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Ich mit anderen für mich. - Fachstelle Alter - Nordkirche

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C 21134 Januar/Februar 2010 1/2<br />

FORUM FÜR KIRCHLICHE ZEITFRAGEN IN HAMBURG UND SCHLESWIG-HOLSTEIN<br />

NORDELBISCHE<br />

STIMMEN<br />

Den Wandel zukunftsfähig gestalten<br />

Mit dem Trend wachsen Seite 4<br />

Die Gemeinden werden älter - was nun? Seite 9<br />

Vernetzung in der Seniorenarbeit Seite 25<br />

Tandem - Seniorenbegleitung Seite 34


Fotostudio<br />

Nordbild GmbH<br />

Christian W. Eggers<br />

Gartenstraße 20<br />

24103 Kiel<br />

Reportagen<br />

nordbild<br />

Dienstleistungen rund ums Bild.<br />

www.nordbild.com<br />

Grafik<br />

Tel: 04 31 | 569 210<br />

Fax: 0431 | 578 381<br />

Bildbearbeitung<br />

info@nordbild.com<br />

www.nordbild.com


Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

„Den Wandel zukunftsfähig gestalten. Herausforderungen<br />

an die Arbeit <strong>mit</strong> älter werden<br />

Menschen“ ist das Schwerpunktthema<br />

der ersten Ausgabe<br />

der Nordelbischen<br />

Stimmen im neuen<br />

Jahr. Petra Müller,<br />

neue Fachreferentin<br />

<strong>für</strong> Seniorenarbeit<br />

und Beauftragte der<br />

Nordelbischen<br />

Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong><br />

<strong>Alter</strong>“, die an<br />

den Kirchlichen<br />

Dienst in der Arbeitswelt<br />

(KDA) in Kiel angegliedert ist, gab zu<br />

diesem Themenheft die Initiative, stellte die<br />

meisten Autorenkontakte her und unterzog<br />

sich der Mühe, die Texte zu redigieren.<br />

Da<strong>für</strong> gebührt ihr der Dank der Redaktion.<br />

Aber - so denke ich - auch der Dank unserer<br />

Leserinnen und Leser, zumeist Pastorinnen<br />

und Pastoren ist ihr gewiss. Denn diese<br />

Ausgabe der Nordelbischen Stimmen<br />

stellt ein umfangreiches Servicepaket zu ge-<br />

EDITORIAL<br />

genwärtigen Chancen der Seniorenarbeit<br />

dar.<br />

Setzte man vor Jahren überwiegend auf die<br />

Arbeit <strong>mit</strong> jungen Erwachsenen und wurde<br />

die Seniorenarbeit mehr nebenbei und als<br />

Betreuungsangebot <strong>mit</strong> Diashows und geselligen<br />

Veranstaltungen <strong>für</strong> die über 70-<br />

Jährigen, in der Mehrzahl Witwen, wahrgenommen,<br />

setzen die jetzigen Akteure auf<br />

den Trend des Älterwerdens der Gesellschaft<br />

unter Berücksichtigung des Wandels<br />

der Lebensformen der „Silver Ager“.<br />

So hoffe ich, dass Sie interessante Anregungen<br />

<strong>für</strong> die Seniorenarbeit in der eigenen<br />

Gemeinde finden.<br />

Ihr<br />

Rainer Thun<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

1


JANUAR/FEBRUAR 2010<br />

1 Editorial<br />

Rainer Thun<br />

4 Mit dem Trend wachsen<br />

Petra Müller<br />

9 Die Gemeinden werden älter - was nun?<br />

Monika Bauer<br />

14 Neue Lernformen im nachberuflichen Leben<br />

Karin Nell<br />

18 50plus/Seniorenarbeit<br />

Petra Müller<br />

22 Innovative Seniorenarbeit als Angebot<br />

in fünf Kirchengemeinden<br />

UIlrike Lindemann-Tauscher<br />

25 Vernetzung in der Seniorenarbeit<br />

Ute Zeißler<br />

28 Das LotsenBüro<br />

Ute Zeißler<br />

31 Besuche - Unterbrechungen des Alltags<br />

Claudia Putz<br />

34 Tandem-Seniorenbegleitung<br />

Stefan März<br />

38 Biografiewerkstatt<br />

Friederike Waack<br />

41 Vor dem Meister kommt die Übung<br />

Kerstin Weber-Spethmann<br />

43 Generationenübergreifende Angebote in der Altenarbeit<br />

Monika Höring<br />

2 NORDELBISCHE STIMMEN


48 Konferenz Offene Altenarbeit<br />

Kirsten Sonnenburg<br />

50 Jobpaten: Neue Wege in der Seniorenarbeit<br />

Angelika Schmidt<br />

53 Wenn Erfahrungen Netze knüpfen<br />

Angelika Wiesel<br />

56 Der Age Explorer<br />

Hanne Meyer-Hentschel<br />

60 Theologische Kolumne: Wer leitet die Gemeinde?<br />

62 Die letzte Seite<br />

Titelbild:<br />

Die Senioren Christine Huetter und<br />

Norbert Winkler hören eine Vorlesung<br />

zur Baugeschichte Berlins an der<br />

Universität Dresden.<br />

Foto: ddp<br />

JANUAR/FEBRUAR 2010<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber:<br />

Evangelischer<br />

Presseverband Nord e. V.,<br />

Gartenstr. 20, 24103 Kiel<br />

Verlag:<br />

Evangelischer<br />

Presseverlag Nord GmbH,<br />

Gartenstr. 20, 24103 Kiel,<br />

Postfach 34 66, 24033 Kiel,<br />

Tel. (04 31) 55 77 9 - 200,<br />

Fax (04 31) 55 77 9 - 293<br />

Geschäftsführer: Bodo Elsner<br />

Redaktionsanschrift:<br />

Postfach 20 60,<br />

24019 Kiel,<br />

Tel. (0 431) 55 77 9 - 202<br />

Fax (0 431) 55 77 9 - 293<br />

E-Mail:<br />

nest@nordelbische.de<br />

Redaktion:<br />

Rainer Thun (ViSdP)<br />

Bildredaktion:<br />

nordbild GmbH<br />

Christian W. Eggers<br />

Tel. (0431) 569 210<br />

Redaktionsbeirat:<br />

Claudia Aue, Anja Blös,<br />

Jörg Fenske, Ulrich Ketelhodt,<br />

Joachim Liß-Walther,<br />

Annette Pawelitzki,<br />

Dr. Monika Rulfs, Michael Stahl<br />

Anzeigen:<br />

Stefanie Elsner<br />

Tel. (04 31) 55 77 9 - 285<br />

Fax (04 31) 55 77 9 - 292<br />

Vertrieb und<br />

Abonnementverwaltung:<br />

Antje Liekfeldt<br />

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Druck:<br />

Hugo Hamann<br />

Offsetdruckerei, Kiel<br />

Die Nordelbischen Stimmen<br />

erscheinen monatlich. Das<br />

Jahresabonnement kostet<br />

42,80 Ł inkl. MwSt. zuzüglich<br />

Porto. Kündigung nur <strong>mit</strong><br />

Monatsfrist zum Quartals -<br />

ende. Zur Zeit ist die Anzeigenpreisliste<br />

Nr. 5 gültig. Mit<br />

Namen oder Initialen gekennzeichnete<br />

Beiträge geben<br />

nicht unbedingt die Meinung<br />

der Redaktion wieder.<br />

Unverlangt zugeschickte<br />

Beiträge und Bücher werden<br />

nicht zurückgeschickt. Die<br />

Zeitschrift und ihr Inhalt sind<br />

urheberrechtlich geschützt.<br />

ISSN 0938-3697<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

3


SENIORINNENARBEIT<br />

Mit dem Trend wachsen…<br />

Notwendige Veränderungen in der kirchlichen Arbeit<br />

<strong>mit</strong> älter werdenden Menschen<br />

PETRA MÜLLER<br />

Petra Müller, Diplompädagogin in Erwachsenenbildung<br />

und Evangelischer Theologie,<br />

ist seit 2009 Beauftragte der Nordelbischen<br />

Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong> <strong>Alter</strong>“ in<br />

Kiel. Davor war sie acht Jahre Studienleiterin<br />

und Dozentin <strong>für</strong> Gemeindepädagogik<br />

am Pädagogisch-Theologischen Institut<br />

der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen und<br />

Landeskirchliche Beauftragte <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />

der Gemeindepädagoginnen<br />

und Gemeindepädagogen.<br />

Wachsen gegen den Trend<br />

Nicht nur Wirtschaft und Politik setzen auf<br />

Wachstum, nein auch die Kirche. Der Reformprozess<br />

der Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

(EKD), der im Jahr 2006 durch das Impulspapier<br />

„Kirche der Freiheit“ angestoßen<br />

4 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

wurde, beruht auf dem Konzept, trotz der demographischen<br />

Entwicklung „gegen den Trend<br />

wachsen zu wollen“ 1 . Seit dem Zukunftskongress<br />

2007 in Wittenberg wird der Reformprozess<br />

unter dem Titel „Kirche im Aufbruch“ vorangebracht.<br />

Die Zukunftswerkstatt in Kassel im September<br />

2009 markiert eine weitere Station auf<br />

diesem Weg.<br />

Die Kirche altert schneller<br />

Die demographischen Fakten sind bekannt<br />

und werden <strong>mit</strong> dem sog. „Vierfachen <strong>Alter</strong>n“<br />

beschrieben: Es gibt 1. immer mehr Ältere, die 2.<br />

immer älter werden, die 3. immer früher alt gemacht<br />

werden (frühe Entberuflichung) und denen<br />

4. immer weniger Jüngere gegenüberstehen.<br />

Unsere Lebenserwartung hat sich in den vergangenen<br />

100 Jahren fast verdoppelt. Die Menschen<br />

werden so alt wie niemals zuvor - und das bei<br />

besserer körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit.<br />

Wer das Berufsleben verlässt, hat oft<br />

nicht mehr nur noch wenige Jahre vor sich, sondern<br />

bis zu einem Drittel seines Lebens. Verschärfen<br />

tut sich die Lage aber dadurch, dass immer<br />

weniger Kinder geboren werden. Allen reichen<br />

Gesellschaften ist dieses Phänomen gemein.<br />

Im Jahr 2050 wird unsere Bevölkerung von<br />

jetzt 82 Millionen auf 70 Millionen geschrumpft<br />

sein. Der derzeitige Anteil der über 60-Jährigen<br />

an der Gesamtbevölkerung wird von jetzt 23 Prozent<br />

auf dann 38 Prozent anwachsen.<br />

Schon jetzt sind die Kirchen<strong>mit</strong>glieder um<br />

einige Jahre älter als die Bevölkerung. Die Kirchen<br />

werden daher noch schneller als die Gesellschaft<br />

altern bzw. „unterjüngen“. Die Prognose<br />

der „Kirche der Freiheit“ ist, dass die Mitgliederzahlen<br />

bis zum Jahr 2030 um ein Drittel<br />

zurückgehen werden. Das Durchschnittsalter


Die <strong>Alter</strong>spyramide steht Kopf. 1. Bild: Zeichnung <strong>Alter</strong>spyramide. 2. Bild: Kinder, die die <strong>Alter</strong>spyramide<br />

2030 bauen. Die Pyramide steht Kopf. Wie kann sie abgestützt werden? Quelle:<br />

www.wissenschaft-im-dialog.de Foto: Ilja Hendel ( WiD)<br />

der Kirchen<strong>mit</strong>glieder wird in den westdeutschen<br />

Landeskirchen von 44 auf 50 Jahre anwachsen,<br />

in den östlichen Landeskirchen sogar<br />

auf 55 Jahre. Der relative Anteil der über 60-ährigen<br />

wird sich von jetzt 31,3 Prozent auf 41,5 Prozent<br />

erhöhen – <strong>mit</strong> „entsprechenden Konsequenzen<br />

<strong>für</strong> die Schwerpunkte kirchlicher Arbeit“.<br />

2<br />

Konsequenzen <strong>für</strong> die Schwerpunkte<br />

kirchlicher Arbeit<br />

Für <strong>mich</strong> klingt das sehr logisch: Wenn die Bevölkerungspyramide<br />

Kopf steht, wenn die Lebenserwartung<br />

steigt, wenn der Anteil der älter werdenden<br />

Menschen an der Gesamtbevölkerung zunimmt,<br />

wenn die Lebensphase <strong>Alter</strong> sich ausdifferenziert<br />

und sehr vielgestaltig ist, dann muss das<br />

auch zu einer Veränderung in der Prioritätensetzung<br />

kirchlicher Arbeit führen, und zwar dahingehend,<br />

dass sie der faktischen <strong>Alter</strong>sstruktur entspricht,<br />

der sich wandelnden Lebensphase des <strong>Alter</strong>s<br />

gerecht wird und die sich verändernden Lebenswelten<br />

der Menschen in den Blick nimmt.<br />

Die „Kirche der Freiheit“ kommt, so wie ich<br />

sie lese und verstehe, zu einer <strong>anderen</strong> Schluss -<br />

folgerung. Sie möchte „gegen den Trend wachsen“.<br />

Durch qualitätsvolle Gottesdienste und Kernangebote,<br />

durch anlassbezogene Gelegenheiten und<br />

vor allem auch über eine von unten sich aufbauende<br />

religiöse Sozialisation und Bildung von Kindern<br />

und Jugendlichen will sie zusätzlich neue,<br />

möglichst jüngere Kirchen<strong>mit</strong>glieder gewinnen.<br />

Beschäftigt man sich <strong>mit</strong> dem 7. Leuchtfeuer, in<br />

dem es um Bildungsarbeit geht, dann wird man<br />

schnell feststellen, dass Bildung hier bei den Studierenden<br />

endet. Weder von Erwachsenenbildung<br />

ist die Rede, geschweige denn von <strong>Alter</strong>s- oder Altenbildung.<br />

Und bei der Errichtung von sog. Kompetenzzentren<br />

geht das <strong>Alter</strong> auch leer aus.<br />

Doch ich nehme die „Kirche der Freiheit“<br />

ernst: Der demographische Wandel muss auch<br />

Konsequenzen in den Schwerpunkten kirchlicher<br />

Arbeit finden. Die Arbeit <strong>mit</strong> älter werdenden und<br />

alten Menschen ist eine verheißungsvolle Aufgabe.<br />

Wenn die Kirche in diesen Bereich investiert,<br />

wenn sie kreativ und stark wird, dann muss sie<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

5


nicht gegen den unaufhaltsamen Trend der Demographie<br />

wachsen, sondern dann wird sie <strong>mit</strong><br />

dem Trend wachsen. Das Älter- und Altwerden<br />

ist ein Geschenk, das gestaltet werden will und<br />

das auf konstruktive Antworten auch von der<br />

Kirche wartet.<br />

Die Notwendigkeit wird gesehen<br />

Dass sich an der Lebensphase <strong>Alter</strong> etwas fundamental<br />

geändert hat, so dass „der Lebenskalender<br />

neu geschrieben werden muss“ 3 und dass es<br />

dadurch eine neue Generation von älter werdenden<br />

Menschen gibt, die sog. „fitten Alten“, – das ist<br />

auch in den Kirchen und Gemeinden angekommen.<br />

Die bisherigen Angebote <strong>für</strong> Seniorinnen und<br />

Senioren sind sich oft relativ ähnlich und in ihrer<br />

Differenziertheit überschaubar. Es gibt den klassischen<br />

Seniorenkreis, der <strong>mit</strong>tlerweile gealtert ist,<br />

kaum Nachwuchs hat, oft ehrenamtlich geleitet<br />

wird und überwiegend passiver Natur ist – <strong>mit</strong> Kaffee,<br />

Kuchen, Dias (KKD). Darüber hinaus gibt es<br />

vielleicht noch - oder schon - gute Ergänzungen<br />

wie den einen oder <strong>anderen</strong> Ausflug oder „Urlaub<br />

ohne Koffer“, das Angebot der Leihoma, einen Mittagstisch<br />

etc.<br />

Auf jeden Fall spüren viele sehr deutlich, dass<br />

zu dieser langen und guten Tradition des Seniorenkreises,<br />

der auch weiterhin seine Berechtigung<br />

haben wird, jetzt aber dringend anderes hinzutreten<br />

muss. Nur was? Und wie gewinnt man<br />

heute diese „jungen Alten“, die anscheinend, wie<br />

6 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

wir meinen, gerne verreisen, aktiv sind, Geld auf<br />

der hohen Kante haben, ihren eigenen Interessen<br />

nachgehen und <strong>für</strong> die Kirche so schwer erreichbar<br />

zu sein scheinen? Erste Ideen bekommt man,<br />

wenn man sich selber einmal fragt, welche Angebote<br />

man in der Gemeinde nutzen und von der<br />

Kirche erwarten würde, wenn man selber zu dieser<br />

Zielgruppe gehören wird. Oft steige ich in<br />

Gruppen, die sich <strong>mit</strong> diesem Thema beschäftigen,<br />

<strong>mit</strong> dieser Frage ein und bin jedes Mal positiv erstaunt<br />

und überrascht, welche Kreativität da zu<br />

Tage tritt. Die Standardangebote unserer Gemeinden<br />

sind da höchstens in Ausnahmefällen dabei.<br />

Und die Studie des Sozialwissenschaftlichen Institutes<br />

der EKD (SI), die untersucht hat, welche <strong>Alter</strong>sbilder<br />

in der parochialen Gemeindearbeit vorherrschen<br />

und zukünftig leitend sein werden,<br />

kommt über eine andere Fragestellung zu einem<br />

ähnlichen Ergebnis. Auf die Frage, welche gegenwärtigen<br />

Gemeindeangebote man als Seniorin<br />

oder als Senior gerne selber in Anspruch nehmen<br />

würde, kommt heraus, „dass Pastorinnen und Pastoren<br />

keines ihrer Angebote selber gerne nutzen<br />

würden. Die Angebote richten sich an die ‚wenig<br />

fitten’ Alten, zu denen man sich selbst nicht rechnen<br />

möchte“ 4 .<br />

Erst nachdenken, dann handeln<br />

Wie kann man das Wollen nun auch vollbringen?<br />

Meine Erfahrung ist, dass es nicht ausreicht,<br />

sich irgendwelche neuen Angebote aus-


zudenken, von denen man meint, sie könnten<br />

die „jungen Alten“ ansprechen. Das wäre zu<br />

schnell und zu kurz gegriffen. Die Schnittstelle<br />

zwischen Wollen und Vollbringen scheint mir<br />

ein sehr sensibler Punkt zu sein, an dem sich unser<br />

Gemeinde- und Rollenbild, aber auch unsere<br />

eigenen <strong>Alter</strong>sbilder treffen. Zuallererst gilt es,<br />

sich dieser Bilder, Einstellungen und Grundkonzepte<br />

bewusst zu werden. Denn sie leiten uns<br />

auch unbewusst in unserem Handeln und hindern<br />

uns oft daran, Erkanntes dann auch umzusetzen.<br />

Denn:<br />

• Wenn ich <strong>mich</strong> als Pastorin oder als Pastor<br />

zutiefst <strong>für</strong> die Versorgung aller Gemeindeglieder<br />

verantwortlich fühle, ich <strong>mich</strong> in<br />

meinem Beruf <strong>für</strong> eine/n Generalistin/en halte,<br />

die/der alles machen muss und allen gerecht<br />

werden muss, dann werde ich die „fitten<br />

Alten“ als eine Zielgruppe empfinden, die<br />

mir nun auch noch aufgedrückt wird und die<br />

es eher vielleicht doch nicht nötig hat, von<br />

der Kirche versorgt zu werden, weil sie doch<br />

noch so fit sind.<br />

• Wenn mein Rollenbild vorwiegend von Fürsorge<br />

und Betreuung geprägt ist, von dem<br />

sich Kümmern um die Mühseligen und Beladenen,<br />

dann werde ich auch Probleme <strong>mit</strong><br />

den „fitten Alten“ haben – und die <strong>mit</strong> mir.<br />

• Wenn ich als Diakon oder Gemeindepädagogin<br />

<strong>mit</strong> meiner Dienstanweisung festgelegt<br />

bin auf die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit,<br />

dann habe ich es auch schwer, den jungen<br />

Alten gemeindepädagogische Räume zu<br />

eröffnen und zu schaffen.<br />

• Wenn ich darunter leide, dass sich Ehrenamtliche<br />

neuerdings so schwer <strong>für</strong> eine kontinuierliche<br />

Mitarbeit gewinnen lassen, dann<br />

werde ich nicht fähig sein, älter werdenden<br />

Menschen selbstbestimmte Engagementmöglichkeiten<br />

zu schaffen und zu ver<strong>mit</strong>teln.<br />

Ein Gesamtkonzept muss her<br />

Es gelingt also nicht, wenn wir den traditionellen<br />

Gemeindegruppen, wie Kindertreff, Jugendgruppe,<br />

Frauenkreis, Männertreff und Seniorenkreis,<br />

einfach einen „Kreis“ <strong>für</strong> die neue<br />

Gruppe der jungen Alten hinzufügen. Noch immer<br />

wird zu sehr von „Kreisen“ her gedacht, die<br />

die Kirche <strong>für</strong> eine Zielgruppe anbietet. Vielmehr<br />

SENIORENARBEIT<br />

gilt es, auch von den Menschen her zu denken<br />

und vor allem, vor den Angeboten zuerst ein<br />

Konzept zu entwickeln. Jedes Konzept beginnt<br />

<strong>mit</strong> einer fundierten Analyse. <strong>Ich</strong> könnte z.B.<br />

aufmerksam die <strong>Alter</strong>sstatistik meiner Gemeinde<br />

lesen. Was sagt sie mir über eine mögliche<br />

Schwerpunktbildung in der Gemeindearbeit. <strong>Ich</strong><br />

könnte mir – in diesem Fall jetzt wären es die<br />

Menschen ab 55 – eine bestimmte <strong>Alter</strong>sgruppe<br />

anschauen und nach deren Bedürfnissen und<br />

Einstellungen fragen. <strong>Ich</strong> könnte... Was will, was<br />

muss ich wissen und herausbekommen, da<strong>mit</strong><br />

ich ein fundiertes Konzept entwerfen kann? Die<br />

aus der Analyse gewonnenen Erkenntnisse werden<br />

<strong>mich</strong> zu meinem Konzept führen, dem ich<br />

dann in einzelnen konkreten Umsetzungsschritten<br />

Fleisch und Blut geben werde. Gehe ich so<br />

vor, dann mache ich etwas, weil… und biete<br />

nicht einfach nur einen neuen Kreis an und wundere<br />

<strong>mich</strong> vielleicht, dass dieser so schlecht angenommen<br />

wird.<br />

Wachsen <strong>mit</strong> den älter Werdenden –<br />

das wäre ein Konzept und vielleicht auch<br />

ein Trend<br />

Nur einmal angenommen, es käme beim Interpretieren<br />

Ihrer Gemeindestatistik heraus, dass<br />

zu Ihrer Gemeinde ein erheblicher Anteil älter<br />

werdender Menschen gehört. Wie geht es Ihnen<br />

da<strong>mit</strong>? Wie reagieren Sie auf diese Sachlage?<br />

Oder ganz unabhängig von der Realität einfach<br />

einmal ein Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor,<br />

wie es wäre, erhebliche Ressourcen in der Gemeindearbeit<br />

auf die Arbeit <strong>mit</strong> Seniorinnen und<br />

Senioren zu verwenden.<br />

<strong>Ich</strong> habe in den vergangenen Jahren vielfach<br />

die Erfahrung gemacht, dass sich Kirche, Gemeinde<br />

und ihre Mitarbeitenden das fast nicht<br />

vorstellen können und wollen. Ein durchgängiges<br />

Argument dabei ist, dass man doch verstärkt<br />

in die Kinder-, Jugend- und Familienarbeit investieren<br />

müsse. Die eben schon angeführte Studie<br />

des SI kommt zu einem noch drastischeren Ergebnis:<br />

„Eine ‚Horrorvision’ wäre dies. Die Kirche<br />

würde kaputt gehen. (…) Das Spezifikum<br />

von Kirche sei generationenübergreifendes Arbeiten,<br />

und eine solche Ressourcenkonzentration sei<br />

nicht fair und zu einseitig.“ 5 Und Prof. Dr. Gerhard<br />

Wegner, Direktor des SI, führt an anderer Stelle<br />

aus6 , dass Pastorinnen und Pastoren durchgän-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

7


SENIORINNENARBEIT<br />

gig davon überzeugt seien, dass man über die Kinder<br />

und Familien als Gemeinde wachsen könne.<br />

Die Möglichkeit, an Wachstum und Gemeindeaufbau<br />

<strong>mit</strong> und über die Älteren zu denken, fehlt völlig.<br />

An dieser Stelle ist anzusetzen. Eine der faktischen<br />

<strong>Alter</strong>struktur angepasste Prioritätensetzung<br />

schließt ein generationenvernetzendes Handeln<br />

nicht aus, vielmehr wäre es Teil eines gemeindepädagogischen<br />

Konzeptes.<br />

Der entscheidende Punkt aber dieses Dilemmas<br />

ist, dass die Kirche <strong>mit</strong> den älter werdenden<br />

Menschen erst dann wachsen kann, wenn das<br />

Konzept und Bild einer ausschließlich durch eine<br />

durch Generationennachfolge wachsende Gemeinde<br />

überwunden wird. Nicole Piroth arbeitet<br />

in ihrer empirischen Studie 7 hervorragend die oft<br />

neuen Zugangswege (älter werdender) Erwachsener<br />

zu Kirche und Gemeinde heraus. Sie findet<br />

fünf verschiedene „Nutzungstypen“. Ein häufiger<br />

Zugang erfolgt in biographischen Umbruchsituationen<br />

und bei Lebenswenden. Die Lebensphase<br />

<strong>Alter</strong> bietet sehr viele solcher Situationen. Sie plädiert<br />

<strong>für</strong> eine „Gemeindepädagogik der immer<br />

neuen Anfänge“ – vor allem auch im Erwachsenenalter<br />

– und erklärt das Modell des kontinuierlichen<br />

Hineinwachsens als <strong>für</strong> schon lange überholt.<br />

8 Zu dieser „Gemeindepädagogik der immer<br />

neuen Anfänge“ gesellt sich die druckfrische Orientierungshilfe<br />

des Rates der EKD <strong>mit</strong> dem Titel<br />

„Im <strong>Alter</strong> neu werden können – Evangelische Perspektiven<br />

<strong>für</strong> Individuum, Gesellschaft und Kirche“<br />

9 . Diese Orientierungshilfe setzt sich theologisch,<br />

soziologisch und vor allem gemeindepädagogisch<br />

<strong>mit</strong> der aktuellen Herausforderung<br />

des <strong>Alter</strong>s <strong>für</strong> Kirche und Gemeinden auseinander.<br />

Sie setzt konzeptionell auf eine differenzierte Altenarbeit<br />

in der Region und auf eine Stärkung der<br />

Altenarbeit in den Ortsgemeinden, die Visionen<br />

entwickelt, was es heißt, in der Ortsgemeinde älter<br />

und alt zu werden.<br />

Kommentar der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft<br />

<strong>für</strong> Altenarbeit in der EKD<br />

(EAfA) zur „Kirche der Freiheit“<br />

Zur „Kirche der Freiheit“ gibt es viele Stellungnahmen.<br />

Schließen möchte ich <strong>mit</strong> einem<br />

veröffentlichten Kommentar der EAfA zu diesem<br />

Impulspapier:<br />

„Die Evangelische Kirche hat eine gute Chance,<br />

<strong>mit</strong> dem Trend zu wachsen, weil sie die wach-<br />

8 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

sende Zahl der Älteren schätzt, weil sie die sehr<br />

unterschiedlichen Milieus und Lebenslagen im <strong>Alter</strong><br />

wahrnimmt, weil sie ein Ort ist, an dem Generationengerechtigkeit<br />

gelebt wird, weil sie auf die<br />

Lebens- und Glaubenserfahrung der <strong>Alter</strong>sgenerationen<br />

setzt, weil ihre Ausstrahlungskraft so stark<br />

ist, dass Menschen auch im <strong>Alter</strong> den Weg in die<br />

Kirche zurückfinden oder die Kirche neu entdecken,<br />

weil ihr Kontinuität wichtig ist und sie die<br />

Kirchen<strong>mit</strong>glieder zur Traditionsweitergabe an die<br />

nachfolgenden Generationen ermutigt und befähigt,<br />

weil sie die steigende Engagementbereitschaft<br />

der Älteren in Kirche und Gesellschaft als<br />

Humanvermögen schätzt und in ihr Handeln einbezieht,<br />

weil Kirchengemeinden als generationenübergreifende<br />

Lebensräume <strong>für</strong> ältere Menschen<br />

immer mehr Bedeutung haben. Wachsen<br />

<strong>mit</strong> dem Trend wird die Kirche, wenn sie diesen<br />

Mentalitätswandel vollzieht und ihrerseits in Vorleistung<br />

tritt und investiert in ein Kompetenzzentrum<br />

„<strong>Alter</strong> und Älterwerden“, in fördernde Rahmenbedingungen<br />

und Strukturen <strong>für</strong> die Potentiale<br />

und das Engagement des <strong>Alter</strong>s, in die Erwachsenen-<br />

und <strong>Alter</strong>sbildung, in Kirchengemeinden<br />

als Lebensraum und 3. Sozialraum. Die Kirche<br />

wird <strong>mit</strong> dem Trend wachsen, weil in der Kirche<br />

jedes <strong>Alter</strong> Zukunft hat.“ 10<br />

Anmerkungen<br />

1) EKD, Kirche der Freiheit, Hannover 2006, S. 7<br />

2) a.a.O., S. 21<br />

3) Zitat Ursula Lehr<br />

4) Birgit Klostermeier, <strong>Alter</strong>sbilder bei Pastorinnen<br />

und Pastoren, in: Pastoraltheologie 98. Jg., S. 371,<br />

Göttingen 2009<br />

5) a.a.O., S. 370<br />

6) Vgl. Gerhard Wegner, <strong>Alter</strong>sbilder im pastoralen<br />

Diskurs und in der pastoralen Praxis in Deutschland,<br />

in: Informationsbrief Nr. 44 (09/2009) der<br />

Evangelischen Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit<br />

in der EKD (EAfA), S. 2-7<br />

7) Nicole Piroth, Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />

biographischen Lernens, Münster<br />

2004<br />

8) vgl. a.a.O., S. 303<br />

9) EKD, Im <strong>Alter</strong> neu werden können, Gütersloh<br />

2009<br />

10) www.ekd.de/eafa/materialien.html (Zugriff<br />

18.11.2009)


