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Ja sind wir noch zu retten ? - Ein HOCH auf die FIDELEN ...

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Anton Truck<strong>Ja</strong> <strong>sind</strong> <strong>wir</strong><strong>noch</strong> <strong>zu</strong> <strong>retten</strong> ?B ü c h l e i nüber Gott, <strong>die</strong> Welt und mich


geschrieben Oktober 2007 bis November 2009


Treffen sich zwei Planeten:„Hallo, wie geht's?“„Nicht so gut, ich hab' homo sapiens.“„Ach, nicht so schlimm, das vergeht!“


2Diesen Witz betrachte ich als heißen Kandidaten für den Witz des <strong>Ja</strong>hrhunderts, wenn nicht sogardes <strong>Ja</strong>hrtausends – wenn, ja wenn der Witz ein guter Witz bleibt und nicht gar Wirklichkeit <strong>wir</strong>d.Bevor ich näher <strong>auf</strong> den Ernst <strong>die</strong>ses Witzes eingehen möchte, empfinde ich es als angebracht,etwas über das Motiv für <strong>die</strong> Verfassung <strong>die</strong>ses Büchleins <strong>zu</strong> sagen; es ist im Prinzip mit zweiWorten beschrieben: „Es reicht“ oder auch „Ich muß“ oder mit zweieinhalb: „Mich treibt's“. Ichdenke, daß sich EINIGES, wenn nicht sogar SEHR VIEL sowohl in Köpfen als auch Herzen derMenschen verändern sollte, ja MUSS – sonst kracht's KRÄFTIG. Das Krachen hat ja bereits längstbegonnen; der Grad der Wahrnehmung mag zwar verschieden sein, aber <strong>die</strong> Welt beginntoffensichtlich aus den Fugen <strong>zu</strong> fallen – und das kracht nun mal.Meine Mutter sagte öfters: „Glauben heißt nichts wissen“. Ich möchte ergänzen: Glauben heißtnichts wissen, aber dar<strong>auf</strong> vertrauen, daß das, was man glaubt, auch stimmt. Und in puncto Vernunftmeine ich: Wissen ohne Demut ist viel <strong>zu</strong> oft schädlich. („Demut“ ist ein Begriff, der vielenMenschen <strong>noch</strong> erheblich saurer <strong>auf</strong>stößt als <strong>die</strong> ebenfalls viel <strong>zu</strong> oft mißbrauchten oder falschangewandten Begriffe Liebe, Spiritualität und Gott. Der Begriff „Demut“ <strong>wir</strong>d sogar in der Politikzitiert. „Demut“ ist ein Wort, das demütige Menschen nur äußerst zögerlich und behutsam oder abergar nicht in den Mund nehmen. Demut könnte man mit „Bescheidenheit des Geistes“ oder„Ehrfurcht“ umschreiben. Unter gar keinen Umständen aber hat Demut etwas mit Demütigung oderFurcht <strong>zu</strong> tun! Demut ist NICHT Unterwerfung, sondern <strong>die</strong> Anerkennung einer (höheren) Ordnungin Freiheit und Freiwilligkeit bei einer gleichzeitiger Anerkennung des Anderen als gleichwertig.Demut ist ganz sicher nicht Feigheit; Demut bedeutet nicht, daß man nicht energisch gegen jedeForm von Ungerechtigkeit <strong>auf</strong>treten soll. Demut ist NICHT gleich<strong>zu</strong>setzen mit Gehorsam, undSCHON GAR NICHT mit Unterwürfigkeit. Und Demut beinhaltet für mich immer Gleichmut undein Gefühl der Geborgenheit. Zwang und Demut schließen einander aus, Stolz und Demut ebenfalls.(Irgendwie riecht's nach Pathos, Öko-Siegel-Bienenwachs-Kerzen und Weihrauch. Irgendwie bin ichselber nicht <strong>zu</strong>frieden damit, was ich über „Demut“ da geschrieben habe. Ich habe probiert,gebastelt, umformuliert, nachgedacht, geändert – aber es müffelt trotzdem irgendwie. Sorry – abervielleicht findet ihr anderswo eine annehmbare Umschreibung!))Ich verwende in <strong>die</strong>sem Büchlein eine persönliche Anrede, weil <strong>wir</strong> allesamt Verwandte <strong>sind</strong>, unddas meine ich keineswegs nur sinnbildlich: Untersuchungen der menschlichen Mitochondrien, derenDNS nur mütterlicherseits vererbt <strong>wir</strong>d, haben ergeben, daß <strong>die</strong> GESAMTE Menschheit von nurlediglich sieben Frauen abstammt. (Man hat ihnen auch Namen gegeben: Ursula, Xenia, Helena,Velda, Tara, Katrine und <strong>Ja</strong>smine.)Also: Hallo, willkommen, shalom, salam aleikum, namaste, he Alter he cool Mann, Grüß Gott!Wenn mich jemand fragen sollte, ob ich Philosoph sei, müßte ich antworten mit „Irgendwie schon“.Und wenn mich jemand fragen sollte: „Haben Sie das stu<strong>die</strong>rt?“, müßte ich antworten: „Nein, ichdenke selber.“In <strong>die</strong>sem Zusammenhang möchte ich ein Erlebnis schildern, das mich zwar weder verändert <strong>noch</strong>geprägt hat, das aber einen gewissen Blick <strong>auf</strong> gewisse Menschen richtet.Ich war 25 oder 26, als ich das Pfarramt <strong>auf</strong>suchen mußte, weil ich einen T<strong>auf</strong>schein brauchte, umaus der Römisch-Katholischen Kirche austreten <strong>zu</strong> können, und weder bei mir <strong>noch</strong> meinen Elternwar ein solcher T<strong>auf</strong>schein <strong>auf</strong><strong>zu</strong>finden. Ich kam also in <strong>die</strong>se durchaus bescheidene Pfarramtsstube,und dort saß <strong>zu</strong> meinem nicht geringen Leidwesen nicht etwa ein halbwegs netter Kaplan, sondernER : mein Stadtpfarrer, der Herr Dechant, der jedoch <strong>die</strong> Anrede „Herr Doktor“ bevor<strong>zu</strong>gte, sogargegenüber der Anrede „Monsignore“. (Vor seinem Tod wurde ihm <strong>noch</strong> irgendein kirchlicher Titelverliehen, aber den hab' ich vergessen.) Wer immer es wagte, ihn in aller Unschuld mit „HerrPfarrer“ an<strong>zu</strong>reden, wurde mit einem flammend-scharfen strafenden Blick bedacht, wenn nichtsogar niedergeschmettert. Dieser Flammenblick war irgendwie sein Markenzeichen: Kopf gesenkt,Augenbrauen heruntergezogen, Blick nach oben (oder schräg oben) gerichtet, und FUSCH! Dieses„FUSCH“ müßte mindestens fünfmal so groß geschrieben und von furchterregendem Lärm begleitet


3werden, damit ihr ihn annähernd nachempfinden könnt. Mit <strong>die</strong>sem Flammenblick dominierte erseine Gemeinde permanent. 100% der katholischen Kinder fürchteten ihn, 90% der katholischenJugend, mindestens 70% der erwachsenen Katholiken, da<strong>zu</strong> <strong>noch</strong> etliche Protestanten. Vielleichthätte er einen recht erfolgreichen Machtpolitiker abgegeben, aber als Priester war er meinerMeinung nach mindestens dreihundert <strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong> spät dran. Zu meinem (minimalen) Bedauern mußich gestehen, daß ich WIRKLICH NICHTS Positives über ihn <strong>zu</strong> berichten weiß, es sei denn, daßer mich an <strong>die</strong>sem Tag <strong>zu</strong>m ersten Mal seit meiner Zeit am örtlichen Gymnasium nicht mehr duzte,sondern das „Sie“ benutzte. (Ich möchte betonen, daß keinerlei Zynik oder Humor in meinenWorten verborgen ist. Jeder, der „ihn“ kannte, <strong>wir</strong>d mir jedes einzelne Wort bedingungslosabk<strong>auf</strong>en.) Ich schüttelte ihm <strong>die</strong> Hand – und stellte mich dem unvermeidlichen Kampf. Erwähnensollte ich <strong>noch</strong>, daß ich nicht mehr ganz so <strong>zu</strong> seinen Schäfchen gehörte, weil ich mit 16, als ichkeine elterliche Unterschrift da<strong>zu</strong> mehr brauchte, dem Religionsunterricht in der Schule „fernblieb“.Mit 15 hatte ich den Unterricht <strong>noch</strong> unter ihm selbst erduldet, und mit 14 war da <strong>noch</strong> ein echtnetter Kaplan gewesen. Und jetzt war ich 25 oder 26, hatte vier <strong>Ja</strong>hre Lektüre der Heiligen Schrifthinter mir sowie über zwei <strong>Ja</strong>hre zölibatär gelebt (und zwar echt, ohne Handbetrieb oder so), wardurchaus strebsam in meinem geistigen Leben und hatte sogar schon <strong>auf</strong>gehört, Haschisch undAlkohol <strong>zu</strong> konsumieren. Ich fühlte mich durchaus gewappnet. Er fragte nach meinen Wünschen(T<strong>auf</strong>schein), danach wo<strong>zu</strong> (um aus der Römisch-Katholischen Kirche aus<strong>zu</strong>treten), und dannnatürlich: warum – wobei sich ein nicht schwer <strong>zu</strong> entzifferndes unschönes Lächeln <strong>auf</strong> seinemGesicht breitmachte. (Was er tatsächlich dachte, weiß ich natürlich nicht, aber ich vermute doch:Kirchensteuer, du Heuchler; genauso ein Atheist wie sein Vater; oder Gammler; oder was weiß ich.)Und ich sagte in all meiner Wahrhaftigkeit und Jesusliebe: „Aus religiös-philosophischen Gründen.“Dar<strong>auf</strong> er: „Stu<strong>die</strong>ren Sie das?“ Und da ich annahm, er meine mit Studium etwas Offizielles(Universität oder so), antwortete ich wahrheitsgemäß und bescheiden mit einem Nein. – „<strong>Ja</strong> wasverstehen Sie denn dann davon!“ Keine Frage, sondern eine Feststellung, nein: unmißverständlichein endgültiges Urteil. FUSCH-Variante voll getroffen! Ich war tief verletzt. Spontan erhoben sichin mir sehr heftige Gefühle wie Zorn, Wut, Stolz, Verachtung und ähnliche, aber ich gedachte seinerKrebserkrankung, von der ich bereits wußte, und daß er auch sonst in vielerlei Hinsicht einbemitleidenswerter Mann (und Sünder) war. Nein, ich kämpfte NICHT, ich erduldete seinen Sieg.Und während er den T<strong>auf</strong>register meines Geburtsjahres suchte und hervorholte, den neuenT<strong>auf</strong>schein ausstellte und seinen (gerechten? vernichtenden?) Sieg sichtlich genoß, arbeitete ich sehrhart daran, negative Gedanken und nicht so ganz christlich-reine Tatsachen aus seinem Leben nebstGerüchten mit hohem Wahrscheinlichkeitsgrad aus meinem Kopf UND aus meinem Herz <strong>zu</strong>vertreiben. Ich hüllte mich gewissermaßen in eine megafette Aura von Bescheidenheit und Demut,dankte für den T<strong>auf</strong>schein, verabschiedete mich höflich und ging. Ich erinnere mich zwar nichtdaran, aber <strong>die</strong> nächste Zigarette dürfte eine der notwendigsten in meinem ganzen Leben gewesensein.„Ihn“ sah ich danach nur <strong>noch</strong> zweimal, <strong>zu</strong>letzt beim Begräbnis meiner Mutter, das er sichanscheinend nicht entgehen lassen wollte, um flammend-strafende Blicke <strong>zu</strong> werfen und ziemlichuntergriffige verbale Seitenhiebe <strong>zu</strong> verteilen. (Echt tief!)Ich habe ihm sein widerwärtiges Benehmen am Grab meiner Mutter jahrelang nicht verziehen. Abermeine Schwester ist wohl etwas nachsichtiger als ich. Als <strong>wir</strong>, über zwanzig <strong>Ja</strong>hre nach dem Todunserer Eltern, eines Tages <strong>auf</strong> ihn <strong>zu</strong> sprechen kamen, legte sie eine kurze Pause ein – undwünschte <strong>die</strong>sem schon lange verstorbenen Priester ganz ernst und aus offenem Herzen seine Ruhe,so ganz und gar in tiefer christlicher Tradition so<strong>zu</strong>sagen. Ich war beschämt, und wie von selbstverschwand ein alter vertrockneter Dorn aus meinem Innern, während ich meiner Schwesternachfolgte – <strong>auf</strong> meine eigene Weise jedoch, aus Sicht der Wiedergeburt: Möge er ruhen, wenn erruht, und rennen, wenn er gehetzt <strong>wir</strong>d!Ich wünsche ihm sehr viel Nachsicht.Was ich mit <strong>die</strong>ser Geschichte vermitteln möchte, dürfte hoffentlich wohl klar sein. Wenn nicht:


5Ich bin tief betroffen, wenn permanent <strong>die</strong> Schere zwischen Arm und Reich durch <strong>die</strong> unsBeherrschenden vergrößert <strong>wir</strong>d, sowohl national als auch global.Ich bin tief betroffen, wenn Menschen so ziemlich ALLES ihrem persönlichen Ehrgeiz opfern.Ich bin tief betroffen, daß Geld weiterhin für <strong>die</strong> ultimative Macht <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Planeten gehalten<strong>wir</strong>d.Ich bin tief betroffen, wenn wieder mal ein religiöser Irrläufer sein Maul <strong>zu</strong> weit <strong>auf</strong>reißt – egalwelcher Religion er angehört.Ich bin tief betroffen, wenn menschliche Würde mißachtet <strong>wir</strong>d.Ich bin ziemlich oft ziemlich betroffen.An Motiven für <strong>die</strong>ses Büchlein mangelt es wahrscheinlich nicht.Ich kann's auch anders sagen:Es ist mir ziemlich oft <strong>zu</strong>wider, was <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Planeten so alles passiert.Es ist mir ziemlich oft <strong>zu</strong>wider, wie der Mensch mit der Natur umgeht.Es ist mir ziemlich oft <strong>zu</strong>wider, wie der Mensch mit dem Menschen umgeht.Und es ist mir immens <strong>zu</strong>wider, welche Rolle verschiedene Religionen dabei spielen, vor allem <strong>die</strong>monotheistischen.Und wenn man ekelhaftes unverdauliches Zeug im Magen hat, muß man es wohl hervor<strong>zu</strong>würgen.Für mich war (ist) es jetzt soweit.


6Ich vertrete <strong>die</strong> Anschauung, daß Kraftausdrücke durchaus legitim und erlaubt <strong>sind</strong>, wenn und weilsie der Bekräftigung <strong>die</strong>nen, und alle Sprachen besitzen solche ZUHAUF. Außerdem werden inFilm, Fernsehen und Theater <strong>zu</strong>r Genüge diverse Kraftausdrücke verwendet, und nur selten ist daspeinlich. Ich erwähne wiederum Johann Wolfgang von Goethe – Götz von Berlichingen, 3. Auf<strong>zu</strong>g,17. Szene: „Er aber sag's ihm, er kann mich am Arsch lecken!“Aus Rücksicht <strong>auf</strong> etwas sensiblere, kultiviertere und noblere Menschen will ich aber lediglichZWEI Kraftausdrücke verwenden (gelegentlich und <strong>zu</strong>r Bekräftigung), sie <strong>zu</strong>sätzlich <strong>noch</strong> durchbuchstäblich buchstäbliche Verkür<strong>zu</strong>ng verkürzen und so gewissermaßen entzerren und damitpseudokultivieren. Es <strong>sind</strong> <strong>die</strong>s:Erstens das Arschloch, künftig AL, sowie der Arsch, künftig A, sowie <strong>die</strong> Wortsilbe Arsch-, künftigebenfalls A, wie <strong>zu</strong>m Beispiel ATyp, AKarte oder AGesicht.Zweitens <strong>die</strong> nahe<strong>zu</strong> unvermeidliche Scheiße (weiblich), auch vorhanden als Scheiß, DER Scheiß(männlich), beides künftig XCR, vom Lateinischen excrementum (sächlich), intellektuell korrektübersetzt mit „Exkrement“, DAS Exkrement, ebenfalls sächlich, Mehrzahl DIE Exkremente; einedeutschsprachige Mehrzahl gibt es nicht. Was XCRTyp, XCRWeib, XCRWetter oder XCRJobbedeuten, müßte dem<strong>zu</strong>folge klar sein. Und wenn ich hin und wieder XCR nicht als Hauptwortgebrauche, müßt ihr eben kurz nachdenken, was das kleingeschriebene xcr wohl bedeuten könnte.Später einmal werde ich das an sich englischsprachige, aber <strong>zu</strong>nehmend <strong>zu</strong>m internationalenKulturgut gewordene „fuck“ verwenden, was immer das auch bedeuten mag.Nun, genug mit dem XCR und mit individuellen Eigenheiten, genug der Spontanität, der Konfusion,<strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong>m Witz und <strong>zu</strong>m VERSTAND und einigen notwendigen Begriffsbestimmungen.


7Daß sich Planeten treffen, ist ein sowohl seltenes als auch HEFTIGES kosmisches Ereignis, demich keinesfalls beiwohnen möchte, außer mittels einer TV-Übertragung aus einem ANDERENSonnensystem. Aber an der prinzipiellen Möglichkeit einer derartigen Begegnung sollte nichtgezweifelt werden.„Homo sapiens“ – etwas später genauer untersucht – bezeichnet uns Menschen, uns ALLE, unsZweibeiner mit leicht vergrößertem Gehirn. (Das Wort „Menschheit“ vermittelt den <strong>Ein</strong>druck von„<strong>Ein</strong>heit“ und sollte deshalb NICHT so leichtfertig verwendet werden.)Was nun <strong>die</strong> Gleichstellung des homo sapiens mit Parasiten, Viren und Bakterien anbelangt, so ist<strong>die</strong>ser Gedanke weder neu <strong>noch</strong> unangebracht. Die Zahl der Menschen steigt stetig, <strong>die</strong> sich <strong>die</strong>serAnschauung annähern, was wohl ein BISSCHEN Hoffnung <strong>auf</strong> eine positive Veränderung desMenschen bedeuten könnte.Bakterien gibt es solche und solche. Die einen befallen uns, nisten sich ein, breiten sich aus,vermehren sich und machen uns dabei krank bis tot. Das <strong>sind</strong> <strong>die</strong> „bösen“, unerwünschten,gefährlichen. Die anderen, <strong>die</strong> „guten“ und nützlichen, <strong>zu</strong>mindest harmlosen, tun im Wesentlichendas selbe (befallen, einnisten, ausbreiten, vermehren), aber maßvoll, sie leben nicht nur IN und AUFuns, sondern oft sogar MIT uns in einer gewissen Symbiose. Allein in unserem Gedärm befindensich ungefähr anderthalb Kilo davon (1500 Gramm! Manche sprechen sogar von zwei Kilo!), ohne<strong>die</strong> <strong>wir</strong> sehr blöd dreinschauen würden, blöd bis tot. Solange <strong>die</strong>se „guten“ Bewohner sich nichtunkontrolliert vermehren und / oder ihre Funktionsweise ändern, <strong>sind</strong> sie harmlos, höchstensunangenehm, wenn sie <strong>zu</strong>m Beispiel Gerüche produzieren.Früher mal dürfte der Mensch ein eher harmloses Bakterium im Schoß von Mutter Natur, aliasÖkosystem Erde, alias Mutter Erde, gewesen sein. Aber schon in der Bronzezeit begann er unterihrer Haut <strong>zu</strong> bohren und <strong>die</strong>selbe <strong>zu</strong> verkrätzen. Ich bin selbst schon durch eine Landschaftgefahren, in der vor ein paar tausend <strong>Ja</strong>hren Wälder abgeholzt wurden, um Kupfer <strong>zu</strong> gewinnen,jetzt ist dort einheitlich – Wüste. (Aber <strong>die</strong> Straße mittendurch ist wunderschön.) Oh ihr Wälder, <strong>die</strong>ihr ward oder bald nicht mehr sein werdet! Ihr werdet „<strong>die</strong> Lunge des Planeten genannt“, sogar vonWissenschaftlern, <strong>die</strong> pflichtbewußt im Sold von Politik und Wirtschaft asthmatische Extremeübersehen, verniedlichen und verleugnen! <strong>Ein</strong> deutscher Ex-Politiker und Ex-UNO-Mann hat <strong>die</strong>seMethodik einmal in einer TV-Diskussion als „<strong>die</strong> drei D“ bezeichnet: deny, delay, do nothing – alsoleugnen, (und sobald <strong>die</strong>ses zwecklos geworden ist:) verzögern, (und wenn auch das nichts mehrbringt:) nichts tun. Leider hat <strong>die</strong>ser Mann völlig recht, <strong>die</strong>se Haltung ist internationaler Brauchgeworden, das heißt: eigentlich Mißbrauch.Und was hat sich erst seit der Bronzezeit getan! Die Eisenzeit <strong>zu</strong>m Beispiel, in der <strong>wir</strong> unseigentlich <strong>noch</strong> immer befinden, unsere Periode könnte man durchaus „Stahlzeit“ nennen oder„Blechzeit“. So richtig los ging es dann ab dem 18. <strong>Ja</strong>hrhundert: Technik, Erfindungen, Patente(bitte ungefähr hundert- bis tausendmal wiederholen, damit ich's nicht schreiben muß), sprich:Fortschritt, <strong>zu</strong>nehmend total und brutal. Und das <strong>noch</strong> immer! Alles Existente besitzt eineWachstumsgrenze. Warum sollten „Fortschritt“ und „Wirtschaft“ eine Ausnahme bilden? Den<strong>noch</strong><strong>wir</strong>d dauernd davon gefaselt. (Da fällt mir ein Vergleich ein: <strong>Ein</strong> Luxusrennwagen beschleunigtRichtung Mauer, Fahrer verzückt, volle Kanne. Bremse – WAS? Wird schon <strong>noch</strong> wer erfinden!Und Vollgas! – SO sehe ich <strong>die</strong> Entwicklung, vor allem auch in Hinsicht <strong>auf</strong> Staaten wie China,In<strong>die</strong>n, Brasilien et cetera, denen ja derselbe Wohlstand <strong>zu</strong> vergönnen ist wie uns Westlern!)Und immer: Dreck, Verschmut<strong>zu</strong>ng, Gift, Raubbau.Nein, homo sapiens ist kein nettes Bakterium mehr!Erstens vermehrt er sich <strong>zu</strong> sehr. Zweitens hat das Bakterium seine Funktionsweise verändert, eslebt schon lange nicht mehr MIT der Natur, sondern überwiegend VON ihr, <strong>die</strong> korrekten Begriffelauten „Plünderung“ und „Ausbeutung“, wie unlängst verwendet in einem Vertrag zwischen den„Freunden“ China und <strong>Ja</strong>pan, <strong>die</strong> gemeinsam Bodenschätze im Chinesischen Meer – ausbeutenwollen.


8Wer <strong>noch</strong> KEINE Krankheitssymptome des Planeten Erde wahrgenommen hat: Augen <strong>auf</strong>, Ohren<strong>auf</strong>, nachdenken! Bitte!Zur Erinnerung: Temperaturanstieg, Klimawandel, Verschmut<strong>zu</strong>ng, Abhol<strong>zu</strong>ng von Regenwäldern,<strong>zu</strong>nehmende Wetterextreme, Anstieg der Meeresspiegel, <strong>zu</strong> Ende gehende Bodenschätze,Versteppung, Verwüstung, <strong>zu</strong>nehmende Wasserknappheit, Nahrungsmittelknappheit in weitenGebieten, Bevölkerungsexplosion, Artensterben, UND NOCH MEHR, was mir momentan nichteinfällt, und alles seit Anfang 2007 OFFIZIELL als VOM MENSCHEN VERURSACHTklassifiziert. Kurz: WIR <strong>sind</strong> schuld. Wir, <strong>die</strong> nicht mehr harmlose oder gar gute Bakterie. – Nein,<strong>wir</strong> <strong>sind</strong> nicht mehr nett <strong>zu</strong> unserem Wirt oder Symbionten!Lösung? Drei D?Klima ist ein kompliziertes, komplexes System. Es ist immer <strong>noch</strong> nicht richtig erforscht. Aber manweiß inzwischen, daß es gut dreißig <strong>Ja</strong>hre braucht, bis sich ein wesentlicher <strong>Ein</strong>griff seitens desMenschen aus<strong>wir</strong>kt. Das bedeutet: Was <strong>wir</strong> JETZT an klimatischen Auswüchsen erleben, <strong>sind</strong>Aus<strong>wir</strong>kungen unseres Handelns in den 70er- und 80er-<strong>Ja</strong>hren. Danach ist <strong>noch</strong> kräftig weiterfortgeschritten, verdreckt und klimaverformt worden. Also werden Klimaextreme <strong>noch</strong> weiter<strong>zu</strong>nehmen. Und NOCH weiter <strong>zu</strong>nehmen, wenn andere, SEHR große Länder <strong>zu</strong> Industriestaatenwerden. Lösung? Grübel grübel und stu<strong>die</strong>r', in fünfzig <strong>Ja</strong>hren wissen's <strong>wir</strong>? Dann wäre ich 102;werde es wohl nicht mehr erleben. Nein, im Ernst: ich befürchte, <strong>wir</strong> müßten jetzt ziemlich radikaleingreifen, um einen Kollaps <strong>zu</strong> vermeiden, egal ob ökologischer, ökonomischer, politischer odergar militärischer Natur. (Ach ja, <strong>die</strong> atomare Bedrohung gibt's ja auch <strong>noch</strong>!) Und erst <strong>die</strong> Zukunft<strong>wir</strong>d zeigen, WANN der richtige Zeitpunkt gewesen wäre, an welchem es angebracht gewesen wäre,ein<strong>zu</strong>bremsen oder <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>rudern. In <strong>die</strong>ser Hinsicht bin ich klar Pessimist, weil Realist. Nein, ichglaube, homo sapiens braucht <strong>noch</strong> EINIGE Ohrfeigen seitens des Ökosystems, dessen TEIL er ist(und nicht Beherrscher!), bis er umdenkt. Falls überhaupt – siehe „böse Bakterien“ und „Tod“. AberEINES kann der Mensch im Gegensatz <strong>zu</strong> manchen Bakterien nicht – seinen Wirtskörper überleben!Möge <strong>die</strong> Raumfahrt stagnieren und dem Universum <strong>die</strong> Ausbreitung des opportunistischen homosapiens erspart bleiben!Vergleich homo sapiens – Bakterium abgeschlossen.Und nun <strong>zu</strong>m Virus. Ich persönlich habe ausschließlich schlechte und leidvolle Erfahrungem mitihnen gemacht. Aber so <strong>sind</strong> Viren nun mal! Bedingungslose Kämpfer <strong>auf</strong> Teufel komm raus, ohneRücksicht <strong>auf</strong> Verluste, du oder ich. Und Tricks gibt's auch <strong>noch</strong> jede Menge! Viren EROBERNZellen, nisten sich trickreich ein, funktionieren Zellen um, um sich ungestört und hemmungslosvermehren <strong>zu</strong> können, verlassen dann <strong>die</strong> Zellen, um neue <strong>zu</strong> erobern, und was mit den alten,kranken und toten Zellen passiert, ist XCRegal. (Ähnlichkeiten entdeckt?)Wenn ein Immunsystem einen Virus nicht beseitigen oder <strong>zu</strong>mindest kontrollieren kann, <strong>sind</strong>Krankheit und Tod <strong>die</strong> logische Folge. Ich glaube eher nicht, daß der Mensch sich selbst wesentlichund erfolgreich kontrollieren kann, also verbleibt nur <strong>die</strong> Hoffnung <strong>auf</strong> das Immunsystem vonMutter Natur. Oder gibt es gar eine Lösung von AUSSERHALB, dem Kosmos, dem Himmel, vonGOTT?Jedenfalls: Vergleich homo sapiens – Virus abgeschlossen.Parasiten <strong>sind</strong> echte Erfolgstypen. Die Zecke <strong>zu</strong>m Beispiel ist äußerst effizient: <strong>Ein</strong>e Woche Arbeit(Wirt besteigen, Ader suchen, saugen, saugen, saugen, saugen, den Wirt verlassen, in Deckunggehen) – und für den Rest des <strong>Ja</strong>hres SIESTA! Wer möchte nicht so leben!?! Den<strong>noch</strong> ist eineparasitäre Lebensweise nirgendwo geschätzt, das beste Image hat eindeutig der Blutegel, weil erkontrolliert eingesetzt NÜTZLICH ist. Sonst fällt mir eigentlich kein „guter“ Parasit ein. (Ich hatteals Kind einen Bandwurm, Flöhe <strong>auf</strong> meinem In<strong>die</strong>n-Kurztrip, einmal Filzläuse von irgendwoher,zweimal vorbeugende Haarwäschen, weil der Nachwuchs mit Kopfläusen vom Kindergartendaherkam. (Österreich, Europa.) War ALLES recht unangenehm.)Manchmal benutzen Parasiten einen Zwischen<strong>wir</strong>t und sorgen dafür, daß <strong>die</strong>ser von seinemFreßfeind verspeist <strong>wir</strong>d. Die meisten Parasiten schmarotzen ihren Wirt nur in seltenen Fällen


9beziehungsweise nur relativ langsam <strong>zu</strong> Tode . Sie scheinen auch kein echtes Interesse daran <strong>zu</strong>haben, vielleicht weil der Wirtstod unvermeidlich unangenehme Unannehmlichkeiten nach sichzieht: Überleben, Suche nach einem neuen Wirt, Freßfeinde. Manchmal verläßt ein Parasit seinenWirt sogar freiwillig, um sich anderswo <strong>zu</strong> vermehren.(Während ich das so schreibe, werden mir Parasiten im Vergleich <strong>zu</strong>m ebenso opportunistischenhomo technologicus immer sympathischer, und der Vergleich homo sapiens – Parasit <strong>wir</strong>d irgendwiehinkend, oder blaß. Kann es denn tatsächlich sein daß der Mensch ÄRGER ist? Hmm .............. )Bei der Erforschung verschiedener Ökosysteme oder DES Ökosystems kam immer wieder <strong>zu</strong> Tage,daß nahe<strong>zu</strong> ALLE Lebewesen von anderen Lebewesen abhängig <strong>sind</strong> oder sogar in Symbiose leben.Die WAHREN Bosse <strong>sind</strong> jedenfalls <strong>die</strong> Bakterien, <strong>die</strong> gibt's in Schwefelquellen, schwarzenRauchern, tief unter dem Meeresspiegel, tief im Erdgestein, und – davon bin ich überzeugt – sogarim WELTALL. (Wer weiß, vielleicht tragen <strong>die</strong>se Weltraumflitzer in sich sogar den Code für eineVIELFALT von Lebewesen, und der jeweilige Zielplanet beeinflußt nur mehr deren Variationen? Esgibt sogar Wissenschaftler, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Möglichkeit ernsthaft diskutieren. Jedenfalls ist es bereitsbewiesen, daß Bakterien sogar unter Weltraumbedingungen überleben können. Apollo 12 hat einStück Apollo 11 vom Mond <strong>zu</strong>rückgebracht, <strong>auf</strong> dem man eingetrocknete Bakterien entdeckte,ausgeniest von einem Mitarbeiter für Apollo 11. Und <strong>die</strong>se Bakterien begannen in einer Nährlösungwieder <strong>zu</strong> LEBEN!)Auf jeden Fall erscheint mir der Vergleich homo sapiens – Parasit als gescheitert (<strong>zu</strong>mindestderzeit), und zwar <strong>zu</strong> Ungunsten des Menschen.Womit <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>m Wortgespann „das vergeht“ kämen.Ich sehe folgende Möglichkeiten:Wiedergutwerdung des homo sapiens, entweder durchSelbsterkenntnis;oder mittels Ohrfeigen von Mutter Natur;oder durch derzeit <strong>noch</strong> unbekannte, vermutete oder auch prophezeite Faktoren (da<strong>zu</strong>später mehr);oder notwendig gewordene Reduzierung des Menschen durch selbige, im vorigenPunkt genannte Faktoren;oder teilweise Ausrottung von Mensch UND anderen Lebewesen.Vernichtung des homo sapiens, entweder durcheigene Hand;oder durch <strong>die</strong> Natur;oder durch derzeit <strong>noch</strong> unbekannte, vermutete oder auch prophezeite Faktoren (da<strong>zu</strong>später);alles jeweils mit den Varianten KEINE Reduzierung oder Vernichtung andererLebewesen oder aber doch.EINES ist jedenfalls sicher: „BRAUCHEN“ tut uns der Planet NICHT!Womit ich „das vergeht“ und „Witz“ als abgehandelt betrachte.Auf <strong>die</strong> bereits erwähnten „unbekannten, vermuteten und prophezeiten Faktoren“ ein<strong>zu</strong>gehen,erscheint mir <strong>noch</strong> etwas verfrüht, weil „prophezeit“ zwangsläufig <strong>zu</strong> „Inspiration“ und „Gott“führen muß. Nur Geduld!Aber <strong>auf</strong> jeden Fall erscheint mir eine nähere Betrachtung des Begriffs „homo sapiens“ angebrachtund notwendig.Mein altes Latein-Deutsch-Wörterbuch, der Kleine Stowasser, sagt Folgendes:homo, inis, m.1. (als Gattungsbegriff) Mensch; pl. Menschen2. (als Spezies) Mensch, Mann; pl. Leute3. occ. Hausleute4. pl. Fußvolk


10Wenn <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Nebenbedeutungen 3 und 4 als nebensächlich bis skurril abhaken, bleibt immer <strong>noch</strong><strong>die</strong> Erkenntnis übrig, daß <strong>die</strong> alten Römer schon zwischen dem einzelnen Menschen und demMenschen als Spezies unterschieden und dafür ebenso wie <strong>wir</strong> das selbe Wort benutzten.sapiens, entis, adv. enter (sapio)1. einsichtig, klug, verständig2. weise, subst. Weiser, Philosoph3. FeinschmeckerAlso <strong>die</strong> zweite Deutung hat <strong>zu</strong> allen Zeiten nur für wenige Ausnahmen <strong>zu</strong>getroffen, nicht einmal<strong>auf</strong> Philosophen an sich – denn „denken“ kann man ja auch sehr viel Blödsinn, ohne jegliche Spurvon Weisheit. (Aber im Prinzip <strong>sind</strong> für mich <strong>die</strong> Begriffe „sapiens“ und „weise“ identisch.)Die dritte Bedeutung gefällt mir in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> den Menschen eigentlich sehr gut. Zweifellos isthomo sapiens ein Genußmensch, nicht nur in Zusammenhang mit den fünf Sinnen, sondern <strong>noch</strong>weit mehr mit den Genüssen des Geistes, allen voran Stolz und Eitelkeit: Ständig werdenirgendwelche Eigenschaften hervorgehoben und betont – schön, intelligent, musikalisch, kultiviert,belesen, kommunikativ, ernsthaft, tolerant, begabt, reich, religiös, gebildet, strebsam, ehrgeizig,mitfühlend, freigiebig, hilfsbereit, mächtig, gerecht, tugendhaft, einflußreich, naturverbunden,sozial, kinderliebend, tierliebend, treu, brav, kompetent, gottesfürchtig, vertrauenswürdig, wichtigund und und, und umgekehrt geht's sogar auch: ich bin ein Sünder, ich bin ein schlechter Mensch,keiner mag mich, ich bin <strong>zu</strong> nichts nutze, niemand hilft mir, ich bin ja so arm und allein – alles eitleSelbstbeweihräucherung! Der Versuchung von Stolz und Eitelkeit kann kaum jemand widerstehen,am meisten ergötzt sich der Mensch wahrscheinlich an sich selbst. Ich halte alle Formen vonEitelkeit für <strong>die</strong> größten Hindernisse <strong>auf</strong> dem Weg <strong>zu</strong>r Mensch-Werdung! Ohne eine kräftige DosisDemut, Bescheidenheit und Selbsterkenntnis <strong>wir</strong>d der Mensch im Hamsterrad der Eitelkeitgefangen bleiben und sich gockelhaft im Spiegel <strong>auf</strong>plustern.Weise? Auf gar keinen Fall!Der erste Begriff unter Punkt eins, „einsichtig“, ist meiner Ansicht nach ein Attribut von „weise“und gehört damit <strong>zu</strong> Punkt zwei. „<strong>Ein</strong>sicht“ beinhaltet für mich ein <strong>Ein</strong>verstandensein, Akzeptierenund Sich-<strong>Ein</strong>fügen in etwas Größeres oder Ganzes, ohne <strong>zu</strong> manipulieren oder <strong>zu</strong> beherrschen.„<strong>Ein</strong>sichtig“ scheint mir wohl sehr mit Ethik in Verbindung <strong>zu</strong> stehen, im Gegensatz <strong>zu</strong> „klug“.„Klugheit“ ist an sich wertfrei und kann sowohl destruktiv als auch konstruktiv verwendet werden,kann Werkzeug erschaffen oder Waffen. „Klugheit“ ist Intelligenz, wertlos oder sogar schädlichohne Kontrolle durch Unterscheidungsvermögen und Ethik. Und der dritte Begriff, „verständig“,erscheint mir als Mittelding zwischen „einsichtig“ und „klug“ etwas näher an der Klugheit.Zusammenfassend sehe ich homo sapiens (leider) als „klugen Feinschmecker“, eitel, berechnend,selbstsüchtig und opportunistisch. Wir brauchen nur um uns schauen oder <strong>zu</strong>rück in <strong>die</strong> Geschichte,um Bestätigung dafür <strong>zu</strong> finden. Überall hat homo „sich <strong>die</strong> Erde untertan“ gemacht und Raubbaubetrieben. Die Maori haben nur gut hundert <strong>Ja</strong>hre gebraucht, um elf Moa-Arten aus<strong>zu</strong>rotten, sprichweg<strong>zu</strong>futtern; danach war kurzfristig sogar Kannibalismus angesagt. Die Osterinseln waren einstbewaldet, <strong>die</strong> Mittelmeerinseln einmal auch, der kroatische Karst ebenso. Homo ist eindeutig einNehmertyp, <strong>die</strong> Konsequenzen scheinen ihm meist völlig egal <strong>zu</strong> sein. Er paßt sich leicht an, und erißt so gut wie alles. Er beherrscht das Feuer und wendet es auch exzessiv an; so hat er <strong>zu</strong>m Beispielden australischen Kontinent mitgestaltet. Er „trotzt“ den Elementen und „erobert“ <strong>die</strong> Welt – alleinschon <strong>die</strong>se allgemein übliche Wortwahl zeigt, was für ein A <strong>die</strong>ser „homo sapiens“ eigentlich ist.Früher fielen Plündern und Ausbeuten der natürlichen Gegebenheiten nicht all<strong>zu</strong>sehr ins Gewicht,weil es nur relativ wenige <strong>die</strong>ser Opportunisten gab. Heut<strong>zu</strong>tage ist <strong>die</strong>se Lebensweise eineKatastrophe für ALLE Lebewesen.Ich sehe keinen Grund, schonend mit meiner eigenen Spezies um<strong>zu</strong>gehen. Homo hat zwar Potential,nutzt es aber nicht, sondern mißbraucht es. Zudem benutzt <strong>die</strong>ser eitle Eiterkopf höchstens einDrittel seines Gehirns. Und ich glaube sogar an einen tieferen, evolutionären Sinn dabei, sonstwürde er nämlich NOCH MEHR dem Mißbrauch frönen. Homo sapiens ist schlecht dr<strong>auf</strong>, weil er


11nur Zugang <strong>zu</strong> einem Drittel seiner Gehirnkapazität hat; und er hat nur deshalb einen beschränktenZugang <strong>zu</strong> seiner Gehirnkapazität, weil er so schlecht dr<strong>auf</strong> ist. Super!Ganz „selbstverständlich“ hält sich der Mensch für das Maß aller Dinge, obwohl er nur Teil einesgrößeren Systems ist. Die Bezeichnung „Krone der Schöpfung“ sehe ich nicht nur als hochmütigeund eitle Selbstüberschät<strong>zu</strong>ng, sondern auch als witzige Pointe – <strong>die</strong> Schöpfung hat den Menschengenauso wenig nötig wie <strong>zu</strong>m Beispiel ich eine Krone.Den Begriff „Menschheit“ finde ich nur insofern angebracht, als er <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Spezies des räuberischenOpportunisten „Mensch“ hinweist. In Wirklichkeit verhält sich homo sapiens keineswegs wie <strong>die</strong><strong>Ein</strong>heit einer Spezies, sondern vielmehr wie vier, fünf, zehn VERSCHIEDENE Spezies, <strong>die</strong> um denselben Lebensraum kämpfen – Volk gegen Volk, Nation gegen Nation, Wirtschaftsraum gegenWirtschaftsraum, Sprachgemeinschaft gegen Sprachgemeinschaft, Kultur gegen Kultur, Systemgegen System, ja sogar Religion gegen Religion, ganz <strong>zu</strong> schweigen von den Spannungen undKämpfen innerhalb jeder einzelnen Gemeinschaft.Nein, weise ist meine Spezies <strong>auf</strong> keinen Fall, einsichtig auch nicht, ein bißchen verständig, abersehr sehr klug und berechnend.Homo sapiens ist eindeutig <strong>die</strong> gefährlichste Spezies <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Planeten.Oh Schande!(Die zoologisch korrekte Bezeichnung wäre eigentlich „homo sapiens sapiens“.Aber das ist lediglich wissenschaftliche Präzision.(Wo doch schon EIN sapiens im Namen als Zumutung empfunden werden kann!Also <strong>noch</strong>mals: Oh Schande!))


12Ach wäre das schön, wenn ich sagen könnte, Politik interessiert mich nicht, sie geht mich nichtsan! Aber so gut wie jeder Lebensbereich ist direkt oder indirekt mit Politik verknüpft. Jedoch willich mich kurz fassen, <strong>die</strong>ses Thema bereitet mir immer Unbehagen und ähnlichen Gefühlsmüll.Ich persönlich bezeichne mich selber als gewaltfreien Anarchisten, der sich seiner Verwantwortungweitgehend bewußt ist, und ich bin mir durchaus bewußt, daß <strong>die</strong>se Anschauung nur praktikabel ist,wenn alle anderen Menschen ebenfalls gewaltfreie Anarchisten <strong>sind</strong>; also derzeit <strong>auf</strong> keinen Fall.(Anarchie bedeutet lediglich das Fehlen eines Herrschers. Ich für meinen Teil bräuchte keinen.)Ich finde es äußerst bedauerlich, daß weder <strong>die</strong> fähigsten <strong>noch</strong> <strong>die</strong> würdigsten <strong>noch</strong> <strong>die</strong> herzlichstenMenschen <strong>die</strong> Führung von Politik und Wirtschaft innehaben. Aber ich kämpfe schon lange nichtmehr innerlich dagegen an, weil es einfach nicht viel mehr bringt außer Ärger, und weilerfahrungsgemäß nur in Ausnahmefällen auch etwas „Besseres“ nachkommt.Ich gehe auch meinem periodisch wiederkehrenden Wahlrecht nicht nach. Dabei bitten politischeParteien, <strong>Ein</strong>zelpersonen und andere Gruppierungen um mein Vertrauen, und das schenke ich ebennicht jedem, da bin ich heikel. <strong>Ein</strong> Wahlrecht <strong>zu</strong> besitzen bedeutet <strong>noch</strong> lange nicht, eine Wahl <strong>zu</strong>haben. In einem Steakhouse <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Frage „Was haben Sie gewählt?“ bei einem Vegetarier kaumBegeisterung auslösen, er <strong>wir</strong>d vielleicht der Höflichkeit <strong>zu</strong>liebe nicht gehen, sondern einen simplengrünen Salat essen; aber ein zweites Mal <strong>wir</strong>d er das Steakhouse wohl nicht mehr betreten.(Ich will keineswegs bezweifeln, daß es Politiker und gesellschaftliche Führer gibt, <strong>die</strong> es ehrlichund ernst meinen. Aber anscheinend <strong>sind</strong> sie einfach <strong>zu</strong> SCHWACH, um sich gegenüber denopportunistischen und machtgeilen Kollegen <strong>zu</strong> behaupten. Außerdem bedeutet „gut gemeint“ <strong>noch</strong>lange nicht „gut getan“.)So gut wie jede Gesellschaftsordnung besitzt ein Kastensystem. Das wesentlichste Kriterium derneuzeitlichen Kasten<strong>zu</strong>gehörigkeit ist Geld. Geld, Besitz, <strong>Ein</strong>fluß und Macht <strong>sind</strong> gewissermaßensiamesische Vierlinge. Blut<strong>auf</strong>frischung geschieht durch <strong>Ein</strong>gliederung gut formbarer Ehrgeiziger.Die herrschenden Kasten der Gegenwart <strong>sind</strong> primär <strong>die</strong> ins Gigantische mutierenden Krämer undsekundär ihre durch sogenannte Sachzwänge zwangsrekrutierten Gefolgsleute, <strong>die</strong> Politiker.Politik und Wirtschaftssystem haben wie alle anderen Subsysteme und Subkulturen (z.B. Mafia,Drogenszene, Fußballfans etc.) ihre eigene Regeln und ihre eigene Logik. Je größer so ein System<strong>wir</strong>d, desto komplexer, komplizierter, pervertierter <strong>wir</strong>d es, bis es dank eigener „Größe“ in Chaosoder Diktatur zerbröselt.Mein Respekt vor unseren Herrschenden hält sich sehr sehr in Grenzen.Oft wünsche ich mir, <strong>die</strong> Wahlbeteiligung würde <strong>auf</strong> unter 20% fallen, damit manche Herrschaftenetwas kapieren. Aber ich vermute, sie würden auch dann <strong>noch</strong> lächelnd und munter weiterregieren,wenn nur <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Politiker selbst und ihre mächtigen Krämermentoren <strong>zu</strong>r Wahl gingen.Ich halte den Beruf des Politikers zwar für notwendig, aber nicht für ehrenvoll, weil in <strong>die</strong>semMetier seit Alters her <strong>die</strong> Lüge eine taktische Begleiterscheinung ist und auch völlig schamlosangewendet wurde und <strong>wir</strong>d und werden <strong>wir</strong>d.<strong>Ein</strong> König von Bhutan (einem „unterentwickelten“ Land, in dem per Gesetz jeder, der einen Baumfällt, zwei Bäumchen pflanzen muß, wo Bildung und medizinische Versorgung tatsächlich kostenlos<strong>sind</strong>!) hat es kurz vor der letzten <strong>Ja</strong>hrhundertwende folgendermaßen ausgedrückt: Niemals dürfe dasPro-Kopf-<strong>Ein</strong>kommen schneller steigen als das Pro-Kopf-Glück.Dafür verantwortlich <strong>sind</strong> selbstverständlich <strong>die</strong> jeweiligen Herrscher. Daß <strong>die</strong> allermeisten da<strong>zu</strong>weder fähig <strong>noch</strong> willig <strong>sind</strong>, erkennt man in unseren Ländern recht leicht an der geringen Anzahlder lächelnden, glücklichen Gesichter, der Abnahme an zwischenmenschlicher Intensität und derZunahme an Aggression.(Ich formuliere mal eine „Frage“: Solange Krieg, Armut, Hunger und diverse andere Mißständenicht beseitigt <strong>sind</strong>, müßten da <strong>die</strong> dafür verantwortlichen „leader“ nicht entweder als Versager undmitunter sogar als Verbrecher bezeichnet werden?)Drei besonders ungustiöse, weil besonders nationalistisch-imperialistische Staaten will ich inmitten


13unserer globalen Chaotik hervorheben: <strong>die</strong> USA, Rußland und China. Ihr Territorium ist in meinenAugen überwiegend gestohlen mittels Gewalt (Eroberungskrieg ist Raub!), Lüge, Vertragsbruch undMenschenrechtsverlet<strong>zu</strong>ngen. (Nahe<strong>zu</strong> einzigartig ist dabei eine Erfindung der USA: das full-timeopen-air Museums-Gefängnis für rassisch und kulturell minderwertige Sozialhilfeempfänger vonStaatsgnaden, genannt Reservation.) Im Interesse der vielen Minderheitsvölker in <strong>die</strong>sen dreiStaaten wünsche ich <strong>die</strong>sen Völkern <strong>die</strong> Unabhängigkeit, <strong>zu</strong>mindest aber deren Autonomie. (DasSelbstbestimmungsrecht der Völker sollte wohl für ALLE Völker gelten! Und wenn dadurchplötzlich 2000 Staaten existieren, wäre das auch nicht sinnvoller oder sinnloser als <strong>die</strong> Existenz von200 oder 20.)Und eine verheerende politische Alltagspraxis möchte ich ebenfalls anprangern: Der Feind meinesFeindes ist mein Freund. Wie viele Kriege hat <strong>die</strong>se Anschauung schon nach sich gezogen? Korea,Nahost, Vietnam, Nahost, Afghanistan, Iran, erneut Nahost, Irak, irgendwo in Afrika (völliguninteressant!?!???), Irak, und immer <strong>noch</strong> Nahost, von den kleinen Interventionen und denwillkürlich eingesetzten Diktatoren ganz <strong>zu</strong> schweigen. Und das ist nur ein ungenauer Rückblick<strong>auf</strong> <strong>die</strong> letzten sechs <strong>Ja</strong>hrzehnte! Zumindest <strong>die</strong> USA betrachten IHREN Kampf, den „nie“endenden gegen Das-was-<strong>die</strong>-USA-als-gegen-ihre-Interpretation-von-Freiheit-gerichtet-verstehenund gegen Das-was-<strong>die</strong>-USA-unter-Sozialismus-verstehen, als nahe<strong>zu</strong> heilig, und treue Verbündetefolgen selbstverständlich. (Viele <strong>sind</strong> dermaßen gegen Sozialismus geimpft und gegen alles, was mitSOZI- beginnt, daß sie anscheinend sogar ein Sozialsystem und soziale Reformen ablehnen!)Es ist ein riesengroßer Irrtum <strong>zu</strong> meinen, der Westen habe den kalten Krieg gewonnen und denKommunismus besiegt. Der Bolschewismus ist an sich selbst gescheitert (und zwar <strong>zu</strong>recht!), undes ist nur eine Frage der Zeit, bis auch der Kapitalismus und seine fragwürdigen chinesischen undindischen Varianten an sich selbst scheitern werden. Hierin besteht für mich kein Zweifel.„Globalisierung“ bedeutet meiner Meinung nach in erster Linie globale Wirtschaftskontrolle. Alszwangsläufige Folge <strong>wir</strong>d eine neue Art von Feudalismus etabliert, mit „Nebenerscheinungen“ wieeinem neuen Proletariat an abhängigen Bauern, Landarbeitern, Industriearbeitern und diversenDienstleistern. Jedoch werden veraltete Begriffe wie „Hörigkeit“ oder „Leibeigenschaft“ ersetztdurch Neukreationen wie „selbständige Vertragspartner“ und dergleichen. Und NOCH einen kleinenUnterschied <strong>wir</strong>d es wohl geben: Die neuen Feudalherren (oder Feudalkonzerne) werden sichNOCH weniger um „ihre“ Leute kümmern. Dadurch werden zwangsläufig Sozialstaaten undSozialstrukturen <strong>zu</strong>grundegerichtet, weil sie einfach nicht mehr finanzierbar sein werden.Bevor ich <strong>die</strong>se XCRThemen <strong>zu</strong>erst einmal beende, möchte ich als Beispiel für <strong>die</strong> allgemeinpervertierten Polit-Umstände eine <strong>zu</strong>fällige, kleine, aber <strong>zu</strong>fällig auch entlarvende Datumsgleichheiterwähnen: 11.9., elfter September, „nine-eleven“. (Selbstverständlich betrachte ich <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>äscherungder Twin Towers als Riesen-Islamisten-XCR.) Zur guten US-amerikanischen Tradition gehört es, inLateinamerika Latifun<strong>die</strong>n, Bahnlinien, Häfen, Kanäle, Bergwerke, Banken und Regierungen <strong>zu</strong>kontrollieren oder <strong>noch</strong> besser: <strong>zu</strong> besitzen. Ganz nebenbei haben <strong>die</strong> USA so ziemlich jedenlateinamerikanischen Diktator oder hohen Militär oder Folterknecht in seinem blutigen Handwerkausgebildet, ja nicht einmal vor der direkten Unterstüt<strong>zu</strong>ng von Terroristen <strong>zu</strong>rückgeschreckt, wenn<strong>die</strong>s den eigenen Zwecken <strong>die</strong>nte. Nun erlaubte sich das chilenische Volk im <strong>Ja</strong>hre 1970, in freien,unabhängigen und demokratischen Wahlen ihrem allseits proklamierten Selbstbestimmungsrechtnach<strong>zu</strong>kommen und mittels Mehrheit eine Links-Regierung <strong>zu</strong> etablieren, <strong>die</strong> <strong>noch</strong> da<strong>zu</strong> den Mutfand, den von den USA dominierten Bergbau <strong>zu</strong> verstaatlichen, was laut Völkerrecht ebenfallsvöllig legitim und legal war, allerdings den heimischen und ausländischen (=US-) Besitzern garnicht paßte. Sofort verhängten <strong>die</strong> USA ein Handelsembargo, nahmen jedoch <strong>die</strong> Armee davon aus.Und eben<strong>die</strong>se Armee beseitigte dann drei <strong>Ja</strong>hre später ihre lästige Regierung durch einen Putsch.(Das Volk hatte übrigens mehrheitlich seine Regierung unterstützt.) Datum des Militärputsches:11.9.1973. Noch dreißig <strong>Ja</strong>hre später erklärte der damalige Berater des US-Präsidenten und spätereAußenminister in einem Interview, <strong>die</strong> USA hätten mit <strong>die</strong>ser blutigen Aktion nichts <strong>zu</strong> tun gehabt,der Name des putschenden Generals und späteren Diktators wäre der US-Regierung gar nicht


14bekannt gewesen!GENAU DAS meine ich mit Lüge, denn völlige Unwissenheit oder Inkompetenz von CIA und dergesamten US-Regierung kann es wohl nicht gewesen sein! Wie kann der Name des Befehlshabersder Landstreitkräfte einer befreundeten Armee eines verfeindeten Staates wohl unbekannt sein?Irgendein Seltsam-Denker (Name bekannt) hat einst den Krieg als den Vater aller Dinge bezeichnet.<strong>Ein</strong> anderer Seltsam-Denker (Name ebenfalls bekannt) nannte Krieg <strong>die</strong> Fortset<strong>zu</strong>ng der Politik mitanderen Mitteln. Beides gilt als politisch akzeptiert. Die logische Weiterführung <strong>die</strong>ses Unsinnsmuß dann aber wohl lauten: Terror ist Krieg mit anderen Mitteln!Je mächtiger homo sapiens <strong>wir</strong>d, desto mehr XCR scheint er unter seinem Scheitel <strong>zu</strong> kultivieren.Dies gilt für große und weniger große Nationen und für solche, <strong>die</strong> sich für groß halten. Dies giltebenfalls für Privat-Krieger (vor allem mit angeblich religiösem „background“).Ich erweise den vielbeliebten US-Gruß „fuck fuck fuck!“ und sehe mit geringen Hoffnungen einembaldigen Ende von Krieg und Terror entgegen.(Wem meine Imperialisten-Kritik quer im Magen liegt, der möge einen Kamillentee trinken oder <strong>die</strong>Lektüre <strong>die</strong>ses Buches beenden.)


