Ich mit anderen für mich. - Fachstelle Alter - Nordkirche
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C 21134 Januar/Februar 2010 1/2<br />
FORUM FÜR KIRCHLICHE ZEITFRAGEN IN HAMBURG UND SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />
NORDELBISCHE<br />
STIMMEN<br />
Den Wandel zukunftsfähig gestalten<br />
Mit dem Trend wachsen Seite 4<br />
Die Gemeinden werden älter - was nun? Seite 9<br />
Vernetzung in der Seniorenarbeit Seite 25<br />
Tandem - Seniorenbegleitung Seite 34
Fotostudio<br />
Nordbild GmbH<br />
Christian W. Eggers<br />
Gartenstraße 20<br />
24103 Kiel<br />
Reportagen<br />
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Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
„Den Wandel zukunftsfähig gestalten. Herausforderungen<br />
an die Arbeit <strong>mit</strong> älter werden<br />
Menschen“ ist das Schwerpunktthema<br />
der ersten Ausgabe<br />
der Nordelbischen<br />
Stimmen im neuen<br />
Jahr. Petra Müller,<br />
neue Fachreferentin<br />
<strong>für</strong> Seniorenarbeit<br />
und Beauftragte der<br />
Nordelbischen<br />
Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong><br />
<strong>Alter</strong>“, die an<br />
den Kirchlichen<br />
Dienst in der Arbeitswelt<br />
(KDA) in Kiel angegliedert ist, gab zu<br />
diesem Themenheft die Initiative, stellte die<br />
meisten Autorenkontakte her und unterzog<br />
sich der Mühe, die Texte zu redigieren.<br />
Da<strong>für</strong> gebührt ihr der Dank der Redaktion.<br />
Aber - so denke ich - auch der Dank unserer<br />
Leserinnen und Leser, zumeist Pastorinnen<br />
und Pastoren ist ihr gewiss. Denn diese<br />
Ausgabe der Nordelbischen Stimmen<br />
stellt ein umfangreiches Servicepaket zu ge-<br />
EDITORIAL<br />
genwärtigen Chancen der Seniorenarbeit<br />
dar.<br />
Setzte man vor Jahren überwiegend auf die<br />
Arbeit <strong>mit</strong> jungen Erwachsenen und wurde<br />
die Seniorenarbeit mehr nebenbei und als<br />
Betreuungsangebot <strong>mit</strong> Diashows und geselligen<br />
Veranstaltungen <strong>für</strong> die über 70-<br />
Jährigen, in der Mehrzahl Witwen, wahrgenommen,<br />
setzen die jetzigen Akteure auf<br />
den Trend des Älterwerdens der Gesellschaft<br />
unter Berücksichtigung des Wandels<br />
der Lebensformen der „Silver Ager“.<br />
So hoffe ich, dass Sie interessante Anregungen<br />
<strong>für</strong> die Seniorenarbeit in der eigenen<br />
Gemeinde finden.<br />
Ihr<br />
Rainer Thun<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
1
JANUAR/FEBRUAR 2010<br />
1 Editorial<br />
Rainer Thun<br />
4 Mit dem Trend wachsen<br />
Petra Müller<br />
9 Die Gemeinden werden älter - was nun?<br />
Monika Bauer<br />
14 Neue Lernformen im nachberuflichen Leben<br />
Karin Nell<br />
18 50plus/Seniorenarbeit<br />
Petra Müller<br />
22 Innovative Seniorenarbeit als Angebot<br />
in fünf Kirchengemeinden<br />
UIlrike Lindemann-Tauscher<br />
25 Vernetzung in der Seniorenarbeit<br />
Ute Zeißler<br />
28 Das LotsenBüro<br />
Ute Zeißler<br />
31 Besuche - Unterbrechungen des Alltags<br />
Claudia Putz<br />
34 Tandem-Seniorenbegleitung<br />
Stefan März<br />
38 Biografiewerkstatt<br />
Friederike Waack<br />
41 Vor dem Meister kommt die Übung<br />
Kerstin Weber-Spethmann<br />
43 Generationenübergreifende Angebote in der Altenarbeit<br />
Monika Höring<br />
2 NORDELBISCHE STIMMEN
48 Konferenz Offene Altenarbeit<br />
Kirsten Sonnenburg<br />
50 Jobpaten: Neue Wege in der Seniorenarbeit<br />
Angelika Schmidt<br />
53 Wenn Erfahrungen Netze knüpfen<br />
Angelika Wiesel<br />
56 Der Age Explorer<br />
Hanne Meyer-Hentschel<br />
60 Theologische Kolumne: Wer leitet die Gemeinde?<br />
62 Die letzte Seite<br />
Titelbild:<br />
Die Senioren Christine Huetter und<br />
Norbert Winkler hören eine Vorlesung<br />
zur Baugeschichte Berlins an der<br />
Universität Dresden.<br />
Foto: ddp<br />
JANUAR/FEBRUAR 2010<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
Evangelischer<br />
Presseverband Nord e. V.,<br />
Gartenstr. 20, 24103 Kiel<br />
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Evangelischer<br />
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Geschäftsführer: Bodo Elsner<br />
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Rainer Thun (ViSdP)<br />
Bildredaktion:<br />
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ISSN 0938-3697<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
3
SENIORINNENARBEIT<br />
Mit dem Trend wachsen…<br />
Notwendige Veränderungen in der kirchlichen Arbeit<br />
<strong>mit</strong> älter werdenden Menschen<br />
PETRA MÜLLER<br />
Petra Müller, Diplompädagogin in Erwachsenenbildung<br />
und Evangelischer Theologie,<br />
ist seit 2009 Beauftragte der Nordelbischen<br />
Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong> <strong>Alter</strong>“ in<br />
Kiel. Davor war sie acht Jahre Studienleiterin<br />
und Dozentin <strong>für</strong> Gemeindepädagogik<br />
am Pädagogisch-Theologischen Institut<br />
der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen und<br />
Landeskirchliche Beauftragte <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />
der Gemeindepädagoginnen<br />
und Gemeindepädagogen.<br />
Wachsen gegen den Trend<br />
Nicht nur Wirtschaft und Politik setzen auf<br />
Wachstum, nein auch die Kirche. Der Reformprozess<br />
der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />
(EKD), der im Jahr 2006 durch das Impulspapier<br />
„Kirche der Freiheit“ angestoßen<br />
4 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
wurde, beruht auf dem Konzept, trotz der demographischen<br />
Entwicklung „gegen den Trend<br />
wachsen zu wollen“ 1 . Seit dem Zukunftskongress<br />
2007 in Wittenberg wird der Reformprozess<br />
unter dem Titel „Kirche im Aufbruch“ vorangebracht.<br />
Die Zukunftswerkstatt in Kassel im September<br />
2009 markiert eine weitere Station auf<br />
diesem Weg.<br />
Die Kirche altert schneller<br />
Die demographischen Fakten sind bekannt<br />
und werden <strong>mit</strong> dem sog. „Vierfachen <strong>Alter</strong>n“<br />
beschrieben: Es gibt 1. immer mehr Ältere, die 2.<br />
immer älter werden, die 3. immer früher alt gemacht<br />
werden (frühe Entberuflichung) und denen<br />
4. immer weniger Jüngere gegenüberstehen.<br />
Unsere Lebenserwartung hat sich in den vergangenen<br />
100 Jahren fast verdoppelt. Die Menschen<br />
werden so alt wie niemals zuvor - und das bei<br />
besserer körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit.<br />
Wer das Berufsleben verlässt, hat oft<br />
nicht mehr nur noch wenige Jahre vor sich, sondern<br />
bis zu einem Drittel seines Lebens. Verschärfen<br />
tut sich die Lage aber dadurch, dass immer<br />
weniger Kinder geboren werden. Allen reichen<br />
Gesellschaften ist dieses Phänomen gemein.<br />
Im Jahr 2050 wird unsere Bevölkerung von<br />
jetzt 82 Millionen auf 70 Millionen geschrumpft<br />
sein. Der derzeitige Anteil der über 60-Jährigen<br />
an der Gesamtbevölkerung wird von jetzt 23 Prozent<br />
auf dann 38 Prozent anwachsen.<br />
Schon jetzt sind die Kirchen<strong>mit</strong>glieder um<br />
einige Jahre älter als die Bevölkerung. Die Kirchen<br />
werden daher noch schneller als die Gesellschaft<br />
altern bzw. „unterjüngen“. Die Prognose<br />
der „Kirche der Freiheit“ ist, dass die Mitgliederzahlen<br />
bis zum Jahr 2030 um ein Drittel<br />
zurückgehen werden. Das Durchschnittsalter
Die <strong>Alter</strong>spyramide steht Kopf. 1. Bild: Zeichnung <strong>Alter</strong>spyramide. 2. Bild: Kinder, die die <strong>Alter</strong>spyramide<br />
2030 bauen. Die Pyramide steht Kopf. Wie kann sie abgestützt werden? Quelle:<br />
www.wissenschaft-im-dialog.de Foto: Ilja Hendel ( WiD)<br />
der Kirchen<strong>mit</strong>glieder wird in den westdeutschen<br />
Landeskirchen von 44 auf 50 Jahre anwachsen,<br />
in den östlichen Landeskirchen sogar<br />
auf 55 Jahre. Der relative Anteil der über 60-ährigen<br />
wird sich von jetzt 31,3 Prozent auf 41,5 Prozent<br />
erhöhen – <strong>mit</strong> „entsprechenden Konsequenzen<br />
<strong>für</strong> die Schwerpunkte kirchlicher Arbeit“.<br />
2<br />
Konsequenzen <strong>für</strong> die Schwerpunkte<br />
kirchlicher Arbeit<br />
Für <strong>mich</strong> klingt das sehr logisch: Wenn die Bevölkerungspyramide<br />
Kopf steht, wenn die Lebenserwartung<br />
steigt, wenn der Anteil der älter werdenden<br />
Menschen an der Gesamtbevölkerung zunimmt,<br />
wenn die Lebensphase <strong>Alter</strong> sich ausdifferenziert<br />
und sehr vielgestaltig ist, dann muss das<br />
auch zu einer Veränderung in der Prioritätensetzung<br />
kirchlicher Arbeit führen, und zwar dahingehend,<br />
dass sie der faktischen <strong>Alter</strong>sstruktur entspricht,<br />
der sich wandelnden Lebensphase des <strong>Alter</strong>s<br />
gerecht wird und die sich verändernden Lebenswelten<br />
der Menschen in den Blick nimmt.<br />
Die „Kirche der Freiheit“ kommt, so wie ich<br />
sie lese und verstehe, zu einer <strong>anderen</strong> Schluss -<br />
folgerung. Sie möchte „gegen den Trend wachsen“.<br />
Durch qualitätsvolle Gottesdienste und Kernangebote,<br />
durch anlassbezogene Gelegenheiten und<br />
vor allem auch über eine von unten sich aufbauende<br />
religiöse Sozialisation und Bildung von Kindern<br />
und Jugendlichen will sie zusätzlich neue,<br />
möglichst jüngere Kirchen<strong>mit</strong>glieder gewinnen.<br />
Beschäftigt man sich <strong>mit</strong> dem 7. Leuchtfeuer, in<br />
dem es um Bildungsarbeit geht, dann wird man<br />
schnell feststellen, dass Bildung hier bei den Studierenden<br />
endet. Weder von Erwachsenenbildung<br />
ist die Rede, geschweige denn von <strong>Alter</strong>s- oder Altenbildung.<br />
Und bei der Errichtung von sog. Kompetenzzentren<br />
geht das <strong>Alter</strong> auch leer aus.<br />
Doch ich nehme die „Kirche der Freiheit“<br />
ernst: Der demographische Wandel muss auch<br />
Konsequenzen in den Schwerpunkten kirchlicher<br />
Arbeit finden. Die Arbeit <strong>mit</strong> älter werdenden und<br />
alten Menschen ist eine verheißungsvolle Aufgabe.<br />
Wenn die Kirche in diesen Bereich investiert,<br />
wenn sie kreativ und stark wird, dann muss sie<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
5
nicht gegen den unaufhaltsamen Trend der Demographie<br />
wachsen, sondern dann wird sie <strong>mit</strong><br />
dem Trend wachsen. Das Älter- und Altwerden<br />
ist ein Geschenk, das gestaltet werden will und<br />
das auf konstruktive Antworten auch von der<br />
Kirche wartet.<br />
Die Notwendigkeit wird gesehen<br />
Dass sich an der Lebensphase <strong>Alter</strong> etwas fundamental<br />
geändert hat, so dass „der Lebenskalender<br />
neu geschrieben werden muss“ 3 und dass es<br />
dadurch eine neue Generation von älter werdenden<br />
Menschen gibt, die sog. „fitten Alten“, – das ist<br />
auch in den Kirchen und Gemeinden angekommen.<br />
Die bisherigen Angebote <strong>für</strong> Seniorinnen und<br />
Senioren sind sich oft relativ ähnlich und in ihrer<br />
Differenziertheit überschaubar. Es gibt den klassischen<br />
Seniorenkreis, der <strong>mit</strong>tlerweile gealtert ist,<br />
kaum Nachwuchs hat, oft ehrenamtlich geleitet<br />
wird und überwiegend passiver Natur ist – <strong>mit</strong> Kaffee,<br />
Kuchen, Dias (KKD). Darüber hinaus gibt es<br />
vielleicht noch - oder schon - gute Ergänzungen<br />
wie den einen oder <strong>anderen</strong> Ausflug oder „Urlaub<br />
ohne Koffer“, das Angebot der Leihoma, einen Mittagstisch<br />
etc.<br />
Auf jeden Fall spüren viele sehr deutlich, dass<br />
zu dieser langen und guten Tradition des Seniorenkreises,<br />
der auch weiterhin seine Berechtigung<br />
haben wird, jetzt aber dringend anderes hinzutreten<br />
muss. Nur was? Und wie gewinnt man<br />
heute diese „jungen Alten“, die anscheinend, wie<br />
6 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
wir meinen, gerne verreisen, aktiv sind, Geld auf<br />
der hohen Kante haben, ihren eigenen Interessen<br />
nachgehen und <strong>für</strong> die Kirche so schwer erreichbar<br />
zu sein scheinen? Erste Ideen bekommt man,<br />
wenn man sich selber einmal fragt, welche Angebote<br />
man in der Gemeinde nutzen und von der<br />
Kirche erwarten würde, wenn man selber zu dieser<br />
Zielgruppe gehören wird. Oft steige ich in<br />
Gruppen, die sich <strong>mit</strong> diesem Thema beschäftigen,<br />
<strong>mit</strong> dieser Frage ein und bin jedes Mal positiv erstaunt<br />
und überrascht, welche Kreativität da zu<br />
Tage tritt. Die Standardangebote unserer Gemeinden<br />
sind da höchstens in Ausnahmefällen dabei.<br />
Und die Studie des Sozialwissenschaftlichen Institutes<br />
der EKD (SI), die untersucht hat, welche <strong>Alter</strong>sbilder<br />
in der parochialen Gemeindearbeit vorherrschen<br />
und zukünftig leitend sein werden,<br />
kommt über eine andere Fragestellung zu einem<br />
ähnlichen Ergebnis. Auf die Frage, welche gegenwärtigen<br />
Gemeindeangebote man als Seniorin<br />
oder als Senior gerne selber in Anspruch nehmen<br />
würde, kommt heraus, „dass Pastorinnen und Pastoren<br />
keines ihrer Angebote selber gerne nutzen<br />
würden. Die Angebote richten sich an die ‚wenig<br />
fitten’ Alten, zu denen man sich selbst nicht rechnen<br />
möchte“ 4 .<br />
Erst nachdenken, dann handeln<br />
Wie kann man das Wollen nun auch vollbringen?<br />
Meine Erfahrung ist, dass es nicht ausreicht,<br />
sich irgendwelche neuen Angebote aus-
zudenken, von denen man meint, sie könnten<br />
die „jungen Alten“ ansprechen. Das wäre zu<br />
schnell und zu kurz gegriffen. Die Schnittstelle<br />
zwischen Wollen und Vollbringen scheint mir<br />
ein sehr sensibler Punkt zu sein, an dem sich unser<br />
Gemeinde- und Rollenbild, aber auch unsere<br />
eigenen <strong>Alter</strong>sbilder treffen. Zuallererst gilt es,<br />
sich dieser Bilder, Einstellungen und Grundkonzepte<br />
bewusst zu werden. Denn sie leiten uns<br />
auch unbewusst in unserem Handeln und hindern<br />
uns oft daran, Erkanntes dann auch umzusetzen.<br />
Denn:<br />
• Wenn ich <strong>mich</strong> als Pastorin oder als Pastor<br />
zutiefst <strong>für</strong> die Versorgung aller Gemeindeglieder<br />
verantwortlich fühle, ich <strong>mich</strong> in<br />
meinem Beruf <strong>für</strong> eine/n Generalistin/en halte,<br />
die/der alles machen muss und allen gerecht<br />
werden muss, dann werde ich die „fitten<br />
Alten“ als eine Zielgruppe empfinden, die<br />
mir nun auch noch aufgedrückt wird und die<br />
es eher vielleicht doch nicht nötig hat, von<br />
der Kirche versorgt zu werden, weil sie doch<br />
noch so fit sind.<br />
• Wenn mein Rollenbild vorwiegend von Fürsorge<br />
und Betreuung geprägt ist, von dem<br />
sich Kümmern um die Mühseligen und Beladenen,<br />
dann werde ich auch Probleme <strong>mit</strong><br />
den „fitten Alten“ haben – und die <strong>mit</strong> mir.<br />
• Wenn ich als Diakon oder Gemeindepädagogin<br />
<strong>mit</strong> meiner Dienstanweisung festgelegt<br />
bin auf die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit,<br />
dann habe ich es auch schwer, den jungen<br />
Alten gemeindepädagogische Räume zu<br />
eröffnen und zu schaffen.<br />
• Wenn ich darunter leide, dass sich Ehrenamtliche<br />
neuerdings so schwer <strong>für</strong> eine kontinuierliche<br />
Mitarbeit gewinnen lassen, dann<br />
werde ich nicht fähig sein, älter werdenden<br />
Menschen selbstbestimmte Engagementmöglichkeiten<br />
zu schaffen und zu ver<strong>mit</strong>teln.<br />
Ein Gesamtkonzept muss her<br />
Es gelingt also nicht, wenn wir den traditionellen<br />
Gemeindegruppen, wie Kindertreff, Jugendgruppe,<br />
Frauenkreis, Männertreff und Seniorenkreis,<br />
einfach einen „Kreis“ <strong>für</strong> die neue<br />
Gruppe der jungen Alten hinzufügen. Noch immer<br />
wird zu sehr von „Kreisen“ her gedacht, die<br />
die Kirche <strong>für</strong> eine Zielgruppe anbietet. Vielmehr<br />
SENIORENARBEIT<br />
gilt es, auch von den Menschen her zu denken<br />
und vor allem, vor den Angeboten zuerst ein<br />
Konzept zu entwickeln. Jedes Konzept beginnt<br />
<strong>mit</strong> einer fundierten Analyse. <strong>Ich</strong> könnte z.B.<br />
aufmerksam die <strong>Alter</strong>sstatistik meiner Gemeinde<br />
lesen. Was sagt sie mir über eine mögliche<br />
Schwerpunktbildung in der Gemeindearbeit. <strong>Ich</strong><br />
könnte mir – in diesem Fall jetzt wären es die<br />
Menschen ab 55 – eine bestimmte <strong>Alter</strong>sgruppe<br />
anschauen und nach deren Bedürfnissen und<br />
Einstellungen fragen. <strong>Ich</strong> könnte... Was will, was<br />
muss ich wissen und herausbekommen, da<strong>mit</strong><br />
ich ein fundiertes Konzept entwerfen kann? Die<br />
aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse werden<br />
<strong>mich</strong> zu meinem Konzept führen, dem ich<br />
dann in einzelnen konkreten Umsetzungsschritten<br />
Fleisch und Blut geben werde. Gehe ich so<br />
vor, dann mache ich etwas, weil… und biete<br />
nicht einfach nur einen neuen Kreis an und wundere<br />
<strong>mich</strong> vielleicht, dass dieser so schlecht angenommen<br />
wird.<br />
Wachsen <strong>mit</strong> den älter Werdenden –<br />
das wäre ein Konzept und vielleicht auch<br />
ein Trend<br />
Nur einmal angenommen, es käme beim Interpretieren<br />
Ihrer Gemeindestatistik heraus, dass<br />
zu Ihrer Gemeinde ein erheblicher Anteil älter<br />
werdender Menschen gehört. Wie geht es Ihnen<br />
da<strong>mit</strong>? Wie reagieren Sie auf diese Sachlage?<br />
Oder ganz unabhängig von der Realität einfach<br />
einmal ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor,<br />
wie es wäre, erhebliche Ressourcen in der Gemeindearbeit<br />
auf die Arbeit <strong>mit</strong> Seniorinnen und<br />
Senioren zu verwenden.<br />
<strong>Ich</strong> habe in den vergangenen Jahren vielfach<br />
die Erfahrung gemacht, dass sich Kirche, Gemeinde<br />
und ihre Mitarbeitenden das fast nicht<br />
vorstellen können und wollen. Ein durchgängiges<br />
Argument dabei ist, dass man doch verstärkt<br />
in die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit investieren<br />
müsse. Die eben schon angeführte Studie<br />
des SI kommt zu einem noch drastischeren Ergebnis:<br />
„Eine ‚Horrorvision’ wäre dies. Die Kirche<br />
würde kaputt gehen. (…) Das Spezifikum<br />
von Kirche sei generationenübergreifendes Arbeiten,<br />
und eine solche Ressourcenkonzentration sei<br />
nicht fair und zu einseitig.“ 5 Und Prof. Dr. Gerhard<br />
Wegner, Direktor des SI, führt an anderer Stelle<br />
aus6 , dass Pastorinnen und Pastoren durchgän-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
7
SENIORINNENARBEIT<br />
gig davon überzeugt seien, dass man über die Kinder<br />
und Familien als Gemeinde wachsen könne.<br />
Die Möglichkeit, an Wachstum und Gemeindeaufbau<br />
<strong>mit</strong> und über die Älteren zu denken, fehlt völlig.<br />
An dieser Stelle ist anzusetzen. Eine der faktischen<br />
<strong>Alter</strong>struktur angepasste Prioritätensetzung<br />
schließt ein generationenvernetzendes Handeln<br />
nicht aus, vielmehr wäre es Teil eines gemeindepädagogischen<br />
Konzeptes.<br />
Der entscheidende Punkt aber dieses Dilemmas<br />
ist, dass die Kirche <strong>mit</strong> den älter werdenden<br />
Menschen erst dann wachsen kann, wenn das<br />
Konzept und Bild einer ausschließlich durch eine<br />
durch Generationennachfolge wachsende Gemeinde<br />
überwunden wird. Nicole Piroth arbeitet<br />
in ihrer empirischen Studie 7 hervorragend die oft<br />
neuen Zugangswege (älter werdender) Erwachsener<br />
zu Kirche und Gemeinde heraus. Sie findet<br />
fünf verschiedene „Nutzungstypen“. Ein häufiger<br />
Zugang erfolgt in biographischen Umbruchsituationen<br />
und bei Lebenswenden. Die Lebensphase<br />
<strong>Alter</strong> bietet sehr viele solcher Situationen. Sie plädiert<br />
<strong>für</strong> eine „Gemeindepädagogik der immer<br />
neuen Anfänge“ – vor allem auch im Erwachsenenalter<br />
– und erklärt das Modell des kontinuierlichen<br />
Hineinwachsens als <strong>für</strong> schon lange überholt.<br />
8 Zu dieser „Gemeindepädagogik der immer<br />
neuen Anfänge“ gesellt sich die druckfrische Orientierungshilfe<br />
des Rates der EKD <strong>mit</strong> dem Titel<br />
„Im <strong>Alter</strong> neu werden können – Evangelische Perspektiven<br />
<strong>für</strong> Individuum, Gesellschaft und Kirche“<br />
9 . Diese Orientierungshilfe setzt sich theologisch,<br />
soziologisch und vor allem gemeindepädagogisch<br />
<strong>mit</strong> der aktuellen Herausforderung<br />
des <strong>Alter</strong>s <strong>für</strong> Kirche und Gemeinden auseinander.<br />
Sie setzt konzeptionell auf eine differenzierte Altenarbeit<br />
in der Region und auf eine Stärkung der<br />
Altenarbeit in den Ortsgemeinden, die Visionen<br />
entwickelt, was es heißt, in der Ortsgemeinde älter<br />
und alt zu werden.<br />
Kommentar der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft<br />
<strong>für</strong> Altenarbeit in der EKD<br />
(EAfA) zur „Kirche der Freiheit“<br />
Zur „Kirche der Freiheit“ gibt es viele Stellungnahmen.<br />
Schließen möchte ich <strong>mit</strong> einem<br />
veröffentlichten Kommentar der EAfA zu diesem<br />
Impulspapier:<br />
„Die Evangelische Kirche hat eine gute Chance,<br />
<strong>mit</strong> dem Trend zu wachsen, weil sie die wach-<br />
8 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
sende Zahl der Älteren schätzt, weil sie die sehr<br />
unterschiedlichen Milieus und Lebenslagen im <strong>Alter</strong><br />
wahrnimmt, weil sie ein Ort ist, an dem Generationengerechtigkeit<br />
gelebt wird, weil sie auf die<br />
Lebens- und Glaubenserfahrung der <strong>Alter</strong>sgenerationen<br />
setzt, weil ihre Ausstrahlungskraft so stark<br />
ist, dass Menschen auch im <strong>Alter</strong> den Weg in die<br />
Kirche zurückfinden oder die Kirche neu entdecken,<br />
weil ihr Kontinuität wichtig ist und sie die<br />
Kirchen<strong>mit</strong>glieder zur Traditionsweitergabe an die<br />
nachfolgenden Generationen ermutigt und befähigt,<br />
weil sie die steigende Engagementbereitschaft<br />
der Älteren in Kirche und Gesellschaft als<br />
Humanvermögen schätzt und in ihr Handeln einbezieht,<br />
weil Kirchengemeinden als generationenübergreifende<br />
Lebensräume <strong>für</strong> ältere Menschen<br />
immer mehr Bedeutung haben. Wachsen<br />
<strong>mit</strong> dem Trend wird die Kirche, wenn sie diesen<br />
Mentalitätswandel vollzieht und ihrerseits in Vorleistung<br />
tritt und investiert in ein Kompetenzzentrum<br />
„<strong>Alter</strong> und Älterwerden“, in fördernde Rahmenbedingungen<br />
und Strukturen <strong>für</strong> die Potentiale<br />
und das Engagement des <strong>Alter</strong>s, in die Erwachsenen-<br />
und <strong>Alter</strong>sbildung, in Kirchengemeinden<br />
als Lebensraum und 3. Sozialraum. Die Kirche<br />
wird <strong>mit</strong> dem Trend wachsen, weil in der Kirche<br />
jedes <strong>Alter</strong> Zukunft hat.“ 10<br />
Anmerkungen<br />
1) EKD, Kirche der Freiheit, Hannover 2006, S. 7<br />
2) a.a.O., S. 21<br />
3) Zitat Ursula Lehr<br />
4) Birgit Klostermeier, <strong>Alter</strong>sbilder bei Pastorinnen<br />
und Pastoren, in: Pastoraltheologie 98. Jg., S. 371,<br />
Göttingen 2009<br />
5) a.a.O., S. 370<br />
6) Vgl. Gerhard Wegner, <strong>Alter</strong>sbilder im pastoralen<br />
Diskurs und in der pastoralen Praxis in Deutschland,<br />
in: Informationsbrief Nr. 44 (09/2009) der<br />
Evangelischen Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit<br />
in der EKD (EAfA), S. 2-7<br />
7) Nicole Piroth, Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />
biographischen Lernens, Münster<br />
2004<br />
8) vgl. a.a.O., S. 303<br />
9) EKD, Im <strong>Alter</strong> neu werden können, Gütersloh<br />
2009<br />
10) www.ekd.de/eafa/materialien.html (Zugriff<br />
18.11.2009)
Die Gemeinden werden<br />
älter – was nun?<br />
Kirchliches Handeln vor neuen Herausforderungen<br />
MONIKA BAUER<br />
Monika Bauer ist Vorsitzende der Evangelischen<br />
Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit<br />
in der EKD (EAfA).<br />
<strong>Alter</strong>t Deutschland richtig? Haben wir die Alten,<br />
die wir brauchen? Gehen wir <strong>mit</strong> ihnen<br />
fair um? Die Wissenschaft vom <strong>Alter</strong>n ist jung,<br />
und ihr Thema umfasst ein riesiges inhaltliches<br />
Spektrum. <strong>Alter</strong>n ist ein biologisches, körperliches,<br />
psychisches, geistiges, soziales und gesellschaftliches<br />
Phänomen. Wenn es um die Zukunft<br />
des <strong>Alter</strong>s geht, muss man zwei Perspektiven unterscheiden,<br />
sie dann aber zusammenführen:<br />
Die erste ist das <strong>Alter</strong>n des Einzelnen, das Zweite<br />
sind die <strong>Alter</strong>sstrukturen der Bevölkerung.“1<br />
Immer weniger – immer mehr – immer<br />
bunter<br />
Auf diese einfache Formel lässt sich der demographische<br />
Wandel, die Veränderung der Gesellschaftsstruktur,<br />