Die Gemeinden werden<br />

älter – was nun?<br />

Kirchliches Handeln vor neuen Herausforderungen<br />

MONIKA BAUER<br />

Monika Bauer ist Vorsitzende der Evangelischen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit<br />

in der EKD (EAfA).<br />

<strong>Alter</strong>t Deutschland richtig? Haben wir die Alten,<br />

die wir brauchen? Gehen wir <strong>mit</strong> ihnen<br />

fair um? Die Wissenschaft vom <strong>Alter</strong>n ist jung,<br />

und ihr Thema umfasst ein riesiges inhaltliches<br />

Spektrum. <strong>Alter</strong>n ist ein biologisches, körperliches,<br />

psychisches, geistiges, soziales und gesellschaftliches<br />

Phänomen. Wenn es um die Zukunft<br />

des <strong>Alter</strong>s geht, muss man zwei Perspektiven unterscheiden,<br />

sie dann aber zusammenführen:<br />

Die erste ist das <strong>Alter</strong>n des Einzelnen, das Zweite<br />

sind die <strong>Alter</strong>sstrukturen der Bevölkerung.“1<br />

Immer weniger – immer mehr – immer<br />

bunter<br />

Auf diese einfache Formel lässt sich der demographische<br />

Wandel, die Veränderung der Gesellschaftsstruktur,<br />

bringen. Diese Veränderung<br />

betrifft unsere Kirche wie alle gesellschaftlichen<br />

Institutionen.<br />

Immer weniger Kinder werden geboren, immer<br />

weniger Menschen leben in Zukunft in<br />

Deutschland und Europa. Immer mehr Menschen<br />

werden immer gesünder alt und immer älter.<br />

Die Lebenszeit <strong>für</strong> ein aktiv gesundes <strong>Alter</strong><br />

dehnt sich aus. Das kalendarische <strong>Alter</strong> sagt heute<br />

wenig aus. Die 70-Jährigen sind mindestens<br />

genauso fit wie die 65-Jährigen der vorangegangenen<br />

Generation. Und immer bunter und differenzierter<br />

wird die Altenszene: da gibt es 100-<br />

Jährige, die noch selbständig ihren Haushalt<br />

führen, 60-Jährige, die an Demenz erkranken<br />

und gepflegt werden müssen, Politiker, die <strong>mit</strong><br />

SENIORENARBEIT<br />

über 70 Jahren hohe Verantwortung tragen und<br />

47-Jährige, die bei der Stellensuche als zu alt gelten.<br />

„<strong>Alter</strong> ist nicht <strong>Alter</strong>“, schreibt Paul Baltes in<br />

dem oben zitierten Artikel: „Wenn man bei einem<br />

Fest zur Wiederkehr des Schuleintritts in<br />

den Raum kommt, glaubt man, einige hätten ihre<br />

Kinder, andere dagegen ihre Eltern geschickt,<br />

und dies obwohl alle gleichaltrig sind, also so um<br />

die 66.“<br />

Auch die Kirchen trifft der demographische<br />

Wandel: weniger Kinder werden getauft und<br />

konfirmiert und die Zahl der älteren Menschen<br />

wächst. Weniger Menschen werden in Zukunft<br />

zur Kirche gehören und die <strong>Alter</strong>struktur verändert<br />

sich: es werden weit mehr Alte als Junge<br />

sein. Im Jahr 2020 werden die „Babyboomer“ in<br />

den Ruhestand gehen, die von sich sagen, dass<br />

sie immer schon zuviele waren. Die älteren und<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

9


SENIORINNENARBEIT<br />

sehr alten Menschen werden das Erscheinungsbild<br />

der Kirche noch stärker prägen als bisher.<br />

Wahrnehmungsprobleme<br />

Schon längst kann eine Pfarrerin oder ein<br />

Pfarrer nicht mehr alle Älteren besuchen, die einen<br />

runden Geburtstag feiern, und manche der<br />

Älteren wünschen diese Form der kirchlichen<br />

Zuwendung auch nicht mehr. Schon längst kommen<br />

nicht mehr alle älteren Gemeindeglieder in<br />

die traditionellen Alten- oder Seniorennach<strong>mit</strong>tage.<br />

Als in der Kirche im letzten Jahrhundert die<br />

Altennach<strong>mit</strong>tage eingeführt und immer beliebter<br />

wurden, war es klar, wem die Altenarbeit<br />

galt, den alten Frauen (und nur wenigen Männern)<br />

in den Gemeinden, die den Krieg überlebt<br />

hatten und <strong>mit</strong> einer kleinen Rente auskommen<br />

mussten. Sie hatten Freude an der Geselligkeit,<br />

an Kaffee und Kuchen und der weiten Welt, die<br />

ihnen durch Filme und Dia-Vorträge nahe gebracht<br />

wurden. Die nächste Altengeneration in<br />

den Gemeinden war ehrenamtlich tätig in den<br />

Altennach<strong>mit</strong>tagen und wo immer sie gebraucht<br />

wurde als unermüdliche Helferin. Nur noch an<br />

wenigen Orten gibt es Altennach<strong>mit</strong>tage. Sie sind<br />

umgetauft worden in Seniorennach<strong>mit</strong>tage, und<br />

diese leiden unter dem gleichen Phänomen: der<br />

Nachwuchs will sich nicht einstellen, die <strong>Alter</strong>skohorten<br />

bleiben unter sich, werden <strong>mit</strong>einander<br />

alt und Neue finden nur selten Zugang. „Der<br />

Altennach<strong>mit</strong>tag ist tot, gründen wir einen Kreis<br />

<strong>für</strong> die jungen, aktiven Alten“ – das schien lange<br />

Zeit die Lösung <strong>für</strong> die alten Menschen in den<br />

Gemeinden und in der Altenarbeit zu sein. Aber<br />

solche Korrekturen helfen nicht mehr – weder in<br />

der Kirche noch in der Gesellschaft. Der demographische<br />

Wandel erfordert von den gesellschaftlichen<br />

und den kirchlichen Institutionen<br />

ein Umdenken und eine veränderte Sicht. Der<br />

soziale Frieden und die Generationengerechtigkeit<br />

hängen davon ab, dass die neue grundlegende<br />

Bedeutung des <strong>Alter</strong>s <strong>für</strong> Kirche und Gesellschaft<br />

wahrgenommen wird, dass die Potentiale<br />

der älteren Menschen integriert werden und<br />

dass auch die Bereitschaft der älteren Menschen<br />

wächst, eine neue Verantwortungsrolle zu übernehmen.<br />

Noch handeln Kirche und Gesellschaft<br />

nach dem Motto: Wir wollen „in die Zukunft investieren,<br />

nicht in die Vergangenheit.“2 Durch<br />

diese Rhetorik werden in der Gegenwart minde-<br />

10 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

stens 40% der Bevölkerung „kühl als zukunftslose,<br />

im Grunde gesellschaftlich überflüssige Gestalten<br />

abqualifiziert und weggestellt.“3 Dass<br />

Menschen auch im <strong>Alter</strong> Zukunft haben und im<br />

<strong>Alter</strong> Neues wagen und bewirken, gehört zur<br />

Botschaft der Bibel. Die Kirche könnte da<strong>mit</strong><br />

Maßstäbe setzen in einer ergrauenden Gesellschaft,<br />

die nur der Jugend zutraut, Motor des<br />

Neuen zu sein. Und auch <strong>für</strong> die Kirche selbst<br />

sind die Potenziale, das soziale, kulturelle und<br />

spirituelle Kapital der älteren Gemeindeglieder<br />

eine Chance der Erneuerung.<br />

Reformbedarf<br />

„Praktisch alle gesellschaftlichen Institutionen<br />

und Sektoren harren der Reform,“ schreibt<br />

Paul Baltes. Welche Schritte zu unternehmen<br />

sind, wird durchaus kontrovers diskutiert. Manche<br />

Wissenschaftler vertreten die These, der <strong>Alter</strong>sstrukturwandel<br />

steigere den Bedarf an Altenarbeit,<br />

andere meinen, Altenarbeit sei nicht<br />

mehr erforderlich angesichts der positiven Veränderungen<br />

der Lebenslagen und -formen im <strong>Alter</strong>.4<br />

In der kirchlichen Altenarbeit sind in den<br />

vergangenen Jahren bemerkenswerte Projekte<br />

und Konzepte entwickelt worden.<br />

Es ist wünschenswert, dass die Kirche in<br />

Zukunft zu ihrem eigenen Vorteil das Handlungsfeld<br />

Altenarbeit verändert und erweitert<br />

und dass sie die Chance der strukturellen Veränderung<br />

nutzt, die der demographische Wandel<br />

vorgibt.<br />

Seit etwa zehn Jahren fächert sich das Spektrum<br />

der Altenarbeit immer weiter auf,5 denn<br />

die Altenarbeit sieht sich heute einer Vielfalt von<br />

Zielgruppen gegenüber; sie hat die Inhalte, Angebote<br />

und Formen der Altenarbeit entsprechend<br />

differenziert. Viele neue Angebote haben<br />

sich an den Schnittstellen zur Bildungs- und Kulturarbeit,<br />

zur Selbsthilfe und zu bürgerschaftlichem<br />

Engagements entwickelt. Ein „Leitfaden<br />

zur Qualitätsentwicklung in der Offenen Altenarbeit“<br />

gibt einen Überblick, wie sich die Altenarbeit<br />

entwickelt und durch haupt- und ehrenamtlich<br />

Mitarbeitende professionalisiert hat.6<br />

Die Ziele von Altenarbeit richten sich heute<br />

weniger auf Betreuung, Unterhaltung und Beschäftigung.<br />

Stattdessen ist das Ziel, Selbsthilfefähigkeit<br />

und Eigenaktivität zu fördern, Gelegenheitsstrukturen<br />

<strong>für</strong> selbstbestimmte <strong>Alter</strong>sakti-


SENIORENARBEIT<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

11


SENIORINNENARBEIT<br />

Generationsübergreifende Altenarbeit<br />

vität zu schaffen, Engagement und Selbstorganisation<br />

zu ver<strong>mit</strong>teln und zu unterstützen. Diese<br />

Qualifizierung älterer Menschen ist dringend<br />

nötig. Ehrenamt und bürgerschaftliches Engagement<br />

in Kirche und Gesellschaft werden in Zukunft<br />

vor allem von den älteren Menschen übernommen<br />

werden müssen, denn „in einer neuliberalen<br />

Marktgesellschaft der dauermobilen,<br />

rundum berufstätigen, einseitig leistungsfixierten,<br />

allein monetär ausgerichteten Individuen ist<br />

<strong>für</strong> bürgerschaftliches Engagement weder hinreichend<br />

Zeit noch kultureller Raum.7“<br />

Diese positive Entwicklung der Altenarbeit<br />

wird häufig kaum wahrgenommen. Der negative<br />

Blick auf das <strong>Alter</strong> prägt auch die Bewertung der<br />

Altenarbeit. Weder Kirche noch Gesellschaft zeigen<br />

großes Interesse. Die Altenarbeit hat deshalb<br />

eine schwache Position im Verteilungskampf um<br />

knappe öffentliche Mittel. Viele hauptamtliche<br />

Stellen sind bereits aus finanziellen Gründen gestrichen<br />

worden. Oft gelingt es der Altenarbeit<br />

nicht, erfolgreiche Projekte in die Regelfinanzierung<br />

zu überführen. Bereits heute ist Altenarbeit<br />

- wie viele andere Handlungsfelder - ohne unentgeltliches<br />

Engagement nicht überlebensfähig.<br />

12 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Die älter werdende Kirche wird in Zukunft noch<br />

mehr auf die aktive ehrenamtliche Mitwirkung<br />

der älteren Menschen angewiesen sein.8 Hauptamtliche<br />

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind<br />

gerade deshalb unverzichtbar <strong>für</strong> Konzeptentwicklung,<br />

Qualifizierung und Qualitätsentwicklung<br />

und die Schaffung von Rahmenbedingungen<br />

<strong>für</strong> die Selbstorganisation der Älteren.<br />

Alte beteiligen sich<br />

Die wachsende Präsenz und die wachsende<br />

Zahl älterer Menschen stellt nicht nur die Altenarbeit<br />

vor neue Herausforderungen, sie stellt<br />

auch das Selbstverständnis von Gemeinden9 in<br />

Frage und fordert sie zu neuen Lebens- und Gemeinschaftsformen<br />

heraus.<br />

Uta Pohl-Patalong plädiert da<strong>für</strong>, dass an jedem<br />

spezialisierten kirchlichen Ort auch kirchliches<br />

Leben stattfindet10, das geprägt ist von Gemeinschaft,<br />

Geselligkeit und diakonischer Hilfe,<br />

die auf persönlichem Kontakt basiert. Dieses<br />

kirchliche Leben solle in Zukunft von Ehrenamtlichen<br />

geleitet und gestaltet werden. „Theologisch<br />

nimmt dies das Priestertum aller Gläubigen<br />

ernst, das jedem Christen und jeder Christin ver-


antwortungsvolle kirchliche Arbeit zutraut.“<br />

Uta Pohl-Patalongs Strukturmodell entspricht<br />

dem Wunsch vieler nach einer Beteiligungskirche11.<br />

Wenn die Partizipation älterer<br />

Menschen gelingt und ihre Potentiale integriert<br />

werden in die kirchliche Arbeit vor Ort, sind<br />

Träume von einer lebendigen Kirche möglich:<br />

Vielleicht heißt es dann nicht mehr: Altenarbeit,<br />

sondern Alte arbeiten… Vielleicht entsteht auf<br />

der Basis der sozialen Kompetenz vieler Älterer<br />

eine neue generationenübergreifende Kultur der<br />

Fürsorglichkeit nach dem Motto: In der Kirche<br />

hat jedes <strong>Alter</strong> Zukunft… Vielleicht wachsen<br />

dann gute Nachbarschaften und Netzwerke,<br />

wenn viele sagen können: „<strong>Ich</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ – „<strong>Ich</strong><br />

<strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“ – „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> andere“<br />

– „Andere <strong>für</strong> <strong>mich</strong>“.12 … Vielleicht bleibt<br />

es dann nicht ein Privatproblem junger Paare,<br />

die berufstätig sind und Kinder haben möchten...Vielleicht<br />

müssen pflegende Angehörige<br />

von demenzkranken Menschen nicht mehr allein<br />

sein <strong>mit</strong> der Last der Pflege...Vielleicht entstehen<br />

auch Kompetenzteams, die ...<br />

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in<br />

der Fachzeitschrift „Praxis Gemeindepädagogik<br />

1/2006, erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt<br />

Leipzig.<br />

Anmerkungen:<br />

1) Paul B. Baltes, Oma muss ran, DIE ZEIT Nr.<br />

21, 19. Mai 2005<br />

2) Franz Walter, Gedämpft und lebensweise,<br />

neue Linkspartei und ergrauende Gesellschaft,<br />

SZ 16. 06.05, S.13<br />

3) Franz Walter, a.a.O.<br />

4) Peter Zeman, Selbstorganisation in der Altenarbeit,<br />

in: Joachim Braun, Sonja Kubisch,<br />

Peter Zeman (Hrsg.) Erfahrungswissen und<br />

Verantwortung – zur Rolle von senior Trainerinnen<br />

in ausgewählten Engagementbereichen.<br />

Gutachten aus dem wissenschaftlichen Beirat<br />

im Bundesmodellprogramm „Erfahrungswissen<br />

<strong>für</strong> Initiativen“, Köln, 2005, S.81<br />

5) vgl. Zeman, a.a.O. S.87ff<br />

6) Leitfaden Qualitätsentwicklung in der Offenen<br />

Altenarbeit – ein Kooperationsprojekt des deutschen<br />

Evangelischen Verbandes <strong>für</strong> Altenarbeit<br />

und Pflege e.V. der Evangelischen Arbeitsge-<br />

SENIORENARBEIT<br />

meinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit in der EKD (EAfA)<br />

und des Diakonischen Werkes der EKD, Stuttgart,<br />

2005<br />

7) Franz Walter a.a.O.<br />

8) Zeman, a.a.O. S. 82<br />

9) <strong>Alter</strong> und ältere Menschen in Kirche und Gesellschaft,<br />

Positionen der EAfA, hrsg. Evangelische<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Altenarbeit in der<br />

EKD (EAfA), Hannover, 2002, S.16ff<br />

10) a.a.O. S.45<br />

11) Kirche <strong>mit</strong> Hoffnung. Leitlinien künftiger<br />

kirchlicher Arbeit in Ostdeutschland. Im Auftrag<br />

des Kirchenamtes der EKD hg. von H. Zeddies,<br />

Hannover 1998, bes. S. 28-30<br />

12) Veronika Fischer, Volker Eichener, Karin<br />

Nell (Hrsg.) Netzwerke – ein neuer Typ bürgerschaftlichen<br />

Engagements. Zur Theorie und<br />

Praxis der sozialen Netzwerkarbeit <strong>mit</strong> Älteren,<br />

Schwalbach 2003, S. 204f<br />

NORDELBISCHE<br />

STIMMEN<br />

Forum <strong>für</strong> kirchliche<br />

Zeitfragen in Hamburg und<br />

Schleswig-Holstein<br />

Bestellungen:<br />

Tel.: 0431 / 55 77 9 - 271<br />

E-Mail:<br />

vertrieb@nordelbische.de<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

13


SENIORINNENARBEIT<br />

Neue Lernformen im<br />

nachberuflichen Leben<br />

Ein Vier-Phasen-Modell zur Netzwerkbildung<br />

KARIN NELL<br />

Karin Nell ist Leiterin der Projektwerkstatt<br />

<strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit beim Evangelischen<br />

Erwachsenenbildungswerk<br />

Nordrhein, Düsseldorf.<br />

In Fortbildungsveranstaltungen <strong>für</strong> haupt- und<br />

ehrenamtliche Kolleginnen und Kollegen aus<br />

dem Bereich der kirchlichen Seniorenarbeit begegnet<br />

einem oftmals folgende Situation: Man<br />

hat bisher wenig <strong>mit</strong> dem Thema zu tun gehabt,<br />

man sucht wegen geplanter Stellenkürzungen<br />

nach <strong>Alter</strong>nativen zur Beschäftigung im Kinderund<br />

Jugendbereich oder kann seine Erwartungen<br />

nicht genau zum Ausdruck bringen. Möglicherweise<br />

hängt diese Haltung <strong>mit</strong> dem immer<br />

noch schlechten Image der Altenarbeit zusammen.<br />

Sie wird <strong>mit</strong> Bastelarbeiten, Gedächtnistraining,<br />

Folkloretanz, Diavorträgen und vor allem<br />

<strong>mit</strong> Kaffee und Kuchen in Verbindung gebracht.<br />

Die Altenarbeit gehört (noch) nicht zu<br />

den Lieblingsaufgaben angehender Gemeindepädagogen<br />

und -pädagoginnen. Die Erfahrungen<br />

<strong>mit</strong> unterschiedlichen Projekten in Nordrhein-Westfalen<br />

haben jedoch gezeigt, dass sich<br />

dies ändert, wenn man sich von den defizit-orientierten<br />

<strong>Alter</strong>sbildern verabschiedet und die<br />

verschiedenen <strong>Alter</strong>sgenerationen <strong>mit</strong> ihren jeweiligen<br />

Wünschen und Kompetenzen gezielt in<br />

den Blick nimmt. Viele von den so genannten<br />

„Jungen Alten“ sind gut ausgebildet, körperlich<br />

und geistig fit, mobil und selbstbewusst, in der<br />

Regel finanziell unabhängig. Viele von ihnen erklären<br />

ihr großes Interesse an der Übernahme<br />

von sozialer Verantwortung in den unterschiedlichen<br />

gesellschaftlichen Bereichen. Die moderne<br />

Seniorenarbeit möchte die Ressourcen von<br />

Menschen im nachberuflichen Leben aufnehmen:<br />

das Erfahrungswissen, ihr soziales und<br />

14 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

kulturelles Kapital, die Innovationskraft, vor allem<br />

aber das Interesse an lebenslangem Lernen,<br />

das zunehmend als Schlüssel zur Lösung anstehender<br />

Zukunftsaufgaben angesehen wird.<br />

Weniger ist oft mehr<br />

Ein größer werdender Anteil von Seniorinnen<br />

und Senioren erwartet Angebote, die zu Eigenaktivität<br />

und zu Mitgestaltung herausfordern.<br />

Eine kurze Sequenz zum Thema „Schlüssel“<br />

zeigt, dass solche Angebote nicht aufwendig<br />

und teuer sein müssen. Die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer werden gebeten, ihre Schlüsselbunde<br />

genau zu betrachten. Welcher Schlüssel<br />

ist besonders wichtig? Gibt es eine besondere Geschichte<br />

zu einem Schlüssel, ein Schlüsselerlebnis<br />

in meinem Leben? Wann und von wem habe<br />

ich meinen ersten Schlüssel erhalten? Was haben<br />

die Schlüsselanhänger zu bedeuten? Wann musste<br />

man einen wichtigen Schlüssel abgeben und


wie ging es dabei? Gibt es Menschen, die mir besondere<br />

Räume oder Interessensgebiete erschlossen<br />

haben? Welche neuen Räume möchte<br />

ich in meinem Leben noch betreten? Was kann<br />

ich tun, um <strong>anderen</strong> Menschen Türen zu öffnen<br />

und neue (Entwicklungs-)Räume zu erschließen?<br />

Wo<strong>mit</strong> möchte ich abschließen?<br />

Für ähnliche Mini-Workshops bieten sich<br />

die Themen an: Hände, Handtaschen, Taschentücher,<br />

Lieblingstassen oder Brillen. Alle<br />

Gegenstände des Alltags sind Träger von Erinnerungen<br />

und Ideen. Sich ihnen in besonderer Aufmerksamkeit<br />

und Sorgfalt zuzuwenden und sie<br />

<strong>mit</strong> Erfahrungen und Geschichten „aufzuladen“,<br />

bringt bei einfühlsamer Moderation auch die Erfahrungen<br />

hinter den Erfahrungen und die Fragen<br />

hinter den Fragen ans Licht. Dazu braucht es<br />

authentische Gesprächspartner und -partnerinnen<br />

, die Bezüge zu einem tieferen Wissen herstellen<br />

können. Gemeindepädagoginnen und -<br />

pädagogen werden von dem großen Interesse,<br />

von den Antworten hinter den Antworten überrascht<br />

sein. In der gemeinwesenorientierten Altenarbeit<br />

fällt auf, dass in diesem Zusammenhang<br />

das Thema „christliche Spiritualität“ besonders<br />

auch bei den Menschen an Bedeutung<br />

zunimmt, die aus der Kirche ausgetreten sind<br />

oder sich weit von Kirche entfernt haben. Immer<br />

häufiger wird das Bedürfnis nach einer spirituellen<br />

Vorsorge (neben der Rentenvorsorge, der gesundheitlichen<br />

und sozialen Vorsage) <strong>für</strong> das Leben<br />

im <strong>Alter</strong> formuliert.<br />

Einfacher ist wirkungsvoller<br />

Ein wichtiger Punkt der innovativen Seniorenarbeit<br />

ist das große Interesse vieler Seniorinnen<br />

und Senioren an einer sozialen Vorsorge<br />

<strong>für</strong> das Leben im <strong>Alter</strong>. Soziale Vorsorge steigert<br />

die Lebensqualität. Sie ermöglicht lebenslange<br />

persönliche Weiterentwicklung und Teilhabe am<br />

sozialen und kulturellen Leben bis ins hohe <strong>Alter</strong>.<br />

Als „Zauberformel“ <strong>für</strong> viele erfolgreiche<br />

Projekte im Bereich der innovativen Seniorenarbeit<br />

<strong>mit</strong> den so genannten „jungen Alten“ gilt<br />

das von Sylvia Kade 1 beschriebene Phasenmodell<br />

der <strong>Alter</strong>sbildung:<br />

• 1. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />

Aufbau von Motivation <strong>für</strong> ein bürgerschaftliches<br />

Engagement durch Informationsveranstal-<br />

SENIORENARBEIT<br />

tungen, Hospitationen, Exkursionen, Schnupperseminare,<br />

informelle Treffs (Internet-Cafés,<br />

Stadtteilfrühstück, Stammtisch), individuelle Beratung<br />

durch Hauptamtliche (Ermutigung, neue<br />

Wege einzuschlagen; ausdrückliche Empfehlung,<br />

bei der Wahl einer freiwilligen Tätigkeit eigene<br />

Wünsche und Interessen in den Vordergrund<br />

zu stellen).<br />

• 2. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />

Förderung von Gemeinschaftsaktivitäten,<br />

Aufbau von Interessengruppen, selbst organisierte<br />

Unternehmungen: Wandern, Theaterbesuche,<br />

Videowerkstatt, Kreativangebote usw.; Informationsveranstaltungen<br />

zu selbst gewählten<br />

Themen: Gesundheit im <strong>Alter</strong>, Pflegeversicherung,<br />

Wohnen im <strong>Alter</strong> usw.<br />

• 3. Phase: „<strong>Ich</strong> <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> andere.“<br />

Eigenverantwortliches Engagement in einem<br />

oder in mehreren Bereichen, Schaffung von<br />

Organisations- und Mitwirkungsstrukturen, Bildung<br />

von Arbeitskreisen, Arbeitsgruppen, Wahl<br />

von Gruppensprechern und -sprecherinnen,<br />

Festlegung von Aufgabenschwerpunkten. Projektarbeit:<br />

Zeitungs-, Kultur- oder Theaterprojekte,<br />

Filmwerkstatt, Aufbau von Internet-Cafés,<br />

Einrichtung von Handwerker-, Telefon- oder Begleitdiensten,<br />

Telefonkette usw.<br />

• 4. Phase: „Andere <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong> <strong>für</strong> <strong>mich</strong>.“<br />

Nutzung der Ressourcen (neu-)aufgebauter<br />

sozialer Netze im Falle von Hilfebedürftigkeit.<br />

Die Erfahrungen zeigen, dass aus sozialen Netzen<br />

unbürokratisch individuelle Hilfeleistungen<br />

erbracht werden (Besuche im Krankenhaus, Telefonate,<br />

Einkäufe, Ver<strong>mit</strong>tlung professioneller<br />

Hilfe, handwerkliche Dienste, Begleitdienste,<br />

Trauerbegleitung). Hierbei erweist es sich als<br />

äußerst bedeutsam, dass die Hilfen auf viele<br />

Schultern verteilt sind und der Helfer/die Helferin<br />

selbst in ein Netzwerk eingebunden ist.<br />

In der praktischen Arbeit hat sich gezeigt,<br />

dass nicht alle Interessierten bei Phase 1 einsteigen<br />

und bei Phase 4 enden. Viele Menschen wissen<br />

genau, was sie <strong>für</strong> andere tun wollen und gehen<br />

<strong>mit</strong> klaren Vorstellungen auf bestehende<br />

Projekte oder Gruppen zu. Menschen, die ihre<br />

Angehörigen gepflegt oder ihre Partnerin/ ihren<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