15Das Thema Politik führt automatisch <strong>zu</strong>m Begriff „Weltanschauung“.Wie schon erwähnt ist ein gewaltloses Leben (eigentlich ja gewaltarmes Leben, weil irgendwasessen MUSS man ja wohl) ohne jegliche Form von Regierung derzeit nicht möglich, also bin ichDemokrat, eigentlich Basisdemokrat. Auf gar keinen Fall bin ich Demokrat im US-amerikanischenSinn. Die USA <strong>sind</strong> nämlich gar keine richtige Demokratie, sondern eine oligarchische Plutokratiemit demokratischen Randstrukturen (Oligarchie: <strong>die</strong> Herrschaft von wenigen, Plutokratie: <strong>die</strong>Herrschaft des Geldes).Homo sapiens hat schon vielerlei Regierungsformen ausprobiert: Königtum und Kaisertum,Diktatur, <strong>die</strong> Herrschaft der Priester, <strong>die</strong> Herrschaft von Priesterkönigen, <strong>die</strong> Herrschaft derAdelsschicht, <strong>die</strong> Herrschaft von wenigen Gewählten, <strong>die</strong> Herrschaft des Militärs, <strong>die</strong> Herrschaft derBürger, <strong>die</strong> Herrschaft des Pöbels, <strong>die</strong> Herrschaft des Volkes, Parteienherrschaft, und jetzt <strong>die</strong>Herrschaft der globalen Krämer.Alles hat nicht <strong>wir</strong>klich funktioniert.Die Herrschaft großmächtiger globaler Krämer ist vielleicht der schlimmste Versuch. Er ist <strong>auf</strong> garkeinen Fall da<strong>zu</strong> geeignet, Hunger und Armut <strong>zu</strong> beseitigen und einen sozialen Frieden <strong>zu</strong>etablieren, geschweige denn den Menschen <strong>zu</strong> einem edleren, ethischen Leben <strong>zu</strong> verhelfen. Voreinigen <strong>Ja</strong>hren wurde im Rahmen einer Konferenz der Versuch gemacht, das Verhältnis eins <strong>zu</strong>einhundertfünfzig (1:150) zwischen Mindestlohn und <strong>Ein</strong>kommensobergrenze <strong>zu</strong>r Diskussion <strong>zu</strong>stellen. Der Versuch scheiterte an den Protesten seitens der Vertreter von 500 und 1000. Die liberalesozialdarwinistische Markt<strong>wir</strong>tschaft, <strong>die</strong> ja den Überlebenskampf und den Sieg der Stärkstenpropagiert, kennt eben nur EINE <strong>Ein</strong>kommensgrenze: NULL! GENAU <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Art werden ganznebenbei soziale Konflikte und Revolutionen produziert! <strong>Ein</strong> sogenannter „Weltwassergipfel“ oderso ähnlich vermochte es nicht, das Recht des Menschen <strong>auf</strong> ausreichend und gesundes Wasser <strong>zu</strong>formulieren. Wer hat DA wohl vehement quergetrieben? Mauretanien? Namibia? Und als sich eineKonferenz in einer afrikanischen Haupstadt mit dem Thema Gesundheit befaßte, wurde der Antrageines afrikanischen Staates (unterstützt von einem asiatischen) <strong>auf</strong> eine eventuelle Befreiung vonLizenzgebühren im Falle der nächsten Grippe-Epidemie prompt und energisch bekämpft, wennmich meine Erinnerung nicht trügt: von einem Lakaien der US-Wirtschaft. Geld regiert <strong>die</strong> Welt – inden Abgrund? Als sich unlängst <strong>die</strong> meisten Staaten der Welt <strong>zu</strong>sammenfanden, um im Rahmeneiner Konferenz Streubomben (cluster bombs) <strong>zu</strong> ächten und <strong>zu</strong> verbieten, nahmen <strong>die</strong> fünf größtenProduzenten <strong>die</strong>ser Mörderwaffen erst gar nicht an <strong>die</strong>sem Treffen teil, nämlich <strong>die</strong> USA, Rußland,China, In<strong>die</strong>n und Israel. <strong>Ja</strong> wenn DAS <strong>die</strong> großen Kulturnationen <strong>auf</strong> unserem Planeten <strong>sind</strong>,möchte ich <strong>noch</strong> erheblich unkultivierter werden.Vor einiger Zeit ließ ich mir <strong>die</strong> Menschenrechte aus dem Internet herunterladen. Im Prinzip einrecht löbliches Werk, wenn auch <strong>zu</strong>m Teil sehr un<strong>zu</strong>reichend und etwas schwammig formuliert.Aber der Artikel eins hat mich <strong>zu</strong>m Kochen und Rotieren gebracht. Da steht doch tatsächlich: „AlleMenschen <strong>sind</strong> frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – „GEBOREN“? Dieses WortIMPLIZIERT ja gerade<strong>zu</strong> eine folgende Ungleichheit, fordert sie heraus! „Nun, alle werden nacktgeboren, der eine fällt eben in kostbare Tücher, der andere in Zeitungspapier oder in nackteMutterhände – das ist eben so!“ SO lese ich das XCRWort „geboren“. WEG DAMIT! Was habensich <strong>die</strong> noblen Herren damals wohl dabei gedacht? Oder etwas anders gefragt: Wie viele <strong>die</strong>serHerrschaften waren damals (USA 1789) eigentlich SELBER Sklavenhalter? Die Sklaverei in denUSA wurde ja erst im Zuge des US-Bürgerkriegs wegdeklariert und etwa hundert <strong>Ja</strong>hre späteroffiziell eingestellt (oder doch nur demokratisiert?). WEG mit <strong>die</strong>ser XCRFormulierung! JederMensch ist frei und gleich an Würde und Rechten. PUNKT!Überhaupt bin ich der Auffassung, daß es nur EIN Menschenrecht gibt: Das <strong>auf</strong> ein Mensch-Sein inWürde. Aber das kann nicht deklariert werden, da muß wohl jeder <strong>Ein</strong>zelne selber daran arbeiten,daß er <strong>die</strong>se Prädikate „Mensch“ und „Würde“ auch tatsächlich ver<strong>die</strong>nt. Aber <strong>zu</strong>mindest sollte denMenschen <strong>die</strong> Freiheit und <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>zu</strong>r Erreichung <strong>die</strong>ser Ziele gewährleistet werden.


16Ich vertrete <strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong> Diskrepanzen mächtig-machtlos, privilegiert-diskriminiert,reich-arm (und ähnliche) NIE <strong>zu</strong> einem dauerhaften sozialen Frieden führen werden und damitGewalt herausfordern, mitunter sogar notwendig machen. (Eigentlich eine perverse Feststellung!)Ich zitiere wieder einen Teil des Goethe-Verses: Schadet niemand und hilfet! Das reicht für ein„politisches Manifest“. Jetzt mag man einwenden, <strong>die</strong>s sei keine POLITISCHE Grundhaltung undauch keine MARKTWIRTSCHAFTLICHE, sondern vielmehr eine ETHISCHE – nun, so schnellkann's gehen, um <strong>zu</strong> der Auffassung <strong>zu</strong> kommen, daß Politik und Markt<strong>wir</strong>tschaft nicht unbedingtetwas mit Ethik <strong>zu</strong> tun haben! (Was Ethik mit Kapitalismus und freier Markt<strong>wir</strong>tschaft <strong>zu</strong> tun habenkönnte, scheint sowieso ein international schwerstens gehütetes Geheimnis <strong>zu</strong> sein.)Es ist offensichtlich, woran es allgemein mangelt: Bewußtsein. Verständnis und Mitgefühl.Zwei allerletzte Blicke laßt uns <strong>noch</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong> uns beherrschenden Systemführer werfen, und dannsoll's erst einmal genug sein mit Politik und Kapitalismus und ihren apokalyptischen Testpiloten!Als ich in meinem Matura- (Abitur-) <strong>Ja</strong>hr 1975(!) ein Referat im Rahmen des Fachs Geographie undWirtschaftskunde über das Thema „Zukunftsaussichten“ halten mußte, gab mir mein Lehrer einigeBroschüren, Zeitschriften und <strong>die</strong> Kopie eines <strong>Ja</strong>hresberichts des „Club of Rome“ in <strong>die</strong> Hand, unddarin wurden so gut wie alle jene Problematiken <strong>auf</strong>gezählt, <strong>die</strong> heute so heiß und ernsthaftdiskutiert werden (jetzt ist <strong>die</strong> Bedeutung des Rufzeichens hinter der <strong>Ja</strong>hreszahl wohl jedem klar):Erschöpfung der Bodenschätze (damals geschätzt: Uran 2050 oder 2060, Erdöl ebenso, Erdgas2100, Kohle etwa um 2300, an andere kann ich mich nicht mehr erinnern – und wenn einigeRessourcen in der Zwischenzeit auch neu entdeckt wurden, macht das das Maß des allgemeinenRaubbaus auch nicht geringer; <strong>zu</strong>m Vergleich auch <strong>noch</strong> einige im <strong>Ja</strong>hre 2006 veröffentlicheZahlen: Erdöl gibt's <strong>noch</strong> 41 <strong>Ja</strong>hre, Erdgas 59, Kohle etwa 200), Umweltverschmut<strong>zu</strong>ng,Artensterben, Abhol<strong>zu</strong>ng der Regenwälder, Erderwärmung, Nahrungsmittel- und Wasserknappheit,steigende Kriegsgefahr, Überbevölkerung – alles lag schon damals offen und <strong>zu</strong>mindest halboffiziellvor! Außer Katalysatoren für Kraftfahrzeuge, Filteranlagen für <strong>die</strong> (westliche) Industrie, dem (leidernur teilweisen) Verbot der Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoffe, der Sanierung einiger Gewässer unddem <strong>Ein</strong>dämmen des Waldsterbens in den Industrieländern gab es aber nur wenige „Erfolge“ <strong>zu</strong>vermelden. Was haben <strong>die</strong> verantwortlichen Herrschaften eigentlich in den letzten drei <strong>Ja</strong>hrzehntenkonkret GETAN? Geschwiegen, verschwiegen, verweigert, geleugnet, <strong>auf</strong>geschoben, abgezockt,weitergelächelt, weitergestümpert? Müssen sie in <strong>die</strong>sem Fall nicht <strong>zu</strong>mindest als grob fahrlässigbezeichnet werden, wenn nicht sogar als verbrecherisch?Unlängst sah ich eine kleine Dokumentation über <strong>die</strong> Lage einiger westafrikanischer Staaten. Diesewerden von der Europäischen Union, den USA, der Weltbank, dem Weltwährungsfond, derWelthandelsorganisation und mitunter <strong>noch</strong> anderen Organisationen, <strong>die</strong> sich eventuell hinterKürzeln verbergen wie XCRAL, genötigt, Schutzzölle <strong>auf</strong><strong>zu</strong>heben und <strong>die</strong> Subvention ihrerLand<strong>wir</strong>tschaft ein<strong>zu</strong>stellen sowie IHREN MARKT DEN WESTLICHEN WAREN ZUÖFFNEN, wohlgemerkt den hochsubventionierten EU- und US-Waren! (Andere Industriestaatenwerden wohl auch <strong>noch</strong> kräftig mitprofitieren!) <strong>Ein</strong>e effektivere Art, Armut und Not, Hunger undTod <strong>zu</strong> erzeugen, ist wohl nur mehr der offene Krieg! SO schafft Europa sich selbst wahre Heerevon Flüchtlingen, illegale und im Meer abgesoffene!Also WEISE ist „meine“ Spezies <strong>wir</strong>klich nicht, nicht einmal verständig, ja nicht einmal <strong>wir</strong>klichklug, aber entsetzlich opportunistisch, abgezockt, unverschämt, asozial, menschenverachtend,zynisch, herzlos – und kurzsichtig!In puncto Politik und Wirtschaft möchte ich <strong>noch</strong> ein Zitat anbringen: „Nicht das Volk hat derWirtschaft <strong>zu</strong> <strong>die</strong>nen und <strong>die</strong>se dem Kapital, sondern das Kapital der Wirtschaft und <strong>die</strong>se demVolke!“ Klingt recht kommunistisch, nicht wahr? Ist es aber nicht, im Gegenteil: Es stammt vomvielleicht größten Psychopathen, den Österreich je hervorgebracht hat, vom sogenannten „Führer“und Reichskanzler des Großdeutschen Reiches. (Möge sein „Andenken“ in Vergessenheit geraten!)Manchmal stelle ich mir vor, ein riesiges kosmisches Hinterteil erscheint eines notwendigen Tagesüber unserem Planeten und xcr uns einfach <strong>zu</strong>!


17Zurück <strong>zu</strong>m Thema Weltanschauung – jeder hat eine, sobald er halbwegs gelernt hat, seineSinneseindrücke <strong>zu</strong> verarbeiten und <strong>zu</strong> denken.Dies <strong>wir</strong>d <strong>zu</strong>meist als einfachste, weil konkreteste Art von Weltanschauung angesehen: derMaterialismus – jede Menge Chemie und Physik, da<strong>zu</strong> Biologie, verwandte Wissenschaften undeiniges an Theorien. Alles vermittelt über Sinnesorgane und ihre künstlichen Erweiterungen;empfangen, interpretiert, eingeordnet vom Gehirn und abgespeichert von selbigem; Vernet<strong>zu</strong>ngenvon Gehirnzellen, <strong>die</strong> mehr oder weniger selbständiges Denken, Erkennen, Kombinieren, Deutenund Spekulieren möglich machen. <strong>Ein</strong>e klare Anschauung: was man beweisen kann, das gibt's; denRest gibt's entweder nicht, oder man weiß es <strong>noch</strong> nicht so genau, oder man weiß <strong>noch</strong> nicht, wie'sfunktioniert. Was weder erklärbar <strong>noch</strong> beweisbar ist, <strong>wir</strong>d meist abgetan mit <strong>Ein</strong>bildung, Irrtumoder Aberglauben. In <strong>die</strong>ser Sichtweise <strong>sind</strong> Geisteswissenschaften eher Geschmackssache undSpekulation, deswegen gehört Psychologie heut<strong>zu</strong>tage auch <strong>zu</strong> den Naturwissenschaften undbeschäftigt sich mit Neuronen, Rezeptoren, Neurotransmittern und jeder Menge Biochemie undBiophysik. – Na ja!In jungen <strong>Ja</strong>hren hing ich auch <strong>die</strong>ser einfachen, unkomplizierten materialistischen Weltanschauungan. Mein Weltbild (das heißt: was ich mit meiner individuellen Weltanschauung betrachte) war rechtsimpel und im wesentlichen dreidimensional. Länge, Breite, Höhe. Punkt. Der Raum. Der Rest warmathematische oder gedankliche Spitzfindigkeit. <strong>Ein</strong>steins berühmte Formel erschloß sich mir überden gängigen Physikunterricht keineswegs. Erst viele <strong>Ja</strong>hre später wurde mir <strong>die</strong>se Formel und derdirekte Zusammenhang von Raum und Zeit etwas klarer, womit <strong>die</strong> Dreidimensionalität durch <strong>die</strong>vierte Dimension, <strong>die</strong> Zeit, ergänzt wurde. Den meisten Menschen genügen Dreidimensionalitätoder Vierdimensionalität, wobei zweitere ja gar nicht so einfach begreiflich und nachvollziehbar ist.Aber beide Sichtweisen des Universums <strong>sind</strong> ungenügend und falsch, wie Quantenmechanik undKernphysik immer mehr beweisen. Die Erforschung der Quarks machte eine Erweiterung <strong>auf</strong><strong>zu</strong>mindest ELF Dimensionen notwendig. Dies gilt mittlerweile als wissenschaftlich fun<strong>die</strong>rt.Manche Mathematiker und Physiker sprechen sogar von 25 Dimensionen!Dies hindert <strong>die</strong> meisten Menschen jedoch nicht daran, weiterhin in ihrer drei-bis-vierdimensionalenWelt <strong>zu</strong> leben. Ist ja auch irgendwie verständlich, weil einfach und praktisch: Sinnesorgane, Gehirn,Verstand, Vernunft, Emotionen – alles recht leicht (oder sogar materialistisch) erklärbar.Die materialistische Weltanschauung muß sich jedenfalls gehörig erweitern und reformieren, um mitden Erkenntnissen der ja durchaus materialistisch orientierten Naturwissenschaften mithalten <strong>zu</strong>können. Allein schon <strong>die</strong> Vorstellung, daß es sieben weitere Dimensionen gibt, in <strong>die</strong> man nicht soeinfach hineinschauen kann, dürfte einen eingefleischten Materialisten erschüttern.Und müßte ich eine Wette abschließen, WER wohl letztliche und existentielle Geheimnisseenthüllen <strong>wir</strong>d, würde ich keinen einzigen Cent <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Theologie setzen und alles <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Physik!<strong>Ein</strong>e Spielart des Materialismus ist der Darwinismus, der meiner Meinung nach fälschlicherweise soheißt, denn äußerst wesentliche Erkenntnisse seiner Theorie <strong>sind</strong> Charles Darwin von Alfred RusselWallace vermittelt worden, einem autodidaktischen Feldvermesser und Nicht-Akademiker, und erstin der dritten Auflage des Buches „Über <strong>die</strong> Entstehung der Arten“ fand Darwin es für angebracht,Wallace im Vorwort <strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong> erwähnen. (Damit wurde Mr. Darwin selbst <strong>zu</strong>m erstensozialdarwinistischen AL.)Wer im Russell-Darwinismus eine Gefahr für seine Spiritualität sieht, sollte erst mal das kleineBrett vor seinem Kopf ertasten, der Russell-Darwinismus beschreibt doch lediglich, wie Leben sichENTWICKELT, aber nicht, woher es stammt. Nicht umsonst ist es Wissenschaftlern bis heute nichtgelungen, aus den Aminosäuren in der nachmodulierten „Ursuppe“ einen primitiven <strong>Ein</strong>zeller <strong>zu</strong>erzeugen.Es gibt aber <strong>noch</strong> weit weit weniger entwickelte Weltanschauungen, namentlich Rassismus,Nationalismus und Chauvinismus – äußerst engstirnige, hirnrissige, dumme, pseudo-elitäre undunmenschliche Sichtweisen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Anregung von Erbrechen taugen und <strong>zu</strong> sonst nichts.


18Es gibt nur EINE menschliche Rasse, deren Weibchen und Männchen sexuell voll kompatibel <strong>sind</strong>,und zwar ausnahmslos, deren Nachkommen ebenso, und DEREN Nachkommen selbstverständlichauch.Wiederum nehme ich neuere wissenschaftliche Erkenntnisse <strong>zu</strong>r Hand, wonach homo sapiensungefähr 30 000 <strong>Ja</strong>hre braucht, um sich VÖLLIG <strong>auf</strong> <strong>die</strong> jeweilige Umwelt ein<strong>zu</strong>stellen. Das heißt:Wenn <strong>wir</strong> HEUTE <strong>die</strong> Bevölkerungen von Madagaskar und Island austauschen und in Folgejedwede genetische <strong>Ein</strong>mischung vermeiden, <strong>sind</strong> nach 30 000 <strong>Ja</strong>hren <strong>die</strong> ehemaligen Madegassenhellhäutig, blond, blauäugig und mitunter sommersprossig, während Mrs. Gudjohnson stolz ihrschwarzes Kraushaar und ein breitlippiges Lächeln in ihrem dunklen Gesicht präsentiert.So einfach könnte es sein, Rassisten <strong>zu</strong> dem <strong>zu</strong> machen, was sie hassen – wenn sie nur annähernd30 000 <strong>Ja</strong>hre alt werden könnten!Ich jedenfalls kann immer nur EINE Hautfarbe entdecken: braun. Ich sehe nur Brauntöne.<strong>Ein</strong>e ähnlich primitive Weltanschauung wie der Rassismus ist der Nationalismus. Es ist leiderimmer <strong>noch</strong> an der Tagesordnung, <strong>die</strong> Begriffe „Heimat“ und „Vaterland“ <strong>zu</strong> verwechseln, undweltweit <strong>wir</strong>d ein Hochgepeitsche der Gefühle von all<strong>zu</strong> vielen „Wir-<strong>sind</strong>-<strong>wir</strong>“-Demagogen undHaßpredigern betrieben. Heimat bezeichnet das Land, Vaterland jedoch den Staat. Für kulturelleBegriffe werden immer <strong>die</strong> Begriffe „Heimat“ und „Mutterland“ verwendet, für politische hingegen„Vaterland“. (Ist Kanada etwa das „Vaterland“ des Eishockey? Oder Australien das „Vaterland“ derKänguruhs und Koalas? Und in welcher „Vatersprache“ könnte ich wohl meine Sprachlosigkeitausdrücken?)Stellen <strong>wir</strong> uns das Leben eines anno 1893 im Norden Istriens geborenen Mannes vor. Zuerst war erUntertan der Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie, danach des Königreichs der Kroaten,Serben und Slowenen, dann war Istrien von Italien besetzt (auch mit Hilfe von Nazi-Deutschland),danach war unser Mann Bürger der Sozialistischen Republik Jugoslawien, und im Alter von hundert<strong>Ja</strong>hren ist er schlußendlich Bürger der Republik Slowenien. Zu welcher „Nation“, <strong>zu</strong> welchem„Staat“ <strong>wir</strong>d er sich wohl bekennen? Ich hoffe doch, er würde einfach nur sagen: „Meine Heimat istIstrien. Ich bin Istrier.“(Ich bin übrigens Kärntner. Kärnten ist (für <strong>die</strong>, <strong>die</strong> es nicht wissen) der südlichste Teil Österreichs,ein Land mit einer wunderschönen Landschaft mit Bergen und Seen, seit Alters her Treffpunktverschiedener Kulturen. Deshalb werden hier auch zwei Sprachen gesprochen: deutsch undslowenisch. Aber auch hier gibt es Seltsam-Denker, <strong>die</strong> Probleme zwischen Deutsch-Kärntnern undKärntner Slowenen sehen müssen, und zwar Seltsam-Denker <strong>auf</strong> beiden Seiten. Paradoxerweisegibt es <strong>die</strong>se „Spannungen“ nur, weil sich <strong>die</strong> Kärntner Slowenen 1920 in einer VolksabstimmungFÜR Österreich entschieden hatten; hätten sie sich damals dem neugegründeten Slawen-Staatangeschlossen, wären sie jetzt Slowenen und damit „Ausländer“; etwas genauer: EU-Ausländer, undALLES wäre in Ordnung. Wer versteht das bloß!?)Erst im Sommer 2007 meinte ein serbischer Nationalist, der völlig <strong>zu</strong> Recht erhebliche Problememit einem internationalen Kriegsverbrecher-Tribunal hat, in einem Fernseh-Interview: „Wir <strong>sind</strong>keine Faschisten, sondern Chauvinisten, <strong>die</strong> Kroaten hassen!“Solange geistige Amöben jener Art existieren, werden Völkerhaß, Unterdrückung, Rassismus undKrieg wohl nie enden!


19Schon Naturvölker kamen <strong>zu</strong> der Auffassung, daß es neben der sichtbaren Welt <strong>noch</strong> eine andere,unsichtbare oder nur wenigen Menschen teilweise sichtbare Welt gibt, ja geben muß. Somit <strong>sind</strong> <strong>wir</strong>schon mitten in der Welt der Ahnen, der Naturgeister und <strong>noch</strong> höherer Geistwesen; ALLE Völkerbesitzen eine derartige Mythologie, aus der sich nach Ansicht vieler Menschen <strong>die</strong> verschiedenenReligionen entwickelt haben. Der Großteil der Menschen glaubt an <strong>die</strong> Existenz anderer Weltenoder Sphären oder Daseinsebenen (oder von mir aus Dimensionen).Allerdings unterscheiden sich <strong>die</strong>se Vorstellungen über Anzahl und Aussehen der „unsichtbaren“Welten sehr wesentlich.Die einfachste ist <strong>die</strong> von der Unterscheidung zwischen Diesseits und Jenseits, verbunden durchverschiedene Wechsel<strong>wir</strong>kungen, deren „Handhabung“ heut<strong>zu</strong>tage <strong>zu</strong>meist als Schamanismusbezeichnet <strong>wir</strong>d. Zum Nutzen (und auch <strong>zu</strong>m Schaden) der Menschen werden Ahnen, Naturgeisterund auch höhere Geistwesen angerufen.<strong>Ein</strong>e „Weiterentwicklung“ ist <strong>die</strong> Vorstellung, daß es <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> Diesseits und Jenseits <strong>noch</strong> eineweitere Form von Jenseits gibt, in der sich Verstorbene zeitlich unbegrenzt <strong>auf</strong>halten können. Diesesals immerwährend angesehene Jenseits <strong>wir</strong>d unter anderem „Himmel“, „Para<strong>die</strong>s“ oder „<strong>die</strong> ewigen<strong>Ja</strong>gdgründe“ genannt; es ist mit Verstorbenen, Geistwesen und höheren Geistwesen bevölkert, <strong>die</strong><strong>zu</strong>meist als „Götter“ (oder dergleichen) bezeichnet werden. Überwiegend herrscht auch hier <strong>die</strong>Vorstellung vor, daß <strong>die</strong>se Ebene durch verschiedene Handlungen wie Gebete, Opferungen undandere rituelle Zeremonien beeinflußbar ist, um das Wohl der Menschen <strong>zu</strong> gewährleisten.<strong>Ein</strong>e weitere Vorstellung besteht darin, daß jenseits von Diesseits und Jenseits und Himmel eineinziges Wesen existiert, welches über alles herrscht. Oft hat <strong>die</strong>ses Wesen auch alles Existenteerschaffen; allerdings herrscht <strong>die</strong>se Vorstellung nicht überall vor. Manchmal ist <strong>die</strong>ses „HöchsteWesen“ lediglich ein Gott unter vielen, manchmal der einzige. Außerdem gibt es <strong>die</strong> Vorstellung,daß <strong>die</strong>ses höchste und ursprüngliche Wesen nicht „<strong>Ein</strong> Gott“ ist, sondern ein unerklärbares, nichtpersonifizierbares, allesumfassendes „Sein“ (manche nordamerikanische Indianer verwenden denBegiff „Großes Geheimnis“), das über jede Art von Form und Name hinausgeht.Und <strong>zu</strong>sätzlich gibt es <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Möglichkeit, Jenseits und Himmel in verschiedene Bereiche oderEbenen <strong>auf</strong><strong>zu</strong>splitten.Da <strong>die</strong> meisten Bereiche für <strong>die</strong> meisten Menschen unsichtbar oder nicht so leicht einsehbar <strong>sind</strong>,besteht natürlich eine Fülle von Möglichkeiten der Verwechslung, der Fehlinterpretation und desIrrtums, ja es kann sogar alles Mögliche erfunden und erdacht werden. Da <strong>sind</strong> dem menschlichenGeist wahrlich Tür und Tor geöffnet.Die Methoden, <strong>die</strong> „Tore“ zwischen verschiedenen „Bereichen“ <strong>zu</strong> durchschreiten, können Yoga,Meditation, Gebet, Tanz oder Musik sein, Erfahrung, Wissen, Glauben oder Religion. Das Ziel istimmer und überall <strong>die</strong> jeweils höchste Form von Glück in Diesseits und Jenseits.Ich weiß nicht, wie viele und welche Bewußtseinsebenen es jenseits des gewohnten und alltäglichenDenkens und Empfindens gibt. Ich kann leider äußerst wenig über etwas aussagen, was ich nurandeutungsweise erfahren habe. (Aber eines kann ich euch versichern: Unser „Alltagsbewußtsein“ist <strong>noch</strong> lange nicht das Ende der Fahnenstange!)Wenn <strong>die</strong> herkömmlichen fünf Sinne nicht mehr ausreichen, um etwas <strong>zu</strong> „erkennen“, beginnen erstso richtig <strong>die</strong> Probleme. Jedenfalls besitzen <strong>wir</strong> alle immer und überall einen „Sinn“, der völligunabhängig von Fleisch und Blut ist und durch materialistische Sichtweisen nie und nimmererklärbar ist – <strong>die</strong> Intuition. (Inwieweit Intuition mit Inspiration in Zusammenhang steht, kann ichbei bestem Willen nicht festlegen; vielleicht <strong>sind</strong> Intuition, <strong>die</strong> offenbar von innen kommt, undInspiration, <strong>die</strong> offenbar von außen kommt, sogar identisch; vielleicht erscheint Inspiration lediglichals von außen kommend. Ich weiß es nicht, und ich will es auch gar nicht definieren.)Und schon haben <strong>wir</strong> das nächste Problem, denn Intuition kann sehr leicht durch Wunsch- undAngstvorstellungen verdunkelt und sogar mit <strong>die</strong>sen verwechselt werden. Außerdem ist es sehrschwer, etwas als das <strong>zu</strong> erkennen, was es tatsächlich ist, wenn man es nicht kennt und nur <strong>auf</strong>


20mangelhafte Vergleichswerte und Erfahrung <strong>zu</strong>rückgreifen kann.In allen Kulturen gibt es <strong>die</strong> Tradition der Schamanen, Priester und „spirituellen“ Lehrer. Sie werdenunterschiedlich bezeichnet, beschäftigen sich aber auch mit unterschiedlichen Thematiken,Anschauungen, Handlungen und Daseinsebenen. Letztendlich aber haben sämtliche Traditionen undAnschauungen <strong>die</strong> selben Zielvorstellungen: eine angenehme Existenz im Diesseits und eine <strong>noch</strong>weit angenehmere und ewige im Jenseits (wobei sich zweitere in den verschiedenen Anschauungenoft sehr unterscheidet, ja sogar <strong>die</strong> Nicht-Existenz erlaubt).Zusätzlich <strong>zu</strong>r Vielzahl der Anschauungen macht <strong>die</strong> Vielzahl der Wege und Methoden alles immerkomplexer und komplizierter. Deshalb kommt jetzt ein ganz persönlicher <strong>Ein</strong>schub, vorsichtig,sanft, am besten in Form einer Parabel.Inmitten einer weiten Landschaft mit Hügeln und sanften Bergen steht ein hoher Berg, DER Berg,der Berg der Berge, der HEILIGE Berg, DER heilige Berg. Glücklich schätzen sich <strong>die</strong> Bewohner<strong>zu</strong> seinen Füßen. Und auch weiter entfernt schätzen <strong>die</strong> Menschen seine Gegenwart. Aber jenseitsdes Horizonts zweifeln viele an der Existenz des Berges, weil sie ihn nicht sehen können. Vieleglauben <strong>noch</strong> an seine Existenz, aber viele sagen entschlossen: Es gibt keinen Berg, alles nur Sageund Märchen, erfunden, eine Geschichte der Alten für <strong>die</strong> Kinder.Beinahe ununterbrochen liegt <strong>die</strong> Gipfelregion des Berges in Wolken verborgen. Aber ganz ganzselten lüften sich <strong>die</strong> Schleier, und wer immer einen Blick <strong>auf</strong> den Gipfel erhascht, spricht davon instammelnden, verrückten, schwärmerischen, liebevollen und liebestollen Worten.Immer wieder schicken sich Menschen an, den Berg <strong>zu</strong> ersteigen, allein, <strong>zu</strong> zweit, in Gruppen. Oftnur <strong>zu</strong> einem bestimmten Aussichtspunkt, einer Herberge, einem Tempel, einer Kapelle, einemBildstock, einem Naturheiligtum. Aber immer wieder machen sich Menschen <strong>auf</strong>, den unsichtbarenGipfel <strong>zu</strong> erklimmen.Viele Wege führen von allen Seiten her den Berg hin<strong>auf</strong>, und je höher man kommt, umso wenigerund schmaler werden sie. <strong>Ein</strong>ige wenige führen nicht nur bis an <strong>die</strong> Wolkengrenze, sondern sogar in<strong>die</strong> Wolkendecke hinein. Aber jeder, der in <strong>die</strong>se Wolkenschicht vordringen konnte, ringt vergeblichnach Worten, wenn er <strong>die</strong> dort erfahrenen Erkenntnisse und Glücksgefühle beschreiben will.Und viele, <strong>die</strong> vom Gipfel wieder <strong>zu</strong>rückkehren, hüllen sich in himmlisch lächelndes Schweigen.So in etwa sieht mein Verständnis von „Gott, Wahrheit, Weg und Ziel“ aus.Wer <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ser Seite des Berges steht, kennt <strong>die</strong> Wege der gegenüberliegenden Seite nicht. Aber dasist auch gar nicht nötig. Es genügt, andere Wege <strong>zu</strong> akzeptieren. Manche Wege führen nicht <strong>auf</strong> denGipfel, aber das macht auch nichts. Und wer will, kann jederzeit seinen Weg wechseln. Mancherversucht es <strong>auf</strong> eigene Faust, man könnte sagen: querfeldein. Letztendlich gibt es immer nur EINERichtung: hin<strong>auf</strong>! Letztendlich gibt es auch nur EINEN Weg: den eigenen!(Der Begriff „Wege“ bezeichnet selbstverständlich <strong>die</strong> verschiedenen Lehren, Philosophien undReligionen, und es wäre wundervoll, wenn zwischen <strong>die</strong>sen Wegen weder Vorbehalte <strong>noch</strong>Vorurteile bestünden. Ich wünsche uns allen Offenheit, Toleranz und vor allem Mitgefühl!)Über den Gipfel kann ich nichts Konkretes aussagen, weil ich <strong>noch</strong> nicht oben war. Wahrscheinlichkann man darüber überhaupt nichts Konkretes aussagen. Jedenfalls <strong>wir</strong>d er in den monotheistischenReligionen „Gott“ genannt.Nun möge man meinen, ich sollte fortfahren mit „Im Anfang – “ oder „Und Gott schuf – “, aber daswürde uns nur viel <strong>zu</strong> hastig in eine unübersichtliche Vielzahl unterschiedlicher thematischerProblematiken bringen.Hätte ich einige Millionen Euro <strong>zu</strong> verschenken, würde ich irgendein Institut für Völkerkunde dafüreinspannen, SÄMTLICHE Schöpfungsmythen der Welt <strong>zu</strong> dokumentieren. Es wäre eine sicherlichumfangreiche Arbeit mit vielen Hunderten oder gar Tausenden von Geschichten und Vorstellungen.Und man würde fast automatisch <strong>zu</strong> der Frage gelangen, warum EINE EINZIGE Geschichte oderVorstellung so vehement einen absoluten Anspruch <strong>auf</strong> Wahrheit und Richtigkeit erhebt, nämlich


21<strong>die</strong> des jüdischen Volkes, <strong>die</strong> dann später von Christentum und Islam übernommen wurde.Anhand der Genesis (des ersten Buches des Alten Testaments UND der Thora, denn <strong>die</strong>se bestehtaus den fünf Büchern Mose) läßt sich mittels der Lebensdaten vieler Generationen <strong>die</strong> Erschaffungder Welt <strong>zu</strong>rückdatieren <strong>auf</strong> das <strong>Ja</strong>hr 3760 vor Christi Geburt (der genaue Tag des „Anfangs“:7.10.). Millionen von Menschen halten <strong>noch</strong> immer an <strong>die</strong>ser „Tatsache“ von der Erschaffung derWelt vor nicht einmal 6000 <strong>Ja</strong>hren fest. 45% der US-Bürger haben sich da<strong>zu</strong> bekannt, imZweifelsfall der Bibel <strong>zu</strong> vertrauen und nicht der Wissenschaft. Und es <strong>sind</strong> <strong>zu</strong>tiefst ernsthafteBestrebungen im Gange, <strong>die</strong> Bibel und ihre Schöpfungsthese gleichwertig mit Naturwissenschaft imUnterricht der kleinen US-Bewohner <strong>zu</strong> etablieren.(„Wir begrüßen sie <strong>zu</strong>m Weltmeisterschaftskampf der Weltanschauungen! In der linken Ecke sehenSie den Herausforderer, Scientificus Forschergeist aus der schönen Stadt Darwin, er besitzt einmegafettes Kampfgewicht, das sich nirgendwo wiegen läßt. In unzähligen Kämpfen mußte erunzählige harte Treffer einstecken, wurde unzählige Male aus mitunter fadenscheinigen Gründendisqualifiziert, gilt aber für <strong>die</strong> meisten Fachleute <strong>noch</strong> immer als ungeschlagen. – Und in derrechten Ecke sehen Sie den regierenden Weltmeister und Titelverteidiger, ebenfalls ungeschlagen,ebenfalls hart geprüft, mit einem <strong>noch</strong> weitaus unermeßlicheren Kampfgewicht, er kommt ausEternity City – Moses „<strong>die</strong>-Schrift-sagt“ Gottesmann!“Es scheint, als würden tatsächlich Millionen von Menschen einen derartigen Kampf sehen und vorallem SICH SELBER in einem derartigen Kampf sehen! Da ist wohl <strong>noch</strong> etwas Wissens-,Herzens- und Bewußtseinserweiterung nötig!)Die Vorstellung von einer Erschaffung der Welt vor nicht einmal 6000 <strong>Ja</strong>hren führt eine Reihe vonNaturwissenschaften ad absurdum, sowohl Astrophysik als auch Kernphysik und ALLES, was mitPaläo- und Geo- beginnt, außer Geographie. Aber anscheinend zweifeln 45% der US-Amerikanerund <strong>noch</strong> etliche Nicht-US-Bürger an <strong>die</strong>sen Wissenschaften. Ist das nicht FURCHTERREGEND?Dabei wäre <strong>die</strong> Vereinigung religiöser Schriften mit den Wissenschaften ja so EINFACH: Manmüßte <strong>die</strong>se Schriften nur im Zusammenhang mit der Zeit ihrer Abfassung sehen. Moses rechnete<strong>noch</strong> Fledermäuse <strong>zu</strong> den Vögeln, heute lächelt jeder 10jährige darüber (außer den 45%igen). DieWelt war <strong>noch</strong> eine Scheibe, über <strong>die</strong> sich das Himmelsgewölbe spannte, darüber und darunter warWasser. Und <strong>die</strong> Erde war selbstverständlich der Mittelpunkt des ganzen Kosmos. Wer glaubt dasheute <strong>noch</strong>? Kann es denn <strong>wir</strong>klich so schwer sein, einige Irrtümer ein<strong>zu</strong>gestehen?Aber <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong>m Begriff „Gott“. Um <strong>die</strong>ses viel <strong>zu</strong> oft mißbrauchte Wort <strong>zu</strong> erklären, will ich micheines anderen Wortes be<strong>die</strong>nen: Transzendenz.Das lateinische Wort „transcendere“ bedeutet: darüber hinaus schreiten (oder gehen). Über WAShinausgehen? Nun, ganz einfach über das Unbeständige, Wechselhafte, Nicht-Ewige. Das, was <strong>wir</strong>so leichtfertig „Welt“ oder „Universum“ nennen. Damit <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Kriterien für eine (notdürftige)Erkennung von Transzendenz eigentlich schon ziemlich klar und einfach formuliert: KEINANFANG, KEINERLEI VERÄNDERUNG, KEIN ENDE. Aus dem Hinduismus kenne ich <strong>die</strong>drei Begriffe „sat“, „cit“ und „ananda“, <strong>die</strong> ebenfalls versuchen, „Eigenschaften“ der Transzendenz<strong>zu</strong> beschreiben: „sat“ bedeutet absolutes ewiges Sein, „cit“ absolutes ewiges Wissen, „ananda“absolute ewige Glückseligkeit, ewige Freude.Ich sehe es „ungefähr“ folgendermaßen: Lao-tse nannte <strong>die</strong> Transzendenz „Tao“, Hindus verwendendas Wort „brahman“, Monotheisten nennen sie „Gott“. Lao-tse sagte, daß über das Tao NICHTSausgesagt werden kann, man könne lediglich beschreiben, was es NICHT ist. Deckungsgleichäußerte sich auch der jüdisch-alexandrinische Philosoph Philo über den „<strong>Ein</strong>en Gott“.Nun gibt es (oberflächlich betrachtet) zwei völlig verschiedene Ansichten über <strong>die</strong>se Transzendenz:Monismus und Monotheismus. Der Monismus vertritt <strong>die</strong> Meinung, daß <strong>die</strong> Transzendenz KEINEPerson ist, und daß letztlich alles EINS ist. (Daher kommt ja auch der Name.) Der Monotheismus(wie schon das Wort ausdrückt) meint, daß <strong>die</strong> Transzendenz letztendlich nur eine Person sein kann,nämlich Gott.Das Judentum kennt viele Namen für Gott und seine Teilaspekte, <strong>die</strong> alle in der Kabbala angeführt


22werden, Christen nennen ihn meist nur beim „Titel“ – Gott, Muslime ebenso: „al Lah“ heißt nichtsanderes als: „der Gott“.Wer den Hinduismus als Polytheismus, also als Vielgötterei bezeichnet, liegt leider nicht ganzrichtig. Denn: „Gott“ ist nicht gleich „Gott“. Was Monotheisten als „Gott“ bezeichnen, nämlich einTranszendentes Wesen, gibt es im Hinduismus sehr wohl ebenso, aber auch Wesenheiten, für <strong>die</strong>unsere Sprache ebenfalls das Wort „Gott“ verwendet. Das ist nicht so einfach <strong>zu</strong> erklären, alsobeginne ich so<strong>zu</strong>sagen „hintenrum“ mit der Lehre von der Wiedergeburt und vom Karma.Der Sanskrit-Ausdruck „karma“ bedeutet Handeln und beschreibt ein kosmisches Naturgesetz: daßnämlich jedes Handeln von relevanter Bedeutung, vor allem bewußt und mit Absicht ausgeführt, inForm von <strong>zu</strong>künftigem Glück und Leid <strong>auf</strong> den Handelnden <strong>zu</strong>rückfällt. Man könnte <strong>zu</strong>r Erklärungauch Begriffe aus der Physik verwenden: Ursache und Wirkung, actio est reactio. „Ziel“ ist einAusgleich, ein Gleichgewicht. Auch in der Bibel <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ses Naturgesetz erwähnt: „Jeder <strong>wir</strong>dgerichtet nach seinen Taten“ und „Was du säst, <strong>wir</strong>st du auch ernten“. Was soll das wohl anderesbedeuten als: Karma?Die Lehre vom Karma führt automatisch <strong>zu</strong>r Lehre von der Wiedergeburt. Denn nur in seltenstenFällen kann das in der Vergangenheit erworbenes Karma in <strong>die</strong>sem Leben <strong>auf</strong>gearbeitet undlosgeworden werden, ohne neues Karma an<strong>zu</strong>sammeln.Selbst das Judentum entwickelte ein Konzept von der Wiedergeburt, <strong>zu</strong>mindest ansatzweise, undzwar allein schon aus folgendem Grund: <strong>Ein</strong> Säugling, der stirbt, kann <strong>noch</strong> gar nicht gegen Gott<strong>auf</strong>begehrt und gesündigt haben, also muß es eine Vorgeschichte gegeben haben, ein früheres Leben.Auch den frühen Christen waren Karma und Wiedergeburt durchaus bekannt. Im Neuen Testamentgibt es <strong>noch</strong> Relikte <strong>die</strong>ses Wissens. Es wurde offen darüber nachgedacht, wessen Geist in Johannesdem Täufer steckte, und sogar in Jesus selbst wurde der wiedergekehrte Elias vermutet.325 nach Christi Geburt verbannten jedoch <strong>die</strong> Kirchenfürsten während des Konzils von Nicaea(Nikäa) <strong>die</strong> Lehre vom Karma und von der Wiedergeburt aus der christlichen Lehre – meinerMeinung nach ein unverzeihlicher Fehler.Vielleicht wäre es nun angebracht, jene Bücher <strong>zu</strong> erwähnen, <strong>die</strong> mich „beeinflußt“ haben: <strong>die</strong>Evangelien, <strong>die</strong> Bhagavad Gita, das Bardo Thödol (auch bekannt als „Totenbuch der Tibeter“),„Ramakrishna“ von Hans Torwesten, „Stille spricht“ von Baba Hari Das und „Handeln aus demGeist“ von Mahatma Gandhi (einer der wenigen, der für mich das Prädikat „Mensch“ ver<strong>die</strong>nt – ichwar tief beschämt wegen meiner eigenen Mickrigkeit, als ich <strong>die</strong>ses Buch las).„Selbstverständlich“ habe ich Altes und Neues Testament mehrmals gelesen, <strong>die</strong> Upanishaden, dasRamayana, eine Zusammenfassung des Mahabharata, Lao-tse und Dschuang-tse; ich habe einigesüber Buddhas Lehre und dessen tibetische Spielart gelesen, im Talmud und in der Kabbalageschmökert, mich mit den Hopi-Indianern beschäftigt und auch mit dem Koran. (Und <strong>noch</strong> weitmehr. Aber intellektuelles Wissen ist nicht viel, vor allem aber kein Kriterium für eine Bewegung inRichtung Transzendenz.)Ich halte das Totenbuch der Tibeter rein subjektiv für eines der wichtigsten Bücher derMenschheitsgeschichte, weil es sowohl Verstorbene als auch Lebende da<strong>zu</strong> bringen kann, innerhalbvon Visionen und Vorstellungen realistisch <strong>zu</strong> sein. Es ist sinnvoll, es selbst <strong>zu</strong> lesen, und <strong>noch</strong> vielmehr, es seinen Verstorbenen vor<strong>zu</strong>lesen.(Hiermit <strong>wir</strong>d wohl deutlich, daß ich nicht unbedingt das übliche westliche Weltbild vertrete.An <strong>die</strong>ser Stelle möchte ich zwei „Warnhinweise“ anbringen:Es folgen nun viele Kapitelchen <strong>zu</strong>m Thema Religion; <strong>zu</strong> Religion insgesamt, über monistischeReligionen, viel über den Monotheismus, insbesondere über <strong>die</strong> für <strong>die</strong> monotheistischenReligionen so wichtigen ersten beiden Bücher Mose. Für jemandem, der mit dem Thema Religionüberhaupt nichts an<strong>zu</strong>fangen weiß, auch nicht mit Religionskritik, wenn <strong>die</strong>se mit einer PriseSarkasmus gewürzt <strong>wir</strong>d, ist es möglicherweise angebracht, mit Seite 118 fort<strong>zu</strong>fahren.Desinteresse kann Langeweile be<strong>wir</strong>ken.Empfehlen kann ich eine derartige Vorgangsweise jedoch nicht. Auch wenn Religion und


23Religionskritik den Hauptteil <strong>die</strong>ses Buches darstellen, <strong>sind</strong> in den von <strong>die</strong>sen Themen dominiertenKapitelchen <strong>noch</strong> andere Gedanken enthalten, <strong>die</strong> deinen Horizont erweitern oder dich <strong>zu</strong>mindestamüsieren könnten.Wirklich religiöse Menschen hingegen könnten in ihren religiösen Gefühlen verletzt werden.)Vielleicht ist es an sich angebracht, an <strong>die</strong>ser Stelle etwas mehr über mein Leben preis<strong>zu</strong>geben.Meine Eltern haben meine Schwester und mich etwas übervorsichtig erzogen, uns aber sehr vielWichtiges mitgegeben, außer wie man sich mit weit abgespreizten Ellbogen und A voraus durch <strong>die</strong>Welt kämpft. Also wurden <strong>wir</strong> sensible „innere“ Kämpfer. Ich war schon immer jemand, der inStress-Situationen nicht sonderlich gut funktionierte. Der Wehr<strong>die</strong>nst hat meine Gefühlsweltbeinahe kaputt gemacht, <strong>die</strong> sogenannte „Zivilgesellschaft“ hat <strong>die</strong>ses Werk versucht fort<strong>zu</strong>setzen.So wurde ich ohne viel eigenes Zutun <strong>zu</strong>m Außenseiter und Hippie, der sich <strong>zu</strong>nehmend der ihnumgebenden Untergangskultur bewußt wurde. Nach fünf, sechs <strong>Ja</strong>hren stellte ich jeglichenRauschmittelkonsum ein, weil mir Evangelien und Bhagavad Gita einen anderen, „reineren“ Weg<strong>auf</strong>zeigten. Ich heiratete, <strong>wir</strong> bekamen trotz einer Abtreibung <strong>noch</strong> zwei wunderbare Kinder, ich fiel<strong>auf</strong> einen falschen Guru rein, meine Eltern starben innerhalb von drei Monaten, und danach verlorich meine Familie in einem jahrelangen und schmerzvollen Trennungskampf (den ich erst mit derErwachsenwerdung meiner Kinder <strong>auf</strong>arbeiten konnte). Damals, in meinem Scheidungsjahr, war icham Boden, trank wieder täglich und viel Alkohol, ohne daß dadurch das ständige Rotieren meinerGedanken und Gefühle gemildert wurde. Dann überredete ein Freund mich da<strong>zu</strong>, Heroin <strong>zu</strong>probieren. Urplötzlich war ich wieder ausgeglichen, aktiv, agil, kreativ, kommunikativ, glücklich.Und selbstverständlich bald abhängig. Im L<strong>auf</strong>e der Zeit wurde ALLES schlimmer. Letztendlichdauerte es über zehn <strong>Ja</strong>hre, um mich davon <strong>zu</strong> lösen. Auch hierbei spielte das Älterwerden meinerKinder eine Rolle. Außerdem hatte ich auch etwas Hilfe. Im <strong>Ja</strong>hre 2005 wurde eine Hepatitis Ckonstatiert, <strong>die</strong> ich mir irgendwann im L<strong>auf</strong>e meiner Junkie-<strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong>gezogen hatte. Die folgendeTherapie war erfolglos, hatte aber einen überaus reinigenden Nerven<strong>zu</strong>sammenbruch samt burn-out,Depressionen, Angst<strong>zu</strong>ständen und Panikattacken <strong>zu</strong>r Folge. Ich habe gelernt, das Aufkommen<strong>die</strong>ser Zustände <strong>zu</strong> vermeiden, indem ich Stress vermeide.Ich bin weit empfänglicher geworden für <strong>die</strong> negativen Aspekte des Alltags wie auch für allepositiven Gefühle. Erstere muß ich durch ein <strong>zu</strong>rückgezogenes Leben selektiv kontrollieren,zweitere <strong>sind</strong> mir willkommen.„Krank“ bin ich lediglich durch eine erheblich reduzierte psychische und physische Belastbarkeit,hauptsächlich hervorgerufen durch eine chronisch entzündete Leber und eine überdimensionierteAnfälligkeit <strong>auf</strong> Stress jeder Art. (Als „krank“ sehe ich mich nur in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> eine pervertierte,zweckbezogene Leistungsgesellschaft. Andernorts oder <strong>zu</strong> anderer Zeit wäre ich wahrscheinlich nurein etwas sensibler Sonderling mit Leberproblemen.)Ich beziehe übrigens <strong>auf</strong>grund meiner gesundheitlichen Eigentümlichkeiten eine Mindestpension.Beruf war für mich immer nur Broterwerb und drittrangig.Ich bin außerordentlich glücklich darüber, daß mich kein stressiges Berufsleben mehr fertigmacht.Ich bin außerordentlich glücklich darüber, daß ich keinerlei Rauschmittel mehr konsumiere.Ich bin außerordentlich glücklich darüber, daß durch <strong>die</strong> Reduktion körpereigener Stress-Hormone<strong>die</strong> Bahn freigemacht wurde für körpereigene Glücks-Hormone.Meine drei Standbeine heißen Familie, Musik, Suche nach der Transzendenz. Ohne <strong>die</strong>senBackground wäre ich vielleicht verzweifelt oder verreckt.Ich bin ein intelligentes fühlendes Wesen und möchte von anderen Menschen auch als solchesbehandelt werden.<strong>Ein</strong>er meiner Wahlsprüche ist bereits bekannt: Schadet niemand und hilfet.Aus Sicht der biblischen zehn Gebote habe ich wohl ALLE gebrochen. Und ich bin froh darüber,daß ich dadurch dem eher trockenen Zustand eines rechtschaffenen und dogmatischen Idealismusentwachsen konnte. Ich schätze, <strong>die</strong> Rechtschaffenheit eines selbstgerechten „Gerechten“ ist ohneGüte, Mitgefühl und Liebe eher ein Gefängnis.


