“ der Physik, in ihren nach wie<br />

vor vorhandenen Problemen, in ihrem<br />

Streben nach Wahrheit und wissenschaftlicher<br />

Sicherheit und in der Interaktion zwischen<br />

den Forschungsinhalten und dem<br />

Forscher noch heute gültig und virulent<br />

sind. Geschickt ließ der Referent diese Überlegungen<br />

in eine kurze Erläuterung der<br />

wohl modernsten physikalisch-technischen<br />

Anlage der Gegenwart ausklingen: das<br />

„Large Hadron Collider Projekt“, dessen<br />

befürchtete Möglichkeit, „schwarze Löcher“<br />

zu produzieren, die am Ende die Erde vernichten<br />

könnten, erst jüngst in entsprechenden<br />

(sicher nicht unitarischen) Kreisen<br />

für Zukunftsängste gesorgt hatte.<br />

Der Vortrag war insgesamt ein Musterbeispiel<br />

für das unitarische Prinzip der<br />

„scientia“. Die Disziplin, mit der alle Anwesenden<br />

den wahrhaftig anspruchsvollen,<br />

akustisch leider nicht optimal vermittelten<br />

Vortrag verfolgten und der lang<br />

anhaltende, herzliche Applaus verdeutlichten,<br />

dass das zunächst etwas spröde anmutende<br />

Thema des Vortrags nicht nur bestens<br />

aufbereitet worden war, sondern dass<br />

die Botschaft eines „demütigen“ Physikers<br />

die Herzen der Zuhörer erreicht hatte.<br />

Die Chargen mit Bbr. Bischof Müller<br />

nach dem Kommers<br />

Der Rest des offiziellen Teiles gehörte<br />

wieder dem studentischen Comment mit<br />

Liedern, einem zünftigen Salamander, den<br />

Dankesworten und sinnigen Bemerkungen.<br />

Und in den großzügig gewährten Colloquien<br />

bewährte sich die unitarische amicitia<br />

ein ums andere Mal. Viele der ca. 80<br />

Anwesenden nutzten die Gelegenheit zu<br />

Gesprächen und Plausch mit Unitariern, die<br />

z.T. von weit her angereist waren, die schon<br />

länger nicht mehr an einer Veranstaltung<br />

teilgenommen hatten oder die man, wie<br />

unsere lieben Münchner AHV-Gäste, die<br />

respektabel vertreten waren, der Umstände<br />

wegen eben selten trifft. Erstaunlich, wie<br />

lange unser Bbr. Bischof em. Manfred<br />

Müller unter uns blieb und mit wie vielen<br />

Unitariern, Damen und Gästen, er sich<br />

unterhielt; in der guten alten Zeit hätte<br />

man, lobend und ohne Hintersinn gesagt:<br />

leutselig unterhielt. Als Senior eine solch<br />

bedeutende Veranstaltung zu leiten und<br />

durch seine Reden und sein Wesen zu gestalten,<br />

war sicher eine nicht übliche<br />

Herausforderung, die Bbr. Martin Rudert<br />

mit verständlicher Nervosität, aber, wie<br />

seine Conchargen auch, mit Bravour bestanden<br />

hat.<br />

Der Ausklang zog sich lange hin, ein<br />

Zeichen dafür, wie sehr es die Teilnehmer<br />

genossen, in einem angenehmen Ambiente,<br />

in lockerer Atmosphäre und eben<br />

unter Freunden zu plaudern (Das Nachspeisenbüffet<br />

war, wenn auch stetig<br />

kleiner werdend, immer noch aufgebaut!)<br />

Die Letzten, the braves of the braves, verließen<br />

den Tagungsort gegen 1.00 Uhr<br />

morgens.<br />

Wenn es eines Beweises bedurft hätte,<br />

was unsere Prinzipien in der Praxis taugen:<br />

Dieser Nachmittag und Abend hätten ihn<br />

erbracht. Wie zur Belohnung tauchten nach<br />

dem Ende des offiziellen Teiles noch einige<br />

eingeladene Spähfüchse auf – ein hoffnungsvolles<br />

Zeichen in die Zukunft.<br />

Dass dem Zelebranten, Bbr. Bischof em.<br />

Manfred Müller, dem unermüdlich planenden<br />

und arbeitenden Vorsitzenden des Altherrenvereins,<br />

Bbr. Karlheinz Sieber, dem<br />

Organisten Bbr. Michael Stocker, dem<br />

Bierorgler Bbr. Werner Haible, dem vorzüglichen<br />

Referenten des Abends, Bbr.<br />

Prof. Dr. Jochen Litterst und dem den<br />

Kommers schlagenden Präsidium<br />

jeweils eigener und besonderer<br />

Dank gebührt, versteht sich von<br />

selbst.<br />

Ein herzlicher Dank, der sich vielfach<br />

schon zwischen den Zeilen findet,<br />

sei aber auch noch einmal an<br />

alle die ausgesprochen, die in den<br />

Sielen oder im Verborgenen gearbeitet<br />

haben, die mit Spenden und Rat<br />

zur Stelle waren, die sich auch unattraktiven<br />

Arbeiten nicht verweigert<br />

haben und all denen, die durch ihr<br />

Dasein, ihre Gesprächsbereitschaft und ihre<br />

Freude die wohltuende Atmosphäre gestaltet<br />

und erhalten haben.<br />

Möge sich das erfüllen, was alle Redner<br />

der Vindelicia gewünscht haben: „Vivat floreat<br />

crescat UNITAS Vindelicia ad multos<br />

annos.“<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 69


Bbr. Erzbischof Marx<br />

Ehrenbürger von Geseke<br />

GESEKE. Bbr. Reinhard Marx (55), Erzbischof<br />

von München und Freising, wurde am 27.<br />

Dezember 2008 in Geseke die Ehrenbürgerschaft<br />

seiner westfälischen Geburtsstadt<br />

verliehen. Durch seine Popularität habe<br />

Marx die 21.000 Einwohner zählende westfälische<br />

Stadt über die Grenzen Deutschlands<br />

hinaus bekannt gemacht, so die Begründung<br />

des einstimmigen Stadtratsbeschlusses<br />

vom 2. September 2008. Er setze<br />

sich trotz beruflicher Belastung weiter für<br />

die Belange von Geseke ein und pflege trotz<br />

der großen Entfernung engsten Kontakt zu<br />

seiner westfälischen Heimatstadt sowie zu<br />

diversen heimischen Vereinen und Institutionen.<br />

An der Verleihung der Ehrenbürgerurkunde<br />

im Festsaal des Gymnasiums<br />

Antonianum durch Bürgermeister Franz<br />

Holtgrewe nahmen neben den Honoratioren<br />

der Stadt auch zahlreiche Bürger<br />

Gesekes teil. Grußworte für die Geseker<br />

Geistlichkeit, die St.-Sebastianus-Schützenbruderschaft<br />

von 1412 e.V., die Geseker<br />

Vereine und den Freundes- und Bekanntenkreis<br />

von Marx sprachen Pfarrer<br />

Uwe Schläger, Bbr. Oberst Dr. Friedel Bergmann,<br />

Hans-Peter Busch und Heidrun<br />

Schnieders.<br />

Laudatio von Erzbischof Becker<br />

Erzbischof Becker würdigte Marx in seiner<br />

Laudatio als einen Mann festen Glaubens.<br />

Er lebe seinen Glauben aus einer klaren<br />

Beziehung zum gekreuzigten und auferstandenen<br />

Herrn Jesus Christus: „Es ist<br />

dieser Glaube, der ihn fasziniert und herausfordert:<br />

Gottes Geschichte mit dem<br />

Menschen, das Ringen um Freiheit und Gerechtigkeit<br />

in der Welt. Es ist dieser Glaube,<br />

der ihn zieht, weit über sich hinaus, über<br />

seine Heimat, seine Denkmuster, ihn in die<br />

Weite führt, neugierig werden lässt gegenüber<br />

Neuem und Fremden, ihn fragen und<br />

suchen lässt.“ Mit seinem<br />

sozialen Engagement<br />

nach den Prinzipien<br />

der katholischen<br />

Soziallehre bringe Marx<br />

„zentrale christliche Positionen<br />

in den gesellschaftlichen<br />

Diskurs ein<br />

– und das ist notwendig“,<br />

sagte Becker. „Er<br />

verweist auf die Unterscheidung<br />

zwischen<br />

Marktwirtschaft und<br />

Kapitalismus, plädiert<br />

für die Stärkung der<br />

Familien. Er ruft nach<br />

Zügeln, die der Markt<br />

braucht, nach Moral, ohne die jeder Staat<br />

verkommt.“<br />

Bild (v.l.): P. Fritz Kretz, Sr. Basina Kloos, Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Erzbischof Reinhard Marx,<br />

Landtagspräsident Joachim Mertes, Rektor Heribert Niederschlag und Diözesanadministrator<br />

