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den Predigttext - Kirche Kronprinzenkoog

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1<br />

Birnen, Bohnen und Speck<br />

Predigt zum Erntedanksonntag am 7.Oktober 2012<br />

Der ist wie ein Baum, gepflanzt an <strong>den</strong> Wasserbächen, der seine Frucht bringt zu seiner Zeit,<br />

und seine Blätter verwelken nicht. (aus Psalm 1)<br />

Liebe Gemeinde, im Pastoratsgarten steht ein alter Birnbaum. Sein Platz ist dort, wo wir auf <strong>den</strong><br />

neuen Friedhof sehen.<br />

Dieser Birnbaum trägt jedes Jahr. Seine knorrigen Äste sind dann mit Früchten schwer bela<strong>den</strong>.<br />

Dieses Jahr aber nicht –<br />

Nun könnten Sie meinen, wir hätten uns in <strong>den</strong> letzten Jahren immer am Birnbaum gefreut.<br />

Anfangs stellen wir noch voller Eifer die Leiter an <strong>den</strong> alten Stamm und sammelten die Birnenernte in<br />

eine Holzkiste.<br />

Dass die Früchte nicht so perfekt aussahen wie ihre Geschwister im Supermarkt, hat uns nicht<br />

gestört. Wir freuten uns auf das ungespritzte Obst und die braunen Flecken auf der grünen Schale<br />

unterstrichen die Bioqualität.<br />

In der Erwartung einer süßen und gesun<strong>den</strong> Zwischenmahlzeit griffen die Familienmitglieder nach<br />

<strong>den</strong> Birnen. Doch wer herzhaft hineinbiss, verzog schnell das Gesicht und warf die Birne weg. Nicht<br />

nur, dass sie sich als steinhart erwiesen, sie schmeckten auch fade und mehlig.<br />

Ich versuchte, die Birnen als Vorrat einzukochen. Doch selbst größere Zuckermengen verbesserten<br />

nicht <strong>den</strong> Geschmack. Und das, was aus dem Weckglas kam und wochenlang in der Zuckerlösung<br />

geschwommen hatte, schmeckte weiterhin fade. Am Tisch kommentierte dies meine Familie mit:<br />

„Schon wieder Grießbrei mit Birnen!“<br />

Auch das Lagern der reichen Ernte probierten wir aus. Wir stellten die Kiste mit <strong>den</strong> Birnen neben<br />

die mit <strong>den</strong> Boskopäpfeln in die Speisekammer. Insgeheim hoffte ich, sie wür<strong>den</strong> in <strong>den</strong> kalten<br />

Wintermonaten nachreifen. Doch niemand hatte zu Weihnachten Appetit auf eine Birne.<br />

Im Frühjahr bestellten wir unseren Gemüsegarten – meist unter fachkundiger Anleitung der<br />

vorbeigehen<strong>den</strong> Friedhofsbesucher. Mein Mann pflanzte einen zweiten Birnbaum, dessen Sorte<br />

süße, goldgelbe Früchte versprach.<br />

Der alte Birnbaum blühte und trug weiter jedes Jahr seine harten Früchte, nur ernteten wir sie nicht<br />

mehr. Sie fielen vom Baum und lagen kiloweise auf dem Rasen, wo Wespen, Igel und Vögel sie<br />

verzerrten. Das Herbstlaub und der Schnee bedeckten die angefressenen Früchte und im nächsten<br />

Frühjahr blühte der Baum aufs Neue.<br />

Wir überlegten sogar <strong>den</strong> Birnbaum zu fällen, weil wir seine Früchte für ungenießbar hielten und<br />

nicht verzehren konnten. Aber sein Holz war gesund.<br />

So blühte der alte Baum in unserem Garten Jahr um Jahr, genau in <strong>den</strong> Wochen, wenn ich mich über<br />

die frisch angelegten Beete bückte und Samenkörner in die Erde streute.