24„Weltanschauung“ und „Weltbild“ manifestieren sich mittels unserer Sinnesorgane und der denVerstand kontrollierenden Vernunft. „Glaube“ ist meiner Meinung nach eine seltsame Verbindungvon Verstand, Gefühl und Vertrauen und trägt ebenfalls viel <strong>zu</strong>r Weltanschauung bei. Vieles läßt sichnicht so einfach beweisen, nicht einmal, wenn man es ERFAHREN hat. (Der historische Buddhamahnte seine Schüler, nichts und niemandem <strong>zu</strong> glauben (auch ihm selber nicht!), sondern nur das,was sie selbst erfahren hatten. (Es muß aber nicht jeder derart extrem vorgehen.)) Kein Atheist, dernach Beweisen für <strong>die</strong> Existenz einer Transzendenz oder eines Gottes verlangt, kann selber derenNicht-Existenz beweisen.„Religion“ ist ebenfalls Weltanschauung, jedoch mit Anspruch <strong>auf</strong> Wahrheit und Ethik UNDTranszendenz.(Viele monotheistische Theologen, Priester oder sonstige Autoritäten bezeichnen <strong>die</strong> drei „großen“monotheistischen Religionen – es gibt tatsächlich auch „kleine“! – als „Hochreligionen“, weil sieIHR Verständnis von einem einzigen persönlichen Gott als höher erachten als monistische oderandere Auffassungen. Diese Anschauung ist selbstverständlich nur eine Art von arrogantem undignorantem Hochmut, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Unkenntnis und Unwissenheit beruht, sie ist aber <strong>auf</strong> gar keinen Falletwas „Hohes“, nur etwas Abwertend-Elitäres. Solche Leute <strong>sind</strong> einfach überzeugt davon, daß es<strong>auf</strong> der anderen Seite des Berges nur Dummheit und XCR gibt, <strong>die</strong> geringgeschätzt und missioniertgehören. Es ist schön, wenn jemand seinen Weg geht, er darf <strong>die</strong>sen auch für den besten halten – fürIHN selbst. Wer aber andere Wege für minder erachtet, verachtet oder bekämpft, ist zweiffellos vonseinem eigenen Weg bereits abgekommen und in einem Dickicht gelandet. Das <strong>Ein</strong>zige, was manüber andere „fremde“ Religionen sagen kann, ist: „Ich versteh's nicht“. Ebenfalls in einem Irrtumaus Unwissenheit befindet sich jemand, der Buddhismus mit Atheismus gleichsetzt, nur weil derBuddhismus <strong>die</strong> Existenz eines Schöpfergottes, <strong>die</strong> Existenz eines alles kontrollierenden undbewertenden Gottes sowie <strong>die</strong> Lehre von einer ewigen individuellen Seele verneint. Aber wer auswelchen Gründen auch immer der eigenen monotheistischen Tradition entfliehen will und denBuddhismus für eine angenehme, tolerante Lehre hält, hat <strong>noch</strong> VIEL <strong>zu</strong> lernen; vielleicht sucht erauch nur eine intellektuelle Betätigung mit ethischem „background“. Ich persönlich halte denBuddhismus <strong>auf</strong> jeden Fall für <strong>die</strong> Philosophie oder Lehre mit dem höchsten ethischen Anspruch. –Und wer glaubt, nur Religion, aber <strong>auf</strong> keinen Fall Atheismus könne eine <strong>wir</strong>kliche, hohe Ethikhervorbringen, ist einfach nur ein Fehldenker, der religiöse Moral und Ethik verwechselt.)Mein Fremdwörterlexikon definiert „Religion“ folgendermaßen:1. Glaube an und Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit einer überirdischen Macht sowie deren kultischeVerehrung;2. Gottesglaube, Gottesverehrung;3. Glaubensbekenntnis.Hingegen vermerkt mein Latein-Wörterbuch, der Stowasser, unter „religio, onis, f.“ erheblich mehr:I. 1. Rücksicht, das Bedenken, Skrupel;2. frommes Bedenken, religiöser Skrupel; abergläubische Besorgnis.II. 1. Skrupulosität, Gewissenhaftigkeit;2. Religiosität, Gottesfurcht, Frömmigkeit; Religion, Glaube; Aberglaube.III. 1. Gottes<strong>die</strong>nst, Verehrung;2. religiöse Handlung, Zeremonie; Religionswesen, Kultus;3. Heiligtum.IV. 1. Heiligkeit, das Heilige;2. heilige Verpflichtung; Eid, heiliges Versprechen;3. Religionsverlet<strong>zu</strong>ng, Frevel, Fluch, Sünde.Womit <strong>wir</strong> wahrscheinlich über das Wort „religio“ NOCH weniger wissen als je <strong>zu</strong>vor! Aber ichwill trotz <strong>die</strong>ses ver<strong>wir</strong>renden Zwischenspiels der Wörterbücher etwas über einige der darinenthaltenen Begriffe von mir geben, rein subjektiv; ich beginne von hinten:


25„Sünde“ – ein verheerender Begriff! Er <strong>die</strong>nte <strong>zu</strong> allen Zeiten der Propaganda, der Unterdrückung,hierarchischen Machtstrukturen. Schuldbewußtsein ist eine FEINE Art der Sklaverei! Ich finde, mansollte stattdessen den Begriff Karma verwenden und einfach darüber nachdenken, welcheHandlungen welche Wirkungen nach sich ziehen, und wie man sich selber fühlen würde, wenn mannicht der Handelnde ist, sondern der Behandelte. – Und „Erbsünde“? Wie soll man von seinenVorfahren deren frühere Handlungen erben? Wie kann ich für deren Handlungen verantwortlichgemacht werden, wo sie doch nie meine Zustimmung hatten? Man erbt Gene – aber darüber wußtenunsere ahnungslosen Ahnen ja <strong>noch</strong> nichts. Man sollte den Begriff „Sünde“ einfach vergessen unddurch „unethisches / liebloses / respektloses Verhalten“ ersetzen; das eine klingt nach Bestrafung,das andere nach notwendiger Konsequenz; ersteres schafft Angst, zweiteres Verständnis.„Fluch“ – unbedingt <strong>zu</strong> vermeiden, wenn man es ernst meint! Fluch bezeichnet ja das Gegenteil vonSegen! Das Verwenden von Kraftausdrücken ist ganz was anderes, kein „Verfluchen“.„Frevel“ – schaut um euch! Jede unethische / lieblose / respektlose Manipulation, jeder Mißbrauchmuß als Frevel angesehen werden.„Religionsverlet<strong>zu</strong>ng“ – wohl eher ein Begriff rein menschlich-moralischer oder <strong>noch</strong> eherdoppelmoralischer Wertigkeit, der unterschiedlichen Sitten. Wie sollte man Transzendenz oder Gottverletzen können? Welch dumme Anschauung! Man kann doch nur <strong>die</strong> „religiösen Gefühle“ andererMenschen verletzen, und dabei ist wohl bei beiden Beteiligten ein gehöriges Maß an Intoleranz,Unverständnis und Unwissenheit im Spiel.„Eid, heiliges Versprechen“ – da denke ich vor allem an diverse US-amerikanische Filme undSerien, in denen jemand vor Gericht in den Zeugenstand tritt, ein Gerichts<strong>die</strong>ner <strong>die</strong> Bibel hinhält,der <strong>zu</strong> Vereidigende <strong>die</strong> Linke dar<strong>auf</strong>legt, <strong>die</strong> Rechte hebt und – schwört. Warum bloß nimmtniemand <strong>die</strong> Bibel, blättert bis <strong>zu</strong>m 5. Kapitel des Matthäus-Evangeliums und liest <strong>die</strong> Verse 33 bis35 vor: „Ihr habt gehört, daß <strong>zu</strong> den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören,und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhauptnicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, <strong>noch</strong> bei der Erde, denn sie ist der Schemel fürseine Füße, <strong>noch</strong> bei Jerusalem, denn es ist <strong>die</strong> Stadt des großen Königs. Auch bei deinem Hauptsollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen. Euer <strong>Ja</strong> seiein <strong>Ja</strong>, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“? Da würden alle SEHR blöddreinschauen, vor allem der Richter. („Was mache ich jetzt bloß? Soll ich OHNE Vereidigungweitermachen? Ist ja ÜBLICH so. Und NOTWENDIG. Soll ich vielleicht vertagen? Den OberstenGerichtshof anrufen? Oder gar das Verfassungsgericht? Wird das unser Rechtssystem nicht völligaus den Angeln heben? Wie sollen dann all <strong>die</strong> Politiker und Amtsträger vereidigt werden? Werden<strong>die</strong> dann NOCH selbstsüchtiger werden und NOCH mehr lügen? Ist DAS der Untergang? God blessAmerica! – Das darf doch nicht wahr sein!“)„Das Heilige, Heiligkeit“ – zwei permanent mißbrauchte Begriffe. Wir könnten SEHR gut ohne sieauskommen, indem <strong>wir</strong> sie – sofern angebracht – durch „Transzendenz“ ersetzen. Wenn „heilig“bedeuten soll „mit Transzendenz, „Gott“ in Verbindung stehend“, dann <strong>sind</strong> ALLE und ist ALLESmehr oder weniger „heilig“, denn NICHTS existiert ohne Transzendenz oder „Gott“. Und daß einMensch das Recht besitzt, einen anderen „heilig“ <strong>zu</strong> nennen, halte ich sowieso für fragwürdig. (Das<strong>sind</strong> so meine eigenen, persönlichen Gedanken <strong>zu</strong>m Begriff „heilig“; allerdings hat ein Gesprächmit einem Freund, der <strong>die</strong>sen Begriff toleranter interpretiert, mich da<strong>zu</strong> bewegt, nachträglich etwashin<strong>zu</strong><strong>zu</strong>fügen. Er sagte in etwa: „Heilig“ bedeute sowohl unversehrt (heil) als auch unantastbar(tabu) als auch heilbringend. – Da kann ich <strong>wir</strong>klich nichts dagegen sagen. Und ihr könnt selbst miteiner Kombination <strong>die</strong>ser drei Begriffsbestimmungen herausfinden, wie „heilig“ jemand oder etwasist. Ich persönlich vermeide <strong>die</strong>sen Begriff auch weiterhin; er ist mir irgendwie – <strong>zu</strong> sensibel. Aberdas könnt ihr natürlich anders sehen. – Aber <strong>zu</strong>mindest den folgenden Satz muß ich <strong>noch</strong>loswerden: Oft hat sich gerade ein „Heiliger“ über „Heiliges“ hinweggesetzt und damit seineZeitgenossen vor den Kopf gestoßen und auch ver<strong>wir</strong>rt, weil <strong>die</strong>se „große Seele“ (Sanskrit„mahatma“) über <strong>die</strong> traditionellen und oft eher eng gefaßten Auffassungen von „Heiligkeit“


26hinausging und „Heiligkeit“ weit universeller erlebte und lebte.)„Heiligtum“ – siehe „das Heilige“; könnte man ersatzlos streichen, würde nicht <strong>die</strong> sogenannteVolksfrömmigkeit danach verlangen. Vielleicht ist es ganz einfach, und in jedem Heiligtum stecktso viel Energie drin, wie <strong>die</strong> Menschen im L<strong>auf</strong>e der Zeit in <strong>die</strong>ses hineinstecken; immerhin gibt esja auch jede Menge früherer Heiligtümer, <strong>die</strong> an sich nur deshalb keine Heiligtümer mehr <strong>sind</strong>, weilniemand sie mehr als Heiligtümer erachtet, also seine verehrende Energie hineinprojeziert.„Gottes<strong>die</strong>nst, Verehrung; religiöse Handlung, Zeremonie; Religionswesen, Kultus“ – <strong>die</strong>nt <strong>zu</strong>meistebenfalls der Volksfrömmigkeit sowie der sozialen Ordnung, kann aber auch <strong>die</strong> Handlung <strong>auf</strong> einerhöheren Ebene sein, ohne den ritualisierten Beigeschmack der Nachahmung. Rituale (<strong>die</strong> derhistorische Buddha als wertlos und nutzlos erachtete) <strong>sind</strong> in allen Religionen verbreitet und auchnicht unbedingt schlecht, solange Gefühle nicht ausufern und gegen andere Wesen gerichtet werden.Selbstverständlich werden dabei auch Trost und ein Gefühl der Sicherheit vermittelt. Irgendwannfällt durch Verehrung auch ein wenig vom Verehrten <strong>auf</strong> den Verehrer <strong>zu</strong>rück. (Im Hinduismus heißtes übrigens, daß man dorthin gelangen <strong>wir</strong>d, wohin man seine Verehrung lenkt. Verehrung ist jaFAST schon Liebe!) – Ich möchte betonen, daß ich trotz meiner persönliche <strong>Ein</strong>stellung rituellenPraktiken und ritualisierter Verehrung keinesfalls jegliche Sinnhaftigkeit abspreche, verschiedeneMenschen brauchen eben verschiedene Anschauungen. Eigentlich sollte jeder einzelne Augenblick,jede einzelne Handlung „Gottes<strong>die</strong>nst“ sein. Rituale <strong>sind</strong> meiner Meinung nach viel <strong>zu</strong> oft nurentweder ein bescheidener Anfang oder schon <strong>zu</strong>r Sinnentleerung neigende Nachahmung, wenn sieohne Verständnis und Demut praktiziert werden. – Schadet niemand und hilfet, man muß <strong>die</strong>Gläubigen stärken! Das letztere ist das schwierigste der drei Regeln. Ich meine, man sollteniemandem seine einfache Frömmigkeit nehmen, schon gar nicht mit Gewalt, aber vorsichtig daranarbeiten, sein Verständnis <strong>zu</strong> vermehren. Toleranz, Mitgefühl, Verständnis, Liebe – was braucht manmehr?„Glaube; Aberglaube“ – können sogar dasselbe sein; <strong>wir</strong> könnten endlos diskutieren! Aber Wissenist besser als Glauben, Erfahrung besser als Wissen, und ohne Liebe, Demut, Hingabe, Loslassen istmeiner Meinung nach sowieso <strong>die</strong> Transzendenz unerreichbar.„Frömmigkeit“ – hat nur gepaart mit <strong>Ein</strong>fachheit, tiefster Demut und höchstem Mitgefühl einenSinn, darf NIE <strong>zu</strong>m Gesetz erhoben werden, sonst beginnt sie nach Doppelmoral und Bigotterie <strong>zu</strong>müffeln. („Lieber Jesus, mach mich fromm, damit ich in den Himmel komm'!“ – Kindergebet!)„Gottesfurcht“ – WIESO und WOFÜR? Es gibt viele, <strong>zu</strong>meist fromme Menschen, <strong>die</strong> ernsthaftmeinen, Gottesliebe und Gottesfurcht wären dasselbe. Da meine ich wohl, daß Furcht und LiebeNIEMALS gleichzeitig vorhanden sein können, schon gar nicht, wenn man Gott „Vater“ nennt. (Ichhabe meinen Vater NIE gefürchtet, wenn ich etwas angestellt habe, nicht einmal seine Bestrafung,sondern ich habe mich ertappt gefühlt und mich GESCHÄMT.)„Religiosität“ – kann sowohl mehr bedeuten als Frömmigkeit als auch weniger, und sie führt viel <strong>zu</strong>oft <strong>zu</strong> Stolz und Streit und Blutvergießen. Sobald sie sich gegen andere Menschen wendet, ist sieeigentlich schon nicht mehr da.„Gewissenhaftigkeit“ – sei jedem ans Herz gelegt, ist aber ohne Mitgefühl, Liebe, Hingabe undDemut nur programmatische Korrektheit.„Skrupel“ – oft <strong>die</strong> Stimme der Ethik! Höret! Höret genau!„Das Bedenken“ – entweder ist damit eine Art Meditation gemeint – oder das Nachdenken, dasÜberprüfen der eigenen Gefühle, Gedanken und Handlungen. Lebenslang notwendig!„Rücksicht“ – Toleranz PLUS Mitgefühl! (Es sei denn, Feigheit, Bequemlichkeit und Schwächewerden als „Rücksicht“ fehlverstanden.) Wer Toleranz und Mitgefühl ernsthaft <strong>zu</strong> ver<strong>wir</strong>klichensucht, braucht oft gar keine Religion mehr. Unbedingt <strong>zu</strong> verinnerlichen: Toleranz von Übel istselbst ein Übel! (Ich glaube, Sokrates <strong>zu</strong> zitieren, bin mir aber nicht ganz sicher.)„Glaubensbekenntnis“ – Selbstbestätigung der persönlichen oder der kollektiven Art. Oder erwarteteUnterwürfigkeit?„Gottesglaube, Gottesverehrung“ – gut und zielführend für <strong>die</strong>, welche an einen persönlichen Gott


27glauben. Noch besser wäre in <strong>die</strong>sem Fall GOTTESLIEBE! Sobald aber <strong>die</strong> eigene Gottesverehrung<strong>die</strong> eines anderen Menschen verachtet oder bekämpft, muß Liebe zwangsläufig schrumpfen undverschwinden.„Glaube an und Auseinanderset<strong>zu</strong>ng mit einer überirdischen Macht sowie deren kultischeVerehrung“ – <strong>wir</strong> sagen da<strong>zu</strong> meist: Religion.Religion steht mit Ritualen und kultischer Verehrung in Verbindung. Es gibt aber auch Philosophienund Lehren, <strong>die</strong> ohne Glauben, ohne Kult, ohne Verehrung, ohne Rituale auskommen, aber das istein harter Weg und nicht für jeden <strong>zu</strong> empfehlen.Deshalb eine kurze Bemerkung <strong>zu</strong> Lao-tse und anderen „taoistischen Heiligen und Weisen“. Derpraxisbezogene Teil seiner Lehre lautet in meinen eigenen Worten etwa so: „Halte nicht fest andeinem Ego und schmeiß es <strong>auf</strong> den Müll, lasse einfach <strong>die</strong> Natur der Gegenwart durch dichdurchbrausen! Yin und Yang <strong>sind</strong> immer und überall vorhanden und ändern sich andauernd, betonekeines von beiden und lehne auch keines ab; laß es <strong>zu</strong>.“ Leider besteht dabei <strong>die</strong> Gefahr, daß man ineine gewisse Lässigkeit und eine „mir egal, nicht wichtig“-Mentalität verfallen kann oder <strong>auf</strong> einen„ich bin so toll“-Trip kommen kann. Dieser Weg ist vielleicht <strong>noch</strong> subtiler als <strong>die</strong> buddhistischeLehre, weil er meiner Meinung nach gar keine Lehre ist, sondern gelebte Philosophie, vielleichtsogar <strong>die</strong> Aufforderung <strong>zu</strong> einem freiwilligen und echten Narrentum, indem man sich voll und ganzdem Tao, der Transzendenz, überläßt und der Dualität des Yin und Yang weder widerstrebt <strong>noch</strong>eines von beiden fördert. (Wer will, möge das Tao Te King lesen; es ist aber gerade wegen der<strong>Ein</strong>fachheit der Worte schwer verständlich.) So wie ich das sehe, beschäftigt sich der gegenwärtigeTaoismus überwiegend mit Stärke, Macht, Gesundheit oder gar dem Versuch, unsterblich und einetaoistische Gottheit <strong>zu</strong> werden. (Wo<strong>zu</strong>? Um selbst verehrt <strong>zu</strong> werden?) Eigentlich müßte der heutigeTaoismus eher als Yin-Yang-ismus oder als Chi-ismus bezeichnet werden; <strong>die</strong> Beherrschung desKörpers oder des Geistes muß aber nicht unbedingt etwas mit Transzendenz <strong>zu</strong> tun haben. Ich binmir sicher, daß Lao-tse und andere „Vorbilder“ etwas anderes im Sinne hatten.Buddhismus und Hinduismus entstammen dem selben Kulturkreis. Beide sprechen von sechsDaseinsebenen: <strong>die</strong> der Höllenwesen, pretas, Tiere, Menschen, asuras und devas. (Leider weiß ichnicht, <strong>zu</strong> welcher Daseinsebene Pflanzen <strong>zu</strong> rechnen <strong>sind</strong> und womit tierisches Leben eigentlichbeginnt. Ich habe ein tibetisches Zentrum um Beantwortung <strong>die</strong>ser Frage gebeten, aber <strong>auf</strong> meinenBrief leider keine Antwort erhalten. Also muß ich <strong>die</strong>se Fragen offen lassen.)Jeder Aufenthalt <strong>auf</strong> einer <strong>die</strong>ser Ebenen ist zeitweilig.Unter Höllenwesen, Tieren und Menschen (<strong>die</strong> ganze Palette zwischen primitivem Unmensch umdedlem Weisen) kann sich jeder etwas vorstellen. Bleiben also <strong>noch</strong> <strong>die</strong> drei Sanskrit-Ausdrücke, für<strong>die</strong> es oft nur ungenaue und sogar irreführende Überset<strong>zu</strong>ngsmöglichkeiten gibt, weshalb ich sielieber im Original verwende.Meist <strong>wir</strong>d der Begriff „preta“ mit „Hungriger Geist“ oder „Unglücklicher Geist“ wiedergegeben,<strong>wir</strong> Westler würden eher „Gespenst“ oder „ruhelose Seele“ bevor<strong>zu</strong>gen.Die männliche Form „deva“ und <strong>die</strong> weibliche Form „devi“ werden leider immer <strong>noch</strong> ohneausreichende Erklärung mit „Gott“ und „Göttin“ übersetzt. Begriffe wie „Gottheit“, „Halbgott“ oder„Himmelswesen“ <strong>sind</strong> auch nicht gerade hilfreich, vor allem weil auch „Himmel“ nicht gleich„Himmel“ ist und der Hinduismus verschiedene Bezeichnungen für verschiedene Himmelswesenhat. (Wie schon angedeutet: alles ziemlich komplex und kompliziert!) Ich sag's mal so: devas <strong>sind</strong>sehr hochstehende Lebensformen <strong>auf</strong> einer höheren Daseinsebene als der unsrigen, mit einem sehrfeinstofflichen Körper jenseits von Fleisch und Blut, mit teils immens langer Lebensdauer, mächtig,teils mit allerlei „Wunderkräften“ ausgestattet, und sie dürfen immens viel Freude und Genüsseerleben. Sie <strong>sind</strong> aber genauso wie <strong>wir</strong> einer Form von Geburt, der Veränderung, des Todes, sowiedem Gesetz des Karma unterworfen. Sie gehören NICHT der Transzendenz an. Sie an<strong>zu</strong>beten führtNICHT automatisch in <strong>die</strong> Transzendenz. Und <strong>die</strong> „himmlischen Welten“ oder der „Himmel“, densie bewohnen, gehört ebenfalls NICHT der Transzendenz an. (Allerdings kann Transzendenz alleDaseinsebenen durchdringen und in ihnen <strong>wir</strong>ken – was das Ganze auch nicht eben unkomplizierter


28und weniger komplex macht!)<strong>Ein</strong> „asura“ bewegt sich <strong>auf</strong> einer ähnlich hohen Daseinsebene wie der deva und ist so<strong>zu</strong>sagendessen Widersacher. Während devas einen hohen ethischen Standard besitzen, den kosmischenGesetzen und den ihnen vermittelten Lehren gehorchen und <strong>die</strong>se vertreten (<strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong>meist!),streben asuras selbst nach der Herrschaft der devas und legen alles daran, ihnen <strong>die</strong> Macht <strong>zu</strong>entreißen. Man könnte sie als „mächtige Geistwesen <strong>auf</strong> einem kosmischen Ego-Trip“ bezeichnen.Oft <strong>wir</strong>d „asura“ mit „Dämon“ übersetzt – ich finde das ziemlich fragwürdig. Vielleicht ist es eherangebracht, sie mit den Titanen der griechischen Mythologie <strong>zu</strong> vergleichen. (Übrigens finden sicherstaunlich viele Olympische Götter in der Hindu-Mythologie wieder, nur unter anderen Namen.Indo-arische Verwandtschaft.)Die monotheistischen Kulturen wissen recht wenig über <strong>die</strong>se sechs Daseinsebenen, obwohl es auchbei ihnen viele Geschichten über böse Geister, gute Geister, Engel, Teufel, Dämonen, Kobolde,Feen, Nymphen, Dschinns und so weiter gibt. Es ist ja auch nicht unbedingt leicht, verschiedene„unsichtbare“ Welten voneinander <strong>zu</strong> unterscheiden.Also: <strong>Ein</strong> deva ist kein ewiger transzendenter Gott. Der „Himmel“ der devas, <strong>die</strong> himmlischeEbene, ist NICHT der „Seinsbereich“ der Transzendenz. Umgekehrt: Der transzendente Gott istkein deva, kann kein deva sein.Wie man sieht, kann so einiges verwechselt werden. Und es ist auch zweifellos schon genugverwechselt worden. Irren ist menschlich.Der Buddhismus <strong>wir</strong>d immer eine große Anziehungskraft besitzen, weil er einfach eine äußersthochstehende Lehre ist. Aber auch <strong>die</strong>ser Weg ist schwer und steil und wahrscheinlich nicht fürjeden geeignet, vor allem nicht für in ihre Intellektualität Verliebte, denn auch hier geht es nurdarum, das Ego (das selbst-reflektierende Ich) <strong>zu</strong> überwinden und los<strong>zu</strong>werden.(Den transzendenten „Zustand“, den <strong>die</strong> buddhistische Lehre anstrebt, und <strong>die</strong> Gottesver<strong>wir</strong>klichungjener, <strong>die</strong> einen persönlichen Gott verehren, nenne ich manchmal etwas scherzhaft-mathematisch„minus unendlich“ und „plus unendlich“. (Vielleicht ist nicht jedem klar, daß <strong>die</strong>s das Selbe ist, aberdas macht nichts.))Eigentlich will ich es bei einem dürftigen <strong>Ein</strong>blick in den Buddhismus belassen, da soll sich jederselbst informieren, wenn's ihn interessiert. Jedenfalls habe ich einen hohen Respekt vor der LehreBuddhas, nicht nur wegen des hohen Stellenwerts von Mitgefühl und Fürsorge. Nur <strong>noch</strong> zweiBegriffe gilt es <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> klären.<strong>Ein</strong> „Bodhisattva“ ist ein <strong>zu</strong>künftiger Buddha (Buddha bedeutet „der Erwachte“, „der Erleuchtete“),der <strong>auf</strong> den Zustand seiner Erleuchtung verzichtet, um <strong>zu</strong>m Wohl aller Lebewesen tätig <strong>zu</strong> sein undihnen <strong>zu</strong> helfen. Er kehrt FREIWILLIG in <strong>die</strong> physische Existenz <strong>zu</strong>rück, während Unerleuchtetewegen ihres Karma wiedergeboren werden MÜSSEN .Zum Begriff „Nirvana“ möchte ich das Buch „Pfad <strong>zu</strong>r Erleuchtung“ von Helmuth von Glasenappzitieren, welches wiederum buddhistische Schriften zitiert: „Zwei Arten von Nirvana gibt es. Daseine gehört dem gegenwärtigen Leben an und besteht in der Vernichtung der <strong>zu</strong> neuen Existenzenführenden Gier. Das andere tritt in Zukunft (nach dem Tode) ein und besteht darin, daß alleMöglichkeiten für ein weiteres Werden gänzlich <strong>auf</strong>gehoben <strong>sind</strong>. – Kein Auge, keine Zunge, keinDenken vermag den (mit dem Tode) ins Nirvana eingegangenen, allem Leid entronnenen Buddha <strong>zu</strong>erfassen. – Bei einem, der ins Nirvana eingegangen ist, ist kein Bewußtsein mehr vorhanden, daeine Grundlage für ein solches nicht besteht. Durch <strong>die</strong> Aufhebung des Bewußtseins <strong>sind</strong> auch allegeistigen und leiblichen Faktoren, welche ein Individuum bilden, restlos geschwunden. – DasNirvana ist der Bereich, wo nicht Erde, Wasser, Feuer, Luft ist, wo nicht der Bereich derUnendlichkeit des Raumes oder des Bewußtseins, nicht der Bereich der Nichtirgendetwasheit <strong>noch</strong>der Grenze von Unterscheidung und Nichtunterscheidung, nicht <strong>die</strong>se Welt, nicht jene Welt, nichtSonne und Mond ist. Das nenne ich nicht Kommen und Gehen, nicht Feststehen, nicht Vergehenund nicht Entstehen. Ohne Grundlage, ohne Fortgang, ohne Halt ist es. Dies ist das Ende desLeidens.“


29Wer sich von <strong>die</strong>sen Zitaten aus buddhistischen Schriften angezogen fühlt, möge selberweiterforschen. Wer mit <strong>die</strong>sen Worten NICHTS anfangen kann, möge einen anderen Weg gehen.Buddhismus und Hinduismus weisen einige Ähnlichkeiten <strong>auf</strong>, sie <strong>sind</strong> auch dem selbenKulturkreis entsprossen, allerdings gibt es ein paar ziemlich wesentliche Unterschiede. Derhistorische Buddha, Siddharta Gautama, betonte, daß seine Lehre keineswegs neu sei, sondern nur„wiederentdeckt“. Er wandte sich vor allem gegen einige der damals vom Brahmanismus(so<strong>zu</strong>sagen dem Vorläufer des Hinduismus) praktizierten Praktiken und Anschauungen: Verehrungdiverser Götter (devas), Opferpraktiken (vor allem Tieropfer betreffend), Rituale; <strong>die</strong> Lehre voneinem Schöpfergott, von einem alles kontrollierenden Gott und von einer unsterblichenindividuellen Seele. (Daß gerade Buddha, der jeglichen Persönlichkeitskult strikt ablehnte, heuteselbst Mittelpunkt einer Persönlichkeitsverehrung ist, sagt viel über <strong>die</strong> Bedürfnisse des gläubigenMenschen und über <strong>die</strong> Macht der Volksfrömmigkeit aus. Aber auch in anderen Bereichen ist dergegenwärtig praktizierte Buddhismus nicht unbedingt das, was Buddha eigentlich lehrte.)Der Hinduismus strebt ebenso wie der Buddhismus danach, den Kreisl<strong>auf</strong> der Geburten <strong>zu</strong>durchbrechen und Erleuchtung <strong>zu</strong> erlangen beziehungsweise Befreiung. Beide Religionen vertreten<strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong>s der Mensch VON SICH aus, durch eigene Anstrengung erreichen kann.Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Fähigkeiten und Neigungen; deshalb haben sichbereits im antiken In<strong>die</strong>n verschiedene Wege der Gottesver<strong>wir</strong>klichung entwickelt. Was heißt Wege– ganze Systeme! Der Überbegriff dafür heißt Yoga.Der Begriff „yoga“ ist sprachlich mit dem deutschen Wort „Joch“ verwandt, und das nicht <strong>zu</strong>fällig;Sanskrit ist ja ebenfalls eine indogermanische Sprache. „Yoga“ bedeutet „Verbindung“. Das Zielvon Yoga ist es nämlich, <strong>die</strong> Verbindung des <strong>Ein</strong>zelwesens Mensch mit dem „Gesamtwesen“, dem„brahman“, der „All-Seele“, mit der Transzendenz, mit Gott <strong>zu</strong> ver<strong>wir</strong>klichen. (Aber eine wichtigeNebenbemerkung ist an <strong>die</strong>ser Stelle wohl angebracht und nötig: Obwohl Yoga so nebenbei Körper,Geist und Seele in <strong>Ein</strong>klang bringt, ist Yoga weder eine Wellness-Aktivität <strong>noch</strong> eine Art Sport <strong>noch</strong>Akrobatik; auch keine geistige.)Der sogenannte „jnana-yoga“ besitzt einige Ähnlichkeit mit der buddhistischen Praxis und solldurch Unterscheidungsvermögen und Meditation das eigene unveränderliche Wesen erkennen undins Nirvana führen. Man kann jnana-yoga durchaus als „Weg des Geistes“ bezeichnen (Geist imSinne des lateinischen „mens“, was den menschlichen Geist bezeichnet im Gegensatz <strong>zu</strong> „spiritus“,dem göttlichen Geist. (Das Wort „spirituell“ vermeide ich bewußt, wo immer ich kann, weil esdermaßen oft mißbraucht und fehlverstanden <strong>wir</strong>d, daß es inflationärer geworden ist als jeglicheDritte-Welt-Währung. „Transzendenz“ ist für mich ein besserer und eindeutigerer Begriff als all<strong>die</strong>se Worte mit dem Wortstamm „spirit-“.))Als „Weg des Körpers“ möchte ich <strong>die</strong> im Westen wohl bekannteste Form des yoga bezeichnen:raja-yoga, hatha-yoga oder ashtanga-yoga. Mit Hilfe von verschiedenen Körperstellungen undAtemübungen, mit Meditation und anderen Praktiken soll das Bewußtsein <strong>auf</strong> höhere Ebenengehoben werden, das Ziel ist ebenfalls das Erreichen des Nirvana und <strong>die</strong> Befreiung vom Kreisl<strong>auf</strong>der Geburten.Der „Weg des Handelns“ ist karma-yoga. Durch ethisches und mildtätiges Verhalten soll selbstlosesHandeln ver<strong>wir</strong>klicht werden, bis hin <strong>zu</strong> der Anschauung, daß es eigentlich gar keinen Handelndengibt. Das Verlöschen des Ichs bedeutet gleichzeitig Befreiung.Die Verehrung eines persönlichen Gottes ist bei beiden Wegen nicht unbedingt Vorausset<strong>zu</strong>ng.Der „Weg der Liebe“ ist bhakti-yoga, <strong>die</strong> Gottesliebe, <strong>die</strong> Hingabe. Bhakti ist mehr als Verehrung,nämlich LIEBE. Im Lied „Yaad (Memory)“ singt der muslimische Mystiker Shafqat Ali Khan:„Deine Liebe läßt mich nicht schlafen. Ohne dich habe ich keinen Frieden.“ (Was könnte man dawohl <strong>noch</strong> hin<strong>zu</strong>fügen?) Viele halten bhakti für <strong>die</strong> einzige Abkür<strong>zu</strong>ng <strong>auf</strong> dem langen Weg.Somit lande ich wieder bei meiner Feststellung, daß im Hinduismus ebenso wie im Monotheismusein persönlicher Aspekt der Transzendenz <strong>zu</strong> finden ist. Allerdings gehen sogar innerhalb desHinduismus <strong>die</strong> Auffassungen hinsichtlich Ursprünglichkeit und Wertigkeit recht weit auseinander.


30Während <strong>die</strong> meisten in der unpersönlichen Transzendenz, dem „brahman“, den Ursprung allerUrsprünge sehen, tun <strong>die</strong>s andere in einer personifizierten transzendenten Form, Vishnu, oder ineiner anderen personifizierten transzendenten Form, Shiva. Wiederum andere sehen unterhalb desunpersönlichen brahman eine Art hinduistischer „Dreifaltigkeit“ aus Brahma (dem schöpferischenPrinzip), Vishnu (dem erhaltenden Prinzip) und Shiva (dem zerstörerischen Prinzip, das <strong>zu</strong>gleichder Erneuerung <strong>die</strong>nt). Die meisten Hindus vertreten <strong>die</strong> Auffassung, daß Brahma lediglich ein devasei (also ein individuelles Lebewesen mit beschränkter Lebensdauer), Vishnu und Shiva aber derTranszendenz angehören. Selbstverständlich kennt der Hinduismus auch weibliche Aspekte derTranszendenz. Im Hinduismus existieren ungefähr 330 Millionen devas und devis, und in allenkönnen Teilaspekte der Transzendenz gesehen werden. Es mag oft unklar erscheinen, wer nunlediglich ein deva sei und wer eine Manifestation der Transzendenz <strong>auf</strong> der Ebene der devas. Und dajeder deva als Manifestation der Transzendenz (des EINEN brahman) angesehen werden kann, istletztendlich der Hinduismus keine polytheistische Religion, sondern eine monistische.Der Hinduismus glaubt an „avataras“ („Herabgekommene“), an göttliche Inkarnationen; ein avataraist eine <strong>auf</strong> der physischen Ebene verkörperte Inkarnation (lat. incarnatio, Fleischwerdung) einer dertranszendenten „Gottheiten“. Es heißt, daß alle aus der Transzendenz manifestierten Formen imGegensatz <strong>zu</strong> den „gewöhnlichen“ devas Befreiung gewähren können. Die wohl bekanntesten undbeliebtesten Vishnu-avataras <strong>sind</strong> Krishna und Rama, und selbst Buddha konnte im Hinduismus alsVishnu-avatara akzeptiert werden. Über Shiva-avataras kann ich kaum etwas sagen, außer daß eswelche gibt.(Möglicherweise ist der Hinduismus für viele ziemlich ver<strong>wir</strong>rend, vielleicht sogar abstoßend. DerHinduismus kann quasi als Demokratisierung der Religion angesehen werden; jeder kann verehren,wen er will, und <strong>auf</strong> eine ganz persönliche Weise versuchen, mit dem Objekt / Subjekt seinerVerehrung eins <strong>zu</strong> werden. – Meine lieben Gottesverehrer, bedenkt bitte: WER KENNT GOTT?Wer kennt Gott <strong>wir</strong>klich? Kann Gott, Transzendenz, überhaupt gänzlich erfaßt werden? Ist <strong>die</strong>„Software Gott“ nicht viel <strong>zu</strong> groß für <strong>die</strong> „Hardware Mensch“?)Vor <strong>Ja</strong>hren sah und hörte ich einen <strong>die</strong>ser krawattentragenden US-TV-Prediger inbrünstig insMikrophon keifen: „Buddha ist ein Dämon! Shiva ist ein Dämon!“, und seine Herde johlte<strong>zu</strong>stimmend. Wie würden <strong>die</strong>se Leute wohl reagieren, wenn ein ebenso engstirniger undunwissender Hindu-Guru behauptete, <strong>Ja</strong>hwe wäre ein Dämon, Jesus wäre ein Dämon? – SelbstDummheit scheint heut<strong>zu</strong>tage mit zweierlei Maß gemessen <strong>zu</strong> werden!Was nun <strong>die</strong> Frage betrifft, wer oder was <strong>die</strong> „ursprüngliche“ Transzendenz ist, persönlich oderunpersönlich, so finde ich sie ebenso sinnlos wie <strong>die</strong> Frage danach, was eigentlich <strong>zu</strong>erst da war:Huhn oder Ei, Eiche oder Eichel. Mich interessiert <strong>die</strong>se Frage nicht, weil mich <strong>die</strong> Antwort nichtinteressiert. Es ist mir egal. Es ist mir sogar XCRegal. Mir ist es egal, ob ich durch <strong>die</strong> Vordertür in<strong>die</strong> Transzendenz eintrete oder durch <strong>die</strong> Hintertür, einen Nebeneingang, <strong>die</strong> Kanalisation oder denSchornstein.Man muß nicht alles wissen.Letztendlich gibt es nur einen Weg: den eigenen. Und selbst Irrwege <strong>sind</strong> nur Umwege <strong>auf</strong> demrichtigen Weg. Angesichts der Unendlichkeit der Transzendenz muß auch von einer Unendlichkeitdes Lebens ausgegangen werden. Selbst wenn eines Tages sich das ganze Universum <strong>auf</strong>löst, kannnichts verloren gehen. Transzendenz kennt weder Verlust <strong>noch</strong> Zuwachs.Wer will, kann statt „Transzendenz“ auch jederzeit „Gott“ lesen.Ich persönlich sehe keinen wesentlichen Unterschied.


31Es ist mir bewußt, daß meine Äußerungen über Taoismus, Buddhismus und Hinduismus nichteinmal eine richtige <strong>Ein</strong>führung darstellen (da empfehle ich „Das Spektrum des Yoga“ vonHelmtrud Wieland). Ich bin weder Fachmann <strong>noch</strong> Lehrer <strong>noch</strong> Autorität <strong>noch</strong> Guru <strong>noch</strong> Mönch,sondern selbst nur ein einfacher Suchender, der ein klein wenig gefunden hat. Ich gehöre auchkeiner Sekte an, und wenn doch, dann bin ich das einzige Mitglied und verbitte mir einen Beitritt.Aber etwas ganz Wesentliches habe ich durch <strong>die</strong>se drei „östlichen“ Religionen erkannt: Daß dasGrundproblem schlechthin das eigene Ich ist, das Ego (lateinisch), das Ich-Bewußtsein (Sanskritahamkara), das Ich-Gefühl, das selbstreflektierende Ich.(Ich LIEBE <strong>die</strong>ses Wort: selbstreflektierend! Nur EIN Wort, und sagt SO viel aus, sowohl überIllusion als auch über Eitelkeit!)Ich kenne auch eine Nebenbezeichnung des Problems: Identifikation – und <strong>zu</strong>gleich kann <strong>die</strong>sesWort auch ein Teil der Lösung sein.Ich kann jedem nur nahelegen, sein Ich <strong>zu</strong> hinterfragen, <strong>zu</strong> kultivieren, langsam los<strong>zu</strong>lassen. (Ob'sauch spontan und schlagartig funktioniert?)Und selbstverständlich: Öffne dein Herz für Mitgefühl! Schadet niemand und hilfet!Über von mir nicht erwähnte Religionen kann ich nicht <strong>wir</strong>klich etwas aussagen, weil ich darinentweder gar nicht oder viel <strong>zu</strong> wenig bewandert bin. Über <strong>die</strong> von mir erwähnten Religionengetraue ich mich insofern etwas <strong>zu</strong> sagen, weil sie Teil meines persönlichen Weges <strong>sind</strong> (oderwaren).Und jetzt will ich (ausnahmsweise) GANZ tief in <strong>die</strong> große Kiste der Zitate greifen, um dadurch<strong>auf</strong><strong>zu</strong>zeigen, daß jüdisch-christlich-islamische Philosophie und Theosophie keineswegs wenigerkomplex und kompliziert <strong>sind</strong> als <strong>die</strong> sogenannten „östlichen“ Traditionen. (Wer glaubt, daßjüdische, christliche und islamische Tradition in keinem Zusammenhang stehen, der irrt. Allen dreiReligionen ist im Wesentlichen gemeinsam: der <strong>Ein</strong>e (Schöpfer-) Gott, <strong>die</strong> Schöpfungsgeschichte,Adam und Eva, Noah und <strong>die</strong> Flut, Abraham und seine Nachfahren, Moses und nachfolgendePropheten. Erst mit Jesus und später mit Mohammed trennen sich <strong>die</strong> Wege, aber nie vollständig.)Ich halte es für notwendig, fast zwei ganze Kapiel <strong>zu</strong> zitieren, um den esoterischen Background dermonotheistischen Überlieferung etwas näher <strong>zu</strong> beleuchten. Denn vieles kann und muß sogar in<strong>die</strong>sem Zusammenhang gesehen werden. (Esoterik im ursprünglichen Sinne (Geheimlehre; Lehrefür Wenige, Ausgewählte, <strong>Ein</strong>geweihte, nicht in Sinne des New-Age-Gedankens. (Apropos NewAge: auch der englische Buchstabe H <strong>wir</strong>d als „age“ ausgesprochen, man könnte also auchschreiben: New H (neues Heroin (womit das Kapitel „zeitgenössische Allerweltsesoterik“ so ganznebenbei wohl entsprechend gewürdigt wäre)).).)Das 365-Seiten-Büchlein heißt „Die Kabbala – <strong>Ein</strong>führung in <strong>die</strong> jüdische Mystik undGeheimwissenschaft“ von Erich Bischoff, <strong>Ja</strong>kob Winter und August Wünsche. (Haltet ein GlasWasser bereit, am Ende <strong>die</strong>ser Lektüre <strong>wir</strong>d euch wahrscheinlich das Hirn rauchen! Die folgendenvier Seiten <strong>sind</strong> sehr komplex und SEHR anstrengend, weil <strong>die</strong> Autoren um Seriosität und umWissenschaftlichkeit bemüht waren. Ich als unwissenschaftlicher Hollareidulliöhist hätte garantiertanders formuliert, sicherlich weniger seriös, und über<strong>die</strong>s wohl zwanzig Seiten benötigt.)„Den Ausgangspunkt für <strong>die</strong> ganze Kabbala bildet das hebräische Alphabet.Das hebräische Alphabet setzt sich aus zweiundzwanzig Buchstaben <strong>zu</strong>sammen; doch <strong>sind</strong> <strong>die</strong>Buchstaben nicht etwa in einer <strong>zu</strong>fälligen Reihenfolge angeordnet, sondern jeder von ihnenentspricht je nach seinem Rang einer Zahl, je nach seiner Form einer Hieroglyphe und je nachseinen Beziehungen <strong>zu</strong> den anderen Buchstaben einem Symbol.Jeder der hebräischen Buchstaben vertrat drei Begriffe: 1. einen Buchstaben, das heißt eineHieroglyphe; 2. eine Zahl; 3. eine Idee.Die hebräischen Buchstaben kombinieren heißt also Zahlen und Ideen kombinieren; daraus ergibtsich <strong>die</strong> Entstehung des Tarot.


32Jeder Buchstabe ist als eine Macht mehr oder weniger eng mit den schöpferischen Kräften desUniversums verbunden. Indem er <strong>die</strong>se Kräfte in drei Welten – der psychischen, astralen undphysischen – auslösen kann, ist jeder Buchstabe der Ausgangs- und Endpunkt einer Menge vonBeziehungen. Hebräische Wörter kombinieren heißt infolgedessen <strong>auf</strong> das Universum selbstein<strong>wir</strong>ken; deshalb finden <strong>wir</strong> <strong>die</strong> hebräischen Wörter in den magischen Formeln und Zeremonien.Die alten Rabbis, <strong>die</strong> Philosophen und <strong>die</strong> Kabbalisten erklären gemäß ihrem System <strong>die</strong> Ordnung,<strong>die</strong> Harmonie und <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>flüsse der Himmelsphären <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Welt durch <strong>die</strong> 22 hebräischenBuchstaben, <strong>die</strong> das mystische Alphabet der Hebräer umfaßt.Dieses Alphabet bezeichnet:1. Vom Buchstaben Aleph bis <strong>zu</strong>m Buchstaben Iod <strong>die</strong> unsichtbare Welt, d.h. <strong>die</strong> Welt der Engel(erhabene Intelligenzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Ströme des ersten ewigen Lichtes empfangen, das dem Vater<strong>zu</strong>geschrieben <strong>wir</strong>d, von dem alles emaniert).2. Vom Buchstaben Caph bis <strong>zu</strong>m Buchstaben Hain verschiedene Ordnungen oder Gruppen derEngel, <strong>die</strong> <strong>die</strong> sichtbare Welt bewohnen, d.h. <strong>die</strong> Welt der Gestirne, <strong>die</strong> Gott-Sohn <strong>zu</strong>geteilt ist,der <strong>die</strong> göttliche Weisheit ist, <strong>die</strong> in der Unermeßlichkeit des Raumes <strong>die</strong> zahllosen kreisendenHimmelskörper geschaffen hat, und jeder von <strong>die</strong>sen ist unter der Obhut einer Intelligenz, <strong>die</strong>vom Schöpfer damit betraut wurde, den Himmelskörper in seiner Bahn <strong>zu</strong> erhalten, damit keinesder Gestirne <strong>die</strong> vom Schöpfer hergestellte Ordnung und Harmonie stören könne.3. Vom Buchstaben Phe bis <strong>zu</strong>m Buchstaben Thau <strong>die</strong> elementare Welt, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Philosophendem heiligen Geist <strong>zu</strong>geteilt <strong>wir</strong>d. Er ist das innere Sein der Wesen, das allen Kreaturen Seeleund Leben gibt.Im folgenden geben <strong>wir</strong> <strong>zu</strong> jedem einzelnen Buchstaben <strong>die</strong> entsprechende Erklärung:1. Aleph – entspricht dem ersten Namen Gottes, Ehieh, was man als „Wesen Gottes“ erklärt. DieKabbalisten nennen ihn den, den das Auge wegen seiner Höhe nicht gesehen hat. Er thront in derWelt des En soph, des Unendlichen, sein Attribut heißt Keter, Krone oder Diadem: er gebietetüber <strong>die</strong> Engel, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Hebräer Haiot-Hakodisch, d.h. Tiere der Heiligkeit, nennen; er bildet <strong>die</strong>ersten Chöre der Engel, <strong>die</strong> man Seraphim nennt.2. Beth – entspricht dem zweiten Namen Gottes, Bachour, der Klarheit und Jugend bedeutet; erbezeichnet <strong>die</strong> Engel zweiter Ordnung, <strong>die</strong> Ophanim (<strong>die</strong> himmlischen Formen oder Räder) und<strong>die</strong> Cherubim, durch deren Dienstleistung Gott das Chaos ordnete. Als Numeration oder Attributentspricht Hochma, theoretische Vernunft.3. Ghimel – entspricht dem Namen Gadol (magnus, der Große), bezeichnet <strong>die</strong> Engel Aralym, d.h.<strong>die</strong> Großen und Starken, <strong>die</strong> Throne; durch sie erhält Gott Tetragrammaton, Elohim, <strong>die</strong> Form derMaterie. Als Attribut entspricht Bina, <strong>die</strong> praktische Vernunft.4. Daleth – entspricht dem Namen Dagoul (insignis, der Erhabene); bezeichnet <strong>die</strong> Engel Hasmalim(Herrschaften); durch sie läßt Gott El <strong>die</strong> Bilder der Körper und alle <strong>die</strong> verschiedenen Gestaltender Materie darstellen. Als Attribut entspricht Chesed, Liebe und Güte.5. He – entspricht dem Namen Hadom (formosus, majestuosus, der Schöne, der Majestätische);bezeichnet <strong>die</strong> Engel Seraphim; mit ihrer Dienstleistung erzeugte Gott Elohim Lyebic <strong>die</strong>Elemente; Numeration ist Pechad, Furcht und Urteil, Attribut Gebura, Stärke und Macht.6. Vau – entspricht dem Namen Vezio (cum splendore, mit Glanz versehen), bezeichnet <strong>die</strong> sechsteOrdnung der Engel, Malakim, Chor der Tugenden; durch ihre Dienstleistung erzeugte Gott Eloha<strong>die</strong> Metalle und alles das, was im Mineralreiche existiert; Attribut ist Tipheret, Sonne, Glanz.7. Zain – entspricht dem Namen Zakai (mundus clarus, herrliche Welt); bezeichnet <strong>die</strong> siebenteOrdnung der Engel, <strong>die</strong> Kinder Elohims; durch ihre Dienstleistung hat Gott TetragrammatonSabaoth <strong>die</strong> Pflanzen erzeugt und alles das, was im Vegetations-Reiche existiert; Attribut istWezat, Triumph, Gerechtigkeit.8. Cheth – entspricht dem Namen Chesed (misericors, der Barmherzige); bezeichnet <strong>die</strong> achteOrdnung der Engel, Bene Elohim, <strong>die</strong> Söhne Gottes (Chor der Erzengel); durch ihreDienstleistung erzeugte Gott Elohim Sabaoth <strong>die</strong> Tiere und das Tierreich. Attribut ist Hod, Lob


33oder Pracht.9. Teth – entspricht dem Namen Tehor (reine Welt); bezeichnet <strong>die</strong> neunte Ordnung der Engel, <strong>die</strong><strong>die</strong> Menschen von ihrer Geburt an leiten; sie entsendet Sadai und Elhoi als Schutzengel für denMenschen; Attribut ist Jesod, Fundament.10. Iod – entspricht dem Namen <strong>Ja</strong>h (Deus, Gott); Attribut ist Reich und Tempel Gottes; bezeichnet<strong>die</strong> Heroen, durch deren Dienstleistung <strong>die</strong> Menschen Intelligenz, Strebsamkeit und <strong>die</strong> Kenntnisder göttlichen Dinge erhalten. (Damit endigt <strong>die</strong> Welt der Engel.)11. Caph – entspricht dem Namen Chabir (potens, der Mächtige); bezeichnet den ersten Himmel,das „primum mobile“, d.h. <strong>die</strong> erste Ursache, <strong>die</strong> alles, was beweglich ist, in Bewegung setzt,und sich <strong>auf</strong> den Namen Gottes Iod bezieht, der durch einen einzigen Buchstaben ausgedrückt<strong>wir</strong>d. Die erste der höchsten Intelligenzen, <strong>die</strong> das „primum mobile“ leitet, d.h. den erstenHimmel der Welt der Gestirne, <strong>die</strong> der zweiten Person der Trinität <strong>zu</strong>geteilt ist, heißt Mittraton.Sein Attribut bedeutet „Fürst der Gesichter“; seine Aufgabe ist es, alle <strong>die</strong> vor<strong>zu</strong>führen, <strong>die</strong> vordem Antlitz des erhabenen Gottes erscheinen dürfen; er hat den Fürsten Orifiel unter sich miteiner unendlichen Zahl untergeordneter Intelligenzen; <strong>die</strong> Kabbalisten sagen, daß durch <strong>die</strong>Vermittlung Mittratons Gott mit Moses gesprochen hat, und durch ihn erhalten alle <strong>die</strong> niedrigenMächte der sinnlich wahrnehmbaren Welt <strong>die</strong> Kräfte Gottes. Caph, als Endbuchstabe dargestellt,entspricht den beiden großen Namen Gottes, von denen sich jeder aus zwei hebräischenBuchstaben <strong>zu</strong>sammensetzt: El und <strong>Ja</strong>h; <strong>die</strong>se gebieten über <strong>die</strong> Intelligenzen zweiter Ordnung,<strong>die</strong> den Himmel der Fixsterne lenken, besonders <strong>die</strong> zwölf Zeichen des Tierkreises, den <strong>die</strong>Hebräer Galgol hamnazeloth nennen; <strong>die</strong> Intelligenz des zweiten Himmels heißt Raziel. SeinAttribut bedeutet Vision Gottes und Lächeln Gottes.12. Lamed – entspricht dem Namen Lummed (doctus, der Gelehrte); bezieht sich <strong>auf</strong> den NamenSadai, den Namen Gottes in fünf Buchstaben, und gebietet über den dritten Himmel und <strong>die</strong>Intelligenzen der dritten Ordnung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Sphäre des Saturns leiten.13. Mem – entspricht dem Namen Meborake (benedictus, der Gesegnete), bezieht sich <strong>auf</strong> denvierten Himmel und <strong>auf</strong> den vierten Namen, Jehova, gebietet über <strong>die</strong> Sphäre Jupiters. DieIntelligenz, <strong>die</strong> Jupiter leitet, heißt Tsadkiel. Tsadkiel empfängt <strong>die</strong> Ausstrahlung Gottes durch<strong>die</strong> Vermittlung Schebtails, um sie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Intelligenzen der fünften Ordnung <strong>zu</strong> übertragen.Mem, ein Hauptbuchstabe, entspricht auch dem fünften Himmel und dem fünften Namen Gottesund gebietet über <strong>die</strong> Sphäre des Mars. Die Intelligenz, <strong>die</strong> Mars leitet, ist Samael. Samaelempfängt <strong>die</strong> Ausstrahlung Gottes durch Vermittlung Tsadkiels und überträgt sie <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Intelligenzen sechster Ordnung.14. Noun – entspricht dem Namen Nora (formidabilis, d.h. der Schreckliche), bezieht sich aber auch<strong>auf</strong> den Namen Emmanuel (nobiscum Deus, d.h. Gott mit uns); er gebietet dem sechstenHimmel, der Sonne; <strong>die</strong> höchste Intelligenz der Sonne ist Raphael. Die Form des Buchstabens,<strong>die</strong> am Schluß verwendet <strong>wir</strong>d, bezieht sich <strong>auf</strong> den siebenten Namen Gottes, Ararita, derUnveränderliche, der aus sieben Buchstaben <strong>zu</strong>sammengesetzt ist; er gebietet über den siebentenHimmel und über Venus; <strong>die</strong> Intelligenz der Venus ist Haniel (Liebe Gottes, Gerechtigkeit undGnade Gottes).15. Samech – entspricht dem achten Namen Gottes, Samech (fulciens, firmans, der Stützende, derStärkende); als Stern entspricht Merkur und <strong>die</strong> erste Intelligenz des Merkur, Michael.16. Hain – entspricht dem Namen Hazad (fortis, der Tapfere, der Starke) und bezieht sich <strong>auf</strong>Jehova-Sabaoth; gebietet über den neunten Himmel; als Stern entspricht der Mond und <strong>die</strong>Intelligenz des Mondes, Gabriel. (Hier schließt <strong>die</strong> Welt der Erzengel.)17. Phe – entspricht dem Namen Phode (redemptor, der Erlöser, und <strong>die</strong> „intellektuelle Seele“).Dieser Buchstabe bezeichnet das Feuer, das Element, wo <strong>die</strong> Salamander wohnen, <strong>die</strong> Intelligenzdes Feuers, Seraphim und mehrere niedere Grade. Sie gebietet im Sommer über den Süden. Dasam Schluß verwendete Zeichen bezeichnet <strong>die</strong> Luft, Cherubim und mehrere untere Grade. DieIntelligenzen der Luft gebieten im Frühling über den Westen.


