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Joachim Kolb featuring - Sono Design

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Herbert <strong>Kolb</strong><br />

Wilzenbach<br />

wenn der noch<br />

dagewesen wäre<br />

Ein wiederentdeckter Roman<br />

Bei einer Wohnungsauflösung fanden mein Bruder und ich ein Exemplar des Romans<br />

Dieses Thema hat seinerzeit ein gan- ist abgeblieben auf dem Rückmarsch fordert, von Zukunft geplagt, der äuzes<br />

Land entzweit. Wieviel Spielraum im Winter – wie, weiß keiner so ganz ßert sich unmittelbar, direkt, aus dem<br />

bei der Befehlsausführung war im genau. Und, dennoch: Wenn nicht in Augenblick. Meistenteils aber erzählen<br />

Krieg möglich, was konnte man beein- Person, so durch das Beispiel, das er sie sich selbst, indem sie preisgeben,<br />

flussen, und wo war man machtlos? hinterlassen hat, ist er gegenwärtig, wie Vergangenes in ihnen nachwirkt,<br />

Herbert <strong>Kolb</strong> verarbeitete dieses The- Wilzenbach. Und das Verhalten eines was Gegenwärtiges in ihnen wachruft,<br />

„Wilzenbach – wenn der noch dagewesen wäre“ – und eine Sammlung alter Papiere aus<br />

ma in einem eigentümlichen, autobio- Mannes orientiert sich am Verhalten wie Zukünftiges ihnen sich vorstellt.<br />

den 60er Jahren. Es handelte sich um Zeitungsausschnitte, Rezensionen und Kommengraphisch<br />

geprägten Kriegsroman. Der eines anderen, der nicht mehr da ist. Und wie Entschlüsse sich vorbereiten.“<br />

Zweite Weltkrieg bildet die Bühne für Geschehendes und Geschehenes, Getare,<br />

und alle beschäftigten sich mit der 1964 erschienenen Erzählung unseres verstor-<br />

eine Parabel über eigenverantwortligenwärtiges und Vergangenes: Wo dies<br />

benen Vaters. Auch fanden wir die gesammelte Korrespondenz mit seinem Verlag.<br />

ches Denken und Handeln.<br />

fortwährend ineinander greift und Zeitgeschichtliches<br />

Der Autor entwickelte für sein Pro- wo das Voraussinnen auf Zukünftiges<br />

So lasen wir uns in die Materie ein, und die Idee zu einer Neuveröffentlichung entstand.<br />

sastück einen in der damaligen Zeit sich ständig einmischt, da sind die Zeit- 1943. Die Rote Armee hat sich neu or-<br />

Als ich ein kleiner Junge war und Später haben mein Bruder und ich eigentlich Schütze Zwei am Maschi-<br />

(1964) ungewöhnlich experimentellen stufen des Denkens der Gefahr ausgeganisiert. Die Kriegsproduktion ist un-<br />

Sprachstil. Es scheint, als hätte <strong>Kolb</strong> die setzt, sich zu verwischen, ineinander erreichbar für die deutsche Luftwaffe<br />

Gedanken seiner Protagonisten fast überzufliessen. Wer mittendrin ist im hinter den Ural verlegt worden.<br />

ohne jede grammatikalische Begradi- Gewirr der Zeit, mit Vergangenheit<br />

eben erst lesen gelernt hatte, fiel mir viel mit Vater über den Zweiten Weltnengewehr erhält den Befehl, eine vergung<br />

direkt in den Text fließen lassen. beladen, durch Gegenwart herausge-<br />

Lesen Sie weiter auf Seite 4<br />

unter den unzähligen Büchern im Arkrieg diskutiert, oft sehr kontrovers dächtige Zivilistin zur Aburteilung in<br />

So entsteht für den Leser eine große<br />

beitszimmer meines Vaters ein beson- und unversöhnlich; und wer solche Ge- die Kreiskommandantur zu bringen.<br />

Nähe zu den handelnden Personen und<br />

derer Name auf. Ich legte den Kopf auf nerationskonflikte erlebt hat, ahnt, Doch Kriegsalltag und Befehl können<br />

deren inneren Monologen.<br />

Der Autor<br />

die Seite und entzifferte auf einem dass manch böses Wort gefallen Neue ist. Soldaten nicht kommen verhindern, aus den fer- dass auf dem lan-<br />

Pressestimmen 1964<br />

schwarzen Buchrücken die fetten ro- Niemals jedoch hat Vater nen gesagt, Gebieten was der gen Sowjetunion, Marsch durch und die Steppe eine geten<br />