15


SENIORINNENARBEIT<br />

16 NORDELBISCHE STIMMEN


Partner verloren haben, genießen es, wenn sie sich<br />

zunächst nicht <strong>für</strong> andere engagieren müssen. Sie<br />

haben selbstverständlich das Recht, ihre persönlichen<br />

„Batterien aufzuladen“ und in Ruhe neue<br />

Kontakte zu knüpfen, bevor sie wieder Aufgaben<br />

<strong>für</strong> andere übernehmen. Wichtig ist: Alle Beteiligten<br />

sollten darauf achten, dass langfristig allen vier<br />

Phasen Rechnung getragen wird. Nur so bleibt das<br />

Verhältnis von Geben und Nehmen ausgewogen<br />

und sorgt <strong>für</strong> langfristige Zufriedenheit.<br />

Engagement auf gleicher Augenhöhe<br />

Erfahrungen in der innovativen Seniorenarbeit<br />

zeigen, dass sich die Zusammenarbeit von hauptund<br />

ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />

in Zukunft erheblich verändern wird. Die<br />

neuen <strong>Alter</strong>sgenerationen zeigen immer weniger<br />

Interesse an einem Ehrenamt, das ausschließlich<br />

selbstloses Tätigsein <strong>für</strong> andere bedeutet. Sie wollen<br />

weder Lückenbüßer, noch bevormundete Helfer/<br />

Helferinnen sein, die Hauptamtlichen „zur<br />

Hand gehen“, bescheiden im Hintergrund agieren<br />

und sich <strong>mit</strong> einem Blumenstrauß zum Geburtstag<br />

begnügen. Viele der jungen Alten wollen sich <strong>mit</strong><br />

ihrem Erfahrungswissen aktiv in das gesellschaftliche<br />

Leben einbringen und in ihrem Engagement<br />

gesehen werden. Sie wollen auf Lücken im sozialen<br />

System aufmerksam machen, einen Beitrag <strong>für</strong><br />

das Miteinander der Generationen leisten und sich<br />

<strong>für</strong> benachteiligte Menschen in unserer Gesellschaft<br />

engagieren. Sie wollen selbst (<strong>mit</strong>-)gestalten<br />

und sind bereit, aktiv Verantwortung zu übernehmen.<br />

Die jungen Alten wünschen sich ein „Engagement<br />

auf gleicher Augenhöhe“, sie erwarten ein<br />

partnerschaftliches Miteinander und fordern<br />

selbstbewusst entsprechende Rahmenbedingungen<br />

ein. 2<br />

Kirche und Diakonie werden, um ihre Aufgaben<br />

in der Kinder-, Jugend- und Seniorenarbeit<br />

langfristig erfüllen zu können, auf die neuen <strong>Alter</strong>sgenerationen<br />

<strong>mit</strong> ihrem Erfahrungswissen und<br />

ihren Ressourcen zugehen müssen. Erfolgreiche<br />

Konzepte zur Förderung von Selbsthilfe und bürgerschaftlichem<br />

Engagement gibt es in reicher<br />

Zahl. 3 Diese gilt es im kirchlichen Bereich zu er-<br />

SENIORENARBEIT<br />

proben und weiter zu entwickeln. Dazu muss nach<br />

Wegen gesucht werden, um in Kirchgemeinden traditionelle<br />

und innovative Ansätze in einem zukunftsfähigen<br />

Gesamtkonzept zu integrieren. Dies<br />

gelingt, wo die traditionelle Altenarbeit entsprechend<br />

gewürdigt und der neuen ein aufrichtiges Interesse<br />

entgegengebracht wird. So kann die Entwicklung<br />

zeitgemäßer <strong>Alter</strong>sbilder und <strong>Alter</strong>srollen<br />

zu einem gemeinsamen Anliegen aller Generationen<br />

werden.<br />

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht in<br />

der Fachzeitschrift „Praxis Gemeindepädagogik“<br />

1/2006, erschienen in der Evangelischen Verlagsanstalt<br />

Leipzig.<br />

Anmerkungen<br />

1) Kade, Sylvia (1999): Neue Lernformen in der<br />

<strong>Alter</strong>sbildung. Deutsches Institut <strong>für</strong> Erwachsenenbildung,<br />

(unveröffentlichtes Manuskript);<br />

Dieses Phasenmodell wurde im Rahmen der<br />

Düsseldorfer Netzwerkarbeit um eine vierte<br />

Phase erweitert.<br />

2) Die Projektwerkstatt <strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit,<br />

finanziell vom Land NRW unterstützt, hat<br />

eine Reihe von Fortbildungsprogrammen <strong>für</strong><br />

haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und<br />

Mitarbeiter entwickelt: Kulturführerschein®, Kultur<br />

auf Rädern, Keywork-Programm, INTER-<br />

NETZ (Aufbau von sozialen Netzwerken),<br />

„Couch oder Cabrio?“ (Seminarprogramm zur<br />

Vorbereitung auf den Ruhestand) und Soziales<br />

Inszenieren. Informationen unter www.eebnordrhein.de/pisa<br />

(Projektwerkstatt <strong>für</strong> innovative<br />

Seniorenarbeit)<br />

3) www.start-3.de innovatives Selbsthilfeprojekt<br />

<strong>für</strong> Menschen im nachberuflichen Leben<br />

www.netzwerke-duesseldorf.de Anlaufstellen<br />

<strong>für</strong> bürgerschaftliches Engagement<br />

www.efi-programm.de Erfahrungswissen <strong>für</strong> Initiativen<br />

(Modellprogramm des Bundes)<br />

www.kda.de Informationspool des Kuratoriums<br />

Deutsche <strong>Alter</strong>shilfe<br />

www.senioren-online.net Internetplattform <strong>für</strong><br />

Seniorinnen und Senioren, Projekt des Landes<br />

NRW<br />

Bild linke Seite: Wunsch-Oma Gisela Bauer liest in Duisburg dem sechsjährigen Finn Schoppmeyer<br />

aus einem Kinderbuch vor. Seit fünf Jahren engagiert sich die 62-Jährige ehrenamtlich im Projekt<br />

Wunsch-Oma des deutschen Kinderschutzbundes und verbringt regelmäßig Zeit <strong>mit</strong> Finn und seiner<br />

Schwester Paula. Foto: ddp<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

17


SENIORINNENARBEIT<br />

50plus / Seniorenarbeit<br />

Ein geeignetes Arbeitsfeld auch <strong>für</strong><br />

Gemeindepädagogen/innen und Diakone/innen<br />

PETRA MÜLLER<br />

Petra Müller, Diplompädagogin in Erwachsenenbildung<br />

und Evangelischer Theologie,<br />

ist seit 2009 Beauftragte der Nordelbischen<br />

Kirche in der „<strong>Fachstelle</strong> <strong>Alter</strong>“ in<br />

Kiel. Davor war sie acht Jahre Studienleiterin<br />

und Dozentin <strong>für</strong> Gemeindepädagogik<br />

am Pädagogisch-Theologischen Institut<br />

der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen und<br />

Landeskirchliche Beauftragte <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />

der Gemeindepädagoginnen<br />

und Gemeindepädagogen.<br />

Zur Situation<br />

Auf der parochialen Ebene liegt die Zuständigkeit<br />

<strong>für</strong> die Seniorenarbeit in den meisten Fällen<br />

bei Pastorinnen und Pastoren und bei ehrenamtlich<br />

Engagierten. Bei Anstellungen auf Kirchenkreisebene<br />

- und da insbesondere bei deren<br />

„Beauftragten <strong>für</strong> die Seniorenarbeit“ - kommen<br />

eher auch die Berufsgruppen der im sog. „gemeindepädagogischen“<br />

Bereich Tätigen in den<br />

Blick: Die Gemeindepädagogen/innen, Diakone/innen,<br />

die ostdeutschen Katecheten/innen<br />

und Mitarbeitende <strong>mit</strong> vergleichbaren (sozial)pädagogischen<br />

Abschlüssen. Dass diese Berufsgruppen<br />

in den Kirchengemeinden so selten<br />

im Bereich der Arbeit 50plus / Senioren anzutreffen<br />

sind, liegt sicherlich an den wenig vorhandenen<br />

Stellen, aber auch vor allem daran,<br />

dass diese Berufsgruppen in den vergangenen<br />

Jahrzehnten EKD-weit hauptsächlich in der Kinder-<br />

Jugend- und Familienarbeit tätig waren und<br />

eingesetzt wurden, obgleich sie <strong>für</strong> die Arbeit<br />

<strong>mit</strong> allen Lebensaltern ausgebildet sind – wenn<br />

sicherlich auch <strong>mit</strong> unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.<br />

<strong>Ich</strong> bin davon überzeugt, dass gerade diese<br />

18 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Berufsgruppen aufgrund ihrer Ausbildung, ihrer<br />

pädagogischen Kompetenz und ihren Geschicks,<br />

<strong>mit</strong> verschiedenen Gruppen und Lebensaltern zu<br />

arbeiten, geeignet sind, <strong>für</strong> das wachsende Arbeitsfeld<br />

der älter werdenden Menschen gestaltend<br />

verantwortlich zu sein!<br />

Menschen jeden <strong>Alter</strong>s sind Zielgruppen<br />

gemeindepädagogischen Handelns<br />

Auch wenn die Gemeindepädagogik in ihrer<br />

Theroiediskussion schon immer genuin eine Gemeindepädagogik<br />

aller <strong>Alter</strong>sstufen war, so hat<br />

sie doch in den vergangenen 40 Jahren in ihrer<br />

Praxis den Hauptschwerpunkt in der Arbeit <strong>mit</strong><br />

Kindern und Jugendlichen gefunden. Enno Rosenboom<br />

postuliert in den 70er Jahren, dass es<br />

in der Gemeindepädagogik „um den Menschen<br />

in seiner Ganzheit, in allen <strong>Alter</strong>sstufen und in<br />

allen Lebensbezügen“ gehen muss. 1 Auch in der<br />

ostdeutschen Theoriebildung der Gemeindepädagogik<br />

benennt man die gemeindepädagogische<br />

Zielgruppentrias „Kinder, Jugend und Erwachsene“<br />

2 - wie z.B. Eva Heßler oder Walter<br />

Baltin. Und Nicole Piroth formuliert in ihrer empirischen<br />

Studie aus dem Jahr 2000: „Zusammenfassend<br />

ist zu sagen, dass die Theoriediskussion<br />

der letzten Jahre gemeindepädagogisches<br />

Handeln als alltagsstützendes und lebensweltbezogenes<br />

Bildungsgeschehen, als eine<br />

Pädagogik der Ermöglichung und Begleitung beschreibt,<br />

die sich an alle <strong>Alter</strong>sstufen richtet.“ 3<br />

Die Berufsbildungsordnung der EKD <strong>für</strong> die Berufsgruppe<br />

der gemeindepädagogischen Mitarbeiterinnen<br />

und Mitarbeiter, die 1996 erschienen<br />

ist, stellt fest, dass die Hauptfunktion dieser Berufsgruppe<br />

die Leitung und Begleitung von<br />

Gruppen <strong>mit</strong> Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen<br />

sei. Gemeindepädagogik sei als Ge-


SENIORENARBEIT<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

19


SENIORINNENARBEIT<br />

samtdimension gemeindlicher Arbeit anzusehen<br />

und nicht als spezieller Sektor innerhalb der<br />

oben genannten Arbeitsfelder 4 . Der Blick zur katholischen<br />

Seite ergibt, dass es einen Synodenbeschluss<br />

aus dem Jahr 1976 gibt, der besagt,<br />

dass sich das katechetische Handeln grundsätzlich<br />

den Menschen aller Lebensalter zuordnet.<br />

Dabei sei es wichtig, <strong>für</strong> jede Generation qualitativ<br />

und quantitativ zureichende Angebote zu<br />

machen. 5<br />

Den Veränderungsprozess solidarisch gestalten<br />

Der demographische Wandel fordert auch<br />

die Gemeindepädagogik und die in diesem Bereich<br />

tätigen Mitarbeitenden heraus, ihre Zielgruppen<br />

und Aufgabenfelder zu ergänzen oder<br />

zu verlagern, um zukünftig auch in der Praxis eine<br />

Gemeindepädagogik aller <strong>Alter</strong>sstufen zu<br />

sein, um eine momentan wieder zunehmende<br />

Versäulung von Arbeitsgebieten zu verhindern<br />

und um generationenübergreifend und –vernetzend<br />

zu denken und zu arbeiten. Dieser konzeptionelle<br />

Ansatz stärkt alle Zielgruppen und<br />

steht der weit verbreiteten Be<strong>für</strong>chtung entgegen,<br />

dass die gemeindliche Arbeit <strong>mit</strong> Kindern<br />

und Jugendlichen geschwächt würde, wenn sich<br />

das gemeindepädagogische Praxisfeld auf Angebote<br />

<strong>für</strong> ältere Erwachsene und Senioren ausweiten<br />

wird. Die Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen<br />

als gemeindepädagogisches Handlungsfeld ist<br />

keine Verlegenheitslösung aufgrund sinkender<br />

Kinderzahlen - vor allem jetzt schon in den östlichen<br />

Landeskirchen -, sondern eine große Aufgabe<br />

<strong>mit</strong> wachsendem Potential.<br />

Die hier angesprochenen Punkte sind in den<br />

gemeindepädagogisch geführten Diskussionen<br />

nicht unumstritten. Mancherorts wird darauf beharrt,<br />

dass die Arbeit <strong>mit</strong> Kindern und Jugendlichen<br />

das ausschließliche Arbeitsfeld von gemeindepädagogischen<br />

Mitarbeitenden bleiben<br />

soll. Andere halten diese Berufsgruppe <strong>für</strong> nicht<br />

genügend ausgebildet und erfahren, um <strong>mit</strong> älteren<br />

Menschen zu arbeiten. Wieder andere sehen<br />

in Bildungsangeboten <strong>für</strong> das 3. <strong>Alter</strong> keinen<br />

großen Bedarf, da sich diese Zielgruppe ebenso<br />

selber organisieren kann.<br />

In dieser vielschichtigen Diskussionslage ist<br />

es besonders wichtig, das Gespräch zu suchen,<br />

einander zuzuhören und im Gespräch zu blei-<br />

20 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

ben, da<strong>mit</strong> es nicht zu einem Entweder-Oder,<br />

nicht zu einem Aufeinanderprallen von Interessen,<br />

nicht zum Ausspielen von Kinder- und Jugendarbeit<br />

und der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Menschen<br />

kommt. So ist es ein sehr positives Zeichen, dass<br />

bei der Formation der Hauptbereiche auf nordelbischer<br />

Ebene die Seniorinnen und Senioren <strong>mit</strong><br />

den Kindern, Jugendlichen und Familien bei den<br />

Frauen und Männern im Hauptbereich 5 gelandet<br />

sind. Eine Chance und Möglichkeit, Konzepte<br />

zu vernetzen und Versäultes zu verbinden.<br />

Der demographische Veränderungsprozess lässt<br />

sich auch gemeindepädagogisch nur solidarisch<br />

gestalten, d.h. eng verbunden und <strong>mit</strong>einander<br />

und <strong>für</strong>einander einstehend. Die verschiedenen<br />

Generationen können und sollen sich begegnen,<br />

in Beziehung treten, gegenseitig profitieren und<br />

voneinander lernen.<br />

Erkennbarer Wandel in der Gemeindepädagogik<br />

Trotz der Fokusierung der Gemeindepädagogik<br />

auf die Arbeit <strong>mit</strong> Kindern und Jugendlichen<br />

vollzieht sich in vielen Landeskirchen momentan<br />

schon ein kleiner Wandel. In erheblichem<br />

Maße wächst das Bewusstsein, auch in der Gemeindepädagogik<br />

auf den demographischen<br />

Wandel reagieren zu wollen.<br />

Es gibt Landeskirchen, in denen jetzt schon<br />

eine erhebliche Zahl gemeindepädagogischer<br />

Mitarbeiter/innen in der Arbeit <strong>mit</strong> Senioren<br />

tätig ist. Häufig sind es Stellenanteile, vielleicht<br />

30 Prozent, die <strong>anderen</strong> Anteile liegen auch weiterhin<br />

in der Arbeit <strong>mit</strong> Kindern. In besonderer<br />

Weise ermöglicht diese Konstruktion, generationenverbindend<br />

tätig zu werden. Andere Mitarbeitende<br />

wachsen sporadisch in dieses Arbeitsfeld<br />

hinein. Nur wenige sind ausschließlich in<br />

der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen tätig. Auffallend<br />

ist, dass ein hoher Anteil von weiblichen<br />

Mitarbeitenden in der 2. Lebenshälfte in die Seniorenarbeit<br />

geht oder gerne wechseln würde –<br />

anders als die männlichen Kollegen, die in dieser<br />

Lebensphase eher in Leitungsstellen wechseln.<br />

Ebenso gibt es aber auch Landeskirchen, wo<br />

noch ein verschwindend geringer Anteil der gemeindepädagogischen<br />

Mitarbeitenden auf dieses<br />

Arbeitsfeld zugeht. Dies trifft in besonderem<br />

Maße - aber nicht nur - auf die ostdeutschen Landeskirchen<br />

zu. Deutlich aber wird, dass in den


meisten Landeskirchen die Herausforderungen,<br />

die der demographische Wandel auch an die Gemeindepädagogik<br />

stellt, erkannt sind.<br />

Fort- und Weiterbildung<br />

Wer in der Arbeit <strong>mit</strong> älteren Erwachsenen<br />

tätig werden will, braucht selbstverständlich<br />

auch Fortbildung. Manche Landeskirchen bieten<br />

neben gezielten Fortbildungen auch schon umfassende<br />

Qualifizierungskurse <strong>für</strong> gemeindepädagogische<br />

Mitarbeitende an. Diese berufsbegleitende,<br />

oft zweijährige Weiterbildung führt<br />

zu einem Zertifikat als Seniorenreferent/in oder<br />

als Referent/in <strong>für</strong> Generationen- und Altenarbeit.<br />

Auch in Nordelbien wird in der „<strong>Fachstelle</strong><br />

<strong>Alter</strong>“ intensiv darüber nachgedacht, eine solche<br />

Qualifizierung zu ermöglichen. 6<br />

Zusätzlich finden, so die Erfahrung aus <strong>anderen</strong><br />

Landeskirchen, Mitarbeitende, die eine<br />

solche Weiterbildung absolviert haben, zu einer<br />

höheren Berufszufriedenheit – trotz gleichbleibenden<br />

Gehaltes. Das zeigt, dass die notwendige<br />

Erweiterung des gemeindepädagogischen Praxisfeldes<br />

zusätzlich auch noch ein gutes und<br />

wichtiges Instrument der Personalentwicklung<br />

sein kann.<br />

Einen Aufbruch ermöglichen<br />

Zwischen Wandel und Aufbruch steht auch<br />

die Gemeindepädagogik. Das, was in den vergangenen<br />

Jahren gewachsen ist, sich an manchen<br />

Stellen gewandelt hat, gilt es weiter zu unterstützen<br />

und fortzuführen. Jedoch braucht es<br />

zunehmend konkrete Verankerungen und verlässliche<br />

Strukturen, auch in Ordnungen, Gesetzen,<br />

landeskirchlichen Referaten, Gremien und in der<br />

Personalentwicklung.<br />

Die Gemeindepädagogik und die da<strong>für</strong> ausgebildeten<br />

Mitarbeitenden können zu dem Reformprozess,<br />

den Gesellschaft und Kirche durchlaufen,<br />

einen erheblichen Teil beitragen.<br />

Anmerkungen<br />

1) Foitzik, K., Gemeindepädagogik, Gütersloh<br />

1992, S. 351<br />

2) vgl. Petzold, K., Wermke, M., Ein Jahrhundert<br />

Katechetik und Religionspädagogik in Ostdeutschland,<br />

Leipzig, 2007, S. 28-34 und S. 52<br />

3) Piroth, N., Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />

biographischen Lernens, Münster<br />

SENIORENARBEIT<br />

2004, S. 41<br />

4) Piroth, N., Gemeindepädagogische Möglichkeitsräume<br />

biographischen Lernens, Münster<br />

2004, S. 41<br />

5) Habersetzer, M., Selbstbewusstsein – Lebens-<br />

und Glaubensgeschichte gestalten, in:<br />

Blasberg-Kuhnke, M., Wittrahm, A., <strong>Alter</strong>n in<br />

Freiheit und Würde, München 2007, S. 122<br />

6) Nähere Auskünfte bei der Beauftragten <strong>für</strong><br />

SeniorInenarbeit in der „Nordelbischen <strong>Fachstelle</strong><br />

<strong>Alter</strong>“ in Kiel.<br />

Telefon 0431 / 66 117 - 0<br />

service@dmh-umzuege.de<br />

www.dmh-umzuege.de<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Anzeige<br />

21


SENIORINNENARBEIT<br />

Innovative Seniorenarbeit als<br />

Angebot in 5 Kirchengemeinden<br />

Ein Erfahrungsbericht aus dem Kirchenkreis<br />

Schleswig-Flensburg<br />

ULRIKE LINDEMANN-TAUSCHER<br />

Pastorin Ulrike Lindemann-Tauscher hat<br />

eine 50%-Pfarrstelle <strong>für</strong> Innovative Seniorenarbeit<br />

im Kirchenkreis Schleswig-<br />

Flensburg.<br />

Ausgangslage<br />

Anfang 2005 machte sich eine Region im ehemaligen<br />

Kirchenkreis Angeln auf den Weg, <strong>für</strong><br />

ihre fünf Kirchengemeinden einen neuen Arbeitsbereich<br />

zu schaffen: Für die sogenannte „Generation<br />

50+“. Ohne etwas gegen den traditionellen Seniorenkreis<br />

sagen zu wollen, gibt es aber doch zunehmend<br />

älter werdende Menschen, die sich von<br />

solchen Angeboten nicht angesprochen fühlen. Sie<br />

suchen nach neuen, <strong>anderen</strong> Formen der Begegnung<br />

und Auseinandersetzung. Zum einen wollten<br />

die Vertreterinnen und Vertreter der Region (Kirchenvorsteherinnen<br />

und Kirchenvorsteher aus den<br />

fünf Kirchengemeinden) diesen sich verändernden<br />

Ansprüchen Rechnung tragen, zum <strong>anderen</strong> wollten<br />

sie auf die neue Situation eingehen, dass durch<br />

die demografische Entwicklung die „Generation<br />

50+“ stetig wächst. Da durch Stellenkürzungen eine<br />

Mehrarbeit der zuständigen Ortspastorinnen<br />

und –pastoren <strong>für</strong> entsprechende neue Angebote<br />

nicht in Frage kam, eine halbe Pfarrstelle <strong>für</strong> alle<br />

fünf Kirchengemeinden gemeinsam aber noch zur<br />

Verfügung stand, wurde der Entschluss gefasst,<br />

diese halbe Pfarrstelle <strong>mit</strong> dem besonderen Dienstauftrag<br />

der sogenannten „Innovativen Seniorenarbeit“<br />

zu verbinden.<br />

Neue Ansätze<br />

Nach gut 20 Jahren „normaler“ Gemeindearbeit<br />

empfand ich es als eine besondere Her-<br />

22 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

ausforderung, diese Aufgabe zu übernehmen.<br />

Längst hatte ich selbst beobachtet, dass sich<br />

nicht mehr alle älteren Menschen vom klassischen<br />

Angebot der Seniorenarbeit ansprechen<br />

ließen. Meine Vorstellungen gingen nun dahin,<br />

Gruppenangebote zu machen, bei welchen die<br />

Teilnehmenden sich entsprechend ihrer Fähigkeiten<br />

und Begabungen <strong>mit</strong> einbringen, sei es<br />

bei der Themenfindung oder auch bei der inhaltlichen<br />

oder praktischen Vorbereitung. Ein<br />

aktives Miteinander in der Gemeinde war und ist<br />

mein Ziel.<br />

Die ersten beiden Gruppen, die sich monatlich<br />

treffen, sind ein Besuchsdienst und eine Regionalgruppe<br />

„Kirchen und Klöster“. Beim Besuchsdienst<br />

ist das Besondere, dass die Besuchsdienstfrauen<br />

(noch machen keine Männer <strong>mit</strong>)<br />

jeweils nur einen älteren Menschen besuchen.


Anders als beim klassischen Geburtstagsbesuchsdienst<br />

wächst durch den regelmäßigen<br />

Kontakt eine sehr viel intensivere Beziehung.<br />

Das gegenseitige Geben und Nehmen wird –<br />

wohl auf beiden Seiten – als großes Geschenk erfahren.<br />

Beim monatlich stattfindenden Treffen<br />

besteht <strong>für</strong> die Besuchsdienstfrauen zum einen<br />

die Möglichkeit zum Erfahrungsaustausch und<br />

zum <strong>anderen</strong> die Möglichkeit, über ein von mir<br />

vorbereitetes Thema ins Gespräch zu kommen.<br />

Mit einer kleinen Geschichte oder einem Segensgebet<br />

beschließen wir das Treffen.<br />

Die Regionalgruppe „Kirchen und Klöster“<br />

– von mir ursprünglich als Reisegruppe geplant<br />

– hat sich selbst zum Ziel gesetzt, sich <strong>mit</strong> der<br />

heimischen Geschichte im Zusammenhang <strong>mit</strong><br />

Kirchen und Klöstern zu befassen. Im Winterhalbjahr<br />

gibt es Vorträge zu Themen rund um<br />

Kirche und Kloster und im Sommerhalbjahr besuchen<br />

wir Klöster und Kirchen in der näheren<br />

und weiteren Umgebung, von Ribe/Dänemark<br />

bis Uetersen und Itzehoe. Diese Gruppe besteht<br />

je zur Hälfte aus Männern und Frauen. Gemeinsam<br />

werden Ziele ausgesucht und Themen <strong>für</strong><br />

Vorträge ausgewählt. Einige der Männer dieser<br />

Gruppe bereiten gerne ein Thema vor. Die Frauen<br />

sorgen <strong>für</strong> die praktische Vorbereitung, indem<br />

sie selbstgebackene köstliche Kuchen <strong>für</strong> das<br />

leibliche Wohl <strong>mit</strong>bringen. Die Ausflugsfahrten<br />

werden in Fahrgemeinschaften in zur Verfügung<br />

gestellten PKW der Teilnehmenden unternommen.<br />

Die Kosten werden umgelegt. So verwaltet<br />

sich diese Gruppe weitestgehend selbst. <strong>Ich</strong> bleibe<br />

meist als Koordinatorin im Hintergrund.<br />

Aus einer am Abend angebotenen vierteiligen<br />

Gesprächsreihe zu den „Perlen des Glaubens“<br />

ist auf Wunsch der Teilnehmenden eine<br />

„Muntere Gesprächsrunde am Frühstückstisch“<br />

geworden. Vom Thema „Gender“ ausgehend,<br />

versuchen wir in dieser Gruppe, biblische<br />

Texte neu zu betrachten und zu verstehen. Auch<br />

hier sucht die Gruppe die Themen aus. Meistens<br />

bereite ich das Thema vor. In Einzelfällen hat<br />

auch schon eine Teilnehmerin etwas ausgearbeitet.<br />

Für das Frühstück bringe ich Brötchen <strong>mit</strong>,<br />

alles andere kommt von den Teilnehmenden.<br />

Diese Gruppe gönnt sich jeweils eine schöpferische<br />

Sommerpause von April bis August.<br />

Das jüngste Angebot ist auch eine Gesprächsgruppe<br />

und trägt den Titel „Redezeit“.<br />

SENIORENARBEIT<br />

Sie findet einmal im Monat am Abend statt, kann<br />

so auch von noch Berufstätigen wahrgenommen<br />

werden und ist <strong>für</strong> dieses Winterhalbjahr vorgesehen.<br />

Wie bei einer bekannten Radiosendung<br />

„Redezeit“ soll auch hier die Möglichkeit gegeben<br />

werden, über ein Thema ins Gespräch zu<br />

kommen. Gedacht ist an Fragen des Glaubens,<br />

Themen zu Kirche und Theologie. Um dem Gespräch<br />

eine Richtung zu geben, leite ich den<br />

Abend ein <strong>mit</strong> jeweils einer Perle der „Perlen des<br />

Glaubens“. Den Abschluss bildet ein Abendgebet<br />

und Segen <strong>mit</strong> dem Perlenband. Wenn diese<br />

Gruppe weiterhin gewünscht wird, möchte ich,<br />

dass auch hier die Teilnehmenden selbst bestimmen,<br />

worüber das nächste Mal gesprochen wird.<br />

Im vergangenen Jahr 2008 habe ich einen<br />

Kurs „Tandem-Seniorenbegleitung“ durchgeführt.<br />

Sieben Tandem-Seniorenbegleiterinnen<br />

und –begleiter treffen sich nun etwa alle drei Monate<br />

zum Austausch ähnlich wie die Besuchsdienstgruppe.<br />

Ab dem ersten Sonntag in der Adventszeit<br />

gestalte ich den „Lebendigen Adventskalender“<br />

in den von mir betreuten fünf Kirchengemeinden.<br />

Dieses „Projekt“ verbindet nicht nur die<br />

Kirchengemeinden, sondern auch die Generationen<br />

von Jung bis Alt. Immer mehr Gastgeberinnen<br />

oder Gastgeber bereiten ihr Adventsfenster<br />

auch inhaltlich vor. Das aktive Miteinander bereitet<br />

allen viel Freude.<br />

Vernetzung<br />

Neben der Arbeit in den fünf Kirchengemeinden<br />

habe ich <strong>mich</strong> auf die Suche gemacht<br />

nach <strong>anderen</strong> Menschen, die auch in der innovativen<br />

Seniorinnen- und und Seniorenarbeit<br />

tätig sind, um neue Ideen und Anregungen zu<br />

gewinnen. Auf diesem Weg bin ich zur „Nordelbischen<br />

Arbeitsgemeinschaft <strong>Alter</strong>n (NeA)“ gestoßen.<br />

In dieser Arbeitsgemeinschaft organisieren<br />

sich vorwiegend die Beauftragten <strong>für</strong> die SeniorInnenarbeit<br />

in den Kirchenkreisen. Viermal<br />

im Jahr treffen wir uns zum Austausch und zur<br />

Fortbildung bei der „Nordelbischen <strong>Fachstelle</strong><br />

<strong>Alter</strong>“ in Kiel. Dort habe ich schnell erfahren,<br />

welch großen Stellenwert die innovative Arbeit<br />

<strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren andernorts schon<br />

einnimmt. Und wieder einmal zeigte sich mir,<br />

wie hilfreich und Gewinn bringend eine Vernetzung<br />

sein kann. Mit der NeA bin ich in Stuttgart<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

23


SENIORINNENARBEIT<br />

Begegnung von Alt und Jung in einer kirchlichen Veranstaltung<br />

gewesen, um die Strukturen der dortigen klassischen<br />

und innovativen Arbeit kennenzulernen.<br />

Eine zweite, kurze Studienfahrt führte uns nach<br />

Düsseldorf, wo es sogar ein Evangelisches Zentrum<br />

<strong>für</strong> innovative Seniorenarbeit gibt. Dieses<br />

Zentrum wird getragen von der Evangelischen<br />

Kirche im Rheinland, von dem Evangelischen Erwachsenbildungswerk<br />

Nordrhein und dem Diakonischen<br />

Werk der Evangelischen Kirche im<br />

Rheinland.<br />

Kulturführerschein<br />

Im Evangelischen Zentrum <strong>für</strong> innovative<br />

Seniorenarbeit im Rheinland wurde auch der<br />

Kulturführerschein entwickelt, den wir <strong>mit</strong> einer<br />

kleinen Steuerungsgruppe 2008 in Nordelbien<br />

eingeführt haben. In Hamburg läuft der<br />

erste Kurs. Bei uns im Norden beginnt die Werbung<br />

<strong>mit</strong> einem Schnuppertag am 13. März<br />

2010 in Schleswig. Der erste Kurs „Kulturführerschein“<br />

wird dann - über das Jahr 2010 verteilt<br />

- auch bei uns angeboten werden. Beim<br />

Kulturführerschein geht es vereinfacht gesagt<br />

um einen Gruppenleiterschein <strong>für</strong> Erwachsene.<br />

24 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

An sieben Studientagen werden zu verschiedenen<br />

Kulturbereichen Medien und Methoden<br />

vorgestellt und Informationen gegeben. Darüber<br />

hinaus müssen von den Teilnehmenden<br />

Projekte erarbeitet und vorgestellt werden. Das<br />

Ziel besteht darin, „junge Ältere“ zu ermutigen,<br />

ihren Interessen und Begabungen entsprechend<br />

eine Kulturgruppe in ihrer Kirchengemeinde<br />

zu gründen. <strong>Ich</strong> bin gespannt, ob es in<br />

unserer Region gelingt, Interessierte <strong>für</strong> dieses<br />

Projekt zu gewinnen.<br />

Ausblick<br />

Zum Schluss möchte ich noch erwähnen,<br />

dass ich, wo immer ich von meiner halben Stelle<br />

<strong>mit</strong> dieser besonderen Aufgabe erzähle, sofort<br />

Zustimmung ernte. Die Erfahrung, dass die jungen<br />

Alten oft andere Ansprüche und Vorstellungen<br />

von Gruppenangeboten ihrer Kirchengemeinden<br />

haben, zeigt sich überall. Das macht<br />

mir deutlich, dass wir als Kirche dringend weiter<br />

daran arbeiten müssen, unsere Arbeit <strong>für</strong> Senioren<br />

und Seniorinnen zu überdenken und neue<br />

Wege zu beschreiten.


