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Schuß-bums-Technik - Prof. Dr. phil Horst Tiwald

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<strong>Horst</strong> TIWALDVonPflugbogen,Schlangenschwungund"Schuß-<strong>bums</strong>-<strong>Technik</strong>Beiträgezur Geschichte des Alpinen SkilaufsInhalt


Zu diesem Buch 3Mathias Zdarsky und der Alpine Skilauf 5Von den Geschichten zur Geschichte des 33Alpinen SkilaufsEin bio-mechanischer Beitrag aus der Sichtder Theorie der Leistungs-FelderNordischer Skilauf - Alpiner Skilauf. 55Der Alpine Skilauf das "Achte Weltwunder" 76Mathias Zdarskys revolutionäre Idee: das sturzfreie SkilaufenDie Fahrweise von Mathias Zdarsky und die 102Arlbergtechnik von Hannes SchneiderMathias Zdarsky und Fridtjof Nansen 148Mathias Zdarsky und Wilhelm Rickmer Rickmers 165Mathias Zdarsky über die Wissenschaftler, 181die Frau und die Presse2


Zu diesem Buch 1Es enthält eine Sammlung selbständiger Beiträge, die anläßlichdes Jubiläums "100 Jahre Alpiner Skilauf" geschrieben wurden.Sie legen eine Fülle von Zitaten vor, ohne die die "unglaublicheGeschichte" schlicht unglaubwürdig erschiene.Enthusiasmus, Pioniergeist und technische Innovation, aber auchblinder Eifer, Machtstreben und Unwahrheiten bis hin zu Geschichtsfälschungensind Facetten der Geschichte des "AlpinenSkilaufs". Im Mittelpunkt steht dabei ein Mann, dessen Ideenbis heute Anfeindungen ausgesetzt sind: Mathias Zdarsky, derBegründer des "Alpinen Skilaufs."So unglaublich dieser Querschnitt durch die Geschichte auch erscheint- er wurde geschrieben, weil es höchste Zeit ist, mitHalbwahrheiten und Lügen Schluß zu machen. Wir müssen die Vergangenheitbewältigen, denn es geht heute um die Zukunft des"Alpinen Skilaufs"."Man soll sachlich sein.", schrieb Wilhelm Rickmer Rickmers, 2"Aber wenn eine Sache das Leben verschönt, dann istman auch für sie begeistert. Edle Begeisterung verführtuns leicht zu Kämpfen, die sachlich überflüssigwaren, wie wir später einsehen.Die Zeit verwandelt das Lohen der Brandfackel zummilden Glanze der Erinnerung. Das Sachliche hat gesiegt.Aber wenn wir auch das Verneinende und Vernichtendealter Kämpfe vergessen, so dürfen wir1 (<strong>Tiwald</strong> 2011): Anmerkung zum Buchtitel.Den Begriff „Schuss-<strong>bums</strong>-<strong>Technik</strong>“ in den Buchtitel aufzunehmen, das war eine Idee des Verlages.Die Bezeichnung „Schuss-<strong>bums</strong>-<strong>Technik</strong>“ ist aber keineswegs eine böswillige Erfindung von mir.Sie findet sich bereits z.B. in einem Beitrag aus dem Jahre 1939, den sogar der „Schwarzwälder“ OTTOROEGNER verfasst hat. Dort heißt es:„Ich gestehe, dass auch ich – selbst eine Zeitlang auf Anregung RICKMERS hin Lilienfelder Ski probierend –doch stolz darauf war, später bei vergleichsweisen Fahrten am Arlberg, an der Valuga, am Schindler, am Trittkopf,den begleitenden Kameraden mit ihrer Lilienfeldweise glatt davonfahren zu können.„Schuss Bum“ wie’s damals üblich war, ohne die sichere, aber zeitraubende, abgezirkelte Fahrmethode derAlpenskimänner“.In: „Ski-Club Freiburg i. Br. – Mitteilungen des Kreisfachwartes im Reichsbund für Leibesübungen. Kreis VIIIund IX. Fachamt Skilauf“, Heft 4, 1. Jannuar, Jahrgang 1938/39. Seite 3.Zum kostenlosen Downloaden aus dem Internet: www.mathias-zdarsky.de, im „Zdarsky-Archiv“ unter den Dowanloads.2 Wilhelm Rickmer Rickmers. Der Newton der Skigesetze.In: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann und sein Werk.Beitrag zur Geschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 19873


doch nicht die alten Kämpfe vergessen, denn das Gewordenewar ihr Werk."Den ewiggestrigen Gegnern Zdarskys sei als Erinnerung insStammbuch geschrieben:_"Recht geschähe den erwachsenen Ephesiern, so siesich insgesamt aufhängten und die Stadtverwaltungden Unerwachsenen hinterließen, sie, die den Hermodor,den Fähigsten unter ihnen, hinausgejagdt habenmit den Worten: 'Von uns soll keiner der Fähigstesein oder, wenn schon, dann anderswo und bei anderenLeuten.'."So fluchte ein Zeitgenosse Buddhas. Es war Heraklit, der in der69. Olympiade im Mannesalter stand.4


Mathias Zdarsky und der AlpineSkilaufDer erste Alpine TorlaufDer Österreicher Mathias Zdarsky wird als der Begründer des alpinenSkilaufs und der Norweger Fridtjof Nansen als der desSkisports überhaupt geehrt. Beide setzten ihre Taten Ende des19. Jahrhunderts. Also vor ungefähr 100 Jahren. Fridtjof Nansenzuerst durch seine Überquerung Grönlands auf Skiern und, vonihm fasziniert, dann Mathias Zdarsky durch die Entwicklung seiner"Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>".Das Skilaufen selbst reicht aber in eine lange Vorzeit zurück.Moorfunde und Felszeichnungen weisen in eine Urzeit um2500 v. Chr. zurück. 3Bereits vor Fridtjof Nansens Grönlanddurchquerung wurde dasnordische Skilaufen insbesondere durch auswandernde Norwegerin alle Welt verbreitet. Diese haben zum Beispiel in den USAdie telemärkische Tradition des Bauernskilaufes fortgesetzt.Sie veranstalteten ab dem Jahre 1863 Geld-Wettfahrten, bei denensie bereits, so wird berichtet, Geschwindigkeiten bis140 Studenkilometer erreichten. Diese als Geschwindigkeitsrennendurchgeführten Slalom-Wettbewerbe 4 waren aber, wie das nordischeWort im ursprünglichen Sinne ausdrückt, nicht schlangenlinienartigeBogen-fahrten, sondern Geradeaus-Schußfahrten,ähnlich dem Anlauf beim heutigen Skispringen.Zur weltweiten Massenerscheinung Sport wurde das Skilaufen abererst durch Nansens Tat und durch seine Publikation über sie.3 Erwin Mehl. Ein neues Bild der „Weltgeschichte“ des Schifahrens. In. Jahrbuch des Österreichischen und DeutschenAlpenvereins. München und Innsbruck 19574 Erwin Mehl. Woher stammt der Torlauf (Slalom) ?. In: Zdarsky-Blätter. Folge 29. Lilienfeld 1984 und in: ÖsterreichischeAlpenzeitung. Heft 1141. Wien 19345


Deswegen kann man mit gutem Grunde Fridtjof Nansen als den "Vaterdes Skisports" ansehen, wenn man den Sportbegriff nicht aufseinen Aspekt des Wettbewerbs verkürzt.Das Verdienst, den alpinen Skirennsport heutiger Prägung begründetzu haben, kommt den in der Schweiz wirkenden englischenAlpinisten zu. Der Engländer Arnold Lunn organisierte im Jahr1922 in Mürren in der Schweiz den ersten alpinen Wettkampf nachenglischem Sportgeist. Dieser Geist prägt bis heute unseren<strong>Prof</strong>isport, der sich immer mehr zum Werbeträger kommerziellerInteressen entwickelt.Dieser Wettkampf in Mürren war aber nicht der erste alpineWettbewerb!Bereits im Jahre 1901 veranstalte Mathias Zdarsky mit dem vonihm im Jahre 1900 in Wien gegründeten "Alpen-Skiverein" daserste alpine Wettfahren auf dem Sonnwendstein am Semmering. DieTore markierte Zdarsky damals mit roten Kartons. Der "Alpen-Skiverein" war vor dem Ersten Weltkrieg mit 1889 Mitgliedern(im Jahr 1914 ) der größte Skiverein Mitteleuropas. Im Jahre1905 steckte Mathias Zdarsky dann den ersten Torlauf für eineöffentliche Skiwettfahrt am Muckenkogel in Lilienfeld. In diesemersten öffentlichen Torlauf der Geschichte des Alpinen Skilaufs,der ebenfalls in Niederösterreich ausgetragen wurde, waren85 Tore gesteckt. In den kommenden Jahren folgten weitereSkiwettfahrten.Durchgeführt wurden diese Bewerbe mit einem gesundheitsorientiertenSportverständnis, für das Mathias Zdarsky ganz entschiedeneintrat. Dieses stand im krassen Gegensatz zu jenemSportverständnis, mit dem 20 Jahre später die Wettfahrt in Mürrendurchgeführt wurde.Mathias Zdarsky kritisierte immer wieder jenes für uns heuteselbstverständlich gewordene Sportverständnis, das nicht unwesentlichvon Wett-Leidenschaft, Rekord-Sucht und dem Bedürfnissich zur Schau zu stellen, geprägt ist. Zu dieser Entwicklungim modernen Alpinen Skisport hat Mathias Zdarsky sicher nichtsbeigetragen. Den ersten alpinen Torlauf hat allerdings er, undnicht jemand anderer durchgeführt. Das "Was" des Alpinen Skirennsporteshat ohne Zweifel Mathias Zdarsky begründet. Das6


"Wie" der heutigen Einstellung, diese Sportart zu betreiben,hat er nicht zu verantworten. Genauso, wie das "Was" des Geräteturnensälter ist, als dessen heutige professionelle Betriebsform,so ist es auch im Alpinen Skirennsport. Es ist abernicht ausgeschlossen, daß zumindest im Breitensport die humaneSporteinstellung Mathias Zdarskys wiederkehrt. Zu wünschen wärees.Im Grunde geht es mir aber nicht um die Frage, wer der "Vater"von irgend etwas gewesen sein könnte. Ich achte Fridtjof Nansenund Mathias Zdarsky nicht deshalb, weil sie etwas als erstegemacht haben, sondern weil sie mir als sachkompetente Persönlichkeitenin vielen Bereichen voraus sind und ich durch achtsamesHinhören auf sie viel lernen und mir auch heute noch Umwegeersparen kann. Sie haben für mich besondere Bedeutung,weil sie eben auch heute noch aktuell und zukunftweisend sind.Dies trifft aber nicht nur auf die als "Väter" gefeierten Persönlichkeitenzu, sondern auch auf Fachleute, die ihnen folgten.Für mich zum Beispiel auf Hannes Schneider, Toni Seelos,Max Winkler, Fritz Reuel, Josef Dahinden, Fritz Hoschek undGeorges Joubert, die - trotz ihrer oft einseitigen Auffassungen- mir viel gegeben haben. Darüber hinaus gibt es einige,die ich weniger gut kenne, wie Giovanni Testa und Toni Ducia.Geprägt haben mich natürlich auch Bilder aus dem alpinen Rennsport.Sehr deutlich die von Hellmut Lantschner, und in meinerJugend waren es die Österreicher Toni Sailer, Ernst Hinterseerund Toni Spieß sowie der akrobatische Norweger Stein Eriksen,um nur einige wenige zu nennen, die mich fasziniert haben.Über Mathias Zdarsky schreibe ich daher nicht, um ihn als Vatervon irgend etwas freizuschaufeln, sondern weil über ihn heutenoch falsch berichtet wird. Und ich tue es aber vorallem deswegen,weil ich davon überzeugt bin, daß man von einer sachgerechterenDarstellung seiner Skitechnik für die Weiterentwicklungsowohl des pädagogischen Vollzuges, als auch des Jugendtrainingsim Rennsport brauchbare Hinweise und Anregungen fürdie Zukunft bekommen kann.7


Der Skisport entstand durch ein GroßstadtbedürfnisUm das sichtbar zu machen, was Mathias Zdarskys spezieller Beitragzur Entwicklung der alpinen Skitechnik ist, treffe ichfolgende terminologische Unterscheidung:Das, was Mathias Zdarsky speziell eingeleitet hat,bezeichne ich als den "Alpinen Skilauf".Das dagegen, was bereits vor ihm in den Alpen skitechnischumgesetzt wurde, nenne ich den "Skilaufin den Alpen" .Für den "Skilauf in den Alpen" hat sich ohne Zweifel bereitsvor Mathias Zdarsky, neben vielen anderen, auch der im Schwarzwaldwirkende Wilhelm Paulcke Verdienste erworben. Zur MassenerscheinungSkilaufen kam es im Schwarzwald erst, als diesendie Kunde von Fridtjof Nansens Tat erreichte. Diese machte erstWilhelm Paulke zum Mittelpunkt einer lokalen Skibewegung.Der Skisport überhaupt, sowie der Alpine Skilauf imbesonderen, sind aus einem Bedürfnis der Großstädterentstanden.Die vom Naturverlust und von einer Bewegungsarmut geprägtegroßstädtische Lebensweise ließ Bewegungshunger, Bedürfnis nachfrischer Luft und nach freier Natur entstehen. Insbesondere dasSkilaufen und das Radfahren sind aus diesem Bedürfnis als gesundheitsorientierterFreizeitsport entstanden. Diese beidenSportarten haben auch wesentlich zur Emanzipation der Frau beigetragen,worauf Mathias Zdarsky in seinem Buch bereits im Jahre1896 ausdrücklich hinwies. Heute erscheinen diese Sportartenin den Medien aber anders. Der Sport hat nämlich viele Wurzeln.Das großstädtische Bewegungsbedürfnis war eine neue Wurzel.Der Skilauf als Sport, damit ist eine überregionale Massenerscheininggemeint, ist nicht aus der Betätigung einer elitärenBevölkerungsschicht entstanden. Er wurde nicht in Bewegung ge-8


setzt durch eine adelige Elite, wie der englische Sport, auchnicht durch eine körperliche Elite, wie der "verwegene" Alpinismus.Er ist aber auch nicht entstanden aus dem Bedürfnis,Wetten zu organisieren, und als Grundlage für Wett-Geschäftedann eben Wett-Kämpfe durchzuführen. Er ist auch nicht entstandendurch professionelle Gaukler und Artisten, die ihre Bewegungskunstgegen Geld zur Schau stellten, was heute Grundlagefür die Werbung mit Sport ist. Er ist auch nicht enstandendurch das Motiv, sich zum Zwecke einer Politpropaganda zurSchau zu stellen. Dieser Zug trat erst durch die von Hitler inBerlin inszenierten Olympischen Spiele vom Jahr 1936 in der modernenSportlandschaft in den Vordergrund. Dieses „nationalsozialistischeDesign des Sports“ dominiert auch heute noch -gepaart mit kommerziellen Werbeinteressen - den modernenSchausport.Alle diese Betriebsweisen des Sportes finden sich zwar heute imSkisport, sie waren aber nicht das ursprüngliche Motiv dergroßstädtischen Skiläufer in Oslo, Stockholm, Wien, Berlin,München oder Frankfurt am Main. Diese großstädtischen Skiläuferwaren es aber, die mit ihrem Skilaufen einen neuen Sportgeistgeboren hatten, der zwischenzeitlich leider von anderen Strömungenüberlagert wurde. Was Oslo und später auch Stockholmfür den Skisport überhaupt bedeuteten, das bedeutete Wien fürden Alpinen Skilauf. Andere Großstädte, wie Berlin, München undFrankfurt am Main, haben ebenfalls für den Skisport Geburtshilfegeleistet. Auf diesen großstädtischen Sog des Skisportssprangen dann natürlich alle isoliert wirkenden Skipioniere aufund setzten sich an die Spitze des Skisports. Heute erscheintder Alpine Skisport daher als ein Geschenk der Alpenländer andie Großstädter. Enstanden ist er aber umgekehrt.Es waren die bewegungshungrigen Großstädter aus Wien, die inSonderzügen nach Lilienfeld kamen, um das Alpine Skilaufen zuerlernen. Im Jahre 1906 wurden eigene Sportzüge von Wien nachLilienfeld eingerichtet.Eine neue Massenbewegung wirklich in Gang zu setzen, oder "aufeinen fahrenden Zug aufzuspringen", das sind eben zwei erschiedeneDinge. Nicht immer ist aber der, der als erster versucht9


hat, "einen Zug anzuschieben", auch wirklich der, der ihn tatsächlichin Bewegung gesetzt hat.Den Zug des Skisports tatsächlich in Bewegung gesetzt, das habendie Menschen aus den Großstädten getan.Der Weg des Skis vom Norden in die AlpenUnabhängig von den norwegischen Einflüssen gab es auf der Hochebeneder Blocke bei Laibach einen slowenischen Bauernskilauf.5 Dabei handelt es sich nach Mehl wahrscheinlich um denRest einer Kunst, die10"...ihre Vorfahren vor rund 600 Jahren aus dem Gebietdes heutigen Rußland mitgebracht hatten. Nacheiner anderen Annahme (Hüttenegger) führte der ...Freiherr von Herberstein nach seiner Rückkehr ausRußland von ihm mitgebrachte Skier in seinen Besitzungenin Krain ein. Auf jeden Fall ist die Tatsachedieses nur von einem ganz kleinen Kreis derdortigen Bauernbevölkerung als 'Brauchtum' betriebenenfrühesten Skilaufens in Mitteleuropa - dasim Jahre 1689 erschienene Werk 'Die Ehre des HerzogtumsKrain' von Johann Weichard Freiherr vonValvasor legt dafür ein prächtiges Zeugnis vor -für den Forscher von besonderem Reiz. Es hatte jedochnicht die geringste Bedeutung für die Ausbreitungdes Skilaufs im allgemeinen." 6"In Deutschland finden wir die erste Erwähnung desSkifahrens weder in einem Reisebericht noch in einemKriegsbericht, sondern bei einem Dichter. Die1771 geschriebenen Oden Friedrich Gottlieb Klopstocksenthalten neben den berühmten Oden an denEislauf auch eine Ode, in der er den Skilauf besingt.Zur gleichen Zeit lebten zwei Männer in Deutschland,die beide große Anreger für die Leibesübungenin Deutschland waren: Johann Christhoph FriedrichGuts Muths und Gerhard Ulrich Anton Vieth. Beidetraten dafür ein, daß Skifahren auch in DeutschlandEingang fand.Er (Guts Muths, H.T.) propagierte den Skilauf nichtnur, sondern er übte ihn in Schnepfenthal im ThüringerWald, wo er als 0Turnpädagoge am Philanthropinumtätig war, auch selber aus." 75 Erwin Mehl. Ein neues Bild der "Weltgeschichte" des Schifahrens geformt von Funden und Forschungen derletzten 30 Jahre. In: Erwin Mehl.(R.Jahn Hrsg.). Von der Steinzeit zur Gegenwart.Frankfurt/Wien 19616 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 19697 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 1980


Die norwegische Landschaft Telemarken gilt als die Heimat desneuzeitlichen Skilaufs. Die ausgewanderten Telemärker verbreitetenden Skilauf in die Welt. Der Norweger Jon Thorsteinson(Thorsten Rye bzw. "Snow-shoe-Thomson") war ab 1854 in Nordamerikaaktiv. 8 Er war an den frühesten Skibewerben in Nordamerikabeteiligt."Durchaus nicht in Christiania, wie man eigentlichannehmen sollte, sondern in der Sierra Nevada - etwavon 1853 an - zogen Telemärker zusammen mit anderenskibegeisterten Einwanderern einen erstaunlichenSkisportbetrieb auf." 9"Es war, sozusagen in Wildwestmanier, der erste<strong>Prof</strong>i-Zirkus der Welt. Interessant ist, daß vorerstAbfahrtsrennen dominierten, bei denen erstaunlicheLeistungen geboten wurden!" 10"Selbstverständlich wurde bereits zu dieser Zeitbei den Veranstaltungen in der USA auch gesprungen."11 (Die Norweger brachten zwar den Skilauf nach Amerika, die Einwandererenglischer Abstammung steuerten aber die typisch englischeBetriebsform des "Wett-Bewerbes" bei, was für das Aufblühendes Skisports in Amerika das Entscheidende war. ÄhnlicheBedeutung für den Skisport hatten die Engländer später auch inder Schweiz, wo sie einerseits ihr - in den Alpinismus bereitseingebrachtes - gipfelstürmendes "Rekordstreben" mit derAufstiegshilfe "Ski" verbanden. Andererseits haben sie aberauch den Abfahrtslauf und den von Zdarsky begründeten Torlauf- mit ihrem neu geschaffenen "Slalom" - zur Grundlage desmodernen Skirennsports gemacht. Aus England kam aber ebenfalls- Mitte des vorigen Jahrhunderts - die großstädtische "Freiluft-bewegung".Diese erfaßte auch die Bewohner von Kristiania(Oslo) und gab so dem Skilauf in Skandinavien und später demSkilauf in ganz Mitteleuropa den entscheidenden Impuls. Auchdiese Entwicklung nahm also von England ihren Ausgang. Sieführte letztlich zum heutigen gesundheitsorientierten Breitensport.8 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 19699 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196910 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196911


Im Jahr 1861 wurde der älteste Skiverein der Welt, der "TrysilSkytter og Skilöberforenigung" gegründet. 12 In Australien gründetenTelemärker im gleichen Jahr den "Kiandra Pioneers SkiClub" in Neusüdwales. Dieser ebenfalls 1861 gegründete Club warder zweitälteste Skiverein der Welt. 13"Die Telemärker waren es auch, die als erste inAustralien Ski fuhren - Goldgräber, die dort um dieMitte des 19. Jahrhunderts ihr Glück versuchten.Richtige Legenden bildeten sich um Skirennen amKiandra-Berg, bei denen dem Sieger - angeblich! -eine Handvoll roher Goldkörner überreicht wordenist. An diesen Rennen wirkten der Überlieferungnach auch chinesische Mineure mit, und noch langeZeit später erzählten die Nachkommen der erstenSkipioniere, wie die Chinesen über die vereistenHänge des Kiandra hinuntergerast seien. Ihre Zöpfehätten wie Fahnen am Kopf geflattert, schreiend undkreischend wären die gelbhäutigen Skiläufer mit ihrenlangen Skistöcken dabei aufeinander losgegangen."14In Braunlage im Harz wurde ebenfalls schon früh Ski gelaufen.Dort ließ sich, im Jahre 1883, der Oberförster Arthur Ulrichsvom Stellmacher ein paar Skier nach norwegischem Vorbild herstellen.Der Volksschullehrer von Braunlage, Karl Strauß, hatdann bereits im Jahre 1887, gemeinsam mit Arthur Ulrichs, derauch als "Rübezahl des Harzes" bezeichnet wurde, das Skilaufenin den obligatorischen Turnunterricht an der Volkschule eingeführt.Auf diese Weise wurde das Skilaufen über die Jugend popularisiert.Das ist eine bisher zu wenig gewürdigte Pionierleistung!Dann kam im Jahre 1888 Fridtjof Nansens große Pionierleistung,die Durchquerung Grönlands auf Skiern. Mathias Zdarsky berichteteals Zeitgenosse über diese Zeit:"Nansens Heldentat, Durchquerung Grönlands aufSchneeschuhen, weckte in Mitteleuropa die Aufmerksamkeitfür diese Bewegungsart.Einzelne Herren in Andreasberg, Berlin, Braunlage,Frankfurt am Main, Freiburg, Hannover, Hirschberg,11 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196912 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196913 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196914 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196912


Hohenelbe, Klagenfurt, München, Todtnau, Wien undnoch sehr viele einzeln lebende Herren, besondersFörster, verwendeten den Schneeschuh.In den meisten Orten bildeten sich Schneeschuhvereine,selbstverständlich nur aus ein paar Herren.Erst nach einigen Jahren hatten die stärksten Vereinekaum 50 Mitglieder.Die Bindung bestand damals fast ausschließlich ausder 'Rohrstaberlbindung' und man sah damals dieSkigrößen meistens mit einigen Reserverohrbügeln imGürtel herumparadieren.Da man bei dieser Bindung mit dem Absatze sehrleicht seitwärts vom Schneeschuh abrutschen konnte,so war an eine verläßliche Führung der Skier schrägzum Hange nicht zu denken. Es wurde daher nur inRichtung des fließenden Wassers abgefahren. Ging eszu schnell, so grätschte man mit den Beinen, hieltdie Schneeschuhspitzen dicht beisammen, die Fersenendenweit auseinander und die Absätze vom Schneeschuhweggeschoben innerhalb der Skier. Das war die'Pflugstellung'. Sowohl die Schneeschuhe als auchdie Absätze erzielten die gewünschte Bremsung. Diebesten Fahrer blieben nach einer Schußfahrt im'Auslauf' durch den 'Telemarkschwung' stehen." 15Carl J. Luther schrieb über diese Anfangszeit des Skilaufens inMitteleuropa :"Sprungbretter waren die Mittelgebirge schon zuZeiten der Einführung des Schi in Mitteleuropa. Vonverschwindenden und etwicklungsgeschichtlich auchnicht wirksamen Ausnahmen abgesehen hat sich dasnordische Gleitholz ja erstmals in den Mittelgebirgenumgesehen, ehe es sich an alpine Höhen heranmachte.Schließlich lagen die Mittelgebirge ja aucham Wege seines Südvorstoßes.Schon in den siebziger und achtziger Jahren soll inschlesischen Bergen ein norwegischer Schilehrerseines Amtes gewirkt haben. Schon 1881 taucht derSchi im Riesengebirge und selbst im nur 900 m hohenSauerlande auf, 1885 im Thüringer Wald, und 1890schon begann die späterhin für die ganze Entwicklung,teilweise auch für die alpine Schiverwendungso bedeutungsvolle Entfaltung im Schwarzwald.Die erste Bergersteigung mit Schiern in Deutschlandliegt jedenfalls vor gleichen Unternehmungen in denAlpen. Schon 1884 wurde nämlich der Brocken, derGipfel des Harzes, zeimal von Schiläufern erreicht,erstmals durch einen jungen Norweger und bald daraufdurch zwei Engländer; im nächsten Jahre folgtendann die ersten deutschen Schiläufer. Der höchste15 Geschichtsfälschungen auf dem Gebiet der Entwicklung des Schneeschuhlaufens in Mitteleuropa. In. DerSchnee. Wien 193013


14Gipfel des Riesengebirges, die Schneekoppe, sah inHauptmann Vorweg 1893 den ersten Schiläufer, undder Altvater wurde im selben Jahr ebenfalls von einemSchiläufer erstiegen. Dann sind auch die erstendeutschen Schialpenfahrer (Offermann und Gefährten1894 im Gotthard, Furka- und Grimselgebiet) vonMittelgebirgserfahrungen (Thüringer Wald, Schwarzwaldund Vogesen) ausgegangen. Und die ältestendeutschen Schivereine sind seit 1891/92 im Mittelgebirge,im Schwarzwald (Todtnau) und Harz (Braunlage)verankert." 16Über das österreichische Alpengebiet berichtete MathiasZdarsky:"Im Jahre 1892 hat schon Graf Thun den Hohen Sonnblickmit Skiern bestiegen, zwei Jahre später habeneinige Herren des 'Österreichischen Alpenklubs' (Müller, Schmiedl etc.) den Ankogel mit Skiern 'genommen'.Apotheker Aichinger in Bleiburg in Kärntenhat in zahlreichen Aufsätzen in den Mitteilungendes Deutschen und Österreichischen Alpenvereinesauf die Verwendbarkeit des Skis hingewiesen. Allediese alpinen Taten, denen sich eine große Zahlgleichzeitiger im ganzen Alpengebiet anschloß, vorbereitetendie öffentliche Meinung auf das Popularisierendes Skisports.Aber alle diese Vorkommnisse wurden zu wenig in dergroßen Presse hervorgehoben." 17Das frühe Skilaufen im Riesengebirge beschreibt Oskar ErichMeyer aus Breslau noch genauer als Carl J. Luther:"Schon 1880 hatte der Hirschberger Doktor Krausedurch Vermittlung eines befreundeten Kapitäns dreiPaar Schier aus Norwegen bezogen. Ein Paar fandseine Stätte in Beyers Hotel in Angnetendorf, einesin der Peterbaude, das dritte blieb in Hirschberg.Angesichts des besten mitteleuropäischen Schigebietesharrten sie vergebens des Mannes, der sie überdie Kammhochflächen und durch die Winterwälder zuführen verstünde. Dem Eifer, der sich ihrer annahm,fehlte die Kenntnis. Man führte sie nicht in dieWeite des Schnees, sondern hielt die vereiste Dorfstraßefür das geeignete Feld. Beulen und verstauchteGelenke waren das einzige Ergebnis.Schließlich warf man die unbrauchbaren Dinger aufden Dachboden.Da kam der Retter in Gestalt des Hauptmannes Vorwergaus Herischdorf, der im Jahre 1888 in Norwegen16 Carl J. Luther. Deutsche Mittelgebirge und Schilauf. In: Hans Barth (Hrag.) Bergsteiger und Schiläufer. Leipzig193717 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In : Der Schnee. Wien 1907


selbst in die Schule gegangen war. Schon im Winter1890/91 gelang es ihm, den Riesengebirgskammmehrfach mit Skiern zu überschreiten. Kreuz undquer durch das Gebirge führten ihn in den folgendenJahren die geschmähten Hölzer. Am 7. März 1893 ü-berschritt er als erster Schiläufer die Koppe. SeineErfahrungen legte er im 'Wanderer', der Zeitschriftdes Riesengebirgsvereins, nieder, der siein die Häuser der Gebirgler und in die städtischenKreise trug. Die junge Begeisterung fand ihre Nahrungin Nansens Buche 'Auf Schneeschuhen durchGrönland', dessen Erscheinen mit Vorwergs erstenFahrten und Berichten zusammenfiel (1890/91). DasLicht um Nansens Namen warf seinen Schein auch aufden Schipionier in unseren Bergen.So wurde durch Vorwergs Tat das Riesengebirge einesder ersten deutschen Bergländer, die der nordischeSchneeschuh im Winter erschloß. Schon damals erkannteder einsame Läufer, daß das neue Gerät demGebirge auch im Winter eine Besucherzahl bringenwürde, wie sie damals nur im Hochsommer bekanntwar.Nur wenig später setzte auf der böhmischen Seitedie Entwicklung des Schilaufes ein. Hier knüpfensich die Anfänge an den Namen Guido Rotter in Hohenelbe.Er ließ, durch Nansens Grönlandwerk angeregt,Schier aus Norwegen kommen. Mit einigen anderenunternehmenden Hohenelbenern baute er ohne Anleitungeine eigene Lauftechnik auf. Mancher jedochstellte nach den ersten Versuchen die langen Hölzerrentmutigt in die Ecke. Hielt man doch den langen,eisenbewehrten Bambusstock für ein Mittel zumBremsen. Auf dem Stock reitend fuhr man vom Heidelbergzu Tal. Da mußte der Rodelschlitten bequemererscheinen! Im Winter 1892/93, also zwei Jahre nachVorwerg, drang Rotter mit vier Gefährten zum erstenMale in die Hochregionen des Kammes vor. So wurdeder Bann auch hier gebrochen. Auch die Baudenbewohner,die der Winter bisher oft wochenlang in dieHäuder bannte, vertauschten den schwerfälligenSchneereifen mit dem flüchtigen Schi. Nun ging dieweitere Entwicklung in Deutsch-Böhmen rascher alsauf der preußischen Seite. 1896 hatte Hohenelbeseinen ersten Schiverein, den ältesten des Gebirges,dem erst vier Jahre später der Schneeschuhverein'Windsbraut' in Schreiberhau folgte. Im Februar1897 veranstaltete der Starkenbacher Schiklubdas erste zwischenstaatliche Rennen des Riesengebirges."1818 Oskar Erich Meyer. Der Bergsteiger und Schiläufer im Riesengebirge. In: Hanns Barth (Hrsg.) Bergsteiger undSchiläufer. Leipzig 193715


"Auch im Schwarzwald fand der Ski noch in den achtzigerJahren Eingang. <strong>Dr</strong>. Tholus, Arzt in Todtnau,brachte 1888 von einer Norwegenreise Ski mit. Ertraute sich damit aber nicht aus seinem Garten herausund stellte sie bald wieder in die Ecke. Abersie wurden wieder herausgeholt: Fritz Breuer undCarl Thoma versuchten sich damit und kamen gut zurecht.1890 wird berichtet, daß auch der Arzt wiederMut faßte und seine Patienten in den Bergdörfernauf Schneeschuhen besuchte." 19Es gab also an verschiedenen Orten in Mitteleuropa einzelne Pioniere,die das Skilaufen betrieben. Den wesentlichen Impulsgab aber Nansen.Der erste mitteleuropäische Skiclub wurde im Winter 1890/91 gegründet.Es war dies der "Skiclub München"."In den achtziger Jahren hatten der Münchner Malerund Eiskunstläufer Robert Bütger und der GesandtschaftssekretärGeorg Helfreich in St. PetersburgSkilaufen auf finnische Art erlernt. Beide gründetendort einen Sportverein und führten zusammen mitanderen Deutschen, Engländern, Skandinaviern undEinheimischen Skirennen auf der zugefrorenen Newadurch. Dabei verwendeten sie meist die über dreiMeter langen, federnden Kajana-Skier aus BirkenundFöhrenholz. Als nun Bütger wieder nach Münchenheimkam, beschaffte er 1889 auch seinen MünchnerEislauffreunden, die sich für diesen Sport interessierten,solche Skier aus Finnland. Eisläufer warenes also, die 1890 den 'Skiclub München' gründeten..."20Dieser erste Skiclub löste sich aber bald auf. Inzwischen waraber ein anderer Münchner Skiverein, der 'SchneeschuhvereinMünchen von 1893', gegründet worden.Der mehr mehr Zuspruch gefundenhatte. 21 ("Spätestens im Winter 1890/91 muß aber in Wienschon Ski gelaufen worden sein, denn es ist unwahrscheinlich,daß die Gründung eines Skiclubs vonNichtskifahrern erfolgt wäre. Am 31. Oktober 1891wurde der erste Skiverein im Bereiche der österreich-ungarischenMonarchie, der 'Erste Wiener Ski-19 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198020 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196921 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198016


Club' gegründet, dessen Übungsgebiet sich in Neuwaldeggbefand." 22Der "Erste Wiener Ski-Club" war nach dem "Skiclub München" derzweitälteste Ski-Club in Mitteleuropa. Wien gehörte damals nochzu Niederösterreich. Erst am 29. Dezember 1921 wurde Wien eineigenes Bundesland Österreichs.Dem "Ersten Wiener Ski-Club" hatte so wie der erste deutschenSkiclub in München. ebenfalls keine lange Lebensdauer. Nachzwei Jahren löste er sich.wieder auf.Dafür erfolgten im Jahre 1893 in Österreich andere Gründungen:Als zweiter österreichischer Skiverein der "NiederösterreichischeSkiverein" in Wien, der bald in "Österreichischer Skiverein"umbenannt wurde. Danach wurde im gleichen Jahr, ebenfallsin Niederösterreich, der "Erste Semmeringer Skiverein" gegründet.Ebenfalls im Jahr 1893 entstanden in Olmütz der "ErsteMährisch-schlesische Schneeschuhverein" und schließlich inMürzzuschlag der "Verband Steirischer Skiläufer"."Daß das Skifahren 1891 in Österreich ziemlich verbreitetwar, ergibt sich alleine daraus, daß inJungbuch in Böhmen die erste Schneeschuhfabrikationbegann." 23Der Riesengebirgler Tischlermeister Franz Baudisch hat als ersterin Österreich-Ungarn mit der Erzeugung von Skiern begonnen.24Das Jahr 1892 ist das Gründungsjahr des vielgefeierten "SkiclubsTodtnau", den der "Deutsche Skiverband" als seinen"Stammverein" ansieht. 25 Der sog. "Skiclub Todtnau 1891" wurdeoffiziell aber erst am 27. November 1892 gegründet. Der geschäftstüchtigeFritz Breuer, der Todtnau durch den Skilauf berühmtmachen wollte, soll. Fridtjof Nansen, nachdem dessen Buch"Auf Schneeschuhen durch Grönland" im November 1891 in Hamburgin deutscher Übersetzung erschienen war, bereits Ende Dezember1891 die Ehrenmitgliedschaft eines Vereines angetragen haben,22 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197723 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198024 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196925 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198025 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198017


der offiziell noch gar nicht existierte. Am 6. Januar 1892 hatNansen brieflich die Ehrenmitgliedschaft angenommen. Der Vereinbefand sich angeblich damals aber erst im Gründungsstadium. 26Aus Begeisterung über eine Skitour auf den Feldbergkam es zur Clubgründung am 27. November 1892...Noch 1892 wurde der erste Vereinswettlauf unterder Bezeichnung "Hindernisspringen" gestartet, undnur ein Jahr später fand auch schon das erste Skispringenstatt." 27Der nach Todtnau zugewanderte Fritz Breuer hatte schon früh"...die Möglichkeiten erkannt, die später dazu führensollten, den Skilauf zu einem der Hauptaktivpostenin der Wirtschaft des Schwarzwaldes und nochso mancher anderer Gegend zu machen...Die Mitgliederdes 'Ski-Clubs Todtnau' gehörten außerdem zuden ersten, die sich eigene Skianzüge schneidernließen und damit eine Mode heraufbeschworen, diedem Skisport neuen Zulauf brachte.Um diese Sportart möglichst rasch populär zu machen,hatten die tatkräftigen Mitglieder des 'Ski-Clubs Todtnau' schon sehr früh eine 'Weltausstellungvon Skisportrequisiten' veranstaltet. Im Rahmendieser Ausstellung organisierten die tüchtigenSchwarzwälder auch eine Qualitätsberatung, in derAbsicht, den Freunden des aufkommenden Skisportsden Bezug von einwandfreien Skiern zu erleichtern.Jedes Paar Schneeschuhe, das der 'Ski-Club Todtnau'prüfte, wurde mit einem Prüfstempel versehen.Bei solcher typisch deutschen Aktivität ist esnicht verwunderlich, daß der Skilauf im Schwarzwaldin der Folge eine sprunghafte Aufwärtsentwicklungnahm." 28Die spätere Revolution des Skilaufs durch den Österreicher MathiasZdarsky im Jahr 1896 wurde daher vom "Schwarzwald" alsGeschäftsstörung aufgefaßt und mit entsprechenden Mitteln bekämpft.Die wirtschaftlichen Interessen des "Schwarzwaldes" vereintensich dabei mit dem persönlichen Geltungsbedürfnis des SkipioniersWilhelm Paulcke, der es geschickt verstand, die "Lilienfelder"als kommerzielle Gefahr hinzustellen. Dies versuchtePaulcke auch den Schweizern einzureden, um diese ebenfalls gegenZdarsky zu mobilisieren. Paulcke zog alle Gefühlsregister26 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196927 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198028 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196918


und scheute als eingefleischter "Deutschnationaler" auch nichtdavor zurück, Zdarskys Namen zu verspotten und dadurch MathiasZdarsky als Slawen erscheinen zu lassen, der im nordischen Skilaufnichts zu suchen habe. Paulcke hat die Scharzwälder listigfür seine Zwecke eingespannt, und für den Aufbau seines eigenenGlorienscheins benützt. Alle seine Intrigen führten schließlichzu einer starken Einheitsfront gegen den Österreicher Zdarsky.Im Jahr 1905 wurden von Paulcke in München am selben Tag sowohlder "Deutsche Skiverband" als auch der "Österreichische Skiverband"mit dem Ziel gegründet, den von Mathias Zdarsky geschaffenenneuen "Alpinen Skilauf", dessen sportliche Form der Torlaufwar, zubekämpfen.Bei der Gründung des "Österreichischen Skiverbandes" sorgtePaulcke durch seinen "Vorarbeiten" dafür, daß dieser von dendeutsch-nationalen Kräften in Österreich angeführt wurde. Dieserdeutsch-nationale "Paulckegeist" wirkte sich später in Österreichganz verheerend aus und gipfelte schließlich darin,daß der "Österreichische Skiverband" bei der Einführung des "Arierparagraphen"- bereits bevor Hitler an die Macht kam - derVorreiter des Antisemitismus im Skisport wurde. Nach dem "ZweitenWeltkrieg" wurde daher der "Österreichische Skiverband"ausdrücklich nicht als Nachfolgeorganisation des früheren gegründet."Besonderer Wert aber wurde auf die Neugründung desÖSV gelegt - ein Zeichen, daß dieser ÖSV eine völligunpolitische, nur dem Sport verschriebene Organisationwar, die nichts mit den politischen Ambitionendes Vorkriegs-ÖSV zu tun hatte." 29Am 2. Februar 1893 fand im österreichischen Mürzzuschlag daserste mitteleuropäische Skirennen statt. Aus Graz kam sogar einSonderzug - der erste, der zu einer Skiveranstaltung geführtwurde. 30 Im Rahmen der "Ersten Mitteleuropäischen Skimeisterschaften"in Mürzzuschlag fand auch ein Damenrennen statt, dasFrl. Mizzi Angerer aus Wien gewann. 3129 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197730 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196931 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198019


Im Anschluß an das Rennen in Mürzzuschlag bestiegen 1893 dieMitglieder des "Österreichischen Alpen Clubs" Keidl, Müllerund Schmiedl in Niederösterreich die Rax (1943m). 32Jahr 1893 erstieg Franz Reisch in Tirol das Kitzbüheler Horn(1998m). Jetzt tritt mit Kitzbühel derin die Skigeschichteein. 33Am 5. Februar 1894 bestieg der Salzburger Wilhelm von Arlt denSonnblick. Er"...brachte es fertig, die Abfahrt vom Gipfel desBerges (3106m) nach Kolm-Saigurn (1600m) in 32 Minutenzu schaffen. Am 17. April 1895 bewältigte erdie gleiche Strecke sogar in 15 Minuten. Zweifelloseine der großartigsten Leistungen der Frühzeit desalpinen Skifahrens. Im selben Jahr führte v. Arltdie ersten Sommerskitouren in der Geschichte desneuzeitlichen Skisports durch und zog dabei auf denJohannisberg (3467m) und den Hocharn (3258) seineSpuren. 34"In der Festschrift '50 Jahre Austria-Sport' lesenwir über ihn: 'Der kühne, bärenstarke Mann wurdeder bedeutendste skifahrende Hochtourist seinerZeit.' " 35Um diese Zeit kam es bereits auch zu Zusammenschlüssen von verschiedenenVereinen zu Verbänden, bzw. Zur Gründung von Außenstellenvon bestehenden Vereinen in anderen Orten, den sogenannten"Sektionen"."Den Beginn machte der 'Skiclub Schwarzwald', wobeidie Bezeichnung 'Club' irreführt, denn es hätte'Skiverband' heißen müssen. Der Gründung am1. Dezember 1895 im Feldberghof, dem Zentrum allerSkiläufer des Schwarzwaldes zu jener Zeit, warenallsonntägliche Zusammenkünfte im Winter 1893/94vorausgegangen." 36Am 29. November 1895 erfolgte, zwei Tage vor der Gründung des"Skiclubs Schwarzwald", die Gründung der "Section Freiburg desSkiclub Feldberg". Für den geplanten Regionalverband war zunächstder Name "Skiclub Feldberg" vorgesehen.Im32 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197733 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198034 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196935 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198036 Heinz Maegerlein. Faszination Ski - 100 Jahre Skilauf. München 198020


"Der Anstoß zum 'Skiclub Schwarzwald' ging also vonFreiburg aus." 37"Im Protokoll der zweiten Generalversammlung des'Skiclub Schwarzwald' 06. 12. 1896 heißt es: 'Tätigkeits-und Rechenschaftsbericht des Vorstandesgibt ein recht erfreuliches Bild über die rege Tätigkeitder einzelnen Sektionen, besonders der SectionFreiburg, die einen Mitgliederstand von über200 aufweist...' Schätzungsweise betrug der Mitgliederstandinsgesamt mindestens 250 für den gesamten'Skiclub Schwarzwald' " 38Diese Zahlen beeindrucken nicht besonders, wenn man sie mit denendes "sterreichischen Skivereins"aus demselben Jahr vergleicht.Im Jahr 1896 zählte der "Österreichische Skiverein" inWien (der 1893 als "Niederösterreichischer Skiverein" gegründetwurde) gemeinsam mit seinen Sektionen Baden, Semmering und Hohenelbeetwa 1000 Mitglieder."Es wurde sogar der Zusammenschluß mit dem 'Verbandsteirischer Skiläufe' (dem aktivsten Verein jenseitsdes Semmerings) diskutiert. Die Idee wurdeaber später fallengelassen. Im Jahr 1896 gab der'Österreichische Skiverein' sogar eine eigene Zeitungheraus, deren Erscheinen jedoch 1897 eingestelltwurde." 39Wie Mathias Zdarsky zum Skilauf kamMathias Zdarsky schrieb im Vorwort zur vierten Auflage seinesBuches vom Jahre 1908."Die allseitige, wohlverdiente Begeisterung fürNansen nahm auch die Form an, daß sich an vielenOrten Herren fanden, die den Ski versuchten. Hatalso Nansen den ersten Impuls gegeben, so waren esall diese Herren in Braunlage, Berlin, Hirschberg,Hohenelbe, Wien, Mürzzuschlag, Freiburg, Frankfurta. M. und noch sehr vielen anderen Orten, denen dassekundäre Verdienst gebührt, zu der Einführung desSkisportes wesentlich beigetragen zu haben.Obzwar ich auch einer von den ersten Skiläufernwar, so kann ich doch in dieser Reihe nicht mitzählen,denn ich übte für mich alleine, ohne einenzweiten Skifahrer überhaupt zu sehen. So übte ichdurch sechs Winter hindurch. Mehr als zweihundert37Ekkehart Ulmrich. Zur Geschichte des Skiclubs Schwarzwald von 1895 bis 1913. In: DSV snow 3..Planegg1993/138 Ekkehart Ulmrich. Zur Geschichte des Skiclubs Schwarzwald von 1895 bis 1913. In: DSV snow 3..Planegg1993/139 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197721


verschiedenartige Bindungen habe ich mir konstruiert,bis ich auf alle Gesetze dieses sehrheiklen Themas kam. Gleichzeitig hat meine turnerischeFertigkeit und mein turnerischer Ehrgeiz nichtgestattet, daß mir irgendetwas zu schwer sein sollte,oder daß ich mein Heil im Niederwerfen suche.Sturzfrei und flott, jedes Gelände beherrschen, warmein Ziel, das ich auch vollkommen erreichte. Daich mir sowohl von der turnerischen, als auch anatomischenund physikalischen Seite über alle BewegungenRechenschaft geben konnte, so war es mirmöglich, für mich meine ganze Skifahr-Fertigkeitsystematisch zu ordnen. Nachdem ich so nach sechsjährigervollkommen abgeschlossener Arbeit meinenSkihunger gestillt hatte, war ich neugierig, wiedie anderen Skiläufer den Ski beherrschen. Ich unternahmeinige kleine Reisen und überzeugte mich zumeiner eigenen Überraschung, daß ich ganz anderslaufe, also etwas Neues in meiner Einsiedeleischuf." 40Wie es zu diesen "kleinen Reisen" kam, darüber berichtet MathiasZdarsky sehr anschaulich:"Das drolligste las ich im 'Wiener Fremdenblatt'1895, als auf dem Semmering ein Schneeschuhvereinein 'großes' Wettlaufen veranstalten wollte.Der Stimmungsaufsatz kulminierte in den Worten:'Wenn so ein nordischer Recke durch den tiefverschneitenUrwald seiner Heimat saust, und ein Riesenbaum,vom Sturme gefällt, ihn den Weg verwehrt,übt der Recke einen <strong>Dr</strong>uck auf die Skispitze undfliegt im hohen Bogen über den haushohen Urwaldriesen,um harmlos weiter durch den Urwald zu sausen.'Und das las ich, nachdem ich mich seit sechs Jahrenmit dem Schneeschuhlauf beschäftigte, wozu ichnicht nur eine volle Gesundheit, Kraft, Ausdauerund Gewandtheit brauchte, sondern auch alle Theoriendes Turnwesens, der Körperpflege und des Alpinismusbeherrschte. Für meine Person stellte ichmir die Aufgaben:1. Sturzfrei zu fahren;2. jedes Gelände, wo tragfähiger Schneehaftet, zu befahren;3. alle Hindernisse zu beherrschen.Alles das schuf ich als Autodidakt und war nur neugierig,wie der <strong>Dr</strong>uck auf die Skispitze ausgeführtwerden müsse, um hoch in die Luft zu fliegen. Deshalbfuhr ich hoffnungsfreudig auf den Semmering,um dort zum erstenmal in meinem Leben Skiläufer zusehen und von ihnen zu lernen, denn meine Autodi-40 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. 4. Auflage. Berlin 190822


daktik war so klar und einfach, daß ich ihr keinenWert beilegte.Ich kam, sah und stutzte. Der <strong>Dr</strong>uck auf die Skispitzewar immer eigentlich nur ein <strong>Dr</strong>uck auf dieReversseite. Und statt des hohen Bogens durch dieLuft sah ich nur tiefe Löcher in der Schneedecke.Eine größere Enttäuschung konnte ich mir nicht denken.Waren denn all diese sonst recht ehrenwertenMenschen mit teilweiser Verrücktheit geschlagen ?Oder konnte der Fanatismus derart ausarten ? Ichsprach von meiner Autodidaktik, wurde aber nur ausgelacht.So schrieb ich denn mein Büchel: 'Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>'.Damit begann ein Kampf aller gegenmich. Der Kampf dauert bis heute. Ich schlug kräftigzurück und erreichte, daß alle ausgekniffensind, als ich sie zum Wettkampfe herausforderte.Seitdem verlegten sich die Feinde auf das hinterlistigeVerleumden, auf das Totschweigen und aufden geistigen Diebstahl, indem sie 'ihre' <strong>Technik</strong>mit meinen Mitteln brauchbar ummodelten." 41Wie Mathias Zdarsky angefeindet wurdeDieses im Jahre 1896 in Hamburg erschienene erste Buch zur alpinenSkilauftechnik brachte Mathias Zdarsky sehr viele Anfeindungenund Verunglimpfungen ein, weil er die nordischen Skibindungenals für steiles alpines Gelände unbrauchbar bezeichnete.Diese aus heutiger Sicht vollkommen zutreffende Äußerung reichte,um von den skilaufenden Alpinisten in Mitteleuropa, dieder norwegischen Fahrweise die Treue halten wollten, arg angefeindetzu werden. In Büchern, Zeitungen und Zeitschriften wurdevon diesen Mitteleuropäern, die "norwegischer als die Norweger"sein wollten, daher im Gegenzug behauptet, daß die alpineFahrweise und die von Mathias Zdarsky entwickelte Bindung wiederumnichts tauge, da sie eine "Fußbrechmaschine" sei. Gleichzeitigsorgten die Gegner von Mathias Zdarsky dafür, daß seineschriftlichen Erwiderungen zu diesen Vorwürfen nicht gedrucktwurden. Da seine Gegner seine Skier verurteilten, ohne sie jeausprobiert zu haben, wollte Mathias Zdarsky diese Frage "experimentell"klären. Er forderte alle Skiläufer der Welt zumWettlauf heraus. In verschiedenen Zeitungen veröffentlichte erseine Herausforderung:23


"Aufforderung: Um jeder Polemik, die sich zwischenmeinen Anhängernund Gegnern zu entwickeln scheint, die Spitze abzubrechen,bin ich bereit, mit Jedermann, der sichder primitiven norwegischen Skibindung und der norwegischenLauftechnik bedient, ein Wettskilaufenauf dem schwierigsten, hindernisreichsten, mindestens35-50 gradig geneigten Terrain zu bestehen,und hoffe ich zuversichtlich, daß ich dabei stetsSieger bleiben werde. Wer also meine Anhänger odermich skisportlich angreifen will, dem bietet sichjetzt die beste Gelegenheit, dies durch Taten zubeweisen." 42"Die Anfeindungen waren immer so albern und wurdenso naiv geglaubt,",schrieb Mathias Zdarsky rückblickend im Jahre 1908,"daß mir kein anderes Mittel übrig blieb, als meineGegner zu einem Wettlauf auf steilem, mehr als35gradig geneigtem, hindernisreichen Gelände herauszufordern.Zuerst bot ich 1000 Mark dem Sieger,dann kam ein lieber Freund und bot dem, der michbesiegt, 20 000 Mark. Merkwürdig, da trat einSchweigen im Lästerwalde ein, alles ist ausgekniffen.Seit der Zeit kümmere ich mich um diese bösen Mäulernicht. Wer sich von solchen Leuten beschwatzenläßt, trägt den Schaden selber." 43Dieser "liebe Freund", der die Siegprämie erhöhte, war WilhelmRickmer Rickmers. 44Die "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>"Mathias Zdarsky bezeichnete das, was er gefunden hatte, in seinerersten Publikation im November 1896 als die "LilienfelderSkilauf-<strong>Technik</strong>". Er benannte sie nach dem Ort Lilienfeld inNiederösterreich, eine Autostunde von Wien entfernt, wo er seinealpine Skitechnik entwickelte. Diesen Namen änderte er späterin "Alpine (Lilienfelder) Skilauf-<strong>Technik</strong>" und schließlich41 Mathias Zdarsky. Es war einmal. In: Der Schnee. Wien 192542 Mathias Zdarsky. In: Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197743 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Vorwort zur 4.Auflage. Berlin !90844 Wilhelm Rickmer Rickmers war der Sohn eines Schiffsreeders in Bremerhaven. Unter anderem wurde er bekanntals Leiter der großen deutsch-russischen Pamirexpedition im Jahre 1928.24


in "Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>". Der Grund für dieseNamensänderung vom "Laufen" zum "Fahren" lag in seiner naturwissenschaftlichfundierten technisch-fortschrittlichen Einstellungbegründet. Mathias Zdarsky wollte mit der Namensänderungzum Ausdruck bringen, daß es in seiner <strong>Technik</strong> nicht darumgeht, sich nur mutig auf die Skier zu stellen und es dann einfachlaufen zu lassen, wie er es vielfach beobachten konnte.Sein Ziel war vielmehr das kontrollierte Berherrschen der Abfahrtdurch <strong>Technik</strong> und nicht das Laufenlassen mit Mut.Es wäre aus meiner Sicht besser gewesen, er hätte einfach nurvon "Ski-<strong>Technik</strong>" gesprochen, denn der Begriff "Fahren" bewirktsehr leicht, daß man sich selbst als Ski-Fahrer, als Lenker einesFahrzeugs vorkommt, bzw. sich dann auch so verhält. DiesesFahrzeug-Modell, das später in der Arlbergschule nicht unerheblichdie skifahrerische Einstellung prägte, lag Zdarsky abervollkommen fern. Es ging ihm nicht um fahzeugsteuerndes Gewicht-Verlagernund Gewicht-Übertragen mit Ändern der "Kufenstellung"(Umkanten).Mathias Zdarsky griff in der Praxis vielmehr auf ein biologischesModell der Ganzkörperbewegung zurück. Seiner Ganzkörperbewegunglag allerdings nicht das erbkoordinative Leistungs-Muster "Laufen", das in der nordischen Skitechnik dominierte,zugrunde. Seine Skitechnik basiert vielmehr auf dem erbkoordinativenLeistungsmuster "Galoppen".Um seine Beinspiel-<strong>Technik</strong> in dieser Hinsicht treffend zu benennen,hätte er sie eigentlich als "Ski-Galoppen" bezeichnenmüssen. Das wäre allerdings nicht verstanden worden. Bereitetes doch Fachleuten im Skisport heute noch Schwierigkeiten, dasMuster "Laufen" vom Muster "Galoppen" zu unterscheiden.Mathias Zdarsky hat seine Skitechnik nicht aufgrund theoretischerÜberlegungen er-funden, sondern aufgrund einer achtsamenAnalyse dessen, was sich bei seinem praktischen Tun wirklichereignete, gefunden .Bei seinen konkreten Versuchen im alpinen Gelände hat sich beiihm das erbkoordinative Muster "Galoppen" situationsgemäß vonselbst aufgerufen. Er hat dann seine Skitechnik im praktischenÜben nur entlang dieses Musters entfaltet. Seine turnerische25