bringen. Diese Veränderung<br />
betrifft unsere Kirche wie alle gesellschaftlichen<br />
Institutionen.<br />
Immer weniger Kinder werden geboren, immer<br />
weniger Menschen leben in Zukunft in<br />
Deutschland und Europa. Immer mehr Menschen<br />
werden immer gesünder alt und immer älter.<br />
Die Lebenszeit <strong>für</strong> ein aktiv gesundes <strong>Alter</strong><br />
dehnt sich aus. Das kalendarische <strong>Alter</strong> sagt heute<br />
wenig aus. Die 70-Jährigen sind mindestens<br />
genauso fit wie die 65-Jährigen der vorangegangenen<br />
Generation. Und immer bunter und differenzierter<br />
wird die Altenszene: da gibt es 100-<br />
Jährige, die noch selbständig ihren Haushalt<br />
führen, 60-Jährige, die an Demenz erkranken<br />
und gepflegt werden müssen, Politiker, die <strong>mit</strong><br />
SENIORENARBEIT<br />
über 70 Jahren hohe Verantwortung tragen und<br />
47-Jährige, die bei der Stellensuche als zu alt gelten.<br />
„<strong>Alter</strong> ist nicht <strong>Alter</strong>“, schreibt Paul Baltes in<br />
dem oben zitierten Artikel: „Wenn man bei einem<br />
Fest zur Wiederkehr des Schuleintritts in<br />
den Raum kommt, glaubt man, einige hätten ihre<br />
Kinder, andere dagegen ihre Eltern geschickt,<br />
und dies obwohl alle gleichaltrig sind, also so um<br />
die 66.“<br />
Auch die Kirchen trifft der demographische<br />
Wandel: weniger Kinder werden getauft und<br />
konfirmiert und die Zahl der älteren Menschen<br />
wächst. Weniger Menschen werden in Zukunft<br />
zur Kirche gehören und die <strong>Alter</strong>struktur verändert<br />
sich: es werden weit mehr Alte als Junge<br />
sein. Im Jahr 2020 werden die „Babyboomer“ in<br />
den Ruhestand gehen, die von sich sagen, dass<br />
sie immer schon zuviele waren. Die älteren und<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
9
SENIORINNENARBEIT<br />
sehr alten Menschen werden das Erscheinungsbild<br />
der Kirche noch stärker prägen als bisher.<br />
Wahrnehmungsprobleme<br />
Schon längst kann eine Pfarrerin oder ein<br />
Pfarrer nicht mehr alle Älteren besuchen, die einen<br />
runden Geburtstag feiern, und manche der<br />
Älteren wünschen diese Form der kirchlichen<br />
Zuwendung auch nicht mehr. Schon längst kommen<br />
nicht mehr alle älteren Gemeindeglieder in<br />
die traditionellen Alten- oder Seniorennach<strong>mit</strong>tage.<br />
Als in der Kirche im letzten Jahrhundert die<br />
Altennach<strong>mit</strong>tage eingeführt und immer beliebter<br />
wurden, war es klar, wem die Altenarbeit<br />
galt, den alten Frauen (und nur wenigen Männern)<br />
in den Gemeinden, die den Krieg überlebt<br />
hatten und <strong>mit</strong> einer kleinen Rente auskommen<br />
mussten. Sie hatten Freude an der Geselligkeit,<br />
an Kaffee und Kuchen und der weiten Welt, die<br />
ihnen durch Filme und Dia-Vorträge nahe gebracht<br />
wurden. Die nächste Altengeneration in<br />
den Gemeinden war ehrenamtlich tätig in den<br />
Altennach<strong>mit</strong>tagen und wo immer sie gebraucht<br />
wurde als unermüdliche Helferin. Nur noch an<br />
wenigen Orten gibt es Altennach<strong>mit</strong>tage. Sie sind<br />
umgetauft worden in Seniorennach<strong>mit</strong>tage, und<br />
diese leiden unter dem gleichen Phänomen: der<br />
Nachwuchs will sich nicht einstellen, die <strong>Alter</strong>skohorten<br />
bleiben unter sich, werden <strong>mit</strong>einander<br />
alt und Neue finden nur selten Zugang. „Der<br />
Altennach<strong>mit</strong>tag ist tot, gründen wir einen Kreis<br />
<strong>für</strong> die jungen, aktiven Alten“ – das schien lange<br />
Zeit die Lösung <strong>für</strong> die alten Menschen in den<br />
Gemeinden und in der Altenarbeit zu sein. Aber<br />
solche Korrekturen helfen nicht mehr – weder in<br />
der Kirche noch in der Gesellschaft. Der demographische<br />
Wandel erfordert von den gesellschaftlichen<br />
und den kirchlichen Institutionen<br />
ein Umdenken und eine veränderte Sicht. Der<br />
soziale Frieden und die Generationengerechtigkeit<br />
hängen davon ab, dass die neue grundlegende<br />
Bedeutung des <strong>Alter</strong>s <strong>für</strong> Kirche und Gesellschaft<br />
wahrgenommen wird, dass die Potentiale<br />
der älteren Menschen integriert werden und<br />
dass auch die Bereitschaft der älteren Menschen<br />
wächst, eine neue Verantwortungsrolle zu übernehmen.<br />
Noch handeln Kirche und Gesellschaft<br />
nach dem Motto: Wir wollen „in die Zukunft investieren,<br />
nicht in die Vergangenheit.“2 Durch<br />
diese Rhetorik werden in der Gegenwart minde-<br />
10 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
stens 40% der Bevölkerung „kühl als zukunftslose,<br />
im Grunde gesellschaftlich überflüssige Gestalten<br />
abqualifiziert und weggestellt.“3 Dass<br />
Menschen auch im <strong>Alter</strong> Zukunft haben und im<br />
<strong>Alter</strong> Neues wagen und bewirken, gehört zur<br />
Botschaft der Bibel. Die Kirche könnte da<strong>mit</strong><br />
Maßstäbe setzen in einer ergrauenden Gesellschaft,<br />
die nur der Jugend zutraut, Motor des<br />
Neuen zu sein. Und auch <strong>für</strong> die Kirche selbst<br />
sind die Potenziale, das soziale, kulturelle und<br />
spirituelle Kapital der älteren Gemeindeglieder<br />
eine Chance der Erneuerung.<br />
Reformbedarf<br />
„Praktisch alle gesellschaftlichen Institutionen<br />
und Sektoren harren der Reform,“ schreibt<br />
Paul Baltes. Welche Schritte zu unternehmen<br />
sind, wird durchaus kontrovers diskutiert. Manche<br />
Wissenschaftler vertreten die These, der <strong>Alter</strong>sstrukturwandel<br />
steigere den Bedarf an Altenarbeit,<br />
andere meinen, Altenarbeit sei nicht<br />
mehr erforderlich angesichts der positiven Veränderungen<br />
der Lebenslagen und -formen im <strong>Alter</strong>.4<br />
In der kirchlichen Altenarbeit sind in den<br />
vergangenen Jahren bemerkenswerte Projekte<br />
und Konzepte entwickelt worden.<br />
Es ist wünschenswert, dass die Kirche in<br />
Zukunft zu ihrem eigenen Vorteil das Handlungsfeld<br />
Altenarbeit verändert und erweitert<br />
und dass sie die Chance der strukturellen Veränderung<br />
nutzt, die der demographische Wandel<br />
vorgibt.<br />
Seit etwa zehn Jahren fächert sich das Spektrum<br />
der Altenarbeit immer weiter auf,5 denn<br />
die Altenarbeit sieht sich heute einer Vielfalt von<br />
Zielgruppen gegenüber; sie hat die Inhalte, Angebote<br />
und Formen der Altenarbeit entsprechend<br />
differenziert. Viele neue Angebote haben<br />
sich an den Schnittstellen zur Bildungs- und Kulturarbeit,<br />
zur Selbsthilfe und zu bürgerschaftlichem<br />
Engagements entwickelt. Ein „Leitfaden<br />
zur Qualitätsentwicklung in der Offenen Altenarbeit“<br />
gibt einen Überblick, wie sich die Altenarbeit<br />
entwickelt und durch haupt- und ehrenamtlich<br />
Mitarbeitende professionalisiert hat.6<br />
Die Ziele von Altenarbeit richten sich heute<br />
weniger auf Betreuung, Unterhaltung und Beschäftigung.<br />
Stattdessen ist das Ziel, Selbsthilfefähigkeit<br />
und Eigenaktivität zu fördern, Gelegenheitsstrukturen<br />
<strong>für</strong> selbstbestimmte <strong>Alter</strong>sakti-
SENIORENARBEIT<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
11
SENIORINNENARBEIT<br />
Generationsübergreifende Altenarbeit<br />
vität zu schaffen, Engagement und Selbstorganisation<br />
zu ver<strong>mit</strong>teln und zu unterstützen. Diese<br />
Qualifizierung älterer Menschen ist dringend<br />
nötig. Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement<br />
in Kirche und Gesellschaft werden in Zukunft<br />
vor allem von den älteren Menschen übernommen<br />
werden müssen, denn „in einer neuliberalen<br />
Marktgesellschaft der dauermobilen,<br />
rundum berufstätigen, einseitig leistungsfixierten,<br />
allein monetär ausgerichteten Individuen ist<br />
<strong>für</strong> bürgerschaftliches Engagement weder hinreichend<br />
Zeit noch kultureller Raum.7“<br />
Diese positive Entwicklung der Altenarbeit<br />
wird häufig kaum wahrgenommen. Der negative<br />
Blick auf das <strong>Alter</strong> prägt auch die Bewertung der<br />
Altenarbeit. Weder Kirche noch Gesellschaft zeigen<br />
großes Interesse. Die Altenarbeit hat deshalb<br />
eine schwache Position im Verteilungskampf um<br />
knappe öffentliche Mittel. Viele hauptamtliche<br />
Stellen sind bereits aus finanziellen Gründen gestrichen<br />
worden. Oft gelingt es der Altenarbeit<br />
nicht, erfolgreiche Projekte in die Regelfinanzierung<br />
zu überführen. Bereits heute ist Altenarbeit<br />
- wie viele andere Handlungsfelder - ohne unentgeltliches<br />
Engagement nicht überlebensfähig.<br />
12 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Die älter werdende Kirche wird in Zukunft noch<br />
mehr auf die aktive ehrenamtliche Mitwirkung<br />
der älteren Menschen angewiesen sein.8 Hauptamtliche<br />
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind<br />
gerade deshalb unverzichtbar <strong>für</strong> Konzeptentwicklung,<br />
Qualifizierung und Qualitätsentwicklung<br />
und die Schaffung von Rahmenbedingungen<br />
<strong>für</strong> die Selbstorganisation der Älteren.<br />
Alte beteiligen sich<br />
Die wachsende Präsenz und die wachsende<br />
Zahl älterer Menschen stellt nicht nur die Altenarbeit<br />
vor neue Herausforderungen, sie stellt<br />
auch das Selbstverständnis von Gemeinden9 in<br />
Frage und fordert sie zu neuen Lebens- und Gemeinschaftsformen<br />
heraus.<br />
Uta Pohl-Patalong plädiert da<strong>für</strong>, dass an jedem<br />
spezialisierten kirchlichen Ort auch kirchliches<br />
Leben stattfindet10, das geprägt ist von Gemeinschaft,<br />
Geselligkeit und diakonischer Hilfe,<br />
die auf persönlichem Kontakt basiert. Dieses<br />
kirchliche Leben solle in Zukunft von Ehrenamtlichen<br />
geleitet und gestaltet werden. „Theologisch<br />
nimmt dies das Priestertum aller Gläubigen<br />
ernst, das jedem Christen und jeder Christin ver-
antwortungsvolle kirchliche Arbeit zutraut.“<br />
Uta Pohl-Patalongs Strukturmodell entspricht<br />
dem Wunsch vieler nach einer Beteiligungskirche11.<br />
Wenn die Partizipation älterer<br />
Menschen gelingt und ihre Potentiale integriert<br />
werden in die kirchliche Arbeit vor Ort, sind<br />
Träume von einer lebendigen Kirche möglich:<br />
Vielleicht heißt es dann nicht mehr: Altenarbeit,<br />
sondern Alte arbeiten… Vielleicht entsteht auf<br />
der Basis der sozialen Kompetenz vieler Älterer<br />
eine neue generationenübergreifende Kultur der<br />
Fürsorglichkeit nach dem Motto: In der Kirche<br />
hat jedes <strong>Alter</strong> Zukunft… Vielleicht wachsen<br />
dann gute Nachbarschaften und Netzwerke,<br />
wenn viele sagen können: „<strong>Ich</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ – „<strong>Ich</strong><br />
<strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ – „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> andere“<br />
– „Andere <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“.12 … Vielleicht bleibt<br />
es dann nicht ein Privatproblem junger Paare,<br />
die berufstätig sind und Kinder haben möchten...Vielleicht<br />
müssen pflegende Angehörige<br />
von demenzkranken Menschen nicht mehr allein<br />
sein <strong>mit</strong> der Last der Pflege...Vielleicht entstehen<br />
auch Kompetenzteams, die ...<br />
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in<br />
der Fachzeitschrift „Praxis Gemeindepädagogik<br />
1/2006, erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt<br />
Leipzig.<br />
Anmerkungen:<br />
1) Paul B. Baltes, Oma muss ran, DIE ZEIT Nr.<br />
21, 19. Mai 2005<br />
2) Franz Walter, Gedämpft und lebensweise,<br />
neue Linkspartei und ergrauende Gesellschaft,<br />
SZ 16. 06.05, S.13<br />
3) Franz Walter, a.a.O.<br />
4) Peter Zeman, Selbstorganisation in der Altenarbeit,<br />
in: Joachim Braun, Sonja Kubisch,<br />
Peter Zeman (Hrsg.) Erfahrungswissen und<br />
Verantwortung – zur Rolle von senior Trainerinnen<br />
in ausgewählten Engagementbereichen.<br />
Gutachten aus dem wissenschaftlichen Beirat<br />
im Bundesmodellprogramm „Erfahrungswissen<br />
<strong>für</strong> Initiativen“, Köln, 2005, S.81<br />
5) vgl. Zeman, a.a.O. S.87ff<br />
6) Leitfaden Qualitätsentwicklung in der Offenen<br />
Altenarbeit – ein Kooperationsprojekt des deutschen<br />
Evangelischen Verbandes <strong>für</strong> Altenarbeit<br />
und Pflege e.V. der Evangelischen Arbeitsge-<br />
SENIORENARBEIT<br />
meinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit in der EKD (EAfA)<br />
und des Diakonischen Werkes der EKD, Stuttgart,<br />
2005<br />
7) Franz Walter a.a.O.<br />
8) Zeman, a.a.O. S. 82<br />
9) <strong>Alter</strong> und ältere Menschen in Kirche und Gesellschaft,<br />
Positionen der EAfA, hrsg. Evangelische<br />
Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit in der<br />
EKD (EAfA), Hannover, 2002, S.16ff<br />
10) a.a.O. S.45<br />
11) Kirche <strong>mit</strong> Hoffnung. Leitlinien künftiger<br />
kirchlicher Arbeit in Ostdeutschland. Im Auftrag<br />
des Kirchenamtes der EKD hg. von H. Zeddies,<br />
Hannover 1998, bes. S. 28-30<br />
12) Veronika Fischer, Volker Eichener, Karin<br />
Nell (Hrsg.) Netzwerke – ein neuer Typ bürgerschaftlichen<br />
Engagements. Zur Theorie und<br />
Praxis der sozialen Netzwerkarbeit <strong>mit</strong> Älteren,<br />
Schwalbach 2003, S. 204f<br />
NORDELBISCHE<br />
STIMMEN<br />
Forum <strong>für</strong> kirchliche<br />
Zeitfragen in Hamburg und<br />
Schleswig-Holstein<br />
Bestellungen:<br />
Tel.: 0431 / 55 77 9 - 271<br />
E-Mail:<br />
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NORDELBISCHE STIMMEN<br />
13
SENIORINNENARBEIT<br />
Neue Lernformen im<br />
nachberuflichen Leben<br />
Ein Vier-Phasen-Modell zur Netzwerkbildung<br />
KARIN NELL<br />
Karin Nell ist Leiterin der Projektwerkstatt<br />
<strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit beim Evangelischen<br />
Erwachsenenbildungswerk<br />
Nordrhein, Düsseldorf.<br />
In Fortbildungsveranstaltungen <strong>für</strong> haupt- und<br />
ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen aus<br />
dem Bereich der kirchlichen Seniorenarbeit begegnet<br />
einem oftmals folgende Situation: Man<br />
hat bisher wenig <strong>mit</strong> dem Thema zu tun gehabt,<br />
man sucht wegen geplanter Stellenkürzungen<br />
nach <strong>Alter</strong>nativen zur Beschäftigung im Kinderund<br />
Jugendbereich oder kann seine Erwartungen<br />
nicht genau zum Ausdruck bringen. Möglicherweise<br />
hängt diese Haltung <strong>mit</strong> dem immer<br />
noch schlechten Image der Altenarbeit zusammen.<br />
Sie wird <strong>mit</strong> Bastelarbeiten, Gedächtnistraining,<br />
Folkloretanz, Diavorträgen und vor allem<br />
<strong>mit</strong> Kaffee und Kuchen in Verbindung gebracht.<br />
Die Altenarbeit gehört (noch) nicht zu<br />
den Lieblingsaufgaben angehender Gemeindepädagogen<br />
und -pädagoginnen. Die Erfahrungen<br />
<strong>mit</strong> unterschiedlichen Projekten in Nordrhein-Westfalen<br />
haben jedoch gezeigt, dass sich<br />
dies ändert, wenn man sich von den defizit-orientierten<br />
<strong>Alter</strong>sbildern verabschiedet und die<br />
verschiedenen <strong>Alter</strong>sgenerationen <strong>mit</strong> ihren jeweiligen<br />
Wünschen und Kompetenzen gezielt in<br />
den Blick nimmt. Viele von den so genannten<br />
„Jungen Alten“ sind gut ausgebildet, körperlich<br />
und geistig fit, mobil und selbstbewusst, in der<br />
Regel finanziell unabhängig. Viele von ihnen erklären<br />
ihr großes Interesse an der Übernahme<br />
von sozialer Verantwortung in den unterschiedlichen<br />
gesellschaftlichen Bereichen. Die moderne<br />
Seniorenarbeit möchte die Ressourcen von<br />
Menschen im nachberuflichen Leben aufnehmen:<br />
das Erfahrungswissen, ihr soziales und<br />
14 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
kulturelles Kapital, die Innovationskraft, vor allem<br />
aber das Interesse an lebenslangem Lernen,<br />
das zunehmend als Schlüssel zur Lösung anstehender<br />
Zukunftsaufgaben angesehen wird.<br />
Weniger ist oft mehr<br />
Ein größer werdender Anteil von Seniorinnen<br />
und Senioren erwartet Angebote, die zu Eigenaktivität<br />
und zu Mitgestaltung herausfordern.<br />
Eine kurze Sequenz zum Thema „Schlüssel“<br />
zeigt, dass solche Angebote nicht aufwendig<br />
und teuer sein müssen. Die Teilnehmerinnen<br />
und Teilnehmer werden gebeten, ihre Schlüsselbunde<br />
genau zu betrachten. Welcher Schlüssel<br />
ist besonders wichtig? Gibt es eine besondere Geschichte<br />
zu einem Schlüssel, ein Schlüsselerlebnis<br />
in meinem Leben? Wann und von wem habe<br />
ich meinen ersten Schlüssel erhalten? Was haben<br />
die Schlüsselanhänger zu bedeuten? Wann musste<br />
man einen wichtigen Schlüssel abgeben und
wie ging es dabei? Gibt es Menschen, die mir besondere<br />
Räume oder Interessensgebiete erschlossen<br />
haben? Welche neuen Räume möchte<br />
ich in meinem Leben noch betreten? Was kann<br />
ich tun, um <strong>anderen</strong> Menschen Türen zu öffnen<br />
und neue (Entwicklungs-)Räume zu erschließen?<br />
Wo<strong>mit</strong> möchte ich abschließen?<br />
Für ähnliche Mini-Workshops bieten sich<br />
die Themen an: Hände, Handtaschen, Taschentücher,<br />
Lieblingstassen oder Brillen. Alle<br />
Gegenstände des Alltags sind Träger von Erinnerungen<br />
und Ideen. Sich ihnen in besonderer Aufmerksamkeit<br />
und Sorgfalt zuzuwenden und sie<br />
<strong>mit</strong> Erfahrungen und Geschichten „aufzuladen“,<br />
bringt bei einfühlsamer Moderation auch die Erfahrungen<br />
hinter den Erfahrungen und die Fragen<br />
hinter den Fragen ans Licht. Dazu braucht es<br />
authentische Gesprächspartner und -partnerinnen<br />
, die Bezüge zu einem tieferen Wissen herstellen<br />
können. Gemeindepädagoginnen und -<br />
pädagogen werden von dem großen Interesse,<br />
von den Antworten hinter den Antworten überrascht<br />
sein. In der gemeinwesenorientierten Altenarbeit<br />
fällt auf, dass in diesem Zusammenhang<br />
das Thema „christliche Spiritualität“ besonders<br />
auch bei den Menschen an Bedeutung<br />
zunimmt, die aus der Kirche ausgetreten sind<br />
oder sich weit von Kirche entfernt haben. Immer<br />
häufiger wird das Bedürfnis nach einer spirituellen<br />
Vorsorge (neben der Rentenvorsorge, der gesundheitlichen<br />
und sozialen Vorsage) <strong>für</strong> das Leben<br />
im <strong>Alter</strong> formuliert.<br />
Einfacher ist wirkungsvoller<br />
Ein wichtiger Punkt der innovativen Seniorenarbeit<br />
ist das große Interesse vieler Seniorinnen<br />
und Senioren an einer sozialen Vorsorge<br />
<strong>für</strong> das Leben im <strong>Alter</strong>. Soziale Vorsorge steigert<br />
die Lebensqualität. Sie ermöglicht lebenslange<br />
persönliche Weiterentwicklung und Teilhabe am<br />
sozialen und kulturellen Leben bis ins hohe <strong>Alter</strong>.<br />
Als „Zauberformel“ <strong>für</strong> viele erfolgreiche<br />
Projekte im Bereich der innovativen Seniorenarbeit<br />
<strong>mit</strong> den so genannten „jungen Alten“ gilt<br />
das von Sylvia Kade 1 beschriebene Phasenmodell<br />
der <strong>Alter</strong>sbildung:<br />
• 1. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />
Aufbau von Motivation <strong>für</strong> ein bürgerschaftliches<br />
Engagement durch Informationsveranstal-<br />
SENIORENARBEIT<br />
tungen, Hospitationen, Exkursionen, Schnupperseminare,<br />
informelle Treffs (Internet-Cafés,<br />
Stadtteilfrühstück, Stammtisch), individuelle Beratung<br />
durch Hauptamtliche (Ermutigung, neue<br />
Wege einzuschlagen; ausdrückliche Empfehlung,<br />
bei der Wahl einer freiwilligen Tätigkeit eigene<br />
Wünsche und Interessen in den Vordergrund<br />
zu stellen).<br />
• 2. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />
Förderung von Gemeinschaftsaktivitäten,<br />
Aufbau von Interessengruppen, selbst organisierte<br />
Unternehmungen: Wandern, Theaterbesuche,<br />
Videowerkstatt, Kreativangebote usw.; Informationsveranstaltungen<br />
zu selbst gewählten<br />
Themen: Gesundheit im <strong>Alter</strong>, Pflegeversicherung,<br />
Wohnen im <strong>Alter</strong> usw.<br />
• 3. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> andere.“<br />
Eigenverantwortliches Engagement in einem<br />
oder in mehreren Bereichen, Schaffung von<br />
Organisations- und Mitwirkungsstrukturen, Bildung<br />
von Arbeitskreisen, Arbeitsgruppen, Wahl<br />
von Gruppensprechern und -sprecherinnen,<br />
Festlegung von Aufgabenschwerpunkten. Projektarbeit:<br />
Zeitungs-, Kultur- oder Theaterprojekte,<br />
Filmwerkstatt, Aufbau von Internet-Cafés,<br />
Einrichtung von Handwerker-, Telefon- oder Begleitdiensten,<br />
Telefonkette usw.<br />
• 4. Phase: „Andere <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />
Nutzung der Ressourcen (neu-)aufgebauter<br />
sozialer Netze im Falle von Hilfebedürftigkeit.<br />
Die Erfahrungen zeigen, dass aus sozialen Netzen<br />
unbürokratisch individuelle Hilfeleistungen<br />
erbracht werden (Besuche im Krankenhaus, Telefonate,<br />
Einkäufe, Ver<strong>mit</strong>tlung professioneller<br />
Hilfe, handwerkliche Dienste, Begleitdienste,<br />
Trauerbegleitung). Hierbei erweist es sich als<br />
äußerst bedeutsam, dass die Hilfen auf viele<br />
Schultern verteilt sind und der Helfer/die Helferin<br />
selbst in ein Netzwerk eingebunden ist.<br />
In der praktischen Arbeit hat sich gezeigt,<br />
dass nicht alle Interessierten bei Phase 1 einsteigen<br />
und bei Phase 4 enden. Viele Menschen wissen<br />
genau, was sie <strong>für</strong> andere tun wollen und gehen<br />
<strong>mit</strong> klaren Vorstellungen auf bestehende<br />
Projekte oder Gruppen zu. Menschen, die ihre<br />
Angehörigen gepflegt oder ihre Partnerin/ ihren<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
15
SENIORINNENARBEIT<br />
16 NORDELBISCHE STIMMEN
Partner verloren haben, genießen es, wenn sie sich<br />
zunächst nicht <strong>für</strong> andere engagieren müssen. Sie<br />
haben selbstverständlich das Recht, ihre persönlichen<br />
„Batterien aufzuladen“ und in Ruhe neue<br />
Kontakte zu knüpfen, bevor sie wieder Aufgaben<br />
<strong>für</strong> andere übernehmen. Wichtig ist: Alle Beteiligten<br />
sollten darauf achten, dass langfristig allen vier<br />
Phasen Rechnung getragen wird. Nur so bleibt das<br />
Verhältnis von Geben und Nehmen ausgewogen<br />
und sorgt <strong>für</strong> langfristige Zufriedenheit.<br />
Engagement auf gleicher Augenhöhe<br />
Erfahrungen in der innovativen Seniorenarbeit<br />
zeigen, dass sich die Zusammenarbeit von hauptund<br />
ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
in Zukunft erheblich verändern wird. Die<br />
neuen <strong>Alter</strong>sgenerationen zeigen immer weniger<br />
Interesse an einem Ehrenamt, das ausschließlich<br />
selbstloses Tätigsein <strong>für</strong> andere bedeutet. Sie wollen<br />
weder Lückenbüßer, noch bevormundete Helfer/<br />
Helferinnen sein, die Hauptamtlichen „zur<br />
Hand gehen“, bescheiden im Hintergrund agieren<br />
und sich <strong>mit</strong> einem Blumenstrauß zum Geburtstag<br />
begnügen. Viele der jungen Alten wollen sich <strong>mit</strong><br />
ihrem Erfahrungswissen aktiv in das gesellschaftliche<br />
Leben einbringen und in ihrem Engagement<br />
gesehen werden. Sie wollen auf Lücken im sozialen<br />
System aufmerksam machen, einen Beitrag <strong>für</strong><br />
das Miteinander der Generationen leisten und sich<br />
<strong>für</strong> benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft<br />
engagieren. Sie wollen selbst (<strong>mit</strong>-)gestalten<br />
und sind bereit, aktiv Verantwortung zu übernehmen.<br />
Die jungen Alten wünschen sich ein „Engagement<br />
auf gleicher Augenhöhe“, sie erwarten ein<br />
partnerschaftliches Miteinander und fordern<br />
selbstbewusst entsprechende Rahmenbedingungen<br />
ein. 2<br />
Kirche und Diakonie werden, um ihre Aufgaben<br />
in der Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit<br />
langfristig erfüllen zu können, auf die neuen <strong>Alter</strong>sgenerationen<br />
<strong>mit</strong> ihrem Erfahrungswissen und<br />
ihren Ressourcen zugehen müssen. Erfolgreiche<br />
Konzepte zur Förderung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem<br />
Engagement gibt es in reicher<br />
Zahl. 3 Diese gilt es im kirchlichen Bereich zu er-<br />
SENIORENARBEIT<br />
proben und weiter zu entwickeln. Dazu muss nach<br />
Wegen gesucht werden, um in Kirchgemeinden traditionelle<br />
und innovative Ansätze in einem zukunftsfähigen<br />
Gesamtkonzept zu integrieren. Dies<br />
gelingt, wo die traditionelle Altenarbeit entsprechend<br />
gewürdigt und der neuen ein aufrichtiges Interesse<br />
entgegengebracht wird. So kann die Entwicklung<br />
zeitgemäßer <strong>Alter</strong>sbilder und <strong>Alter</strong>srollen<br />
zu einem gemeinsamen Anliegen aller Generationen<br />
werden.<br />
Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in<br />
der Fachzeitschrift „Praxis Gemeindepädagogik“<br />
1/2006, erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt<br />
