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der grenzgänger informationen aus dem böhmischen erzgebirge ...

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in ich, ohne etwas zu sagen, am nächsten Abend in<br />

den angrenzenden Obstgarten gestiegen und mir<br />

einige am Boden liegenden Äpfel genommen. Meiner<br />

Mutter erzählte ich, sie geschenkt bekommen zu<br />

haben. Beim nächsten Versuch bin ich vom Besitzer<br />

erwischt worden. Überraschen<strong>der</strong>weise sagte er zu<br />

mir, dass ich nichts stehlen bräuchte, son<strong>der</strong>n dass ich<br />

ohne weiteres zu ihm kommen könnte, wenn wir etwas<br />

benötigen. Und <strong>der</strong> Clou dieser Geschichte ist, dass<br />

ich nicht nur ein guter Freund zu seinem Sohn<br />

geworden bin, son<strong>der</strong>n dass ich 1966 als jüngstes<br />

Stadtratsmitglied mit seinem Vater als Senior<br />

gemeinsam im Gögginger Stadtrat saß.<br />

Ein wichtiges Ziel meiner Eltern war die Suche nach<br />

den Großeltern im fränkischen Raum. Als <strong>der</strong><br />

Aufenthaltsort feststand, ging es mit <strong>der</strong> ganzen<br />

Familie mit <strong>dem</strong> wenig Ersparten mit <strong>der</strong> Eisenbahn<br />

bis Weißenburg und von dort in Ermanglung von Geld,<br />

zu Fuß in den ca. 20 km entfernten Ort Wengen. Es<br />

war ein sehr emotionales Wie<strong>der</strong>sehen. Als Magd und<br />

Knecht mussten sie schwere landwirtschaftliche<br />

Arbeiten verrichten und das nur für Kost und<br />

Wohnung. Für meinen Vater war sofort klar, sie<br />

umgehend nach Göggingen zu holen, auch wenn wir<br />

dann mit sieben Personen einen einzigen Raum teilen<br />

mussten. Nach kurzer Zeit stellte uns die<br />

H<strong>aus</strong>eigentümerin freiwillig ein weiteres Zimmer zur<br />

Verfügung. Groß vater fand einen Arbeitsplatz bei <strong>der</strong><br />

Fa. Renk. Er, ein begnadeter Musiker bemühte sich<br />

umgehend, seine ehemaligen Kollegen <strong>aus</strong>findig zu<br />

machen, um die „Bernauer Musikanten“ wie<strong>der</strong> ins<br />

Leben zu rufen.<br />

Sie waren <strong>der</strong> Ursprung <strong>der</strong> heutigen „Willish<strong>aus</strong>er<br />

Musikanten“, die auch heute noch beim Neudeker<br />

Heimattreffen aufspielen. Mit befreundeten Familien<br />

haben meine Eltern versucht, alle Möglichkeiten<br />

<strong>aus</strong>zuschöpfen, um etwas zu verdienen. Ich kann mich<br />

noch gut erinnern, dass sie auf Veranstaltungen<br />

Süßigkeiten verkauft haben. Mit Klöppelerzeugnisse<br />

meiner Mutter sind wir aufs Land gefahren und haben<br />

sie gegen Mehl, Eier, Milch und manchmal auch etwas<br />

Fleisch einget<strong>aus</strong>cht. Ich hatte nie den Eindruck<br />

gehabt, dass meine Eltern unzufrieden waren. Auch<br />

wir Kin<strong>der</strong> führten mit den sehr schnell angefreundeten<br />

einheimischen Kin<strong>der</strong>n ein unter den gegebenen<br />

Umständen ziemlich normales Leben. Viel dazu<br />

beigetragen hatte sicherlich <strong>der</strong> große Zusammenhalt<br />

und die gegenseitige Unterstützung <strong>der</strong> Neudeker in<br />

Göggingen. Auch das Engagement in einigen<br />

Vereinen wie „Naturfreunde“, „Volkschor“ und in <strong>der</strong><br />

SPD war in diesem Zusammenhang ein wichtiges<br />

Element.<br />

Unter welchen Umständen wurde die Idee geboren,<br />

Kontakt zu Ihrer einstigen Heimatstadt zu knüpfen<br />

und wie kamen Sie zu <strong>dem</strong> Namen „Kin<strong>der</strong> von<br />

damals“?<br />

Anita Don<strong>der</strong>er: Es war im Jahre 1990, am 80.<br />

Geburtstag meines Vaters. Herr Götz als Sohn eines<br />

früheren Radrennfahrerkollegen meines Vaters kam<br />

mit einigen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Naturfreunde Göggingen –<br />