Qualifikation war vielleicht die Ursache dafür, daß er diesesetwas Mut verlangende Muster aktualisierte. Die Realisierungdes Galopp-Wechsels im alpinen Gelände hängt nämlich davon ab,daß man beim Bogen-Wechsel (beim Schwung) den Rumpf im Aufrichtendynamisch vor-talwärts bewegt. Der Oberkörper muß sich dabeitalseitig, d.h. mit der Tal-Schulter nach vor, in eine kommendebogeninnere Lage vor-hoch bewegen.Dies verlangt erheblich mehr Mut, als sein bergseitiges Vordrehen.Das in der nordischen Skitechnik dominierende Lauf-Muster unddas Paßgang-Muster setzten sich vermutlich auch aus diesemGrunde, weil sie eben kaum Mut verlangen, gegen die neue <strong>Technik</strong>Zdarskys im Skilehrwesen durch. Das offizielle Skilehrwesenhat die einfache Zdarsky-<strong>Technik</strong> schon im ersten Jahrzehntunseres Jahrhunderts in ihrem Wesen total verkehrt.Das dem alpinen Gelände "natürlich" zugeordnete "Galopp-Muster", das der Zdarsky-<strong>Technik</strong> zugrundeliegt, ist heute vorwiegendaußerhalb des Einflußbereiches der Skischulen - vorwiegendbei Kindern und im Rennsport deutlich beim Slalom -zu beobachten. Das dem "Pflug-Prinzip" des nordischen Bogenfahrenszurgrundeliegende erbkoordinative Leistungsmuster des"Paß-Ganges" ist für steiles Gelände ungeeignet. Es ist - als"dort widernatürliches" Muster - im steileren Gelände nichtnur schwerer und zeitraubender zu vermitteln, sondern führtdort auch zu vermehrten Unfällen. Das hat bereits MathiasZdarsky klar gesehen.Mathias Zdarskys <strong>Technik</strong> ist schwer zu verstehen, wenn man siemit den vom Skilehrwesen geeichten und betriebsblind gemachtenAugen verstehen will. Dies ist vermutlich auch der Grund, warumsich das Skilehrwesen fast ein Jahrhundert lang neben dem Skirennsporther entwickelt und diesen, bis auf wenige Ausnahmen,eher behindert als gefördert hat.Mathias Zdarskys persönliche Voraus-setzungen26


Mathias Zdarsky hatte beneidenswerte Voraussetzungen. Neben Lebenweisheitverfügte er über ein hervorragendes naturwissenschaftlichesAllgemeinwissen. Sein Wissen und seine Weisheitmachten ihn sozusagen zum zivilisationskritischen gesellschaftlichenAussteiger, der sich auf einen einsam gelegenen Bergbauernhofzuzückgezogen hatte.Mathias Zdarsky war aber nicht nur Theoretiker, sondern im innerenseines Wesens extrem stark in der Praxis verwurzelt. Esging ihm bei allen theoretischen und praktischen Problemenstets darum, in der Praxis "nach den Wurzeln zu suchen". 45 SeinWissen und seine geistesgegenwärtige Fragehaltung befähigtenihn, sein praktisches Können, das er nicht nur im skitechnischenBereich, sondern auch im turnerischen und handwerklichen,in besonderem Maße besaß, in einer Einheit von Theorie und Praxiszu vervollkommnen. Neben dem Finden einer Skitechnik hat erdaher im technisch-handwerklichen Bereich auch viel erfunden.Er war aber über dieses Bündel von geistig-praktischen Qualifikationenhinaus eine moralisch mitmenschliche Persönlichkeit.Es ging ihm eigentlich nicht um den Skisport. Er sah imSkisport vielmehr nur einen Ansatz, die Menschen der Großstadtder Natur näher zu bringen. Er hatte nicht nur einige elitäreAlpinisten im Auge, sondern wollte mit dem Skisport zu einerHumanisierung der Gesellschaft beitragen und volksgesundheitlicheEffekte erzielen. Er hat tausende Großstädter, die in Sonderzügennach Lilienfeld reisten, kostenlos unterrichtet. Umdiesem Ansturm gerecht zu werden, war er genötigt, den Formeneines Massenunterrichts zu folgen. Ursprünglich setzte er aberauf das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe" und dachte, ein Buchzum Selbststudium und zum Selbstlernen würde reichen. Da hatteer sich getäuscht! Die Massen wollten und brauchten einenpraktischen Demonstrator. Er hatte daher alle Übungen am Hangselbst praktisch vorgezeigt, sowohl die Vorübungen als auch dieSchwünge. Er hat, wie er schreibt, alles selbst vorgeturnt undnicht nur theoretisch erläutert. Unter "Vorturnen" verstand manzu der damaligen Zeit selbst Vorfahren im Gelände! So vertrater die Anschauung,27


"...daß es meistens möglich ist, einer beginnendenLawine davonzufahren.",und daß Seehund-Felle dies verhindern. Er führte weiter aus:"Ich behaupte es auf Grund von selbst erlebten Gefahrenund ich behaupte es auf Grund von Experimenten,die ich bei lawinenbrüchigem Schnee auf mirwohlbekannten Lawinenzügen meinen Schülern 'vorgeturnt'habe." 46Der Begriff "Turnen" war damals noch nicht auf die heutigeSportart "Turnen" eingeengt. Es ist daher vollkommen irreführend,vom Wort "Vorturnen" darauf zu schließen, daß MathiasZdarsky seine Skitechnik in seinem Lehrweg bloß mit gymnastischen"Trockenübungen" fern von der konkreten Geländepraxis imheutigen Sinne "vorgeturnt" habe.Da Mathias Zdarsky kostenlos unterrichtete, hatte er nicht dasheutige Zentralproblem des Ski-Lehrwesens, nämlich:"...handfeste Überlegungen" anzustellen, "wie dieSkischulklassen zu füllen sind", "...wie man aufneuen Wegen neue Schüler finden kann und wie dieseMärkte gegen Konkurrenz jedweder Art abzusichernsind." 47Mathias Zdarskys Interesse lag vielmehr darin, den Anfängermöglichst schnell zum sicheren und selbständigen Fahren im ungespurtenSchee im alpinen Gelände zu bringen. Er hatte keinerleiInteresse, die Anfänger in eine die Skischulen füllende Abhängigkeitvon einem bestimmten Skilehrweg zu bringen.Die besondere Qualifikation Mathias Zdarskys hat aus meinerSicht in einem sehr traurigen Erlebnis Zdarskys in seiner Jugendihren Ursprung. Als Kind verlor er durch einen Unfallbeim Spielen ein Auge. Um dieses Auge vielleicht doch noch zuretten, muße er, so wurde mir erzählt, über ein Jahr lang imverdunkelten Zimmer verbringen. Er war dort mehr oder wenigerauf sich selbst verwiesen und zu einer Art Meditation genötigt.Dadurch entwickelte sich aber eine ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit,die Grundlage für seine klare Erkenntnis wurde. Imdunklen Zimmer turnte er auch und war daher gezwungen, vorwie-45 Wolfgang Kitterle. Zdarsky als Lehrmeister eines Jungen. In: Zdarsky-Blätter. Folge 46.Lilienfeld 198946 Mathias Zdarsky. Skisport. Wien 191547 vgl.: 100 Jahre Skitechnik - 40 Jahre Interskikongresse. Schriftenreihe des Deutschen Skiverbandes. Heft 21.199228


gend seinen kinästhetischen Sinn in seine Bewegungsvorstellungeneinzubringen.Er brachte so den Geist in die Gegenwart seines turnerischenTuns. In einer geistes-gegenwärtigen Fragehaltung versuchte er,sich ein kinästhetisch geprägtes Bild seines tatsächlichen Bewegenszu machen. Er analysierte also seinen Ist-Stand mit besondererAchtsamkeit. Er ging auf diese Weise bereits als Kindin seiner eigenen Bewegungspraxis forschend den "Wurzeln" seinesBewegens nach.Das "Galopp-Muster" der Zdarsky-<strong>Technik</strong>In gleicher Weise hat Mathias Zdarsky später sein Skilaufen betrieben.Er beobachtete geistesgegenwärtig mit dem kinästhetischenSinn sein eigenes Skilaufen und erforschte dann mit denAugen - und mit seinem naturwissenschaftlichen Wissen alsWerkzeug - die von ihm in den Schnee gelegte Spur.Mathias Zdarsky hat seine Skitechnik nicht deduktiv von "Skigesetzen"oder von "turnerischen Gesetzen" abgeleitet, wie behauptetwird, sondern genau das Gegenteil war der Fall!Sein Wissen war ihm nur Werkzeug nicht aber Quelle. Die Quellewar ihm seine eigene Praxis, in der er nach den Wurzeln suchte.Mit seinem Wissen gliederte und strukturierte er das Gefundene,das für ihn immer ein Ganzes war. Er analysierte aber nichtnur die Bewegung und die Skispur, sondern auch das Gerät"Ski". In seinem Lehrbuch zum Selbststudium teilt er seinen Lesernbereits vor fast hundert Jahren mit, daß die Taillierungdes Skis einen Bogen fördert und daß die einfachste Methode einenBogen zu fahren darin bestünde, die Ski einfach umzukanten.Er sagte aber auch, daß dies nicht in jedem Gelände und Schneefunktioniere.Mathias Zdarsky kombinierte auch die Selbst- mit der Fremdbeobachtung.Dies weniger bei der Analyse der Skitechnik selbst,sondern bei der Analyse ihres erbkoordinativen Leistungsmusters.Er beobachtete mit besonderer Klarheit das Bewegen seinerMitmenschen in Alltagssituationen. So hat er unter anderem dieFortbewegung beim schlurfenden Gehen auf Eis und beim Bergabbe-29


wegen im Gelände intensiv analysiert. Dies tat er nicht nur inseinen Beiträgen zum Skilaufen, sondern auch in seinem Buch"Wandern im Gebirge", das einen wichtigen Schlüssel zum VerständnisMathias Zdarskys liefert. 48In seinem Beitrag "Der Hartschnee" beschrieb er am Bespiel desBergabgehens ohne Skier das erbkoordinative Leistungsmuster desGalopp-Wechsels, das dort als haken-schlagendes Bremsmanövereingesetzt wird. Dieses Muster liegt - allerdings ohne hochspringenderSchwebephase - auch seiner alpinen Skifahrweisezugrunde. Er hat sich mit Skiern in ähnlicher Weise bergabbewegt,wie er es auch ohne sie im Hartschnee tat. Er schrieb :"Es gibt eine weichere Abart des Hartschnees, welchemit sehr kräftigen Stampftritten, also ohneSchleiftritten beherrscht werden kann. Beim Aufwärtsgehensind aber die Stampfschritte entschiedenanstrengender als die Schleiftritte, dagegen kannman beim Abwärtsgehen von den Stampfschritten gutenGebrauch machen, wenn man statt der Stampfkraft derBeine die lebende Kraft des fallenden Körpers ausnützt.Zu diesem Zwecke macht man einen Galoppsprungnach abwärts, aber vom Stande zuerst etwasin die Höhe, dadurch wird die Flugbahn länger. DieFüße müssen beim Niedersprung zuerst mit den Ferseneingesetzt werden, wobei die Längenachse der Füßefast parallel und waagrecht zum Schneehang sich befindet.Sollte der Schnee für dieses Sprunglaufennicht genügend weich sein, so kann man die niedersausendelebende Wucht des fallenden Körpers nochdurch die Stampfkraft der Beine vermehren. Zu diesemZwecke erfolgt der Niedersprung nicht mit gestrecktenBeinen, die schließlich gebeugt werdensollen, sondern die Beine sind im Fluge gebeugt undwerden in dem Augenblicke, als die Füße den Schneeberühren sollen, kräftig gestreckt. Je höher mannach dem Niedersprung emporschnellt, desto größerwird die lebende Kraft des Niedersprunges. Ein solchesLaufen ist also eine Zusammensetzung von Hoch-Tief-Weit-Springen. Auch auf steilem, feuchtem Rasenläßt sich dieses Hochaufspringen beim Herunterlaufenvorteilhaft anwenden, weil die Absätze bessereingreifen, natürlich muß man dann erst rechtdie Füße im Raume waagrecht und zur Bergfläche parallelhalten, wenn wir unsere Sprunggelenke nichtüberanstrengen oder gar verletzen wollen.Nicht nur als schöne Übermutsübung, sondern auchals wichtige Fertigkeit beim Hilfebringen oder bei48 Mathias Zdarsky. Das Wandern im Gebirge. Berlin 192530


der Flucht vor Gefahren sollte dieses technischeKönnen jeder Tourist sein Eigen nennen." 49Der Schlüssel für das Verständnis der Fahrweise von MathiasZdarsky ist alleine durch das Studium seiner Schriften schwerzu erarbeiten. Wenn einem das erbkoordinative Leistungs-Musterdes Galoppes, bzw. das des Galopp-Wechsels fremd ist, dann istes nahezu unmöglich, die Skitechnik von Mathias Zdarsky zu begreifen.Erleichtert wird der Zugang zum Verstehen seiner Skitechnik allerdings,wenn man das, was er beschreibt, nicht nur theoretischdiskutiert, sondern wenn man, seinem Ratschlag vertrauend,es auch tatsächlich ausführt. Dann ruft sich in der Praxissituativ, wie von selbst, das Leistungs-Muster des Galoppesauf. Man braucht dieses dann nur aufmerksam betrachten. Man erkenntdieses Muster dann aber auch im heutigen Skirennsportwieder und hat seine Freude an den "Spitzen-Galoppern": zumBeispiel am Italiener Alberto Tomba. In der Rennpraxis wirdheute Mathias Zdarsky, dem Begründer des Alpinen Skisports,"ein lebendes Denkmal gesetzt".49 Mathias Zdarsky. Skisport. Wien 191531


IVon denGeschichten zur GeschichtedesAlpinen SkilaufsEin bio-mechanischer Beitrag aus der Sicht der Theorie derLeistungs-Felder 50Betrachtet man die nun 100 jährige Geschichte des alpinen Skilaufs,so entsteht der Eindruck, daß eigentlich zwei Entwicklungslinienzum Teil parallel, zum Teil zusammen, zum Teil aberauch gegeneinander verlaufen. Zum einen ist es die Entwicklungder <strong>Technik</strong>en im Rennsport, zum anderen die Entwicklung derTheorien über das Bewegen im Skilauf. Im ersten Fall ist mehrdie Praxis ausschlaggebend gewesen. Die Änderungen in der Geländewahl,in der Pistenpräparierung, in der Streckenführungund die eng mit diesem Geschehen zusammenhängenden Änderungenin der Ausrüstung beschreiben diese Entwicklung.Wobei es nun nicht nur so ist, daß neues Material, zum BeispielKanten oder hohe Skischuhe, neue <strong>Technik</strong>en ermöglichten, son-50 aus: <strong>Horst</strong> <strong>Tiwald</strong>: Vorüberlegungen zu einer Schrift über Mathias Zdarsky. Juni 1994. Zdarsky-Archiv. Lilienfeld.Dieser Beitrag soll helfen, den Schlangenschwung zu verstehen, mit dem Mathias Zdarsky vor 100 Jahrenden Alpinen Skilauf begründet hat. Seine Schwungtechnik kehrt heute im alpinen Skirennsport wieder. Am BeispielSkilauf wird in diesem Beitrag auch in das Verständnis der Theorie des Gestaltkreises von Viktor vonWeizsäcker und in die dialektisch-materialistische Psychologie von Sergej L. Rubinstein eingeführt. ImJahr 1996 wird das Jubiläum "100 Jahre Alpiner Skilauf " gefeiert.32


dern eher umgekehrt. Der Könner wagte sich mit eher untauglichemGerät auch auf solche Pisten, wo er seine <strong>Technik</strong>en geradenoch schaffte. Diese Praxis des "gerade noch" zeigte erst diekonkreten Defizite der Ausrüstung auf und wies so aus der Praxisheraus die brauchbaren Wege für die Fortentwicklung desGerätes. Das Scheitern machte erfinderisch und schuf neue Möglichkeiten.So war bestimmt für das Erfinden der Stahlkantendas schlechte Fahren auf harten Pisten die Ursache, das aus derPraxis heraus den Weg für diese Neuentwicklung gewiesen hat. Sowaren es auch neue <strong>Technik</strong>en im Rennsport, die nur der Könnereinigermaßen realisieren konnte, die zu Verbesserungen der Ausrüstungführten, die es dem Könner dann besser und weniger gutenLäufern erst ermöglichten, bestimmte <strong>Technik</strong>en zu realisieren.Die andere Entwicklungslinie des Skilaufes, die seiner Theorie,hat eher einen modeartigen Charakter.Die Theoretiker des Ski-Sports wirkten mehr wie Designer.Sieentdeckten meist ein nicht gerade unwichtiges Detail einer<strong>Technik</strong> und stilisierten diesen Aspekt hoch.Es erscheint rückblickendso, als sei es ihnen darum gegangen, in einer bestimmten<strong>Technik</strong> den "Stein der Weisen" zu finden, etwa einen Supertrick,mit dem alle skiläuferischen Probleme bestens zu lösenwären. Viele dieser Designer von Skitechniken reklamierten fürihre Erfindungen eine Art Absolutheitsanspruch.Nicht die besten Designer haben sich aber im Skilehrwesen immerGehör zu verschaffen gewußt. So gab es in der Geschichte desAlpinen Skilaufs immer einige Chef-Designer, die als "Ski-Päpste" ihre Meinungen wie Parolen ausgaben. Dies taten sie zumindestim nationalen Bereich. Mit zunehmender Internationalitätdes Skilehrwesens wurde es mehr oder weniger unmöglich,sich auf einen "Ski-Papst" zu einigen. Man mußte daher mit einem"<strong>Dr</strong>eier ohne Steuermann", wie es formuliert wird, vorliebnehmen.Diese Designer wirkten insbesondere auf das Skilehrwesen ein,weniger auf den Rennsport. Einige von ihnen kamen ja aus ihmund wirkten in das Lehrwesen wohltuend hinein.33


Ich möchte in meiner Arbeit aber nichts beitragen zur geschichtsgetreuenDarstellung dieser Designerleistungen. Es gehtmir nicht um eine Kostümgeschichte des alpinen Skilehrwesens.Diese hat man ja bereits zu schreiben versucht.Mir geht es eher um das, was man, ohne es näher zu erläutern,als "bewegungslogisch" bezeichnet hat. Um aber nicht mißverstandenzu werden: Mir geht es nicht um eine Bewegungs-Logik. Diesen Ausdruck halte ich für hochtrabend und irreführend.Ich möchte aber hinführen zu einer von der Sache selbstausgehenden Geschichtsbetrachtung.Mir geht es unter anderem darum, aufzuzeigen, daß das PhänomenAlpiner Skilauf nicht zu fassen ist, wenn man bei der biomechanischenAnalyse der <strong>Technik</strong>en gleichsam auf "atomarer" Ebene,zum Beispiel bei der Betrachtung von Kräften und Winkelstellungenund Bewegungsrichtungen der Gelenke, stehen bleibt, oderauch bei der "molaren" Betrachtung größerer Einheiten, wie Entlasten,Rutschen und Gleichgewichtsregelung.34Alle diese Elemente sind in ganz unterschiedlichen"biologischen" Verbindungen, wie ich die umfassenderenGanzheiten bezeichnen will, enthalten.Betrachtet man zum Beispiel die sogenannten Erbkoordinationen"Laufen" und "Galoppen" als größere biologische Einheiten, sofolgen diese unterschiedlichen Eigengesetzlichkeiten, von denenwiederum ihre Elemente, wie Entlasten, Rutschen und Gleichgewichtsregelung,jeweils spezifisch geprägt werden. Der Transfergleicher atomarer oder molarer Elemente, wie zum Beispiel dieRutscherfahrung des Laufens in eine Rutscherfahrung beim Galoppen,ist keineswegs so einfach, wie immer wieder angenommenwird. Es kann durchaus sein, daß das ständige Gleichgewichtübenim Muster Laufen nur ganz geringe Bedeutung hat für den Umgangmit Gleichgewichtsproblemen im Muster Galoppen. Die Annahme,daß das Skilanglaufen eine ideale Vorbereitung für das alpineSkilaufen sei, ist daher nicht unproblematisch. Es gibt aberLehrwege, die dies ungeprüft unterstellen.Man erfaßt also nicht das Spezifische einer biologischenErbkoordination, auf die es aber konkret


ankommt, wenn man nur ihre atomaren und molaren E-lemente betrachtet.Auf molarer Ebene wird zum Beispiel der Unterschied der biologischenGanzheit Paßgang im Vergleich zum Nicht-Paßgang überhauptnicht faßbar. Der für das Skilaufen ganz wichtige Unterschiedzwischen Laufen und Galoppen gerät ebenfalls gar nichtin den Blick. Diese größeren, umfassenderen Ganzheiten habenaber, wie schon gesagt, eine Eigengesetzlichkeit und genau dieseist es, die insbesondere bei der Vermittlung von Skitechnikenzu beachten und zu nutzen ist.So gibt es Skitechniken, die sich im Muster "Laufen"variieren, andere dagegen im Muster "Galoppen".IIMan kann also an die Geschichte des Alpinen Skilaufs auf ganzunterschiedliche Weise herangegehen. Es sind hier ähnliche Vorgehensweisenmöglich, wie bei der Geschichtsbetrachtung überhaupt.Man kann dort zum Beispiel chronologisch die Regierungszeitender Herrschergeschlechter aufzählen, ihre Verwandtschaftsbeziehungenerläutern und diese Darstellung durch besondereEreignisse, wie zum Beispiel durch Kriege, Schlachten und durchErfindungen bereichern.Man kann aber auch unabhängig von dieser Betrachtungsweise versuchen,eine Geschichte der jeweils herrschenden Ideen zu liefern,also die Entwicklung dessen aufzeigen, was sich in denKöpfen der herrschenden Menschen abgespielt hat. Es ließe sichdarstellen, wie sich aus einer Idee scheinbar zwangsläufig eineandere ergab, und wie sich diese Ideen in der Praxis widerspiegeln,bzw. wie sie auch von dieser beeinflußt wurden.Man könnte aber auch den Ansatz für die Geschichtsbetrachtungin der Praxis selbst suchen und aufzeigen, wie sich aus derPraxis heraus notwendig bestimmte Ideen entwickelt haben, undwie diese Ideen auf die Praxis verändernd zurückgewirkt haben.35


Der erste Ansatz würde, auf die Geschichte des Skilaufsbezogen, die Ahnenreihe der Skipioniere chronologischaufzählen, ihre gegenseitigen Anfeindungenbeschreiben, ihre Ansprüche, als Erfinder vonetwas zu gelten, dokumentieren und sich den Machtströmungeninnerhalb dieser als Designer von Skitechnikenwirkenden Skipioniere zuwenden.Das habeich nicht vor.Der zweite Ansatz würde das chronologisch betrachten,was in den Köpfen dieser Designer abgelaufenist. Er würde sich der Ideenentwicklung zuwendenund aufzeigen, wie in die jeweilige Sichtweise desSkilaufens der Zeitgeist hineinwirkte. Es könnteder Frage nachgegangen werden, wie zum Beispiel dieGedanken des technisch-industriellen Aufbruches,der Reformpädagogik,der Jugendbewegung, der Rhythmusbewegungusw. jeweils die Sichtweise der Designerdes Skisports prägten.Es würde dabei auch aufgezeigtwerden, daß die Ideenentwicklung nicht nurvon der Güte und der Brauchbarkeit der jeweiligenIdeen abhing, sondern auch von der Macht jener, dieals Erfinder und Designer wirkten. Nicht immer wurdendie besten Ideen verwirklicht, sondern meistensdie Ideen jener Leute, die sich im herrschendenSkilehrwesen fest verankert hatten.Es würde vielleichtauch aufgezeigt werden, daß manche Erfindungenund Kreationen "in der Schublade verschwanden",wie sie zuerst belächelt und verspottet, dann angefeindetund bekämpft, dann ignoriert und späterdann heimlich angeeignet wurden. Dies geschah vorallemdann, wenn sie die Machtstellung der "Chefdesigner"oder den kommerziellen Markt des Skilehrwesensbedrohten.Es würde hier auch sichtbar werden,wie jeweils das Bild der jeweiligen Skitechnikendurch diese Modeströmungen des Zeitgeistes verzerrtwurde, und wie man für persönliche Machtinteressenund später für kommerzielle Interessen dieEntwicklung zu beeinflussen suchte. Weiter würdedeutlich werden, wie diese Modeströmungen jeweilsin voraussehbare Sackgassen führten und daß dannoft von den gleichen Designern neue Sackgassen eröffnetwurden, um aus der zuendegegangenen herauszu-kommenund im Geschäft zu bleiben.Es würdesichtbar werden, daß, wie in der Bekleidungs-Mode,alte Hüte wieder als neue Mode verkauft wurden,wenn nur einigermaßen "Gras darüber gewachsen"war.Es könnte gezeigt werden, wie vorher bekämpfteGedanken dann später von anderen angeeignet undvermarktet wurden, usw. Diese Geschichte würde offenbaren,wie also auch im Skilauf das "Menschliche"regiert und er keineswegs eine heile oder faireWelt darstellt.Diese Betrachtung habe ich aberebenfalls nicht vor.36


Der dritte Ansatz würde von der Praxis ausgehen undaufzeigen wollen, wie die Skipraxis selbst, diesich ja vorwiegend im Rennsport widerspiegelt, einebestimmte Entwicklung nahm.Hier würde sich auchzeigen, wie neue skitechnische Ansätze auch zu einerVerbesserung der Ausrüstung führten. Dadurchwurde das, was vorerst nur sehr guten Läufern miteher "untauglichem" Gerät nur ansatzweise möglichwar, für diese besser, und für die schlechterenLäufer überhaupt erst realisierbar.Diesen äußerenWechselwirkungen von Gelände, Ausrüstung und Innovationender Skitechnik will ich nun ebenfallsnicht nachgehen, sondern mich der inneren Entwicklungder Skipraxis zuwenden.Dieser einleitende Ausblick auf andere Betrachtungsweisen solldiese nicht als entbehrlich geringschätzen, sondern im Gegenteil:Es soll das relativiert werden, was ich hier beitragen möchte!Eine umfassende Geschichte des alpinen Skilaufs müßte alle dieseangesprochenen und darüber hinaus noch einige weitere Dimensionenim Zusammenhang aufarbeiten. Hierfür ist aber die Zeitnoch nicht reif, da die entsprechenden Vorarbeiten fehlen. Einenvorarbeitenden Beitrag für einen, wie ich meine nicht unwesentlichenAspekt, möchte ich zu geben versuchen.IIIIch möchte also von der Praxis ausgehen, von jener Praxis derbiologischen Fortbewegung, die sich im Laufe der phylogenetischenEntwicklung herausgebildet hat. Diese biologischen Fortbewegungsmustersind im Erbgut des Menschen bereits vorbereitet,bzw. es finden sich in ihm für deren Entwicklung bereitsDispositionen vor.Es handelt sich also um die Frage, welche Bewegungsmuster,die im Menschen bereits als sogenannteErbkoordinationen angelegt sind, unterschiedlicheEntwicklungen im alpinen Skilauf getragen haben.Es geht aber auch darum, aufzudecken, wie dieseErbkoodinationen mit ganz spezifischen Leistungender Umweltbewältigung zusammenhängen.Bei dieser Frage gilt es zu erkennen, daß eine Leistung vondrei zusammengehörenden Gliedern gemeinsam erbracht wird:37


Erstens wirkt an der Lösung das konkrete, in der Umwelt steckendeProblem, das durch eine Leistung gelöst werden soll, realmit. Beim Skilaufen handelt es sich um eine vom Gelände gestellteBewegungsaufgabe. Zu dieser muß die Leistung passen.Das Gelände wirkt aber, und das ist der entscheidende Gedanke,an der Leistung auch real gestaltend mit. Der Maßstab, der darüberentscheidet, ob eine Leistung erbracht ist oder nicht, istebenfalls in der Aufgabe enthalten. Sie hat das erste und dasletzte Wort.Zweitens ist der Schlüssel zur Lösung dieser Aufgabe zum Teilals sogenannte Erbkoordination bereits in mir aufbewahrt. DieseErbkoordination wird aber erst im Prozeß des konkreten Problemlösensvon der realen Aufgabe und meinem eigenen Tun gemeinsam"zurechtgefeilt". Erst durch diese praktische gemeinsame Arbeitpaßt sie dann wie ein Schlüssel zum Schloß. Die Schlüssel liegenim Erbgut also nur halbfertig vor und werden erst im konkretenVollzug von meinem Selbstbewegen und dem Schloß (von derBewegungsaufgabe) aktuell gemeinsam "zurechtgefeilt".Die Leistung ist also ein gemeinsames Ereignis derBegegnung von Umwelt und Mensch.Deshalb ist es jaeine Grundvoraussetzung für jedes praktische Leisten,daß man zur konkreten Welt hin offen ist, damitdiese leistungsfödernd mitspielen kann.Die bei der Umweltbewältigung zu erbringenden Leistungen habeneinen realen Bezug zu den von der Umwelt als Herausforderungtatsächlich gestellten Bewegungsaufgaben. Diese "betreffen" unsvorallem im Rennsport und beim freien Fahren im Gelände.Bewegungsaufgabe und Erbkoordination sind aufeinander eingespielt.Werden sie in ihrem Spiel nicht gestört, dann ergibtsich eine ganz spontane Leistungsentwicklung.Das dritte Glied der Leistung ist die Handlungsabsicht.Dem Menschen fällt es nicht leicht, diesem naiven Spiel von Bewegungsaufgabeund Erbkoordination zuzuschauen. Er denkt beimeigenen Tun mit, nimmt der Aufgabe gegenüber eine Position einund mischt sich dadurch mit seinem Verstand ein. Dies aber auch38


zum Vorteil der weiteren Leistungsentwicklung, was ja der Fortschrittin unserer Gesellschaft insgesamt deutlich zeigt.Aber auch hier ist das Einmischen in einen naiven Prozeß nichtimmer förderlich. Nicht alle Theorien, die man sich denkend ü-ber sein Tun macht, sind richtig. Und nicht jede daraus entstehendeHandlungsabsicht paßt als Schlüssel zum Schloß des realgestellten Problems. Sie sollte dies aber tun. So sollte nichtnur die Erbkoordination zur Bewegungsaufgabe passen. Auch unsereHandlungsabsicht sollte stimmig sein.Es sollte die zu erbringende Leistung nicht nur in der Erbkoordinationund in der äußeren Bewegungsaufgabe real stecken, sondernauch ideal als Sinn in der Handlungsabsicht des Menschen,mit der er an die Bewegungsaufgabe herangeht. Es ist zum Beispielein ganz wesentlicher Unterschied, ob es beim Skilaufenmeine Handlungsabsicht ist, den Hang zu queren, oder ob ich beabsichtige,den Hang hinunter zu fahren. Das sind auch konkretganz verschiedene Aufgaben und Leistungen, denen verschiedenebiologische Muster entsprechen.Unsere Handlungsabsicht kann daher zu der vorgegebenen Bewegungsaufgabepassen oder zu ihr querliegen .Es geht also um das <strong>Dr</strong>eiecksverhältnis:- Erbkoordination- Bewegungsaufgabe- HandlungsabsichtDiese drei Komponenten passen in der konkreten Handlung nichtzwangsläufig zusammen. Darin liegt nun ein grundlegendes Problemder Leistungsentwicklung. So kann zum Beispiel eine Handlungsabsichteine ganz bestimmte Erbkoordination mobilisieren,die aber der situativ gestellten Bewegungsaufgabe nicht optimalentspricht.Die der jeweils situativ gestellten Bewegungsaufgabeadäquate Erbkoordination entscheidet überErfolg oder Mißerfolg. Unsere Handlungsabsichtsollte daher jener Erbkoordination, die der vom Geländegestellten Bewegungsaufgabe entspricht, nichtwidersprechen. Die Handlungsabsicht, unsere innereEinstellung, sollte vielmehr die gleiche Erbkoordi-39


nation mobilisieren, die auch die Bewegungsaufgabeaktualisieren würde, wenn noch keine Einstellungvorhanden wäre.Da im Siklaufen die vom Gelände gestellte Bewegungsaufgabe dermaßgebliche Bezug ist, geht es daher darum, die zu ihr passendeHandlungsabsicht zu entwickeln. Besteht eine inadäquate Handlungsabsicht,dann gilt es, diese zu verändern oder sie zu"vergessen". Dann spricht eben die Praxis selbst mit der Bewegungsaufgabein einem naiven Bezug unmittelbar zum Lernenden.Die hier versuchte Geschichtsbetrachtung will nun zwei Sichtweisenzu einer dritten verbinden:erstens gilt es, die biologische Struktur der Erbkoordinationenim Tun kennenzulernen, vor allem deren ObjektiveBedeutung, die in der Handlungsabsicht zumSubjektiven Sinn des Bewegens werden soll;zweitens gilt es, unterschiedliche Handlungsabsichtenkennenzulernen, die dem eigenen Bewegen als derensubjektiver Sinn jeweils zugedacht werden können;drittens soll dann aufgezeigt werden, wie Denken und Tun inKonflikt geraten und die Bewegungs-Entwicklung blockierenkönnen.Dieses Blockieren ereignet sich sowohl im lernendenIndividuum selbst, als auch in der Entwicklung desSki-Lehrwesens.IVEs handelt sich also bei dieser Geschichts-betrachtung um dasVerbinden einer psychologischen mit einer bio-mechanischen Analyse.51Dabei wird das Bewegen als ein hierachisch strukturiertes Ganzesaufgefaßt, das, wie schon angedeutet, auf verschiedenen E-benen betrachtet werden kann.So kann die Bewegung auf einer ganz elementaren physikalischmechanischenEbene analysiert werden, indem man zum Beispieldie auf den Körperschwerpunkt und auf die Teilkörper-51 Der Bindestrich im Wort "bio-mechanisch" soll andeuten, daß es sich um eine Analyse auf biologischer Ebenehandelt, im Unterschied zu den "biomechanischen" Analysen auf der physikalisch-mechanischen Ebene.40


Schwerpunkte wirkenden Kräfte und die Veränderungen der Winkelstellungender Gelenke betrachtet.Man kann aber auch größere physikalisch-mechanische Ganzheitenwie <strong>Dr</strong>ehen, Entlasten, Gleichgewichtsregulation oder auch sogenannteFunktionsphasen betrachten. Diese sehr wichtigen Analysenbezeichne ich, um der Veranschaulichung wegen eine Analogiezur Chemie anzubahnen, als atomare und molare Betrachtungsweisen,im Unterschied zu biologischen Betrachtungsweisen, zu denenich beitragen will.Die hier ins Auge gefaßte biologische Betrachtungsweise willdie noch größeren Einheiten, wie die Erbkoordinationen der Gestaltänderungund die noch umfassenderen Erbkoordinationen derFortbewegung, sowie deren Verkettung zu noch umfassenderenSinn-Einheiten, betrachten.Das ganzheitliche Auseinander-Setzen mit der Umwelterfolgt nicht durch Aufrufen atomarer und molarer,sondern von biologischen Einheiten. Diese biologischenEinheiten wurden und werden durch den in derUmwelt liegenden Sinn der Bewegungsaufgabe synthetisiert.Wird der unmittelbare Bezug zu diesemSinn, bzw. zur objektiven Bedeutung der Erbkoordination,verloren, etwa durch Abrutschen der Aufmerksamkeitauf Details der atomaren Ebene, dannkann es passieren, daß der Läufer "aus der Formfällt" und in seinem Leisten dann danebensteht.Die modifizierende Arbeit innerhalb dem von der Erbkoordinationvorgegebenen Spielraum erfolgt allerdings durch Ausnützen vonVariablen auf der atomaren Ebene. Dieses Ausnützen des Spielraumesgeschieht allerdings immer innerhalb der Bindung durchden "subjektiven Sinn", den ich meinem Bewegen gebe, und dereine Widerspiegelung der "objektiven Bedeutung" der jeweils aktualisiertenErbkoordination sein sollte.Die "Fäden zur Umwelt", die meine Leistungs-Entwicklung tragen, sind also nicht auf der atomarenoder auf der molaren Ebene, sondern auf der vonmir als biologisch bezeichneten Ebene gespannt.Auch bei der Vermittlung des Skilaufens an Anfänger geht esvorerst um das Aktualisieren dieser die "Fäden zur Umwelt"spannenden biologischen Erbkoordinationen.41


Die "Fäden zur Umwelt" können unmittelbar durch Herantragen einerpraktischen Bewegungsaufgabe oder, wenn bereits ausreichendpraxisbezogene Bewegungs-Erfahrung vorhanden ist, über das Vermittelneines adäquaten "subjektiven Sinns" "gespannt" werden.VDas heute dominierende skihistorische Denken beginnt aber, imUnterschied zu dem hier verfolgten Ansatz, meistens mit derFrage nach dem Ski oder nach einem dem Ski ähnlichem Gerät. DiePrähistorie des Gerätes "Ski" wird meist als Ausgangspunkt fürdie Geschichte des Skilaufs genommen. Vom Fundort und von derForm der ski-ähnlichen Geräte wird dann auf ihre Verwendung geschlossen.Dieser Betrachtung liegt irgendwie der Gedanke zugrunde, daßzuerst das Gerät gewesen sein muß und dann erst dessen Verwendung.Dasist auch eine auf den ersten Blick hin sehr einleuchtendeAnsicht.Um mit einem Hammer schlagen zu können, muß mandiesen zuerst haben.Das sagt schon der Hausverstand.Es ist a-ber, wie schon angedeutet, auch eine andere Sicht möglich.Nämlich, daß die entsprechende menschliche Tätigkeit zuerst gewesensein muß, und daß diese erst zur Erfindung des Werkzeugsgeführt hat. Dieser Ansicht nach muß also zuerst eine Fortbewegungim Schnee stattgefunden haben, damit überhaupt der Ski alsein dieses Fortbewegen erleichterndes Gerät gesucht, erfundenund auch als brauchbar gewürdigt werden konnte.Dieser Sicht liegt also die Annahme zugrunde, daß im praktischenTun, bevor es das entsprechende Werkzeug überhaupt gab,zuerst die Funktion des Werkzeuges entdeckt wurde.Das Erfindendes Werkzeuges folgte erst dieser spezifischen Tätigkeit, welchedie Funktion des noch nicht erfundenen Werkzeuges bloßgelegthatte. Das daraufhin erfundene Werkzeug hat dann allerdingsden Umgang mit dem Problem erleichtert, ihn aber auch erweitert.Für das Skilaufen würde dies bedeuten, daß sich zum Beispielder Mensch zuerst im Schnee fortbewegt hat und in dieser Müheund Betroffenheit jene Funktionen kreativ aufgedeckt hat, diedurch eine Tritt- oder durch eine Gleithilfe dann erfüllt werdenkonnten.42


In den Werkzeugen stecken also die Operationen, die der Menschvorher mit eigener Tätigkeit bereits ohne das Werkzeug erfüllthat. Werkzeuge sind also, wie es auch heißt, eingefrorene Tätigkeiten.Im Hammer steckt das Schlagen der Hand drinnen. DieMöglichkeit des Schlagens wird mit dem Werkzeug aufgenommen,verbessert, aber auch erweitert.So gesehen führt das Gerät, ist es einmal erfunden, auch dasErlernen des Umgehens mit dem Gerät selbst. Das Geheimnis seinerVerwendung ist im Gerät enthalten, weil es eben bereits vorseiner Erfindung da war. Und weil es in ihm drinnen ist, wirdes dem Lernenden auch über das Umgehen mit dem Gerät von diesemweitergegeben.In den Geräten steckt also materialisierte menschliche Erfahrung,die dann über den Umgang mit diesen Geräten tradiertwird.Im Gerät Ski ist das Stapfen, das Steigen, das Rutschen und dasGleiten bereits enthalten, das der Mensch auch ohne Skier beiseinem Fortbewegen im Schnee vollbringen konnte. Ohne Gerätkonnte er dies allerdings nicht so gut, nicht in jedem Geländeund nicht in jeder Schneeart.Das Wesentliche am Skilaufen ist daher nicht der Ski, sondernvor allem das, was an menschlicher Tätigkeit ihm vorangegangenist. Durch das Umgehen mit dem Ski im entsprechenden Geländewird die angemessene Tätigkeit gleichsam wie von selbst weitergegeben.Der Umgang mit dem Gelände wird daher auch ohne einen Lehrerund ohne eine bestimmte Lehrweise weitergegeben.So kann man eben Skilaufen auch ohne Lehrer oder ohne Lehrmethodelernen, wenn man sich im achtsamen Umgehen mit Gerät undGelände übt.VIWenn es also darum geht, eine Geschichte des Skilaufens undnicht eine Geschichte des Skis und seiner Verwendung zu schreiben,dann muß diese Geschichte mit der menschlichen Fortbewegungbeginnen. Diese ist es nämlich, wie ich aufgezeigt habe,43


die das Gerät und die Arten seiner Verwendung von innen her bereitsbestimmt.Der Ski wird von unserer Fortbewegung bestimmt. Unsere Fortbewegungs-Musterentstehen durch unser Umgehen mit dem Gelände.Dieses Umgehen wiederum wird vom Gelände geprägt.Mit dem Geländekann ich allerdings in sehr vielfältiger Art umgehen. Zwarist nicht jeder Umgang der beste, aber viele sind zweckmäßig.Im Umgang mit dem Gelände vollbringen wir Leistungen.Dabei ist eine Leistung im Sinne der Theoriedes Gestaltkreises, die Viktor von Weizsäcker inder ersten Hälfte unseres Jahrhunderts formulierthat, das Ereichen eines Zieles auf mehreren Wegen.Eine größere Leistung wäre aus dieser Sicht dahernicht das quantitative Intensivieren einer bestimmten<strong>Technik</strong>, sondern das Eröffnen eines breitenFeldes vieler Möglichkeiten, mit einem bestimmtenProblem umzugehen.Wenn es also zum Beispiel darum geht, in einem bestimmten Geländedie Fahrtrichtung zu ändern, dann ist es aus dieser Sichtkeine größere Leistung, eine bestimmte Art der Richtungsänderungimmer schneller, sondern diese Richtungsänderung auf ganzunterschiedliche Weise durchführen zu können, d.h. über möglichstviele Lösungs-Wege dieser speziellen Richtungsänderungzu verfügen.Jedem Ziel ist also ein breites Feld zugeordnet, indem verschiedene Wege zum Ziel gegangen werden können.Dieses Feld bezeichne ich als das Leistungsfeld.Um sich also im Gelände auf Skiern fortzubewegen, gibt es indiesem Leistungsfeld ganz unterschiedliche Leistungsmuster, dieals Umgangs-Formen den Menschen in Form der sogenannten Erbkoordinationenbereits von Geburt an mitgegeben sind.So wie im Werkzeug das Umgehen mit ihm schon irgendwie drinnenstecktund dieses das Erlernen des Umgangs mit jenemanbahnt, so steckt auch im Menschen bereits als Erbkoordinationdas Umgehen mit dem Gelände. Wenn wir dieses Umgehen durch Heranführendes passenden Geländes aktualisieren, dann wird dasErlernen des Skilaufens allseitig geführt. Das Gelände führtals Bewegungs-Aufgabe aktuell die Entwicklung unseres Umgangsmit ihm. Der im Gerät steckende Umgang fördert dieses Herange-44


hen, und letztlich sind es die erbkoordinativen Umgehens-Formen, die ich als Leistungs-Muster bezeichne, die zum Intergrations-Platzfür das Entwickeln des aktuellen Umgangs werden.Ein schönes Beispiel für das Zusammenwirken von Gelände, Gerätund erbkoordinativem Leistungsmuster stellt die Geburt der LilienfelderSkilauftechnik durch Mathias Zdarsky im letztenJahrzehnt des vorigen Jahrhunderts dar. Mathias Zdarsky war vonFridtjof Nansens Durchquerung Grönlands auf Skiern fasziniert.Er ließ sich, wie viele andere Mitteleuropäer auch, aus Norwegenein paar Skier schicken. Nun gab es damals in Norwegen ganzunterschiedliche Skitypen. Zum einen die auch sprungtauglichenSkier, zum anderen die vorwiegend lauftauglichen Skier.Zdarsky hatte Pech und Glück zugleich, einen vorwiegend lauftauglichenSki zu bekommen. Dieser Ski (plus Bindung) war imUmgang mit leicht hügeligen Gelände entstanden. Er war dahergeeignet für das erbkoodinativen Leistungs-Muster "Laufen". Alsnun Zdarsky mit diesen Skiern seine ersten Versuche im Schneevollbrachte, rissen die Bindungen auch durch unpassendes Umgehenmit ihnen. Sie waren nicht nur wenig geeignet für den Umgangmit dem steilen Gelände, das er auf dem Wege von der Poststationzu seiner Behausung bewältigen mußte, sondern sie warenauch nicht gedacht für jene Erbkoordination, die Zdarsky im Umgangmit ihnen realisierte.Zdarsky aktualisierte nämlich, wie auch in seiner weiteren Ski-<strong>Technik</strong>, in seinem "Schlangenschwung", nicht das Leistungsmuster"Laufen", sondern das besonders an den Bindungen zerrendeLeistungsmuster "Galoppen", das auch heute noch im modernenRennsport, insbesondere beim Slalom, zu sehen ist.Das Galoppen ist jene Erbkoordination, die man auchbeim hakenschlagenden Bergabhüpfen im steileren Gelände,auch auf schneelosen Hängen, mit Erfolg anwendet.In der "Beinspieltechnik" der "Alpinen (Lilienfelder)Skifahr-<strong>Technik</strong>" steckt also das Leistungsmusterdes hakenschlagenden Umgangs mit steilem alpinenGelände.Dieser Umgang entsprach aber, wie schon gesagt, nicht den nordischenLanglauf-Skiern. Sie waren ja im Umgang mit dem45


Leistungs-Muster "Laufen" entstanden und daher diesem angemessen.Mathias Zdarsky hat also, so könnte man kritisch als Anwaltder Skier vermuten, durch einen zwar dem Gelände entsprechenden,aber hinsichtlich der Skier unsachgemäßen Umgang, dieLauf-Skier ruiniert. Er war dadurch aber gezwungen, für das alpineGelände und für das dort taugliche Leistungsmuster "Galoppen"selbst geeignete Skier und vor allem taugliche Bindungenzu entwickeln.VIIUnsere Geschichtsbetrachtung geht also von der konkreten Praxisaus. Ihr liegen Gedanken zugrunde, die einerseits Viktor vonWeizsäcker in seiner "Theorie des Gestaltkreises", andererseitsSergej L. Rubinstein in seiner Psycholgie verfolgt haben.Der"Gestaltkreis" veranschaulicht den Gedanken, daß im zeitlichenGeschehen eine Einheit, zum Beispiel die Einheit von Skiläuferund Gelände, sich zwar zu einem strukturierten Ganzen "auseinander-setzt",daß im Grunde aber diese Einheit konkret verbundenbleibt. Es besteht also im Grunde gar keine sogenannte Subjekt-Objekt-Spaltung.Wenn man "in Form" ist, dann kann man dieses "Eins-Sein" in der Praxis ganz konkret erleben. Man erlebtsich eins mit der Piste. Jede Spitzenleistungberuht auf der Klarheit und Intensität dieses Verbundenseins.Diese Verbundenheit ist auch jene Offenheitzur Piste, zur realen Welt hin, die es diesererlaubt, an meiner Leistungsentwichklung leistungsförderndmitzuspielen, wie ich es vorher formulierthabe. Durch diese Offenheit und durch dasMitspielen der Piste beim "In-Form-sein", erreicheich gerade die besondere Leistung und ein besonderstiefes und weites Erlebnis.In dieser offenen Einheit setze ich mich auseinander.So setzt sich die Einheit von Mensch und Umwelt zum Beispielzu Person und Ding zwar auseinander, und es steht dann einemSubjekt ein Gegen-stand gegenüber, im Grunde bleibt die konkreteEinheit aber bestehen.46


Und genau diese Verbundenheit muß man bei der Leistungs-Entwicklung in der konkreten Praxis wie einen Faden aufnehmen.Diese konkrete Verbindung, die Viktor von Weizsäcker die "Kohärenz"nennt, ist die "Grund-Lage" eines einheitlichen Gestaltungsprozesses,an dem sowohl das Subjekt als auch die Umweltals Objekt konkret und unmittelbar beteiligt sind.Letzlich lehrt daher nicht der Skilehrer den Anfänger das Skilaufen,sondern der Lehrmeister ist das Gelände, das mit demSchüler einen Dialog führt, den der Skilehrer nur vermitteltund fördert. Die Einheit dieses Gestaltungsprozesses versuchtdas Wort "Gestaltkreis" zu veranschaulichen.Dem Skiläufer steht zum Beispiel die Piste gegenüber. Für den"Gestalkreis" ist dieses "Auseinander-gesetzte" (Skiläufer -Piste) im "Grunde" aber immer noch eine reale Einheit. Pisteund Skiläufer sind in einer sogenannten "Kohärenz" ganz eng"verwachsen". Sie sind in der Realität tatsächlich „eins“, wasauch erlebbar ist, wie gesagt, insbesondere dann, wenn sich derSkiläufer "in Form" erlebt. In fernöstlichen Weltanschauungenwird das auch heute noch deutlich ausgesprochen. Da geht eszum Beispiel in den Kampfkünsten darum, mit der Umwelt undmit dem Gegner, oder beim Schießen mit dem Ziel, "eins" zuwerden. Die Leistung wird dort immer im "Eins-Werden" und imEinklang mit dem Kosmos zu erreichen gesucht.Beim Bogenschießen wird diese Leistung zum Beispiel durch eininneres Einswerden des schießenden Subjektes mit dem konkretenäußeren Ziel optimiert. In diesem inneren Einswerden erfolgtein konkretes Hinausgreifen in den Raum, wodurch in dieser Einheitdas Bewegen durch das Ziel unmittelbar geführt wird. DerSchuß wird also in gleichem Maße von der Person wie auch vomZiel unmittelbar gestaltet.So gestalten auch im Rennsport Gelände und Skiläuferjeweils aktuell die Skitechnik immer wieder neuin einem gemeinsamen unmittelbaren Akt.Diese Auffassungen bekommen in letzter Zeit im Skisport dahernicht nur um der Entwicklung der Persönlichkeit willen, sondernauch mit dem Ziel der Leistungsentwicklung im Spitzensport immermehr Bedeutung. In der letzten Phase der Geschichte des47


Skilaufes können diese von fernöstlichen Trainingstheorienbeeinflußten Ansätze auch nicht mehr ignoriert werden.Der Umgang mit der Piste erfolgt also in diesen Konzepten aufder Basis des "Eins-Seins". In diesem Ereignis des "Eins-Seins"wird die "Leistung" vollbracht.Die spezielle Skitechnik setzt sich erst in diesem konkreten"Leisten" auseinander. Sie wird im "achtsamen" Umgehen immermehr ausdifferenziert.In diesem Umgang, wie Viktor von Weizsäcker den "Gestaltkreis"auch bezeichnet, wird im kohärenten "Eins-Sein" mit der Umweltunser Umgehen mit ihr erst gestaltet. Im Umgang mit der Piste,in dieser Leistung, gestalten der Skiläufer und das Gelände gemeinsamdie "Umgehens-Formen" des Skiläufers. Das Gelände spiegeltsich in diesem Umgehen in den Skitechniken wieder.In der Leistungsentwicklung sind also zwei Aspekte wesentlich:Erstens brauchen wir das innerliche "Eins-Sein" mitder Umwelt. Beim Skilaufen ist dies das kohärente"Eins-Sein" mit der Piste.Dieses "Eins-Sein" bringt uns aber noch keine Skitechnik.Um diese zu entwickeln, müssen wir uns schon selbstbewegen.Zweitens brauchen wir daher das Selbstbewegen.Wir müssen sozusagen das praktische Problem, mit dem wir vorerstnur "eins" sind, aktiv "um-kreisen". Wir müssen uns im Bewegenum das Problem praktisch tätig herumbewegen. Dieser "Um-Gang" in der Umwelt ist die Einheit von Bewegen und Wahrnehmen.Im kohärenten "Eins-Sein" kommen wir zum Beispiel beim Skilaufenmit dem Gelände in unmittelbaren Kontakt. Im bewegungsaktivemUmgang mit dem Gelände nehmen wir es in dem Maße wahr, wiewir Umgehens-Formen entwickeln. Das "Herum-gehen" im Leistungsfeld,das in uns "Umgehens-Formen" ("Umgangs-Formen") entwickelt,braucht also beides:das kohärente "Eins-Sein"48


unddas Selbstbewegen.Wir gehen als Menschen beim Skilaufen aber nicht voraussetzungslosan diesen Umgang mit der Piste heran. Das Leben hatin seiner Entwicklungsgeschichte, in seinem ständigen Umgangmit der Umwelt, eine Fülle von Leistungen vollbracht.Diese waren es, die unseren Organismus immer höher entwickelthaben.Unser Leib ist in gewisser Weise der materialisierteUmgang einer bestimmten Lebens-Entwicklung. Inunserer organischen Struktur, in unserem Körperbauwie in seinen Umgangs-Formen, den sogenannten Erbkoordinationen,ist die Geschichte des gewordenenund weiterhin werdenden Menschen irgendwie aufgehoben.Mit diesen in unserer Struktur aufbewahrten Formen gehen wirals Voraussetzungen an die uns immer wieder neu treffenden Herausforderungenheran. In jeder neuen Herausforderung haben wirdie Möglichkeit, mit der Umwelt immer wieder neu umzugehen. Imachtsamen Umgehen werden wir von ihr erneut und aktuell mitgestaltet.Hierdurch erlangen wir ein höchstes Augenmaß für diekonkrete Praxis, was für die situativen Sportarten, wie zumBeispiel für den Skisport, von zentraler Bedeutung ist.Im Einklang mit der Umwelt entdecken wir so immer neue Wege desaktuellen Problemlösens. Im Gestaltkreis werden die <strong>Technik</strong>enneu und jeweils aktuell geformt. Zum Teil gehen in sie bereitsvorhandene ererbte und erworbene Umgangsformen ein, zum Teilwerden diese in der neuen Auseinandersetzung uns vom Geländebeigebracht. Dieser Prozeß des Gestaltkreises trifft nun nichtnur auf das aktuelle Gestalten von Skitechniken zu. Er prägtvielmehr auch die Entwicklung des Lebens überhaupt, in die dieGeschichte des Skilaufens ja bloß eingebettet ist.Es ist also auch eine Art historischer Gestaltkreisgegeben, der nicht nur räumliche Brücken zwischendem auseinander-gesetzen Subjekt und Objektschafft, sondern auch zeitliche Brücken. Es wirddabei das Neue durch Mitwirken des in der Strukturund in den Umgangs-Formen aufgehobenen Alten gestaltet.So geht jede Entwicklung von der Praxis alseiner noch auseinanderzusetzenden Einheit aus. DasSein als praktische Gegebenheit führt also das Bewußtseinals Handlungsabsicht.49