Vernetzung in der<br />

Seniorenarbeit<br />

Es genügt nicht, zum Fluss zu kommen <strong>mit</strong> dem<br />

Wunsch, Fische zu fangen. Man muss auch das<br />

Netz <strong>mit</strong>bringen.<br />

UTE ZEIßLER<br />

Ute Zeißler, Diakonin und Dipl. Sozialpädagogin,<br />

koordiniert seit 2002 das regionale<br />

Projekt „LEBEN IM ALTER“, das<br />

sich die hier beschriebene Vernetzung<br />

vorgenommen und in vielen gemeinsamen<br />

Vorhaben realisiert hat. Seit 2009 ist<br />

sie <strong>mit</strong> einer weiteren 50%-Anstellung im<br />

Kirchenkreis Hamburg West / Südholstein<br />

<strong>für</strong> gemeinwesenorientierte Seniorenarbeit<br />

zuständig.<br />

Notwendige Vernetzung<br />

Seniorenarbeit ist ein weites Feld, das von<br />

offener Bildungs- und Gemeindearbeit bis zu stationärer<br />

Pflege, ja bis zur Altenheimseelsorge<br />

und zur Hospizarbeit reicht. Auch wenn es regional<br />

ein vielfältiges Angebot <strong>für</strong> Ältere gibt, besteht<br />

häufig zwischen den Anbieter/innen wenig<br />

Kenntnis voneinander, geschweige denn Kontakt<br />

und Zusammenarbeit.<br />

Wollen wir unserem christlichen und gesellschaftlichen<br />

Auftrag gerecht werden und das bei<br />

schwindenden (finanziellen) Ressourcen und<br />

steigender Nachfrage (demografischer Wandel),<br />

dürfen diese kirchlichen und diakonischen Angebote<br />

und ihre Institutionen nicht isoliert nebeneinander<br />

stehen und arbeiten, sondern müssen<br />

kooperieren und sich vernetzen. Dieser Artikel<br />

beschreibt das Fischen im eigenen Teich,<br />

aber die Idee ist genauso übertragbar auf die Kooperation<br />

<strong>mit</strong> nichtkirchlichen, behördlichen<br />

und freien Trägern.<br />

SENIORENARBEIT<br />

Gemeinden und Institutionen, die unverbunden<br />

und unabgesprochen nebeneinander arbeiten,<br />

schaffen häufig ein unübersichtliches<br />

und da<strong>mit</strong> oft intransparentes Angebot, das verwirrt<br />

und wenig geeignet ist, den älteren Menschen<br />

eine optimale „Versorgung“ zu garantieren.<br />

Dies gilt sowohl <strong>für</strong> die aktiven Alten, erst<br />

recht aber <strong>für</strong> die Immobilen, die auf Pflege angewiesen<br />

sind. Sie sind die ersten, die aus der<br />

Angebotskette herausfallen.<br />

Offene Zusammenarbeit hilft den Institutionen<br />

Konkurrenz zu vermeiden, indem man ein<br />

differenziertes Angebot <strong>mit</strong>einander abspricht,<br />

sie lichtet den „Dschungel“ und unterstützt die<br />

Nutznießerin etwas individuell Passendes zu fin-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

25


SENIORINNENARBEIT<br />

Begegnung von Alt und Jung. Generationenübergreifende kirchliche Arbeit.<br />

den. Vernetzung ist ein viel zitiertes Zauberwort<br />

und der Wunsch danach scheint unstrittig.<br />

Trotzdem wird dieser Vernetzungsanspruch<br />

in den Kirchengemeinden nur unzureichend umgesetzt.<br />

Motivation scheint durchaus vorhanden.<br />

Also: Woran hapert es?<br />

Die Personaldecke in den Gemeinden ist<br />

dünn, hauptamtliche Seniorenarbeiter/innen<br />

gibt es kaum; die Seniorenarbeit wird in der Regel<br />

von den Pastor/innen <strong>mit</strong>geleistet, die sich<br />

<strong>mit</strong> sehr unterschiedlichem Know-how, Zeitbudget<br />

und Leidenschaft engagieren. Meist reicht es<br />

nur zum klassischen Seniorennach<strong>mit</strong>tag oder<br />

Altenkreis. Diese haben ihre Berechtigung, greifen<br />

aber zu kurz, wenn man bedenkt, dass das<br />

Seniorenalter zwei Generationen umfasst und<br />

länger dauert als Kindheit und Jugend zusammen.<br />

Der Blick über die Kirchturmspitze kostet<br />

zusätzliche Energie, die nicht vorhanden<br />

scheint. Nur wenige Gemeinden haben ein Konzept,<br />

und wenn doch, ist selten Seniorenarbeit<br />

ein Schwerpunkt – trotz der demografischen Entwicklung.<br />

Die Vernetzung <strong>mit</strong> diakonischen Ein-<br />

26 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

richtungen oder <strong>anderen</strong> Anbietern in der Region<br />

scheint also häufig der zweite Schritt vor dem<br />

ersten zu sein. Wobei sich in der Praxis gezeigt<br />

hat, das regionale Vernetzung auch dazu führen<br />

kann, dass sich Gemeinden daran machen, ihre<br />

eigene Seniorenarbeit zu überdenken.<br />

Gemeinden trennen sich häufig schwer vom<br />

Bild der klassischen Ehrenamtlichen, die den<br />

Hauptamtlichen Arbeit abnehmen. Es fehlt dementsprechend<br />

ein zeitgemäßes Freiwilligenmanagement.<br />

Dies ist nötig, will man die „jungen<br />

Alten“, plan- und sinnvoll in die (Senioren)arbeit<br />

einbinden. Diese neue Generation von<br />

Freiwilligen fordert verlässliche Ansprechpartner/innen<br />

und Begleitung sowie eine tragfähige<br />

Infrastruktur (Räume, Etats, Fortbildung, Anerkennungskultur<br />

u.s.w.). Kümmern Gemeinden<br />

sich nicht darum, verschenken sie ein riesiges<br />

Potential an Erfahrung, Können, Engagement<br />

und Zeit.<br />

Stationäre Einrichtungen in der Gemeinde<br />

bilden einen komplexen Mikrokosmos, der „von<br />

außen“ oft kaum zu durchschauen ist. Gemeindepastor/innen<br />

brauchen verlässliche Ansprechpartner/innen,<br />

um in diesem System anzukommen.<br />

Fehlende Qualifizierung <strong>für</strong> Sterbebeglei-


tung oder den Umgang <strong>mit</strong> Demenzkranken, die<br />

in Pflegeeinrichtungen unabdingbar geworden<br />

sind, vereinfacht nicht gerade den Zugang bzw.<br />

die Zusammenarbeit.<br />

Diakonische Einrichtungen tun sich auch<br />

häufig <strong>mit</strong> einer Öffnung schwer: Sie unterliegen<br />

einem hohen Refinanzierungsdruck, so dass<br />

meist <strong>für</strong> Overheadarbeiten wie etwa Vernetzung<br />

kein Geld bzw. kein Personal vorhanden ist. Einrichtungen<br />

scheuen sich oft Ehrenamtliche in<br />

nichtpflegerischen Bereichen einzusetzen, nicht<br />

zuletzt aus Sorge um die hauptamtlichen Arbeitsplätze.<br />

Häufig fehlt auch hier ein Konzept<br />

Freiwilligenarbeit.<br />

Diakonie- und Gemeinde<strong>mit</strong>arbeitende sprechen<br />

oft eine unterschiedliche Sprache.<br />

Was bringt zusammen?<br />

Man muss das Netz nicht bloß werfen, sondern<br />

auch ziehen. Für den Abbau von Konkurrenz,<br />

um der steigenden Nachfrage zu begegnen,<br />

und um undurchsichtige und teure Doppelstrukturen<br />

zu vermeiden, scheint Vernetzung das Gebot<br />

der Stunde. Um die Akteur/innen der Seniorenarbeit<br />

an einen Tisch zu bekommen, bedarf<br />

es attraktiver Themen, die alle davon überzeugen,<br />

dass sich Zusammenarbeit lohnt. Es<br />

braucht konkrete Projekte, von denen alle profitieren.<br />

Warum eigentlich nicht?<br />

• Warum nicht eine gemeinsame Koordinierungsstelle,<br />

die hilft, die Freiwilligen zu suchen,<br />

in Tätigkeiten, nach ihren Kompetenzen<br />

und Wünschen zu ver<strong>mit</strong>teln, gemeinsame<br />

Schulungen und Wohlfühlangebote zu<br />

organisieren?<br />

• Warum nicht einen Gemeindegottesdienst im<br />

Garten des Pflegeheimes feiern?<br />

• Warum sollen nicht mobile Bewohner/innen<br />

<strong>für</strong> einen Tagesausflug der Gemeinde abgeholt<br />

werden?<br />

• Warum nicht gemeinsame Freiwilligenbörsen<br />

an nichtkirchlichen Orten veranstalten?<br />

• Warum nicht gemeinsam ins Einkaufszentrum?<br />

Gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit verhilft<br />

zu einem positiven Image von Kirche vor<br />

Ort.<br />

• Warum nicht einen Fahrdienst der Gemeinde<br />

SENIORENARBEIT<br />

zu Veranstaltungen und Gottesdiensten organisieren?<br />

Die Einrichtungen revanchieren<br />

sich <strong>mit</strong> Räumen <strong>für</strong> Gemeindeveranstaltungen.<br />

(Was ihren Bewohner/innen die Anfahrt<br />

erspart und Leben ins Haus bringt)<br />

• Warum sollten die Pfleger/innen der Diakoniestation<br />

nicht den Besuchsdienst der Gemeinde<br />

ver<strong>mit</strong>teln?<br />

• Warum keine gemeinsamen Projekte entwickeln<br />

wie eine Handwerkergruppe <strong>für</strong><br />

Männer, einen Gesprächskreis <strong>für</strong> pflegende<br />

Angehörige, ein Biografie- oder Mehrgenerationenprojekt?<br />

• Und warum eigentlich nicht eine gemeinsame<br />

Fundraisinggruppe, die das Geld <strong>für</strong> die<br />

Ideen und Aktivitäten beschafft?<br />

Wenn aber doch…<br />

Lassen sich Gemeinden und Gemeinderegionen<br />

auf diesen Weg ein, brauchen sie Begleitung<br />

z.B. durch das Seniorenwerk ihres Kirchenkreises.<br />

Dieses hilft den Bestand an offener, ambulanter<br />

und teilstationärer Seniorenarbeit in der<br />

Gemeinde und den Grad der Zusammenarbeit zu<br />

eruieren und zu bewerten. Es unterstützt bei der<br />

Aufarbeitung von Störungen im Kontakt <strong>mit</strong> <strong>anderen</strong><br />

Anbietern. Es gibt Starthilfe <strong>für</strong> notwendige<br />

kooperative Gremien vor Ort. Hilfreich <strong>für</strong> den<br />

Prozess sind Erfahrungen aus bereits realisierten<br />

Projekten. Ideal sind „Runde Tische“, an denen<br />

sich Vernetzungsprojekte austauschen und gegenseitig<br />

beraten können oder Impulstage und<br />

Workshops, die den Vernetzungsgedanken thematisieren.<br />

Die Recherche von Quellen zur Anschubfinanzierung<br />

könnte ebenfalls eine Maßnahme<br />

des Kirchenkreises zur Unterstützung der<br />

Gemeinden sein.<br />

Fazit<br />

Wie sich Vernetzung konkret gestaltet,<br />

hängt von der Zusammensetzung der Vernetzungspartner/innen<br />

und deren Ressourcen ab.<br />

Kreativität und Ideenreichtum <strong>für</strong> gemeinsame<br />

Projekte sind gefragt, aber auch die Bereitschaft,<br />

Konflikte auszutragen und da<strong>mit</strong> zu einer verlässlichen<br />

und vertrauensvollen Zusammenarbeit<br />

zu gelangen. Mit Mut, Humor und Geduld<br />

aller Beteiligten lassen sich tragfähige Netze<br />

knüpfen.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

27


SENIORINNENARBEIT<br />

Das LotsenBüro<br />

Informationen <strong>für</strong> Angehörige demenzkranker Menschen<br />

UTE ZEIßLER<br />

Ute Zeißler, Diakonin und Dipl. Sozialpädagogin,<br />

koordiniert seit 2002 das regionale<br />

Projekt „Leben im <strong>Alter</strong>“. Eine<br />

Frucht dieses Projektes ist das LotsenBüro<br />

im Hamburger Westen. Seit 2009 ist sie<br />

<strong>mit</strong> einer weiteren 50%-Anstellung im<br />

Kirchenkreis Hamburg West / Südholstein<br />

<strong>für</strong> gemeinwesenorientierte Seniorenarbeit<br />

zuständig.<br />

Aufgabe des LotsenBüros<br />

Eine Demenz- bzw. Alzheimererkrankung<br />

stellt alle Betroffenen vor eine enorme Herausforderung.<br />

Viele Fragen stürzen auf die gesamte<br />

Familie ein, vieles muss geregelt, schwierige Entscheidungen<br />

getroffen werden. Pflegende Angehörige<br />

brauchen jetzt vor allem jemanden, der<br />

ihnen aufmerksam zuhört, dem sie ihre Fragen<br />

anvertrauen können und der ihre Sorgen und<br />

Ängste ernst nimmt und sie in ihren Ambiva-<br />

28 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

lenzen versteht.<br />

Um diesem Bedarf zu begegnen, hat das<br />

Projekt LEBEN IM ALTER seit dem 1. Juli 2005<br />

im Hamburger Westen eine neue Einrichtung<br />

aus der Taufe gehoben: Das LotsenBüro, eine<br />

Anlaufstelle <strong>für</strong> Angehörige demenzkranker<br />

Menschen.<br />

Neben Fragen zum Krankheitsbild und –<br />

verlauf, sowie zum Umgang <strong>mit</strong> den Erkrankten<br />

geht es in der Beratung vor allem um die Situation<br />

der pflegenden Angehörigen: Wie können<br />

diese unterstützt und entlastet werden und<br />

welche Angebote wie Tages- und Kurzzeitpflege,<br />

ambulante Besuchsdienste oder Betreuungsgruppen<br />

helfen in ihrer speziellen Situation?<br />

Manchmal kann die Angehörigengruppe<br />

des LotsenBüros eine adäquate Unterstützung<br />

bieten. Darüber hinaus ver<strong>mit</strong>teln die Berater/innen<br />

kompetente Hilfe bei medizinischen<br />

und rechtlichen Fragen.<br />

Ein zentrales Ziel des LotsenTeams ist es,<br />

Ratsuchenden zu helfen, die Vielzahl der<br />

Hilfsangebote zu sichten, die sich <strong>mit</strong>tlerweile<br />

in einer Großstadt wie Hamburg entwickelt haben.<br />

Gemeinsam wird ein möglicher Weg aufgezeichnet<br />

und die nächsten Schritte, die sie in<br />

ihrer Situation gehen könnten. Besonders die<br />

Angehörigen im Team, die selber davon betroffen<br />

sind, wissen aus eigener Erfahrung, wie<br />

wichtig es ist, sich rechtzeitig über Angebote<br />

zur Hilfe und Unterstützung zu informieren<br />

und diese auch in Anspruch zu nehmen.<br />

Das Team des LotsenBüros<br />

Zehn freiwillige Mitarbeiter/innen – alle zu<br />

Beginn ihrer Tätigkeit geschult und regelmäßig<br />

fortgebildet - bilden das LotsenTeam. Die sehr<br />

heterogene Gruppe besteht aus Angehörigen,<br />

aus Professionellen aus dem Pflegebereich, aber<br />

auch Menschen aus <strong>anderen</strong> Berufen, wie z.B.


Das LotesenBüro-Team<br />

ein pensionierter Vormundschaftsrichter, der die<br />

erste Anlaufstelle bei allen rechtlichen Fragen<br />

ist. Koordiniert und professionell begleitet wird<br />

das Ganze von der Sozial- und Gesundheitswissenschaftlerin<br />

Ingrid Kandt. Die Vernetzung in<br />

die Region garantiere ich über das Projekt LE-<br />

BEN IM ALTER. Wir beide sind auch <strong>für</strong> die Öffentlichkeitsarbeit<br />

und die Beschaffung finanzieller<br />

Mittel zuständig. Das Projekt finanziert sich<br />

zur Zeit aus Förder<strong>mit</strong>teln, Spenden und Kollekten.<br />

Das Angebot des LotsenBüros<br />

Jeden Freitagvor<strong>mit</strong>tag und jeden zweiten<br />

Dienstagnach<strong>mit</strong>tag stehen je zwei freiwillige<br />

Mitarbeiter/innen <strong>für</strong> telefonische und persönliche<br />

Gespräche bereit. Die Beratungsgespräche<br />

finden in einer geschützten Atmosphäre<br />

statt. Persönliche Informationen werden<br />

selbstverständlich vertraulich behandelt. Das<br />

Angebot berücksichtigt die Realität vielfältiger<br />

SENIORENARBEIT<br />

Betreuungssituationen. Häufig können Angehörige<br />

nur dann ungestört telefonieren,<br />

wenn der oder die Erkrankte <strong>mit</strong>tags schläft<br />

oder in einer Tagesbetreuung ist. Das Lotsenangebot<br />

reicht von einmaligen Tipps bis zur<br />

längerfristigen Begleitung. Neben vielfältigem<br />

Informationsmaterial, wie Faltblättern und<br />

Broschüren, verfügt das LotsenBüro über eine<br />

umfangreiche Adressdatei von Anbietern und<br />

Einrichtungen in und um Hamburg. Bei Bedarf<br />

kann auch der Kontakt zum Helfer/innenkreis<br />

der Diakoniestation Flottbek-Nienstedten<br />

gGmbh ver<strong>mit</strong>telt werden, einem häuslichen<br />

Besuchsdienst <strong>für</strong> Menschen <strong>mit</strong> Demenz. Diese<br />

Diakoniestation ist Mitglied im Projekt LE-<br />

BEN IM ALTER. Weiterhin erhalten Angehörige<br />

aktuelle Hinweise auf einschlägige Vorträge<br />

und Veranstaltungen. Mehrmals im Jahr führt<br />

das LotsenBüro selbst Veranstaltungen <strong>mit</strong><br />

namhaften Expert/innen zum Thema Demenz<br />

durch. Seit gut zwei Jahren bieten drei Mitglie-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

29


Veranstaltung des LotsenBüros<br />

der des Lotsenteams einen monatlichen Gesprächskreis<br />

<strong>für</strong> Angehörige an, der regen Zuspruch<br />

erfährt. Diese Selbsthilfegruppe bietet<br />

Austausch und Entlastung. Eine professionell<br />

angeleitete Coachinggruppe <strong>für</strong> Angehörige<br />

rundet das Angebot ab. Einmal im Jahr veranstaltet<br />

das Projekt LEBEN IM ALTER in Kooperation<br />

<strong>mit</strong> dem LotsenBüro einen Segnungsund<br />

Salbungsgottesdienst zur sonntäglichen<br />

Gottesdienstzeit <strong>für</strong> die Gemeinde und <strong>für</strong> Betroffene.<br />

Die Öffentlichkeitsarbeit des LotsenBüros<br />

Die Werbung läuft über Artikel in den Wochenblättern<br />

und <strong>anderen</strong> Printmedien, über die<br />

eigene Website www.lotsenbuero.de, aber auch<br />

über Auslagen in den ortsansässigen Apotheken,<br />

Bücherhallen und Arztpraxen. Das LotsenBüro<br />

ist bei vielen Veranstaltungen <strong>mit</strong> einem Infotisch<br />

und Ansprechpartner/innen vor Ort.<br />

Ein Höhepunkt war eine dreitägige Infoveranstaltung<br />

im Elbe-Einkaufszentrum, eine hervorragende<br />

Möglichkeit, niederschwellig über<br />

das Thema zu informieren und so unterschiedliche<br />

Angebote der Region gemeinsam an einen<br />

Infotisch zu holen.<br />

Feedback<br />

Mittlerweile ist das LotsenBüro eine anerkannte<br />

Institution im Hamburger Westen. Es lau-<br />

30 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

fen vielfältige Vernetzungen z.B. zur Hamburgischen<br />

Brücke oder zur Alzheimergesellschaft.<br />

Die stetig steigende Zahl der Ratsuchenden und<br />

der große Zulauf bei Veranstaltungen zeigen,<br />

dass es einen riesigen Informationsbedarf gibt<br />

und dass die Menschen beginnen, sich offen <strong>mit</strong><br />

dem Thema auseinanderzusetzen.<br />

Schlusswort<br />

Kirche muss diesem Bedarf entgegenkommen.<br />

Unser christliches Menschenbild gebietet<br />

uns gerade, die Angehörigen, die oft einer großen<br />

Belastung ausgesetzt sind, vor der drohenden<br />

Überforderung und Isolation zu bewahren und sie<br />

in die Gemeinschaft (zurück) zu holen.<br />

Das LotsenBüro ist ein „Produkt“ des Vernetzungsprojektes<br />

LEBEN IM ALTER. Die Akteur/innen<br />

aus Gemeinden und diakonischen<br />

Einrichtungen haben quasi ein „Drittes“<br />

geschaffen, von dem alle profitieren.<br />

Ingrid Kandt, Koordination. LotsenBüro:<br />

www.lotsenbuero.de<br />

Ute Zeißler. Koordination. LEBEN IM ALTER<br />

(Die Definition von „Angehörige“ ist sehr weit gefasst:<br />

es wenden sich auch Freund/innen, Nachbar/innen<br />

oder Mitarbeitende sozialer Einrichtungen<br />

und Kirchengemeinden ans Lotsen-<br />

Büro.)