Leipzig.<br />
Anmerkungen<br />
1) Kade, Sylvia (1999): Neue Lernformen in der<br />
<strong>Alter</strong>sbildung. Deutsches Institut <strong>für</strong> Erwachsenenbildung,<br />
(unveröffentlichtes Manuskript);<br />
Dieses Phasenmodell wurde im Rahmen der<br />
Düsseldorfer Netzwerkarbeit um eine vierte<br />
Phase erweitert.<br />
2) Die Projektwerkstatt <strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit,<br />
finanziell vom Land NRW unterstützt, hat<br />
eine Reihe von Fortbildungsprogrammen <strong>für</strong><br />
haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und<br />
Mitarbeiter entwickelt: Kulturführerschein®, Kultur<br />
auf Rädern, Keywork-Programm, INTER-<br />
NETZ (Aufbau von sozialen Netzwerken),<br />
„Couch oder Cabrio?“ (Seminarprogramm zur<br />
Vorbereitung auf den Ruhestand) und Soziales<br />
Inszenieren. Informationen unter www.eebnordrhein.de/pisa<br />
(Projektwerkstatt <strong>für</strong> innovative<br />
Seniorenarbeit)<br />
3) www.start-3.de innovatives Selbsthilfeprojekt<br />
<strong>für</strong> Menschen im nachberuflichen Leben<br />
www.netzwerke-duesseldorf.de Anlaufstellen<br />
<strong>für</strong> bürgerschaftliches Engagement<br />
www.efi-programm.de Erfahrungswissen <strong>für</strong> Initiativen<br />
(Modellprogramm des Bundes)<br />
www.kda.de Informationspool des Kuratoriums<br />
Deutsche <strong>Alter</strong>shilfe<br />
www.senioren-online.net Internetplattform <strong>für</strong><br />
Seniorinnen und Senioren, Projekt des Landes<br />
NRW<br />
Bild linke Seite: Wunsch-Oma Gisela Bauer liest in Duisburg dem sechsjährigen Finn Schoppmeyer<br />
aus einem Kinderbuch vor. Seit fünf Jahren engagiert sich die 62-Jährige ehrenamtlich im Projekt<br />
Wunsch-Oma des deutschen Kinderschutzbundes und verbringt regelmäßig Zeit <strong>mit</strong> Finn und seiner<br />
Schwester Paula. Foto: ddp<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
17
SENIORINNENARBEIT<br />
50plus / Seniorenarbeit<br />
Ein geeignetes Arbeitsfeld auch <strong>für</strong><br />
Gemeindepädagogen/innen und Diakone/innen<br />
PETRA MÜLLER<br />
Petra Müller, Diplompädagogin in Erwachsenenbildung<br />
und Evangelischer Theologie,<br />
ist seit 2009 Beauftragte der Nordelbischen<br />
Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong> <strong>Alter</strong>“ in<br />
Kiel. Davor war sie acht Jahre Studienleiterin<br />
und Dozentin <strong>für</strong> Gemeindepädagogik<br />
am Pädagogisch-Theologischen Institut<br />
der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen und<br />
Landeskirchliche Beauftragte <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />
der Gemeindepädagoginnen<br />
und Gemeindepädagogen.<br />
Zur Situation<br />
Auf der parochialen Ebene liegt die Zuständigkeit<br />
<strong>für</strong> die Seniorenarbeit in den meisten Fällen<br />
bei Pastorinnen und Pastoren und bei ehrenamtlich<br />
Engagierten. Bei Anstellungen auf Kirchenkreisebene<br />
- und da insbesondere bei deren<br />
„Beauftragten <strong>für</strong> die Seniorenarbeit“ - kommen<br />
eher auch die Berufsgruppen der im sog. „gemeindepädagogischen“<br />
Bereich Tätigen in den<br />
Blick: Die Gemeindepädagogen/innen, Diakone/innen,<br />
die ostdeutschen Katecheten/innen<br />
und Mitarbeitende <strong>mit</strong> vergleichbaren (sozial)pädagogischen<br />
Abschlüssen. Dass diese Berufsgruppen<br />
in den Kirchengemeinden so selten<br />
im Bereich der Arbeit 50plus / Senioren anzutreffen<br />
sind, liegt sicherlich an den wenig vorhandenen<br />
Stellen, aber auch vor allem daran,<br />
dass diese Berufsgruppen in den vergangenen<br />
Jahrzehnten EKD-weit hauptsächlich in der Kinder-<br />
Jugend- und Familienarbeit tätig waren und<br />
eingesetzt wurden, obgleich sie <strong>für</strong> die Arbeit<br />
<strong>mit</strong> allen Lebensaltern ausgebildet sind – wenn<br />
sicherlich auch <strong>mit</strong> unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.<br />
<strong>Ich</strong> bin davon überzeugt, dass gerade diese<br />
18 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Berufsgruppen aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer<br />
pädagogischen Kompetenz und ihren Geschicks,<br />
<strong>mit</strong> verschiedenen Gruppen und Lebensaltern zu<br />
arbeiten, geeignet sind, <strong>für</strong> das wachsende Arbeitsfeld<br />
der älter werdenden Menschen gestaltend<br />
verantwortlich zu sein!<br />
Menschen jeden <strong>Alter</strong>s sind Zielgruppen<br />
gemeindepädagogischen Handelns<br />
Auch wenn die Gemeindepädagogik in ihrer<br />
Theroiediskussion schon immer genuin eine Gemeindepädagogik<br />
aller <strong>Alter</strong>sstufen war, so hat<br />
sie doch in den vergangenen 40 Jahren in ihrer<br />
Praxis den Hauptschwerpunkt in der Arbeit <strong>mit</strong><br />
Kindern und Jugendlichen gefunden. Enno Rosenboom<br />
postuliert in den 70er Jahren, dass es<br />
in der Gemeindepädagogik „um den Menschen<br />
in seiner Ganzheit, in allen <strong>Alter</strong>sstufen und in<br />
allen Lebensbezügen“ gehen muss. 1 Auch in der<br />
ostdeutschen Theoriebildung der Gemeindepädagogik<br />
benennt man die gemeindepädagogische<br />
Zielgruppentrias „Kinder, Jugend und Erwachsene“<br />
2 - wie z.B. Eva Heßler oder Walter<br />
Baltin. Und Nicole Piroth formuliert in ihrer empirischen<br />
Studie aus dem Jahr 2000: „Zusammenfassend<br />
ist zu sagen, dass die Theoriediskussion<br />
der letzten Jahre gemeindepädagogisches<br />
Handeln als alltagsstützendes und lebensweltbezogenes<br />
Bildungsgeschehen, als eine<br />
Pädagogik der Ermöglichung und Begleitung beschreibt,<br />
die sich an alle <strong>Alter</strong>sstufen richtet.“ 3<br />
Die Berufsbildungsordnung der EKD <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />
der gemeindepädagogischen Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter, die 1996 erschienen<br />
ist, stellt fest, dass die Hauptfunktion dieser Berufsgruppe<br />
die Leitung und Begleitung von<br />
Gruppen <strong>mit</strong> Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />
sei. Gemeindepädagogik sei als Ge-
SENIORENARBEIT<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
19
SENIORINNENARBEIT<br />
samtdimension gemeindlicher Arbeit anzusehen<br />
und nicht als spezieller Sektor innerhalb der<br />
oben genannten Arbeitsfelder 4 . Der Blick zur katholischen<br />
Seite ergibt, dass es einen Synodenbeschluss<br />
aus dem Jahr 1976 gibt, der besagt,<br />
dass sich das katechetische Handeln grundsätzlich<br />
den Menschen aller Lebensalter zuordnet.<br />
Dabei sei es wichtig, <strong>für</strong> jede Generation qualitativ<br />
und quantitativ zureichende Angebote zu<br />
machen. 5<br />
Den Veränderungsprozess solidarisch gestalten<br />
Der demographische Wandel fordert auch<br />
die Gemeindepädagogik und die in diesem Bereich<br />
tätigen Mitarbeitenden heraus, ihre Zielgruppen<br />
und Aufgabenfelder zu ergänzen oder<br />
zu verlagern, um zukünftig auch in der Praxis eine<br />
Gemeindepädagogik aller <strong>Alter</strong>sstufen zu<br />
sein, um eine momentan wieder zunehmende<br />
Versäulung von Arbeitsgebieten zu verhindern<br />
und um generationenübergreifend und –vernetzend<br />
zu denken und zu arbeiten. Dieser konzeptionelle<br />
Ansatz stärkt alle Zielgruppen und<br />
steht der weit verbreiteten Be<strong>für</strong>chtung entgegen,<br />
dass die gemeindliche Arbeit <strong>mit</strong> Kindern<br />
und Jugendlichen geschwächt würde, wenn sich<br />
das gemeindepädagogische Praxisfeld auf Angebote<br />
<strong>für</strong> ältere Erwachsene und Senioren ausweiten<br />
wird. Die Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen<br />
als gemeindepädagogisches Handlungsfeld ist<br />
keine Verlegenheitslösung aufgrund sinkender<br />
Kinderzahlen - vor allem jetzt schon in den östlichen<br />
Landeskirchen -, sondern eine große Aufgabe<br />
<strong>mit</strong> wachsendem Potential.<br />
Die hier angesprochenen Punkte sind in den<br />
gemeindepädagogisch geführten Diskussionen<br />
nicht unumstritten. Mancherorts wird darauf beharrt,<br />
dass die Arbeit <strong>mit</strong> Kindern und Jugendlichen<br />
das ausschließliche Arbeitsfeld von gemeindepädagogischen<br />
Mitarbeitenden bleiben<br />
soll. Andere halten diese Berufsgruppe <strong>für</strong> nicht<br />
genügend ausgebildet und erfahren, um <strong>mit</strong> älteren<br />
Menschen zu arbeiten. Wieder andere sehen<br />
in Bildungsangeboten <strong>für</strong> das 3. <strong>Alter</strong> keinen<br />
großen Bedarf, da sich diese Zielgruppe ebenso<br />
selber organisieren kann.<br />
In dieser vielschichtigen Diskussionslage ist<br />
es besonders wichtig, das Gespräch zu suchen,<br />
einander zuzuhören und im Gespräch zu blei-<br />
20 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
ben, da<strong>mit</strong> es nicht zu einem Entweder-Oder,<br />
nicht zu einem Aufeinanderprallen von Interessen,<br />
nicht zum Ausspielen von Kinder- und Jugendarbeit<br />
und der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Menschen<br />
kommt. So ist es ein sehr positives Zeichen, dass<br />
bei der Formation der Hauptbereiche auf nordelbischer<br />
Ebene die Seniorinnen und Senioren <strong>mit</strong><br />
den Kindern, Jugendlichen und Familien bei den<br />
Frauen und Männern im Hauptbereich 5 gelandet<br />
sind. Eine Chance und Möglichkeit, Konzepte<br />
zu vernetzen und Versäultes zu verbinden.<br />
Der demographische Veränderungsprozess lässt<br />
sich auch gemeindepädagogisch nur solidarisch<br />
gestalten, d.h. eng verbunden und <strong>mit</strong>einander<br />
und <strong>für</strong>einander einstehend. Die verschiedenen<br />
Generationen können und sollen sich begegnen,<br />
in Beziehung treten, gegenseitig profitieren und<br />
voneinander lernen.<br />
Erkennbarer Wandel in der Gemeindepädagogik<br />
Trotz der Fokusierung der Gemeindepädagogik<br />
auf die Arbeit <strong>mit</strong> Kindern und Jugendlichen<br />
vollzieht sich in vielen Landeskirchen momentan<br />
schon ein kleiner Wandel. In erheblichem<br />
Maße wächst das Bewusstsein, auch in der Gemeindepädagogik<br />
auf den demographischen<br />
Wandel reagieren zu wollen.<br />
Es gibt Landeskirchen, in denen jetzt schon<br />
eine erhebliche Zahl gemeindepädagogischer<br />
Mitarbeiter/innen in der Arbeit <strong>mit</strong> Senioren<br />
tätig ist. Häufig sind es Stellenanteile, vielleicht<br />
30 Prozent, die <strong>anderen</strong> Anteile liegen auch weiterhin<br />
in der Arbeit <strong>mit</strong> Kindern. In besonderer<br />
Weise ermöglicht diese Konstruktion, generationenverbindend<br />
tätig zu werden. Andere Mitarbeitende<br />
wachsen sporadisch in dieses Arbeitsfeld<br />
hinein. Nur wenige sind ausschließlich in<br />
der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen tätig. Auffallend<br />
ist, dass ein hoher Anteil von weiblichen<br />
Mitarbeitenden in der 2. Lebenshälfte in die Seniorenarbeit<br />
geht oder gerne wechseln würde –<br />
anders als die männlichen Kollegen, die in dieser<br />
Lebensphase eher in Leitungsstellen wechseln.<br />
Ebenso gibt es aber auch Landeskirchen, wo<br />
noch ein verschwindend geringer Anteil der gemeindepädagogischen<br />
Mitarbeitenden auf dieses<br />
Arbeitsfeld zugeht. Dies trifft in besonderem<br />
Maße - aber nicht nur - auf die ostdeutschen Landeskirchen<br />
zu. Deutlich aber wird, dass in den
meisten Landeskirchen die Herausforderungen,<br />
die der demographische Wandel auch an die Gemeindepädagogik<br />
stellt, erkannt sind.<br />
Fort- und Weiterbildung<br />
Wer in der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen<br />
tätig werden will, braucht selbstverständlich<br />
auch Fortbildung. Manche Landeskirchen bieten<br />
neben gezielten Fortbildungen auch schon umfassende<br />
Qualifizierungskurse <strong>für</strong> gemeindepädagogische<br />
Mitarbeitende an. Diese berufsbegleitende,<br />
oft zweijährige Weiterbildung führt<br />
zu einem Zertifikat als Seniorenreferent/in oder<br />
als Referent/in <strong>für</strong> Generationen- und Altenarbeit.<br />
Auch in Nordelbien wird in der „<strong>Fachstelle</strong><br />
<strong>Alter</strong>“ intensiv darüber nachgedacht, eine solche<br />
Qualifizierung zu ermöglichen. 6<br />
Zusätzlich finden, so die Erfahrung aus <strong>anderen</strong><br />
Landeskirchen, Mitarbeitende, die eine<br />
solche Weiterbildung absolviert haben, zu einer<br />
höheren Berufszufriedenheit – trotz gleichbleibenden<br />
Gehaltes. Das zeigt, dass die notwendige<br />
Erweiterung des gemeindepädagogischen Praxisfeldes<br />
zusätzlich auch noch ein gutes und<br />
wichtiges Instrument der Personalentwicklung<br />
sein kann.<br />
Einen Aufbruch ermöglichen<br />
Zwischen Wandel und Aufbruch steht auch<br />
die Gemeindepädagogik. Das, was in den vergangenen<br />
Jahren gewachsen ist, sich an manchen<br />
Stellen gewandelt hat, gilt es weiter zu unterstützen<br />
und fortzuführen. Jedoch braucht es<br />
zunehmend konkrete Verankerungen und verlässliche<br />
Strukturen, auch in Ordnungen, Gesetzen,<br />
landeskirchlichen Referaten, Gremien und in der<br />
Personalentwicklung.<br />
Die Gemeindepädagogik und die da<strong>für</strong> ausgebildeten<br />
Mitarbeitenden können zu dem Reformprozess,<br />
den Gesellschaft und Kirche durchlaufen,<br />
einen erheblichen Teil beitragen.<br />
Anmerkungen<br />
1) Foitzik, K., Gemeindepädagogik, Gütersloh<br />
1992, S. 351<br />
2) vgl. Petzold, K., Wermke, M., Ein Jahrhundert<br />
Katechetik und Religionspädagogik in Ostdeutschland,<br />
Leipzig, 2007, S. 28-34 und S. 52<br />
3) Piroth, N., Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />
biographischen Lernens, Münster<br />
SENIORENARBEIT<br />
2004, S. 41<br />
4) Piroth, N., Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />
biographischen Lernens, Münster<br />
2004, S. 41<br />
5) Habersetzer, M., Selbstbewusstsein – Lebens-<br />
und Glaubensgeschichte gestalten, in:<br />
Blasberg-Kuhnke, M., Wittrahm, A., <strong>Alter</strong>n in<br />
Freiheit und Würde, München 2007, S. 122<br />
6) Nähere Auskünfte bei der Beauftragten <strong>für</strong><br />
SeniorInenarbeit in der „Nordelbischen <strong>Fachstelle</strong><br />
<strong>Alter</strong>“ in Kiel.<br />
Telefon 0431 / 66 117 - 0<br />
service@dmh-umzuege.de<br />
www.dmh-umzuege.de<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
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21
SENIORINNENARBEIT<br />
Innovative Seniorenarbeit als<br />
Angebot in 5 Kirchengemeinden<br />
Ein Erfahrungsbericht aus dem Kirchenkreis<br />
Schleswig-Flensburg<br />
ULRIKE LINDEMANN-TAUSCHER<br />
Pastorin Ulrike Lindemann-Tauscher hat<br />
eine 50%-Pfarrstelle <strong>für</strong> Innovative Seniorenarbeit<br />
im Kirchenkreis Schleswig-<br />
Flensburg.<br />
Ausgangslage<br />
Anfang 2005 machte sich eine Region im ehemaligen<br />
Kirchenkreis Angeln auf den Weg, <strong>für</strong><br />
ihre fünf Kirchengemeinden einen neuen Arbeitsbereich<br />
zu schaffen: Für die sogenannte „Generation<br />
50+“. Ohne etwas gegen den traditionellen Seniorenkreis<br />
sagen zu wollen, gibt es aber doch zunehmend<br />
älter werdende Menschen, die sich von<br />
solchen Angeboten nicht angesprochen fühlen. Sie<br />
suchen nach neuen, <strong>anderen</strong> Formen der Begegnung<br />
und Auseinandersetzung. Zum einen wollten<br />
die Vertreterinnen und Vertreter der Region (Kirchenvorsteherinnen<br />
und Kirchenvorsteher aus den<br />
fünf Kirchengemeinden) diesen sich verändernden<br />
Ansprüchen Rechnung tragen, zum <strong>anderen</strong> wollten<br />
sie auf die neue Situation eingehen, dass durch<br />
die demografische Entwicklung die „Generation<br />
50+“ stetig wächst. Da durch Stellenkürzungen eine<br />
Mehrarbeit der zuständigen Ortspastorinnen<br />
und –pastoren <strong>für</strong> entsprechende neue Angebote<br />
nicht in Frage kam, eine halbe Pfarrstelle <strong>für</strong> alle<br />
fünf Kirchengemeinden gemeinsam aber noch zur<br />
Verfügung stand, wurde der Entschluss gefasst,<br />
diese halbe Pfarrstelle <strong>mit</strong> dem besonderen Dienstauftrag<br />
der sogenannten „Innovativen Seniorenarbeit“<br />
zu verbinden.<br />
Neue Ansätze<br />
Nach gut 20 Jahren „normaler“ Gemeindearbeit<br />
empfand ich es als eine besondere Her-<br />
22 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
ausforderung, diese Aufgabe zu übernehmen.<br />
Längst hatte ich selbst beobachtet, dass sich<br />
nicht mehr alle älteren Menschen vom klassischen<br />
Angebot der Seniorenarbeit ansprechen<br />
ließen. Meine Vorstellungen gingen nun dahin,<br />
Gruppenangebote zu machen, bei welchen die<br />
Teilnehmenden sich entsprechend ihrer Fähigkeiten<br />
und Begabungen <strong>mit</strong> einbringen, sei es<br />
bei der Themenfindung oder auch bei der inhaltlichen<br />
oder praktischen Vorbereitung. Ein<br />
aktives Miteinander in der Gemeinde war und ist<br />
mein Ziel.<br />
Die ersten beiden Gruppen, die sich monatlich<br />
treffen, sind ein Besuchsdienst und eine Regionalgruppe<br />
„Kirchen und Klöster“. Beim Besuchsdienst<br />
ist das Besondere, dass die Besuchsdienstfrauen<br />
(noch machen keine Männer <strong>mit</strong>)<br />
jeweils nur einen älteren Menschen besuchen.
Anders als beim klassischen Geburtstagsbesuchsdienst<br />
wächst durch den regelmäßigen<br />
Kontakt eine sehr viel intensivere Beziehung.<br />
Das gegenseitige Geben und Nehmen wird –<br />
wohl auf beiden Seiten – als großes Geschenk erfahren.<br />
Beim monatlich stattfindenden Treffen<br />
besteht <strong>für</strong> die Besuchsdienstfrauen zum einen<br />
die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und<br />
zum <strong>anderen</strong> die Möglichkeit, über ein von mir<br />
vorbereitetes Thema ins Gespräch zu kommen.<br />
Mit einer kleinen Geschichte oder einem Segensgebet<br />
beschließen wir das Treffen.<br />
Die Regionalgruppe „Kirchen und Klöster“<br />
– von mir ursprünglich als Reisegruppe geplant<br />
– hat sich selbst zum Ziel gesetzt, sich <strong>mit</strong> der<br />
heimischen Geschichte im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />
Kirchen und Klöstern zu befassen. Im Winterhalbjahr<br />
gibt es Vorträge zu Themen rund um<br />
Kirche und Kloster und im Sommerhalbjahr besuchen<br />
wir Klöster und Kirchen in der näheren<br />
und weiteren Umgebung, von Ribe/Dänemark<br />
bis Uetersen und Itzehoe. Diese Gruppe besteht<br />
je zur Hälfte aus Männern und Frauen. Gemeinsam<br />
werden Ziele ausgesucht und Themen <strong>für</strong><br />
Vorträge ausgewählt. Einige der Männer dieser<br />
Gruppe bereiten gerne ein Thema vor. Die Frauen<br />
sorgen <strong>für</strong> die praktische Vorbereitung, indem<br />
sie selbstgebackene köstliche Kuchen <strong>für</strong> das<br />
leibliche Wohl <strong>mit</strong>bringen. Die Ausflugsfahrten<br />
werden in Fahrgemeinschaften in zur Verfügung<br />
gestellten PKW der Teilnehmenden unternommen.<br />
Die Kosten werden umgelegt. So verwaltet<br />
sich diese Gruppe weitestgehend selbst. <strong>Ich</strong> bleibe<br />
meist als Koordinatorin im Hintergrund.<br />
Aus einer am Abend angebotenen vierteiligen<br />
Gesprächsreihe zu den „Perlen des Glaubens“<br />
ist auf Wunsch der Teilnehmenden eine<br />
„Muntere Gesprächsrunde am Frühstückstisch“<br />
geworden. Vom Thema „Gender“ ausgehend,<br />
versuchen wir in dieser Gruppe, biblische<br />
Texte neu zu betrachten und zu verstehen. Auch<br />
hier sucht die Gruppe die Themen aus. Meistens<br />
bereite ich das Thema vor. In Einzelfällen hat<br />
auch schon eine Teilnehmerin etwas ausgearbeitet.<br />
Für das Frühstück bringe ich Brötchen <strong>mit</strong>,<br />
alles andere kommt von den Teilnehmenden.<br />
Diese Gruppe gönnt sich jeweils eine schöpferische<br />
Sommerpause von April bis August.<br />
Das jüngste Angebot ist auch eine Gesprächsgruppe<br />
und trägt den Titel „Redezeit“.<br />
SENIORENARBEIT<br />
Sie findet einmal im Monat am Abend statt, kann<br />
so auch von noch Berufstätigen wahrgenommen<br />
werden und ist <strong>für</strong> dieses Winterhalbjahr vorgesehen.<br />
Wie bei einer bekannten Radiosendung<br />
„Redezeit“ soll auch hier die Möglichkeit gegeben<br />
werden, über ein Thema ins Gespräch zu<br />
kommen. Gedacht ist an Fragen des Glaubens,<br />
Themen zu Kirche und Theologie. Um dem Gespräch<br />
eine Richtung zu geben, leite ich den<br />
Abend ein <strong>mit</strong> jeweils einer Perle der „Perlen des<br />
Glaubens“. Den Abschluss bildet ein Abendgebet<br />
und Segen <strong>mit</strong> dem Perlenband. Wenn diese<br />
Gruppe weiterhin gewünscht wird, möchte ich,<br />
dass auch hier die Teilnehmenden selbst bestimmen,<br />
worüber das nächste Mal gesprochen wird.<br />
Im vergangenen Jahr 2008 habe ich einen<br />
Kurs „Tandem-Seniorenbegleitung“ durchgeführt.<br />
Sieben Tandem-Seniorenbegleiterinnen<br />
und –begleiter treffen sich nun etwa alle drei Monate<br />
zum Austausch ähnlich wie die Besuchsdienstgruppe.<br />
Ab dem ersten Sonntag in der Adventszeit<br />
gestalte ich den „Lebendigen Adventskalender“<br />
in den von mir betreuten fünf Kirchengemeinden.<br />
Dieses „Projekt“ verbindet nicht nur die<br />
Kirchengemeinden, sondern auch die Generationen<br />
von Jung bis Alt. Immer mehr Gastgeberinnen<br />
oder Gastgeber bereiten ihr Adventsfenster<br />
auch inhaltlich vor. Das aktive Miteinander bereitet<br />
allen viel Freude.<br />
Vernetzung<br />
Neben der Arbeit in den fünf Kirchengemeinden<br />
habe ich <strong>mich</strong> auf die Suche gemacht<br />
nach <strong>anderen</strong> Menschen, die auch in der innovativen<br />
Seniorinnen- und und Seniorenarbeit<br />
tätig sind, um neue Ideen und Anregungen zu<br />
gewinnen. Auf diesem Weg bin ich zur „Nordelbischen<br />
Arbeitsgemeinschaft <strong>Alter</strong>n (NeA)“ gestoßen.<br />
In dieser Arbeitsgemeinschaft organisieren<br />
sich vorwiegend die Beauftragten <strong>für</strong> die SeniorInnenarbeit<br />
in den Kirchenkreisen. Viermal<br />
im Jahr treffen wir uns zum Austausch und zur<br />
Fortbildung bei der „Nordelbischen <strong>Fachstelle</strong><br />
<strong>Alter</strong>“ in Kiel. Dort habe ich schnell erfahren,<br />
welch großen Stellenwert die innovative Arbeit<br />
<strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren andernorts schon<br />
einnimmt. Und wieder einmal zeigte sich mir,<br />
wie hilfreich und Gewinn bringend eine Vernetzung<br />
sein kann. Mit der NeA bin ich in Stuttgart<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
23
SENIORINNENARBEIT<br />
Begegnung von Alt und Jung in einer kirchlichen Veranstaltung<br />
gewesen, um die Strukturen der dortigen klassischen<br />
und innovativen Arbeit kennenzulernen.<br />
Eine zweite, kurze Studienfahrt führte uns nach<br />
Düsseldorf, wo es sogar ein Evangelisches Zentrum<br />
<strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit gibt. Dieses<br />
Zentrum wird getragen von der Evangelischen<br />
Kirche im Rheinland, von dem Evangelischen Erwachsenbildungswerk<br />
Nordrhein und dem Diakonischen<br />
Werk der Evangelischen Kirche im<br />
Rheinland.<br />
Kulturführerschein<br />
Im Evangelischen Zentrum <strong>für</strong> innovative<br />
Seniorenarbeit im Rheinland wurde auch der<br />
Kulturführerschein entwickelt, den wir <strong>mit</strong> einer<br />
kleinen Steuerungsgruppe 2008 in Nordelbien<br />
eingeführt haben. In Hamburg läuft der<br />
erste Kurs. Bei uns im Norden beginnt die Werbung<br />
<strong>mit</strong> einem Schnuppertag am 13. März<br />
2010 in Schleswig. Der erste Kurs „Kulturführerschein“<br />
wird dann - über das Jahr 2010 verteilt<br />
- auch bei uns angeboten werden. Beim<br />
Kulturführerschein geht es vereinfacht gesagt<br />
um einen Gruppenleiterschein <strong>für</strong> Erwachsene.<br />
24 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
An sieben Studientagen werden zu verschiedenen<br />
Kulturbereichen Medien und Methoden<br />
vorgestellt und Informationen gegeben. Darüber<br />
hinaus müssen von den Teilnehmenden<br />
Projekte erarbeitet und vorgestellt werden. Das<br />
Ziel besteht darin, „junge Ältere“ zu ermutigen,<br />
ihren Interessen und Begabungen entsprechend<br />
eine Kulturgruppe in ihrer Kirchengemeinde<br />
zu gründen. <strong>Ich</strong> bin gespannt, ob es in<br />
unserer Region gelingt, Interessierte <strong>für</strong> dieses<br />
Projekt zu gewinnen.<br />
Ausblick<br />
Zum Schluss möchte ich noch erwähnen,<br />
dass ich, wo immer ich von meiner halben Stelle<br />
<strong>mit</strong> dieser besonderen Aufgabe erzähle, sofort<br />
Zustimmung ernte. Die Erfahrung, dass die jungen<br />
Alten oft andere Ansprüche und Vorstellungen<br />
von Gruppenangeboten ihrer Kirchengemeinden<br />
haben, zeigt sich überall. Das macht<br />
mir deutlich, dass wir als Kirche dringend weiter<br />
daran arbeiten müssen, unsere Arbeit <strong>für</strong> Senioren<br />
und Seniorinnen zu überdenken und neue<br />
Wege zu beschreiten.