VIIIIm konkreten Umgang mit der Praxis "begründet" das "Eins-Sein"mit der Welt das formende "Auseinandersetzen". Um uns dieses"Eins-Sein" erlebnismäßig zu veranschaulichen, können wir, wieschon erwähnt, an das undefinierbare Erlebnis des "in Formseins" denken.So gesehen ist also das intensive Sein, das auchals Da-sein und als Existenz im "Hier und Jetzt"bezeichnet wird, die "Grund-Lage" für jede besondereLeistung.Diese "Grund-Lage" wollen wir ja mit den verschiedenstenTricks, wenn wir aus der Form geraten sind, immer wieder herbeizaubern.Das ist ja gerade der Sinn der heute im Spitzensportmit mehr oder weniger Erfolg immer mehr zelebriertenpsychischen Trainingsmethoden.Sind wir dagegen in Form, dann scheint das gestaltende Auseinander-setzenmit Problemen wie von selbst zu laufen. In einemtraumwandlerisch erscheinenden Umgang geht uns das Gestaltenganz leicht von der Hand. So gesehen folgt auf das "In-Formsein"erst unser erfolgreicher Umgang, der ein So-Sein, dererst die Essenz schafft. Für den Menschen geht in seinem Umgehendas Sein (als seine Existenz) dem "So-Sein" (als der Essenz)voraus. Hier sieht sich Viktor von Weizsäcker in geistigerVerwandschaft mit Jean-Paul Sartre.IXEs treffen sich also zwei Gedanken: Der erste Gedanke wurde,wie schon erwähnt, von dem russischen Psychologen Sergej L Rubinsteinausdifferenziert. Es ist der Gedanke, daß das Bewußtseindes Menschen in und aus seiner praktischen Tätigkeit entsteht.Für Rubinstein ist die konkrete äußere Praxis der Ausgangfür die Entwicklung des Bewußtseins. Das Sein bestimmtauf diese Weise das Bewußtsein. Aber es wird dabei jede Wahrnehmung,die zwar von der äußeren Praxis ihren Ausgang nimmt,50


immer entsprechend den inneren Bedingungen des Menschen, wirwürden sagen, entsprechend den in ihm bereits vorhandenen Umgangs-formen,gebrochen.Hier ist das Wort Sein also für die Praxis des konkreten Umgangesgesetzt.Die in uns verinnerlichten Umgangs-formen erhalten wir aus dieserSicht in unserem praktischen äußeren Umgehen mit der konkretenWelt. Von dieser geht alles aus. Ein bestimmtes Geländeprägt zum Beispiel jene Fortbewegungsart, die in ihr erfolgreichist.In unserem Wahrnehmen sowie in unserem Tun gehen wir an diesepraktische Tätigkeit aber immer schon mit den bereits verinnerlichtenUmgangs-Formen heran. Diese gestalten das aktuelle Bewegenund Wahrnehmen mit. Was also aus der Praxis in unser Bewußtseinkommt, wird jeweils von den dort bereits vorhandeneninneren Bedingungen gebrochen. Die gesamte Welt befindet sichin dieser Art in einem fundamentalen Wechselwirkungs- und Widerspiegelungs-Zusammenhang.Mit "Sein" wird hier also der konkrete praktische Umgang in derPraxis bezeichnet im Unterschied zu unserem Wissen über diese,das als Bewußtsein und Handlungsabsicht unser Tun bestimmt. Sogesehen geht unserer Handlungasabsicht der konkrete "Umgang"mit der Praxis voraus.Einem ergänzenden zweiten Gedanken folgt Viktor von Weizsäcker,der nun diesen "Umgang" selbst weiter analysiert. Er zeigt im"Gestaltkreis" ebenfalls auf, daß der Ausgang von der Umweltgenommen wird, und daß dieser Ausgang von einem Subjekt selbsttätiggesetzt wird. Wie Sergej L. Rubinstein ist Viktor vonWeitsäcker der Ansicht, daß unser Bewußtsein in der praktischenTätigkeit geformt wird, und daß in diesem Prozeß Wahrnehmen undBewegen eine untrennbare Einheit bilden.Viktor von Weizsäcker setzt aber weiter auseinander,daß sich dieses Subjekt in seinem Sein ganzreal und konkret in einer untrennbaren Einheit mitder Umwelt befindet, und daß diese Einheit erlebtwerden kann. Das Erleben dieser Einheit bedarf dabeikeineswegs der sinnlichen Vermittlung. Es istintuitiv gegeben, wie schon Henri Bergson aufgezeigthat.51


Für Viktor von Weizsäcker ist nun wichtig, daß dieseinnere Verbundenheit des Subjektes mit der objektivenWelt die "Grund-Lage" dafür bildet, daß im"Umgang", d.h. daß durch das subjektive Selbstbewegen,das "Eins-Sein" zur sinnlichen Form auseinander-gesetztwerden kann. Er zeigt imGestalkreis auf, daß sich das formende Gestalteneinerseits in der Selbstbewegung des Subjektes, andererseitsim mitgestaltenden Einfluß der Umweltereignet. Dieses Ereignen hat aber, wie schon aufgezeigt,seine Grund-Lage im Subjekt, das in einerKohärenz "eins" ist mit der Welt. Im Gestaltkreisgibt es einen erlebbaren Grund, in welchem der Unterschiedzwischen Subjekt und Welt nicht gegebenist. Dies ist jener Zustand, der uns auch im Sportin der Befindlichkeit des "in Form seins" erlebbarwird. Mit dem Wort "Sein" bezeichnen also Sergej L.Rubinstein und Viktor von Weizsäcker nicht genaudas Gleiche.Bei Sergej L. Rubinstein ist mit Sein der konkrete Umgang, imUnterschied zu den im Subjekt verinnerlichten Umgangs-Formenund dem folgenden Wissen über sie, gemeint. Also: Das praktische,das werdende Sein bestimmt hier die Form des Bewußtseins.Bei Viktor von Weizsäcker ist mit Sein dagegen das formlose"Eins-Sein" im praktischen Umgehen selbst gemeint. Dieses formlose,rein inhaltliche Sein ist einerseits die reale Verklebungvon Subjekt und Objekt, anderseits ist es das subjektiv intensiveErleben dieser Kohärenz. Auf dieses Sein der Verklebungvon Subjekt und Objekt ist der Umgang und das durch ihn ersterfolgende Auseinandersetzen zum So-Sein ge-gründet. Das dieUmgangs-Formen schaffende Umgehen ruht also auf einem formlosen,inhaltlichen und für uns nur erlebbaren Sein.Das Werden der Welt, das Umgehen der Welt mit sichselbst , differenziert sich so im Auseinander-Setzen auch als geschichtliches Werden auf der Basisseiner formlosen Einheit immer mehr aus.XWas haben nun diese einleitenden Ausführungen mit der SkigeschichtlichenBetrachtung zu tun?52


Der Gedanke der erbkoordinativen Leistungs-Musterdient uns als Werkzeug, die Entwicklungs-Linien derunterschiedlichen Ski-<strong>Technik</strong>en sichtbar zu machen.Die Gedanken über den Zusammenhang von Umwelt undUmgangsformen soll uns das Verständnis für jene vonder Reformpädagogik ausgegehenden Bestrebungen liefern,die, wie Fritz Hoschek, gezielt mit Bewegungsaufgabenarbeiten.Die Gedanken zur Kohärenz dagegen sollen uns Zugangverschaffen zu neueren Ansätzen des Skilaufs, dieaus Yoga und Zen-Buddhismus östliche Bewegungsweisheitin den Skisport einbringen und damit zur Persönlichkeits-Entwicklungdurch Skilaufen, aber auchzur Leistungsentwicklung im Spitzensport beitragenwollen.Nordischer Skilauf - AlpinerSkilauf.53


INorwegen ist die Wiege des Skisports. Wenn es nun darum geht,Zdarskys "Alpine Ski-<strong>Technik</strong>" in den Skisport einzuordnen, dannbietet es sich an, vorerst zu fragen, wie die Norweger vorZdarsky gefahren sind. Dies ist aber über das Studium der Skiliteraturnicht exakt herauszubekommen. Die Berichte sind ungenau,lückenhaft, widersprüchlich aber nicht phantasielos.Eines scheint aber sicher der Fall gewesen zu sein: den Norwegernhatten sich verschiedene Bewegungsaufgaben gestellt:54Erstens beim Laufen im hügeligen Gelände: Hier entstanddie Notwendigkeit, im Abwärtsgleiten zu bremsenund die Richtung zu ändern. Ich sehe in diesemZusammenhang das Entstehen der Fertigkeiten "Bogentreten","Bogenlaufen" und "Pflugfahren".Zweitens beim Schußfahren und beim Weittief-Springen von natürlichen und gebauten Schanzen:Diese Übungen brachten die Aufgabe, die Schußfahrtnach der Landung zu stoppen. In diesem Zusammenhangsehe ich das Entstehen der Fertigkeiten "Telemark","Kristiania" und "Stemmbogen".Da, wie schon gesagt, aus der Literatur nur ungenau zu entnehmenist, wie die alten Norweger diese Aufgaben wirklich gelösthaben, bin ich genötigt, mir auch meine Selbsterfahrung ausmeiner Kindheit in Erinnerung zu rufen, und auch diese in meineÜberlegungen mit einzubringen.Ich selbst bin nicht im alpinen Gelände aufgewachsen. In meinerKindheit gab es aber schneereiche Winter. Skier waren daher einsehnlicher Wunsch von mir. Das erste Skigelände meiner Kindheitwar der Eisenbahndamm. Die Schußfahrt mit rasantem "Abkristeln"war das, was von älteren Kindern vorgegeben wurde. Im gleichen"Gelände" wurde dann später das Springen von kleinen Schanzenaktuell. Dies brachte den Zwang, bald zu halten, da der Auslaufkurz war, und ein Gartenzaun auf den Versager wartete. In dieserNot ereigneten sich "von selbst" ganz unterschiedliche Haltemanöver.Alles, was zum rasanten Querstellen der Skier und imschneeaufwirbelnden Rutschen zum erfolgreichen Halt führte,nannten wir "Kristl": unser Wort für "Kristiania".


Wenn ich nun meine Erfahrung zu Hilfe nehme, dann erscheint mirdie "Geschichte der Bögen" etwas anders, als es mir in denLehrbüchern erzählt wird.In meinem Verständnis ist der Stemmbogen kein "Kind" des Pfluges,wie dies bis heute vielfach unterstellt wird. Genau so wenighaben aus meiner Sicht die Haltebögen, wie Telemark,Kristiania oder Stemmbogen, etwas mit Schwüngen zu tun, die ichals Bogen-Wechsel betrachte.Erst der "Stemm-Bogen-Wechsel" ist zum Beispiel für mich ein"Schwung". Sein Anliegen ist es nicht, aus einer Schußfahrthaltend nach links oder rechts abzubiegen, sondern aus dieserAbbiegung wieder zurückzubiegen. Das ist eine ganz andere Bewegungsaufgabe:Sie hat hinsichtlich der Richtung kein "oder" undsie hat daher weniger Freiheitsgrade als die Schußfahrt. Diesegibt mir ja die Möglichkeit, eine von zwei gleichwertigen Richtungenzu wählen.IIIch möchte die verschiedenen Bögen als spezifische Muster vonvariablen Merkmalen beschreiben. Dieses Vorhaben wird mir erleichtert,wenn ich die beobachtbaren Variablen klar benenne.Deshalb will ich ein Vokabular vereinbaren:Als "Gefällslinie" bezeichne ich mit Zdarsky jene Linie einesHanges, die das stärkste Gefälle hat. Wenn man im Bogen in sieeinfährt, dann ist das Vorlegen wichtig. Sie wird auch als"Richtung des fließenden Wassers", als "Hangneigungslinie", als"Fallinie", als "Vertikale" oder auch als "Tallinie" bezeichnet.Ein Ski ist dann der "Rutschski", wenn er sich deutlich queroder schräg zur Längsachse des Skis oder zur Skikante im Schneebewegt.Ein "Gleitski" ist er dagegen dann, wenn er sich vorwiegendentlang der Längsachse des Skis oder entlang der Skikante bewegt.Als Gleiten bezeichnen wir daher sowohl die Schußfahrt inder "Fallinie", bei welcher seitlich auf die Kanten keine Reak-55


tionskräfte wirken, als auch die Hangschrägfahrt, die eigentlichein verhindertes Rutschen, ein verhindertes Querfahren(Seitrutschen) ist. Auch das schneidende Fahren auf der Kanteim Bogen bezeichnen wir als Gleiten, obwohl es sich bei diesemebenfalls bloß ein negatives Rutschen handelt.Beim "Schrägfahren" und beim "Schußfahren" haben wir also zwei"Gleitskier", beim "Pflugfahren" dagegen zwei "Rutschskier".Als "Fahrski" bezeichnen wir jenen Ski, auf dem vorwiegend unddeutlich beim Fahren (Rutschen oder Gleiten) unser Körpergewichtlagert.Der "Fahrski" kann nun sowohl der "Gleitski" als auch der"Rutschski" sein. Er kann aber auch vorgestellt, gleichgestelltoder nachgestellt sein. Diese Variablen gilt es ebenfalls zubeachten.Fährt man mit paralleler Skiführung, dann kann man sich längsoder quer, bzw. schräg zur Längsachse der Skier bewegen.Das Rutschen quer zur Skilängsachse nennen wir "Querfahren" o-der "Seitrutschen". Für unsere Terminologie macht es aber keinenUnterschied, ob dies quer zur Gefällslinie, in ihr, schrägtalwärts oder schräg bergwärts geschieht.Das Gleiten in der Längsrichtung der Skier kann ein Schußfahrenin der Gefällslinie des Hanges, oder aber auch ein Schrägfahrenquer zu dieser, zu ihr schräg talwärts oder schräg bergwärtssein. Zum Gleiten rechnen wir auch, wie schon gesagt, dasschneidende Bogenfahren auf Kanten. Dieses unterscheiden wirvom rutschenden Bogenfahren, das dem Querfahren verwandt ist.Rutscht der Ski auf den bogeninneren Kanten nach bogenauswärts,dann nennen wir dies "Schieben". Geschieht dies am Skiende,dann ist dies ein "Fersenschub", den man durch Muskelarbeitverstärken kann. Geschieht das Schieben im Schaufelbereich,dann spreche ich vom "Schaufelschub" oder "Zehenschub". Diesesbogenauswärts "Schieben" unterscheide ich vom "<strong>Dr</strong>iften". Darunterverstehe ich ein bogeneinwärts Rutschen auf der bogenäußerenKante.Das "Pflugfahren" ist ein Fahren mit zwei deutlich auf ihrenInnenkanten rutschenden Fahrskiern.56


Ein "Pflugbogenfahren" ist für uns ebenfalls ein Fahren mitzwei nach innen gekanteten Rutschskiern, wobei aber jeweils nureiner der deutliche "Fahrski" ist. Der bogenäußere Ski"schiebt" dabei auf seiner bogeninneren Kante mit den Fersennach bogenaußen, während der bogeninnere Ski mit seiner bogenäußerenKante mit der Schaufel nach bogeninnen "driftet".Nun wollen wir zur Analyse der Bögen übergehen.Um einen leichten Zugang zu bekommen, lassen wir vorerst alleBögen mit gleichgestellten Skiern (die ohne Schrittstellung),sowie die mit gleichartig geführten Skiern (wo beide gleitenoder beide rutschen) unbeachtet.Wir wenden uns also jetzt ausschließlich jenen Bögen zu, beidenen deutlich ist, welcher Ski vorne liegt, welcher von beidender Fahrski ist, und wo auch deutlich ist, ob dieser rutschtoder gleitet.Ob nun der unbelastete "Nicht-Fahrski" viel oder wenig mit derPiste in Berührung ist, soll vorerst keinen wesentlichen Unterschiedkennzeichnen.Bei "Fahrten" mit einem Rutschski und einem Gleitski (wo alsoein Ski hinten ausgewinkelt ist) unterscheiden wir wie folgt:Liegt das Gewicht vorwiegend oder ausschließlichauf dem Rutschski, dann sprechen wir von einem Fahrenin "Stemmlage".Liegt das Gewicht dagegen deutlich auf dem Gleitski,dann handelt es sich um ein Fahren in "Stemmstellung":dies ist das sogenannte "Stemmfahren".IIIAnalysieren wir nun die Sprunglandung und das Problem, im Auslaufzum Halt zu kommen. Was kann entstehen, wenn wir uns bemühen,diese Bewegungsaufgabe zu lösen? Wir wollen uns bei denfolgenden Beobachtungen aber auf die bisher eingeführten Variablenbeschränken.Mathias Zdarsky schrieb in seinem ersten Buch vom Jahre 1896:57


"Das Schwierigste ist ein richtiger Niedersprung.Man darf die Beine nicht zu weit vorschwingen, weildann ein unangenehmer heftiger Ruck im Kreuz beimNiedersprung sich bemerkbar macht. Aber ebenso unrichtigist es, wenn der Körper gar zu viel vorgelegtwird.Der Niedersprung erfolgt auf beide Beine, aber imGalopptempo, es berührt also der etwas vorgestellteFuß ein klein wenig später das Schneefeld." 52Zdarsky beschreibt die Landung nach dem erbkoordinativen Leistungsmusterdes Galopps. Diese Landung wird auch als "Telemarkaufsprung"bezeichnet.Um nun nach diesem Aufsprung zum Halt quer zur Gefällslinie zukommen, ist ein "Viertelkreisbogen", den Zdarsky als "Telemarkbogen"bezeichnete, erforderlich. Für diese Bewegungsaufgabegibt es aber nach unseren bisher eingeführten Variablen vierverschiedene Lösungen. Diese werden wir jetzt als Muster unsererVariablen beschreiben. Vorerst wollen wir aber festhalten,was unmittelbar bei der Landung gegeben ist. Wir können klarerkennen:welcher Ski der vorneliegende ist;daß der hintere Ski der Fahrski ist;daß beide Skier Gleitskier sind.Nach der Landung haben wir die Möglichkeit:entweder den Bogen aus der Landeposition herauseinzuleiten,oder aber dem Galoppmuster folgend nach vorne zuwiegen, und den Bogen mit dem vorderen Ski alsFahrski zu fahren.Vorerst wenden wir uns den Bögen am hintenliegenden Ski alsFahrski zu. Wobei wir hier nicht weiter unterscheiden wollen,ob unmittelbar nach der Landung vom hinteren Ski weg der Bogeneingeleitet, oder ob nach einem galoppartigen Vorwiegen und Belastendes vorderen Beines wieder auf das hintere Bein zurückgeschaukelt,und dann erst der Bogen realisiert wird. Am nachgestelltenFahrski hat man zwei Möglichkeiten den Bogen zu fahren:58


Entweder geht man nach der Landung am hinteren Skidort sofort in die "Stemmlage", dann entsteht einBogen weg von der Fahrskiseite. Dieser Bogen wirdoft als "Stemmbogen" bezeichnet.Oder man läßt den Fahrski als Gleitski weitergleitenund macht den vorne liegenden unbelasteten Skistemmend zum Rutschski. In diesem Fall entsteht einBogen zur Seite des nachgestellten Fahrskis hin.Hier handelt es sich um jenen "nordische Telemarkbogen", denWilhelm Paulke anfangs als Telemark bezeichnet hat. HellmutLantschner nennt ihn "Telemark mit Rücklage":"Beim Rücklagetelemark wird der Ausfallski unbelastetwie ein Fühler vorgeschoben. Der Läufer sitztwie ein Krakoviak tanzender Kosak auf dem zurückgebliebenenstark gebeugten Bein." 53Der Name "Rücklagetelemark" ist aber eine irreführende Bezeichnung,da man ja nicht mit Rücklage am Fahrski fährt, sondernbloß der zurückgestellte Ski der Fahrski. ist Es handelt sichhier um einen "Telemarkbogen" mit "vorgestellter Stemmstellung".Wir haben schon davon gesprochen, daß beim sogenannten Telemarkaufsprung(dem erbkoordinativen Leistungsmuster des Galoppsentsprechend) auf dem hinteren Bein gelandet wird, und daß erstdanach "löschwiegenartig" das Gewicht auf das vordere Bein ü-bertragen wird. In einer Art Ausfallschritt wird dabei vom vorderenBein das Körpergewicht im Beugen übernommen. Ist dies nunnach der Landung geschehen, dann hat man wiederum zwei Möglichkeiten,am vorneliegenden Fahrski einen Bogen zu fahren:Macht man im Vorschaukeln den vorderen Ski sofortzum Rutschski, und nimmt man nach dem Vorschaukelnsofort auf ihm Stemmlage ein, dann erfolgt ein Bogenweg von der Fahrskiseite: also ein Außenskibogen.Dieser Bogen entspricht dem "nordischen Telemarkbogen", wieihn Wilhelm Paulke später beschrieben hat. Hellmut Lantschnernannte ihn "Vorlagetelemark". Dieser wird auch heute noch als"Nostalgie-Telemarkbogen" gefahren.52 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Hamburg 1897 (1896)59


Läßt man aber im Vorschaukeln den vorderen Ski weitergleiten, und macht man den nachgestellten unbelastetenSki zum stemmenden Rutschski, dann erfolgtein Bogen zur Fahrskiseite hin: also ein Innenskibogen.Es handelt sich dabei um einen Bogen in"Stemmstellung". Genauer beschrieben ist es ein Bogenmit "Stemmfahren" in "nachgestellter Stemmstellung".Dies ist jener "Viertelkreisbogen", den Mathias Zdarsky als"Telemark" bezeichnet hat. Auch Eiskockeyspieler fahren ihn alsHaltebogen. Sie nennen ihn "Kanadierbogen".IVVersuchen wir nun eine Zusammenschau:Es gibt zwei Bögen in Stemmstellung: der Rutschski,der vor- oder nachgestellt sein kann, ist dabei jeweilsder unbelastete Ski. Diese Bögen mit "Stemmfahren"sind beide "Innenskibögen", beide zur Seitedes gleitenden Fahrskis hin. Einer erfolgt dabeizur Seite des nachgestellten Skis ("Rücklage-Telemark"), der andere zur Seite des vorgestelltenSkis ("Zdarsky-Telemark").Analog dazu gibt es zwei Bögen mit Fahren in Stemmlage:der Rutschski, der vor- oder nachgestelltsein kann, ist dabei jeweils der belastete Ski.Diese Bögen mit "Stemmlage" sind beide "Außenskibögen".Beide führen weg von der Seite des Fahrskisund hin zur Seite des Gleitskis: dabei führt wiederumeiner zur Seite des nachgestellten Skis("Vorlage-Telemark"), der andere dagegen zur Seitedes vorgestellten Skis ("Stemmbogen").Es gibt also zwei Bögen mit Fahren in "Stemmlage" ("Vorlage-Telemark" und "Stemmbogen") und zwei mit Fahren in "Stemmstellung"("Rücklage-Telemark" und "Zdarsky-Telemark"). Von jederArt gibt es einen, bei dem der Körper mit der bogenäußeren Hüftein den Bogen hinein "wälzt" ("Vorlage-Telemark" und "Rücklage-Telemark"),und einen anderen, bei dem der Körper sich imHüftgelenk "verwindet": also "beinspielend" das Standbein undden Fahrski gegen den Rumpf dreht. In diesem Falle geht im Bo-53 Hellmut Lantschner /Hermann Harster. Skischule von A bis Z. München 193960


gen die bogeninnere Hüfte vor ("Zdarsky-Telemark" und "Stemmbogen").Im ersten Fall, wie zum Beispiel beim "nordischen Telemark" aufdem vorgestellt Ski als rutschendem Fahrski, zeigt der Bauchdes Skiläufers beim Wälzen zur Bogenmitte. Ich nenne diese Bögendaher "Bauchbögen" ("Vorlage-Telemark" und "Rücklage-Telemark"), im Unterschied zu den von mir als "Rückenbögen"("Zdarsky-Telemark" und "Stemmbogen") bezeichneten Bögen, beidenen im Verwinden der Rumpf bogeninnen vordreht. Der Rückenwendet sich dann zur Bogenmitte. Nach Überfahren der Gefällsliniezeigt daher der Bauch "taloffen" zum Tal.Die beiden zur Seite des nachgestellten Skis gefahrenen Bögenwaren zum Beispiel für Wilhelm Paulke und Hellmut Lantschnerdie "Telemarkbögen". Der am vorderen Ski ist dabei der "Außenski-Telemark",der am nachgestellten Ski dagegen der "Innenski-Telemark". Den Innenski-Bogen in "Stemmstellung" zur Seite desvorgestellten Fahrskis bezeichnete dagegen Mathias Zdarsky als"Telemark". Der Außenski-Bogen mit "Stemmlage" zur Seite desvorangestellten Skis heißt häufig "Stemmbogen".FAHR-SKI ist GLEIT-SKIFAHR-SKI ist RUTSCH-SKIINNENSKI-BOGENSTEMM-STELLUNGAUßENSKI-BOGENSTEMM-LAGEFAHR-SKI VERWINDEN WÄLZENist vorne RÜCKEN-BOGEN BAUCH-BOGENZDARSKY-nordischerTELEMARKTELEMARK amvorderen SKIINNENSKI-BOGENSTEMM-STELLUNGWÄLZENAUßENSKI-BOGENSTEMM-LAGEVERWINDENFAHR-SKI BAUCH-BOGEN RÜCKEN-BOGENist hinten nordischer STEMM-BOGENTELEMARK amhinteren SKI61


Wir haben also zwei Bögen, bei denen sich Oberkörper,Beine und Skier gleichsinnig in den Bogen hineindrehen.Es handelt sich dabei um ein Wälzen desgesamten Körpers. Diese beiden Bögen sind die "nordischenTelemarkbögen".Beim "Zdarsky-Telemark" sowie beim "Stemmbogen"drehen dagegen Bein und Ski beinspielend gegen Beckenund Rumpf. Dies tun sie besonders stark beim"Zdarsky-Telemark".Die beiden verwindenden "Rückenbögen" eigneten sich deshalb besondersgut für einen schnellen Übergang zum Querfahren, bzw.zum Halt bringenden Seitrutschen, weil im Verwinden durch körpereigeneMuskelkräfte das <strong>Dr</strong>ehen der Skier verstärkt werdenkonnte. Dabei wurde, oft noch durch Rücklage verstärkt, einplötzlicher und kräftiger <strong>Dr</strong>uck auf die Skienden ausgeübt. Dieseschnell zum Querfahren führenden "Rücklage-Rückenbögen" wurdenoft als "Kristiania" bezeichnet. Dem "Außenski-Kristiania",der aus dem "Stemmbogen" entwickelt wurde, wurde oft der Name"Stemmkristiania" gegeben. Bei den Kristiania-Bögen entstanddurch verstärktes Verwinden eine parallele Skiführung. Sieschienen daher dem Parallelschwung näher zu sein, als die wälzendennordischen Telemarkbögen.VMeist wurden aber auch - wie bei Hellmut Lantschner - verschiedeneBogenarten in einem Bogen miteinander kombiniert.Hellmut Lantschner leitete den Bogen durch ein den Körper hochschraubendesWälzen ein. Er begann also so ähnlich wie man beimTelemark anfing. Der Ausfallschritt war dabei aber nur klein.Dieses beginnende Wälzen wurde aber sofort durch ein tiefschraubendesund ein den Fersenschub verstärkendes Verwindenmit Vorschieben des bogeninneren Skis abgefangen.Aus Sympathie mit den Norwegern versuchte man anfänglich -von Zdarsky abgehend - den Stemmbogen/Telemark mit vorgestelltemRutschski, oft sogar mit telemarkartigen Ausfallschritt zufahren. Dabei wurde der Bogen durch "Wälzen" eingeleitet. Eine62


Ausnahme machte Josef Dahinden, der den Ausfallschritt mit einemVerwinden der Schulter gegen das Becken 54 verband, um dadurcheinen Fersenschub zu erzeugen.Die Fahrweise mit vorgestellten Rutschski hielt sich aber nichtlange. Man kehrte bald wieder zu Zdarsky zurück und rutschte amBogenbeginn wieder auf dem nachgestellten Ski, behielt dann a-ber die Stemmlage bis zum Bogenende bei. Die Stemmlage wurdeaber von Zdarsky in seinem Lehrweg jedoch nur als bremsverstärkendePhase vorübergehend eingenommen.Die sich von Zdarsky entfernenden Skischulen pflegten neben dem"Pflug" insbesondere den "Stemmbogen", den sie aber aus dem"Pflug" zu entwickeln suchten. Der "Stemmbogen" wurde dort alsonicht als Haltebogen nach einer Galopplandung, sondern als Ü-bergang vom "laufbremsenden" Pflug zum "Halbpflug" gelehrt.Zdarsky favorisierte die "Stemmstellung" gegenüber der "Stemmlage"deswegen, weil beim Fahren in Stemmstellung der vorgestellteGleitski der belastete Fahrski ist, auf dem er dannseinen Einbeinschwung ausführte. Das Fahren am vorgestelltenbogeninneren Gleitski diente ihm als "natürliche" Vorbereitungfür seinen Bogen-Wechsel.Aus dem "Stemmbogen" entsteht dagegen beim Schwung die Aufgabe,von einer "Stemmlage" in die andere zu wechseln.Geschieht dies durch kräftigen Abstoß vom rutschenden Fahrski,dann handelt es sich um einen "Umsteigeschwung".VIWir haben bisher vorwiegend über Bögen gesprochen, eigentlichaber nur über die Bögen aus der Fahrt in der Gefällslinie seitlichweg zum Halten im Querstand.54Im Zusammenhang mit dem Kurzschwingen bezeichnete Dahindendieses Verwinden im Rumpf später als "Mambo". Damit stellte erdem Kurzschwingen mit Beinspiel-technik, das Kruckenhauser inder Nachfolge Zdarskys kreierte, eine <strong>Technik</strong> gegenüber, mitder man die Frequenz des Schwingens erheblich steigern konnte.Dies allerdings auf Kosten einer besonderen Belastung der Wirbelsäule.In der Skigymnastik, die insbesondere im FernsehenPlatz gegriffen hat, wird dieses Verwinden der Wirbelsäule, dasoft als "Twisten" bezeichnet wird, unermüdlich trainiert.63


Für unsere weitere Betrachtung ist es nun besonders wichtig,zwei Aspekte, die sich in folgenden Fragen ausdrücken, klarvoneinander zu unterscheiden:Läuft der Bogen, wenn er quer oder schräg zur Gefällsliniebeginnt, zu dieser hin oder von ihr weg?Läuft er von ihr weg, dann gilt für diese Bögen dasgleiche wie für die Bögen aus der Gefällslinie heraus;Wir bezeichnen sie als "Bögen zum Hang".Läuft der Bogen aber zur Gefällslinie hin, so giltzu beobachten, was im Bogen beim Überfahren der Gefällsliniegeschieht. Ob sich dort etwas ändert o-der nicht. Diese Bögen nennen wir "Bögen vom Hang",bzw. ins Tal.Diese beiden Fragen beziehen sich alle auf die Relation des Bogenszur Gefällslinie. Sie sind Fragen, die für die "Bogenänderungen"relevant sind. Man muß sie klar unterscheiden von derFrage, wann und wo der Bogen wechselt, d.h. wann und wo sichder Bogenmittelpunkt auf die andere Seite des Fahrskis verlagert.Wann wird aus einem Linksbogen ein Rechtsbogen? Findetdieser Wechsel vor, in oder nach der Gefällslinie statt? Wasgeschieht da?Da für mich der Schwung ein Bogen-Wechsel ist, können in meinemVerständnis die Haltebögen aus der Landung in der Gefällslinienie Schwünge sein. Die Schußfahrt ist nämlich sozusagen "bogenneutral".Sie gehört zum Linksbogen genauso wie zum Rechtsbogen.Deswegen habe ich ja auch in der Schußfahrt die meistenFreiheitsgrade.Die Schrägfahrt dagegen ist nicht bogenneutral. Sie gehört alsverhindertes Rutschen eindeutig auf eine Seite. Sie kann alsBogen zum Hang mit unendlich großem Radius angesehen werden.Die bogeninneren Kanten, die Bergkanten der Skier, sind wiebeim Querstand belastet, bzw. dem Berg näher.VIIFür die Charakterisierung der Bogen-Wechsel ist das Beachteneines weiteren Merkmals, das der Körperhaltung, bzw. das der"Ganzkörperstreckung" besonders wichtig.64


Erinnern wir uns an die uns gewohnte Schrägfahrt. Der talseitigeSki ist unser zurückgestellter Fahrski. Unsere Berghüfte istetwas bergseitig gelagert, so daß wir in einem leichten Hüftknickunser Gewicht über den Fahrski ausbalancieren. Die Talschulterliegt dabei etwas zurück und tiefer als die vordereBergschulter. Wir Fahren also mit einer etwas taloffenen Beckenstellung.Wenn wir nun unseren Stand am talseitigen Fahrskiin Verbindung mit der gehobenen bergseitigen Schultersehen, dann erkennen wir, daß wir diagonal gestecktsind.Würden wir diese Körperhaltung exakt beibehaltenund nur unser Gewicht auf das vorgestellt Bergbeinübertragen, so würden wir dann, bezogen auf denneuen Fahrski, von einer seitlichen Steckung sprechen.Betrachten wir nun unsere vier Bögen nach der Art der Streckung.Beim "nordischen Telemark am vorderen Ski" fahren wir mit einer"seitlichen Streckung" wie beim "Zdarsky-Telemark". Beim"Stemmbogen" nehmen wir dagegen eine "diagonale Streckung" ein,wie beim "nordischen Telemark am hinteren Ski".Welche Ganzkörperbewegung bewirkt nun den Bogen-Wechsel? Wirkönnen erkennen, daß dies entweder durch ein diagonales oderdurch ein seitliches "Strecken" realisiert wird.Beim Wechsel auf gleichartige Bögen entstehen vier verschiedeneSchwünge. Da man aber von jedem Bogen nicht nur auf den gleichartigen,sondern auch auf jeweils eine der drei anderen Bogen-Arten wechseln kann, erhalten wir, wenn wir bei den bisherigenVariablen bleiben und keine weiteren einführen, sechzehn verschiedeneSchwünge, die alle realisierbar sind.Zur exemplarischen Veranschaulichung betrachten wir nur dievier Wechsel auf gleichartige Bögen:FAHR-SKI ist vorneFAHR-SKI ist hintenZDARSKY-TELEMARKnordischer TELEMARK (hinten)Fahr-Ski WECHSEL durch VERWINDEN WECHSEL durch WÄLZENist WECHSEL der seitlichen WECHSEL der diagonalen65


INNEN-SKI STRECKUNG durch STRECKUNG durchdiagonales STRECKEN seitliches STRECKENnordischer TELEMARK (vorne) STEMM-BOGENFAHR-SKI WECHSEL durch WÄLZEN WECHSELdurch Verwindenist Wechsel der seitlichen WECHSEL der diagonalenAußen-Ski Streckung durch STRECKUNG durchdiagonales Strecken seitliches STRECKENVIIINun wollen wir die Bogen-Wechsel analysieren, die man mit nureinem Ski fahren kann.Man kann diese Bogen-Wechsel von der Schrägfahrt aus sowohl mit<strong>Dr</strong>iften auf der Bergkante, also ohne Umkanten, als auch mit Umkantenauf die bisherige Talkante durchführen. Was angemessenist, das hängt von der Fahrgeschwindigkeit, der Hangneigung undvon der Nähe der Schrägfahrt zur Gefällslinie ab. Bei hoher Geschwindigkeitist es ratsam, beim Verlagern des Körperschwerpunktesin den neuen Bogen hinein, auch schnell die Kante zuwechseln. In diesem Falle wechselt man also in der Schrägfahrtdie Kante und beginnt den neuen Bogen in der Schrägfahrt aufden Talkanten. Beim Skiende ist dadurch die Bergkante gehobenund man kann so mit dem Ski hinten bergwärts schieben. BeimWeiterfahren gelangt man dann über die Gefällslinie, ohne imweiteren Verlauf umkanten zu müssen. Man braucht dabei bloß beachten,daß in der Gefällslinie die Fahrt am steilsten wird,und man sich daher dementsprechend vorlegen muß. Vorne schneidetin diesem Falle die Schaufel mit der bogeninneren Kante inden Schnee, was dort das Rutschen erschwert.Bei der anderen Art des Schwunges bleibt man in der Schrägfahrtauf der Bergkante, und fährt vorne driftend den Bogen-Wechselohne umzukanten. Aus dem Querstand oder aus langsamer Schrägfahrtheraus gelingt dies besonders gut. Um hier den Schwung66


einzuleiten, kantet man in diesem Falle also nicht um, sondernverlegt seinen Körperschwerpunkt bloß nach vorne auf die Talseitedes Fahrskis. In diesem Falle schneiden hinten die bergseitigenKanten, vorne ist dagegen der Ski für das <strong>Dr</strong>iften offen.Der talwärts vorgebrachte Körper zieht, der Schwerkraftfolgend, mühelos den vorne driftenden Ski in den neuen Bogenhinein. Es ist klar, daß dieser driftende Schwung leichter amBergski als Fahrbein (Zdarsky-Schwung), als am Talski (Reuel-<strong>Dr</strong>ehumschwung) zu fahren ist. Am Bergski läßt sich nämlich derRumpf im Hüftgelenk leicht nach vorne talwärts drehen. Dies bewirktsogar die Schwerkraft alleine, wenn man es zuläßt. BeimReuelschwung muß man dagegen mit Muskelkraft gegen die Schwerkraftarbeiten, um den Rumpf bergwärts nach vorne zu drehen.Dieses Wälzen kostet Kraft, da man durch einen Abdruck von derPiste Reaktionskräfte mobilisieren muß. Deshalb ist es einfacher,den Einbeinschwung am Talski mit Verwinden zu fahren.Hierfür braucht man aber etwas Mut, denn man muß zulassen, daßdie Schwerkraft den Körper über die Kleine Zehe des Talfußestalwärts zieht, ohne daß man sofort umkantet. Dies darf erstnach dem <strong>Dr</strong>iften im beinspielenden Verwinden geschehen. DiesesVerwinden kann man leicht zur Standwaage "verlängern": so hatFritz Reuel den Einbeinschwung am Talski aber nicht gemeint! Erwollte vielmehr durch Wälzen einen "Bauchbogen" erzeugen, undnicht durch beinspielendes Verwinden einen "Rückenbogen" mitStandwaage einleiten.Der von Zdarsky auf den bogenäußeren Kanten driftend begonneneneue Bogen mußte ebenfalls spätestens bei der Gefällslinie (beilangsamer Fahrt) durch Umkanten geändert werden. Bei schnellererFahrt entsprechend früher.Diese Beobachtungen sollen nochmals verdeutlichen, daß man beimBogen-Wechsel nicht unbedingt umkanten muß. Auch ist es nichterforderlich, durch einen Bogen-Wechsel sofort eine Umkehrungder Schrägfahrtsrichtung zu erreichen. Beides scheinen aber zumindestunbewußt viele Anfänger anzunehmen, da sie bemüht sind,67


von einem Bogen in den anderen über die Gefällslinie hinüberzusteigen,bzw. mit Winkelspringen hinüber zu gelangen.Zusammenfassend wollen wir festhalten:Der Schwung ist gelaufen, wenn der Bogen gewechselt ist. Wasdann kommt, das ist für den Schwung nicht von Bedeutung. DerSchwung kann, muß aber nicht mit dem Umkanten zusammenfallen.Der Schwung kann über die Gefällslinie gefahren werden, mußdies aber nicht tun.Um zu erkennen, welcher Schwung gefahren wird, darf man daherweder auf das Umkanten, noch auf die Gefällslinie fixiert sein,sondern muß jene Zeitspanne beobachten, in welcher der Bogen-Wechsel geschieht.IXBeim "Stemmbogen-Wechsel" entsteht die Aufgabe, von einer"Stemmlage" in die andere zu wechseln. Geschieht dies durch einenkräftigen Abstoß vom Fahrski, dann handelt es sich, wieschon angesprochen, um einen "Umsteigeschwung".Wie sieht nun der Weg vom "Pflug" zum "Stemmbogen" aus?Wir haben schon aufgezeigt, daß der Pflug ein Fahren mit zweirutschenden Skiern ist. Beide sind nach innen gekantet und hintenausgewinkelt. Wird nun im Pflug ein Bogen gefahren:dann "schneidet" der bogenäußere Ski mit seinerSchaufel, und sein Skiende "schiebt" nach bogenaußen;der bogeninnere Ski "diftet" dagegen mit seinerSchaufel nach bogeninnen, und er "schneidet" hintenmit seinem Ende.Wenn man nun den Pflugbogen mit Außenskibelastung fährt, dannkann man entweder mit Vorlegen das Schneiden, oder mit Belastunghinten und mit <strong>Dr</strong>ehstrecken den "Fersenschub" verstärken.Beabsichtigt man dagegen den Pflugbogen mit Innenskibelastungzu realisieren, dann kann man entweder durch Vorlegen das <strong>Dr</strong>iftenverstärken. Dabei schafft man aber das Problem des rechtzeitigenUmkantens. Oder man verstärkt hinten durch Rücklegendas Schneiden. Hier stellt sich dann aber das Problem des Um-68


kanten noch früher. Beim Anfänger führen diese beiden Variantendaher sehr schnell in Sackgassen.Bei der sogenannter "Bergstemme" wird aus der Schrägfahrt herausder Bergski hinten unbelastet ausgewinkelt. Wird nun dieserbergseitige Rutschski mit seiner Innenkante gegen den Berg gedrückt,dann wird der belastete, talseitige Fahrski vorne ausder Schrägfahrt talwärts hinausgeschoben, und er driftet dannin den neuen Bogen hinein. Mit dem Beginn des <strong>Dr</strong>iftens des belastetenTalskis ist der "Einbeinschwung" bereits realisiert.Das Problem ist dann nur mehr das "Ändern" des bereits gewechseltenBogens. Der driftende Talski muß vor der Gefällslinieumgekantet werden. Auch muß bald die Entscheidung gefällt werden,welcher von beiden der künftige Fahrski sein soll:Der neue bogeninnere Ski fährt ja vorerst noch aufder bergseitigen, bogenäußeren Kante. Von diesermuß er nun bald weg. Entweder durch Umkanten undvolle Gewichtübernahme, was am noch talseitigen Innenskietwas schwierig ist. Oder, was einfacherist, durch Umsteigen auf die bereits umgekantetebogeninnere Kante des bogenäußeren Skis.Die erste Möglichkeit würde ein besonders mutiges Nachinnenlegendes Körpers erforden. Dies schied bei vielen Anfängern anscheinendaus. Also wählte man im "Pfluglehrweg" das "änderndeUmsteigen" vom driftenden bogeninneren auf den bereits umgekantetenbogenäußeren Ski. In den Skischulen wird der "Stemmbogen-Wechsel" also aus der "Schrägfahrt" heraus über den "Halbpflug"gelehrt. Dem Beobachter erscheinen die daraus entstehenden Bögen,wenn man die hier aufgezeigten Kriterien anlegt, als diebereits beschriebenen "Pflugvarianten":Einerseits wird der "berseitige Halbpflug" (mit"Stemmstellung" bergwärts und talseitigem Fahrski)als Ausgangslage für einen "Einbeinschwung" genommen.Dieser wird dann am belasteten Talski gefahren.Wie soeben schon beschrieben, wird durch die"Bergstemme" eine "bergseitige Stemmstellung" eingenommen,wodurch der Talski aus der Schrägfahrtgeschoben wird, und dann vorne talwärts driftet.Damit ist der Bogenwechsel im eigentlichen Sinnegeschehen. Nun folgt das "ändernde Umsteigen" aufden neuen bogenäußeren Ski, der sich beim Ausstemmenbereits umgekantet hat.69


Andererseits wird der "talseitige Halbpflug" (mit"Stemmlage" am Talski) als Ausgangslage für einen"Stemmbogen-Wechsel" gewählt. Hier wird dann mit"wechselndem Umsteigen" ein "Umsteige-Schwung" gefahren.Aus der talseitigen "Stemmlage" erfolgt dabeiein kräftiger Abdruck, der das Körpergewichtumsteigend auf den bereits umgekanteten neuen bogenäußerenSki überträgt. Dort wird dann ebenfalls"Stemmlage" eingenommen. Es wird hier hinsichtlichder Ganzkörperbewegung dasselbe Bewegungsmusterdeutlich, mit dem das "Winkelspringen" oder auchdas sogenannte "Parallelumsteigen" realisiert wird.Dieses ist der "Bewegungsaufgabe", die "Skiendenauf die andere Seite des Körpers" zu bringen, zugeordnet.Es handelt sich also bloß um ein durch dieHochentlastung und die parallele Skiführung verschleiertes"Pflugmuster".Eine viel einfachere Lösung des "Bogen-Wechsels"griff Mathias Zdarsky in seinem Anfängerlehrwegauf. Dieser basierte auf jener "Bewegungsaufgabe",die sich psychisch an der Frage orientierte: "Wiebekomme ich den Körperschwerpunkt auf die andereSeite der Skier?", "Wie 'wechsle' ich die Bogeninnenlage?","Wie lasse ich durch die Schwerkraft bewirktmeinen Körper auf die andere Seite der Skier'schwingen'?".XZum Abschluß wollen wir uns nun den "Zdarsky-Schwung" in zweimöglichen Varianten vor Augen führen: Zum einen jenen "Einbeinschwung"mit anschließendem "bogenändernden" Umsteigen, der den"Schlangenschwung" ausmachte. Zum anderen aber, nur zum Vergleich,einen von mir konstruierten Schwung, der als "Umsteigeschwung"einen "Zdarsky-Telemark" an den anderen reihen würde:also einen Schwung mit "bogenwechselndem" Umsteigen. DiesenSchwung ist Zdarsky nicht gefahren! Beide Schwünge wären zwarrasche "Stemmstellungs-Wechsel" während der Fahrt. Aber nur der"Schlangenschwung" folgt dem "Galoppmuster", das für Zdarskywesentlich war.Zdarsky fuhr, wie dem Leser sicher schon geläufig ist, dieSchrägfahrt auf beiden Skiern. Wenn, dann war der Talski mehr70


elastet. Der vorgestellte Bergski sorgte für eine etwas taloffeneBeckenstellung.Um seinen Schwung einzuleiten, übertrug er in einem vorwiegendenAusfallschritt sein Gewicht voll auf das gebeugte undvorgestellte Bergbein. Der Bergski glitt dann als Fahrski aufder Bergkante. Dies war Zdarskys vorbereitende "Bogen-Änderung"mit "bogenänderndem" Umsteigen.Im Aufrichten am Bergbein drehte er sodann im Hüftgelenk desBergbeines seinen gesamten Oberkörper talseitig nach vorne.Dieses Manöver bedarf eigentlich keiner Muskelarbeit. Es gehtviellmehr darum, die Haltearbeit leistende Muskelspannung zu"lösen", damit die Schwerkraft "für den Skiläufer arbeiten" undseinen Körper talwärts ziehen kann. Der zurückgestellte Talskischließt dadurch (durch das von der Schwerkraft bewirkte Vorbewegender talseitigen Hüfte) zum Bergski auf. Der Körperschwerpunkt"wechselt" damit auf die andere Seite des Fahrskis, waszum Flachstellen der Skier führt. Der bloß flach gestellte, a-ber noch nicht umgekantete Bergski wird dabei vorne in den neuenBogen driftend hineingezogen. Damit war Zdarskys "Bogen-Wechsel" als "Einbein-Schwung" gelaufen.Nun kam im neuen Bogen die "Zwangsgrätschstellung" mit Belastenbeider Skier. Von dieser Position aus "änderte" Zdarsky dannvor der Gefällslinie den Bogen des bogeninneren Skis. Er folgtedabei weiter dem Muster des Galopp-Wechsels, kantete den bogeninnerenSki um und belastete ihn voll durch "änderndes Umsteigen".Dadurch erreichte er als Vorbereitung für seinen nächstenSchwung wieder ein Fahren in "Stemmstellung".Um mehr abzubremsen, zeigte Mathias Zdarsky seinen Anfängern,wie man im Bogen vorübergehend "Stemmlage" einnehmen kann. Erstieg dabei "ändernd" von der "Stemmstellung" vorübergehend indie "Stemmlage" um und kehrte dann, um den nächsten Schwungvorzubereiten, mit "ändernden Umsteigen" wieder in das "Stemmfahren"zurück. Für steiles Gelände schlug er sogar vor, dieerste "Stemmstellung" nach dem Schwung auszulassen und nach der"Zwangsgrätschstellung", bzw. sofort nach dem Schwung in die"Stemmlage" zu gehen, und erst am Bogenende zum "Stemmfahren"ändernd umzusteigen.71


Nun wollen wir untersuchen, welcher Unterschied zwischen dem"Zdarsky-Telemark" und den Bögen des -"Schlangenschwunges" besteht.Bei der Galopp-Landung in der Gefällslinie haben wir vier Bogenmöglichkeitenunterschieden. Den Innenskibogen zur Seite desvorgestellten gleitenden Fahrskis haben wir als "Zdarsky-Telemark" bezeichnet. Beim anderen "Rücken-Bogen" in die gleicheRichtung, aber weg vom nachgestellten rutschenden Fahrski,haben wir dagegen vom "Stemmbogen" gesprochen. Beide Bögen werdenmit beinspielendem Verwinden gefahren.Der Stemmbogenwechsel war für uns ein Umsteigeschwung von einerStemmlage am nachgestellten Ski in die Stemmlage am anderen,ebenfalls nachgestellten Ski.Der "Zdarsky-Telemark-Wechsel" würde nun, wenn wir nur unserevorher eingebrachten Variablen betrachten, eher jenem Manöverentsprechen, das Fritz Reuel als "<strong>Dr</strong>eh-Umsprung" kreiert hat:einem sogenannten "Reuel-Schwung", der mit Verwinden und nichtmit Wälzen realisiert wird. Etwa so, wie er mit Standwaage gefahrenwird: also von der Bergkante des vorgestellten Bergskisauf die Bergkante des im Umsteigen in die andere Fahrtrichtunggewechselten und ebenfalls vorgestellten neuen Bergskis. Besondersim steilen Gelände läßt sich dieser Schwung durch Springengut realisieren. Mit einem beinspielenden "Fersentritt" kannman dabei gut Fahrt wegnehmen und gleichzeitig jene Reaktionskräfteerzeugen, die man für den Umsprung braucht. Wir sehenalso, daß der "Zdarsky-Telemark-Wechsel" ein "Umsteigeschwung"wäre, während der "Schlangenschwung" als Einbeinschwung gefahrenwurde. Stellen wir uns diesen nun abschließend in einerneuen Darstellungsvariante am Beispiel eines Sprunges in derHangschrägfahrt vor:Die Landung erfolgt galoppgemäß am hinteren Ski, amTalski. Danach wird auf den vorne gleitenden Bergskivorgeschaukelt und das Gewicht voll auf diesenübertragen. Der hinten liegende Talski wird zum unbelastetenRutschski ausgewinkelt. Dadurch wird ein"Zdarsky-Telemark" eingeleitet. Der vorgestelltegleitende Bergski wird dabei etwas mehr auf dieKleinzehenseite gekantet. Dieser eingeleitete72


Zdarsky-Telemark wird aber nicht ausgefahren. Stattdessen, erfolgt ein Aufrichten am bogeninnerenBergski. Der unbelastet rutschende Talski wird vorgeführt.Der Schwerpunkt verlagert sich dadurchtalwärts. Der bergseitige Fahrski driftet vornetalwärts und kantet dann auf die Großzehenkante um.Auf dem nun umgekanteten bogenäußeren Ski wird sofortin Stemmlage gegangen. Der nachgestellte unbelasteteInnenski wird weiter vorgeführt und im neuenBogen zum vorneliegenden unbelasteten Gleitski.Auf diesen wird dann, nach der mehr oder wenigerlange eingenommenen Stemmlage, wieder in die"Stemmstellung" des "Zdarsky-Telemarks" umgestiegen.Dieser Schwung ist also ein Bogen-Wechsel von der"Stemmstellung" am vorderen Fahrski in die "Stemmlage"am selben Ski: also ein Einbeinschwung. Erwird verwirklicht durch ein beinspielendes Verwindenim Hüftgelenk des vorgestellten Fahrbeines, dasdadurch zum nachgestellten wird.Wir haben schon davon gesprochen, daß wir das Schrägfahren eigentlichals ein verhindertes Rutschen im Bogen betrachten müssen.Die Schrägfahrt ist nicht bogen-neutral wie die Schußfahrtin der Gefällslinie.So gesehen ist die Schrägfahrt, bei der, wie Mathias Zdarskyausdrücklich betonte, der nachgestellte Talski der Fahrski ist,eigentlich ein verhinderter "Stemmbogen" in "Stemmlage".Dieser "Stemmbogen" mit "Stemmlage" wurde beim "Zdarsky-Schwung" im Bogen, d.h. in der Schrägfahrt, zur "Stemmstellung"geändert, wie sie dem "Zdarsky-Telemark" eigen war.Von dieser "Stemmstellung" aus wurde dann der Schwung als Bogen-Wechseleingeleitet. Der Schwung führte dann zur "Stemmlage"am selben Fahrski. Der Einbein-Schwung war damit ausgeführt.Dann folgte wieder das Ändern auf "Stemmstellung" usw.Zdarsky selbst löste jedoch bei seinem eigenen "Schlangenschwung"dieses "Stemmfahren" am Bogenende wieder auf und gingzu einer parallelen Skiführung mit Bergskibelastung über. Vonhier aus realisierte er einen "parallelen Einbeinschwung" amBergski und stieg erst nach dem Bogenwechsel mit einem Ausfallschrittscherend auf den nun berseitigen Innenski um.Zdarsky beschrieb dies bereits im Jahre 1896, allerdings miteinen etwas verwirrenden Zwischensatz, den ich hier weglasse:73


"Die <strong>Technik</strong> des Schlangenschwunges unterscheidetsich von der des Kreisschwunges nur durch die wechselndeFortsetzung. Angenommen, daß..." man"...statt des Kreisschwunges einen Schlangenschwungausführen..." möchte, dann hat man "... bereits denersten Teil vollendet, und hätte den Kreisschwungnach rechts an den schon nach links gemachten anzuschließen.Zu diesem Zwecke wird..." man "...nachschräg vorwärts weiterfahren, wenigstens so lange,bis beide Skier in der Fahrrichtung parallel stehen,was schon nach ca. 2 Meter Bahnlänge der Fallist....Obzwar der Schlangenschwung also nur eine Zusammensetzungvon Kreisschwüngen ist, so erfordert dennochdas rasche Umsetzen des Stockes bei jedemKreisschwungwechsel sehr viel Gewandtheit und Kaltblütigkeit.Besonders das Übertragen des Körpergewichts,wie es beim Kreischwungwechsel erforderlichist, von dem bergaufwärts stehenden gebeugten Beinauf das bergabwärts gestellte Stemmbein, wobei dasStemmbein durch Beugen zum Standbein, das frühereStandbein durch Strecken zum Stemmbein wird, machtden Anfängern viele Schwierigkeiten, weil sie sichnicht getrauen, genügend bergabwärts sich vorzubeugen."55Wer sich dies bildlich noch nicht vorstellen kann, der möge AlbertoTomba oder einen anderen Spitzenläufer beim Slalom zusehen.Der Alpine Skilaufdas"Achte Weltwunder"Mathias Zdarskys revolutionäre Idee: das sturzfreie Skilaufen55 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. EineAnleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)74