Besuche – Unterbrechungen<br />

des Alltags<br />

Die leisen Kontakte gemeindlicher Besuchsdienste<br />

CLAUDIA PUTZ<br />

Claudia Putz ist Diplom-Psychologin. Seit<br />

2001 hat sie eine Teilzeitanstellung als<br />

„Referentin <strong>für</strong> Besuchsdienst“ im Gemeindedienst<br />

der Nordelbischen Kirche.<br />

In dieser Funktion berät und begleitet sie<br />

Kirchengemeinden bei der Gründung und<br />

Gestaltung von Besuchsdienstgruppen.<br />

Besuche unterbrechen unseren Alltag, unsere<br />

Routine. Das gilt <strong>für</strong> den Besucher und den<br />

Besuchten gleichermaßen. Der Alltag ist von<br />

Pflichten gefüllt, von Langeweile, vom Hobby.<br />

Dieser Alltag findet überall statt, zu Hause, im<br />

Krankenhaus, im Pflegeheim. Routine <strong>mit</strong> all<br />

ihren Facetten nimmt alle in ihren Bann, unabhängig,<br />

ob man jung oder alt ist, ob es die Arbeit<br />

ist, egal welchen Beruf man ausübt oder ob man<br />

im Ruhestand ist. Der Besuch ist eine Unterbrechung.<br />

Mindestens zwei Menschen treffen sich <strong>mit</strong><br />

ihren Geschichten, ihrem Lachen und ihren Sorgen.<br />

Sie erzählen sich, hören zu und denken<br />

nach - gemeinsam. Ob sie einen Moment vor der<br />

Tür stehen, im Wohnzimmer sitzen oder das<br />

Wichtigste erst zum Schluss auf der Schwelle gesagt<br />

wird, immer bleiben Gedanken, Gesprächsfetzen<br />

hängen, die im Alltag nachwirken. Wir alle<br />

kennen solche Begegnungen und manchmal<br />

kommt uns ein Besuch auch gar nicht gelegen<br />

und erst viel später entwickelt sich der Gewinn.<br />

Viele Gemeindeglieder besuchen <strong>mit</strong> guten<br />

persönlichen Erfahrungen Gemeindeglieder. Sie<br />

organisieren einen Besuchsdienst. Ehren- und<br />

Hauptamtliche entwickeln einen Stil, der zu ihnen<br />

und ihrer Gemeinde passt. So haben viele<br />

Gemeinden einen Besuchsdienst, der Gemein-<br />

SENIORENARBEIT<br />

deglieder z.B. zu hohen Geburtstagen persönliche<br />

Glück- und Segenswünsche überbringt. Oder<br />

sie besuchen Menschen in Pflegeeinrichtungen<br />

oder Wohnanlagen <strong>für</strong> Senioren. Dieser Personenkreis<br />

ist darauf angewiesen, dass ihnen der<br />

Alltag unterbrochen wird. Ihre eigene Mobilität<br />

ist häufig sehr eingeschränkt. Die Gründe da<strong>für</strong><br />

können sehr unterschiedlicher Natur sein. Es<br />

gibt also gute Gründe, gerade diese Menschen zu<br />

besuchen. Und ein Geburtstag ist ein willkommener<br />

Anlass.<br />

Besuchsdienste arbeiten leise. Sie haben selten<br />

große Presse, weil sie auf die Privatsphäre<br />

der Besuchten achten und schweigen. Der Charme<br />

der Besuche ist die Privatheit. Die Besuchten<br />

freuen sich über die Glück- und Segenswünsche.<br />

Sie freuen sich, dass an sie gedacht wird. Die Besucher<br />

der Kirche sind manchmal die einzigen<br />

Gäste. Sie sprechen über Vergangenes oder ma-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

31


SENIORINNENARBEIT<br />

Du sollst dich unterbrechen lassen - du wirst unterbrochen<br />

Besuche - unterbrechen dich und <strong>mich</strong><br />

Besuche - bringen Freude - füllen Leere; entdecken Sehnsüchte<br />

Besuche - pflegen Erinnerungen; fühlen Sorgen; wecken Hoffnungen<br />

Besuche - sind wie Schneeflocken leise, lösen Lawinen aus, leise, legen Verborgenes<br />

frei<br />

Gott - rechnet <strong>mit</strong> unserem Besuch, bei unserem Nachbar, bei uns selbst<br />

bei Gott - überall<br />

(Gedanken aus der Besuchsdienstarbeit, entstanden aus Fortbildungen<br />

und Beratungen und inspiriert von Dorothee Sölle´s „Unterbrechung“)<br />

chen sich einfach mal Luft über den Kummer,<br />

den sie <strong>mit</strong> Gott und der Welt haben. Es kann<br />

aber auch eine Gelegenheit sein, dass sich der<br />

Besuchte traut, unter vier Augen seine Bedürftigkeit<br />

oder seine Einsamkeit einzugestehen.<br />

Dieses fällt wenigen leicht. Hinter Klagen über<br />

große und kleine Kümmernisse verstecken sich<br />

häufig viele Gefühle. Ein Besuch kann auch die<br />

Möglichkeit eröffnen, auf bestehende (Hilfs- und<br />

Unterstützungs-)Angebote hinzuweisen, die es<br />

in der Gemeinde oder vom diakonischen Dienst<br />

gibt.<br />

Mitarbeitende der Besuchsdienste treffen<br />

auf Gemeindeglieder, deren persönliche Einbindung<br />

sehr unterschiedlich ist. Sie treffen die pflegenden<br />

Angehörigen, den Depressiven, den Arbeitslosen<br />

ebenso wie die Ruheständlerin. Manche<br />

besuchen regelmäßig Gottesdienste und Veranstaltungen,<br />

<strong>für</strong> andere sind die Besuche der<br />

Gemeinde der erste oder der einzig regelmäßige<br />

Kontakt dorthin. Trotz aller Verschwiegenheit<br />

haben sie Ohren und Augen <strong>für</strong> die Gemeinde<br />

und werden, wenn es gewünscht und angemessen<br />

ist, Anwalt <strong>für</strong> bestimmte Anliegen sein.<br />

Die Kontakte in die Gemeinde können einen<br />

32 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

wichtigen Beitrag zur Gemeindegestaltung leisten,<br />

denn es werden Bedarf und Bedürfnisse<br />

ebenso entdeckt wie Gaben und Ressourcen von<br />

Menschen. Aus Namen in Gemeindegliederlisten<br />

werden Gesichter. Unterstützer, Mitmacher werden<br />

gefunden <strong>für</strong> das Seniorencafé, ebenso wie<br />

<strong>für</strong> generationsübergreifende Ideen, wie Vorlesen<br />

im Kindergarten. Aus den Beobachtungen<br />

können Ideen entwickelt werden, die vom Senioren<strong>mit</strong>tagstisch<br />

über Fahrdienste bis zur Barrierefreiheit<br />

reichen. Um diese behutsamen und<br />

kreativen Impulse <strong>für</strong> die Menschen und <strong>für</strong> die<br />

Gemeinde entwickeln zu können, ist es wichtig,<br />

sich einander im Besuchsdienstkreis zu informieren.<br />

Ebenso werden Wissen und Kompetenzen<br />

innerhalb eines Besuchsdienstes gefördert<br />

und durch externe Angebote ergänzt. Mut, Verlässlichkeit,<br />

Verschwiegenheit und Reflexionsbereitschaft<br />

sind wichtige Voraussetzungen <strong>für</strong><br />

Mitmachende. Etwas Zeit <strong>für</strong> die Besuche und<br />

<strong>für</strong> die Treffen untereinander, gehört selbstverständlich<br />

dazu. Die Zeit, die die Besuchenden<br />

spenden, entscheiden sie selber.<br />

Bei den Treffen ist Organisatorisches ebenso<br />

wichtig wie Fragen zu Gemeinde, zu Gesprächsführung<br />

oder Information zu Demenzerkrankun-


gen. Auch Glaubensfragen und –erfahrungen haben<br />

hier ihren Raum. Sich <strong>mit</strong>einander vergewissern,<br />

Grenzen entdecken, neue Worte finden,<br />

einander zuhören - all das bereitet <strong>mit</strong> einer gewissen<br />

Leichtigkeit auf die anstehenden Besuche<br />

vor.<br />

Die Einbindung des Besuchsdienstkreises in<br />

das Gemeindeleben fördert das Verknüpfen von<br />

Ideen, Angeboten und Möglichkeiten. Besuchsdienste<br />

als Teil der Gemeinde liegen in der Verantwortung<br />

des Kirchenvorstandes. Personelle<br />

und finanzielle Ressourcen sollten vorhanden<br />

sein. Das heißt aber nicht, dass diese Aufgabe<br />

automatisch von einer Pastorin oder einem Pastor<br />

übernommen werden muss. Häufig werden<br />

Besuchsdienste von Ehrenamtlichen <strong>mit</strong> entsprechender<br />

Unterstützung und Fortbildung geleitet.<br />

Lohnt sich ein Besuchsdienst oder ist das<br />

nur noch mehr Arbeit? Fragt man Gemeindeglie-<br />

SENIORENARBEIT<br />

der oder Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher,<br />

warum sie der Kirche verbunden sind, so<br />

waren es häufig Begegnungen - zufällig oder geplant<br />

–, die sie persönlich angerührt haben und<br />

in die Gemeinde führten. So wünschen sich viele<br />

Gemeindeglieder Kontakt zur Kirche ohne<br />

selbst den Mut zu haben, den ersten Schritt zu<br />

tun. Angehörige von Besuchten erzählen von der<br />

Freude, die ihr Verwandter einen Moment hatte.<br />

Oft lesen sie selber die Hefte, die dem Jubilar geschenkt<br />

wurden. Sie kommen leise in Kontakt zu<br />

Kirche.<br />

Ein Besuch hinterlässt Spuren. Die Menschen<br />

nehmen sich wahr. Die Vielfalt der Gemeinde<br />

wird sichtbar. Das Priestertum aller Getauften<br />

wird erlebbar und spürbar. So sind Besuche<br />

eine behutsame Form der Gemeindegestaltung.<br />

Voneinander lernen, <strong>mit</strong>einander sprechen,<br />

<strong>mit</strong>einander schweigen– sprachfähig werden<br />

im Glauben.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Anzeige<br />

33


SENIORINNENARBEIT<br />

Tandem-Seniorenbegleitung<br />

Ein erfolgreicher Baustein in der SeniorInnenarbeit<br />

STEFAN MÄRZ<br />

Stefan März ist Diplomtheologe. Er ist<br />

tätig im Bereich Seniorenarbeit des Diakonischen<br />

Werkes des Kirchenkreises Altholstein<br />

in Neumünster.<br />

Im April 2005 startete in Neumünster der erste<br />

„Tandem – Seniorenbegleitungskurs“. Seitdem<br />

wurden von der Westküste bis zur Holsteinischen<br />

Schweiz, von Angeln bis ins Lauenburgische<br />

meist unter dem Dach kirchlicher Träger<br />

mindestens 800 Menschen zu ehrenamtlichen<br />

Seniorenbegleitern ausgebildet.<br />

Welche Erfahrungen wurden seit der Durchführung<br />

der ersten Kurse gemacht? Als jemand,<br />

der seit 2005 auf dem Gebiet des alten Kirchenkreises<br />

Neumünster (heute Kirchenkreis Altholstein)<br />

im Auftrag der Diakonie insgesamt sieben<br />

Seniorenbegleitungskurse an den Standorten<br />

Neumünster, Kaltenkirchen, Bordesholm sowie<br />

Bad Bramstedt durchgeführt und der darüber<br />

hinaus auch die überregionalen Entwicklungen<br />

im Blick hat, möchte ich die Leserinnen und Leser<br />

gern ein wenig hineinnehmen in meine Erfahrungen,<br />

die ich in den letzten Jahren <strong>mit</strong> diesem<br />

– wie ich finde - außergewöhnlichen Ehrenamtsprojekt<br />

gesammelt habe.<br />

Ältere Menschen in ihrem Wunsch nach<br />

Selbständigkeit zu unterstützen<br />

Tandem-Seniorenbegleitung zielt darauf ab,<br />

die immer größer werdende Zahl von älteren<br />

Menschen in ihrem Wunsch nach selbständigem<br />

Leben in vertrauter Umgebung zu unterstützen.<br />

Im Gegensatz zu traditionellen Besuchsdiensten<br />

ermuntern und motivieren Seniorenbegleiter ältere<br />

Menschen auch zu selbständigen Aktivitäten<br />

des Alltags und bei der Pflege von sozialen<br />

Kontakten. Sie sind informiert über Beratungsstellen<br />

und Hilfsangebote vor Ort und ver<strong>mit</strong>teln<br />

in vielen Fällen auch praktische Unterstützungsleistungen.<br />

Dementsprechend weit inhaltlich ge-<br />

34 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

fächert ist das Ausbildungskonzept, das vom<br />

Diakonischen Werk Schleswig-Holstein einheitlich<br />

entwickelt wurde (www.tandem-seniorenbegleitung.de).<br />

Die Qualifizierung umfasst 96<br />

theoretische Unterrichtsstunden zu Themen wie<br />

Biografiearbeit, Gesprächsführung, den Umgang<br />

<strong>mit</strong> <strong>Alter</strong>skrankheiten wie Demenz sowie eine<br />

Einführung in rechtliche Fragen, die <strong>für</strong> SeniorenInnen<br />

von Belang sind. Zudem gehört zum Kurskonzept<br />

auch eine Praxisphase (24 Stunden), in<br />

der die Seniorenbegleiter vielfältige Erfahrungen<br />

im Umgang <strong>mit</strong> älteren Menschen sowohl auf<br />

privater Ebene als auch in Institutionen der Altenarbeit<br />

sammeln sollen.<br />

Das Kurskonzept hat sich bewährt<br />

Wie ein roter Faden zieht sich durch die letzten<br />

Jahre eine positive Resonanz im Blick auf das<br />

Kurskonzept, dessen Inhalte und die Ver<strong>mit</strong>tlung.<br />

Die Teilnehmenden der Seniorenbegleitungskurse<br />

haben immer wieder zurückgemeldet,<br />

dass dieser Kurs von seiner Konzeption her<br />

genau richtig und eine adäquate Vorbereitung


<strong>für</strong> die Übernahme einer Begleitung eines älteren<br />

Menschen war. Viele wichtige Themen, unterschiedliche<br />

Fachdozentinnen und –dozenten aus<br />

den Bereichen Pädagogik, Medizin, Psychologie,<br />

Theologie sowie Vertreter von unterschiedlichsten<br />

Institutionen und Verbänden, die in den<br />

Kurs <strong>mit</strong> einbezogen waren, haben den Kurs zu<br />

einem echten persönlichen Gewinn gemacht. Interessant<br />

und spannend waren auch immer wieder<br />

Aussagen, dass man den Seniorenbegleitungskurs<br />

aufgrund seiner Lernatmosphäre, seiner<br />

Methodik und bestimmter Inhalte als ein besonderes<br />

kirchliches Bildungsangebot wahrgenommen<br />

hat. Für weit über 2/3 der Teilnehmenden<br />

war der Seniorenbegleitungskurs gleichzeitig<br />

der erste längere Kontakt <strong>mit</strong> einer kirchlichen<br />

Einrichtung. <strong>Ich</strong> bin immer wieder überrascht<br />

gewesen wie wohltuend die uns im kirchlichen<br />

Rahmen vertrauten Rituale wie Segenswünsche<br />

und besinnliche Texte, von den mehrheitlich<br />

kirchlich distanzierten Kursteilnehmenden<br />

aufgenommen wurden. Ja, wie sogar durch<br />

die Einbindung von Pastorinnen und Pastoren an<br />

einigen Punkten seelsorgerliche Kontakte entstanden<br />

sind. Ein interessanter Nebenaspekt, der<br />

sich durch das Kurskonzept ergeben hat. Festzuhalten<br />

bleibt, dass der Kurs Menschen motiviert<br />

hat, sich ehrenamtlich zu engagieren und dass<br />

der relativ lange Zeitraum der Qualifizierungsmaßnahme<br />

(ca. 4 Monate) <strong>mit</strong> seinen vielen Terminen<br />

nicht abgeschreckt hat, am Kurs teilzunehmen.<br />

Eine „andere“ Gruppe von Ehrenamtlichen<br />

wird durch die Seniorenbegleitungskurse<br />

erreicht<br />

Als dieses Ehrenamtlichenprojekt startete,<br />

hatte man als mögliche Zielgruppe Menschen<br />

aus der nachberuflichen Phase (Jungseniorinnen<br />

und -senioren) oder aber auch Frauen, deren<br />

Kinder aus dem Haus sind, im Blick. Und natürlich<br />

wollte man möglichst Personen ganz neu <strong>für</strong><br />

das Ehrenamt gewinnen.<br />

Wie hat es sich aber dann entwickelt?<br />

Zunächst einmal ist eine deutliche Verjüngung<br />

der Teilnehmenden festzustellen. War es in den<br />

ersten beiden Jahren tatsächlich noch<br />

hauptsächlich die Gruppe im <strong>Alter</strong> zwischen Anfang<br />

50 bis Mitte 60, die die Kurse belegten, so<br />

ist jetzt eine <strong>Alter</strong>sspanne zwischen Anfang 30<br />

SENIORENARBEIT<br />

bis Ende 60 festzustellen, wobei die meisten Teilnehmenden<br />

um die Mitte 40 sind. Das hat sicherlich<br />

auch da<strong>mit</strong> zu tun, dass die Zahl derjenigen<br />

gestiegen ist, die <strong>mit</strong> dem Tandem-Seniorenbegleitungskurs<br />

die Hoffnung verbinden, einen<br />

beruflichen Weg in Richtung Seniorenarbeit<br />

außerhalb der Pflege einzuschlagen. Frauen sind<br />

– das wird nicht überraschen – deutlich überrepräsentiert.<br />

Trotzdem ist auch die Gruppe der<br />

Männer über die Jahre hinweg ein wenig angestiegen.<br />

Auffallend ist, dass sehr viele der Teilnehmenden<br />

sich erstmalig <strong>für</strong> SeniorInnen engagieren<br />

wollen. Die Absicht, vielleicht auch den einen<br />

oder <strong>anderen</strong> aus den vielen Besuchsdienstgruppen<br />

von Kirchengemeinden zu einer Kursteilnahme<br />

gewinnen zu können, kam nicht zum<br />

Tragen. Der Grund da<strong>für</strong> ist, dass diese Zielgruppe<br />

die Kurse häufig als zu umfangreich empfand,<br />

und ihr Engagement an anderer Stelle<br />

schon gebunden war.<br />

Umso mehr sprechen die Kurse der Tandem-<br />

Seniorenbegleitung eine andere Gruppe von Ehrenamtlichen<br />

an. Es sind Menschen aus den verschiedensten<br />

sozialen Schichten, die lernbegierig<br />

sind, die <strong>mit</strong>einander eint, dass sie relativ trägerunabhängig<br />

denken und sich nicht unbedingt<br />

dem Träger der Qualifizierung verpflichtet<br />

fühlen, die auf der <strong>anderen</strong> Seite aber, wenn der<br />

Träger gute Rahmenbedingungen <strong>für</strong> ein ehrenamtliches<br />

Engagement schafft, durchaus bereit<br />

sind, sich <strong>mit</strong> ihrer Zeit, Kreativität und Verbindlichkeit<br />

einzubringen. Um das <strong>mit</strong> zwei Beispielen<br />

zu belegen: In Kiel hat der Träger der<br />

Tandem-Seniorenbegleitungskurse Ehrenamtlichen<br />

Büroräume zur Verfügung gestellt, in denen<br />

ein festes ehrenamtliches Büroteam Anfragen<br />

von interessierten Senioren oder Angehörigen<br />

nach Seniorenbegleitern entgegen nimmt und<br />

Seniorenbegleitungen ver<strong>mit</strong>telt. Das Büroteam<br />

engagiert sich <strong>mit</strong> einem hohen persönlichen<br />

Einsatz (regelmäßige Sprechzeiten, Erstbesuche<br />

bei Senioren etc.) <strong>für</strong> „Tandem-Seniorenbegleitung“.<br />

In Bad Segeberg haben ausgebildete Seniorenbegleiter<br />

einen „Cáfedienst“ an einem festen<br />

Wochentag in einem Cáfe der Diakonie übernommen,<br />

da<strong>mit</strong> Senioren und Seniorenbegleiterinnen<br />

sich in entspannter Atmosphäre treffen<br />

oder neu finden können. Das ist eine Erfahrung,<br />

die ich durch zahlreiche weitere Bespiele bele-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

35


SENIORINNENARBEIT<br />

Sternenfest der Altenarbeit in Husum<br />

gen könnte. Die Kurse motivieren ganz viele<br />

Menschen, sich neu in einem ehrenamtlichen<br />

Feld zu engagieren und sich dabei auf vielfältige<br />

Art und Weise <strong>für</strong> Senioren einzusetzen. Besuche,<br />

Spaziergänge, gemeinsame Ausflüge, Hilfen<br />

bei Behördengängen, Ver<strong>mit</strong>tlung von Unterstützungsleistungen<br />

- Seniorenbegleitung hat viele<br />

Gesichter. Und vor allem ist es ein gegenseitiges<br />

Geben und Nehmen!<br />

Seniorenbegleitung zwischen Anspruch<br />

und Wirklichkeit<br />

Die Tandem-Seniorenbegleitungskurse sind<br />

zweifellos erfolgreich. Weit mehr als die Hälfte<br />

der Kursteilnehmenden engagieren sich un<strong>mit</strong>telbar<br />

nach Abschluss des Kurses und so sind<br />

über die Jahre viele oft lang andauernde Seniorenbegleitungen<br />

entstanden. Allerdings: Die<br />

Hoffnung oder Erwartung, alle ausgebildeten Seniorenbegleiter<br />

würden nach dem Kurs aktiv<br />

werden und sich in die Strukturen des Kursträ-<br />

36 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

gers einbinden lassen, hat sich nicht erfüllt. Die<br />

Gründe da<strong>für</strong> sind vielschichtig und regional<br />

auch ganz unterschiedlich. Die Träger fordern<br />

nicht, dass die Teilnehmenden sich un<strong>mit</strong>telbar<br />

nach Abschluss des Kurses engagieren müssen.<br />

Verbindlich ist ausschließlich die regelmäßige<br />

Teilnahme an den Kurseinheiten. Eine Reihe von<br />

Kursteilnehmenden wird aus persönlichen Gründen<br />

nicht aktiv, andere verwenden das Kurswissen<br />

<strong>für</strong> die Pflege eigener Angehöriger. Wieder<br />

andere verbinden <strong>mit</strong> dem Kurs die Hoffnung auf<br />

einen Arbeitsplatz. Ebenso aber kommt es auch<br />

vor, dass Menschen, die im Kurs ausgebildet<br />

wurden, sich nach zeitlichem Abstand dann<br />

doch engagiert haben. Es hat sich sehr bewährt<br />

den Kontakt zu halten. Förderlich da<strong>für</strong> sind gewiss<br />

die regelmäßigen Austauschtreffen der ausgebildeten<br />

Seniorenbegleiter <strong>mit</strong> Fortbildungsthemen<br />

und Möglichkeiten der Supervision,<br />

zu denen ich ausdrücklich immer alle Kursabsolventen<br />

(auch die gerade nicht aktiven) vor


Ort einlade. Diese Kontaktpflege und das Signal<br />

einer immer offenen Tür hat zu einer erstaunlich<br />

hohen inneren Verbundenheit der ehemaligen<br />

Kursteilnehmer <strong>mit</strong> den Nachbegleitungsgruppen<br />

und zu einer erfreulichen Verbindlichkeit geführt.<br />

Um dazu ein aktuelles Beispiel zu nennen:<br />

Von den derzeit knapp 50 aktiven Seniorenbegleitern<br />

am Standort Neumünster kamen Anfang<br />

November 21 zu einem Erfahrungsaustausch,<br />

dazu erhielt ich noch 16 aus unterschiedlichen<br />

Gründen persönliche Abmeldungen <strong>für</strong> den Termin.<br />

Nur von 13 Seniorenbegleitern habe ich anlässlich<br />

des Treffens nicht gehört. Auch bei denen,<br />

die durch den Kurs einen beruflichen Neueinstieg<br />

anstreben, habe ich durchaus positive<br />

Erfahrungen gemacht: Eine Reihe von ihnen<br />

wird als gut qualifizierte Mitarbeitende in bezahlten<br />

Arbeitsbereichen der Diakonie tätig,<br />

oder bilden sich z.B. <strong>für</strong> die Unterstützung von<br />

demenzerkrankten Menschen fort. Was auch<br />

nicht zu erzwingen ist, ist, dass sich die Ehrenamtlichen<br />

dazu verpflichten lassen, bei einem<br />

festen „Träger“ – z.B. dem Träger des Kurses –<br />

tätig zu werden. Inwieweit das gelingt, hängt immer<br />

auch von den Rahmenbedingungen ab, die<br />

die Träger schaffen.<br />

Ehrenamtliches Engagement braucht<br />

hauptamtliche Unterstützung<br />

Das ist eine alte Binsenweisheit, die aber<br />

auch gerade wieder bei den Tandem-Seniorenbegleitungskursen<br />

als wichtige Erfahrung gilt: Ehrenamtlichkeit<br />

braucht Hauptamtlichkeit! Wer<br />

ehrenamtliches Engagement will, Ehrenamtliche<br />

motivieren, wertschätzen, in ihren Bedürfnissen<br />

unterstützen will, der braucht eine hauptamtliche<br />

Kraft, die diese Aufgaben ausführen kann. Es<br />

geht nicht darum, dass ehrenamtliche Seniorenbegleiter<br />

nicht auch vieles selbst in die Hand<br />

nehmen können, aber wenn z.B. Diakonie-Stationen<br />

Kontakte zu älteren Menschen ver<strong>mit</strong>teln<br />

sollen, dann braucht das eine personelle Kapazität,<br />

einen Ansprechpartner, der über den Kurs<br />

und die Teilnehmenden Bescheid weiß, der Kontakte<br />

ver<strong>mit</strong>teln kann, der auch Zeit hat <strong>für</strong> Fragen<br />

und Sorgen der aktiven Seniorenbegleiter.<br />

Wenn Seniorenbegleitung nicht nur ein kurzes<br />

Strohfeuer sein soll, ein „Heißmachen“ auf ein<br />

besonderes Betätigungsfeld, dann braucht es einen<br />

Hauptamtlichen, der die Supervision leitet,<br />

SENIORENARBEIT<br />

Fortbildung organisiert und eine gute Anerkennungskultur<br />

pflegt. Wenn das geschieht, dann ist<br />

ein guter Grundstein <strong>für</strong> eine Verstetigung dieser<br />

wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe gelegt.<br />

Werden aber die Ehrenamtlichen sich selbst<br />

überlassen, so tragen „Tandem-Seniorenbegleitungskurse“<br />

leider oft keine langfristigen Früchte<br />

und viele anfangs engagierte Seniorenbegleiter<br />

und -begleiterinnen ziehen sich zurück. Von<br />

daher sind alle Anbieter von Seniorenbegleitungskursen<br />

gefordert, ein gut durchdachtes<br />

Konzept über die Begleitung und Verstetigung<br />

der Seniorenbegleitungsarbeit zu machen. Vernachlässigt<br />

man diesen Aspekt, so verpufft leider<br />

vieles, was so erfreulich begonnen hat.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Anzeige<br />

37


SENIORINNENARBEIT<br />

Biografiewerkstatt<br />

als eine Form generationenübergreifender<br />

SeniorInnenarbeit<br />

FRIEDERIKE WAACK<br />

Friederike Waack ist Projektpastorin <strong>für</strong><br />

„Innovative SeniorInnenarbeit“ <strong>mit</strong> der<br />

Generation 55+ im Kirchenkreis Hamburg-Ost<br />

/ Region Farmsen-Berne.<br />

Projekt Biografiewerkstatt<br />

Biografiewerkstatt - Lebensringe sichtbar machen”<br />

ist der Titel eines Projektes, das in den<br />

letzten 5 Jahren in der Gemeinde Farmsen-Berne<br />

entwickelt und aufgebaut wurde. Anders als bei<br />

herkömmlicher Biografiearbeit, bei der die Beschäftigung<br />

<strong>mit</strong> der eigenen Lebensgeschichte<br />

und der Austausch darüber im Vordergrund<br />

steht, geht es in diesem Projekt inhaltlich darum,<br />

dass Frauen und Männer der Generation +/- 55<br />

ältere Menschen nach ihren Lebensgeschichten<br />

befragen, diese aufschreiben und veröffentlichen.<br />

Ziele des Projektes<br />

Das wichtigste Ziel ist die Würdigung des<br />

einzelnen Menschen und seines Lebens. Dabei<br />

steht der Dialog zwischen den Generationen im<br />

Vordergrund. Die Ehrenamtlichen können <strong>mit</strong><br />

ihren Ideen und Kompetenzen das Projekt verantwortlich<br />

<strong>mit</strong>gestalten. Menschen, die der Kirche<br />

distanziert gegenüber stehen, werden durch<br />

das Projekt <strong>für</strong> „kirchliche“ Arbeit gewonnen.<br />

Wie alles anfing<br />

Nach Werbung im Gemeindebrief, der Homepage<br />

und örtlichen Wochenblättern fanden<br />

sich vor 5 Jahren zwölf Frauen und Männer im<br />

<strong>Alter</strong> zwischen 22 und 74 Jahren zusammen. In<br />

einer Schulung wurden sie auf ihre Aufgaben<br />

vorbereitet, sich auf einen älteren, zumeist fremden<br />

Menschen einzulassen, ein Interview zu<br />

führen und das Gehörte aufzuschreiben. Weitere<br />

38 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Bestandteile dieser Vorbereitung waren die Beschäftigung<br />

<strong>mit</strong> der eigenen Biografie und das<br />

Erlernen von seelsorgerlichen Kompetenzen wie<br />

Gesprächsführung und der Umgang <strong>mit</strong> Trauer.<br />

Die Phase der daran anschließenden Interviews<br />

<strong>mit</strong> SeniorInnen wurde als Bereicherung durch<br />

gelungene menschliche Begegnungen erlebt. In<br />

14-tägigen Treffen tauschten die InterviewerInnen<br />

ihre Erfahrungen aus und suchten nach Wegen,<br />

das Gehörte authentisch zu Papier zu bringen.<br />

Im Laufe dieser gemeinsamen Arbeit wuchs<br />

die Gruppe mehr und mehr zusammen. Alle<br />

brachten Erfahrungen ihres persönlichen und<br />

beruflichen Lebens <strong>mit</strong> ein. Besonders spannend<br />

war der lebendige Austausch zwischen den Generationen<br />

über die Eigenheiten und Besonderheiten<br />

der jeweiligen Zeit. Auf diese Weise wurde<br />

sehr persönlich und intensiv an der Entstehung<br />

des ersten Buches „Lebensringe sichtbar<br />

machen“ gearbeitet.