Vernetzung in der<br />
Seniorenarbeit<br />
Es genügt nicht, zum Fluss zu kommen <strong>mit</strong> dem<br />
Wunsch, Fische zu fangen. Man muss auch das<br />
Netz <strong>mit</strong>bringen.<br />
UTE ZEIßLER<br />
Ute Zeißler, Diakonin und Dipl. Sozialpädagogin,<br />
koordiniert seit 2002 das regionale<br />
Projekt „LEBEN IM ALTER“, das<br />
sich die hier beschriebene Vernetzung<br />
vorgenommen und in vielen gemeinsamen<br />
Vorhaben realisiert hat. Seit 2009 ist<br />
sie <strong>mit</strong> einer weiteren 50%-Anstellung im<br />
Kirchenkreis Hamburg West / Südholstein<br />
<strong>für</strong> gemeinwesenorientierte Seniorenarbeit<br />
zuständig.<br />
Notwendige Vernetzung<br />
Seniorenarbeit ist ein weites Feld, das von<br />
offener Bildungs- und Gemeindearbeit bis zu stationärer<br />
Pflege, ja bis zur Altenheimseelsorge<br />
und zur Hospizarbeit reicht. Auch wenn es regional<br />
ein vielfältiges Angebot <strong>für</strong> Ältere gibt, besteht<br />
häufig zwischen den Anbieter/innen wenig<br />
Kenntnis voneinander, geschweige denn Kontakt<br />
und Zusammenarbeit.<br />
Wollen wir unserem christlichen und gesellschaftlichen<br />
Auftrag gerecht werden und das bei<br />
schwindenden (finanziellen) Ressourcen und<br />
steigender Nachfrage (demografischer Wandel),<br />
dürfen diese kirchlichen und diakonischen Angebote<br />
und ihre Institutionen nicht isoliert nebeneinander<br />
stehen und arbeiten, sondern müssen<br />
kooperieren und sich vernetzen. Dieser Artikel<br />
beschreibt das Fischen im eigenen Teich,<br />
aber die Idee ist genauso übertragbar auf die Kooperation<br />
<strong>mit</strong> nichtkirchlichen, behördlichen<br />
und freien Trägern.<br />
SENIORENARBEIT<br />
Gemeinden und Institutionen, die unverbunden<br />
und unabgesprochen nebeneinander arbeiten,<br />
schaffen häufig ein unübersichtliches<br />
und da<strong>mit</strong> oft intransparentes Angebot, das verwirrt<br />
und wenig geeignet ist, den älteren Menschen<br />
eine optimale „Versorgung“ zu garantieren.<br />
Dies gilt sowohl <strong>für</strong> die aktiven Alten, erst<br />
recht aber <strong>für</strong> die Immobilen, die auf Pflege angewiesen<br />
sind. Sie sind die ersten, die aus der<br />
Angebotskette herausfallen.<br />
Offene Zusammenarbeit hilft den Institutionen<br />
Konkurrenz zu vermeiden, indem man ein<br />
differenziertes Angebot <strong>mit</strong>einander abspricht,<br />
sie lichtet den „Dschungel“ und unterstützt die<br />
Nutznießerin etwas individuell Passendes zu fin-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
25
SENIORINNENARBEIT<br />
Begegnung von Alt und Jung. Generationenübergreifende kirchliche Arbeit.<br />
den. Vernetzung ist ein viel zitiertes Zauberwort<br />
und der Wunsch danach scheint unstrittig.<br />
Trotzdem wird dieser Vernetzungsanspruch<br />
in den Kirchengemeinden nur unzureichend umgesetzt.<br />
Motivation scheint durchaus vorhanden.<br />
Also: Woran hapert es?<br />
Die Personaldecke in den Gemeinden ist<br />
dünn, hauptamtliche Seniorenarbeiter/innen<br />
gibt es kaum; die Seniorenarbeit wird in der Regel<br />
von den Pastor/innen <strong>mit</strong>geleistet, die sich<br />
<strong>mit</strong> sehr unterschiedlichem Know-how, Zeitbudget<br />
und Leidenschaft engagieren. Meist reicht es<br />
nur zum klassischen Seniorennach<strong>mit</strong>tag oder<br />
Altenkreis. Diese haben ihre Berechtigung, greifen<br />
aber zu kurz, wenn man bedenkt, dass das<br />
Seniorenalter zwei Generationen umfasst und<br />
länger dauert als Kindheit und Jugend zusammen.<br />
Der Blick über die Kirchturmspitze kostet<br />
zusätzliche Energie, die nicht vorhanden<br />
scheint. Nur wenige Gemeinden haben ein Konzept,<br />
und wenn doch, ist selten Seniorenarbeit<br />
ein Schwerpunkt – trotz der demografischen Entwicklung.<br />
Die Vernetzung <strong>mit</strong> diakonischen Ein-<br />
26 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
richtungen oder <strong>anderen</strong> Anbietern in der Region<br />
scheint also häufig der zweite Schritt vor dem<br />
ersten zu sein. Wobei sich in der Praxis gezeigt<br />
hat, das regionale Vernetzung auch dazu führen<br />
kann, dass sich Gemeinden daran machen, ihre<br />
eigene Seniorenarbeit zu überdenken.<br />
Gemeinden trennen sich häufig schwer vom<br />
Bild der klassischen Ehrenamtlichen, die den<br />
Hauptamtlichen Arbeit abnehmen. Es fehlt dementsprechend<br />
ein zeitgemäßes Freiwilligenmanagement.<br />
Dies ist nötig, will man die „jungen<br />
Alten“, plan- und sinnvoll in die (Senioren)arbeit<br />
einbinden. Diese neue Generation von<br />
Freiwilligen fordert verlässliche Ansprechpartner/innen<br />
und Begleitung sowie eine tragfähige<br />
Infrastruktur (Räume, Etats, Fortbildung, Anerkennungskultur<br />
u.s.w.). Kümmern Gemeinden<br />
sich nicht darum, verschenken sie ein riesiges<br />
Potential an Erfahrung, Können, Engagement<br />
und Zeit.<br />
Stationäre Einrichtungen in der Gemeinde<br />
bilden einen komplexen Mikrokosmos, der „von<br />
außen“ oft kaum zu durchschauen ist. Gemeindepastor/innen<br />
brauchen verlässliche Ansprechpartner/innen,<br />
um in diesem System anzukommen.<br />
Fehlende Qualifizierung <strong>für</strong> Sterbebeglei-
tung oder den Umgang <strong>mit</strong> Demenzkranken, die<br />
in Pflegeeinrichtungen unabdingbar geworden<br />
sind, vereinfacht nicht gerade den Zugang bzw.<br />
die Zusammenarbeit.<br />
Diakonische Einrichtungen tun sich auch<br />
häufig <strong>mit</strong> einer Öffnung schwer: Sie unterliegen<br />
einem hohen Refinanzierungsdruck, so dass<br />
meist <strong>für</strong> Overheadarbeiten wie etwa Vernetzung<br />
kein Geld bzw. kein Personal vorhanden ist. Einrichtungen<br />
scheuen sich oft Ehrenamtliche in<br />
nichtpflegerischen Bereichen einzusetzen, nicht<br />
zuletzt aus Sorge um die hauptamtlichen Arbeitsplätze.<br />
Häufig fehlt auch hier ein Konzept<br />
Freiwilligenarbeit.<br />
Diakonie- und Gemeinde<strong>mit</strong>arbeitende sprechen<br />
oft eine unterschiedliche Sprache.<br />
Was bringt zusammen?<br />
Man muss das Netz nicht bloß werfen, sondern<br />
auch ziehen. Für den Abbau von Konkurrenz,<br />
um der steigenden Nachfrage zu begegnen,<br />
und um undurchsichtige und teure Doppelstrukturen<br />
zu vermeiden, scheint Vernetzung das Gebot<br />
der Stunde. Um die Akteur/innen der Seniorenarbeit<br />
an einen Tisch zu bekommen, bedarf<br />
es attraktiver Themen, die alle davon überzeugen,<br />
dass sich Zusammenarbeit lohnt. Es<br />
braucht konkrete Projekte, von denen alle profitieren.<br />
Warum eigentlich nicht?<br />
• Warum nicht eine gemeinsame Koordinierungsstelle,<br />
die hilft, die Freiwilligen zu suchen,<br />
in Tätigkeiten, nach ihren Kompetenzen<br />
und Wünschen zu ver<strong>mit</strong>teln, gemeinsame<br />
Schulungen und Wohlfühlangebote zu<br />
organisieren?<br />
• Warum nicht einen Gemeindegottesdienst im<br />
Garten des Pflegeheimes feiern?<br />
• Warum sollen nicht mobile Bewohner/innen<br />
<strong>für</strong> einen Tagesausflug der Gemeinde abgeholt<br />
werden?<br />
• Warum nicht gemeinsame Freiwilligenbörsen<br />
an nichtkirchlichen Orten veranstalten?<br />
• Warum nicht gemeinsam ins Einkaufszentrum?<br />
Gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit verhilft<br />
zu einem positiven Image von Kirche vor<br />
Ort.<br />
• Warum nicht einen Fahrdienst der Gemeinde<br />
SENIORENARBEIT<br />
zu Veranstaltungen und Gottesdiensten organisieren?<br />
Die Einrichtungen revanchieren<br />
sich <strong>mit</strong> Räumen <strong>für</strong> Gemeindeveranstaltungen.<br />
(Was ihren Bewohner/innen die Anfahrt<br />
erspart und Leben ins Haus bringt)<br />
• Warum sollten die Pfleger/innen der Diakoniestation<br />
nicht den Besuchsdienst der Gemeinde<br />
ver<strong>mit</strong>teln?<br />
• Warum keine gemeinsamen Projekte entwickeln<br />
wie eine Handwerkergruppe <strong>für</strong><br />
Männer, einen Gesprächskreis <strong>für</strong> pflegende<br />
Angehörige, ein Biografie- oder Mehrgenerationenprojekt?<br />
• Und warum eigentlich nicht eine gemeinsame<br />
Fundraisinggruppe, die das Geld <strong>für</strong> die<br />
Ideen und Aktivitäten beschafft?<br />
Wenn aber doch…<br />
Lassen sich Gemeinden und Gemeinderegionen<br />
auf diesen Weg ein, brauchen sie Begleitung<br />
z.B. durch das Seniorenwerk ihres Kirchenkreises.<br />
Dieses hilft den Bestand an offener, ambulanter<br />
und teilstationärer Seniorenarbeit in der<br />
Gemeinde und den Grad der Zusammenarbeit zu<br />
eruieren und zu bewerten. Es unterstützt bei der<br />
Aufarbeitung von Störungen im Kontakt <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong><br />
Anbietern. Es gibt Starthilfe <strong>für</strong> notwendige<br />
kooperative Gremien vor Ort. Hilfreich <strong>für</strong> den<br />
Prozess sind Erfahrungen aus bereits realisierten<br />
Projekten. Ideal sind „Runde Tische“, an denen<br />
sich Vernetzungsprojekte austauschen und gegenseitig<br />
beraten können oder Impulstage und<br />
Workshops, die den Vernetzungsgedanken thematisieren.<br />
Die Recherche von Quellen zur Anschubfinanzierung<br />
könnte ebenfalls eine Maßnahme<br />
des Kirchenkreises zur Unterstützung der<br />
Gemeinden sein.<br />
Fazit<br />
Wie sich Vernetzung konkret gestaltet,<br />
hängt von der Zusammensetzung der Vernetzungspartner/innen<br />
und deren Ressourcen ab.<br />
Kreativität und Ideenreichtum <strong>für</strong> gemeinsame<br />
Projekte sind gefragt, aber auch die Bereitschaft,<br />
Konflikte auszutragen und da<strong>mit</strong> zu einer verlässlichen<br />
und vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />
zu gelangen. Mit Mut, Humor und Geduld<br />
aller Beteiligten lassen sich tragfähige Netze<br />
knüpfen.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
27
SENIORINNENARBEIT<br />
Das LotsenBüro<br />
Informationen <strong>für</strong> Angehörige demenzkranker Menschen<br />
UTE ZEIßLER<br />
Ute Zeißler, Diakonin und Dipl. Sozialpädagogin,<br />
koordiniert seit 2002 das regionale<br />
Projekt „Leben im <strong>Alter</strong>“. Eine<br />
Frucht dieses Projektes ist das LotsenBüro<br />
im Hamburger Westen. Seit 2009 ist sie<br />
<strong>mit</strong> einer weiteren 50%-Anstellung im<br />
Kirchenkreis Hamburg West / Südholstein<br />
<strong>für</strong> gemeinwesenorientierte Seniorenarbeit<br />
zuständig.<br />
Aufgabe des LotsenBüros<br />
Eine Demenz- bzw. Alzheimererkrankung<br />
stellt alle Betroffenen vor eine enorme Herausforderung.<br />
Viele Fragen stürzen auf die gesamte<br />
Familie ein, vieles muss geregelt, schwierige Entscheidungen<br />
getroffen werden. Pflegende Angehörige<br />
brauchen jetzt vor allem jemanden, der<br />
ihnen aufmerksam zuhört, dem sie ihre Fragen<br />
anvertrauen können und der ihre Sorgen und<br />
Ängste ernst nimmt und sie in ihren Ambiva-<br />
28 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
lenzen versteht.<br />
Um diesem Bedarf zu begegnen, hat das<br />
Projekt LEBEN IM ALTER seit dem 1. Juli 2005<br />
im Hamburger Westen eine neue Einrichtung<br />
aus der Taufe gehoben: Das LotsenBüro, eine<br />
Anlaufstelle <strong>für</strong> Angehörige demenzkranker<br />
Menschen.<br />
Neben Fragen zum Krankheitsbild und –<br />
verlauf, sowie zum Umgang <strong>mit</strong> den Erkrankten<br />
geht es in der Beratung vor allem um die Situation<br />
der pflegenden Angehörigen: Wie können<br />
diese unterstützt und entlastet werden und<br />
welche Angebote wie Tages- und Kurzzeitpflege,<br />
ambulante Besuchsdienste oder Betreuungsgruppen<br />
helfen in ihrer speziellen Situation?<br />
Manchmal kann die Angehörigengruppe<br />
des LotsenBüros eine adäquate Unterstützung<br />
bieten. Darüber hinaus ver<strong>mit</strong>teln die Berater/innen<br />
kompetente Hilfe bei medizinischen<br />
und rechtlichen Fragen.<br />
Ein zentrales Ziel des LotsenTeams ist es,<br />
Ratsuchenden zu helfen, die Vielzahl der<br />
Hilfsangebote zu sichten, die sich <strong>mit</strong>tlerweile<br />
in einer Großstadt wie Hamburg entwickelt haben.<br />
Gemeinsam wird ein möglicher Weg aufgezeichnet<br />
und die nächsten Schritte, die sie in<br />
ihrer Situation gehen könnten. Besonders die<br />
Angehörigen im Team, die selber davon betroffen<br />
sind, wissen aus eigener Erfahrung, wie<br />
wichtig es ist, sich rechtzeitig über Angebote<br />
zur Hilfe und Unterstützung zu informieren<br />
und diese auch in Anspruch zu nehmen.<br />
Das Team des LotsenBüros<br />
Zehn freiwillige Mitarbeiter/innen – alle zu<br />
Beginn ihrer Tätigkeit geschult und regelmäßig<br />
fortgebildet - bilden das LotsenTeam. Die sehr<br />
heterogene Gruppe besteht aus Angehörigen,<br />
aus Professionellen aus dem Pflegebereich, aber<br />
auch Menschen aus <strong>anderen</strong> Berufen, wie z.B.
Das LotesenBüro-Team<br />
ein pensionierter Vormundschaftsrichter, der die<br />
erste Anlaufstelle bei allen rechtlichen Fragen<br />
ist. Koordiniert und professionell begleitet wird<br />
das Ganze von der Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin<br />
Ingrid Kandt. Die Vernetzung in<br />
die Region garantiere ich über das Projekt LE-<br />
BEN IM ALTER. Wir beide sind auch <strong>für</strong> die Öffentlichkeitsarbeit<br />
und die Beschaffung finanzieller<br />
Mittel zuständig. Das Projekt finanziert sich<br />
zur Zeit aus Förder<strong>mit</strong>teln, Spenden und Kollekten.<br />
Das Angebot des LotsenBüros<br />
Jeden Freitagvor<strong>mit</strong>tag und jeden zweiten<br />
Dienstagnach<strong>mit</strong>tag stehen je zwei freiwillige<br />
Mitarbeiter/innen <strong>für</strong> telefonische und persönliche<br />
Gespräche bereit. Die Beratungsgespräche<br />
finden in einer geschützten Atmosphäre<br />
statt. Persönliche Informationen werden<br />
selbstverständlich vertraulich behandelt. Das<br />
Angebot berücksichtigt die Realität vielfältiger<br />
SENIORENARBEIT<br />
Betreuungssituationen. Häufig können Angehörige<br />
nur dann ungestört telefonieren,<br />
wenn der oder die Erkrankte <strong>mit</strong>tags schläft<br />
oder in einer Tagesbetreuung ist. Das Lotsenangebot<br />
reicht von einmaligen Tipps bis zur<br />
längerfristigen Begleitung. Neben vielfältigem<br />
Informationsmaterial, wie Faltblättern und<br />
Broschüren, verfügt das LotsenBüro über eine<br />
umfangreiche Adressdatei von Anbietern und<br />
Einrichtungen in und um Hamburg. Bei Bedarf<br />
kann auch der Kontakt zum Helfer/innenkreis<br />
der Diakoniestation Flottbek-Nienstedten<br />
gGmbh ver<strong>mit</strong>telt werden, einem häuslichen<br />
Besuchsdienst <strong>für</strong> Menschen <strong>mit</strong> Demenz. Diese<br />
Diakoniestation ist Mitglied im Projekt LE-<br />
BEN IM ALTER. Weiterhin erhalten Angehörige<br />
aktuelle Hinweise auf einschlägige Vorträge<br />
und Veranstaltungen. Mehrmals im Jahr führt<br />
das LotsenBüro selbst Veranstaltungen <strong>mit</strong><br />
namhaften Expert/innen zum Thema Demenz<br />
durch. Seit gut zwei Jahren bieten drei Mitglie-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
29
Veranstaltung des LotsenBüros<br />
der des Lotsenteams einen monatlichen Gesprächskreis<br />
<strong>für</strong> Angehörige an, der regen Zuspruch<br />
erfährt. Diese Selbsthilfegruppe bietet<br />
Austausch und Entlastung. Eine professionell<br />
angeleitete Coachinggruppe <strong>für</strong> Angehörige<br />
rundet das Angebot ab. Einmal im Jahr veranstaltet<br />
das Projekt LEBEN IM ALTER in Kooperation<br />
<strong>mit</strong> dem LotsenBüro einen Segnungsund<br />
Salbungsgottesdienst zur sonntäglichen<br />
Gottesdienstzeit <strong>für</strong> die Gemeinde und <strong>für</strong> Betroffene.<br />
Die Öffentlichkeitsarbeit des LotsenBüros<br />
Die Werbung läuft über Artikel in den Wochenblättern<br />
und <strong>anderen</strong> Printmedien, über die<br />
eigene Website www.lotsenbuero.de, aber auch<br />
über Auslagen in den ortsansässigen Apotheken,<br />
Bücherhallen und Arztpraxen. Das LotsenBüro<br />
ist bei vielen Veranstaltungen <strong>mit</strong> einem Infotisch<br />
und Ansprechpartner/innen vor Ort.<br />
Ein Höhepunkt war eine dreitägige Infoveranstaltung<br />
im Elbe-Einkaufszentrum, eine hervorragende<br />
Möglichkeit, niederschwellig über<br />
das Thema zu informieren und so unterschiedliche<br />
Angebote der Region gemeinsam an einen<br />
Infotisch zu holen.<br />
Feedback<br />
Mittlerweile ist das LotsenBüro eine anerkannte<br />
Institution im Hamburger Westen. Es lau-<br />
30 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
fen vielfältige Vernetzungen z.B. zur Hamburgischen<br />
Brücke oder zur Alzheimergesellschaft.<br />
Die stetig steigende Zahl der Ratsuchenden und<br />
der große Zulauf bei Veranstaltungen zeigen,<br />
dass es einen riesigen Informationsbedarf gibt<br />
und dass die Menschen beginnen, sich offen <strong>mit</strong><br />
dem Thema auseinanderzusetzen.<br />
Schlusswort<br />
Kirche muss diesem Bedarf entgegenkommen.<br />
Unser christliches Menschenbild gebietet<br />
uns gerade, die Angehörigen, die oft einer großen<br />
Belastung ausgesetzt sind, vor der drohenden<br />
Überforderung und Isolation zu bewahren und sie<br />
in die Gemeinschaft (zurück) zu holen.<br />
Das LotsenBüro ist ein „Produkt“ des Vernetzungsprojektes<br />
LEBEN IM ALTER. Die Akteur/innen<br />
aus Gemeinden und diakonischen<br />
Einrichtungen haben quasi ein „Drittes“<br />
geschaffen, von dem alle profitieren.<br />
Ingrid Kandt, Koordination. LotsenBüro:<br />
www.lotsenbuero.de<br />
Ute Zeißler. Koordination. LEBEN IM ALTER<br />
(Die Definition von „Angehörige“ ist sehr weit gefasst:<br />
es wenden sich auch Freund/innen, Nachbar/innen<br />
oder Mitarbeitende sozialer Einrichtungen<br />
und Kirchengemeinden ans Lotsen-<br />
Büro.)