Robert Brahm feierten die Ehrendoktorwürde, Quelle: www.bistum-trier.de<br />

Marx selbst erklärte in seiner Dankesrede,<br />

er habe schon als Kind entdeckt, dass<br />

Geseke auf der Welt einmalig sei. Geseke sei<br />

für ihn Heimatstadt, auf die er stolz sei. Er<br />

freue sich über die ihm erteilte Würde, denn<br />

als neuer Ehrenbürger könne er eindeutig<br />

sagen: „Ich bin Geseker, ich bin jetzt Bürger<br />

von Geseke, egal wo ich wohne und lebe“.<br />

Den neuen Ehrenbürger ehrten die St.<br />

Sebastianus-Schützenbruderschaft, die Musiker<br />

der Stadtkapelle und des Tambourkorps<br />

mit einem großen Zapfenstreich.<br />

Dabei erklang auf ausdrücklichem Wunsch<br />

von Marx nicht nur das „Westfalenlied“,<br />

sondern auch die Bayernhymne.<br />

Ehrendoktorwürde<br />

der Hochschule Vallendar<br />

Für seine Verdienste um die Soziallehre<br />

ist der Erzbischof von München und Freising<br />

am 22. Januar mit der<br />

Ehrendoktorwürde der<br />

Philosophisch-Theologischen<br />

Hochschule des<br />

Pallottinerordens in Vallendar<br />

ausgezeichnet<br />

worden. „Er engagiert<br />

sich für Arbeitslose und<br />

Menschen am Rand der<br />

Gesellschaft. So wird<br />

die Kirche als eine caritative<br />

und solidarische<br />

Gemeinschaft erfahren“,<br />

hieß es in der Begründung<br />

der von der<br />

Ordensgemeinschaft<br />

der Pallottiner und der<br />

Waldbreitbacher Sankt Elisabeth GmbH<br />

getragenen Hochschule. Seiner Mithilfe sei<br />

es zu zu verdanken, dass die Hochschule,<br />

bisher ausschließlich für <strong>Studenten</strong> der<br />

Theologie, um eine pflegewissenschaftliche<br />

Fakultät erweitert werden konnte. Er<br />

ermöglichte damit die unmittelbar bevorstehende<br />

Anerkennung als Katholische<br />

Hochschule. Für Bbr. Marx war es die erste<br />

Ehrenpromotion.<br />

Laudatio des Ministerpräsidenten<br />

„Sie sind ein Christ des Wortes und der<br />

Tat“, sagte der nordrhein-westfälische<br />

Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) in<br />

seiner Laudatio anlässlich der Verleihung.<br />

Marx' Handeln gebe den Menschen Mut<br />

und Hoffnung: „Machen Sie weiter!“ Marx<br />

bringe „immer wieder ins Bewusstsein,<br />

dass das Potenzial der Sozialen Marktwirtschaft<br />

noch lange nicht ausgeschöpft<br />

ist“. Marx bringe immer wieder ins Bewusstsein,<br />

dass „das Potenzial der Sozialen<br />

Marktwirtschaft noch lange nicht ausgeschöpft<br />

ist. Und dass die inneren Wahrheiten<br />

der christlichen Soziallehre Bestand<br />

haben.“<br />

Der CDU-Politiker erinnerte in diesem<br />

Zusammenhang an die Gründergeneration<br />

der Bundesrepublik: „Ihr Kapital war<br />

die Soziale Marktwirtschaft, die gegründet<br />

war in der Ablehnung eines freibeuterischen<br />

Kapitalismus, in der Ablehnung eines<br />

menschenverachtenden Sozialismus, und<br />

die gegründet war auf den Fundamenten<br />

der Christlichen Soziallehre.“ Die Gesellschaft,<br />

die die Soziallehre vorzeichne, sei<br />

eine Gesellschaft, für die Wirtschaft mehr<br />

sei als Geld. „Und in der Kredit nicht nur<br />

etymologisch etwas mit Glaubwürdigkeit<br />

und Vertrauen zu tun hat“, so Rüttgers.<br />

CB<br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 75


OStD a. D. Dr. Karl Brackertz<br />

WÜRZBURG/BERLIN. Heimgegangen in<br />

Gottes Frieden ist am 21. Januar <strong>2009</strong> Oberstudiendirektor<br />

a. D. Dr. Karl Brackertz (UNI-<br />

TAS-Arminia und UNITAS-Würzburg) aus<br />

Estenfeld bei Würzburg im 95. Lebensjahr.<br />

Im Februar 1932 wurde er bei UNITAS-Arminia<br />

zu Berlin rezipiert, wo er sich nach einem<br />

Zwischensemester bei der Norica zu Innsbruck<br />

als Fuxmajor und Schriftführer engagierte.<br />

Nach Staatsexamen und Promotion<br />

zum Dr. phil. wurde er 1939 zum Kriegsdienst<br />

eingezogen und kehrte 1947 aus russischer<br />

Kriegsgefangenschaft zurück. Von<br />

1953 bis 1962 leitete er das Kant-Gymnasium<br />

in Berlin-Spandau und anschließend für<br />

sechs Jahre die deutsche Schule in Barcelona,<br />

bis er als Oberstudiendirektor am<br />

Siemensgymnasium wiederum in Berlin<br />

pensioniert wurde. Beseelt vom christlichen<br />

Erziehungs- und Bildungsideal stand nach<br />

Nazi- und Kriegszeit die Neubesinnung und<br />

Reform der Pädagogik im Mittelpunkt seiner<br />

Arbeit. Bezogen auf unsere heutige<br />

Diskussion und Suche nach pädagogischer<br />

Neuorientierung zeigen seine Ausführungen<br />

beim Festvortrag auf dem Stiftungsfest<br />

der UNITAS-Berlin am 8. Februar 1953 eine<br />

bemerkenswerte Aktualität:„Es fehlt denen,<br />

die diesen Neubau ausführen wollen, an<br />

einem Plan, der von einem für alle verpflichtenden<br />

Leitbild beherrscht ist, an einem<br />

absoluten Zentrum, das die Maßstäbe für<br />

Ziel und Weg der gesteckten Aufgabe liefern<br />

könnte. Und so begnügt man sich mit einem<br />

provisorischen Bau, an dem man ständig<br />

Veränderungen vornimmt. Man ist fast<br />

versucht, an den Turmbau zu Babel zu denken,<br />

so groß ist die geistige Zerklüftung der<br />

untereinander dissoziierenden Weltanschauungen,<br />

Wertsysteme und Parteien, die<br />

bei der Gestaltung des Werkes mitbestimmen<br />

wollen.“ (UNITAS 4/1953).<br />

Mit seiner Ehefrau Beate, die er als Volksschullehrerin<br />

in Berlin kennen lernte, konnte<br />

76<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

�IN<br />

MEMORIAM<br />

er am 31. Mai 2002 im Kreis der beiden<br />

Söhne Michael und Rainer und der Tochter<br />

Claudia nebst vier Enkelkindern das Goldene<br />

Ehejubiläum feiern. Seine zutiefst unitarische<br />

Überzeugung und das Durchdrungensein<br />

von unseren Prinzipien prägten<br />

auch seine Familie und führten dazu, dass er<br />

mit seinen Söhnen, beide rezipiert bei UNI-<br />

TAS-Berlin, ein unitarisches Triumvirat gründen<br />

konnte.<br />

Die Suche nach einem adäquaten Alterssitz<br />

führte das Ehepaar nach Estenfeld,<br />

wo Bbr. Brackertz B-Philister bei der Hetania<br />

wurde und sich dem Würzburger Altherrenzirkel<br />

anschloss. Anfangs unterrichtete der<br />

großartige Kenner alter Sprachen noch am<br />

Würzburger Röntgen-Gymnasium Latein<br />

und an der Volkshochschule Spanisch und<br />

widmete sich dann den Erstübersetzungen<br />

griechischer Originaltexte, so den Traumbüchern<br />

des Artemidor von Daldis, des Achmed<br />

ben Sirin und der Volks-Traumbücher<br />

des byzantinischen Mittelalters (erschienen<br />

bei dtv). Eines der dort veröffentlichten<br />

Traumbilder traf auch auf unseren geistreichen<br />

und mit feinsinnigem Humor begabten<br />

Bundesbruder selbst zu: „Kühles Wasser<br />

aus einer Quelle zu schöpfen, verheißt ein<br />

langes Leben.“<br />

Fritz Flach, UNITAS-Würzburg<br />

Bbr. Pfarrer Josef Panzer<br />

BAMBERG. Unter großer Anteilnahme seiner<br />

Pfarrangehörigen und vieler Fahnenabordnungen<br />

der ansässigen Vereine wurde<br />

unser plötzlich verstorbener Bbr. Pfarrer Josef<br />

Panzer aus Litzendorf am 5. Dezember<br />

2008 im Priestergrab am Chor der Dientzenhofer-Pfarrkirche<br />

St. Wenzeslaus zur<br />

letzten Ruhe gebettet.<br />

Im Trauergottesdienst, an dem die<br />

Chargen der Aktivitas von UNITAS Henricia<br />

Bamberg in Vollwichs und mit Fahne teilgenommen<br />

haben, erinnerte AHx Bbr. Roland<br />

Weißhaupt an die Verdienste, die sich Bbr.<br />

Panzer in über 50-jähriger Treue zur Henricia<br />

erworben hat. Im Februar 1955 hatte er sich<br />

der UNITAS bei der Henricia angeschlossen<br />

und war am 12. März 1961 zum Priester<br />

geweiht worden. Seit seinem Eintritt in den<br />

Ruhestand betätigte er sich gerne als<br />

Zelebrant bei den Semestergottesdiensten<br />

und schätzte das Gespräch in der Runde der<br />

Aktiven, wo seine klare Aussage und sein<br />

sicherer Standort allseits geschätzt wurden.<br />

Über 30 Jahre arbeitete er als unermüdlicher<br />

Seelsorger in seiner Pfarrei, zu der vier<br />

Filialkirchen zählen, und initiierte aus seiner<br />