Wird der Alpine Skilauf als "Weltwunder" 56 untergehen wie derKoloß von Rhodos? Oder wird er der Vergänglichkeit trotzen wiedie Pyramiden von Gizeh? Daß es ihn überhaupt gibt, das ist einechtes Wunder! Seit Jahrtausenden laufen Menschen in den nordischenRegionen Ski, ohne in dieser langen Zeit viel dazu gelerntzu haben. Von der Tradition geistig gelähmt, dachte keinerdaran, das tradierte Gerät, den Ski, so zu ändern, daß mitihm neue Dimensionen des Skilaufs hätten eröffnet werden können.Selbst als Mitte des 19. Jahrhunderts - von England ausgehend- die "Freiluftbewegung" die europäischen Großstädter ergriff,und diese aus dem bäuerlichen Skilaufen einen richtigenBreitensport machten, "bewegte" sich die Entwicklung nicht voran.Die Tradition wurde nur fortgesetzt. Daran änderte auch diePionierleistung des großen Norwegers Fridtjof Nansen nichts,der mit seinen Gefährten im Jahr 1888 Grönland mit Skierndurchquerte. Von dieser Tat inspiriert, nahmen Alpinisten derdamaligen Zeit die Skier auf winterliche Bergbesteigungen mitund versuchten, mit Nansens Mut gleichzuziehen. Aber keinerdieser vielen mutigen Bergsteiger brachte auch den Mut auf undden Geist mit, die Brauchbarkeit der Skier für alpines Geländein Frage zu stellen. Nur einer "erfrechte" sich, dies zu tun:Mathias Zdarsky. Sofort wurde er von jenen Traditionalisten,die schon bald ihr Gerät und ihre Art Ski zu laufen mit persönlichemGeltungsstreben und kommerziellen Interessen verknüpften,als Ketzer gebrandmarkt und isoliert."Schlangenschwung" und "Sturzfreiheit" - dieGrundlagen des TorlaufesWenn heute ein Spitzensportler seine Konkurrenten immer wiederso distanziert, daß der Abstand von ihm zum Zweiten ein Vielfachesvon dem beträgt, was die folgenden voneinander trennt,dann wird sofort der Verdacht des Dopings geäußert. Mit wissenschaftlicherAkribie wird aber auch versucht, auszuspionieren,56 Als "Weltwunder" hat Heinz Polednik den Skisport bezeichnet. Vgl. Heinz Polednik. Weltwunder. Skisport.Wels 196975


ob der Athlet vielleicht besseres Material benutzt oder eineandere <strong>Technik</strong> realisiert.Ganz anders verhielt man sich Mathias Zdarsky gegenüber. Diesermachte vor 100 Jahren mit seinen spektakulären Leistungen aufsich aufmerksam. Mit der von ihm entwickelten Alpinen Skilauftechnikführte er seinen skilaufenden Zeitgenossen vor Augen,was - für diese unvorstellbar - im alpinen Gelände möglich ist.Damals bestand nämlich das Skilaufen darin, im steileren GeländeSchuß zu fahren, sich dann gewandt in den Schnee zu werfen,aufzustehen und das gleiche nochmals zu tun, bis man ins Talgelangt war. Mit dieser "Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>" bewältigte man mäßiggeneigte Hänge. Steilere Hänge wurden überhaupt gemieden,bzw. man schnallte dort die Skier ab und mühte sich zu Fuß insTal.Da kam nun Mathias Zdarsky, der genau diese gemiedenen Hänge inzügiger Fahrt sturzfrei bezwang. Er reihte im steilsten Geländeeinen Bogen an den anderen. Seine neue "Beinspiel-<strong>Technik</strong>"nannte er "Schlangenschwung". Mit dieser <strong>Technik</strong> leitete er denAlpinen Skilauf ein. Damals war er ein 40jähriger Mann, dererst seit sechs Jahren skifahren konnte. Er hatte keinen einzigenSkiläufer gesehen, dem er eine <strong>Technik</strong> hätte abschauen können.Mit den norwegischen Skiern, den einzigen, die es damalsgab, setzte es sich selbständig auseinander. Da er deren Bindungenfür seine Zwecke ungeeignet hielt, entwickelte er eineneue. Diese ermöglichte ihm seine revolutionäre Skiflauftechnik.Über Nacht brach dadurch für die damaligen Skigrößen die"Inflation" herein. Als "alter" Mann zeigte Zdarsky den jungenSkiläufern, die in der "Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>" großgeworden waren,was Skilauf in den Alpen sein kann. Er wurde daraufhin von allenSeiten angefeindet, insbesondere von dem damals 24jährigenStudenten Wilhelm Paulcke, der bereits seit seinem elften Lebensjahrauf Skiern stand. Aufgrund seiner bergsteigerischenLeistungen wäre Paulcke gerne der "Nansen der Alpen" gewesen.Zdarsky leitete seinen Erfolg von seinem besseren Sportgerätab. Seine Gegner stellten aber gerade dies in Abrede. Der persönlicherEhrgeiz der gedemütigten Skipioniere verband sichnämlich schnell mit den kommerziellen Interessen der Skiher-76


steller, die ihr Geschäft durch die Entwicklung Zdarskys bedrohtsahen. So wurde frech behauptet:1. Zdarskys neue Bindung und seine Skier seien nichtsBesonderes; die alten Norwegerskier mit ihren wackeligenBindungen würden für steiles alpines Geländetaugen;2. Zdarskys <strong>Technik</strong> sei nichts neues, da es sich beiihr ohnehin nur um eine veränderte "Pflugtechnik"handle, die in Norwegen seit langem bekannt sei.Worauf nun aber der unübersehbare skiläuferische ErfolgZdarskys beruhte, diese Frage ließ man unbeantwortet.Zdarsky legte besonderen Wert auf das sturzfreie Fahren. Derheutige Rennsport hat ihm recht gegeben! Wer dort stürzt, derhat keine Siegeschancen. Zdarsky steckte bereits im Jahre 1905seinen ersten öffentlichen Torlauf, der sturzfrei bewältigtwerden sollte. Er selbst durchfuhr diesen in mäßiger Fahrt undlegte so eine Richtzeit fest, die von den Teilnehmern zu erreichenwar. Dieses Limit hatte den Sinn, die Sturzfreiheit miteiner zügigen Fahrt zu verknüpfen, also Sturzfreiheit und zügigeFahrt zu erzwingen. Es war nämlich nicht Zdarskys Anliegen,seine Schüler dahin zu bringen, lieber nach jedem Bogen stehenzu bleiben, nur um sturzfrei ins Ziel zu kommen.Bei diesen ersten Torläufen gab es auch kleine Gegensteigungen,die man gehend bzw. bergaufsteigend bewältigen mußte. EineRangordnung der Zeiten hatte daher auch deshalb wenig Sinn,weil dabei die Leistungen des Bergaufsteigens mit eingeflossenwären. Beim Bergaufsteigen waren natürlich die "Zweistockfahrer"im Vorteil, worauf Zdarsky bereits in seinem ersten Buchim Jahre 1896 hingewiesen hatte. Er selbst und seine Schülerfuhren nur mit einem Stock.Zdarsky konnte seinen Grundgedanken - den schnellen und sturzfreienTorlauf - in dem von ihm gegründeten "Alpen-Skiverein"nicht durchsetzten. Der sportliche Zeitgeist war stärker. Gegenseinen Willen wurden daher die von ihm kreierten Torläufe als"Ski-Wettfahrten" bezeichnet. Die Wett-Einstellung führte sofortdazu, daß nicht mehr das sturzfreie Erreichen der Richt-77


zeit sondern die schnellste Zeit angestrebt wurde. Beim erstenöffentlichen Torlauf der Skigeschichte - am 19. März 1905 inLilienfeld in Niederösterreich - stürzte der Sieger daher sogarsechsmal. Als einziger "Zweistockfahrer" des Bewerbes hatte erbei den Steigungen erhebliche Vorteile. Sturzfrei bewältigtekein einziger Fahrer den Torlauf. Im Sinne von Zdarsky gab esdaher eigentlich keinen Sieger: Es wurde ja nur ein Kriterium,nur die Richtzeit, erfüllt. Er merkte daher in der "Wettfahr-Urkunde" zu den Stürzen folgendes an:"Diese Stürze besagen, besonders in bezug auf diebesseren Fahrer, daß noch vielfach die Begriffe'Schnelligkeit' und 'Hast' nicht auseinander gehaltenwerden.Während eine noch so große Schnelligkeitimmer vereinbar ist mit ruhiger Beherrschung desKörpers, mit Schönheit der Haltung, verzichtet Hastauf jedes Schönheitsmoment, die Bewegungen werdenzappelig, die Haltung hinfällig und unfrei. Hierist eine ernste Aufgabe für alle Vereine zu lösen,welche irgend einem Sporte zur Pflege des Körpershuldigen... Deshalb sollten alle Wettübungen untersolchen Bedingungen durchgeführt werden, daß niemalsDisharmonie zwischen Kraft und Schönheit, zwischenLeistungsfähigkeit und Gesundheit eintritt."Am Ende der Urkunde fuhr er fort:"Wenn das Wettfahren einen veredelnden Einfluß aufden ganzen Skisport ausüben soll, so muß in ersterLinie dafür gesorgt werden, daß nur diejenigenLeistungen bewertet werden, welche sturzfrei erzieltwurden. In dieser Beziehung war das hier besprocheneWettfahren noch nicht auf der richtigenHöhe, aber immerhin ist es erfreulich, daß an Herrenund Damen dieselbe Aufgabe gestellt wurde, unddaß die Siegerin mit nur einem Sturz so vielen Herrenüber war und trotz ihres zarten Körpers auch inzeitlicher Hinsicht viele körperlich sie kolossalüberragende Herren schlug." 57Es kam auch vor, daß bei solchen Ergebnissen Zdarsky selbst einzweites Mal den Torlauf durchfuhr. Diesmal ebenfalls sturzfrei,aber in der halben Richtzeit.Das "Stürzen" war damals auch eine terminologische Frage. Daswillkürliche Sich-Hinwerfen in den Schnee galt nämlich alssportliches und mutbeweisendes Element der <strong>Technik</strong>. Das führte57 Mathias Zdarsky. Wettfahr-Urkunde. Lilienfeld 1905. In: Wolf Kitterle. 75 Jahre Torlauf. Wien 198078


dazu, daß die damalige "Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>" aus den Läufern mitder Zeit "Weltmeister" im gewandten Stürzen und schnellen Aufstehenmachte. Ein echter "Sturz" war für diese Läufer dagegennur ein unabsichtliches Fallen. So kam es, daß der Sieger deserwähnten Torlaufes bei einem vorangegangenen "Hindernisfahren"mit seiner auf das Schußfahren und das gewandte Stürzen aufgebautenSkitechnik den anderen auf und davon fuhr. Zdarsky zählteaus seiner Sicht über 100 Stürze, der Läufer selbst war offenbarder Meinung, nur achtmal gefallen zu sein. Über diesesRennen berichtet Erich Bazalka:"Um die Überlegenheit der Lilienfelder <strong>Technik</strong> zudemonstrieren, veranstaltete der Alpenskiverein am24. Februar 1901 seinen ersten Wettlauf auf demSemmering. Es war, im Gegensatz zu den Wettläufenanderer Vereine, kein Einsatz zu erlegen, es warenaber auch keine Preise zu gewinnen. Der Aufstiegwurde von den Teilnehmern gemeinsam durchgeführt,wobei die Aufstiegsroute mit der Abfahrtsstreckeidentisch war. Start war am Erzkogel, von dort ginges durch den Wald auf den Gasrucken und durch denAlpengraben in den Myrthengraben. Zdarsky fuhr voraus,die anderen folgten in Abständen von einer Minute.Der damals 16-17jährige Josef Wallner vom ÖsterreichischenSkiverein startete als Zehnter undüberholte alle vor ihm gestarteten Läufer, bis erschließlich auch Zdarsky einholte, der ein Hindernisaus der Bahn schaffte und Wallner bat, ihm dabeizu helfen. Wie lange er dort aufgehalten wurde,darüber differieren die Angaben. Tatsache ist, daßder mit der norwegischen <strong>Technik</strong> fahrende Wallnersich bei einem Steilstück, das Zdarsky umfuhr, aufdie Brettel setzte, diesen überholte und so mit einerZeit von 20 Minuten vor allen anderen Läufernunten ankam. Wallner wurde auf Grund seiner häufigenStürze (über hundert, sagt Zdarsky, acht erselbst) disqualifiziert, was den Skistreit natürlichsofort wieder aufflammen ließ." 58Das Wesen des Alpinen Skilaufs verwirklichte sich von Anfang anim Abfahrtslauf und im Torlauf, der ursprünglich "Hindernislauf"genannt wurde. Mathias Zdarsky hat das Hindernisfahren imletzten Jahrtzehnt des vorigen Jahrhunderts begründet. 59 Erentwickelte, wie schon erwähnt, eine neue Bindung, die den Fuß58 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977.79


seitlich fest am Ski stabilisierte. Dieses neue Sportgerät ermöglichteZdarsky eine radikal neue Fahrtechnik, die auch heutewieder bei Rennläufern zu beobachten ist. Zdarskys "Schlangenschwung"beruht auf dem "Galopp-Prinzip" 60 . Im Jahre 1896schrieb er:".. besonders beim Hindernisfahren soll die individuelleÜberlegenheit zur Geltung kommen können,nicht so sehr durch Kraft, Ausdauer und Gewandtheit,als vielmehr durch Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart.Aber niemals lasse man außer acht,daß der Wettkampf doch nur ein Vergnügen, ein Spielist, also noch lange nicht irgend ein Ereignis,welchem wir Opfer an Gesundheit oder gar Lebenbringen sollen."Die Krönung des Alpinen Skilaufs war für Zdarsky das Hindernisfahrenum natürliche Hindernisse im freien Gelände. Als sportlichenBewerb schuf er bereits im Jahre 1901 das Hindernisfahrenum künstliche Hindernisse, die er - vorerst mit roten Kartons,später dann im Jahr 1905 mit Fahnen - im Gelände markierte.Den Namen "Torlauf" hat erst im Jahr 1932 Karl Prusik geprägt.61Die Bekämpfung des Alpinen SkilaufsZdarskys Revolution im Skilauf wurde, wie schon dargelegt, vonjenen, die sich der nordischen Pflug-Fahrweise verpflichtetfühlten, sofort vehement kritisiert. Um den Alpinen Skilauf zubekämpfen, baute man eine breite Einheitsfront auf, dieschließlich im Jahre 1905 in München zur Gründung des "DeutschenSkiverbandes" und des "Österreichischen Skiverbandes"führte. Diese beiden Verbände, sowie ihre Dachorganisation, der"Mitteleuropäische Skiverband", wurden ins Leben gerufen, umden Alpinen Skilauf zu verhindern! Im Jahre 1913, nachdem dervon Mathias Zdarsky im Jahr 1896 begründete Alpine Skilauf be-59 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Verlagsanstalt und <strong>Dr</strong>uckerei A. G. (Vorm. J.F.Richter) Hamburg 1897 (November1896).60 vgl. Alois Weywar.. Die bewegungsphysiologischen Grundlagen des Schilaufes. In: Alois Weywar. Beiträgezur organischen Bewegungsanalyse. Ahrensburg 1983 und in: Leibesübungen Leibeserziehung .Wien 1956/10.61 Wolf Kitterle. 75 Jahre Torlauf. (Neudruck der Wettfahr-Urkunde des 1. Torlaufes der Schigeschichte am 19 3.1905) Wien 198080


eits 17 Jahre lang vehement bekämpft wurde, schrieb Sepp Bildstein:"Abfahrtslauf: Er ist das Sorgenkind der Berge;könnten sie reden, diese stolzen, eisigen Schweiger,sie würden fluchend sich verwahren, daß man ihr Kindtrotz seiner reichen, fülleschweren Erbschaft soverleugne. Es ist ein Kind, nicht wie andere Kinder,und der Boden, auf dem es fußt, ein einzigartiger,weshalb es selbst auch einzig ist in seiner Art!...Skilauf und Alpen kannten sich lange nicht; dadies geschah, bekam der Skilauf eine höhere Weihe,ja er wurde etwas anderes. Wenn ihn heute ein echtes,künstlerisches Kleid ziert, hat er es in unserenBergen angezogen... Es ist etwas eigenes um denAbfahrtslauf: verschieden in seiner Grundlageverschiedenin seinen Anforderungen. Die Eigenheit seinerGrundlage gibt nichts zu erklären. Wer die Alpenkennt, kennt auch ihre Unvergleichlichkeit. Die Verschiedenheitseiner Anforderungen birgt den eigentlichenKern in sich... Der Skilauf in den Alpen hateine zu individuelle, künstlerische Natur, als daßer sich mit anderen Läufen über einen Leisten schlagenließe...Hindernislauf: Um die durch die Vernachlässigung desAbfahrtslaufes fühlbar gewordene Lücke auszufüllen,wurden Hindernisläufe eingeführt. Natürliche undkünstliche Hindernisse aller Art sollen auch dasKunstvolle am Skilauf zeigen. Der Hindernislauf istauch heute der einzige schwache Vertreter, weil ernie die Größe und Gediegenheit des eigentlichen Abfahrtslaufeserreicht. Die Gefahr des zuviel Künstlichenliegt hier sehr nahe; doch offenbart uns derrichtige Hindernislauf vielmehr den wahren Skiläuferals jeder Dauerlauf... Die Leute, die so sehr aufder Einführung norwegischer Dauerläufe in den Alpenländernbestehen, scheinen nicht zu begreifen, daßErfolge nicht nur durch platten Willen, sondern auchdurch Befähigung erreicht werden können." 62Auch die im Anschluß an den "Mitteleuropäischen Skiverband" gegründete"Internationale Skikommission" und die aus ihr hervorgegangene"FIS" 63 waren dem Alpinen Skilauf nicht wohlgesonnen.Dementsprechend wurden von der "FIS" bis in die 30er Jahrenur nordische Ski-Meisterschaften (Skispringen und Skilanglaufen)durchgeführt. Der Widerstand der "FIS" gegen den Alpinen62 Sepp Bildstein. Wettläufe, ihre Grundlage und Bedeutung. In: Ski-Chronik 1912 Jahrbuch des MitteleuropäischenSki-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 5. Jahrgang, Karlsruhe 191363 Die "Federation Internationale de Ski" (FIS) wurde auf dem von der "Internationalen Skikommission" bei denOlympischen Winterspielen 1924 in Chamonix veranstalteten "8. Internationalen Skikongreß" gegründet.81


Skilauf wurde erst im Jahre 1930 aufgegeben, als die Schweizihren Austritt aus der "FIS" und die Gründung eines Gegenverbandesangedroht hatte. Aber auch danach weigerte sich noch der"Deutsche Skiverband", diesen FIS-Beschluß umzusetzen. Soschreibt Heinz Polednik:"Das Ringen um die Anerkennung der Abfahrtsbewerbeverlief ungemein hart. Die Schweizer drohtenschließlich unverhohlen mit der Gründung eines eigeneninternationalen Abfahrtsläuferverbandes,falls man die Abfahrt nicht als eigene sportlicheDisziplin anerkenne...Die Entscheidung fiel dann in den letzten Februartagen1930 beim FIS-Kongreß in Oslo. Auf Antrag derSchweiz beschloß die FIS die Anerkennung der BewerbeAbfahrtslauf und Slalom. Doch waren verschiedeneFunktionärskreise noch immer skeptisch. So weigertesich der Deutsche Skiverband, bei den InternationalenFIS-Wettkämpfen 1931, die für Oberhof vorgesehenwaren, alpine Bewerbe auszuschreiben. Aber dieangebahnte Entwicklung konnte nicht mehr aufgehaltenwerden." 64Die im Jahre 1931 dem Deutschen Skiverband übertragene Durchführungder FIS-Meisterschaften in Oberhof wurde ihm daher wiederentzogen. Erst durch das Diktat Hitlers, der den AlpinenSkilauf für seine Propaganda einspannen wollte, schwenkte derDeutsche Skiverband um. Und so berichtete Fritz Heinrich imJahr 1936 über den Skilauf im Winter 1935/36, daß Deutschland"seinen ersten Riesentorlauf am 19. April 1936 im Dammkar (Karwendel)mit vollem Erfolg abgehalten" hat. Fritz Heinrich merktdabei aber treffend an:"Damit sind wir schon mitten in dem Gebiet der lebendigstenEntwicklung: beim Torlauf. Wohl könntenwir gerade in diesem Zweige heute viel weiter sein,doch war der erste Torlauf, den Altmeister Zdarskyin der Art der jetzigen Riesentorläufe (Abfahrt undTorlauf vereinigt) am 19. März 1905 am Muckenkogelin Niederösterreich aussteckte, leider fast vollständigin Vergessenheit geraten." 6564Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196965 Fritz Heinrich. Die wichtigsten Leistungen, Ereignisse und Neuerungen im Schilauf 1935/36. In: Hanns Barth(Hrsg.) Bergsteiger und Schiläufer. Leipzig 193782


Der Durchbruch des Alpinen SkilaufsDer Hochalpinist, Freund und Schüler Mathias Zdarskys, derDeutsche Wilhelm Rickmer Rickmers, hat sich für das "Überleben"des Alpinen Skilaufs besondere Verdienste erworben. Er warnicht nur gemeinsam mit dem Kitzbüheler Franz Reisch für dieEntwicklung des für den Alpinen Skilauf so bedeutenden WintersportortesKitzbühel tätig, sondern er lehrte auch den Engländernden "Schlangenschwung“ Zdarskys. Diese hatten den AlpinenSkilauf schon sehr früh als Zugpferd für den Tourismus entdeckt.Arnold Lunn, der Sohn eines englischen Reiseunternehmers,der in der Schweiz Urlaube für Engländer organisierte,verkürzte den Torlauf Mathias Zdarskys. Er schuf einen kurzenund daher für das Publikum besser überschaubaren Bewerb. Ernannte die nach englischem Sportgeist geschaffene Konkurrenz"Slalom". Diese werbewirksamen Sport-veranstaltungen trugen dazubei, daß der Alpine Skilauf - trotz des Boykotts durch die"FIS" - bei den Touristen und bei der Jugend immer mehr in Modekam. Die Rechnung des geschäftstüchtigen Reiseunternehmers gingvoll auf.Die Engländer stellten zu dieser Zeit sehr gute alpine Skirennläuferinnenund Skirennläufer. Von ihnen mitgerissen wurde dieSchweiz die erste große Skination des Alpinen Skirennsports.Dieser fand seine Heimat außerhalb der "FIS": hier sind die"Kandahar-Rennen", die "Anglo-Swiss-University-Skirennen", dieRennen des "Schweizer Akademischen Skiklubs" und die "InternationalenAkademischen Winterspiele" zu nennen.Der Engländer Arnold Lunn war es, der dann den Arlberger HannesSchneider für den "Slalom" begeisterte, was zu den so wichtigen"Arlberg-Kandahar-Rennen" führte. Schon bald stellten die Österreichereine den Schweizern ebenbürtige Mannschaft. Diesewurde insbesondere getragen von den berühmten "Roten Teufeln"aus Innsbruck mit den Lantschnern als Kern. Aber auch vom Arlbergkamen früh alpine Spitzenläufer, wie Hannes Schneider undRudi Matt. Der Tiroler Toni Seelos schließlich war der erste<strong>Technik</strong>er, der sich eindeutig vom nordischen "Pflug-Prinzip“("Paßgang-Prinzip") löste, und dadurch den Weg zurück zur Fahr-83


technik Zdarskys, zum "Galopp-Schwung" freimachte. Wobei ToniSeelos - wie Mathias Zdarsky und Hannes Schneider - ein gelehrigerSchüler des "Lehrmeisters Gelände“ war. Er flüchtete ausdem "Pflug-Prinzip", indem er gleichsam "in die Luft ging". Erverstärkte die "Schwebe" des "Galopp-Wechsels" und umging sodas Problem des <strong>Dr</strong>iftens. Diese Hochentlastung ermöglichte ihmauch eine parallele Skiführung und die Vorlage. Damals kam bereitsam Arlberg für den "Schlangenschwung" Zdarskys, dem mansich wieder über den "Stemmkristiania" von Hannes Schneider annäherte,der Name "Wedeln" auf. 66Einen besonderen Auftrieb erhielt der Alpine Skilauf, als erzum Thema von Spielfilmen wurde. Der Filmemacher Arnold Fanckhat hervorragende Berg- und Skifilme gedreht, in denen HannesSchneider und auch Leni Riefenstahl als skilaufende Schauspielermitwirkten. Diese Filme haben einerseits die "Blockade" desAlpinen Skilaufs durch den "Deutschen Skiverband" bzw. durchdie "FIS" durchbrochen, andererseits aber auch Hitler den Sportals Propagandainstrument besonders nahegebracht. Hitler ließdaraufhin die im Alpinen Skilauf und im Filmemachen erprobteLeni Riefenstahl für seine Zwecke Propagandafilme drehen. DasMakabre an dieser Angelegenheit ist, daß die ehrgeizige LeniRiefenstahl zur Filmemacherin Hitlers aufstieg, der SkipionierHannes Schneider aber, der sich beim Filmen enormen Gefahrenaussetzte und dabei mehrere Unfälle erlitt, von den Nationalsozialisten- nach deren Machtergreifung in Österreich - verhaftetwurde. Den Amerikanern ist es zu danken, daß seine Emigrationin die USA "erkauft" werden konnte. 67Zdarskys alpine Antwort auf den nordischenPflugbogenAls eigener Wettkampf-Sport wurde der Alpine Skilauf also erstseit den 30er Jahren offiziell anerkannt. Damals wurden dienordischen Bewerbe (Skilanglauf und Skispringen) von den alpi-66 Hubert Mumelter. Ski-Fibel. Berlin 1933.67 Hans Thöni. Hannes Schneider - zum 100. Geburtstag des Schipioniers und Begründers der Arlbergtechnik.Innsbruck 199084


nen Bewerben (Abfahrtslauf, Slalom und später Riesentorlauf)geschieden. Heute hat sich das Skilaufen weiter differenziert.Es gibt einerseits sowohl im nordischen, als auch im alpinenBereich noch weitere Bewerbe, andererseits gibt es aber auchDisziplinen, die weder alpin noch nordisch sind: zum Beispieldas Freestyle-Skiing.Man könnte diese Ausfächerung des Skisports mit dem Pferdesportvergleichen. Dort gibt es ähnlich: das <strong>Dr</strong>essurreiten, dasSpringen, das Traben und das Galoppen. Der Unterschied zwischendem Traben und dem Galoppen kommt dem Unterschied zwischen NordischemSkilauf und Alpinem Skilauf am nächsten. Wobei noch einweiterer Unterschied hinzukommt: Die Fortbewegungsmuster desGehens (Gang, Schritt), des Trabens (Laufens) und die des Galoppsgibt es jeweils in zwei Varianten. Die eine nach dem sogenannten"Paß-Prinzip", die andere nach dem "Nicht-Paß-Prinzip". Der Paß-Gang und auch der Paß-Trab liegen dem "Pflug-Prinzip" des Skilaufens zugrunde. Beim Skilanglauf gibt es denGang (Schritt) und den Lauf (Traben) in beiden Varianten: sowohlnach dem "Paß-Prinzip" als auch nach dem "Nicht-Paß-Prinzip". Aber auch das Fortbewegen im Galopp kommt im Skilanglaufvor. Es gibt auch Arten des Skisprungs nach dem Galopp-Muster. Im Nordischen Skilauf fanden situationsgemäß alle verfügbarenErbkoordinationen der Fortbewegung (Gang, Lauf, Galopp)ihre Verwendung.Für das Abfahren, das beim Skilanglaufen im nordischen Geländeja ebenfalls vorkommt, wurde aber bevorzugt das Muster des Paß-Ganges in Form des Pfluges verwendet. Dies geschah, um zu bremsenund um Bögen zu fahren. Der Telemark-Bogen folgt dagegendem Muster des Paß-Galopps.Als nun Ende des vorigen Jahrhunderts sich der Nordische Skilaufals Sport von Skandinavien nach Mitteleuropa ausbreitete,begann der Anteil der Abfahrt zu überwiegen, und die Abfahrtenwurden auch steiler. Ohne Anleitung - nur alleine mit dem nordischenSportgerät - waren die Erfolge der Skiläufer außerhalbSkandinaviens daher sehr bescheiden. Da wurde der Ruf nach nordischenSkilehrern laut. Das einfache Vor- und Nachmachen, dasdann praktiziert wurde, brachte aber nicht die erwünschten Er-85


folge. Also mußte ein aufbauender Lehrweg probiert werden. Diedamaligen Skibindungen, die noch sehr wackelig waren, legtendie "Pflug-Lehrweise" nahe. Leider wurde aber in den Lehrwegendes Skilaufens der Pflug zum Dogma erhoben und auch beibehalten,als die Entwicklung stabiler Bindungen ein besseres Lehrverfahrenmöglich gemacht hatte. Mit zunehmender Hangneigungund mit zunehmender Geschwindigkeit ist nämlich das im Pflugsteckende Prinzip des Paß-Ganges wenig zweckmäßig. Es ist dortsogar widernatürlich! Die auf den Pflug aufbauenden Lehrwegeschliffen aber auf gering geneigten Hängen - auf denen das Paßgang-Prinzipnoch einigermaßen zweckmäßig und natürlich ist -das Paßgang-Muster als Gewohnheit ein. Beim Übergang ins steilereGelände führte dieses Lehrverfahren dann als "Spätfolge"naturgemäß zur Häufung von Unfällen.Das dem Pflugfahren zugrundeliegende "erbkoordinative Leistungsmuster"des Paß-Ganges ist als Fortbewegung geprägt durchein ständiges Umlasten von einer seitlichen Stützung zur anderen.Der Körperschwerpunkt bleibt dabei immer zwischen den Beinen.Beim Beinwechsel erfolgt ein Wechsel von einer Großzehen-Belastung zur anderen. Beim dementsprechenden Bogenfahren wirdvon einem Außenski auf den anderen umgelastet. Dieses Musterhat bei ganz spezifischen Aufgabenstellungen auch seinen biologischenSinn. Ändert sich aber die Aufgabenstellung, dann wirdsozusagen ein anderes biologisches Muster "aufgerufen". Wirdzum Beispiel beim Gehen die Geschwindigkeit gesteigert, dannkommt es zum Laufen. Steigert sich die Geschwindigkeit eineslaufenden (trabenden) Pferdes, so fällt es "von selbst" in denGalopp. Viktor von Weizsäcker hat in seiner "Theorie des Gestaltkreises"diesen "Funktionswandel" eingehend analysiert undihn als etwas biologisch Grundlegendes erkannt:"Mit der stetigen Änderung einer Reizgröße oder einerFunktionsgröße ergeben sich unstetige Änderungender Leistung. Steigert ein Perd seine Fortbewegungsgeschwindigkeit,so fällt es sprungweise vomSchritt in Trab, Galopp. Es läuft bei jedem solchenSprung nicht nur schneller, sondern vor allem anders...Man darf diese Unstetigkeiten als Aktsprüngebezeichnen...86


Man kann sagen: das Subjekt, der unendlichen, stetigenund quantitativen Mannigfaltigkeit der physikalischenWelt gegenübergestellt, beschränkt sichin Begegnung mit ihr auf eine endliche Menge vonQualitäten; eine Qualität ist dann für das Subjektrepräsentativ für eine ganze Schar quantitativerVariationen. Der biologische Akt vollzieht den Qualitätssprungals eine Art der Qualifizierung desQuantitativen, und diese bedeutet seine subjektiveEinschränkung, vielleicht seine Rettung gegenüberder uferlosen Unbegrenztheit des Quantitativen...Der Funktionswandel ermöglicht die improvisierendeIndividuation; die Qualität, die repräsentativeEinschränkung der Quantitäten. Beides weist auf dengroßen Spielraum der Unabhängigkeit des Organismusgegenüber seiner Umwelt hin. Weil die Funktionenlabil und der Akt von der Qualität verhältnismäßigunabhängig ist, kann individuelles Leben sich gegeneine Welt behaupten." 68Der das offizielle Skilehrwesen noch heute beherrschende "pseudopädagogische"Gedanke eines stetigen Fortschreitens "vomLeichten zum Schweren“ - ohne qualitative Sprünge - findet hierkeineswegs seine Bestätigung. Was bei langsamer Geschwindigkeitangemessen ist, läßt sich nicht immer quantitativ intensiviertauf eine schnellere übertragen. Was unter einfachen Bedingungeneingeschliffen wird, kann beim "Aktsprung" daher zum Verhängniswerden! Genauso ändert sich das biologische Muster der Fortbewegungmit zunehmender Hangneigung. Auch hier ist es biologischangelegt, ab einer gewissen Neigung nicht mehr Fuß vor Fuß setzendzu laufen, sondern nachstellend zu galoppen. Die Gemsenzeigen uns dies deutlich. Es ist aber durchaus möglich, durch<strong>Dr</strong>essur das "Einlegen" des biologisch sinnvollen "Ganges" zuverhindern. Man kann zum Beispiel ein Perd so trainieren, daßes über den "biologischen Punkt" hinaus weitertrabt und nichtin den Galopp fällt. Das ist möglich, nur kann dieses trabendePerd - selbst bei bestem Training - nicht die Geschwindigkeiteines galoppierenden erreichen!Auch Menschen kann man mit einiger Mühe dazu bringen, über den"biologischen Punkt" hinaus, bei dem sonst jeder normale Menschzu laufen beginnt, weiter zu gehen, d. h. immer mit einem Beinam Boden zu bleiben. Wir machen in unserer Bewegungskultur aus68 Viktor von Weizsäcker. Der Gestaltkreis. Leipzig 1943 287


dieser "widernatürlichen" Fortbewegung sogar einen olympischenWettbewerb. So läßt sich der Mensch eben auch dressieren, sichim steilen Gelände mit dem dafür relativ untauglichen Leistungsmusterdes Paßganges abzumühen. Diese <strong>Dr</strong>essur zum "Widernatürlichen"braucht natürlich mehr Zeit, als man benötigt, umden Menschen im steilen Gelände zum Galoppen hinzuführen. Esist ja auch einfacher, jemandem beizubringen, langsam zu laufenals schnell zu gehen. So schrieb bereits Mathias Zdarsky:"Meinen Halbkreisschwung nannten meine Widersacher'Stemmbogen'. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden,denn im Wesen ist der Halbkreisschwung ein rascherWechsel zwischen zwei ungleichnamigen Stemmstellungen.Aber was jetzt meine Gegner als 'Stemmbogen' pflegen,ist eine Karikatur von so häßlicher Körperhaltungund so großer Kraftvergeudung, daß es mir unfaßbarist, wie man aus Justamentgründen sich solange plagen kann. Erst unlängst sagte mir ein Student:'Ich brauchte eine ganze Woche, bis ich denStemmbogen erlernte, obzwar ich als einer der bestenFahrer in der Schule galt. Bei Ihnen erlernteich den mühelosen und viel kürzeren Halbkreisschwungin einer halben Stunde.'" 69Mathias Zdarsky schaffte es, die meisten seiner Schüler in zweibis sechs Tagen sozusagen zu "Freischwimmern" (Frei-Skifahrern)im mittelschweren ungespurten Gelände zu machen. 70 In einerHamburger Zeitung aus dem Jahre 1911 kann man folgendes lesen:"Für uns Niederdeutsche kommt nur eine <strong>Technik</strong> desSkifahrens ernsthaft in Betracht, und das ist die'Alpine-<strong>Technik</strong>', auch 'Lilienfelder <strong>Technik</strong>' genannt.Sie ist erfunden von dem Deutsch-Österreicher Mathias Zdarsky, der in Marktl in derGemeinde Lilienfeld in Niederösterreich wohnt. DieLilienfelder <strong>Technik</strong> macht es, wie ich aus eigenemWissen bezeugen kann, jedem Mann und jeder Fau, dieüber gesunde Gliedmaßen verfügen, möglich, in einemZeitraum, der je nach der persönlichen Geschicklichkeitzwischen zwei und sechs Tagen schwankt,den Gebrauch der Skier so zu erlernen, daß er jedes69 Mathias Zdarsky. Ein heikles Thema. In: Der Schnee. Wien 193070 Dies ist auch heute noch möglich, wenn man an dem von Mathias Zdarsky aufgegriffenen erbkoordinativenMuster des Galopps entlang arbeitet. Davon habe ich mich selbst bei hunderten von Skianfängern mit ganz unterschiedlichermotorischer Begabung und unterschiedlichen Alters praktisch überzeugt. vgl. <strong>Horst</strong> <strong>Tiwald</strong>. DieEinbein-Methode. Anfänger-Lehrweg im Alpinen Skilauf. Bericht über ihr Entstehen 1975 - 1981. FachbereichSportwissenschaft der Universität Hamburg. Hamburg 199588


Gelände mit ihnen bezwingt. Jedes Gelände, das bedeutetunter anderem: Abhänge mit einer Neigung biszu 60 Grad. Wer aber das gelernt hat, der kann jedeTour machen, zu der ihn seine Ausdauer sonst befähigt(diese Ausdauer selbst muß natürlich geübt undgesteigert werden, hier, wie bei jedem anderenSport). Mathias Zdarsky (dessen jährliche UnterrichtskurseIm bayrischen Hochlande übrigens berühmtsind), hat es jedem ermöglicht, die Lilienfelder<strong>Technik</strong> selbst zu erlernen.. Mathias Zdarskyhat mit der Erfindung seiner „Alpinen <strong>Technik</strong>“ geradeuns Niederdeutschen ein herrliches Geschenkgegeben; sie macht es uns möglich, in der kurzenZeit, die wir für das winterliche Gebirge meist nurhaben, dort unvergleichlich Schönes zu erleben. Wersich die ganz geringe Mühe nimmt, diese <strong>Technik</strong> zuerlernen, wird dem Erfinder für alle Zeit so dankbarsein, wie ich es bin." 71Diese Erfolge Zdarskys nahm Carl J. Luther zum Anlaß, MathiasZdarsky als so etwas wie einen Begründer des Skilehrwesens zubetrachten:"Zu den ersten Veröffentlichungen,",schrieb Carl J. Luther,"die sich unseres Wissens mit dem Schikurs beschäftigenund die zu den ersten allgemein zugänglichenKursen denn auch bald führten, zählt zweifellosZdarskys Artikel 'Eine Schule für Skiläufer'in der 'Wiener Allgemeinen Sportzeitung' von 1898.Zdarsky verwirklichte seine Vorschläge schon 1901auf 1902. Für diesen ersten Schikurs Österreichsund Mitteleuropas wurden dreiundzwanzig Lauftage(ein Eisläufer-Statistik-Ausdruck) mit612 Besuchern und 1904/05 (für die dann durchZdarsky und den Alpin-Skiverein durchgeführten Kurse)bereits vierundneunzig Tage mit 1293 Besuchernnotiert.In Lilienfeld also steht zweifellos die Wiege desmitteleuropäischen Schikurses. Um Zdarskys Verdienstin dieser Hinsicht gleich ganz darzutun :1906 Kurse in Lemberg und Mährisch-Ostrau, 1907 inKronstadt (Siebenbürgen), 1909 in Garmisch-Partenkirchen, 1911 im deutschen Riesengebirge und1912 in Engelberg in der Schweiz u. a. m. So wardenn Zdarsky wohl auch der erste Leiter einer Schischule,der in weit stärkerem Maße als andere Pioniereseiner Zeit auch als Wanderlehrer wirkte." 7271Hermann Popert. Niederdeutsche auf Skiern. In: "Hamburgischer Correspondent". Älstestes HamburgerHandels- und Börsenblatt. Bedeutendste und größte Schiffahrts-Zeitung Deutschlands. Mittwoch, den 6. Dezember191172 Carl J. Luther. Schikurswandel. In: Hanns Barth (Hrsg.) Bergsteiger und Schiläufer. Leipzig 193789


Mathias Zdasky hat in seinem Leben persönlich über20.000 Menschen das Skilaufen kostenlos und unfallfrei beigebracht.Im offiziellen Skilehrwesen ging man aber, aus heutigerSicht vollkommen unverständlich, nicht den Weg Zdarskys. Miterhöhtem Zeitaufwand und mit erhöhtem Unfallrisiko dressierteman vielmehr die Anfänger auf anspruchslosen Hängen, mit"Pflug-Variationen" Ski zu laufen. Im Rennsport brach allerdingsdas Funktionale und biologisch Sinnvolle vehement durch.So haben auch immer wieder die aus dem Ski-Rennsport kommendenSkipädagogen den Fortschritt des Skilehrwesens vorangetriebenund zur Auflösung der "Pflug-Dogmatik" wohltuend beigetragen.Franz Hoppichler betont - ganz im "Geiste des Funktionswandels"von Viktor von Weizsäcker - in seinem kürzlich erschienenenBuch "Die österreichische Skischule":"Jede Bewegung braucht 'ihr' Tempo - Optimaltempo."73"Deshalb ist beim Lernen - und auch später beimFahren - das richtige Tempo, das 'Optimaltempo',äußerst wichtig. Zeigt der Lehrer die Bewegung vor,muß er etwas schneller fahren, weil der Schüler zum<strong>Dr</strong>ehen mehr Tempo braucht als der technisch perfekteLehrer... Steigert man dosiert und systematischdas Fahrtempo, geht der Schüler fast automatischvom Rutschen zum Schneiden. Auch deshalb ist dasOptimaltempo so wichtig. Dieses zu erfühlen ist einesder wichtigen Ziele in der Ausbildung zum Skilehrer.Der Wechsel von einer Schwungart zur anderenbedarf des Tempowechsels." 74Dies ist die Umkehrung des grundlegenden Gedankens, daß jedesTempo, jede Hangneigung bzw. jedes Gelände seine Bewegung, seine<strong>Technik</strong> braucht. Womit wir wieder bei den "Wurzeln des AlpinenSkilaufs", bei Mathias Zdarsky angelangt sind.73 Franz Hoppichler. Die Österreichische Skischule . Offizieller Lehrplan des Österreichischen Berufsskilehrerverbandes,herausgegeben vom ÖBSV. o.J.74Franz Hoppichler. Die Österreichische Skischule . Offizieller Lehrplan des Österreichischen Berufsskilehrerverbandes,herausgegeben vom ÖBSV. o.J.90


Das "Pflug-Prinzip" als Unfallursache beim Skilaufim alpinen GeländeWir hätten also den modernen Skilauf schon viel früher habenkönnen. An sich geht es mir bei diesem Gedanken aber nicht umdie Hast des Fortschritts sondern um die Frage, wie viele unnötigeSkiunfälle die "Pflug-Lehrmethode" mitverschuldet hat undaus nostalgischen „Justamentgründen“ noch heute mitverschuldet.Auch könnte die Frage gestellt werden, was das offizielle Skilehrwesenmit seinem "Pflug-Dogma" zum Niedergang des AlpinenSkilaufs, der sich in der heutigen Not der Skihersteller deutlichwiderspiegelt, beigetragen hat. Auf der einen Seite wandernheute die auf "Pflug-Variationen" dressierten älterenSkiläufer aus gesundheitlichen Gründen in den Skilanglauf ab,auf der anderen Seite läßt sich die am "Fun-Sport" orientierteJugend die "Pflug-Rituale" nicht mehr bieten und wendet sichdem Snowboarden zu. So gerät heute der Alpine Skilauf in die"Zange" zwischen Skilanglaufen und Snowboarden. Die GegnerZdarskys haben zwar nicht erreicht, den Alpinen Skilauf zu verhindern,sie werden es aber vielleicht schaffen, ihn durch die"Pflug-Lehrweise" abzuwirtschaften und zugrundezurichten.Schon zu Zdarskys Zeiten setzte dieser Prozeß ein, als der Skilaufextreme Mode wurde. Man fragte immer weniger nach derFunktionalität der Bewegungen. Das Geschäft mit immer neuenPflug-Variationen blühte. Mathias Zdarsky störte dabei wenigerder kommerzielle Aspekt als das unübersehbare Zunehmen von Skiunfällen,die diese unsachgemäßen Skitechniken und Skilehrweisenbrachten. Bereits im Jahre 1930 machte - der in allen seinenSchriften für die Voksgesundheit aktive - Mathias Zdarskydie Verantwortlichen auf die katastrophalen Folgen der unsachgemäßenLehrweise aufmerksam :"Die meisten Skiverbindungen, die meisten Ski-,Turn- und Alpenvereine sind dem großen Tam-Tam unterlegen.Sie sind sich gar nicht bewußt, welcheGeschichtsfälschungen sie begehen, welche unsachgemäßeLehrmethoden sie einführen.Daher sind schwere Skiunfälle an der Tagesordnung,aber die Stimme der Chirurgen, die seit Jahrzehntengegen den Mißbrauch des Skilaufs sich erhebt, ist91


an den maßgebenden Stellen niemals vernommen worden.Alles lebt im Banne des Tam-Tam-Betriebes und esfällt keinem tonangebenden Menschen auf, daß dieganze Tam-Tam-Skiliteratur einig ist im VerspottenZdarskyscher Ideen, obzwar diese Ideen unter Benutzungphantastischer Namen fleißig ausgeschrotetwerden.All diesen schandbaren Zuständen, wo jeder Laffeals Rekordbrecher sich betätigen will und diesesGift schon den Schülern bei den Jugendwettläufeneingeimpft wird, könnte doch einmal ein tatkräftigerMann, der die staatliche Macht dazu hat, einEnde machen." 75Zum "Erlaß des Unterrichtsministeriums zur Einrichtung von Skischulen"in Österreich äußerte er sich bereits vorher im Jahre1929 so:"Besonders wir in Österreich sind hauptsächlich aufalpines Gelände angewiesen. Es muß also eine Fahrfertigkeitmöglich sein, welche leicht, in kurzerZeit, in drei bis sechs Tagen, erlernbar ist,strurzfreies Fahren ermöglicht und in ästhetischerBeziehung unseren Schönheitsbegriffen von Körperbewegungenentspricht.Dieses klare, leicht zu erreichende Ziel vermisseich in dem eben angeführten Erlaß. Ohne genaueZielangabe ist alles weitere nur ein Herumprobieren,ein Herumwursteln.Aber ebenso unrichtig ist die Einsetzung der Prüfungskommission.Eine solche setzt doch naturgemäß eine Schulungvoraus.Wo ist diese heutzutage vom Ministerium für Unterrichtanerkannt? Da stoßen wir überall auf Laienurteile,Faxereien, Halbheiten, auf Wichtigtuerei,auf Entartungen aller Art. Aus diesem derzeit herrschendenChaos des Skibetriebes sollen Prüflingeherausgeholt werden. Diese Unmöglichkeit wird sichbitter rächen, und auf viele Jahre ist der Skilaufals Volkslauf nur mit dem Ziele 'Ertüchtigung derMenschheit' wieder lahmgelegt." 76"Und noch etwas kann ich",schrieb Mathias Zdarsky,"zu dem 'heiklen Thema' anführen: 'Weder von denWidersachern, noch von den Schulmachthabern 77 hatsich je einer die Mühe genommen, mich als Skifahrer75 Mathias Zdarsky. Die Zweistöckler. In: Der Schnee. Wien 193076 Mathias Zdarsky. Errichtung von Skischulen.( Zum Erlaß vom 18.12.1928. ) In: Der Schnee .Wien 192977 Anmerkung von H.T.: Mit diesen "Schulmachthabern" ist unter anderen der ansich sehr verdienstvolle KarlGaulhofer gemeint.92


aufzusuchen. Auch diese Tatsache ist ein interessanterBeitrag zur Geschichte des Skilaufs." 78"Geschimpft wurde und wird über meine den winterlichenAlpinismus ermöglichende Arbeit genug. Wo sinddie Historiker, die quellenmäßig meine Prioritätnachweisen und den Schwindel der Nachahmer brandmarken?Ja, man muß ein Österreicher sein, um eines Tageszu erfahren, daß das Ministerium für Unterricht denBegründer des alpinen Skilaufes zum staatlich geprüftenSkilehrer ernannt hat.Woher hat diese Prüfungskommission ihr Wissen genommen?Der stets heiter gestimmte Mathias Zdarsky." 79Ein Zeitzeuge berichtete über seine Begegnung mit Zdarsky:"Es wurde viel gewitzelt und gespottet,"erzählte der bekannte "Ski-Müller","doch niemand unterzog sich der Mühe, die AngabenZdarskys objektiv zu prüfen. Ich war damalsSchriftführer des 'Österreichischen Skivereines'und eifriger Mitarbeiter der ersten Skizeitung, derMitteilungen des ÖSV, die aber nur während einerSaison erschienen. Der Vorstand ersuchte mich, dasBuchausführlich zu besprechen und die phantastischenBehauptungen Zdarskys gebührend zurückzuweisen.Mit großer Befriedigung nahm ich diesen Wunschdes Vorstandes entgegen, denn ich teilte die allgemeineEntrüstung, und bereitete mich vor, eine vernichtendeKritik zu verfassen...Vor allem fiel mir auf, das Zdarsky die Sicherheitals Grundprinzip aufstellte und das Fallen alsschimpflich bezeichnete. Es fiel mir schwer, michdamit vertraut zu machen, daß man Ski fahren konnte,auch ohne zu fallen, denn ich hatte noch keinenSkiläufer gesehen, der nicht gefallen wäre, aberich fand, es müßte doch sehr schön sein, wenn esmöglich wäre..." 80Josef Müller fuhr also zu Zdarsky und machte sich mit seinerFahrweise unmittelbar vertraut."Als ich dann dem Vorstand des ÖSV über alles, wasich gesehen hatte, Bericht erstattete und hinzufügte,daß es mir wichtig erscheine, die ganze Sacheeingehend zu prüfen, wurde ich ausgelacht. Man begriffes nicht, wie ich mich so sehr verblenden las-78 Mathias Zdarsky. Ein heikles Thema. In: Der Schnee. Wien 193079 Mathias Zdarsky. Geschichtsfälschungen auf dem Gebiete der Entwicklung des Schneeschuhlaufens in Mitteleuropa.In: Der Schnee. Wien 193080 Bericht von Josef Müller ("Ski-Müller") in: Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196993


sen konnte, um die in Lilienfeld entstandene neueSache mit der alten original-norwegischen <strong>Technik</strong>zu vergleichen und sogar gut zu finden." 81Der Alpine Skilauf in der von Mathias Zdarsky ursprünglich geprägtenForm hat auch heute noch, wie der Alpine Skirennsportdeutlich vor Augen führt, seine besondere Faszination. Was inihm an Variantenreichtum erfahren und erlernt werden kann, istleicht mit Gewinn sowohl auf das Skilanglaufen als auch auf dasSnowboarden zu übertragen. Der umgekehrte Weg, die Erfahrungendes Skilanglaufens oder die des Snowboardens auf das AlpineSkilaufen zu übertragen, ist nicht so einfach zu gehen.Der Skiverein von Mathias ZdarskyMathias Zdarsky suchte von Anfang an Kontakt mit den Skivereinen.Er wurde aber nur ausgelacht und verhöhnt. Dies wohl auspurem Neid, weil er skiläuferische Leistungen bot, die zu kopierendie damaligen Skigrößen nicht in der Lage waren. Als erfür sich alleine in einer sechsjährigen Forschungarbeit für eineneue Bindung und Fahrweise entwickelt hatte, wollte er auchandere Skiläufer sehen."Diese Lernzeit in meiner Einsiedelei dauerte vomJahre 1890 bis 2. Februar 1896.An diesem Tage gingen mir die Augen auf, als ichzum ersten mal andere Menschen auf Skiern sah.Der Wiener 'Österreichische Skiverein" veranstalteteauf dem Semmering ein Schneeschuhwettfahren. Ichfuhr hin, um etwas zu erlernen, denn in den Zeitungenlas ich für mich unbegreifliche Schilderungenüber Schneeschuhleistungen.In Wirklichkeit war die Wettstrecke eine sehr flacheWiese vor dem kleinen Gasthof 'Zum ErzherzogJohann', dem derzeitigen Hotel 'Erzherzog Johann'.Man kann also ohneweiteres dort die Neigungen desBodens nachmessen, die kaum 15° erreichen.Da ich damals dieselbe <strong>Technik</strong> fuhr, die ich heutenoch fahre, so wird man meine Enttäuschung über dievielgepriesene Heldenhaftigkeit begreifen.Mein freundliches Anerbieten, meine <strong>Technik</strong> zu lehrenund meine Bindung dem Österreichischen Skivereinkostenlos zu überlassen, wurde hohnlachend zu-81 in: Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 196994