Die Entwicklung bis heute<br />

Nach der Präsentation dieses Buches wurde<br />

es in vielen Lesungen einem größeren Publikum<br />

bekannt gemacht - bis heute fanden insgesamt<br />

30 Lesungen statt. Parallel zu den Lesungen wurde<br />

eine weitere Gruppe InterviewerInnen geworben<br />

und geschult. Neue Interviews <strong>für</strong> das zweite<br />

Buch „Spuren des Lebens“ wurden geführt,<br />

geschrieben, redigiert und „layoutet“. Während<br />

dieser Zeit fand neben der eigentlichen Aufgabe<br />

der Interviews eine Spezialisierung der Mitarbeitenden<br />

der Biografiewerkstatt in verschiedene<br />

Gruppen (Redaktion, Layout, Öffentlichkeitsarbeit)<br />

statt. Außerdem entstand ein Leitungsteam,<br />

das bis heute <strong>für</strong> die Planung und Organisation<br />

der bereits bestehenden Aufgaben sowie <strong>für</strong> die<br />

Überlegung und Durchführung neuer Projekte<br />

der Biografiewerkstatt zuständig ist – wie z.B. im<br />

KonfirmandInnenunterricht und in der Erstellung<br />

eines Handbuches. Eine weitere Gruppe bereitet<br />

in regelmäßigen Abständen Biografiegottesdienste<br />

und Erzählcafés zu unterschiedlichen<br />

Themen vor. Einmal im Monat treffen sich alle<br />

Mitarbeitenden der Biografiewerkstatt, um wichtige<br />

Fragen gemeinsam zu besprechen und den<br />

Kontakt zueinander nicht zu verlieren. Darüber<br />

hinaus läuft zurzeit die Schulung einer neuen<br />

Gruppe.<br />

Wie kommt das Projekt den Beteiligten<br />

zugute?<br />

Das Eigentliche der Arbeit der Biografiewerkstatt<br />

ist der Weg der Entstehung der Bücher<br />

• beglückende Begegnungen und die guten Erfahrungen,<br />

die <strong>mit</strong>einander gemacht werden:<br />

• Bei den InterviewerInnen: Das Erleben einer<br />

willkommenen Aufnahme durch die Interviewten<br />

und das geschenkte Vertrauen.<br />

• Bei den Interviewten: Das Erleben von Anteilnahme<br />

und das, was bei den Interviews in<br />

Gang gesetzt wird (z.B. Bewältigung, Aussöhnung,<br />

Befreiung).<br />

• Bei beiden Beteiligten: Die Kommunikation<br />

der Generationen untereinander <strong>mit</strong> der Offenheit<br />

von beiden Seiten, sich auf Neues<br />

einzulassen und das Erleben, dass es da<strong>für</strong> in<br />

den Interviews einen geschützten Raum gibt.<br />

SENIORENARBEIT<br />

Im Zentrum steht <strong>für</strong> die InterviewerInnen<br />

die Erkenntnis, dass jedes Leben einzigartig und<br />

wertvoll ist. Besonders beeindruckt und bewegt<br />

sind alle von dem großen Vertrauen, das ihnen<br />

in den Gesprächen entgegengebracht wird. Dieses<br />

trägt dazu bei, dass sich alle <strong>mit</strong> viel Einsatz<br />

und großem Zeitaufwand an dem Projekt beteiligen.<br />

Ansporn dabei sind die Möglichkeit der Erweiterung<br />

des eigenen Erfahrungsschatzes sowie<br />

das Erwerben, Einbringen und Erweitern der<br />

eigenen Kompetenzen. Weitere wichtige Erfahrungen<br />

sind das Entwickeln von Toleranz gegenüber<br />

politisch Andersdenkenden und die<br />

Dankbarkeit <strong>für</strong> die Vorzüge unserer Zeit, trotz<br />

aller wirtschaftlichen und sozialen Schwierigkeiten.<br />

Seelsorgerliche Aspekte<br />

Die Interviewten fühlen sich geehrt, dass<br />

sich Außenstehende <strong>für</strong> ihr Leben interessieren.<br />

Es tut ihnen gut, aus der Vergangenheit zu erzählen,<br />

auch wenn vorher Ängste bestehen, es<br />

könnte zu viel Trauriges aufgewühlt werden. Im<br />

Nachhinein wird so manches Erlebnis dem Vergessen<br />

entrungen, neu erlebt, <strong>mit</strong> der Distanz<br />

der Jahre betrachtet und so bewältigt. Immer<br />

wieder werden durch das Erzählen, das Ordnen<br />

und Sortieren der Erinnerungen die Zusammenhänge<br />

und Abhängigkeiten deutlicher und die<br />

unterschiedlichen Fäden sichtbar, die sich <strong>mit</strong>einander<br />

verwoben haben. Alte Fäden werden<br />

entdeckt und entwirrt, Fadenenden wieder aufgenommen<br />

und neu angeknüpft, ein roter Faden<br />

gesucht und oft gefunden. Der intensive Rückblick<br />

auf vergangene Zeiten kann am Ende zu einer<br />

Aussöhnung <strong>mit</strong> dem eigenen Schicksal<br />

führen. Auch Stolz auf das eigene Leben und die<br />

Weise, wie es bewältigt werden konnte, wird entwickelt.<br />

Die Kontakte und Beziehungen innerhalb<br />

der Familien und im Freundeskreis erfahren<br />

eine Belebung, da Gespräche und Besuche durch<br />

die Beschäftigung <strong>mit</strong> der eigenen Lebensgeschichte<br />

angeregt werden.<br />

Fazit<br />

Aus kleinen Anfängen hat sich die Biografiewerkstatt<br />

<strong>mit</strong>tlerweile zu einem neuen Arbeitsbereich<br />

der Gemeinde Farmsen-Berne als<br />

neue Form generationsübergreifender SeniorInnenarbeit<br />

entwickelt. Ein Bestandteil dieser<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

39


SENIORINNENARBEIT<br />

Interviewerin Erika Burger fragt Frida Roß (100, s. Foto) am Ende des Präsentationsabends zum<br />

Buch „Spuren des Lebens“, was diese ganze Arbeit <strong>für</strong> sie bedeutet und ausgelöst hat. Ihre Antwort<br />

besteht zunächst nur aus einem Wort: „Befreiung“. Nach einer kleinen Pause fährt sie fort:<br />

„Es ist befreiend <strong>für</strong> <strong>mich</strong>, alles was ich in meinem hundertjährigen Leben erlebt habe, einmal zu<br />

erzählen. Nun steht es da schwarz auf weiß und meine Nachkommen können es nachlesen, wenn<br />

ich nicht mehr bin.“<br />

Werkstattarbeit ist eine andere Form des Besuchsdienstes<br />

<strong>mit</strong> klaren Absprachen und<br />

Grenzsetzungen, die Raum <strong>für</strong> seelsorgerliche<br />

Erfahrungen entstehen lässt.<br />

40 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Die Bücher „Lebensringe sichtbar machen“<br />

(2006) und „Spuren des Lebens“ (2008) sind<br />

zu beziehen über Telefon 040 / 643 81 81 oder<br />

Email f.waack@macbay.de. Weitere Informationen:<br />

www.kirche-in-farbe.de


Vor dem Meister kommt<br />

die Übung<br />

Handykurse von Schüler/innen <strong>für</strong> SeniorInnen<br />

KERSTIN WEBER-SPETHMANN<br />

Kerstin Weber-Spethmann ist Leiterin der<br />

Seniorenakademie in Lübeck und Kirchenkreisbeauftragte<br />

<strong>für</strong> die SeniorInnenarbeit.<br />

Man muss nicht über 65 sein, um sein Handy<br />

nicht zu verstehen. Dies kommt auch<br />

bei Menschen <strong>mit</strong>tleren <strong>Alter</strong>s häufig vor. Jedoch<br />

ist das Handy besonders auch <strong>für</strong> Seniorinnen<br />

und Senioren nützlich und hilfreich, so sie die<br />

Grundfunktionen beherrschen.<br />

Wenn man als Senior/in <strong>mit</strong> den Tücken des<br />

Objektes konfrontiert ist, scheint es zuerst zwei<br />

Lösungen zu geben. Man besucht den Servicepoint<br />

eines Telekommunikationsanbieters, um<br />

sich sein Handy von den vorwiegend sehr jungen,<br />

sehr modisch gekleideten Angestellten in<br />

sehr schnellen unverständlichen Worten erklären<br />

zu lassen. Das Verstehen ist in der Regel<br />

umgekehrt proportional zu der Fingernagellänge<br />

der gelangweilt kaugummikauenden Dienstleisterin.<br />

Man erkennt: Das hilft mir nicht wirklich<br />

weiter.<br />

Der zweite durchaus hilfreiche Weg kann<br />

der Kontakt zu den eigenen Enkeln sein, so sie<br />

vorhanden sind. Diese drücken <strong>mit</strong> unerwarteter<br />

Geschwindigkeit scheinbar alle Knöpfe gleichzeitig<br />

und kommen doch zum Ziel. Aber die Ver<strong>mit</strong>tlung<br />

dieser Fähigkeiten von Seiten der Enkelschar<br />

geschieht auch da in einem viel zu<br />

schnellen Tempo!<br />

Ganz auf das Handy zu verzichten, kann in<br />

Zeiten der verschwindenden Telefonzellen aber<br />

auch keine Lösung sein. Denn im Falle eines Falles<br />

bin ich <strong>mit</strong> dem kleinen Ding doch überall erreichbar<br />

und irgendwie ist es doch auch chic, <strong>mit</strong><br />

SENIORENARBEIT<br />

einem dieser futuristischen Klingeltöne als moderne/r<br />

und offene/r Senior/in geoutet zu werden.<br />

Aber vor dem Meister kommt die Übung und<br />

da hatte die Seniorenbegegnungsstätte Wilhelmine<br />

Possehl in Lübeck eine Idee. Wir verknüpfen<br />

die Fachleute <strong>mit</strong> den Laien, Kids <strong>mit</strong> Alten,<br />

Hauptschüler <strong>mit</strong> SeniorInnen. Als Fachleute<br />

konnten wir die Hauptschüler und -schülerinnen<br />

der benachbarten Schule gewinnen. Für sie entstand<br />

die Situation, Lehrende sein zu können <strong>mit</strong><br />

allen Schwierigkeiten, die ihre älteren Schülerinnen<br />

und Schüler entwickelten. Und das ist eine<br />

Umkehrung ihrer eigenen Schulerfahrung. Sie<br />

erlebten sich als kompetent, ihre Erfahrung war<br />

gefragt, andere wollten von ihnen lernen. Die Seniorinnen<br />

und Senioren wiederum mussten in<br />

der Rolle der Lernenden Geduld <strong>mit</strong> sich aufbringen,<br />

Neues zulassen, sich von Jugendlichen<br />

etwas sagen lassen und oft ihr Bild vom ‚kom-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

41


SENIORINNENARBEIT<br />

petenten’ Erwachsenen und dem ‚faulen Jugendlichen’<br />

aufgeben. Die Klischees auf beiden<br />

Seiten wurden aufgebrochen. Dieses neue Miteinander<br />

war das sekundäre jedoch nicht weniger<br />

wichtige Lernziel dieses Generationen verbindenden<br />

Projektes. Primäres Lernziel war<br />

nach Besuch des Kurses die Beherrschung der<br />

Grundtechniken ihres Handys: Anrufe annehmen<br />

und tätigen, Nummern abspeichern und suchen,<br />

die Mailbox benutzen, sms schreiben und<br />

den Notruf betätigen.<br />

Ein Kurs umfasst den Zeitraum von dreimal einer<br />

Stunde. Dieser Zeitrahmen hat sich bewährt:<br />

er ist lang genug, um <strong>mit</strong>einander warm<br />

zu werden, Lernschritte zu machen und Erlerntes<br />

abzufragen. Er ist kurz genug um nicht vor<br />

der geballten Information und den Möglichkeiten<br />

der Technik kapitulieren zu müssen. Wird<br />

die Lernstunde von einigen Lerngruppen vor Ablauf<br />

beendet, weil die Informationsfülle zu viel<br />

<strong>für</strong> die Senioren und Seniorinnen ist, dann erteilen<br />

die Jugendlichen Hausaufgaben wie z.B. sms<br />

schreiben, alle Verwandten in den Telefonspeicher<br />

eintragen etc.<br />

Die Lerngruppen sind im Verhältnis eins zu<br />

eins aufgebaut und bestehen in der Regel aus<br />

max. zehn Senior/innen und zehn Schülern und<br />

Schülerinnen. Es gibt keinen Frontalunterricht.<br />

Erstens ist der Wissensstand bei den Senioren<br />

und Seniorinnen sehr unterschiedlich und zweitens<br />

sind viele verschiedene Handymarken auf<br />

dem Markt. Die Jugendlichen müssen sich<br />

während der Kurse auf die neuesten Modelle sowie<br />

auf uralte Handys einstellen. Dadurch entsteht<br />

eine ganz individuelle Lernsituation zwischen<br />

dem Seniorenschüler und dem Schülerlehrer.<br />

Diese Form benötigt einen koordinierenden,<br />

leitenden Ansprechpartner, der in Konflikten<br />

moderiert und eventuell neue Lerngruppen<br />

bildet. Diese Leitung wird besonders beim ersten<br />

Kennenlernen der Teilnehmenden sehr deutlich<br />

die Einteilung der Lerngruppen vornehmen müssen.<br />

Hier ist der Moment größter Ambivalenz,<br />

hier können, im wahrsten Sinne des Wortes,<br />

Welten aufeinander prallen. Es empfiehlt sich die<br />

Gruppeneinteilung nach den Fähigkeiten der Jugendlichen<br />

<strong>für</strong> eine Handymarke vorzunehmen.<br />

Auch sollte man nicht unterschätzen, wie viel<br />

Lärm 10 Handys in einem Raum produzieren<br />

42 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

können. Konzentrieren Sie sich mal auf das Abspeichern<br />

einer Nummer, wenn am Nachbartisch<br />

das ganze Sortiment verfügbarer Klingeltöne<br />

in höchster Lautstärke abgespielt wird. Deshalb<br />

ist es ratsam, möglichst große Räume <strong>für</strong><br />

dieses Projekt zur Verfügung zu stellen, da<strong>mit</strong><br />

genügend Schonraum zwischen den Lerngruppen<br />

vorhanden ist.<br />

Zur Durchführung dieses Kurskonzeptes<br />

sind keinerlei weitere Medien notwendig - bis<br />

auf die Handys, die jede/r Senior/in <strong>mit</strong>bringt.<br />

Selbst angebotener Kaffee wird nur sparsam verköstigt,<br />

da alle sich intensiv auf den Unterricht<br />

konzentrieren. Typisch <strong>für</strong> diesen generationsübergreifenden<br />

Dialog sind Situationen, die so<br />

nicht konzeptionell vorgedacht werden können,<br />

sondern ihre Sinnhaftigkeit im Prozess entwickeln.<br />

So erschien zu Beginn eines Kurses eine<br />

Seniorin gänzlich ohne Handy. Sie war an der<br />

Beratung in verschiedenen Handyläden verzweifelt<br />

. Wer kennt sich schon aus <strong>mit</strong> Provider, Simcard,<br />

Netzteil, Vertrag, Passwort etc. So marschierte<br />

die Dame <strong>mit</strong> dem ihr zugeteilten Jugendlichen<br />

während der Unterrichtsstunde in<br />

die Innenstadt von Lübeck. Sie nahm ihren Fachmann<br />

<strong>mit</strong>. Beim nächsten Treffen stellte sie uns<br />

stolz das Handy vor, <strong>für</strong> das sie sich <strong>mit</strong> ihrem<br />

Lehrer entschlossen hatte.<br />

Wir erheben <strong>für</strong> den Handykurs einen Obolus<br />

von 10 Euro. Davon behält die Begegnungsstätte<br />

<strong>für</strong> Verwaltungsaufwand 2 Euro. Das restliche<br />

Geld fließt in die Klassenkasse der Jugendlichen.<br />

Oft erhalten die Jugendlichen noch Trinkgeld<br />

in Form von Süßigkeiten. Die Senioren und<br />

Seniorinnen sind in der Regel so begeistert, dass<br />

sie dieser Freude und Dankbarkeit über die 10<br />

Euro hinaus Ausdruck geben wollen. Wir weisen<br />

jedoch anfänglich darauf hin, weitere Geldspenden<br />

der Klassenkasse zu Gute kommen zu lassen.<br />

Seit vielen Jahren führen wir die Handykurse<br />

erfolgreich durch. Viele Senioren und Seniorinnen<br />

buchen nach einiger Zeit einen Folgekurs,<br />

um ihr Wissen aufzufrischen oder mehr Features<br />

ihrer Handys kennen zu lernen. Auf Seiten der<br />

Schule ist dieses Angebot ein fester Bestandteil<br />

im Lehrplan der Abschlussklassen und stößt<br />

nach wie vor auf viel Interesse bei den Jugendlichen,<br />

die gerne kommen, um „die Alten mal<br />

richtig vollzutexten. „Is voll krass eh!”


Generationenübergreifende<br />

Angebote in der Altenarbeit?<br />

Ein Plädoyer <strong>für</strong> ein modernes Konzept<br />

MONIKA HÖRING<br />

Monika Höring ist Leiterin der<br />

Altenbegegnungsstätte Husum-St. Marien<br />

und Kirchenkreisbeauftragte <strong>für</strong> die<br />

SeniorInnenarbeit.<br />

Wer <strong>mit</strong> jungen Menschen zusammen<br />

kommt, bleibt selber jung“ – das ist ein<br />

gutes Argument <strong>für</strong> generationenübergreifende<br />

Angebote. Andere sind vielleicht eher skeptisch<br />

und fragen, was solche Konzepte bringen und<br />

wer etwas davon hat: Die SeniorInnen, die Kinder,<br />

die Jugendlichen oder Menschen <strong>mit</strong>tleren<br />

<strong>Alter</strong>s? Oder vielleicht sogar die Kirchengemeinde?<br />

Generationenübergreifende Angebote erfordern<br />

spezielle Kompetenzen und fordern zusätzliches<br />

Engagement. Ist die Kompetenz da, wer<br />

bringt den Einsatz? Antworten auf diese Fragen<br />

bringen nicht zuletzt Erfahrungen aus der praktischen<br />

Arbeit in der Altenbegegnungsstätte Husum<br />

– St. Marien (ABS), in der solche Aktivitäten<br />

seit Jahren feste Bestandteile des Programms<br />

sind. Viele von ihnen sind schon längst dem Projektstadium<br />

entwachsen.<br />

Es begann vor acht Jahren <strong>mit</strong> der Anfrage<br />

eines Kindergartens nach der gemeinsamen Gestaltung<br />

des Plattdeutschen Tages. Da es in der<br />

Altenbegegnungsstätte schon gute Erfahrungen<br />

gab, war es ein Leichtes, SeniorInnen <strong>für</strong> ein Programm<br />

aus gemeinsamem Singen, Tanzen und<br />

Darstellung zu finden. Ein ehemaliger musikalisch<br />

versierter Schulleiter erklärte sich bereit,<br />

die Leitung <strong>für</strong> das Programm zu übernehmen.<br />

Die Aufführung war ein voller Erfolg, die Gruppe<br />

wurde zu einer weiteren Aufführung gebeten.<br />

Doch dann kam das ´dicke Ende`! Alt und Jung<br />

hatten inzwischen viel Freude aneinander ge-<br />

SENIORENARBEIT<br />

funden und wollten weitermachen. Was nun?<br />

Ein Konzept war gefragt. Was sollte Inhalt des<br />

Projektes werden? Welchen Wert sollte ein generationenübergreifenden<br />

Projekt haben und welche<br />

Bedeutung diese Fortsetzung? Wie sollte das<br />

Projekt vor sich gehen? Wie häufig wollten sich<br />

alle treffen, wer sollte weiterhin beteiligt werden,<br />

was sollte gemacht werden, wo sollten die<br />

Treffen stattfinden, welchen Part hatten jeweils<br />

der Kindergarten und welchen die Altenbegegnungsstätte,<br />

wie konnte die Einbindung beider<br />

Häuser geschehen? Der Einsatz war vielfältig.<br />

Lange schon sind diese Fragen beantwortet: Das<br />

gemeinsame Singen, das damals begonnen wurde,<br />

existiert im 9. Jahr.<br />

Eins ist dabei sehr wichtig: Das Konzept<br />

wurde immer wieder den neuen Gegebenheiten<br />

angepasst. Geblieben ist: Die Kinder des Kindergartens<br />

und SeniorInnen der Altenbegegnungs-<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

43


SENIORINNENARBEIT<br />

Sternenfest in Husum. Ein Beispiel generationsübergreifender Arbeit.<br />

stätte singen gemeinsam Kinder- und Volkslieder<br />

von früher und heute. Ergänzt wurde das Projekt<br />

durch Body-Percussion. Für die SeniorInnen eine<br />

wunderbare Form des Gedächtnistrainings<br />

und <strong>für</strong> die Kinder eine gute Vorbereitung auf die<br />

Schule. Beide lernen <strong>mit</strong>einander und voneinander.<br />

Feste Regeln und Rituale helfen, das Miteinander<br />

gut zu meistern: geübt wird an jedem ersten<br />

und dritten Mittwoch im Monat im Kinder-<br />

44 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

garten, zwei- bis dreimal jährlich in der Altenbegegnungsstätte.<br />

Die Erzieherinnen sind bei den<br />

Proben dabei, die Leiterin der Altenbegegnungsstätte<br />

ist <strong>für</strong> die Organisation und die Presse- und<br />

Öffentlichkeitsarbeit zuständig.<br />

Aus diesem ersten Projekt entwickelten sich<br />

eine ganze Reihe kontinuierlicher generationenübergreifender<br />

Angebote in der Altenbegegnungsstätte:


• „Husumer Lesespaß“. SeniorInnen lesen in<br />

der Stadtbibliothek, in Kindergärten und<br />

Schulen auf hoch- und plattdeutsch vor.<br />

• „JA - Online! Jugendliche helfen SeniorInnen<br />

am PC“.<br />

• „Brückenbau - Jugend hilft“.<br />

• Handy-Kurs individuell - Jugendliche helfen<br />

SeniorInnen <strong>mit</strong> dem Handy.<br />

• Alle 14 Tage treffen sich SeniorInnen und<br />

Kindergarten-Kinder im Wilhelm-Gehlsen -<br />

Kindergarten zum gemeinsamen Singen.<br />

• 4x jährlich gestalten Schüler des Musik-Leistungskurses<br />

der Theodor-Storm-Schule die<br />

Einführungsveranstaltungen <strong>für</strong> die Musikund<br />

Theaterfahrten.<br />

• 2x jährlich finden Treffen <strong>mit</strong> der Schach-AG<br />

der Hermann-Tast-Schule und der Schachgruppe<br />

der Altenbegegnungsstätte statt.<br />

All diesen generationenübergreifenden Angeboten<br />

liegt zugrunde:<br />

• Es muss ein gemeinsames Interesse<br />

und/oder Ziel geben.<br />

• Die Leitungen der Jugendhilfe- und Altenhilfeeinrichtungen<br />

stehen gemeinsam hinter<br />

den Angeboten, fühlen sich verantwortlich,<br />

sind ansprechbar und tauschen sich aus<br />

(da ist Professionalität gefordert).<br />

• Es gibt feste Ansprechpartner <strong>für</strong> die praktische<br />

Durchführung (Lehrer in den Schulen,<br />

ehrenamtliche ProjektleiterInnen in der Altenbegegnungsstätte).<br />

• Die Bedürfnisse und Vorlieben der verschiedenen<br />

Generationen werden beachtet.<br />

• Es gibt regelmäßige Treffen <strong>für</strong> die SeniorInnen<br />

(die MärchenerzählerInnen, die VorleserInnen<br />

treffen sich einmal monatlich).<br />

• Es gibt Vorbereitungs- bzw. Einarbeitungstreffen<br />

<strong>für</strong> die Jugendlichen (Handy- und PC-<br />

Kurse).<br />

• Es gibt regelmäßige monatliche Treffen <strong>für</strong><br />

die Jugendlichen (Brückenbau).<br />

• Die Betreuung und die Begleitung sind<br />

durchstrukturiert.<br />

• Der Informationsfluss von oben nach unten<br />

und umgekehrt ist gewährleistet.<br />

• Die Angebote werden veränderten Gegebenheiten<br />

angepasst.<br />

SENIORENARBEIT<br />

• Es gibt Schulungen und Weiterbildungsangebote<br />

<strong>für</strong> alle.<br />

• Es ist <strong>für</strong> Vertretung gesorgt – niemand trägt<br />

alle Verantwortung auf Dauer alleine (Tandems).<br />

• Es gibt entsprechende Räumlichkeiten und<br />

Infrastruktur (können Kinder bis zur Altenbegegnungsstätte<br />

laufen, SeniorInnen auf<br />

Kindergartenstühlen sitzen?).<br />

• Es ist <strong>für</strong> alle eine win-win Situation.<br />

Ein Beispiel in groben Schritten mag dies verdeutlichen:<br />

Projekt: Brückenbau – Jugend<br />

hilft! Ein Projekt, in dem Jugendliche SeniorInnen<br />

z.B. beim Rasen mähen, einkaufen etc. helfen.<br />

Ausgangspunkt: Es gibt eine Idee. Diese Idee<br />

ist gereift, d.h. per „Versuchsballon“ oder anders<br />

bei unterschiedlichen Gruppen angesprochen<br />

oder aus der Erfahrung entstanden.<br />

• 1.Schritt : Die ProjektleiterInnen haben <strong>mit</strong><br />

den Leitungen von Altenbegegnungsstätte<br />

und Schule das Konzept geschrieben.<br />

• 2.Schritt: Die ProjektleiterInnen wurden geschult,<br />

die Jugendlichen zu schulen (Kommunikationstraining...).<br />

• 3.Schritt: In der Schule wurden Jugendliche<br />

ausgewählt.<br />

• 4.Schritt: Schulung der Jugendlichen <strong>mit</strong> ProjektleiterInnen<br />

und Trainer.<br />

• 5.Schritt: Öffentlichkeitsarbeit.<br />

• 6.Schritt: Gruppennach<strong>mit</strong>tag zur Verteilung<br />

der Aufträge usw.<br />

Dieser Gruppennach<strong>mit</strong>tag findet einmal<br />

monatlich statt. Es werden nicht nur die Aufträge<br />

verteilt, sondern auch neue Themen bearbeitet<br />

wie z.B. Rollstuhlführerschein, Umgang <strong>mit</strong><br />

Dementen etc. Dazu holen sich die Projektleiter<br />

die Ideen von der Leitung und lassen sich in der<br />

Referentensuche unterstützen. Gleichzeitig entwickeln<br />

sie weitere Ideen wie z.B. Elternabend,<br />

Weihnachtsfeier…, d.h. in diesem Projekt sind<br />

die Senioren (Projektleitung) <strong>für</strong> die Jugend und<br />

die Jugend (ehrenamtlich Tätige) <strong>für</strong> die SeniorInnen<br />

tätig.<br />

Die Arbeit zeigt, es bedarf <strong>für</strong> Anleitung und<br />

Konzept viel Zeit, viele Gedanken, Gespräche,<br />

Strukturen und Engagement. Unabdingbar sind<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

45


SENIORINNENARBEIT<br />

Sternenfest in Husum. Ein Beispiel generationsübergreifender Arbeit.<br />

auch die finanziellen Mittel <strong>für</strong> Material, Referenten,<br />

Telefonate, Weihnachtsfeiern, kleine Geschenke<br />

zu Geburtstagen usw. Ist dieser Rahmen<br />

gegeben, kann man davon ausgehen, dass Lebendigkeit,<br />

Austauschfreude, Offenheit unter<br />

den Generationen entsteht. Man kann davon<br />

ausgehen, dass Jung von Alt, Alt von Jung, Jung<br />

von Jung und Alt von Alt in einem einzigen Projekt<br />

von- und <strong>mit</strong>einander lernen und viel Freude<br />

an- und <strong>mit</strong>einander haben. Dies ist „Gewinn“<br />

<strong>für</strong> die SeniorInnen. Die Jugendlichen erhalten<br />

nach ihrem persönlichen Ausstieg aus<br />

dem Projekt eine Bescheinigung über Ihre Tätigkeiten<br />

und erworbenen Fähigkeiten z.B. zur Vorlage<br />

bei Bewerbungen.<br />

Es gibt noch einige vielleicht banal erscheinende<br />

Aspekte, die jedoch zum Erfolg unerlässlich<br />

sind: Verlässlichkeit, Flexibilität, Pünktlich-<br />

46 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

keit, Zugewandtheit, Achtung der Persönlichkeit<br />

und Interesse an der <strong>anderen</strong> Generation, Neugierde,<br />

Freude, Einsatzfreudigkeit, Lust an der<br />

Weiterentwicklung…, und immer wieder muss<br />

die Leitung der jeweiligen Einrichtungen voll dahinter<br />

stehen!<br />

Nicht immer müssen es solche aufwendigen<br />

und langfristigen Angebote sein. Auch kurzfristige<br />

Angebote können gelingen, wie z.B. das<br />

Sternefest in St. Marien. Hier ist der Weg das<br />

Ziel. Bei diesem Angebot ist es gelungen, insgesamt<br />

60 SeniorInnen, Kindergartenkinder und<br />

Eltern zum Basteln zu bewegen, obwohl dies<br />

überhaupt nicht „in“ ist. Die Beteiligten - zwischen<br />

4 und 93 Jahren alt - hatten Lust, <strong>für</strong> einen<br />

guten Zweck Sterne zu basteln (der Erlös geht an<br />

den ambulanten Kinderhospizdienst). Zunächst<br />

in kleinen homogenen Gruppen oder auch z.T.


alleine zu Hause. Diese Aktivitäten mündeten in<br />

einen gemeinsamen Bastelnach<strong>mit</strong>tag, an dem<br />

Jung und Alt Transparentsterne <strong>mit</strong>einander bastelten,<br />

schnackten und zu Beginn und Ende<br />

sangen. Zu Beginn gab es ein Kennenlernspiel.<br />

Das Kennenlernen von Namen hat einen festen<br />

Platz.<br />

Generationenübergreifende Angebote, die<br />

auf solchen Füßen stehen, lassen sich nicht<br />

leicht umstoßen. Sie sind nachhaltig und erfolgreich<br />

<strong>für</strong> alle und bereiten Freude und Spaß! Der<br />

Gewinn ist auch in der Vernetzung erlebbar. Beinahe<br />

von alleine entwickeln sich neue Angebote.<br />

So hatten z.B. einige Jugendliche die Idee, eine<br />

Handy-Schulung zu machen. Eine treue Verbundenheit<br />

Ausscheidender ist fast zwangsläu-<br />

SENIORENARBEIT<br />

fig, alle Beteiligten erfahren gegenseitig immer<br />

wieder Bestätigung (man sagt ja nicht seinem<br />

Konkurrenten wie toll er ist, sondern einer <strong>anderen</strong><br />

Generation, „das geht leichter von den<br />

Lippen“). Ein weiterer positiver Nebeneffekt ergibt<br />

sich <strong>für</strong> die „Altenarbeit“: Hier fühlen sich<br />

oft auch die jungen Alten angesprochen. Und<br />

spätestens da ist dann der Punkt erreicht, wo Kirchengemeinden<br />

ihren „Gewinn“ haben.<br />

Doch, warum dann nicht nur noch generationenübergreifende<br />

Projekte anbieten? Eine<br />

schlichte Antwort mag genügen: Jeder möchte<br />

auch mal unter seinesgleichen sein und sich altersgemäß<br />

austauschen und dazu bedarf es dann<br />

auch regelmäßiger eigenständiger Angebote.<br />

Eine Seniorin am altersgerechten Fitnessgerät auf dem Spielplatz <strong>für</strong> Seniorinnen und Senioren.<br />

Foto: ddp<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

47


SENIORINNENARBEIT<br />

Konferenz Offene Altenarbeit<br />

Pragmatisch, praktisch, gut… und noch viel mehr…<br />

KIRSTEN SONNENBURG<br />

Kirsten Sonnenburg, Diakonin und Sozialpädagogin,<br />

ist tätig im Fortbildungswerk<br />

Drei F im Kirchenkreis Hamburg-Ost<br />

Pragmatisch, praktisch, gut… und noch<br />

viel mehr<br />

Das trifft es, wenn ich <strong>mich</strong> der Aufgabe stelle<br />

über die Konferenz Offene Altenarbeit zu<br />

schreiben, was sie ist, wo<strong>für</strong> sie steht, wer sich<br />

da trifft, was man da macht… Schon die Begrifflichkeit<br />

„Offene Altenarbeit“ mag unterschiedliche<br />

Assoziationen hervorrufen.<br />

Hinter „offener Altenarbeit“ kann sich<br />

Folgendes verbergen:<br />

Nach<strong>mit</strong>tage <strong>für</strong> Senioren, Seniorentreffs,<br />

Ausfahrten, Reisen, Internet Cafés, Bewegungsangebote<br />

<strong>für</strong> älter werdende Menschen, Gedächtnistraining,<br />

Besuchs- und Begleitdienstar-<br />

48 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

beit, hospizliche Arbeit, Seelsorge, Vorlesen im<br />

Altenheim, Nachbarschaftsdienste, Offene<br />

Cafés, kulturelle Angebote, Angebote <strong>für</strong> mehrere<br />

Generationen, wie z.B. Großeltern-Enkelkinder-Veranstaltungen,<br />

Senioren lesen im Kindergarten,<br />

Ältere unterstützen Jugendliche bei der<br />

Berufsfindung, Jung hilft Alt, gemeinsame Internetrecherche<br />

von Konfis und Senioren, Mehrgenerationenhaus,<br />

Freiwilligenforen, Feste <strong>für</strong> die<br />

Gemeinschaft, Biographiewerkstätten, Erzählcafés,<br />

und, und, und…<br />

„Offene Altenarbeit“ stellt sich die Aufgabe,<br />

gemeinwesenorientierte Angebote <strong>für</strong> SeniorInnen<br />

aufzubauen, zu unterstützen und zu begleiten,<br />

oft in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> ehrenamtlich Engagierten.<br />

Besonderes Kennzeichen ist, dass diese<br />

Angebote offen <strong>für</strong> alle SeniorInnen sind,<br />

ganz gleich, welcher Konfession oder Nationalität<br />

sie angehören oder ob sie konfessionslos<br />

sind etc. Alle sind willkommen. Offene Altenarbeit<br />

unterscheidet sich von der Altenhilfe, die<br />

ihren Schwerpunkt im Bereich der Unterstützung<br />

und Pflege hat.<br />

Und was ist nun die Konferenz?<br />

Die Konferenz ist der „Treffpunkt“ <strong>für</strong> all die<br />

Ehrenamtlichen, Freiwilligen und Hauptamtlichen<br />

aus den Gemeinden und Regionen im Großbereich<br />

Hamburgs, die in diesem vielfältigen und<br />

bunten Bereich aktiv sind. Sie trifft sich einmal<br />

im Monat am Rockenhof im Kirchenkreis Hamburg<br />

Ost <strong>für</strong> jeweils 3 Stunden. Ein Leitungskreis<br />

kümmert sich um die Organisation und inhaltliche<br />

Ausgestaltung. Für die gemeinsam festgelegten<br />

Themen werden Referenten eingeladen. Es<br />

geht um Fort- und Weiterbildung, um Informationsweitergabe,<br />

um Unterstützung und Austausch.<br />

Die Themen sind so umfangreich und<br />

weitreichend wie der Bereich an sich.