Leidenschaft für die Orgelmusik viele<br />

Konzerte in der prächtigen Barockkirche mit<br />

Mitgliedern der weltbekannten Bamberger<br />

Symphoniker. Requiescat in pace !<br />

Dieter Heim, Bamberg<br />

UNITAS in Paderborn trauert<br />

um Johannes Gradys<br />

PADERBORN. Bbr. Pfarrer i. R. Johannes<br />

Gradys ist am 16. Dezember 2008 heimgegangen<br />

zu Gott. Verwandte und Freunde<br />

trauern um einen liebenswürdigen Mitmenschen<br />

und Bundesbruder. Johannes<br />

Gradys wurde am 24. Juni 1923, am Johannistag,<br />

in Stadtoldendorf im Bistum<br />

Hildesheim geboren. Nach seinem Abitur in<br />

Holzminden 1942 wurde er zum Kriegsdienst<br />

eingezogen und geriet bei Kriegsende<br />

in russische Gefangenschaft. Erst<br />

1949 konnte er in seine Heimat zurückkehren.<br />

Er begann dann seine theologischen<br />

Studien in Münster und Paderborn. Am 6.<br />

März 1955 wurde er in Hildesheim zum<br />

Priester geweiht.<br />

Danach wirkte er segensreich als Vikar<br />

und Pastor in verschiedenen Orten des weiten<br />

Hildesheimer Bistums. Zuletzt war er<br />

Pfarrer in Bodenwerder an der Weser.<br />

Aufgrund seiner angegriffenen Gesundheit<br />

wurde er 1984 in den Ruhestand ver-


setzt. 1985 kam er als Pensionär nach Paderborn<br />

und wirkte lange Zeit nach Kräften in<br />

der Seelsorge der Bonifatius-Gemeinde mit.<br />

In dieser Zeit nahm er als Mitglied unserer<br />

Paderborner unitarischen Familie an<br />

vielen unserer Veranstaltungen teil, er war<br />

häufig Zelebrant unserer Gottesdienste.<br />

Auch sonst war sein geistliches Wort geschätzt,<br />

zum Beispiel bei den Fahrten des<br />

Volksbundes Kriegsgräberfürsorge und in<br />

anderen Gruppierungen seiner neuen Heimat.<br />

In den letzten Jahren zwang ihn der<br />

schlechtere Gesundheitszustand leider<br />

zum Verzicht auf viele Tätigkeiten.<br />

Wir danken ihm an dieser Stelle, dass er<br />

für uns und viele andere da war.<br />

Josef Kitten,<br />

für die UNITAS in Paderborn<br />

Bbr. Dr. med.<br />

Hubertus Schmidt<br />

HAGEN. Der AHZ Hagen ist traurig über den<br />

Verlust seines treuen Mitglieds Bbr. Dr.<br />

med. Hubertus Schmidt, der am 18.12.2008<br />

in der Nachbarstadt Ennepetal-Voerde mit<br />

82 Jahren verstorben ist. Er stammte aus<br />

Soest (*02.08.1926) und fand im Sommersemester<br />

1950 als Mitglied Nr. 776 zur traditionsreichen<br />

UNITAS Sugambria in Münster,<br />

die ihn mit dem Amt des Conseniors im<br />

Wintersemester 1951 betraute.<br />

Nach dem Physikum setzte er sein Medizinstudium<br />

in Innsbruck fort und beendete<br />

es in Münster, wo er 1955 philistriert<br />

wurde. Nach der Promotion ging er als<br />

Wissenschaftlicher Assistent an die Medizinische<br />

Universitätsklinik in Würzburg, wo<br />

er die internistische Facharztanerkennung<br />

am Luitpold-Krankenhaus erwarb. Dann<br />

zog es ihn wieder nach Westfalen.<br />

An der Klinik Königsfeld der Deutschen<br />

Rentenversicherung Westfalen in Ennepetal<br />

wirkte er über viele, viele Jahre, erst als<br />

Chefarzt, dann als Leitender Medizinal-<br />

Direktor. Hier hatte er Patienten mit Herz-,<br />

Kreislauf-, Gefäß- und orthopädischen Erkrankungen<br />

sach- und fachgerecht zu betreuen,<br />

damit sie nach der Rehabilitation<br />

wieder in ihr Berufs- und Privatleben fanden.<br />

Seine verständnisvolle Art wird schon<br />

allein viel zur Heilung beigetragen haben.<br />

Zusammen mit seiner lieben Frau<br />

Hanne hatte er zwei Töchter und einen<br />

Sohn, denen dann sechs Enkel und zwei Ur-<br />

enkel folgten. Als Vater war er ruhig und<br />

ausgeglichen. „Erziehen ist Begleiten!“, das<br />

war immer seine Richtschnur. Im Ruhestand<br />

traf ihn als Arzt ein hartes Schicksal:<br />

Er hatte fast zehn Jahre lang unter der<br />

Parkinson-Krankheit zu leiden und war auf<br />

die Pflege seiner lieben Frau angewiesen,<br />

die ihn auch zu unseren Veranstaltungen<br />

begleitete.<br />

Sechs unitarische Freunde kamen am<br />

Tag vor Weihnachten aus Hagen zu seiner<br />

Totenmesse und Beisetzung in Ennepetal.<br />

Von ihm ging immer eine positiv gestimmte,<br />

liebenswürdige Heiterkeit aus, eine angenehme,<br />

warme Menschlichkeit. Zusammen<br />

mit den Angehörigen können auch wir<br />

nur sagen: Wir haben in Hubertus einen lieben<br />

Menschen verloren. R. i. p.<br />

Dr. Thankmar Sauerland, AHZ Hagen<br />

Bbr. Gisbert Gehling<br />

PADERBORN. Am 22. September 2008 ist in<br />

Paderborn Bbr. Gisbert Gehling nach kurzer<br />

schwerer Krankheit verstorben. Bbr. Gehling<br />

ist am 20. Juni 1927 in Herten geboren<br />

und in Coesfeld aufgewachsen. Unterbrochen<br />

durch die Zeit als Luftwaffenhelfer<br />

im zweiten Weltkrieg absolvierte er im<br />

Jahre 1947 das Abitur in Coesfeld. Im Dezember<br />

1948 begann er das Studium der<br />

Rechtswissenschaften an der Westfälischen<br />

Landesuniversität in Münster.<br />

Am 24. Januar 1950 trat Bbr. Gehling der<br />

UNITAS Winfridia bei. In den Jahren 1953<br />

und 1954 war Bbr. Gehling der erste Vorortspräsident<br />

der UNITAS. Nach Abschluss<br />

des Studiums im Jahre 1952 und der Referendarzeit<br />

im Jahre 1956 war Bbr. Gehling<br />

zunächst bei dem Amtsgericht Sulingen als<br />

Rechtsanwalt zugelassen, seit Juni 1958 bei<br />

dem Amts- und Landgericht Paderborn. Die<br />

Bestellung zum Notar erfolgte im November<br />

1961. Beruflich war Bbr. Gehling als<br />

Rechtsanwalt und Notar mit Tätigkeitsschwerpunkt<br />

im Zivilrecht bis zum Jahre<br />

2003 tätig.<br />

Seit 1955 war Bbr. Gisbert Gehling mit<br />

Christa Gehling, geb. Jungeblodt, verheiratet.<br />

Neben dem Beruf galt sein Engagement<br />

und Aufmerksamkeit insbesondere<br />

der wachsenden Familie mit 10 Kindern, deren<br />

väterlicher Mittelpunkt er war. In den<br />

letzten Jahren galt seine besondere Freude<br />

den 25 Enkelkindern.<br />

In Paderborn wirkte Bbr. Gehling als<br />

langjähriger Vorsitzender der UNITAS<br />

Hathumar dabei mit, den unitarischen<br />

Gedanken auch in Ostwestfalen hochzuhalten.<br />

Sozial engagierte sich Bbr.<br />

Gehling ca. 30 Jahre lang als Vorsitzender<br />

des erzbischöflichen Familienerholungswerkes.<br />

Insbesondere für diese Tätigkeit<br />

erhielt er zum 70. Geburtstag den päpstlichen<br />

Silvesterorden.<br />

Egon Wenzel, Nottuln<br />

Bbr. Franz Dehn<br />

MARBURG/WÜRZBURG. Am 13. Januar<br />

<strong>2009</strong> verstarb unser lb. Bundesbruder<br />

Lehrer a. D. Franz Dehn, UNITAS Franko-<br />

Saxonia Marburg und UNITAS Würzburg<br />

aus Thüngen, im Alter von 69 Jahren. Er<br />

wurde im WS 1969 in Marburg rezipiert und<br />

studierte Lehramt für Grund- und Hauptschule.<br />

Beruflich tätig war er in Thüngen,<br />

wurde B-Philister bei UNITAS Würzburg und<br />

war mit seiner Ehefrau Karin gern gesehener<br />

Gast im Würzburger Zirkel, bis eine<br />

Krankheit sein Betätigungsfeld einschränkte.<br />

Vor drei Jahren kam eine weitere heimtückische<br />

Krankheit hinzu.<br />

Bei meinen Besuchen am Krankenbett,<br />

versicherte er mir immer wieder, wie wichtig<br />

ihm die UNITAS und deren Prinzipien<br />

seien und dass er lebenslang an ihnen festgehalten<br />

habe.<br />

Ein gütiger und menschenfreundlicher<br />

Gott möge ihn aufnehmen in seine himmlische<br />

Herrlichkeit.<br />

Fritz Flach, UNITAS Würzburg<br />

Bbr. Dr. Max Schüle<br />

ROTTWEIL/HÜFINGEN. Die Nachricht vom<br />

Tode unseres lieben Bundesbruders Dr. Max<br />

Schüle erfüllte uns mit großer Trauer. Bbr.<br />

Max war der Nestor unseres Altherrenzirkels<br />

Schwarzwald-Baar.<br />

Geboren am 25.3.1914, trat er im Juni<br />

1933 nach dem Abitur der wissenschaftlich<br />

katholischen <strong>Studenten</strong>verbindung UNITAS<br />

Eckhardia Freiburg bei.<br />

Seit der Neuorganisation der Altherrenzirkel<br />

gehörte Bbr. Max dem Zirkel Schwarzwald-Baar<br />

an und hielt bis in die letzten<br />

Jahre – seit er nicht mehr gehen konnte – >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 77


