17.08.2012 Aufrufe

Juristisches Repetitorium

Juristisches Repetitorium

Juristisches Repetitorium

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong><br />

hemmer<br />

Würzburg - Erlangen - Bayreuth - Regensburg - München - Passau - Augsburg<br />

Frankfurt/M. - Bochum - Konstanz - Heidelberg - Freiburg - Mainz - Berlin - Bonn -<br />

Köln Göttingen - Tübingen - Münster - Hamburg - Osnabrück - Gießen - Potsdam<br />

Hannover - Kiel - Dresden - Marburg - Trier - Jena - Leipzig - Saarbrücken - Bremen<br />

Halle - Rostock - Greifswald - Frankfurt/O. - Bielefeld - Mannheim -<br />

Düsseldorf<br />

Gefahrenabwehrverfügung (POR I)<br />

Kursort Giessen<br />

1. Ermächtigungsgrundlage<br />

Beim Auffinden der einschlägigen Befugnisnorm ist (zumindest gedanklich) folgende Reihenfolge<br />

zwingend einzuhalten:<br />

- Spezialvorschriften des SonderordnungsR: zB §§ 24, 25 BImSchG; §§ 5, 13, 15 VersG;<br />

§ 3 I StVG; § 45 I StVO; §§ 15 II 35 GewO<br />

- Standardmaßnahmen<br />

- Ordnungsrechtliche Generalklausel<br />

Anmerkung: Dieses ausdifferenzierte System der Rechtsgrundlagen ist Ausdruck des modernen<br />

Verständnisses der grundrechtl. Schrankensystematik und gewährt einen größtmöglichen GRschutz<br />

für den Bürger. Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund kann bei der Annahme o. Ablehnung<br />

einer Befugnisnorm als Argument herangezogen werden.<br />

Die oben dargestellten Kategorien stehen in einem bestimmten Rang- u. Anwendungsverhältnis, das<br />

bei der Anwendung dringend zu beachten ist:<br />

- Vorrang des spezielleren G: Soweit es um die Abwehr einer identischen Gefahr geht, verdrängt<br />

das spezielle das allg. OrdnungsR in Anwendung und Geltung (lex specialis derogat legi<br />

generali).<br />

- Sperrwirkung des spezielleren G: Ist der Anwendungsbereich einer speziellen Norm eröffnet, so<br />

ist ein Rückgriff auf allg. Befugnisse nicht mehr zulässig, auch wenn ein Vorgehen nach der spez.<br />

Norm im konkreten Fall nicht möglich ist (hieraus ergibt sich z.B. die sog. Polizeifestigkeit einer<br />

Versammlung).<br />

- Ergänzungslehre: Enthalten SpezialG keine abschließende Regelung zu Inhalt, Adressaten oder<br />

rechtlichen Grenzen von Gefahrenabwehrmaßnahmen (lex imperfecta), so können zusätzlich die<br />

Grundsätze des allg. OrdnungsR herangezogen werden.<br />

- Subsidiaritätsprinzip: Ist der Anwendungsbereich einer Spezialnorm überhaupt nicht betroffen,<br />

liegt also keine Gefahrenidentität vor bzw. ist die Spezialnorm nicht abschließend, so darf auf<br />

allg. Befugnisnormen zurückgegriffen werden.<br />

Im Bereich dieses Rang- u. Anwendungsverhältnisses gibt es insb. 3 Problemkreise aus dem VersR zu<br />

beachten:<br />

(P1): Vorfeldmaßnahmen im VersR<br />

Bei Maßnahmen im Vorfeld einer Versammlung (z.B. bei der Anreise) fragt sich, ob die Sperrwir-kung<br />

des VersG schon greift, so dass Maßnahmen nach dem allg. OrdnungsR nur als Minusmaßnahmen<br />

zulässig wären.<br />

- e.A.: Art. 8 GG erstreckt sich auch auf diesen Zeitraum (unstr.), so dass hier auch das VersG<br />

abschließende Anwendung finden muss. Dies ergibt sich auch aus der Formulierung der §§<br />

2 III 2, 17a I, 27 I 2 VersG.<br />

- a.A.: Im Vorfeld der Versammlung liegt gerade noch keine Versammlung vor, für die das VersG<br />

Anwendung finden könnte. Dies ergibt sich auch aus §§ 2 III 2, 17a I, 27 I 2 VersG, so dass grds.<br />

in diesem Bereich das VersG keine Anwendung findet.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 2<br />

hemmer<br />

- Vermittelnde A.: Richtet sich die Maßnahme gegen die Vers. als solche, wird also die Teilnahme<br />

bewusst beschränkt o. verhindert, führt der Schutz des Art. 8 GG zur Anwendbarkeit des<br />

VersG. Richtet sich die Maßnahme nicht gegen die Versammlung als solche, sondern dient sie<br />

bspw. der Verhütung von Straftaten / OWi´s, so ist das allg. OrdnungsR anwendbar.<br />