Seniorinnen auf einer Bank genießen den Blick auf den Ammersee.<br />

Foto: ddp<br />

Um die Vielfältigkeit der Themen zu beschreiben,<br />

hier einige als Beispiele:<br />

• Wie setze ich interessant und verständlich<br />

die Jahreslosung um?<br />

• Unterschiedliche Wohnformen im <strong>Alter</strong><br />

• Gottesdienste und Feste in orthodoxen Kirchen<br />

• Was macht ein Seniorenbeirat?<br />

• Wie gestalte ich Feste und Feiern?<br />

• Was bedeutet Schuld?<br />

• Wer war Wichern?<br />

• Schokolade – ein Vor<strong>mit</strong>tag <strong>mit</strong> allen Sinnen<br />

• Ideenbörse und, und, und…<br />

Meist wird ein Tag im Jahr genutzt, um Ausflugsmöglichkeiten<br />

vorzustellen und gemeinsam<br />

SENIORENARBEIT<br />

auszuprobieren. Wie zum Beispiel das gemeinsame<br />

Begehen des Schöpfungsweges in Hanstedt<br />

oder der Besuch von „Schattensprache“ in<br />

Rendsburg.<br />

Einmal im Jahr findet darüber hinaus eine<br />

Fortbildung statt, die über 4 Tage geht. Das Thema<br />

wird gemeinsam festgelegt und auf vielfältige<br />

Weise inhaltlich bearbeitet. Für die Vorbereitung<br />

und Durchführung ist neben dem Leitungskreis<br />

auch ein/e Referent/in dabei. Neben dem<br />

inhaltlichen und fachlichen Arbeiten spielen der<br />

Austausch untereinander, das intensive Erleben<br />

und der Spaß am gemeinsamen Ausprobieren<br />

von erprobten und erfolgreichen Angebotsmöglichkeiten<br />

aus der Arbeit <strong>mit</strong> älter werdenden<br />

Menschen eine große Rolle.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

49


SENIORINNENARBEIT<br />

Jobpaten: Neue Wege in<br />

der Seniorenarbeit<br />

Erfahrungen der Älteren <strong>für</strong> die Jungen nutzen<br />

ANGELIKA SCHMIDT<br />

Angelika Schmidt, seit 2005 Projektpastorin<br />

des Kirchenkreises Stormarn, jetzt<br />

Hamburg-Ost, <strong>für</strong> das Projekt: „Förderung<br />

des freiwilligen Engagements der Generation<br />

55plus <strong>für</strong> kirchliche, gesellschaftliche<br />

und soziale Zukunftsgestaltung“ in<br />

der Region Hamburg Poppenbüttel,<br />

Sasel und Wellingsbüttel<br />

Es ist Montag, 17.30 Uhr, 12 Männer und Frauen<br />

sitzen im Gemeindehaus der Vicelinkirche<br />

Sasel in Hamburg um einen Tisch bei einer Tasse<br />

Kaffee. Die meisten Teilnehmer gehören der<br />

Generation 55plus an und sind bereits aus dem<br />

Beruf ausgeschieden, in <strong>Alter</strong>steilzeit, im Vorruhestand<br />

oder in Rente. Sie kommen aus ganz ver-<br />

50 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

schiedenen Berufen, waren zum Beispiel Geschäftsführer<br />

eines Wirtschaftsverbandes, haben<br />

ein <strong>mit</strong>telständisches Unternehmen geleitet, waren<br />

im Vertrieb oder im Bereich Ausbildung einer<br />

Firma beschäftigt, waren Kfz-Mechaniker<br />

oder Sachbearbeiterin in einem Krankenhaus<br />

oder Ingenieur im Bereich Nachrichtentechnik.<br />

Was sie gemeinsam haben in dieser Runde ist,<br />

dass sie sich als Jobpaten <strong>für</strong> Jugendliche einsetzen<br />

möchten, da<strong>mit</strong> diese ihren Weg in den<br />

Beruf finden.<br />

Sie alle bringen da<strong>für</strong> ihre Berufserfahrung<br />

<strong>mit</strong> und die Bereitschaft, Zeit und Energie zu investieren,<br />

freiwillig und ohne Geld. Also geht es<br />

an diesem Nach<strong>mit</strong>tag um Kevin, Ali, Patrick,<br />

Reman, Artur, Lisa, Michelle, Narges, Stephen<br />

und viele mehr, die einen Praktikumsplatz suchen<br />

oder einen Ausbildungsplatz und da<strong>für</strong> Hilfe<br />

brauchen. Lisa möchte im Praktikum den Beruf<br />

der Innenarchitektin kennenlernen, aber hat<br />

bisher keinen Betrieb gefunden, der sie als Praktikantin<br />

nehmen würde. Kevin weiß eigentlich<br />

noch gar nicht, was <strong>für</strong> eine Ausbildung er machen<br />

möchte. Sein Zeugnis ist nicht so super und<br />

er wird den Realschulabschluss vielleicht nicht<br />

schaffen. Christina ist gerade frisch nach Hamburg<br />

gezogen und kann ihre Fachschule, bei der<br />

sie einen Platz hatte, nun nicht besuchen. Jetzt<br />

braucht sie Hilfe, um sich neu zu bewerben. Für<br />

viele Jugendliche ist es wichtig, einen Jobpaten<br />

an der Seite zu haben, der von außen kommt,<br />

der Zeit hat <strong>für</strong> Gespräche unter vier Augen, der<br />

<strong>für</strong> den Jugendlichen <strong>mit</strong> einem Telefongespräch<br />

Türen bei einer begehrten Firma öffnen kann ,<br />

der zum fünften Mal die Fehler in einer Bewerbung<br />

korrigiert, der zuhören kann, ermutigen,


eraten, trösten, ermahnen und der nicht locker<br />

lässt bis die Bewerbung Erfolg hat. Keiner in der<br />

Runde der Jobpaten hat diesen Beruf gelernt,<br />

aber alle sind von der Notwendigkeit und dem<br />

Sinn dieser Aufgabe überzeugt und bereit zu lernen.<br />

Sucht z.B. ein Mädchen einen Ausbildungsplatz<br />

als Modeschneiderin, fängt auch der Jobpate<br />

<strong>mit</strong> ihr ganz von vorn an, Kontakte und<br />

Möglichkeiten herauszufinden. Wenn ein<br />

Mädchen unbedingt von der Familie her Ärztin<br />

werden soll, aber kaum den Realschulabschluss<br />

schafft und deshalb eigene Wünsche gar nicht<br />

erst entwickelt, ist es auch <strong>für</strong> den Jobpaten<br />

nicht leicht.<br />

Bei den Treffen ist darum der Austausch<br />

wichtig und bisweilen auch kollegiale Beratung,<br />

da<strong>mit</strong> es zwischen Jobpaten und Jugendlichen<br />

weitergehen kann. Es geht natürlich auch um<br />

den organisatorischen Rahmen, um den Kontakt<br />

zu den Schulen, <strong>mit</strong> denen die Jobpaten zusammenarbeiten,<br />

es geht um andere Institutionen,<br />

SENIORENARBEIT<br />

Margitta Kley und Christina am PC im Berufsinformationszentrum Hamburg beim Recherchieren<br />

der Berufsbilder, die <strong>für</strong> Christina infrage kommen.<br />

die Hilfen <strong>für</strong> Jugendliche anbieten, da<strong>mit</strong> der<br />

Einstieg in den Beruf gelingt. Es geht in der Runde<br />

um die gemeinsame Arbeit, um Schwierigkeiten,<br />

die <strong>mit</strong>einander geteilt werden, um Erfolge,<br />

die gemeinsam gefeiert werden und um das, was<br />

noch besser werden kann. Es geht auch um die<br />

eigene Situation, um Dankbarkeit <strong>für</strong> das gelungene<br />

Berufsleben, um Freude an den Enkeln wie<br />

um die gemeinsame Trauer, wenn einer ernsthaft<br />

erkrankt ist und deshalb aufhören muss. Es geht<br />

auch um den Glauben, dass Gott es ist, der jedem<br />

Menschen seine Zeit schenkt und den Auftrag<br />

gibt, sich auch <strong>für</strong> den Nächsten einzusetzen.<br />

Es geht um die Gemeinschaft, in die jeder<br />

einbringen soll, was er kann im Berufsleben und<br />

auch danach. Natürlich, nach kirchlicher Definition<br />

sind die Jobpaten eine Seniorenrunde, aber<br />

als 50-75-Jährige sind sie doch eine ganz eigene<br />

Gruppe, die aktiv werden will und sich engagiert<br />

<strong>für</strong> die Generation der Enkel und wissen will,<br />

wo sie gebraucht wird.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

51


SENIORINNENARBEIT<br />

Namen der Jobpaten: v.links Rolf Theede, Eberhard Karg, Marie-Luise Laubert, Katrin Rosentreter.<br />

2. Reihe: Heinz Winterstein, Rolf Kant, Angelika Schmidt, Susanne Miller, Margitta Kley, Rolf Rudloff<br />

Für viele hat Kirche in ihrem Leben bis zum<br />

Berufsende eine eher traditionelle Rolle gespielt<br />

oder oft auch gar keine. Aber jetzt in der Phase<br />

der Neuorientierung sind viele bereit, wahrzunehmen,<br />

was ihre Kirche vor Ort anbietet und<br />

wo sie sich engagiert. Sie brauchen nicht mehr<br />

als einen Aufruf in einer der kleinen Anzeigenzeitungen,<br />

die es jedenfalls in der Stadt überall<br />

kostenlos gibt, und einen Ansprechpartner, der<br />

<strong>für</strong> sie Zeit hat und bespricht, was diese Aufgabe<br />

beinhaltet und ob sie das Richtige <strong>für</strong> den<br />

Freiwilligen ist. Sie brauchen einen klaren Rahmen<br />

<strong>für</strong> ihr Engagement, wie denn zum Beispiel<br />

der Auftrag lautet, und welchen Zeitumfang er<br />

hat, und kontinuierliche Begleitung und Reflexion.<br />

Sie brauchen Anerkennung und Würdigung<br />

der Arbeit wie jeder andere auch.<br />

Sie setzen auf die seelsorgerliche Kompetenz<br />

einer Pastorin, wenn es schwierig wird. Sie sind<br />

bereit, über ihr eigenes Verhältnis zur Kirche<br />

Auskunft zu geben und hoffen auf Respekt. Sie<br />

lassen sich ein auf kleine spirituelle Impulse oder<br />

auch auf ein selbst formuliertes Fürbittengebet<br />

im Gottesdienst als Teil der gemeinsamen Arbeit.<br />

Sie gehen als Jobpaten der Kirche in die Schule<br />

und stellen sich <strong>mit</strong> diesem Namen vor. Manche<br />

bleiben Grenzgänger in Bezug auf die Kirche, an-<br />

52 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

dere beginnen sich <strong>mit</strong> ihr zu identifizieren über<br />

das Engagement.<br />

Für <strong>mich</strong> als Projektpastorin im Norden von<br />

Hamburg liegt mir dieses Projekt besonders am<br />

Herzen, weil es deutlich macht, wie die Erfahrung<br />

der Älteren <strong>für</strong> die Jungen genutzt und das<br />

Gespräch zwischen den Generationen gelingen<br />

kann und Vertrauen entsteht. Beide bekommen<br />

etwas durch die Beziehung, die Jüngeren einen<br />

Paten <strong>für</strong> den schwierigen Weg in den Beruf, und<br />

die Älteren eine Aufgabe, die sie erfüllt und ihnen<br />

Spaß macht, sie herausfordert und jung hält.<br />

Dieses Projekt ist attraktiv vor allem auch <strong>für</strong><br />

Männer, weil es an die Berufserfahrung anknüpft<br />

und auch <strong>für</strong> Menschen, die noch im Beruf sind,<br />

weil sie die Termine <strong>mit</strong> den Jugendlichen individuell<br />

verabreden können. So sind in der Jobpatenrunde<br />

<strong>mit</strong>tlerweile auch drei Berufstätige<br />

dabei. Gut fünfzig Jugendliche haben die Jobpaten<br />

im Schuljahr 2008/2009 begleitet, 20 Jugendliche<br />

haben einen Ausbildungsplatz gefunden,<br />

einer hat ein duales Studium begonnen,<br />

vier brauchten ein Orientierungsgespräch und<br />

sind jetzt in der Oberstufe, die übrigen haben ihr<br />

Praktikum erfolgreich absolviert. In fünf Fällen<br />

wurde die Beziehung beendet ohne das Ziel erreicht<br />

zu haben, meistens, weil die Jugendlichen


die Absprachen nicht eingehalten haben.<br />

In beiden Gesamtschulen, <strong>mit</strong> denen die<br />

Jobpaten zusammenarbeiten, sind die Freiwilligen<br />

sehr geschätzt, sie werden im Jahrbuch gewürdigt<br />

und in die Schulkonferenz eingeladen.<br />

Die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den Gymnasien beschränkt<br />

sich bisher auf die Teilnahme an der Berufsorientierungsprojektwoche<br />

und ist weiter<br />

entwicklungsfähig.<br />

Das Projekt Jobpaten ist nicht das einzige<br />

Projekt <strong>für</strong> die Generation 55plus, das ich anbiete.<br />

Im Lesecafé geht es darum, dass Freiwillige<br />

im <strong>Alter</strong>sheim <strong>mit</strong> der Generation 80plus<br />

ins Gespräch kommen über die aktuelle Tageszeitung<br />

und die Nordelbische Kirchenzeitung.<br />

Im Projekt Kirche und Zeitung geht es darum,<br />

dass Freiwillige eine Seite im örtlichen Anzei-<br />

genblatt füllen <strong>mit</strong> Artikeln und Bildern aus<br />

dem freiwilligen Engagement der kirchlichen<br />

Region. Darüber hinaus berichten sie über Tradition<br />

und Sinn der kirchlichen Feste. Im Projekt<br />

Kirche im Alstertaleinkaufszentrum 2007<br />

ging es darum, eine Woche um das Thema Advent<br />

im öffentlichen Raum zu organisieren und<br />

zu gestalten. Die Vielfalt der Projekte ermöglicht<br />

es, dass jeder <strong>mit</strong> seinen verschiedenen<br />

Gaben sich einbringen kann und nicht in einem<br />

Projekt <strong>mit</strong>arbeitet, dass nicht zu ihm passt. Im<br />

1.Korintherbrief 12,7 heißt es: „In einem jeden<br />

offenbart sich der Geist Gottes zum Nutzen aller.“<br />

Mit diesem Vers habe ich meine Arbeit begonnen<br />

und sie ist <strong>für</strong> <strong>mich</strong> ein Leitspruch,<br />

wenn ich Menschen kennenlerne, die sich in<br />

der Kirche <strong>für</strong> andere engagieren möchten.<br />

Wenn Erfahrungen Netze<br />

knüpfen<br />

Das evangelische Internetportal <strong>für</strong> die Generation ab 59<br />

ANGELIKA WIESEL<br />

Pastorin Angelika Wiesel ist seit 2008<br />

Internet-Pastorin der Evangelisch-lutherischen<br />

Landeskirche Hannover<br />

Die Treffpunktbeiträge sind so vielfältig wie<br />

die Nutzerinnen und Nutzer selber: So werden<br />

in einem Treffpunkt zum Beispiel Themen<br />

wie neue Wohnformen im <strong>Alter</strong> oder der Übergang<br />

in den Ruhestand diskutiert. Andere beschreiben<br />

ihr ehrenamtliches Engagement als<br />

Vorlese-Mentorin oder die Proben der Seniorenkantorei.<br />

Ein weiterer Nutzer stellt die Frage:<br />

Glauben Frauen anders als Männer? Auf einem<br />

kirchlichen Portal haben auch Themen wie Abschied<br />

und Trauer ihren Platz, die auf vielen <strong>anderen</strong><br />

Seiten <strong>für</strong> diese Zielgruppe ausgeklammert<br />

SENIORENARBEIT<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

53


SENIORINNENARBEIT<br />

Ältere Erwachsene nutzen verstärkt das<br />

Internet<br />

„Hier ist Platz <strong>für</strong> Ihre Themen, Ihre Erfahrungen,<br />

Ihre Beiträge. Machen Sie <strong>mit</strong> - entdecken<br />

Sie Ihren Treffpunkt!“ So begrüßt das evangelische<br />

Internetportal www.unserezeiten.de seine<br />

Zielgruppe – die Generation ab 59. Hier finden die<br />

Nutzerinnen und Nutzer eine kommunikative<br />

Website <strong>mit</strong> Platz <strong>für</strong> eigene Themen, neue Erfahrungen<br />

und Kontakte. Mit wenigen klar erkennbaren<br />

Funktionen ist UnsereZeiten.de auch<br />

<strong>für</strong> Interneteinsteiger leicht zu bedienen.<br />

Die sogenannten „Silversurfer“ sind die<br />

Gruppe, deren Internetnutzung im letzten Jahr<br />

am stärksten zugenommen hat. Online-Studien<br />

zeigen, dass 60% der Deutschen in der <strong>Alter</strong>sgruppe<br />

ab 55 über einen eigenen Internetzugang<br />

verfügen.<br />

Das haben die drei Landeskirchen, Evangelisch-Lutherische<br />

Kirche in Bayern, die Evangelische<br />

Landeskirche in Baden und die Evangelisch-lutherische<br />

Landeskirche Hannovers, zum<br />

Anlass genommen, ein Angebot <strong>für</strong> diese Zielgruppe<br />

ins Leben zu rufen. Für die Herausgeber<br />

ist es wichtig, dass sich über das Netzwerk neue<br />

Formen von Gemeinschaft bilden, die auch im<br />

zunehmenden <strong>Alter</strong> und <strong>mit</strong> eingeschränkter<br />

Mobilität gepflegt werden können. In einem seriösen<br />

Rahmen sollen die Internetnutzer eine<br />

Plattform finden, auf der sie ihre Erfahrungen<br />

teilen und in einer Phase des Übergangs ein neues<br />

Netzwerk aufbauen können.<br />

Thematische Treffpunkte<br />

Die Seite gliedert sich in neun thematische<br />

Treffpunkte <strong>mit</strong> untergeordneten Themen. Dort<br />

können sich die Nutzerinnen und Nutzer nach<br />

Interesse zusammentun und austauschen. Sie<br />

können eigene Beiträge <strong>mit</strong> Texten, Bildern und<br />

Videos veröffentlichen, Beiträge anderer lesen<br />

und kommentieren und Kontakte knüpfen. Die<br />

Treffpunktnamen geben nur eine Richtung an.<br />

Wohin es geht, bestimmen die User selber.<br />

Dies sind die Treffpunkt-Themen:<br />

wohnen,<br />

glauben,<br />

leben,<br />

genießen,<br />

trauern,<br />

54 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

versorgen,<br />

lieben,<br />

verändern.<br />

Die Treffpunktbeiträge sind so vielfältig wie<br />

die Nutzerinnen und Nutzer selber: So werden<br />

in einem Treffpunkt zum Beispiel Themen<br />

wie neue Wohnformen im <strong>Alter</strong> oder der Übergang<br />

in den Ruhestand diskutiert. Andere beschreiben<br />

ihr ehrenamtliches Engagement als<br />

Vorlese-Mentorin oder die Proben der Seniorenkantorei.<br />

Ein weiterer Nutzer stellt die Frage:<br />

Glauben Frauen anders als Männer? Auf einem<br />

kirchlichen Portal haben auch Themen wie Abschied<br />

und Trauer ihren Platz, die auf vielen <strong>anderen</strong><br />

Seiten <strong>für</strong> diese Zielgruppe ausgeklammert<br />

werden.<br />

Benutzung<br />

Jeder Internetnutzer kann alle Beiträge auf<br />

UnsereZeiten.de lesen. Wer einen Kommentar<br />

abgeben oder einen eigenen Beitrag verfassen<br />

möchte, muss sich vorher <strong>mit</strong> seiner E-Mail-<br />

Adresse und einem Nutzernamen anmelden. So<br />

ist ein Höchstmaß an Sicherheit gewährleistet.<br />

Viele melden sich <strong>mit</strong> ihrem echten Namen an,<br />

andere geben sich <strong>für</strong> das Seniorennetzwerk einem<br />

Spitznamen. Jeder Nutzer bestimmt dadurch<br />

selber, was er über seine Person bekanntmachen<br />

möchte.<br />

Zeit schenken<br />

Eine Besonderheit des Portals ist die Funktion<br />

„Zeit schenken“, die die Besucher der Webseite<br />

auch im realen Leben in Kontakt bringen<br />

kann. So bietet zum Beispiel ein Nutzer aus<br />

Greifswald den <strong>anderen</strong> Besuchern von Unsere-<br />

Zeiten an: „<strong>Ich</strong> führe Sie gern bei einem Besuch<br />

kostenlos, aber hoffentlich nicht umsonst, durch<br />

diese schöne Stadt.“ Andere verschenken „Computer<br />

PC Sofort-Hilfe“ oder einen Spaziergang.<br />

Ehrenamtliche als Lotsen<br />

„Die Besucher unseres Portals befinden sich<br />

in einer Lebensphase des Übergangs“, berichtet<br />

Erich Franz, der als ehrenamtlicher Lotse die Besucher<br />

einer Treffpunktseite betreut: „Sie wollen<br />

kein Programm vorgesetzt bekommen, sondern<br />

ihr Leben aktiv gestalten. Unsere Internetseite<br />

stellt nur den Rahmen zur Verfügung. Die The-


Das evangelische Internetportal <strong>für</strong> die Generation ab 59<br />

men kommen von unseren Mitgliedern.“ Er selber<br />

steht als Pastor und Journalist ein Jahr vor<br />

dem Ruhestand und gestaltet zusammen <strong>mit</strong><br />

vier <strong>anderen</strong> Hannoveranern den Treffpunkt<br />

„Glauben“.<br />

So wie er betreuen zurzeit etwa 30 ehrenamtliche<br />

Lotsen das Portal. Sie begrüßen neu angemeldete<br />

Mitglieder, setzen Themen und moderieren<br />

die Diskussionen auf den Treffpunktseiten.<br />

Die Ehrenamtlichen treffen sich in regionalen<br />

Teams in Berlin, Greifswald, Hannover,<br />

Magdeburg, Stuttgart und München und tauschen<br />

sich online in einem Forum über ihre Erfahrungen<br />

aus. Außer den Lotsen gibt es einen<br />

technischen Betreuer und eine Chefredakteurin<br />

im Ruhestand, die das Team <strong>mit</strong> ihrem Fachwissen<br />

unterstützt.<br />

Weitere Interessierte können gerne das UnsereZeiten-Team<br />

verstärken. Sie werden auf ihre<br />

Aufgabe <strong>mit</strong> einer Schulung vorbereitet und wer-<br />

SENIORENARBEIT<br />

den von der Projektleitung in Hannover bei ihrer<br />

Tätigkeit begleitet.<br />

Erste Bilanz<br />

Auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag<br />

in Bremen wurde das Portal im Mai 2009 offiziell<br />

eröffnet. Nach den ersten Monaten des Betriebs<br />

lässt sich eine positive Bilanz ziehen. Die<br />

Nutzerinnen und Nutzer melden zurück, dass<br />

die Stimmung auf UnsereZeiten.de eine andere<br />

ist als auf vielen Internetportalen. Sie ist geprägt<br />

von großer Ernsthaftigkeit und gegenseitigem<br />

Respekt. Der Umgangston ist wertschätzend und<br />

den Beiträgen merke man die Sorgfalt an, <strong>mit</strong> der<br />

sie erstellt wurden.<br />

UnsereZeiten.de nutzt die interaktiven Möglichkeiten<br />

des Internets, um der Zielgruppe der<br />

über 59-Jährigen einen Kommunikationsraum<br />

zu schaffen, in dem Menschen ihre Lebenserfahrung<br />

teilen können.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

55


SENIORINNENARBEIT<br />

Der Age Explorer®:<br />

Eine Brücke des Verständnisses zwischen Jung und Alt<br />

DR. HANNE MEYER-HENTSCHEL<br />

Dr. Hanne Meyer-Hentschel hat Betriebswirtschaft<br />

studiert und leitet den Bereich<br />

50plus im Meyer-Hentschel Institut in<br />

Saarbrücken, das seit 1985 Unternehmen<br />

und Dienstleister bei der Anpassung an<br />

den demographischen Wandel unterstützt.<br />

Das Meyer-Hentschel Institut zählt<br />

zu den Experten im Bereich des Seniorenmarketing.<br />

Es hat sich etwas verändert in Europa: Die Bedürfnisse<br />

reifer Bürger sind in den Fokus der<br />

Öffentlichkeit gerückt, und das zu Recht! Denn<br />

der Jugendmarkt schrumpft, der Anteil Älterer<br />

an der Bevölkerung wird immer größer, die Lebenserwartung<br />

steigt: Wer heute 60 Jahre alt ist,<br />

hat - statistisch gesehen - noch eine Lebenserwartung<br />

von rund einem viertel Jahrhundert!<br />

Und so wirkt die demographische Verschiebung<br />

als mächtige gesellschaftliche Strömung in allen<br />

persönlichen und gesellschaftlichen Sphären<br />

und hat ausgeprägte Konsequenzen. Sie verändert<br />

in vielfacher Weise die Spielregeln, nach denen<br />

unsere Gesellschaft und unsere Märkte, unsere<br />

Städte und Kommunen funktionieren.<br />

Wir haben heute die Situation, dass 30 Millionen<br />

Menschen in Deutschland 50 Jahre und<br />

älter sind. In jedem dritten Haushalt finden wir<br />

<strong>mit</strong>tlerweile einen Rentnerhaushalt, und in jedem<br />

zweiten Haushalt lebt in Deutschland eine<br />

Person, die älter ist als 50. Auf die Haushaltszahlen<br />

betrachtet ist es ein gewaltiges Potential,<br />

das nicht mehr zu unterschätzen ist. Bis 2030<br />

wird jeder dritte Deutsche 60 Jahre und älter sein<br />

und jeder zweite über 50!<br />

In einer Gesellschaft des langen Lebens besinnt<br />

man sich wieder auf die Stärken des <strong>Alter</strong>s<br />

und erkennt darin bisher ungeahnte Chancen.<br />

56 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Davon haben sowohl die Jüngeren als auch die<br />

Reifen etwas. Denn die <strong>Alter</strong>ung der Gesellschaft<br />

ist nicht allein unter dem Aspekt möglicher Belastungen<br />

zu betrachten. Genauso wichtig ist die<br />

Darstellung möglicher Gewinne, die unserer Gesellschaft<br />

aus der wachsenden Anzahl Älterer erwachsen<br />

können.<br />

Normales <strong>Alter</strong>n ist schließlich kein psychischer<br />

Verfallsprozess. Im Gegenteil: Das psychische<br />

Leistungspotential eines Menschen steigt<br />

<strong>mit</strong> den Jahren häufig sogar an: In Erfahrung,<br />

Selbstbewusstsein, Urteilsvermögen, Sozialkompetenz,<br />

Geduld usw. sind Senioren durchschnittlich<br />

jüngeren Menschen überlegen. „Als Kinder<br />

haben wir das Leben aus der Froschperspektive<br />

gesehen - jetzt im <strong>Alter</strong> profitieren wir von der<br />

Vogelperspektive!“ (Gruppendiskussion Meyer-<br />

Hentschel Institut). Das Bedürfnis, so lange wie<br />

möglich selbständig handeln und leben zu können,<br />

steht dabei ganz weit oben auf der Skala der<br />

Bedürfnisse im <strong>Alter</strong>.