immer telefonischen Kontakt mit der<br />

Vereinsführung, besonders aber mit den<br />

„jungen“ Eckharden. Am 28. Januar <strong>2009</strong> ist<br />

er gestorben.<br />

Wir werden seiner im Gebet gedenken<br />

und wünschen ihm, er möge ruhen in<br />

Gottes Frieden.<br />

Alois Batsch<br />

Für den AHZ Schwarzwald-Baar<br />

Dr. Ernst-Ulrich Fahlbusch<br />

WARENDORF. Ulrich wurde am 7. Juli 1955 in<br />

Warendorf als zweites Kind der Eheleute Dr.<br />

Friedrich und Elisabeth Fahlbusch geboren.<br />

1974 legte er am Gymnasium Laurentianum<br />

das Abitur ab und studierte in Münster Medizin.<br />

Dort wurde er im Juni 1975 Bundesbruder<br />

der UNITAS Rolandia und zum<br />

1.1.1980 philistriert. Nach seinem Wehrdienst<br />

(zuletzt Hauptmann d.R.) absolvierte<br />

er die Facharztausbildung für Allgemeinmedizin<br />

und übernahm die Hausarztpraxis<br />

seines Vaters, die er Tag und Nacht bis zu<br />

seinem unerwarteten Tod führte. Dr. med.<br />

Ernst-Ulrich Fahlbusch engagierte sich besonders<br />

im UNITAS-Altherrenzirkel Warendorf,<br />

im Bürgerschützenverein und in der<br />

Marktbogengemeinschaft. Muße bereitete<br />

ihm das Geigenspiel, Großzügigkeit und Familiensinn<br />

zeichneten ihn aus. R.i.p.<br />

Prof. Dr. Ing.<br />

Roland Kammel<br />

BERLIN. Bbr. Dr. Ing. Roland Kammel,<br />

Hochschullehrer an der TU Berlin, ist am<br />

17. Januar <strong>2009</strong> gestorben. Geboren am<br />

10. Januar 1925 in Schatzlax/Riesengebirge,<br />

hatte er sich im Juni 1950 der UNITAS<br />

Assindia in Aachen angeschlossen.<br />

Als Universitätsprofessor am TU-Institut<br />

für Metallische Werkstoffe, legte er<br />

zahlreiche Publikationen vor und war seit<br />

1981 Ehrenmitglied der Deutschen Gesellschaft<br />

für Galvano- und Oberflächentechnik<br />

(DGO). Den Ehrendoktor verliehen<br />

ihm die Keio-Universität in Tokio und die<br />

Universität in Kosice, Slowakei.<br />

Bbr. Kammel ertrug seine vielen schweren<br />

Krankheiten mit bewundernswert heiterer<br />

Haltung. An seinem 84. Geburtstag<br />

wollte er wie so oft in die Philharmonie,<br />

musste aber am Vortag, bereits sehr ge-<br />

78<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

schwächt, in die Charlottenburger Schlosspark-Klinik<br />

gebracht werden. Dort ist er,<br />

umgeben von seinen nächsten Angehörigen,<br />

ruhig entschlafen.<br />

Er war ein engagierter Forscher, anerkannt,<br />

geehrt und ausgezeichnet auf den<br />

Gebieten der Galvanotechnik und der<br />

Hydrometallurgie. Zu Wissenschaftlern in<br />

aller Welt hatte er enge Kontakte. Seine<br />

Vortragsreisen führten ihn in alle Kontinente.<br />

Er war ein liebevoller und gütiger<br />

Mensch, ein erfolgreicher Lehrer, tolerant<br />

und großzügig im Umgang mit seinen<br />

<strong>Studenten</strong> und Mitarbeitern, um den seine<br />

Familie und Freunde im In- und Ausland<br />

trauern.<br />

Bbr. Hans Witz<br />

LÖRRACH. Am 1.März diesen Jahres verstarb<br />

in Lörrach Bundesbruder Hans Witz, der am<br />

28.7.1911 in Freiburg im Breisgau geboren<br />

worden war. Seine Schulzeit absolvierte er<br />

an der damaligen Oberrealschule in<br />

Lörrach. Nach dem Abitur 1931 studierte er<br />

Germanistik, Anglistik und Romanistik an<br />

den Universitäten in Basel und Freiburg, wo<br />

er im Juni 1931 in der UNITAS Eckhardia rezipiert<br />

worden ist. Philistriert wurde er am<br />

1.Januar 1935. Erste Erfahrungen im Lehrberuf<br />

sammelte er an seiner früheren<br />

Schule. 1941 holte ihn der Krieg ein. Dem<br />

Einsatz in Russland folgte Gefangenschaft<br />

und Zwangsarbeit in der Ukraine, von wo er<br />

erst 1949 zurückkehrte. Es folgten berufliche<br />

Stationen an der Handelsschule in Lörrach,<br />

in Rastatt und Walldürn. 1957 heiratete<br />

er seine Frau Mathilde. Nach seiner<br />

Rückkehr an die Handelsschule in Lörrach<br />

wurde er 1959 Oberstudienrat und 1973<br />

Studiendirektor. Und trug wesentlich bei<br />

zum Aufbau des kaufmännischen Schulwesens<br />

im Kreis Lörrach. 1976 wurde er pensioniert.<br />

Im Lörracher Altherrenzirkel war er<br />

immer ein gerne gesehener Gast, der der<br />

Runde oft durch sein immenses Wissen aus<br />

der Verlegenheit half. Regelmäßig versorgte<br />

er die Bundesbrüder mit sorgfältig erarbeiteten<br />

Wortfamilien und etymologischen<br />

Worterklärungen. Nachdem seine Frau<br />

2002 gestorben war, lebte er noch Jahre<br />

alleine in seiner Wohnung, zuletzt in einem<br />

Pflegeheim. Wir werden ihm immer ein<br />

ehrendes Gedenken bewahren.<br />

Grischa M. Freimann<br />

Gedenkt unserer<br />

verstorbenen Bundesbrüder<br />

Bbr. Realschullehrer i.R. Heinz Deitermann<br />

aus Haselünne, geboren am<br />

27.5.1937, rezipiert bei UNITAS Ravensberg<br />

in Vechta im November 1963 und<br />

philistriert zum 1.4. 1966, ist am 1.1.<strong>2009</strong><br />

gestorben.<br />

Bbr. Schulleiter und Lehrer i.R. Friedrich<br />

Kinski aus Bad Honnef, geboren am<br />

31.5.1924, aktiv seit Juni 1954 und philistriert<br />

zum 1.1.1956, ist am 17.12.<strong>2009</strong> verstorben.<br />

Bbr. Wirtschaftsberater und Steuerberater<br />

Dipl.-Kfm. Lothar Mader aus<br />

München, geboren am 21.11.1931, rezipiert<br />

im Juni 1955 bei UNITAS München<br />

und philistriert zum 1.1.1958, ist am<br />

16.9.2008 verstorben.<br />

Bbr. StD a.D. Walter Metzger aus Freiburg,<br />

geboren am 15.1.1912, aktiv seit<br />

Juni 1932 bei UNITAS Rheno-Danubia<br />

Freiburg, ist am 22.1.<strong>2009</strong> verstorben.<br />

Bbr. Dipl.-Ing. Ernst Schamberg aus<br />

Voerde, geboren am 23.11.1928, rezipiert<br />

im Juni 1952 bei UNITAS Silesia Aachen<br />

und AH seit 1.1.1956, ist am 31.12.2008<br />

verstorben.<br />

Bbr. Dipl.-Kfm. und Steuerberater Dr.<br />

Ferdinand Schuster aus Ravensburg,<br />

geboren am 30.1.1936, rezipiert im<br />

Januar 1956 bei UNITAS Rheno-Palatia<br />

Mannheim und philistriert zum 1.1.1961,<br />

ist nach drei im letzten Jahr erlittenenen<br />

Schlaganfällen am 22.1.<strong>2009</strong> gestorben.<br />

Bis zuletzt war er im UNITAS-<br />

Zirkel Ravensburg aktiv.<br />

Bbr. Tierarzt Werner Steinigeweg aus<br />

Lehrte, geboren am 3.1.1948 und aktiv<br />

seit Dezember 1967 bei UNITAS Langobardia<br />

Hannover, AH seit 1.1.1974, ist am<br />

15.1.<strong>2009</strong> verstorben.<br />

Bbr. StD a.D. Heinrich Traugott Veith aus<br />

Karlsruhe, geboren am 3.9.1927, rezipiert<br />

im Februar 1950 bei UNITAS Bavaria und<br />

anschließend aktiv bei UNITAS Heidelberg,<br />

philistriert zum 1.1.1953, ist am<br />

5.8.2008 verstorben.<br />

R.i.P.