(P2): Minusmaßnahmen i.R.d. § 15 III VersG<br />

Bei Vorliegen der strengen Voraussetzungen des § 15 III VersG kann die Polizei als Ausdruck des<br />

Verhältnismäßigkeitsprinzips auf die Auflösung einer Versammlung verzichten und auf mildere und<br />

flexiblere Rechtsfolgen des allg. OrdnungsR zurückgreifen (arg. a majore ad minus). Die<br />

Rechtsgrundlage für die Minusmaßnahmen findet sich jedoch allein im VersG.<br />

(P3): Nichtöffentliche Versammlungen<br />

Gem. § 1 I VersG gilt das VersG nur für öff. Versammlungen. Damit wäre bei nichtöffentlichen<br />

Versammlungen nach dem Subsidiaritätsprinzip ein Rückgriff auf das allg. OrdnungsR möglich.<br />

- e.A.: Dennoch soll das VersG analoge Anwendung finden, da von einer nichtöff.<br />

Versammlung grds. weniger Gefahren für die Allg. ausgehen, so dass erstrecht das stringent<br />

an Art. 8 GG ausgerichtete VersG Anwendung finden muss.<br />

- h.M.: Der klare Wortlaut des § 1 I VersG verbietet eine analoge Anwendung des VersG für<br />

nichtöff. Versammlungen. Das allg. OrdnungsR findet Anwendung, muss aber<br />

verfassungskon-form im Lichte des Art. 8 I GG ausgelegt werden, der hinsichtlich<br />

Versammlungen in geschlossenen Räumen vorbehaltlos gilt. Da der Gesetzesvorbehalt des<br />

Art. 8 II GG nur für Versammlungen unter freiem Himmel gilt, die typischerweise ein<br />

höheres Gefahrenpotential aufweisen, kann das allg. OrdnungsR nur Anwendung finden,<br />

soweit es Ausdruck verfassungsimmanenter Schranken ist.<br />

2. Formelle Rechtmäßigkeit<br />

a) Zuständigkeit<br />

� siehe extra Übersicht<br />

(P): (ungeschriebene) Zuständigkeitsbeschränkungen<br />

In diesem Zusammenhang sind insb. zwei Problemkreise zu beachten:<br />

(1) Annexgedanke<br />

Der Annexgedanke geht davon aus, dass es eine von vornherein bestimmte<br />

Ordnungsbeh. gibt. Dann stellt sich die Frage, ob diese Ordnungsbeh. auch gegen die<br />

anderen Verwaltungsbehörden ordnungsrechtlich vorgehen kann.<br />

Dabei enthält der Annexgedanke 2 wesentliche Aussagen:<br />

- Materiell-rechtliche Aussage des Annexgedankens<br />

Jeder Hoheitsträger ist selbst an das OrdnungsR gebunden (Art. 20 III GG) und<br />

muss seine eigenen Maßnahmen bei der Wahrnehmung gefahrenabwehrrechtlicher<br />

Aufgaben am OrdnungsR messen lassen.<br />

- Formell-rechtliche Aussage des Annexgedankens<br />

Der jeweilige Hoheitsträger hat für seinen Funktionsbereich die<br />

eigenverantwortliche und primäre sachliche Zuständigkeit für ordnungsrechtliche<br />

Aufgaben. Dies hat zur Folge, dass die an sich zuständige Ordnungsbeh. in diesem<br />

Fall unzuständig wird (Grundsatz: „Keine Hoheitsgewalt gegen Hoheitsträger“).<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 3<br />

hemmer<br />

Nach a.A. soll nur die zwangsweise Durchsetzung einer an sich zulässigen<br />

Ordnungsvfg. gegen Hoheitsträger unzulässig sein (vgl. § 17 BundesVwVG).<br />

Hierzu lesen: VGH Kassel, NVwZ 2002, 889 ff. = L&L 2002, 701 ff.:<br />

Keine immissionsschutzrechtliche Verfügung (§§ 24, 22 BImSchG) gegen die<br />

Gemeinde als Betreiberin eines Schwimmbades.<br />

Das BVerwG hat die Entscheidung aufgehoben und an den VGH Kassel<br />

zurückverwiesen. Entgegen eines „vermeintlich dem Gesetz vorausliegenden …<br />

Verbots behördlicher Eingriffe in den Aufgabenbereich eines selbständigen<br />

Verwaltungsträgers“ erlaube § 24 i.V. mit § 22 BImSchG auch Anordnungen<br />

gegenüber Hoheitsträgern. Die VA-befugnis der Immissionsschutzbehörde ergebe<br />

sich aus ihrer besonderen Sachkunde (BVerwGE 117, 1 ff. = NVwZ 2003, 346 f. =<br />