Besuche – Unterbrechungen<br />
des Alltags<br />
Die leisen Kontakte gemeindlicher Besuchsdienste<br />
CLAUDIA PUTZ<br />
Claudia Putz ist Diplom-Psychologin. Seit<br />
2001 hat sie eine Teilzeitanstellung als<br />
„Referentin <strong>für</strong> Besuchsdienst“ im Gemeindedienst<br />
der Nordelbischen Kirche.<br />
In dieser Funktion berät und begleitet sie<br />
Kirchengemeinden bei der Gründung und<br />
Gestaltung von Besuchsdienstgruppen.<br />
Besuche unterbrechen unseren Alltag, unsere<br />
Routine. Das gilt <strong>für</strong> den Besucher und den<br />
Besuchten gleichermaßen. Der Alltag ist von<br />
Pflichten gefüllt, von Langeweile, vom Hobby.<br />
Dieser Alltag findet überall statt, zu Hause, im<br />
Krankenhaus, im Pflegeheim. Routine <strong>mit</strong> all<br />
ihren Facetten nimmt alle in ihren Bann, unabhängig,<br />
ob man jung oder alt ist, ob es die Arbeit<br />
ist, egal welchen Beruf man ausübt oder ob man<br />
im Ruhestand ist. Der Besuch ist eine Unterbrechung.<br />
Mindestens zwei Menschen treffen sich <strong>mit</strong><br />
ihren Geschichten, ihrem Lachen und ihren Sorgen.<br />
Sie erzählen sich, hören zu und denken<br />
nach - gemeinsam. Ob sie einen Moment vor der<br />
Tür stehen, im Wohnzimmer sitzen oder das<br />
Wichtigste erst zum Schluss auf der Schwelle gesagt<br />
wird, immer bleiben Gedanken, Gesprächsfetzen<br />
hängen, die im Alltag nachwirken. Wir alle<br />
kennen solche Begegnungen und manchmal<br />
kommt uns ein Besuch auch gar nicht gelegen<br />
und erst viel später entwickelt sich der Gewinn.<br />
Viele Gemeindeglieder besuchen <strong>mit</strong> guten<br />
persönlichen Erfahrungen Gemeindeglieder. Sie<br />
organisieren einen Besuchsdienst. Ehren- und<br />
Hauptamtliche entwickeln einen Stil, der zu ihnen<br />
und ihrer Gemeinde passt. So haben viele<br />
Gemeinden einen Besuchsdienst, der Gemein-<br />
SENIORENARBEIT<br />
deglieder z.B. zu hohen Geburtstagen persönliche<br />
Glück- und Segenswünsche überbringt. Oder<br />
sie besuchen Menschen in Pflegeeinrichtungen<br />
oder Wohnanlagen <strong>für</strong> Senioren. Dieser Personenkreis<br />
ist darauf angewiesen, dass ihnen der<br />
Alltag unterbrochen wird. Ihre eigene Mobilität<br />
ist häufig sehr eingeschränkt. Die Gründe da<strong>für</strong><br />
können sehr unterschiedlicher Natur sein. Es<br />
gibt also gute Gründe, gerade diese Menschen zu<br />
besuchen. Und ein Geburtstag ist ein willkommener<br />
Anlass.<br />
Besuchsdienste arbeiten leise. Sie haben selten<br />
große Presse, weil sie auf die Privatsphäre<br />
der Besuchten achten und schweigen. Der Charme<br />
der Besuche ist die Privatheit. Die Besuchten<br />
freuen sich über die Glück- und Segenswünsche.<br />
Sie freuen sich, dass an sie gedacht wird. Die Besucher<br />
der Kirche sind manchmal die einzigen<br />
Gäste. Sie sprechen über Vergangenes oder ma-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
31
SENIORINNENARBEIT<br />
Du sollst dich unterbrechen lassen - du wirst unterbrochen<br />
Besuche - unterbrechen dich und <strong>mich</strong><br />
Besuche - bringen Freude - füllen Leere; entdecken Sehnsüchte<br />
Besuche - pflegen Erinnerungen; fühlen Sorgen; wecken Hoffnungen<br />
Besuche - sind wie Schneeflocken leise, lösen Lawinen aus, leise, legen Verborgenes<br />
frei<br />
Gott - rechnet <strong>mit</strong> unserem Besuch, bei unserem Nachbar, bei uns selbst<br />
bei Gott - überall<br />
(Gedanken aus der Besuchsdienstarbeit, entstanden aus Fortbildungen<br />
und Beratungen und inspiriert von Dorothee Sölle´s „Unterbrechung“)<br />
chen sich einfach mal Luft über den Kummer,<br />
den sie <strong>mit</strong> Gott und der Welt haben. Es kann<br />
aber auch eine Gelegenheit sein, dass sich der<br />
Besuchte traut, unter vier Augen seine Bedürftigkeit<br />
oder seine Einsamkeit einzugestehen.<br />
Dieses fällt wenigen leicht. Hinter Klagen über<br />
große und kleine Kümmernisse verstecken sich<br />
häufig viele Gefühle. Ein Besuch kann auch die<br />
Möglichkeit eröffnen, auf bestehende (Hilfs- und<br />
Unterstützungs-)Angebote hinzuweisen, die es<br />
in der Gemeinde oder vom diakonischen Dienst<br />
gibt.<br />
Mitarbeitende der Besuchsdienste treffen<br />
auf Gemeindeglieder, deren persönliche Einbindung<br />
sehr unterschiedlich ist. Sie treffen die pflegenden<br />
Angehörigen, den Depressiven, den Arbeitslosen<br />
ebenso wie die Ruheständlerin. Manche<br />
besuchen regelmäßig Gottesdienste und Veranstaltungen,<br />
<strong>für</strong> andere sind die Besuche der<br />
Gemeinde der erste oder der einzig regelmäßige<br />
Kontakt dorthin. Trotz aller Verschwiegenheit<br />
haben sie Ohren und Augen <strong>für</strong> die Gemeinde<br />
und werden, wenn es gewünscht und angemessen<br />
ist, Anwalt <strong>für</strong> bestimmte Anliegen sein.<br />
Die Kontakte in die Gemeinde können einen<br />
32 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
wichtigen Beitrag zur Gemeindegestaltung leisten,<br />
denn es werden Bedarf und Bedürfnisse<br />
ebenso entdeckt wie Gaben und Ressourcen von<br />
Menschen. Aus Namen in Gemeindegliederlisten<br />
werden Gesichter. Unterstützer, Mitmacher werden<br />
gefunden <strong>für</strong> das Seniorencafé, ebenso wie<br />
<strong>für</strong> generationsübergreifende Ideen, wie Vorlesen<br />
im Kindergarten. Aus den Beobachtungen<br />
können Ideen entwickelt werden, die vom Senioren<strong>mit</strong>tagstisch<br />
über Fahrdienste bis zur Barrierefreiheit<br />
reichen. Um diese behutsamen und<br />
kreativen Impulse <strong>für</strong> die Menschen und <strong>für</strong> die<br />
Gemeinde entwickeln zu können, ist es wichtig,<br />
sich einander im Besuchsdienstkreis zu informieren.<br />
Ebenso werden Wissen und Kompetenzen<br />
innerhalb eines Besuchsdienstes gefördert<br />
und durch externe Angebote ergänzt. Mut, Verlässlichkeit,<br />
Verschwiegenheit und Reflexionsbereitschaft<br />
sind wichtige Voraussetzungen <strong>für</strong><br />
Mitmachende. Etwas Zeit <strong>für</strong> die Besuche und<br />
<strong>für</strong> die Treffen untereinander, gehört selbstverständlich<br />
dazu. Die Zeit, die die Besuchenden<br />
spenden, entscheiden sie selber.<br />
Bei den Treffen ist Organisatorisches ebenso<br />
wichtig wie Fragen zu Gemeinde, zu Gesprächsführung<br />
oder Information zu Demenzerkrankun-
gen. Auch Glaubensfragen und –erfahrungen haben<br />
hier ihren Raum. Sich <strong>mit</strong>einander vergewissern,<br />
Grenzen entdecken, neue Worte finden,<br />
einander zuhören - all das bereitet <strong>mit</strong> einer gewissen<br />
Leichtigkeit auf die anstehenden Besuche<br />
vor.<br />
Die Einbindung des Besuchsdienstkreises in<br />
das Gemeindeleben fördert das Verknüpfen von<br />
Ideen, Angeboten und Möglichkeiten. Besuchsdienste<br />
als Teil der Gemeinde liegen in der Verantwortung<br />
des Kirchenvorstandes. Personelle<br />
und finanzielle Ressourcen sollten vorhanden<br />
sein. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgabe<br />
automatisch von einer Pastorin oder einem Pastor<br />
übernommen werden muss. Häufig werden<br />
Besuchsdienste von Ehrenamtlichen <strong>mit</strong> entsprechender<br />
Unterstützung und Fortbildung geleitet.<br />
Lohnt sich ein Besuchsdienst oder ist das<br />
nur noch mehr Arbeit? Fragt man Gemeindeglie-<br />
SENIORENARBEIT<br />
der oder Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher,<br />
warum sie der Kirche verbunden sind, so<br />
waren es häufig Begegnungen - zufällig oder geplant<br />
–, die sie persönlich angerührt haben und<br />
in die Gemeinde führten. So wünschen sich viele<br />
Gemeindeglieder Kontakt zur Kirche ohne<br />
selbst den Mut zu haben, den ersten Schritt zu<br />
tun. Angehörige von Besuchten erzählen von der<br />
Freude, die ihr Verwandter einen Moment hatte.<br />
Oft lesen sie selber die Hefte, die dem Jubilar geschenkt<br />
wurden. Sie kommen leise in Kontakt zu<br />
Kirche.<br />
Ein Besuch hinterlässt Spuren. Die Menschen<br />
nehmen sich wahr. Die Vielfalt der Gemeinde<br />
wird sichtbar. Das Priestertum aller Getauften<br />
wird erlebbar und spürbar. So sind Besuche<br />
eine behutsame Form der Gemeindegestaltung.<br />
Voneinander lernen, <strong>mit</strong>einander sprechen,<br />
<strong>mit</strong>einander schweigen– sprachfähig werden<br />
im Glauben.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Anzeige<br />
33
SENIORINNENARBEIT<br />
Tandem-Seniorenbegleitung<br />
Ein erfolgreicher Baustein in der SeniorInnenarbeit<br />
STEFAN MÄRZ<br />
Stefan März ist Diplomtheologe. Er ist<br />
tätig im Bereich Seniorenarbeit des Diakonischen<br />
Werkes des Kirchenkreises Altholstein<br />
in Neumünster.<br />
Im April 2005 startete in Neumünster der erste<br />
„Tandem – Seniorenbegleitungskurs“. Seitdem<br />
wurden von der Westküste bis zur Holsteinischen<br />
Schweiz, von Angeln bis ins Lauenburgische<br />
meist unter dem Dach kirchlicher Träger<br />
mindestens 800 Menschen zu ehrenamtlichen<br />
Seniorenbegleitern ausgebildet.<br />
Welche Erfahrungen wurden seit der Durchführung<br />
der ersten Kurse gemacht? Als jemand,<br />
der seit 2005 auf dem Gebiet des alten Kirchenkreises<br />
Neumünster (heute Kirchenkreis Altholstein)<br />
im Auftrag der Diakonie insgesamt sieben<br />
Seniorenbegleitungskurse an den Standorten<br />
Neumünster, Kaltenkirchen, Bordesholm sowie<br />
Bad Bramstedt durchgeführt und der darüber<br />
hinaus auch die überregionalen Entwicklungen<br />
im Blick hat, möchte ich die Leserinnen und Leser<br />
gern ein wenig hineinnehmen in meine Erfahrungen,<br />
die ich in den letzten Jahren <strong>mit</strong> diesem<br />
– wie ich finde - außergewöhnlichen Ehrenamtsprojekt<br />
gesammelt habe.<br />
Ältere Menschen in ihrem Wunsch nach<br />
Selbständigkeit zu unterstützen<br />
Tandem-Seniorenbegleitung zielt darauf ab,<br />
die immer größer werdende Zahl von älteren<br />
Menschen in ihrem Wunsch nach selbständigem<br />
Leben in vertrauter Umgebung zu unterstützen.<br />
Im Gegensatz zu traditionellen Besuchsdiensten<br />
ermuntern und motivieren Seniorenbegleiter ältere<br />
Menschen auch zu selbständigen Aktivitäten<br />
des Alltags und bei der Pflege von sozialen<br />
Kontakten. Sie sind informiert über Beratungsstellen<br />
und Hilfsangebote vor Ort und ver<strong>mit</strong>teln<br />
in vielen Fällen auch praktische Unterstützungsleistungen.<br />
Dementsprechend weit inhaltlich ge-<br />
34 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
fächert ist das Ausbildungskonzept, das vom<br />
Diakonischen Werk Schleswig-Holstein einheitlich<br />
entwickelt wurde (www.tandem-seniorenbegleitung.de).<br />
Die Qualifizierung umfasst 96<br />
theoretische Unterrichtsstunden zu Themen wie<br />
Biografiearbeit, Gesprächsführung, den Umgang<br />
<strong>mit</strong> <strong>Alter</strong>skrankheiten wie Demenz sowie eine<br />
Einführung in rechtliche Fragen, die <strong>für</strong> SeniorenInnen<br />
von Belang sind. Zudem gehört zum Kurskonzept<br />
auch eine Praxisphase (24 Stunden), in<br />
der die Seniorenbegleiter vielfältige Erfahrungen<br />
im Umgang <strong>mit</strong> älteren Menschen sowohl auf<br />
privater Ebene als auch in Institutionen der Altenarbeit<br />
sammeln sollen.<br />
Das Kurskonzept hat sich bewährt<br />
Wie ein roter Faden zieht sich durch die letzten<br />
Jahre eine positive Resonanz im Blick auf das<br />
Kurskonzept, dessen Inhalte und die Ver<strong>mit</strong>tlung.<br />
Die Teilnehmenden der Seniorenbegleitungskurse<br />
haben immer wieder zurückgemeldet,<br />
dass dieser Kurs von seiner Konzeption her<br />
genau richtig und eine adäquate Vorbereitung
<strong>für</strong> die Übernahme einer Begleitung eines älteren<br />
Menschen war. Viele wichtige Themen, unterschiedliche<br />
Fachdozentinnen und –dozenten aus<br />
den Bereichen Pädagogik, Medizin, Psychologie,<br />
Theologie sowie Vertreter von unterschiedlichsten<br />
Institutionen und Verbänden, die in den<br />
Kurs <strong>mit</strong> einbezogen waren, haben den Kurs zu<br />
einem echten persönlichen Gewinn gemacht. Interessant<br />
und spannend waren auch immer wieder<br />
Aussagen, dass man den Seniorenbegleitungskurs<br />
aufgrund seiner Lernatmosphäre, seiner<br />
Methodik und bestimmter Inhalte als ein besonderes<br />
kirchliches Bildungsangebot wahrgenommen<br />
hat. Für weit über 2/3 der Teilnehmenden<br />
war der Seniorenbegleitungskurs gleichzeitig<br />
der erste längere Kontakt <strong>mit</strong> einer kirchlichen<br />
Einrichtung. <strong>Ich</strong> bin immer wieder überrascht<br />
gewesen wie wohltuend die uns im kirchlichen<br />
Rahmen vertrauten Rituale wie Segenswünsche<br />
und besinnliche Texte, von den mehrheitlich<br />
kirchlich distanzierten Kursteilnehmenden<br />
aufgenommen wurden. Ja, wie sogar durch<br />
die Einbindung von Pastorinnen und Pastoren an<br />
einigen Punkten seelsorgerliche Kontakte entstanden<br />
sind. Ein interessanter Nebenaspekt, der<br />
sich durch das Kurskonzept ergeben hat. Festzuhalten<br />
bleibt, dass der Kurs Menschen motiviert<br />
hat, sich ehrenamtlich zu engagieren und dass<br />
der relativ lange Zeitraum der Qualifizierungsmaßnahme<br />
(ca. 4 Monate) <strong>mit</strong> seinen vielen Terminen<br />
nicht abgeschreckt hat, am Kurs teilzunehmen.<br />
Eine „andere“ Gruppe von Ehrenamtlichen<br />
wird durch die Seniorenbegleitungskurse<br />
erreicht<br />
Als dieses Ehrenamtlichenprojekt startete,<br />
hatte man als mögliche Zielgruppe Menschen<br />
aus der nachberuflichen Phase (Jungseniorinnen<br />
und -senioren) oder aber auch Frauen, deren<br />
Kinder aus dem Haus sind, im Blick. Und natürlich<br />
wollte man möglichst Personen ganz neu <strong>für</strong><br />
das Ehrenamt gewinnen.<br />
Wie hat es sich aber dann entwickelt?<br />
Zunächst einmal ist eine deutliche Verjüngung<br />
der Teilnehmenden festzustellen. War es in den<br />
ersten beiden Jahren tatsächlich noch<br />
hauptsächlich die Gruppe im <strong>Alter</strong> zwischen Anfang<br />
50 bis Mitte 60, die die Kurse belegten, so<br />
ist jetzt eine <strong>Alter</strong>sspanne zwischen Anfang 30<br />
SENIORENARBEIT<br />
bis Ende 60 festzustellen, wobei die meisten Teilnehmenden<br />
um die Mitte 40 sind. Das hat sicherlich<br />
auch da<strong>mit</strong> zu tun, dass die Zahl derjenigen<br />
gestiegen ist, die <strong>mit</strong> dem Tandem-Seniorenbegleitungskurs<br />
die Hoffnung verbinden, einen<br />
beruflichen Weg in Richtung Seniorenarbeit<br />
außerhalb der Pflege einzuschlagen. Frauen sind<br />
– das wird nicht überraschen – deutlich überrepräsentiert.<br />
Trotzdem ist auch die Gruppe der<br />
Männer über die Jahre hinweg ein wenig angestiegen.<br />
Auffallend ist, dass sehr viele der Teilnehmenden<br />
sich erstmalig <strong>für</strong> SeniorInnen engagieren<br />
wollen. Die Absicht, vielleicht auch den einen<br />
oder <strong>anderen</strong> aus den vielen Besuchsdienstgruppen<br />
von Kirchengemeinden zu einer Kursteilnahme<br />
gewinnen zu können, kam nicht zum<br />
Tragen. Der Grund da<strong>für</strong> ist, dass diese Zielgruppe<br />
die Kurse häufig als zu umfangreich empfand,<br />
und ihr Engagement an anderer Stelle<br />
schon gebunden war.<br />
Umso mehr sprechen die Kurse der Tandem-<br />
Seniorenbegleitung eine andere Gruppe von Ehrenamtlichen<br />
an. Es sind Menschen aus den verschiedensten<br />
sozialen Schichten, die lernbegierig<br />
sind, die <strong>mit</strong>einander eint, dass sie relativ trägerunabhängig<br />
denken und sich nicht unbedingt<br />
dem Träger der Qualifizierung verpflichtet<br />
fühlen, die auf der <strong>anderen</strong> Seite aber, wenn der<br />
Träger gute Rahmenbedingungen <strong>für</strong> ein ehrenamtliches<br />
Engagement schafft, durchaus bereit<br />
sind, sich <strong>mit</strong> ihrer Zeit, Kreativität und Verbindlichkeit<br />
einzubringen. Um das <strong>mit</strong> zwei Beispielen<br />
zu belegen: In Kiel hat der Träger der<br />
Tandem-Seniorenbegleitungskurse Ehrenamtlichen<br />
Büroräume zur Verfügung gestellt, in denen<br />
ein festes ehrenamtliches Büroteam Anfragen<br />
von interessierten Senioren oder Angehörigen<br />
nach Seniorenbegleitern entgegen nimmt und<br />
Seniorenbegleitungen ver<strong>mit</strong>telt. Das Büroteam<br />
engagiert sich <strong>mit</strong> einem hohen persönlichen<br />
Einsatz (regelmäßige Sprechzeiten, Erstbesuche<br />
bei Senioren etc.) <strong>für</strong> „Tandem-Seniorenbegleitung“.<br />
In Bad Segeberg haben ausgebildete Seniorenbegleiter<br />
einen „Cáfedienst“ an einem festen<br />
Wochentag in einem Cáfe der Diakonie übernommen,<br />
da<strong>mit</strong> Senioren und Seniorenbegleiterinnen<br />
sich in entspannter Atmosphäre treffen<br />
oder neu finden können. Das ist eine Erfahrung,<br />
die ich durch zahlreiche weitere Bespiele bele-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
35
SENIORINNENARBEIT<br />
Sternenfest der Altenarbeit in Husum<br />
gen könnte. Die Kurse motivieren ganz viele<br />
Menschen, sich neu in einem ehrenamtlichen<br />
Feld zu engagieren und sich dabei auf vielfältige<br />
Art und Weise <strong>für</strong> Senioren einzusetzen. Besuche,<br />
Spaziergänge, gemeinsame Ausflüge, Hilfen<br />
bei Behördengängen, Ver<strong>mit</strong>tlung von Unterstützungsleistungen<br />
- Seniorenbegleitung hat viele<br />
Gesichter. Und vor allem ist es ein gegenseitiges<br />
Geben und Nehmen!<br />
Seniorenbegleitung zwischen Anspruch<br />
und Wirklichkeit<br />
Die Tandem-Seniorenbegleitungskurse sind<br />
zweifellos erfolgreich. Weit mehr als die Hälfte<br />
der Kursteilnehmenden engagieren sich un<strong>mit</strong>telbar<br />
nach Abschluss des Kurses und so sind<br />
über die Jahre viele oft lang andauernde Seniorenbegleitungen<br />
entstanden. Allerdings: Die<br />
Hoffnung oder Erwartung, alle ausgebildeten Seniorenbegleiter<br />
würden nach dem Kurs aktiv<br />
werden und sich in die Strukturen des Kursträ-<br />
36 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
gers einbinden lassen, hat sich nicht erfüllt. Die<br />
Gründe da<strong>für</strong> sind vielschichtig und regional<br />
auch ganz unterschiedlich. Die Träger fordern<br />
nicht, dass die Teilnehmenden sich un<strong>mit</strong>telbar<br />
nach Abschluss des Kurses engagieren müssen.<br />
Verbindlich ist ausschließlich die regelmäßige<br />
Teilnahme an den Kurseinheiten. Eine Reihe von<br />
Kursteilnehmenden wird aus persönlichen Gründen<br />
nicht aktiv, andere verwenden das Kurswissen<br />
<strong>für</strong> die Pflege eigener Angehöriger. Wieder<br />
andere verbinden <strong>mit</strong> dem Kurs die Hoffnung auf<br />
einen Arbeitsplatz. Ebenso aber kommt es auch<br />
vor, dass Menschen, die im Kurs ausgebildet<br />
wurden, sich nach zeitlichem Abstand dann<br />
doch engagiert haben. Es hat sich sehr bewährt<br />
den Kontakt zu halten. Förderlich da<strong>für</strong> sind gewiss<br />
die regelmäßigen Austauschtreffen der ausgebildeten<br />
Seniorenbegleiter <strong>mit</strong> Fortbildungsthemen<br />
und Möglichkeiten der Supervision,<br />
zu denen ich ausdrücklich immer alle Kursabsolventen<br />
(auch die gerade nicht aktiven) vor
Ort einlade. Diese Kontaktpflege und das Signal<br />
einer immer offenen Tür hat zu einer erstaunlich<br />
hohen inneren Verbundenheit der ehemaligen<br />
Kursteilnehmer <strong>mit</strong> den Nachbegleitungsgruppen<br />
und zu einer erfreulichen Verbindlichkeit geführt.<br />
Um dazu ein aktuelles Beispiel zu nennen:<br />
Von den derzeit knapp 50 aktiven Seniorenbegleitern<br />
am Standort Neumünster kamen Anfang<br />
November 21 zu einem Erfahrungsaustausch,<br />
dazu erhielt ich noch 16 aus unterschiedlichen<br />
Gründen persönliche Abmeldungen <strong>für</strong> den Termin.<br />
Nur von 13 Seniorenbegleitern habe ich anlässlich<br />
des Treffens nicht gehört. Auch bei denen,<br />
die durch den Kurs einen beruflichen Neueinstieg<br />
anstreben, habe ich durchaus positive<br />
Erfahrungen gemacht: Eine Reihe von ihnen<br />
wird als gut qualifizierte Mitarbeitende in bezahlten<br />
Arbeitsbereichen der Diakonie tätig,<br />
oder bilden sich z.B. <strong>für</strong> die Unterstützung von<br />
demenzerkrankten Menschen fort. Was auch<br />
nicht zu erzwingen ist, ist, dass sich die Ehrenamtlichen<br />
dazu verpflichten lassen, bei einem<br />
festen „Träger“ – z.B. dem Träger des Kurses –<br />
tätig zu werden. Inwieweit das gelingt, hängt immer<br />
auch von den Rahmenbedingungen ab, die<br />
die Träger schaffen.<br />
Ehrenamtliches Engagement braucht<br />
hauptamtliche Unterstützung<br />
Das ist eine alte Binsenweisheit, die aber<br />
auch gerade wieder bei den Tandem-Seniorenbegleitungskursen<br />
als wichtige Erfahrung gilt: Ehrenamtlichkeit<br />
braucht Hauptamtlichkeit! Wer<br />
ehrenamtliches Engagement will, Ehrenamtliche<br />
motivieren, wertschätzen, in ihren Bedürfnissen<br />
unterstützen will, der braucht eine hauptamtliche<br />
Kraft, die diese Aufgaben ausführen kann. Es<br />
geht nicht darum, dass ehrenamtliche Seniorenbegleiter<br />
nicht auch vieles selbst in die Hand<br />
nehmen können, aber wenn z.B. Diakonie-Stationen<br />
Kontakte zu älteren Menschen ver<strong>mit</strong>teln<br />
sollen, dann braucht das eine personelle Kapazität,<br />
einen Ansprechpartner, der über den Kurs<br />
und die Teilnehmenden Bescheid weiß, der Kontakte<br />
ver<strong>mit</strong>teln kann, der auch Zeit hat <strong>für</strong> Fragen<br />
und Sorgen der aktiven Seniorenbegleiter.<br />
Wenn Seniorenbegleitung nicht nur ein kurzes<br />
Strohfeuer sein soll, ein „Heißmachen“ auf ein<br />
besonderes Betätigungsfeld, dann braucht es einen<br />
Hauptamtlichen, der die Supervision leitet,<br />
SENIORENARBEIT<br />
Fortbildung organisiert und eine gute Anerkennungskultur<br />
pflegt. Wenn das geschieht, dann ist<br />
ein guter Grundstein <strong>für</strong> eine Verstetigung dieser<br />
wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe gelegt.<br />
Werden aber die Ehrenamtlichen sich selbst<br />
überlassen, so tragen „Tandem-Seniorenbegleitungskurse“<br />
leider oft keine langfristigen Früchte<br />
und viele anfangs engagierte Seniorenbegleiter<br />
und -begleiterinnen ziehen sich zurück. Von<br />
daher sind alle Anbieter von Seniorenbegleitungskursen<br />
gefordert, ein gut durchdachtes<br />
Konzept über die Begleitung und Verstetigung<br />
der Seniorenbegleitungsarbeit zu machen. Vernachlässigt<br />
man diesen Aspekt, so verpufft leider<br />
vieles, was so erfreulich begonnen hat.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Anzeige<br />
37
SENIORINNENARBEIT<br />
Biografiewerkstatt<br />
als eine Form generationenübergreifender<br />
SeniorInnenarbeit<br />
FRIEDERIKE WAACK<br />
Friederike Waack ist Projektpastorin <strong>für</strong><br />
„Innovative SeniorInnenarbeit“ <strong>mit</strong> der<br />
Generation 55+ im Kirchenkreis Hamburg-Ost<br />
/ Region Farmsen-Berne.<br />
Projekt Biografiewerkstatt<br />
Biografiewerkstatt - Lebensringe sichtbar machen”<br />
ist der Titel eines Projektes, das in den<br />
letzten 5 Jahren in der Gemeinde Farmsen-Berne<br />
entwickelt und aufgebaut wurde. Anders als bei<br />
herkömmlicher Biografiearbeit, bei der die Beschäftigung<br />
<strong>mit</strong> der eigenen Lebensgeschichte<br />
und der Austausch darüber im Vordergrund<br />
steht, geht es in diesem Projekt inhaltlich darum,<br />
dass Frauen und Männer der Generation +/- 55<br />
ältere Menschen nach ihren Lebensgeschichten<br />
befragen, diese aufschreiben und veröffentlichen.<br />
Ziele des Projektes<br />
Das wichtigste Ziel ist die Würdigung des<br />
einzelnen Menschen und seines Lebens. Dabei<br />
steht der Dialog zwischen den Generationen im<br />
Vordergrund. Die Ehrenamtlichen können <strong>mit</strong><br />
ihren Ideen und Kompetenzen das Projekt verantwortlich<br />
<strong>mit</strong>gestalten. Menschen, die der Kirche<br />
distanziert gegenüber stehen, werden durch<br />
das Projekt <strong>für</strong> „kirchliche“ Arbeit gewonnen.<br />
Wie alles anfing<br />
Nach Werbung im Gemeindebrief, der Homepage<br />
und örtlichen Wochenblättern fanden<br />
sich vor 5 Jahren zwölf Frauen und Männer im<br />
<strong>Alter</strong> zwischen 22 und 74 Jahren zusammen. In<br />
einer Schulung wurden sie auf ihre Aufgaben<br />
vorbereitet, sich auf einen älteren, zumeist fremden<br />
Menschen einzulassen, ein Interview zu<br />
führen und das Gehörte aufzuschreiben. Weitere<br />
38 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Bestandteile dieser Vorbereitung waren die Beschäftigung<br />
<strong>mit</strong> der eigenen Biografie und das<br />
Erlernen von seelsorgerlichen Kompetenzen wie<br />
Gesprächsführung und der Umgang <strong>mit</strong> Trauer.<br />
Die Phase der daran anschließenden Interviews<br />
<strong>mit</strong> SeniorInnen wurde als Bereicherung durch<br />
gelungene menschliche Begegnungen erlebt. In<br />
14-tägigen Treffen tauschten die InterviewerInnen<br />
ihre Erfahrungen aus und suchten nach Wegen,<br />
das Gehörte authentisch zu Papier zu bringen.<br />
Im Laufe dieser gemeinsamen Arbeit wuchs<br />
die Gruppe mehr und mehr zusammen. Alle<br />
brachten Erfahrungen ihres persönlichen und<br />
beruflichen Lebens <strong>mit</strong> ein. Besonders spannend<br />
war der lebendige Austausch zwischen den Generationen<br />
über die Eigenheiten und Besonderheiten<br />
der jeweiligen Zeit. Auf diese Weise wurde<br />
sehr persönlich und intensiv an der Entstehung<br />
des ersten Buches „Lebensringe sichtbar<br />
machen“ gearbeitet.