Auch „Pro Ethik“<br />

Leserbrief zu „Berlin: Nachrichten<br />

aus Skandalistan“,<br />

in „UNITAS“3-4/2008, S. 222<br />

Berlin ist neben Bremen das einzige<br />

Bundesland in der Bundesrepublik, das<br />

Religion nicht als Pflichtwahlfach anbietet,<br />

sondern man kann es als Zusatzwahlfach<br />

belegen. Als Pflichtfach steht hier bis jetzt<br />

Ethik auf den Stundenplänen der Schüler.<br />

Als überzeugter Christ müsste man<br />

demnach auch die von unserem <strong>Unitas</strong>-<br />

Verband begrüßte „Pro Reli“-Aktion für gut<br />

heißen, sodass die Schüler zwischen Religionsunterricht<br />

und Ethik wählen können.<br />

Ich betrachte das Ganze jedoch etwas<br />

differenzierter. Natürlich wäre es gut, wenn<br />

jungen Menschen, die sich für eine Religion<br />

interessieren, diese ihnen auch im Unterricht<br />

nahe gebracht würde, und sie sich somit<br />

für Religionsunterricht entscheiden<br />

könnten. Ich bin jedoch der Meinung, dass<br />

dem Religionsunterricht der Ethikunterricht<br />

nicht weichen darf. Berlin ist eine große<br />

Metropole, die im Vergleich zu den meisten<br />

Regionen Deutschlands sehr viel multikultureller<br />

ist und somit ganz anderen Herausforderungen<br />

gewachsen sein muss, was die<br />

Integration und das friedliche Miteinander<br />

verschiedener Kulturen angeht.<br />

Wie uns schon die Ringparabel in „Nathan<br />

der Weise“ lehrt, werden die meisten<br />

Menschen in eine Religion hineingeboren<br />

und leben ein Leben, das ihnen von den älteren<br />

Generationen vorgelebt wird. Somit<br />

können gerade Kinder und Jugendliche<br />

reichlich wenig dafür, welchen Glauben sie<br />

leben. Ein Beispiel für die positiven Auswirkungen<br />

des Ethikunterrichts: Im Unterricht<br />

reden Remzi, der einer islamisch-türkischen<br />

Familie entstammt, und Michael, der<br />

einen eher konservativ-christlichen Hintergrund<br />

hat, miteinander über Religion,<br />

Ethik und Moral. Der eine lernt etwas über<br />

die westliche Weltanschauung, der andere<br />

über interessante Gegebenheiten fremder<br />

Kulturen mit denen er bisher noch nicht in<br />

Kontakt geraten ist. Es entsteht unter der<br />

Leitung von professionell geschultem Lehrpersonal<br />

ein Dialog, der sehr wichtig für<br />

eine heranwachsende Generation in einer<br />

Viel-Völker-Stadt ist. So trägt der Ethik-<br />

Unterricht massiv zu einer Völkerverständigung<br />

und einem friedlichen Nebeneinander<br />

von Kulturen bei.<br />

Des Weiteren ist Berlin ohnehin wohl<br />

das „heidnischste“ Pflaster, das es in<br />

Deutschland zu finden gibt. Durch die freie<br />

Wahl zwischen Ethik und Religion wird man<br />

den „Ungläubigen“ auch nicht dazu bewegen<br />

können, katholischen oder evangelischen<br />

Religionsunterricht zu wählen. Wer<br />

wirklich Interesse hat, besucht schon jetzt<br />

den zusätzlich angebotenen Religionsunterricht.<br />

Im Gegensatz zu vielen deutschen<br />

Berlinern stehen Bürger aus islamischen<br />

Ländern schon in den Startlöchern und warten<br />

darauf, dass der Islam in den Schulen<br />

gelehrt werden kann und somit ist mit dem<br />

Wegfall von Ethik die Integration einer<br />

neuen Generation dann um ein Weiteres<br />

stark beeinträchtigt.<br />

Wenn Religion als Wahlpflicht eingeführt<br />

wird, muss in meinen Augen der Ethik-<br />

Unterricht erhalten bleiben, da sich der<br />

Religionsunterricht als Wahlpflichtfach<br />

ansonsten nicht positiv, sondern eher negativ<br />

auf das gesamte Zusammenleben der<br />

Berliner Schüler auswirken würde.<br />

Tobias Böcher, Bonn<br />

Der Papst hat den<br />

Kampf aufgenommen<br />

Ein undiplomatischer Blick auf<br />

die Kirche im Februar <strong>2009</strong><br />

Von Bernhard Mihm, Paderborn<br />

In der Ausgabe der Tageszeitung „DIE<br />

WELT“ vom 19. Februar <strong>2009</strong> hat der Generalsekretär<br />

des Zentralkomitees der deutschen<br />

Katholiken Stefan Vesper einen Aufsatz<br />

veröffentlicht, der offenlegt, worum es<br />

in der Kirchenkrise geht, die den Monat<br />

Februar des Jahres <strong>2009</strong> prägt. Vesper<br />

nimmt Benedikt XVI. persönlich gegen jede<br />

Verdächtigung des Antisemitismus in<br />

Schutz, räsoniert über Organisationsfragen<br />

im Vatikan und kommt dann auf sein<br />

eigentliches Thema zu sprechen: „Das<br />

Konzil“. Bereits diese Wortwahl, die keineswegs<br />

nur Vesper eigen ist, verrät einen problematischen<br />

Zug: Als ob es in der Kirchengeschichte<br />

nur ein einziges Konzil, nämlich<br />

das von 1961 bis 1965, gegeben habe und die<br />

Kirchengeschichte somit in zwei Hauptabschnitte<br />

eingeteilt werden könnte, in „vorkonziliar“<br />

und „nachkonziliar“. In Wirklichkeit<br />

gab es 21 als solche anerkannte ökumenische,<br />

das heißt nicht konfessionsüberspannende,<br />

sondern weltweite, allgemeine<br />

(„katholische“) Konzilien, von denen jedes<br />

seine eigene und bleibende Bedeutung hat.<br />

Schon als Kardinal Ratzinger hat deshalb<br />

der jetzige Papst in einer Rede in<br />

Lateinamerika davor gewarnt, das Konzil<br />

1961/65, offiziell das „Zweite Vatikanische<br />

Konzil“ oder „II. Vaticanum“, als „Superkonzil“<br />

oder gar „Superdogma“ zu begreifen,<br />

das alles Vorherige zur Disposition habe<br />

stellen wollen oder können. Der Münchener<br />

Erzbischof Bbr. Dr. Reinhard Marx, einer der<br />

wenigen wirklich medientauglichen und<br />

zugleich mutigen Mitglieder des deutschen<br />

Episkopates, hat in der Spurfolge dieses<br />

Ratzinger-Diktums neulich im Bayerischen<br />

Fernsehen geäußert, es gehe nicht an, zu<br />

behaupten, „vor dem Konzil sei alles<br />

schlecht gewesen und nach dem Konzil alles<br />

gut geworden“. Selbstverständnis und Lehre<br />

der katholischen Kirche speisen sich aus<br />

allen 21 Konzilien und daneben übrigens mit<br />

derselben Verbindlichkeit zahllosen Äußerungen<br />

der Päpste, die an keine konziliare<br />

Mitwirkung gebunden sind und sich ebenso<br />

verbindlich verlautbaren können wie eine<br />

Kirchenversammlung der genannten Art.<br />

Der Generalsekretär des ZdK schreibt in<br />

der „WELT“ weiter, „das Konzil“ müsse nicht<br />

nur konsequent geachtet, sondern „im<br />

Leben der Kirche weiter verwirklicht werden.“<br />

Inhaltlich sieht Vesper beim II. Vaticanum<br />

die „Öffnung zur modernen Welt“.<br />

Nun hat „Welt“ in der christlichen Verkündigung<br />

eine ambivalente Bedeutung: Einerseits<br />

ist sie die gute Schöpfung Gottes, zu<br />

deren Pflege und Ausgestaltung der Mensch<br />

vor Gott berufen, ja verpflichtet ist.<br />

Andererseits bedeutet „Welt“ gerade in der<br />

Rede Jesu in den Evangelien und in den sie<br />

entfaltenden Apostelbriefen ein Contra zum<br />

Reich Gottes. In einer kritischen Auseinandersetzung<br />

mit dem Konzilsdokument<br />

„Gaudium et Spes“ hat bereits beim Bamberger<br />

Katholikentag 1966 der heutige Papst<br />

dargelegt, beim II. Vaticanum sei die „Inkarnation“<br />

als christliche Zentralkategorie neu<br />

entdeckt und zum Ausgangspunkt „der ganzen<br />

theologischen Konstruktion“ geworden.<br />

Der „absteigende“ Gott sei in der Weltzuwendung<br />

zu finden. Wörtlich heißt es in diesem<br />

Vortrag: „Der Christus ... hat die ganze<br />

Leidenschaft des wahrhaft Menschlichen in<br />

den Dienst des Göttlichen gestellt, in den<br />

Dienst jenes Gottes, der selbst ein zürnender<br />

und eifersüchtiger, in allem aber ein liebender<br />

Gott ist. Aus solchen Erkenntnissen<br />

wurde ein menschliches, ein vitales, ein<br />

weltfrohes und, wie man nun gerne sagte:<br />

ein inkarniertes Christentum abgeleitet, das<br />

sich nicht in Abtötung, Weltflucht und Jenseitserwartung<br />

verliert, sondern weltfroh<br />

sich mitten in das Heute hineinbegibt ...“.<br />

Ratzinger hat in seinem letztzitierten Satz<br />

Begrifflichkeiten angeführt, die nun bei<br />

Vesper wieder auftauchen und eine herausragende<br />

Stellung einnehmen: „Fromm und<br />

fröhlich“ überschreibt er seinen Aufsatz,<br />

und in der dritten Zeile der Überschrift<br />

steht: „Helfen können jetzt nur frische und<br />

moderne Ideen.“<br />

In seinem Bamberger Vortrag hat indessen<br />

(schon 1966 !) der jetzige Papst das<br />

Defizitäre solcher Theologie aufgewiesen:<br />

„Aber an dieser Stelle setzt dann auch die<br />

Kritik an ... Der Theologie war inzwischen<br />

bewusst geworden, dass die Idee der<br />

Inkarnation in der Bibel keineswegs jene<br />

absolute Stellung einnimmt, die sie in der<br />

katholischen Spiritualität jetzt zu gewinnen<br />

anfing. ... Entgegen dem, was der Optimismus<br />

der Inkarnationsidee bisweilen ausdrücklich<br />

versichert hatte, gibt es im Neuen<br />

Testament einen deutlichen Vorrang des<br />

Kreuzesthemas vor dem Inkarnationsthema,<br />

ja die Inkarnationsthematik ist in der >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 79