L&L 2002, 791 f.; kritisch: Glöckner, NVwZ 2003, 1207 ff. Allgemein zur<br />

Polizeipflichtigkeit von Hoheitsträgern: Schoch, Jura 2005, 324 ff.)<br />

Achtung: In Hamburg besteht eine solche von vornherein bestimmte Ordnungsbeh.<br />

nicht. Aus § 3 I SOG ergibt sich vielmehr, dass jede Verw.beh. im Rahmen ihres<br />

Geschäftsbereichs gefahrenabwehrrechtlich zuständig ist. In Hamburg hat der<br />

Annexgedanke also gesetzlichen Niederschlag gefunden.<br />

(2) Subsidiaritätsklausel für den Schutz privater Rechte (§ 3 III SOG n.F.)<br />

Die „öff. Sicherheit“ als Schutzgut des allg. OrdnungsR erfasst auch den Schutz von<br />

IndividualRgütern und des geschriebenen Rechts. Sollen die Ordnungsbeh. jedoch<br />

ausschl. zum Schutz privater Rechte und Ansprüche handeln, fehlt also der „Öffentlichkeitsbezug“<br />

der Gefahr, so ist zu beachten, dass aufgrund der Gewaltenteilung hierfür<br />

grds. die ordentliche Gerichtsbarkeit und die zur Vollstreckung ihrer Entscheidungen<br />

zuständigen Organe (Gerichtsvollzieher, Vollstreckungsgericht) zuständig sind.<br />

Eine Ausnahme ergibt sich aus Art. 19 IV GG und dem Gebot der mat. Gerechtigkeit<br />

nur ausnahmsweise dann, wenn …<br />

� das geltend gemachte R glaubhaft ist,<br />

� gerichtliche Hilfe (Arrest, einstweilige Vfg) nicht rechtzeitig erlangt werden<br />

kann und<br />

� ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts<br />

vereitelt o. wesentlich erschwert wird.<br />

Eine weitere Ausnahme von der Subsidiaritätsklausel wird überwiegend anerkannt,<br />

wenn mit der Beeinträchtigung privater R die Verletzung von pönalisiertem<br />

Zivilunrecht (z.B. §§ 123, 170, 289 StGB) einhergeht.<br />

Grds. begründet eine bevorstehende Verletzung dieser Normen, die Teil der „öff.<br />

Sicherheit“ sind, die originäre Zuständigkeit der Ordnungsbehörden.<br />

� Nach e.A. untergräbt die so begründete Zuständigkeit jedoch den Gedanken<br />

der Gewaltenteilung. Für ziviles Unrecht, ob pönalisiert oder nicht, müssen<br />

grds. die ordentlichen Gerichte zuständig sein.<br />

� Nach h.M. ist eine Reduzierung einzelner Normen auf die ausschließliche<br />

Pönalisierung von Zivilunrecht unmöglich. Vielfach soll zusätzlich der allg.<br />

Rechtsfrieden gewahrt werden. Daher ist in diesen Fällen die Ordnungsbeh.<br />

unabhängig vom Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen originär<br />

zuständig.<br />

b) Verfahren und Form<br />

Es ergeben sich keine Besonderheiten.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 4<br />

hemmer<br />

3. Materielle Rechtmäßigkeit<br />

Im Folgenden wird nur auf die mat. Rm eine Vfg. aufgrund der Generalklausel des § 11 HSOG<br />

ausgegangen, da dies der häufigste Anwendungsfall im Examen ist.<br />

a) Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage, § 11 HSOG<br />

aa) Schutzgut: Öffentliche Sicherheit<br />

Die öff. Sicherheit i.S.d. Gefahrenabwehr ist die Unverletzlichkeit der …<br />

(1) Objektiven Rechtsordnung<br />

Umfasst ist die Einhaltung aller Gesetze, VO, Satzungen, die den Bürger zu einem<br />

bestimmten Verhalten verpflichten.<br />

Bei Normen des PrivatR sind die o.g. einschränkenden Zust.-vss. zu beachten.<br />

Wichtigster Anwendungsfall ist die Verletzung von Normen, die selbst keine VA-<br />

Befugnis beinhalten.<br />

(2) Subjektive Rechte und Individualgüter des einzelnen<br />

Werden diese Rgüter eines anderen durch einen Störer bedroht, ist die öff. Sicherheit<br />

betroffen (auch hier aber die einschränkenden Zust.-vorausetzungen beachten).<br />

(P): Selbstgefährdung<br />

In Fällen der Selbstgefährdung besteht ein Spannungsfeld zwischen dem<br />

SelbstbestimmungsR des einzelnen (Art. 2 I GG) und der aus Art. 2 II GG<br />

resultierenden Schutzpflicht des Staates.<br />

Dieser Konflikt ist im Einzelfall wie folgt zu lösen:<br />

- Bei der reinen Selbstgefährdung, die keine Gefahren für die Öffentlichkeit<br />

birgt, überwiegt Art. 2 I GG.<br />

- Liegt hingegen eine „Ausstrahlungswirkung“ der Selbstgefährdung auf die<br />

Öffentlk. vor, o. ist der Betroffene nicht im Zustand der freien Willensentschließung<br />