Die Entwicklung bis heute<br />
Nach der Präsentation dieses Buches wurde<br />
es in vielen Lesungen einem größeren Publikum<br />
bekannt gemacht - bis heute fanden insgesamt<br />
30 Lesungen statt. Parallel zu den Lesungen wurde<br />
eine weitere Gruppe InterviewerInnen geworben<br />
und geschult. Neue Interviews <strong>für</strong> das zweite<br />
Buch „Spuren des Lebens“ wurden geführt,<br />
geschrieben, redigiert und „layoutet“. Während<br />
dieser Zeit fand neben der eigentlichen Aufgabe<br />
der Interviews eine Spezialisierung der Mitarbeitenden<br />
der Biografiewerkstatt in verschiedene<br />
Gruppen (Redaktion, Layout, Öffentlichkeitsarbeit)<br />
statt. Außerdem entstand ein Leitungsteam,<br />
das bis heute <strong>für</strong> die Planung und Organisation<br />
der bereits bestehenden Aufgaben sowie <strong>für</strong> die<br />
Überlegung und Durchführung neuer Projekte<br />
der Biografiewerkstatt zuständig ist – wie z.B. im<br />
KonfirmandInnenunterricht und in der Erstellung<br />
eines Handbuches. Eine weitere Gruppe bereitet<br />
in regelmäßigen Abständen Biografiegottesdienste<br />
und Erzählcafés zu unterschiedlichen<br />
Themen vor. Einmal im Monat treffen sich alle<br />
Mitarbeitenden der Biografiewerkstatt, um wichtige<br />
Fragen gemeinsam zu besprechen und den<br />
Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Darüber<br />
hinaus läuft zurzeit die Schulung einer neuen<br />
Gruppe.<br />
Wie kommt das Projekt den Beteiligten<br />
zugute?<br />
Das Eigentliche der Arbeit der Biografiewerkstatt<br />
ist der Weg der Entstehung der Bücher<br />
• beglückende Begegnungen und die guten Erfahrungen,<br />
die <strong>mit</strong>einander gemacht werden:<br />
• Bei den InterviewerInnen: Das Erleben einer<br />
willkommenen Aufnahme durch die Interviewten<br />
und das geschenkte Vertrauen.<br />
• Bei den Interviewten: Das Erleben von Anteilnahme<br />
und das, was bei den Interviews in<br />
Gang gesetzt wird (z.B. Bewältigung, Aussöhnung,<br />
Befreiung).<br />
• Bei beiden Beteiligten: Die Kommunikation<br />
der Generationen untereinander <strong>mit</strong> der Offenheit<br />
von beiden Seiten, sich auf Neues<br />
einzulassen und das Erleben, dass es da<strong>für</strong> in<br />
den Interviews einen geschützten Raum gibt.<br />
SENIORENARBEIT<br />
Im Zentrum steht <strong>für</strong> die InterviewerInnen<br />
die Erkenntnis, dass jedes Leben einzigartig und<br />
wertvoll ist. Besonders beeindruckt und bewegt<br />
sind alle von dem großen Vertrauen, das ihnen<br />
in den Gesprächen entgegengebracht wird. Dieses<br />
trägt dazu bei, dass sich alle <strong>mit</strong> viel Einsatz<br />
und großem Zeitaufwand an dem Projekt beteiligen.<br />
Ansporn dabei sind die Möglichkeit der Erweiterung<br />
des eigenen Erfahrungsschatzes sowie<br />
das Erwerben, Einbringen und Erweitern der<br />
eigenen Kompetenzen. Weitere wichtige Erfahrungen<br />
sind das Entwickeln von Toleranz gegenüber<br />
politisch Andersdenkenden und die<br />
Dankbarkeit <strong>für</strong> die Vorzüge unserer Zeit, trotz<br />
aller wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten.<br />
Seelsorgerliche Aspekte<br />
Die Interviewten fühlen sich geehrt, dass<br />
sich Außenstehende <strong>für</strong> ihr Leben interessieren.<br />
Es tut ihnen gut, aus der Vergangenheit zu erzählen,<br />
auch wenn vorher Ängste bestehen, es<br />
könnte zu viel Trauriges aufgewühlt werden. Im<br />
Nachhinein wird so manches Erlebnis dem Vergessen<br />
entrungen, neu erlebt, <strong>mit</strong> der Distanz<br />
der Jahre betrachtet und so bewältigt. Immer<br />
wieder werden durch das Erzählen, das Ordnen<br />
und Sortieren der Erinnerungen die Zusammenhänge<br />
und Abhängigkeiten deutlicher und die<br />
unterschiedlichen Fäden sichtbar, die sich <strong>mit</strong>einander<br />
verwoben haben. Alte Fäden werden<br />
entdeckt und entwirrt, Fadenenden wieder aufgenommen<br />
und neu angeknüpft, ein roter Faden<br />
gesucht und oft gefunden. Der intensive Rückblick<br />
auf vergangene Zeiten kann am Ende zu einer<br />
Aussöhnung <strong>mit</strong> dem eigenen Schicksal<br />
führen. Auch Stolz auf das eigene Leben und die<br />
Weise, wie es bewältigt werden konnte, wird entwickelt.<br />
Die Kontakte und Beziehungen innerhalb<br />
der Familien und im Freundeskreis erfahren<br />
eine Belebung, da Gespräche und Besuche durch<br />
die Beschäftigung <strong>mit</strong> der eigenen Lebensgeschichte<br />
angeregt werden.<br />
Fazit<br />
Aus kleinen Anfängen hat sich die Biografiewerkstatt<br />
<strong>mit</strong>tlerweile zu einem neuen Arbeitsbereich<br />
der Gemeinde Farmsen-Berne als<br />
neue Form generationsübergreifender SeniorInnenarbeit<br />
entwickelt. Ein Bestandteil dieser<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
39
SENIORINNENARBEIT<br />
Interviewerin Erika Burger fragt Frida Roß (100, s. Foto) am Ende des Präsentationsabends zum<br />
Buch „Spuren des Lebens“, was diese ganze Arbeit <strong>für</strong> sie bedeutet und ausgelöst hat. Ihre Antwort<br />
besteht zunächst nur aus einem Wort: „Befreiung“. Nach einer kleinen Pause fährt sie fort:<br />
„Es ist befreiend <strong>für</strong> <strong>mich</strong>, alles was ich in meinem hundertjährigen Leben erlebt habe, einmal zu<br />
erzählen. Nun steht es da schwarz auf weiß und meine Nachkommen können es nachlesen, wenn<br />
ich nicht mehr bin.“<br />
Werkstattarbeit ist eine andere Form des Besuchsdienstes<br />
<strong>mit</strong> klaren Absprachen und<br />
Grenzsetzungen, die Raum <strong>für</strong> seelsorgerliche<br />
Erfahrungen entstehen lässt.<br />
40 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Die Bücher „Lebensringe sichtbar machen“<br />
(2006) und „Spuren des Lebens“ (2008) sind<br />
zu beziehen über Telefon 040 / 643 81 81 oder<br />
Email f.waack@macbay.de. Weitere Informationen:<br />
www.kirche-in-farbe.de
Vor dem Meister kommt<br />
die Übung<br />
Handykurse von Schüler/innen <strong>für</strong> SeniorInnen<br />
KERSTIN WEBER-SPETHMANN<br />
Kerstin Weber-Spethmann ist Leiterin der<br />
Seniorenakademie in Lübeck und Kirchenkreisbeauftragte<br />
<strong>für</strong> die SeniorInnenarbeit.<br />
Man muss nicht über 65 sein, um sein Handy<br />
nicht zu verstehen. Dies kommt auch<br />
bei Menschen <strong>mit</strong>tleren <strong>Alter</strong>s häufig vor. Jedoch<br />
ist das Handy besonders auch <strong>für</strong> Seniorinnen<br />
und Senioren nützlich und hilfreich, so sie die<br />
Grundfunktionen beherrschen.<br />
Wenn man als Senior/in <strong>mit</strong> den Tücken des<br />
Objektes konfrontiert ist, scheint es zuerst zwei<br />
Lösungen zu geben. Man besucht den Servicepoint<br />
eines Telekommunikationsanbieters, um<br />
sich sein Handy von den vorwiegend sehr jungen,<br />
sehr modisch gekleideten Angestellten in<br />
sehr schnellen unverständlichen Worten erklären<br />
zu lassen. Das Verstehen ist in der Regel<br />
umgekehrt proportional zu der Fingernagellänge<br />
der gelangweilt kaugummikauenden Dienstleisterin.<br />
Man erkennt: Das hilft mir nicht wirklich<br />
weiter.<br />
Der zweite durchaus hilfreiche Weg kann<br />
der Kontakt zu den eigenen Enkeln sein, so sie<br />
vorhanden sind. Diese drücken <strong>mit</strong> unerwarteter<br />
Geschwindigkeit scheinbar alle Knöpfe gleichzeitig<br />
und kommen doch zum Ziel. Aber die Ver<strong>mit</strong>tlung<br />
dieser Fähigkeiten von Seiten der Enkelschar<br />
geschieht auch da in einem viel zu<br />
schnellen Tempo!<br />
Ganz auf das Handy zu verzichten, kann in<br />
Zeiten der verschwindenden Telefonzellen aber<br />
auch keine Lösung sein. Denn im Falle eines Falles<br />
bin ich <strong>mit</strong> dem kleinen Ding doch überall erreichbar<br />
und irgendwie ist es doch auch chic, <strong>mit</strong><br />
SENIORENARBEIT<br />
einem dieser futuristischen Klingeltöne als moderne/r<br />
und offene/r Senior/in geoutet zu werden.<br />
Aber vor dem Meister kommt die Übung und<br />
da hatte die Seniorenbegegnungsstätte Wilhelmine<br />
Possehl in Lübeck eine Idee. Wir verknüpfen<br />
die Fachleute <strong>mit</strong> den Laien, Kids <strong>mit</strong> Alten,<br />
Hauptschüler <strong>mit</strong> SeniorInnen. Als Fachleute<br />
konnten wir die Hauptschüler und -schülerinnen<br />
der benachbarten Schule gewinnen. Für sie entstand<br />
die Situation, Lehrende sein zu können <strong>mit</strong><br />
allen Schwierigkeiten, die ihre älteren Schülerinnen<br />
und Schüler entwickelten. Und das ist eine<br />
Umkehrung ihrer eigenen Schulerfahrung. Sie<br />
erlebten sich als kompetent, ihre Erfahrung war<br />
gefragt, andere wollten von ihnen lernen. Die Seniorinnen<br />
und Senioren wiederum mussten in<br />
der Rolle der Lernenden Geduld <strong>mit</strong> sich aufbringen,<br />
Neues zulassen, sich von Jugendlichen<br />
etwas sagen lassen und oft ihr Bild vom ‚kom-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
41
SENIORINNENARBEIT<br />
petenten’ Erwachsenen und dem ‚faulen Jugendlichen’<br />
aufgeben. Die Klischees auf beiden<br />
Seiten wurden aufgebrochen. Dieses neue Miteinander<br />
war das sekundäre jedoch nicht weniger<br />
wichtige Lernziel dieses Generationen verbindenden<br />
Projektes. Primäres Lernziel war<br />
nach Besuch des Kurses die Beherrschung der<br />
Grundtechniken ihres Handys: Anrufe annehmen<br />
und tätigen, Nummern abspeichern und suchen,<br />
die Mailbox benutzen, sms schreiben und<br />
den Notruf betätigen.<br />
Ein Kurs umfasst den Zeitraum von dreimal einer<br />
Stunde. Dieser Zeitrahmen hat sich bewährt:<br />
er ist lang genug, um <strong>mit</strong>einander warm<br />
zu werden, Lernschritte zu machen und Erlerntes<br />
abzufragen. Er ist kurz genug um nicht vor<br />
der geballten Information und den Möglichkeiten<br />
der Technik kapitulieren zu müssen. Wird<br />
die Lernstunde von einigen Lerngruppen vor Ablauf<br />
beendet, weil die Informationsfülle zu viel<br />
<strong>für</strong> die Senioren und Seniorinnen ist, dann erteilen<br />
die Jugendlichen Hausaufgaben wie z.B. sms<br />
schreiben, alle Verwandten in den Telefonspeicher<br />
eintragen etc.<br />
Die Lerngruppen sind im Verhältnis eins zu<br />
eins aufgebaut und bestehen in der Regel aus<br />
max. zehn Senior/innen und zehn Schülern und<br />
Schülerinnen. Es gibt keinen Frontalunterricht.<br />
Erstens ist der Wissensstand bei den Senioren<br />
und Seniorinnen sehr unterschiedlich und zweitens<br />
sind viele verschiedene Handymarken auf<br />
dem Markt. Die Jugendlichen müssen sich<br />
während der Kurse auf die neuesten Modelle sowie<br />
auf uralte Handys einstellen. Dadurch entsteht<br />
eine ganz individuelle Lernsituation zwischen<br />
dem Seniorenschüler und dem Schülerlehrer.<br />
Diese Form benötigt einen koordinierenden,<br />
leitenden Ansprechpartner, der in Konflikten<br />
moderiert und eventuell neue Lerngruppen<br />
bildet. Diese Leitung wird besonders beim ersten<br />
Kennenlernen der Teilnehmenden sehr deutlich<br />
die Einteilung der Lerngruppen vornehmen müssen.<br />
Hier ist der Moment größter Ambivalenz,<br />
hier können, im wahrsten Sinne des Wortes,<br />
Welten aufeinander prallen. Es empfiehlt sich die<br />
Gruppeneinteilung nach den Fähigkeiten der Jugendlichen<br />
<strong>für</strong> eine Handymarke vorzunehmen.<br />
Auch sollte man nicht unterschätzen, wie viel<br />
Lärm 10 Handys in einem Raum produzieren<br />
42 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
können. Konzentrieren Sie sich mal auf das Abspeichern<br />
einer Nummer, wenn am Nachbartisch<br />
das ganze Sortiment verfügbarer Klingeltöne<br />
in höchster Lautstärke abgespielt wird. Deshalb<br />
ist es ratsam, möglichst große Räume <strong>für</strong><br />
dieses Projekt zur Verfügung zu stellen, da<strong>mit</strong><br />
genügend Schonraum zwischen den Lerngruppen<br />
vorhanden ist.<br />
Zur Durchführung dieses Kurskonzeptes<br />
sind keinerlei weitere Medien notwendig - bis<br />
auf die Handys, die jede/r Senior/in <strong>mit</strong>bringt.<br />
Selbst angebotener Kaffee wird nur sparsam verköstigt,<br />
da alle sich intensiv auf den Unterricht<br />
konzentrieren. Typisch <strong>für</strong> diesen generationsübergreifenden<br />
Dialog sind Situationen, die so<br />
nicht konzeptionell vorgedacht werden können,<br />
sondern ihre Sinnhaftigkeit im Prozess entwickeln.<br />
So erschien zu Beginn eines Kurses eine<br />
Seniorin gänzlich ohne Handy. Sie war an der<br />
Beratung in verschiedenen Handyläden verzweifelt<br />
. Wer kennt sich schon aus <strong>mit</strong> Provider, Simcard,<br />
Netzteil, Vertrag, Passwort etc. So marschierte<br />
die Dame <strong>mit</strong> dem ihr zugeteilten Jugendlichen<br />
während der Unterrichtsstunde in<br />
die Innenstadt von Lübeck. Sie nahm ihren Fachmann<br />
<strong>mit</strong>. Beim nächsten Treffen stellte sie uns<br />
stolz das Handy vor, <strong>für</strong> das sie sich <strong>mit</strong> ihrem<br />
Lehrer entschlossen hatte.<br />
Wir erheben <strong>für</strong> den Handykurs einen Obolus<br />
von 10 Euro. Davon behält die Begegnungsstätte<br />
<strong>für</strong> Verwaltungsaufwand 2 Euro. Das restliche<br />
Geld fließt in die Klassenkasse der Jugendlichen.<br />
Oft erhalten die Jugendlichen noch Trinkgeld<br />
in Form von Süßigkeiten. Die Senioren und<br />
Seniorinnen sind in der Regel so begeistert, dass<br />
sie dieser Freude und Dankbarkeit über die 10<br />
Euro hinaus Ausdruck geben wollen. Wir weisen<br />
jedoch anfänglich darauf hin, weitere Geldspenden<br />
der Klassenkasse zu Gute kommen zu lassen.<br />
Seit vielen Jahren führen wir die Handykurse<br />
erfolgreich durch. Viele Senioren und Seniorinnen<br />
buchen nach einiger Zeit einen Folgekurs,<br />
um ihr Wissen aufzufrischen oder mehr Features<br />
ihrer Handys kennen zu lernen. Auf Seiten der<br />
Schule ist dieses Angebot ein fester Bestandteil<br />
im Lehrplan der Abschlussklassen und stößt<br />
nach wie vor auf viel Interesse bei den Jugendlichen,<br />
die gerne kommen, um „die Alten mal<br />
richtig vollzutexten. „Is voll krass eh!”
Generationenübergreifende<br />
Angebote in der Altenarbeit?<br />
Ein Plädoyer <strong>für</strong> ein modernes Konzept<br />
MONIKA HÖRING<br />
Monika Höring ist Leiterin der<br />
Altenbegegnungsstätte Husum-St. Marien<br />
und Kirchenkreisbeauftragte <strong>für</strong> die<br />
SeniorInnenarbeit.<br />
Wer <strong>mit</strong> jungen Menschen zusammen<br />
kommt, bleibt selber jung“ – das ist ein<br />
gutes Argument <strong>für</strong> generationenübergreifende<br />
Angebote. Andere sind vielleicht eher skeptisch<br />
und fragen, was solche Konzepte bringen und<br />
wer etwas davon hat: Die SeniorInnen, die Kinder,<br />
die Jugendlichen oder Menschen <strong>mit</strong>tleren<br />
<strong>Alter</strong>s? Oder vielleicht sogar die Kirchengemeinde?<br />
Generationenübergreifende Angebote erfordern<br />
spezielle Kompetenzen und fordern zusätzliches<br />
Engagement. Ist die Kompetenz da, wer<br />
bringt den Einsatz? Antworten auf diese Fragen<br />
bringen nicht zuletzt Erfahrungen aus der praktischen<br />
Arbeit in der Altenbegegnungsstätte Husum<br />
– St. Marien (ABS), in der solche Aktivitäten<br />
seit Jahren feste Bestandteile des Programms<br />
sind. Viele von ihnen sind schon längst dem Projektstadium<br />
entwachsen.<br />
Es begann vor acht Jahren <strong>mit</strong> der Anfrage<br />
eines Kindergartens nach der gemeinsamen Gestaltung<br />
des Plattdeutschen Tages. Da es in der<br />
Altenbegegnungsstätte schon gute Erfahrungen<br />
gab, war es ein Leichtes, SeniorInnen <strong>für</strong> ein Programm<br />
aus gemeinsamem Singen, Tanzen und<br />
Darstellung zu finden. Ein ehemaliger musikalisch<br />
versierter Schulleiter erklärte sich bereit,<br />
die Leitung <strong>für</strong> das Programm zu übernehmen.<br />
Die Aufführung war ein voller Erfolg, die Gruppe<br />
wurde zu einer weiteren Aufführung gebeten.<br />
Doch dann kam das ´dicke Ende`! Alt und Jung<br />
hatten inzwischen viel Freude aneinander ge-<br />
SENIORENARBEIT<br />
funden und wollten weitermachen. Was nun?<br />
Ein Konzept war gefragt. Was sollte Inhalt des<br />
Projektes werden? Welchen Wert sollte ein generationenübergreifenden<br />
Projekt haben und welche<br />
Bedeutung diese Fortsetzung? Wie sollte das<br />
Projekt vor sich gehen? Wie häufig wollten sich<br />
alle treffen, wer sollte weiterhin beteiligt werden,<br />
was sollte gemacht werden, wo sollten die<br />
Treffen stattfinden, welchen Part hatten jeweils<br />
der Kindergarten und welchen die Altenbegegnungsstätte,<br />
wie konnte die Einbindung beider<br />
Häuser geschehen? Der Einsatz war vielfältig.<br />
Lange schon sind diese Fragen beantwortet: Das<br />
gemeinsame Singen, das damals begonnen wurde,<br />
existiert im 9. Jahr.<br />
Eins ist dabei sehr wichtig: Das Konzept<br />
wurde immer wieder den neuen Gegebenheiten<br />
angepasst. Geblieben ist: Die Kinder des Kindergartens<br />
und SeniorInnen der Altenbegegnungs-<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
43
SENIORINNENARBEIT<br />
Sternenfest in Husum. Ein Beispiel generationsübergreifender Arbeit.<br />
stätte singen gemeinsam Kinder- und Volkslieder<br />
von früher und heute. Ergänzt wurde das Projekt<br />
durch Body-Percussion. Für die SeniorInnen eine<br />
wunderbare Form des Gedächtnistrainings<br />
und <strong>für</strong> die Kinder eine gute Vorbereitung auf die<br />
Schule. Beide lernen <strong>mit</strong>einander und voneinander.<br />
Feste Regeln und Rituale helfen, das Miteinander<br />
gut zu meistern: geübt wird an jedem ersten<br />
und dritten Mittwoch im Monat im Kinder-<br />
44 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
garten, zwei- bis dreimal jährlich in der Altenbegegnungsstätte.<br />
Die Erzieherinnen sind bei den<br />
Proben dabei, die Leiterin der Altenbegegnungsstätte<br />
ist <strong>für</strong> die Organisation und die Presse- und<br />
Öffentlichkeitsarbeit zuständig.<br />
Aus diesem ersten Projekt entwickelten sich<br />
eine ganze Reihe kontinuierlicher generationenübergreifender<br />
Angebote in der Altenbegegnungsstätte:
• „Husumer Lesespaß“. SeniorInnen lesen in<br />
der Stadtbibliothek, in Kindergärten und<br />
Schulen auf hoch- und plattdeutsch vor.<br />
• „JA - Online! Jugendliche helfen SeniorInnen<br />
am PC“.<br />
• „Brückenbau - Jugend hilft“.<br />
• Handy-Kurs individuell - Jugendliche helfen<br />
SeniorInnen <strong>mit</strong> dem Handy.<br />
• Alle 14 Tage treffen sich SeniorInnen und<br />
Kindergarten-Kinder im Wilhelm-Gehlsen -<br />
Kindergarten zum gemeinsamen Singen.<br />
• 4x jährlich gestalten Schüler des Musik-Leistungskurses<br />
der Theodor-Storm-Schule die<br />
Einführungsveranstaltungen <strong>für</strong> die Musikund<br />
Theaterfahrten.<br />
• 2x jährlich finden Treffen <strong>mit</strong> der Schach-AG<br />
der Hermann-Tast-Schule und der Schachgruppe<br />
der Altenbegegnungsstätte statt.<br />
All diesen generationenübergreifenden Angeboten<br />
liegt zugrunde:<br />
• Es muss ein gemeinsames Interesse<br />
und/oder Ziel geben.<br />
• Die Leitungen der Jugendhilfe- und Altenhilfeeinrichtungen<br />
stehen gemeinsam hinter<br />
den Angeboten, fühlen sich verantwortlich,<br />
sind ansprechbar und tauschen sich aus<br />
(da ist Professionalität gefordert).<br />
• Es gibt feste Ansprechpartner <strong>für</strong> die praktische<br />
Durchführung (Lehrer in den Schulen,<br />
ehrenamtliche ProjektleiterInnen in der Altenbegegnungsstätte).<br />
• Die Bedürfnisse und Vorlieben der verschiedenen<br />
Generationen werden beachtet.<br />
• Es gibt regelmäßige Treffen <strong>für</strong> die SeniorInnen<br />
(die MärchenerzählerInnen, die VorleserInnen<br />
treffen sich einmal monatlich).<br />
• Es gibt Vorbereitungs- bzw. Einarbeitungstreffen<br />
<strong>für</strong> die Jugendlichen (Handy- und PC-<br />
Kurse).<br />
• Es gibt regelmäßige monatliche Treffen <strong>für</strong><br />
die Jugendlichen (Brückenbau).<br />
• Die Betreuung und die Begleitung sind<br />
durchstrukturiert.<br />
• Der Informationsfluss von oben nach unten<br />
und umgekehrt ist gewährleistet.<br />
• Die Angebote werden veränderten Gegebenheiten<br />
angepasst.<br />
SENIORENARBEIT<br />
• Es gibt Schulungen und Weiterbildungsangebote<br />
<strong>für</strong> alle.<br />
• Es ist <strong>für</strong> Vertretung gesorgt – niemand trägt<br />
alle Verantwortung auf Dauer alleine (Tandems).<br />
• Es gibt entsprechende Räumlichkeiten und<br />
Infrastruktur (können Kinder bis zur Altenbegegnungsstätte<br />
laufen, SeniorInnen auf<br />
Kindergartenstühlen sitzen?).<br />
• Es ist <strong>für</strong> alle eine win-win Situation.<br />
Ein Beispiel in groben Schritten mag dies verdeutlichen:<br />
Projekt: Brückenbau – Jugend<br />
hilft! Ein Projekt, in dem Jugendliche SeniorInnen<br />
z.B. beim Rasen mähen, einkaufen etc. helfen.<br />
Ausgangspunkt: Es gibt eine Idee. Diese Idee<br />
ist gereift, d.h. per „Versuchsballon“ oder anders<br />
bei unterschiedlichen Gruppen angesprochen<br />
oder aus der Erfahrung entstanden.<br />
• 1.Schritt : Die ProjektleiterInnen haben <strong>mit</strong><br />
den Leitungen von Altenbegegnungsstätte<br />
und Schule das Konzept geschrieben.<br />
• 2.Schritt: Die ProjektleiterInnen wurden geschult,<br />
die Jugendlichen zu schulen (Kommunikationstraining...).<br />
• 3.Schritt: In der Schule wurden Jugendliche<br />
ausgewählt.<br />
• 4.Schritt: Schulung der Jugendlichen <strong>mit</strong> ProjektleiterInnen<br />
und Trainer.<br />
• 5.Schritt: Öffentlichkeitsarbeit.<br />
• 6.Schritt: Gruppennach<strong>mit</strong>tag zur Verteilung<br />
der Aufträge usw.<br />
Dieser Gruppennach<strong>mit</strong>tag findet einmal<br />
monatlich statt. Es werden nicht nur die Aufträge<br />
verteilt, sondern auch neue Themen bearbeitet<br />
wie z.B. Rollstuhlführerschein, Umgang <strong>mit</strong><br />
Dementen etc. Dazu holen sich die Projektleiter<br />
die Ideen von der Leitung und lassen sich in der<br />
Referentensuche unterstützen. Gleichzeitig entwickeln<br />
sie weitere Ideen wie z.B. Elternabend,<br />
Weihnachtsfeier…, d.h. in diesem Projekt sind<br />
die Senioren (Projektleitung) <strong>für</strong> die Jugend und<br />
die Jugend (ehrenamtlich Tätige) <strong>für</strong> die SeniorInnen<br />
tätig.<br />
Die Arbeit zeigt, es bedarf <strong>für</strong> Anleitung und<br />
Konzept viel Zeit, viele Gedanken, Gespräche,<br />
Strukturen und Engagement. Unabdingbar sind<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
45
SENIORINNENARBEIT<br />
Sternenfest in Husum. Ein Beispiel generationsübergreifender Arbeit.<br />
auch die finanziellen Mittel <strong>für</strong> Material, Referenten,<br />
Telefonate, Weihnachtsfeiern, kleine Geschenke<br />
zu Geburtstagen usw. Ist dieser Rahmen<br />
gegeben, kann man davon ausgehen, dass Lebendigkeit,<br />
Austauschfreude, Offenheit unter<br />
den Generationen entsteht. Man kann davon<br />
ausgehen, dass Jung von Alt, Alt von Jung, Jung<br />
von Jung und Alt von Alt in einem einzigen Projekt<br />
von- und <strong>mit</strong>einander lernen und viel Freude<br />
an- und <strong>mit</strong>einander haben. Dies ist „Gewinn“<br />
<strong>für</strong> die SeniorInnen. Die Jugendlichen erhalten<br />
nach ihrem persönlichen Ausstieg aus<br />
dem Projekt eine Bescheinigung über Ihre Tätigkeiten<br />
und erworbenen Fähigkeiten z.B. zur Vorlage<br />
bei Bewerbungen.<br />
Es gibt noch einige vielleicht banal erscheinende<br />
Aspekte, die jedoch zum Erfolg unerlässlich<br />
sind: Verlässlichkeit, Flexibilität, Pünktlich-<br />
46 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
keit, Zugewandtheit, Achtung der Persönlichkeit<br />
und Interesse an der <strong>anderen</strong> Generation, Neugierde,<br />
Freude, Einsatzfreudigkeit, Lust an der<br />
Weiterentwicklung…, und immer wieder muss<br />
die Leitung der jeweiligen Einrichtungen voll dahinter<br />
stehen!<br />
Nicht immer müssen es solche aufwendigen<br />
und langfristigen Angebote sein. Auch kurzfristige<br />
Angebote können gelingen, wie z.B. das<br />
Sternefest in St. Marien. Hier ist der Weg das<br />
Ziel. Bei diesem Angebot ist es gelungen, insgesamt<br />
60 SeniorInnen, Kindergartenkinder und<br />
Eltern zum Basteln zu bewegen, obwohl dies<br />
überhaupt nicht „in“ ist. Die Beteiligten - zwischen<br />
4 und 93 Jahren alt - hatten Lust, <strong>für</strong> einen<br />
guten Zweck Sterne zu basteln (der Erlös geht an<br />
den ambulanten Kinderhospizdienst). Zunächst<br />
in kleinen homogenen Gruppen oder auch z.T.
alleine zu Hause. Diese Aktivitäten mündeten in<br />
einen gemeinsamen Bastelnach<strong>mit</strong>tag, an dem<br />
Jung und Alt Transparentsterne <strong>mit</strong>einander bastelten,<br />
schnackten und zu Beginn und Ende<br />
sangen. Zu Beginn gab es ein Kennenlernspiel.<br />
Das Kennenlernen von Namen hat einen festen<br />
Platz.<br />
Generationenübergreifende Angebote, die<br />
auf solchen Füßen stehen, lassen sich nicht<br />
leicht umstoßen. Sie sind nachhaltig und erfolgreich<br />
<strong>für</strong> alle und bereiten Freude und Spaß! Der<br />
Gewinn ist auch in der Vernetzung erlebbar. Beinahe<br />
von alleine entwickeln sich neue Angebote.<br />
So hatten z.B. einige Jugendliche die Idee, eine<br />
Handy-Schulung zu machen. Eine treue Verbundenheit<br />
Ausscheidender ist fast zwangsläu-<br />
SENIORENARBEIT<br />
fig, alle Beteiligten erfahren gegenseitig immer<br />
wieder Bestätigung (man sagt ja nicht seinem<br />
Konkurrenten wie toll er ist, sondern einer <strong>anderen</strong><br />
Generation, „das geht leichter von den<br />
Lippen“). Ein weiterer positiver Nebeneffekt ergibt<br />
sich <strong>für</strong> die „Altenarbeit“: Hier fühlen sich<br />
oft auch die jungen Alten angesprochen. Und<br />
spätestens da ist dann der Punkt erreicht, wo Kirchengemeinden<br />
ihren „Gewinn“ haben.<br />
Doch, warum dann nicht nur noch generationenübergreifende<br />
Projekte anbieten? Eine<br />
schlichte Antwort mag genügen: Jeder möchte<br />
auch mal unter seinesgleichen sein und sich altersgemäß<br />
austauschen und dazu bedarf es dann<br />
auch regelmäßiger eigenständiger Angebote.<br />
Eine Seniorin am altersgerechten Fitnessgerät auf dem Spielplatz <strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren.<br />
Foto: ddp<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
47
SENIORINNENARBEIT<br />
Konferenz Offene Altenarbeit<br />
Pragmatisch, praktisch, gut… und noch viel mehr…<br />
KIRSTEN SONNENBURG<br />
Kirsten Sonnenburg, Diakonin und Sozialpädagogin,<br />
ist tätig im Fortbildungswerk<br />
Drei F im Kirchenkreis Hamburg-Ost<br />
Pragmatisch, praktisch, gut… und noch<br />
viel mehr<br />
Das trifft es, wenn ich <strong>mich</strong> der Aufgabe stelle<br />
über die Konferenz Offene Altenarbeit zu<br />
schreiben, was sie ist, wo<strong>für</strong> sie steht, wer sich<br />
da trifft, was man da macht… Schon die Begrifflichkeit<br />
„Offene Altenarbeit“ mag unterschiedliche<br />
Assoziationen hervorrufen.<br />
Hinter „offener Altenarbeit“ kann sich<br />
Folgendes verbergen:<br />
Nach<strong>mit</strong>tage <strong>für</strong> Senioren, Seniorentreffs,<br />
Ausfahrten, Reisen, Internet Cafés, Bewegungsangebote<br />
<strong>für</strong> älter werdende Menschen, Gedächtnistraining,<br />
Besuchs- und Begleitdienstar-<br />
48 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
beit, hospizliche Arbeit, Seelsorge, Vorlesen im<br />
Altenheim, Nachbarschaftsdienste, Offene<br />
Cafés, kulturelle Angebote, Angebote <strong>für</strong> mehrere<br />
Generationen, wie z.B. Großeltern-Enkelkinder-Veranstaltungen,<br />
Senioren lesen im Kindergarten,<br />
Ältere unterstützen Jugendliche bei der<br />
Berufsfindung, Jung hilft Alt, gemeinsame Internetrecherche<br />
von Konfis und Senioren, Mehrgenerationenhaus,<br />
Freiwilligenforen, Feste <strong>für</strong> die<br />
Gemeinschaft, Biographiewerkstätten, Erzählcafés,<br />
und, und, und…<br />
„Offene Altenarbeit“ stellt sich die Aufgabe,<br />
gemeinwesenorientierte Angebote <strong>für</strong> SeniorInnen<br />
aufzubauen, zu unterstützen und zu begleiten,<br />
oft in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> ehrenamtlich Engagierten.<br />
Besonderes Kennzeichen ist, dass diese<br />
Angebote offen <strong>für</strong> alle SeniorInnen sind,<br />
ganz gleich, welcher Konfession oder Nationalität<br />
sie angehören oder ob sie konfessionslos<br />
sind etc. Alle sind willkommen. Offene Altenarbeit<br />
unterscheidet sich von der Altenhilfe, die<br />
ihren Schwerpunkt im Bereich der Unterstützung<br />
und Pflege hat.<br />
Und was ist nun die Konferenz?<br />
Die Konferenz ist der „Treffpunkt“ <strong>für</strong> all die<br />
Ehrenamtlichen, Freiwilligen und Hauptamtlichen<br />
aus den Gemeinden und Regionen im Großbereich<br />
Hamburgs, die in diesem vielfältigen und<br />
bunten Bereich aktiv sind. Sie trifft sich einmal<br />
im Monat am Rockenhof im Kirchenkreis Hamburg<br />
Ost <strong>für</strong> jeweils 3 Stunden. Ein Leitungskreis<br />
kümmert sich um die Organisation und inhaltliche<br />
Ausgestaltung. Für die gemeinsam festgelegten<br />
Themen werden Referenten eingeladen. Es<br />
geht um Fort- und Weiterbildung, um Informationsweitergabe,<br />
um Unterstützung und Austausch.<br />
Die Themen sind so umfangreich und<br />
weitreichend wie der Bereich an sich.