Bibel selbst schon Kreuzestheologie, denn<br />

Inkarnation heißt ja Selbstpreisgabe Gottes<br />

und ist so der erste und entscheidende<br />

Schritt ins Kreuz hinein. ... Man begann sich<br />

allmählich zu fragen, ob denn nicht die Idee<br />

des inkarnierten Christentums, d. h. eines<br />

irdisch engagierten Glaubens und einer<br />

irdisch engagierten Kirche schlussendlich<br />

auf eine Restauration des Mittelalters hinauslaufe,<br />

das in seiner Ver-quickung von<br />

Imperium und Sacerdotium ein Höchstmaß<br />

des Christlichen erzielt hatte, aber gerade ob<br />

dieser Verquickung uns heute im hohen Maß<br />

bedenklich und fragwürdig erscheinen<br />

muss. So begannen allmählich die Parolen<br />

vom Heimholen und vom Taufen (der Welt,<br />

B.M.) fragwürdig zu werden; die Idee der<br />

weltlichen Welt wurde modern, d. h. der<br />

Gedanke, dass der christliche Auftrag gar<br />

nicht in der Verchristlichung der Welt bestehe,<br />

sondern vielmehr die Freisetzung der<br />

Welt in ihre Weltlichkeit hinein, Anerkenntnis<br />

der Welt als Welt, die eben als solche zu<br />

belassen und zu respektieren sei. Damit verbindet<br />

sich ein neues Geschichtsbild, das<br />

übrigens in der Eröffnungsansprache des<br />

Konzils durch Papst Johannes XXIII. deutlich<br />

aufklang: ... das Ganze aber führt bei dem<br />

Papst des Konzils zu einer Theologie der<br />

Hoffnung, die fast an naiven Optimismus zu<br />

grenzen scheint: ... Wenn es sich bei Johannes<br />

ganz um einen Optimismus aus dem<br />

Glauben heraus handelt, so ist doch klar,<br />

dass die Verwechslung mit dem Fortschritts-<br />

Optimismus der Zeit nahe lag, und dass auch<br />

hier die klärende Auseinandersetzung<br />

unentbehrlich war.“ Der damalige Theologieprofessor<br />

stellt in der Folge fest und begründet,<br />

warum diese Auseinandersetzung<br />

auf dem Konzil selbst nicht stattfand. Aber<br />

noch ein einziger Satz in dem Bamberger<br />

Vortrag muss zitiert werden: „Eine Weltzuwendung<br />

der Kirche, die ihre Abwendung<br />

vom Kreuz darstellen würde, könnte nicht zu<br />

einer Erneuerung der Kirche, sondern nur zu<br />

ihrem Ende führen.“<br />

Der Pontifikat Benedikt XVI. scheint mir<br />

immer mehr zu einer Umsetzung der Einsichten<br />

des Theologen von damals in Regierungshandeln<br />

des Papstes von heute zu<br />

werden.<br />

Der abschließend zitierte Satz von Bamberg<br />

ist wesentlich auch für die aktuelle<br />

Auseinandersetzung um die Priesterbruderschaft<br />

St. Pius. Ebenso wie der gegenwärtige<br />

Mainstream in der Kirche der westlichen<br />

Länder ist die Bruderschaft fixiert auf eine<br />

von der Abwendung vom Kreuz bestimmte<br />

Inkarnationsidee. Anschließend an politische<br />

Strömungen in Frankreich seit dem 19.<br />

Jahrhundert und zugleich die deutsche<br />

„Reichstheologie“ der 30er Jahre aufnehmend,<br />

erstrebt die Bruderschaft die Restauration<br />

des Mittelalters. Wer die Publikationen<br />

ihres staats- und sozialwissenschaftlichen<br />

„Civitas-Institutes“ mit Sitz in Heusenstamm<br />

bei Frankfurt am Main verfolgt,<br />

kann das unschwer erkennen. Bestenfalls<br />

ein Ständestaatsmodell nach dem Muster<br />

Österreichs unter Engelbert Dollfuß und<br />

Kurt von Schuschnigg könnte den aufgestellten<br />

Kriterien für ein gottgefälliges Ge-<br />

80<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

meinwesen genügen; im Hintergrund steht<br />

immer das Sacrum Imperium als Letztideal.<br />

Aber der genannte Mainstream trägt die<br />

Züge eines „Führens zum Ende der Kirche“<br />

ebenso an sich. Diese Art von „Weltzuwendung“<br />

unterwirft die Kirche letzten<br />

Endes den Gesetzen und Inhalten der<br />

Zivilreligion und setzt sie den 68-er Ideen<br />

von einer „Demokratisierung aller Lebensbereiche“<br />

schutzlos aus. Da gibt es keine<br />

Wahrheit mehr, sondern nur noch Wahrheiten,<br />

keinen Glauben, sondern nur noch<br />

Meinungen. Der Relativismus, nicht von ungefähr<br />

ein Lieblingsthema dieses Papstes,<br />

feiert fröhliche Urständ.<br />

Die Kirchenpolitik Benedikts XVI., um<br />

diesen der Sache nicht gerecht werdenden<br />

Ausdruck zu verwenden, hat nun folgende<br />

erkennbare Ziele: Überwindung des modernen<br />

Relativismus und Überwindung inkarnations-theologischer<br />

Einseitigkeiten<br />

sowohl beim katholischen Mainstream als<br />

auch bei den Randgruppen, die sich um den<br />

Namen Pius X. gesammelt haben. Dabei hat<br />

es der Papst bei beiden Parteiungen mit<br />

einer Mixtur von Irrungen und Wirrungen<br />

einerseits und berechtigten Anliegen andererseits<br />

zu tun. Da nun aber die Seite „Pius<br />

X.“ der Moderne fern –, die des Mainstreams<br />

ihr aber nahe steht, wird das Bemühen des<br />

Papstes in kirchenfremde oder kirchengegnerische<br />

politische Debatten gezogen, deren<br />

Schlagseite erkennbar sehr einseitig ist.<br />

Kann und darf das aber den Papst daran hindern,<br />

jene theologische und letztlich geistliche<br />

Sanierungsarbeit zu tun, die er als für<br />

das Überleben der Kirche notwendig<br />

erkennt?<br />

Wer den Heiligen Vater gegenwärtig<br />

zum Opfer innervatikanischer Abläufe erklärt,<br />

mag das aus Wohlwollen oder im Zug<br />

diplomatischer „Schadensminderung“ tun,<br />

verkennt aber dabei, worum es in Wirklichkeit<br />

geht: der bedeutende Theologe auf dem<br />

Stuhl Petri geht aufs Ganze. Und weil die<br />

Protagonisten einer weltoptimistischen<br />

Inkarnationsidee, deren Klärung auf dem II.<br />

Vaticanum eben offen geblieben ist, genau<br />

das sehen, leisten sie wütende Gegenwehr.<br />

Im Schutz der „political correctness“ angesichts<br />

des borniert hineingezogenen Auschwitz-Themas<br />

wähnen sie eine für sie<br />

unangreifbare Stellung in dieser Auseinandersetzung<br />

um ganz andere Themen.<br />

Warum, so frage ich abschließend, ist der<br />

Kampf in den deutschsprachigen Ländern so<br />

besonders verbittert? Ich sehe drei<br />

Antworten:<br />

Jahrhunderte lang bis 1803 existierte mit<br />

der „Reichskirche“ ein corpus catholicorum<br />

im deutschsprachigen Raum, das die<br />

Menschen von dem weit entfernt liegenden<br />

Rom faktisch mediatisierte. Beim Aufbruch<br />

der Nationalstaatsidee Anfang des 19.<br />

Jahrhunderts mutierte das Selbstverständnis<br />

und Selbstbewusstsein dieser<br />

„Reichskirche“ beinahe zwanghaft zu nationalkirchlichen<br />

Vorstellungen („Febronianismus“).<br />

Dies wirkt noch fort.<br />

Nach dem Ende der „Reichskirche“ und<br />

im Zug der Säkularisierung verloren die<br />

Katholiken in Deutschland wesentliche<br />

Quellen von Bildung und Kultur. Hohe<br />

Schulen und Universitäten gingen massenweise<br />

zugrunde. In der Folge gewann der<br />

Protestantismus die Führerschaft im intellektuellen<br />

Leben, und im Katholizismus<br />

wuchs ein Minderwertigkeitskomplex. Dieser<br />

hielt sich am längsten in der Theologie.<br />

Deutsche Universitätsgelehrsamkeit auf<br />

protestantischer Seite kontrastierte mit<br />

„Schultheologie“ auf katholischer Seite. Der<br />

Protestantismus aber hatte immer schon die<br />

Eigentümlichkeit, sich der jeweils „modernen<br />

Welt“ zu öffnen und einem Fortschritts-<br />

Optimismus zu huldigen.<br />

In seinem bereits ausführlich gewürdigten<br />

Bamberger Vortrag hat Joseph Ratzinger<br />

auch einen bemerkenswerten Blick auf die<br />

„Deutsche Jugendbewegung“ gerichtet:<br />

„Nicht erst das Konzil, sondern vorher schon<br />

die Jugendbewegung war der Ausdruck des<br />

Willens, mit der Gestrigkeit des Christentums<br />

Schluss zu machen: Man hatte es satt,<br />

ob des Christseins als zurückgeblieben und<br />

weltfremd verlacht zu werden, entschlossen,<br />

Christentum mitten im Heute zu leben<br />

und einzusenken in die Welt unseres Heute.“<br />

Ein Kult des „Neuen“, des „Jungen“, des<br />

„Modernen“ war ja überhaupt ein Merkmal<br />

dieses sich als „Aufbruch aus dem Verstaubten“<br />

verstehenden geistesgeschichtlich<br />

ungemein wirkungsvollen Phänomens<br />

am Beginn des 20. Jahrhunderts. Dazu nur<br />

ein Exkurs aus Andeutungen: Die „Deutsche<br />

Jugendbewegung“ hatte einen scharf rechten<br />

Flügel, der den National-Sozialismus mit<br />

prägte, ebenso wie einen weit links stehenden.<br />

Antisemitische Gewalttäter waren von<br />

ihr ebenso geprägt wie Helden des Zionismus.<br />

Die katholische Ausprägung gebar jene<br />

„Reichstheologie“, die in romantischer Sehnsucht<br />

nach dem Mittelalter besonders<br />

„modern“ sein wollte. An die Akademikertagungen<br />

in Maria Laach um 1933 sei<br />

erinnert. Und nachdem „das Reich“ als werthaltige<br />

Idee 1945 völlig kompromittiert war,<br />

trat an seine Stelle eben „die Welt“ mit allen<br />

bereits im Anschluss an die Bamberger<br />

Ratzinger-Rede erörterten Problematiken.<br />

Der Klerus der Zeit nach 1945, insbesondere<br />

der 60er Konzilsjahre aber war zutiefst von<br />

dieser „Deutschen Jugendbewegung“ geprägt.<br />

Und so nahm er die Idee eines Konzils,<br />

den Verlauf und die Ergebnisse des II. Vaticanums<br />

auf und stilisierte es zu „Dem (!)<br />

Konzil“.<br />

Joseph Ratzinger war gewiss in diese geistige<br />

Welt hineingeboren, und so hat er auch<br />

als Theologe begonnen. Sein geistliches<br />

ebenso wie sein intellektuelles Format<br />

machten ihn aber letztlich von all dem unabhängig.<br />

So wuchs der Abstand zwischen<br />

ihm und dem kirchlichen Mainstream in der<br />

Heimat. Und letztlich reibt man sich hierzulande<br />

an nichts anderem als diesem Format!<br />

Ratzinger-Zitate nach: Florian Trenner (Hg.): Joseph<br />

Ratzinger/Benedikt XVI. Priester aus innerstem<br />

Herzen. Beiträge im Klerusblatt in fünf Jahrzehnten,<br />

München: Klerusblatt-Verlag, 2107, S. 82 ff.