Benutzerfreundliche Technik und Design<br />

können da<strong>für</strong> sorgen, dass eine weitgehend<br />

selbständige Lebensführung so lange wie möglich<br />

aufrechterhalten bleiben kann. In diesem<br />

Zusammenhang bekommen alle Entwicklungen<br />

im Aufgabenfeld „AAL“ (Ambient Assisted Living)<br />

eine wachsende Bedeutung: Die Umgebung<br />

unterstützt <strong>mit</strong>tels innovativer Technik unterschiedlichste<br />

Aktivitäten älterer Menschen<br />

und ermöglicht so eine längere relativ selbständige<br />

Lebensweise im eigenen Haushalt. Doch<br />

nicht nur das Wohnumfeld, sondern unsere gesamte<br />

physische Umgebung muss <strong>für</strong> Menschen<br />

unterschiedlichen <strong>Alter</strong>s und unterschiedlichster<br />

Fähigkeiten nicht nur einfach zugänglich, sondern<br />

auch einladend sein. Nicht Spezialanfertigungen<br />

<strong>mit</strong> dem Siegel „seniorentauglich“ sind<br />

gefragt, sondern unauffälliges universal design,<br />

und das <strong>für</strong> praktisch alle Lebensbereiche.<br />

So werden immer mehr Unternehmen „demographie-agil“:<br />

Sie sind munter, flexibel und<br />

stets neugierig zu erfahren, was sich Ältere<br />

tatsächlich und im Detail wünschen. Da<strong>mit</strong> sind<br />

sie in der Lage, innovative, möglichst passgenaue<br />

Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln,<br />

verbunden <strong>mit</strong> einer besonders glaubwürdigen<br />

Kommunikation. Nicht alle Ansätze<br />

sind allerdings von Erfolg gekrönt, denn:<br />

Schickes Design und faszinierende Technik aus<br />

Sicht Jüngerer sind noch lange nicht auch benutzerfreundlich<br />

aus Sicht Älterer - selbst wenn<br />

es sich um aktive Ältere handelt.<br />

Die wahre Herausforderung, der sich Technik<br />

und Design, Lebensräume oder Serviceangebote<br />

in Zukunft zu stellen haben, ist also die Forderung,<br />

dass sie auch aus Sicht reifer, kritischer<br />

oder auch körperlich mehr oder weniger eingeschränkter<br />

Nutzer eine wirkliche Verbesserung<br />

der Lebensqualität darstellen und da<strong>mit</strong> Werkzeuge<br />

<strong>für</strong>s Leben sind. Denn: Auch wenn die Lebenserwartung<br />

beständig zunimmt und die Menschen<br />

länger fit bleiben, lässt sich der biologische<br />

<strong>Alter</strong>ungsprozess nur in Grenzen aufhalten.<br />

So ist da<strong>mit</strong> zu rechnen, dass die Sinnesleistungen<br />

vieler Menschen im Laufe ihrer Lebensjahre<br />

abnehmen. Natürlich ist hier eine große Variabilität<br />

zwischen verschiedenen Menschen zu beobachten.<br />

Die nachfolgenden Informationen –<br />

SENIORENARBEIT<br />

medizinisch und gerontologisch fundiert - sind<br />

als Durchschnittsbetrachtung jedoch recht nützlich.<br />

Im Laufe des Lebens kann <strong>mit</strong> einem Verlust<br />

der Sehschärfe bis zu 80% gerechnet werden.<br />

Die Verringerung der Sehschärfe ist besonders<br />

gravierend im Nahbereich und bei schlechter Beleuchtung.<br />

Jeder Anbieter, der seinen Kunden also<br />

schwierige Sehaufgaben zumutet, muss da<strong>mit</strong><br />

rechnen, auf Umsätze zu verzichten. Denken Sie<br />

z.B. an: Bedienungsanleitungen, Beipackzettel,<br />

Fahrkarten, Fahrpläne, Formulare, Kassenzettel,<br />

Mailings, Packungen <strong>für</strong> Konsumgüter, Preisauszeichnungen,<br />

Speisekarten, Überweisungsträger,<br />

Versandhauskataloge, Verträge usw.<br />

Von ähnlich zentraler Bedeutung wie mögliche<br />

Sehprobleme im Nahbereich sind Veränderungen<br />

der Farbwahrnehmung im Laufe des Lebens.<br />

Man kann davon ausgehen, dass das Empfindungsvermögen<br />

<strong>für</strong> Farbtöne des gesamten<br />

Farbspektrums im <strong>Alter</strong> nachlässt. Dies gilt vor<br />

allem gegenüber blauen und grünen Farbtönen.<br />

Hören ist <strong>für</strong> die soziale Einbindung eines<br />

Menschen unentbehrlich. Denken Sie an: Beratungsgespräche,<br />

Betriebsgeräusche von Geräten,<br />

Durchsagen in Läden, Fernsehwerbung, Hörfunkwerbung,<br />

Lautsprecheransagen auf Bahnhöfen<br />

und Flugplätzen, Signaltöne von technischen<br />

Geräten, Verkaufsgespräche oder Unterhaltungen<br />

im Freundeskreis. So erleben wir immer<br />

wieder, dass Ältere sich bei Familienfesten<br />

nicht recht wohlfühlen, weil sie den Gesprächen<br />

nicht folgen können und zuweilen nur eine diffuse<br />

Geräuschkulisse wahrnehmen.<br />

Man kann weiterhin davon ausgehen, dass<br />

bis zum 70. Lebensjahr 30-40% der Muskelkraft<br />

verloren gehen. Durch altersbedingte Versteifung<br />

der Gelenke lässt die Beweglichkeit nach. Allein<br />

diese beiden Veränderungen führen zu einer Abnahme<br />

der Selbstsicherheit bei alltäglichen Verrichtungen.<br />

Da kein Mensch auf Dauer <strong>mit</strong> Misserfolgserlebnissen<br />

leben will, werden die entsprechenden<br />

Aktivitäten zunächst eingeschränkt<br />

und dann gar nicht mehr durchgeführt bzw.<br />

durch andere ersetzt.<br />

Dem zuvor erwähnten großen Erfahrungspool,<br />

dem differenzierten Urteilsvermögen und<br />

den besonderen Ansprüchen reifer Menschen<br />

stehen diese nun beschriebenen biologischen<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

57


SENIORINNENARBEIT<br />

Veränderungen <strong>mit</strong> zunehmendem <strong>Alter</strong> gegenüber.<br />

Da<strong>mit</strong> zurecht zu kommen, richtig zu reagieren,<br />

die notwendige Geduld zu haben, ist <strong>für</strong><br />

Jüngere nicht einfach. Bei Gesprächen und Diskussionsrunden<br />

<strong>mit</strong> älteren Menschen stellen<br />

wir regelmäßig fest, dass <strong>mit</strong> zunehmendem <strong>Alter</strong><br />

die persönliche Betroffenheit oder Scham eine<br />

immer größere Rolle spielen: Je älter die Teilnehmer<br />

im Durchschnitt sind, desto weniger<br />

werden altersbedingte persönliche Probleme offen<br />

diskutiert. Qualifizierte Marktforschungsinstitute<br />

haben erkannt, dass Senioren zu den<br />

schwierigsten Zielgruppen zählen, wenn es um<br />

die Erfassung ihrer Wünsche, Bedürfnisse und<br />

Probleme geht.<br />

Besonders dramatische Folgen kann dies im<br />

höheren Lebensalter bekommen, wenn Jüngere<br />

„es gut meinen“, Ältere sich aber nicht verstanden<br />

fühlen: „Die einzige Tragik im Leben eines<br />

Menschen ist, dass er im <strong>Alter</strong> zuweilen von jüngeren<br />

Leuten betreut wird, die sich kaum richtig<br />

vorstellen können, was <strong>Alter</strong> wirklich bedeutet...“<br />

(Lieselotte Düring, 82).<br />

Nun, wie soll sich auch eine Pflegekraft von<br />

27 Jahren so richtig in die Haut einer älteren Bewohnerin<br />

hineinversetzen können? Sie ist gut<br />

ausgebildet, hat bereits einige Erfahrung im Umgang<br />

<strong>mit</strong> älteren Bewohnern. Nur: Zuweilen urteilt<br />

sie (unbewusst) vom beobachteten Verhalten<br />

der Bewohner auf deren geistige Verfassung,<br />

und das trifft nicht immer den Kern. Wenn jemand<br />

beispielsweise langsamer geht oder redet,<br />

dann bedeutet das nicht auch, dass er langsamer<br />

denkt. In solchen Situationen ist es überaus<br />

wichtig <strong>für</strong> Jüngere, sich sehr sensibel in das ältere<br />

Gegenüber hineinversetzen zu können und<br />

die richtigen Schlüsse zu ziehen. Wer hier körperliche<br />

Handicaps <strong>mit</strong> geistigen Fähigkeiten<br />

gleichsetzt oder verwechselt, hat sein Vertrauen<br />

verspielt: Unmutsäußerungen oder Frust können<br />

die Folge sein, und das auf beiden Seiten.<br />

Um solche Situationen zu minimieren oder<br />

gar nicht erst auftreten zu lassen, greifen immer<br />

mehr Unternehmen bzw. Einrichtungen zu einer<br />

eigentlich ungewöhnlichen Methode der Personalschulung:<br />

Sie stecken ihre jüngeren Mitarbeiter<br />

in den Age Explorer®, d. h. „in die Haut der<br />

älteren Bewohner“. Im Age Explorer® können sie<br />

altersbedingte körperliche Einschränkungen am<br />

eigenen Körper erleben und begreifen. Und das<br />

58 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

ist eindrucksvoller und nachhaltiger als alle<br />

Theorie und als das Beobachten der Bewohner<br />

„von außen“. Schließlich ist die direkte, persönliche<br />

Erfahrung einer der effektivsten Wege, Einstellungen<br />

zu verändern und Verhalten zu optimieren.<br />

Wir haben in einigen Senioreneinrichtungen<br />

erlebt, dass sich Pflegepersonal Gedanken<br />

über den geistigen Zustand einzelner Bewohner<br />

machte, weil diese an sehr sonnigen Tagen<br />

die Vermutung äußerten, „draußen liege<br />

Schnee“. Nachdem das Pflegepersonal im Age<br />

Explorer® nach draußen geschaut hatte und aufgrund<br />

des nun veränderten Sehvermögens ebenfalls<br />

den Eindruck hatte, draußen liege Schnee,<br />

merkten wir, wie gleichsam innerlich Abbitte geleistet<br />

wurde. Dieses Personal war durch diese<br />

und viele weitere Erfahrungen unter neuem<br />

Blickwinkel nun derart sensibilisiert, dass es ab<br />

diesem Zeitpunkt nicht mehr vorschnell urteilen<br />

würde.<br />

Bis jetzt haben mehr als 12.000 Mitarbeiter<br />

innovativer Unternehmen aus Industrie, Handel<br />

und Dienstleistung an Age Explorer®-Workshops<br />

teilgenommen. Die Anwender kommen aus einer<br />

Vielzahl von Branchen: Automobil, Banken,<br />

Einzelhandel, Hausgeräte, Hotellerie, Kliniken,<br />

Immobilien, Konsumgüter, Ladenbau, Medienunternehmen,<br />

Medizintechnik, Möbel, öffentliche<br />

Verkehrs<strong>mit</strong>tel, Pharma, Versandhandel.<br />

Interessant ist der motivationale Langzeiteffekt:<br />

92% der Teilnehmer erleben einen Age Explorer®-Workshop<br />

als „Anstoß zum Umdenken“<br />

über ihre Art, <strong>mit</strong> älteren Kunden umzugehen<br />

und alte Menschen besser zu verstehen. Auf diese<br />

Weise helfen unsere Age Explorer®, das Wissen<br />

und die Einstellungen gegenüber älteren<br />

Menschen zu verändern, Produkte und Dienstleistungen<br />

zu optimieren. Sie sind eine Brücke<br />

des Verständnisses zwischen den Generationen.<br />

Bild rechte Seite:<br />

Mit dem Age-Explorer auf einer Rolltreppe. So<br />

können sich Jüngere in eine ältere Person hineinversetzen,<br />

wie schwierig es sein kann, sich<br />

im normalen Leben zurechtzufinden.


SENIORENARBEIT<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

59


KOLUMNE<br />

Wer leitet die Gemeinde?<br />

Theologische Beiträge zur <strong>Nordkirche</strong>. Folge 10:<br />

HORST GORSKI<br />

Dr. Horst Gorski ist Propst von Altona im<br />

Kirchenkreis Hamburg-West/Südholstein<br />

und u.a. Vorsitzender des Theologischen<br />

Beirates der Nordelbischen Kirche<br />

An sich kann man diese Frage ganz einfach<br />

beantworten: Jesus Christus leitet die Gemeinde.<br />

Er ist der Herr der Kirche, und als solcher<br />

leitet er sie.<br />

Natürlich kann das nicht die ganze Antwort<br />

sein. Denn im Namen Jesu Christi leiten auch<br />

Menschen seine Kirche. Aber welche Menschen?<br />

Auch diese Frage lässt sich einfach beantworten:<br />

Nach Martin Luther ist alles, was „aus der Taufe<br />

gekrochen ist“ bereits zum Priester und Papst<br />

geweiht. Man spricht vom „Priestertum aller Getauften“<br />

oder vom „Allgemeinen Priestertum“.<br />

Die Antwort lautet also: Alle Getauften gemeinsam<br />

leiten die Kirche bzw. die Gemeinde.<br />

Doch auch <strong>mit</strong> dieser Antwort kann es nicht<br />

sein Bewenden haben. Denn wenn alle Getauften<br />

sich gleichermaßen anschickten, eine Gemeinde<br />

zu leiten, wäre das Durcheinander vorprogrammiert.<br />

Deshalb haben die Reformatoren<br />

in Artikel 14 des Augsburgischen Bekenntnisses<br />

festgehalten: „Vom Kirchenregiment wird gelehrt,<br />

dass niemand in der Kirchen öffentlich lehren<br />

oder predigen oder Sakrament reichen soll<br />

ohne ordentlichen Beruf.“ Diese Formulierung<br />

ist altertümlich und erschließt sich besser über<br />

die lateinische Version: „nisi rite vocatus“ =<br />

„wenn er nicht ordentlich berufen ist“.<br />

Aber auch hier<strong>mit</strong> ist noch nicht die nötige<br />

Klarheit geschaffen. Das fängt schon bei der Frage<br />

an, ob hier, wo nur vom Lehren, Predigen und<br />

Sakramentreichen die Rede ist, das Leiten in organisatorischen<br />

Dingen <strong>mit</strong>gemeint ist. In Artikel<br />

28, der „De potestate ecclesiastica“, also etwa<br />

„Von der Vollmacht in der Kirche“ über-<br />

60 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

schrieben ist, wird die Macht der Bischöfe ausdrücklich<br />

auf das Predigen, die Sündenvergebung<br />

und die Sakramentsverwaltung begrenzt.<br />

Alle weltliche Macht wird den Bischöfen abgesprochen.<br />

Da<strong>mit</strong> blieb letztlich unklar, wer in der Kirche<br />

organisatorisch das Sagen haben sollte. Im<br />

Jahr 1530 musste diese Frage nicht beantwortet<br />

werden. Und später wurde über Jahrhunderte<br />

diese Aufgabe praktisch dem Landesherrn übertragen.<br />

Als die Landeskirchen 1918 selbständig<br />

wurden, trat die ungelöste Leitungsfrage erneut<br />

auf den Plan. Bis heute arbeiten sich alle evangelischen<br />

Kirchenverfassungen an diesem ungelösten<br />

Problem ab.<br />

Dabei ist seit dem Aufkommen der Synodalverfassungen<br />

im 19. Jahrhundert klar, dass demokratisch<br />

legitimierte Instanzen die Kirche in<br />

organisatorischen Dingen leiten sollten. Schleiermacher<br />

führte eine wichtige Unterscheidung in


die Debatte ein: Er sprach vom „gebundenen“<br />

und vom „ungebundenen“ Kirchenregiment.<br />

„Gebunden“ ist die Leitungsform, die sich organschaftlich<br />

aufstellen und demokratisch begründen<br />

lässt. „Ungebunden“ ist die Leitungsform,<br />

die geistgewirkt und organisatorisch nicht<br />

fassbar ist. Mit dieser Differenzierung macht<br />

Schleiermacher sichtbar, dass es in der Kirche<br />

immer etwas gibt, das sich in Gesetze und Ordnungen<br />

nicht fassen lässt. Denn der Geist weht,<br />

wo er will. Demokratie ist ein notwendiges, aber<br />

kein hinreichendes Strukturprinzip <strong>für</strong> die Kirche,<br />

wie Rainer Preul ausführt. Der Geist sprengt<br />

auch die beste demokratische Ordnung.<br />

Wie nun soll man <strong>mit</strong> diesem spannungsvollen<br />

theologischen Befund umgehen?<br />

Alle Kirchenverfassungen ordnen die „gebundene“<br />

Gemeindeleitung einem Organ zu, das<br />

sie Kirchenvorstand, Gemeindekirchenrat o.ä.<br />

nennen. Die Kirchenverfassungen unterscheiden<br />

sich aber darin, wie sie die „ungebundene“ geistliche<br />

Leitung in der Gemeinde neben dem Leitungsorgan<br />

zulassen und ordnen.<br />

Die Nordelbische Verfassung ist einen konsequenten<br />

Weg gegangen: Sie ordnet die Leitung<br />

allein dem Kirchenvorstand zu. Das Amt der öffentlichen<br />

Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung<br />

„sammelt“ die Gemeinde, leitet sie<br />

aber nicht. Dieses Modell beschränkt sich auf<br />

das, was rechtsförmig regelbar ist, die „gebundene“<br />

Leitung. Über die „ungebundene“ Leitung<br />

sagt sie nichts aus. Das Signal, das von diesem<br />

Modell ausgeht, kann man verschieden lesen:<br />

Entweder sieht man darin eine wohltuende<br />

Selbstbeschränkung, die den Geist nicht in Regeln<br />

zu fassen versucht, oder aber man sieht darin<br />

die Aufforderung, möglichst keine ungebundene<br />

Leitung neben dem Leitungsorgan entstehen<br />

zu lassen.<br />

Die meisten <strong>anderen</strong> Kirchenverfassungen<br />

schreiben dem Amt der öffentlichen Wortverkündigung<br />

und Sakramentsverwaltung eine Leitungsrolle<br />

neben dem Kirchenvorstand zu: Wer<br />

predigt und die Sakramente reicht, leitet die Gemeinde<br />

durch die Auslegung des Wortes Gottes.<br />

Auch das Signal, das von diesem Modell ausgeht,<br />

kann unterschiedlich verstanden werden:<br />

Ist es der schlichte Versuch, das Wirken des Geistes<br />

<strong>mit</strong> rechtsförmigen Mitteln wenigstens an-<br />

AUF DEM WEG ZUR NORDKIRCHE<br />

zudeuten? Oder wird hier eine Konkurrenz zum<br />

Leitungsorgan aufgebaut, die in der Praxis erhebliche<br />

Probleme heraufbeschwören kann?<br />

Die Schwierigkeit dürfte im Augenblick darin<br />

bestehen, juristische und theologische Aspekte<br />

sowie die eigenen Erfahrungen und Traditionen<br />

korrekt aufeinander zu beziehen. Denn es<br />

spielt eben auch eine Rolle, welche Erfahrungen<br />

der Einzelne <strong>mit</strong> selbstherrlichen Pastoren oder<br />

<strong>mit</strong> selbstbewussten Kirchenvorständen gemacht<br />

hat. Während in Mecklenburg laut Kirchengesetz<br />

der Vorsitzende des Kirchengemeinderats<br />

in der Regel ein Pastor oder eine Pastorin<br />

sein soll, lässt die nordelbische Verfassung sowohl<br />

Geistliche als auch Laien als Vorsitzende zu<br />

– <strong>mit</strong> der Tendenz, dass es in Nordelbien weithin<br />

als wünschenswert angesehen wird, Laien den<br />

Vorsitz zu übertragen. Das praktische und gelebte<br />

Pastorenbild der drei <strong>Nordkirche</strong>n ist unterschiedlich.<br />

Jenseits aller Verfassungstexte finden<br />

wir also unterschiedliche gelebte und gefühlte<br />

Wirklichkeiten vor, die von den Verhandlungsführern<br />

<strong>mit</strong> in die Debatte eingebracht werden.<br />

Es wird immer nur andeutungsweise möglich<br />

sein, den Geist in juristische Formulierungen<br />

zu fassen. Und regionale Unterschiede werden –<br />

zum Glück – bleiben, egal welche Formulierungen<br />

in der künftigen Verfassung stehen.<br />

Was ist zu tun in dieser Situation?<br />

Im Augenblick sollte man zunächst als Ziel<br />

beschreiben, was die zu findenden Formulierungen<br />

leisten sollten. Der Versuch einer Zielbeschreibung:<br />

Die künftige Verfassung sollte eine Erinnerung<br />

daran enthalten, dass die Kirche von ihrem<br />

Herrn Jesus Christus geleitet wird und dass diese<br />

Leitung in der Auslegung und öffentlichen<br />

Darstellung seines Wortes durch Menschen einen<br />

Nachhall hat. Diese Erinnerung sollte so eingebracht<br />

werden, dass die geistliche und juristische<br />

Leitungsfunktion des Kirchenvorstandes<br />

weder eingeschränkt noch verunklart wird.<br />

Mit unseren Köpfen sollten wir sorgfältig an<br />

der größtmöglichen Präzision einer solchen Formulierung<br />

arbeiten. In unseren Herzen sollten<br />

wir gelassen bleiben, weil wir wissen: Der Geist<br />

weht, wo er will. Und so ist denn die Verfassung<br />

eine wichtige Grundlage <strong>für</strong> das kirchliche Leben,<br />

aber nicht das Leben selbst.<br />

NORDELBISCHE STIMMEN<br />

61


DIE LETZTE SEITE<br />

Schreiben Sie!<br />

Melden Sie sich im Gesprächsforum der Nordelbischen<br />

Stimmen zu Wort. Zu Themenschwerpunkten,<br />

die <strong>für</strong> die nächsten Ausgaben geplant sind,<br />

werden gezielt Artikel erbeten (siehe unten). Daneben<br />

können Leserinnen und Leser selbstverständlich<br />

auch Beiträge zu <strong>anderen</strong> Themen einsenden<br />

oder neue Schwerpunkte anregen. Artikel<br />

sind bitte nach Möglichkeit als E-Mail einzusenden.<br />

Kürzungen, Bearbeitungen und das Setzen<br />

von Titeln behält sich die Redaktion im Sinne der<br />

Publikationsfähigkeit vor. Kurze biografische Angaben<br />

des Autoren, der Autorin und gegebenenfalls<br />

passendes Bildmaterial werden erbeten. Ein Beitrag<br />

sollte möglichst nicht mehr als 8.000 bis 10.000<br />

Zeichen (incl. Leerzeichen) haben.<br />

Freies Forum<br />

Welche Themen möchten Sie in Nordelbien setzen?<br />

Sagen Sie Ihre Meinung, ungeschminkt.<br />

Stoßen Sie Diskussionen an zu den Themen, die<br />

Sie umtreiben. Dazu bieten die Nordelbischen<br />

Stimmen ein Forum - seit nun vielen Jahren.<br />

Nach den umfangreichen Themenheften der<br />

letzten Zeit bietet das nächste Heft Gelegenheit,<br />

dass auch Sie Ihre Meinung sagen! Der nordelbische<br />

Diskurs in den Nordelbischen Stimmen.<br />

Trauen Sie sich!<br />

Redaktionsschluss <strong>für</strong> das Märzheft:<br />

15. Februar 2010<br />

Redaktion der Nordelbischen Stimmen,<br />

Postfach 2060, 24019 Kiel<br />

Tel. (04 31) 55 779-200/202,<br />

Fax (04 31) 55 779-293;<br />

E-Mail: nest@nordelbische.de<br />

62 NORDELBISCHE STIMMEN<br />

Zu guter Letzt<br />

Wieder beginnen wir ein<br />

neues Jahr. Aber welches eigentlich?<br />

Manches können wir ahnen von dem, was auf<br />

uns zukommt. Es wird das Jahr der Biodiversität,<br />

so hat es die UNO bestimmt, aber es wird<br />

auch das Jahr der indigenen Völker, denken<br />

Sie also dran! Spannender <strong>für</strong> den religiös interessierten<br />

Menschen ist vielleicht, dass uns<br />

neben dem Großereignis des Ökumenischen<br />

Kirchentages in München im Mai auch ein<br />

Heiliges Compostelanisches Jahr bevorsteht,<br />

weil der Jakobustag (25. Juli) dieses Jahr auf einen<br />

Sonntag fällt, ein Gnadenjahr also. Unter<br />

bestimmten Bedingungen erhalten katholische<br />

Christen dieses Jahr einen Plenarablass.<br />

Aber welches Jahr beginnen wir? Nach unserer<br />

Zeitrechnung ist es das 2010 nach Christi Geburt.<br />

Aber wie man hört, ist das auch nicht<br />

ganz genau gesichert, da soll es ja Verrechnungen<br />

um ein paar Jahre gegeben haben. Und<br />

was, wenn die Verschwörungstheoretiker um<br />

den Hobbyhistoriker Heribert Illig recht hätten<br />

und die Jahre von 614 bis 911 gar nicht existiert<br />

hätten? Alles erfunden? Dann wären wir jetzt<br />

im 18. Jahrhundert. Der ein oder andere Römer<br />

feiert vielleicht noch den Wechsel zum<br />

Jahr 2763 ab urbe condita, also seit der Gründung<br />

Roms, so, wie vielleicht mancher Franzose<br />

noch das Jahr 219 nach der großen Revolution<br />

begrüßt, wer weiß? Am weitesten kommen<br />

wir im Jüdischen Kalender, hier steuern wir<br />

auf das Jahr 5771 zu, seit der Erschaffung der<br />

Welt, versteht sich. Wir haben uns aber nun<br />

auf das Jahr 2010 n.Chr. geeinigt und nach diesem<br />

Kalender berechnen sich ja auch die Jubiläen,<br />

die im neuen Jahr anstehen. Elvis Presley<br />

wäre 75 Jahre alt geworden, Mutter Teresa<br />

gar 100 Jahre, da<strong>für</strong> sind Leo Tolstoi und Henri<br />

Dunant, der Gründer des Roten Kreuzes und<br />

erster Friedensnobelpreisträger, schon hundert<br />

Jahre tot. Ja, und der FC St. Pauli wird hundert<br />

Jahre alt und steigt zur Feier des Ereignisses in<br />

die Bundesliga auf. Das alles im Jahr der Fußballweltmeisterschaft<br />

in Südafrika.<br />

Na, dann ist da noch Philipp Melanchthon, der<br />

Gefährte Luthers, der Reformator, Humanist<br />

und praeceptor germaniae, er ist vor 450 Jahren<br />

gestorben. Viele Jubiläen in diesem Gnadenjahr,<br />

hoffentlich <strong>für</strong> alle.<br />

Christoph Borger


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63


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