Seniorinnen auf einer Bank genießen den Blick auf den Ammersee.<br />
Foto: ddp<br />
Um die Vielfältigkeit der Themen zu beschreiben,<br />
hier einige als Beispiele:<br />
• Wie setze ich interessant und verständlich<br />
die Jahreslosung um?<br />
• Unterschiedliche Wohnformen im <strong>Alter</strong><br />
• Gottesdienste und Feste in orthodoxen Kirchen<br />
• Was macht ein Seniorenbeirat?<br />
• Wie gestalte ich Feste und Feiern?<br />
• Was bedeutet Schuld?<br />
• Wer war Wichern?<br />
• Schokolade – ein Vor<strong>mit</strong>tag <strong>mit</strong> allen Sinnen<br />
• Ideenbörse und, und, und…<br />
Meist wird ein Tag im Jahr genutzt, um Ausflugsmöglichkeiten<br />
vorzustellen und gemeinsam<br />
SENIORENARBEIT<br />
auszuprobieren. Wie zum Beispiel das gemeinsame<br />
Begehen des Schöpfungsweges in Hanstedt<br />
oder der Besuch von „Schattensprache“ in<br />
Rendsburg.<br />
Einmal im Jahr findet darüber hinaus eine<br />
Fortbildung statt, die über 4 Tage geht. Das Thema<br />
wird gemeinsam festgelegt und auf vielfältige<br />
Weise inhaltlich bearbeitet. Für die Vorbereitung<br />
und Durchführung ist neben dem Leitungskreis<br />
auch ein/e Referent/in dabei. Neben dem<br />
inhaltlichen und fachlichen Arbeiten spielen der<br />
Austausch untereinander, das intensive Erleben<br />
und der Spaß am gemeinsamen Ausprobieren<br />
von erprobten und erfolgreichen Angebotsmöglichkeiten<br />
aus der Arbeit <strong>mit</strong> älter werdenden<br />
Menschen eine große Rolle.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
49
SENIORINNENARBEIT<br />
Jobpaten: Neue Wege in<br />
der Seniorenarbeit<br />
Erfahrungen der Älteren <strong>für</strong> die Jungen nutzen<br />
ANGELIKA SCHMIDT<br />
Angelika Schmidt, seit 2005 Projektpastorin<br />
des Kirchenkreises Stormarn, jetzt<br />
Hamburg-Ost, <strong>für</strong> das Projekt: „Förderung<br />
des freiwilligen Engagements der Generation<br />
55plus <strong>für</strong> kirchliche, gesellschaftliche<br />
und soziale Zukunftsgestaltung“ in<br />
der Region Hamburg Poppenbüttel,<br />
Sasel und Wellingsbüttel<br />
Es ist Montag, 17.30 Uhr, 12 Männer und Frauen<br />
sitzen im Gemeindehaus der Vicelinkirche<br />
Sasel in Hamburg um einen Tisch bei einer Tasse<br />
Kaffee. Die meisten Teilnehmer gehören der<br />
Generation 55plus an und sind bereits aus dem<br />
Beruf ausgeschieden, in <strong>Alter</strong>steilzeit, im Vorruhestand<br />
oder in Rente. Sie kommen aus ganz ver-<br />
50 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
schiedenen Berufen, waren zum Beispiel Geschäftsführer<br />
eines Wirtschaftsverbandes, haben<br />
ein <strong>mit</strong>telständisches Unternehmen geleitet, waren<br />
im Vertrieb oder im Bereich Ausbildung einer<br />
Firma beschäftigt, waren Kfz-Mechaniker<br />
oder Sachbearbeiterin in einem Krankenhaus<br />
oder Ingenieur im Bereich Nachrichtentechnik.<br />
Was sie gemeinsam haben in dieser Runde ist,<br />
dass sie sich als Jobpaten <strong>für</strong> Jugendliche einsetzen<br />
möchten, da<strong>mit</strong> diese ihren Weg in den<br />
Beruf finden.<br />
Sie alle bringen da<strong>für</strong> ihre Berufserfahrung<br />
<strong>mit</strong> und die Bereitschaft, Zeit und Energie zu investieren,<br />
freiwillig und ohne Geld. Also geht es<br />
an diesem Nach<strong>mit</strong>tag um Kevin, Ali, Patrick,<br />
Reman, Artur, Lisa, Michelle, Narges, Stephen<br />
und viele mehr, die einen Praktikumsplatz suchen<br />
oder einen Ausbildungsplatz und da<strong>für</strong> Hilfe<br />
brauchen. Lisa möchte im Praktikum den Beruf<br />
der Innenarchitektin kennenlernen, aber hat<br />
bisher keinen Betrieb gefunden, der sie als Praktikantin<br />
nehmen würde. Kevin weiß eigentlich<br />
noch gar nicht, was <strong>für</strong> eine Ausbildung er machen<br />
möchte. Sein Zeugnis ist nicht so super und<br />
er wird den Realschulabschluss vielleicht nicht<br />
schaffen. Christina ist gerade frisch nach Hamburg<br />
gezogen und kann ihre Fachschule, bei der<br />
sie einen Platz hatte, nun nicht besuchen. Jetzt<br />
braucht sie Hilfe, um sich neu zu bewerben. Für<br />
viele Jugendliche ist es wichtig, einen Jobpaten<br />
an der Seite zu haben, der von außen kommt,<br />
der Zeit hat <strong>für</strong> Gespräche unter vier Augen, der<br />
<strong>für</strong> den Jugendlichen <strong>mit</strong> einem Telefongespräch<br />
Türen bei einer begehrten Firma öffnen kann ,<br />
der zum fünften Mal die Fehler in einer Bewerbung<br />
korrigiert, der zuhören kann, ermutigen,
eraten, trösten, ermahnen und der nicht locker<br />
lässt bis die Bewerbung Erfolg hat. Keiner in der<br />
Runde der Jobpaten hat diesen Beruf gelernt,<br />
aber alle sind von der Notwendigkeit und dem<br />
Sinn dieser Aufgabe überzeugt und bereit zu lernen.<br />
Sucht z.B. ein Mädchen einen Ausbildungsplatz<br />
als Modeschneiderin, fängt auch der Jobpate<br />
<strong>mit</strong> ihr ganz von vorn an, Kontakte und<br />
Möglichkeiten herauszufinden. Wenn ein<br />
Mädchen unbedingt von der Familie her Ärztin<br />
werden soll, aber kaum den Realschulabschluss<br />
schafft und deshalb eigene Wünsche gar nicht<br />
erst entwickelt, ist es auch <strong>für</strong> den Jobpaten<br />
nicht leicht.<br />
Bei den Treffen ist darum der Austausch<br />
wichtig und bisweilen auch kollegiale Beratung,<br />
da<strong>mit</strong> es zwischen Jobpaten und Jugendlichen<br />
weitergehen kann. Es geht natürlich auch um<br />
den organisatorischen Rahmen, um den Kontakt<br />
zu den Schulen, <strong>mit</strong> denen die Jobpaten zusammenarbeiten,<br />
es geht um andere Institutionen,<br />
SENIORENARBEIT<br />
Margitta Kley und Christina am PC im Berufsinformationszentrum Hamburg beim Recherchieren<br />
der Berufsbilder, die <strong>für</strong> Christina infrage kommen.<br />
die Hilfen <strong>für</strong> Jugendliche anbieten, da<strong>mit</strong> der<br />
Einstieg in den Beruf gelingt. Es geht in der Runde<br />
um die gemeinsame Arbeit, um Schwierigkeiten,<br />
die <strong>mit</strong>einander geteilt werden, um Erfolge,<br />
die gemeinsam gefeiert werden und um das, was<br />
noch besser werden kann. Es geht auch um die<br />
eigene Situation, um Dankbarkeit <strong>für</strong> das gelungene<br />
Berufsleben, um Freude an den Enkeln wie<br />
um die gemeinsame Trauer, wenn einer ernsthaft<br />
erkrankt ist und deshalb aufhören muss. Es geht<br />
auch um den Glauben, dass Gott es ist, der jedem<br />
Menschen seine Zeit schenkt und den Auftrag<br />
gibt, sich auch <strong>für</strong> den Nächsten einzusetzen.<br />
Es geht um die Gemeinschaft, in die jeder<br />
einbringen soll, was er kann im Berufsleben und<br />
auch danach. Natürlich, nach kirchlicher Definition<br />
sind die Jobpaten eine Seniorenrunde, aber<br />
als 50-75-Jährige sind sie doch eine ganz eigene<br />
Gruppe, die aktiv werden will und sich engagiert<br />
<strong>für</strong> die Generation der Enkel und wissen will,<br />
wo sie gebraucht wird.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
51
SENIORINNENARBEIT<br />
Namen der Jobpaten: v.links Rolf Theede, Eberhard Karg, Marie-Luise Laubert, Katrin Rosentreter.<br />
2. Reihe: Heinz Winterstein, Rolf Kant, Angelika Schmidt, Susanne Miller, Margitta Kley, Rolf Rudloff<br />
Für viele hat Kirche in ihrem Leben bis zum<br />
Berufsende eine eher traditionelle Rolle gespielt<br />
oder oft auch gar keine. Aber jetzt in der Phase<br />
der Neuorientierung sind viele bereit, wahrzunehmen,<br />
was ihre Kirche vor Ort anbietet und<br />
wo sie sich engagiert. Sie brauchen nicht mehr<br />
als einen Aufruf in einer der kleinen Anzeigenzeitungen,<br />
die es jedenfalls in der Stadt überall<br />
kostenlos gibt, und einen Ansprechpartner, der<br />
<strong>für</strong> sie Zeit hat und bespricht, was diese Aufgabe<br />
beinhaltet und ob sie das Richtige <strong>für</strong> den<br />
Freiwilligen ist. Sie brauchen einen klaren Rahmen<br />
<strong>für</strong> ihr Engagement, wie denn zum Beispiel<br />
der Auftrag lautet, und welchen Zeitumfang er<br />
hat, und kontinuierliche Begleitung und Reflexion.<br />
Sie brauchen Anerkennung und Würdigung<br />
der Arbeit wie jeder andere auch.<br />
Sie setzen auf die seelsorgerliche Kompetenz<br />
einer Pastorin, wenn es schwierig wird. Sie sind<br />
bereit, über ihr eigenes Verhältnis zur Kirche<br />
Auskunft zu geben und hoffen auf Respekt. Sie<br />
lassen sich ein auf kleine spirituelle Impulse oder<br />
auch auf ein selbst formuliertes Fürbittengebet<br />
im Gottesdienst als Teil der gemeinsamen Arbeit.<br />
Sie gehen als Jobpaten der Kirche in die Schule<br />
und stellen sich <strong>mit</strong> diesem Namen vor. Manche<br />
bleiben Grenzgänger in Bezug auf die Kirche, an-<br />
52 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
dere beginnen sich <strong>mit</strong> ihr zu identifizieren über<br />
das Engagement.<br />
Für <strong>mich</strong> als Projektpastorin im Norden von<br />
Hamburg liegt mir dieses Projekt besonders am<br />
Herzen, weil es deutlich macht, wie die Erfahrung<br />
der Älteren <strong>für</strong> die Jungen genutzt und das<br />
Gespräch zwischen den Generationen gelingen<br />
kann und Vertrauen entsteht. Beide bekommen<br />
etwas durch die Beziehung, die Jüngeren einen<br />
Paten <strong>für</strong> den schwierigen Weg in den Beruf, und<br />
die Älteren eine Aufgabe, die sie erfüllt und ihnen<br />
Spaß macht, sie herausfordert und jung hält.<br />
Dieses Projekt ist attraktiv vor allem auch <strong>für</strong><br />
Männer, weil es an die Berufserfahrung anknüpft<br />
und auch <strong>für</strong> Menschen, die noch im Beruf sind,<br />
weil sie die Termine <strong>mit</strong> den Jugendlichen individuell<br />
verabreden können. So sind in der Jobpatenrunde<br />
<strong>mit</strong>tlerweile auch drei Berufstätige<br />
dabei. Gut fünfzig Jugendliche haben die Jobpaten<br />
im Schuljahr 2008/2009 begleitet, 20 Jugendliche<br />
haben einen Ausbildungsplatz gefunden,<br />
einer hat ein duales Studium begonnen,<br />
vier brauchten ein Orientierungsgespräch und<br />
sind jetzt in der Oberstufe, die übrigen haben ihr<br />
Praktikum erfolgreich absolviert. In fünf Fällen<br />
wurde die Beziehung beendet ohne das Ziel erreicht<br />
zu haben, meistens, weil die Jugendlichen
die Absprachen nicht eingehalten haben.<br />
In beiden Gesamtschulen, <strong>mit</strong> denen die<br />
Jobpaten zusammenarbeiten, sind die Freiwilligen<br />
sehr geschätzt, sie werden im Jahrbuch gewürdigt<br />
und in die Schulkonferenz eingeladen.<br />
Die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den Gymnasien beschränkt<br />
sich bisher auf die Teilnahme an der Berufsorientierungsprojektwoche<br />
und ist weiter<br />
entwicklungsfähig.<br />
Das Projekt Jobpaten ist nicht das einzige<br />
Projekt <strong>für</strong> die Generation 55plus, das ich anbiete.<br />
Im Lesecafé geht es darum, dass Freiwillige<br />
im <strong>Alter</strong>sheim <strong>mit</strong> der Generation 80plus<br />
ins Gespräch kommen über die aktuelle Tageszeitung<br />
und die Nordelbische Kirchenzeitung.<br />
Im Projekt Kirche und Zeitung geht es darum,<br />
dass Freiwillige eine Seite im örtlichen Anzei-<br />
genblatt füllen <strong>mit</strong> Artikeln und Bildern aus<br />
dem freiwilligen Engagement der kirchlichen<br />
Region. Darüber hinaus berichten sie über Tradition<br />
und Sinn der kirchlichen Feste. Im Projekt<br />
Kirche im Alstertaleinkaufszentrum 2007<br />
ging es darum, eine Woche um das Thema Advent<br />
im öffentlichen Raum zu organisieren und<br />
zu gestalten. Die Vielfalt der Projekte ermöglicht<br />
es, dass jeder <strong>mit</strong> seinen verschiedenen<br />
Gaben sich einbringen kann und nicht in einem<br />
Projekt <strong>mit</strong>arbeitet, dass nicht zu ihm passt. Im<br />
1.Korintherbrief 12,7 heißt es: „In einem jeden<br />
offenbart sich der Geist Gottes zum Nutzen aller.“<br />
Mit diesem Vers habe ich meine Arbeit begonnen<br />
und sie ist <strong>für</strong> <strong>mich</strong> ein Leitspruch,<br />
wenn ich Menschen kennenlerne, die sich in<br />
der Kirche <strong>für</strong> andere engagieren möchten.<br />
Wenn Erfahrungen Netze<br />
knüpfen<br />
Das evangelische Internetportal <strong>für</strong> die Generation ab 59<br />
ANGELIKA WIESEL<br />
Pastorin Angelika Wiesel ist seit 2008<br />
Internet-Pastorin der Evangelisch-lutherischen<br />
Landeskirche Hannover<br />
Die Treffpunktbeiträge sind so vielfältig wie<br />
die Nutzerinnen und Nutzer selber: So werden<br />
in einem Treffpunkt zum Beispiel Themen<br />
wie neue Wohnformen im <strong>Alter</strong> oder der Übergang<br />
in den Ruhestand diskutiert. Andere beschreiben<br />
ihr ehrenamtliches Engagement als<br />
Vorlese-Mentorin oder die Proben der Seniorenkantorei.<br />
Ein weiterer Nutzer stellt die Frage:<br />
Glauben Frauen anders als Männer? Auf einem<br />
kirchlichen Portal haben auch Themen wie Abschied<br />
und Trauer ihren Platz, die auf vielen <strong>anderen</strong><br />
Seiten <strong>für</strong> diese Zielgruppe ausgeklammert<br />
SENIORENARBEIT<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
53
SENIORINNENARBEIT<br />
Ältere Erwachsene nutzen verstärkt das<br />
Internet<br />
„Hier ist Platz <strong>für</strong> Ihre Themen, Ihre Erfahrungen,<br />
Ihre Beiträge. Machen Sie <strong>mit</strong> - entdecken<br />
Sie Ihren Treffpunkt!“ So begrüßt das evangelische<br />
Internetportal www.unserezeiten.de seine<br />
Zielgruppe – die Generation ab 59. Hier finden die<br />
Nutzerinnen und Nutzer eine kommunikative<br />
Website <strong>mit</strong> Platz <strong>für</strong> eigene Themen, neue Erfahrungen<br />
und Kontakte. Mit wenigen klar erkennbaren<br />
Funktionen ist UnsereZeiten.de auch<br />
<strong>für</strong> Interneteinsteiger leicht zu bedienen.<br />
Die sogenannten „Silversurfer“ sind die<br />
Gruppe, deren Internetnutzung im letzten Jahr<br />
am stärksten zugenommen hat. Online-Studien<br />
zeigen, dass 60% der Deutschen in der <strong>Alter</strong>sgruppe<br />
ab 55 über einen eigenen Internetzugang<br />
verfügen.<br />
Das haben die drei Landeskirchen, Evangelisch-Lutherische<br />
Kirche in Bayern, die Evangelische<br />
Landeskirche in Baden und die Evangelisch-lutherische<br />
Landeskirche Hannovers, zum<br />
Anlass genommen, ein Angebot <strong>für</strong> diese Zielgruppe<br />
ins Leben zu rufen. Für die Herausgeber<br />
ist es wichtig, dass sich über das Netzwerk neue<br />
Formen von Gemeinschaft bilden, die auch im<br />
zunehmenden <strong>Alter</strong> und <strong>mit</strong> eingeschränkter<br />
Mobilität gepflegt werden können. In einem seriösen<br />
Rahmen sollen die Internetnutzer eine<br />
Plattform finden, auf der sie ihre Erfahrungen<br />
teilen und in einer Phase des Übergangs ein neues<br />
Netzwerk aufbauen können.<br />
Thematische Treffpunkte<br />
Die Seite gliedert sich in neun thematische<br />
Treffpunkte <strong>mit</strong> untergeordneten Themen. Dort<br />
können sich die Nutzerinnen und Nutzer nach<br />
Interesse zusammentun und austauschen. Sie<br />
können eigene Beiträge <strong>mit</strong> Texten, Bildern und<br />
Videos veröffentlichen, Beiträge anderer lesen<br />
und kommentieren und Kontakte knüpfen. Die<br />
Treffpunktnamen geben nur eine Richtung an.<br />
Wohin es geht, bestimmen die User selber.<br />
Dies sind die Treffpunkt-Themen:<br />
wohnen,<br />
glauben,<br />
leben,<br />
genießen,<br />
trauern,<br />
54 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
versorgen,<br />
lieben,<br />
verändern.<br />
Die Treffpunktbeiträge sind so vielfältig wie<br />
die Nutzerinnen und Nutzer selber: So werden<br />
in einem Treffpunkt zum Beispiel Themen<br />
wie neue Wohnformen im <strong>Alter</strong> oder der Übergang<br />
in den Ruhestand diskutiert. Andere beschreiben<br />
ihr ehrenamtliches Engagement als<br />
Vorlese-Mentorin oder die Proben der Seniorenkantorei.<br />
Ein weiterer Nutzer stellt die Frage:<br />
Glauben Frauen anders als Männer? Auf einem<br />
kirchlichen Portal haben auch Themen wie Abschied<br />
und Trauer ihren Platz, die auf vielen <strong>anderen</strong><br />
Seiten <strong>für</strong> diese Zielgruppe ausgeklammert<br />
werden.<br />
Benutzung<br />
Jeder Internetnutzer kann alle Beiträge auf<br />
UnsereZeiten.de lesen. Wer einen Kommentar<br />
abgeben oder einen eigenen Beitrag verfassen<br />
möchte, muss sich vorher <strong>mit</strong> seiner E-Mail-<br />
Adresse und einem Nutzernamen anmelden. So<br />
ist ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet.<br />
Viele melden sich <strong>mit</strong> ihrem echten Namen an,<br />
andere geben sich <strong>für</strong> das Seniorennetzwerk einem<br />
Spitznamen. Jeder Nutzer bestimmt dadurch<br />
selber, was er über seine Person bekanntmachen<br />
möchte.<br />
Zeit schenken<br />
Eine Besonderheit des Portals ist die Funktion<br />
„Zeit schenken“, die die Besucher der Webseite<br />
auch im realen Leben in Kontakt bringen<br />
kann. So bietet zum Beispiel ein Nutzer aus<br />
Greifswald den <strong>anderen</strong> Besuchern von Unsere-<br />
Zeiten an: „<strong>Ich</strong> führe Sie gern bei einem Besuch<br />
kostenlos, aber hoffentlich nicht umsonst, durch<br />
diese schöne Stadt.“ Andere verschenken „Computer<br />
PC Sofort-Hilfe“ oder einen Spaziergang.<br />
Ehrenamtliche als Lotsen<br />
„Die Besucher unseres Portals befinden sich<br />
in einer Lebensphase des Übergangs“, berichtet<br />
Erich Franz, der als ehrenamtlicher Lotse die Besucher<br />
einer Treffpunktseite betreut: „Sie wollen<br />
kein Programm vorgesetzt bekommen, sondern<br />
ihr Leben aktiv gestalten. Unsere Internetseite<br />
stellt nur den Rahmen zur Verfügung. Die The-
Das evangelische Internetportal <strong>für</strong> die Generation ab 59<br />
men kommen von unseren Mitgliedern.“ Er selber<br />
steht als Pastor und Journalist ein Jahr vor<br />
dem Ruhestand und gestaltet zusammen <strong>mit</strong><br />
vier <strong>anderen</strong> Hannoveranern den Treffpunkt<br />
„Glauben“.<br />
So wie er betreuen zurzeit etwa 30 ehrenamtliche<br />
Lotsen das Portal. Sie begrüßen neu angemeldete<br />
Mitglieder, setzen Themen und moderieren<br />
die Diskussionen auf den Treffpunktseiten.<br />
Die Ehrenamtlichen treffen sich in regionalen<br />
Teams in Berlin, Greifswald, Hannover,<br />
Magdeburg, Stuttgart und München und tauschen<br />
sich online in einem Forum über ihre Erfahrungen<br />
aus. Außer den Lotsen gibt es einen<br />
technischen Betreuer und eine Chefredakteurin<br />
im Ruhestand, die das Team <strong>mit</strong> ihrem Fachwissen<br />
unterstützt.<br />
Weitere Interessierte können gerne das UnsereZeiten-Team<br />
verstärken. Sie werden auf ihre<br />
Aufgabe <strong>mit</strong> einer Schulung vorbereitet und wer-<br />
SENIORENARBEIT<br />
den von der Projektleitung in Hannover bei ihrer<br />
Tätigkeit begleitet.<br />
Erste Bilanz<br />
Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag<br />
in Bremen wurde das Portal im Mai 2009 offiziell<br />
eröffnet. Nach den ersten Monaten des Betriebs<br />
lässt sich eine positive Bilanz ziehen. Die<br />
Nutzerinnen und Nutzer melden zurück, dass<br />
die Stimmung auf UnsereZeiten.de eine andere<br />
ist als auf vielen Internetportalen. Sie ist geprägt<br />
von großer Ernsthaftigkeit und gegenseitigem<br />
Respekt. Der Umgangston ist wertschätzend und<br />
den Beiträgen merke man die Sorgfalt an, <strong>mit</strong> der<br />
sie erstellt wurden.<br />
UnsereZeiten.de nutzt die interaktiven Möglichkeiten<br />
des Internets, um der Zielgruppe der<br />
über 59-Jährigen einen Kommunikationsraum<br />
zu schaffen, in dem Menschen ihre Lebenserfahrung<br />
teilen können.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
55
SENIORINNENARBEIT<br />
Der Age Explorer®:<br />
Eine Brücke des Verständnisses zwischen Jung und Alt<br />
DR. HANNE MEYER-HENTSCHEL<br />
Dr. Hanne Meyer-Hentschel hat Betriebswirtschaft<br />
studiert und leitet den Bereich<br />
50plus im Meyer-Hentschel Institut in<br />
Saarbrücken, das seit 1985 Unternehmen<br />
und Dienstleister bei der Anpassung an<br />
den demographischen Wandel unterstützt.<br />
Das Meyer-Hentschel Institut zählt<br />
zu den Experten im Bereich des Seniorenmarketing.<br />
Es hat sich etwas verändert in Europa: Die Bedürfnisse<br />
reifer Bürger sind in den Fokus der<br />
Öffentlichkeit gerückt, und das zu Recht! Denn<br />
der Jugendmarkt schrumpft, der Anteil Älterer<br />
an der Bevölkerung wird immer größer, die Lebenserwartung<br />
steigt: Wer heute 60 Jahre alt ist,<br />
hat - statistisch gesehen - noch eine Lebenserwartung<br />
von rund einem viertel Jahrhundert!<br />
Und so wirkt die demographische Verschiebung<br />
als mächtige gesellschaftliche Strömung in allen<br />
persönlichen und gesellschaftlichen Sphären<br />
und hat ausgeprägte Konsequenzen. Sie verändert<br />
in vielfacher Weise die Spielregeln, nach denen<br />
unsere Gesellschaft und unsere Märkte, unsere<br />
Städte und Kommunen funktionieren.<br />
Wir haben heute die Situation, dass 30 Millionen<br />
Menschen in Deutschland 50 Jahre und<br />
älter sind. In jedem dritten Haushalt finden wir<br />
<strong>mit</strong>tlerweile einen Rentnerhaushalt, und in jedem<br />
zweiten Haushalt lebt in Deutschland eine<br />
Person, die älter ist als 50. Auf die Haushaltszahlen<br />
betrachtet ist es ein gewaltiges Potential,<br />
das nicht mehr zu unterschätzen ist. Bis 2030<br />
wird jeder dritte Deutsche 60 Jahre und älter sein<br />
und jeder zweite über 50!<br />
In einer Gesellschaft des langen Lebens besinnt<br />
man sich wieder auf die Stärken des <strong>Alter</strong>s<br />
und erkennt darin bisher ungeahnte Chancen.<br />
56 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Davon haben sowohl die Jüngeren als auch die<br />
Reifen etwas. Denn die <strong>Alter</strong>ung der Gesellschaft<br />
ist nicht allein unter dem Aspekt möglicher Belastungen<br />
zu betrachten. Genauso wichtig ist die<br />
Darstellung möglicher Gewinne, die unserer Gesellschaft<br />
aus der wachsenden Anzahl Älterer erwachsen<br />
können.<br />
Normales <strong>Alter</strong>n ist schließlich kein psychischer<br />
Verfallsprozess. Im Gegenteil: Das psychische<br />
Leistungspotential eines Menschen steigt<br />
<strong>mit</strong> den Jahren häufig sogar an: In Erfahrung,<br />
Selbstbewusstsein, Urteilsvermögen, Sozialkompetenz,<br />
Geduld usw. sind Senioren durchschnittlich<br />
jüngeren Menschen überlegen. „Als Kinder<br />
haben wir das Leben aus der Froschperspektive<br />
gesehen - jetzt im <strong>Alter</strong> profitieren wir von der<br />
Vogelperspektive!“ (Gruppendiskussion Meyer-<br />
Hentschel Institut). Das Bedürfnis, so lange wie<br />
möglich selbständig handeln und leben zu können,<br />
steht dabei ganz weit oben auf der Skala der<br />
Bedürfnisse im <strong>Alter</strong>.