(vgl. § 13 I Nr. 1 SOG), so ist die öff. Sicherheit betroffen.<br />

- Im Falle des Selbstmordes überwiegt grds. die staatliche Schutzpfl., bzw. es<br />

kann immer von einem die freie Willensentschließung ausschließenden<br />

Zustand ausgegangen werden, so dass auch hier die öff. Sicherheit<br />

betroffen ist. (Kritisch: Herzberg, JZ 1988, 182 (188 f.))<br />

(P): Schutznormcharakter von § 3 I SOG<br />

Die Generalklausel dient auch dem Schutz der Rechtsgüter des einzelnen.<br />

Insoweit verleiht die Norm dem einzelnen ein subj. Recht, das bei Ermessensreduzierung<br />

auf Null einen Anspruch auf Einschreiten gewähren kann.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 5<br />

hemmer<br />

(3) Einrichtungen u. Veranstaltungen des Staates u. der sonstigen Träger<br />

hoheitlicher Gewalt<br />

Erfasst sind der Bestand und die Funktionsfähigkeit aller Rsubjekte des öff. Rechts,<br />

sowie deren Veranstaltungen, sowie staatliche, d.h. der Allg. zustehende<br />

Rechtsgüter, sowie die natürlichen Lebensgrundlagen.<br />

(P): Warnung vor Radarmessgeräten (vgl. OVG Münster, NJW 1997, 1596)<br />

Nach der Rspr. ist die öff. Sicherheit betroffen, da die verdeckte Messung eine<br />

Abschreckung über den einzelnen Fall der Messung hinaus bewirken soll.<br />

bb) Schutzgut: Öffentliche Ordnung<br />

Erfasst ist die Gesamtheit der i.R.d. verfassungsmäßigen Ordnung liegenden<br />

ungeschrie-benen Regeln, deren Beachtung nach der jew. herrschenden Anschauung als<br />

unerlässliche Voraussetzung für ein geordnetes staatsbürgerliches Zusammenleben<br />

betrachtet wird.<br />

Der teilweise an diesem Begriff geübten Kritik (zu unbestimmt, Verstoß gegen die<br />

Wesentlichkeitstheorie, Missachtung des Minderheitenschutzes, Zementierung moralischer<br />

Anschauungen) wird entgegengehalten, auch das GG benutze den Begriff (Art.<br />

13 VII, 35 II GG) und zudem sei eine verf.konforme Auslegung möglich. Auch in<br />

anderen Rechtsgebieten sind Generalklauseln als Auffangtatbestände üblich und<br />

notwendig.<br />

Beachte: Im Hinblick auf die fortschreitende Verrechtlichung verringert sich die<br />

Bedeutung der öff. Ordnung immer mehr. Daher sollte zunächst immer genau<br />

untersucht werden, ob die öff. Sicherheit betroffen ist.<br />

Neue Bedeutung hat nun aber die öff. Ordnung im Zusammenhang mit dem Verbot von<br />

Demonstrationen von rechtsradikalen Parteien insb. an Gedenktagen gemäß § 15 I<br />

VersammlG erhalten. Vgl. dazu: BVerfG, NJW 2001, 1409 f. = L&L 2001, 649 ff.; OVG<br />

Münster, NJW 2001, 1441 und als Reaktion des Gesetzgebers den neuen § 15 II VersG<br />

(seit 1.4.2005).<br />

cc) Konkrete Gefahr o. Störung<br />

(1) Konkrete Gefahr<br />

Gefahr ist ein Sachverhalt, der bei ungehindertem Geschehensablauf in absehbarer<br />

Zeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für eines der Schutzgüter<br />

führen könnte.<br />

Konkret ist die Gefahr (in Abgrenzung zur abstrakten Gefahr, die für eine VO gem.<br />

§ 1 I SOG notwendig ist), wenn sie sich aus einem konkreten SV ableiten lässt.<br />

(2) Störung<br />

Störung ist die realisierte Gefahr.<br />

(3) Gefahrenprognose<br />

Bei der Frage, ob eine Gefahr vorliegt, ist nach h.M. auf die ex-ante-Sicht eines<br />

gewissenhaften und besonnenen Amtswalters im Zeitpunkt des ordnungsrechtl.<br />

Handelns abzustellen.<br />

Bei dieser Betrachtung können sich folgende Konstellationen ergeben:<br />

- Liegt aus ex-ante-Sicht eine Gefahr vor, die sich aus ex-post-Sicht nicht<br />

bestätigt, so liegt dennoch eine echte Gefahr i.S.d. § 11 SOG vor (sog.<br />

Anscheinsgefahr).<br />

Beispiel: Spaziergänger mit (handzahmem) Löwen.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 6<br />

hemmer<br />

- Liegt hingegen nur nach pflichtwidriger ex-ante-Betrachtung eine Gefahr vor, so<br />

ist dies keine Gefahr i.S.d. § 11 SOG (sog. Schein- oder Putativgefahr).<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 7<br />

hemmer<br />

Sind der Beh. bestimmte Unsicherheiten bei der Sachverhaltsdiagnose ex-ante<br />

bewusst und ist ihr daher die Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit des<br />