2<br />

Eines Tages spazierte mein Nachbar, Karl Möller, zum Karpfenteich und sah mit gärtnerischem<br />

Kennerblick zu mir hinüber. Pastor Volquartz, meinte er, hätte früher 60 Gläser Bohnen aus diesem<br />

Garten bekommen.<br />

Ich muss erwähnen, Pastor Volquartz war von 1932 bis 1959 Pastor in <strong>den</strong> Kögen und ein<br />

begnadeter Gärtner.<br />

60 Gläser Bohnen – ich versuchte, mir diese in <strong>den</strong> Regalen der Speisekammer vorzustellen.<br />

Donnerwetter, dachte ich und bewunderte <strong>den</strong> grünen Daumen meines Vorgängers.<br />

Nun – zu seiner Zeit gab es in Marne noch keine Supermärkte wie Sky oder Frauen. Die Menschen in<br />

<strong>den</strong> Kögen waren Selbstversorger und bestellten ihre Küchengärten. Die Dorflä<strong>den</strong> waren zu Fuß<br />

erreichbar und boten statt Fertiggerichte die nötigen Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker<br />

und Dinge des täglichen Lebens wie Streichhölzer und Hosengummis an. Das Mittagessen in <strong>den</strong><br />

Familien kam pünktlich um 12 Uhr auf <strong>den</strong> Tisch, selbstgekocht auf dem eigenen Herd mit Zutaten<br />

aus dem eigenen Garten. Fast jede Familie hielt Hühner, wegen der Eier und für die Suppe. Manche<br />

mästeten sogar ein Schwein. Die Milch holten sie in Kannen von <strong>den</strong> benachbarten Höfen. Jeder<br />

Koog hatte seinen Bäcker. Im Norderkoog brachten die Frauen samstags und Weihnachten ihren<br />

bunten Stutenteig zu Bäcker Thode zum Ausbacken. Schlachter Hintelmann belieferte seine Kun<strong>den</strong><br />

zum Wochenende mit frischem Fleisch und neuen Gerüchten.<br />

Das alles fiel mir ein, als Karl Möller die gärtnerische Tüchtigkeit unseres Vorvorgängers lobte und die<br />

60 Gläser Bohnen erwähnte. Das passierte vor mehr als 20 Jahren.<br />

Ich könnte noch viele Geschichten erzählen, die das tägliche Leben in <strong>den</strong> Kögen beschreiben, als die<br />

Maschinen und die Gesetze der globalen Markt‐ und Finanzwirtschaft noch keinen Einfluss hatten.<br />

Das war damals, als die Menschen in <strong>den</strong> Kögen viel miteinander redeten und nach Feierabend vor<br />

ihren Häusern in der Abendsonne saßen, oder im Winter Karten spielten. Die gute alte Zeit kam ohne<br />

facebbok, i pad und email aus.<br />

Ich erinnere mich noch genau an meine Reaktion auf die 60 Gläser eingemachte Bohnen. In meiner<br />

Unerfahrenheit tat mir die Pastorenfamilie wegen ihres eintönigen Speiseplans leid. Immer nur<br />

Bohnen, dachte ich, vielleicht noch etwas Kohl zu Abwechslung. Kartoffeln sowieso.<br />

Die Jahre vergingen. Wir mühten uns im Gemüsegarten ab, hakten und zupften das Unkraut,<br />

kämpften gegen Schnecken, pflanzten Kohlrabi Sorte Superschmelz und legten Bohnen. Den Mangold<br />

fror ich wie Spinat in der Tiefkühltruhe ein. Das Gewächshaus für Tomaten kam hinzu. Und der alte<br />

Birnbaum blühte jedes Frühjahr und trug im Herbst seine Früchte, die unbeachtet zu Bo<strong>den</strong> fielen<br />

und im Laub verfaulten.<br />

Ich habe versucht mich zu erinnern. Was empfand ich vor 20 Jahren nach einer Gartensaison? Mit<br />

welchen Gefühlen beging ich damals das Erntedankfest. War ich dankbar für die wurmstichigen<br />

Radieschen und scharfen Zwiebeln? Beschlich mich ein Hochgefühl, wenn ich stun<strong>den</strong>lang Pflaumen<br />

entsteinte? War ich besonders glücklich und froh über das, was Gott im Garten wachsen ließ?