ückgewiesen. Nun so schrieb ich meine <strong>Technik</strong> undveröffentlichte sie vor Weihnachten 1896." 82"In Mürzzuschlag, wo fanatische Gegner meiner <strong>Technik</strong>sich sammelten, wurde ich immer bei meinem Besuchedort zur Heiterkeit angeregt. Wer sich darübergenau unterrichten will, der lese aus der damaligenZeit die 'Allgemeine Sportzeitung' (ViktorSilberer). Hier erwähne ich nur den lustigen Zwischenfallam 'Kaarl' bei Mürzzuschlag. Oben dieSkigrößen Steiermarks mit Toni Schruf an der Spitze.Ich will über den 40gradigen entholzten Waldhangbei tiefem Pulverschnee abfahren. Toni Schrufruft: 'Das erlaube ich nicht, Sie würden sich erschlagen.'Natürlich fahre ich bltzschnell und sicherhinab, aber die Skigrößen schauen vor Wutnicht einmal zu. Sie rodeln auf Skiern später durchden Waldhohlweg hinab. Das waren also die Begründerdes Skilaufs in Mitteleuropa!" 83Aber schon nach einigen Jahren hatte sich um Mathias Zdarskyeine größere Schar von Skiläufern versammelt, die seine AlpineSkilauf-<strong>Technik</strong> praktizierten,"so daß Zdarsky nun versuchte, diese im Rahmen einesder beiden großen alpinen Vereine zusammenzufassen.Da er auf schroffe Ablehnung stieß, gründeteer im Dezember 1898 den 'Lilienfelder Skiverein'." 84Zdarsky stellte seinen Verein am 22. Dezember 1898 in der "AllgemeinenSportzeitung" in Wien mit der Überschrift "Eine Schulefür Skiläufer" vor.Die Prinzipien seines Vereines legte er dort so dar:"Was die Grundsätze der in Lilienfeld gelehrtenSchneeschuhlauf-methode betrifft, so geht sie vorallem dahin, daß zuerst ein unbedingt fahrsicheres,sturzfreies Laufen im schwierigsten, mit Hindernissenaller Art reich durchsetzten Terrain erlerntwerden müsse."Erich Bazalka berichtet:"Dieser Skiverein unterschied sich grundsätzlichvon allen anderen. Während die 'Norweger' auf ihrenflachen Wiesen übten (Zdarsky nannte sie die 'Rie-82 Mathias Zdarsky. Geschichtsfälschungen auf dem Gebiete der Entwicklung des Schneeschuhlaufens in Mitteleuropa.In: Der Schnee. Wien 193083 Mathias Zdarsky. Geschichtsfälschungen auf dem Gebiete der Entwicklung des Schneeschuhlaufens in Mitteleuropa.In: Der Schnee. Wien 193084 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977.95


gerlrutscher'), so suchten die Mitglieder des 'LilienfelderSkivereins' geradezu die Schwierigkeiten.Josef Müller erzählt aus seiner 'Norwegerzeit':'Wir lernten geradeaus über sanfte Hänge hinabsausenund konnten sogar die Fahrt mit einem Telemarkschwungbeschließen, das heißt, wenn es der Auslaufgestattete. Überhaupt, der Auslauf war uns immerdas Wichtigste, denn wo kein Auslauf, war für unskein Skiterrain, das hatten wir schon von den Norwegerngelernt.'Da kann man nur festhalten: Viel haben sie da abernicht gelernt! Und tatsächlich: Obwohl die Norwegerimmer als Lehrmeister bezeichnet wurden, lehrtensie nicht, sondern begnügten sich damit, mit ihremüberlegenen Fahrkönnen zu brillieren. Und hierliegt der zweite Unterschied: Zdarsky ging es umeinen Lehrgang, um die Ausbildung zu sicheren,„schneereinen“ Skiläufern. Und aus diesem Grundlehnte Zdarsky auch die damals üblichen Wettkämpfeund insbesondere das Springen ab. Zdarsky ging esum die Sicherheit; und wo hätte man im alpinen Geländedie bei Sprungkonkurrenzen erworbene Fähigkeitanwenden können? “ 85"Aber schon sind die Mitglieder unter Zdarskys Führungdaran, damals vielbewunderte winterlich-alpineLeistungen zu vollbringen, die in der Besteigungvon Ötscher, Rax, Schneeberg, Schneealpe, Hochkönig,Sonnblick und Großvenediger mit Skiern gipfeln(Winter 1901/02)“ 86Ende des Jahres 1900 wurde der Lilienfelder Skiverein aufgelöst.Statt dessen wurde am 5. Dezember 1900 der InternationaleAlpen-Skiverein in Wien gegründet. Dieser wurde am 9. Mai 1904in Alpen-Skiverein umbenannt. Der Alpen-Skiverein bestand bis1938 und war vor dem ersten Weltkrieg mit 1889 Mitgliedern(1914) der größte Schiverein Mitteleuropas. 87Von dem von Wilhelm Paulcke im Jahre 1905 in München gegründetenÖsterreichischen Skiverband wurde Zdarskys Alpen-Skivereinzuerst angefeindet, dann ignoriert."Da der 'Österreichische Skiverband' Zdarskys 'Alpen-Skiverein'weiterhin ignorierte, gründete manam 2. und 3. März 1912 den 'Deutschen und ÖsterreichischenSkibund' mit Sitz in München. Dieser Ver-85 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977.86 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197787 Hugo Vondörfer. Der Alpen-Skiverein. In: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann und sein Werk. Beitragzur Geschichte des alpinen Schifahrens vomn den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 198796


and sollte als Gegengewicht zum 'ÖsterreichischenSkiverband' dienen. Bei seiner Gründung umfaßte erden 'Alpen-Skiverein' und weitere 9 deutsche Vereinemit insgesamt ca. 10.000 Mitgliedern." 88Von Mitgliedern des Alpen-Skivereines wurde der AlpineSkilauf auch nach Japan verpflanzt."1913 wird - dem 'Alpen-Skiverein' völlig nachgebildet- der 'Alpine Skiclub Japan' ins Leben gerufen.Als einer der größten neugegründeten LilienfelderVereine ist der 'Prager Ski-Club' zu nennen."89Mathias Zdarsky schrieb rückblickend:"Ich habe immer als die oberste Aufgabe des Wintersportsdie erblickt, dafür zu sorgen, daß nichteine Handvoll jugendlicher, vorzüglich ausgebildeterMenschen aus meiner sogenannten Schule hervorgeht,sondern ich habe mein Hauptaugenmerk daraufgerichtet, daß große Massen der Menschen, und zwarohne Rücksicht ob Herren oder Damen, jung oder alt,die Natur im Winter genießen können, und zwar inmenschenwürdiger Form genießen können." 90Mathias Zdarsky folgte in seiner Arbeit seinem Vorbild FridtjofNansen, er schrieb:"Wir Skifahrer bauen in unserem Herzen für Nansenein Monument, das unvergänglich bleibt." 91Für Fridtjof Nansen war der Skilauf mehr als nur eine Fortbewegungim Schnee gewesen. Dies brachte er in seinem Buch "AufSchneeschuhen durch Grönland" klar zum Ausdruck:"Das Schneeschuhlaufen ist der nationalste allernordischen Sports und ein herrlicher Sport ist es;wenn irgend einer den Namen des Sports aller Sportsverdient, so ist es dieser. Nichts stählt die Muskelnso sehr, nichts macht den Körper elastischerund geschmeidiger, nichts verleiht eine größere Umsichtund Gewandtheit, nichts stärkt den Willenmehr, nichts macht den Sinn so frisch wie dasSchneeschuhlaufen. Kann man sich etwas Gesunderesoder Reineres denken, als an einem klaren Wintertagdie Schneeschuhe unter die Füße zu schnallen undwaldeinwärts zu laufen? Kann man sich etwas Feine-88 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197789 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 197790 Mathias Zdarsky. Der Einfluß des Winters. In:Mathias Zdarsky (Hrsg.Alpen-Skiverein). Für Skifahrer. GesammelteAufsätze und Vorträge von M. Zdarsky. Wien 191691 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In : Der Schnee. Wien 190797


98res oder Edleres denken als unsere nordische Natur,wenn der Schnee ellenhoch über Wald und Berg liegt?Kann man sich etwas Frischeres, Belebenderes denken,als schnell wie der Vogel über die bewaldetenAbhänge dahinzugleiten, während die Winterluft unddie Tannenzweige unsere Wangen streifen und Augen,Hirn und Muskeln sich anstrengen, bereit, jedem unbekanntenHindernis auszuweichen, das sich uns jedenAugenblick in den Weg stellen kann? Ist esnicht, als wenn das ganze Kulturleben auf einmalaus unseren Gedanken verwischt wird und mit derStadtluft weit hinter uns zurückbleibt, man verwächstgleichsam mit den Schneeschuhen und der Natur.Es entwickelt dies nicht allein den Körper,sondern auch die Seele, und hat eine tiefere Bedeutungfür ein Volk als die meisten ahnen." 92Im Jahr 1900 blickte Nansen aber bereits mit etwas Wehmut aufdie Entwicklung des Skilaufs. In seinem Buch "Freiluftleben"erzählt er:"...dort unten auf Holmenkollen bei Kristiania istSchneelauf,... Man denke nur einige Jahre zurück,was die Jugend damals getrieben, und wie tot es damalsim Winter rings um die Städte und in den Tälernwar; kaum eine Schneespur in dem tiefen Schneezu sehen. Und jetzt ? - Wenn nur nicht so viel'Sport' dabei wäre. 'Rekorde' und all das Unwesen,das, wie die Fremdworte selber, aus der Fremde eingeführtist - das verdeckt die Sonne ...'und Zdarsky merkte hierzu an:"Kann man sich wundern, daß auch bei uns der ernsteTeil des Skifahrens verkannt wurde und allerseitsnur 'Sport' als Trumpf galt?" 93Mathias Zdarsky hat diese Sportauffassung von Fridtjof Nansenkonsequent weitergeführt und sein Leben lang dafür gekämpft,daß Nansens Einstellung zum Skilaufen mit dem Skisport verbundenbleibt. Mit 81 Jahren verfaßte Zdarsky - ganz im Sinne vonNansen - noch ein Buch als Beitrag zur Verbesserung der Volksgesundheit.Er schrieb dort:"Ein Freund brachte mir soeben folgenden Zeitungsausschnitt:'Nansen über den SportNansen sprach dieser Tage mit einem schwedischenJournalisten vom Sport. Er kann weder den Namen92 Fridtjof Nansen. Auf Schneeschuhen durch Grönland. Hamburg 189193 Aus: Mathias Zdarsky. Einiges zur Geschichte des alpinen Skifahrens. In: Der Schnee. Wien 1928


noch die Sache leiden. 'Die jungen Leute von heute',sagt er, 'setzen eine Ehre darein, in Rennenund Wettkämpfen zu siegen und alle Rekorde zuschlagen. Das durchaus übertriebene Lob, das manihnen zollt, schmeichelt ihrer Eitelkeit. Aber wasgewinnen sie in Wirklichkeit dabei? Sie geben ihremKörper eine Entwicklung, die nicht harmonisch genanntwerden kann, und werden dann leichter alsndere Leute von Krankheiten, besonders von Tuberkulose,befallen; außerdem verlieren sie jedes Interessefür das praktische Leben und werden schlechteGeschäftsleute und unfähige Staatsdiener, deren Gedankensich nur mit dem nächsten Rennen und Wettkämpfenbeschäftigen. Die Jugend sollte mehr aufsLand, in die Wälder gehenund die Natur studieren. Die Einsamkeit bildet denCharakter. Das moderne Leben ist zu oberflächlich.Man springt von einem Gegenstand zum anderen, willalles kennenlernen, alle Bücher und alle Zeitungengelesen haben, bei allen Vorstellungen und allenVorträgen dabei gewesen sein. Die industrielle Entwicklunghat raschere Fortschritte gemacht als dieEntwicklung des Menschen. Deshalb ist die moderneLiteratur auch so pessimistisch, es fehlt ihr dasGravitationszentrum. Sagen Sie den jungen Leuten,daß sie sich mehr körperlichen Übungen widmen sollen,aber keinen Sport! Sie sollen wie die Prophetendie Einsamkeit in der Wüste suchen.' " 9494 Fridtjof Nansen. In: Mathias Zdarsky. Falsche Lebensgewohnheiten. Ein Beitrag zur Besserung der Volksgesundheit.Wien 193799


Die Fahrweise von MathiasZdarsky und die Arlbergtechnikvon Hannes SchneiderDie Fahrweise von Mathias Zdarsky wurde bereits im ersten Jahrzehntunseres Jahrhunderts von seinen Gegnern total entstelltund dadurch verschüttet. Heute findet sich in keinem einzigenskihistorischen Buch seine Fahrweise richtig dargestellt. Wirwollen uns daher das Wesentliche seiner <strong>Technik</strong> in Ruhe vor Augenführen.Die VorlageDas typische der Fahrweise von Mathias Zdarsky ist die Vorlage.Diese ist bereits im Stand zu üben."Das Körpergewicht ist soviel als möglich nach vornezu verlegen, so daß man das Gefühl bekommt, alsmüßte man fast nach vorne umfallen. Die Fersen dürfennicht gehoben werden. Man steht scheinbar aufder ganzen Sohle, und doch ist die eigentliche Unterstützungsflächenur der vordere Teil des Fußballensund die Zehen. Durch strenges Gewöhnen an dieseStellung lernt man sehr bald, nur durch das Muskelspielder Beine das Gleichgewicht gegen Stößeund Verschiebungen in der Längsrichtung der Fahrtzu bewahren."(1) 95Zdarsky gibt auch verschiedene Möglichkeiten an, im Stehen zuwenden."Alle diese Wendeübungen haben den großen Vorteil,daß der Skifahrer große Vertrautheit in gewagtenKörperstellungen erlangt und ganz besonders lernt,das Körpergewicht rasch von einem Bein auf das anderezu übertragen, eine Fertigkeit, welche nichtgenug geübt werden kann."(16)"Den meisten Anfängern erscheint das Wenden zulangweilig, und sie befleißigen sich, sobald alsmöglich bergab zu fahren...Es ist gar nicht so leicht, auf geneigtem Bodensich so aufzustellen, um sofort mit dem Fahren be-95 Alle folgenden Zitate ohne Angabe der Quelle in einer Fußnote sind der Erstauflage des Buches von MathiasZdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Aleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommen zu beherrschen.Hamburg 1897 (1896) entnommen. Die in Klanmmer gesetzte Zahl im unmittelbarem Anschluß andas Zitat gibt die Seitenzahl in diesem Buch an.100


ginnen zu können. Meistens sucht man sich ein ebenesPlätzchen, von dem man dann leicht die geneigteFläche erreichen kann. Ist dies der Fall, dannbraucht man bloß die Grundstellung genau einzuhalten,also das Körpergewicht stets nur auf die Fußspitzen,aber ohne die Fersen zun heben, zu übertragen.In der Hüfte neigt man sicht etwas vor, unddie Knie sind mäßig, sehr mäßig gebeugt, auf keinenFall darf jedoch der Körper steif gehalten werden.Der Fahrende muß stets das Gefühl haben, daß derOberkörper den ganzen Fahrer zieht."(16)"Der Beginn des Fahrens auf 6 bis 15gradigem Gefälleist nicht leicht, da man nur quer zur Richtungdes fließenden Wassers sicher steht und jedes Abweichenin eine andere Richtung sofort in das Gleitenübergeht und zwar früher als der Übende es beabsichtigt...Schnell, leicht, schön und sicher ist folgende Artdes Beginnens : Angenommen, wir stehen quer zurNeigungsrichtung,... (der linke Ski ist hier derTalski, H.T.), dann müssen wir das Körpergewichtganz auf das rechte Bein übertragen, den Stock aufdie linke Seite führen und mit dem linken Bein einenenergischen Schritt... (talwärts, H.T.) ausführen.Das muß ein sehr entschlossener Schritt sein,denn so schnell wie möglich muß das Körpergewichtvom rechten auf das linke Bein übertragen werdenund ebenso rasch auf das rechte Bein nachspreizen,denn das Fahren beginnt im selben Augenblicke, undwenn wir nicht tadellos vorgeneigt sind, liegen wirsofort. Die ganze Übung nimmt nur soviel Zeit inAnspruch als folgender Befehl: 'Schritt! und fahren!'“(17)“Jerascher man fahren will, desto kräftigermuß der Oberkörper den ganzen Körper ziehen."(47)"Schußfahrt" und "Schrägfahrt"Zdarsky beschreibt im oben wiedergegebenen Zitat, wie man vomStand quer zur Fallinie in das Schußfahren gelangt. Beim Schußfahrenist hier der ehemalige Talski mehr belastet und zurückgestellt.Zdarsky fuhr mit einem Stock. Dieser wurde bei derSchußfahrt auf der Fahrbeinseite nachgezogen. Also auf der Seitedes belasteten Ski. War die Schußfahrt nicht exakt in der101


Fallinie, dann entsprach dies der Talseite. Dies ist wichtigfestzuhalten, denn beim Schrägfahren führte Zdarsky den Stockauf der Bergseite, also auf der Seite des weniger belastetenund vorgestellen Beines. Zdarsky fuhrt die Schrägfahrt abersonst so, wie wir es auch heute tun!"Das rückgestellt, stark belastete Talbein ist fastgar nicht im Knie gebeugt, da es auf stark geneigtenFlächen im Raume tiefer steht. Der Talski mußbeim Schrägfahren deshalb rückgestellt sein, damitman ihn jeden Augenblick als 'Stemmski' zum plötzlichenHaltmachen verwenden könne." 96"Das rückgestellte Bein muß stärker belastet seinals das vorgestellte, denn wenn wir auf ein Hindernisstoßen, so ist der Gegenstoß desto geringer, jeweniger der vorgestellte Ski belastet ist. Aber esist sehr wichtig, daß man deutlich fühlt, man stehenur auf beiden Fußspitzen und gar nicht auf denFersen." 97Beim Schrägfahren ist also der Talski vorwiegend belastet undnachgestellt!"Je nach dem man die Skier mehr oder weniger vonder Waagrechten abweichen läßt, fährt man schnelleroder langsamer. Daraus ergibt sich, daß das Schrägfahrenschon deshalb sehr unterhaltend ist, weilman es so ganz in seiner Macht hat, mit beliebigerGeschwindigkeit zu fahren. Selbstverständlich istmit mäßigen Geschwindigkeiten zu beginnen. Man wirdbald merken, daß die ursprüngliche Richtung nichteingehalten wird, da man stets gegen den Berg abgelenktwird, was zum Stillstande führt. Diese Beobachtungmuß man sich zu Nutze machen, weil sie esist, welche dem Skifahren die größte Vielseitigkeitund unbedingte Sicherheit verleiht, denn in ihrwurzelt das Stemm- und das Bogenfahren. Versuchenwir festzustellen, wodurch das Ablenken gegen denBerg verursacht wird. Aus der Stellung des Z. imBilde 19 ('Stand auf steilem Hange.' H.T.) ersehenwir, daß die bergwärts gerichteten Kanten der Skierin den Schnee mehr eingreifen als die talabwärtsgerichteten. Bei halbwegs hartem Schnee berühren96 (Mathias Zdarsky/ Rudolf Wahl). Anleitung für den Gebrauch und die militärische Verwendung der Ski undSchneereifen (Entwurf.). Wien 1908vgl. Erwin Mehl. Oberst a.D.Rudolf Wahl - Ein Beitrag zur Geschichte des österr. Heeresschilaufes. In: Zdarsky-Blätter. Folge 27. Lilienfeld 198497 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)102


die talwärts gestellten Kanten überhaupt den Schneegar nicht. Die Bauart des Ski ist jedoch derart,daß die Breite des Ski unter dem Fuße am schmälstenist, das Fersenende ist um 1 cm breiter, die breitesteStelle der Spitze, dort wo die Spitze sich zuheben beginnt, ist wieder um 1 cm breiter als dasFersenende. Die Skikante ist also ein Teil einerkreisförmig gearteten Kurve. Durch den <strong>Dr</strong>uck, demder Ski ausgesetzt ist, gewinnt diese Kurve nochmehr Kreisähnlichkeit. Aus dieser Kantenform ergibtsich schon die bogige Richtung der Fahrbahn. Wennman aber bedenkt, daß wir den Schwerpunkt in derRichtung nach dem Kreismittelpunkt verschieben, daßwir auf derselben Seite mit dem Stocke einen Reibungsfaktorhervorrufen, und daß schließlich dieaufgebogene Skispitze, sobald sie Widerstand findet,ebenfalls nach der Bergseite ablenken muß, sowird uns klar, daß durch die Zusammenwirkung alldieser Faktoren eine bogige Fahrrichtung entstehenmuß." (33)Für das Verstehen der Fahrweise Zdarskys ist diese Feststellunggrundlegend: Er hat erkannt, daß das Schrägfahren bereits einBogenfahren ist, und daß man dieses durch verschiedene Maßnahmenverstärken kann."Jede Abweichung von der geraden Fahrrichtung wird'Bogen' genannt, daher die vielen Streitfragen überdas Bogenfahren. Die einfachste Art des Bogenfahrensentsteht, wenn wir, seitwärts neigend, dieSkier im gleichen Sinne kanten." 98"Will man das Schrägfahren unterbrechen, so brauchtman bloß die Fahrrichtung gegen den Berg abzuändern,d.h., man neigt sich mehr gegen den Berg, mankantet stärker die Skier, man belastet mehr denStock."(33)Oder man nimmt die sogenannte "Stemmstellung" ein, die das"Schrägfahren" zum "Stemmfahren" ändert, wodurch man ebenfallszum Anhalten kommt."Sobald wir in die Stemmstellung übergehen wollen, müssenwir zuerst das ganze Körpergewicht nur auf dasBergbein übertragen. Das treffen wir nur dann, wennwir das Knie des Bergbeines stark beugen." 99Das "Stemmfahren"98 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)99 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907103


Wie erfolgt der Übergang vom Schrägfahren zum Stemmfahren?"Der Stock ist auf der Bergseite. Das Stockbeinwird um eine Schuhlänge nach rückwärts geschoben.Aus dieser Stellung wird es um eine Schuhlänge vordas Standbein geschoben. Beide Knie sind gestreckt.Das vorgestellte Bein wird im Knie so stark gebeugt,als es unser Fußgelenk erlaubt. Das rückgestellteBein, also das Talbein, ist im Knie ganzgestreckt und vollkommen entlastet. Der Talski wirdnach innen gekantet und mit dem Fersenende derartnach außen geschoben, daß dabei der Schnee gestreicheltwird. Diese Stellung heißt Stemmstellung." 100"Die geringste Andeutung dieser Stellung genügt,dem Schrägfahren sofort jede gewünschte Mäßigung zugeben. Aus dieser Stellung lassen sich überhauptdie interessantesten Skibewegungen ausführen, deshalbwurde ... die Stellung zum Stemmfahren als dasAllerwichtigste des Skifahrens im Gebirge hervorgehoben."(35/36)"Die Anwendung dieser Stellung geschieht entwederauf die Dauer oder nur momentan. Im ersten Falleist es das Stemmfahren, im zweiten ist es das Bogenfahren."(36/37)"Der Ski des Standbeines gibt die Fahrrichtung an,der Ski des Stemmbeines hemmt die Fahrgeschwindigkeit."(38)Der "gewöhnliche Bogenschwung""Es wurde ... erwähnt, daß die momentane Anwendungder Stemmstellung das Bogenfahren zur Folge hat.Verschieden wie die Bogenformen sind auch die Stellungen,welche man dabei annimmt, aber alle entsprechenin ihrem Typus der Stemmstellung. Dieschwächste Andeutung der Stemmstellung bewirktschon ein Abweichen von gerader Bahn. Dieses mäßigeAbweichen kann wieder nach und nach entstehen, sodaß die zurückgelegte Bahn einem sanften Bogengleicht; oder die mäßige Abweichung geschiehtplötzlich, so daß die sonst gerade Bahn an dieserStelle eine kleine Krümmung aufweist. Im erstenFalle wurde das Körpergewicht unmerklich auf daseine Bein mehr verlegt, unbedeutend wurden dieSkier im selben Sinne gekantet, und der Stock wurdegleicherweise im selben Sinne etwas belastet. Derund in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)100 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)104


Blick geht der Bewegung weit voran. Man kann sagen,wohin der Blick, dorthin der Skifahrer."(39)"Im zweiten Falle, wenn man also bloß eine kleineAbweichung von der Bahn erzielen will, z.B. um einenStein, Stock oder Baum auszuweichen, macht manmit beiden Skispitzen gleichzeitig einen Ruck nachder Seite, nach welcher man an dem Hindernis vorbeiwill. Die Körperbewegung ist dabei folgende: Angenommen,daß gerade vor dem Skifahrer ein Baumstumpfsich befindet, dem der Fahrer so ausweichen will,daß der Baumstumpf links liegen bleibt, dann müssenalso die Skispitzen mit einem Ruck von der Bahnnach rechts gebracht werden. Dies wird durch eineähnliche Schrägstellung der Füße erreicht, wie siefür einen Fuß bei der Stemmstellung beschriebenwurde. Man lese dort noch einmal über diesen Punktnach. Dort wird erklärt, warum man, um mit derSpitze nach innen zu richten, nicht die Fußspitzennach innen, sondern die Ferse nach außen, also nachder entgegengesetzten Richtung, drehen müsse. Genauderselbe Vorgang ist auch hier. Wollen wir die beidenSkispitzen mit einem Ruck nach rechts bringen,so werden wir nicht die Fußspitzen nach rechts,sondern die beiden Fersen mit einem Ruck nach linksdrehen; das gelingt uns viel leichter, wenn wir denStock nach rechts einsetzen und das Körpergewichtnach rechts neigen."(40)"Das kräftige, energische Fersendrehen wird dadurcherreicht, daß wir dem Körper von der Ferse bis zumKreuz einen Schwung nach seitwärts geben, wobei wirdie Knie und die Hüften mäßig gebeugt halten, denKörper also vorneigen. Um im oben gewählten Beispieledem Baumstumpf nach rechts auszuweichen,werden wir diese Übung folgenderweise anwenden :Während der Fahrt setzen wir den Stock nach rechtsund drehen mit einem kräftigen Ruck den etwas nachrückwärts geneigten Unterkörper nach links, dadurchhaben wir die Fersen auch nach links gedreht, dieSkispitzen also nach rechts gerichtet, und wir fahrenmit unfehlbarer Sicherheit rechts an dem Hindernisvorbei. Je nach der Heftigkeit der <strong>Dr</strong>ehungdes nach rückwärts geneigten Unterkörpers (natürlichmit Vorneigen des Oberkörpers) wird auch dieAblenkung von der Bahn eine verschiedene sein."(41)"Diese Art des Bogenfahrens, also der gewöhnlicheBogenschwung, genügt aber nicht, wenn einer odermehrere große, scharfe Bögen, Halbbögen, gefahrenwerden sollen... Das Bezeichnende dieser Bögen istder Halbkreis für sich, Kreisschwung genannt, oderdie Aneinanderreihung von Halbkreisen zu einerSchlangenlinie (Schlangenschwung)."(42)105


Der "Kreisschwung""Dieser Halbkreisschwung oder Kreisschwungschlechtweg wird genau so ausgeführt, als ob mandie Stellung zum Stemmfahren einnehmen wollte. DerUnterschied besteht nur darin, daß wir nicht gegenden Berg, sondern nach dem Berg fahren.Betrachten wir genau das Bild 30. Sowohl E. alsauch Z. sind ursprünglich von rechts oben nachlinks unten gefahren. Plötzlich sahen sie einen ca.10 m tiefen, steilwandigen Windtrichter vor sich.E. blieb sofort stehen, indem er seine Schrägfahrstellungin die Stemmstellung links änderte. Z.,der dem oben überhängenden Rand das Tragen einesMenschen nicht zutraute, änderte seine Bahn durcheinen Kreisschwung nach links, indem er Stemmstellungrechts einnahm. Aus dem Bilde ist zu ersehen,daß E. durch die Stemmstellung links gegen den Berggelenkt wurde, also zum Stillstand kam, dagegen Z.,der dem E. analog fuhr, durch die Stemmstellungrechts nach links, also bergab abgelenkt wurde. A-ber das unveränderte Verharren in der Stemmstellungverursachte das immerwährende Abweichen nach links,also schließlich auch gegen den Berg, d.h. bis zumStillstande. Es wurde schon früher betont, daß dasstemmende Bein entlastet sein muß sonst gelingt esnicht, die Skispitzen dicht beisammen zu behalten."(43)Der "Schlangenschwung""Steile Hänge kann man durch rasche Anreihung vonkurzen Kreisschwüngen in angenehmer und doch äußerstschneidiger Fahrt herabsausen. Derart ununterbrochenangereihte Kreisschwünge werden Schlangenschwunggenannt. Gerade so wie mäßig gekrümmteBögen keine Kreisschwünge sind, sind wellige Fahrtrichtungsänderungenkeine Schlangenschwünge. Aberdie sich überall breitmachende Laienhaftigkeit istum Bezeichnungen nicht verlegen und sie läßt krummgetreteneWürmer zu Schlangen werden." 101"Der Schlangenschwung ist nicht nur oft nötig, umHindernissen auszuweichen, sondern ist eine angenehmeFahrart, um große Geschwindigkeiten zu mäßigen...Die <strong>Technik</strong> des Schlangenschwunges unterscheidetsich von der des Kreisschwunges nur durch die wechselndeFortsetzung. Angenomme, daß Z. im Bilde 30101 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)106


statt des Kreisschwunges einen Schlangenschwungausführen sollte, so hat er bereits den ersten Teilvollendet, und hätte den Kreisschwung nach rechtsan den schon nach links gemachten anzuschließen. Zudiesem Zwecke wird Z. nach schräg vorwärts weiterfahren,wenigstens so lange, bis beide Skier in derFahrrichtung parallel stehen, was schon nach ca.2 Meter Bahnlänge der Fall ist; dann wird Z. daslinke Bein stemmend einsetzen, also den Stock vonlinks nach rechts umsetzen, das Körpergewicht aufdas gebeugte rechte Bein und den Stock übertragen,...Obzwar der Schlangenschwung also nur eine Zusammensetzungvon Kreisschwüngen ist, so erfordert dennochdas rasche Umsetzen des Stockes bei jedemKreisschwungwechsel sehr viel Gewandtheit und Kaltblütigkeit.Besonders das Übertragen des Körpergewichts,wie es beim Kreischwungwechsel erforderlichist, von dem bergaufwärts stehenden gebeugten Beinauf das berabwärts gestellte Stemmbein, wobei dasStemmbein durch Beugen zum Standbein, das frühereStandbein durch Strecken zum Stemmbein wird, machtden Anfängern viele Schwierigkeiten, weil sie sichnicht getrauen, genügend bergabwärts sich vorzubeugen."(43/45)Das VorschaukelnZdarsky unterscheidet zwischen einer "Fahrstellung" und einer"Stemmstellung". Bei der Fahrstellung ist immer das nachgestellteBein ausschließlich oder zu mindest mehr belastet. Diese"Fahrstellung" wird beim "Schußfahren" und beim "Schrägfahren"eingenommen."Während der Fahrt in der Richtung der Fallinie istdas vorgestellte Bein gestreckt und entlastet, dasrückgestellte Bein gebeugt und belastet." 102Beim Schußfahren fährt man mehr oder weniger auf der ganzenSkifläche, während man beim Schrägfahren vorwiegend die bergseitigenKanten belastet. Beim Schußfahren wird der Stock aufder Seite des mehr belasteten, nachgestellten Ski, beim Schrägfahrendagegen auf der Seite des weniger belasteten, vorangestelltenBergski geführt.102 (Mathias Zdarsky/Rudolf Wahl). Anleitung für den Gebrauch und die militärische Verwendung der Ski undSchneereifen (Entwurf.). Wien 1908107


"Gegen das seitliche Stürzen soll uns der Stockschützen. Zu diesem Zwecke müssen wir stets denStock nur als Tastorgan betrachten. Mit unserer aktivenKraft können wir ihn belasten, aber sobaldwir ihn mit unserem Körpergewicht beschweren, begehenwir einen Fehler. Nachweisen, ob man den Stockrichtig oder falsch belastet hat, können wir dadurch,daß wir den Stock heben. In aktiver Belastunggelingt uns das Stockheben sofort, in passiverBelastung erst dann, bis wir den Körper erst aufrichten;allerdings ist dies letztere nicht immerleicht durchzuführen." 103Bei der Stemmstellung wird der vorangestellte, bergseitige Skivoll belastet, während der Talski vollkommen unbelastet nachhinten ausgestemmt wird. Der Stock wird wie beim Schrägfahrenauf der Bergseite geführt.Der Übergang vom Schrägfahren zum Stemmfahren bedarf also keinesStockwechsels. Es wird bloß das Gewicht vom gebeugten hinterenFahrbein auf das vorangestellte Bergbein vorgeschaukelt.Dies geschieht durch Strecken des Talbeines und vorallem durchruckartiges Beugen des vorderen Bergbeines. Dieses Vorschaukelnentspricht dem "löschwiegenartigen" 104 Gewichtübertragen beimGaloppen, wie es auch bei der Landung nach dem Springen erfolgt."Der Niedersprung erfolgt auf beide Beine, aber imGalopptempo, es berührt also der etwas vorgestellteFuß ein klein wenig später das Schneefeld."(24)Dieses vorschaukelnde Gewichtübertragen ist für die "Zdarsky-<strong>Technik</strong>" ganz wesentlich.Zdarsky hat, wie schon erwähnt, das Schrägfahren bereits alsBogenfahren erkannt. Wir können daher sagen, daß durch das Vorschaukelnvom Schrägfahren zum Stemmfahren der Bogen zwar gebremstaber vorallem verstärkt wird. Mit diesem bremsendenVerstärken des Bogens bereitete Zdarsky in seinem "Kreisschwung"den "Bogen-Wechsel" in die andere Richtung vor.103 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)104 vgl. Alois Weywar. Die bewegungsphysiologischen Grundlagen des Schilaufes.In: Alois Weywar. Beiträge zur organischen Bewegungsanalyse. Ahrensburg 1983und in: Leibesübungen Leibeserziehung .Wien 1956/10108


Das Verlagern des Bogen-ZentrumsWir halten also fest. Für Zdarsky ist der Schwung eigentlichein Bogen-Wechsel.Der Bogen wird im Schrägfahren am bogenäußeren Talski begonnenund dann durch umsteigendes Vorschaukeln auf dem bogeninnerenBergski zuende-gefahren. Nun kommt erst der Bogen-Wechsel. DerKörperschwerpunkt und der Stock müssen hierfür auf die andereSeite der Skier. Dadurch wird ein neues "Bogen-Zentrum" geschaffen.Das Verlagern des Bogen-Zentrums erfolgt durch Streckendes gebeugten und voll belasteten Bergbeines und durchtorsionsfreies <strong>Dr</strong>ehen des Rumpfes im Hüftgelenk des Bergbeinesvor-talwärts. Der bisherige bogeninnere, noch voll belasteteund auf der Bergkante geführte Bergski stellt sich dadurchflach und driftet mit seiner Spitze talwärts. Der Bogen-Wechselist dadurch erfolgt. Der ehemalige bogeninnere Bergski wird unmittelbarmit dem Beginn des <strong>Dr</strong>iftens bogenäußerer Ski. Erbleibt noch bis zur Fallinie Bergski, und driftet einige Zeitnoch auf der bogenäußeren Kante. Noch vor der Fallinie kanteter sich um, und wird dann vorne schneiden.Flachstellen und <strong>Dr</strong>iftenIch verwende das Wort "<strong>Dr</strong>iften" eindeutig definiert. Dies mußfestgehalten werden, da dieses Wort auch einfach anstatt "Rutschen"im Gegensatz zu "Schneiden" oder "Carven" verwendetwird. Bei mir ist nicht jedes "Rutschen" auch ein "<strong>Dr</strong>iften".Nur das bogeneinwärts Rutschen auf der bogenäußeren Skikantebezeichne ich als "<strong>Dr</strong>iften". Als "Schieben" bezeichne ich dagegenein bogenauswärts "Rutschen" auf der bogeninneren Kante.Geschieht dieses Schieben im vorderen Skibereich als "Schaufelschub",dann kann dieser den "Bogenwechsel" (den Schwung) einleiten.Ist dieser erfolgt, dann wird aus dem bogenauswärtsSchieben am Beginn des neuen Bogens ein <strong>Dr</strong>iften. Dieses verringertden Bogenradius genauso wie das Schneiden.109


Der neue Bogen wird auch bei Zdarsky auf dem bogenäußeren Skidriftend begonnen. Vor der Fallinie erfolgt dann am Außenskidas Umkanten. Wie lange die Außenskibelastung dann weiter beibehaltenwird, das ist für die Grundtechnik des Schwunges unerheblich.Auch ist für diese nicht relevant, wie lange mit derAußenskibelastung gebremst wird, und zu welchem Zeitpunkt man,um den nächsten Schwung (den Bogen-Wechsel) vorzubereiten,durch Vorschaukeln auf den Innenski zum Stemmfahren übergehtoder den Bogen mit Außenskibelastung im Schrägfahren auslaufenläßt. Für den Schwung, - für die <strong>Technik</strong> des Bogenwechsels -ist es auch nicht von Bedeutung, ob man nach dem Vorschaukelnwieder zurückschaukelt, etwa um mit Außenskibelastung zu bremsen,und ob man nach dem Bremsen in der Fahrstellung desSchrägfahrens weiterfährt. Es ist auch unerheblich für dieSchwungtechnik, ob man mit "Stemmstellung" (mit Innenskibelastung,d.h.mit Stemmen des unbelasteten Ski) oder mit "Stemmlage"(mit Außenskibelastung, d.h. mit Stemmenm des belastetenSki)die Geschwindigkeit zu verringern sucht.Mathias Zdarsky hat bei seiner eigenen Fahrweise das Stemmfahrenzum Bogenende auflöst und den unbelasteten bogenäußerenTalski parallel herangeführt. Der "Schlangenschwung" erfolgtalso nicht aus der Stemmstellung heraus, sondern aus einer vonZdarsky nicht eigens benannten Stellung mit paralleler Skiführungund mit Bergskibelastung. Die Bogen-Wechsel selbst erfolgtenbeim "Schlangenschwung" aber ebenfalls durch <strong>Dr</strong>iften vombogeninneren Bergski weg."Ist der vorgestellte Bergski nach außen (bergwärts)gekantet, so kommt man bald von der Fahrrichtungab und gegen den Berg zu fahren, schließlichzum Stehen. Indessen genügt es nicht, denBergski flach zu halten; er muß unbedingt auf seineInnenkante (talwärts) schwach geneigt werden. Durchdieses Kanten des Bergski lernt man die Ski nachBelieben zum oder vom Berge zu lenken." 105Die einzelnen Bögen des Schlangenschwunges beginnen also parallelund werden ohne Umsteigen auf einem Ski gewechselt. Erstnach dem Bogen-Wechsel (nach dem Schwung!) und nach dem paral-105 (Mathias Zdarsky/Rudolf Wahl). Anleitung für den Gebrauch und die militärische Verwendung der Ski undSchneereifen (Entwurf.). Wien 1908110


lelen Beginn des Bogens am bogenäußeren Ski erfolgt das vorschaukelndeUmsteigen auf den scherenden Innenski mit unmittelbarerEinnahme der Stemmstellung, um die Fahrt zu bremsen.Die "Stemmlage"Später empfahl Zdarsky seinen Anfängern, um stärker Bremsen zukönnen, die Einnahme der "Stemmlage", d.h. das Belasten des bogenäußerenStemmski."Schnee, der den Stemmski packt, muß zarter gestemmtwerden; ebenso muß die zweite Hälfte des Bogensnur auf dem Stemmski gefahren werden." 106Für die Anfänger ließ er auch das parallele Zusammenführen derSkier zum Bogenende weg und definierte den "Schwung" als raschen"Stemmstellungs-Wechsel" während der Fahrt, also alsbeinspielenden "Galopp-Wechsel".Die "Zwangsgrätschstellung"Um den Ablauf für den Anfänger überschaubar zu machen, verzögerteer in seinem Lehrweg den Bogen-Wechsel durch Einnehmeneiner "Zwangsgrätschstellung", die erst nach Überfahren derFallinie aufgelöst wurde. Diese "Zwangsgrätschstellung" darfaber nicht mit einem "Pflug" verwechselt werden. Das Wesen desPfluges ist das Wegstemmen des Schnees durch mehr oder wenigerAufkanten. Gerade dies soll aber bei der Zwangsgrätschstellungvermieden werden. Die Skier sind vollkommen flach zu stellen.Nur so kann der neue bogenäußere, vorwiegend belastete Bergskitalwärts driften, was ein Wesensmerkmal der Zdarsky-<strong>Technik</strong>ist."Nehmen wir an, daß wir auf einem Hange stehen,derart, daß das rechte Bein das Bergbein ist. Wennwir aus dem Stande in das Stemmfahren übergehen, soruht das ganze Körpergewicht auf dem rechten, imKnie stark gebeugten Beine. Der linke Ski ist umeine Schuhlänge hinter dem rechten, und sein Fersenendeist eine Schrittweite breit von dem Fahrski106 (Mathias Zdarsky/Rudolf Wahl). Anleitung für den Gebrauch und die militärische Verwendung der Ski undSchneereifen (Entwurf.). Wien 1908111


entfernt. Der Stock ist kurz auf der Bergseite eingesetzt,die Skier ruhen auf der rechten Kante. Nunbeginnt man das Körpergewicht langsam nach und nachauf das Stemmbein zu übertragen. Gleichzeitig hebenwir den Stock auf und führen ihn auf die andereSeite : da dabei der Oberkörper sich von rechtsnach links wendet, so erfolgt sofort die Phase, daßwir in der Richtung des fließenden Wassers fahren.Dabei stehen die Skier vollkommen flach im Schnee,beide Beine sind gestreckt in mittelgroßer Zwangsgrätschstellung.Das dauert aber nur einen Bruchteileiner Sekunde, denn da wir uns bemühen, denStock immer weiter von rechts nach links umzusetzen,so übertragen wir unser Körpergewicht immermehr vom rechten auf das linke Bein. Dieses wirdplötzlich gebeugt, das gestreckte rechte wird etwaszurückgehalten und der Bogen ist fertig. Einfachkann man also sagen: Der Kreisschwung ist einStemmstellungswechsel während der Fahrt, dabei gibtes aber dennoch allerlei Feinheiten zu beachten..."107Funktionalität statt Formbezogenheit"Es wäre aber grundfalsch, wenn der Anfänger gleichalle diese Feinheiten lernen wollte. Mit bescheidenenResultaten muß er sich begnügen. Man verlangenicht sofort Eleganz. Ist es doch auf allen Gebietenso, daß Übung den Meister macht. Wer eine fremdeSprache lernt, kann nicht gleich in elegantemStil Abhandlungen in dieser ihm fremden Spracheschreiben.Richtig soll zuerst etwas gemacht werden, aber dieses'Richtige' darf nicht auf die Form, sondern nurauf das Resultat angewendet werden. Richtig ist einKreisschwung des Anfängers, wenn der Sturz leichtvermieden wurde. Die Schlagworte für den Kreisschwunglauten: Stemmstellung! Stock umsetzen! Skiflach! Fersen auseinander! Vorlegen! Stemmstellung!"108"Wer den Kreisschwung vollkommen beherrscht, wirdaus der aufrechten Schrägfahrt plötzlich das Bergbeinbeugen, gleichzeitig das Talbein in gestreckterHaltung zur Stemmstellung zurückführen. Kaumdaß diese wippende Bewegung ausgeführt ist, wirdder Stock umgesetzt, wobei das <strong>Dr</strong>ehen des Körpers107 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)108 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)112


von der Bergseite zur Talseite das Wichtigste ist.In diesem Moment sind beide Knie wieder gestreckt,die Skispitzen frontal dicht nebeneinander, dieFersenenden der Skier weit auseinander, die Skier,die zu Beginn des Schwunges bergseitig gekantet haben,sind jetzt vollkommen flach gestellt.Die geringste Neigung des Ski auf die Kanten machtden Schwung unmöglich. Dieser Stand in der Zwangsgrätschstellungmit vorgelegtem Oberkörper in derschärfsten Phase ist der Prüfstein für Sicherheitund Mut. Allerdings dauert eben diese schneidigsteStellung nur die kürzeste Zeit, und zwar desto kürzer,je besser der Fahrer ist.Der Stock ist in diesem Moment nicht eingesetzt,sondern wird erst dann wieder in den Schnee gestellt,wenn der Fahrer aus der Richtung des fließendenWassers durch weiteres, sinngemäßes <strong>Dr</strong>ehendes Oberkörpers zur Stemmstellung übergeht, wobeidiese wieder plötzlich, also wippend, ausgeführtwerden soll." 109Die BeckenkurbelBei Zdarskys "Schlangenschwung" geht es nicht darum, die Skiendenauf die andere Seite des Körpers zu drehen, sondern denKörper vorne auf die andere Seite der Skier zu bringen und dadurchein neues Bogen-Zentrum zu eröffnen. Es geht dabei darum,den belasteten Fahrski (den bisherigen Innenski, den Bergski)mit dem Körper nicht zu schieben, sondern zu ziehen. Der Körpergeht voran. Dieser erzeugt das <strong>Dr</strong>iften.Beim "Schlangenschwung" handelt es sich also um eine ganz andere<strong>Technik</strong> als beim "gewöhnlichen Bogenschwung" Zdarskys. Beidiesem werden die Skier geschoben. Sie werden auf die andereSeite des Körpers gedreht. Hierfür sind andrehende Kräfte erfoderlichund eine reibungvermindernde Entlastung. Die Kräftewerden im Rumpf entwickelt. Der Unterkörper wird durch eigeneMuskelkräfte gegen den Oberkörper gezogen und gedreht. DieseBeckenkurbel dreht die Skier. Es müssen dabei keine für das<strong>Dr</strong>ehen und Umlasten erforderlichen äußeren Reaktionskräftedurch Treten auf die Piste erzeugt werden. Die Beckenkurbel,109 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)113


die in verschiedenen Varianten und in unterschiedlichen Dosierungendie offenen und verschleierten Rotationstechniken prägt,kann allerdings auch mit einem Abstoß von der Piste kombiniertwerden.Die BeinspieltechnikDer "Schlangenschwung" nützt - als kraftsparende <strong>Technik</strong> - vorwiegenddie Schwerkraft aus. Der ganze Rumpf dreht sich imHüftgelenk - der Schwerkraft folgend - talwärts. Hierfür müssenkeine Muskelkräfte aufgewendet werden. Im Gegenteil : die Haltearbeitwird beendet, indem man im Hüftgelenk die Fixierunglöst. Das Standbein wird dann gegen den sich passiv vordrehendenRumpf aktiv gegengedreht, was das <strong>Dr</strong>iften verstärkt, bzw.das Umkanten reguliert und den Fersenschub bewirkt. Dies geschiehtalso durch Beinspiel! Es ist dies genau jene Bewegung,die erbkoordinativ den "Galopp-Wechsel" prägt. Der "Zdarsky-Schwung" hat also im Grund nichts mit dem zu tun, was heute inden Skischulen als "Stemmbogen" bezeichnet wird.Es ist daher verständlich, daß Zdarsky den Stemmbogen der20er Jahre als Karikatur bezeichnete. Denn dieser beruhte aufder Pflugstellung und dem kraftvoll schiebenden <strong>Dr</strong>ehen des. belastetenbogenäußeren Beines.Hannes SchneiderDen Stemmbogen nach dem "Pflug-Prinzip" ("Paßgang-Prinzip")hatte auch Hannes Schneider in seiner Jugend im Jahre 1902 vonViktor Sohm gelernt. Anfangs ist er damit auch gut zurecht gekommen.Es war dies jene von den nordischen Pflug- und Telemark-<strong>Technik</strong>engeprägte Fahrweise, wie sie auch von Georg Bilgeri,Wilhelm Paulcke und von den norwegischen Skilehrern inÖsterreich propagiert wurde. Um zu schieben, wurde von einem114


elasteten Stemmski auf den anderen umgelastet und eine tiefeHaltung mit Rücklage eingenommen.Im Jahre 1909, also 13 Jahre nach der Veröffentlichung vonZdarskys "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>", schrieb nochWilhelm Paulcke:"Beim Lehren der Abfahrtsübungen pflege ich folgendermaßenzu verfahren: Grundstellung - Knie zusammen- Schmalspur - ganzer Schneepflug (beide Absätzenach auswärts drücken, Skispitzen nahe aneinander!) wieder Schmalspur - Schneepflug etc.. inwiederholtem Wechsel, schließlich vollständiges Anhaltendurch Bremsen mit ganzem Schneepflug. DasSchmalspurlaufen wird anfangs nur auf ganz kurzeStrecken eingeschaltet, damit die Fahrgeschwindigkeitnicht zu groß wird, so daß der Anfänger stetsohne Mühe in die Schneepflugstellung gehen kann undauf diese Weise von Anfang an schon das Gefühl einergewissen Beherrschung der Abfahrtsgeschwindigkeitund seiner Ski bekommt. Nach dieser Vorübungbeginnt das Bogenlaufen, indem der Schüler lernt,aus der Schmalspur statt in die ganze in die halbeSchneepflugstellung zu gehen. Erst wenn diese Übungaus der Schmalspurstellung nach beiden Seiten biszum Halt quer zum Hang geht, wird begonnen, währendder Fahrt aus der halben Schneepflugstellung linksüber die ganze Schneepflugstellung in die halbeSchneepflugstellung rechts zu gehen, also in Bogenlinieabzufahren." 110Es wird hier der "Stemmstellungs-Wechsel" Zdarskys zu kopierenversucht. Daraus wird aber bloß ein "Halbpflugstellungs-Wechsel" mit Umlasten vom belasteten Stemmski weg. Also genaudas Gegenteil der "Zdarsky-<strong>Technik</strong>". Jenes Umlasten vom belastetenStemmski weg führt zwangsläufig zu der Absicht, denunbelasteten Ski in die kommende Schrägfahrrichtung, also überdie Fallinie hinüber, zu drehen bzw. zu stellen. Dies entsprichtdem erbkoordinativen "Leistungsmuster" des "Paßganges",das dem Pflugfahren zugrundeliegt. In den Ratschlägen von CarlJ. Luther, die dieser zwei Jahre später im Jahr 1912 gab, kommtdies deutlich zum Ausdruck. Luther führte aus:"Bilgeri und sein Kreis, zu dem ich mich zähle,sammelten die skitechnischen Erfahrungen, zergliedertendie einzelnen Hilfen und bauten auf die gemeinsamenBerührungspunkte dieser verschiedenen110 Wilhelm Paulcke. Erziehung zum Skilauf. In: Ski-Chronik 1909/10, Jahrbuch des Mitteleuropäischen Ski-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 2. Jahrgang, Karlsruhe 1910115


Hilfen eine Lehrmethode auf. In der zweifellosrichtigen Annahme, daß man die Skischüler von vornhereinfür das Fahren in jedem Gelände ausbildenund ihnen die empirische Anpassung an das Geländeersparen müsse." 111Es ging also darum - dem militärischen "Bilgeri-Geist" gemäß -dem Schüler alles exerziermäßig vorzuschreiben und die eigeneErfahrung der Schüler und damit das Gelände als Lehrmeisterauszuschalten. Die "Hilfen" für den zweiten Fahrtag beschriebLuther so:"Die Übungen des zweiten Vormittages aber sind:Stemmstellung und Stemmfahren mit der Erklärung ihrerbremsenden Wirkung. Beidseitig erklären und ü-ben lassen. Dann die Erklärung, daß Richtungsänderungenin der Abfahrt vornehmlich durch eine Verschiebungeines Ski zur bisherigen Fahrrichtung erfolgen,und daß diese Verschiebung in erster Linieeben die Stemmstellung ist. Dann Stemmbogen durchGewichtverlegung auf den Stemmski. Wiederum beidseitigund anfangs am sanft geneigten Hang, späteran steilerem Hang und dann vom Hang. Dann beidseitigesStemmen oder Schneepflug, Schneepflugbogenund Schneepflughalt. Immer beidseitig. Diese Übungenwerden den Vormittag voll ausfüllen. Nachmittags:eingehende Wiedererklärung des bisherigenProgramms und dann ein kleiner Bummel mit Anwendungdes Gelernten." 112Nun war die Verwirrung perfekt: Für das Fahren mit belastetemStemmski wird nun der Terminus "Stemmfahren" okupiert, den MathiasZdarsky für das Fahren mit unbelastetem Stemmski geprägthatte. Durch diese gezielte Sprachverwirrung des "Bilgeri-Kreises" wurde die Zdarsky-<strong>Technik</strong> nun endgültig verschüttet.Es wurde mit Zdarskys Worten nun das Gegenteil von dem bezeichnete,was er hierfür - mit exakter Definition - als ersterSkitheoretiker festgelegt hatte. Der Kampf der Bilgeri- undPaulcke-Kreise gegen Mathias Zdarsky und seinen alpinen Torlaufwar unerbittlich. Paulcke herrschte wie ein "Skipapst", und111 Carl J. Luther. Skitechnik, Skikurse und Kursleiter. In: Ski-Chronik 1912. Jahrbuch des MitteleuropäischenSki-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 4. Jahrgang, Karlsruhe 1912112 Carl J. Luther. Skitechnik, Skikurse und Kursleiter. In: Ski-Chronik 1912. Jahrbuch des MitteleuropäischenSki-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 4. Jahrgang, Karlsruhe 1912116


kaum jemand wagte damals den Namen "Zdarsky" in den Mund zunehmen. Ignorieren und Verschütten war angesagt.Für den "Abfahrtslauf" und für das "Hindernisfahren", dasZdarsky einführte, gab es im Lager der Zdarsky-Gegner trotzdemzaghafte Stimmen. Der Name "Zdarsky" wurde dabei aber selbstredendnicht erwähnt. So schrieb Sepp Bildstein als "Grabgesang"des "Mitteleuropäischen Skiverbandes - kurz vor seiner Auflösungim Jahre 1913 - in der Zeitschrift dieses Verbandes anklagend:"Abfahrtslauf: Er ist das Sorgenkind der Berge;könnten sie reden, diese stolzen, eisigen Schweiger,sie würden fluchend sich verwahren, daß manihr Kind trotz seiner reichen, fülleschweren Erbschaftso verleugne...Skilauf und Alpen kannten sich lange nicht; da diesgeschah, bekam der Skilauf eine höhere Weihe, ja erwurde etwas anderes. Wenn ihn heute ein echtes,künstlerisches Kleid ziert, hat er es in unserenBergen angezogen...Der Skilauf in den Alpen hat eine zu individuelle,künstlerische Natur, als daß er sich mit anderenLäufen über einen Leisten schlagen ließe...Wir marschieren heute noch in zwei getrennten Lagern;ein schwaches Hundert steht im Banne der Rennen(Langlaufartige Rennen H.T.), tausende aberfolgen der natürlichen Entwicklung. Gingen die Wegebeider zusammen, wäre die Entwicklung eine vielreichere. Die Rennen wären mehr besucht, die Kunstdes Laufens käme unter die Massen. Heute sind diebesten Beherrscher des Alpengeländes, in unseremSinne die besten Skiläufer, nicht unter den Rennteilnehmernzu suchen; die fahren oft erbärmlich,wie die Augenzeugen vieler Rennen zu erzählen wissen...Um die durch die Vernachlässigung des Abfahrtslaufesfühlbar gewordene Lücke auszufüllen, wurdenHindernisläufe eingeführt. Natürliche und künstlicheHindernisse aller Art sollen auch das Kunstvolleam Skilauf zeigen. Der Hindernislauf ist auchheute der einzige schwache Vertreter, weil er niedie Größe und Gediegenheit des eigentlichen Abfahrtslaufeserreicht. Die Gefahr des zuviel Künstlichenliegt hier sehr nahe; doch offenbart uns derrichtige Hindernislauf vielmehr den wahren Skiläuferals jeder Dauerlauf...Die Leute, die so sehr auf der Einführung norwegischerDauerläufe in den Alpenländern bestehen,scheinen nicht zu begreifen, daß Erfolge nicht nur117


durch platten Willen, sondern auch durch Befähigungerreicht werden können." 113Die Gegner Zdarskys setzten, nachdem der Langlauf in den Alpennicht so richtig in Gang kam, neben dem Sprunglauf besondersauf den publikumswirksamen "Kustlauf". Dies hatte einen ganzeinfachen Grund. Überall in den Wintersportgebieten trafen dienorwegertreuen "Pflugfahrer" auf die "Lilienfelder".Da man die Funktionalität der "Zdarsky-<strong>Technik</strong>" mit den "Pflug-Variationen" (wie Stemmbogen, Stemmkristiania, Stemmschwungusw.) nicht erreichen, und daher im steilen Gelände mit den"Lilienfeldern" nicht mehr mithalten konnte, verlegte man sichauf das Schönfahren auf relativ einfachen Pisten. Dieses anspruchsloseFahren rief natürlich die "Ski-Designer" und "Biertisch-Theoretiker"auf den Plan, die mit immer neuen Kreationendie Mode der Skischwünge und der Haltungen werbewirksam ankurbelten.Wilhelm Paulcke schrieb im Jahr 1910:"Eine Hebung des Skilaufs hat ferner fraglos auchdurch Wettlaufveranstaltungen stattgefunden. Besondersdie Ergebnisse im Sprunglauf und im sogen.Kunstlauf wiesen in den letzten Jahren beträchtlicheFortschritte auf, welche nicht zum mindestendem von Jahr zu Jahr schärfer werdenden Wettbewerbbei den Wettläufen der großen Skivereine zu dankenist." 114Was der vom Fahren im Gelände begeisterte Sepp Bildstein davonhielt, das brachte er zwei Jahre später deutlich zum Ausdruck:"Kunstlauf. Ich fasse mich kurz über ihn: was wirheute darunter verstehen, ist eitel Spiel; vielleichtein gutes Werbemittel; sein innerer Wert istgering. Die schönsten Schwünge auf vorgezeichneterStrecke sagen nichts, gegen einen vor plötzlichemHindernis. Es zeigt sich hier nur das äußerlich Gelernte;nicht das innerlich Erworbene." 115Der Alpine Skilauf ging fortan zwei Wege:113 Sepp Bildstein. Wettläufe, ihre Grundlage und Bedeutung. In: Ski-Chronik 1912. Jahrbuch des MitteleuropäischenSki-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 5. Jahrgang, Karlsruhe 1913114 Wilhelm Paulcke. Erziehung zum Skilauf. In: Ski-Chronik 1909/10, Jahrbuch des Mitteleuropäischen Ski-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 2. Jahrgang, Karlsruhe 1910115 Sepp Bildstein. Wettläufe, ihre Grundlage und Bedeutung. In: Ski-Chronik 1912. Jahrbuch desMitteleuropäischen Ski-Verbandes (D.S.V. und Oe. S.V.) 5. Jahrgang, Karlsruhe 1913118