Schadenseintritts erschwert, so spricht man von einem sog. Gefahrenverdacht.<br />

Dieser stellt eine echte Gefahr i.S.d. § 11 SOG dar, führt allerdings auf<br />

Rfolgenseite nur zur Zulässigkeit von Gefahrerforschungsmaßnahmen (s.u.).<br />

Zur Abgrenzung von abstrakter und konkreter Gefahr und zur abstrakten Gefahr:<br />

BVerwG, L&L 2003, 116 ff.<br />

b) Polizeipflichtigkeit<br />

Die im Folgenden erläuterten Normen des SOG finden nur Anwendung, soweit keine<br />

spezielleren Vorschriften ersichtlich sind (z.B. §§ 22, 24 BImSchG: Anlagenbetreiber).<br />

aa) Verhaltensverantwortlichkeit, § 6 SOG<br />

- Nach Abs. 1 ist jeder verantwortlich, der durch sein Verhalten eine Gefahr o. Störung<br />

verursacht (dazu unten) hat.<br />

Ein Unterlassen wird nur erfasst, soweit eine öff.-rechtl. Handlungspflicht besteht.<br />

- Abs. 2 und 3 regeln eine zusätzliche Verantwortlichkeit neben Abs. 1 für Aufsichtspflichtige,<br />

Betreuer und Geschäftsherrn.<br />

bb) Zustandsverantwortlichkeit, § 7 SOG<br />

- Anknüpfungspunkt kann das Eigentum oder die tatsächliche Sachherrschaft über<br />

eine Sache sein, die aufgrund ihrer Beschaffenheit selbst oder ihrer Lage im Raum<br />

eine Gefahr o. Störung verursacht (dazu unten).<br />

- (P): Verfassungsrechtliche Reduktion des § 7 SOG<br />

Die verschuldensunabhängige Zustandshaftung umfasst auch Gefahrenlagen, die<br />

durch Naturkatastrophen, höhere Gewalt, ungewöhnliche Ereignisse und das<br />

Verhalten Dritter entstanden sind.<br />

• Führt dies zu einer extremen Störung der Privatnützigkeit des Eigentums, so<br />

dass sich der Eigentümer in einer Art Opferposition befindet, soll nach e.A.<br />

durch eine verfassungskonforme Auslegung die Anwendbarkeit von § 7 SOG<br />

tatbestandlich ausgeschlossen sein, da dieser sonst eine verfassungswidrige<br />

Inhalts- u. Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 I 2 GG sei.<br />

• Nach a.A. soll eine verfassungskonforme Auslegung insoweit stattfinden,<br />

dass für den Zustandsverantwortlichen in diesen Fällen nur eine<br />

Duldungspflicht in Bezug auf die behördliche Maßnahmen besteht.<br />

• Nach h.M. ist keine verfassungskonforme Auslegung erforderlich. Eine<br />

Korrektur ist auf Seite der Verhältnismäßigkeit bzw. i.R.d. Ermessens<br />

möglich.<br />

Hierzu lesen: L&L 12/2000, S. 904!<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 8<br />

hemmer<br />

cc) (P): Begriff der Verursachung, § 6 I SOG<br />

Ein Rückgriff auf die Äquivalenztheorie würde zu weit gehen; eine Anwendung der<br />

Adäquanztheorie würde der besonderen Aufgabe des OrdnungsR nicht gerecht. Es werden<br />

daher 3 Ansätze vertreten:<br />

(1) Theorie der rw Verursachung<br />

Diese Lehre versagt dort, wo es keine Ge- oder Verbotsnormen gibt.<br />

(2) Theorie der Sozialadäquanz<br />

Die Forderung nach einem sozialinadäquaten Verhalten / Sachzustand führt zu<br />

einer zu großen Unbestimmtheit.<br />

(3) h.M.: Theorie der unmittelbaren Verursachung<br />

Nach dieser Theorie ist bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung der<br />

Umstände des Einzelfalls darauf abzustellen, ob ein Verhalten oder eine Sache die<br />