Lettern unseres Familiennamens so naheliegend gewesen durch wäre: große „Jetzt Mengen wisse neuer Sympathie Kriegs- entsteht zwischen<br />

Herbert <strong>Kolb</strong> über<br />

„<strong>Kolb</strong>“ und las weiter: „Wilzenbach“. werft doch mal einen Blick waffen in dieses ist es gelungen, den beiden.<br />

„Wilzenbach“<br />

Habe ich meinen Vater darauf ange- verdammte Buch und dann die reden 6. Deutsche wir „Hier Armee ist der Befehl, da sind die Umsprochen?<br />

Habe ich ihn gefragt, wie un- weiter.“<br />

im winterlichen stände.StalinWie kommst Du zurecht mit<br />

„Ende Juni 1943, Mitte des deutser<br />

Name auf ein richtiges, ein echtes,<br />

grad zu vernichten. beidem?“ Auch hatte Wilzenbach gesagt,<br />

schen Krieges in Russland, Ruhe über<br />

gedrucktes Buch kommt? Ich weiß es<br />

in den besetzten und: Gebieten „Der Befehl ist auszuführen, das<br />

der Steppe, die Offensive läßt auf sich<br />

nicht mehr. Wahrscheinlich ist, dass ich Klappentext (2011) herrscht kaum Ruhe, ist gar hier keine Frage, bloß: wie ihn aus-<br />

warten – fraglich, ob sie überhaupt<br />

mich einfach wieder meinen Spielsa-<br />

wird die deutsche führen,Besat- das ist manchmal sehr die<br />

stattfinden wird diesmal. Ein Mann<br />

chen zuwandte. Wie auch immer – ich „Ukraine, Sommer 1943. zung Ruhe durch liegt Angriffe Frage, das von ist die Frage überhaupt...“<br />

erhält einen Auftrag: eine Person, die<br />

vergaß meine Entdeckung, und bei uns über der Steppe, der deutsche Partisanen Vor- geschwächt. Herbert <strong>Kolb</strong> schreibt über Befehl<br />

festgenommen ist unter verdächtigen<br />

zu Hause wurde ohnehin nicht viel marsch ist längst zum Stillstand Die Erzählung ge- und „Wilzenbach Verweigerung – und über den<br />

Umständen, einzuliefern in die nächs-<br />

über den Roman gesprochen.<br />

kommen. Jürgen Gösch, Gefreiter – wenn der und noch Raum, dagewesen der dazwischen liegt“.<br />

te Kommandantur. Der Mann ist ein<br />

wäre“ spielt Ende Juni 1943,<br />

Soldat, und der Auftrag ist ein Befehl:<br />

150 km westlich Charkow in<br />

Also sagt er Jawohl, ohne zu überlegen.<br />

2<br />

der Ukraine. Die Streitkräf-<br />

Das ist das eine.<br />

te warten auf die anstehende<br />

Nachher aber fängt er doch an zu<br />

Offensive, die später als „Un-<br />

überlegen; denn der Weg ist weit zur<br />

ternehmen Zitadelle“ bekannt<br />

Kommandantur, und er hat ihn al-<br />

Geteiltes Echo in einem geteilten Land –<br />

werden wird. Unmittelbar in den<br />

„Wilzenbach“ lein zu gehen, polarisierte. und die Person sieht<br />

Tagen vor diesem letzten deut-<br />

nicht aus wie eine, für die sie gehal-<br />

Herbert <strong>Kolb</strong> um 1960<br />

schen Großangriff trägt sich die<br />

zu ver- Heute: Verlag ten gesucht! wird, und der Mann hat nicht die<br />

Geschichte des Gefreiten Gösch<br />

arbeiten,<br />

besten Erinnerungen an die Befehle<br />

Herbert Richard <strong>Kolb</strong> (*1924 in<br />

und seiner unfreiwilligen Beglei-<br />

wurde wohlwollend bewer- „Wilzenbach – wenn dessen, der noch der ihn dagewe- auf den Weg geschickt<br />

Venzka/Thüringen, †1991 in Münterin<br />

zu.<br />

tet. Am experimentellen sprachlichen sen wäre“ ist eine hat. Erzählung, Das ist das die andere. Auf- Und zwischen chen) war Ordinarius für Deutsche<br />

Stil jedoch schieden sich die Geister. merksamkeit verdient beidem und muß auch heute er sich zurechtfinden, Philologie an der der Ludwig-Ma-<br />