Auf der Suche nach<br />

der Wahrheit des<br />

Neuen Testaments<br />

Volker Eid: Und es ist doch wahr. Auf der Suche<br />

nach der Wahrheit des Neuen Testaments,<br />

Weltbild Buchverlag, Deutsche Erstausgabe /<br />

320 Seiten, Euro 14,95, ISBN 978-3-86800-<br />

042-9, erhältlich unter www.weltbild.de und<br />

in allen Weltbild-Filialen<br />

Wurde Jesus wirklich zu Weihnachten<br />

in Betlehem geboren? Wer waren die drei<br />

Reisenden aus dem Morgenland: Könige,<br />

Weise, Magier? Was verbirgt sich hinter<br />

dem Stern, dem sie zur Krippe folgten? Und<br />

standen Ochs und Esel tatsächlich mit im<br />

Stall? Diese Fragen und viele mehr zum<br />

Leben Jesu beantwortet jetzt das neue<br />

Werk zur Bibel „Und es ist doch wahr“.<br />

Vor 50 Jahren erschien der Weltbestseller<br />

„Und die Bibel hat doch recht“ und<br />

revolutionierte die Sicht auf das Alte<br />

Testament. Jetzt macht sich ein Kenner der<br />

christlichen Archäologie auf die spannende<br />

Suche nach der Wahrheit des Neuen Testaments.<br />

In seinem Buch macht sich Prof. Dr.<br />

Volker Eid, emeritierter Professor für Moraltheologie<br />

an der Universität Bamberg, mithilfe<br />

aktueller Erkenntnisse der Wissenschaft<br />

auf die Spuren der historischen<br />

Person Jesus von Nazaret. Leicht verständlich<br />

geschrieben fesselt das Buch und gibt<br />

gleichzeitig einen fundierten Einblick in das<br />

Leben Jesu, wie es wirklich war.<br />

Der Autor, ein Kenner Israels und der<br />

christlichen Archäologie. Der Theologieprofessor<br />

Volker Eid zeichnet den Lebensweg<br />

Jesu nach, beginnend in Betlehem und<br />

Nazaret. Was hatte er an sich, das so viele<br />

Menschen begeisterte? Wie konnte er so<br />

faszinierend von einem unerhört menschenfreundlichen<br />

Gott erzählen? Warum<br />

wusch Pontius Pilatus seine Hände in<br />

Unschuld, als Jesus hingerichtet wurde?<br />

Und schließlich: Warum nahm die Geschichte<br />

nach Jesu Tod kein Ende? Wie<br />

konnte aus seinem kleinen Anhängerkreis<br />

�<br />

BÜCHER/MEDIEN<br />

eine Weltreligion werden? Volker Eid: „Die<br />

Wahrheit des Jesus von Nazaret kann entdeckt<br />

werden in der Auseinandersetzung<br />

mit der Kunde, die in den christlichen Traditionen<br />

aufbewahrt wurde.“<br />

Neben Bibeltexten stützt sich Volker Eid<br />

auf historische Quellen und die Erkenntnisse<br />

von Archäologie und sozialgeschichtlicher<br />

Forschung. Zahlreiche Fotos und Illustrationen<br />

führen den Leser an die Originalschauplätze<br />

der Geschichte zurück. So entsteht<br />

ein lebendiges Bild des Heiligen<br />

Landes zur Zeit Jesu. CB<br />

Die große Synopse<br />

zur Welt-, Kultur- und<br />

Kirchengeschichte<br />

Stephan Kotzula: Kirchengeschichte in Daten<br />

& Fakten, St. Benno-Verlag Leipzig, 266<br />

Seiten, 14, 50 Euro, ISBN 978-3-7462-2487-9<br />

Dr. theol. Stephan Kotzula, geb. 1947 und<br />

1974 zum Priester geweiht, ist Krankenhausgeistlicher,<br />

Männerseelsorger und<br />

Ehebandsverteidiger beim Konsistorium<br />

des Erzbistums Berlin. Jetzt hat er ein „Buch<br />

zum Weiterschreiben“ vorgelegt: „Kirchengeschichte<br />

in Daten & Fakten“ heißt das<br />

neue, synoptisch aufgebaute Standardwerk.<br />

In sieben Spalten, die das ungewöhnliche<br />

Querformat erklären, werden in zeitsynoptischer<br />

Übersicht alle wichtigen Ereignisse<br />

der Kirchen- und Weltgeschichte<br />

von der Spätantike bis zur Gegenwart geboten.<br />

„Glaubensverbreitung und -entfaltung“,<br />

„Ordens- und Heiligengeschichte“,<br />

„Spiritualität“, „Liturgie“ sowie „christliche<br />

Kunst und Musik“ sind die Kategorien, die<br />

facettenreich über die jeweilige Zeit informieren.<br />

Die ausgewählten Fakten werden<br />

kurz und prägnant, aber auch verständlich<br />

geschildert und erklärt. Besonders hilfreich<br />

für den Alltagsnutzen dieses Nachschlagewerks<br />

sind die umfangreichen Personenund<br />

Sachregister, die einen noch schnelleren<br />

Zugriff auf die historischen Daten ermöglichen.<br />

Dabei wurde großer Wert auf<br />

eine übersichtliche Gestaltung gelegt. CB<br />

Spes nostra firma<br />

Thomas Marschler, Christoph Ohly (Hg.):<br />

Spes nostra firma. Festschrift für Joachim<br />

Kardinal Meisner zum 75. Geburtstag. Münster,<br />

Aschendorff Verlag 2008, 472 Seiten, 49<br />

Euro. ISBN-13: 978-3402004371.<br />

„Spes nostra firma“ (Unsere Hoffnung<br />

steht fest), diesen Wahlspruch von Bbr.<br />

Joachim Kardinal Meisner trägt eine Festschrift,<br />

die dem Kölner Erzbischof aus Anlass<br />

seines 75. Geburtstages am 25. Dezember<br />

2008 gewidmet wurde. Die Autoren<br />

dieses Werks, das dem völlig überraschten<br />

Jubilar überreicht wurde, sind Priester und<br />

Diakone des Erzbistums Köln, die während<br />

der 20-jährigen Amtszeit Kardinal Meisners<br />

ihr Promotions- oder Habilitationsstudium<br />

absolvieren konnten und dazu freigestellt<br />

worden waren – unter ihnen Weihbischof<br />

Rainer Woelki, Generalvikar Dominik<br />

Schwaderlapp sowie der Leiter des<br />

Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl<br />

Jüsten. Mit der Festschrift danken die<br />

Autoren dem Erzbischof dafür, dass er<br />

akademischen Fragen interessiert und<br />

Talenten immer fördernd begegnet sei.<br />

Wissenschaftliche Beiträge aus fast allen<br />

theologischen Teilfächern sowie aus einigen<br />

der Theologie benachbarten Disziplinen<br />

dokumentieren in origineller Weise<br />

die lebendige Vielfalt heutiger theologischer<br />

Forschung im Kölner Erzbistum. Papst<br />

Benedikt XVI. hat der Festschrift ein sehr<br />

persönlich gestaltetes Grußwort zuteil<br />

werden lassen, in dem das kraftvolle Glaubenszeugnis<br />

und der unermüdliche Einsatz<br />

Kardinal Meisners im geistlichen Dienst<br />

Würdigung und Anerkennung erfahren.<br />

Herausgeber sind der Augsburger Dogmatikprofessor<br />

Thomas Marschler und der<br />

Münchner Kirchenrechtler Bundesbruder<br />

Dr. Christoph Ohly. „In einer Zeit des bedrückenden<br />

Priestermangels ist es keine<br />

Selbstverständlichkeit, wenn eine Diözese in<br />

steter Regelmäßigkeit junge Priester und >><br />

unitas 1/<strong>2009</strong> 81


Diakone durch Freistellung vom regulären<br />

Dienst für eine fortgeschrittene akademische<br />

Qualifikation auswählt“, schreiben sie<br />

im Vorwort.„Damit ist unsere Festschrift zunächst<br />

ein Zeichen der Dankbarkeit für die<br />

Großzügigkeit, mit der Kardinal Meisner diese<br />

sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen<br />

Projekte ermöglicht und begleitet<br />

hat.“ In der Vielfalt der Themen und Artikel<br />

solle „zugleich etwas von der lebendigen<br />

Vielfalt des Forschens und geistigen Arbeitens<br />

sichtbar werden, das in unserer Gegenwart<br />

im jüngeren Kölner Klerus zu finden<br />

ist.“ Ein solches Zeichen sei gerade in einer<br />

Zeit von Bedeutung, in der die Reflexion wissenschaftlicher<br />

Theologie als unverzichtbare<br />

Dimension religiösen Lebens angesichts<br />

vieler Sorgen um kirchliche Finanzen<br />

und Strukturen zuweilen in den Hintergrund<br />

gedrängt zu werden scheint. CB<br />

Christliche Symbole<br />

in Kirchen, Kunst<br />

und Architektur<br />

Pater Eckhard Bieger SJ: Das Bilderlexikon der<br />

christlichen Symbole, St. Benno-Verlag Leipzig,<br />

284 Seiten, durchgehend mit Farbabbildungen<br />

gestaltet, 19,90 Euro, ISBN 978-3-<br />

7462-2486-2<br />

Welche Bedeutung das Lamm in der<br />

Kunst hat, warum Kirchtürme achteckig<br />

sind und was der Delphin mit Christus zu<br />

tun hat – diese und viele Fragen mehr klärt<br />

P. Eckhard Bieger SJ in einem außergewöhnlich<br />

prächtig illustrierten „Bilderlexikon der<br />

christlichen Symbole“. Das Werk des Kommunikationswissenschaftlers,<br />

Theologen<br />

und langjährigen Beauftragten der Deutschen<br />

Bischofskonferenz beim ZDF bietet<br />

mit über 1000 Begriffen und farbigen Abbildungen<br />

auf fast 300 Seiten eine große<br />

Fülle von Erklärungen zur Symbolsprache,<br />

die sich in Bildern und Mosaiken, im<br />

Kirchenbau und in der Gestaltung von Taufbecken,<br />