3418. Tsade – entspricht der universellen Materie, dem Namen Tsedek (justus, der Gerechte); <strong>die</strong>serBuchstabe bezeichnet das Wasser, wo <strong>die</strong> Nymphen wohnen, <strong>die</strong> Intelligenz Tharsis. Diesegebietet im Herbst über den Westen.19. Coph – entspricht dem Namen Kodesch (sanctus, der Heilige); <strong>die</strong>ser Buchstabe bezeichnet <strong>die</strong>Erde, wo <strong>die</strong> Gnomen wohnen, <strong>die</strong> Intelligenz der Erde, Ariel. Im Winter gebietet sie über denNorden; ihr unterstehen <strong>die</strong> Gesteine, das Unbelebte.20. Resch – entspricht dem Namen Rodeh (imperans, der Herrschende) und den Vegetabilien. Er<strong>wir</strong>d dem ersten göttlichen Prinzip <strong>zu</strong>geteilt, das sich <strong>auf</strong> das animalische Reich bezieht undallem animalischen Wesen das Leben gibt.21. Shin – entspricht dem Namen Sadai (omnipotens, der Allmächtige), der dem zweiten göttlichenPrinzip (<strong>die</strong> Tiere) <strong>zu</strong>kommt, das allen vegetabilischen Substanzen den Lebenskeim spendet.22. Thau – entspricht dem Namen Thechinah (gratiosus, der Gnädige), dem Mikrokosmos, demdritten göttlichen Prinzip, das allem, was im Mineralreich existiert, sein Leben gibt. DieserBuchstabe ist das Symbol des Menschen, weil er den Zweck alles dessen, was existiert,bezeichnet, wie auch der Mensch der Zweck und <strong>die</strong> höchste Vollendung der ganzen Schöpfungist.“(So weit, so kommentarlos hingenommen, obwohl es mir mir angesichts des letzten Satzes schwerfällt, mein Maul <strong>zu</strong> halten. Blättern <strong>wir</strong> einfach ein paar Seiten weiter <strong>zu</strong>r <strong>Ein</strong>führung in <strong>die</strong>theosophischen Anschauungen des jüdisch-alexandrinischen Philosophen Philo.)„Den Mittelpunkt der ganzen philonischen Lehre bildet <strong>die</strong> Unterscheidung von der verborgenenund der offenbarten Gottheit.Von dem höchsten, schlechthin in sich verborgenen Gott ist nur durch Verneinungen etwasaus<strong>zu</strong>sagen, z.B. daß er unteilbar <strong>Ein</strong>er, unwandelbar, zeitlos usw. sei. Er ist das über alle nähereBestimmungen erhabene reine, absolute Sein, wie Philo im Anschluß an 2. Mose 3,14 („Ich bin, derich sein werde“) den biblischen Gottesnamen JHWH erklärt. Sein inneres Wesen ist unsererErkenntnis völlig unnahbar. Selbst der philosophische Begriff des „höchsten Gutes“ oder des„<strong>Ein</strong>en“ ist <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> wenig für ihn. Unser höchstes Denken reicht nicht <strong>zu</strong> ihm hinan. Nur wenn <strong>wir</strong><strong>auf</strong> das spekulative Denken gänzlich Verzicht leisten und uns in vollkommenem Glauben und mitvöllig geläuterter Seele über <strong>die</strong> Zweiheit (Dyas) des beziehenden Denkens und sinnlichenVorstellens <strong>zu</strong>r <strong>Ein</strong>heit (Monas) mystischer Vertiefung und Verzückung hindurchringen, können <strong>wir</strong>mit der innersten Tiefe unseres Seins einen seligen Augenblick im Ozean des Absolutenuntertauchen. Diese „mystische <strong>Ein</strong>igung“ (wie sie in der christlichen Lehre später heißt) istdadurch möglich, daß der unerkennbare, absolute Gott als reines Sein der Urgrund allen Daseinsund <strong>Ein</strong>zelseins ist, und zwar <strong>zu</strong>nächst der metaphysische Urgrund, der „Ort“ (wie Philo unterÜberset<strong>zu</strong>ng des schon vorher von den Juden für „Gott“ gebrauchten hebräischen „makom“ sagt)aller Ideen des Seins, <strong>die</strong> allumfassende Ur-Idee; <strong>zu</strong>gleich auch der metaphysische Urgrund allestatsächlichen Seins, mithin auch der Ur-Wille. Damit ist das Prinzip des Werdens gegeben, derÜbergang vom Sein in der Vorstellung Gottes <strong>zu</strong> seiner Darstellung des Daseins und <strong>zu</strong>r Herstellungdes <strong>Ein</strong>zeldaseins. Dieser Weg von der absoluten <strong>Ein</strong>heit <strong>zu</strong>m <strong>Ein</strong>zelsein, von dem verborgenenGott <strong>zu</strong>r sichtbaren materiellen Welt, verläuft gewissermaßen in drei Akten oder in drei Schichten:1. Selbstbesonderung der Gottheit <strong>zu</strong> der metaphysischen Dreiheit Vernunft (oder dem „Nus“),Weisheit „Sophia“ (= hebr. Hochma) und Verstand (Logos = hebr. Bina). – 2. Darstellung derIdeenwelt, des Vorbildes der materiellen Welt. – 3. Herstellung der materiellen Welt, des Abbildesder idealen Welt.Durch <strong>die</strong>se Selbstbesonderung der verborgenen <strong>zu</strong>r sich im Sein offenbarenden Gottheit entstehennicht etwa drei Götter, sondern werden lediglich drei Offenbarungs<strong>wir</strong>ksamkeiten des unwandelbarEwig-<strong>Ein</strong>en angezeigt. – a) <strong>die</strong> göttliche Vernunft, der „Nus“, ist <strong>die</strong> oberste und höchsteOffenbarungserscheinung übersinnlicher Art (der kabbalistische Sephira „Keter“ vergleichbar). Die


35sich selbst und sich in der Welt und <strong>die</strong>se wiederum in sich selbst denkende und wissende Gottheit,der „Nus“, ist der „reinste Abglanz der absoluten Gottheit, nur durch sich (Gott) erkennbar, derVater aller Offenbarungen“, der „bewegende Grund aller Dinge“, der „Gott des Weltalls“, dasHöchste, was Gedanke und Wort erreichen kann. – b) Der <strong>die</strong> Vielheit denkende und wissende„Nus“ zeigt sich als göttliche Weisheit, als „Sophia“, welche <strong>die</strong> „Mutter und Königin aller Dinge,<strong>die</strong> lebendige Quelle aller Offenbarung“, <strong>zu</strong>gleich „Anfang und Ende, höchste Führerin undLenkerin“, der „Vorhof des höchsten Herrschers, sein übersinnliches Haus“ und auch nur durch sichselbst erkennbar ist. – c) Die Verbindung des „Vaters“ Nus und der „Mutter“ Sophia ergibt den„Sohn“ Logos, den Idee (Begriff) und Wort schaffenden, weil denkenden Verstand. Der Logosschafft <strong>zu</strong>nächst als göttlicher Verstand <strong>die</strong> einzelnen Ideen, indem er sie durch Set<strong>zu</strong>ng undGegenset<strong>zu</strong>ng voneinander sondert, dann aber durch Inbeziehungset<strong>zu</strong>ng <strong>zu</strong> einem harmonischenGeistesreiche verbindet, das nach dem qualitativen Prinzip der Form und dem quantitativen der Zahlgeordnet ist und in seiner Gesamtheit den idealen Raum darstellt.Nach dem Vorbilde <strong>die</strong>ses idealen Raumes und seiner Ideen wurde von dem Logos als „Demiurg“(Weltschöpfer) der sinnenfällige (reale) Raum samt seinen <strong>Ein</strong>zeldingen, also <strong>die</strong> Körperwelt,geschaffen. Da<strong>zu</strong> bedurfte es der Schöpfung der Zeit, <strong>die</strong> ihrerseits ein Abbild der Ewigkeit ist. Da<strong>die</strong> Sinnenwelt <strong>die</strong> Zeit <strong>zu</strong>r Vorausset<strong>zu</strong>ng hat, so ist sie nicht anfangslos, und da sie von der Zeitbeherrscht <strong>wir</strong>d, ist sie auch in ihren Formen veränderlich, aber hinwiederum, weil göttlichenUrsprungs und von göttlicher Macht geschaffen und durchwaltet, auch nicht ganz vergänglich,weder im Allgemeinen, <strong>noch</strong> in ihren einzelnen Bestandteilen. Auch sie ist kraft der göttlichenRegierung ein harmonisches Kunstwerk, dessen Teile durch Gottes in ihnen waltende Kräfte sichständig erneuen. Diese Kräfte, als deren Verkörperungen oder Sinnbilder <strong>die</strong> Engel in ihrenabgestuften Klassen <strong>zu</strong> gelten haben – <strong>die</strong>se Kräfte teilt Philo <strong>zu</strong>weilen ein in schaffende, erhaltendeund ordnende, <strong>zu</strong>weilen auch in solche der Güte, der Macht und der Vermittelung.<strong>Ein</strong> Abbild (Mikrokosmos) der großen Welt (Makrokosmos) ist der Mensch, wie umgekehrt <strong>die</strong>Welt der größte und vollkommenste Mensch ist. Der Mensch ist <strong>die</strong> Krone und das Ziel der ganzenirdischen Schöpfung. Er ist nach dem idealen Urbilde des Menschen, nach dem übersinnlichen,„ersten“ Adam geschaffen, und zwar ist das Abbild <strong>die</strong>ses Urbildes <strong>die</strong> menschliche Seele mit ihrendrei Teilen, <strong>die</strong> Philo bald nach Plato (denkende, Gemüts-, begehrende Seele) und der jüdischenPsychologie (neschamah oder Vernunftseele, ruach oder Gemütsseele, nephesch oder vegetativeSeele), bald anders einteilt. Die Seelen <strong>sind</strong> präexistent, d.h. schon vor dem Leibesleben geschaffen,und auch nach <strong>die</strong>sem gleich der ganzen von Gott geschaffenen Welt nicht vergänglich. Leiber <strong>zu</strong>erhalten, begehren <strong>die</strong> Seelen meist, um das Erdenleben kennen<strong>zu</strong>lernen; doch <strong>wir</strong>d bei Philo auch<strong>die</strong> Ansicht laut, daß Gott <strong>die</strong> Seelen nach bestimmten Gesetzen in Körper sende <strong>zu</strong> ihrerVervollkommnung. Die im Erdenleben bewährten Seelen kehren wieder <strong>zu</strong> ihrer himmlischenHeimat <strong>zu</strong>rück; <strong>die</strong> anderen haben nach bestimmten Gesetzen eine neue L<strong>auf</strong>bahn durchmenschliche Leiber an<strong>zu</strong>treten. Die Seele ist kraft ihrer (von Philo betonten) Willensfreiheit für ihreTaten verantwortlich. In Andacht und Gebet vermag sich <strong>die</strong> Seele <strong>zu</strong>r Gottheit <strong>auf</strong><strong>zu</strong>schwingen undauch erfolgreich für andere, ja für <strong>die</strong> ganze Natur <strong>zu</strong> beten. Der vollkommene Gerechte, dessenUrbild der <strong>zu</strong> erhoffende Messias ist, <strong>wir</strong>d <strong>zu</strong>m Heiland der Welt.Schon <strong>die</strong>ser gedrängte Aus<strong>zu</strong>g der Hauptgedanken aus Philos mannigfaltigen Schriften ließe sichZeile für Zeile mit Parallelstellen aus der mittelalterlichen und späteren Kabbalistik belegen. Dochgilt <strong>die</strong>s nur von der „theoretischen Kabbala“, d.h. den kabbalistischen Lehren, nicht von der„praktischen Kabbala“, sowie <strong>die</strong>se in (mit den Lehren mehr oder minder in Zusammenhangbefindlichen) magischen Handlungen besteht. Philo ist ein Gegner aller Astrologie, Zeichendeutungund sonstigen Magie.“


36<strong>Ja</strong> DAS ist Esoterik!(Für mich hat esoterisches Wissen allerdings nur dann einen Sinn, wenn es da<strong>zu</strong> <strong>die</strong>nt, das Egoab<strong>zu</strong>bauen und nicht es <strong>auf</strong><strong>zu</strong>blasen!)Wem glüht der Kopf? Wem qualmt es aus den Ohren, weil er das bereitgestellte Glas Wasser überseinen Kopf gegossen hat? Wer hat das Wasser getrunken? Wer hat damit seine Lieblingspflanzegegossen? Wer hat das Wasser seinem Hund gegeben, der nun unbedingt hinaus muß? Was soll dasalles bedeuten? Warum hab' ich das bloß alles zitiert?Es ist Hintergrundinformation, um verschiedene Texte der jüdisch-christlichen Tradition besser(oder <strong>noch</strong> weniger) verstehen <strong>zu</strong> können. Auch Gnosis und Neuplatoniker haben das entstehendeChristentum stark beeinflußt. Mitunter läßt sich der eine oder andere Widerspruch erklären. Aufkeinen Fall aber ist <strong>die</strong> Bibel so einfach und klar, wie sie sich oberflächlich eben so liest.Jedenfalls liegt meiner Himalaya-Mentalität Philo um einiges näher als <strong>die</strong> Kabbala. Wenn man willund kann, werden allerlei Parallelen und Gleichheiten klar: das Tao (über das nur durch Verneinungetwas ausgesagt werden kann, was auch für das Nirvana gilt, wie überhaupt über Transzendenz ansich), Yin-Yang (<strong>die</strong> erste Manifestation des Tao, bei Philo Dyas genannt), Trinität, Karma,Wiedergeburt, verschiedene Himmel und Himmelswesen, verschiedene Daseinsebenen.Philos Meinung über Astrologie, Deutelei und Magie teile ich übrigens voll und ganz.In <strong>die</strong>ser <strong>Ein</strong>führung in <strong>die</strong> Kabbala ist lediglich bei drei der zweiundzwanzig Buchstaben <strong>die</strong> Redevon Aspekten wie Liebe und Güte (4, Daleth), Liebe Gottes und Gnade Gottes (14, Noun) oder garLächeln Gottes (11, Caph). – (Kann man sich Gott überhaupt OHNE Lächeln vorstellen?) –Ansonsten lese ich sowohl in als auch zwischen den Zeilen hauptsächlich EIN Wort: Macht.MACHT Macht Macht MACHT! Nicht nur <strong>die</strong> Macht Gottes, <strong>die</strong> Macht der <strong>die</strong>nsteifrigen Engel,<strong>die</strong> Macht der <strong>die</strong>nsteifrigen Intelligenzen, sondern auch <strong>die</strong> Macht des Menschen, der all <strong>die</strong>sesWissen besitzt, und der als Krone und „ZIEL“ der Schöpfung sein Wissen auch anwenden darf und<strong>Ein</strong>fluß nehmen darf <strong>auf</strong> das Universum, was wohl heißt: manipulieren. Wie oft steht im AltenTestament, das ja eine Wiedergabe jüdischer Tradition ist, daß Zauberei „dem Herrn ein Gräuel“sei? Wie oft <strong>wir</strong>d Magie verdammt? Wie kann es bloß sein, daß gerade DIESE Kultur derartkomplexe magische Praktiken entwickelt hat, auch schon VOR Christi Geburt, nicht erst imfinsteren Mittelalter?Ich glaube, es liegt <strong>wir</strong>klich an unseren Genen. Homo sapiens IST eben eine ausgesprocheneOpportunistensau (Pardon! Keine Schweinediskriminierung!) – ein OpportunistenA, ein Egomane,ein Zerebralmasturbant <strong>auf</strong> allen Linien! Ist Wissen schon geil – aber Macht ist <strong>noch</strong> geiler! Undwenn dafür verschiedene Namen Gottes benutzt werden, alles in seinem Namen geschieht, und weilman ja Gottes Ebenbild ist und Sinn und Ziel, Krone und Vollendung – dann ist alles ja völlig inOrdnung, ja sogar gottgewollt.Oder wie!?!In Judentum, Christentum und Islam gibt es eine Fülle von Geschichten über Leute, <strong>die</strong> Macht überdiverse Geister und Dämonen besitzen und über<strong>die</strong>s alle möglichen „übersinnlichen“ Kräfte. (Abergerade DAFÜR werden andere Religionen kritisiert und als verpönt angesehen! Seltsam!) DerMega-Macho-Superheld in <strong>die</strong>ser Hinsicht ist wohl zweifellos König Salomon. Über wievieleGeister herrschte er? Wieviele Tricks und „special effects“ (wie ein mir lieber Freund es treffendnennt) beherrschte er? Über einen <strong>die</strong>ser magischen Tricks <strong>wir</strong>d sogar ziemlich offen im „Hohelied“Salomos gesprochen, dort <strong>wir</strong>d man nämlich <strong>auf</strong> das Wort „Mandragora“ stoßen. Mandragora, auchbekannt als Alraune, ist eine weitgehend in Vergessenheit geratene Rausch-Pflanze, einNachtschattengewächs wie Tollkirsche, Stechapfel und Bilsenkraut (als Beimengung <strong>zu</strong>m Bierfrüher äußerst beliebt, daher auch der Name „Pils“, welches heute allerdings nur mehr ohneBilsenkrautsamen hergestellt werden darf). Mandragora ist aber nicht nur als Droge nutzbar,sondern auch für diverse magische Praktiken, vor allem <strong>zu</strong>m Zwecke des Liebeszaubers. ImHohelied <strong>wir</strong>d Mandragora hoch gelobt.


37Salomon hat Weiber mit Liebeszauber ins Bett gekriegt! Nicht nur das, man muß davon ausgehen,daß <strong>die</strong> Leutchen das Zeug auch INTUS hatten!(Da sollen sich <strong>die</strong> drei „Hochreligionen“ erst einmal darüber einig werden, wer oder was nuneigentlich hochgelobt oder abgelehnt gehört!)Es heißt, daß man <strong>auf</strong> bestimmten Ebenen bestimmte Fähigkeiten erlangt, <strong>die</strong> im Sanskrit „siddhis“genannt werden; also „Wunderkräfte“ oder „Zauberkräfte“ oder „magische“ oder „paranormale“Fähigkeiten und dergleichen.Viele Menschen sehnen sich nach derartigen Fähigkeiten. Aber wo<strong>zu</strong> sollten <strong>die</strong>se eigentlich „gut“sein, außer um <strong>die</strong> Welt <strong>zu</strong> manipulieren?In so manchem Buch habe ich <strong>die</strong> Empfehlung vorgefunden, sich um derartige Fähigkeiten nicht <strong>zu</strong>kümmern, sie nicht an<strong>zu</strong>streben; auch nicht Visionen.Ich schätze, man braucht derlei Krimskrams auch nicht unbedingt.(Aber wenn <strong>wir</strong> schon bei <strong>die</strong>sem sonderbaren Kapitel „mystic power“ und „special effects“ <strong>sind</strong>:Es gibt jede Menge Scharlatane, Illusionisten, Spinner und Gauner, und <strong>noch</strong> weit mehr Dummeund Leichtgläubige.)Nehmen <strong>wir</strong> lieber ein Kind <strong>auf</strong> den Schoß, spielen <strong>wir</strong> mit unseren insgesamt zwanzig Fingerchen,und singen <strong>wir</strong> ein Kinderlied ...............bevor <strong>wir</strong> uns DEM <strong>zu</strong>wenden, inwiefern verschiedene Religionen das kapitale Raubameisentumdes Menschen gefördert haben,und insbesonders DEM, was in den drei monotheistischen „Hochreligionen“ gläubige Gläubigemitunter glauben müssen.


38„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; <strong>die</strong> Erde aber war wüst und <strong>wir</strong>r, Finsternis lag über derUrflut und Gottes Geist schwebte über dem Wasser.“So beginnt das meistgedruckte Buch der Welt, <strong>die</strong> Bibel. Das erste der fünf Bücher Mose <strong>wir</strong>d„Genesis“ (Entstehung) genannt, weil es von der Entstehung der Welt, der Menschheit und desVolkes Israel handelt. Die Juden nennen das Buch nach dem Anfangswort „Bereschith“ (ImAnfang). Viele Juden, Christen und Muslime werden von ihren religiösen Führern angehalten, <strong>die</strong>Schöpfungsgeschichte so weit wie möglich als Wahrheit an<strong>zu</strong>sehen, sie nicht nur als theologischeoder mythologische Metapher <strong>auf</strong><strong>zu</strong>fassen. Die Schöpfungsgeschichte im Koran unterscheidet sichinsofern von dem der Bibel, daß nicht von sieben „Tagen“ gesprochen <strong>wir</strong>d, sondern von sieben„Zeiten“.Ich zitiere weiter:„Gott sprach: Es werde Licht. Und es wurde Licht. Gott sah, daß das Licht gut war. Gott schied dasLicht von der Finsternis und Gott nannte das Licht Tag und <strong>die</strong> Finsternis nannte er Nacht. Es wurdeAbend und es wurde Morgen: erster Tag.Dann sprach Gott: <strong>Ein</strong> Gewölbe entstehe mitten im Wasser und scheide Wasser von Wasser. Gottmachte also das Gewölbe und schied das Wasser unterhalb des Gewölbes vom Wasser oberhalb desGewölbes. So geschah es und Gott nannte das Gewölbe Himmel. Es wurde Abend und es wurdeMorgen: zweiter Tag.“Bemerkenswert finde ich <strong>die</strong> Worte „Urflut“, „Wasser“ und „Gewölbe“. Urflut und Wasser deshalb,weil sie anscheinend schon VOR der Erschaffung von Himmel und Erde vorhanden waren, undGewölbe, weil es <strong>die</strong>ses Wasser trennte. Nun zitiere ich eine FUSSNOTE meiner Bibelausgabe(<strong>Ein</strong>heitsüberset<strong>zu</strong>ng der Heiligen Schrift (Endfassung), herausgegeben im Auftrag der Bischöfe desdeutschen Sprachgebiets, vollständige Schulausgabe, 1980):„Nach dem Weltbild seiner Zeit stellt sich der Verfasser das Firmament als eine Halbkugel ausfestem Stoff vor, <strong>die</strong> das Chaoswasser so teilt, daß über ihr und unter ihr Wasser ist, wobei vomoberen Wasser durch Öffnungen im Firmament der Regen herabströmt.“Diese Fußnote zeigt, daß weder <strong>die</strong> katholischen <strong>noch</strong> <strong>die</strong> evangelischen Bischöfe des deutschenSprachraums <strong>die</strong>se Verse wörtlich nehmen. Weiters fallen mir zwei Worte <strong>auf</strong>, nämlich „Verfasser“und „Weltbild“.Ich möchte mich jetzt ganz konkret an jene Leser wenden, <strong>die</strong> an eine wortwörtliche Auslegung derBibel glauben und jede andere als Blasphemie empfinden: Vergleicht in eurer eigenen Bibel <strong>die</strong>folgenden Verse der Genesis, nämlich 11 bis 13 und 20 bis 31 in Kapitel 1 sowie 4b bis 19 inKapitel 2. Während im 1. Kapitel Gott <strong>zu</strong>erst <strong>die</strong> Pflanzen (3. Tag), danach <strong>die</strong> Tiere (5. und 6. Tag)und erst danach den Menschen schuf, geschieht es im 2. Kapitel umgekehrt, nämlich <strong>zu</strong>erst <strong>wir</strong>d derMensch erschaffen, danach erst folgen <strong>die</strong> Pflanzen, und dann erst <strong>die</strong> Tiere. – Also WAS nun?BEIDE Versionen können nicht gleichzeitig wahr sein, <strong>zu</strong>mindest EINE ist es nicht. Und ihr könntauch nicht sagen: „Das ist nicht so wichtig!“, denn in eurer Sichtweise muß ja JEDES Wort wahrund wichtig sein. Also WAS? Hier geht es nicht um Auslegungen, sondern um <strong>die</strong> Tatsache desgeschriebenen Wortes. Zwei verschiedene Versionen. Zwei „Wahrheiten“? Also WAS?(Rückblickend <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>führung in <strong>die</strong> Kabbala und das Weltbild Philos <strong>sind</strong> <strong>die</strong> ersten beidenKapitel der Genesis sowieso nur eine Art Kindergarten-Version der Schöpfungsgeschichte, aberschon <strong>die</strong>se wenigen Verse schaffen schon jede Menge Diskussionsbedarf.)Es muß uns also bereits <strong>auf</strong> der zweiten Seite der Bibel klar werden, daß <strong>die</strong>se religiöse Schrift nichteine „vollkommene Übermittlung von Wahrheit durch Gott“ sein kann, sondern ein Werkverschiedener „von Gott inspirierter“ Verfasser. Denn Wahrheit kann es wohl nur EINE geben. Allesandere <strong>sind</strong> lediglich relative oder Teilwahrheiten.Allerdings vertritt <strong>die</strong> jüdische Lehrmeinung <strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong> Thora (<strong>die</strong> fünf Bücher Mose)sehr wohl DIREKT von Gott vermittelt wurde, <strong>die</strong> nachfolgenden Schriften hingegen nur mehr von„inspirierten“ Verfassern oder Propheten stammen. Der Großteil der Christenheit vertritt <strong>die</strong> selbe


39Anschauung, und auch der Islam sieht im Koran das direkte Wirken Gottes und respektiert auchThora und Evangelium als von Gott gekommen.Und das bedeutet nunmal, daß ein Anspruch <strong>auf</strong> Wahrheit erhoben <strong>wir</strong>d.Ich persönlich vertrete <strong>die</strong> Auffassung, daß ABSOLUTE Wahrheit nie und nimmer vermittelbar ist.Ich glaube zwar, daß sie ERFAHRBAR ist, aber nie und nimmer vermittelbar, schon allein aus demeinen Grund, weil Sprache und Denken endlich und unvollkommen <strong>sind</strong>.Ich kann auch keine definitive Unterscheidung treffen zwischen Intuition, Inspiration und Vision. Jereiner der Geist, desto reiner <strong>die</strong> Erfahrung. Erfahrung ist mehr als Wissen, Wissen mehr alsDenken, Denken mehr als Sprache.Ich glaube NICHT, daß <strong>die</strong> Propheten und Verfasser von Thora, Bibel und Koran frei waren voneigenen Gefühlen, Gedanken, Ängsten, Wünschen, Vorstellungen, Weltanschauungen, Weltbildern,Gottesbildern. Also können Wissen und Wahrheit auch nie völlig ungefiltert durch <strong>die</strong>se Menschendurchgeflossen oder vermittelt worden sein, nicht einmal im Zustand spiritueller Trance, denn derInspirierte be<strong>die</strong>nt sich <strong>noch</strong> immer seiner jeweiligen Sprache. Ich sehe aber keineswegs einenWiderspruch <strong>zu</strong> Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, sondern möchte lediglich dar<strong>auf</strong> hinweisen, daßVerfasser und Propheten Kinder ihrer Zeit waren, ihrer Gesellschaft, ihrer Tradition, ihrer religiösenVorstellungen.Um meine Meinung <strong>noch</strong> einmal in einem modernen Vergleich aus<strong>zu</strong>drücken: Die HardwareMensch ist viel <strong>zu</strong> schwach für <strong>die</strong> Software Gott (Transzendenz; und was NICHT Transzendenz ist,ist auch nicht mehr absolut).Wer nun <strong>die</strong> Verfasser der fünf Bücher Mose waren, ist nicht mehr <strong>zu</strong> klären, <strong>auf</strong> keinen Fall aberwar es ein einzelner Mensch. Selbst Theologen sehen mindestens vier verschiedene Verfasser.(Allein in der Genesis kann man schon mindestens drei erkennen! Deshalb glaube ich persönlich,daß es mehr als vier waren.) Ob einer davon Moses war, ist wissenschaftlich nicht sichergestellt.Ich zitiere wieder mal aus meiner Bibelausgabe, und zwar aus dem Vorwort <strong>zu</strong>r Genesis:„Die Erzählungen der Urgeschichte <strong>sind</strong> weder als naturwissenschaftliche Aussagen <strong>noch</strong> alsGeschichtsdarstellung, sondern als Glaubensaussagen über das Wesen der Welt und des Menschenund über deren Beziehung <strong>zu</strong> Gott <strong>zu</strong> verstehen.“Und wenige Zeilen später: „Man darf <strong>die</strong> Geschichtsdarstellung des Buches Genesis nicht an dermodernen Geschichtsschreibung messen, sondern man muß sie als antike Geschichtsschreibung undals theologische Geschichtsdeutung beurteilen. Der <strong>die</strong> Verfasser des Buches inspirierende Gottwollte uns nicht genaue <strong>Ein</strong>zelheiten über <strong>die</strong> Entstehung der Welt und des Menschen mitteilen oderuns über den exakten Verl<strong>auf</strong> der Patriarchengeschichte unterrichten. Vielmehr wollte er an denerzählten Begebenheiten sein Heilsangebot und <strong>die</strong> typischen Reaktionen des Menschen dar<strong>auf</strong><strong>auf</strong>zeigen. Damit wollte er deutlich machen, daß er auch Sünder <strong>zu</strong> Trägern und Vermittlern vonSegen und Heil erwählt.“(Wenn jemand meint, <strong>die</strong>s wäre wieder einmal eine typische Kompromißformel seitens derTheologie, um erhobenen Hauptes vor den Naturwissenschaften in <strong>die</strong> Knie gehen <strong>zu</strong> können, dannhat er höchstwahrscheinlich recht. Auch mir klingt das nach „Es geht nicht um Wissen, sondern umGlauben“ oder <strong>noch</strong> überspitzter: „Es geht nicht um Wahrheit, sondern um WAHRHEIT“.)Bemerkenswert finde ich <strong>die</strong> Begriffe „Beziehung <strong>zu</strong> Gott“, „Heilsangebot“ und „Sünder“ als„Träger und Vermittler von Segen und Heil“. Bitte fettgedruckt in Erinnerung behalten!Für <strong>die</strong> nächsten Zitate aus der Genesis will ich so<strong>zu</strong>sagen vorbereitend <strong>die</strong> offizielle theologischeFußnote vorausschicken: „In einfacher und bildhafter Sprache und an Hand eines typischenBeispiels aus dem Alltag stellt der Erzähler <strong>die</strong> erste Sünde und ihre verhängnisvollen Folgen dar.Die Schlange ist Sinnbild für <strong>die</strong> gefährliche Macht des Bösen und für <strong>die</strong> Hinterhältigkeit. DerBaum des Lebens und der Baum der Erkenntnis von Gut und Böse <strong>sind</strong> Bilder für <strong>die</strong> nur Gott<strong>zu</strong>kommenden Eigenschaften der Unsterblichkeit und des umfassenden Wissens, über <strong>die</strong> derMensch nicht von sich aus verfügen kann, <strong>die</strong> Gott ihm aber unter Umständen aus Gnade schenkt.“(Schon wieder jede Menge an Diskussionsstoff (einfach, bildhaft, Alltag, Gut und Böse, Erkenntnis,


40Gnade), aber lesen <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>vor das dritte Kapitel der Genesis, das <strong>noch</strong> immer vom Garten Edenhandelt, betitelt mit „der Fall des Menschen“.)„Die Schlange war schlauer als alle Tiere des Feldes, <strong>die</strong> Gott, der Herr, gemacht hatte. Sie sagte <strong>zu</strong>der Frau: Hat Gott <strong>wir</strong>klich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? Die Frauentgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen <strong>wir</strong> essen; nur von denFrüchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nichtessen und daran dürft ihr nicht rühren, sonst werdet ihr sterben.Dar<strong>auf</strong> sagte <strong>die</strong> Schlange <strong>zu</strong>r Frau: Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihrdavon eßt, gehen euch <strong>die</strong> Augen <strong>auf</strong>; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse. Da sah <strong>die</strong>Frau, daß es köstlich wäre, von dem Baum <strong>zu</strong> essen, daß der Baum eine Augenweide war und da<strong>zu</strong>verlockte, klug <strong>zu</strong> werden. Sie nahm von seinen Früchten und aß; sie gab auch ihrem Mann, der beiihr war, und auch er aß.Da gingen beiden <strong>die</strong> Augen <strong>auf</strong> und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter<strong>zu</strong>sammen und machten sich einen Schurz. Als sie Gott, den Herrn, im Garten gegen den Tagwindeinherschreiten hörten, versteckten sich Adam und seine Frau vor Gott, dem Herrn, unter denBäumen des Gartens. Gott, der Herr, rief Adam <strong>zu</strong> und sprach: Wo bist du? Er antwortete: Ich habedich im Garten kommen hören; da geriet ich in Furcht, weil ich nackt bin, und versteckte mich.Dar<strong>auf</strong> fragte er: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem<strong>zu</strong> essen ich dir verboten habe? Adam antwortete: Die Frau, <strong>die</strong> du mir beigesellt hast, sie hat mirvon dem Baum gegeben und so habe ich gegessen. Gott, der Herr, sprach <strong>zu</strong> der Frau: Was hast duda getan? Die Frau antwortete: Die Schlange hat mich verführt und so habe ich gegessen.“Bevor <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>r dar<strong>auf</strong> folgenden Reaktion Gottes kommen, schauen <strong>wir</strong> uns das bisherige Geschehenetwas näher an:Weltweit haben Reptilien einen schlechten Ruf, sie schaffen es einfach nicht, mit dem MenschenEmotionen <strong>zu</strong> teilen. Dies entspricht ihrer Natur und hat mit Gut und Böse absolut nichts <strong>zu</strong> tun.Wer jemals eine Hauskatze beobachtet hat, wie sie mit ihrer Beute „spielt“, müßte eigentlich denKuscheltier-Charakter seines geliebten Stubentigers schwerstens in Frage stellen. Aber als typischerExtremopportunist unterscheidet homo sapiens einfach zwischen „Natur“ und „Natur“, wie es ihmin den Kram paßt. Es gibt bei näherem Hinsehen keine „bösen“ Tiere, nur „böse“ Menschen, <strong>die</strong> mitAbsicht „böse“ Taten vollbringen. (Nicht in allen Mythologien haben Schlangen einen schlechtenRuf; in der nordischen Edda und in der indischen Mythologie spielt <strong>die</strong> „Weltenschlange“ einegroße Rolle, und in der chinesischen Astrologie ist sie eines der zwölf Tierkreiszeichen.)<strong>Ein</strong>en mythologischen „Baum des Lebens“ gibt es wahrscheinlich <strong>auf</strong> sämtlichen Kontinenten. Aberwas könnte mit dem „Baum der Erkenntnis von Gut und Böse“ gemeint sein? Ich persönlich sehedarin <strong>die</strong> Fähigkeit des Menschen <strong>zu</strong> einer bewußten Unterscheidung, <strong>zu</strong> einer reflektierendenUnterscheidung: außen und innen, du und ich, <strong>die</strong>s und das. Was <strong>die</strong> Unterscheidungsfähigkeit desMenschen von dem der Tiere und auch von dem von Kleinkindern unterscheidet, ist das Bewertender Sinneseindrücke und der Außenwelt. Selbstverständlich <strong>wir</strong>d jeder Schimpanse eine Bananeeinem H<strong>auf</strong>en Salatblätter vorziehen, ein Kleinkind in der Regel ebenfalls. Wahrnehmung istselbstverständlich, also auch Sinneseindrücke wie süß, bitter, grell, laut, schmerzhaft. Aber nur deretwas höher entwickelte Mensch errichtet dar<strong>auf</strong> ein Gedanken- und Moralgebilde. Darin denVerlust der Unschuld <strong>zu</strong> sehen, ist durchaus legitim. Das reflektierende Bewerten der Außenweltund vor allem der eigenen Handlungen ist meiner Meinung nach der „Sündenfall“, wie er in derGenesis nur äußerst notdürftig dargestellt <strong>wir</strong>d. Die Fähigkeit des Menschen <strong>zu</strong>r unterscheidendenWahrnehmung ist naturgegeben – oder wenn man will: gottgegeben. Es kann ein Menschsein ohne<strong>die</strong>se Fähigkeit gar nicht geben, auch kein Dasein als deva oder asura. Der „Baum der Erkenntnis“gehört einfach da<strong>zu</strong>. Ohne ihn könnte es keinerlei Form von Erkenntnis geben. Deshalb finde ich<strong>die</strong> biblische Namensgebung für <strong>die</strong>sen „Baum“ eigentlich sehr treffend. (Falls sich jemand fragt,warum <strong>die</strong> Frucht <strong>die</strong>ses Baumes viel viel später als Apfel wiedergegeben wurde: Im Lateinischenbedeutet „malum“ sowohl „das Böse“ als auch (mit einem etwas längeren a gesprochen) „der


41Apfel“. <strong>Ein</strong> typisch menschliches Wortspielchen. Spekulationen darüber, welche Droge mit <strong>die</strong>serFrucht gemeint sein könnte, lehne ich prinzipiell ab.)Auch <strong>die</strong> biblische Darstellung des Verlustes der Unschuld ist etwas ungenau. Das zweite Kapitelendet damit, daß Adam (was „Mensch“ bedeutet, ebenso wie „homo“ für <strong>Ein</strong>zelwesen als auch <strong>die</strong>Spezies anwendbar) allen Tieren und Pflanzen Namen gab; das ist ohne Unterscheidungsvermögenwohl kaum möglich.Daß zeitgenössische Theologen und geweihte Priester dar<strong>auf</strong> hinweisen (wenn auch nur in einerFußnote), daß Schlange und <strong>die</strong> beiden Bäume als „Sinnbilder“ <strong>zu</strong> verstehen seien, nicht alsTatsachen, läßt Hoffnung <strong>auf</strong>keimen, daß das Christentum doch <strong>noch</strong> eine Zukunft außerhalb desSektierertums haben könnte. Allerdings gibt es auch gegenteilige Anzeichen, <strong>zu</strong>m Beispiel wenn derPapst öffentlich betont, daß lediglich <strong>die</strong> Römisch-Katholische Kirche im Besitz der „christlichen“Wahrheit sei, andere nur im Teilbesitz – und sich deshalb auch nicht „Kirche“ nennen dürften,sondern lediglich „kirchliche Gemeinden“. (Ich sehe darin lediglich eine Art Affentanz – ein Schrittvor, einer <strong>zu</strong>rück, links herum, rechts herum, und Verbeugung!)Noch mehr Hoffnung erweckt <strong>die</strong> Fußnotenbemerkung, daß der Verfasser der Genesis „in einfacherund bildhafter Sprache und an Hand eines typischen Beispiels aus dem Alltag“ beschreibt, was er <strong>zu</strong>erklären sucht. Soll damit vielleicht sogar der jüdisch-christlich-islamische Schöpfungsmythos mitden Mythen anderer Völker und Traditionen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> selbe Stufe gestellt werden, Mythen, <strong>die</strong> jazweifellos ebenso „in einfacher und bildhafter Sprache und an Hand eines typischen Beispiels ausdem Alltag“ erzählt werden? Oder muß <strong>die</strong> Welt <strong>noch</strong> ein paar <strong>Ja</strong>hrhunderte dar<strong>auf</strong> warten?Aber weiter im Text: Die <strong>noch</strong> namenlose Frau (wie kommt es eigentlich, daß Adam zwar für Tiereund Pflanzen einen Namen übrig hatte, aber nicht für seine Frau?) beißt in <strong>die</strong> verbotene Frucht, undzwar in Gegenwart Adams, der sie nicht davon abhält. Verboten wurde ihnen <strong>die</strong> Frucht deshalb,weil sie nach deren Verzehr sterblich sein würden. Der Tod ist für <strong>die</strong> meisten Menschen in denmeisten Kulturen ein großes Mysterium, ein geheimnisvolles Phänomen, ein Rätsel ohne eindeutigerkennbare Ursache. Es ist nur all<strong>zu</strong> verständlich, daß der Mensch Mythen und Theorien entwickelt,wenn er sich ein Phänomen nicht erklären kann. Wer bin ich? Was ist der Sinn des Lebens? Woherkomme ich? Wie ist <strong>die</strong> Welt entstanden? In welchem Verhältnis stehe ich <strong>zu</strong>r Welt? Hat ein Gottalles erschaffen? Oder mehrere Götter? Wohin gehe ich nach dem Tod? Wie hängt alles <strong>zu</strong>sammen?Was ist ein Blitz, ein Erdbeben, ein Sturm, ein Vulkan? Wie funktioniert das? Woher kommen Alter,Krankheit, Leiden, Tod? Wer ist für das alles verantwortlich? Gibt es einen Ausweg? Alle <strong>die</strong>seFragen <strong>sind</strong> völlig menschlich, berechtigt, mitunter notwendig. Und so gut wie nie begnügt sich derMensch mit der Antwort „ich weiß es nicht“, er sagt auch fast nie „es ist nicht wichtig“ oder„XCRegal“, sondern er findet und erfindet notfalls Antworten in Form von Mythen und Theorien, jenach Wissensstand und Weltbild der jeweiligen Zeit und Kultur. Dieses typische Verhalten desMenschen ist <strong>zu</strong> allen Zeiten und in allen Kulturen erkennbar. Deshalb gibt es eben mehr als einWeltbild, mehr als eine Religion, mehr als eine Philosophie, mehr als eine Wahrheit undWirklichkeit. Und leider gibt es viel <strong>zu</strong> viele Menschen, <strong>die</strong> ihre Teilwahrheiten gegeneinanderausspielen und ganz und gar nicht daran denken, <strong>die</strong>se eventuell <strong>zu</strong> vereinigen.Wenn <strong>die</strong> Geschichte von der Baumnascherei dahingehend interpretiert <strong>wir</strong>d, daß erst dasUnterscheidungsvermögen <strong>die</strong> Sterblichkeit verursacht hat, so kann ich das <strong>auf</strong> gar keinen Fallglauben. Vielmehr meine ich, daß jegliche Materie den Naturgesetzen folgend dem Zerfall, demTod, bestimmt ist. Im Buddhismus heißt es, daß das aus der Transzendenz kommende „reineBewußtsein“ durch Kontakt<strong>auf</strong>nahme mit dem materiellen Universum (egal wie grob- oderfeinstofflich) das Verfallsdatum des eigenen Körpers von Beginn an akzeptiert. Der Buddhismusspricht auch nicht von einem Schöpfergott, sondern lediglich von einer Verknüpfung einzelnerDaseinsfaktoren und der selbstgewählten Selbstverantwortung der individuellen Existenz. Und dasBindeglied (<strong>die</strong> Kupplung so<strong>zu</strong>sagen) zwischen der formlosen, zeitlosen, veränderungslosenTranszendenz und dem „Leben“ in Form, Zeit und Veränderung ist eben das selbstreflektierendeIch, das Ego, das Ich-Bewußtsein. (Ich nenne es einen leeren Sack, gefüllt mit den <strong>Ein</strong>drücken und


42Erlebnissen, <strong>die</strong> durch den Kontakt mit dem stofflichen Universum entstehen. Je „größer“ und„gewichtiger“ der Inhalt <strong>die</strong>ses Beutels, desto tiefer zieht er einen runter, von den höchsten geistigenEbenen bis in <strong>die</strong> tiefste Materie. Die einzigen Auswege siehe ich darin, den Sack schrittweise <strong>zu</strong>entleeren – oder ihn einfach <strong>zu</strong> verschenken (vorausgesetzt, man kennt jemanden, der <strong>die</strong>ses„Geschenk“ annimmt). Sowohl monotheistische als auch monistische Lehren zeigen Wege <strong>zu</strong>mAusweg <strong>auf</strong>, und ALLE kommen ohne Liebe und Mitgefühl nicht aus!)Zurück <strong>zu</strong> Adam (Mensch) und seiner Namenlosen, <strong>die</strong> urplötzlich ihre „natürliche“ Unschuldverloren haben, sich als nackt erkennen – und sich schämen. Es gibt auch heute <strong>noch</strong> (z.B. imAmazonasgebiet) Menschen, <strong>die</strong> sich ihrer Nacktheit nicht schämen, <strong>die</strong> völlig ungezwungen mitihrer Nacktheit umgehen, sich jedoch nackt und entwürdigt fühlen, wenn man ihnen den Arm- oderKopfschmuck nimmt. Scham ist also ein kulturelles Phänomen, keinesfalls ein universelles. AuchNaturvölker empfinden Scham, nur eben etwas anders. <strong>Ein</strong> Volk ohne jegliche Tabus ist mir jedochnicht bekannt.Warum haben sich Adam und seine Frau eigentlich geschämt? Waren sie sich urplötzlich ihrerSexualität bewußt? Warum konnten sie Sexualität nicht als naturgegeben ansehen, sondern sahendarin Tabu und Sünde und Verunreinigung und was weiß ich, wofür man sich schämen müßte?Ich persönlich halte nicht <strong>die</strong> Nacktheit an sich für problematisch, sondern nur den unwürdigenUmgang mit ihr. Auch Sexualität an sich halte ich nicht für ein Problem, sondern nur den Umgangmit ihr: Verdrängung, Tabuisierung, Zwänge nach innen und außen, Gewalt, Pflicht. Wer jemalseinen FKK-Strand besucht hat, weiß ganz genau, wie unerotisch Nacktheit sein kann. (Wie so oftliegt <strong>die</strong> Problematik lediglich im Auge des Betrachters.)Jedenfalls haben sich Adam und seine namenlose Frau dermaßen geschämt, daß sie sich versteckten.Hier beginnt ein Frage-Antwort-Spiel, würdig eines naiven bronzezeitlichen Verfassers, aber fürmich völlig unbegreiflich in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> einen transzendenten oder auch allmächtigen, allwissendenGott. Er WEISS doch, wo <strong>die</strong> beiden <strong>sind</strong>, wie sie sich fühlen, und warum. Was wollte der Verfasserdamit wohl ausdrücken? Ich schätze, er wollte damit nur eine Erklärung und eine Rechtfertigung fürdas ausgeprägte Schuldbewußtsein des Menschen abliefern, und gleichzeitig einen Schuldigenausmachen, von dem <strong>die</strong> ganze Menschheit <strong>die</strong>ses Schuldbewußtsein geerbt hat. Genauer gesagt:ZWEI Schuldige: <strong>Ein</strong>erseits das personifizierte Böse (hier in Form der Schlange) und andererseits<strong>die</strong> Frau. Das Weib! SIE hat sich verführen lassen. SIE hat nicht gehorcht. SIE hat Adam verführtund ihm <strong>die</strong> Frucht gereicht. SIE ist schuld für alle Zeiten. Durch das WEIB kam <strong>die</strong> Erbsünde in<strong>die</strong> Welt!Was für ein Unsinn, ersonnen von einer extrem patriarchalischen Bronzezeit-Gesellschaft mitUrsprüngen in NOCH älteren Zeitaltern! Welch krasse Ungerechtigkeit! Welch Macho-Gehabe!Welche Männerarroganz! Ich wünschte, es wäre endlich <strong>die</strong> Zeit gekommen, wo weder Männer überFrauen herrschen <strong>noch</strong> Frauen über Männer, sondern beide Geschlechter daran arbeiten, bessereMENSCHEN <strong>zu</strong> werden! Und der Gott der Genesis stößt laut Verfasser in das selbe Macho-Hornund fragt <strong>die</strong> Frau: „Was hast du da getan?“ Und Adam? Er stand doch daneben, als sie mit derSchlange sprach, und hat keinen Ton gesagt. Er stand doch daneben, als sie in <strong>die</strong> Frucht biß, undhat sie nicht davon abgehalten. Er hat völlig ohne Zwang selber hineingebissen. Er hätte jederzeitNEIN sagen können. Hat er aber nicht. Wenn SIE Schuld <strong>auf</strong> sich geladen hat, dann ER wohlebenso, selbst wenn er ein Schwächling gewesen sein sollte, der den Überredungskünsten seinerFrau hilflos ausgeliefert war.Nein – ich sehe nur eine frauenfeindliche Bronzezeit-Propaganda, <strong>die</strong> das Patriarchat als gottgewolltlegitimieren und für alle Zeit einzementieren sollte!Vielleicht gibt es <strong>noch</strong> irgendwo ein paar kleine Völkchen, in denen Männer und Frauen ohne Stressmiteinander leben können. Aber <strong>die</strong> primäre Herrschaftsstruktur <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Planeten ist eindeutigdas Patriarchat, <strong>die</strong> Vorherrschaft des Mannes über <strong>die</strong> Frau. Ich weiß zwar nicht, wie und warumsich das so entwickelt hat, aber ich weiß, daß es enden muß. Kein Geschlecht sollte über das andereherrschen.


43Allerdings steht in der Genesis, <strong>die</strong> ich nun weiterzitieren will, etwas anderes:„Da sprach Gott, der Herr, <strong>zu</strong>r Schlange:Weil du das getan hast, bist du verflucht unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. Auf demBauch sollst du kriechen und Staub fressen alle Tage deines Lebens.Feindschaft setze ich zwischen dich und <strong>die</strong> Frau, zwischen deinen Nachwuchs und ihrenNachwuchs. Er trifft dich am Kopf und du triffst ihn an der Ferse.Zur Frau sprach er:Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger <strong>wir</strong>st. Unter Schmerzen gebierst du Kinder. Du hastVerlangen nach deinem Mann; er aber <strong>wir</strong>d über dich herrschen.Zu Adam sprach er: Weil du <strong>auf</strong> deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem <strong>zu</strong>essen ich dir verboten hatte:So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal <strong>wir</strong>st du von ihm essen alle Tage deinesLebens.Dornen und Disteln läßt er dir wachsen und <strong>die</strong> Pflanzen des Feldes mußt du essen.Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du <strong>zu</strong>rückkehrst <strong>zu</strong>m Ackerboden; vonihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, <strong>zu</strong>m Staub mußt du <strong>zu</strong>rück.Adam nannte seine Frau Eva (Leben), denn sie wurde <strong>die</strong> Mutter aller Lebendigen. Gott, der Herr,machte Adam und seiner Frau Röcke aus Fellen und bekleidete sie damit. Dann sprach Gott, derHerr: Seht, der Mensch ist geworden wie <strong>wir</strong>; er erkennt Gut und Böse. Daß er jetzt nicht <strong>die</strong> Handausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon ißt und ewig lebt! Gott, der Herr, schickte ihnaus dem Garten von Eden weg, damit er den Ackerboden bestellte, von dem er genommen war. Ervertrieb den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden <strong>die</strong> Cherubim <strong>auf</strong> und das loderndeFlammenschwert, damit sie den Weg <strong>zu</strong>m Baum des Lebens bewachten.“Daß Gott <strong>die</strong> Schlange verflucht, kann wohl bestenfalls symbolhaft verstanden werden, alsAblehnung des Bösen an sich. Wie könnte Gott eine seiner eigenen Geschöpfe verfluchen?Außerdem gäbe es jede Menge unangenehmerer und gefährlicherer Kandidaten. <strong>Ein</strong>e Feindschaftzwischen Schlange und Mensch sehe ich nur einseitig; Schlangen gehen in der Regel Menschen ausdem Weg, aber der Mensch knüppelt sie eher nieder, als daß er wegläuft. Schlangen haben ihrenlegitimen Platz im Ökosystem Natur, der Mensch muß sich <strong>die</strong>sen Platz erst (wieder?) erarbeiten,sich einfügen.Und <strong>die</strong> Frau kriegt NOCH mehr Fett ab. Auch sie <strong>wir</strong>d verflucht. (Wie kann Gott so etwas tun?Seine Schöpfung verfluchen? Ich habe das schon vor dreißig <strong>Ja</strong>hren nicht geglaubt, und ich werdees wohl nie!) Die Frau soll Schmerzen haben während Schwangerschaft und Geburt. Als ob das wasBesonderes wäre! Haben etwa Affen, Ziegen, Schafe, Hunde, Katzen, Rinder, Kamele, Elefantenkeine Schmerzen beim Geburtsvorgang? Wofür hält sich <strong>die</strong>ser „außergewöhnliche“ homo sapiensdenn eigentlich? Für Meeresschildkröten und Krokodile ist das Eierlegen sogar derart anstrengend,daß sie in eine Trance fallen. Warum sollte gerade der Mensch eine Ausnahme vom Schmerz sein?Nein, auch <strong>die</strong>se Worte Gottes kann ich nicht nachvollziehen. Es kann nur der unbeholfene Versuchdes Verfassers sein, Probleme bei Geburt und Schwangerschaft erklären <strong>zu</strong> wollen.„Du hast Verlangen nach deinem Mann; er aber <strong>wir</strong>d über dich herrschen.“ Diese zwei Teilsätze<strong>sind</strong> eine „catastrophe de luxe“ für Menschheit und Planet. Will Gott damit etwa sagen, daß derMann KEIN Verlangen nach der Frau hat? Wer <strong>die</strong>s behauptet, der muß <strong>die</strong> Intelligenz einerkeimenden Kartoffel und das Feingefühl einer Atombombe besitzen! Selbstverständlich empfindetder Mann ebenso sexuelles Verlangen wie <strong>die</strong> Frau! Das liegt wohl in der Natur der Sexualität! Wiekann der Verfasser Gott nur derart sprechen lassen? Gott dürfte wohl wissen, wie <strong>die</strong> Natureingerichtet ist.Diese Aussage <strong>die</strong>nt lediglich da<strong>zu</strong>, der Frau wieder mal <strong>die</strong> AKarte <strong>zu</strong><strong>zu</strong>spielen und sie in <strong>die</strong>moralische <strong>Ja</strong>uche <strong>zu</strong> tunken. Bestätigt <strong>wir</strong>d das gleich anschließend durch den zweiten Halbsatz „eraber <strong>wir</strong>d über dich herrschen.“ Ich kenne jede Menge Männer, <strong>die</strong> gerade WEGEN ihres sexuellenVerlangens von einer Frau beherrscht werden oder sonstwie als testosterongesteuerte Marionetten


44heruml<strong>auf</strong>en. Männer UND Frauen l<strong>auf</strong>en in Gefahr, von den mächtigsten Drogen im Universumbeherrscht <strong>zu</strong> werden, den körpereigenen Sexualhormonen. Die Herrschaft des Mannes beruhteinzig und allein <strong>auf</strong> Gewalt, er ist einfach vom Körperbau her stärker, und <strong>die</strong>se Überlegenheitnutzt er seit <strong>Ja</strong>hrtausenden <strong>auf</strong> primitive Weise aus in Form von Unterdrückung, Bequemlichkeitund Intoleranz. <strong>Ein</strong> wesentlicher Faktor dabei ist <strong>die</strong> sexuelle Kontrolle der Frau, gepaart mit einerExtra-Dosis an Pseudomoral und Unterdrückung. Aber nicht nur <strong>die</strong> monotheistische Kultur istdavon geprägt, sondern der überwiegende Teil der Menschheit. Wo <strong>wir</strong>d vorehelicher Sexualkontaktvon Frauen toleriert, und wo <strong>wir</strong>d das selbe Verhalten der Männer sogar stolz gewürdigt? WievielBordelle gibt es für Männer – und wie viele für Frauen? Wer ist da wohl der doppelmoralische A?Ich glaube, für all <strong>die</strong>se Varianten sexueller Unterdrückung gibt es nur den einen natürlichen Grund,daß der Mann einfach sicherstellen will, daß sein Nachwuchs auch tatsächlich von IHM stammt.Anscheinend unterscheidet sich der sexuelle Mensch nur geringfügig von Hirsch oder Löwe,vielleicht sollte er aber bedenken, daß es auch Elefanten und Hyänen gibt, wo das Männchen dassozial schwächere Glied ist. Auf keinen Fall ist es gerechtfertigt, <strong>die</strong> Vorherrschaft des Mannes alsnaturgegeben oder gottgegeben dar<strong>zu</strong>stellen. Daß der Verfasser der Genesis Gott solche Worte inden Mund legt, liegt meiner Meinung nach nur daran, daß der Verfasser ein Vertreter einerpatriarchalischen Beduinenkultur war. Ich glaube NICHT, daß Gott <strong>die</strong> Herrschaft des Mannes über<strong>die</strong> Frau legitimiert hat; Gott hat dem Mann <strong>die</strong> Frau <strong>zu</strong>r Seite gestellt und nicht <strong>zu</strong> seinen Füßen.<strong>Ein</strong> patriarchalisches System ist lediglich für den Mann bequem. Und ich kann unmöglich daranglauben, daß eine derartige Ungerechtigkeit von einem transzendenten Gott gewollt oder gebilligtsein kann.Nochmals: Weder sollen Männer über Frauen herrschen <strong>noch</strong> Frauen über Männer, sondern beideGeschlechter sollen gemeinsam und jedes für sich daran arbeiten, bessere MENSCHEN <strong>zu</strong> werden!Auch der Mann <strong>wir</strong>d verflucht: Er soll arbeiten, arbeiten, arbeiten (wäre der slawische Ausdruck„roboti“ nicht NOCH aussagekräftiger?)! Auch der Ackerboden <strong>wir</strong>d verflucht. (Was hat DER wohldamit <strong>zu</strong> tun?) Der Mann soll inmitten von Dornen und Disteln sein Feld bestellen. (Warumarbeiten dann eigentlich dermaßen viele Frauen in der Land<strong>wir</strong>tschaft?) Er MUSS sich vonFeldfrüchten ernähren. Und im Schweiße seines Angesichts soll er sein Brot essen. (Aber fastniemand hält sich daran, fast jeder Verschwitzte wäscht sich vorher das Gesicht. – Ach ja, ist ja nursymbolisch! Na dann bleiben <strong>wir</strong> einmal in der Symbolik und blicken kurz <strong>zu</strong>rück <strong>auf</strong> den sechstenTag der Schöpfungsgeschichte, Kapiel 1, Vers 26-30:)„Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschenüber <strong>die</strong> Fische des Meeres, über <strong>die</strong> Vögel des Himmels, über das Vieh, über <strong>die</strong> ganze Erde undüber alle Kriechtiere <strong>auf</strong> dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als AbbildGottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach <strong>zu</strong> ihnen: Seidfruchtbar und vermehrt euch, bevölkert <strong>die</strong> Erde, unterwerft sie euch und herrscht über <strong>die</strong> Fischedes Meeres, über <strong>die</strong> Vögel des Himmels und über alle Tiere, <strong>die</strong> sich <strong>auf</strong> dem Land regen. Dannsprach Gott: Hiermit übergebe ich euch alle Pflanzen <strong>auf</strong> der ganzen Erde, <strong>die</strong> Samen tragen, undalle Bäume mit samenhaltigen Früchten. Euch sollen sie <strong>zu</strong>r Nahrung <strong>die</strong>nen. Allen Tieren desFeldes, allen Vögeln des Himmels und allem, was sich <strong>auf</strong> der Erde regt, was Lebensatem in sichhat, gebe ich alle grünen Pflanzen <strong>zu</strong>r Nahrung. So geschah es.“Diese Verse entstammen wieder der ersten Version der Schöpfungsgeschichte, in welcher <strong>die</strong>Menschen erst nach den Pflanzen und Tieren geschaffen wurden, und sie beschreiben in zweikleinen Sätzen einen wahrhaft para<strong>die</strong>sischen Zustand: Der Mensch ist Radikal-Vegetarier, undzwar ein gottgewollter, der sich ausschließlich von Samen und Früchten ernährt, und alle Landtierefressen ebenfalls ausschließlich Grünzeug. (Auf welche Art sich Wasserlebewesen ernähren oderernähren sollten, <strong>wir</strong>d vom Autor nicht erwähnt; Gott <strong>wir</strong>d es wohl gewußt haben, der Verfasseranscheinend nicht.) Kein Tier tötet ein anderes. Kein Töten, keine Aggression, keine Angst. Frieden.Harmonie. Para<strong>die</strong>s eben. (Ist das nicht <strong>die</strong> große Sehnsucht des Menschen?) Aber warum fordertGott nur EINEN Satz <strong>zu</strong>vor den Menschen da<strong>zu</strong> <strong>auf</strong>, über seine Schöpfung <strong>zu</strong> HERRSCHEN, sie <strong>zu</strong>


45UNTERWERFEN, oder wie es in früheren Bibelüberset<strong>zu</strong>ngen hieß: SIE SICH UNTERTAN ZUMACHEN? Aber wie sollte „Herrschaft“, „Unterwerfung“, „Untertanmachung“ JEMALS mit„Para<strong>die</strong>s“ vereinbar sein? Das ist doch ein Widerspruch in sich! Herrschaft ist <strong>zu</strong>mindestKontrolle, und <strong>die</strong>se schließt Harmonie weitgehend aus. Harmonie unterscheidet sich von Kontrolleoder Herrschaft grundlegend. Harmonie bedeutet Zusammenklang, Gleichklang, <strong>Ein</strong>klang,Miteinander; Teil eines Ganzen sein, Sich-<strong>Ein</strong>fügen, <strong>Ein</strong>s-Sein. Und das ist nun mal nicht möglich,wenn man irgendeine Form von Druck ausübt, Kontrolle ausübt, unter<strong>wir</strong>ft, untertan macht,herrscht. (Dies ist überhaupt ein wesentliches Problem des Menschen, ja eines der wesentlichsten:Jeder hat ein ausgesprochenes Bedürfnis nach Harmonie, strebt sie an, erlebt sie viel <strong>zu</strong> selten, willsie wieder erleben, will sie festhalten und zerstört sie dabei, denn Harmonie existiert immer nur imAugenblick, im <strong>Ein</strong>klang mit dem Hier und Jetzt, in der selbstvergessenen Gegenwart. Harmonie istwie Wellenreiten: Man muß AKTIV am Brett stehen ohne <strong>zu</strong> drücken, <strong>auf</strong> und mit der Wellefließen, nicht <strong>die</strong>se beherrschen und zwingen. Jeder Künstler kennt und braucht Harmonie. JederLiebende kennt sie. Jeder braucht sie. Aber weil <strong>die</strong> Meditation der Gegenwart dermaßen schwer<strong>auf</strong>recht <strong>zu</strong> erhalten ist, ersetzt der Mensch sie durch Kontrolle, Ordnung, System, Moral. VieleWeise in allen Kulturen, völlig unabhängig ihrer religiösen Tradition, haben betont: SEI JETZTHIER, nicht nur Asiaten, auch christliche und muslimische Mystiker, sogar völlig <strong>zu</strong>gekiffteHippies!Wie kommt Gott da<strong>zu</strong>, eine derartige Aufforderung an den Menschen <strong>zu</strong> richten? Damit <strong>wir</strong>d ja dasPara<strong>die</strong>s von Gott selbst zerstört! Oder ist Gott etwa gar kein Gott der Harmonie und der Liebe? Dakann wohl wiederum nur <strong>die</strong> bronzezeitliche Unwissenheit des Macho-Verfassers dahinter stecken!Hier ist vielleicht auch schon der Ursprung eines katastrophal falschen Gottesbildes <strong>zu</strong> sehen: Gott,der Herr, der absolute Herrscher, dem man sich <strong>zu</strong> unterwerfen hat, dem man sich nicht durch Liebeannähert, sondern nur durch Gehorsam. Dieses Gottesbild ist leider <strong>noch</strong> immer weit verbreitet, inJudentum und Islam, sogar im Hinduismus, ja sogar im Christentum, das Gott zwar „Vater“ nennt,ihn in der Regel aber nicht als solchen empfindet.)Warum hat Gott bloß den Menschen <strong>zu</strong>m Herrscher über seine Schöpfung gemacht?Warum bloß sollte Gott eine derart zerstörerische und selbstzerstörerische Doktrin erlassen? Diegängige Erklärung lautet: Weil der Mensch Gottes Ebenbild sei. Also sehen <strong>wir</strong> uns etwas genaueran, was <strong>die</strong> Genesis über Abbild oder Ebenbild sagt:Kapitel 1, Vers 26: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.“Kapitel 1, Vers 27: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn.Als Mann und Frau schuf er sie.“Kapitel 3, Vers 19: „Denn Staub bist du, <strong>zu</strong>m Staub mußt du <strong>zu</strong>rück.“Kapitel 3, Vers 22: „Seht, der Mensch ist geworden wie <strong>wir</strong>; er erkennt Gut und Böse.“Gott spricht von Menschen in der Mehrzahl, von Mann und Frau, ohne Herrschaft des Mannes über<strong>die</strong> Frau, ohne Ungleichheit, Ungerechtigkeit, Unterwerfung, Dienen. Die allererste Erwähnung desMenschen in der Genesis spricht also NICHT von einem Ungleichgewicht der Geschlechter. Gotthat Mann und Frau trotz Unterschiedlichkeit GLEICHWERTIG erschaffen. In eben<strong>die</strong>ser allererstenErwähnung des Menschen hat Gott Mann und Frau <strong>zu</strong>r gleichen Zeit geschaffen; keine Rede vonAdams Rippe, aus der <strong>die</strong> Frau geschaffen wurde; keine Rippengeburt; <strong>die</strong> finden <strong>wir</strong> erst imzweiten Kapitel, in der zweiten Version der Schöpfungsgeschichte.Aber inwiefern hat er <strong>die</strong> Menschen als Abbild erschaffen? Ist Gott männlich? Ist Gott weiblich? IstGott männlich UND weiblich? Ist Gott weder männlich <strong>noch</strong> weiblich? Ist Gott ungeschlechtlich?Der Gott der Bibel und des Koran <strong>wir</strong>d einerseits als geschlechtslos und andererseits TROTZDEMals männlich angesehen und mit „Herr“ tituliert. Aber dann kann er <strong>die</strong> Frau nicht als Abbildgeschaffen haben, weil Mann und Frau eben ziemlich unterschiedlich <strong>sind</strong>. Also kann mit „Abbild“oder „Ebenbild“ nicht <strong>die</strong> körperhafte Differenzierung zwischen Mann und Frau gemeint sein, <strong>die</strong>seAbbildhaftigkeit kann nur <strong>auf</strong> eine höhere Ebene als <strong>die</strong> des Körpers abzielen, also <strong>auf</strong> einegottähnliche innere Wesenheit, <strong>auf</strong> Transzendenz. Dar<strong>auf</strong> deutet auch das „Staub“-Zitat hin. Daß


46Menschen <strong>auf</strong> ihrer körperlichen Ebene aus Materie, also „Staub“, bestehen, ist wohl jedem klar.Die Staubhaftigkeit kann aber unmöglich <strong>auf</strong> einen transzendenten Gott <strong>zu</strong>treffen, der kann wohlnur reiner Geist sein, oder <strong>noch</strong> besser: reines Sein. Also muß das Wesen des Menschen als AbbildGottes ebenfalls in einer reinen Geisthaftigkeit, in reinem Sein bestehen. <strong>Ein</strong>e Abbildhaftigkeit inder Stofflichkeit ist nur dann möglich, wenn der Schöpfergott selbst der Stofflichkeit angehört.Und nun <strong>zu</strong>m Merkwürdigsten, Geheimnisvollsten <strong>die</strong>ser Zitate: Gott spricht über sich selbst in derMehrzahl. <strong>Ein</strong> Fehler des Verfassers kann das wohl nicht sein, ansonsten verwendet er seineMuttersprache und ihre Grammatik ja völlig korrekt; er muß <strong>die</strong> Mehrzahl wohl bewußt undabsichtlich verwendet haben. Die allgemeine Erklärung lautet, daß damit <strong>die</strong> Besonderheit derWorte Gottes betont werden soll. Aber das tut er sonst nicht. Außerdem benutzt er <strong>die</strong> Ansprache„sehet“, während sonst immer von „siehe“ <strong>die</strong> Rede ist, außer bei der Geschichte vom Turmbau.Wen spricht Gott mit <strong>die</strong>sem „sehet“ wohl an? Adam und Eva (jetzt hat sie endlich einen Namen!)sicher nicht, denn sonst müßte der folgende Satz lauten: „Ihr seid geworden wie ich.“ Aber <strong>wir</strong> lesen„Sehet, der Mensch ist geworden wie <strong>wir</strong>.“ Mit wem spricht Gott? Wen meint der EINE Gott mit„<strong>wir</strong>“? Seine unter- oder übergeordneten Erweiterungen oder Ursprünge, <strong>die</strong> <strong>wir</strong> andeutungsweiseaus der Kabbala kennen? Warum sollte Gott mit sich selbst sprechen? Oder steckt im Verfasser <strong>noch</strong>ein kleiner Polytheist drin? Das kann's wohl auch nicht sein, wenn überall sonst von EINEM Gott<strong>die</strong> Rede ist, der im Normalfall immer nur in der <strong>Ein</strong>zahl von sich spricht. Also warum „<strong>wir</strong>“?Spricht er <strong>zu</strong> einem anderen Gott, einem Konsortium von Göttern, etwa gar mit seinem göttlichenWeib? Es ist nur all<strong>zu</strong>leicht, derartige Fragen einfach ab<strong>zu</strong>schmettern. Aber lediglich eine bewußteBetonung der Worte Gottes kann es nicht sein, weil dadurch <strong>die</strong> Ansprache „sehet“ keineswegserklärt werden kann. Also scheint uns nichts anderes übrig <strong>zu</strong> bleiben, als <strong>die</strong>ses Rätsel einfach alssolches stehen <strong>zu</strong> lassen – bis <strong>wir</strong> es lösen können.Aber bereits im nächsten Vers (3, 22) erwartet uns das nächste Rätsel: „Daß er jetzt nicht <strong>die</strong> Handausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon ißt und ewig lebt!“ (Sogar mit Rufzeichen!)Gott WILL nicht nur, daß der Mensch nicht von <strong>die</strong>sem Baum nascht, er BEFÜRCHTET es sogar,stellt deshalb eine Schar Engel und ein loderndes Flammenschwert bereit, um dem Menschen eineRückkehr in den Garten Eden und <strong>zu</strong>m Baum des Lebens <strong>zu</strong> verwehren. Er legt offensichtlichgroßen Wert dar<strong>auf</strong>, den Menschen in seiner Sterblichkeit gefesselt <strong>zu</strong> sehen. Arbeiten, schwitzen,gebären, leiden; bereuen und Schuldbewußtsein bekunden; Gott verehren und sich ihm unterwerfen;gehorsam sein; hoffen; glauben; anbeten. Der Mensch ist zwar „gleich geworden wie <strong>wir</strong>, er erkenntGut und Böse“, aber sterblich bleiben muß er jetzt allemal. Von einer Rückkehr <strong>zu</strong> Gott ist nicht <strong>die</strong>Rede. Der Mensch ist von Gott verflucht, samt Schlange und Ackerboden.War Gott enttäuscht, verletzt, wütend, eifersüchtig? <strong>Ein</strong> transzendenter Gott kann wohl schwerlichvon einem <strong>die</strong>ser Gefühle überwältigt sein! Was soll das mit Transzendenz und Harmonie und Liebe<strong>zu</strong> tun haben?Aber bleiben <strong>wir</strong> beim Baum des Lebens. Er verleiht also Unsterblichkeit, während der Baum derErkenntnis von Gut und Böse <strong>die</strong> Sterblichkeit nach sich zieht. Klingt irgendwie logisch und leichtnachvollziehbar, klangt nach „Gift und Gegengift“. Ich weiß nicht, wie oft ich darüber gelesen undnachgedacht habe, bis sich mir ganz plötzlich <strong>die</strong> folgende Rätselfrage stellte: Welchen Status hatteneigentlich Adam und Eva, BEVOR sie vom Baum der Erkenntnis aßen? Waren sie unsterblich,obwohl sie NICHT vom Baum des Lebens gegessen hatten? Oder waren sie sterblich, obwohl sieNOCH NICHT vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten?Dieses Rätsel <strong>wir</strong>d wohl niemand lösen, weil es vielleicht schon von der Fragestellung her nichtlösbar ist. Die Genesis ist eben „nur“ eine mythische Geschichte voller Symbolhaftigkeit undErklärungsversuchen, geprägt vom Wissensstand und der Vorstellungswelt der bronzezeitlichenVerfasser. Mythen <strong>sind</strong> völlig legitim und natürlich, aber nur als Mythen voller Sinnbildhaftigkeitsollten sie verstanden werden. Wer eine ABSOLUTE Wahrheit darin sieht, ist wohl <strong>noch</strong> recht weitvom Absoluten entfernt.