• Geboren am 6.1.1924, Schulbesuch<br />

und Abitur in Gera<br />

• ab Februar 1942 Kriegsdienst<br />

in der Wehrmacht als Gefreiter,<br />

Einsatz an der Ostfront, nach<br />

Verwundung und einem Semester<br />

Studienurlaub (Winter 44/45 in<br />

Tübingen) Einsatz an der Westfront,<br />

Anfang 1946 Rückkehr aus<br />

britischer Kriegsgefangenschaft<br />

• Sommer 1946 bis Frühjahr 1950<br />

Studium der Germanistik und<br />

Romanistik in Jena, Leipzig<br />

und an der Freien Universität<br />

in Berlin; hier Examina<br />

• 1950-53 Lehrer in Berlin<br />

• 1952 Promotion bei Helmut de<br />

Boor mit der Dissertation „Untersuchungen<br />

zur Terminologie<br />

der höfischen Lyrik“ in Berlin<br />

• 1953/54 Studienaufenthalt in<br />

Paris. Danach Assistent an der<br />

Freien Universität Berlin und<br />

1962 Habilitation und Lehrtätigkeit<br />

als Privatdozent im<br />

Fach Deutsche Philologie<br />

Wohlwollende Kritiker verglichen noch aktuell ist. Für der Mann, viele Menschen der Jawohl gesagt hat und<br />

Veröffentlichung 1964<br />

<strong>Kolb</strong>s Erzählweise mit dem paratak- ist der Zweite Weltkrieg dem hinten ein „abgenutz- noch Bedenken kommen.<br />

tischen Sprachstil Uwe Johnsons. Antes“ Thema und taugt Wilzenbach, bestenfalls wenn noch der noch dagewe-<br />

Als junger Doktor der Germanistik dere hingegen empfanden den Stil als für Spartenkanäle sen des wäre, Dokumentati- der hätte ihm raten können,<br />

verfasste <strong>Kolb</strong> Anfang der 60er Jah- „hemdsärmlig“, „stilisiert“, „für einen onsfernsehens. Nicht wie nur in solcher Jugendliche Lage zu verfahren ist.<br />

re diese autobiographisch geprägte Roman einfach nicht möglich“ und verwenden mittlerweile Der nämlich, den Begriff Wilzenbach der Korpo-<br />

Erzählung. „Wilzenbach – wenn der unterstellten dem Autor mangelndes „Hitler-TV“. Bilder von ral, Fanatismus, hatte so seine Mas- Erfahrungen, wie<br />

noch dagewesen wäre“ ist inhaltlich Sprachgefühl. Auch die verschachtelsenmord, Flüchtlingen man und zurechtkommt Zerstörung mit beidem: dem<br />

motiviert durch das Problem des mite Erzählweise mit Zeitsprüngen und reichen jedoch für Befehl, das Verständnis der ausgeführt die- werden muß,<br />

ximilian-Universität München. Er<br />

veröffentlichte zahlreiche sprachwissenschaftliche<br />

Arbeiten, u.a.<br />

über das Mittelhochdeutsche.<br />

„Wilzenbach – wenn der noch<br />

dagewesen wäre“ ist sein einziges<br />

Prosastück. Sein Hauptinteresse<br />

galt der Mittelalterlichen Literatur<br />

und der deutschen Sprachgeschichte<br />

von den Anfängen bis zur<br />

• 1965 Ernennung zum Professor<br />

für Deutsche Philologie an der<br />

Technischen Universität Berlin<br />

• 1971 Ruf an die neugegründete<br />

Universität Düsseldorf<br />

• 1976 Ruf an die Ludwig-Maximilian-Universität<br />

in München<br />

• 1989 Pensionierung<br />

litärischen Befehls und der Machbar- Rückblenden – heutzutage fester Beser Zeit und der Menschen und den Umständen, dieser Epo- die dagegen sind. Gegenwart.<br />

• Herbert <strong>Kolb</strong> stirbt am 17.9.1991<br />

keit seiner Ausführung.<br />

standteil der Erzählkunst – war nicht che nicht aus. Aber Wilzenbach ist nicht mehr da; er<br />