Benutzerfreundliche Technik und Design<br />
können da<strong>für</strong> sorgen, dass eine weitgehend<br />
selbständige Lebensführung so lange wie möglich<br />
aufrechterhalten bleiben kann. In diesem<br />
Zusammenhang bekommen alle Entwicklungen<br />
im Aufgabenfeld „AAL“ (Ambient Assisted Living)<br />
eine wachsende Bedeutung: Die Umgebung<br />
unterstützt <strong>mit</strong>tels innovativer Technik unterschiedlichste<br />
Aktivitäten älterer Menschen<br />
und ermöglicht so eine längere relativ selbständige<br />
Lebensweise im eigenen Haushalt. Doch<br />
nicht nur das Wohnumfeld, sondern unsere gesamte<br />
physische Umgebung muss <strong>für</strong> Menschen<br />
unterschiedlichen <strong>Alter</strong>s und unterschiedlichster<br />
Fähigkeiten nicht nur einfach zugänglich, sondern<br />
auch einladend sein. Nicht Spezialanfertigungen<br />
<strong>mit</strong> dem Siegel „seniorentauglich“ sind<br />
gefragt, sondern unauffälliges universal design,<br />
und das <strong>für</strong> praktisch alle Lebensbereiche.<br />
So werden immer mehr Unternehmen „demographie-agil“:<br />
Sie sind munter, flexibel und<br />
stets neugierig zu erfahren, was sich Ältere<br />
tatsächlich und im Detail wünschen. Da<strong>mit</strong> sind<br />
sie in der Lage, innovative, möglichst passgenaue<br />
Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln,<br />
verbunden <strong>mit</strong> einer besonders glaubwürdigen<br />
Kommunikation. Nicht alle Ansätze<br />
sind allerdings von Erfolg gekrönt, denn:<br />
Schickes Design und faszinierende Technik aus<br />
Sicht Jüngerer sind noch lange nicht auch benutzerfreundlich<br />
aus Sicht Älterer - selbst wenn<br />
es sich um aktive Ältere handelt.<br />
Die wahre Herausforderung, der sich Technik<br />
und Design, Lebensräume oder Serviceangebote<br />
in Zukunft zu stellen haben, ist also die Forderung,<br />
dass sie auch aus Sicht reifer, kritischer<br />
oder auch körperlich mehr oder weniger eingeschränkter<br />
Nutzer eine wirkliche Verbesserung<br />
der Lebensqualität darstellen und da<strong>mit</strong> Werkzeuge<br />
<strong>für</strong>s Leben sind. Denn: Auch wenn die Lebenserwartung<br />
beständig zunimmt und die Menschen<br />
länger fit bleiben, lässt sich der biologische<br />
<strong>Alter</strong>ungsprozess nur in Grenzen aufhalten.<br />
So ist da<strong>mit</strong> zu rechnen, dass die Sinnesleistungen<br />
vieler Menschen im Laufe ihrer Lebensjahre<br />
abnehmen. Natürlich ist hier eine große Variabilität<br />
zwischen verschiedenen Menschen zu beobachten.<br />
Die nachfolgenden Informationen –<br />
SENIORENARBEIT<br />
medizinisch und gerontologisch fundiert - sind<br />
als Durchschnittsbetrachtung jedoch recht nützlich.<br />
Im Laufe des Lebens kann <strong>mit</strong> einem Verlust<br />
der Sehschärfe bis zu 80% gerechnet werden.<br />
Die Verringerung der Sehschärfe ist besonders<br />
gravierend im Nahbereich und bei schlechter Beleuchtung.<br />
Jeder Anbieter, der seinen Kunden also<br />
schwierige Sehaufgaben zumutet, muss da<strong>mit</strong><br />
rechnen, auf Umsätze zu verzichten. Denken Sie<br />
z.B. an: Bedienungsanleitungen, Beipackzettel,<br />
Fahrkarten, Fahrpläne, Formulare, Kassenzettel,<br />
Mailings, Packungen <strong>für</strong> Konsumgüter, Preisauszeichnungen,<br />
Speisekarten, Überweisungsträger,<br />
Versandhauskataloge, Verträge usw.<br />
Von ähnlich zentraler Bedeutung wie mögliche<br />
Sehprobleme im Nahbereich sind Veränderungen<br />
der Farbwahrnehmung im Laufe des Lebens.<br />
Man kann davon ausgehen, dass das Empfindungsvermögen<br />
<strong>für</strong> Farbtöne des gesamten<br />
Farbspektrums im <strong>Alter</strong> nachlässt. Dies gilt vor<br />
allem gegenüber blauen und grünen Farbtönen.<br />
Hören ist <strong>für</strong> die soziale Einbindung eines<br />
Menschen unentbehrlich. Denken Sie an: Beratungsgespräche,<br />
Betriebsgeräusche von Geräten,<br />
Durchsagen in Läden, Fernsehwerbung, Hörfunkwerbung,<br />
Lautsprecheransagen auf Bahnhöfen<br />
und Flugplätzen, Signaltöne von technischen<br />
Geräten, Verkaufsgespräche oder Unterhaltungen<br />
im Freundeskreis. So erleben wir immer<br />
wieder, dass Ältere sich bei Familienfesten<br />
nicht recht wohlfühlen, weil sie den Gesprächen<br />
nicht folgen können und zuweilen nur eine diffuse<br />
Geräuschkulisse wahrnehmen.<br />
Man kann weiterhin davon ausgehen, dass<br />
bis zum 70. Lebensjahr 30-40% der Muskelkraft<br />
verloren gehen. Durch altersbedingte Versteifung<br />
der Gelenke lässt die Beweglichkeit nach. Allein<br />
diese beiden Veränderungen führen zu einer Abnahme<br />
der Selbstsicherheit bei alltäglichen Verrichtungen.<br />
Da kein Mensch auf Dauer <strong>mit</strong> Misserfolgserlebnissen<br />
leben will, werden die entsprechenden<br />
Aktivitäten zunächst eingeschränkt<br />
und dann gar nicht mehr durchgeführt bzw.<br />
durch andere ersetzt.<br />
Dem zuvor erwähnten großen Erfahrungspool,<br />
dem differenzierten Urteilsvermögen und<br />
den besonderen Ansprüchen reifer Menschen<br />
stehen diese nun beschriebenen biologischen<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
57
SENIORINNENARBEIT<br />
Veränderungen <strong>mit</strong> zunehmendem <strong>Alter</strong> gegenüber.<br />
Da<strong>mit</strong> zurecht zu kommen, richtig zu reagieren,<br />
die notwendige Geduld zu haben, ist <strong>für</strong><br />
Jüngere nicht einfach. Bei Gesprächen und Diskussionsrunden<br />
<strong>mit</strong> älteren Menschen stellen<br />
wir regelmäßig fest, dass <strong>mit</strong> zunehmendem <strong>Alter</strong><br />
die persönliche Betroffenheit oder Scham eine<br />
immer größere Rolle spielen: Je älter die Teilnehmer<br />
im Durchschnitt sind, desto weniger<br />
werden altersbedingte persönliche Probleme offen<br />
diskutiert. Qualifizierte Marktforschungsinstitute<br />
haben erkannt, dass Senioren zu den<br />
schwierigsten Zielgruppen zählen, wenn es um<br />
die Erfassung ihrer Wünsche, Bedürfnisse und<br />
Probleme geht.<br />
Besonders dramatische Folgen kann dies im<br />
höheren Lebensalter bekommen, wenn Jüngere<br />
„es gut meinen“, Ältere sich aber nicht verstanden<br />
fühlen: „Die einzige Tragik im Leben eines<br />
Menschen ist, dass er im <strong>Alter</strong> zuweilen von jüngeren<br />
Leuten betreut wird, die sich kaum richtig<br />
vorstellen können, was <strong>Alter</strong> wirklich bedeutet...“<br />
(Lieselotte Düring, 82).<br />
Nun, wie soll sich auch eine Pflegekraft von<br />
27 Jahren so richtig in die Haut einer älteren Bewohnerin<br />
hineinversetzen können? Sie ist gut<br />
ausgebildet, hat bereits einige Erfahrung im Umgang<br />
<strong>mit</strong> älteren Bewohnern. Nur: Zuweilen urteilt<br />
sie (unbewusst) vom beobachteten Verhalten<br />
der Bewohner auf deren geistige Verfassung,<br />
und das trifft nicht immer den Kern. Wenn jemand<br />
beispielsweise langsamer geht oder redet,<br />
dann bedeutet das nicht auch, dass er langsamer<br />
denkt. In solchen Situationen ist es überaus<br />
wichtig <strong>für</strong> Jüngere, sich sehr sensibel in das ältere<br />
Gegenüber hineinversetzen zu können und<br />
die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wer hier körperliche<br />
Handicaps <strong>mit</strong> geistigen Fähigkeiten<br />
gleichsetzt oder verwechselt, hat sein Vertrauen<br />
verspielt: Unmutsäußerungen oder Frust können<br />
die Folge sein, und das auf beiden Seiten.<br />
Um solche Situationen zu minimieren oder<br />
gar nicht erst auftreten zu lassen, greifen immer<br />
mehr Unternehmen bzw. Einrichtungen zu einer<br />
eigentlich ungewöhnlichen Methode der Personalschulung:<br />
Sie stecken ihre jüngeren Mitarbeiter<br />
in den Age Explorer®, d. h. „in die Haut der<br />
älteren Bewohner“. Im Age Explorer® können sie<br />
altersbedingte körperliche Einschränkungen am<br />
eigenen Körper erleben und begreifen. Und das<br />
58 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
ist eindrucksvoller und nachhaltiger als alle<br />
Theorie und als das Beobachten der Bewohner<br />
„von außen“. Schließlich ist die direkte, persönliche<br />
Erfahrung einer der effektivsten Wege, Einstellungen<br />
zu verändern und Verhalten zu optimieren.<br />
Wir haben in einigen Senioreneinrichtungen<br />
erlebt, dass sich Pflegepersonal Gedanken<br />
über den geistigen Zustand einzelner Bewohner<br />
machte, weil diese an sehr sonnigen Tagen<br />
die Vermutung äußerten, „draußen liege<br />
Schnee“. Nachdem das Pflegepersonal im Age<br />
Explorer® nach draußen geschaut hatte und aufgrund<br />
des nun veränderten Sehvermögens ebenfalls<br />
den Eindruck hatte, draußen liege Schnee,<br />
merkten wir, wie gleichsam innerlich Abbitte geleistet<br />
wurde. Dieses Personal war durch diese<br />
und viele weitere Erfahrungen unter neuem<br />
Blickwinkel nun derart sensibilisiert, dass es ab<br />
diesem Zeitpunkt nicht mehr vorschnell urteilen<br />
würde.<br />
Bis jetzt haben mehr als 12.000 Mitarbeiter<br />
innovativer Unternehmen aus Industrie, Handel<br />
und Dienstleistung an Age Explorer®-Workshops<br />
teilgenommen. Die Anwender kommen aus einer<br />
Vielzahl von Branchen: Automobil, Banken,<br />
Einzelhandel, Hausgeräte, Hotellerie, Kliniken,<br />
Immobilien, Konsumgüter, Ladenbau, Medienunternehmen,<br />
Medizintechnik, Möbel, öffentliche<br />
Verkehrs<strong>mit</strong>tel, Pharma, Versandhandel.<br />
Interessant ist der motivationale Langzeiteffekt:<br />
92% der Teilnehmer erleben einen Age Explorer®-Workshop<br />
als „Anstoß zum Umdenken“<br />
über ihre Art, <strong>mit</strong> älteren Kunden umzugehen<br />
und alte Menschen besser zu verstehen. Auf diese<br />
Weise helfen unsere Age Explorer®, das Wissen<br />
und die Einstellungen gegenüber älteren<br />
Menschen zu verändern, Produkte und Dienstleistungen<br />
zu optimieren. Sie sind eine Brücke<br />
des Verständnisses zwischen den Generationen.<br />
Bild rechte Seite:<br />
Mit dem Age-Explorer auf einer Rolltreppe. So<br />
können sich Jüngere in eine ältere Person hineinversetzen,<br />
wie schwierig es sein kann, sich<br />
im normalen Leben zurechtzufinden.
SENIORENARBEIT<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
59
KOLUMNE<br />
Wer leitet die Gemeinde?<br />
Theologische Beiträge zur <strong>Nordkirche</strong>. Folge 10:<br />
HORST GORSKI<br />
Dr. Horst Gorski ist Propst von Altona im<br />
Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein<br />
und u.a. Vorsitzender des Theologischen<br />
Beirates der Nordelbischen Kirche<br />
An sich kann man diese Frage ganz einfach<br />
beantworten: Jesus Christus leitet die Gemeinde.<br />
Er ist der Herr der Kirche, und als solcher<br />
leitet er sie.<br />
Natürlich kann das nicht die ganze Antwort<br />
sein. Denn im Namen Jesu Christi leiten auch<br />
Menschen seine Kirche. Aber welche Menschen?<br />
Auch diese Frage lässt sich einfach beantworten:<br />
Nach Martin Luther ist alles, was „aus der Taufe<br />
gekrochen ist“ bereits zum Priester und Papst<br />
geweiht. Man spricht vom „Priestertum aller Getauften“<br />
oder vom „Allgemeinen Priestertum“.<br />
Die Antwort lautet also: Alle Getauften gemeinsam<br />
leiten die Kirche bzw. die Gemeinde.<br />
Doch auch <strong>mit</strong> dieser Antwort kann es nicht<br />
sein Bewenden haben. Denn wenn alle Getauften<br />
sich gleichermaßen anschickten, eine Gemeinde<br />
zu leiten, wäre das Durcheinander vorprogrammiert.<br />
Deshalb haben die Reformatoren<br />
in Artikel 14 des Augsburgischen Bekenntnisses<br />
festgehalten: „Vom Kirchenregiment wird gelehrt,<br />
dass niemand in der Kirchen öffentlich lehren<br />
oder predigen oder Sakrament reichen soll<br />
ohne ordentlichen Beruf.“ Diese Formulierung<br />
ist altertümlich und erschließt sich besser über<br />
die lateinische Version: „nisi rite vocatus“ =<br />
„wenn er nicht ordentlich berufen ist“.<br />
Aber auch hier<strong>mit</strong> ist noch nicht die nötige<br />
Klarheit geschaffen. Das fängt schon bei der Frage<br />
an, ob hier, wo nur vom Lehren, Predigen und<br />
Sakramentreichen die Rede ist, das Leiten in organisatorischen<br />
Dingen <strong>mit</strong>gemeint ist. In Artikel<br />
28, der „De potestate ecclesiastica“, also etwa<br />
„Von der Vollmacht in der Kirche“ über-<br />
60 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
schrieben ist, wird die Macht der Bischöfe ausdrücklich<br />
auf das Predigen, die Sündenvergebung<br />
und die Sakramentsverwaltung begrenzt.<br />
Alle weltliche Macht wird den Bischöfen abgesprochen.<br />
Da<strong>mit</strong> blieb letztlich unklar, wer in der Kirche<br />
organisatorisch das Sagen haben sollte. Im<br />
Jahr 1530 musste diese Frage nicht beantwortet<br />
werden. Und später wurde über Jahrhunderte<br />
diese Aufgabe praktisch dem Landesherrn übertragen.<br />
Als die Landeskirchen 1918 selbständig<br />
wurden, trat die ungelöste Leitungsfrage erneut<br />
auf den Plan. Bis heute arbeiten sich alle evangelischen<br />
Kirchenverfassungen an diesem ungelösten<br />
Problem ab.<br />
Dabei ist seit dem Aufkommen der Synodalverfassungen<br />
im 19. Jahrhundert klar, dass demokratisch<br />
legitimierte Instanzen die Kirche in<br />
organisatorischen Dingen leiten sollten. Schleiermacher<br />
führte eine wichtige Unterscheidung in
die Debatte ein: Er sprach vom „gebundenen“<br />
und vom „ungebundenen“ Kirchenregiment.<br />
„Gebunden“ ist die Leitungsform, die sich organschaftlich<br />
aufstellen und demokratisch begründen<br />
lässt. „Ungebunden“ ist die Leitungsform,<br />
die geistgewirkt und organisatorisch nicht<br />
fassbar ist. Mit dieser Differenzierung macht<br />
Schleiermacher sichtbar, dass es in der Kirche<br />
immer etwas gibt, das sich in Gesetze und Ordnungen<br />
nicht fassen lässt. Denn der Geist weht,<br />
wo er will. Demokratie ist ein notwendiges, aber<br />
kein hinreichendes Strukturprinzip <strong>für</strong> die Kirche,<br />
wie Rainer Preul ausführt. Der Geist sprengt<br />
auch die beste demokratische Ordnung.<br />
Wie nun soll man <strong>mit</strong> diesem spannungsvollen<br />
theologischen Befund umgehen?<br />
Alle Kirchenverfassungen ordnen die „gebundene“<br />
Gemeindeleitung einem Organ zu, das<br />
sie Kirchenvorstand, Gemeindekirchenrat o.ä.<br />
nennen. Die Kirchenverfassungen unterscheiden<br />
sich aber darin, wie sie die „ungebundene“ geistliche<br />
Leitung in der Gemeinde neben dem Leitungsorgan<br />
zulassen und ordnen.<br />
Die Nordelbische Verfassung ist einen konsequenten<br />
Weg gegangen: Sie ordnet die Leitung<br />
allein dem Kirchenvorstand zu. Das Amt der öffentlichen<br />
Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />
„sammelt“ die Gemeinde, leitet sie<br />
aber nicht. Dieses Modell beschränkt sich auf<br />
das, was rechtsförmig regelbar ist, die „gebundene“<br />
Leitung. Über die „ungebundene“ Leitung<br />
sagt sie nichts aus. Das Signal, das von diesem<br />
Modell ausgeht, kann man verschieden lesen:<br />
Entweder sieht man darin eine wohltuende<br />
Selbstbeschränkung, die den Geist nicht in Regeln<br />
zu fassen versucht, oder aber man sieht darin<br />
die Aufforderung, möglichst keine ungebundene<br />
Leitung neben dem Leitungsorgan entstehen<br />
zu lassen.<br />
Die meisten <strong>anderen</strong> Kirchenverfassungen<br />
schreiben dem Amt der öffentlichen Wortverkündigung<br />
und Sakramentsverwaltung eine Leitungsrolle<br />
neben dem Kirchenvorstand zu: Wer<br />
predigt und die Sakramente reicht, leitet die Gemeinde<br />
durch die Auslegung des Wortes Gottes.<br />
Auch das Signal, das von diesem Modell ausgeht,<br />
kann unterschiedlich verstanden werden:<br />
Ist es der schlichte Versuch, das Wirken des Geistes<br />
<strong>mit</strong> rechtsförmigen Mitteln wenigstens an-<br />
AUF DEM WEG ZUR NORDKIRCHE<br />
zudeuten? Oder wird hier eine Konkurrenz zum<br />
Leitungsorgan aufgebaut, die in der Praxis erhebliche<br />
Probleme heraufbeschwören kann?<br />
Die Schwierigkeit dürfte im Augenblick darin<br />
bestehen, juristische und theologische Aspekte<br />
sowie die eigenen Erfahrungen und Traditionen<br />
korrekt aufeinander zu beziehen. Denn es<br />
spielt eben auch eine Rolle, welche Erfahrungen<br />
der Einzelne <strong>mit</strong> selbstherrlichen Pastoren oder<br />
<strong>mit</strong> selbstbewussten Kirchenvorständen gemacht<br />
hat. Während in Mecklenburg laut Kirchengesetz<br />
der Vorsitzende des Kirchengemeinderats<br />
in der Regel ein Pastor oder eine Pastorin<br />
sein soll, lässt die nordelbische Verfassung sowohl<br />
Geistliche als auch Laien als Vorsitzende zu<br />
– <strong>mit</strong> der Tendenz, dass es in Nordelbien weithin<br />
als wünschenswert angesehen wird, Laien den<br />
Vorsitz zu übertragen. Das praktische und gelebte<br />
Pastorenbild der drei <strong>Nordkirche</strong>n ist unterschiedlich.<br />
Jenseits aller Verfassungstexte finden<br />
wir also unterschiedliche gelebte und gefühlte<br />
Wirklichkeiten vor, die von den Verhandlungsführern<br />
<strong>mit</strong> in die Debatte eingebracht werden.<br />
Es wird immer nur andeutungsweise möglich<br />
sein, den Geist in juristische Formulierungen<br />
zu fassen. Und regionale Unterschiede werden –<br />
zum Glück – bleiben, egal welche Formulierungen<br />
in der künftigen Verfassung stehen.<br />
Was ist zu tun in dieser Situation?<br />
Im Augenblick sollte man zunächst als Ziel<br />
beschreiben, was die zu findenden Formulierungen<br />
leisten sollten. Der Versuch einer Zielbeschreibung:<br />
Die künftige Verfassung sollte eine Erinnerung<br />
daran enthalten, dass die Kirche von ihrem<br />
Herrn Jesus Christus geleitet wird und dass diese<br />
Leitung in der Auslegung und öffentlichen<br />
Darstellung seines Wortes durch Menschen einen<br />
Nachhall hat. Diese Erinnerung sollte so eingebracht<br />
werden, dass die geistliche und juristische<br />
Leitungsfunktion des Kirchenvorstandes<br />
weder eingeschränkt noch verunklart wird.<br />
Mit unseren Köpfen sollten wir sorgfältig an<br />
der größtmöglichen Präzision einer solchen Formulierung<br />
arbeiten. In unseren Herzen sollten<br />
wir gelassen bleiben, weil wir wissen: Der Geist<br />
weht, wo er will. Und so ist denn die Verfassung<br />
eine wichtige Grundlage <strong>für</strong> das kirchliche Leben,<br />
aber nicht das Leben selbst.<br />
NORDELBISCHE STIMMEN<br />
61
DIE LETZTE SEITE<br />
Schreiben Sie!<br />
Melden Sie sich im Gesprächsforum der Nordelbischen<br />
Stimmen zu Wort. Zu Themenschwerpunkten,<br />
die <strong>für</strong> die nächsten Ausgaben geplant sind,<br />
werden gezielt Artikel erbeten (siehe unten). Daneben<br />
können Leserinnen und Leser selbstverständlich<br />
auch Beiträge zu <strong>anderen</strong> Themen einsenden<br />
oder neue Schwerpunkte anregen. Artikel<br />
sind bitte nach Möglichkeit als E-Mail einzusenden.<br />
Kürzungen, Bearbeitungen und das Setzen<br />
von Titeln behält sich die Redaktion im Sinne der<br />
Publikationsfähigkeit vor. Kurze biografische Angaben<br />
des Autoren, der Autorin und gegebenenfalls<br />
passendes Bildmaterial werden erbeten. Ein Beitrag<br />
sollte möglichst nicht mehr als 8.000 bis 10.000<br />
Zeichen (incl. Leerzeichen) haben.<br />
Freies Forum<br />
Welche Themen möchten Sie in Nordelbien setzen?<br />
Sagen Sie Ihre Meinung, ungeschminkt.<br />
Stoßen Sie Diskussionen an zu den Themen, die<br />
Sie umtreiben. Dazu bieten die Nordelbischen<br />
Stimmen ein Forum - seit nun vielen Jahren.<br />
Nach den umfangreichen Themenheften der<br />
letzten Zeit bietet das nächste Heft Gelegenheit,<br />
dass auch Sie Ihre Meinung sagen! Der nordelbische<br />
Diskurs in den Nordelbischen Stimmen.<br />
Trauen Sie sich!<br />
Redaktionsschluss <strong>für</strong> das Märzheft:<br />
15. Februar 2010<br />
Redaktion der Nordelbischen Stimmen,<br />
Postfach 2060, 24019 Kiel<br />
Tel. (04 31) 55 779-200/202,<br />
Fax (04 31) 55 779-293;<br />
E-Mail: nest@nordelbische.de<br />
62 NORDELBISCHE STIMMEN<br />
Zu guter Letzt<br />
Wieder beginnen wir ein<br />
neues Jahr. Aber welches eigentlich?<br />
Manches können wir ahnen von dem, was auf<br />
uns zukommt. Es wird das Jahr der Biodiversität,<br />
so hat es die UNO bestimmt, aber es wird<br />
auch das Jahr der indigenen Völker, denken<br />
Sie also dran! Spannender <strong>für</strong> den religiös interessierten<br />
Menschen ist vielleicht, dass uns<br />
neben dem Großereignis des Ökumenischen<br />
Kirchentages in München im Mai auch ein<br />
Heiliges Compostelanisches Jahr bevorsteht,<br />
weil der Jakobustag (25. Juli) dieses Jahr auf einen<br />
Sonntag fällt, ein Gnadenjahr also. Unter<br />
bestimmten Bedingungen erhalten katholische<br />
Christen dieses Jahr einen Plenarablass.<br />
Aber welches Jahr beginnen wir? Nach unserer<br />
Zeitrechnung ist es das 2010 nach Christi Geburt.<br />
Aber wie man hört, ist das auch nicht<br />
ganz genau gesichert, da soll es ja Verrechnungen<br />
um ein paar Jahre gegeben haben. Und<br />
was, wenn die Verschwörungstheoretiker um<br />
den Hobbyhistoriker Heribert Illig recht hätten<br />
und die Jahre von 614 bis 911 gar nicht existiert<br />
hätten? Alles erfunden? Dann wären wir jetzt<br />
im 18. Jahrhundert. Der ein oder andere Römer<br />
feiert vielleicht noch den Wechsel zum<br />
Jahr 2763 ab urbe condita, also seit der Gründung<br />
Roms, so, wie vielleicht mancher Franzose<br />
noch das Jahr 219 nach der großen Revolution<br />
begrüßt, wer weiß? Am weitesten kommen<br />
wir im Jüdischen Kalender, hier steuern wir<br />
auf das Jahr 5771 zu, seit der Erschaffung der<br />
Welt, versteht sich. Wir haben uns aber nun<br />
auf das Jahr 2010 n.Chr. geeinigt und nach diesem<br />
Kalender berechnen sich ja auch die Jubiläen,<br />
die im neuen Jahr anstehen. Elvis Presley<br />
wäre 75 Jahre alt geworden, Mutter Teresa<br />
gar 100 Jahre, da<strong>für</strong> sind Leo Tolstoi und Henri<br />
Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes und<br />
erster Friedensnobelpreisträger, schon hundert<br />
Jahre tot. Ja, und der FC St. Pauli wird hundert<br />
Jahre alt und steigt zur Feier des Ereignisses in<br />
die Bundesliga auf. Das alles im Jahr der Fußballweltmeisterschaft<br />
in Südafrika.<br />
Na, dann ist da noch Philipp Melanchthon, der<br />
Gefährte Luthers, der Reformator, Humanist<br />
und praeceptor germaniae, er ist vor 450 Jahren<br />
gestorben. Viele Jubiläen in diesem Gnadenjahr,<br />
hoffentlich <strong>für</strong> alle.<br />
Christoph Borger
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NORDELBISCHE STIMMEN<br />
63
64 NORDELBISCHE STIMMEN
Auf und werde<br />
Eine geistliche Quelle <strong>für</strong> den<br />
Pilgerweg, ein spirituelles Reisehandbuch.<br />
Es enthält, was Pilgerinnen<br />
und Pilger brauchen, um<br />
Andachten zu feiern, zu beten oder<br />
zu singen: von den Tagzeitengebeten,<br />
Psalmen und Liedern bis hin<br />
zu meditativen Texten, Segensworten<br />
und Übungen sowie Ideen <strong>für</strong><br />
den Weg. Das Buch im handlichen<br />
Format wurde in der Praxis erprobt<br />
und eignet sich <strong>für</strong> jeden Pilgerweg.<br />
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