47Kain killt Abel. Der erste Mord. SO ALSO kamen nun auch Mord und Totschlag in <strong>die</strong> Welt!Die Frau ist schuld an Sterblichkeit, Sexualität, Scham, Geburtswehen und Schlangenphobie; Adamist schuld an jeglicher Erwerbstätigkeit, Schweiß und dem verfluchten Ackerboden; und Kain istschuld an Mord und Totschlag. So einfach kann Symbolik sein.(Aber war Abels Tod auch das erste Tötungsdelikt? Hat nicht Gott selbst Adam und Eva in Fellegekleidet, bevor er <strong>die</strong> beiden aus dem Para<strong>die</strong>s warf? Woher hat er <strong>die</strong> Felle eigentlich genommen?Extra dafür erschaffen? <strong>Ein</strong>em toten Tier abgezogen? Woran ist es gestorben? Oder hat er es gareinem lebenden Tier abgezogen? Das wohl eher weniger! Aber der Verfasser schweigt sich sowiesoaus. – So kompliziert können symbolische Mythen sein, wenn man nur will!)Kain ist Evas Erstgeborener; wie stark und schmerzhaft <strong>die</strong> Wehen waren, <strong>wir</strong>d nicht überliefert.Auch über Evas zweite Schwangerschaft <strong>wir</strong>d wenig gesagt, außer daß der Junge Abel genanntwurde. Die beiden wuchsen heran und mußten zwangsläufig etwas für ihren Lebenserhalt tun. Kainwurde Ackerbauer, wahrscheinlich ebenso wie schon <strong>zu</strong>vor sein Vater Adam, denn Gott hatte jageboten, daß Adam von den Früchten seiner Felder leben MUSS. Abel jedoch wurde Schafhirte.Wie das? Es <strong>wir</strong>d nichts darüber berichtet, daß Gott seine Auffassung bezüglich der Ernährung desMenschen geändert hatte. Kein Wort von Vieh<strong>zu</strong>cht, Schlachten und Fleischverzehr, nicht einmalvon Milch. Kein Auftrag. Kein Gebot. Aber auch kein Verbot. Nur: Herrsche, mache untertan,unterwerfe! Man muß also davon ausgehen, daß Abel eigenverantwortlich und eigenmächtig <strong>zu</strong>mViehzüchter geworden ist, sich das Recht da<strong>zu</strong> einfach herausgenommen hat. Als Herrscher eben.Ich zitiere Kapitel 4, 3-5: „Nach einiger Zeit brachte Kain dem Herrn ein Opfer von den Früchtendes Feldes dar; auch Abel brachte eines dar von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett.Der Herr schaute <strong>auf</strong> Abel und sein Opfer, aber <strong>auf</strong> Kain und sein Opfer schaute er nicht. Daüberlief es Kain ganz heiß und sein Blick senkte sich.“Man muß davon ausgehen, daß es <strong>noch</strong> keine hundertunddreißig <strong>Ja</strong>hre her war (denn so alt warAdam bei der Zeugung seines dritten Sohnes Seth), daß Gott Adam <strong>zu</strong>m Verzehr seiner Feldfrüchteverdammt hatte. Keine Rede von <strong>Ja</strong>gd oder Vieh<strong>zu</strong>cht. Feldfrüchte. Der Mensch war <strong>noch</strong> immerVegetarier, und zwar <strong>auf</strong> Anordnung Gottes. Und jetzt nimmt Gott das Opfer des Vegetariers undAckerbauers NICHT an, das Opfer des offensichtlich eigenmächtig handelnden Fleischessers undSchlächters sehr wohl. Zudem <strong>wir</strong>d mit keinem Wort erwähnt, wodurch Kain das Mißfallen Gotteserregt haben könnte, nur über seine Reaktion <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zurückweisung seines Opfers <strong>wir</strong>d berichtet.Kains Opfer gefällt Gott einfach nicht. Keine Angaben von Gründen. <strong>Ein</strong>fach so. Dies bezeichnetman heute allgemein als Willkür. Auf keinen Fall kann man darin eine Form von Gerechtigkeiterkennen. Geschieht <strong>die</strong> erste Ungerechtigkeit <strong>auf</strong> Erden durch Gott selbst? <strong>Ja</strong> kann das denn wahrsein!? Ist das wiederum nur eine bronzezeitliche Geschichte eines Beduinenmacho, <strong>die</strong> etwassymbolisch erklären will? Oder soll damit tatsächlich der Wahre und <strong>Ein</strong>e Gott dargestellt werden?Wie kommt Gott urplötzlich da<strong>zu</strong>, Geschmack an verbranntem Fleisch und Fett <strong>zu</strong> empfinden? Wiekann ein Gott des Lebens bloß Befriedigung bei der Opferung tierischer Leichenteile empfinden?Mit keinem einzigen Wort <strong>sind</strong> <strong>zu</strong>vor Adam, Eva, Kain und Abel da<strong>zu</strong> <strong>auf</strong>gefordert worden,irgendwelche Opfer dar<strong>zu</strong>bringen. Wie <strong>sind</strong> sie bloß <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Idee gekommen? Sollte Danksagungnicht im Herzen des Menschen stattfinden? Warum hat Gott bei <strong>die</strong>ser allerersten Opferung nichteingegriffen und gesagt: „Schon gut, ich weiß eure Dankbarkeit <strong>zu</strong> schätzen, aber ich brauche ja garkeine Nahrung, ich habe ja alles, ich bin ja Gott, allwissend, ewig, formlos, unwandelbar. Sagteinfach Dank in euren Herzen, ich weiß schon, wie ihr das meint. Nicht nötig, meinetwegen meineeigenen Geschöpfe <strong>zu</strong> töten.“? Gott hat es nicht nur nicht gesagt, sondern sogar GEFALLENgefunden an Abels bluttriefendem Opfer. Wenn damit tatsächlich <strong>die</strong> Reaktion Gottes <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Opferder beiden Brüder geschildert <strong>wir</strong>d, dann kann ich mit DIESEM Gott nichts anfangen. Vielleichtkann man irgendwelche Gottheiten (devas), Geister und Dämonen mit Opferungen beschwichtigenund <strong>zu</strong> Gegengeschäften erpressen, einen Wahren Transzendenten Gott aber nie und nimmer.Hat sich wieder mal der Verfasser in seiner eigenen naiven Unwissenheit verfangen? Will er damit


49gestorben, vor allem aber kräftig gezeugt, damit sich der fruchtbare Mensch so schnell wie möglichvermehrt, um über <strong>die</strong> ganze Erde herrschen <strong>zu</strong> können.Bis <strong>zu</strong> Noah.Zu Beginn des sechsten Kapitels lesen <strong>wir</strong> folgende seltsame Geschichte:„Als sich <strong>die</strong> Menschen über <strong>die</strong> Erde hin <strong>zu</strong> vermehren begannen und ihnen Töchter geborenwurden, sahen <strong>die</strong> Gottessöhne, wie schön <strong>die</strong> Menschentöchter waren, und sie nahmen sich vonihnen Frauen, wie es ihnen gefiel. Da sprach der Herr: Mein Geist soll nicht für immer imMenschen bleiben, weil er auch Fleisch ist; daher soll seine Lebenszeit hundertzwanzig <strong>Ja</strong>hrebetragen. In jenen Tagen gab es <strong>auf</strong> der Erde <strong>die</strong> Riesen, und auch später <strong>noch</strong>, nachdem sich <strong>die</strong>Gottessöhne mit den Menschentöchtern eingelassen und <strong>die</strong>se ihnen Kinder geboren hatten. Das<strong>sind</strong> <strong>die</strong> Helden der Vorzeit, <strong>die</strong> berühmten Männer.“Welche Gottessöhne ließen sich da mit unseren Weibern ein? Und zeugten <strong>die</strong>se dadurch Riesen?Oder Titanen? Oder Halbgötter wie Herkules? Da mag sich jeder selbst das Hirn zermartern.Jedenfalls finde ich es äußerst seltsam, <strong>die</strong>se Geschichte in der Genesis <strong>zu</strong> finden, der Thora, derBibel, dem Buch des <strong>Ein</strong>en Gottes. Selbst wenn man unter „Gottessöhnen“ verschiedene devasvermuten kann, so <strong>wir</strong>ft <strong>die</strong>se Geschichte den<strong>noch</strong> ein eigenartiges Licht <strong>auf</strong> Gott, dessen Söhne sieja demnach sein müßten. Zeugte Gott höchstselbst Söhne? Oder wie soll das verstanden werden?Obwohl Gott <strong>die</strong> Lebensdauer des Menschen <strong>auf</strong> 120 <strong>Ja</strong>hre beschränkt, ist Noah exakt 600, als <strong>die</strong>große Flut kommt, <strong>die</strong> Gott für notwendig befunden hatte, da <strong>die</strong> Menschen verdorben gewordenwaren, und ebenso <strong>die</strong> ganze Erde, und alle Wesen aus Fleisch. War <strong>die</strong> Schöpfung am Anfang derZeit <strong>noch</strong> vollkommen und gut gewesen, war nun Gott ganz und gar nicht mehr <strong>zu</strong>frieden mit derEntwicklung seiner Schöpfung, er beschloß deren Vernichtung sowie einen Neuanfang. (Hat Gottseine Meinung geändert? War seine Schöpfung doch nicht so ganz super? KANN Gott überhauptseine Meinung ändern, wo er doch allwissend ist? KANN Gott denn überhaupt eine MeinungHABEN?) Die einzigen Menschen, <strong>die</strong> er verschonte, weil sie brav und gerecht waren, waren Noah,seine Frau, ihre drei Söhne (Sem, Ham und <strong>Ja</strong>phet) und deren Frauen, insgesamt acht also.Erinnern <strong>wir</strong> uns an <strong>die</strong> sieben Urmütter und <strong>die</strong> moderne Mitochondrien-Forschung – und <strong>die</strong>Rechnung geht nicht <strong>auf</strong>. Noahs Frau und ihre drei Söhne mußten <strong>die</strong> selbe Mitochondrien-Art<strong>auf</strong>weisen, also konnte es gemeinsam mit Noah und seinen Schwiegertöchtern nur <strong>die</strong> Zahl vonmaximal fünf ergeben. (Und wenn alle von Eva abstammten, konnte es sogar nur eine EINZIGEsein; es sei denn, <strong>die</strong> Evolution geschah damals im Galopp.)Die Geschichte von einer Großen Flut ist eine <strong>auf</strong> allen Kontinenten vor<strong>zu</strong>findende Erzählung.Atlantis versank ebenso wie der legendäre Kontinent Mu. Demnach muß es ein globales Ereignisgewesen sein, nicht nur eine lokale Katastrophe; deshalb vertrete ich nicht <strong>die</strong> Anschauung, daß <strong>die</strong>Geschichte von der Flut lediglich eine Überschwemmung in Mesopotamien oder im Bereich desSchwarzen Meeres darstellen soll, wie manche vermuten; ebensowenig glaube ich, daß mit <strong>die</strong>serGeschichte der Anstieg der Meeresspiegel nach der letzten Eiszeit geschildert <strong>wir</strong>d. Möglicherweisebesteht ein Zusammenhang mit dem Ausbruch eines Supervulkans namens Toba (im heutigenIndonesien), der vor über 70 000 <strong>Ja</strong>hren einen verheerenden Tsunami ausgelöst haben könnte. Daß<strong>die</strong> Erinnerung an <strong>die</strong>se Flutkatastrophe in Form von Mythen und Legenden erhalten blieb, ist fürmich recht leicht nachvollziehbar. Insofern ist <strong>die</strong> Darstellung in der Genesis nur eine Variante untervielen. Die Entzifferung der mesopotamischen Keilschrift hat gezeigt, daß der biblische Mythos vonder Sintlut vom wesentlich älteren Gilgamesch-Epos übernommen wurde. Jedenfalls könnte nach<strong>die</strong>ser Katastrophe wieder „Steinzeit extrem“ angesagt gewesen sein.Aber es ist ja nur eine Legende, ein Mythos, eine Geschichte mit Symbolcharakter; eine Geschichteaus der Bronzezeit, <strong>die</strong> das Heilsangebot Gottes an den Menschen untermalen soll. Oder?Allerdings habe ich bis <strong>zu</strong>r Sintflut nichts von einem Heilsangebot mitgekriegt, nur von einemHerrschaftsangebot. Mit Noah jedoch schließt Gott einen Bund, mit seinen Nachkommen und sogarmit allen Tieren, <strong>die</strong> in Noahs Arche überlebten; Gott schließt mit ihnen einen relativ kleinen Bund,angesichts <strong>die</strong>ser Neuschöpfung verspricht Gott nur: keine Flut mehr; das Zeichen <strong>die</strong>ses Bundes ist


50der Regenbogen. (Allerdings hat es <strong>noch</strong> lange gedauert, bis der Regenbogen auch erklärt werdenkonnte als das, was er ist: ein optisches Phänomen, Lichtbrechung.)Aber viel interessanter als Gottes Versprechen ist (wieder einmal!) seine Botschaft und sein Auftragan den Menschen: „Seid fruchtbar, vermehrt euch und bevölkert <strong>die</strong> Erde! Furcht und Schrecken voreuch soll sich <strong>auf</strong> alle Tiere der Erde legen, <strong>auf</strong> alle Vögel des Himmels, <strong>auf</strong> alles, was sich <strong>auf</strong> derErde regt, und <strong>auf</strong> alle Fische des Meeres; euch <strong>sind</strong> sie übergeben.“(Furcht und Schrecken <strong>sind</strong> wohl offensichtlich Realität geworden! Überbevölkerung ebenso.)„Alles Lebendige, das sich regt, soll euch <strong>zu</strong>r Nahrung <strong>die</strong>nen. Alles übergebe ich euch wie <strong>die</strong>grünen Pflanzen. Nur Fleisch, in dem <strong>noch</strong> Blut ist, dürft ihr nicht essen.“(Frage: Wenn schon das zweifach geforderte Vegetariertum nun endgültig ad acta gelegt <strong>wir</strong>d – wiesoll es jemals Fleisch ohne Blut geben? Wohl nur in Form von Kohle!)Es folgt <strong>zu</strong>r Abwechslung nicht ein Herrschaftsgebot über <strong>die</strong> Erde und seine Geschöpfe, sonderneine konkrete Bemerkung <strong>zu</strong>m Zusammenleben der Menschen: „Wenn aber euer Blut vergossen<strong>wir</strong>d, fordere ich Rechenschaft, und zwar für das Blut von jedem von euch. Von jedem Tier fordereich Rechenschaft und vom Menschen.“ (Wieso vom Tier? Hat ein Tier denn einen freien Willen, umüber seine Handlungen Rechenschaft ablegen <strong>zu</strong> können? Ist der freie Wille etwa nicht nur demMenschen <strong>zu</strong>gestanden?) „Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft von jedem seinerBrüder.“ (BRÜDER!) „Wer Menschenblut vergießt, dessen Blut <strong>wir</strong>d durch Menschen vergossen.“(Trifft leider nicht immer <strong>zu</strong>; selbst Massenmörder können blutfrei sterben.) „Denn: Als AbbildGottes hat er den Menschen gemacht.“ (Entweder hat der Verfasser versehentlich <strong>die</strong>ses „er“ fallenlassen, oder Gott spricht über sich selbst in der dritten Person, oder er spricht über eine drittePerson, oder ein weiterer Autor spricht über ihn. Wieder ein kleines Rätsel?!!?)Das 9. Kapitel hat <strong>noch</strong> eine weitere seltsame Erzählung <strong>auf</strong><strong>zu</strong>weisen: Noah, „der erste Ackerbauer“(War das nicht Adam? Oder Kain?) pflanzt einen Weinberg und liegt eines Tages stockbesoffen inseinem Zelt, <strong>die</strong> Kleidung ist ihm hochgerutscht, sodaß sein Sohn Ham, der Vater Kanaans, seineGenitalien sehen kann. Ham erzählt davon seinen Brüdern Sem und <strong>Ja</strong>phet. Diese wiederumnehmen einen Überwurf, gehen rückwärts ins Zelt, bedecken <strong>die</strong> Blöße ihres Vaters und gehenwieder hinaus. „Als Noah aus seinem Rausch erwachte und erfuhr, was ihm sein zweiter Sohnangetan hatte, sagte er: Verflucht sei Kanaan. Der niedrigste Knecht sei er seinen Brüdern. Undweiter sagte er: Gepriesen sei der Herr, der Gott Sems, Kanaan aber sei sein Knecht. Raum schaffeGott für <strong>Ja</strong>phet. In Sems Zelten wohne er, Kanaan aber sei sein Knecht.“Noah verflucht demnach nicht seinen Sohn Ham, der sich über <strong>die</strong> rauschbedingte Nacktheit seinesVaters amüsierte, sondern seinen Enkel Kanaan. Woher nimmt Noah sich eigentlich das Recht <strong>zu</strong><strong>die</strong>sem Fluch? Von einer Erlaubnis Gottes ist nichts <strong>zu</strong> lesen. Also muß Noah wohl eigenmächtiggehandelt haben. Mit seinem Fluch ist plötzlich <strong>die</strong> Brüderlichkeit abgeschaft und <strong>die</strong> Knechtschafteingeführt. Plötzlich sollte nicht nur <strong>die</strong> Frau dem Manne <strong>die</strong>nen, sondern der eine Teil derVerwandtschaft dem anderen Teil. Sogar Sippenhaftung <strong>wir</strong>d eingeführt; Kanaan <strong>wir</strong>d für <strong>die</strong>Handlungen seines Vaters Ham verflucht, und mit ihm seine ganze Nachkommenschaft. Weit vordem Antisemitismus wurden Antihamitismus und Antikanaanismus (Antikanaanitismus?) erfunden!Noah verflucht, und Gott ist es recht und billig. Und das nur wenige <strong>Ja</strong>hrzehnte nach demNeubeginn, nachdem <strong>die</strong> verdorbene Welt zerstört werden mußte!Abgesehen von <strong>die</strong>sen Zitaten aus dem 9. Kapitel glaube ich, daß über Noah und <strong>die</strong> Flut nichtunbedingt mehr als hier erwähnt nach<strong>zu</strong>denken ist. Dieser Stoff ist nur all<strong>zu</strong> bekannt und geläufig.(Viele Kleingeister sehen in <strong>die</strong>ser Erzählung sogar eine Erklärung dafür, warum es ausgestorbeneTierarten wie z.B. Dinosaurier nicht mehr gibt. Allerdings müßten <strong>zu</strong>r Unterstüt<strong>zu</strong>ng <strong>die</strong>ser Thesediverse Wissenschaften und sogar einige Naturgesetze eliminiert werden.)Bevor <strong>wir</strong> uns der nächsten großen Persönlichkeit der Thora (und der Bibel sowie des Koran)<strong>zu</strong>wenden, muß ich unbedingt <strong>die</strong> ersten neun Verse des elften Kapitels wörtlich zitieren; schließlichhandelt es sich um eine der beliebtesten Geschichten der Genesis, <strong>die</strong> Geschichte von Hochmut undFall des Menschen, <strong>die</strong> Geschichte von dessen Aufbegehren gegen Gott, <strong>die</strong> Geschichte von der


51Sprachenver<strong>wir</strong>rung, <strong>die</strong> Geschichte vom Turmbau <strong>zu</strong> Babel.„Alle Menschen hatten <strong>die</strong> gleiche Sprache und gebrauchten <strong>die</strong> gleichen Worte. Als sie von Osten<strong>auf</strong>brachen, fanden sie eine Ebene im Land Schinar und siedelten sich dort an. Sie sagten<strong>zu</strong>einander: Auf, formen <strong>wir</strong> Lehmziegel und brennen <strong>wir</strong> sie <strong>zu</strong> Backsteinen. So <strong>die</strong>nten ihnengebrannte Ziegel als Steine und Erdpech als Mörtel. Dann sagten sie: Auf, bauen <strong>wir</strong> uns eine Stadtund einen Turm mit einer Spitze bis <strong>zu</strong>m Himmel und machen <strong>wir</strong> uns damit einen Namen, dannwerden <strong>wir</strong> uns nicht über <strong>die</strong> ganze Erde zerstreuen. Da stieg der Herr herab, um sich Stadt undTurm an<strong>zu</strong>sehen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Menschenkinder bauten. Er sprach: Seht nur, EIN Volk <strong>sind</strong> sie und EINESprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihres Tuns. Jetzt <strong>wir</strong>d ihnen nichts mehrunerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen <strong>wir</strong> hinab und ver<strong>wir</strong>ren <strong>wir</strong> dort ihreSprache, sodaß keiner mehr <strong>die</strong> Sprache des anderen versteht. Der Herr zerstreute sie von dort ausüber <strong>die</strong> ganze Erde und sie hörten <strong>auf</strong>, an der Stadt <strong>zu</strong> bauen. Darum nannte man <strong>die</strong> Stadt Babel(Wirrsal), denn dort hat der Herr <strong>die</strong> Sprache aller Welt ver<strong>wir</strong>rt, und von dort aus hat er <strong>die</strong>Menschen über <strong>die</strong> ganze Erde verstreut.“Wie <strong>die</strong> <strong>zu</strong>vor erwähnte Geschichte von den Gottessöhnen und ihren sexuellen Umtrieben stehtauch <strong>die</strong> Geschichte vom Turmbau völlig ohne Zusammenhang mit dem Text vorher oder nachher.Offensichtlich <strong>sind</strong> sie <strong>Ein</strong>schübe; ob vom selben Autor oder nicht, sei dahingestellt, ist in meinenAugen auch unwichtig. (Mir ist es ziemlich egal, wie viele Verfasser <strong>die</strong> fünf Bücher Mosegeschrieben haben, vier oder vierzehn oder vierzig.)Jedenfalls scheint der Verfasser von Lehmziegeln, Erdpech (Naturasphalt) und Städten insgesamtnicht viel gehalten <strong>zu</strong> haben, er dürfte wohl ein Landbewohner gewesen sein, vielleicht sogar einzeltbewohnender Nomade. Daß alle Menschen <strong>die</strong> gleiche Sprache gesprochen hatten, kann wohlnichts Schlechtes gewesen sein, ist <strong>noch</strong> heute eine Idealvorstellung.Wiederum zitiere ich <strong>die</strong> passende Fußnote: „An der alten Tradition von Babel als dem Schauplatzder Sprachenver<strong>wir</strong>rung zeigt der Erzähler, daß hohe Zivilisation ohne Bindung an Gott <strong>die</strong>Menschen nicht eint und innerlich einander näher bringt, sondern sie entzweit, sodaß sie sichgegenseitig nicht mehr verstehen.“Also DAS ist meiner Meinung nach ein echt starkes Stück christlicher Gelehrsamkeit aus demabgehobenen Elfenbeinturm der religiösen Doppelmoral! Als hätten Judentum, Christentum undIslam erheblich da<strong>zu</strong> beigetragen, <strong>die</strong> Menschen einander näher <strong>zu</strong> bringen und <strong>zu</strong> einen! Das Volkder Israeliten/Hebräer/Juden hat fast ständig gegen Nachbarn gekämpft und sie kräftig <strong>auf</strong>gemischt,außer wenn sie selbst eins <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Mütze bekommen haben; lediglich im Exil (d.h. unter fremderHerrschaft) haben sie sich weitgehend der Gewalt enthalten. Von Beginn des ebenso auserwähltenChristentums an waren sich Juden und Christen nicht unbedingt freundlich gesonnen, wobeierheblich mehr Juden ins Gras bissen als Christen. Noch heute ist der christliche Antisemitismusnicht überwunden! Die nächstenliebende Christenheit hat hervorragend dreingehaut, wenn es gegenirgendwelche Heiden ging, und auch untereinander hat sie kräftig gewütet. <strong>Ein</strong>e Bischofskonferenzim <strong>Ja</strong>hre 366 forderte in Rom 137 Todesopfer – unter den Konferenzteilnehmern! Da war's wohl<strong>wir</strong>klich nicht mehr weit <strong>zu</strong> Kreuzzügen, Hexen- und Ketzerverbrennungen und Religionskriegenaller Art! Auch <strong>die</strong> ebenfalls auserwählten Muslime kämpften und kämpfen untereinander sowiegegen Christen und Juden, das ist gewissermaßen Tradition. Man beschimpft sich gegenseitig alsUngläubige und Irrgläubige, und wenn Worte nicht mehr ausreichen, muß eben Blut fließen.Näher bringen, einen, verstehen, Bindung an Gott? Von wegen! Nur eitle und selbstgefälligeSelbstbeweihräucherung diverser pseudo-elitärer Hochreligions-Verfechter mit Führungs- undWahrheitsanspruch! Steigt doch bitte mal herunter von eurem Thron der „Hochreligion“ und macht<strong>die</strong> Augen <strong>auf</strong>! Praktiziert erst mal, was ihr predigt, dann <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit eures Lebensund eurer Taten selbst für sich sprechen! Gerade <strong>die</strong> Tatsache, daß <strong>die</strong> drei „Hochreligionen“ sich sogut wie andauernd gegenseitig bekämpfen, zeigt doch offensichtlich, daß <strong>die</strong> Zivilisation Babelsjederzeit und spielend leicht übertroffen werden kann von Religionen und Traditionen, <strong>die</strong> immensgroßen Wert dar<strong>auf</strong> legen, eine Bindung an Gott <strong>zu</strong> besitzen und in seinem Namen <strong>zu</strong> handeln.


52Woran kann man eigentlich erkennen, daß Babel keine Bindung an Gott besaß? Etwa daran, daßihre Bewohner nur eine einzige Sprache verwendeten? Oder Städte bauten? Erdpech benutzten undLehmziegel brannten? Daß sie sich nicht über <strong>die</strong> ganze Erde verstreuen wollten? Das wohl sichernicht! Nur EIN EINZIGER Satz deutet <strong>auf</strong> eine Verfehlung Babels hin: „Auf, bauen <strong>wir</strong> uns eineStadt und einen Turm mit einer Spitze bis <strong>zu</strong>m Himmel und machen <strong>wir</strong> uns damit einen Namen,dann werden <strong>wir</strong> uns nicht über <strong>die</strong> ganze Erde zerstreuen.“ Aha! Turmbau bis in den Himmel, sichdamit einen Namen machen! Aber was soll daran so besonders und verwerflich und gottlos sein?Bis ins zwanzigste <strong>Ja</strong>hrhundert hinein waren <strong>die</strong> höchsten Bauten fast immer und nahe<strong>zu</strong> überallSakralbauten: ägyptische und indianische Pyramiden, Tempel, Tempelpaläste, Klosterburgen,Kirchen, Moscheen und Minarette, Totempfähle. (<strong>Ein</strong>e Ausnahme ist vielleicht das Kolosseum inRom, aber auch nur vielleicht, denn auch das Kolosseum kann als Kultstätte interpretiert werden,der Kaiser galt ja als göttlich.) Immer und überall hat <strong>die</strong> „spirituelle Elite“ Wert dar<strong>auf</strong> gelegt, daßweltliche Paläste nicht höher sein sollten als <strong>die</strong> Verehrungsstätten ihrer jeweiligen Religion.Überall hat der Mensch Kultstätten und Sakralbauten <strong>auf</strong> Hügeln und Bergen errichtet; der MenschWILL offensichtlich in <strong>die</strong> Höhe bauen; er WILL dem Himmel nahe sein, das ist ihm anscheinendein völlig natürliches Bedürfnis, sei's nun in den Höhen oder in der <strong>Ein</strong>öde. Welch „hochreligiöser“Hochmut, anderen Kulturen Unbescheidenheit und Gottlosigkeit vor<strong>zu</strong>werfen und selber in <strong>die</strong>Höhe <strong>zu</strong> bauen! Welch doppelzüngige Überheblichkeit im Namen Gottes und <strong>zu</strong> dessen Ehre! Nochheute versuchen sich weltliche und religiöse Bauherren im Monumentalismus ihrer Bauwerke <strong>zu</strong>übertreffen – und sich damit so nebenbei „einen Namen <strong>zu</strong> machen“. Außerdem <strong>sind</strong> weit mehrSakralbauten der monotheistischen Kulturen nach einer religiösen oder politischen Persönlichkeitim „Dienste“ der Religion benannt, als <strong>die</strong>s in anderen Kulturen der Fall ist.Übrigens ist <strong>die</strong> moderne Wissenschaft durch Entzifferung diverser Tontafeln <strong>zu</strong>r Erkenntnisgelangt, daß der legendäre Turm, eines der sieben antiken Weltwunder, <strong>zu</strong> Ehren des SchöpfergottesMarduks errichtet worden war, welcher sich nach <strong>Ja</strong>hrhunderten des Polytheismus als „HöchsterGott“ herauskristallisiert hatte – ein Ausdruck, der auch in der Bibel häufig gebraucht <strong>wir</strong>d.Diese peinliche Fußnote sehe ich lediglich als mißglückten Erklärungsversuch für einen anderenErklärungsversuch, nämlich dem eines naiven Gläubigen aus der Bronzezeit, um <strong>die</strong> Existenzverschiedener Sprachen begreiflich <strong>zu</strong> machen.Hochinteressant aber finde ich <strong>die</strong> Reaktion Gottes <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zivilisation Babels:„Seht nur, EIN Volk <strong>sind</strong> sie und EINE Sprache haben sie alle. Und das ist erst der Anfang ihresTuns. Jetzt <strong>wir</strong>d ihnen nichts mehr unerreichbar sein, was sie sich auch vornehmen. Auf, steigen <strong>wir</strong>hinab und ver<strong>wir</strong>ren <strong>wir</strong> dort ihre Sprache, sodaß keiner mehr <strong>die</strong> Sprache des anderen versteht.“Kein einziges Wort davon, daß sie gegen Gott <strong>auf</strong>begehren, kein Wort davon, daß sie Gott vonseinem himmlischen Thron stoßen wollen. Hingegen zeigt Gott sich eifersüchtig. Zuerst hat ermehrmals den Menschen <strong>zu</strong>r Herrschaft über <strong>die</strong> Natur und den ganzen Planeten <strong>auf</strong>gefordert, undplötzlich scheint ihm sein Abbild ZU mächtig geworden <strong>zu</strong> sein; es scheint ihm nicht <strong>zu</strong> passen, wieweit seine Schöpfung sich bereits entwickelt hat, er muß den Menschen <strong>Ein</strong>halt gebieten, sonst„<strong>wir</strong>d ihnen nichts mehr unerreichbar sein“.Fürchtet sich Gott etwa vor den Menschen? Wie könnte das wohl möglich sein? Und warum sollteGott <strong>die</strong> wundervolle Spracheinheit zerstören müssen und <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>heit des Volkes? Hat er <strong>die</strong>senKleinkrieg gegen sein eigenes Abbild denn nötig?Erneut verwendet Gott in seiner Ansprache <strong>die</strong> Worte „seht“ und „<strong>wir</strong>“. Selbstverständlich stellensich mir wieder <strong>die</strong> gleichen Fragen wie bei der Erzählung von Adam und Eva.Nein, da muß doch wieder einmal der bronzezeitliche Verfasser irgendwie einen Bock geschossenhaben, indem er einen eifersüchtigen und um seine Herrschaft fürchtenden Gott darstellt. Mit einemallmächtigen Gott ist <strong>die</strong>se Geschichte wohl nur schwer in Beziehung <strong>zu</strong> setzen.Wie Babylon <strong>zu</strong>m Inbegriff einer gottlosen Gesellschaft und des menschlichen Hochmuts werdenkonnte, ist mir schleierhaft; einen Sündenpfuhl kann ich wahrlich nicht erkennen.


53(An sich hätte ich <strong>noch</strong> etwas <strong>zu</strong> <strong>die</strong>ser Geschichte über Babel an<strong>zu</strong>merken, aber damit würde ichvorwegnehmen, was erst später betrachtet werden soll. Also bitte ich euch, hier ein Lesezeichen imGeiste ein<strong>zu</strong>legen, und führe hiermit eine literaturhistorische Neuheit ein: den „Doppelanfang“eines Kapitels. (Das adäquate Fremdwort dafür sollen sich andere einfallen lassen.))Abram (wie er hieß, bevor er den Namen Abraham erhielt) ist der Sohn Terachs, welcher direkt(na logisch!) von Noah abstammt, und zwar über Sem, Arpachschad, Schelach, Eber, Peleg, Regu,Serug und Nahor, dessen Sohn Terach war.Die Genesis betont, daß ALLE Völker Nachfahren der Söhne Noahs <strong>sind</strong>, von Sem, Ham und<strong>Ja</strong>phet. (Damit wären <strong>wir</strong> ja nicht nur mitochondrientechnisch, sondern auch biblisch fun<strong>die</strong>rtmiteinander verwandt, also Brüder und Schwestern. Warum aber benehmen <strong>wir</strong> uns nicht alssolche? Wäre doch schwerstens an der Zeit!)Noah war 600 <strong>Ja</strong>hre alt, als <strong>die</strong> Flut kam, und lebte danach <strong>noch</strong> 350 <strong>Ja</strong>hre. Das heißt, bei einerLebensdauer von 950 <strong>Ja</strong>hren zeugte er lediglich drei Kinder, denn von Töchtern ist nirgendwo <strong>die</strong>Rede. Seine Söhne waren jedenfalls wesentlich fruchtbarer; im 10. Kapitel der Genesis werdenverschiedene Völker (teilweise gleichgesetzt mit Ortsbezeichnungen) <strong>auf</strong>gezählt. Wer jeweilswieviele Söhne und Töchter gezeugt hat, ist unklar. Direkt angeführt <strong>wir</strong>d nur <strong>die</strong> Linie, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>Abram führt. Mit ihm beginnt <strong>die</strong> Ära der Patriarchen oder Erzväter.(Wenn ihr euch <strong>noch</strong> an das theologisch-offizielle Vorwort <strong>zu</strong>r Genesis erinnert oder <strong>zu</strong>rückblättert,<strong>wir</strong>d euch vielleicht eine Zweiteilung des Zitats <strong>auf</strong>gefallen sein; hier folgt nun das fehlendeZwischenstück:)„Die Geschichte der Erzväter und der Söhne <strong>Ja</strong>kobs <strong>sind</strong> zwar in <strong>Ein</strong>zelheiten ebenfalls nichthistorisch nachprüfbar, doch stimmen <strong>die</strong> politischen, sozialen, rechtlichen, kulturellen undreligiösen Zustände, <strong>die</strong> hier geschildert werden, weithin mit den Verhältnissen überein, wie sie <strong>die</strong>heutige Forschung für Palästina und seine Umwelt in der Zeit vor Mose, das heißt für <strong>die</strong>sogenannte Mittlere und Spätere Bronzezeit, erschlossen hat.“(Übrigens ist auch <strong>die</strong> heutige Forschung (sogar <strong>die</strong> Bibelforschung) seit 1980 <strong>noch</strong> ein bißchenheutiger geworden.)Es gibt im Anhang meiner Bibelausgabe auch eine Zeittafel, in der unter anderem <strong>zu</strong> lesen ist:Vor 12 000 v.Chr. Altsteinzeit12 000 - 8 000 Mittlere Steinzeit8 000 - 4 000 Jungsteinzeit4 000 - 3 200 Kupferzeit3 200 - 2 200 Frühbronzezeit2 200 - 1 550 Mittlere Bronzezeit1 550 - 1 200 SpätbronzezeitDa der Aus<strong>zu</strong>g der Israeliten aus Ägypten <strong>zu</strong>meist um das <strong>Ja</strong>hr 1250 v.Chr. angesiedelt <strong>wir</strong>d, muß eswohl korrekt sein, wenn ich <strong>die</strong> Autoren der fünf Bücher Mose als „bronzezeitliche Verfasser“bezeichne. Zumindest <strong>die</strong> mündliche Tradition <strong>die</strong>ser Texte ist bronzezeitlich.Nochmals <strong>zu</strong>r Erinnerung: Die Genesis ist „nicht als Geschichtswerk, sondern als theologischeGeschichtsdeutung mit Betonung <strong>auf</strong> das Heilsangebot Gottes und <strong>die</strong> Reaktion des Menschen <strong>auf</strong><strong>die</strong>ses“ an<strong>zu</strong>sehen.Jedenfalls ist Terach 70 <strong>Ja</strong>hre alt, als er Abram, Nahor und Haran zeugt. (Demnach müßten sieDrillinge gewesen sein oder aber von verschiedenen Müttern; das ist aber eher nebensächlich und,wie gesagt, historisch nicht nachprüfbar.)Haran zeugt einen Sohn, Lot; dessen Mutter <strong>wir</strong>d nicht erwähnt; dann stirbt Haran, <strong>noch</strong> vor seinemVater Terach.Nahors Frau Milka ist <strong>die</strong> Tochter Harans, also seine Nichte. Heute bezeichnet man eine derartige


54Beziehung als inzestiös. Aber wen hätte man damals denn heiraten sollen, wenn nicht einenVerwandten?Abram heiratet seine Halbschwester Sarai (<strong>zu</strong> Abraham und Sara werden sie erst später); Abram undSarai haben den selben Vater, Terach, aber verschiedene Mütter (nach<strong>zu</strong>lesen in Kapitel 20, Vers12); Sarais Mutter <strong>wir</strong>d namentlich nicht erwähnt. Heute nennt man eine derartige Beziehunghöchst-inzestiös. Damals war es anscheinend kein Problem, <strong>die</strong> Tochter seines Vaters <strong>zu</strong> heiraten;aber <strong>die</strong> Tochter seiner Mutter <strong>zu</strong> heiraten, galt als verwerflich und schändlich, war ein Tabu. (Daßgerade in einer ausschließlich patriarchalischen Kultur ein sexuell-moralisch-religiöses Tabu über<strong>die</strong> weibliche Linie geschaffen wurde, ist bemerkenswert, meiner rein subjektiven Meinung nachbemerkenswert falsch und bemerkenswert dumm.)Sarai ist unfruchtbar.„Terach nahm seinen Sohn Abram, seinen Enkel Lot, den Sohn Harans, und seine SchwiegertochterSarai, <strong>die</strong> Frau seines Sohnes Abram, und sie wanderten miteinander aus Ur in Chaldäa aus, um indas Land Kanaan <strong>zu</strong> ziehen.“Ur konnte übrigens im heutigen Süd-Irak, also im damaligen Mesopotamien, lokalisiert werden.„Als sie aber nach Haran kamen, siedelten sie sich dort an.“Haran liegt im Süden der heutigen Türkei, im Grenzgebiet <strong>zu</strong> Syrien, am Ufer des Euphrat. Woher<strong>die</strong> Namensgleichheit mit Terachs verstorbenem Sohn kommt, <strong>wir</strong>d nicht erwähnt.„Die Lebenszeit Terachs betrug 205 <strong>Ja</strong>hre, dann starb Terach in Haran.“So endet das 11. Kapitel der Genesis; das 12. beginnt wie folgt:„Der Herr sprach <strong>zu</strong> Abram: Zieh weg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinemVaterhaus in das Land, das ich dir zeigen werde.“Drei Verse später heißt es:„Da zog Abram weg, wie der Herr ihm gesagt hatte, und mit ihm ging auch Lot. Abram war 75<strong>Ja</strong>hre alt, als er aus Haran fortzog. Abram nahm seine Frau Sarai mit, seinen Neffen Lot und alleihre Habe, <strong>die</strong> sie erworben hatten, und <strong>die</strong> Knechte und Mägde, <strong>die</strong> sie in Haran gewonnen hatten.“Nun laßt uns ein bißchen rechnen: Terach war 70 <strong>Ja</strong>hre alt, als er Abram zeugte; als Abram mit 75aus Haran fortzog, muß Terach also <strong>noch</strong> gelebt haben, war 145 oder 146 <strong>Ja</strong>hre alt und hatte <strong>noch</strong>59 oder 60 <strong>Ja</strong>hre vor sich. Allerdings <strong>wir</strong>d über Terachs Tod bereits VOR Abrams Fort<strong>zu</strong>g berichtet.Wäre Abram aber erst NACH Terachs Tod im Alter von 205 <strong>Ja</strong>hren fortgezogen, wäre Abrammindestens 135 gewesen und in der Zwischenzeit schon Vater zweier erwachsener Söhne, und Saraiin ihrem letzten Lebensjahr. (Sie wurde 127 und war neun <strong>Ja</strong>hre jünger als Abram.) Also MUSSAbram schon VOR Terachs Tod fortgezogen sein; demnach muß er seinen Vater in Haran<strong>zu</strong>rückgelassen haben und es auch 25 oder 30 <strong>Ja</strong>hre später nicht für wert befunden haben, seineSöhne ihrem Großvater vor<strong>zu</strong>stellen oder sonstwie in Kontakt <strong>zu</strong> seinem Vater <strong>zu</strong> bleiben.Alles ziemlich rätselhaft bis unlogisch.Und von einer Relativität der Zeit ist in der Thora selbstverständlich <strong>noch</strong> nichts <strong>zu</strong> lesen.Rechnen <strong>wir</strong> NOCH ein bißchen; fragen <strong>wir</strong> uns, wie viele Menschen es <strong>zu</strong>r Zeit Abrams wohlgegeben haben könnte; selbstverständlich bleiben <strong>wir</strong> dabei nicht präzis-historisch, sondernbiblisch-theologisch-geschichtsdeutend. Nach der Flut gab es lediglich sechs vermehrungsfähigeMenschen, denn Noah (und seine Frau) hatten keinerlei Kinder außer Sem, Ham und <strong>Ja</strong>phet. Heuteverdoppelt sich <strong>die</strong> Bevölkerung in den Entwicklungsländern in weniger als 30 <strong>Ja</strong>hren. Bei einerVerdoppelungsrate von 30 <strong>Ja</strong>hren ergäbe sich für <strong>die</strong> Zeit Abrams, also nach zehn Generationen,eine Gesamtbevölkerung von 6 144. Global! Bei einer Verdoppelung innerhalb von 25 <strong>Ja</strong>hrenkommen <strong>wir</strong> <strong>auf</strong> eine Gesamtbevölkerung von 24 576, und selbst bei einer Verdoppelung innerhalbvon 20 <strong>Ja</strong>hren erhielten <strong>wir</strong> nur eine Gesamtbevölkerung von 196 708. Global! Abrams Vorfahrenfingen frühestens mit 29 mit dem Kinderzeugen an. Allerdings <strong>wir</strong>d nicht erwähnt, wie viele Frauen<strong>die</strong> jeweiligen Männer hatten, und schon gar nicht, wievieler Mägde und Dienerinnen sie sichbe<strong>die</strong>nen konnten.Diese Berechnungen <strong>sind</strong> selbstverständlich eine Farce. Selbstverständlich muß <strong>die</strong> weltweite


55Gesamtbevölkerung um das <strong>Ja</strong>hr 1800 oder 1700 v.Chr. erheblich größer gewesen sein. Dieserreicht man <strong>zu</strong>m Beispiel bei einer Vervierfachung der Bevölkerung nach der Sintflut innerhalbvon 30 <strong>Ja</strong>hren, dann kämen <strong>wir</strong> <strong>auf</strong> 6 294 656, also <strong>auf</strong> etwas mehr als sechs Millionen. Aber ichvermute, nicht einmal das ergäbe eine annähernd korrekte Zahl. Immerhin <strong>sind</strong> aus <strong>die</strong>ser Zeitbereits Hochkulturen aus Ägypten, Mesopotamien, China, dem Indus-Tal und aus der heutigenTürkei bekannt. Bewohnt waren jedenfalls ALLE Kontinente.Aber <strong>die</strong>se nasenbohrerische Rechnerei soll etwas da<strong>zu</strong> beitragen, Zahlenangaben in der Bibel nichtunbedingt wörtlich <strong>zu</strong> nehmen, was uns wieder <strong>zu</strong> Abram und Terach <strong>zu</strong>rückbringt. War Terach nunbereits tot? Oder ging Abram ohne ihn? Rein rechnerisch müßte Abram seinen Vater <strong>zu</strong>rückgelassenhaben. Aber von der Erzählung her war Terach bereits tot, als Abram <strong>auf</strong>brach.Ich erinnere an das theologisch abgesicherte Vorwort: keine Geschichtsschreibung, sondernGeschichtsdeutung. Mythen. Symbolhaftigkeit. Theologie. Heilsangebot. Glaube. Aber wenn <strong>wir</strong> <strong>die</strong>bisherigen Zahlenangaben der Genesis schon nicht ernst nehmen dürfen, wie viel <strong>sind</strong> dann <strong>die</strong>übrigen Zahlenangaben in der Bibel <strong>noch</strong> wert? Wie viele <strong>sind</strong> bloß symbolhaft <strong>zu</strong> verstehen?Altersangaben, zwölf Söhne <strong>Ja</strong>kobs, zwölf Stämme Israels, <strong>die</strong> Zahl der Israeliten beim Aus<strong>zu</strong>g ausÄgypten, <strong>die</strong> vierzig <strong>Ja</strong>hre in der Wüste, <strong>die</strong> vierzig Tage und Nächte <strong>auf</strong> dem Berg Sinai, <strong>die</strong>vierzig Täge und Nächte der Sintflut – alles nur Symbolik? Und <strong>die</strong> Erwähnung diverser Völkervielleicht ebenso? Die Eroberung Kanaans? Die Zeit der Richter? Die Zeit der Könige? ABWELCHEM ZEITPUNKT geht <strong>die</strong> mündlich überlieferte Geschichtsdeutung à la Bronzezeiteigentlich in eine etwas konkretere GeschichtsSCHREIBUNG über? Im zehnten <strong>Ja</strong>hrhundert v.Chr.?Im achten? Zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft? Etwa NOCH später? Sind <strong>die</strong>se Fragen reinwissenschaftlich <strong>zu</strong> beantworten, oder müssen <strong>wir</strong> als typische Vertreter des homo sapiens wohlwieder einmal vermuten und annehmen – und glauben?Es <strong>wir</strong>d in der Genesis nicht berichtet, wie alt Abram war, als er nach Haran kam, oder wie lange ersich dort <strong>auf</strong>hielt, aber er konnte sich <strong>zu</strong>sammen mit seinem Neffen Lot Hab und Gut erwerbensowie „Knechte und Mägde, <strong>die</strong> sie in Haran gewonnen hatten.“ (Wie „gewinnt“ man eigentlichKnechte und Mägde? Mir fallen nur zwei Möglichkeiten ein: Reichtum oder Gewalt. Oder eineKombination von beidem. Vorausgesetzt, man sieht in Reichtum nicht auch schon eine Form vonGewalt. Waren damals <strong>die</strong> Begriffe „Diener“, „Knecht“ und „Sklave“ nicht überhaupt identisch?Wer <strong>wir</strong>d schon freiwillig Knecht oder Magd? Wer geht schon freiwillig in Knechtschaft? Wer <strong>wir</strong>dwohl freiwillig Leibeigener? Wohl nur ein Notleidender oder ein Schwachkopf!(Übrigens ist es für mich absolut unverständlich, daß weder in der Thora <strong>noch</strong> in den folgendenjüdischen Schriften des Altertums <strong>noch</strong> im Neuen Testament <strong>noch</strong> im Koran auch nur EINEINZIGES Wort gegen Sklaverei <strong>zu</strong> finden ist! Es muß damals völlig normal gewesen sein, daßMenschen anderen Menschen „gehören“! Anhand <strong>die</strong>ser Schriften ist jedenfalls Sklaverei völliglegitim. (Aber haben <strong>die</strong> Vorwort-Theologen nicht etwas von „Heilsangebot“ gesagt? Und gilt<strong>die</strong>ses Heilsangebot auch für „Heils-Sklaven“?)))Abram zog nicht aus eigenem Entschluß aus Haran fort, sondern „der Herr sprach <strong>zu</strong> Abram: Ziehweg aus deinem Land, von deiner Verwandtschaft und aus deinem Vaterhaus in das Land, das ich dirzeigen werde.“Bedeutet „Vaterhaus“ in <strong>die</strong>sem Zusammenhang, daß sein <strong>noch</strong> lebender Vater <strong>zu</strong>rückbleiben sollte?Und von welcher Verwandtschaft ist hier <strong>die</strong> Rede? Sarai war unfruchtbar. Aus Ur waren sie ohneMägde und sonderlichem Besitz fortgezogen. Demnach mußten sich Terach, Abram und Lot mit dereinheimischen Bevölkerung vermischt haben; und äußerst dominant gewesen sein, wenn sie Habeerwerben sowie Knechte und Mägde „gewinnen“ konnten und Gott <strong>die</strong>ses Gebiet Abrams Landnannte („Zieh weg aus deinem Land!“).Gott fährt in der Erzählung fort mit „Abrahams Berufung“:„Ich werde dich <strong>zu</strong> einem großen Volk machen, dich segnen und deinen Namen groß machen. <strong>Ein</strong>Segen sollst du sein. Ich will segnen, <strong>die</strong> dich segnen; wer dich verwünscht, den will ich verfluchen.Durch dich sollen alle Geschlechter der Erde Segen erlangen.“


56Sowohl Juden als auch Araber sehen in Abraham ihren Stammvater, ihren Urahn. Juden leiten ihreHerkunft von Abrahams Sohn Isaak ab, Araber <strong>die</strong> ihre von Abrahams Sohn Ismael. Christen sehenin ihm eher einen symbolischen Stammvater, keinen verwandtschaftlichen oder genetischen.Daß Abram ein Segen werden solle, gibt Anlaß <strong>zu</strong> abwägenden Unterscheidungen. Für seine Sippe,seine Nachkommen, sein aus ihm entsprossenen Volk war er wohl ein Segen, aber nicht generell.Wenn ich an all das Leid denke, welches <strong>die</strong> drei sich <strong>auf</strong> Abraham berufenden WeltreligionenJudentum, Christentum und Islam sowohl erlitten als auch verursacht haben, kann ich wahrlichnicht viel Segen erkennen. Ganz sicherlich war Abraham <strong>zu</strong> Lebzeiten nicht unbedingt ein Segen für<strong>die</strong> ihn umgebenden Völkerschaften, <strong>die</strong> NICHT seine Art der Gottesverehrung annehmen wollten.Aber zweifellos war er ein Segen für SEINE Leute.<strong>Ein</strong>en Segen für <strong>die</strong> ganze Welt kann ich wahrlich nicht erkennen; der muß wohl <strong>noch</strong> in derZukunft liegen. So wie ich es sehe, hat das jüdische Volk sich immer <strong>auf</strong> sich selbst bezogen undschon vor langer langer Zeit dar<strong>auf</strong> vergessen, den über Abraham ausgesprochenen Segen über <strong>die</strong>ganze Erde <strong>zu</strong> verbreiten. Christen und Muslime versuchten und versuchen <strong>die</strong>s sehr wohl, aberleider überwiegend mit Feuer und Schwert, was erfahrungsgemäß NIE segensreich sein kann, sowieaus machtpolitischen und <strong>wir</strong>tschaftlichen Gründen, also aus Selbstsucht.