Gefahrengrenze überschreitet und damit die unmittelbare Ursache für den Eintritt<br />

der Gefahr setzt.<br />

Dabei sind 3 Sonderfälle zu beachten:<br />

• Rechtstreues Verhalten<br />

Ist ein bestimmtes Verhalten / Sachzustand ausdrücklich durch Rechtsnormen<br />

erlaubt, so kann dies keine ordnungsrechtl. Pflichtigkeit begründen (qui iure<br />

suo utitur, neminem laedit).<br />

• Zweckveranlasser<br />

Beinhaltet ein bestimmtes Verhalten bei wertender Betrachtung von Anfang<br />

an eine im Verhältnis zum Normalmaß erhöhte Gefahrentendenz, so kann<br />

auch eine nur mittelbare Verursachung nach h.M. zur Pflichtigkeit führen,<br />

wenn die Gefahr nach Sätzen der Erfahrung eine nahe liegende Folge und<br />

nicht lediglich atypische Konsequenz des Verhaltens ist (objektiver<br />

Wirkungs- und Verantwortungszusammenhang). Das unmittelbar<br />

störende Verhalten der Dritten wird dann dem Zweckveranlasser<br />

zugerechnet. Nach h.M. kommt es nicht auf die subjektive Einstellung des<br />

Zweckveranlassers zur Gefahr an. (Vgl. OVG Lüneburg, NVwZ 1988, 638 f.)<br />

Beispiel: Nackte Models im Schaufenster am Eppendorfer Weg verursachen<br />

durch Zuschauertraube ein Verkehrschaos. Der Geschäftsinhaber kann als<br />

Zweckveranlasser in Anspruch genommen werden, weil ihm als<br />

„Zweckveranlasser“ das störende Verhalten seiner Models zugerechnet wird.<br />

Beachte: Die Veranstalter von Großereignissen als Zweckveranlasser<br />

anzusehen, ist nach h.M. aufgrund der Art. 12, 14 GG nicht zulässig.<br />

• Latenter Störer<br />

Hier muss lediglich der Gedanke des Zweckveranlassers vom Verhaltensstörer auf<br />

den Zustandsstörer übertragen werden.<br />

Es muss eine erhöhte Gefahrentendenz durch die Sache oder ihrer Lage im Raum<br />

bestehen, so dass es lediglich absehbarer Umweltveränderungen bedarf, damit<br />

sich die angelegte Gefahrenneigung aktualisiert.<br />

Beispiele: Schweinemästerei-Fall, Ahnenbrühe-Fall (der sich heute nach dem<br />

BImSchG richten würde), Lösung heute über BauGB und BImSchG.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 9<br />

hemmer<br />

dd) Rechtsnachfolge in die Verantwortlichkeit<br />

(1) Differenzieren: Nachfolge in die Zustands- oder Verhaltensverantwortlichkeit,<br />

Nachfolge in die durch VA konkretisierte oder abstrakte Pflichtigkeit, Gesamt- (§ 4<br />

III 1 BBodSchG, § 20 UmwG, §§ 1922, 1967 BGB analog) oder rechtsgeschäftliche<br />

Einzelrechtsnachfolge.<br />

(2) Voraussetzungen: Zivilrechtliche Rechtsnachfolge, Übergangsfähigkeit<br />

(Vertretbarkeit) der Pflicht, Rechtsgrundlage für den Übergang.<br />

Im Übrigen wird bzgl. dieses komplexen Prüfungspunktes auf die Ausführungen in<br />

Schlömer/Sperl/Hombert, VerwR BT Band I, 4. Aufl., S. 84 ff. verwiesen.<br />

(3) Zur Sanierungspflicht des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers einer<br />

schädlichen Bodenveränderung nach § 4 III 1 Var. 2 BBodSchG von 1999 und dem<br />

Problem der Rückwirkung siehe überwiegend zustimmende Besprechungen des<br />

Urteils des BVerwG vom 16.3.2006 von Durner in: JA 2006, 910 ff. und<br />

Hünnekens/Arnold, NJW 2006, 3388 ff.; kritisch dagegen: Ossenbühl in JZ 2006,<br />

1128 f., der insbesondere die Frage aufwirft, ob durch die analoge Anwendung der<br />

§§ 1922, 1967 BGB nicht der Gesetzesvorbehalt umgangen wird.<br />

Leitsatz 1: „Die Bestimmungen des BBodSchG über die Sanierungspflicht des<br />

Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers einer schädlichen Bodenveränderung<br />

beanspruchen auch für die Zeit vor dessen Inkrafttreten Geltung.“<br />

Leitsatz 2: „Die Sanierungspflicht des Gesamtrechtsnachfolgers des Verursachers<br />

verstößt nicht gegen das grundsätzliche Verbot der Rückwirkung von Gesetzen.<br />