3<br />

Ich weiß, dass es keinen besseren Ort gibt als <strong>den</strong> Garten, in dem wir das Nebeneinander von<br />

Arbeitsmühe und Erntefreude spüren. Im Garten erfahre ich zu jeder Jahreszeit: Gott ist es, der<br />

Leben schenkt.<br />

Er ist die Kraft, die aus dem Samenkorn <strong>den</strong> frischen Keim brechen lässt und aus der Knospe das<br />

erste grüne Blatt. Wenn ich im Garten stehe, staune ich. Ich staune über Gottes Ideenreichtum, über<br />

<strong>den</strong> bunten Schmetterling und <strong>den</strong> langen Grashalm, über die duftende Rose und <strong>den</strong> roten Apfel.<br />

Der Garten erzählt von Gott als Schöpfer, von seinen Wundern und Möglichkeiten.<br />

Im Garten empfinde ich mich hineingestellt in Gottes Schöpfung, begreife ich mich als Teil seines<br />

großen Werkes und bin verbun<strong>den</strong> mit allem, was auf Er<strong>den</strong> lebt. Als Mensch bin ich von Gott<br />

geschaffen und gewollt, genauso wie die Ameise, die über meinen Fuß krabbelt und die Pusteblume,<br />

die mich zum Niesen bringt. Im Garten fühle ich mich nicht allein, sondern geborgen.<br />

Viele sprechen von der Schönheit der Natur, ich rede lieber von Gottes Schöpfung. Ich tue das, weil<br />

ich zu Gott beten kann und er mir zuhört, wenn ich sage: „ Danke, lieber Gott. Danke, lieber Gott für<br />

Deine Güte! Sie begleitet mich alle Zeit, auch durch die Zeiten des Jahres, durch die hellen und<br />

dunklen Tage. Betend vertraue ich darauf, dass Gott für mich sorgt.<br />

Vor 15 Jahren haben wir <strong>den</strong> Gemüsegarten aufgegeben und an seinen Platz Rasen gesät. Im<br />

Gewächshaus stan<strong>den</strong> nun Gartenmöbel, bis der Sturm auch das wegwehte. Die Himbeersträucher<br />

von Frau Krizak verwilderten und die Brombeeren überwucherten alles. Dennoch blühte der alte<br />

Birnbaum treu und zuverlässig im Frühjahr und trug im Herbst seine Früchte.<br />

Andere Dinge waren wichtiger gewor<strong>den</strong> als das Bestellen eines Gemüsegartens. Wir hatten keine<br />

Zeit mehr dafür. Eile und Termindruck bestimmen seither <strong>den</strong> Alltag. Dennoch blühte jedes Jahr der<br />

alte Birnbaum weiter und trug geduldig seine Früchte. – Jedes Jahr ohne Ausnahme.<br />

Ich aber entfernte mich immer stärker vom Garten und spürte, wie etwas verloren ging. Wenn die<br />

Schulkinder der Marschenschool zu Erntedank das Gedicht „Herr von Ribbek auf Ribbek im<br />

Haveland“ vortrugen, dann dachte ich an unseren alten Birnbaum.<br />

Im Seniorenkreis sprachen die Damen oft von ihren Gemüsegärten, die sie noch pflegten, trotz<br />

nachlassender Kräfte im Alter. Ich hörte vom Kartoffelpflanzen und Bohnenpflücken. Ich schämte<br />

mich. Mir als jüngste war das Gärtnern zu anstrengend gewor<strong>den</strong>. Derweil blühte unser Birnbaum<br />

fleißig weiter und warf im Herbst seine Früchte ab.<br />

Wenn ich abends müde auf das Sofa sank, griff ich gerne zu Zeitschriften, die vom Landleben,<br />