57Abram kommt also nach Kanaan, ins Land seiner von Noah verfluchten Ex-Verwandtschaft.(Eigentlich interessant: Gläubige Juden sehen sich <strong>noch</strong> immer als miteinander verwandt, obwohlseit der Zeit der Patriarchen ungefähr 3 700 <strong>Ja</strong>hre vergangen <strong>sind</strong>; seit der Verfluchung Kanaansdurch seinen Großvater Noah <strong>sind</strong> <strong>noch</strong> keine 700 <strong>Ja</strong>hre vergangen, und aus der Verwandtschaft<strong>sind</strong> Fremde und Feinde geworden, werden es bis heute bleiben.)„Abram zog durch das Land bis <strong>zu</strong>r Stätte von Sichem, bis <strong>zu</strong>r Orakeleiche. Die Kanaaniter warendamals im Land. Der Herr erschien Abram und sprach: Deinen Nachkommen gebe ich <strong>die</strong>ses Land.“Damit waren Konflikte quasi vorprogrammiert, sollten <strong>die</strong> Kanaaniter nicht vorher aussterben oderauswandern oder sich innerhalb Abrahams Nachkommenschaft integrieren. (Und es kam tatsächlich<strong>zu</strong> erheblichen Konflikten.)„Dort baute er dem Herrn, der ihm erschienen war, einen Altar. Von da brach er <strong>auf</strong> <strong>zu</strong>m Berglandöstlich von Bet-El und schlug sein Zelt so <strong>auf</strong>, daß er Bet-El im Westen und Ai im Osten hatte. Dortbaute er dem Herrn einen Altar und rief den Namen des Herrn an. Dann zog Abram immer weiter,dem Negeb <strong>zu</strong>.“In beiden Teilzitaten spricht Gott nicht nur mit Abram, er ERSCHEINT ihm. Abram hat ihn alsoGESEHEN. Aber mit keinem einzigen Wort <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ses absolut außergewöhnliche Ereignis näherbeschrieben; immerhin hatte seit der Vertreibung aus dem Para<strong>die</strong>s niemand mehr Gott gesehen, nurgehört. Jeder normale Mensch würde fragen: „Was, du hast Gott gesehen? Wo? Wie sieht er aus?Wie <strong>wir</strong>, <strong>die</strong> <strong>wir</strong> seine Abbilder <strong>sind</strong>? Ist er von Licht umgeben? Wieviele Hände hat er? Hat erFlügel? Sprich! Erzähle doch! Bitte!“ Abram und der Verfasser schweigen sich jedoch völlig aus.Zum ersten Mal in der eigentlichen Menschheitsgeschichte erscheint Gott einem Menschen, und<strong>die</strong>ses spektakuläre Ereignis <strong>wir</strong>d abgetan mit „er erschien“.Aber warum zieht Abram weiter, der Wüste Negeb <strong>zu</strong>? Warum bleibt er nicht einfach in der Gegendvon Bet-El, etwas nördlich von Jerusalem <strong>auf</strong> halbem Weg nach Sichem? Beide Orte gab es <strong>zu</strong>rdamaligen Zeit ja schon, sie waren sogar STÄDTE, nicht bloß „Stätten“! (Erwähnt in ägyptischenTexten des 20. und 19. <strong>Ja</strong>hrhunderts v.Chr., erwähnt in der Zeittafel meiner Bibelausgabe. Auchweiter nördlich befanden sich diverse Städte und sogar Stadtstaaten, und <strong>noch</strong> etwas weiter nördlichwar das Reich der Hethiter.)Abram baut also Altäre und ruft den Namen Gottes an. Also muß ihm <strong>die</strong>ser Name bekannt gewesensein; aber bisher wurde in <strong>die</strong>ser Schrift der Name <strong>noch</strong> nicht genannt.Es folgt eine Erzählung, <strong>die</strong> mich richtiggehend erschüttert hat (Kapitel 12, Vers 10-20):„Als über das Land eine Hungersnot kam, zog Abram nach Ägypten hinab, um dort <strong>zu</strong> bleiben; denn<strong>die</strong> Hungersnot lastete schwer <strong>auf</strong> dem Land. Als er sich Ägypten näherte, sagte er <strong>zu</strong> seiner FrauSarai: Ich weiß, du bist eine schöne Frau. Wenn dich <strong>die</strong> Ägypter sehen, werden sie sagen: Das istseine Frau!, und sie werden mich erschlagen, dich aber am Leben lassen. Sag doch, du seiest meineSchwester, damit es mir deinetwegen gut geht und ich um deinetwegen am Leben bleibe. Als Abramnach Ägypten kam, sahen <strong>die</strong> Ägypter, daß <strong>die</strong> Frau sehr schön war. Die Beamten des Pharao sahensie und rühmten sie vor dem Pharao. Da holte man <strong>die</strong> Frau in den Palast des Pharao. Er behandelteAbram ihretwegen gut: Abram bekam Schafe und Ziegen, Rinder und Esel, Knechte und Mägde,Eselinnen und Kamele. Als aber der Herr wegen Sarai, der Frau Abrams, den Pharao und sein Hausmit schweren Plagen schlug, ließ der Pharao Abram rufen und sagte: Was hast du mir da angetan?Warum hast du mir nicht gesagt, daß sie deine Frau ist? Warum hast du behauptet, sie sei deineSchwester, sodaß ich sie mir <strong>zu</strong>r Frau nahm? Nun, da hast du deine Frau wieder, nimm sie und geh!Dann ordnete der Pharao seinetwegen Leute ab, <strong>die</strong> ihn, seine Frau und alles, was ihm gehörte,fortgeleiten sollten.“Der Norden der Negeb liegt vom fruchtbaren Nildelta in Luftlinie 400 Kilometer entfernt, außerdemgab es entlang des Mittelmeeres eine recht gut ausgebaute Heeres- und Handelsstraße. Es ist alsoverständlich, daß Abram ins näher gelegene Ägypten zieht und nicht <strong>zu</strong>rück nach Haran an denEuphrat <strong>zu</strong> seinen <strong>zu</strong>rückgebliebenen Verwandten. Weniger verständlich <strong>sind</strong> mir schon Abrams


58Befürchtungen in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> Sarais Schönheit. Immerhin ist sie schon Ende sechzig; auch wenn sie<strong>noch</strong> sechs <strong>Ja</strong>hrzehnte vor sich hatte, dürfte sie nicht mehr wie eine junge, knackige Frau in denZwanzigern ausgesehen haben. Absolut null Verständnis habe ich dafür, daß er sie <strong>zu</strong>r Verleugnungihrer Ehe bewegt. Er fürchtet, daß man ihm seine Frau wegnimmt und ihn tötet. Daß <strong>die</strong>se Furchtvöllig unbegründet war, zeigt Pharaos späteres Verhalten. Abram zeigt sich feige, versteckt sichhinter dem Rockzipfel seiner Frau, xcr sich ins Hemd. Aber nicht nur das (für Feigheit und Angstkann ich durchaus Verständnis <strong>auf</strong>bringen), er unternimmt absolut NICHTS, als Pharao seinEheweib <strong>zu</strong> sich ins Bett nimmt. Pharao vergnügt sich nicht nur mit Sarai, er nimmt sie <strong>zu</strong>r FRAU!Und nicht nur, daß Abram seine eigene Frau in Pharaos Bett steigen läßt, Abram nimmt auch völligungeniert Pharaos Geschenke entgegen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser ihm wegen Sarai <strong>zu</strong>kommen läßt! Während siemit Pharao herumtollt, zählt er vielleicht <strong>die</strong> geschenkten Tiere, Knechte, Mägde, Silber- undGoldgeschenke (siehe Kapitel 13, Vers 2). Anscheinend haben Abram und Sarai nichts gegen <strong>die</strong>seForm von Ehebruch samt Beschenkung ein<strong>zu</strong>wenden.Sehr wohl aber Gott, und er bestraft – Pharao und sein Haus! Den unwissenden, unschuldigen,betrogenen und belogenen Pharao, mitsamt seinem gesamten Volk! Wer vermag es, daran auch nureine SPUR von Gerechtigkeit <strong>zu</strong> erkennen? Ich jedenfalls nicht. Und wie handelt Pharao, als erendlich <strong>die</strong> ganzen Hintergründe <strong>die</strong>ses Dilemmas erfährt? Er macht Abram nicht einmal ernsteVorwürfe, fragt nur: WARUM? Er bestraft Abram nicht, geschweige denn, daß er ihn mit dem Todebedroht. Im Gegenteil: Er läßt ihm seine Geschenke, bietet ihm sogar Geleitschutz, nur damitAbram seine Frau packt und endlich verschwindet.Der einzige Gerechte, das einzige Vorbild in <strong>die</strong>ser Erzählung ist für mich der namenlose Pharao.Sarai hat sich des Ehebruchs, des Betrugs und der gewerbsmäßigen Hurerei schuldig gemacht.Abram hat sich des Betrugs und der gewerbsmäßigen Zuhälterei schuldig gemacht, möglicherweiseauch der unerlaubten Geschenkannahme.<strong>Ein</strong>en Mann, der seine eigene Frau in das Bett eines anderen Mannes legt und dafür auch <strong>noch</strong>ziemlich skrupellos Geschenke entgegennimmt oder ergaunert, nenne ich einfach einen Zuhälter.Die meisten Kulturen und halbwegs modernen Gesetzbücher müßten das wohl ebenso sehen.Und Gott hat keinesfalls Abram und Sarai vor ihrem Verhalten gewarnt oder gar davon abgehalten,sondern sie sogar unterstützt, indem er Pharao bestrafte und nicht <strong>die</strong> eigentlichen Missetäter:Abram und Sarai. <strong>Ein</strong>en derart handelnden Gott kann ich nun <strong>wir</strong>klich nicht verstehen!Jetzt <strong>wir</strong>d so mancher einwenden, <strong>die</strong>se Geschichte wäre doch nur symbolhaft <strong>zu</strong> verstehen;wahrscheinlich sollte nur dar<strong>auf</strong> hingedeutet werden, daß manche von Abrams Sippe sich mit denÄgyptern eingelassen hätten, und daß dafür eben <strong>die</strong> Namen „Sarai“ und „Pharao“ symbolischverwendet worden wären. Aber an anderen Stellen werden auch nicht „symbolisch“ <strong>die</strong> Namen derEhefrauen eingesetzt, wenn <strong>die</strong> eigene Sippschaft mit den umliegenden Völkern sexuell verkehrte.Wenn DIESE Erzählung nur symbolhaft verstanden werden darf, welche Erzählung in <strong>die</strong>ser Schriftist dann überhaupt <strong>noch</strong> irgendwie ernst <strong>zu</strong> nehmen?!?Und Gottes Verhalten ist für mich völlig unerklärlich; es sei denn, man sieht darin einfach nur einparteiisches und ungerechtes Bekenntnis <strong>zu</strong> Abram und dem <strong>die</strong>sem versprochenen Segen. (Er istzwar ein Feigling, aber MEIN Feigling. Er ist zwar ein Lügner und Betrüger, aber MEINER. Er istzwar ein gewinnsüchtiger Zuhälter, aber er ist MEIN Zuhälter.)Aber wenigstens in EINEM Punkt haben Abram und Sarai nicht gelogen: Daß sie Geschwisterwaren!


59Abram und seine Sippe zieht also weiter, <strong>zu</strong>rück nach Kanaan. Sowohl Abram als auch Lot <strong>sind</strong>während ihres Aufenthalts in Ägypten ziemlich wohlhabend, wenn nicht sogar reich geworden.Gold und Silber, Knechte und Mägde, jede Menge Vieh, darunter auch Kamele, <strong>die</strong> nach modernenErkenntnissen <strong>zu</strong>r Zeit Abrahams <strong>noch</strong> gar nicht domestiziert waren, <strong>zu</strong>mindest <strong>noch</strong> nicht in <strong>die</strong>serWeltgegend; aber wenn <strong>die</strong>se Erzählung erst <strong>Ja</strong>hrhunderte später niedergeschrieben wurde, ist <strong>die</strong>serkleine historische Fehler wohl verzeihlich. Auf jeden Fall <strong>sind</strong> Sippschaft und Besitz Abrams undLots dermaßen angewachsen, daß das Land, in welchem sie sich wieder ansiedeln (erneut zwischenBet-El und Ai), sie nicht mehr alle ernähren kann. Immerhin gibt es in <strong>die</strong>sem Landstrich auch <strong>noch</strong>eine unbekannte Anzahl von Kanaanitern und Perisitern. Als <strong>die</strong> Hirten Lots und Abramsuntereinander <strong>zu</strong> streiten beginnen, schlägt Abram <strong>die</strong> Trennung der beiden Sippen vor; und er läßtLot <strong>die</strong> Wahl (der erste sympathische Charakter<strong>zu</strong>g, den ich an Abram entdecken kann). Lotentscheidet sich für das fruchtbare Jordantal und läß sich nahe einer Stadt namens Sodom nieder.(Keine gute Wahl, wie sich bald herausstellen sollte.) Sobald sich Lot und Abram getrennt haben,ergeht erneut Gottes Verheißung an Abram: So weit du nur sehen kannst, gebe ich dir <strong>die</strong>ses Land,dir und deinen Nachkommen, <strong>die</strong> zahlreich werden sollen wie der Staub <strong>auf</strong> der Erde, und zwargebe ich euch das Land für immer. (Von welcher Erhebung zwischen Bet-El und Ai blickte Abrameigentlich ins Land? Wie weit reicht das dortige Blickfeld? Dieser Gebietsanspruch <strong>wir</strong>d allerdingsnur wenig später <strong>noch</strong> weit über den sichtbaren Bereich hinaus ausgedehnt werden, was aber vonder Mehrzahl der Israeliten/Hebräer/Juden KEINESFALLS als Symbolik ausgelegt wurde und <strong>wir</strong>d;Gott spricht anscheinend mal SO und später dann ANDERS, und der opportunistische homo sapienskann es sich dann offensichtlich aussuchen, was ihm besser in den Kram paßt.)Das 13. Kapitel der Genesis endet damit, daß sich Abram weiter im Süden ansiedelt, bei den Eichendes Amoriters Mamre in Hebron. Also hat nicht nur Lots Sippe <strong>die</strong> Gegend im Herzen Kanaansverlassen, sondern auch Abram und seine Leute; <strong>die</strong> Gründe werden nicht erwähnt, vielleicht warenWeiden und Brunnen sogar für eine der beiden Sippen nicht mehr ergiebig genug.Das nun folgende 14. Kapitel finde ich hochinteressant wegen der darin enthaltenen und nur all<strong>zu</strong>leicht überlesenen Hintergrundinformationen:Fünf Könige aus der näheren Umgebung, <strong>die</strong> zwölf <strong>Ja</strong>hre lang dem König von Elam untertan, alsotributpflichtig gewesen waren, fallen im 13. <strong>Ja</strong>hr von ihm ab; im 14. <strong>Ja</strong>hr schreitet Elam, verbündetmit drei anderen Königen, <strong>zu</strong>r Strafexpedition. (Alles in allem durchaus übliche Geschehnisse derWeltgeschichte: <strong>Ein</strong> Volk oder Reich bekriegt und besiegt ein anderes Volk oder Reich und verlangtfür <strong>die</strong>se neu erworbene Oberhoheit Tribut in Form von Edelmetallen, Nahrungsmitteln, Vieh undArbeitskräften, sprich Sklaven. Sobald das tributpflichtige Volk glaubt, stark genug <strong>zu</strong> sein, um <strong>die</strong>Oberhoheit abschütteln <strong>zu</strong> können, stellt es <strong>die</strong> Tributzahlungen ein. Wenn <strong>die</strong> Oberhoheit all<strong>zu</strong>schwach geworden ist, kommt es nicht einmal <strong>zu</strong> Krieg. Ansonsten gibt es eben Blutvergießen.Verlieren <strong>die</strong> Aufständischen, ist <strong>die</strong> Rache meist furchtbar. Gewinnen <strong>die</strong> Aufständischen, geben siesich manchmal mit der wiedergewonnen Freiheit <strong>zu</strong>frieden und schließen vielleicht sogar einenVertrag mit dem alten Feind; aber oft kehren sich <strong>die</strong> Herrschaftsverhältnisse einfach um, und <strong>die</strong>Rache ist <strong>zu</strong>meist furchtbar.Elam (sagt mein Lexikon) ist <strong>die</strong> heutige iranische Provinz Khusestan (Hauptstadt Susa), bei denGriechen bekannt als Elymais, bei den Römern als Susiana, und beherrschte zeitweilig sogar ganzMesoptamien.Der in der Genesis genannte König von Elam heißt Kedor-Laomer und ist verbündet mit denKönigen von Schinar, mit Ellasar, sowie mit einem gewissen Tidal, dem „König der Völker“ (wasimmer auch damit gemeint sein soll). Auf der anderen, der abtrünnigen Seite, stehen <strong>die</strong> Könige vonSodom, Gomorra, Adma, Zebojim und Bela (auch bekannt als Zoar). Das genaue Kriegsgeschen istfür mich etwas undurchsichtig; ich zitiere deshalb das 14. Kapitel ab Vers 5:„Im vierzehnten <strong>Ja</strong>hr kamen Kedor-Laomer und <strong>die</strong> mit ihm verbündeten Könige. Sie schlugen <strong>die</strong>Rafaïter in Aschterot-Karnajim, <strong>die</strong> Susiter in Ham, <strong>die</strong> Emiter in der Ebene von Kirjatajim und <strong>die</strong>


60Horiter in ihrem Gebirge Seïr bis nach El-Paran, das am Rande der Wüste liegt. Auf dem Rückwegkamen sie nach En-Mischpat, das jetzt Kadesch heißt, und verwüsteten das ganze Gebiet derAmalekiter sowie das der Amoriter, <strong>die</strong> in Hazezon-Tamar wohnten.“ (Von allen bisher erwöhntenOrten konnte ich nur zwei identifitieren: Zoar am Südufer des Toten Meeres und Kadesch nahe derheutigen Grenze Israels <strong>zu</strong> Ägypten, südlich von Gaza; wer mag, soll selber weiterforschen, mir istes ehrlich gesagt <strong>zu</strong> mühsam. Auf jeden Fall müssen <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>r Feststellung gelangen, daß im NahenOsten der damaligen Zeit eine ganze Menge verschiedener Völkerschaften oder Stämme angesiedeltwaren, nicht nur drei oder vier.)Zur anscheinend entscheidenden Schlacht treffen sich <strong>die</strong> Heere der verbündeten Könige (vier gegenfünf) im „Siddimtal, das jetzt Salzmeer heißt“ (Vers 3, siehe auch Vers 8). (Soll damit etwa <strong>zu</strong>mAusdruck gebracht werden, daß das Tote Meer im 18. <strong>Ja</strong>hrhundert v.Chr. <strong>noch</strong> gar nicht existierte?Vielleicht erst nach der Zerstörung oder sogar DURCH <strong>die</strong> Zerstörung Sodoms und Gomorrasentstanden ist? Wieder ein Rätsel!?)„Das Siddimtal war voller Erdpechgruben; <strong>die</strong> Könige von Sodom und Gomorra mußten fliehenund fielen dort hinein, <strong>die</strong> Übrigen flohen ins Gebirge.“ (Die Vorkommen von Naturasphalt(Erdpech) müssen den Bewohnern demnach bekannt gewesen sein. In <strong>die</strong>se hinein<strong>zu</strong>fallen zeugtentweder von grenzenloser Dummheit oder (wohl eher) einer exzellenten Strategie des Gegners.)„Die Feinde nahmen <strong>die</strong> ganze Habe von Sodom und Gomorra sowie alle ihre Vorräte mit undzogen ab. Als sie abzogen, nahmen sie auch Lot, den Neffen Abrams, und seine Habe mit; Lotwohnte damals in Sodom.“ (Wiederum allseits bekannte und <strong>noch</strong> immer nicht beseitigte„Nebenerscheinungen“ von kriegerischen Konflikten: plündern, Gefangene verschleppen, zerstören,brandschatzen, vergewaltigen, foltern und töten. Alles ziemlich typische Verhaltensmerkmale deshomo sapiens. Leider.)„<strong>Ein</strong> Flüchtling kam und berichtete es dem Hebräer Abram; Abram wohnte bei den Eichen desAmoriters Mamre, des Bruders Eschkols und Aners, <strong>die</strong> seine Bundesgenossen waren.“ (Hier <strong>wir</strong>dAbram als „Hebräer“ bezeichnet; <strong>zu</strong>m ersten Mal <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ser Begriff in der Bibel verwendet; ein„hebräisches“ Volk kann es allerdings <strong>noch</strong> nicht gegeben haben, Abram ist ja <strong>noch</strong> kinderlos.Weiters <strong>wir</strong>d in <strong>die</strong>sem Vers deutlich, daß Abram mit seiner Sippe keineswegs isoliert als Fremdlingin Kanaan lebt, sondern Verbündete besitzt, sich also <strong>zu</strong>mindest mit einem Teil der einheimischenBevölkerung (trotz religiöser Unterschiede?!) gut stellte (oder gut stellen mußte).)„Als Abram hörte, sein Bruder sei gefangen, musterte er seine ausgebildete Mannschaft,dreihundertachtzehn Mann, <strong>die</strong> alle in seinem Haus geboren waren, und nahm <strong>die</strong> Verfolgung <strong>auf</strong>bis nach Dan.“ (Mit Bruder ist natürlich sein Neffe Lot gemeint. Aber was mag mit „ausgebildeteMannschaft“ gemeint sein? Hirten, <strong>die</strong> so nebenbei in der Handhabung von Waffen geschult waren,oder <strong>zu</strong>m Kriegshandwerk ausgebildete Soldaten? Und auch <strong>die</strong> Anzahl der Mannschaft gibt Anlaß<strong>zu</strong> Fragen. Es ist allerhöchstens zehn <strong>Ja</strong>hre her, daß Abram aus Haran fortgezogen war (damals warer 75; im 16. Kapitel ist Abram 85 <strong>Ja</strong>hre alt, als er seinen Sohn Ismael zeugt); wie konnten alsoZUMINDEST 318 Männer in seinem Haus geboren worden sein? Und wie viele nicht <strong>zu</strong> SoldatenAusgebildete <strong>zu</strong>sätzlich? Und wie viele Frauen? „In seinem Haus geboren“ konnten sie alle wohlnur während seiner Zeit in Haran sein. Das muß ja eine Sippschaft von über tausend Menschengewesen sein! Von einer derartigen Menge ist <strong>zu</strong>vor jedoch <strong>noch</strong> nie <strong>die</strong> Rede gewesen. Wie konntesich Abram mit einer derart großen Menge „bei den Eichen des Amoriters Mamre“ ansiedeln? Wasmag sich Mamre beim Anblick <strong>die</strong>ses kleinen Volkes wohl gedacht haben? Und ALLE <strong>die</strong>seMenschen waren Knechte und Mägde, also Sklaven (siehe auch Kapiel 15, Vers 3).)„In der Nacht verteilten sie sich, er und seine Knechte, um sie <strong>zu</strong> überfallen. Er schlug sie undverfolgte sie bis Hoba, nördlich von Damaskus.“ (Wie groß mag <strong>die</strong> Heerschar der vier Königegewesen sein, wenn 319 Menschen sie vernichtend schlagen konnten? Und warum waren nurAbrams Knechte ins Feld gezogen und dessen Bundesgenossen <strong>zu</strong> Hause geblieben?(Vielleicht sollten <strong>wir</strong> uns einfach erinnern, in welchem Kulturraum <strong>die</strong>se Schrift entstanden ist: imNahen Osten, im Orient, im Morgenland; einer Weltgegend, <strong>die</strong> berühmt ist für „blumige“ Sprache,


61also für Übertreibungen und Ausschmückungen. Jedenfalls <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Zahlenangaben – nicht nur in<strong>die</strong>sem Kapitel – mehr als fragwürdig. Aber es ist das Recht jedes Volkes, seine aus der historischenDunkelheit gekommene Geschichte mit Stilmitteln der Sage und der Legende dar<strong>zu</strong>stellen und <strong>zu</strong>verbrämen; daraus aber den Anspruch <strong>auf</strong> Wahrheit und Wirklichkeit ab<strong>zu</strong>leiten, ist meinerMeinung nach ebenfalls äußerst fragwürdig, wenn nicht sogar absurd; je genauer man <strong>die</strong> Genesis(und <strong>die</strong> folgenden Bücher der Thora) liest, desto <strong>auf</strong>fälliger werden verschiedene Widersprücheund sagenhafte Ausschmückungen und Darstellungen.))„Er brachte <strong>die</strong> ganze Habe <strong>zu</strong>rück, auch seinen Bruder Lot und dessen Besitz sowie <strong>die</strong> Frauen und<strong>die</strong> übrigen Leute. Als er nach dem Sieg über Kedor-Laomer und <strong>die</strong> mit ihm verbündeten Könige<strong>zu</strong>rückkam, zog ihm der König von Sodom ins Schawetal entgegen, das jetzt Königstal heißt.“(Welcher König von Sodom? Der NEUE? Der ALTE ging ja im Erdpech unter. Oder hat er sichetwa, bekleckert von Asphalt, befreien können? Auch hier ist <strong>die</strong> Darstellung ungenau, rätselhaft,sagenhaft; fragwürdig.)Nun <strong>wir</strong>d eine erstaunliche Erzählung angefügt: „Melchisedek, der König von Salem, brachte Brotund Wein heraus. Er war Priester des Höchsten Gottes. Er segnete Abram und sagte: Gesegnet seiAbram vom Höchsten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, und gepriesen sei derHöchste Gott, der deine Feinde an dich ausgeliefert hat.“ (Salem ist Jerusalem; demnach mußMelchisedek König der Jebusiter gewesen sein. Und er ist Hohepriester des Höchsten Gottes. Alsoist Abram keineswegs der einzige Verehrer des Höchsten Gottes; <strong>zu</strong>mindest in Jerusalem muß <strong>die</strong>seReligionsform völlig normal gewesen sein. Auch der Begriff „Höchster Gott“ bietet Anlaß <strong>zu</strong>allerlei Nachfrage und Spekulation. Sind „Höchster Gott“ und der „<strong>Ein</strong>e Gott“ als identischeBegriffe an<strong>zu</strong>sehen? Bedeutet „Höchster Gott“, daß es auch „niedrigere Götter“ gibt, oder anderehohe? Zumindest aber <strong>wir</strong>d in der Geschichte über den König und Priester Melchisedek eindeutig<strong>die</strong> <strong>Ein</strong>zigartigkeit der Verehrung des Höchsten Gottes seitens Abrahams und seiner Nachfahrenbestritten – und schon stellt sich <strong>die</strong> nächste Frage: Warum hat Gott sich überhaupt Abrahamausgesucht, wo er doch sowieso schon in Jerusalem von vielen Menschen verehrt wurde? Warum istnicht Melchisedeks Volk SEIN Volk? Warum kommt es nicht <strong>zu</strong> einer Vereinigung der beidenGottes-Verehrer-Völker? Auf <strong>die</strong>se Fragen bietet <strong>die</strong> Bibel (selbstverständlich) keine Antwort.)„Dar<strong>auf</strong> gab ihm Abram den Zehnten von allem.“ (Da<strong>zu</strong> ist Abram ja gar nicht verpflichtet gewesen.Oder etwa doch? Ist er etwa dem König Melchisedek tributpflichtig gewesen?)„Der König von Sodom sagte <strong>zu</strong> Abram: Gib mir <strong>die</strong> Leute <strong>zu</strong>rück, <strong>die</strong> Habe behalte! Abramentgegnete dem König von Sodom: Ich erhebe meine Hand <strong>zu</strong>m Herrn, dem Höchsten Gott, demSchöpfer des Himmels und der Erde: Keinen Faden und keinen Schuhriemen, nichts von allem, wasdir gehört, will ich behalten. Du sollst nicht behaupten können: Ich habe Abram reich gemacht. Nurwas meine Leute verzehrt haben und was <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Männer entfällt, <strong>die</strong> mit mir gezogen <strong>sind</strong>, <strong>auf</strong>Aner, Eschkol und Mamre, das sollen sie als ihren Anteil behalten.“ (Ach interessant! In den Versen14 und 15 ist ausdrücklich NUR von den in Abrams Haus geborenen Knechten <strong>die</strong> Rede, und hier inVers 24 tauchen urplötzlich wieder seine Bundesgenossen <strong>auf</strong>! Hier widerspricht sich der Erzählerwiederum selbst, und zwar DIREKT, ohne <strong>die</strong> Möglichkeit der Interpretation. Daß Abram derartgroßen Wert dar<strong>auf</strong> legt, keinerlei Reichtum durch den König von Sodom erworben <strong>zu</strong> haben, kannmöglicherweise dahingehend interpretiert werden, daß Abram in kein Abhängigkeitsverhältnisgeraten will, vielleicht sogar, daß Abram in den letzten <strong>Ja</strong>hren seine Gesinnung geändert hat, dennREICH geworden ist er ja schon durch <strong>die</strong> Geschenke jenes Pharao, dem er sein Weib Sarai ins Bettgelegt hat. Warum hat er dem Pharao damals nicht ebenso ein „Behalte dir deinen Kram! Du sollstnicht behaupten können, du hättest mich reich gemacht!“ entgegengeschleudert? Warum lehntAbram <strong>die</strong> Beute eines Kriegs<strong>zu</strong>gs ab (obwohl derartiges Beutegut in einigen Kulturen <strong>noch</strong> heuteals „ehrenvoll“ angesehen <strong>wir</strong>d), nicht jedoch <strong>die</strong> durch Ehebruch, Hurerei und Betrug erhaltenenGeschenke (worin eigentlich niemand eine „ehrenhafte“ Handlung oder Gesinnung sehen dürfte)?Geradlinigkeit sieht in meinen Augen jedenfalls anders aus.)


62(Irgendwie begann ich mich bei der Aufzählung <strong>die</strong>ser teils ziemlich eigenartigen Erzählungen (eskommen ja leider <strong>noch</strong> mehr!) sogar etwas pedantisch und beinahe ein bißchen schäbig <strong>zu</strong> fühlen;aber ich zitiere ja nur, es kann ja alles nachgelesen werden; und jeder kann sich dabei seine eigenenGedanken machen. Aber weil es mir selber schön langsam reicht, jede einzelne Widersprüchlichkeitoder Symbolhaftigkeit oder bronzezeitlich-archaische Eigentümlichkeit <strong>auf</strong><strong>zu</strong>zeigen, will ich michvon hier an <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>wir</strong>klich wesentlichen „Highlights“ beschränken. Da es aber von <strong>die</strong>sen auch<strong>noch</strong> jede Menge gibt, dürfte der <strong>Ein</strong>sparungs-Effekt relativ gering sein.)Im 15. Kapitel bekräftigt Gott seinen Bund mit Abram und verspricht ihm einen leiblichen Erben.So soll nicht Abrams Haussklave Eliëser in Damaskus seinen Besitz beerben. Warum <strong>die</strong>ser undnicht sein Neffe Lot? Und wieweit hatte sich Abrams Sippe bereits ausgebreitet? Zwischen Hebronund Damaskus liegt ja eine beträchtliche Entfernung. Weiters zeigt der Ausdruck „Haussklave“, daßes auch „Feldsklaven“ gegeben haben muß.Im 16. Kapitel bekniet Sarai ihren Gemahl Abram, ihre ägyptische Sklavin Hagar <strong>zu</strong>r Nebenfrau <strong>zu</strong>nehmen, damit <strong>die</strong>se ihnen einen Erben gebären könnte. <strong>Ein</strong>e seltsame Sitte, <strong>die</strong> in meinen Augeneine Unsitte darstellt: Die Sklavin gebiert einen Sohn, der der Erbe seines Vaters <strong>wir</strong>d; gebiert aber<strong>die</strong> Herrin ihrerseits hinterher ebenfalls einen Sohn, dann ist <strong>die</strong>ser der Erbe; dafür sollen aber <strong>die</strong>Sklavenmutter und ihr Sohn in <strong>die</strong> Freiheit entlassen werden – nett; was mit eventuell ebenfallsvorhandenen Geschwistern des Ex-Erben-Sklaven in einem solchen Fall passiert, konnte ich nichtherausfinden. (Vielleicht wissen jüdische Rabbiner mehr darüber. Ist mir aber ziemlich egal, weilich Sklaverei prinzipiell ablehne und verabscheue.)Sarai ist 76, Abram 85, Hagar – keine Ahnung! (Solche Nebensächlichkeiten wurden offenbar nichtniedergeschrieben.) Jedenfalls hört Abram <strong>auf</strong> seine Frau, so wie er generell sich ihrem Willen <strong>zu</strong>fügen scheint, sofern sie einen solchen äußert. (Könnte möglicherweise ziemlich ein Besen gewesensein, <strong>die</strong>se Frau.) Prompt <strong>wir</strong>d Hagar schwanger. Aber kaum ist sie das, läßt <strong>die</strong> <strong>auf</strong>keimendeMutterfreude den Respekt vor ihrer Herrin schwinden, wor<strong>auf</strong> <strong>die</strong>se sich bei Abram beschwert undihn <strong>auf</strong>fordert, das ihr von ihrer Sklavin angetane Unrecht <strong>zu</strong> sühnen. Und Abram überläßt <strong>die</strong>Angelegenheit Sarai, <strong>die</strong> dar<strong>auf</strong>hin Hagar dermaßen hart behandelt, daß sie davonläuft, <strong>die</strong> Fluchtergreift. (Wie hart muß eine Sklavin behandelt werden, daß sie es WAGT, vor ihrer Herrin <strong>zu</strong>fliehen? Es ist doch <strong>wir</strong>klich nicht an<strong>zu</strong>nehmen, daß <strong>die</strong>se Flucht lediglich mit einem „Nicht soschlimm, Schatzi, iß erst mal was!“ sanktioniert werden würde. Hagar ist ziemlich verzweifelt.Sarai muß das Wohlbefinden von Mutter und Kind (eh nur Sklaven?!) offensichtlich ziemlich egalgewesen sein, in Relation <strong>zu</strong> ihrem Herrinnen-Image. (Also meine Sympathie gehört der Sklavin,nicht dem Besen.)) Auf der Flucht erscheint Hagar ein Engel, der sie des Weges fragt (Warumeigentlich? Reine Höflichkeit?) und sie <strong>auf</strong>fordert, <strong>zu</strong> ihrer Herrin <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kehren und das Leid <strong>zu</strong>ertragen, denn ihr Sohn würde der Urahn vieler Völker werden. Der Engel nennt ihr auch denNamen ihres Sohnes: Ismael (Gott hört); „denn der Herr hat <strong>auf</strong> dich gehört in deinem Leid“.Hagar kehrt <strong>zu</strong>rück; Ismael <strong>wir</strong>d geboren; Abram ist 86.Das 17. Kapitel ist ein ganz zentrales, ja heikles und intimes. Es geht darin um <strong>die</strong> Beschneidungdes Mannes. Wiederum <strong>wir</strong>d der Bund zwischen Gott und Abram bekräftigt, und als Zeichen <strong>die</strong>sesBundes verlangt Gott <strong>die</strong> Beschneidung „an der Vorhaut“ jedes männlichen Mitglieds aus AbramsSippe. (Noch heute gilt <strong>die</strong>se Vorschrift für Juden und Muslime als verpflichtend.) Abram und Saraierhalten im Zuge <strong>die</strong>ser Bundesbekräftigung von Gott ihre neuen Namen: Aus Abram <strong>wir</strong>d Abraham(„Vater der Menge“); Gott verkündet ihm erneut, daß er der Stammvater „einer Menge vonVölkern“ werden würde. Aus Sarai <strong>wir</strong>d Sara („Herrin“), ein meiner Meinung nach sehr treffenderName.Abraham ist 99, sein Sohn Ismael 13. Zusammen mit ihnen werden alle Männer und Knaben ausAbrahams Sippe beschnitten, sowohl <strong>die</strong> in seinem Haus Geborenen als auch <strong>die</strong> um GeldErworbenen. (Von Lot ist übrigens überhaupt nicht <strong>die</strong> Rede.) Wenn man bedenkt, daß nur Abrahamund Lot als freie Männer angesehen werden können, <strong>sind</strong> alle übrigen lediglich Sklaven. <strong>Ein</strong>


63Sonderfall so<strong>zu</strong>sagen ist Ismael: Er ist der Sohn einer Sklavin, aber den<strong>noch</strong> Abrahams potentiellerErbe und damit frei; selbst wenn Sara <strong>noch</strong> im hohen Alter Mutter werden sollte, müßte Ismael lautgeltender Tradition freigelassen werden.Sowohl in Vers 23 als auch in Vers 26 heißt es: An einem einzigen Tag <strong>sind</strong> alle männlichenMitglieder des Hauses Abraham beschnitten worden. (Jetzt will ich wieder so unverschämt sein undetwas rechnen. Wie viele Männer und Knaben mögen es wohl gewesen sein, <strong>die</strong> an <strong>die</strong>sem einenTag beschnitten werden mußten? <strong>Ein</strong> Häufchen, ein paar Dutzend, Hunderte? Vierzehn <strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong>vorwar Abraham <strong>zu</strong>sammen mit 318 für den Kampf Geschulte <strong>auf</strong>gebrochen, um Lot <strong>zu</strong> befreien. Es<strong>wir</strong>d nicht berichtet, daß einer von ihnen getötet wurde oder in der Schlacht seinen Penis verlor. Wieviele <strong>die</strong>ser Männer waren <strong>noch</strong> am Leben? Wie viele NICHT für den Krieg Ausgebildete gab es<strong>noch</strong>? Wie viele Knaben, <strong>die</strong> <strong>zu</strong> Männern herangereift waren? Und wie viele in der ZwischenzeitGeborene? Hier schweigen sich Verfasser oder Erzählung völlig aus. Sollten es jedoch <strong>zu</strong>fällighaargenau 720 Männer und Knaben gewesen sein, müßte Abraham alle zwei Minuten eine Vorhautentfernt haben, ohne Pause, rund um <strong>die</strong> Uhr, 24 Stunden lang. Ist das überhaupt möglich? Teilweisebei Fackelschein und Lagerfeuer? Es heißt ja, daß Abraham mit eigener Hand <strong>die</strong>se Beschneidungendurchführte. Aber wer hat dann Abrahams Leute in Damaskus beschnitten? Und wann? Wann undvon wem wurden Lot und seine Leute beschnitten? Oder wurden sie nicht? Auch da schweigt <strong>die</strong>Genesis. Rein rechnerisch erscheint <strong>die</strong>se Geschichte ziemlich realitätsfremd. Nur eine Geschichte.Bestenfalls eine gute Geschichte. (Ausgehend von der Zahl 318 müßte ja ein ganzer Eimer vollerVorhäute <strong>zu</strong>sammengekommen sein!))Gott sagt: Von nun an sollen alle Zugek<strong>auf</strong>ten (sofort) beschnitten werden, alle in Abrahams Volkgeborenen Knaben am achten Tag ihres Lebens. (Muslime halten sich übrigens nicht an <strong>die</strong>seVorschrift, da können auch weit ältere Knaben <strong>noch</strong> beschnitten werden. So mancher Muslim <strong>wir</strong>dmit dreizehn <strong>Ja</strong>hren beschnitten, wie Urahn Ismael.)Gott sagt: Es MUSS beschnitten werden. Als Zeichen. Als Zeichen für den Bund zwischen ihm unddem Volke Abrahams.Nun pflegen überall <strong>auf</strong> der Welt <strong>die</strong> verschiedenen Völker, Gesellschaften, Gesellschaftsgruppenund auch Religionsgemeinschaften unterschiedliche Sitten, um sich anhand leicht erkennbarerMerkmale als einer bestimmten Gruppe <strong>zu</strong>gehörig identifizieren <strong>zu</strong> können. So soll es einfach leichtgemacht werden, Verheiratete von Unverheirateten unterscheiden <strong>zu</strong> können, Männer von Frauen,Hochgestellte von Niedriggestellten, weltlich Orientierte von geistlich Orientierten, <strong>Ein</strong>heimischevon Fremden und so weiter. Da<strong>zu</strong> <strong>die</strong>nen Frisuren, Haar-, Kopf-, Ohr-, Hals-, Arm-, Bein- undKörperschmuck, Gesichts- und Körperbemalung, <strong>die</strong> unterschiedlichsten Kleidungsstücke, ja sogarabsichtlich herbeigeführte körperliche Veränderungen wie Kopf- oder Halsverformungen, Narben,Tätowierungen, entfernte Zähne, Ohrenteller, Lippenteller oder Lippenpflöcke. (Bitte nicht (schongar nicht abschätzig) lächeln – der Lippenpflock der westlichen Zivilisation heißt Krawatte!) All<strong>die</strong>se „Symbole“ <strong>die</strong>nen da<strong>zu</strong>, <strong>die</strong> Zugehörigkeit <strong>zu</strong> einer bestimmten Gruppe <strong>zu</strong> bekunden und sichschon rein äußerlich als <strong>die</strong>- oder derjenige <strong>zu</strong> zeigen, <strong>die</strong> oder der man ist. Diese Symbole stärkenselbstverständlich auch das Gemeinschaftsgefühl.Sofern keine Repressalien <strong>zu</strong> befürchten <strong>sind</strong>, werden <strong>die</strong>se Symbole ganz offen gezeigt. Auf <strong>die</strong>Beschneidung trifft das nicht <strong>zu</strong>. (Also stell' dir einmal vor: Du sprichst mit jemandem, der imL<strong>auf</strong>e des Gesprächs seine Zugehörigkeit <strong>zu</strong>r jüdischen oder islamischen Glaubensgemeinschaftbekundet. Aber du glaubst das einfach nicht so ganz und sagst: “Zeig mal her!“ <strong>Ein</strong>fach peinlich bisunvorstellbar, <strong>die</strong>se Brüskierung!)Also das Zeichen des Bundes zwischen Gott und dem (männlichen) Gottgläubigen <strong>wir</strong>d NICHToffen hergezeigt, sondern nur in kleinem Rahmen während der Prozedur der Beschneidung. Von daan <strong>wir</strong>d der Beschnittene einfach als Mitglied der Gemeinschaft akzeptiert; ich nehme an, ohne sichweiterhin „ausweisen“ <strong>zu</strong> müssen. Zusätzlich verwenden Juden und Muslime aber auch offengezeigte Symbole, um sich als Juden oder Muslime <strong>zu</strong> zeigen (Bart, Frisur, Kopfbedeckung, diverseKleidungs- oder Schmuckstücke, religiöse Ritualgegenstände).


64Jedenfalls <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Beschneidung (eigentlich: deren Folge, der vorhautlose Penis) nicht alsherzeigbares „Zeichen“ genutzt. Zudem gibt es auch viele Beschnittene außerhalb von Judentumund Islam, sodaß <strong>die</strong> Zugehörigkeit <strong>zu</strong> einer <strong>die</strong>ser beiden Religionsgemeinschaften <strong>auf</strong> keinen Fallnur <strong>auf</strong> Grund der Beschneidung erkennbar ist oder gar sichergestellt werden kann. Als „Zeichen“für einen Bund zwischen Gott und dem Gläubigen ist <strong>die</strong> Beschneidung also nur bedingt tauglich.Beschneiden lassen können sich auch extreme „hardcore“-Atheisten.Wenn man nach den Gründen der Beschneidung fragt, bekommt man immer wieder (und inAbstufungen) <strong>die</strong> selben Antworten: Gott, Religion, Prophet, Tradition, Notwendigkeit, Hygiene,Ästhetik.<strong>Ja</strong>, ganz im Ernst: Es gibt echt Leute, <strong>die</strong> lassen sich aus Gründen der Schönheit beschneiden! Nunist Schönheit immer etwas Relatives, ist dem Geist der jeweiligen Kultur und Zeit unterworfen, derMode. (In eines der Rubens-Modelle passen garantiert zwei der heutigen L<strong>auf</strong>steg-Idole.) Ich hoffejedoch inständig, daß <strong>die</strong>se Ästhetik-Beschneidung nicht <strong>zu</strong>r Mode <strong>wir</strong>d oder gar ausgehend vonden USA <strong>die</strong> ganze Welt erobert, denn sonst würden <strong>wir</strong> uns vielleicht <strong>noch</strong> abfinden müssen mitTV-Sendungen wie „The Great US Cock Casting Show“ oder dessen europäischem Ableger„Deutschland sucht den Superrüssel“.Ästhetik ist für mich absolut kein Argument für <strong>die</strong> Beschneidung.(Manche lassen sich sogar beschneiden, um den Geschlechtsverkehr <strong>zu</strong> verlängern. Die beweglicheVorhaut verstärkt den Reiz; ihr Fehlen macht <strong>die</strong> Bildung <strong>zu</strong>sätzlicher Hautschichten notwendig.Aber mit dem Argument vom ausgedehnten Sex könnte man auch rechtfertigen, daß man sichKokain über <strong>die</strong> Nudel streut, das <strong>wir</strong>kt angeblich auch super (und <strong>noch</strong> intensiver, wenn man sichauch gleich damit das Gehirn verquirlt). Derartige Argumente kann ich <strong>wir</strong>klich nicht gelten lassen.(Ich hab' sogar von einem Typen gehört, der es mit der Kombination Sex & Koks dermaßenübertrieben hat, daß er nicht mehr <strong>zu</strong>m Samenerguß kommen kann. Gratuliere, Herr Rammelkönig!Da ist es nicht leicht, Mitgefühl <strong>auf</strong>kommen <strong>zu</strong> lassen.))Also Hygiene und Notwendigkeit?Als ich vor vielen <strong>Ja</strong>hren Wüstengebiete <strong>zu</strong> durchqueren hatte, erlebte ich (<strong>zu</strong>mindestandeutungsweise), wie unangenehm Wind und Sand sein können. Da kann man <strong>wir</strong>klich nurirgendwo Schutz und Deckung suchen oder sich in sämtliche Textilien einmummen, <strong>die</strong> man <strong>zu</strong>rVerfügung hat. Und den<strong>noch</strong> gelangen Sand und Staub durch <strong>die</strong> Kleider hindurch und lagern sichin Körperfalten und Körperöffnungen ab. Da kann es durchaus <strong>zu</strong> Entzündungen kommen. Aber wieoft werden Augenlider, Lippen oder Nasenflügel weggeschnitten? Wie oft <strong>wir</strong>d entzündetes Gewebein einem Ohr entfernt? Oder wurde jemals an einem Anus herumgeschnippelt? Warum gibt eshygienische Prophylaxe nur im Umfeld einer einzigen Körperöffnung? Weil <strong>die</strong> Vorhaut imGegensatz <strong>zu</strong> anderem Gewebe entbehrlich ist? Weil <strong>die</strong> Vorhaut weder Sinn <strong>noch</strong> Zweck hat,unnötig ist? Weil <strong>die</strong> Vorhaut vielleicht sogar lästig und unangenehm ist?Die Vorhaut ist NICHT sinn- und zwecklos. Sie schützt <strong>die</strong> Eichel, hält sie feucht und empfindlich.Sie <strong>wir</strong>kt sogar beim Geschlechtsakt lustgewinnlerisch, und zwar für beide.Die Evolution hat <strong>die</strong> Vorhaut <strong>noch</strong> immer nicht als Fehlentwicklung eliminiert und abgeschafft,obwohl sie da<strong>zu</strong> genug Zeit gehabt hätte. Es sei denn, man glaubt nicht an Evolution, sondernvielmehr an <strong>die</strong> Erschaffung der Welt vor nicht einmal 6000 <strong>Ja</strong>hren. Aber dann müßte man ja direktfragen: Hat Gott mit der Konstruktion der Vorhaut einen Fehler gemacht, wenn deren Entfernungjetzt als Notwendigkeit gilt?Die Amputation der Vorhaut ist jedoch KEINE Notwendigkeit, KEINE Frage der Hygiene. Man hatmittlerweile ein <strong>wir</strong>ksames Mittel entdeckt, um Entzündungen im Genitalbereich <strong>zu</strong> vermeiden und<strong>zu</strong> verhindern: Waschen.Wenn man jedoch einer Kultur angehört, <strong>die</strong> kein sonderlich ausgeprägtes oder positivesKörperbewußtsein besitzt und ein <strong>noch</strong> ungesünderes und verschrobeneres Verhältnis <strong>zu</strong>r Sexualität,dann kann es durchaus vorkommen, daß man (Mann) sein Wöäh-pfui-rucki-<strong>zu</strong>cki-rein-raus-Ding sowenig wie möglich berührt und <strong>noch</strong> weniger betrachtet und beobachtet, weil es ja wöäh-pfui ist


65und sündig und schlecht und schmutzig (in beiderlei Sinn?). So <strong>wir</strong>d dann pseudo-moralischerSchmutz <strong>zu</strong> körperlichem Schmutz – oder, wenn ich es etwas krasser formulieren darf, so führtkrankes Denken und Empfinden <strong>zu</strong> einem kranken und entzündetem Körperteil. Wenn überhauptirgendeine Notwendigkeit in <strong>die</strong>sem Zusammenhang besteht, dann wohl <strong>die</strong>, seine <strong>Ein</strong>stellung <strong>zu</strong>seinem Lustlümmel <strong>zu</strong> verbessern und pseudo-moralische sowie pseudo-religiöse Vorstellungen undVorschriften los<strong>zu</strong>werden.(Damit wären <strong>wir</strong> eigentlich schon mitten im Rechtfertigungsbe<strong>zu</strong>gssystem Religion-Prophet-Gott.Aber da wäre <strong>noch</strong> ein bißchen über Tradition <strong>zu</strong> sagen.)Traditionen entstehen und vergehen. Traditionen verändern sich. Traditionen können gut undschlecht sein, sinnvoll oder sinnlos oder sinnentleert geworden. Nur weil unsere Eltern, Großelternund sonstige Ahnen etwas so oder so gemacht haben, müssen <strong>wir</strong> es ihnen nicht zwangsläufignachmachen. <strong>Ein</strong>e Tradition bei<strong>zu</strong>behalten bedeutet <strong>noch</strong> lange nicht, daß <strong>die</strong>se Tradition gut istoder richtig oder wichtig. Traditionen tragen da<strong>zu</strong> bei, eine Gesellschaft <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>halten. Aberwenn <strong>wir</strong> uns konsequent an Traditionen gehalten hätten, würden <strong>wir</strong> immer <strong>noch</strong> in Bäumenhocken und uns mit Obstkernen bewerfen. (Selbst religiös-fundamentalistische Evolutionsgegnerändern ihre Traditionen. <strong>Ja</strong> dürfen sie denn das überhaupt?)Tradition und Religion stehen sehr oft in einem direktem Zusammenhang; dann kann man vonreligiöser Tradition sprechen oder von traditioneller Religion.Für viele religiöse Menschen – für religiöse Fundamentalisten sowieso – bedeuten <strong>die</strong> beiden Worte„Gott sagt“ automatisch: Das ist so. Das ist <strong>die</strong> Wahrheit. Zweifeln verboten. Diskutieren verboten.Hinterfragen verboten. Kritisieren verboten. Zuwiderhandeln strengstens verboten. All das wäreGottlosigkeit und Gotteslästerung. Pfui. Sünde. Atheismus, Blasphemie. Pfui pfui pfui.Das selbe gilt auch für „der Prophet sagt, daß Gott sagt“.Das selbe gilt auch für „<strong>die</strong> Heilige Schrift sagt, daß Gott sagt“ und für „<strong>die</strong> Heilige Schrift sagt,daß der Prophet sagt, daß Gott sagt“.Letztendlich gilt das sogar generell für „der Prophet sagt“ und „<strong>die</strong> Heilige Schrift sagt“. So werdenrecht schnell Schrift, Prophet und Gott gleichgesetzt, was ihre unbedingt verbindliche Aussagekraftanbelangt. Das ist eine gängige und weit verbreitete Praktik, aber durchaus fragwürdig und vollerProblematik. Sie folgert nämlich, daß Prophet und Schrift nicht irren können. So mancher Verfassereines Heiligen Textes ist jedoch völlig unbekannt. Aber das Vertrauen in Gottes Inspiration scheintoft unermeßlich und unergründlich <strong>zu</strong> sein, also <strong>wir</strong>d auch praktiziert, was gesagt und geschriebenwurde. Wenn Gott sagt: „Tu das“, dann tut man. Ohne Zweifel, ohne Murren. Immer.Immer?Eben NICHT.Mohammed hat <strong>die</strong> Vorschriften hinsichtlich der Beschneidung nicht eins-<strong>zu</strong>-eins übernommen,obwohl er Moses einen Propheten und <strong>die</strong> Thora eine von Gott gegebene „Richtschnur“ nennt. VieleMuslime lassen ihre Söhne im Alter von 13 beschneiden, weil ihr Stammvater Ismael 13 war, alssein Vater Ibrahim (Abraham) ihn beschnitt. Viele Knaben werden aber auch in jüngeren <strong>Ja</strong>hrenbeschnitten. Die Thora jedoch spricht vom achten Tag. (Die weitverbreitete Anschauung, daß einSchulkind durch <strong>die</strong> Beschneidung <strong>zu</strong>m Mann <strong>wir</strong>d, lehne ich sowieso als völlig absurd ab.)Die frühen Christen haben schon wenige <strong>Ja</strong>hrzehnte nach der Kreuzigung Jesu <strong>die</strong> Beschneidunggenerell abgeschafft.Auch das Judentum hat Vorschriften aus der Thora geändert oder abgeschafft. Schon lange werdenkeine Tiere mehr geopfert; <strong>die</strong>s liegt einerseits daran, daß es den Tempel dafür nicht mehr gibt,andererseits aber an Rabbinern, <strong>die</strong> sich in den ersten beiden nachchristlichen <strong>Ja</strong>hrhunderten dafürausgesprochen haben, Tieropfer durch Schriftstudium <strong>zu</strong> ersetzen. Meines Wissens nach (und ichhoffe, daß ich mich nicht täusche) <strong>wir</strong>d heute auch kein Homosexueller oder Ehebrecher <strong>zu</strong> Todegesteinigt, obwohl Gott in der Thora <strong>die</strong>s fordert. Oder ist der Verzicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Steinigung nur „TotesRecht“, das jederzeit wieder praktiziert werden kann? Na hoffentlich nicht!Wenn aber <strong>die</strong> EINE Vorschrift, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> Gott <strong>zu</strong>rückgeführt <strong>wir</strong>d, geändert oder <strong>auf</strong>gehoben werden


66kann, dann können es ANDERE wohl auch. Das vollbringen dann MENSCHEN, egal ob man sieGelehrte, Priester, Meister oder Propheten nennt.Wer bestimmt überhaupt, wer als Prophet gilt? Und wie viele Propheten wurden schon von ihreneigenen Leuten getötet? Wie viele Propheten <strong>sind</strong> überhaupt nie bekannt geworden? Und wer ist fürderartige Ereignisse verantwortlich, Gott oder <strong>die</strong> Menschen?Zu Noah hat Gott gesagt, daß kein menschliches Blut vergossen werden solle; er würde dafürRechenschaft forden von Mensch UND Tier. Von einer Beschneidung ohne Blutvergießen ist miraber nichts bekannt. Von wem also fordert Gott hierbei Rechenschaft? Von sich selber?Werden Gottesworte prinzipiell durch folgende widersprüchliche <strong>auf</strong>gehoben? So wie es bereitsmehrmals bei Nahrungsvorschriften geschehen ist? Und warum hält sich der Mensch einmal an daseine Wort, ein anderes Mal aber an das andere Wort? Das ist nämlich weder eine jüdische Eigenart<strong>noch</strong> eine christliche, keine asiatische und keine europäische, das hat mit Völkern und Religionenüberhaupt nichts <strong>zu</strong> tun, es ist vielmehr etwas typisch Menschliches. Homo sapiens neigt eben da<strong>zu</strong>,<strong>die</strong> Dinge so <strong>zu</strong> sehen, wie er sie sehen will. Homo sapiens interpretiert und deutet, wie es ihm paßt,was das Zeug nur hergibt, wie es ihm nützlich erscheint, wie er es gerade braucht, wie er GLAUBT,daß es sein MUSS. Homo sapiens neigt eben recht extrem <strong>zu</strong> Opportunismus, in sämtlichenAusformungen und Intensitäten, so gut wie immer und überall.Homo sapiens ist Maximalopportunist.Er rechtfertigt als solcher auch ALLES, wenn nötig mit der sonderbarsten Gedankenakrobatik. (Dabekommt der Begriff „Gehirnwindung“ eine völlig ungeahnte Doppelbedeutung!) Und wenn demMenschen gar nichts mehr einfällt, werden immer wieder <strong>die</strong> beiden folgenden „Erklärungen“bemüht: Gott und <strong>die</strong> Natur (<strong>zu</strong>sammen auch „<strong>die</strong> göttliche Ordnung“ und „<strong>die</strong> natürliche Ordnung“genannt). Das funktioniert eigentlich immer, weil kaum bis gar nicht widersprochen werden kann(oder DARF).Kein einziges Argument für <strong>die</strong> Beschneidung kann einer <strong>wir</strong>klich vernünftigen Untersuchungstandhalten; nicht einmal „<strong>die</strong> Natur“, denn <strong>die</strong>se hält weiterhin an der Vorhaut fest. (Übrigens auchim Tierreich. Will sich der Mensch etwa gar durch <strong>die</strong> Beschneidung über andere Säugetiereerheben? „Sichtbar“ erheben?)Also <strong>wir</strong>d Diskussion über <strong>die</strong> Beschneidung durch <strong>die</strong> Rechtfertigung „Gott“ automatisch <strong>zu</strong> einerGlaubensfrage, <strong>zu</strong> einer religiösen Angelegenheit – und in Folge <strong>zu</strong>m Tabu.Wenn <strong>wir</strong> einem Ursprung der Beschneidung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Spur kommen wollen, müssen <strong>wir</strong> meinerMeinung nach den Kulturraum betrachten, in welchem heute <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Beschneidung der Fraudurchgeführt <strong>wir</strong>d: Schwarzafrika zwischen Senegal und Somalia, Teile Nordafrikas, der OstenAfrikas von Ägypten bis Tansania, der Süden der Arabischen Halbinsel.Die Beschneidung der weiblichen Genitalien gehört für mich <strong>zu</strong> den unmenschlichsten undunnötigsten Traditionen, <strong>die</strong> homo sapiens je entwickelt hat. Es gibt mehrere Varianten <strong>die</strong>serBarberei: Entfernung von Clitoris, von Clitoris und inneren Schamlippen, von beiden und auch denäußeren Schamlippen. Häufig <strong>wir</strong>d bei der Totalbeschneidung über<strong>die</strong>s <strong>die</strong> ganze Wunde <strong>zu</strong>genähtund nur eine winzige Öffnung freigelassen, durch <strong>die</strong> uriniert und später einmal menstruiert werdenkann. Jedes zehnte Mädchen stirbt nach einer derartigen Prozedur; alle haben lebenslang Problemeim Urogenitalbereich. <strong>Ein</strong>e beschnittene Frau pinkelt oft nur tröpfchenweise. Das Lustempfinden iststark eingeschränkt, wenn nicht sogar vernichtet (was für manche Männer sogar als wünschenswertangesehen <strong>wir</strong>d); dafür ist das Schmerzempfinden in <strong>die</strong>sem Bereich so<strong>zu</strong>sagen maximiert.Und jetzt stellt euch bitte <strong>die</strong> Entjungferung einer totalbeschnittenen Frau vor, deren sichtbarerGenitalbereich eine wild <strong>zu</strong>sammengewachsene Wunde mit einer strohhalmgroßen Öffnungist ......................Die meisten frischverheirateten Männer habe keine Wahl. Wer kann sich in der Dritten Welt schoneine Operation in einem Krankenhaus leisten?Und wer kann es sich schon „leisten“, <strong>die</strong> Beschneidung eines Kindes in einem Krankenhausdurchführen <strong>zu</strong> lassen? Oder <strong>zu</strong>mindest von einem „kompetenten“ Arzt? Im „Normalfall“ vollzieht


67<strong>die</strong>sen „<strong>Ein</strong>griff“ nämlich ein Beschneider, meist weiblichen Geschlechts, der <strong>die</strong>ses „Handwerk“einfach geerbt hat. Als „Werkzeug“ <strong>die</strong>nt eine Rasierklinge, ein Messer, eine Glasscherbe; im bestenFall <strong>wir</strong>d oberflächlich desinfiziert. Man braucht sich <strong>wir</strong>klich nicht über eine zehnprozentigeSterblichkeit wundern. Traumatisiert <strong>sind</strong> <strong>die</strong>se Mädchen ALLE; und sie bleiben es als erwachseneFrauen; <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> den körperlichen Problemen und den Schmerzen beim Urinieren, Koitieren,Menstruieren, bei Schwangerschaft und Geburt.„Selbstverständlich“ <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ser barbarische Verstümmelungskult auch mit allerlei Argumentengerechtfertigt:Das Argument „Hygiene“ fällt im Gegensatz <strong>zu</strong>r Beschneidung des Mannes eindeutig weg, denn esgibt keinen einzigen hygienischen oder gar medizinischen Vorteil, hingegen jede Menge Nachteile.Das Argument „Religion“ entfällt ebenfalls, <strong>die</strong> Beschneidung der Frau <strong>wir</strong>d weder im Koran <strong>noch</strong>in einer anderen heiligen Schrift auch nur mit einem einzigen Wort erwähnt.Für <strong>die</strong> meisten Erwachsenen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Beschneidung der Genitalien ihrer kleinen Töchter undAnverwandten veranlassen, ist <strong>die</strong>se eine Tradition, eine Pflicht, der man sich gar nicht entziehenkann, wenn man „vollwertig“ <strong>zu</strong>r Gesellschaft gehören will. Wenn Unbeschnittene als Außenseiterangesehen und ausgegrenzt werden (sogar als gottlos!), ist der gesellschaftliche Druck dermaßenallgegenwärtig und stark, daß man sich <strong>die</strong>sem wohl nur schwer entziehen kann. Da<strong>zu</strong> kommen<strong>noch</strong> Unwissenheit, Bildungsnotstand und Aberglauben, und schon ist <strong>die</strong> Basis für eine der größtenEiterbeulen der menschlichen Kulturgeschichte gelegt. „Tradition“ als Argument kann ich nicht immindesten gelten lassen. Die Beschneidung der Frau ist ein äußerst treffendes Beispiel dafür, wieübel und verbrecherisch Traditionen sein können. (Aber eine simple Ahndung <strong>die</strong>ses Verbrechens(und schwere Körperverlet<strong>zu</strong>ng IST ein Verbrechen!) wäre der falsche Weg. Aufklärung darüber istvonnöten, daß <strong>die</strong> Beschneidung der Frau NUR Leid bedeutet und keinem einzigen weiblichenWesen etwas nützt.)Nun will ich zwei Argumente erwähnen, <strong>die</strong> überwiegend von denen angeführt werden, <strong>die</strong> alseinzige von der Beschneidung der Frau profitieren: den Männern; denn <strong>die</strong> Beschneidung ist einhervorragendes Mittel patriarchalischer Unterdrückung.Erstens <strong>wir</strong>d behauptet, <strong>die</strong> Beschneidung begünstige <strong>die</strong> eheliche Treue. Na klar doch! Wenn Sexmit Schmerzen verbunden ist, überlege ich's mir auch doppelt und dreifach, ob ich meinemBedürfnis nachgehen soll oder lieber doch nicht. Den<strong>noch</strong> gibt es im Universum der Beschneiderund Beschnittenen sowohl Ehebruch als auch Prostitution; es „funktioniert“ also nicht <strong>wir</strong>klich.Zweitens <strong>wir</strong>d behauptet, daß <strong>die</strong> Berührung des Penis mit der Clitoris <strong>zu</strong> Impotenz führe. Aber dasist wohl nur Aberglauben der dümmsten oder <strong>zu</strong>mindest naivsten Kategorie; denn würde <strong>die</strong>statsächlich so sein, dann könnte ich schon lange nicht mehr sprechen.Es existiert keine einzige Rechtfertigung, <strong>die</strong> einen Platz haben könnte im 21. <strong>Ja</strong>hrhundert oderauch nur halbwegs einer vernünftigen Prüfung standhält. Die Beschneidung der weiblichenGenitalien ist schwere Körperverlet<strong>zu</strong>ng und Verstümmelung, physische und psychische Tortur, einegrundlegende Verlet<strong>zu</strong>ng der Menschenrechte. Und sonst NICHTS. Sie ist unter allen Umständenab<strong>zu</strong>lehnen. Gegen medizinische Gründe für einen chirurgischen <strong>Ein</strong>griff im Genitalbereich istnatürlich nichts ein<strong>zu</strong>wenden; aber das nennt sich dann auch Operation und nicht Beschneidung.Der Schönheit <strong>die</strong>nliche Operationen in <strong>die</strong>ser Körpergegend fallen für mich in <strong>die</strong> Kategorie„pervertierte Eitelkeit“. Da müssen schon ausgeprägte Minderwertigkeitsgefühle im Spiel sein, umeine therapeutische Notwendigkeit rechtfertigen <strong>zu</strong> können.In der Zwischenzeit ist <strong>die</strong> Beschneidung der Frau in einigen islamischen Ländern gesetzlichuntersagt. Ich hoffe, alle anderen Staaten schließen sich bald an. Auch haben schon mehrereislamische Autoritäten <strong>die</strong> Beschneidung der Frau als mit dem Koran und den Lehren Mohammedsnicht vereinbar bezeichnet und damit geächtet. „Mehrere Autoritäten“ klingt gut, und es IST auchgut, aber es sollten bald ALLE sein.Aber <strong>noch</strong> immer stellen sich <strong>die</strong> Fragen: Warum? Wo<strong>zu</strong>? Woher?Ich glaube, ich habe eine Antwort gefunden.