Sie ist normativer Ausdruck eines seit langem anerkannten Grundsatzes des<br />

Verwaltungsrechts, wonach öffentlich-rechtliche Pflichten auf den<br />

Gesamtrechtsnachfolger übergehen.“<br />

ee) Inanspruchnahme des Nichtstörers, § 9 SOG<br />

- Unmittelbar bevorstehende Gefahr<br />

Sachlage, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat o. unmittelbar o.<br />

in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.<br />

- Unmöglichkeit anderweitiger Gefahrenabwehr<br />

Es darf weder ein Störer i.S.d. §§ 6,7 SOG Erfolg versprechend in Anspruch<br />

genommen werden können, noch darf die Behörde selbst (evtl. durch Dritte) zur<br />

effektiven Gefahrenabwehr in der Lage sein.<br />

- Einhaltung der Opfergrenze<br />

Inanspruchnahme des Nichtstörers darf nicht dazu führen, dass dieser selbst erheblich<br />

gefährdet wird o. andere überwiegende Pflichten nicht wahrnehmen kann.<br />

ff) Anscheinsstörer und Gefahrenverdachtsstörer<br />

Die Frage, ob und wann das Vorliegen einer Anscheinsgefahr o. eines Gefahrenverdachts<br />

auch zu einer Polizeipflichtigkeit führt, ist umstr.:<br />

- e.A.: Verantwortlichkeit gem. §§ 6,7 SOG nur, wenn die betreffende Person den<br />

Anschein der Gefahr bzw. den Gefahrenverdacht bei ex-post-Betrachtung zurechenbar<br />

gesetzt hat. Ansonsten ist Inanspruchnahme nur über § 10 SOG möglich.<br />

- h.M.: I.R. einer effektiven Gefahrenabwehr ist auf der Primärebene allein auf die exante-Sicht<br />

abzustellen und somit auch der Anscheins- u. Gefahrenverdachtsstörer<br />

Pflichtiger i.S.d. §§ 6,7 SOG.<br />

c) Bestimmtheit, Möglichkeit, Verhältnismäßigkeit<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 10<br />

hemmer<br />

- Bestimmtheit<br />

Der Tenor der Vfg. muss so gefasst sein, dass der Adressat weiß, welches Tun, Dulden<br />

oder Unterlassen von ihm verlangt wird (vgl. § 37 I VwVfG).<br />

- Möglichkeit<br />

Bei tatsächlicher Unmöglichkeit ist der VA gem. § 44 II Nr. 4 VwVfG nichtig.<br />

Bei rechtl. Unmöglichkeit ist zu beachten, dass ein privatrechtl. Hindernis (z.B. es ist<br />

keine Abrissvfg. an Miteigentümer ergangen) nicht zur Nichtigkeit führt, da es durch<br />

eine sog. Duldungsvfg. beseitigt werden kann. Bis dahin besteht nach h.M. lediglich ein<br />

Vollstreckungshindernis.<br />

- Verhältnismäßigkeit<br />

Das Vhm.-prinzip ist im HSOG einfachgesetzlich niedergelegt. Die Prüfung wird<br />

häufig Schwerpunkt der Klausur sein, insb. können hier Grundrechte des Adressaten zu<br />

prüfen sein.<br />

Beachte: Die Verhältnismäßigkeit kann auch i.R.d. Ermessen geprüft werden. Liegt<br />

allerdings eine gebundene Entscheidung vor, so muss die Verhältnismäßigkeit, wie hier,<br />

als gesonderter Prüfungspunkt unbedingt erscheinen!<br />

d) Ermessen<br />

aa) Entschließungsermessen<br />

Hier geht es um das „Ob“ des behördlichen Einschreitens.<br />

Bei drittschützenden Normen kann sich bei Ermessensreduzierung auf Null auch ein<br />

Anspruch auf Einschreiten ergeben.<br />

bb) Auswahlermessen<br />

Das Auswahlermessen besteht in zweierlei Hinsicht:<br />

- Auswahl der Maßnahme<br />

Hier ist hauptsächlich die Verhältnismäßigkeit zu beachten.<br />

(P): Gefahrerforschungsmaßnahmen<br />

I.R.d. Gefahrenverdachts sind – mit Ausnahme des Aufenthaltsverbots nach<br />

Str. ist hier, ob dem Gefahrenverdachtsstörer die Vornahme dieser Gefahrerforschungsmaßnahmen<br />

auferlegt werden kann (MM, geregelt nur für den Fall des<br />

§ 9 II BBodSchG), oder ob die Maßnahme von der Behörde selbst<br />

durchzuführen ist und der potentiell Verantwortliche nur zur Duldung der<br />

Untersuchungsmaßnahmen verpflichtet werden kann (h.M., arg. ex § 24 VwVfG<br />

– Amtsermittlungsgrundsatz).<br />

- Auswahl des Störers<br />

Bei mehreren Störern kann die Beh. auch nur einen Störer in Anspr. nehmen.<br />

Die Auswahl hat sich an einer effektiven Gefahrenabwehr und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />

zu orientieren. Maßgebliche Kriterien sind dabei:<br />

� Gefahrennähe des Störers<br />

� Sachkenntnis des Störers<br />

� Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Störers<br />

Zur Frage, inwieweit die zivilrechtliche Letztverantwortlichkeit bei der öffentlichrechtlichen<br />