Zum einen folgte er im Skilehrwesen dem von "Bilgeri-Geist" genährten,und vom Kunstlauf vorgezeichneten Weg einer sich modehaftständig wandelnden künstlichen "Skifahr-Ästhetik".Zum anderen betrat er später - in einer natürlichen Entwicklung- im alpinen Rennsport den Weg der "Funktionalität", derzurück zu Zdarsky führte.Die "Frage des Torlaufs" war - nachdem man diesen ein viertelJahrhundert lang arg bekämpft und nachdem man die Zdarsky-<strong>Technik</strong> schließlich total verschüttet hatte - nicht mehr nureine Frage des "Nicht-Wollens", sondern bereits auch eine Fragedes "Nicht-Könnens". Mit der vom "Bilgeri-Kreis" propagierten<strong>Technik</strong> konnte man weder hohe Geschwindigkeiten, noch rasanteBögen fahren. Das zeigte sich später in den 20er Jahren ganzdeutlich. Was die Engländer damals in der Schweiz konnten, vermochtendie Österreicher mit ihrer "Bilgeri-Fahrweise" keineswegs."Für den Hauptverbands-Wettlauf in St. Johann 1921wurde zur Berücksichtigung des alpinen Abfahrtslaufesdie Durchführung eines Hindernislaufes beschlossen,wobei die Note zu einem <strong>Dr</strong>ittel zur Gesamtnotebeitragen sollte (ein <strong>Dr</strong>ittel Langlauf,ein <strong>Dr</strong>ittel Sprung). Diese Einführung hielt sichaber nicht und wurde später durch den Abfahrtslaufersetzt." 116"Der probeweise eingeführte Hindernislauf war zukühn ausgesteckt, was zahlreiche Stürze hervorrief.Das hatte zur Folge, daß er bei den ÖSV-Meisterschaften nicht mehr durchgeführt wurde, wasin Hinblick auf die Wichtigkeit einer Prüfung dertechnischen Geschicklichkeit im alpinen Abfahrtslaufvon vielen bedauert wurde." 117Bei der "Wiedergeburt des Torlaufes" durch die Engländer in den20er Jahrentrat der Unterschied zwischen den für die"Zdarsky-<strong>Technik</strong>" offenen Engländern und Schweizern auf der einenSeite, und den die Fahrweise Mathias Zdarskys bekämpfendenPaulcke- und Bilgeri-Kreisen auf der anderen Seite, ganz gravierendhervor. Diese Kluft bestand aber bereits im erstenJahrzehnt unseres Jahrhunderts.116 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977117 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977119


In diese Welt trat das junge Skitalent Johann Schneider. Beiihm entwickelte sich aber, da er selbst ein Ausnahmetalent war,ein Zwiespalt zwischen der offiziellen schulmäßigen Theorie undseinem eigenen Fahren. Er folgte nämlich der "natürlichen Entwicklung",wie es Sepp Bildstein treffend ausdrückte, und ging- so wie Mathias Zdarsky - direkt beim Gelände, dem bestenaller Lehrmeister, in die Lehre. Dort machte er ähnliche Entdeckungenwie Zdarsky. Hannes Schneider hat für sich dabei dasfreigeschaufelt, was die norwegertreuen "Pflug-Theoretiker" alsWidersacher Zdarskys verschütten wollten und letztlich in der"Zwangsjacke" der späten Arlbergschule auch verschüttet haben:nämlich die Vorlage und das für das <strong>Dr</strong>iften erforderlicheFlachstellen der Skier. Hannes Schneider ging, wie MathiasZdarsky, als Einzelgänger ins Gelände."Diese Einzelgängerei,",schrieb er,"bei der ich mich nur mich allein zu verantwortenhatte, verlockte mich, kolossales Tempo zu fahren.Erst dadurch habe ich richtig Skilaufen gelernt.Bei diesem Selbstunterricht machte ich fast sämtlicheArlberg-Skitouren allein. Ich brauche nicht zusagen, wie wahnsinnig ich in der Gegend herumgeflogenbin. Allmählich bekam ich doch Angst, und icherkannte klar, mit dieser <strong>Technik</strong>, die ich gegenwärtigfahre, kann man so nicht Tempo fahren. AusFurcht vor allzu großen und schweren Stürzen fuhrich in mehr oder weniger tiefer Hockstellung. Nunwaren die Stürzte harmloser, ich war ja mit derSchwerkraft (dem Schwerpunkt, H.T.) näher am Boden.Noch etwas Gutes brachte diese Entdeckung : ich habebeim Richtungsändern die Skier nicht mehr so gekantet,sondern flacher gehalten, weshalb ich wenigerReibungswiderstand zu überwinden hatte. DieFolge davon war ein leichteres Schwingen. Die Beobachtungund Erfahrungen machte ich nicht etwa ausreiner Überlegung, sondern sie erflossen mir ausdem praktischen Skilaufen ...Durch diese Selbstausbildung kam ich zu meinem späterenStemmchristiania und zur Umstellung meinerganzen Unterrichtsmethode. Bereits im Winter1909/10 bin ich selbst anders Ski gelaufen, alsich unterrichtet habe. Ich getraute mich damalsnoch nicht, alle meine Kenntnisse im Unterricht zuverwerten. Sie waren durchaus neu, und die Leute120


hätten sie auch gar nicht anwenden mögen, weil mandieses Laufen als unschön bezeichnete..." 118Heinz Poledik merkt hierzu an:"Eines der 'Geheimnisse' der Arlbergschule von HannesSchneider lag sicherlich in der Tatsache, daßder Pionier des Skilehrwesens den von MathiasZdarsky kreiierten Stemmschwung in den Mittelpunktseiner und damit des österreichischen Skiunterrichtsgestellt hat. Alle Geländefahrer verwendetenihn als praktisch unentbehrliches Hilfsmittel, undauch das Lehrziel in den Skischulen war in ersterLinie das Erlernen von Stemmbogen und Stemmchristiania(die Gewichtsverlegung erfolgte durch Beckenrotation)als Basistechnik. Durch die FortschreitendeEntwicklung der Fahrweise in den Alpenländernkam es jedoch bald zu einer Diskrepanz zwischen dereben erst in der Festigung begriffenen Lehrmeinungund dem eigentlichen Können der besten Skifahrer.Dieser Unterschied zwischen dem 'offiziell' Gelehrtenund der Fahrweise der Spitzenfahrer hat dieneuere Geschichte der alpinen Skitechnik ständigbegleitert. Es fing bereits damit an, daß selbstHannes Schneider 'privat' anders fuhr, als er inseiner Skischule den Anfängern und Fortgeschrittenenlehrte." 119Hannes Schneider hat also einerseits zum "Geheimnis Zdarskys",zur Vorlage und zum Flachstellen der Skier, selbständig hingefunden,andererseits konnte er sich aber in seiner Lehrmeinungnicht von der für das Pflugfahren brauchbaren tiefen Sicherheitshaltungund von dem umlastenden, schiebenden Andrehendurch Beckenrotation, das Zdarsky nur für den parallelen "gewöhnlichenBogenschwung" vorsah, lösen. Aber seine Entdeckungmachte ihn trotzdem seinen Konkurrenten überlegen. Er hat sichschon früh an den Torläufen in der Schweiz als Rennläufer beteiligtund war dort mit seiner <strong>Technik</strong> sehr erfolgreich."Diese Slalomläufe habe ich alle gewonnen.",schrieb er,"Meine Erfolge haben mich überzeugt, daß meine Skitechnikrichtig ist und daß ich ruhig in diesemSinne weiterarbeiten kann." 120Einen ähnlichen Undank wie Mathias Zdarsky mußte aber auch HannesSchneider, die Leitfigur des Schiclub Arlberg (SCA), ertra-118 Hannes Schneider zitiert in: Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969119 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969120 Hannes Schneider zitiert in: Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969121


gen. Der Schiclub Arlberg war einer der Skivereine Österreichs,die Mut bewiesen."Im Herbst des Jahres 1924 hatte der SCA eine hartePrüfung zu bestehen. Der Österreichische Skiverbandhatte auf Grund des <strong>Dr</strong>ängens von Turnvereinen densogenannten Arierparagraphen beschlossen. Dieserbesagte, daß in österreichischen Schi- und Turnvereinennur Arier aufgenommen werden dürfen, Nichtarieraber ausgeschlossen werden müssen. Der SCA, indessen Reihen von Anbeginn die Mitglieder ohne Unterschiedeihrer Nationalität, der Rasse oder desGlaubens aufgenommen worden waren, ließ sich nichtzu einer Änderung seiner Satzung bewegen. Daraufhintrat der SCA aus dem TSV und ÖSV aus und schloßsich dem Allgäuer und Deutschen Schiverband an, woes noch keinen Arierparagraphen gab." 121Das sollte sich rächen."Für Hannes Schneider wurde dieser Winter 1937/38nur sehr kurz. Der Anschluß Österreichs an Deutschlandin der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938ließ in Schneider eine Welt zusammenbrechen. DieNationalsozialisten von St. Anton brachten am folgendenTag Hannnes Schneider und noch einige St.Antoner .. nach Landeck in Haft...Tatsächlich wurde Hannes Schneider nach 25 TagenHaft, am 6. April 1938 freigelassen. Es wurde ihmjedoch untersagt, nach St. Anton zurückzukehren." 122Hannes Schneider mußte den Arlberg verlassen und wanderte indie USA aus. In einem Brief schrieb er verbittert:"Unter meinen besten Freunden habe ich mich anscheinendgetäuscht." 123Hannes Schneider war - ähnlich wie Mathias Zdarsky - ein Skiläufervon überragendem Können. Er wirkte nicht nur am Arlberg,sondern auch in Japan und in den USA. Kurz vor seinem Tode sagteer bei einem Heimatbesuch zu Stefan Kruckenhauser:"Wenn ein Schifahrer ein Denkmal verdient, soZdarsky." 124121 Hans Thöni.Hannes Schneider zum 100. Geburtstag des Schipioniers und Begründers der Arlbergtechnik.Innsbruck 1990122 Hans Thöni.Hannes Schneider zum 100. Geburtstag des Schipioniers und Begründers der Arlbergtechnik.Innsbruck 1990123 zitiert in: Hans Thöni.Hannes Schneider zum 100. Geburtstag des Schipioniers und Begründers der Arlbergtechnik.Innsbruck 1990124 Hannes Schneider. zitiert in: Zdarsky-Blätter, Folge 8. Lilienfeld 1964122


Vom "Reuel-<strong>Dr</strong>ehumschwung" zum "Galopp-Schwung"Der "Galopp-Schwung" Zdarskys wird von guten Läufern immer wiederneu entdeckt. An keiner Stelle wird aber darauf hingewiesen,daß Mathias Zdarsky bereits vor hundert Jahren das Prinzipdieser <strong>Technik</strong> vorgestellt hat. Heute gloppen Alberto Tomba undviele andere Rennläufer mit diesem Prinzip erfolgreich durchdie Tore. In der neuen "Österreichischen Skischule" wird diesesPrinzip beim "Scherenschwingen" und bei der Renntechnik vorgestellt.125 Als "Scherumsteigen" geistert es seit langem im DeutschenSkiverband herum. Vor mehr als 50 Jahren hat es Max Winklerim "Schlittschuhbogenlauf" beschrieben, den er aus seinerAuffassung des "Reuel-<strong>Dr</strong>ehumschwunges" heraus entwickelte. Ermerkte hierzu an:"Dieser von <strong>Dr</strong>. Reuel erdachte Schwung wird nachfolgendnicht nach der <strong>Dr</strong>. Reuelschen Beschreibungerklärt, sondern auf Grund der Beobachtung der <strong>Dr</strong>.Reuelschen Ausführung durch den Verfasser mit einer,vom Umtreten ausgehenden Erklärung erläutert,nach der der Schwung leicht erlernbar ist. Der<strong>Dr</strong>ehumschwung wird aus mäßiger Schrägfahrt vom Hangweg zur entgegengesetzten Schrägfahrt ausgeführt.In der Schrägfahrt hebt man den Talski und machteinen Umtretschritt talwärts. Bei diesemUmtretschritt des Innenbeines muß man geschmeidigins Knie gehen. Das Außenbein wird gehoben und holtzum <strong>Dr</strong>ehschwung (in der Luft) aus.Aber der Umtretschritt gleitet nicht talwärts geradeaus,sondern sofort in dem Augenblick, in demsich das Gewicht auf den talwärts gestellten Innenskilegt, bewirkt die Körper- und Außenbein-Schwungdrehung eine scharfe Kristiania-<strong>Dr</strong>eh-Bewegung des Innenski." 126Die Aneinanderreihung dieser "<strong>Dr</strong>ehumschwünge" ergibt den"Schlittschuhbogenlauf"."Aus der Schrägfahrt nach rechts führt man eine<strong>Dr</strong>ehumschwung-Wendung zur Schrägfahrt nach linksaus. Der durch die Luft mitgeschwungene Außenskiwird dabei an den Innenski herangeschwungen, jedochnicht auf den Schnee gesetzt, sondern er holtgleich zum neuen Umtretschritt talwärts aus, um unmittelbareine <strong>Dr</strong>ehumschwungwendung nach rechts anzufügen;dann in gleicher Weise wieder <strong>Dr</strong>ehumschwungwendungnach links, nach rechts, usw.125 Franz Hoppichler. Die österreichische Skischule. o.J.126 Max Winkler. Der Schilauf. Laufschule sowie alles Wissenswerte für den Schiläufer. München 1932 5123


Der Trick eines flüssigen Schlittschuhbogenlaufesist folgender : Nach jedem Bogen kommt mit einemDurchdrehen des Bogens bis fast zur Waagrechten desInnenski die Bewegung beinahe zum Stillstand; aberdie ausklingende Fahrbewegung wird noch ausgenützt,den bisherigen Innenski, jetzt Bergski, mit seinerSpitze talwärts zu lenken, um dadurch einen neuenFahrtfluß zu gewinnen und ein weiteres Talwärts-Umtreten des nunmehrigen Innenski zu ermöglichen.Im glatten aber noch führigem Schnee kann dieserSchlittschuh-Bogenlauf bei guter Auswertung desrhythmischen Körperschwunges auch an ziemlich steilemHang in eleganten und zügigen Bögen ausgeführtwerden und stellt dann eine hochbefriedigendeKunstlaufübung dar." 127In seiner "Skischule bis zur <strong>Technik</strong> der Weltmeister", zu derToni Sailer ein Vorwort geschrieben hat, spricht HelmutLantschner vom "Reuel-Schwung" mit Umtretschritt. Er schreibt:"Mit dem Reuelschwung können gute, bessere und besteFahrer eine Richtungsänderung auf einem Ski,und zwar auf dem bogenäußeren Ski ausführen. Häufigwird er natürlich auch zum Eindruckschinden vorgeführtoder angewendet. Wir Rennläufer, vorallem dieSlalomläufer, müssen ihn heute noch üben, um aufFlachstücken im Slalom von einem Tor in das andereschneller zu sein." 128Führen wir uns diese Metamorphose eines Schwunges nochmals vorAugen: Jahrzehnte nach Mathias Zdarsky präsentierte Fritz Reueleinen "Einbein-Schwung" mit Wälzen vom belasteten Talski weg.In der Schrägfahrstellung wird dabei der Bergski in der Luftnach vornetalwärts geschwungen. Dies leitet eine wälzendenGanzkörperrotation ein. Der Talski driftet vorne in RichtungKleiner Zehe talwärts und kantet dann um. Also genau das Gegenteilvom "Zdarsky-Schwung". Bei diesem driftet der Berski inRichtung Großer Zehe talwärts, was wesentlich einfacher ist.Das der Schwerkraft folgende Vorbringen des Rumpfes führte beim"Zdarsky-Schwung" auch nicht zu einer wälzenden Ganzkörperrotation,wie beim "<strong>Dr</strong>ehumschwung", sondern es führte zu einem Verwindenim Hüftgelenk des Bergbeines. Das Fahrbein drehte also127 Max Winkler. Der Schilauf. Laufschule sowie alles Wissenswerte für den Schiläufer. München 1932 5 .128 Helmut Lantschner. Skischule bis zur <strong>Technik</strong> der Weltmeister. Ein einfacher Weg zur Vollendung im Skilauf.München 1957124


gegen den der Schwerkraft folgenden Rumpf. Das war die "Beinspiel-<strong>Technik</strong>"Zdarskys.Max Winkler veränderte den "<strong>Dr</strong>ehumschwung" von Fritz Reuel inRichtung Mathias Zdarsky. Er verwandelte ihn - den Namen beibehaltend- in einen vermeintlichen "Umsteige-Schwung" vom Bergskiweg. Hellmut Lantschner identifiziert diesen Schwung alsfür den Rennsport brauchbar. Max Winkler zeigte aber auch auf,daß dieser "Schlittschuhbogenlauf", den Hellmut Lantschnermeinte, einen Trick hat. Bei genauem Hinsehen kann man nämlichentdecken, daß es sich um gar keinen "Umsteige-Schwung", sondernum einen "Einbein-Schwung" vom vorneliegenden Innenski(vom Bergski) weg handelt. Der Trick besteht nämlich darin, vordem Stillstand durch Flachstellen der Skier und durch "rhythmischenKörperschwung" in die Umtretrichtung den Bergski vorne,ohne umzukanten, in den neuen Bogen hineinzudriften und auf denneuen Innenski erst nach dem Schwung (nach dem Bogen-Wechsel)im Bogen umzutreten: also den Bogen nach dem Bogen-Wechsel umsteigendzu ändern. Nicht klar erkannt wurde allerdings dasBeinspiel, das Verwinden im Hüftgelenk des Bergski, so daß nachwie vor der Schwung zumindest anrotiert wurde. Hannes Schneiderbehielt ja auch seine "Beckenkurbel" zumindest in der Theoriebei. Selbst Helmut Lantschner drehte noch seinen Schwung mitder kommenden bogenäußeren Hüfte an und fing dieses Anrotierenerst beim Austeuern des Bogens durch ein vor-tief Verwinden ab.Die - nach Max Winkler - "hochbefriedigende Künstlaufübung"des "Schlittschuhbogenlaufes" stellt aber - trotz der "anrotierendenBehinderung" - das Wesentliche des "Zdarsky-Schwunges" dar, bzw. sie bedient sich des von Mathias Zdarskyrealisierten Prinzips des "Beinspiels beim Galopp-Wechsel".Mit diesem Bewegungsmuster hat Zdarsky, allerdings ohne das behinderndeWälzen und ohne Beckenkurbel, persönlich über20.000 Anfängern meist innerhalb von 3 bis 6 Tagen - kostenlosund unfallfrei - das freie Fahren im ungespurten Schnee im mittelschwerenGelände beigebracht. Es handelt sich also, wenn manlocker bleibt und das beinspielende Verwinden im Hüftgelenk desBergbeines zuläßt, um keine <strong>Technik</strong>, die guten Läufern vorbehaltenist.125


Die verschiedenen Schwungarten ZdarskysIn der Fahrweise Zdarskys gibt es drei verschiedene Arten des"Bogen-Wechsels": 129den "gewöhnliche Bogenschwung" als Parallelschwung.Schwungauslösend ist das Verwinden des Oberkörpersgegen den Unterkörper.seinen eigenen (Top)-"Schlangenschwung" als Parallelschwung.DieSchwungauslösung erfolgt nach demGalopp-Prinzip. Nach dem einbeinigen, beinspielendenBogen-Wechsel erfolgt ein scherendes Umsteigenauf den Innenski.den "Kreisschwung" seines Lehrweges als "Stemmstellungs-Wechsel"während der Fahrt. Die Schwungauslösungerfolgt nach dem Galopp-Prinzip. Zur Verlangsamungwird nach dem Bogen-Wechsel eine "Zwangsgrätschstellung"eingebaut.Hier ist anzumerken, daß Mathias Zdarsky das Skifahren im Interesseder Volksgesundheit gestaltete und eine <strong>Technik</strong> suchte,die:"aufgabengerecht""körpergerecht""für möglichst viele Menschen""leicht erlernbar"sein sollte.Er beschränkte sich daher in seinem Lehrweg auf das Vermittelndes "Kreisschwunges". Diesen bezeichnete er ab dem Jahr 1908nur mehr als "Bogen" und nicht mehr als "Schwung". Das Wort"Schwung" verwendete er dann nur mehr für den "Schlangenschwung",für das rhythmische Aneinanderreihen von Kreisbögen.Dies war auch terminologisch konsequent, da seiner Definitionnach der "Schwung" ein "Bogen-Wechsel" ist. Dieser wird klarund deutlich erst im "Schlangenschwung" verwirklicht.129 den "Viertelkreisschwung" von Mathias Zdarsky, den er auch als "Telemarkschwung" bezeichnete, lassen wirhier unberücksichtigt.126


Vom Torlauf zum "Wedeln"Als in den 20er Jahren die Engländer in der Schweiz begannen,den Slalom zu praktizieren, ließ sich der von Mathias Zdarskybereits im Jahr 1901 kreierte alpine Torlauf-Bewerb - trotzstarker Widerstände insbesondere von Seiten des Deutschen Skiverbandes,der nur den Langlauf und den Sprung gelten lassenwollte - nicht mehr weiter verhindern. Hannes Schneider brachteden von dem Engländer Arnold Lunn in der Schweiz veranstalteten"neuen" alpinen Wettbewerb auf den Arlberg. Wobei hier ausdrücklichzu erwähnen ist, daß es der Freund und Schüler vonMathias Zdarsky, der Deutsche Wilhelm Rickmer Rickmers war, derden "Schlangenschwung" auch den Engländern vermittelte und dadurchdie entscheidende Tat für das Überleben des Alpinen Skilaufsvollbracht hat."<strong>Dr</strong>ei Gruppen von Skirennläufern und -rennfahrerrinnen beherrschten die vorerst wenigenfrühen alpinen Skirennen, in deren Mittelpunktstets das „Arlberg-Kandahar“, dann als weitere Wegbereiterdes alpinen Rennsports die InternationalenAkademischen Winterspiele und erst später, von 1931an, die von der Fis ausgeschriebenen alpinen Wettkämpfestanden.Gerechterweise müssen zuerst die Engländer genanntwerden, denn sie leisteten die Pionierarbeit fürdie alpinen Disziplinen. In den Rennen selbstspielten der hervorragende Bill Bracken und etlicheausgezeichnete Läuferinnen lange Zeit mit die ersteGeige.Die zweite Gruppe umfaßt die Schweizer, also dieVertreter jenes Landes, in dem der moderne Slalomaus der Taufe gehoben wurde. Die Schweiz war aucherfolgsmäßig die erste große 'alpine' Skination...Der große Gegenspieler der Schweiz, aber man kannes nach Belieben auch umgekehrt sehen, waren ebenfallsvon Beginn der alpinen Ära an die Österreicher.Ihre 'Sturmtruppe' stellten in diesen erstenJahren vor allem die berühmten 'Roten Teufel' ausInnsbruck mit den Lantschnern als Kernmannschaft...Rudi Matt und seine Gefährten vom SC Arlberg ergänztenzusammen mit einer ganzen Anzahl weitererSpitzenfahrer die schon damals sehr schlagkräftigeMannschaft der Österreicher. Schließlich kam ausÖsterreich auch der erste große <strong>Technik</strong>er des modernenAbfahrtslaufes, Toni Seelos. Einzelne her-127


vorragende Rennläufer Deutschlands konnten ebenfallsschon bald schöne Erfolge erzielen." 130Toni Seelos war - wie Mathias Zdarsky und Hannes Schneider -ein gelehriger Schüler des "Lehrmeisters Gelände". Von den"Pflug-Theoretikern" ließ er sich nicht beirren und ging seineneigenen Weg. Er flüchtete aus dem "Pflug-Prinzip", indem ergleichsam "in die Luft ging". Er verstärkte dadurch die "Schwebe"131 des "Galopp-Wechsels" und umging so das Problem des <strong>Dr</strong>iftens.Die Hochentlastung ermöglichte ihm auch eine paralleleSkiführung und die Vorlage. So berichtet Heinz Polednik:"Beim Arlberg-Kandahar-Rennen 1930 tauchte in denErgebnislisten erstmals ein Name auf, der in denfolgenden Jahren zu einem festen Begriff inSkisport werden sollte : Toni Seelos. Erst kurzvorher hatte der damals 19jährige Hüterbursche undHolzarbeiter seine ersten Rennversuche unternommen.Das Wort 'Slalom' war gar erst zu Beginn diesesJahres an sein Ohr gedrungen. Sein Freund Völk hattees ihm erklärt. Von Anfang an faszinierte ihndiese neue Art des sportlichen Skifahrens. Unentwegtübte er in seiner Freizeit in den Waldschneisenum Seefeld 'Slalom'. Da geschah ein kleinesWunder. Bereits beim ersten Antreten in einem vonausgezeichneten Innsbrucker Rennfahrern beschicktenTorlaufbewerb in der Seegrube siegte der Neulingvor allen Assen mit einem Vorsprung von 5 Sekunden...Unablässig an sich arbeitend, formte diesesNaturtalent jenen Stil, der, auf Knievorlage,gleichzeitiger Belastung beider Skier im Wechselmit gleichzeitiger Entlastung und Körperschwung beruhend,als „Tempo- oder Parallel-Schwung“ eineneue Ära der alpinen Skitechnik einleitete." 132Der "Schlangenschwung" als Voraussetzung für den Torlauf kamdadurch immer mehr in Mode. Für das Bogenfahren in einerSchlangenlinie wurde schon damals am Arlberg der Name "Wedeln"geboren.Das Verwinden im Rumpf, wie es den "gewöhnlichen Bogenschwung"Zdarskys prägte, findet sich bis heute in der hoch-vorziehenden"Beckenkurbel". Mit besonderer Betonung des horizon-130 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969131 vgl. Alois Weywar. Die bewegungsphysiologischen Grundlagen des Schilaufes.In: Alois Weywar. Beiträge zur organischen Bewegungsanalyse. Ahrensburg 1983und in: Leibesübungen Leibeserziehung .Wien 1956/10132 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969128


talen Gegendrehens kehrt es ganz deutlich im Wedeln nach dem"Mambo-Prinzip" des Schweizers Josef Dahinden wieder. Das Gegendrehender Beine gegen den Rumpf, wie es dem Prinzip des"Galopp-Wechsels" entspricht, fand seine deutliche "Wiederauferstehung"bei den mit extremer Gegenschulter fahrenden Rennläufern.Das Wedeln mit Beispieltechnik von Stefan Kruckenhauserkehrte dann fast ganz zum Prinzip des "Schlangenschwunges"Zdarskys zurück, allerdings mit einer ästhetisch-dogmatisch parallelenSkiführung. Diese zeigte sich den Variationen des"Pflug-Prinzips" zwar überlegen, was bereits Toni Seelos demonstrierte,die volle Funktionalität war aber damit noch nichterreicht. Der Rennsport, der Funktionalität vor Ästhetik setzt,ging "back to the roots" und trieb die "Rückentwicklung zuZdarsky" weiter voran. Das Dogma der engen und parallelen Skiführungmit Außenskibelastung wurde aus Gründen der Zweckmäßigkeitin der Rennpraxis aufgegeben. Es wurde deutlich, daß sichauch die Innenskibelastung, das scherende Umsteigen auf den Innenski,der "Einbein-Schwung" vom Innenski weg, usw. in vielen(nicht in allen!!) Situationen als brauchbar erweisen.Hubert Mumelter beschrieb schon im Jahre 1933 den "Weg zum Wedeln"sehr witzig:"Den Stemmkristiania veredelndie Arlberger im Wedeln.Vorallem dient er zum Slalom,wie man benennt im Ski-Idiom." 133"<strong>Dr</strong>ei Dinge" sind für die "Galopp-Schwünge" Mathias Zdarskysunentbehrlich :die Vorlage (der Skiläufer wird vom Körper gezogen)das Flachstellen der Skier (so daß der Bergskidriften kann)die Beweglichkeit im Hüftgelenk des belastetenBergbeines (so daß der Rumpf der Schwerkraft folgenund ein neues Bogen-Zentrum eröffnen, und damit dasfahrende Bergbein gegen den bewegten Rumpf beinspielenddrehen kann).133 Hubert Mumelter. Ski-Fibel. Berlin 1933.129


Die ersten beiden Punkte hat Hannes Schneider in seiner Arlbergtechnikverwirklicht. Alle drei Punkte realisieren heutedie mit Beinspiel-<strong>Technik</strong> galoppenden Skirennläufer.Der SchwungMathias Zdarsky bemühte sich in allen seinen Schriften, durchklare und eindeutige Ausdruckweisen Mißverständnisse auszuschließen.So wurden von ihm Begriffe wie "Schrägfahrt","Stemmlage", "Stemmstellung" klar definiert. Was aber ein"Schwung" im Unterschied zu einem "Bogen" sein soll, das wurdevon ihm genausowenig klar ausgesprochen, wie von den nachfolgendenSkitheoretikern bis heute. Fritz Reuel hatte deshalb inseiner "Denkschrift" bereits vor einem halben Jahrhundert kritischangemerkt:"So berechtigt und praktisch ein Unterscheiden vonSchwung und Bogen für den täglichen Gebrauch auchsein mag, so wenig hält es wissenschaftlicher Nachprüfungstand. Diesbezüglich sollte den gesundenMenschenverstand schon die Tatsache mißtrauisch machen,daß ein guter Fahrer den Kritiania mit Leichtigkeitauch als allmählich verbundenen Bogen undden Telemark als gerissenen plötzlichen Schwungfahren kann. Entscheidend dafür, ob diese Übungenfür das Auge mehr als Schwung oder als Bogen wirken,ist lediglich der Unterschied in der Größe desjeweils benötigten Energieaufwands in der Zeiteinheit.So erscheint uns beispielsweise der Kristianiadeshalb als der 'typische Schwung', weil das'Querdrehen' der Skier in der gleichen kleinstenZeitspanne unverhältnismäßig viel mehr Kraft erfordertals das 'Längsdrehen' derselben beim Telemark.In Wirklichkeit sind natürlich beide Übungen 'Bögen'und es besteht zwischen ihnen diesbezüglichnur ein Unterschied der Intensität der den 'gewaltsameren'von ihnen in oberflächlicher Betrachtungsweiseals Schwung erscheinen läßt." 134Mathias Zarsky verwendete die Wörter "Schwung" und "Bogen"scheinbar synonym. Einmal schrieb er "Bogenschwung", dann "Bogenfahren", dann "Bogen.Eindeutig war bei ihm bloß die Unterscheidung dieser "Bogen/Schwünge"danach, ob die bei ihnen in den Schnee gezeichne-134 Fritz Reuel. Denkschrift über die entwicklungsgeschichtlichen, physiologischen und dynamischen Grundlagenjeder Art menschlichen Laufens, Bogenlaufens und Schwingens. Typoskript. O.J. (1931?)130


te Spur nur einem "Viertel-Kreis" oder schon einem "Halbkreis"entsprach. Der "Telemarkschwung" war für ihn ein "Viertelkreisschwung".Er bezeichnete damit einen Halteschwung aus derSchußfahrt heraus zum "Querhalt".Als "Bogenschwung" und "Bogenfahren" wurden von ihm die Bögenaus der Schrägfahrt heraus zum Hang hin bezeichnet."Kreisschwung" oder "Halbkreisschwung" waren dagegen jene Bögen,welche die Schrägfahrtrichtung umkehrten: also unsereSchwünge oder Bögen vom Hang weg. Das Aneinandereihen von"Kreisschwüngen" ergab den "Schlagenschwung". Zdarsky legtehier besonderen Wert darauf, daß dies auch wirklich "Halbkreisschwünge"waren. Die Bögen mußten zum Halbkreis ausgefahrenwerden.Die Verwendung des Wortes "Schwung" nimmt in den späterenPublikationenen Zdarskys immer mehr ab. Der "Schwung" ist dannnur mehr der "Bogen im eigentlichen Sinne". In seinen "MethodischenSkilaufübungen" schrieb er:"Ungleich schwieriger, aber für den Skifahrer vielsicherer ist der Bogen im eigentlichen Sinne, auch,das heißt richtiger, der Kreisschwung genannt. DerKreisschwung zeichnet sich dadurch aus, daß derDurchmesser nur einige Meter beträgt und der Bogengenau ein halber Kreis ist. Im Durchschnittschwankt der Durchmesser zwischen 3 und 6 m." 135"Steile Hänge kann man durch rasche Anreihung vonkurzen Kreisschwüngen in angenehmer und doch äußerstschneidiger Fahrt herabsausen. Derart ununterbrochenaneinandergereihte Kreisschwünge werdenSchlangenschwung genannt. Gerade so wie mäßig gekrümmteBögen keine Kreisschwünge sind, sind welligeFahrtrichtungsänderungen keine Schlangenschwünge."136In der Auflage seines Buches vom Jahre 1908 kommt das Wort"Schwung" kaum mehr vor. Statt vom "Kreisschwung" spricht erdort nur mehr vom:135 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)136 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)131


"..sehr kurze, scharfe, halbkreisförmige Bogen fahren..."137Er bezeichnete ab dieser Zeit den Bogen vom Hang meist nur mehrals "Bogenfahren"."Auf breiten, steilen Hängen aus Sportlust, aufschmalen Steilstreifen aus zwingendem Grunde, kannman einen Bogen an den anderen sofort derart anreihen,daß die Spur aus halbkreisförmigen Bogen gebildetwird. Diese Art von Bogen heißen Schlangenschwung.Eine sanftwillige Skispur kann niemalsdurch den Schlangenschwung entstehen." 138Mathias Zdarsky hatte offenbar den inflationären Gebrauch desWortes "Schwung" gespürt und vielleicht deswegen später diesesWort fast nur mehr für den "Schlangenschwung" gebraucht: alsofür ein Aneinandereihen von mehreren "Bogen-Wechsel". Als Bildfür das "Schwingen" scheint ihm dabei das pendelnde hin und herSchwingen des Körperschwerpunktes von einer auf die andere Skiseitegedient zu haben. Er sprach auch vom raschen "Stemmstellungswechsel"während der Fahrt. Dieses Aneinanderreihen führteer auch rückwärts aus. Er kannte bereits den "Schlangenschwungrückwärts" und den "Walzerschwung".In seinem ersten Buch vom Jahr 1896 ist dies aber noch nicht sogeklärt. Mir scheint, daß er ursprünglich mit den Wörtern"Schwung" und "Bogen" dasselbe Ereignis benannt hat. Anscheinendtat er dies aber mit unterschiedlicher Gewichtung:Mit dem Wort "Bogen" beschrieb er mehr die Außensichtdieses Ereignisses. Es bezog sich vorwiegendauf die Fahrspur im Schnee, auf das bogenförmigeSpurziehen.Das Wort "Schwung" scheint er dagegen mehr der Innensichtdesselben Ereignisses zugeordnet zu haben.Es bezog sich offensichtlich auf das dynamische Erlebendes Bogenfahrens beim Auseinandersetzen mitFahrtgeschwindigkeit, Schwerkraft und Schneewiederstand.Besonders scheint Zdarsky das rhythmischeund mutige Verlagern des Bogenzentrums von einerSkiseite auf die andere durch Hin-und-Her-Schwingendes Körperschwerpunktes im Auge gehabt zu haben.137 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Berlin 1908138 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Berlin 1908132


Ich habe daher - Zdarsky folgend - den "Schwung" als "Bogen-Wechsel" definiert. Aus der anderen Skiliteratur geht dies jedochso nicht hervor. So wurde immer wieder versucht, das Wort"Schwung" einem bestimmten Sachverhalt zuzuordnen: Die einenAutoren machten aus einem Bogen einen Schwung einfach durch einegrößere Fahrgeschwindigkeit. Der "Fahrt-Schwung" wurde dabeiin den Bogen eingebracht, und sorgte so für die Namensänderung.Am Prinzip des Bogens hatte sich aber dadurch noch nichts Wesentlichesgeändert. Andere wieder erweckten den Eindruck, alssei die eigene schwunghafte Ganzkörperbewegung das Wesentlicheam Schwung. Und schließlich meinten wieder andere, ein Schwungsei alles, was schon eine deutliche Phase einer parallelen Skiführungerkennen lasse. In allen diesen Erklärungen sehe ichaber nicht das Wesentliche erfaßt. Was ein Bogen ist, das weißjeder, auch wenn er vom Skilaufen nichts versteht. Genausosollte auch jeder, der hinsichtlich des Skilaufens kein Fachmannist, eindeutig erkennen können, was ein Schwung ist. Wasjeder Außenstehende neben dem Bogen beobachten kann, das isteben der Bogen-Wechsel.Es ergeben sich für mich aus dieser Sichtweise zwei klar unterscheidbareBeobachtungsaufgaben:Wie wird der Bogen gestaltet? Wie kann sich der Bogen,ohne seine Richtung zu wechseln, ändern? Esist dies die Frage nach den "Bogen-Änderungen" undnach den "Bogen-Arten".Mit welchen Manövern kann man die Richtung einesBogens wechseln? Dies ist die Frage nach den verschiedenenArten des "Bogen-Wechsels". Zum Bogen-Wechsel gehören das jeweils den Schwung vorbereitenden"Bogenende" und der jeweils dem "Bogen-Wechsel" folgende "Bogenbeginn". Die Frage nach denArten der "Bogen-Wechsel" beinhaltet die Frage nachden "Schwung-Prinzipien".Wurde zum Beispiel ein Linksbogen in einen Rechtsbogen mit einemfür das realisierte Schwungprinzip typischen Bogenbeginngewechselt, dann ist der Schwung "gelaufen".Was nun folgt, das kann ganz Verschiedenes sein. Jeder Bogenbeginnhat mehrere Freiheitsgrade, die spezifisch genützt werdenkönnen. Was auf den Wechsel konkret folgt, das bestimmt die si-133


tuative Aufgabe, bzw. die "Handlungsabsicht" des Skiläufers.Wenn die Fahrt zum Halt kommen soll, dann wird eine andere "Änderung"im Bogen erforderlich sein, als wenn ein weiterer "Bogen-Wechsel"geplant ist. Der folgende "Bogen-Wechsel" ist wiederumin seinem "Schwung-Prinzip" nicht festgelegt. Man kanndas gleiche "Schwung-Prinzip" wiederholen, muß das aber nichtunbedingt tun. Es ist auch möglich, den Bogen so zu "ändern",daß das Bogenende eine geeignete Vorbereitung für eine andereSchwungart darstellt.Es ist daher geradezu widersinnig, den Schwung alsEinheit mit dem Bogen zu lehren. Durch diese "Verklebung"werden alle Freiheitsgrade der situationsadaequatenBogen-Änderungen eliminiert, bzw. zumindeststark eingeschränkt.Durch die in den Skischulen übliche "Bogen-Philosophie" 139 , welche die "Schwungaus-steuerung"ästhetisierend dogmatisiert, wird geradezu das ausgetrieben,was das "A und O" des Rennsports und dessituativen Geländefahrens ist. Es gibt daher dieklare Forderung, die Unabhängigkeit und Freiheitder "Schwünge" von den "Bogen-Änderungen" zu erkennenund in den Lehrwegen zu fördern.Wenn ich also in einer Art Metasprache über das Werk Zdarskysspreche, dann verwende ich das Wort "Schwung" klar und eindeutiganders, als es Zdarsky noch im Jahr 1896 tat, und auch anders,als es die ihm nachfolgenden Skitheoretiker bis heutetun.Ich bin aber überzeugt, daß meine Wortverwendung mir ein gutesWerkzeug für die Analyse einer wesentlichen und auch beobachtbarenTatsache liefert: nämlich für das Manöver des Wechselsvon einem Linksbogen in einen Rechtsbogen oder umgekehrt.Was nach diesem Manöver im weiteren Bogen geschieht, ob umgekantet,umgestiegen, vorgelegt, gestemmt, die Schrittstellunggewechselt usw. wird, das nenne ich, wie schon dargelegt, "Bogen-Änderung".Für die Analyse einer Skitechnik ist es aus meiner Sicht fundamental,zwischen den Manövern des "Bogen-Wechsels" und den Manöverndes "Bogen-Änderns" klar zu unterscheiden. Der "Bogen-139 Hier zeigt sich, daß das Skilehrwesen kein "Kind" des funktionalen Skilaufs ist, sondern den sogenannten"Kunstlauf" zum Vater hat, den die ratlosen "Norweger" Mitteleuropas im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhundertsals "Schönheitswettbewerb" erfunden hatten.134


Wechsel" kann, muß aber nicht mit dem Überfahren der Gefällsliniezusammenfallen. Das Umsteigen oder das Umkanten können mitdem Manöver des Bogen-Wechsels zusammenfallen, müssen dies abernicht. Das muß klar gesehen werden.Es gibt daher, wenn man zwei aneinandergereihte Bögen betrachtet,drei unterschiedliche Orte, die für die Beobachtung vongroßem Interesse sind. Darauf beziehen sich die folgendengrundsätzlichen Fragen:Wo haben zwei aufeinanderfolgende Bögen eine gemeinsameTangente, eine sogenannte Wendetangente?Dort ist der Ort des Bogen-Wechsels, d.h. desSchwunges.Wo bildet die Gefällslinie eine Tangente an den Bogen?Dies ist der Ort, bei dem die Bogenfahrt amsteilsten ist. Hier ist Vorlegen angesagt.Wo ist der Ort, wo umgestiegen und/oder umgekantetwird? Dieser Ort kann mit den beiden anderen zusammenfallen,aber auch zwischen ihnen liegen.Ich wiederhole ausdrücklich: Die Orte des Bogen-Wechsels, diedes Umsteigens/Umkantens und die des Überfahrens der Gefällsliniekönnen, müssen aber nicht zusammenfallen.Das Umkanten, aber auch das Umsteigen können Elemente sowohldes Manövers des "Bogen-Wechselns", als auch Elemente des "Bogen-Änderns"sein. Von diesen Elementen alleine kann man dahernicht auf die übergeordneten Ganzheiten schließen. Diese mußman auf einer höheren Betrachtungsebene zu bestimmen suchen.Talstrebende HandlungDer Skilauf kann mit verschiedenen "Handlungsabsichten" betriebenwerden. Es kann die Einstellung dominieren, mit den Skiernden Hang queren zu wollen. Das Verhalten kann aber auch von derAbsicht geprägt sein, in das Tal hinunterzufahren.Es ist klar, daß im situativen Skilauf die Handlungsabsichtenentsprechend den vom Gelände gestellten Aufgaben variieren,bzw. dies tun sollten. Hier soll daher bloß die Verhärtung unddie Unbeweglichkeit der Handlungsabsicht kritisch betrachtet135


werden. Im situativen Skilauf kann die "Trägheit der Einstellung"nämlich dazu führen, daß die Handlungsabsicht quer zu jenerBewegungsaufgabe liegt, die das Gelände stellt. Dies kannUnfälle zur Folge haben.Eine "talstrebende" Handlungsabsicht dominiert zum Beispielbeim nordischen Skispringen. Dem Skilanglaufen liegt dagegeneine "hangquerende" Handlungsabsicht zugrunde.Wir haben schon angedeutet, daß der hangquerenden HandlungsabsichtBewegungsaufgaben entsprechen, die vorwiegend durch daserbkoordinative Leistungsmuster "Laufen" gelöst werden. Dertalstrebenden Handlungsabsicht sind dagegen Bewegungsaufgabenzugeordnet, wie zum Beispiel das der Schwerkraft entgegenwirkendeBremsen, das mit dem Leistungsmuster des "Galopps", bzw.des hakenschlagenden "Galopp-Wechsels" beantwortet wird. DasLaufen ist ein Muster der Fortbewegung durch eigene Muskelkraft.Der Galopp aber darüber hinaus eines, das ein Bremsenmit Muskelkraft leisten kann: als "Fortbewegungsmuster" leistetdas vorneliegende "Sprungbein" ziehende, beim "Bremsmuster" dagegendas nachgestellte "Landebein" bremsende Arbeit.Der Fahrweise Mathias Zdarskys lag das erbkoordinative Leistungsmusterdes Galopps zugrunde: Beim vorschaukelnden Gewichtübertragenund beim ziehenden Aufrichten am Bergbein, wirkte esals "Fortbewegungsmuster". Nach dem Galoppwechsel jedoch funktioniertees als "Bremsmuster". Zdarskys Gegner entwickeltenihren Skilauf entlang des Leistungsmusters "Gehen" (Paßgang),was zu ganz anderen Strategien der Geländebewältigung führte.Wir wollen nun die beiden Handlungsabsichten vergleichen:Die hangquerenden Handlungsabsicht steuert dieHangschrägfahrt und bringt das Problem, die Richtungumzukehren.Die Schußfahrt dagegen ist eine talstrebende Handlung.Ihr Problem besteht darin, die Schußfahrt zukontrollieren und bremsend zu beherrschen.Sehr schön drückte dies Max Winkler aus. Er stellte seinem Buch"Der Schilauf" 140 folgenden Leitsatz voran:140 Max Winkler. Der Schilauf. München 1932 5136


"Der Sinn des Schilaufs ist die flotte Schußfahrt,solange man das Tempo meistern kann. Schwung undBogen gehören dorthin, wo das Gelände sie erzwingt."(8)"Bei aller Freude an schwierigen Schilauf-Kunststücken wollen wir aber daran festhalten, daßdas Ideal des Schilaufes die sausende Fahrt in derfreien Bergnatur ist."(73)"Darum frühzeitig und immer wieder weg vom Übungshang,ins Gelände, in die freie Bergnatur hinaus!"(66)Diese Einstellung hat sich aber leider in den meisten Lehrwegennicht durchgesetzt. Im Gegenteil, auch heute noch wird im alpinenBereich im Skischüler eine hangquerende Handlungsabsicht"progammiert". In dieser Einstellung ist dann die Schrägfahrtdie "Sicherheitsposition", die man nur der Not gehorchend verlassenmöchte. Das führt dazu, daß man bestrebt ist, die Fahrtrichtungmöglichst schnell und "reibungslos" umzukehren. DieFixierung auf das Problem, die Skienden berwärts auf die andereSeite der Fallinie zu "drehen", ist die Folge. Diese Orientierungauf das "<strong>Dr</strong>ehen" der Skienden führt zur Suche nach Erleichtungen.Die Frage: "Wie kann ich reibungsarm drehen?"scheint dann das Hauptproblem vieler Anfänger auszudrücken.Diese Grundeinstellung entfaltet daher eine "Entlastungs-Philosophie". In dieser Sichtweise meint man, das Geheimnis desSkilaufs sei schon entschlüsselt, wenn die vielen Möglichkeiten,die Skier zu entlasten, erkannt seien. Das Skilaufen wirddabei von der Frage beherrscht, durch welche Manöver es wohlgelingen kann, die Skier reibungsarm oder im Sprung sogar reibungslosüber die Fallinie zu drehen. Mit dieser festgefahrenenOrientierung auf das <strong>Dr</strong>ehen der Skienden ist die Fixierung aufdie "teuflische" Fallinie, die es möglichst schnell und reibungsloszu überwinden gilt, verbunden.Der hangquerenden Handlungsabsicht ist also eigen :Die Schrägfahrt bedeutet Sicherheit;die Fallinie bedeutet Gefahr; dies führt zum gefahrmeidendenRücklegen;die Skienden sind möglichst schnell auf die andereSeite der Fallinie zu drehen;137


das <strong>Dr</strong>ehen soll daher entlastet geschehen;daraus entsteht das Hauptproblem: "Wie kann ichentlasten?".Anderes entsteht bei der talstrebenden Handlungsabsicht:Die Schußfahrt ist der zu suchende Genuß;die taloffene Haltung beim Passieren der Falliniewird im Bogen durch Vorlegen gesucht;der Körperschwerpunkt muß auf die andere Seite derSkier; nicht die Skier müssen auf die andere Seiteder Fallinie gebracht werden;der Körper "schwingt" also mit seinem Schwerpunktauf die andere Skiseite;die Aufmerksamkeit liegt nicht am Ski, sondern aufden Hüften; diese drehen aber die Skier nicht miteiner "Beckenkurbel" an, sondern folgen der Schwerkraftauf die andere Skiseite;das <strong>Dr</strong>ehen der Skier hat Zeit, und es soll mit Belastunggeschehen; die Schußfahrt soll ja kontrolliertund gebremst werden;das Problem ist daher nicht, "Wie kann ich entlastenund drehen?", sondern: "Wie bekomme ich denKörper nach vor und auf die andere Skiseite?" und"Wie kann ich "belastenden" <strong>Dr</strong>uck aufbauen?"Wie sich der hangquerende Skilauf in den Alpen verbreitet hat,das kann man heute im Wintersport gut beobachten. Die Skischulenfahren mit ihren Schülern in Schlangen, den ganzen Hangquerend, zu Tal. So mancher Unfall wird dadurch begünstigt. DieSkischul-Absolventen verhalten sich später dann genau so. Dieihnen vermittelte Handlungsabsicht macht sie zögerlich. AusAngst schieben sie den die Schrägfahrt umkehrenden Bogen immermehr hinaus. Die Schrägfahrt wird dadurch immer schneller, unddas Wenden für sie dadurch immer schwieriger. Der hinter ihnenvon oben kommende Skiläufer kann dann oft nicht erkennen, obdieser ängstliche Mensch sich nun doch zur Richtungsänderungentschließt oder nicht. Letztlich kann man weder links nochrechts vorbeizufahren riskieren, und man muß eben anhalten.138


Dies wiederum behindert bei unübersichtlichen Stellen oft dieNachkommenden, was nicht selten der Anlaß für einen Unfall ist.Dies alles geschieht eigentlich nur, weil die Skischüler überden "Pfluglehrweg" psychisch so konditioniert wurden, daß siezu einer echt talstrebenden Handlungsabsicht nicht mehr fähigsind.Diese falsche Programmierung versucht man nun nicht etwa methodischzu ändern, was effektiv und naheliegend wäre, sondern manweicht auf das iuristische Feld aus. Man gibt das Problem aneine andere Wissenschaft weiter, die dann einfach festlegt,daß, analog zum Straßenverkehr, der von hinten, bzw. oben kommendeLäufer in der Regel am Unfall die Schuld trägt. Es gehtbei diesem Bemühen um "Sicherheit" daher gar nicht um eine Unfallverhütung,sondern nur um eine Schadensregulierung.Ganz anders würden sich aber Anfänger, die einen Lehrweg dertalstrebenden Handlung hinter sich haben, verhalten. Die Falliniewäre für sie keine besondere "Angst-Linie". Sie würden daherversuchen, ihr entlang einen Korridor hangabwärts zu fahren.Je steiler der Hang, umso mehr Bögen würden sie fahren,und umso schmaler würde der Korridor sein, den sie für ihreAbfahrt benötigen. Das Vorlegen beim Überqueren der Gefällslinieist für sie ja das geringere Problem.Davon kann sich jeder Skilehrer selbst überzeugen, wenn er tatsächlichversucht, das Skilaufen entlang des von MathiasZdarsky aufgegriffenen Leistungsmusters des "Galopp-Wechsels"zu vermitteln. Ich habe diesen Lehrweg mehrere Jahre lang realisiert.Aus meiner Erfahrung heraus kann ich diesen Weg jedemempfehlen.Aus der hangquerenden Handlungsabsicht ist es dagegen schwer,das erforderliche Vorlegen beim Überfahren der Gefällslinie zuentwickeln. Dagegen sind meist schon zu starke psychische Sperrenaufgebaut. Diese psychischen Blockaden kommen insbesondereim Massensskilauf zum Tragen. Die guten Läufer leiden unterdiesem "Pflug-Schrägfahrt-Lehrweg" weniger, denn das Geländekrempelt sie sozusagen psychisch um. Durch diese "Gehirnwäsche"werden sie dann nicht wegen des hangquerenden Lehrweges, son-139


dern trotzdem gute Skiläufer. Zu viele Skischüler werden aber"Alpin-Opfer" einer sie verklemmenden Lehrmethode.Mathias Zdarskys Vorlagetechnik wurde rechthaberisch abgewehrt.Dies mußten vermutlich Millionen von Skiläufern mit Unfällenbezahlen. Es ist unglaublich, welche Folgen der Neid und dieGeltungssucht von wenigen "Experten" für die Volksgesundheithaben kann.Bereits vor 60 Jahren hat Fritz Reuel vor diesem Irrweg gewarnt.Seine fundierten Einwände und Vorschläge blieben aberletzlich genauso unbeachtet wie die von Mathias Zdarsky. Soschrieb Reuel in seiner Denkschrift:"Dieser bedauerliche teilweise alpine Bankrott desGesamtskilaufes in seiner schöneren, weniger anstrengendenHälfte, geht auf die alte telemärker"Norwegertechnik" zurück, aus der heute noch - abgesehenvom tieferen Heruntergehen und stärkeren"Vorlegen" beim Kristiania - unser Gleitschwingenfast unverändert besteht. " 141Er kritisiert schon damals die auch heute noch"...zu beobachtenden marionettenhaft pendelnden undmaschinenhaft starren Teilbewegungen des Gesäßes,der Schultern, der der Arme..." 142Die der hangquerenden Handlungsabsicht entsprechende Fixierungauf das entlastete <strong>Dr</strong>ehen der Skier über die Fallinie hat nachFritz Reuel"...zur Aufstellung verwickelter, widerspruchsvoller'Stammbäume der Schwünge' geführt. Leider hatteman dabei ihren wirklichen Stammvater, den Körperzu berücksichtigen unterlassen und ihre wahren Erzeugerinnen,die Schwerpunktverlegung und Verwindunggenauer zu untersuchen vergessen. Der Skilaufwurde zu ausschließlich als 'Kunst verstellbarerKufen' betrachtet und der Skiläufer zu vorwiegendals 'menschliche Rodel' behandelt. Dem Anfänger hatdiese oberflächliche 'oberkörperlose' Methodeglücklicherweise nicht allzuviel geschadet. Er istinfolge der Sperrigkeit seiner Bretter und desSchnees so wie so dazu verurteilt, geraume Zeit141 Fritz Reuel. Denkschrift über die entwicklungsgeschichtlichen, physiologischen und dynamischen Grundlagenjeder Art menschlichen Laufens, Bogenlaufens und Schwingens. Typoskript. O.J. (1931?)142 Fritz Reuel. Denkschrift über die entwicklungsgeschichtlichen, physiologischen und dynamischen Grundlagenjeder Art menschlichen Laufens, Bogenlaufens und Schwingens.Typoskript. O.J. (1931?)140


körperlich mehr oder weniger unbeholfen zu laufen.Dabei kamen jene Stammbäume sogar seinem Bedürfnisentgegen, die Schwünge und ihre verschiedenen Verbindungenschneller formal unterscheiden zu lernen.Für die Fortgeschrittenen waren die Folgen dieserausschließlichen Unterkörper- und Schlittenkufen-Methode schon bedenklicher. Es wurde ihnen damitdie höhere theoretische Einsicht erschwert und derWeg zur organischen Weiterentwicklung und zum praktischenFortschritt an entscheidender Stelle verschüttet.Denn der Skilauf ist wie jede Sportart,geschweige denn jeder Bogenlauf, vor allem eineKunst des Körpers und erst in zweiter Linie eineFertigkeit der Beine und des Geräts. Es ist deshalbhöchste Zeit, daß mit dem Dogma von der theoretischenund praktischen Vorherrschaft der Skiführungüber den Körper beim Skischwingen, auf dem Lehrbücherund Unterricht fast ausschließlich aufgebautwaren, endgültig aufgeräumt wird." 143Betrachtet man angesichts dieser Kritik den Lehrweg MathiasZdarskys, den dieser bereits im vorigen Jahrhundert vorgeschlagenhat, so steht bei ihm das Bewegen des Oberkörpers ganz imVordergrund. Bereits beim Stand geht er eindringlich daraufein, wenn er fordert:"Das Körpergewicht ist soviel als möglich nach vornezu legen, so daß man das Gefühl bekommt, alsmüßte man fast nach vorne fallen. Die Fersen dürfennicht gehoben werden. Man steht scheinbar auf derganzen Sohle, und doch ist die eigentliche Unterstützungsflächenur der vordere Teil des Fußballensund die Zehen." 144Beim Fahren wird das Vorlegen des Oberkörpers noch wichtiger:"In der Hüfte neigt man sich etwas vor, und dieKnie sind mäßig, sehr mäßig gebeugt, auf keinenFall darf jedoch der Körper steif gehalten werden.Der Fahrende muß stets das Gefühl haben, daß derOberkörper den ganzen Fahrer zieht." 145Letzlich ist143 Fritz Reuel. Denkschrift über die entwicklungsgeschichtlichen, physiologischen und dynamischen Grundlagenjeder Art menschlichen Laufens, Bogenlaufens und Schwingens. Typoskript. O.J. (1931?)144 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)145 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)141