68Im Sudan <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Totalbeschneidung „pharaonisch“ genannt. Ägypten und das südlich davongelegene Nubien waren prägende Hochkulturen der vorchristlichen Zeit, und man weiß, daß siesowohl <strong>die</strong> Beschneidung der Frau als auch <strong>die</strong> des Mannes praktiziert haben. Ob aber <strong>die</strong> Nubieroder <strong>die</strong> Ägypter <strong>die</strong> Beschneidung „erfunden“ haben oder selbst nur übernommen haben und vonwem – das kann ich <strong>wir</strong>klich nicht sagen; sonst wahrscheinlich auch niemand. Aber es ist eineTatsache, daß es <strong>die</strong> Beschneidung des Mannes schon VOR der Zeit Abrahams gab. Also hat wederAbraham sie als erster durchgeführt <strong>noch</strong> kann Gott sie für sein auserwähltes Volk „erfunden“haben. Die Ursprünge <strong>sind</strong> zweifellos älter, liegen (<strong>zu</strong>mindest) im dritten <strong>Ja</strong>hrtausend vor ChristiGeburt.Auch rein geographisch ist <strong>die</strong> Region Ägypten-Nubien nachvollziehbar. <strong>Ein</strong>e Begründung für <strong>die</strong>Beschneidung von Mann und Frau habe ich ebenfalls entdeckt; sie entbehrt nicht einer gewissenLogik, wenn auch einer perversen, man könnte auch sagen: mythologisch-esoterisch-perversen.Heute weiß man, daß sich männliche und weibliche Genitalien im Mutterleib aus dem selbenGewebe entwickeln. In den ersten Phasen der Schwangerschaft ist es nicht möglich, das Geschlechtdes Kindes mittels optischer <strong>Ein</strong>drücke <strong>zu</strong> bestimmen; (spätere) Jungen und Mädchen sehen völliggleich aus. <strong>Ein</strong>e Geschlechtsbestimmung ist nur mittels Genanalyse möglich.Manchmal nicht einmal das.Im „Normalfall“ besitzt der Mensch zwei Chromosomen, <strong>die</strong> über sein Geschlecht bestimmen: dasx-Chromosom und das y-Chromosom. Frau: xx. Mann: xy.Aber manchmal besitzen Menschen auch <strong>noch</strong> ein drittes Chromosom, entweder x oder y.xxx – Frau. Eigentlich klar. Aber keine Überdrüberfrau, keine personifizierte Liebesgöttin oderdergleichen, keineswegs überproportioniert oder gar mehrfach bestückt. Die allermeisten <strong>die</strong>serFrauen wissen gar nichts davon, daß sie ein drittes Chromosom besitzen.xyy – Mann. Eigentlich auch klar. Und ebenfalls kein Überdrübermann, sondern einfach bestücktund innerhalb der ortsüblichen Größenverhältnisse. Zumeist wissen auch <strong>die</strong>se Männer nichts vonihrem doppelten y. Dieses <strong>zu</strong>sätzliche y-Chromosom ist auch nicht das sogenannte „Killergen“, wieman vor wenigen <strong>Ja</strong>hren <strong>noch</strong> dachte und manche immer <strong>noch</strong> denken.Aber xxy – was ist das? <strong>Ein</strong> xy-Mann? <strong>Ein</strong>e xx-Frau? Weder <strong>noch</strong>? Beides? Heute nennt man <strong>die</strong>seMenschen Intersexuelle, früher nannte man sie Hermaphroditen, der Volksmund sagt Zwitter. Sie<strong>sind</strong> das dritte Geschlecht. Sie weisen körperliche Merkmale von Mann UND Frau <strong>auf</strong>.Und sie <strong>sind</strong> KEINE Mißgeburten.Auch kein Teufel hat sie erschaffen.Zwitter gibt es auch bei anderen Säugetieren. <strong>Ein</strong>es von 100 000 Pferden weist <strong>zu</strong>m BeispielMerkmale beider Geschlechter <strong>auf</strong>. Auch DAS ist Natur.Es ist <strong>die</strong> Natur, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses dritte Geschlecht hervorbringt. Ebenso bringt sie schwule Würmer,Vögel und Säugetiere hervor (homo-erotisches Verhalten hat man mittlerweile bei ungefähr 140Tierarten beobachtet), Schnecken <strong>sind</strong> Zwitter, es gibt sogar Fische, <strong>die</strong> ihr Geschlecht wechselnkönnen. In puncto Sexualität sollte man also sehr vorsichtig sein, wenn man das Wort „natürlich“verwendet.Es ist keinesfalls so einfach, wie es vor allem <strong>die</strong> monotheistischen Religionen dar<strong>zu</strong>stellenversuchen. Gott hat den Menschen eben NICHT als Mann und Frau erschaffen, sondern über<strong>die</strong>s einGeschlecht „dazwischen“. Eben <strong>die</strong>ser Raum „dazwischen“ erzeugt Verunsicherung und Angst. Jede„normale“ Frau fühlt sich in ihrer geschlechtlichen Identität bedroht, und jeder „normale“ Mann<strong>noch</strong> weit mehr. Verunsicherung und Angst bedingen <strong>zu</strong>meist Ausgren<strong>zu</strong>ng, Verfolgung und einegewisse Tabuisierung. Intersexuelle haben sowieso schon Identitätsprobleme <strong>zu</strong>r Genüge, und <strong>die</strong>jeweiligen Gesellschaftsformen unternehmen in der Regel sehr wenig bis gar nichts, um ihnenbei<strong>zu</strong>stehen oder sie <strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong> akzeptieren.Auch wenn es religiösen Menschen und diversen Vertretern diverser Religionen nicht gefällt:Intersexualität ist ein natürliches Phänomen, das absolut NICHTS mit Teufeln, Dämonen, Sündeoder sexueller Perversion <strong>zu</strong> tun hat; auch nicht seitens der Eltern. Selbst wenn religiöse


69Fundamentalisten (<strong>zu</strong>m Beispiel Vatikan-Theologen) <strong>noch</strong> einige <strong>Ja</strong>hrtausende brauchen sollten, umIntersexualität als NATÜRLICH vorkommende Chromosomen-Variante <strong>zu</strong> akzeptieren – sie istREALITÄT.Ohne jeden Zweifel hat es <strong>die</strong>se Realität auch schon vor dreitausend <strong>Ja</strong>hren gegeben, auch schonvor füntausend, wahrscheinlich schon, seitdem es homo sapiens überhaupt gibt.Den alten Ägyptern und Nubiern muß <strong>die</strong>ses dritte Geschlecht bereits bekannt gewesen sein, samtallen als „Abweichungen von der Norm“ empfundenen körperlichen Begleiterscheinungen. Ebendarin sehe ich den Ursprung der Beschneidung. Um einen „echten Mann“ und eine „echte Frau“ <strong>zu</strong>bekommen, mußte man nur das wegschneiden, was <strong>die</strong> Natur oder <strong>die</strong> Götter vom „anderen“Geschlecht übriggelassen hatten. In <strong>die</strong>sem Sinne wurde <strong>die</strong> Vorhaut als Äquivalent der innerenSchamlippen angesehen, <strong>die</strong>se wiederum als Äquivalent der Vorhaut, <strong>die</strong> Clitoris als Überbleibseldes männlichen Penis und <strong>die</strong> äußeren Schamlippen als Äquivalent der männlichen Hoden.Medizin und Forschung des 20. <strong>Ja</strong>hrhunderts haben bewiesen, daß durchaus etwas Wahres dran ist,und deshalb spreche ich von einer gewissen perversen Logik, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Genitalienamputationinnewohnt, <strong>die</strong> <strong>wir</strong> unter dem Begriff Beschneidung kennen und viel <strong>zu</strong> leichtfertig als Traditionakzeptieren.Beschneidung IST Amputation. Die der Frau ebenso wie <strong>die</strong> des Mannes.Beschneidung ist unnötig bis verbrecherisch. Da mögen religiöse Traditionalisten hüpfen, so hochsie wollen: Ich sehe das so; viele Millionen ebenso, und hoffentlich bald alle Menschen. MeinRespekt und meine Anerkennung gilt allen Juden, Muslimen und sonstigen religiösen Gruppen, <strong>die</strong>ihre Kinder NICHT beschneiden lassen. Mögen <strong>die</strong>se Kinder als Erwachsene ebenso handeln.Wenn ich aber schon dabei bin, mich mit uralten religiösen Traditionen an<strong>zu</strong>legen, möchte ichgleich <strong>noch</strong> eine provokante Frage hin<strong>zu</strong>fügen. Die Thora bezeichnet <strong>die</strong> Beschneidung des Mannesals Zeichen für den Bund zwischen dem Menschen und Gott. <strong>Ein</strong> Bund, ein Bündnis, ein Vertrag istzweifellos eine Angelegenheit <strong>auf</strong> Gegenseitigkeit. Vertragspartei 1 verpflichtet sich, ................. ,Vertragspartei 2 verpflichtet sich, ................. , Punkt. Wenn der Pakt „besiegelt“ <strong>wir</strong>d, also durch einäußeres Zeichen bekräftigt, <strong>wir</strong>d das in der Regel von beiden Vertragsparteien vollzogen. Deshalbfinde ich <strong>die</strong> Frage legitim: Ist Gott ebenfalls beschnitten?Manche mögen <strong>die</strong>se Frage als witzig empfinden, andere als pure Gotteslästerung. Aber erlaubt seinmuß <strong>die</strong>se Frage wohl allemal. Andere wiederum werden sagen: Blödsinn. Gott ist doch formlos.Diese Anschauung ist mir überaus sympathisch, allerdings <strong>wir</strong>d sie in der Genesis ganz sicher nichtvertreten, denn schon im nächsten Kapitel ist „Gott <strong>zu</strong> Gast bei Abraham“ (wie Kapitel 18 in meinerBibelausgabe überschrieben <strong>wir</strong>d).<strong>Ein</strong>es Tages nähern sich drei Männer Abrahams Zelt; einen erkennt Abraham sofort, immerhin hat erihn ja schon <strong>zu</strong>vor gesehen: Gott. In seiner Begleitung: zwei Engel. Der Text beschreibt sie einfachals Männer. Hautfarbe, Haarfarbe, Kleidung werden mit keinem Wort erwähnt, auch nicht, ob sieBärte trugen. Von Flügeln, überzähligen Gliedmaßen, Lichterscheinungen oder sonstigen „specialeffects“ ist ebenfalls nicht <strong>die</strong> Rede. Drei Männer. <strong>Ein</strong>e derart außergewöhnliche Begegnung <strong>wir</strong>dganz simpel abgetan mit den Worten „drei Männer“.Begreiflicherweise ist Abraham komplett aus dem Häuschen, <strong>wir</strong>ft sich <strong>zu</strong> Boden, läßt sein zartestesKälbchen schlachten und <strong>zu</strong>bereiten und schickt Sara Brote backen. Selbstverständlich <strong>wir</strong>d nur dasAllerbeste <strong>auf</strong>getischt, das würde wohl jeder von uns so halten. Die Gäste essen und trinken auchwie „normale“ Männer, über eine etwaige spätere Verdauung <strong>wir</strong>d selbstverständlich nichtsberichtet. (Ist <strong>die</strong>ser Gedanke auch schon Blasphemie? Gehören denn Nahrungsmittel<strong>auf</strong>nahme undVerdauung nicht irgendwie <strong>zu</strong>sammen? Ist das bei Gott und Engeln anders? Darüber kann ich jaleider GAR nichts sagen, weil ich <strong>noch</strong> nie in Abrahams damaliger Situation war.)Nach dem Essen fragen <strong>die</strong> Männer, wo denn Sara wäre; das muß wohl eine rein rhetorische Fragegewesen sein, denn Gott müßte das ja wissen. (Damit will ich selbstverständlich nur <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Naivitätdes Verfassers hinweisen.) Im Zelt, antwortet Abraham. Und was tut sie dort? Sie lauscht. (Wiewenig haben sich <strong>die</strong> Zeiten doch geändert! Neugier und Tratsch <strong>sind</strong> offensichtlich etwas <strong>zu</strong>tiefst


70Menschliches!) Zu Abraham sagt Gott, er würde in einem <strong>Ja</strong>hr wiederkommen, dann hätte Sarabereits einen Sohn geboren. Und da muß Sara hinter der Zeltwand lachen; irgendwie verständlich,immerhin ist sie bereits 89 <strong>Ja</strong>hre alt und fern jeder Fruchtbarkeit. Aber als Gott sie wenig später <strong>auf</strong>ihr Lauschen und Lachen anspricht, streitet sie es ab.Diesen eigenartigen Dialog müßt ihr euch einmal vorstellen: Gott: „Du hast gelacht.“ Sara: „Nein,hab' ich nicht.“ Gott: „Doch, hast du.“ Sara: „Hab' ich nicht.“ Gott: „Hast du doch.“ Sara: „Hab' ichnicht. Wirklich nicht.“ Und so weiter. Heute eine Komö<strong>die</strong>, sogar eine Satire; für den Verfasser<strong>die</strong>ses Kapitels aber anscheinend völlig normal.Die beiden Engel brechen <strong>auf</strong>, weil sie in Sodom <strong>noch</strong> einen Job <strong>zu</strong> erledigen haben. Gott bleibt<strong>zu</strong>rück, um Abraham mit<strong>zu</strong>teilen, daß er gedenke, Sodom und Gomorra wegen ihrer ruchlosen, abernicht näher genannten Handlungen <strong>zu</strong> zerstören. Da wendet Abraham ein, daß es nicht gerecht wäre,Gerechte <strong>zu</strong>sammen mit Übeltätern <strong>zu</strong> vernichten. Er beginnt mit fünfzig Gerechten und handeltGott herunter <strong>auf</strong> fünf Gerechte, und Gott verspricht, Sodom <strong>zu</strong> verschonen, wenn sich dort <strong>die</strong>sefünf Gerechten finden ließen. Dann verläßt er Abraham, und er taucht im nächsten Kapitel, derZerstörung von Sodom und Gomorra, nicht mehr <strong>auf</strong>, <strong>zu</strong>mindest körperlich nicht. Es lassen sichauch nicht fünf Gerechte finden, sondern lediglich einer: Lot, Abrahams Neffe.An ebendessen Haustür klopfen <strong>die</strong> beiden Engel und werden in aller Gastfreundschaft willkommengeheißen. Sie erzählen Lot von der bevorstehenden Zerstörung Sodoms und weisen ihn an, samtseiner Familie <strong>noch</strong> in der selben Nacht aus der Stadt <strong>zu</strong> flüchten. Da klopft es erneut an der Türe,und draußen steht praktisch <strong>die</strong> gesamte männliche <strong>Ein</strong>wohnerschaft Sodoms und verlangt von Lot,er solle seine Gäste herausgeben, sie wollten mit ihnen verkehren.(„Verkehren“.Originalton Genesis, Kapitel 19, Vers 5.Jetzt erscheint es mir angebracht, doch <strong>noch</strong> das Kürzel „f“ ein<strong>zu</strong>führen, um <strong>die</strong> drastische Situationheftig genug beschreiben <strong>zu</strong> können: Sie wollen <strong>die</strong> beiden Engel f!Heute bezeichnet Sodomie den Geschlechtsakt mit Tieren, nur wenige <strong>Ja</strong>hrhunderte <strong>zu</strong>vor war unterSodomie <strong>die</strong> Ausübung männlicher Homosexualität gemeint. Hier aber <strong>sind</strong> Sodomisten offenbarEngel-F.<strong>Ja</strong> geht das denn überhaupt?)


71Angelologie ist ein Wort, das mitunter <strong>zu</strong>m Lallen anregen kann und „Engelskunde“ bedeutet.Um es gleich vorweg<strong>zu</strong>nehmen: Ich habe keinerlei persönliche Erfahrungen mit Engeln. Ich bin<strong>noch</strong> nie einem Engel begegnet. Ich kann deshalb nur wiederholen, was ANDERE über Engel vonsich gegeben haben, und da<strong>zu</strong> <strong>noch</strong> das, was ich so denke und glaube.Aber ich schätze, da geht es Angelologen auch nicht anders.Das deutsche Wort „Engel“ stammt ebenso wie das italienische „angelo“, das englische „angel“oder das lateinische „angelus“ vom altgriechischen „angelos“ (vor der Lautverschiebung „aggelos“),was „Überbringer einer Botschaft“, „Bote“ bedeutet, im speziellen Fall „Götterbote“. (Für denMonotheismus ist der Begriff „Götterbote“ selbstverständlich ungeeignet, weil es ja nur EINENGott gibt und nicht mehrere. Vielleicht hat sich aus <strong>die</strong>sem einfachen Grund das fremdwörtliche„angelos“ / „angelus“ durchgesetzt.)Als „Boten“ (Gottes) sieht <strong>die</strong> jüdische Tradition auch <strong>die</strong> Besucher Abrahams im vorigen Kapitel;er <strong>wir</strong>d (in jüdischer Lesart) keineswegs von Gott und zwei Engeln besucht, sondern von drei Boten,und jeder einzelne hat einen ganz bestimmten Auftrag: Der eine macht einen Krankenbesuch(„Mission beschnittener Penis“), der zweite überbringt <strong>die</strong> segensreiche Verheißung eines leiblichenSohnes für Abraham und Sara („Mission Isaak“), der dritte überbringt <strong>die</strong> Botschaft von deranstehenden Zerstörung Sodoms und Gomorras („Mission Sodom“) und konsultiert in <strong>die</strong>semZusammenhang sogar Gottes Bundesgenossen Abraham, geht sogar <strong>auf</strong> dessen <strong>Ein</strong>wände ein.<strong>Ein</strong>ig <strong>sind</strong> sich <strong>die</strong> monotheistischen Traditionen in der Anschauung, daß Engel Diener Gottes <strong>sind</strong>und einen ganz bestimmten Auftrag erfüllen beziehungsweise einen ganz bestimmten Teilaspekt derAllmacht Gottes repräsentieren.Nun sagte ein katholischer Theologe und Angelologe im deutschen Fernsehen, Engel hätten keineneigenen Willen, sondern vollzögen nur den Willen Gottes als seine ergebenen Diener; offenbar istdas <strong>die</strong> allgemein verbindliche Lehrmeinung. Dann wären aber <strong>die</strong> drei (oder zwei?) Boten-Engel,<strong>die</strong> Abraham besuchten, nicht unbedingt mehr als himmlische Grußpostkarten, Diktiergeräte oderWalkie-Talkies. Der Engel, der mit seinem Flammenschwert den <strong>Ein</strong>gang <strong>zu</strong>m Para<strong>die</strong>s bewacht,wäre gewissermaßen nur eine Art himmlische Selbstschußanlage. Ohne eigenen Willen wären Engellediglich Gottes himmlische Roboter. Oder Gottes Zombies?Endgültig ins Wanken gerät <strong>die</strong> These von den willenlosen Engeln aber in Hinsicht <strong>auf</strong> eine derfaszinierendsten und offenbar auch wichtigsten Geschichten in den monotheistischen Kulturen: demFall der abtrünnigen Engel. <strong>Ein</strong>es „Tages“ sollen sich demnach eine Gruppe von Engeln gegen Gottund Gottes Plan gewandt haben und nach heftigem Kampf mit den gottestreuen Engeln aus demHimmel geworfen worden sein. Den Anführer <strong>die</strong>ser Bande kennen Christen unter dem NamenLuzifer, Muslime unter dem Namen Iblis, es <strong>sind</strong> aber <strong>noch</strong> jede Menge andere Namen und „Titel“im Uml<strong>auf</strong>.Aber wie soll <strong>die</strong>se Rebellion vonstatten gegangen sein ohne eigenen Willen seitens der sichempörenden Abtrünnigen? Ohne deren eigenen Willen gäbe es ja nur einen einzigen Urheber <strong>die</strong>seshimmlischen Sündenfalls – Gott selbst. Denn ohne eigenen Willen vollführen Engel ja nur denWillen Gottes.Aus <strong>die</strong>sem Dilemma mangelnder Logik versucht sich <strong>die</strong> christliche Angelologie folgendermaßenheraus<strong>zu</strong>torkeln: Bereits im Moment ihrer Erschaffung entscheidet sich jeder einzelne Engel füreine Existenz FÜR Gott und Gottes Plan oder eben DAGEGEN. Aber WOMIT soll sich der Engelentscheiden, wenn nicht mit Hilfe eines eigenen Willens? Oder entscheidet er spontan mit eigenemWillen und gibt <strong>die</strong>sen dann für alle Ewigkeit an der himmlischen Theke ab?Da<strong>zu</strong> kommt <strong>noch</strong>, daß <strong>die</strong> christliche Angelologie davon ausgeht, daß Engel ebenso wie Gott selbstaußerhalb der für uns gültigen Normen der Zeit stehen und ganz genau darüber Bescheid wüßten,was sich <strong>zu</strong> jeder nur möglichen Zeit ereignete, ereignet und ereignen <strong>wir</strong>d. Die abtrünnigen Engelwüßten demnach ganz genau, daß ihr Aufruhr kein gutes Ende für sie nehmen würde. Sie müßtenalso ausgesprochene Blödmänner (oder eigentlich: Blödengel) sein oder grenzenlose Optimisten


72und Opportunisten, wenn sie sich trotz <strong>die</strong>ses Wissens gegen Gott und seinen Plan entschieden. (Alsderartige Dummköpfe, Optimisten und Opportunisten wären sie eigentlich der menschlichenExistenz um einiges näher als der göttlichen.)Und wenn <strong>die</strong> Engel NICHT durch eigenen Willen ihre Existenz pro oder contra Gott beginnen,dann SCHAFFT Gott <strong>die</strong>se ja, wie sie bis in alle Zukunft <strong>sind</strong>, als Diener und als Widersacher.(Oder gar als Diener UND Diener?)Weiters herrscht <strong>die</strong> Anschauung vor, daß der Abfall eines Teils der Engel direkt mit uns Menschenin Beziehung <strong>zu</strong> setzen ist. Nach der Tradition des Islam hat Gott <strong>die</strong> Menschen aus Erde (Lehm)geschaffen, <strong>die</strong> Dschinn aus Feuer und <strong>die</strong> Engel aus Licht (eine schöne Vorstellung: Himmelswesenals (echte!) Lichtgestalten). Die materielle Komponente des Menschen ist jedenfalls eindeutig undunübersehbar. Über Feuer- und Lichtwesen kann man sehr lange diskutieren und streiten, mutmaßenund deuteln.Es heißt, der Mensch wäre <strong>die</strong> Krone der Schöpfung, Gottes Meisterwerk, weit besser gelungen als<strong>die</strong> Engel; und daß Gott <strong>die</strong> Engel angewiesen hätte, auch dem Menschen <strong>die</strong>nstbar <strong>zu</strong> sein. Abergerade darüber hätten sich einige Engel empört und wären deswegen von Gott abgefallen.Versuchen <strong>wir</strong> einmal, uns mittels unseres unvollkommenen, aber phantasiebegabten menschlichenGeistes <strong>die</strong>se Situation vor<strong>zu</strong>stellen.Zuerst einmal in einer linearen Betrachtungsweise der Zeit.Gott erschafft <strong>die</strong> Engel. Alles paletti. Dann erschafft er den Menschen und sagt: „Super, der ist mirecht gut gelungen, irgendwie sogar besser als <strong>die</strong> Engel. Der ist fast wie ich, der ist mein Ebenbild.Dem sollen ab sofort auch <strong>die</strong> Engel <strong>die</strong>nen.“ Aber postwendend meint einer der Erzengel (Namebekannt): „Was? ICH soll <strong>die</strong>ser Staubkreatur <strong>die</strong>nen, <strong>die</strong>sem Erdkrümel? Wo ich doch energetischeindeutig hochwertiger bin als <strong>die</strong>ser sterbliche Mulchschnösel? Nein, <strong>auf</strong> keinen Fall!“ Und vieleEngel, wenn auch nicht <strong>die</strong> Mehrheit, teilen seine Meinung, und allesamt bekommen sie in Folgeden großen himmlischen ATritt, der sie aus den himmlischen Gefilden hinausbefördert, ein für alleMal, und in niedere Bereiche verbannt, von wo aus sie permanent Gott bekämpfen, indem sie uns,<strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> Ebenbilder Gottes, verführen und peinigen, uns das Leben vermiesen und unsunsere Verbindung <strong>zu</strong> Gott erschweren.Wiederum muß ich folgende Feststellungen treffen: Entweder <strong>die</strong>se Engel <strong>sind</strong> Gottes willenloseHimmelskreaturen, dann ist einzig und allein Gott verantwortlich für jedes Dilemma, in welchesirgendein Engel verwickelt ist, oder <strong>die</strong> Abtrünnigen <strong>sind</strong> in ihrer Eigenwilligkeit ausgeprägteBlödengel, stolz, eitel, eifersüchtig, störrisch, machtgeil, letztendlich entweder opportunistisch oderselbstzerstörerisch. Aber <strong>auf</strong> jeden Fall, wenn ihnen <strong>die</strong> Zukunft bekannt ist, bodenlos dämlich. Istihnen aber <strong>die</strong> eigene Zukunft NICHT bekannt, dann kann ihnen auch <strong>die</strong> göttliche Eigenschaft derZeitlosigkeit nicht <strong>zu</strong>gesprochen werden.Nun <strong>zu</strong> eben<strong>die</strong>ser zeitlosen Sichtweise, in der (laut katholischer Angelologie) <strong>die</strong> Engel <strong>Ein</strong>sichtbesitzen in Vergangenheit und Zukunft.Der Mensch ist <strong>noch</strong> lange nicht erschaffen, da erschafft Gott <strong>die</strong> Engel. Er bündelt Licht in Form,verleiht <strong>die</strong>sen Gestalten Leben, und das erste, was eine Minderheit <strong>die</strong>ser Lichtwesen von sich gibt,ist ein entschlossenes „Nein!“, da sie ja wissen, daß Gott später den Menschen erschaffen und <strong>die</strong>Unterordnung der Engel verlangen <strong>wir</strong>d, daß ihnen, den Abtrünnigen, das gar nicht schmecken <strong>wir</strong>d;und das, obwohl sie zeitgleich wissen, daß sie sich empören und fallen werden, daß letztendlich ihrTreiben entsetzlich in <strong>die</strong> Hose gehen und in der Vernichtung enden <strong>wir</strong>d.Und wieder stellt sich <strong>die</strong> Frage: Blödengel oder Gottes willenlose Anti-Diener?Jedenfalls scheint mir <strong>die</strong> christliche Angelologie mit der Logik ziemlich <strong>auf</strong> Kriegsfuß <strong>zu</strong> stehen.Aber auch <strong>die</strong> Angelologie der jüdischen Kabbala ist meine Sache nicht. <strong>Ein</strong>e hierarchisch gutdurchstrukturierte himmlische Plan<strong>wir</strong>tschaft Gottes und seiner willenlosen Diener, genannt Engeloder Genien, ist nicht <strong>die</strong> Weltanschauung, <strong>die</strong> ich persönlich vertreten kann.Bleibt für mich nur <strong>noch</strong> <strong>die</strong> angelologische Frage: Haben Engel Flügel?Oder: Welche Arten von Engeln haben solche?


73Ich glaube, es ist akzeptabel, wenn ich Engel relativ neutral als „Himmelswesen“ bezeichne.Abgesehen von ausgesprochen materialistischen und atheistischen Sichtweisen existiert überall <strong>auf</strong>unserem Planeten <strong>die</strong> Vorstellung von jenseitigen, höheren oder himmlischen Daseinsbereichen(wobei <strong>die</strong> Begriffe jenseitig, höher und himmlisch ganz und gar nicht identisch sein müssen, waswiederum <strong>zu</strong> Irrtümern und Verwechslungen führen kann!). Daß Vogelgottheiten mit Flügelndargestellt werden, versteht sich wohl von selbst. Aber ansonsten <strong>sind</strong> geflügelte Himmelswesen <strong>die</strong>Ausnahme oder überhaupt nicht vorhanden, außer in einer einzigen, ganz bestimmten Weltregion:östliches Mittelmeer, Ägypten, Naher Osten, Mesopotamien, Persien. Hier <strong>sind</strong> Menschen mitVogelschwingen und Mischwesen mit Federwerk durchaus üblich. Warum sollten Himmelswesen,<strong>die</strong> keine Vogelgottheiten <strong>sind</strong> (oder auch Fledermaus- oder Insektengottheiten), überhaupt Flügelbesitzen? Weil sie im Himmel wohnen und vom Himmel <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erde kommen? Das kann wohl nureine Art von Fliegen sein. Und fliegen kann man eben nur mit Flügeln. Diese Anschauung ist zwarnaiv, aber irgendwie von einer gewissen Logik. Vielleicht ist <strong>die</strong> Flügelhaftigkeit einiger Engelderart einfach nach<strong>zu</strong>vollziehen. Vielleicht auch nicht. Vielleicht ist euch das genauso egal wie mir.(Übrigens bin ich mir sicher, daß eine der ersten Fragen, <strong>die</strong> Juri Gagarin, dem ersten menschlichenWeltraumtouristen, seitens seiner regierenden Politbonzen gestellt wurden, „Und? IST da obenwas?“ war. Er dürfte wohl geantwortet haben: „Njet, nur <strong>die</strong> Erde, der Mond und <strong>die</strong> Sterne. Sonstist alles schwarz.“ Da <strong>wir</strong>d wohl so manches atheistische Bolschewistenherz erleichtert <strong>auf</strong>geseufzthaben. Ob wohl dem einen oder anderen <strong>die</strong>ser Herren – <strong>zu</strong>mindest gedanklich – ein „Gott seiDank!“ entschlüpft ist?)In der chinesischen Tradition gibt es Himmelswesen, <strong>die</strong> als glückverheißend gelten und völlig ohneFlügel auskommen, obwohl sie fliegen: Drachen. Die Drachen der nahöstlich-westlichen Traditionhingegen <strong>sind</strong> böse und widerwärtig, bringen nur Unglück und Leid und fressen <strong>die</strong> jugendliche undjungfräuliche Bevölkerung, sie haben auch keine Flügel aus Vogelfedern, sondern Hautflügel wieFledermäuse oder Flugsaurier. (So unterschiedlich können Kulturen, Traditionen, Religionen undMeinungen oder Auffassungen sein.)Überhaupt <strong>sind</strong> mir in puncto Himmel und Himmelswesen <strong>die</strong> monotheistischen Kulturen ziemlichfremd, wenn nicht sogar suspekt, da bin ich lieber monistischer Asiate. Schon als Kind haben michmesopotamische und persische Darstellungen von Menschen und anderen Wesen (<strong>zu</strong>m GroßteilMischwesen) mit Flügeln ziemlich irritiert und negativ fasziniert (soll heißen: abgestoßen). Als ichspäter dann Rekonstruktionen der israelitischen Bundeslade sah, empfand ich <strong>die</strong> beiden dar<strong>auf</strong>dargestellten Engel (genauer: Cherubim) als völlig heidnisch. (Und damals war ich <strong>noch</strong> einunbedarftes frühpubertäres Jüngelchen von durchschnittlicher Christlichkeit.) Diese werden nämlichdargestellt als Stierkörper mit mächtigen Vogelschwingen und einem Menschenkopf. DiesenSphinx-artigen Figuren konnte ich schon damals nichts Spirituelles (oder gar Christlich-Spirituelles)abgewinnen, <strong>noch</strong> kann ich es heute. Diese Darstellungen empfinde ich <strong>noch</strong> immer als heidnisch(und das ist schon sehr höflich formuliert); sie <strong>sind</strong> mir immer <strong>noch</strong> ein Rätsel.Der Ausgangspunkt <strong>die</strong>ser angelologischen Exkursion war aber eigentlich <strong>die</strong> Frage, ob man mitEngeln Sex haben kann.Ich möchte <strong>zu</strong>erst einmal <strong>auf</strong> das 6. Kapitel der Genesis <strong>zu</strong>rückverweisen, in dem sogenannte„Gottessöhne“ mit den Menschentöchtern Kinder zeugten (Riesen und Helden). Ich nehme an, imOriginal steht nicht „Gottessöhne“, sondern „Elohim“. „Elohim“ ist ein Wort in der Mehrzahl, „El“bedeutet Herr (Gott). Elohim bedeutet also – wenn nicht sogar „Götter“ – so viel wie „<strong>die</strong> Herren“,„<strong>die</strong> Herrschenden“. Noch heute <strong>wir</strong>d kräftig darüber diskutiert und spekuliert, wer oder was unterden „Gottessöhnen“ des 6. Kapitels der Genesis <strong>zu</strong> verstehen ist. Es darf aber (nicht nur meinerMeinung nach) angenommen werden, daß irgendwelche Himmelswesen gemeint <strong>sind</strong>. Also wärenHimmelswesen und Mensch sexuell kompatibel, <strong>zu</strong>mindest einmal männliches Himmelswesen undweiblicher Mensch.Gibt es auch weibliche Himmelswesen?In den völlig patriarchalisch geprägten Kulturen des Monotheismus <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>se Frage als peinlich,


74wenn nicht sogar als unangebracht empfunden. Bei <strong>die</strong>sem Thema winden sich Angelologen oftregelrecht, sofern sie überhaupt eine einhellige Meinung haben. Die christliche Angelologie vertrittjedenfalls konsequent <strong>die</strong> Mehrheitsmeinung, daß Engel ungeschlechtlich <strong>sind</strong>. (Da hätten <strong>die</strong> Engelgegenüber uns Menschen ein ziemlich großes Handicap <strong>zu</strong> tragen; während <strong>wir</strong> mit insgesamt DREIGeschlechtern <strong>auf</strong>warten können, hätten Engel lediglich eines – nämlich keines. (Oder sehe ich dasvielleicht sogar völlig falsch, und es ist gar kein Handicap, sondern DIE Erlösung von jeglicherGeschlechtlichkeit?))Weiter östlich <strong>auf</strong> unserem Planeten stellt sich <strong>die</strong> Problematik derartiger Fragen jedenfalls nicht. InTaoismus, Buddhismus, Hinduismus, Shintoismus und etlichen unbekannteren („kleineren“)Religionen gibt es jede Menge von männlichen und weiblichen Himmelswesen (nicht nur Götter(Sanskrit: „devas“) und Göttinnen („devis“), sondern <strong>zu</strong>m Beispiel auch himmlische Musiker(„gandharvas“) und himmlische Tänzerinnen („apsaras“). Letztere werden in hinduistisch geprägtenRegionen ÄUSSERST weiblich dargestellt. Geschlechtlichkeit scheint in <strong>die</strong>sen Religionen wohletwas ziemlich Normales <strong>zu</strong> sein, auch in himmlischen Welten.)Wenn Sex zwischen männlichen Himmelswesen und weiblichen Menschen möglich ist, müßte auchSex zwischen männlichen Menschen und weiblichen Himmelswesen durchführbar sein.Aber <strong>die</strong> Frage nach weiblichen Engeln, mit denen man Sex haben könnte, stellt sich in unseremspeziellen Fall (Lots Besucher und <strong>die</strong> Bewohner von Sodom) ja gar nicht, <strong>die</strong> beiden Boten werdeneindeutig als „Männer“ geschildert. Und da sie als Abrahams Gäste gegessen und getrunken habenwie normale Männer, darf man auch (ohne gotteslästerlich sein <strong>zu</strong> wollen) eine zweite (rückwärtige)Öffnung des Verdauungsapparates annehmen. Womit <strong>die</strong> Absicht der Sodomiter, mit den beidenGästen Lots „verkehren“ <strong>zu</strong> wollen, wohl als durchführbar angesehen werden muß.Lot und seinen Gästen dürfte also völlig <strong>zu</strong>recht ziemlich mulmig gewesen sein. Gruppensex mitder gesamten männlichen <strong>Ein</strong>wohnerschaft einer berüchtigten Stadt – was für ein Horror! Da gingemir (volksmündlich gesprochen) ebenfalls ziemlich der A.Um <strong>die</strong>ses (sowohl heikle als auch pikante) Thema endgültig ab<strong>zu</strong>schließen: Ist Sex auch mitgeschlechtslosen Engeln möglich?Wahrscheinlich kennt ihr alle <strong>die</strong> im katholischen Barock so beliebt gewesenen Darstellungen vonkleinen Engelchen (den sprichwörtlichen Barockengeln): kleine niedliche Kleinkinderkörperchenmit niedlichen Flügelchen, niedlichen Ärmchen und Schenkelchen, niedlichen Po- und Pausbackensowie (wenn nicht dezent verborgen) niedlichen Zipfelchen und Säckchen. So hundertprozentiggeschlechtslos <strong>sind</strong> <strong>die</strong>se Darstellungen ja nicht, aber <strong>zu</strong>mindest <strong>noch</strong> nicht geschlechtsreif. (Sexmit <strong>die</strong>sen Engelchen-Bengelchen würde ich jedoch <strong>auf</strong> gar keinen Fall gutheißen, das wäre jaAngelopädophilie!)Barockengelchen <strong>sind</strong> für mich <strong>die</strong> Hirnkaries fördernde Zuckerwatte der christlichen Religion, <strong>die</strong>volksdümmliche Schnulze des pseudo-spirituellen Kitsch. So nebenbei erinnern sie mich an denkleinen römischen Liebesgott Cupido, der mit seinen geschlechtshormonvergifteten Pfeilen <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Menschen ballert.Es gibt in der christlichen Welt allerdings auch Darstellungen von so<strong>zu</strong>sagen erwachsenen Engeln:betont androgyne Jünglings-Mädchen-Gesichter mit meist blonder Lockenpracht, selbstverständlichbartlos; schlanke Körper ohne geschlechts<strong>auf</strong>fällige Rundungen in den Bereichen Oberkörper, Hüfteund Schritt. Und da <strong>die</strong>se Körper in der Regel in Rüstungen gepreßt oder in weite Gewänder gehülltwerden, können <strong>wir</strong> auch keinerlei Aussagen über eventuelle Genitalien oder Körperöffnungentreffen.Außer über den Engelsmund, den man eventuell ja auch ...............(Da huschen <strong>wir</strong> besser schnell <strong>zu</strong>rück in Lots Behausung.)


75Der gastfreundliche Lot will seine Gäste jedenfalls unter keinen Umständen der sodomitischenPotenz aussetzen. Er bietet dem Mob sogar als Ersatz seine beiden unverheirateten – alsojungfräulichen – Töchter an. Die Sodomiter lehnen eine biedere Orgie mit Jungfrauen jedoch ab, siewollen das Außergewöhnliche. Im allerletzten Moment rettet sich Lot vor dem immer rabiaterwerdenden Pöbel <strong>zu</strong>rück in sein Haus.Und dann strecken <strong>die</strong> beiden Engel einfach ihre Hände aus und schlagen <strong>die</strong> Bewohner Sodomsmit Blindheit, sodaß sie den <strong>Ein</strong>gang <strong>zu</strong> Lots Haus nicht mehr finden können.Wo<strong>zu</strong> also das ganze Spektakel <strong>zu</strong>vor? Als Beweis dafür, wie verwerflich <strong>die</strong> Sodomiter waren, unddaß deren Vernichtung voll gerechtfertigt ist?Warum läßt sich Lots Familie <strong>noch</strong> bis in <strong>die</strong> Morgenstunden Zeit, bis sie endlich Haus und Stadtverläßt, trotz heftig drängender Engel? Hat das Packen so lange gedauert? Was will man denn schonpacken, wenn der sichere Tod droht, und wenn man nur <strong>zu</strong> Fuß unterwegs ist? Ist es etwa LotsWeib, <strong>die</strong> sich nicht von ihren Besitztümern trennen wollte? Hat DAS möglicherweise ihre Zukunftversalzen?(Die beiden verheirateten Töchter Lots bleiben übrigens bei ihren Männern in Sodom <strong>zu</strong>rück, weilsie Lot und <strong>die</strong> beiden Boten nicht ernst nehmen; sie halten alles für einen Scherz. (Auch <strong>die</strong>bedrohlichen Vergewaltigungsgelüste der Sodomiter?) Jedenfalls haben sie danach jede Menge Pechgehabt. Pech und Schwefel.)Die Verse 15 bis 22 des 19. Kapitels möchte ich wortwörtlich zitieren, da sie einige ver<strong>wir</strong>rendeEigenheiten <strong>auf</strong>weisen, <strong>die</strong> ganz sicher nicht erzähltechnischer Natur <strong>sind</strong>; ich erlaube mir, <strong>die</strong>jeweiligen Worte, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> ich hinweisen möchte, durch Großschreibung hervor<strong>zu</strong>heben.„Als <strong>die</strong> Morgenröte <strong>auf</strong>stieg, drängten DIE ENGEL Lot <strong>zu</strong>r Eile: Auf, nimm deine Frau und deinebeiden Töchter, <strong>die</strong> hier <strong>sind</strong>, damit du nicht wegen der Schuld der Stadt hinweggerafft <strong>wir</strong>st. Da er<strong>noch</strong> zögerte, faßten DIE MÄNNER ihn, seine Frau und seine beiden Töchter an der Hand, weil derHerr mit ihm Mitleid hatte, führten ihn hinaus und ließen ihn erst draußen vor der Stadt los.Während ER sie hinaus ins Freie führte, sagte ER: Bring dich in Sicherheit, es geht um dein Leben.Sieh dich nicht um und bleib in der ganzen Gegend nicht stehen! Rette dich ins Gebirge, sonst <strong>wir</strong>stdu auch weggerafft. Lot aber sagte <strong>zu</strong> IHNEN: Nein, MEIN HERR, DEIN Knecht hat doch DEINWohlwollen gefunden. DU hast mir große Gunst erwiesen und mich am Leben gelassen. Ich kannaber nicht ins Gebirge fliehen, sonst läßt mich das Unglück nicht mehr los und ich muß sterben. Da,<strong>die</strong> Stadt in der Nähe, dorthin will ich mich <strong>retten</strong>. Ist sie nicht klein? So könnte ich am Lebenbleiben. ER antwortete ihm: Gut, auch das will ICH dir gewähren und <strong>die</strong> Stadt, von der du sprichst,nicht zerstören. Schnell flieh dorthin; denn ICH kann nichts unternehmen, bevor du dortangekommen bist. Deshalb nannte er (((oder ER?))) <strong>die</strong> Stadt Zoar (Kleine).“Ist es nicht verblüffend, wie in <strong>die</strong>sem Text zwischen Mehrzahl und <strong>Ein</strong>zahl hin und her gewechselt<strong>wir</strong>d?Ursache für <strong>die</strong>ses ver<strong>wir</strong>rende Phänomen ist wohl wiederum das Wort „Elohim“. Ich getraue mich,<strong>die</strong>s so einfach fest<strong>zu</strong>stellen, ohne daß ich das hebräische Original kenne. (Ich verstehe weder <strong>die</strong>alte <strong>noch</strong> <strong>die</strong> neue Form der hebräischen Sprache. Aber soweit ich weiß, soweit ich gehört undgelesen habe, ist das Wort „Elohim“ für <strong>die</strong>se seltsame Erzählform verantwortlich.)Bevor im 2. Buch Mose (genannt Exodus) erstmals der Name „<strong>Ja</strong>hwe“ <strong>auf</strong>taucht, <strong>wir</strong>d anstelle<strong>die</strong>ses Namens wohl der Begriff „Elohim“ verwendet. Später, als der Name <strong>Ja</strong>hwe für dermaßenheilig gehalten wurde, daß er nicht mehr ausgesprochen werden durfte, wurde ein anderes Wort für„Herr“ gebräuchlich: „Adonai“. Elohim aber ist <strong>die</strong> Mehrzahl von El, was „Herr“ bedeutet und imHebräischen mit unserem Begriff „Gott“ gleichgesetzt <strong>wir</strong>d. El ist in <strong>die</strong>ser Bedeutung Bestandteilvieler hebräischer Namen wie Gabriel, Michael, Daniel, Elias oder Elisabeth.Aber nicht immer hat „Elohim“ auch <strong>die</strong> Bedeutung „Gott, der Herr“. Manchmal <strong>wir</strong>d „Elohim“ als„der Engel des Herrn“ wiedergegeben, machmal auch in der Mehrzahl als „Boten“ oder „Engel“,und an einer bereits erwähnten Stelle sogar mit „<strong>die</strong> Gottessöhne“ übersetzt. (Habe ich <strong>zu</strong>mindest so


76vernommen.)Sind diverse Überset<strong>zu</strong>ngen also falsch oder schlecht?Überset<strong>zu</strong>ngen <strong>sind</strong> immer eine heikle Angelegenheit, schließlich sollen sie nicht nur Wortewiedergeben, sondern primär deren Sinn. Auch ohne <strong>die</strong> verschiedenen Überset<strong>zu</strong>ngsmöglichkeitenscheint mir schon im hebräischen Original das Wort „Elohim“ keine eindeutige Sache <strong>zu</strong> sein.Warum wurde nicht <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>zahl „El“ verwendet?Warum <strong>wir</strong>d „Elohim“ einerseits für „Gott, der Herr“ verwendet und andererseits für Engel?(„Elohim“ als einer der Namen Gottes wurde übrigens erst viel später üblich.)Kann jeder Leser „Elohim“ einmal so und einmal anders interpretieren?Kann man „Elohim“ vielleicht sogar <strong>auf</strong> ganz ketzerische Art mit „<strong>die</strong> Götter“ übersetzen?Warum ist es Spezialisten, Fachleuten, Sprachforschern und Theologen bis heute nicht gelungen,eine verbindliche, eindeutige und klare Wiedergabe des Wortes „Elohim“ <strong>zu</strong> bewerkstelligen?<strong>Ein</strong>deutig und klar ist der Text der Thora, <strong>zu</strong>mindest in wesentlichen Teilen, oft sogar SEHRwesentlichen, aber <strong>auf</strong> gar keinen Fall.<strong>Ein</strong>e klare und reine Botschaft hat es meiner Meinung nach nicht nötig, interpretiert <strong>zu</strong> werden;schon gar nicht <strong>auf</strong> völlig unterschiedliche Art und Weise.