Störerauswahl zu berücksichtigen ist: VGH München, L&L 2001, 589 ff.<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 11<br />

hemmer<br />

EXKURS: Voraussetzungen eines Verbots nach § 15 I VersG<br />

Problem: Rechtsextremistische Demonstrationen mit spezifischer Provokationswirkung<br />

- wegen Tagen mit besonderer Symbolkraft<br />

- wegen einschüchternder Wirkung/<br />

militärähnlichem Auftreten<br />

als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung?<br />

27.01. = Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz<br />

30.01. = Machtergreifung Hitlers<br />

20.04. = Geburtstag Hitlers<br />

07.05. = Unterzeichnung der deutschen Kapitulation<br />

(bis 09.05.)<br />

09.11. = Reichspogromnacht<br />

I. OVG Münster, JuS 2001, 1118 1<br />

Aufgrund einer verfassungsimmanenten Beschränkung können Versammlungen wegen<br />

Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung gem. § 15 I VersG verboten werden, die durch ein<br />

Bekenntnis zum Neonationalismus geprägt sind, ohne dass zugleich ein Straftatbestand erfüllt<br />

ist.<br />

Ob es sich um einen Tag mit besonderer Symbolkraft handelt, ist nicht entscheidend, weil von<br />

Versammlungen mit Neonazis immer eine spezifische Provokationswirkung ausgeht.<br />

II. BVerfG, JuS 2001, 911; 1116 = L&L 2001, 649<br />

Das öffentliche Auftreten neonazistischer Gruppen und das Verbreiten entsprechenden<br />

Gedankenguts steht in öffentlichen Versammlungen unter dem Schutz des GG, soweit die<br />

Strafbarkeitsschwelle nicht überschritten wird (dann Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit)<br />

� Verbot (-), nur Auflage möglich.<br />

III. Der neue § 15 II VersG (seit 1.4.2005)<br />

Eine Versammlung oder ein Aufzug kann insbesondere verboten oder von bestimmten Auflagen<br />

abhängig gemacht werden, wenn:<br />

1. die Versammlung an einem Ort stattfindet, der als Gedenkstätte von historisch<br />

herausragender, überregionaler Bedeutung an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung<br />

unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnert (Versammlungsort),<br />

und<br />

2. … nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung konkret feststellbaren Umständen zu<br />

besorgen ist, dass durch die Versammlung die Würde der Opfer beeinträchtigt wird<br />

(Versammlungswirkung). 2<br />

Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin ist ein Ort nach Satz 1 Nr. 1. Andere<br />

Orte nach Satz 1 Nr. 1 werden durch Landesgesetz bestimmt.<br />

→ Schutz des Achtungsanspruchs der heute lebenden Juden und der persönlichen Ehre nach Art.<br />

5 II GG<br />

1<br />

Aufgehoben durch BVerfG NJW 2001, 2069.<br />

2<br />

Ob der neue § 15 II VersG wirklich eine Erweiterung des bisherigen Verbotstatbestandes darstellt, erscheint<br />

fraglich, siehe Stohrer, JuS 2006, 15 (17).<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich


<strong>Juristisches</strong> <strong>Repetitorium</strong> Seite 12<br />

hemmer<br />

Bitte beachten, dass Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung ihre<br />

Rechtfertigung ausschließlich in den in Art. 5 II GG aufgeführten Schranken finden, auch dann,<br />

wenn die Äußerung in einer Versammlung erfolgt.<br />

IV. Poscher, NJW 2005, 1316 ff.:<br />

Für andere Gedenkorte als das Denkmal für die ermordeten Juden Europas muss ein ähnlich<br />

enger Zusammenhang zwischen dem Achtungsanspruch und der persönlichen Ehre der<br />

Opfer bestehen. Die Orte müssen dem Achtungsanspruch der Opfer gewidmet sein. Soweit sie<br />

als Gedenkorte gewidmet sind, können dies etwa Standorte ehemaliger Konzentrationslager sein.<br />

V. Subsidiärer Rückgriff auf § 15 I VersG<br />

1. (+), da § 15 II nicht abschließend („insbesondere“) und nur ein Fall der öffentlichen Sicherheit<br />

(Grundrechte Dritter) normiert wird, vgl. Stohrer, JuS 2006, 15-17; Lembke, JuS 2005, 1081<br />

2. (-), da Gesetzgeber nur eine Fallgruppe der öffentlichen Ordnung geregelt hat und<br />

Beschränkung des Schutzes auf Orte von herausragender und überregionaler Bedeutung (z.B.<br />

nicht: KZ Wöbbelin bei Schwerin), vgl. Leist, NVwZ 2005, 500 (502 f.)<br />

2007 © RA Dr. P.Hammerich

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!