"...das Übertragen des Körpergewichtes, wie es beimKreisschwungwechsel erforderlich ist,...", 146das Entscheidende der talstrebenden <strong>Technik</strong> MathiasZdarskys.Denn:"Je rascher man fahren will, desto kräftiger mußder Oberkörper den ganzen Skifahrer ziehen." 147Mathias Zdarsky versuchte seine Schüler zu einer tal-strebendenHandlung hinzuführen, indem er sie den Kreisschwung als eineSchußfahrt mit unterschiedlichem Gefälle sehen lernte."Das Gefälle der Bahn des Kreisschwunges ist sehrverschieden, je nach der Phase. Beginnt man den Bogenaus dem Stande, so stehen wir im Raume waagrecht.Hat nun zum Beispiel der Hang eine40 gradige Neigung, so hat der Kreisschwung in jederPhase, während der wir in der Richtung desfließendenn Wassers fahren, auch eine Neigung von40 Grad, während das Ende des Kreisschwunges wiederwaagrecht liegt. Wir senken uns also beim Kreisschwungeigentlich auf einer schiefen Ebene, welcheS-förmig zwischen zwei waagrechten gekrümmt ist,sobald wir uns die Neigung in einer vertikalen Ebenevorstellen.Daraus geht hervor, daß es zweckmäßig ist, den zukünftigenBogenfahrer zuerst fleißig in der Richtungdes fließenden Wassers fahren zu lassen, aberauf wechselndem Gefälle.Betrachten wir ein solches Fahren etwas genauer.Der leichteren Verständigung wegen nehmen wir denFall sehr schematisch.Auf einer mäßig geneigten Ebene fährt der Skifahrerabwärts. Plötzlich senkt sich die Bahn auf 40 Grad.Bleibt der Skifahrer in unveränderter Stellung, sogehen ihm die Skier durch und er kommt zum Sitz.Will er das Rückwärtsfallen verhüten, so muß er denSchwerpunkt entsprechend vorlegen. Da wir aber nachallen Erfahrungen des gewöhnlichen Bergabgehens unszurücklehnen, jetzt aber uns entgegen dem instinktivenVerhalten vorlegen sollen, so ist es begreiflich,daß diese Phase den Anfängern sehr viel zuschaffen macht, umso mehr als die meisten das 'Vorlegen'mit dem 'Vorneigen' verwechseln, und dochkann man sich so vorneigen, daß der Schwerpunktstatt vorgeschoben zurück-geschoben wird." 148146 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)147 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)148 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)142


"Alle diese Vorübungen erleichtern uns den Kreisschwungwesentlich. Wir begreifen, warum wir vorund nach dem Kreisschwung in aufrechter Haltung unsbefinden können und warum wir trotz der steilstenAbfahrt uns dennoch in der schärfsten Phase desSchwunges vorlegen müssen." 149"Dieses "kopfüber" bei schneidiger Fahrt ist derschwache Punkt vieler Fahrer, um so mehr, als jagerade in dieser exponierten Stellung der hochaufgerichteteKörper sich des Stockes nicht bedient."150Diesen Gedanken hat Hellmut Lantschner in seiner Fahrweise ganzdeutlich aufgegriffen. Bei Mathias Zdarskys Anfängerlehrweg wardas Vorlegen besonders in der "Zwangsgrätschstellung" von Bedeutung,mit der man sich im Bogen der Gefällslinie näherte.Beim "Kreisschwung" stieg man zuerst von der Schrägfahrt amTalbein in die "Stemmstellung" am vorgestellten Bergbein um."Aus der Stemmstellung drehen wir uns mit dem Oberkörperrasch talwärts, strecken das Standbein, belastenbeide Beine gleichmäßig, lassen die Fersenenden,so weit als möglich auseinander und haltenbeide Ski vollkommen flach. Der ganze Körper istgestreckt, aber so weit nach vorne geneigt, daß wirfast fühlen, wir müßten auf das Gesicht fallen." 151"Dieser Stand in der Zwangsgrätschstellung mit vorgelegtemOberkörper in der schärfsten Phase ist derPrüfstein für Sicherheit und Mut." 152Das Wichtigste der talstrebenden Handlung ist also das Verlegendes Körperschwerpunktes. Sei dies nun beim Bogen-Wechsel durchseitliches Verlagern, oder sei dies beim Überfahren der Gefällsliniedurch Vorlegen.Das Umkanten der Skier erfolgt dann mehr oder weniger vonselbst, ebenso ihr belastetes <strong>Dr</strong>ehen. Der Körper ist Haupt- dieSkier sind Nebensache. Das Vorlegen des Oberkörpers beim Bogen149 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)150 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Berlin 1925 16151 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Berlin 1925 16152 Mathias Zdarsky. Methodische Skilaufübungen. In: Der Schnee. Wien 1907und in: Mathias Zdarsky (Red. Hans Gärber). Skisport. Gesammelte Aufsätze von Mathias Zdarsky. Wien 1915(1909)143


zur Gefällslinie ist, wie Mathias Zdarsky betonte,"der Prüfsteinfür Sicherheit und Mut".Mit dem Lehrweg der hangquerenden Einstellung umging man dagegendiesen "Prüfstein". Man forderte dort beim schnellen undreibungsarmen <strong>Dr</strong>ehen über die Fallinie vom Anfänger kaum Mut.Man verzichtete dabei aber ungewollt auch auf das Entwickelnder Sicherheit, was viele Skiläufer später mit schweren Unfällenbezahlen mußten.144


Mathias Zdarsky und Fridtjof NansenVor fast einhundert Jahren, im Jahr 1896, veröffentlichte MathiasZdarsky in Hamburg sein Skibuch "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>".Damit begann etwas Neues : Es wurde eine dem alpinen Geländeangepaßte Fahrweise begründet, die wir heute den "Alpinen Skilauf"nennen. Mathias Zdarsky wollte mit seiner Arbeit FridtjofNansen ein Denkmal setzen und den Skilauf im Geiste Nansens imalpinen Gelände fortführen und verbreiten.Das Jubiläum "100 Jahre Alpiner Skilauf" im Sinne MathiasZdarskys zu feiern, bedeutet daher, auch des großen NorwegersFridtjof Nansen 153 zu gedenken und ihm zu danken.Was man von Nansens Vorhaben hieltIm Januar des Jahres 1888 teilte Fridtjof Nansen in einer norwegischenZeitschrift der Öffentlichkeit mit, daß er mit eini-153 Der Norweger Fridtjof Nansen war Biologe und Polarforscher. Er war auch ein politisch denkender und handelnderMensch. Nach dem 1. Weltkrieg leitete er die Heimführung der Kriegsgefangenen aus Rußland und organisierteals Hochkommissar des Völkerbundes Hilfsaktionen für das hungernde Rußland. Vergeblich bemühteer sich, das Gewissen der Welt wachzurütteln, die tatenlos zusah, als in der Zeit zwischen 1915 und 1922 dieTürken ein <strong>Dr</strong>ittel der Armenier ausrotteten. Es gelang ihm nicht, im Völkerbund Hilfeleistungen für die Überlebendender von den Türken vertriebenen Armenier zu organisieren. Im Jahre 1922 erhielt Fridtjof Nansen denFriedens-Nobelpreis. Fridtjof Nansen verdient nicht nur Respekt hinsichtlich seiner Durchquerung Grönlands aufSkiern, sondern sein Anliegen war es auch, mittels des Skilaufes das nationale Selbstbewußtsein der Norweger zustärken und die Ablösung Norwegens von Schweden zu fördern. Nansen war es aber auch, der persönlich aktivwurde im Dienste der Bildung der Völkergemeinschaft. Er war es, der, als 1924 die Frage der AufnahmeDeutschlands in den Völkerbund diskutiert wurde, nach Deutschland reiste, um den Reichskanzler zu überzeugen,daß sein Land nicht abseits bleiben dürfe und daß der Völkerbund nur wirken könne, wenn ihm alle Völkerangehörten.Walter Bauer. Fridtjof Nansen - Humanität als Abenteuer. Fischer-Taschenbuch. 1981145


gen Gefährten Grönland mit Skiern von Ost nach West durchquerenwolle. Alle Experten und insbesondere jene, die sich bloß fürsolche hielten, bezeichneten lautstark Nansens Vorhaben als undurchführbarund verrückt. Mathias Zdarsky erinnerte sich gutan diese Zeit und schrieb rückblickend im Jahr 1925 :„Als zu Beginn des Jahres 1888 ab und zu Zeitungsnotizenerschienen, die sich mit der wahnsinnigenIdee eines Norwegers, Grönland auf Schneeschuhenqueren zu wollen, beschäftigten, schüttelten wohlalle Leute den Kopf über solche Verrücktheiten.Denn 'alle' Leute verstanden davon nichts!Zum Heile des Verwegenen hatte die norwegische Regierungsein Ansuchen um 5000 Kronen für die Ausführungder Grönlandreise glatt abgelehnt. Leiderfand sich in Dänemark ein Mann, dieser weiße Rabehieß Augustin Gamal, der dem jungen Nansen, so hießder wagemutige Mann, unaufgefordert die 5000 Kronenvorstreckte. Alles war empört, wie man für einensolchen Blödsinn solche Geldsumme opfern könne.Fachmännische Urteile regneten als Verurteilungenauf den jungen Stürmer, der einem Eisbären gleich,von Scholle zur Scholle des ewigen Eises springenwolle, um die den Schiffern unnahbare OstküsteGrönlands zu erreichen.Also war Nansen verurteilt und bald darauf auchverschollen. (Siehe: Nansens 'Auf Schneeschuhendurch Grönland')Im Herbst 1888 kam die kurze Nachricht aus Grönland,„Nansen angekommen“. Erst anfangs Sommer 1889liefen reichlichere Nachrichten ein und Nansen, derVielverspottete ward auf einmal von der 'edlen'Menschheit zum Heros gestempelt.Wärend früher der dümmste Banause über Nansens'Blödsinn' lächelte, bemühte sich jetzt derselbeBanause, so viel als möglich 'norwegisch' zu erscheinen.Selbstverständlich rief diese Begeisterung allewehrhaften, mutigen Manen zum Kampfe auf den Schneemit dem Schneeschuh. Selbstverständlich fanden sichbald menschenliebende Händler, die den größten norwegischenSchund verschleißten und den jeweiligenKäufer als einen Helden priesen.Je geheimnisvoller die 'Kunst' des Schneeschuhlaufensallen Anhängern vorkam, desto drolliger, protzenhafterund selbstherrlicher traten sie auf. Manschlage nur in den Tagesblättern von Wien und ganzbesonders von Graz die Jahrgänge 1890 bis 1898nach, um Unglaubliches zu entdecken. Zum Beispiel:Einige der bekanntesten Sportsleute der Steiermarkhaben in Mürzzuschlag geprüft, ob sich der norwegischeSchneeschuh auch für die Steiermark eigne. A-146


er sie kamen zu dem einhelligen Urteil, daß derSchneeschuh für die Alpen ganz unbrauchbar sei.Ähnlich wie diese „Fachleute“ gaben auch viele berühmteHochalpinisten ihr vernichtendes Gutachtenab. Dieselben steirischen 'Sportleute' gründetenaber ein Jahr danach einen Schneeschuhverband undtaten seitdem immer so, wie wenn sie sich niemalsblamiert hätten." 154Was nach Nansens Tat geschahAls Fridtjof Nansen sein Buch über seine Grönland-Expeditionveröffentlichte, wollten daraufhin viele Sportsleute das Skilaufeneinfach nur ausprobieren."Von Eintagsfliegen abgesehen,"berichtet Mathias Zdarsky,"war in Mitteleuropa das Skifahren bis zum Jahre1890 fast unbekannt. Die Geschichte von denKrainer Bauern, die im Winter von ihren Bergen, bogenfahrend,mit gebogenen Hölzern, herabfuhren, erweistsich nicht als Skifahrt, sondern als Fahrtauf Knappenrösseln. Das Knappenroß ist ein 2 bis3 cm dickes, durchschnittlich 30 cm breites und80 cm langes Brett und saust rodelartig abwärts. Esversinkt nicht wie eine Rodel auf ungebahntemSchnee. Noch in den Jahren 1880 bis 1890 fuhren dieBergknappen des Goldbergwerkes am Sonnblick so herabnach Kolm-Saigurn.Erst Nansens Durchquerung Grönlands auf Schneeschuhen(1888) brachte eine allgemeine Begeisterungnicht nur für diesen einzigartigen Heroen, sondernauch für sein prachtvolles zweibändiges Buch: 'AufSchneeschuhen durch Grönland'. Selbstverständlichentstand aller Orten der Wunsch, den Schneeschuh,der so fabelhafte Beherrschung des Schnees gestattet,kennenzulernen.Es erschienen kleine <strong>Dr</strong>uckschriften über das Skilaufen,meistens Reklame für Fabriksware, seltenwirkliche Anleitungen. (Vorwerg, Schollmayer.)Aber auch in Norwegen war in den Bürgerkreisen derSchneeschuh erst seit Ende der Sechzigerjahre desvorigen Jahrhunderts bekannt, obwohl er auf demLande bei den einsamen Leuten seit Jahrhundertenals Fortbewegungsmittell im tiefen Schnee gebräuchlichwar." 155154 Mathias Zdarsky. Es war einmal! In : Der Schnee. Wien 1925155 Mathias Zdarsky. Einiges zur Geschichte des alpinen Skifahrens. In: Der Schnee, Wien 1928147


Zdarsky folgte Nansens Einstellung zum SportIm Herbst des Jahres 1896 erschien in Hamburg im selben Verlag,in dem die deutsche Übersetzung von Fridtjof Nansens Buch verlegtwurde, Mathias Zdarskys Buch : "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>". In diesem Buch stellte Zdarsky nicht nur seine fürdas alpine Gelände weiterentwickelte Skitechnik und die dafürerforderliche Skibindung dar, sondern er bemühte sich im zweitenTeil des Buches ausführlich und eindringlich, Fridtjof NansensSportverständis zu vertiefen und fest mit dem Skilauf zuverknüpfen.Das Schlußwort des Buches beginnt er mit der Feststellung:"Die praktische Bedeutung des Skisports steht soaußer allem Zweifel, daß ich es für überflüssighalte, irgend eine Lobpreisung diesbezüglich zutun. Seit Nansens kühner Durchquerung Grönlands hatsich der Ski Weltbürgerschaft errungen und so seinemgroßen Meister im Herzen aller Skifahrer eindauerndes, von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbendesDenkmal gesetzt." 156Mathias Zdarsky vergleicht das, was Fridtjof Nansen mit demSkilauf für die Norweger getan hat, mit dem Wirken FriedrichLudwig Jahns, der den Deutschen das Turnen gab."Einer der erfolgreichsten Schritte, selbstverständlicheben deshalb der sofort verpönteste, warder Schritt zur körperlichen Erziehung, den LudwigJahn tat.Nicht der Parteien Haß und Hader, noch des MannesVerhalten kommt hier in Betracht, sondern lediglichdie Tatsache, daß Deutschland heute turnt, daß diesesTurnen in der ganzen gebildeten Welt anerkanntist und daß Jahn es starrsinnig eingeführt und nochstarrsinniger durchgeführt hat. Aber wie alles Menschenwerkwäre auch dieses nach dem Tode seinesSchöpfers bald verfallen, wenn nicht Nachfolger,Schüler und Anhänger sich gefunden hätten, die dasWerk nicht untergehen ließen, die daran fortgebauthaben, es immer höher hoben und ihm endlich Formengaben, die für Dauerzeiten bestimmt sind.In diesem Sinne sagt deshalb auch ein anderer großerBahnbrecher mit vollem Recht, daß es sich beimSkilauf um mehr handelt, als die meisten ahnen.Nansen, der Begründer des Skisports in der Welt,der sagt diese Worte. In seiner Heimat, in seiner156 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)148


so großen und so menschenarmen Heimat wäre derSkisport noch jahrzehntelang nur eine Lokalerscheinunggeblieben, etwa wie das Rangeln in Tirol, dieTarantella in Italien oder das Fasselrutschen inKlosterneuburg, wenn Nansen nicht die DurchquerungGrönlands auf Schneeschuhen durchgeführt hätte.Selbstverständlich hadert jetzt die Eitelkeit, derNeid, die Wichtigtuerei um den Vorrang, um das Verdienst,den Skisport popularisiert zu haben.Diese Streber vergessen ganz, daß sie im günstigstenFalle Eintagsfliegen waren und sie auch gebliebenwären, wenn Nansens Tat nicht welterregend eingesetzthätte.Anschließend an den geographischen Erfolg Nansensreiht sich der für die Welt viel bedeutendere ErfolgNansens, den Ski aus seiner engen Wirkungsgrenzezur Weltbürgerschaft emporgehoben zu haben.Neugier, persönliche Eitelkeit, geschäftlicherSinn, Wichtigtuerei, Streberei und Effekthaschereiwaren die ersten minderwertigen Faktoren, die dieEinführung des Ski ermöglichten. Diese Faktorensind etwa mit dem Düngemittel vergleichbar, dastrotz seines unangenehmen Äußeren doch zur Erntevermehrungnotwendig ist. Etwas später kamen wertvollereFaktoren: der praktische Sinn, der mit demTiefschnee Kämpfenden und der selbsterziehende Sinndes Sportsmannes.Der Aufschwung war anfangs der Neunzigerjahre einplötzlicher. Leider traten schneearme Jahre ein unddie mühsam errungenen, unbedeutenden Erfolge imSkisport schwanden immer mehr, umsomehr, als dochnirgends so recht begriffen wurde, was der Skileisten kann. Bekannt ist die Episode der steirischenSportsleute in Mürzzuschlag, als von dort invielen Zeitungen gemeldet wurde, daß der Ski sichim Gebirge absolut nicht bewähre, da einige Sportsleutedurch persönliche Versuche dargetan haben, essei unmöglich, mit den Skiern im Gebirge irgendetwaszu leisten. Aber ebenso bekannt ist es, daß geradedort schon ein Jahr später sich ein sehr regesSkileben entwickelte." 157Paulckes Kampf gegen ZdarskyDer Student Wilhelm Paulcke bekämpfte Mathias Zdarsky vom erstenAugenblick an. Paulckes Betreben war es offensichtlich, umjeden Preis als "Vater des Skilaufs in den Alpen" zu gelten. Ander Sache Skilauf selbst und dessen technischer Weiterentwicklungwar er nicht interessiert. So beklagte Mathias Zdarsky:157 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In : Der Schnee. Wien 1907149


"Besonders hat Paulcke einen Vernichtungskrieg gegenmich geführt. Das Einfachste, mit mir zusammenzukommenund durch Anschauung seiner Auffassungsgabeaufzuhelfen, hat er konsequent abgelehnt." 158Eine Zusammenkunft von Zdarsky und Paulcke hätte vermutlichauch zu keinem guten Ergebnis geführt. Hierfür waren die Charakterezu unterschiedlich. Für Mathias Zdarsky, der FridtjofNansens Sportauffassung fortführte und einen gesundheits- underziehungsorientierten Sportbegriff propagierte, wäre WilhelmPaulcke kein wirklicher Gesprächspartner gewesen. Zdarsky sahin Paulcke einen Menschen, der sich ins Zeug legt, um eine Sachedurchzufechten, zum Siege oder zum bitteren Ende, und derauch bereit war, hierfür unsportliche Mittel, wie das Doping,einzusetzen. Die offizielle Einführung des Dopings in den Alpinismusist Paulcke aber seinerzeit nicht gelungen. Das begrüßteMathias Zdarsky. Er schrieb über Wilhelm Paulcke:"Allerdings hat auch bei seinen Anhängern sein seinerzeitigerVorschlag, durch Kokaininjektionen denKörper zu zwingen, die Hochtour durchzuführen, keinenAnklang gefunden." 159Mathias Zdarsky geriet also mit den skilaufenden Sportsleuten,die sich mit dem nordischen Sportgerät im steilen alpinen Geländeabmühten, in einen argen Konflikt. Im Grunde wollte eraber nichts anderes, als das von Fridtjof Nansen begonnene Werkfödern, es weitertragen und für die Zukunft absichern, damit es"nicht untergehe". Er selbst wollte "Nachfolger, Schüler undAnhänger" sein und an der von Nansen begonnenen Arbeit weiterarbeiten,damit sie Formen bekomme, "die für Dauerzeiten bestimmtsind"Wie Zdarskys neue Skitechnik aufgenommen wurdeZdarsky arbeitete sechs Jahre für sich ganz alleine - mit seinemNansen-Buch und ein paar norwegischen Skiern, die auch ersich aus der Heimat seines Vorbildes kommen ließ. Er bemerkte158 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In: Der Schnee. Wien 1907159 Mathias Zdarsky. Erheiterndes aus dem gegnerischen alpinen Schrifttum. Etwas für Psychiater.150


aber sehr schnell, daß man das Sportgerät den spezifischen alpinenAnsprüchen anpassen müsse, wenn man im alpinen Geländedas Werk Nansens fortführen wolle. Um dies zu erreichen, entwickelteZdarsky über 200 verschiedene Bindungen, ließ sich unterschiedlicheSkier anfertigen und erprobte sie."Vom Jahre 1890 bis 1891 an habe ich nur für michalleine auf meinem bis 54gradigen Grunde den Kampfum Fahrfertigkeit, um ein richtiges, den Bodenbedingungenentsprechendes Sportgerät geführt. Alsich mit meinem Wissen und Können zu Ende war, daswar Jänner 1896, entschloß ich mich, meine einschlägigenKenntnisse zu vermehren und Skifahreraufzusuchen, um mich weiter zu bilden, denn in denZeitungen las ich wahre Wundergeschichten, zum Beispielin der Frankfurter Zeitung: '... Der Skifahrersaust durch dichten Wald, auf einmal liegt einUrwaldriese, vom Sturme gebrochen, im Wege, hochragen die wuchtigen Äste in die Luft, doch der Fahrerübt plötzlich einen <strong>Dr</strong>uck auf die Skispitzenaus, schnellt hoch in die Luft und saust wie einVogel über das Hindernis hinweg ....'Ähnliche Kunststücke meldeten damals die Tageszeitungen.So etwas wollte ich sehen, denn mein turnerischesWissen stand da vor einem unfaßbaren Rätsel.Ein Artikel im Wiener 'Fremdenblatt' machte michschon ganz verrückt, denn da las man vom stocklosenFahren über Abgründe und Klüfte, daß es mich gruselte.Diese Meister mußte ich mir ansehen. Ichverließ meine Einsiedelei, kam auf den Semmering(2. Februar 1896) und sah auf einer 8 bis12gradigen Wiese in 'abgestochener Saustellung' diegrandiosen Fahrer herabrutschen und um die Wettepurzeln. Nur einige trafen die Fahrt stocklos, aberdamit war auch der Höhepunkt der Leistungen erreicht.Ich, der damals schon dem Ski auf jedemTerrain befehlen konnte, der ich sturzfrei60gradige Waldhänge befuhr, die tollste Fahrt sofortzum Stillstand bringen konnte, ich stand diesenStammlern im Skisport ganz verblüfft gegenüber.Auseinandersetzungen waren unmöglich, so entschloßich mich kurz, meine Erfahrungen über Holzschienengröße,über Skibindung und Fahrtechnik zu publizieren.Diese drei Sachen waren für das damalige Publikumein bißchen zu viel auf einmal. Ja, es war zuviel! Fassungslos standen die damaligen Skigrößenmir gegenüber. Hohn, Spott, Schimpf regnete von allenSeiten auf mich. Das Organ des ÖsterreichischenSkivereines nannte mich einen blutigen Anfänger,der es wagt, die nordischen Meister mit unbegreif-In : Der Schnee. Wien 1926151


lichem Unsinn zu belästigen; gleichzeitig gab dasselbeOrgan eine Anleitung zum Erlernen desSkisports, die noch etwas verworrener war, als siches der größte Spottvogel heute ausdenken könnte.'...Die höchste Leistung des Skifahrers bestehtendlich darin, daß er das Hochgebirge aufsucht. DieAbfahrt vollzieht sich so, daß sich der Skifahreroben auf dem Hange zusammenkauert, sich fest aufden Stock zurücklehnt und die Augen schließt. Dannsaust er pfeilgeschwind hinab, so lange, bis ihmder Atem vergeht. Jetzt muß er sich seitwärts inden Schnee werfen, warten bis er wieder zu Atemkommt, und dann wiederholt er wieder das Sausen,dann bleibt er wieder liegen, holt Atem, saust wiederund so fort bis er unten ankommt ...'So sahen meine Gegner aus." 160Ein bis heute andauernder Kampf gegen ZdarskyMathias Zdarskys Buch aus dem Jahre 1896 - "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>"- hat Wilhelm Paulcke zum Anlaß genommen, skilaufendenSportsleute, Skihersteller und Fremdenverkehrsleutegegen Zdarsky aufzuhetzen und zu verbünden. Er verbreitete dasGerücht, daß Zdarsky die Norweger beleidigt habe und ein argerGeschäftemacher sei. Auch heute noch ist in Publikationen desDeutschen Skiverbandes zu lesen, daß dies so gewesen sei. Manversucht damit offensichtlich, das verwerfliche Kesseltreiben,das Paulcke gegen Zdarsky organisiert hat, zu relativieren odergar zu rechtfertigen. So kann man heute noch lesen:"Zdarskys Buch mit seinen Ausfällen gegen den norwegischenSkilauf mußten ihn ( Paulcke, H.T. ) wieeinen Keulenschlag treffen - und er als Leitfigurder 'Norweger' im Schwarzwald war ja auch vonZdarsky in erster Linie gemeint." 161Um das Ausmaß dieser Fortsetzung der Geschichtsfälschung ermessenzu können, muß man sich in Erinnerung rufen, daß Zdarskysein Buch schon publiziert hatte, als Paulcke seine skialpinistischePioniertat vollbrachte, mit der er Zdarsky bekanntwurde! Man muß sich auch vor Augen führen, was Zdarsky160 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In : Der Schnee. Wien 1907161 vergl. Ekkehart Ulmrich . In: 100 Jahre Skitechnik - 40 Jahre Interskikongresse. Schriftenreihe des DeutschenSkiverbandes, Heft 21, 1992152


tatsächlich geschrieben hat. Ich werde also nun alle jeneStellen aus Zdarskys Buch vom Jahr 1896 wiedergeben, die mit"Ausfällen" und "Schwarzwald" zu tun haben könnten. 162Vorweg sei aber bereits festgestellt, daß Zdarsky an keinerStelle in seinem Buch das "Norwegische Skilaufen" ausfällig erwähntoder irgend einen Bezug zu den "Norwegern im Schwarzwald"hergestellt hat. Seine kritischen Bemerkungen betreffen bloßden Sprunglauf, der damals als der Kern des nordischen Skilaufsbetrachtet wurde. Sodann stellt er die Vorteile einer Skibindungdar, die den Fuß seitlich am Ski stabilisiert und daherkein seitliches Wegbewegen der Schuhe vom Ski zuläßt. Zdarskyschrieb:"Obzwar das Springen mittels der Skier vielfach alsdie Krone des Skilaufes bezeichnet wird, so istdasselbe dennoch nicht von jener Bedeutung, welcheseinem Rufe entspräche. Ich erwähne es hier nur derVollständigkeit wegen und füge ganz ausdrücklichbei, daß der besonnene Tourist, Jäger, Ausflügler,Landmann niemals in die Lage kommt, durch einenSprung seinen Weg besonders zu fördern. Der Sprungist vielmehr nur eine gymnastische Übung, welchesehr gute Skiläufer als Zeichen ihrer Tüchtigkeit,Gewandtheit, Geistesgegenwart und eines gewissenWagemutes ausführen, und zwar meistens auf eigensdazu hergerichteten Übungsplätzen. Übungsplätzesind aber doch nur Käfige."(24)"Der Ski hat sich als Verkehrsmittel im schneereichenNorden herausgebildet. Die Landbevölkerung wares, welche die Skiform und die Art und Weise desLaufens bis auf eine gewisse Höhe brachte, die genügte,der Schneenot abzuhelfen. Mehr als den jeweiligenlokalen Lebensbedürfnissen Rechnung zutragen, wurde von der Landbevölkerung selbstverständlichnicht angestrebt. Daher die verschiedenartigenSkiformen und Skibefestigungen. Erst alssich der Sport dieses Bauernfahrzeuges bedienenwollte, kam diejenige Form zur Geltung, welche dievielseitigste Bewegung erlaubte. Es war naturgemäß,daß der Sport nur bei der geistig regeren städtischenBevölkerung sich verbreitete, aber eben deshalbauf die Abwege geriet, Übungsplätze zu bevölkern.Der Ski paßt jedoch für die Übungsplätze, wieder Adler in den Käfig. Der Übungsplatz bedingtedann nur eine sehr vielseitige Fahrtechnik und verleitetezur übermäßigen Kultivierung des Sprunges,als einer verblüffenden Bravourleistung. Daraus er-162 alle Zitate aus: Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Hamburg 1897 (1896)153


154gab sich, daß man auf den Übungsplätzen Höchstleistungenerzielen wollte, welche wieder nur Einzelneund nicht die Mehrzahl aller Gesunden zum Üben bewog.Meine Anschauung geht dahin, daß Skivereine inerster Linie die Aufgabe lösen sollten, ihren Mitgliedernein für Jedermann erlernbares, sicheresFahren beizubringen, das Pflegen von Höchstleistungenjedoch dem Privatfleiße des Einzelnen zu überlassen.Als Übungsplatz sollte die unbegrenzteSchneedecke gelten, und es ginge sicherlich leicht,in vielen Orten Ausflugtouren derart zu wählen, daßderen Länge und Bodenneigung in einem bestimmtenVerhältnisse zur Fahrfertigkeit der Übenden stände.Es ist ganz gewiß schon für den Anfänger viel anregender,zum ersten Male auf Skiern stehend, eineviertelstündige Wanderung auf dem tiefen, dem Fußgängerunzugänglichen Schnee zu tun, als auf einemabgefahrenen, zerwühlten Schneefleck her und hin zutrippeln."(48)"Da der Skisport noch viel zu jung ist, und im Handelsehr viel Schundware den Skiläufern angepriesenwird, habe ich etwas ausführlicher über Ausrüstunggeschrieben ..."(63)"Mit unbequemen oder fast unbrauchbaren Skiern sindnoch die meisten Skifahrer ausgerüstet. Daher erklärtsich, daß viele, die sich dem Skisport widmen,nach kurzer Zeit das Bemühen wieder aufgaben,meistens nach einem unglücklichem Sturze, wobei dieSkier brachen oder das Fußgelenk oder die Zehenmehr oder minder in Mitleidenschaft gezogen wurden.Aber alle, ob nur flüchtige oder treue Anhänger desSports, empfanden das Bedürfnis, eine Verbindungzwischen Fuß und Ski zu haben, welche das Beherrschendes Ski erlaubte, und andererseits dem Fußnicht Gewalt antut.Deshalb entstanden ja die verschiedenen Systeme,welche jedoch alle den Fehler hatten, daß ihrHauptmaterial Leder war. Dieses ist nicht im Stande,die Ferse des Fußes vor dem seitlichen Abkommenvom Ski zu bewahren, und ebenso erlaubt es nicht,den Fuß derart abzubiegen, daß der Skiläufer bequemniederknien könnte. Diese Fehler sind allen Skifahrern,vom Anfänger oder Meisterfahrer, zur Genügebekannt."(53)"Aber der Ski muß mit seiner bergwärtsliegendenKante eingreifen. Sicher, d.h. unbedingt verläßlich,ist in dieser Beziehung nur der LilienfelderSki, alle anderen Systeme taugen nur zur Not imFlachland oder mäßigen Hügelland. Im Gebirge, aufüber 30° geneigten Flächen ist jedes andere Systemdirekt unbrauchbar. Denn der Fuß und der Ski müssenein unverschiebbares Ganzes bilden, wenn man mitfehlerfreier Sicherheit Hänge traversieren will,deren bloßer Anblick dem Laien ein Gruseln verur-


sacht. Die Ferse darf in solchen Fällen um keinenMillimeter sich verschieben, der Ski muß ohneSchaukeln auf dem Fuße gut aufliegen und dennochmuß der Fuß in vollkommen freier Bewegung unbehindertbleiben. Ich betone also nochmals, daß zu denim Folgenden beschriebenen Übungen nur der LilienfelderSki taugt."(269)"Zum Schluß sei nochmals darauf hingewiesen, daßalle hier besprochenen Fahrarten und Haltungen nurBezug haben auf das Laufen mit Lilienfelder Skiern,denn eine durch Riemen hergestellte Verbindung zwischenFuß und Ski kann niemals eine so verläßlicheund vollkommen ungefährliche Fahrtechnik ermöglichen."(47)Diese, alle aus heutiger Sicht weder unrichtigen noch diffamierendenFeststellungen, die nach Ansicht von Ekkehart Ulmrich 163den Wilhelm Paulke:"...als Ausfälle gegen den norwegischen Skilauf wieeinen Keulenschlag treffen mußten",haben Mathias Zdarsky den Ruf eines aggressiven und rechthaberischen,"zum Sektierertum neigenden" Menschen eingebracht.Die ihm entgegengebrachte Feindschaft versuchte Mathias Zdarskywiederholt auf die Ebene einer sachlichen Auseinandersetzung zubringen. Im Vorwort zur einer späteren Auflage seines Buchesschrieb er daher im Jahre 1908, also drei Jahre nach der gemeinsamenSki-Fahrt mit dem Norweger Hassa Horn:"Diese hier beschriebene Skifahrtechnik unterscheidetsich wesentlich von der norwegischen. Die norwegische<strong>Technik</strong> ist für das Hügelland ausgebildetund leistet auf diesem Gebiet, sowohl was Schönheitder Bewegung, als was Kühnheit anbelangt, dasHöchste.Aber diese Fahrart leidet an zwei Übeln. Sie versagtauf steilem, mehr als 35gradigem Gelände so,daß von einer sportwürdigen Bewegung da keine Redemehr sein kann. Das ist keine subjektive Behauptung,sondern nur ein Anführen der Tatsachen. Sowohlin der norwegischen Geschichte, als auch indem spärlichen 'Alpinismus' der modernen Norwegerist es mit Bestimmtheit nachzuweisen, daß sie derSteilheit wegen das Gelände meiden und dabei erklären:'Das ist kein Skiterrain!'163 In: 100 Jahre Skitechnik - 40 Jahre Interskikongresse. Schriftenreihe des Deutschen Skiverbandes, Heft 211992155


Der zweite Übelstand der modernen norwegischen Skifahrtechnikbesteht darin, daß sie eine lange Lernzeiterfordert.'Von Jugend auf muß man laufen, wenn man es zurMeisterschaft bringen will!' Dieser Übelstand istes auch, daß selbst in Norwegen nicht alles, wasden Ski führt, meisterhaft fährt. Höchstleistungenkönnen auch niemals Gemeingut des Volkes werden.Bei uns in Mitteleuropa, wo die Schneeverhältnissewesentlich ungünstiger liegen, auch die lokalen undwirtschaftlichen Faktoren es nicht immer erlauben,jede freie Stunde sofort auf dem Schnee zu verbummeln,kann die norwegische <strong>Technik</strong> niemals für jedenInteressenten oder gar als allgemein verbreiteteFertigkeit zur Geltung kommen.Dagegen wird es sehr erfeulich sein, wenn eineleistungsfähige Minderheit die norwegische <strong>Technik</strong>pflegt, um so eine Art Schauspiel den Zusehern bietenzu können." 164Als Kern der norwegischen <strong>Technik</strong> galt damals, wie ich schonerwähnt habe, nicht wie heute der Skilanglauf, sondern das beimSchau-Sport in den Vordergrund gestellte Skispringen. Daraufbezog sich, für alle damals eindeutig vertständlich, die Gesamtbeurteilungvon Mathias Zdarsky.Alle kritischen Bemerkungen Zdarskys sind getragen von jenemSportgeist, den Fridtjof Nansen für das Skilaufen geprägt hat.Zdarsky ließ sich nicht davon abbringen, sein ganzes Leben lang"Ski" zu schreiben. Seine Gegner, insbesondere in Österreich,wollten sich von ihm dadurch absetzen, daß sie "Schi" statt"Ski" propagierten. Heute tun dies bereits fast alle Österreicher.Zdarskys Verständigung mit den NorwegernDie Norweger hielten sich aus dem mitteleuropäischen Streit umden Skilauf mehr oder weniger heraus. Sie nahmen vielmehr dieEinladung des "Alpen-Skivereines" an, einen Vertreter Norwegensals Gast nach Österreich zu entsenden, damit sich dieser von164 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Berlin 1908156


Zdarskys Fahrweise ein Bild machen könne. Sie delegierten HassaHorn 165 , der nach Norwegen fair berichtete.Im Jahr 1936 schrieb Hassa Horn rückblickend:"Wie man weiß, war damals ein großer Kampf umZdarskys Person, und die Wogen des Streites gingenhoch. Es läßt sich nicht leugnen, daß viele hier inNorwegen sich stark durch die Art betroffen fühlten,auf die Zdarskys Patent, der Lilienfelder Skimit Bindung, lanciert wurde, und es fiel recht vielenschwer aufs Herz, daß ein Ausländer behauptenwollte, er verstände sich besser auf Ski und Skilaufals ein Norweger...Von früher hatte ich eine freilich sehr oberflächlicheKenntnis des Skisports, wie er in der Nähevon Wien betrieben wurde; denn ich nahm 1897 an einemSkirennen in Pötzleinsdorf bei Wien teil.Mein Eindruck von damals war, daß der Skisport inWien nur eine Modesache war, wobei Schaurennen mitNorwegern als Zugnummer die Hauptrolle spielten.Meine erste Begegnung mit dem Alpen-Skiverein wardeshalb eine große und angenehme Überraschung. Hierhandelte es sich nicht um eine Schaustellung, dasZiel war hier, mit Hilfe des Schneeschuhs das Hochgebirgeauch im Winter zugänglich zu machen, unddiesem Ziel strebte Zdarsky zu, als er seine zielbewußteund tatkräftige Arbeit begann.Erst neulich hat der bekannte norwegische SkiläuferDagfin Carlsen, dessen Name in Mitteleuropa wohlbekanntist und den besten Klang hat, Zdarsky alsdenjenigen bezeichnet, der den Slalomlauf in seinerjetzigen Form eingeführt hat...Nachdem ich Zdarsky im Gebirge gesehen hatte, warich mir sofort klar darüber, daß er, was ihn selbstbetrifft, voll das Ziel erreicht hat, das er sichgesetzt hatte, sich sicher und ruhig selbst aufsehr steilem Gelände fortzubewegen. Obwohl seineMethode an und für sich nicht als eigentlich neubezeichnet werden konnte, mußte ich rückhaltloszugeben, daß ich bis dahin nie einen Skiläufer gesehenhatte, der sich so fest und sicher in solchemGelände und auf so schwieriger Fähre bewegt hätte.Es war auch ebenso verblüffend, wie schnell seineSchüler wenigstens etwas von der gleichen Sicherheiterlernt hatten. ...Bei dem Zusammensein mit Zdarsky und seinen Freundenkam ich zu der Schlußfolgerung, daß er selbst165 Ing. Hassa Horn war einer der Führer und erfolgreichsten Wettkämpfer (Holmenkolmsieger) des norwegischenSkilaufes. Er war 1897 beim Pötzleinsdorfer Skifest in Wien und 1905 bei Zdarsky in Österreich. AlsSekretär des Norwegischen Touristenvereines hat er die Einführung des bis dahin wenig ausgeübten Skilaufensim Gebirge gefördert.vgl. Erwin Mehl (Red.). Zdarsky- Festschrift zum 80. Geburtstag des Begründers der alpinen Skifahrweise.Wien-Leipzig 1936157


seine Fahrweise bis zur Vollkommenheit beherrscht,und daß er in seltenem Grade verstand, das Systemfür seine Schüler anschaulich zu machen, so daß einigevon diesen in ganz unglaublich kurzer Zeit soviel Fertigkeit erworben hatten, um sich sicher undruhig auch in sehr schwierigem Gelände zu bewegen.Was Zdarskys Patent, den Lilienfelder Ski und dieBindung betrifft, so wäre es läppisch - wie ichmich in meinem Bericht an Skiforeningen äußerte -zu leugnen, daß beides in dem Gelände, wofür es bestimmtist, gut gebraucht werden kann. Und ichglaube, daß alle, welche die Entwicklung desSchneelaufes in Mitteleuropa verfolgt haben, jetztzugeben werden, daß jedenfalls einige von denGrundsätzen, die Zdarsky verfochten hat, heute allgemeinanerkannt sind.In meinem Berichte verwies ich auch auf die intensiveArbeit, die überall aufgewendet wird, um dieSchneeschuhe und die andere Ausrüstung den Verhältnissenim mitteleuropäischen Schigelände anzupassen,und schloß mit dem Rate an meine Landsleute :'Wir Norweger müssen sehr auf diese Arbeit achten;passen wir nicht auf, kann es eines schönen Tagesgeschehen, daß wir überflügelt werden.' Wohl diemeisten Sachkundigen werden, wie ich annehme, heuteanerkennen, daß es vernünftig gewesen wäre, wennman hier beizeiten diesem Rat gefolgt wäre." 166Das Treffen von Hassa Horn und Mathias Zdarsky und ihre gemeinsamenSkifahrten auf dem Schneeberg in Niederösterreich habenzwischen Norwegen und Lilienfeld gegenseitige Achtung gebracht.Zdarskys Freund und Kampfgefährte Wilhelm Rickmer Rickmersglaubte alle Mißverständnisse beseitigt und veröffentlichte einenvom Verständigungswillen getragenen Aufruf, in dem erschrieb:"...Jedem ist anerkannt worden, was ihm gebührt,keiner ist mit ungerechtem Willen um sein Bestesgeschmälert worden. Bescheiden wir uns mit dem Urteileunbefangener Schiedsmänner, auch wenn wirmehr gewünscht hätten. Doch Anerkennung ist dasSchwerste, was es gibt und deshalb immer ein Vollesund Ganzes, auch wenn uns ein Stückchen zu fehlenscheint.Jede bedeutende Bewegung hat ihre Sturm- und <strong>Dr</strong>angperiode.Vielleicht dürfen wir uns freuen, als'Feinde' inmitten dieser Zeit uns gegenübergestan-166 Hassa Horn. Gruß aus Norwegen. In: Erwin Mehl (Red.). Zdarsky- Festschrift zum 80. Geburtstag des Begründersder alpinen Skifahrweise. Wien-Leipzig 1936 und in: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky - Der Mannund sein Werk. Beitrag zur Geschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld1987158


den zu haben. Aber eilen wir, den Abschnitt zuschließen, damit wir allesamt später gemeinsam undals Freunde auf diese schöne Zeit der Gärung zurückblickenkönnen.Polemiken scheitern an der Relativität der Begriffeund an der Subjektivität jedes einzelnen. Kritikentrennen, Freuden verbinden uns. Ich habe mich füreine gute Sache und für das außerordentliche Verdiensteines tatkräftigen Mannes eingesetzt; ichwerde es fernerhin tun und kann es nie bereuen.Norwegen und Lilienfeld haben sich getroffen; dasVerdienst ist nach bestem Können und Gewissen freudiganerkannt worden. Mehr kann man nicht verlangen,weder wir noch andere. Kleinere und auch größereMißverständnisse und Mißdeutungen vielleichtausgenommen, aber die wollen wir ja abtun, damitein Ende sei." 167Den Streit mit den Norwegern selbst konnte Zdarsky beilegen.Die Begegnung mit Hassa Horn baute gegenseitigen Respekt auf.Sie fand, wie schon berichtet, vom 5. bis 7. Jannuar des Jahres1905 auf dem Schneeberg statt. Zdarsky veranstaltete daraufhinzwei Monate später, am 19. März 1905, in Lilienfeld amMuckenkogel den ersten öffentlichen Torlauf der Geschichte desAlpinen Skilaufs. Das war offensichtlich Paulcke zuviel, dennmit diesem Torlauf schien nun - nachdem sich die Norweger mitZdarsky verständigt hatten - der Durchbruch des Alpinen Skilaufsunmittelbar bevorzustehen. Paulcke hatte daher nun alleEile, den Aufbau einer "Einheitsfront" gegen Zdarsky voranzutreiben."Er war als Mitglied des Ski-Clubs-Todtnau bereitsmaßgeblich an der Schaffung des Skiclubs Schwarzwaldbeteiligt. Mit Hilfe seiner dortigen Freundeund einer sich über viele Jahre erstreckenden beispiellosenWerbetätigkeit stand er im Jahre 1905entscheidend Pate für die Gründung sowohl des Deutschenals auch des Österreichischen Skiverbandes.Für beide hat er die Statuten entworfen. Bei derGründung des Schweizerischen Skiverbandes ein Jahrvorher wirkte dieser wahre Pionier einer doch völligneuen Sportart ebenfalls durch Rat und Tatmit...Am 20. November 1904 hatten sich in Olten - imBahnhofrestaurant 2. Klasse - 16 Schweizer Vereinemit insgesamt 731 Mitgliedern zum ersten offiziel-167 Wilhelm R. Rickmers. zitiert in: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky - Der Mann und sein Werk. Beitrag zurGeschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 1987159


len Skiverband der Welt zusammengeschlossen. Am 4.und 5. November des folgenden Jahres wurden dann imMünchner Augustinerbräu der Deutsche und der ÖsterreichischeSkiverband gegründet. Der MitteleuropäischeSkiverband, in dem sich diese drei Länder ursprünglichebenfalls 1905 (auf Betreiben von Paulcke,H.T.) vereinigt hatten, zeigte sich den verschiedenenverbandspolitischen Bestrebungen jedochnicht gewachsen, er wurde, nachdem die Schweizschon im Dezember 1907 wieder ausgetreten war, imJahre 1913 aufgelöst." 168Der Privatkrieg Paulckes gegen Zdarsky und gegen den Torlaufwar so etwas wie ein Motor für die Gründung sowohl des Deutschenals auch des Österreichischen Skiverbandes."Für die Zeit um die Jahrhundertwende kann Paulcke,nach Stellung und Autorität in Skiläuferkreisen,zweifellos als 'Skipapst' bezeichnet werden" 169Die unbelehrbaren mitteleuropäischen "Norweger" sahen Zdarskyalso anders als die Norweger selbst. Sie blieben bei ihrer Verurteilung,ohne sich aber die Fahrweise Zdarskys selbst anzuschauen.Dadurch wurde gerade derjenige, der vom Werk des NorwegersFridtjof Nansen in seiner tiefsten Seele ergriffen wurde,und der den Sportgeist Nansens wie kein anderer fortführte,von den "mitteleuropäischen Norwegern" "im Namen der Norwegerumgebracht". Diese Mitteleuropäer wollten norwegischer als dieNorweger erscheinen, verfolgten aber damit doch nur individualistischeInteressen.Es mutet heute, nach hundert Jahren, kindisch oder neurotischan, wenn der Deutsche Skiverband - in einer rührenden nostalgischenVerbundenheit mit seinem Gründer Wilhelm Paulcke - inseinem offiziellen Ski-Atlas 170 noch im Jahr 1995 aus seinerLandkarte gerade jene Region ausschneidet, in der die Wiege desAlpinen Skilaufs liegt. Wer erfahren will, daß es in Niederösterreichhervorragende und absolut schneesichere Wintersportmöglichkeitengibt, der muß sich den Ski-Atlas vom ADAC 171 kaufen.168 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969169 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969170 Deutscher Skiverband (Hrsg.). Offizieller DSV- Atlas. Ski Winter 1995. Ostfildern 1995171 ADAC (Hrsg.) Perdita Pasche (Red.). Der ADAC Ski Atlas Alpen 1995. Die schönsten Skigebiete im Test.München 1995160


Mathias Zdarsky würde heute vermutlich sagen:"Etwas für Psychiater!". 172Mathias Zdarsky und Wilhelm RickmerRickmers"Man soll sachlich sein. Aber wenn eine Sache das Leben verschönt,dann ist man auch für sie begeistert. Edle Begeisterungverführt uns leicht zu Kämpfen, die sachlich überflüssig waren,wie wir später einsehen.Die Zeit verwandelt das Lohen derBrandfackel zum milden Glanze der Erinnerung. Das Sachliche hatgesiegt. Aber wenn wir auch das Verneinende und Vernichtendealter Kämpfe vergessen, so dürfen wir doch nicht die alten172 Mathias Zdarsky. Erheiterndes aus dem gegnerischen alpinen Schrifttum. Etwas für Psychiater. In: Der Schnee.Wien 1926161