Seine weiterere Motivation ist eine for- jedermanns Sache.<br />

„Wilzenbach – wenn der noch dagemale:<br />

<strong>Kolb</strong> selbst nennt seinen „Wilzen- Andererseits wurde die Erzählung wesen wäre“ ist kein Buch vom Krieg.<br />

bach“ ein sprachliches Experiment. Er von der Wochenzeitung „Sonntag“ aus Vielmehr ist es eine Beschreibung in-<br />

verwebt verschiedene Sprechweisen Ost-Berlin in höchsten Tönen gelobt, nerer Konflikte. Herbert <strong>Kolb</strong> zeichnet<br />

wie Bericht, Rede, indirekte Rede und sogar ein mehrseitiger Auszug wurde auf, wie Menschen dieser Zeit gefühlt<br />

inneren Monolog zu einem Ganzen, veröffentlicht. Es folgten Veröffent- und gehandelt haben, wie sie getrieben<br />

das geprägt ist durch „den gesprochelichungen in einigen sozialistischen wurden von den Realitäten des Alltanen<br />

Gedanken“, wie ein Kritiker es Ländern, wie z.B. in der Tschechosloges. Ohne zu moralisieren zeigt er, dass<br />

ausdrückte. Die zeitgenössische Umwakei. Möglicherweise hat diese un- auch Befehlsempfänger wie der einfagangssprache<br />

in einer unklassischen, geplante positive Reaktion des Ostens che Gefreite Gösch durchaus Entschei-<br />

additiven, vorwiegend parataktischen größeren Erfolg in der Bundesrepubdungsspielräume hatten.<br />

Syntax ist in weiten Teilen tragendes lik vereitelt. Man war sich ja in keiner Natürlich sind die Lebensumstände des<br />

3<br />

Stilelement der Erzählung.<br />

Sache wirklich einig damals. Jeden- 21. Jahrhunderts völlig andere – doch<br />

„Wilzenbach – wenn der noch dagewefalls blieb es im Westen bei wenigen das Thema Verantwortung hat seine<br />

sen wäre“ erschien 1964 beim Sigbert tausend Exemplaren. Weitere Aufla- Aktualität keineswegs verloren.<br />

Mohn Verlag, Gütersloh. Im geteilten gen wurden nicht produziert.<br />

Wollen Sie mehr erfahren? Ich sende<br />

Deutschland der 60er Jahre wurde In den Folgejahren wandte sich Her- Ihnen das Manuskript (PDF-Datei, ca.<br />

die schwer einzuordnende Erzählung bert <strong>Kolb</strong> sehr erfolgreich seinen wis- 5 MB) gerne zu: joachim.kolb@gmx.net<br />

interessiert, wenn auch skeptisch aufsenschaftlichen Interessen und der<br />

genommen. <strong>Kolb</strong>s Versuch, das Thema Lehrtätigkeit zu. „Wilzenbach“ blieb <strong>Kolb</strong>, Herbert: „Wilzenbach – wenn der<br />

Befehlsnotstand im Krieg literarisch sein einziger Roman.<br />

noch dagewesen wäre“, Roman, 191 Seiten<br />

4<br />

Wilzenbach – wenn der noch dagewesen wäre<br />

Ukraine, Sommer 1943. Ruhe<br />

liegt über der Steppe, der<br />

deutsche Vormarsch ist zum<br />

Stillstand gekommen. Jürgen<br />

Gösch, Gefreiter und eigentlich<br />

Schütze Zwei am Maschinengewehr<br />

erhält den Befehl,<br />

eine verdächtige Zivilistin zur<br />

Aburteilung in die Kreiskommandantur<br />

zu bringen. Doch<br />

Kriegsalltag und Befehl können<br />

nicht verhindern, dass auf<br />

dem langen Marsch durch die<br />

Steppe eine gewisse Sympathie<br />

entsteht zwischen den beiden.<br />

Buchprojekt: Neuveröffentlichung eines Romans aus den 60er Jahren<br />

„Hier ist der Befehl, da sind<br />

die Umstände. Wie kommst<br />

Du zurecht mit beidem?“<br />

hatte Wilzenbach gesagt, und:<br />

„Der Befehl ist auszuführen,<br />

das ist gar keine Frage, bloß:<br />

wie ihn ausführen, das ist<br />

manchmal sehr die Frage, das<br />

ist die Frage überhaupt...“<br />

Herbert <strong>Kolb</strong> schreibt über<br />

Befehl und Verweigerung<br />

– und über den Raum,<br />

der dazwischen liegt.<br />

Herbert <strong>Kolb</strong> Wilzenbach – wenn der noch dagewesen wäre<br />

Herbert <strong>Kolb</strong><br />

Wilzenbach<br />

wenn der noch<br />

dagewesen wäre<br />

Roman<br />

<strong>Joachim</strong> <strong>Kolb</strong> <strong>featuring</strong>

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