darunter auch wie<strong>der</strong>um frühere Neudeker – zum<br />

gratulieren. Im Gespräch unter uns, den „Jüngeren“<br />

wurde geplant, unseren Geburtsort kennen zu lernen,<br />

bzw. zu besuchen. Unsere Eltern verfolgten diese<br />

Unterhaltung und meinten zu unseren Plänen, dass wir<br />

im Alleingang ja nichts von früher wüssten. So kam bei<br />

Herrn Götz und mir <strong>der</strong> Gedanke, einen Bus zu<br />

organisieren, in <strong>dem</strong> wir eben mit unseren Eltern und<br />

Interessierten nach Neudek fahren könnten. Die<br />

Visumspflicht galt nicht mehr, das erleichterte die<br />

ganze Planung. Da Herr Götz und ich beruflich viel mit<br />

Organisation zu tun hatten, wandten wir diese<br />

Kenntnisse auch für diese geplante Reise an und<br />

schrieben an den neu gewählten Bürgermeister in<br />

Nejdek, dass wir mit einer Busgruppe, bestehend <strong>aus</strong><br />

früheren Bewohnern von Neudek kommen wollen und<br />

würden gerne die Neudeker Wollkämmerei<br />

besichtigen, in <strong>der</strong> viele unserer inzwischen Senioren,<br />

dort gearbeitet haben. Nach kurzer Zeit kam ein<br />

freundliches wohlwollendes Schreiben <strong>aus</strong> <strong>dem</strong><br />

Nejdeker Rath<strong>aus</strong>, was uns zu weiteren<br />

Programmpunkten motivierte. Aufgrund unserer<br />

beruflichen Tätigkeiten – Herr Götz als<br />

Geschäftsführer <strong>der</strong> Gewerkschaft ÖTV und ich als<br />

langjährige Sekretärin des Augsburger Sportför<strong>der</strong>ers<br />

und Bekleidungsh<strong>aus</strong>-Inhabers Max Gutmann, hatten<br />

wir damals schon gute Kontakte in alle Richtungen. So<br />

bekamen wir von Oberbürgermeister Dr. Peter<br />

Menacher ein offizielles Grußwort an den Nejdeker<br />

Bürgermeister und die Bürger <strong>der</strong> Stadt Neudek mit.<br />

Von <strong>der</strong> Augsburger Kammgarnspinnerei, in <strong>der</strong> nach<br />

<strong>der</strong> Aussiedlung viele Neudeker wie<strong>der</strong> Arbeit fanden,<br />

konnten wir ebenfalls ein Grußwort an den Direktor <strong>der</strong><br />

Neudeker Wollkämmerei übergeben. Selbstverständlich<br />

musste auf <strong>der</strong> „Schönen Aussicht“ ein<br />

Erzgebirgsabend sein, damals mit Bertl Ruzicka und<br />

ihren Sängerinnen. Unseren Bus fuhr Herr Franz<br />

Zenker, ein gebürtiger Aberthamer, <strong>der</strong> den Gästen<br />

eine wun<strong>der</strong>schöne Erzgebirgsfahrt bot. So war es<br />

eine ereignisreiche und emotionale Fahrt mit vielen<br />

Erinnerungen. In Augsburg angekommen berichtete<br />

die Augsburger Allgemeine Zeitung, von <strong>der</strong> ein<br />

Redaktionsmitglied im Bus dabei war, von dieser<br />

ersten und einmaligen Fahrt in die Vergangenheit. Die<br />

Überschrift <strong>der</strong> ganzen Seite „Die Kin<strong>der</strong> von damals“<br />

besuchen ihre Geburtsstadt Neudek und for<strong>der</strong>n<br />

Versöhnung. So kamen wir zu diesem Namen.<br />

Wann fand die erste offizielle Fahrt <strong>der</strong> „Kin<strong>der</strong><br />

von damals“ nach Neudek statt und welche<br />

Eindrücke gewannen Sie dabei?<br />

Anita Don<strong>der</strong>er: Unsere erste Fahrt war im April<br />

1991. Wir waren die erste deutsche Gruppe, die in<br />

ihrer früheren Heimatstadt ganz offiziell empfangen<br />

wurde – dank des damaligen Bürgermeisters Jiri<br />

Bydzovsky. Zu unserer großen Überraschung war <strong>der</strong><br />

gesamte Stadtrat anwesend. Wir wurden sehr<br />

freundlich aufgenommen und fühlten uns in keiner<br />

Weise fremd. Obzwar es natürlich für die ältere<br />

Generation schon eine große Belastung war, sie<br />

waren zum Teil das erste Mal nach <strong>der</strong> Aussiedlung<br />

wie<strong>der</strong> in Neudek. Es gab verständlicherweise auch<br />

viele Tränen – es waren Erinnerungen an schöne aber<br />

natürlich auch an schlimme Zeiten. Wir wurden<br />

spontan zu <strong>der</strong> kurz darauf stattfindenden<br />

Kirchenweihe eingeladen und organisierten sofort<br />

wie<strong>der</strong> einen Bus für Juni 1991. Im Jahre 1991 waren<br />

unsere Eindrücke natürlich schon erschütternd.<br />

Trotz<strong>dem</strong> empfanden wir aber eine Verbindung zu den<br />

Grenzgänger Nr. 21 September 2012 Seite 4

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