Kämpfe vergessen, denn das Gewordene war ihr Werk." 173Im Jahr 1891 erschien in deutscher Übersetzung in Hamburg dasBuch "Auf Schneeschuhen durch Grönland", in dem der große NorwegerFridtjof Nansen 174 über seine Pioniertat berichtete. Vielesportbegeisterte Menschen versuchten daraufhin das Skilaufenauch im alpinen Gelände. Manche nahmen die nordischen Skier,die sehr wackelige Bindungen hatten, sogar auf winterliche Tourenins hochalpine Gelände mit. Die damaligen Skier ließen aberkein alpines Skilaufen im heutigen Sinne zu.Da erschien im Jahr 1896 in Hamburg ein zweites Buch, das dieWelt des Skilaufs wiederum in hellen Aufruhr versetzte. MathiasZdarsky war der Verfasser. In seiner Schrift "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>"stellte er einen revolutionären Schwung vor, mitdem man die steilsten Hänge in einer Schlangenlinie hinabfahrenkonnte. Zdarsky hatte nämlich hierfür in einer sechsjährigenForschungsarbeit eine neue Bindung entwickelt, die diese radikalneue Skitechnik ermöglichte. Der Schuh wurde bei dieserneuen Bindung durch eine Stahlplatte fest mit dem Ski verbunden.Die Stahlsohle war um eine Achse gegen den Widerstand einerFeder drehbar, so daß die Ferse vom Ski abgehoben werdenkonnte. Seitlich war der Fuß aber am Ski vollkommen stabilisiert.Dadurch war der Ski exakt beherrschbar geworden, wasfür die neue <strong>Technik</strong> unabdingbar war.Diese Revolution schockte die Sportsleute in Mitteleuropa, dienoch das nordische Skilaufen praktizierten. Damals fuhr mannämlich in den Alpen auf steileren Hängen technisch genauso wie173 Wilhelm R. Rickmers. Der Newton der Skigesetze. In: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann undsein Werk. Beitrag zur Geschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 1987174 Fridtjof Nansen war Biologe und Polarforscher. Er war ein politisch denkender und handelnder Mensch.Nach dem Ersten Weltkrieg leitete er die Heimführung der Kriegsgefangenen aus Rußland und organisierte alsHochkommissar des Völkerbundes Hilfsaktionen für das hungernde Rußland. Vergeblich bemühte er sich, dasGewissen der Welt wachzurütteln, die tatenlos zusah, als in der Zeit zwischen 1915 und 1922 die Türken ein<strong>Dr</strong>ittel der Armenier ausrotteten. Es gelang ihm nicht, im Völkerbund Hilfeleistungen für die Überlebenden dervon den Türken vertriebenen Armenier zu organisieren. Im Jahre 1922 erhielt er den Friedens-Nobelpreis.Fridtjof Nansen verdient nicht nur Respekt hinsichtlich seiner Durchquerung Grönlands auf Skiern. Sein Anliegenwar es auch, mittels des Skilaufes das nationale Selbstbewußtsein der Norweger zu stärken und die AblösungNorwegens von Schweden zu fördern. Nansen war es aber auch, der persönlich aktiv wurde im Dienste der Bildungder Völkergemeinschaft. Als im Jahr 1924 die Frage der Aufnahme Deutschlands in den Völkerbunddiskutiert wurde, reiste er nach Deutschland, um den Reichskanzler zu überzeugen, daß sein Land nicht abseitsbleiben dürfe und daß der Völkerbund nur wirken könne, wenn ihm alle Völker angehörten.Walter Bauer. Fridtjof Nansen - Humanität als Abenteuer. Fischer-Taschenbuch. 1981162


die Norweger, nur eben schlechter. Die damals im alpinen Geländegefahrene Ski-<strong>Technik</strong> war noch äußerst primitiv. Steile Hängewurden mit der Erklärung: " Das ist kein Skiterrain! " überhauptgemieden.Was waren das für Skitechniken ?<strong>Dr</strong>ei Arten des sportlichen Skilaufs wurden ab Mitte des vorigenJahrhunderts, insbesondere in der norwegischen Landschaft Telemarkenund vor den Toren Oslos, das damals noch Kistiania hieß,betrieben :• Es gab die <strong>Technik</strong> des Fortbewegens auf Skiern mit vorwiegendeigener Muskelkraft. Diese Art nennen wir heute Skilanglaufen.Darüber wurde aber nicht viel Aufhebens gemacht.Im Vordergrund des sportlichen Interesses standen vielmehr jeneFortbewegungsarten auf Skiern, bei denen vorwiegend dieSchwerkraft den Skiläufer in einer Schußfahrt hangabwärtszieht. Das dabei auftretende Gleichgewichtsproblem stelltedabei die besondere sportliche Herausforderung dar. DieseSchußfahrten wurden im steileren Gelände durchgeführt. Fürdas schnelle Schußfahren galt es nun, sich die Fertigkeit desstocklosen, also des freihändigen Fahrens zu erwerben. Manfuhr damals meist mit einem Stock. Normalerweise stützte mansich beim Abfahren im steileren Gelände nach hinten auf denStock, um mit ihm zu bremsen, bzw. mit ihm tastend dasGleichgewicht zu regulieren. Dieses talstrebende Schußfahrenwurde in zwei Varianten zum sportlichen Wettbewerb :• Zum einen waren es die Geschwindigkeitsrennen. Diese fandenbesonders in den USA Interesse, wo ausgewanderte Norweger dasSkilaufen einführten. Bereits Mitte des vorigen Jahrhundertswurden dort diese Schußfahrten als Geld-Wettfahrten durchgeführt.Es sollen dabei Geschwindigkeiten bis zu 140 Stundenkilometernerreicht worden sein.• Zum anderen entwickelte sich ein Wettbewerb, bei dem in dastalstrebende Schußfahren auch Sprünge eingebaut wurden. Hierfürwählte man vorerst spezielle Gelände aus. Man nannte dieseFahrten, die ohne Bögen gefahren wurden, "Slalom". Späterbaute man speziell für das Springen eigene Schanzen mit Anlauftürmen.Vorerst sprang man auf eine horizontale Fläche.Da dies aber die Landung erschwerte, wurde der Aufsprung späterauf einen geneigten Hang verlegt. Hieraus entwickeltesich unser heutiges Skispringen und das Skifliegen.In den Schußfahrt-Wettbewerben, mit oder ohne Sprung, bestandneben dem Gleichgewichthalten während des Schußfahrens, bzw.163


während des Fliegens, letzlich das Problem darin, anhalten zukönnen. Dies stellte sich insbesondere dann, wenn kein ausreichenderAuslauf oder kein bremsender Gegenhang vorhanden waren.Um zu halten, wurden in einem Bogen seitwärts ein oder beideSkier bremsend quergestellt. Den langgezogenen Bogen seitwärts,bei dem der vordere Ski quergestellt wurde, nannte man "Telemark-Bogen".Der kurzgezogene Bogen - mit Querstellen beiderSkier - bekam dann später den Namen "Kristiania-Bogen". In beidenFällen handelte es sich um Bögen zum Hang hin. Es warendies also nur Bögen aus der Fallinie heraus bzw. von dieserweg zum Hang hin.Die Bögen vom Hang weg und solche aus einer hangquerendenGeschwindigkeits-Fahrt heraus über die Fallinie hinüber warennoch nicht bekannt. Aus der langsameren Fahrt des Langlaufensgab es natürlich auf sacht geneigten Hängen die Richtungsänderungüber die Fallinie, zum Beispiel mit dem Pflug oder durchdas Bogenlaufen und durch das Bogentreten. Dies sind aber imsteilen Gelände und bei größeren Geschwindigkeiten untaugliche,bzw. den Körper arg gefährdende <strong>Technik</strong>en. Mit den damaligenwackeligen Bindungen waren sie bei schnellerer Fahrt im steilerenGelände aber ohnehin nicht realisierbar.Im Jahre 1888 überquerte, wie anfangs erwähnt, der NorwegerFridtjof Nansen mit seinen Gefährten auf Skiern Grönland. ImAnschluß an die Nachricht von dieser Pioniertat brach in ganzMitteleuropa in ein richtiges "Skifieber" aus. Viele Alpinistenversuchten sich mit nordischen Skiern auch im steileren alpinenGelände. Dies geschah aber so, daß man sich nach hinten aufden Stock legte, und mit diesem die Fahrt zu bremsen versuchte.Zum Halt kam man immer nur mit einem Bogen zum Hang, und wennman dies nicht schaffte, dann durch Hinwerfen in den Schnee.Der Richtungswechsel von einer Schrägfahrt zur anderen wurdealso nicht durch einen Bogen vom Hang weg und über die Fallinie164


ealisiert, sondern mit <strong>Technik</strong>en im Stand oder liegend imSchnee. Aber selbst im mäßig geneigten Gelände war das rhythmischeBogenfahren unbekannt. Die Begeisterung für die damalige"Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>" war aber trotzdem riesengroß. Man kannteja keine bessere Fahrweise und war daher stolz darauf, auf alpinistischeTouren Skier überhaupt mitgenommen und auch eingesetztzu haben. Es machte eben Spaß, alpines Gelände mit dieser"<strong>Technik</strong>" zu bewältigen. Der deutsche Student Wilhelm Paulckehat mit ihr sogar das Berner Oberland überquert, was damals alsalpinistische Großtat gefeiert wurde.In diese Welt des Skilaufens trat nun Mathias Zdarsky mit seinerneuen <strong>Technik</strong> ein, mit der er auf steilsten Hängen in zügigerFahrt einen Bogen an den anderen reihte. Dies geschah nichtetwa im Pflug, sondern dem Bewegungsprinzip nach mit genau dieser<strong>Technik</strong>, mit der heute Skirennläufer bei hoher Geschwindigkeitihre Bögen durch die Torstangen "galoppen". Der <strong>Technik</strong>Zdarskys lag eine Ganzkörperbewegung zugrunde, die vom erbkoordinativenLeistungs-Muster "Galoppen" geprägt war. Bei seinenkonkreten Versuchen im alpinen Gelände hat sich bei ihm dieses"Galoppen" situationsgemäß von selbst aufgerufen. Er hat dannseine Skitechnik im praktischen Üben nur entlang dieses Mustersentfaltet. Seine turnerische Qualifikation war vielleichtdie Ursache dafür, daß er dieses etwas Mut verlangende Musteraktualisierte. Die Realisierung des Galopp-Wechsels im alpinenGelände hängt nämlich davon ab, daß man beim Bogen-Wechsel(beim Schwung) den Rumpf im Aufrichten dynamisch vortalwärtsbewegt. Der Oberkörper muß sich dabei talseitig, d.h. mit derTalschulter nach vor, in eine kommende bogeninnere Lage vorhochbewegen. Der Rumpf dreht sich also torsionsfrei von einer taloffenenSchrägfahrtstellung in die gegengerichtete andere.Dies verlangt erheblich mehr Mut, als sein bergseitiges, bzw.sein bogenäußeres Vordrehen, das beim Telemark-Bogen und beiden Pflug-Variationen, die man später als "Stemmbogen" bezeichnete,praktiziert wurde.165


Diese neue <strong>Technik</strong> war so spektakulär, daß sie alles vorher imalpinen Gelände gezeigte in den Schatten stellte. Durch dasAuftreten von Mathias Zdarsky, der bereits damals sogar extremsteile Hänge mit seinem torsionsfreien "Schlangenschwung" zügigin rhythmischen Bögen herabfahren und jederzeit sturzfrei anhaltenkonnte, änderte sich die Situation im Jahr 1896 schlagartig.Nun gab es plötzlich etwas Besseres, das alles bisher imalpinen Gelände gezeigte relativierte. Diese neue Skifahrweisewar, da sie eine dem steilen Gelände angepaßte Erbkoordinationaktualisierte, auch schnell zu vermitteln. Die Anfänger konntenbereits nach drei bis sechs Tagen in zügigen Bögen auch steilereHänge im ungespurten Schnee souverän befahren. MathiasZdarsky hat im Laufe seines Lebens persönlich über20.000 Menschen das Skilaufen mit seiner Methode kostenlos undunfallfrei beigebracht. Für viele begeisterte Skiläufer, diestolz auf ihr Können waren und sich bereits daran gewöhnt hatten,mit ihrer "Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>" bestaunt zu werden, mußtedaher durch das plötzliche Auftreten Zdarskys notgedrungen eineWelt zusammenbrechen. Mancher "Ski-Star" fühlte sich "überNacht" gleichsam "wie aus heiterem Himmel" bedroht.Mathias Zdarsky hatte ein Prinzip für das Aneinandereihen vonBögen entdeckt, das auch im steilsten Gelände und bei größtenGeschwindigkeiten funktionierte.Er ergänzte den Bogen durch das "Geheimnis des Bogen-Wechsels":Den Bogen-Wechsel nannte er "Schwung". Das rhythmische Aneinandereihenvon mehreren "Bogen-Wechsel" (Schwüngen) bezeichneteer als "Schlangenschwung".Für Mathias Zdarsky war der "Schlangenschwung" das Wesentlichedes Alpinen Skilaufs. Zdarsky war kein Freund des Herumrutschensauf eigens eingerichteten Übungshängen. Das freie Fahrenim Gelände war für ihn das bevorzugte Ziel. Mit dem "Schlangenschwung"galt es das Gelände auszunützen und natürlichen Hindernissen,zum Beispiel im Wald, gewandt auszuweichen.Eigentlich sollte man glauben, daß diese Pioniertat MathiasZdarskys überall freudig aufgenommen wurde. Das war aber keineswegsso. Die Nachfolger der alpinen "Schuß-Bums-<strong>Technik</strong>"fühlten sich, wie schon erwähnt, von Zdarsky arg bloßgestellt166


und feindeten ihn daher vehement an. Sie gründeten, getriebenvon dem eifernden Studenten Wilhelm Paulcke, einen Gegenverband.Befand sich dieser doch in dem Glauben, die bisher größtealpinistische Skitat vollbracht zu haben. Kurz nachdem Zdarskyin Hamburg sein Buch veröffentlichte, hatte er nämlich mitSkiern das Berner Oberland überquert. Diese alpinistische Leistunghat er dann - auch um sich mit Fridtjof Nansen zu vergleichen- in der Presse groß herausgestellt, um vielleichtals der "Nansen der Alpen" zu gelten. Er war vielleicht wirklichin dem Glauben, der erste alpine Skifahrer von Format zusein. Vermutlich meinte er auch, schon deshalb ein Anrecht daraufzu haben, in den Alpen als "Vater des Skilaufs" zu gelten,weil er eine norwegische Erzieherin hatte, die ihm als Kind mitzehn Jahren im Jahr 1883 ein paar Skier schenkte, und er seitdieser Zeit jeden Winter damit im Schnee herumrutschte. Auchhielt er sich vermutlich schon deshalb für einen Skilaufexperten,weil er die Möglichkeit hatte, direkt in Norwegen Skiläufernzuzusehen.Mathias Zdarsky schreibt über diese Anfangszeit des Skilaufs inden Alpen:"Im Jahre 1892 hat schon Graf Thun den Hohen Sonnblickmit Skiern bestiegen, zwei Jahre später habeneinige Herren des „Österreichischen Alpenklubs“ (Müller, Schmiedl etc.) den Ankogel mit Skiern „genommen“.Apotheker Aichinger in Bleiburg in Kärntenhat in zahlreichen Aufsätzen in den Mitteilungendes Deutschen und Österreichischen Alpenvereinesauf die Verwendbarkeit des Skis hingewiesen. Allediese alpinen Taten, denen sich eine große Zahlgleichzeitiger im ganzen Alpengebiet anschloß, vorbereitetendie öffentliche Meinung auf das Popularisierendes Skisports.Aber alle diese Vorkommnisse wurden zu wenig in dergroßen Presse hervorgehoben.Um die Neujahrszeit vom Jahre 1896 auf 1897 durchquerteder Student Paulcke das Berner Oberland aufSkiern. Dieser etwas zu ehrgeizige junge Mann übersahganz oder wußte es nicht, daß schon alpine Taten,die skitechnisch gerade so wie seine noch inKinderschuhen steckten, viele Jahre vorher geschahen.Mit frischem Mut und etwas ungewöhnlichem Reklameeiferbrachte Paulcke diese Skinachricht indie große Presse. Das war ein Verhängnis für ihnund für viele Tausende, denen Paulcke dann als Mus-167


ter vorschwebte, denn das skitechnische Können wardamals mehr als primitiv, es umfaßte fast nur dasHerabgleiten mit Zuhilfenahme des Stockes, aber daswußten ja die Betreffenden selber nicht, daß esnoch besseres Können gibt. Und so sehen wir hauptsächlichim Schwarzwald und in allen Gegenden, diedurch den Paulckegeist inspiriert waren, nur dassogenannte Riegelrutschen kultivieren. Aber im Gegensatzzu dieser unzureichenden Fertigkeit standdie Einbildung der Unübertrefflichkeit. Gleichzeitigin dieser Gärungszeit trat ich mit meinen neuenSkisportideen auf.“ 175Für den im Schwarzwald wirkenden Paulcke brach dadurch eineWelt zusammen. Dies wollte er um jeden Preis verhindern und i-nitiierte ein verwerfliches Kesseltreiben gegen MathiasZdarsky."Besonders hat Paulcke einen Vernichtungskrieg gegenmich geführt. Das Einfachste, mit mir zusammenzukommenund durch Anschauung seiner Auffassungsgabeaufzuhelfen, hat er konsequent abgelehnt. In demVerfolgungseifer ging er so weit, daß er und seineGesinnungsgenossen den mitteleuropäischen Skiverbandbegründet haben, mit Ausschluß aller WienerSkivereine, weil er annahm, daß diese an meinerSeite stehen." 176Gegen das von Mathias Zdarsky durch seine neue <strong>Technik</strong> ermöglichteTorlauf-Fahren wurde eine breite Einheitsfront aufgebaut."Endlich einigten sich diese"schrieb Mathias Zdarsky"zur Gründung des 'Deutschen Ski-Verbandes' (1905)mit Ausschluß der 'Lilienfelder', wie es in der analle Skivereine 'vertraulich' geschickten Einladungzum Beitritt geheißen hat. Dieser Deutsche Ski-Verband wähnte durch die Pflege des Langlaufes unddes Sprunges die Skitouristik zu heben. Nun daskann jeder halten, wie er will." 177Wilhelm Paulcke konnte weder mit seinem eigenen Fahrkönnen nochmit seinem skitheoretischen Wissen, wie seine später erschienenSkibücher deutlich zeigen, mit Mathias Zdarsky mithalten. BeimAufbau einer Einheitsfront gegen Zdarsky war er aber agitato-175 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In : Der Schnee. Wien 1907176 Mathias Zdarsky. Unsere Lehrwarte. In: Der Schnee. Wien 1907177 Mathias Zdarsky. Geschichtliche Richtigstellung. In: Der Schnee. Wien 1931168


isch tüchtig und organisatorisch erfolgreich. Von allen Seitenwurde daraufhin Mathias Zdarsky verleumdet und angefeindet."Die Anfeindungen waren immer so albern und wurdenso naiv geglaubt,",schrieb Mathias Zdarsky rückblickend im Jahre 1908,"daß mir kein anderes Mittel übrig blieb, als meineGegner zu einem Wettlauf auf steilem, mehr als35gradig geneigtem, hindernisreichen Gelände herauszufordern.Zuerst bot ich 1000 Mark dem Sieger, dann kam einlieber Freund und bot dem, der mich besiegt,20.000 Mark.Merkwürdig, da trat ein Schweigen im Lästerwaldeein, alles ist ausgekniffen. Seit der Zeit kümmereich mich um diese bösen Mäuler nicht. Wer sich vonsolchen Leuten beschwatzen läßt, trägt den Schadenselber." 178Es war Wilhelm Rickmer Rickmers 179 , der die Siegprämie erhöhte."Ich habe mich für eine gute Sache und für das Verdiensteines tatkräftigen Mannes eingesetzt",schrieb er damals in einem um Verständigung bemühten öffentlichenAufruf,"Ich werde es fernerhin tun und kann es nie bereuen."180Den Streit mit den Norwegern selbst konnte Zdarsky beilegen.Jene schickten als Beobachter den angesehenenen norwegischenSkiläufer Hassa Horn nach Niederösterreich, wo er mehrere Tagemit Zdarsky gemeinsam im alpinen Gelände fuhr. Diese Begegnung,die gegenseitigen Respekt aufbaute, fand vom 5. bis 7. Jannuardes Jahres 1905 auf dem Schneeberg statt. In gegenseitiger Achtungwurden die Mißverständnisse ausgeräumt. Zdarsky veranstaltetedaher zwei Monate später, am 19. März 1905, in Lilienfeld178 Mathias Zdarsky. Alpine (Lilienfelder) Skifahr-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung zum Selbstunterricht. Vorwort zur 4.Auflage. Berlin 1908179 Wilhelm R. Rickmers, geboren am 1. Mai 1873, entstammte einem alten Helgoländer Geschlecht. Sein Vaterwar Schiffsreeder in Bremerhaven. Im Jahre 1913 leitete Wilhelm Rickmer Rickmers die Pamirfahrt des Deutschenund Österreichischen Alpen Vereines und 1928 die große deutsch-russische Pamirexpedition.169


am Muckenkogel den ersten öffentlichen Torlauf der Geschichtedes Alpinen Skilaufs. Der Durchbruch des Alpinen Skilaufsschien unmittelbar bevorzustehen. Der Aufbau der "Einheitsfront"gegen den Alpinen Skilauf mußte nun von Paulcke, nachdemsich die Norweger mit Zdarsky verständigt hatten, in höchsterEile vollzogen werden."Er war als Mitglied des Ski-Clubs-Todtnau bereitsmaßgeblich an der Schaffung des Skiclubs Schwarzwaldbeteiligt. Mit Hilfe seiner dortigen Freundeund einer sich über viele Jahre erstreckenden beispiellosenWerbetätigkeit stand er im Jahre 1905entscheidend Pate für die Gründung sowohl des Deutschenals auch des Österreichischen Skiverbandes.Für beide hat er die Statuten entworfen. Bei derGründung des Schweizerischen Skiverbandes ein Jahrvorher wirkte dieser wahre Pionier einer doch völligneuen Sportart ebenfalls durch Rat und Tatmit...Am 20. November 1904 hatten sich in Olten - imBahnhofrestaurant 2. Klasse - 16 Schweizer Vereinemit insgesamt 731 Mitgliedern zum ersten offiziellenSkiverband der Welt zusammengeschlossen. Am 4.und 5. November des folgenden Jahres wurden dann imMünchner Augustinerbräu der Deutsche und der ÖsterreichischeSkiverband gegründet. Der MitteleuropäischeSkiverband, in dem sich diese drei Länder ursprünglichebenfalls 1905 (auf Betreiben von Paulcke,H.T.) vereinigt hatten, zeigte sich den verschiedenenverbandspolitischen Bestrebungen jedochnicht gewachsen, er wurde, nachdem die Schweizschon im Dezember 1907 wieder ausgetreten war, imJahre 1913 aufgelöst." 181Der Privatkrieg Paulckes gegen Zdarsky und gegen den Torlaufwar so etwas wie ein Motor für die Gründung sowohl des Deutschenals auch des Österreichischen Skiverbandes."Für die Zeit um die Jahrhundertwende kann Paulcke,nach Stellung und Autorität in Skiläuferkreisen,zweifellos als „Skipapst“ bezeichnet werden." 182180 Wilhelm R. Rickmers zitiert in: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann und sein Werk. Beitrag zurGeschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 1987181 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969182 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969170


Gegen diese sich formierende Front ist Wilhelm Rickmer Rickmersmutig aufgetreten. Rickmers stand irgendwie zwischen den Frontenund versuchte immer wieder den Streit zwischen den mitteleuropäischen"Norwegern" und Mathias Zdarsky zu schlichten. Alsanerkannten Hochalpinisten war es ihm möglich, mit beiden Parteienzu reden. So hat er auch den Schwarzwald, das damaligeZentrum der Zdarsky-Gegner, besucht. Mathias Zdarsky schriebdiesbezüglich im Zusammenhang mit der damaligen Auseinandersetzung:"Mit der Wahrheit nimmt es der Herr W. Paulckenicht sehr genau. Da er sich im Jahre 1895 'beraufund bergab durchaus sicher auf diesen langen Stiefelnfühlte' und sie 'auch an den steilsten Hängenim Schwarzwald ausprobiert hatte', so unternahm erseine erste Alpenwanderung. Nun sagt aber Herr W.Paulcke in einem Vortrage in der Urania in Wien imJahre 1912 oder 1913 von seiner Fahrfertigkeit ausdieser Zeit seiner ersten Alpenfahrten, daß man damalsselbstverständlich nur Schuß fuhr und sichhinhaute. Und als W. Rickmer-Rickmers die Großmäulerim Schwarzwald aufsuchte, hat der wirklichsteile Hang des Seebucks zum erstenmal eine Skispurbekommen. Das war zehn Jahre später als die Behauptungvon den 'steilsten Hängen' entstand." 183Wilhelm Rickmer Rickmers war als Pionier des Alpinen Skilaufsauch selbst ein hervorragender Skiläufer. Er hat die FahrweiseMathias Zdarskys insbesondere an die Engländer vermittelt, diedamals in der Schweiz sehr aktiv waren, und die eine erfrischendundogmatische Auffassung vom Skilauf hatten. Erwin Mehlschrieb dazu:"Leider fand diese Form des Wettkampfes (der Torlauf,H.T.) damals keine weitere Verbreitung, d.h.nämlich in Deutschland. Der Zdarskyschüler R. Rickmers(der bekannte Kaukasus- und Pamirforscher)brachte aber diese Form nach England. Erst als sichdie Engländer der Sache annahmen und gute Regelnaufstellten, und der Kandahar-Klub die jährlichenAbfahrts- und Slalomrennen um den Kandaharbecher inMürren und St. Anton ausschrieb, da ging es nun aufeinmal." 184183 Mathias Zdarsky. Erheiterndes aus dem gegnerischen alpinen Schrifttum. Etwas für Psychiater. In: DerSchnee. Wien 1926184 Erwin Mehl. Woher stammt der Torlauf (Slalom) ? In: Zdarsky-Blätter, Folge 29. Lilienfeld 1984171


Durch das Wirken Rickmer Rickmers eilte so der "Schlangenschwung"Mathias Zdarskys letztlich über Umwege doch zum Sieg.Die Engländer führten bereits im Jahre 1911 in Montana ein Skirennenzu Ehren des englischen Generals Roberts Earl of Kandahardurch. Im Jahr 1922 veranstaltete dann Arnold Lunn, dessenVater für englische Touristen insbesondere in der Schweiz kommerzielleReise und Urlaubsaufenthalte organisierte, 185 mit großemMedienerfolg in Mürren in der Schweiz sogar einen Slalom-Wettbewerb. Dies war ein kurzer Torlauf, der ohne Gegensteigungennur bergab ging. Diesen Slalom veranstaltete der EngländerArnold Lunn trotz der Mißachtung des Torlaufes durch den DeutschenSkiverband! Nun war der Siegeszug des Alpinen Skilaufsnicht mehr aufzuhalten. Von den Schweizern beeinflußt trat späterdann auch der Österreicher Hannes Schneider 186 für diesenbereits im Jahre 1905 von Mathias Zdarsky öffentlich durchgeführtenalpinen Skiwettbewerb ein. Im Jahr 1928 fand daraufhinin St. Anton das erste "Arlberg Kandahar Rennen" statt. InKitzbühel folgte im Jahr 1932 das erste "Hahnenkammrennen".Schließlich konnte sich auch der Deutsche Skiverband aufraffen,"seine Uhren nachzustellen" und neben dem Langlauf und demSprung auch den Torlauf in sein Meisterschaftsprogramm aufzunehmen.Er hat am 26. April 1936 seinen ersten Riesentorlauf imDammkar im Karwendelgebirge „mit vollem Erfolg“ 187 durchgeführt.Dies war aber nicht der erste Torlauf in Deutschland.Der Alpine Skiclub München und der Deutsche Touring Club habennämlich in der Tradition der Torläufe von Mathias Zdarsky bereitsim Februar 1912 den ersten Torlauf in Bayern auf der Mit-185 Im Jahr 1927 besuchte Arnold Lunn das Skigebiet St. Anton am Arlberg und steckte dort einen Slalom.Wettkämpfe, bei denen die Läufer um Stangen herumfuhren, wurden allerdings bereits zwischen 1880 und 1886bei Oslo durchgeführt. Dies waren Torläufe in relaitiv flachem Gelände und mit nordischen Skiern. Offensichtlichwar dies bloß ein Versuch im ungeeigneten Gelände und mit noch unzureichendem Gerät. Diese Bewerbe"schliefen" daher von selbst ein. Die Torläufe von Zdarsky mußten aber mit großem intriganten Aufwand "lebendigbegraben" werden. Sie sind wiederauferstanden im Slalom von Arnold Lunn, der von den TorläufenZdarskys angeblich nichts wußte.vgl. Peter Lunn. Mathias Zdarsky, der Vater des alpinen Schilaufs. In: Zdarsky-Blätter, Folge 22 Lilienfeld 1981186 Hannes Schneider war ähnlich wie Mathias Zdarsky ein Skiläufer von überragendem Können. Er wirktenicht nur am Arlberg, sondern auch in Japan und in den USA. Kurz vor seinem Tode sagte er bei einem Heimatbesuchzu Stefan Kruckenhauser : "Wenn ein Schifahrer ein Denkmal verdient, so Zdarsky".vgl. Zdarsky-Blätter, Folge 8. Lilienfeld 1964187 Fritz Heinrich. Die wichtigsten Leistungen, Ereignisse und Neuerungen im Schilauf 1935/36In: Hanns Barth (Hrsg.) Bergsteiger und Schiläufer. Leipzig 1937172


terbergalm am Wendelstein durchgeführt. 188 Abfahrts- und Hindernisläufewurden in den 20er Jahren auch in Österreich abgehalten."Für den Hauptverbands-Wettlauf in St. Johann 1921wurde zur Berücksichtigung des alpinen Abfahrtslaufesdie Durchführung eines Hindernislaufes beschlossen,wobei die Note zu einem <strong>Dr</strong>ittel zur Gesamtnotebeitragen sollte (ein <strong>Dr</strong>ittel Langlauf,ein <strong>Dr</strong>ittel Sprung). Diese Einführung hielt sichaber nicht und wurde später durch den Abfahrtslaufersetzt." 189Nachdem man die Zdarsky-<strong>Technik</strong> solange bekämft und schließlichtotal verschüttet hatte, war es auch gar nicht mehr so einfach,mit den von der "Bilgeri-Schule" propagierten "Pflug-Variationen" bei den Hindernisläufen sturzfrei durchzukommen.Zum einen wollte man den Torlauf nicht - wegen der Feindschaftgegen Zdarsky -, zum anderen konnte man ihn auch mit den vonBilgeri herkommenden <strong>Technik</strong>en nicht mehr souverän meistern.Der schon erwähnte Hindernislauf vom Jahre 1921 in St. Johannmachte dies ganz deutlich."Der probeweise eingeführte Hindernislauf war zukühn ausgesteckt, was zahlreiche Stürze hervorrief.Das hatte zur Folge, daß er bei den ÖSV-Meisterschaften nicht mehr durchgeführt wurde, wasin Hinblick auf die Wichtigkeit einer Prüfung dertechnischen Geschicklichkeit im alpinen Abfahrtslaufvon vielen bedauert wurde.“ 190Einen späteren Riesentorlauf veranstaltete Gunter Langes am 19.März 1935 auf der Marmolata. Das war auf den Tag genau 30 Jahrenach dem ersten öffentlichen Riesentorlauf Zdarskys auf dem Muckenkogelin Niederösterreich.Wilhelm Rickmer Rickmers hat über die Engländer die Schweizerfür das Alpine Skilaufen gewonnen. Ihm gebührt das Verdienst,die Fahrweise Mathias Zdarskys in die Schweiz getragen und dafürgesorgt zu haben, daß der Torlauf trotz der Gegnerschaftdes Deutschen und des Österreichischen Skiverbandes schließlich188 Bruno von Tetmajer. Meine Erinnerungen an Mathias Zdarsky seine Lehren und Wirkungen. In: Zdarsky-Blätter, Folge 12. Lilienfeld 1967189 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs., Waidhofen/Ybbs 1977190 Erich Bazalka. Skigeschichte Niederösterreichs. Waidhofen/Ybbs 1977173


doch nicht untergegangen ist. Heinz Polednik schreibt über dieseZeit:"Der bedeutende Reiseunternehmer Sir Henri Lunn erfaßtediesen neuen Trend rasch und mietete nun auchim Winter überall Gasthöfe für seine Reisegesellschaften.Dadurch wurde er zum großen Anreger desinternationalen Winterverkehrs in der Schweiz...Sir Henry Lunn sagte einmal zu Willy R. Rickmers,der ihn für Kitzbühel interessieren wollte, daß ernicht im Traum daran dächte, ein Hotel unter1300m Seehöhe zu mieten. Auch diese Anschauungsollte sich, wie so vieles während der Entwicklungdes Skilaufs, allmählich ändern." 191Wilhelm Rickmer Rickmers gilt gemeinsam mit Franz Reisch, demspäteren Bürgermeister von Kitzbühel, auch als der"Entdecker von Kitzbühel als dem später weltbekanntgewordenen Wintersportplatz". 192Er gründete dort auch den "Club der Alten Kitze". Franz Reischbestieg bereits im Winter 1892/93 mit Skiern einen Gipfel inden Kitzbüheler Alpen und war ab dieser Zeit unermüdlich alsSkipionier für Kitzbühel tätig."In Österreich begann man sich für den Winterfremdenverkehrerst um 1905 stärker zu interessieren.Das war ungefähr der Zeitpunkt, zu dem die Anhängerdes Skisports bereits nach Tausenden zu zählen waren.Da begann nun auch der Staat den Ausbau derWintersportorte durch finanzielle Zuschüsse zu fördern.Das interessanter Weise damals dafür zuständigeArbeits- und Ackerbauministerium berief WillyR. Rickmers als sachverständigen Berater. So bereisteer, bisweilen zusammen mit dem Grafen vonMeran, die Länder Tirol und Vorarlberg, um dort dieMöglichkeiten der Einrichtung neuer Wintersportortezu prüfen." 193Wilhelm Rickmer Rickmers hat auch selbst publizistisch für denAlpinen Skilauf gewirkt und mehrere Bücher 194 geschrieben. Zum80. Geburtstag von Mathias Zdarsky im Jahre 1936 schrieb er:191 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969192 Franz Josef Klaus. 100 Jahre Skilauf Kitzbühel 1893 - 1993. In: Zdarsky-Blätter Folge 61 Lilienfeld 1992193 Heinz Polednik. Weltwunder Skisport. Wels 1969194 D.M.M.Crichton Somerwille/Wilhelm R. Rickmers/E.C.Richardson. Ski-Running. London 1904Wilhelm R. Rickmers. Ski-ing for beginners and mountaineers. London 1910ders. Querschnitt durch mich. München 1931174


"Vor 35 Jahren besuchten meine Frau und ich MathiasZdarsky zum ersten Mal. Monatelang hat er uns aufseiner Klause Habernreith beherbergt und in denScheelauf eingeführt. Wir gehörten schon damalsnicht mehr zu den Allerjüngsten. Zdarsky verdankenwir es, daß wir heute noch mittlere Hochfahrten (2500-3000 Meter; 6-10 Stunden) mitmachen können,ohne bei der Abfahrt hinter dem besseren Durchschnittzurückzubleiben.In unserer heutigen Altersklasse wäre das ohne daskraftsparende (richtige) Stockbogenfahren kaumdenkbar. Die heutigen jungen Kanonen werden in30 Jahren wohl besser abschneiden als wir. Aber dasverdanken sie dem höheren jetzigen Stand der Kunst.Sie treten in etwas Fertiges ein; und was den VorläufernMut und Wagnis war, das ist ihnen heuteschon etwas Selbstverständliches.Zu den Männern, denen sie heutiges Können und heutigeSchulung verdanken, gehört auch Zdarsky. Ichempfinde es als schnöden Undank, wenn man seineVerdienste um die Bewegungslehre des Schneelaufesso beharrlich verschweigt, wie es immer noch geschieht.Man mag über die Mittel (Stock, Bindung)und die Fahrweise (Stockstemmen, Stockbogen) nochso mannigfaltiger Meinung sein, die Skistellungenhat Zdarsky als erster in eine klare Ordnung gebracht,noch dazu in eine anwendbare und tatsächlichangewandte. Es gab vor ihm hie und da einenDämmerschein; aber ich halte Zdarsky unbedingt fürden Newton der Skigesetze...Ich hätte mich auch kürzer fassen und sagen können:Zdarsky ist ein Mann, den wir Skiläufer aus sachlichenund menschlichen Gründen nie vergessen dürfen."195Dem fügte seine Frau C. Mabel Rickmers eine schöne und treffendeBeschreibung von Zdarskys Persönlichkeit hinzu:"Wenn ich auf die Zeit zurückblicke, die wir vormehr als dreißig Jahren bei Zdarsky verbrachten,dann ist es nicht nur der geniale Skilehrer, an denich mich erinnere...Gegen Denkfaulheit hat Zdarsky sein Leben lang gekämpft...Alles, was er machte, wurde gründlich durchdacht.Es ist eine Binsenwahrheit, daß der Mensch im allgemeinenzu wenig nachdenkt, und dazu meistensfalsch. Das Denken ist auch heutzutage unmodern geworden.Wozu sollte sich der einzelne damit plagen,195 Wilhelm R. Rickmers. Der Newton der Skigesetze. In: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann und seinWerk. Beitrag zur Geschichte des alpinen Schifahrens von den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 1987175


wenn andere bereit sind, ihm die Mühe zu ersparen...Man konnte immer viel von Zdarsky lernen, Winke ü-ber manches beim gelegentlichen Gespräch oder Lebensweisheiten,wie er sie an jenen unvergeßlichenSonntagen in Habernreith verkündete.Es war aber das Beispiel, das er gab, über die einfachstenProbleme des täglichen Lebens prüfendnachzudenken, das den stärksten und dauerndstenEindruck auf diejenigen machte, die bevorzugt waren,auf längere Zeit seine Gäste zu sein.Die einfache Vernünftigkeit seiner Ratschläge verkleinertkeinesfalls ihren Wert. Die Menschheitmacht im allgemeinen so wenig Gebrauch von der Vernunft,daß sie geneigt ist, einen, der es tut, alsGenie zu begrüßen.Zdarsky also verdanke ich die Gewohnheit, die ichbei ihm lernte, die verschiedenen Tätigkeiten desLebens mit System zu betreiben...Ich glaube, daß gerade diese Entwicklung seinesDenkvermögens Zdarsky über manche Schwierigkeitseines Lebens hinweggeholfen hat. Ihr verdankt erseine wunderbare Unabhängigkeit von den Mitmenschen;und sie hat ihn von den heimlichen und unheilvollenWirkungen der Massensuggestion freigehalten- Wirkungen, denen der gewöhnliche Menschallzuoft zu seinem Verderben ausgeliefert ist.Was ich hier schreibe, bedeutet keineswegs geringereBewunderung für seine übrigen Vorzüge, so zumBeispiel seine gewaltige Willenskraft und die außerordentlicheEntwicklung seiner Beobachtungsgabe.Es gereicht seiner Vielseitigkeit zur Ehre, daßsein Einfluß nicht auf den Sportbetrieb beschränktist, sondern sich auf viele Sphären der menschlichenTätigkeit erstreckt und sogar vor der Küchenicht halt macht.Zdarsky ist einer von denen, die Gott in die Weltsetzte, um den Menschen zu zeigen, was sie aus sichselber machen können, wenn sie den Willen dazu haben.Sein Los ist das anderer Führer. Er hat Jüngerund Verehrer, aber keine Nachfolger." 196196 C. Mabel Rickmers. Zdarsky als „Hausfrau“. In : Erwin Mehl (Red.) Zdarsky, Festschrift zum 80. Gerburtstagdes Begründers der alpinen Skifahrweise. Wien-Leipzig 1936und in: Friedl Wolfgang. Mathias Zdarsky. Der Mann und sein Werk. Beitrag zur Geschichte des alpinen Schifahrensvon den Anfängen bis zur Jetztzeit. Lilienfeld 1987176


Mathias Zdarsky über die Wissenschaftler,die Frau und diePresse"Als dritter, unbedingt notwendiger Faktor auf demWeg des Fortschrittes ist die auf der Höhe der Zeitstehende Presse anzusehen. Sie ist einerseits einfreier Weltkongreß für alle Angelegenheiten, andererseitseine Macht, die, dem Lichte, der Wärme,der frischen Luft gleich, überall hindringt undnicht Halt macht vor den dumpf verschlossenen Hütten,nicht Halt macht vor den düsteren Kerkerzellen.Sie durchweht die ängstlich gehüteten Hallendes Wahns und die starr verschlossenen Räume derdespotischen Willkür. Sie belebt die Kranken undSchwachen, sie stärkt den im Kampfe des Daseins Ermüdeten.Wo sie ist, da ist Leben und Freiheit." 197Der Skisport überhaupt und der "Alpine Skilauf" im besonderensind als überregionale Phänomene "Kinder der Medien". Ohne diebeiden Bücher:Fridtjof Nansen:"Auf Schneeschuhen durch Grönland", Hamburg 1891,Mathias Zdarsky:"Lilenfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>",Hamburg 1897 (1896),197 Mathias Zdarsky. Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>. Eine Anleitung für Jedermann, den Ski in kurzer Zeit vollkommenzu beherrschen. Hamburg 1897 (1896)177


und ohne die begleitenden Presseberichte wären die europäischenGroßstädter, die den Skisport initiert haben, nicht für diesen"Freiluft-Sport" mobilisiert worden. Die Osloer haben zuerst -vor den Toren ihrer Großstadt - aus dem bäuerlichen Skilaufder Telemärker den Skisport gemacht. Ihnen folgten dann -durch Nansens Buch fasziniert - die Menschen vieler europäischerGroßstädte. Die Wiener waren es aber, die in Sonderzügennach Lilienfeld reisten, um Zdarskys "Lilienfelder Skilauf-<strong>Technik</strong>" zu lernen. Den Wienern gebührt das Verdienst, den "AlpinenSkilauf" Mathias Zdarskys auf den Weg gebracht zu haben.Mathias Zdarsky hat sich am 2. Februar 1896 entschlossen, jenesBuch zu schreiben, das dann im November desselben Jahres inHamburg erschien. Dieses Buch versetzte die Welt der Skiläuferin hellen Aufruhr. Mathias Zdarsky hat mit ihm vor einhundertJahren den "Alpinen Skilauf" begründet.Seinen "Alpinen Skilauf" stellte Zdarsky ganz ausdrücklich inden Dienst der Volksgesundheit und der Volkserziehung. In seinemBuch vom Jahre 1896 berichtete er nicht nur über seine "AlpineSkitechnik". Er diskutiert vielmehr im zweiten Teil einenhumaner Sportbegriff, und forderte dort einen Sport als Beitragzur Volksgesundheit.In den späteren Auflagen ließ er diesen zweiten Teil weg. Diesererschien aber in überarbeiteter Form in zwei eigenenSchriften. Die erste dieser beiden Schriften publizierte er imJahre 1912 unter dem Titel "Sport und Sportbetrieb" 198 . Diezweite hat den Titel "Falsche Lebensgewohnheiten" 199 . Zdarskyveröffentlichte sie - damals 81 Jahre alt - im Jahre 1937.Der Skisport ist aus einem Großstadtbedürfnis entstanden. Dievom Naturverlust und von einer Bewegungsarmut geprägte großstädtischeLebensweise ließ bereits Mitte des vorigen JahrhundertsBewegungshunger, Bedürfnis nach frischer Luft und nachfreier Natur entstehen. England war damals nicht nur die Wiegedes sportlichen "Wett-Kampfes", sondern auch der gesundhietsorientierten"Freiluftbewegung" Insbesondere das Skilaufen unddas Radfahren sind aus diesem Bedürfnis als ein gesundheitsori-198 Mathias Zdarsky. Sport und Sportbetrieb. Ein Beitrag zur nationalen Erziehung. Berlin 1912199 Mathias Zdarsky. Falsche Lebensgewohnheiten. Ein Beitrag zur Besserung der Volksgesundheit. Wien 1937178


entierter Freizeitsport entstanden. Diese beiden Sportarten habenauch wesentlich zur Emanzipation der Frau beigetragen, woraufMathias Zdarsky in seinem Buch bereits im Jahre 1896 ausdrücklichhinwies. Er schrieb dort:"Offiziell geschieht so gut wie gar nichts für diePflege des Körpers, denn die wenigen Turnstundensorgen eben nur dafür, daß der Name 'Turnen' aufden Lehrplänen nicht ausstirbt. Es würde zu unschönklingen, wenn es hieße, das Turnen wird nicht gepflegt.Eine gründliche Hilfe ist auch so langenicht zu erhoffen, so lange die maßgebenden Faktorenselber sich nicht aus der Versumpfung der körperlichenNichtpflege herausgearbeitet haben. Dafürist ein anderer, neuer, mächtiger Faktor auferstanden,der den günstigen Einfluß auf das ganze Erziehungswesennehmen wird, das ist die radfahrendeFrau. Das Radfahren ist der erste Sport, der es derFrau ermöglicht, den Sport im Großen zu betreiben.Wenn auch als einzelner Sport für den Körper nochnicht hinreichend, so ist dennoch sein Einfluß vonso wohltätiger Wirkung, daß er nirgends übersehenwerden kann. Eine Mutter, die an sich erfahren hat,wie wohltuend Muskelarbeit wirkt, wird sicherlichsorgen, daß diese Wohltat auch ihren Kindern zuteilwird. So stehen wir jetzt am Beginn einer Epoche,die endlich einmal die von großen Geistern seit jehergeforderte harmonische Ausbildung des ganzenMenschen durchführen wird, trotz der noch immerherrschenden, schwerfälligen, engherzigen, verschrumpften,verkümmerten und entarteten Bürokratentyrannen."(82/83)"Wir stehen am Anfang einer Zeit, welche wenigstenshier und da einigen Wenigen es erlaubt, ihre Kinderschon von Jugend auf in körperlicher Beziehungplanmäßig zu erziehen. Denn, wenn früher auf diesemGebiete etwas geschah, so war es höchstens das Anhaltenzur besseren Körperhaltung und schönerenGangart. Das war aber nur <strong>Dr</strong>ill"(85)"Die Griechen sagten, schöner Geist wohne nur imschönen Körper, die kräftigeren und praktischerenRömer verlangten einen Gesunden Geist im gesundenKörper, und wir ? Sollen wir uns für den einen oderden anderen Satz entscheiden ? Aussprechen hört manwohl häufiger den zweiten, aber von einer allgemeinenDarnachtrachtung ist wirklich gar keine Spurvorhanden. Und das hat auch sein Gutes, denn fürdie moderne Zeit, welche mit ihren Errungenschaftenund humanen Ansichten die Blüte des klassischenZeitalters weit überflügelt, reicht weder der eine,noch der andere Ausspruch hinlänglich aus. UnsereKultur ist undenkbar, wenn der Geist nur gesund o-der nur schön wäre. Unser Geist muß gebildet sein,179


180denn das Aneignen von großem Wissen, das Betätigenvon reiner Menschenliebe und die tiefe Empfindungfür alles Erhabene setzen eine Riesensumme von Arbeitvoraus. Der gesunde Geist allein wäre dochweiter nichts als der Geist eines jeden ungebildetenMenschen. Und ebenso ist die Blüte unserer Kulturundenkbar, wenn der Körper nur gesund und nichtauch geübt, gebildet wäre. Die einzelnen Berufestellen schon eine hohe Anforderung an körperlicheGewandtheit, Kraft und Ausdauer; Leistungen, diedem Altertum vollkommen unbekannt waren. Den Forderungender modernen Zeit kann also nur entsprechen:gebildeter Geist im gebildeten Körper. Und ich sehegar keinen Grund, warum beide Bildungsfelder nichtin einer Person vereinigt sein könnten. Es istwirklich ein tief beschämender Anblick, wenn manirgend eine wissenschaftliche Kapazität im Verkehrmit Bergführern oder mit Führern in orientalischenRauinenstädten beobachtet. Schwach, ängstlich, unbeholfen,linkisch, eine Zielscheibe verstecktenSpottes, so steht der Stolz der Wissenschaft da,der nur durch gedankenlose Faulheit seinen Körperso verkümmern ließ."(85/86)"Die Pflege des Klassizismus hat also nicht dortFrüchte getragen, wo sie es in erster Linie hättesollen. Man beschäftigte sich nur mit der Form, derInhalt, der Geist blieb unverstanden. Von dieserSeite konnte also eine Besserung der Kleidung inBezug auf Zweckmäßigkeit, Schönheit und Zuträglichkeitnicht eintreten. Dieser Einfluß war dem Sportvorbehalten. Besonders der Radfahrsport ist zu einemFaktor auf dem Gebiete der Eziehung des Menschengeschlechtsherangewachsen, der berufen erscheint,sehr viele althergebrachte Vorurteilegründlich auszumerzen. Herren und Damen stellen andie Bekleidung ganz andere Anforderungen als dieModepuppen, Salongänschen, Gigerln, hausbackeneSpießbürgertöchter u.s.w. , und daß die Damen denMut haben, den Stadtfraubasen und zimperlichen Tantenzu trotzen, ist ein besonders erfreulicher Beweisder Gleichwertigkeit zwischen Herr undFrau."(71/72)"Unsere Hausfrauen haben im allgemeinen noch sehrwenig Gelegenheit, sich bessere Bildung anzueignen,eine Vorbildung für die dereinstige Mutter existiertüberhaupt noch nicht, ja man würde ein solchesUnternehmen direkt als unsittlich verpönen.Natürlich, kommt Zeit, kommt Rat, und wem der liebeGott ein Amt gibt, dem gibt er auch den Verstanddazu. Einstweilen sorgt für die prickelnde Quintessenzdes einschlägigen Themas die schwunghaft betriebenegeheime Tradition. Das ist sittlicher."(93)


"All diesen widrigen Umständen, die eine menschenwürdigeErziehung erschweren, kann man nichtein Universalmittel entgegenstellen, aber es existiertdoch ein Faktor, der fast Wunder wirkt. Unddas ist die Mutterliebe. Nicht die 'Affenliebe',die in dem Kinde nur ein Spielzeug, eine Puppe, einBewunderungsobjekt, einen Abgott erblickt, diejetzt das Kind herzigt, es anbetet, sich von ihmtyrannisieren läßt und gleich darauf, statt umsichtigerPflege zu üben, in wahnsinnige Schmerzäußerungenverfällt.Unbeständigkeit der Alten erzeugt Unarten derJungen.Solche Affenliebe ist die traurigste Mutterkrankheit.Mit dieser hat wahre Mutterliebenichts gemein.Zur richtigen Beurteilung dieser letzteren mußman sich den Zustand, in welchem heute noch dieFrauen schmachten, nur recht vergegenwärtigen. DieFrau wird von den Gesetzen des Staates und nochmehr von den Gesetzen der Gebräuche und denen dergesellschaftlichen Ansichten noch sehr sklavischbehandelt. Sie ist und bleibt die Unfreie ihr Lebenlang. Sie ist unfrei als Mädchen, sie ist noch unfreier,wenn ihr das zweifelhafte Glück zuteilwird, zu einem approbierten Spielzeug zu avancieren.Ihre wissenschaftliche Bildung ist fast gleichNull, denn es ist ihr nicht erlaubt, obzwar sie einMensch ist, das zu lernen, was Menschen wissen könnenund eventuell wissen sollen. Wie unlogisch dieherrschenden Ansichten über Mädchenerziehung sind,kann ich hier nicht an allen mir bekannten Fällennachweisen, ich muß mich ja auf knappe Andeutungenbeschränken, doch einiges will ich dennoch erwähnen.Z.B. Geometrie und Zeichnen wird an den Mädchenschulenviel weniger intensiv gelehrt als anden Knabenschulen, obzwar die Mädchen im praktischenLeben viel häufiger als die Mehrzahl der Knabensolche Kenntnisse anwenden müssen. Siehe Kleidermachenund weibliche Handarbeiten. Weil ihnenaber das theoretische Wissen fehlt, müssen sie sichmit handwerksmäßigen Griffen und Kniffen, mitgeistlosen Schablonen behelfen. Eine Unsumme vonhaarsträubenden Geschmacklosigkeiten wird auf diesemGebiete verbrochen, weil der grundlegende Unterrichtder Geometrie und im Zeichnen so starkvernachlässigt wird.Was die Frau wissen muß, soll oder zu wissenwünscht, das muß sie sozusagen stehlen. In dieserBeziehung bewunderte ich die Frauen oft. Ein Thema,bei dem die Herren der Schöpfung manchmal sehrklägliche Rollen spielten, obzwar es ihnen nichtfremd sein sollte, haben die Frauen mit so viel Interesseund Verständnis behandelt, wie wenn sie es181


schon öfter besprochen hätten, und doch wußte ich,daß es ihnen völlig neu war. Selbstverständlich habeich hier Frauen im Auge, welche von der gebräuchlichenSklaverei noch nicht ganz hirnlos gewordensind, und die nicht zu jener Kategorie gehören,denen ein Mascherl, ein neues Kleid, einKränzchen, oder gar ein Ball das Um und Auf dermenschlichen Glückseligkeit ausmacht. Leider gibtes schwächliche Individuen genug, denen die Unfreiheitso ins Fleisch und Blut übergegangen ist, daßsie sich auf ihre Gänsehaftigkeit sogar noch etwaseinbilden, ja, solche als das Privilegium der Frauenhinstellen.In diesem extremen Wahn werden sie nur noch ü-beretroffen von dem extremen Dünkel der Männer, daßnur diese es seien, die zu herrschen fähig sind.Aber gerade diese Existenz der Sklaven und Tyrannenbeweist die Mangelhaftigkeit unserer Rechtszustände.Wenn man nun erwägt, mit welchem minimalenKenntnissen, unter welchen abhängigen Umständen,mit welcher gräßlichen Not, oft um das nackte Lebenkämpfend, viele Frauen dennoch ihre Kinder zubrauchbaren Menschen heranbilden und erziehen, somuß man zugeben, daß das so geniale Leistungensind, denen kein Mann etwas Ähnliches oder garGleichwertiges gegenüberstellen kann. Die größtenErrungenschaften der Männer wurden niemals mit jenerAufopferung, mit jener Selbstlosigkeit und untersolchen aufreibenden, seelischen Schmerzen erzielt,als diejenigen der Mutter, der so ganz unvorgebildetenMutter, die, nur ihrem Impulse, ihremGenie, ihrem Herzen vertrauend, Wunder auf dem Gebieteder Erziehung schuf.Deshalb bin ich überzeugt, daß alle Mütter, diezu der Erkenntnis kommen, ihr Kind kann nur dann ambesten gedeihen, wenn es allseitig und harmonischgebildet wird, die eifrigsten Verfechterinnen derkörperlichen Erziehung werden.Und die mächtigste Nation wird die sein, welchedie vernünftigsten Mütter aufzuweisen haben wird.'Jede Größe des Mannes entstammt der Größe der Mutter!Was für den Einzelnen gilt, gilt auch dem ganzenGeschlecht!'Flüchtig nur konnte ich hier einige Licht- undmehrere Schattenseiten unserer gesellschaftlichenOrdnung und einige der noch herrschenden unlogischenAnsichten erwähnen. Doch schon aus diesen wenigenBeispielen kann man ersehen, daß der Wunschnach besseren Zuständen ein begründeter, die Hoff-182


nung auf Erfüllung dieses Wunsches aber keine aussichtsloseist.Viele Koryphäen der Wissenschaft gehen mitleuchtendem Beispiel und mächtigem, auf unumstößlicheResultate der exakten Forschung gestütztem Wortevoran.Ihnen schließt sich als zweiter Faktor die denkendeMutter, die freie Frau an. Der ganze moderneFortschritt des Menschengeschlechts staut sich momentanan dem Hinderniß der unfreien Frau. Soll a-ber deren Befreiung sofort eine Wohltat werden,dann muß jede Frau in sich den mächtigen Trieb nachFreiheit finden und streben, ihn durch alle ihreerreichbaren Mittel zu betätigen. Ein kleiner Beitragzu der Befreiung der Frauen ist die Pflege desSports von Seiten des weiblichen Geschlechts. Soeine Neuerung gegen den Willen der oft verzopftenUmgebung durchzuführen, ist nicht leicht, und daßsie dennoch durchgeführt wird, ist ein herrlicherBeweis für der Frauen Tatkraft, die trotz der jahrtausendelangenKnechtschaft nicht vernichtet werdenkonnte.Als dritter, unbedingt notwendiger Faktor aufdem Wege des Fortschrittes ist die auf der Höhe derZeit stehende Presse anzusehen. Sie ist einerseitsein freier Weltkongreß für alle Angelegenheiten,andererseits eine Macht, die, im Lichte, der Wärme,der frischen Luft gleich, überall hin dringt undnicht Halt macht vor den dumpf verschlossenen Hütten,nicht Halt macht vor den düsteren Kerkerzellen.Sie durchweht die ängstlich gehüteten Hallendes Wahns und die starr verschlossenen Räume derdespotischen Willkür. Sie belebt die Kranken undSchwachen, sie stärkt den im Kampfe des Daseins Ermüdeten.Wo sie ist, da ist Leben und Freiheit.Zusammenfassend kann man sagen: Die Stimme derWissenschaft zu hören, die Forderungen des praktischenLebens berücksichtigen und mit zielbewußterSelbständigkeit stramme Ordnung zu führen, damitFreiheit, Bildung und Wohlstand Allgemeingut werden,ist die Kunst, welche den Namen 'Regieren'führt.Da der Sport ein nicht geringer Beitrag zum Volkswohleist, so wird sich wohl jede Regierung mit derZeit etwas mehr, als bis jetzt im allgemeinen geschah,mit dem Sport befassen müssen. Nur die Militärverwaltungenhaben nicht gezaudert, persönlicheTüchtigkeit zu pflegen; und wahrlich, sie haben esbis jetzt nicht zu bedauern gehabt.Die praktische Bedeutung des Skisports steht soaußer Zweifel, daß ich es für überflüssig halte,irgendeine Lobpreisung diesbezüglich zu tun. SeitNansens kühner Durchquerung Grönlands hat sich der183


Ski Weltbürgerschaft errungen und so seinem großenMeister im Herzen aller Skifahrer ein dauerndes,von Geschlecht zu Geschlecht sich vererbendes Denkmalgesetzt. Heute, nachdem die Kunde von demschneebeherrschenden Ski überall hin gedrungen,noch über Wege verbietende Schneenot zu klagen,heißt nichts anderes, als sein schwerfälliges Fassungsvermögenauf den Pranger zu stellen.Ich nahm jedoch von allem Anfang an an, daß esunter den Praktikern fast keinen einzigen gebenwird, der den Dienst des Ski nicht zu würdigen wüßte,deshalb richtete ich mehr mein Augenmerk aufdie "Gebildeten", denen der Ski nicht so sehr desWeges, als vielmehr der Körperpflege wegen zu empfehlenist.Es war nicht meine Absicht, die Vielen, die inunnatürlichen Lebensgewohnheiten schmachten, zu ü-berzeugen, ich wollte nur den Einen oder den Anderenveranlassen, über seinen waschlappigen Larvenzustandnachzudenken und sich vielleicht zu einererlösenden Tat emporzuschwingen.Ernstes Nachdenken ist schon die halbe Tat,aber eine halbe Tat ist noch alleweil keine Tat.Es sind mir viele "Gebildete" bekannt, welchezur Erkenntnis kamen, daß sie vielfach schädlicheGewohnheiten haben, aber es fehlt ihnen die Energie,konsequent sich selber Herr zu sein. Eigensinn,diese entartete Form der Willensstärke, charakterisiertmeistens diese Kategorie.Mehr zu erreichen, als zur Selbstkritik anzuregen,hoffte ich in dem zweiten Teil dieses Werkchennicht. Als die passendste Form erschien es mir, diejeweiligen Kinder bei dem richtigen Namen zu nennen.Für den Fall, daß mir dies nicht gelungen,tröste ich mich mit dem Spruche:Leicht irrt, wer nach Wahrheit strebt,Wer sie nicht sucht, lebt im Irrtum."(94-97)184

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