Gärtnern und alten Haustechniken schwärmen. Beim Betrachten der idyllischen Fotos beschlich mich<br />

immer wieder eine merkwürdige Sehnsucht. Ich teile sie mit vielen Zeitgenossen, <strong>den</strong>n die Zeitschrift,<br />

deren Namen ich hier nicht nennen kann, hat schnell die Millionenauflage erreicht.<br />

Es ist die Sehnsucht nach Entschleunigung und Achtsamkeit. Es ist nicht der Traum vom Zurück in die<br />

gute alte Zeit, sondern die Sehnsucht danach, dass die Lebenszusammenhänge ihre Ordnung und<br />

Übersicht, ihre Verlässlichkeit und das Vertrauen zurückbekommen. Es ist eine Sehnsucht nach dem<br />

Leben im Leben.


4<br />

Das moderne Leben macht uns krank. Unbarmherzig haben die Menschen zu funktionieren, der<br />

Schüler in der Schule, der Stu<strong>den</strong>t im universitärem System. Lernen braucht nicht mehr<br />

Persönlichkeiten bil<strong>den</strong>, muss wie jede Arbeit nicht mehr sinnvoll sein, sondern effektiv. Der Wert<br />

des Menschen wird nach seinem Nutzen und seiner Leistung bemessen. Vergleichen ist gerecht.<br />

Wir haben dieses Sein selbstgewählt. Gott gibt uns die Freiheit zu entschei<strong>den</strong>, woran wir unser Herz<br />

hängen.<br />

Schon um 1920 sagte ein Häuptling auf Samoa über unsere Lebensart: „ Sprich zu einem Weißen von<br />

Gott, da wer<strong>den</strong> die Augen stumpf bleiben, sein Gesicht leer, sein ganzes Wesen gelangweilt. Aber<br />

sprich zu dem gleichen Mann von Geld, da tritt Glanz in seine Augen, Speichel auf seine Lippen, seine<br />

Hände zittern, seine ganze Existenz ist in Erregung, Geld ist sein Gott.“<br />

Liebe Gemeinde, wenn das so ist, dann ist das Erntedankfest auch ein Bußtag. Wir besinnen uns auf<br />

das, was wir verloren haben. Wir bekennen, dass wir leichtfertig mit der Natur als Gottes Schöpfung<br />

umgehen. Wir trauen uns zu sagen, dass es so nicht weiter gehen kann – mit uns und Gottes<br />

Schöpfung hier in <strong>den</strong> Kögen und anderswo. Die Umkehr ist schwer. Wir brauchen Geduld, aber<br />

wichtig ist die Richtung, das Leben auf Gott zu.<br />

In diesem Jahr entdeckte ich übrigens ein altes schleswig‐holsteinisches Rezept, das ich noch nie<br />

gekocht und gegessen hatte: Birnen, Bohnen und Speck. Mein Mann brachte mir die Birnen dafür aus<br />

dem Garten. In diesem Jahr trug der alte Baum nur wenige Früchte. Fühlte er sich von uns<br />

vernachlässigt? Beim Mittagessen waren wir überwältigt. Der Duft! Der Geschmack! Noch nie hatten<br />

wir so aromatische Birnen gegessen. Sie entfalten ihren Geschmack erst in Verbindung mit Speck und<br />

Bohnen. Da fielen mir wieder die 60 Gläser Bohnen ein und ich entdeckte eine unbändige Freude und<br />

Dankbarkeit in mir. Auf einmal wusste ich um <strong>den</strong> Grund und die Kostbarkeit des alten Birnbaums im<br />

Pastoratsgarten. Unser Vorvorgänger hatte ihn gepflanzt, weil er ein Lieblingsessen hatte: Birnen,<br />

Bohnen und Speck.<br />

Für diese Erkenntnis bin ich in diesem Jahr besonders dankbar. Und wofür können Sie heute danken?

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