Altären wiederfinden. Alle christlichen<br />

Symbole, aber auch Zeichen aus anderen<br />

Religionen und Kulturen, die Eingang<br />

ins Christentum gefunden haben, werden<br />

von dem bekannten Autor und Theologen<br />

verständlich und fundiert erklärt. Er erschließt<br />

die Symbolsprache auf eine Weise,<br />

die neue Zugänge zur kirchlichen Tradition<br />

schafft und die Augen öffnet für den<br />

Reichtum der Bilder unserer christlichen<br />

82<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

Kultur. Ergänzt werden die Erläuterungen<br />

durch einen ausführlichen Überblick über<br />

die Geschichte der Kirchenarchitektur, der<br />

die Symbole in ihren jeweiligen historischen<br />

Kontext vorstellt. Die zahlreichen<br />

informativen Bilder gewähren ungewöhnliche<br />

Einblicke in die schönsten Kirchen<br />

Deutschlands und machen das großformatige<br />

Lexikon damit besonders anschaulich<br />

und wertvoll. CB<br />

Nachdenken über<br />

Schöpfung und Kirche<br />

Joseph Ratzinger/Benedikt XVI.: „Gottes<br />

Projekt – Nachdenken über Schöpfung und<br />

Kirche“, hrsg. von Karl-Heinz Kronawetter<br />

und Michael Langer, mit einem Vorwort von<br />

Bischof Egon Kapellari, 140 Seiten, Pustet<br />

Verlag, 16,90 Euro.<br />

„Gottes Projekt – Nachdenken über<br />

Schöpfung und Kirche“ lautet der Titel eines<br />

neuen Buches von Joseph Ratzinger, das<br />

jetzt im Regensburger Pustet Verlag erschienen<br />

ist. Es versammelt sechs unveröffentlichte<br />

Texte zur Schöpfungstheologie,<br />

Vorlesungen, die der heutige Papst 1985 auf<br />

Einladung von Bischof Dr. Egon Kapellari bei<br />

den renommierten St. Georgener Gesprächen<br />

im Bischöflichen Bildungshaus Stift St.<br />

Georgen in Kärnten gehalten hat. Der Text<br />

der äußerst lebendigen Vorträge war lange<br />

Zeit verschollen, bis Tonbandmitschnitte auf<br />

einem Dachboden auftauchten. Ein Fund,<br />

der sich als Glücksfall mit brandaktuellen<br />

Bezügen erweist: Die Kärntner Vorlesungen<br />

sind sowohl als Kommentar zum Darwin-<br />

Jahr wie zur Diskussion um die Konzilstreue<br />

von Papst Benedikt XVI. zu lesen.<br />

In seinen schöpfungstheologischen Betrachtungen<br />

zeigt der damalige Kurienkardinal<br />

Joseph Ratzinger, dass der Mensch<br />

nicht irgendein Zufallsprodukt der Erde sei,<br />

sondern ein Projekt Gottes. Darin gründe<br />

auch die Unverletzlichkeit der Menschenwürde.<br />

So zeigt er Gottes Projekt, das christliche<br />

Welt- und Menschenbild, in klarer,<br />

nachvollziehbarer Sprache auf und verhilft<br />

dem Leser zu einem vertieften Verständnis<br />

der Schöpfung und des Umgangs mit ihr.<br />

Hinter allen großen „Projekten des Lebendigen“<br />

stehe die schöpferische Vernunft:<br />

„Sie zeigen uns den Schöpfergeist, heute<br />

leuchtender und strahlender denn je.“ Der<br />

Mensch, der „aus Erde geformt“ wird, erfahre<br />

durch den biblischen Text, „dass dies den<br />

Menschen überhaupt betrifft, dass alle<br />

Menschen Erde sind“. Gleich am Anfang der<br />

Bibel werde so gesagt, „dass es nur einen<br />

Menschen in den vielen Menschen gibt,<br />

sodass die Absage an jeden Rassismus, jede<br />

Teilung der Menschheit ein biblisches Urwort<br />

und Grundwort ist“.<br />

Herausgegeben wurde „Gottes Projekt“<br />

vom apl. Prof. für Religionspädagogik und<br />

Kerygmatik Michael Langer, dem em. Prof.<br />

für Bibl. Einleitungswissenschaften Prof.<br />

Georg Schmuttermayr und dem Kärntner<br />

Kulturreferenten Karlheinz Kronawetter. Die<br />

Einleitung verfasste Bischof Dr. Egon<br />

Kapellari. Das Buch ist dem Bruder des<br />

Papstes, Georg Ratzinger, zum 85. Geburtstag<br />

gewidmet. CB<br />

Heilige für jeden Tag<br />

Andreas Rode: Das Jahresbuch der Heiligen.<br />

Große Gestalten für jeden Tag Leben und<br />

Legenden. Zuständigkeiten, Attribute und<br />

Erkennungsmerkmale. Mit einer Einführung<br />

von Abt Odilo Lechner. Bildauswahl von<br />

Günter Lange Großformat. 1040 Seiten.<br />

Durchgehend vierfarbig, über 80 Farbtafeln.<br />

Gebunden mit Leseband. Goldfolienprägung<br />

auf feinem Einbandmaterial. Euro 49,95,<br />

ISBN 978-3-466-36803-7<br />

Ein voluminöses „Jahresbuch der Heiligen“<br />

hat Andreas Rode jetzt im Kösel-Verlag<br />

vorgelegt. Es stellt dem kirchlichen Kalender<br />

folgend für jeden Tag die Vita eines Heiligen<br />

ausführlicher vor. Der Bogen reicht dabei<br />

von altchristlichen Märtyrern bis zu Heiligen<br />

unserer Zeit. Ergänzend dazu werden<br />

Legenden erzählt oder Originaltexte präsentiert.<br />

Wissenswertes über Brauchtum, Verehrung,<br />

Patronate und Erkennungsmerkmale<br />

werden ergänzt durch die Darstellung<br />

des jeweiligen Heiligen in der Kunst: Über<br />

80 ganzseitige Bilder werden von dem emeritierten<br />

Bochumer Religionspädagogen<br />

Prof. Dr. Günter Lange, einem renommierten<br />

Kenner christlicher Kunst, erschlossen. So ist<br />

ein Werk von 1040 Seiten entstanden, das<br />

sich für den eigenen Gebrauch ebenso eignet<br />

wie als wertvolles Geschenk. Das Geleitwort<br />

stammt von dem Altabt von St. Bonifaz-München<br />

und Andechs, P. Odilo Lechner<br />

OSB, der Autor Andreas Rohde gehört dem<br />

Wingolfsbund an. CB


88<br />

Zeitschrift des Verbandes<br />

der wissenschaftlichen<br />

kath. <strong>Studenten</strong>vereine<br />

UNITAS<br />

Aachener Str. 29<br />

41564 Kaarst (Büttgen)<br />

ISSN 0344 - 9769<br />

unitas 1/<strong>2009</strong><br />

<strong>Unitas</strong>, Aachener Str. 29, 41564 Kaarst (Büttgen),<br />

PVSt; DPAG, Entgelt bezahlt.<br />

UNITAS – Altherrenbunds-/Hohedamenbundstag <strong>2009</strong><br />

in Münster<br />

„Zukunft des Sozialstaates angesichts von Globalisierung<br />

und demografischem Wandel“<br />

25. – 27. September <strong>2009</strong><br />

Tagungsort: Stadthotel Münster, Aegidiistr. 21, 48143 Münster, Tel. 0251-4812-0<br />

Programm<br />

Freitag, 25.09. 19.00 Uhr Ankunft in Münster<br />

20.00 Uhr Festkommers anlässlich des 150-jährigen Bestehens der UNITAS in Münster<br />

im Stadthotel Münster<br />

Samstag, 26.09. 10.00 Uhr Vortrag<br />

zum Tagungsthema mit Diskussion<br />

12.00 Uhr Mittagsimbiss im Tagungshotel<br />

14.00 Uhr Vortrag<br />

zum Tagungsthema mit Diskussion<br />

16.00 Uhr Kaffeepause<br />

16.30 Uhr UNITAS aktuell<br />

Gedankenaustausch mit dem Vorstand des <strong>Unitas</strong>-Verbandes<br />

bis 18.00 Uhr<br />

19.00 Uhr Gesellschaftsabend im Mühlenhof-Freilichtmuseum<br />

Abendessen und Geselligkeit im historischen Gräftenhof<br />

bis 23.00 Uhr<br />

Sonntag, 27.09. 09.30 Uhr Pontifikalamt<br />

in der St. Ludgeri-Kirche, Ludgeristr.<br />

11.00 Uhr Festakademie<br />

im Zwei-Löwen-Klub Münster, Am Kanonengraben<br />

Festvortrag zum Tagungsthema<br />

anschl. Mittagsimbiss und Verabschiedung<br />

Auf ein Wiedersehen im Kreise der UNITAS freuen sich<br />

Dr. Claudia Bellen-Kortevoß Heinrich Sudmann Hendrik Koors<br />

Vorsitzende des HDB Vorsitzender des AHB Vorsitzender des AHZ Münster<br />

Organisatorische Hinweise:<br />

Die verehrten Bundesschwestern und Bundesbrüder können vom 25.09.<strong>2009</strong> bis 27.09.<strong>2009</strong> im Stadthotel Münster<br />

(www.stadthotel-muenster.de) ein Einzelzimmer zu Euro 81,--/86,-- bzw. ein Doppelzimmer zu Euro 105,--/110,-- pro Zimmer/Nacht<br />

inklusive eines Frühstücksbuffets aus dem Kontingent „<strong>Unitas</strong> Münster“ buchen. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit bei<br />

Münster-Marketing (www.muenster.de) oder anderen Hotelreservierungsportalen Übernachtungsmöglichkeiten zu buchen.<br />

Die Tagungspauschale in Höhe von Euro 30,-- p.P. beinhaltet den jeweiligen Mittagsimbiss und die Tagungsgetränke.<br />

Die schriftliche Anmeldung erfolgt an die <strong>Unitas</strong>-Verbandsgeschäftsstelle, Aachener Straße 29, 41564 Kaarst, oder über<br />

www.ahb-hdb-tag.de. Mit der verbindlichen Anmeldung wird die Tagungspauschale fällig, diese ist auf das Konto des AHZ <strong>Unitas</strong><br />

Münster 026549660, BLZ 40070024, Deutsche Bank PGK AG, zu überweisen.

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