77Ich wäre wahrlich froh, wenn ich <strong>die</strong> Aufzählung sonderbarer Geschichten beenden könnte. Aber<strong>noch</strong> im selben Kapitel folgt schon <strong>die</strong> nächste.Trotz aller gegenüber „Elohim“ geäußerten <strong>Ein</strong>wände zieht Lot mit seinen Töchtern doch <strong>noch</strong> insGebirge und bewohnt mit ihnen eine Höhle. Und (ich zitiere nun <strong>die</strong> Verse 31 bis 33) „eines Tagessagte <strong>die</strong> Ältere <strong>zu</strong>r Jüngeren: Unser Vater <strong>wir</strong>d alt und einen Mann, der mit uns verkehrt, wie es inaller Welt üblich ist, gibt es nicht. Komm, geben <strong>wir</strong> unserem Vater Wein <strong>zu</strong> trinken und legen <strong>wir</strong>uns <strong>zu</strong> ihm, damit <strong>wir</strong> von unserem Vater Kinder bekommen. Sie gaben also ihrem Vater am AbendWein <strong>zu</strong> trinken; dann kam <strong>die</strong> Ältere und legte sich <strong>zu</strong> ihrem Vater. Er merkte nicht, wie sie sichhinlegte und wie sie <strong>auf</strong>stand.“ Am nächsten Tag wiederholt <strong>die</strong> Jüngere <strong>die</strong>se Form des inzestiösenMißbrauchs, und beide werden schwanger. (Welch Trefferquote! Davon durften Abraham und seineVorfahren ja nicht einmal träumen!) Und so werden später dann Moab und Ben-Ammi geboren, <strong>die</strong>Stammväter der Moabiter und Ammoniter.<strong>Ein</strong> tragischer Fall von archaischem Inzest?Wie kommen Lots Töchter <strong>auf</strong> <strong>die</strong> völlig absurde Idee, daß es außer ihrem Vater keine Männer <strong>auf</strong>der großen weiten Welt geben sollte? Gibt's in Zoar denn keine? Wissen sie nichts von anderenOrten oder denken sie, daß ALLE anderen Orte ebenso zerstört wurden wie Sodom und Gomorra?Könnten sie tatsächlich dermaßen dämlich gewesen sein? Oder <strong>sind</strong> sie durch <strong>die</strong> Zerstörung ihrerHeimat dermaßen traumatisiert, daß sie unter einer „Wir-<strong>sind</strong>-total-allein“-Psychose leiden? Wissensie denn <strong>wir</strong>klich nichts über Großonkel Abraham, den Bündnisgenossen Gottes, und seineSippschaft? Über ihre Verwandtschaft am Euphrat? Über den Rest Kanaans, über Mesopotamien,Persien, Ägypten oder das Reich der Hethiter? Wissen sie <strong>wir</strong>klich nichts über benachbarte Völkerund Stämme, Städte und Stadtstaaten? So etwas weiß heute doch jedes dreijährige Kind!?! Hat ihrVater ihnen denn NICHTS aus seinem Leben erzählt, über seine Heimat Ur, den Aufenthalt in Haranam Euphrat, <strong>die</strong> Reise nach Ägypten, <strong>die</strong> erzwungene Reise als Kriegsbeute bis in <strong>die</strong> Gegend vonDamaskus, das ganze Umherwandern in Kanaan? Dieser Mann ist doch weiter herumgekommen als<strong>die</strong> meisten HEUTIGEN Zeitgenossen! Sind Lots Töchter tatsächlich dermaßen dämlich? Und <strong>die</strong>seDummgören sollen GEZIELT eine inzestiöse Not<strong>zu</strong>cht-Schwängerung durchgezogen haben?Diese Fragen kann man wohl mit einem entschiedenen „Nein! Völlig absurd!“ beantworten.Und Lot, der Potenzbrocken im Tiefschlaf? Kann es sein, daß er tatsächlich von der Besteigungseiner Männlichkeit nichts mitbekommen hat?Sowohl eigene als auch <strong>die</strong> Erfahrungen anderer Menschen beiderlei Geschlechts widersprechen<strong>die</strong>ser Annahme eindeutig. Zwar ist es mir selber schon manchmal passiert, daß ich munter wurdeund mich mitten im Sexualgeschehen vorfand, aber ich bin eben MUNTER geworden, und besoffenwar ich auch nicht. Überhaupt hatte ich kein einziges Mal Sex im volltrunkenen Zustand; da<strong>zu</strong>fehlten mir regelmäßig sämtliche Vorausset<strong>zu</strong>ngen; ich hatte weder Lust <strong>noch</strong> Lustgefühle. Alle vonmir <strong>die</strong>sbezüglich befragten Menschen haben es bestätigt: Volltrunkenheit und Sex passen nicht<strong>zu</strong>sammen, das GEHT einfach nicht. Entweder Mann kann und kriegt's mit, oder Mann kann ebennicht und verpennt <strong>die</strong> Gelegenheit.Warum sollte gerade Lot eine Ausnahme sein?Was soll also <strong>die</strong>se sonderbare Geschichte?Ich fürchte, ich habe eine plausible Erklärung an<strong>zu</strong>bieten.Als in der zweiten Hälfte des 20. <strong>Ja</strong>hrhunderts Abenteurer und Forscher <strong>auf</strong> der Insel NeuguineaErstkontakte mit mehreren kleinen Völkchen herstellten, welche sich <strong>noch</strong> <strong>auf</strong> Steinzeitniveaubefanden, berichteten sie völlig unabhängig voneinander von ähnlichen Erfahrungen: Zuerst stießensie <strong>auf</strong> Argwohn und Vorsicht, aber nach dem Austausch von freundlichen Gesten und Geschenkenerwiesen sich <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>geborenen als friedfertig und gastfreundlich. Aber – so warnten sie – jenseits<strong>die</strong>ser Berge würden Menschen leben, <strong>die</strong> wären nicht so nett wie sie selber, <strong>die</strong> wären kriegerisch,verschlagen und böse, ja schlimmer <strong>noch</strong> – <strong>die</strong> wären (geflüstert <strong>zu</strong> lesen:) Kannibalen. Aber einechter Forscher und Abenteurer läßt sich von solchen Geschichten nicht <strong>auf</strong>halten, <strong>wir</strong>d höchstens


78ein bißchen vorsichtiger. Also gingen sie über <strong>die</strong>se Berge und trafen <strong>auf</strong> ein Völkchen, daseigentlich genau so war wie schon das vorige: argwöhnisch, vorsichtig, letztendlich aber äußerstgastfreundlich. Und sie deuteten <strong>auf</strong> <strong>die</strong> gleichen Berge und warnten: Dahinter würden Menschenleben, <strong>die</strong> wären nicht so nett wie sie selber, <strong>die</strong> wären kriegerisch, verschlagen und böse, jaschlimmer <strong>noch</strong> – <strong>die</strong> wären (geflüstert <strong>zu</strong> lesen:) Kannibalen.Man ist geneigt, über derartige Geschichten <strong>zu</strong> lächeln. Für einen steinzeitlichen Jäger und Sammlerist es aber sicher nicht angenehm, steinzeitlichen Jägern und Sammlern gegenüber <strong>zu</strong> stehen, <strong>die</strong>allgemein für Menschenfresser gehalten werden. Ist <strong>die</strong> Vorstellung des eigenen Todes schon nichtganz angenehm, <strong>die</strong> Vorstellung des Gefressen-Werdens ist es <strong>noch</strong> viel weniger. Da macht sicheben Furcht breit.Die Furcht vor allem Fremden ist dem Menschen offenbar ganz tief einprogrammiert, vielleichtsogar genetisch bedingt. Andererseits existiert aber auch das völlige Gegenteil <strong>die</strong>ser Furcht: <strong>die</strong>Neugier. In <strong>die</strong>sem Spannungsfeld bewegen <strong>wir</strong> uns wohl alle.Wenn <strong>die</strong> Furcht vor dem Fremden Erwachsene betrifft, <strong>wir</strong>d sie „Xenophobie“ (griechisch für„Fremdenangst“) genannt. Bei kleinen Kindern nennt man <strong>die</strong>ses Verhalten „Fremdeln“. Als Schutzvor dem bedrohlichen Fremden sehen Kinder in erster Linie <strong>die</strong> Eltern. Dieses Verhalten kennt wohljeder und kann es jederzeit leicht beobachten. Kleine Kinder machen eben <strong>die</strong>se Phase durch, das istganz natürlich, ebenso wie <strong>die</strong> folgende Phase der Leichtgläubigkeit und Vertrauensseligkeit.Erwachsene sehen sich aus Angst vor dem Fremden entweder <strong>zu</strong> Flucht- oder <strong>zu</strong> Kampfverhaltengenötigt; als schützende Mutterschürze <strong>die</strong>nen das traute Heim oder <strong>die</strong> Gemeinschaft. Das waroffensichtlich schon in der Steinzeit so und ist es auch <strong>noch</strong> heute. Während kleine Kinder aus derPhase des „Fremdelns“ herauswachsen, indem sie sich mit dem „Fremden“ vertraut machen,schaffen das <strong>die</strong> meisten Erwachsenen anscheinend nicht. (WOLLEN sie sich mit dem „Fremden“vielleicht nicht vertraut machen?)Zu den allerschlimmsten Vorbehalten, <strong>die</strong> man „Fremden“ gegenüber vorbringen kann, zählten imL<strong>auf</strong>e der Geschichte <strong>die</strong> folgenden Vorwürfe:Kannibalismus,abscheuliche und verwerfliche religiöse Praktiken,abscheuliche und verwerfliche sexuelle Praktikenund „selbstverständlich“ Kombinationen davon.Auch wenn der Vorwurf des Kannibalismus etwas aus der Mode gekommen ist (weil Kannibalismuseben nicht all<strong>zu</strong> häufig vorkommt), <strong>die</strong> beiden anderen Vorwürfe <strong>sind</strong> <strong>noch</strong> immer weit verbreitet.Leider hat homo sapiens <strong>zu</strong> allen Zeiten und <strong>auf</strong> allen Kontinenten Nachbarvölker und ethnische,religiöse oder andere Minderheiten innerhalb der eigenen Gesellschaft mit allerlei Vorbehalten,Vorwürfen und Vorurteilen bedacht, sie diskreditiert, diskriminiert, ausgegrenzt, verfolgt und sogareliminiert. („Zu allen Zeiten“ schließt leider <strong>die</strong> Gegenwart mit ein.) Zumindest in Hinsicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong>weltweit verbreitete Xenophobie hat homo sapiens anscheinend das Niveau eines fünfjährigenKindes <strong>noch</strong> nicht erreicht – oder schon wieder verloren.(Angesichts <strong>die</strong>ses Schandflecks werdet ihr mir wohl <strong>zu</strong>stimmen, daß der Beiname „sapiens“ nun<strong>wir</strong>klich unangebracht ist und eine entsetzliche Überschät<strong>zu</strong>ng und Überheblichkeit darstellt.)Vor Vorurteilen <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> alle nicht gefeit. „Das Fremde“ verunsichert nach wie vor. Homo sapienshat es eben gern bequem, ordentlich, sicher, überschaulich, vertraut. Aber wenn <strong>wir</strong> <strong>auf</strong>einander<strong>zu</strong>gehen (der „Fremde“ <strong>auf</strong> den „Fremden“), werden <strong>wir</strong> ganz schnell dr<strong>auf</strong>kommen, daß <strong>wir</strong> garnicht so sehr verschieden <strong>sind</strong>, sondern nur „ein bißchen anders“. (Und bedenke, daß es <strong>auf</strong> derganzen Welt keinen einzigen Menschen gibt, der GENAU so ist wie du. Man ist also sowieso <strong>auf</strong>Akzeptanz und Toleranz angewiesen – sogar dem eigenen Zwilling gegenüber.)Es wäre schön, wenn das Volk der Hebräer eine Ausnahme wäre in <strong>die</strong>sem Wechselspiel derVorurteile, der Xenophobie und des (<strong>zu</strong>mindest latent vorhandenen) Chauvinismus. Aber wederwaren Juden eine Ausnahme <strong>zu</strong> der Zeit, in der <strong>die</strong>se Geschichte über Lot angesiedelt <strong>wir</strong>d, <strong>noch</strong><strong>zu</strong>r Zeit der Abfassung <strong>die</strong>ser Schrift (und da liegen über tausend <strong>Ja</strong>hre dazwischen), <strong>noch</strong> <strong>sind</strong> sie


79es heute. (Das ist eben etwas durch und durch „Menschliches“.)Es ist auch nicht das erste Mal, daß in der Thora andere Völker untergriffig mit Pauschalurteilenbedacht und für minder erachtet werden. Erinnern <strong>wir</strong> uns an den volltrunkenen Noah, der imWeindusel seine Kronjuwelen unfreiwillig herzeigt und hinterher Sohn Ham und Enkel Kanaan füralle Zeiten verflucht, weil Ham sich über <strong>die</strong> Entblößung seines Vaters lustig gemacht hat. (Abermuß jemand, der besoffen herumliegt, eigentlich nicht damit rechnen, daß sich andere Leute überihn lustig machen oder sich seinetwegen schämen, ihn gar mißbilligen?) Jedenfalls kommt keinanderes Volk im Schriftgut der Hebräer dermaßen schlecht weg wie <strong>die</strong> Kanaaniter, nicht einmal <strong>die</strong>Ägypter oder <strong>die</strong> Babylonier.Es ist eben sehr leicht und unkompliziert, wenn man in derartigen Gedankengängen denkt undempfindet: „Schau nur! Die <strong>sind</strong> nicht wie <strong>wir</strong>. Die kleiden sich anders, <strong>die</strong> kochen anders, <strong>die</strong>reden anders, <strong>die</strong> haben eine andere Religion, <strong>die</strong> SIND einfach ANDERS. Die SIND nicht wie <strong>wir</strong>.Die <strong>sind</strong> nicht so gut dr<strong>auf</strong> wie <strong>wir</strong>. Die haben <strong>noch</strong> nicht so eine hochstehende Kultur wie <strong>wir</strong>. Undüberhaupt (flüster flüster flüster)!“Das ist leider nicht <strong>die</strong> Ausnahme <strong>auf</strong> unserem Planeten, sondern wohl eher <strong>die</strong> Regel. Und warumsollten Hebräer/Israeliten/Juden eine Ausnahme sein? Sie <strong>sind</strong> es leider auch nicht. Zwei andereVölkchen dem Vorwurf eines inzestiösen Ursprungs aus<strong>zu</strong>setzen, ist aber insofern besonders pikantund peinlich, da sie ja selber einer solchen Beziehung entstammen – Abraham und Sara waren jaGeschwister.In <strong>die</strong>sem Zusammenhang möchte ich <strong>noch</strong> einen kleinen Hinweis anbringen, <strong>auf</strong> dessenUrheberschaft ich aber (leider) keinen Anspruch erheben kann: Wer mit seinem Zeigefinger <strong>auf</strong>einen anderen Menschen deutet, zeigt gleichzeitig mit drei Fingern <strong>auf</strong> sich selber.


80„Es ist EINE Sache, in einen riesengroßen XCRH<strong>auf</strong>en hinein<strong>zu</strong>treten, aber eine völlig andere,wenn man ein zweites Mal in den GLEICHEN H<strong>auf</strong>en steigt.“Diesen Spruch hätte ich eigentlich gerne in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> Lots doppelte „unbewußte“ Völkerzeugungangebracht. Aber das konnte ich ja nicht, weil ich <strong>die</strong>se Geschichte in der geschilderten Form nichtakzeptieren kann, weil ich sie ja für eine bewußte Form von Diskriminirierung halte.Aber in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> Abraham und Sara kann ich <strong>die</strong>ses „Bonmot“ verwenden, denn schon imnächsten Kapitel begegnen sie <strong>auf</strong> ihrer Wanderschaft dem Philisterkönig Abimelech, der seinhormontriefendes Auge <strong>auf</strong> Sara <strong>wir</strong>ft. Abraham reagiert haargenau <strong>auf</strong> <strong>die</strong> selbe Art und Weise, <strong>die</strong><strong>wir</strong> schon aus der Geschichte über seinen Ägypten-Aufenthalt kennen: „Sara, du bist so schön.Dieser mächtige Kerl begehrt dich und <strong>wir</strong>d mich sicherlich töten, wenn er erfährt, daß du meineFrau bist. Also sagen <strong>wir</strong> lieber, <strong>wir</strong> seien Bruder und Schwester.“ (Die Geschwisterschaft <strong>wir</strong>d inVers 12 <strong>die</strong>ses 20. Kapitels bestätigt.) Die ansonsten so resolute „Herrin“ fügt sich auch <strong>die</strong>smalwortlos und ist offensichtlich „selbstverständlich“ bereit, sich in ein fremdes Bett <strong>zu</strong> legen.Aber Abimelech hat wesentlich mehr Glück als <strong>zu</strong>vor der namenlose Pharao; ihm erscheint nämlichGott im Traum und sagt ihm Folgendes (nach<strong>zu</strong>lesen in den Versen 3-7): „Du mußt sterben wegender Frau, <strong>die</strong> du dir genommen hast; sie ist verheiratet.“ Abimelech beteuert (im Traum) seineSchuldlosigkeit, da sich ja beide als Bruder und Schwester ausgegeben haben. Dar<strong>auf</strong> antwortetGott: „Auch ich weiß, daß du es mit arglosem Herzen getan hast. Ich habe dich ja auch darangehindert, dich gegen mich <strong>zu</strong> verfehlen. Darum habe ich nicht <strong>zu</strong>gelassen, daß du sie anrührst.Jetzt aber gib <strong>die</strong> Frau dem Mann <strong>zu</strong>rück; denn er ist ein Prophet. Er <strong>wir</strong>d für dich eintreten, daß duam Leben bleibst. Gibst du sie aber nicht <strong>zu</strong>rück, dann sollst du wissen: Du mußt sterben, du undalles, was dir gehört.“Wie jeder weiß, gehören <strong>zu</strong>m Ehebruch drei Beteiligte: zwei aktive und ein (im wahrsten Sinne)passiver (also leidender). Nicht so hier oder über zwanzig <strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong>vor in Ägypten; der eigentlicheAuslöser des Ehebruchschlamassels ist ja Abraham, der Gehörnte ist so<strong>zu</strong>sagen ein Selbsthörner.Wie schon der Pharao <strong>zu</strong>vor hat auch der König der Philister nicht im mindesten <strong>die</strong> Absicht, einemMann sein Eheweib weg<strong>zu</strong>nehmen, <strong>die</strong>se gegen ihren Willen <strong>zu</strong> begatten oder Ehebruch <strong>zu</strong>begehen. Aber genau das <strong>wir</strong>ft Gott dem träumenden Abimelech vor: Ehebruch. Strafe: Tod. KEINVorwurf gegen Sara. KEIN Vorwurf gegen Abraham. Daß <strong>die</strong> ansonsten so selbstbewußte Saraihrem Mann keine Ohrfeige verpaßt und ihn einen paranoiden Feigling nennt, das ist schon schlimmgenug. Daß Gott abermals das betrogene Opfer <strong>zu</strong>m alleinigen Mega-Sünder erklärt und mit demTod bedroht – das verstehe ich ganz und gar nicht. In jedem Märchen, jeder Sage, jedem Comic,jedem Roman, jedem Kinofilm ist jemand, der dermaßen ungerecht handelt, der Bösewicht. Gottjedoch begründet seine willkürliche Parteilichkeit sogar <strong>noch</strong> mit den Worten: „Er ist ein Prophet.“Im Zusammenhang mit <strong>die</strong>ser Geschichte ist das für mich jedoch gleichbedeutend mit „Er ist zwarein Zuhälter, steht aber trotzdem unter meinem Schutz und darf das machen. Und sein Weib auch.“Wieso soll Abimelech den Betrüger Abraham Fürsprache halten lassen für eine Tat, <strong>die</strong> erstens garnicht stattfand und zweitens NUR durch Abrahams und Saras Lügen <strong>zu</strong>standegekommen wäre?Warum <strong>wir</strong>d <strong>zu</strong>sätzlich <strong>noch</strong> Abimelechs Familie in Sippenhaft genommen und mit Unfruchtbarkeitbestraft? Warum <strong>wir</strong>d der betrügerische Selbsthörner erneut mit Vieh und Silber beschenkt?Ich kenne kaum eine Geschichte, <strong>die</strong> weniger Sinn ergibt als <strong>die</strong>se. Dafür bin ich offenbar <strong>zu</strong>wenig„archaisch“. Wird sie eigentlich ein zweites Mal erzählt oder passiert sie tatsächlich <strong>zu</strong>m zweitenMal? Was soll sie eigentlich aussagen? Daß Gott bestimmt, wer Ehebrecher ist und wer nicht? DaßHebräer sich sehr wohl auch mit anderen Völkern vermischten und nicht nur mit der eigenenmonotheistischen Verwandtschaft? Daß ein Prophet samt seiner Frau JEDE XCR machen kann?Ich verstehe es einfach nicht. Ich habe auch <strong>noch</strong> nie davon gehört, daß ein Priester oder Theologe<strong>die</strong>se beiden nuttigen Geschichten zitiert oder gar erklärt hat. Mit welchen Interpretationsexzessensie sich aus <strong>die</strong>sem Erklärungsdilemma herauswinden würden, wäre <strong>zu</strong>dem nicht uninteressant.<strong>Ein</strong> <strong>zu</strong>sätzliches sonderbares Detail sollten <strong>wir</strong> ebenfalls erwähnen: Abraham ist 99 <strong>Ja</strong>hre alt, Sara


8190 und nach eigenen Angaben schon lange menstruationsbefreit. Abimelech muß ein eigenartigerTyp gewesen sein, wenn er eine Frau begehrt, <strong>die</strong> man eine Greisin nennen muß. (Im Alter von 90ist das wohl erlaubt.)(Mal ganz abgesehen von der Würdelosigkeit, <strong>die</strong> in einem derartigen Verhalten zweier greiserMenschen (Sara und Abraham) wohl <strong>zu</strong> sehen ist.)Nun habe ich erst unlängst eine jüdische Theologin in ganz anderem Zusammenhang davonsprechen hören, daß <strong>die</strong> <strong>Ja</strong>hresangaben der Patriarchenzeit nicht etwa Sonnenjahre wiedergeben,sondern nur <strong>die</strong> Hälfte davon; es würde in Erntezeiten gezählt, und im fruchtbaren Jordantal konnteman eben zweimal ernten. (Allerdings <strong>wir</strong>d in der Patriarchengeschichte erwähnt, daß das Volk 430<strong>Ja</strong>hre in Ägypten sein würde, und da <strong>sind</strong>'s NICHT 215 <strong>Ja</strong>hre. Auch an anderen Stellen machenhalbierte Zahlenangaben keinen Sinn. Abraham wäre <strong>zu</strong>m Beispiel erst in seinem 50. <strong>Ja</strong>hr; <strong>noch</strong> einbißchen jung für den ehrwürdigen Patriarchen, als der er ja allgemein dargestellt <strong>wir</strong>d.)Außerdem erklärte <strong>die</strong>se Theologin, daß <strong>die</strong> <strong>Ja</strong>hresangaben VOR der Sintflut nicht Sonnenjahrewidergäben, sondern Mondphasen.(Man müsse also <strong>die</strong> „biblischen“ Altersangaben in etwa durch zwölf teilen.)Also machen <strong>wir</strong> wieder einmal eine kleine Rechenübung und picken uns Enosch heraus. Der wurde905 <strong>Ja</strong>hre alt, also umgerechnet etwa 75. Sein Enkel Mahalalel wurde 895, also nicht ganz 75.Klingt also <strong>wir</strong>klich vernünftig. Aber nur jeweils zwei Verse <strong>zu</strong>vor nennt <strong>die</strong> Genesis auch das Alter,in dem sie ihren ersten Sohn zeugten: Enosch war 90, Mahalalel gar „nur“ 65. Umgerechnet alsosiebeneinhalb und nicht ganz fünfeinhalb <strong>Ja</strong>hre. (Diese Kerlchen würde ich gerne kennenlernen!)Man sieht also: <strong>Ein</strong>e derartige Herumrechnerei der <strong>Ja</strong>hresangaben ist nichts als theologischerOpportunismus. Denn das ist es nun mal, wenn <strong>Ja</strong>hresangaben einmal so und ein anderes Malanders interpretiert werden, und ein drittes Mal vielleicht <strong>noch</strong> <strong>auf</strong> eine dritte Art.


82Bereits das nächste Kapitel bringt das nächste „Highlight“: Sara <strong>wir</strong>d schwanger und bekommtIsaak. Als <strong>die</strong>ser von der Muttermilch entwöhnt <strong>wir</strong>d, veranstaltet Vater Abraham ein Fest.Wie lange mag eine bronzezeitliche Frau wohl gestillt haben?Heute werden Babies von ihren zivilisatorisch-verstädterten Müttern <strong>zu</strong>meist schon nach wenigenMonaten (oder gar Wochen) abgestillt, und <strong>die</strong>se tun sogar <strong>noch</strong> gut daran, denn kaum eineMuttermilch einer durchschnittlichen Europäerin oder US-Amerikanerin käme heute durch einenLebensmitteltest. (Das ist leider KEIN Witz.)Isaak wurde also entwöhnt. Wie alt mag er gewesen sein? Drei <strong>Ja</strong>hre? Zwei? Vierzehn Monate?Sara l<strong>auf</strong>t nach der Stillzeit jedenfalls <strong>zu</strong> einer Art Höchstform <strong>auf</strong>, sie verlangt von ihrem Mann:Die Magd und ihr Kind müssen weg! Sara will nicht, daß <strong>die</strong>ser Bengel <strong>zu</strong>gleich mit ihrem Sohnetwas erbt!Abraham ist unangenehm betroffen – und fügt sich.Hagar bekommt Brot und einen Schlauch mit Wasser, und ab in <strong>die</strong> Wüste. (Im wahrsten Sinne desWortes.)Und jetzt folgt eine der gefühlsbetontesten, rührendsten, wenn nicht sogar rührigsten Geschichten,<strong>die</strong> man in der Bibel finden kann (Kapitel 21, 15-19):„Als das Wasser im Schlauch <strong>zu</strong> Ende war, warf sie das Kind unter einen Strauch, ging weg undsetzte sich in der Nähe hin, etwa einen Bogenschuß weit entfernt; denn sie sagte: Ich kann nicht mitansehen, wie das Kind stirbt. Sie saß in der Nähe und weinte laut. Gott hörte den Knaben schreien;da rief der Engel Gottes vom Himmel her Hagar <strong>zu</strong> und sprach: Was hast du, Hagar? Fürchte dichnicht, Gott hat den Knaben dort schreien gehört, wo er liegt. Steh <strong>auf</strong>, nimm den Knaben und haltihn fest an deiner Hand; denn <strong>zu</strong> einem großen Volk will ich ihn machen: Gott öffnete ihr <strong>die</strong> Augenund sie erblickte einen Brunnen. Sie ging hin, füllte den Schlauch mit Wasser und gab dem Knaben<strong>zu</strong> trinken.“Man kann gut nachempfinden, wie verzweifelt Hagar gewesen sein muß, wie sie geweint hat unddas Kind unter dem Strauch <strong>noch</strong> viel mehr.<strong>Ein</strong>e in sich schlüssige Geschichte, wenn man sie losgelöst vom erzählerischen Sachverhalt liest.Und – wie gesagt – eine rührende Geschichte. Aber sie hat einen Riesenhaken: Abraham war 86, alsIsmael geboren wurde, und 100 bei der Geburt Isaaks. Der „Knabe“ war also bereits 13 oder gar 14,als sein Halbbruder geboren wurde, und ist jetzt wohl mindestens FÜNFZEHN – und flennt untereinem Strauch, abgelegt von seiner Mami.Welch Denk- und Rechenfehler! Diese Geschichte ist ein wunderbares Beispiel für eine archaischeLagerfeuer-Erzählung. Höchstwahrscheinlich wurde sie – wegen allgemeiner Beliebtheit – voneinem späteren Verfasser in den Schreibfluß eines früheren Verfassers eingefügt. Denn ein einzelnerSchreiber kann doch kaum so blöd sein, über den Altersunterschied zwischen Ismael und Isaakhinweg<strong>zu</strong>sehen.


83Noch im selben Kapitel schließt Abraham einen Vertrag mit dem bereits bekannten PhilisterkönigAbimelech und dessen Feldherrn Pichol, und zwar <strong>auf</strong> Wunsch der Philister. Sie wollen, daßAbraham und seine Sippe <strong>die</strong> Philister mit dem selben Wohlwollen begegnen wie umgekehrt.Danach folgt ein weiteres Highlight, ein Monument des hochreligiösen Monotheismus: AbrahamsOpfer.Gott stellt Abraham <strong>auf</strong> <strong>die</strong> „Probe“ (Originalzitat Kapitel 22, Vers 1).Man stellt jemanden <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Probe, wenn man testen will, ob man dem Getesteten wohl vertrauenkann. Außer bei schulischen und Weiterbildungs-Tests sowie „karrierebedingten Überprüfungen“empfindet wohl jeder etwas Negatives, wenn er bemerkt, daß er „<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Probe“ gestellt <strong>wir</strong>d. Manempfindet es irgendwie als das, was es meiner Meinung nach auch ist: als Vertrauensbruch.<strong>Ein</strong> allmächtiger, allwissender Gott hat Derartiges ganz sicher nicht nötig. Er WEISS ja, wie's inAbraham ausschaut, er BEDARF eines Tests ja gar nicht, weil er sowieso weiß, wie ein solcherausgehen WÜRDE. Den<strong>noch</strong> macht er es. Und es ist ein gewaliger Test. Es ist ein GEWALTIGESOpfer, das Gott von Abraham verlangt: <strong>die</strong> rituelle Hinschlachtung seines Sohnes Isaak.Diese Geschichte hat immer schon meine <strong>Ein</strong>geweide verklumpt. Schon als Kind konnte ich nichtnachvollziehen, wie ein Vater sein Kind opfern konnte oder Gott <strong>die</strong>s verlangen konnte. Ich konntees als Jugendlicher nicht verstehen, als junger Mann nicht, als junger Vater schon gar nicht, und alsVater zweier erwachsenen Kinder verstehe ich es <strong>noch</strong> immer nicht.Wäre ich an Abrahams Stelle gewesen – das Bündnis mit Gott wäre geplatzt.Wenn irgendein Mensch von einem Vater verlangt, seinen Sohn <strong>zu</strong> töten, kann man ihn ganz leichtals den Bösewicht in der Geschichte identifizieren, man kann ihn ganz selbstverständlich AL nennenund unmenschlich und fies.Und wenn es Gott verlangt? Dann nenne ich ihn höflich „ungöttlich“. Er hat solche Spielchen undTests und Vertrauensbeweise nicht nötig. <strong>Ein</strong>e derartige Auffassung von Vertrauen und Glaubennenne ich archaisch und überholt. (Der Begriff „archaisch“ <strong>wir</strong>d häufig dann verwendet, wenn mansich nicht getraut, Begriffe wie barbarisch, blutrünstig, unmenschlich, unkultiviert, primitiv oderhirnrissig <strong>zu</strong> gebrauchen.)Ich sehe in <strong>die</strong>ser Geschichte lediglich einen archaisch-umständlichen Erklärungsversuch dafür, daß<strong>die</strong> hebräische Kultur keine Menschenopfer mehr darbrachte (darbringen mußte, <strong>auf</strong> Gottes Geheißhin, durch Gottes Gnade) und deshalb einen höheren kulturellen Grad erreicht hatte als seine(heidnische) Nachbarschaft.In der hebräisch/israelitisch/jüdischen Kultur gehört alles Erstgeborene unter Vieh UND MenschGott. Lämmchen und Zicklein werden geopfert, Knaben rituell von <strong>die</strong>ser Opferung freigek<strong>auf</strong>t.(Mädchen scheinen (wieder mal) keine Rolle gespielt haben; in einer patriarchalisch-hierarchischenGesellschaft zählt eben primär das Männliche.)Es erscheint mir etwas zweischneidig und oberflächlich, Opferkulte „nur“ als archaische Relikte <strong>zu</strong>bezeichnen, denn ich kenne keine einzige Religion, <strong>die</strong> frei wäre davon. Offenbar ist es demMenschen ein Bedürfnis, durch „angemessene“ Opfergaben „bitte“, „danke“ und „Entschuldigung“<strong>zu</strong> sagen. Das bezieht sich nicht nur <strong>auf</strong> religiös-kultische Beziehungen, sondern ebenso <strong>auf</strong> dasalltägliche gesellschaftliche Leben; derlei Opfergaben nennt man dann „Geschenke“.Prinzipiell kann man von drei Arten von Opfern sprechen: Bittopfer, Dankopfer und Sühneopfer.Alle drei <strong>sind</strong> untrennbar verbunden mit Begriffen wie Lohn, Strafe, Schuld und Gerechtigkeit.Schon seit Urzeiten sieht der Mensch einen direkten Zusammenhang zwischen seinen eigenenHandlungen sowie persönlichem und gesellschaftlichem Wohlergehen einerseits und verschiedenenunsichtbaren Sphären andererseits, welche ich unter dem Begriff „Anderswelt“ <strong>zu</strong>sammenfassenmöchte. Erst das Zusammen<strong>wir</strong>ken von Diesseits und Anderswelt gewährleistet ein glückliches underfolgreiches Leben. Deshalb müßten <strong>die</strong> Wesen der Anderswelt verehrt, geehrt und genährt und instägliche Leben einbezogen werden.Das Minimum eines Kontaktes mit der Anderswelt ist das Gespräch. Ich will gar nicht erst dar<strong>auf</strong>


84eingehen, ob das Gebet ein Monolog oder ein Dialog ist oder ein innerer Dialog; eine derpreiswertesten psychologischen Praktiken ist es allemal. Es reinigt, gibt Kraft, vermittelt Hoffnung.Als eine Steigerung des Gebets <strong>wir</strong>d es angesehen, wenn man es kollektiv durchführt oder innerhalbbewährter Rituale. Als weitere Steigerung gilt es, wenn man Gebete mit Opfergaben verstärkt. DieseOpfergaben können Gelübde, Verzicht und Askese sein, <strong>die</strong> verschiedensten materiellen Dinge undauch Lebewesen oder Teile von Lebewesen wie <strong>zu</strong>m Beispiel Früchte. Prinzipiell kann man nur dasopfern, was man besitzt beziehungsweise was man tun kann. Je dringlicher das Anliegen gegenüberder Anderswelt ist, desto „größer“ und wertvoller muß das entsprechende Opfer sein. Daswertvollste Opfer, das eine Gemeinschaft in Vorzeiten darbringen konnte, war wohl ein eigenesMitglied; das allerwertvollste Opfer waren zweifellos <strong>die</strong> eigenen Kinder. In <strong>die</strong>sem Kontext – undNUR in <strong>die</strong>sem – kann ich <strong>die</strong> Geschichte von Abraham und Isaak verstehen: daß Hebräer <strong>die</strong>sebrutale Form der Opferung (dank Gottes Hilfe) nicht mehr „nötig“ hatten.Was aber aus <strong>die</strong>ser Geschichte jederzeit abgeleitet werden kann, ist das Prinzip „Gott <strong>zu</strong>erst“. Ansich ist das eine recht gute Idee, weil damit ein höheres Maß an Demut und Selbstlosigkeit gefördert<strong>wir</strong>d. Aber wer bestimmt darüber, was Gott will, welche Opfer er verlangt, und warum? Das <strong>sind</strong>wiederum nur Menschen; selbst wenn sie sich <strong>auf</strong> heilige Schriften berufen, <strong>die</strong> ebenfalls nur vonMenschen verfaßt wurden; selbst wenn <strong>die</strong>se als inspiriert gelten. (Was <strong>die</strong> Vorstellung anbelangt,daß eine Schrift DIREKT <strong>auf</strong> einen transzendenten Gott <strong>zu</strong>rückgeführt werden kann – da <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> jaschon etwas länger dabei, <strong>die</strong>s <strong>zu</strong> erörtern und <strong>zu</strong> überprüfen.) Wenn Menschen darüber befinden,was in den Augen Gottes richtig und falsch ist, tritt eigentlich immer eine Spaltung der Gesellschaftein: hier <strong>die</strong> Gläubigen, Guten, Gehorsamen, Gerechten – dort <strong>die</strong> Ungläubigen, Zweifler, Ketzer,<strong>die</strong> Schlechten, Bösen, Sünder, Ungehorsamen, Ungerechten, <strong>die</strong> Feinde des Glaubens. Auf <strong>die</strong>seWeise <strong>wir</strong>d das Prinzip „Gott <strong>zu</strong>erst“ ganz schnell <strong>zu</strong> den Prinzipien „Religion <strong>zu</strong>erst“, „Glauben<strong>zu</strong>erst“ und „WIR <strong>zu</strong>erst“, welche sich von „gewöhnlichen“ Chauvinismen wie Rassismus undNationalismus nur geringfügig unterscheiden und mitunter sogar NOCH gefährlicher <strong>sind</strong>.So wie „Gott <strong>zu</strong>erst“ Demut und Selbstlosigkeit fördern kann, können <strong>die</strong>s auch Opferrituale. Ichpersönlich definiere Selbstlosigkeit als „Verzicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Früchte des eigenen Handelns“, <strong>zu</strong>meist<strong>wir</strong>d darunter aber lediglich eine mehr oder weniger freiwillige Unterordnung innerhalb einerGemeinschaft verstanden. Da bestehen allerdings sehr wesentliche Unterschiede. „Ich bin nichts,<strong>die</strong> Gemeinschaft ist alles“ – das ist <strong>auf</strong> jeden Fall falsch; das ist nur eine Form von kollektiverEgozentrik. Ebenso wie <strong>die</strong> individuelle Egozentrik nie <strong>die</strong> Würde eines Mitmenschen verletzensollte, dürfte auch <strong>die</strong> freiwillige <strong>Ein</strong>ordnung (nicht Unterordnung!) des <strong>Ein</strong>zelnen nie <strong>zu</strong> einerVerlet<strong>zu</strong>ng oder gar einer Aufgabe seiner Menschenwürde führen. Da ist der Bogen schon in vielenKulturen und Staaten überspannt worden, nicht nur in einigen des gegenwärtigen Fernen Ostens.Meine deutschsprachige Groß-Verwandtschaft <strong>zu</strong>m Beispiel hat den Ersten Weltkrieg für Gott,Kaiser und Vaterland geführt und den Zweiten für Führer, Volk und Vaterland. (Welche pervertiertenIdeale ein (möglicher bis wahrscheinlicher) Dritter Weltkrieg hoch halten <strong>wir</strong>d, können <strong>wir</strong> unsrecht leicht ausmalen, wesentlich Neues kann wohl nicht dabei sein.)Prinzipiell stellen sich mir beim Thema Opferungen <strong>die</strong> Fragen „Wem <strong>die</strong>nen sie?“, „Wo<strong>zu</strong> <strong>die</strong>nensie?“, „Wer braucht sie?“, „Sind sie notwendig?“ und „Was DARF man opfern?“Die Vorstellung, daß ein allwissender, allmächtiger, absoluter, transzendenter und über<strong>die</strong>sformloser Gott irgendwelche Opfer benötigt, ist für mich dumm, primitiv und völlig absurd.Geopfert <strong>wir</strong>d allerdings auch vielen anderen Wesen – Buddhas, Bodhisattvas, Göttern, Heiligen,guten und bösen Geistern und nicht <strong>zu</strong>letzt den Verstorbenen und Ahnen. Aber <strong>zu</strong> welchem Zweck?Damit es IHNEN besser geht? Oder weil <strong>wir</strong> uns etwas als Gegenleistung für unser Opfer erwartenoder <strong>zu</strong>mindest erhoffen?Wenn <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>m Beispiel für einen lieben Verstorbenen ein Räucherstäbchen oder eine Kerzeanzünden, seiner gedenken, uns an gute Zeiten und gute Taten erinnern (und schlechtere verzeihen)und ihm alles Gute wünschen (wo immer er oder sie sich auch befinden mag), dann können <strong>wir</strong> dasdurchaus als selbstlose Tat und als selbstloses Opfer bezeichnen. Das gilt auch für Gebete, Kerzen


85und Räucherstäbchen, <strong>die</strong> dem Wohl anderer Lebewesen gewidmet <strong>sind</strong>. Davon haben <strong>wir</strong> ja nichts,außer vielleicht ein guten Gewissen.Aber wie verhält es sich mit dem, was <strong>wir</strong> für uns selbst erbitten? Wo beginnt hier <strong>die</strong> Selbstsucht?Wie verhält es sich mit dem, was <strong>wir</strong> für uns als Gemeinschaft erbitten? Wo beginnt hier <strong>die</strong>kollektive Selbstsucht?Sind derartige Handlungen gar nur eine ziemlich durchschnittliche „Geschäftsbeziehung“?Ich gebe dir <strong>die</strong>ses, bitte gib du mir ...............Danke für jenes, ich gebe dir dafür ...............Und Sühneopfer, <strong>die</strong>se Manifestationen des schlechten Gewissens?(In einem meiner gefährlich-gescheiten Bücher aus der hinduistischen Tradition bin ich <strong>auf</strong> folgendeinteressante Aussage gestoßen: Götter <strong>sind</strong> VERPFLICHTET, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Opferungen der Menschendurch Wohlwollen <strong>zu</strong> reagieren. Sofort folgerte ich, daß sie damit ja gewissermaßen erpreßbar <strong>sind</strong>und deshalb vielleicht sogar NOCH unfreier als <strong>wir</strong> Menschen. Irgendwann und irgendwie stelltesich mir dann auch <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Frage: Sind <strong>die</strong> Götter korrupt?(Ich persönlich habe eine wunderbar neutrale Beziehung <strong>zu</strong> den Göttern (devas). Es ist mir ziemlichegal, ob es sie gibt oder nicht. Ich kümmere mich nicht um sie. Ich erwarte auch nicht, daß sie sichum mich kümmern. Und für <strong>die</strong> Erfüllung ihrer Jobs werden sie mich wohl nicht benötigen.(Hier stellen sich auch so nebenbei <strong>die</strong> Fragen: Was ist eigentlich mit den vielen Göttern passiert,deren Anhänger im L<strong>auf</strong>e der Geschichte von der Bildfläche verschwunden <strong>sind</strong>? Dümpeln sie inirgendeinem himmlischen Exil vor sich hin und warten <strong>auf</strong> ihre Wiedereinset<strong>zu</strong>ng? Sind sie tot?Sind sie anderweitig wiedergeboren worden? Oder haben sie gar nur in den Köpfen ihrer Verehrerexistiert? Und was würde das für <strong>die</strong> „derzeitigen“ Götter bedeuten? Daß auch für SIE das Lebenein ständiger Wandel ist? Oder daß auch SIE nur ........... ))Im Hinduismus gibt es ungefähr 330 Millionen devas (und devis), so<strong>zu</strong>sagen für jedes Bedürfnisund jeden Zweck einen eigenen. Ähnliches gibt es auch im Katholizismus: <strong>Ein</strong>en Schutzpatron für<strong>die</strong>ses, eine Fürsprecherin für jenes. Auch das Christentum dürfte damit sämtliche Bedürfnisse desmenschlichen Lebens abgedeckt haben. (Es gibt Menschen, welche das Christentum als „Judentumlight“ bezeichnen; andere nennen es „Buddhismus light“; <strong>zu</strong>mindest im Zusammenhang mit denvielen Schutzheiligen kann man wohl auch von „Hinduismus light“ sprechen.)Es ist oft verdammt schwierig bis unmöglich, über diverse Glaubensinhalte <strong>zu</strong> diskutieren; daprallen verschiedene Auffassungen von „Realität“ <strong>auf</strong>einander, <strong>die</strong> nur bedingt oder gar nichtüberprüfbar <strong>sind</strong>. Unabhängig von Glauben und Religion haben <strong>wir</strong> jedoch <strong>die</strong> Möglichkeit, unsselbst <strong>zu</strong> definieren und ab<strong>zu</strong>schätzen, indem <strong>wir</strong> unsere Handlungen und <strong>Ein</strong>stellungen gegenüberdem betrachten, was <strong>wir</strong> konkret mit unseren mickrigen fünf Sinnen wahrnehmen können. Ichschätze, das reicht schon.)Aber <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> den möglichen „Geschäftsbeziehungen“ zwischen Diesseits und Anderswelt. Siemögen legitim sein; an sich kann jeder verehren, anbeten, beten und opfern, wie er will. Aber ersollte meiner Ansicht nach <strong>zu</strong>mindest dar<strong>auf</strong> verzichten, dafür Lebewesen <strong>zu</strong> töten; ich kann darinnur eine archaische Primitivität sehen.Ob's was hilft oder nicht, ist wiederum eine völlig andere Frage. Da kann VIEL hineininterpretiertwerden. <strong>Ein</strong> transzendenter Gott braucht sicher keinerlei Opfer. Ob devas, Geister, Verstorbene undAhnen Opferungen benötigen? Ich weiß es nicht. Aber wenn's schon nicht hilft, dann soll's<strong>zu</strong>mindest nirgendwo schaden.Den Opfernden und Betenden helfen <strong>die</strong> jeweiligen Rituale allemal. Wahrscheinlich sucht derMensch (unterbewußt?) immer wieder Hoffnung und Bestätigung dafür, daß „alles“ gut <strong>wir</strong>d und erletztendlich DOCH ein guter Mensch ist. Wenn er durch diverse Rituale auch tatsächlich <strong>zu</strong> einembesseren Menschen <strong>wir</strong>d, haben <strong>die</strong>se ihren (psychologischen oder „spirituellen“) Zweck dann wohlerfüllt.Das Sühneopfer hingegen ist etwas Besonderes; es ist irgendwie „mehr“ oder <strong>zu</strong>mindest „anders“als <strong>die</strong> herkömmlichen Bittopfer und Dankopfer. Es ist ein prinzipielles <strong>Ein</strong>geständnis menschlicher


86Unvollkommenheit, Fehlerhaftigkeit und sogar einer gewissen Hilflosigkeit, <strong>zu</strong>meist „Schuld“ oder„Sünde“ genannt.Ich sehe zwei Arten <strong>die</strong>ses Opfers: Sündenbock und Opferlamm.Der Sündenbock (ein <strong>zu</strong>meist <strong>auf</strong>fälliges, oft schwarzes Tier) <strong>wir</strong>d symbolisch mit all denschlechten Handlungen der Gesellschaft behängt und in <strong>die</strong> Wüste geschickt, wo ihn wilde Tieretöten und man sich nicht <strong>die</strong> eigenen Hände beschmutzt; <strong>zu</strong>sammen mit dem Sündenbock sterbenauch all <strong>die</strong> „Sünden“ des vergangen <strong>Ja</strong>hres (oder eines anderen Zeitraums). So übernimmt derSündenbock eine Stellvertreter-Funktion für <strong>die</strong> eigene Schlechtigkeit und Unvollkommenheit.(Dann <strong>wir</strong>d <strong>zu</strong>meist wie gewohnt weitergemacht.)Das Opferlamm ist ein Sündenbock, der vorbeugend geopfert <strong>wir</strong>d, damit <strong>die</strong> gesellschaftlichenZustände nicht dermaßen ausufern, daß ein Sündenbock notwendig <strong>wir</strong>d.Das Opferlamm, der Prophylaxe-Bock.Der überwiegende Teil unseres Planeten ist erfüllt vom Gedanken- und Glaubensgut vonSündenbock und Opferlamm. Das ist tragisch. Ich sehe darin wiederum ein Indiz dafür, wie unreifhomo sapiens letztendlich ist, und daß er dringend eine Art von kollektivem Bewußtseinsschubnötig hätte.In der buddhistischen Tradition ist ein Bodhisattva eine Person, <strong>die</strong> freiwillig <strong>auf</strong> das Nirvanaverzichtet und erneut körperliche Form annimmt, um für alle fühlenden Wesen hilfreich tätig <strong>zu</strong>sein. Diese Handlung geschieht <strong>auf</strong> Grund von Mitgefühl; im Gegensatz <strong>zu</strong>m Opferlamm-Gedankenist eine derartige Handlung frei von Schuldbewußtsein und Sünden-Kompensation.Dies schafft auch eine völlig andere Mentalität innerhalb der Gesellschaft; Schuldbewußtsein <strong>wir</strong>ddurch ein Opferlamm leider nicht <strong>wir</strong>klich ausgelöscht, sondern nur verlagert; „Sünde“ beißt sichselbst dauernd in den eigenen Schwanz. Und so mancher Asket und Büßer ist nur ein verkappterSünder, der von seinem Schuldbewußtsein gesteuert <strong>wir</strong>d.


87Das nächste Kapitel der Genesis <strong>wir</strong>d meinerseits in kommentarloser Pietät hingenommen.Sara stirbt im Alter von 127 <strong>Ja</strong>hren.Jeder halbwegs gefühlvolle Mensch, der den Tod einer halbwegs gefühlvollen Mutter <strong>zu</strong> beklagenhat, weiß, daß Mutter durch nichts ersetzt werden kann.Das dar<strong>auf</strong> folgende Kapitel erzählt <strong>die</strong> Geschichte, wie der Großknecht Abrahams <strong>zu</strong> AbrahamsVerwandtschaft an den Euphrat reist, um eine Frau für Isaak <strong>zu</strong> besorgen; denn der soll unter garkeinen Umständen eine Kanaaniterin heiraten. Es ist eine schöne Geschichte, wunderbar geeignetfür Lagerfeuer und Wohnzimmer, im Wiederholungsstil erzählt, um <strong>die</strong> Außergewöhnlichkeit derEreignisse <strong>zu</strong> betonen. Ich nenne derartige Erzählungen „Magnetschwebebahn-Geschichten“, weilder Anfangspunkt klar ist, der Endpunkt ebenso, und der Weg dazwischen auch. Die Geschichteerzählt sich praktisch von selbst, <strong>die</strong> Handlung KANN gar nicht anders sein. <strong>Ein</strong>e echt orientalischeGeschichte.Das Mädchen heißt übrigens Rebekka.Im nächsten Kapitel nimmt sich der greise Abraham eine Frau namens Ketura (Alter und Herkunftunbekannt), <strong>die</strong> ihm <strong>noch</strong> sechs Söhne schenkt. (Von Töchtern <strong>wir</strong>d nichts berichtet (<strong>die</strong> warenmöglicherweise nicht so wichtig (oder gar weniger wert?))). Außerdem schenkt Abraham einer nichtgenannten Anzahl von Söhnen einer nicht genannten Anzahl von Nebenfrauen Geschenke und„schickt sie <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> seinen Lebzeiten weg nach Osten, ins Morgenland, weit weg von seinem SohnIsaak.“ (Kapitel 25, Vers 6)Isaak soll Alleinerbe bleiben.(Anscheinend hat Abraham den Tod Saras recht gut weggesteckt und <strong>noch</strong> 39 <strong>Ja</strong>hre eine Art „highlife“ genießen können.)Im hohen Alter von 175 <strong>Ja</strong>hren stirbt Abraham, der „Vater der Menge“, und <strong>wir</strong>d von seinen beidenSöhnen Isaak und Ismael neben Sara beerdigt.Genau so soll es ja auch sein: Der Vater <strong>wir</strong>d von seinen Söhnen beerdigt. Aber in <strong>die</strong>sem Fall nurvon seinen beiden ältesten, <strong>die</strong> anderen waren ja in den Orient geschickt worden und <strong>zu</strong> weit weg.Aber müßte eigentlich nicht auch Ismael <strong>zu</strong> weit entfernt gewesen sein, um an <strong>die</strong>sem Begräbnisteilnehmen <strong>zu</strong> können? Nach der islamischen Tradition befand er sich <strong>auf</strong> der Arabischen Halbinsel.Er müßte aber ziemlich nahe an Hebron gelebt haben, um innerhalb von zwei, drei Tagen vor Ortsein <strong>zu</strong> können. Selbst wenn er ein Rennkamel <strong>zu</strong>r Verfügung gehabt hätte (was ich bezweifle, weilmeines Wissens nach das Kamel in <strong>die</strong>ser Weltgegend <strong>noch</strong> nicht domestiziert war), dürfte sich daskaum ausgegangen sein. – Aber es ist eine schöne Geschichte, obwohl sie nur fünf Verse lang ist,eine Geschichte, wie sie eben sein sollte.Noch im selben Kapitel bekommt Rebekka Zwillinge. „Der erste, der kam, war rötlich, über undüber mit Haaren bedeckt wie mit einem Fell. Man nannte ihn Esau. Dar<strong>auf</strong> kam sein Bruder; seineHand hielt <strong>die</strong> Ferse Esaus fest. Man nannte ihn <strong>Ja</strong>kob (Fersenhalter). Isaak war sechzig <strong>Ja</strong>hre alt,als sie geboren wurden.“ (Kapiel 25, Vers 25-26)Zu einer zweiten Bedeutung des Namens <strong>Ja</strong>kob werden <strong>wir</strong> später <strong>noch</strong> kommen.Aber sehen <strong>wir</strong> uns etwas näher <strong>die</strong> Altersangabe „sechzig“ an. Abraham war bei Isaaks Geburt 100<strong>Ja</strong>hre alt; demnach muß er bei der Geburt seiner Enkel 160 <strong>Ja</strong>hre alt gewesen sein und demnach<strong>noch</strong> gelebt haben. Geschildert <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Geburt von Esau und <strong>Ja</strong>kob allerdings NACH dem TodAbrahams, und von Abraham ist im Zusammenhang mit Rebekkas Niederkunft auch nicht immindesten <strong>die</strong> Rede. Also stimmt entweder <strong>die</strong> Erzählung an sich nicht, oder <strong>die</strong> Zeitrechnung istwieder einmal gehörig durcheinander geraten, oder <strong>die</strong> Zahlenangabe ist lediglich symbolisch.<strong>Ein</strong>en voll bewußten Zeitsprung macht <strong>die</strong> Erzählung, als sie am Ende <strong>die</strong>ses Kapitels vom Verk<strong>auf</strong>des Erstgeburtsrechts an <strong>Ja</strong>kob berichtet. K<strong>auf</strong>preis: ein Linseneintopf mit Brot. Esau kommterschöpft vom Feld, und <strong>Ja</strong>kob hat (für sich selbst) etwas gekocht. „Gib mir doch etwas <strong>zu</strong> essenvon dem Roten, von dem Roten da, ich bin ganz erschöpft. Deshalb heißt er Edom (Roter).“ Soheißt es in Vers 30. Und Vers 34 setzt fort: „Er aß und trank, stand <strong>auf</strong> und ging seines Weges. Vom


88Erstgeburtsrecht aber hielt Esau nichts.“Offensichtlich war er etwas unterbelichtet, der Orang-Utan-haarige Stammvater der Edomiter. Undinnerhalb von zehn Versen werden gleich zwei Erklärungen für Esaus Beinamen Edom geliefert:sein Fell einerseits – und rote Linsen.Im nächsten Kapitel <strong>wir</strong>d eine Geschichte erzählt, <strong>die</strong> uns eigentlich seltsam bekannt vorkommenmüßte: „Im Land brach eine Hungersnot aus, eine andere als <strong>die</strong> frühere <strong>zu</strong>r Zeit Abrahams. Isaakbegab sich nach Gerar <strong>zu</strong> Abimelech, dem König der Philister.“ Es ist mit Sicherheit der SELBEAbimelech, denn der hat <strong>noch</strong> immer einen Feldherrn namens Pichol. Weil Isaak befürchtet, daß <strong>die</strong>Philister ihn seiner schönen Frau wegen töten könnten, geben er und Rebekka sich als Bruder undSchwester aus. Erneut fällt Abimelech dar<strong>auf</strong> herein. (Vertrauen kann mitunter ja so was von dummsein!) Aber er ertappt Isaak dabei, wie er seine Frau liebkost, und stellt ihn (eigentlich ziemlichdezent) <strong>zu</strong>r Rede: „Was hast du uns da angetan? Beinahe hätte einer der Leute mit deiner Fraugeschlafen; dann hättest du über uns Schuld gebracht.“Kollektivschuld über <strong>die</strong> Philister, weil Isaak und Rebekka lügen und betrügen? Aber im Gegensatz<strong>zu</strong>r Parallelhandlung mit Abraham und Sara sagt Abimelech hier wenigstens: „DU hättest Schuldüber uns gebracht.“So sehe ich es ebenfalls: Isaak, der Schuldige, der feige Lügner. Und im Gegensatz <strong>zu</strong> Vater undMutter <strong>sind</strong> er und seine Frau KEINE Geschwister. Er lügt also voll und ganz.Abimelech befiehlt seinen Leuten, Isaak und Rebekka nicht an<strong>zu</strong>rühren. Er sagt nicht (was erdurchaus hätte tun können): „Was seid ihr bloß für eine XCRSippe? Kann man euch denn überhauptkein einziges Wort glauben? Warum belügt und hintergeht ihr mich bloß? Wo ich euch doch immernur Gutes getan habe!“ Nein, er sagt es nicht. Er <strong>wir</strong>d NICHT <strong>zu</strong>m ersten Antisemiten. (Überhaupt:Hut ab vor Abimelech! (Ich weiß nicht, ob ich seine Größe gehabt hätte.))Wir wissen, daß <strong>die</strong> hebräisch/israelitisch/jüdische Kultur <strong>zu</strong> keiner Zeit <strong>die</strong> Sitte entwickelt hat, <strong>die</strong>eigenen Ehefrauen <strong>zu</strong> verleugnen und sie einem außerehelichen Geschlechtsakt preis<strong>zu</strong>geben. Alsowas soll <strong>die</strong>se seltsam-suspekte Geschichte, <strong>die</strong> nun schon (leicht variiert) <strong>zu</strong>m dritten Mal erzählt<strong>wir</strong>d? Ich kann nur meine eigenen Vermutungen wiederholen, möchte aber etwas hin<strong>zu</strong>fügen: In allden <strong>Ja</strong>hren, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> ich mehr oder weniger bewußt <strong>zu</strong>rückblicken kann, hat NOCH NIE irgendwerin meinem Beisein eine <strong>die</strong>ser drei Geschichten zitiert oder auch nur erwähnt. (Ist ja auch peinlich.Oder?)Obwohl Abimelech Isaak und Rebekka äußerst <strong>zu</strong>vorkommend behandelt, kommt es den<strong>noch</strong> <strong>zu</strong>erheblichen Spannungen zwischen den Philistern und Isaaks Leuten. Es <strong>wir</strong>d sogar berichtet, daßPhilister alle Brunnen der Hebräer <strong>zu</strong>geschüttet hatten, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Zeit Abrahams gegraben wordenwaren. Es ist eine abscheuliche Handlung, wenn man anderen Menschen Brunnen <strong>zu</strong>schüttet odergar vergiftet oder (wie es in einer Redewendung heißt) „ihnen das Wasser abgräbt“. Das tut mannicht. Da <strong>sind</strong> unsere Sympathien ganz eindeutig und einseitig <strong>zu</strong> verteilen. Weil man als „Mensch“so etwas eben nicht macht. (Dies hat selbstverständlich auch für <strong>die</strong> Gegenwart <strong>zu</strong> gelten. Und dafliegt meine Sympathie vom viel <strong>zu</strong> oft verfolgten jüdischen Volk hinüber <strong>zu</strong> den Palästinensern.Die Besat<strong>zu</strong>ngsmacht Israel hat im Westjordanland doch tatsächlich Brunnen <strong>zu</strong>geschüttet und denPalästinensern untersagt, neue <strong>zu</strong> bohren oder auch nur Regenwasser <strong>zu</strong> sammeln. (Erst <strong>auf</strong>wiederholten Druck westlicher Staaten hin durften vier oder fünf neue Brunnen gebohrt werden.<strong>Ein</strong>e Handvoll!) Über<strong>die</strong>s kommt das im besetzten Westjordanland vorkommende Wasserüberwiegend jüdischen Siedlern <strong>zu</strong>gute. Palästinenser müssen auch mehr fürs Wasser bezahlen als<strong>die</strong>se. – Daß derlei Ungerechtigkeit gerade von einem Volk praktiziert <strong>wir</strong>d, welches in derVergangenheit selbst übergenug <strong>zu</strong> leiden hatte und obendrein allerhöchsten Wert <strong>auf</strong> Gerechtigkeitlegt (sie gilt als eines der höchsten religiösen Ideale), ist besonders traurig. Mehr als bedauerlich.Schlimm.Es geht aber <strong>noch</strong> schlimmer. Im Frühjahr 2008 sah ich eine Dokumentation eines israelischenFilmteams. Darin wurden <strong>die</strong> Zustände verschiedener Kontrollposten innerhalb der besetztenGebiete und an der Grenze <strong>zu</strong> Israel gezeigt. Wiederholt haben dabei junge Menschen in


89israelischen Uniformen Palästinenser als „Tiere“ bezeichnet und sich dabei ziemlich gut amüsiert.Dabei ist es doch gar nicht so lange her, daß <strong>die</strong> Verwandtschaft <strong>die</strong>ser Uniformträger selber alsTiere bezeichnet und behandelt wurden. Ich erstarrte fast unter dem Gedanken „<strong>Ja</strong> darf das dennwahr sein?!?“ Leider IST es wahr. Ich wurde <strong>zu</strong>gleich aggressiv und tieftraurig. Wie soll man denn<strong>auf</strong> derlei menschenverachtende Dummheit reagieren? Es ist nicht schlimm, es ist schlimmstens.Aber Angst und Macht verändern, korrumpieren den Menschen eben; das ist leider eine typischeEigenschaft des homo sapiens und hat mit dem jüdischen Volk nicht direkt <strong>zu</strong> tun; homo sapiensvergißt eben leicht; und er deutet <strong>die</strong> selben Situationen und Handlungen unterschiedlich; homosapiens ist eben ein unverbesserlicher Opportunistensack. Offensichtlich hält sich <strong>die</strong> Lernfähigkeitdes Menschen in Grenzen, seine Bereitschaft da<strong>zu</strong> offenbar in <strong>noch</strong> engeren. Es ist schlimm.Es geht aber <strong>noch</strong> erheblich schlimmer: Wenn nämlich derartige Geisteshaltungen und Handlungenmit Begriffen wie „Gott“ oder „Heilige Schrift“ verbrämt werden.Es ist eine Schande.„Man“ sollte und muß sich schämen.Pfui!)


90Mit vierzig <strong>Ja</strong>hren (schon wieder <strong>die</strong>se „mystische“ Zahl 40, und nicht <strong>zu</strong>m letzten Mal) ehelichtEsau zwei Hethiterinnen. „Sie wurden für Isaak und Rebekka Anlaß <strong>zu</strong> bitterem Gram.“ Allerdings<strong>wir</strong>d nirgends berichtet, worin <strong>die</strong>ser Gram bestand. Auch nicht gerade fair.Das nächste Kapitel erzählt, wie <strong>Ja</strong>kob, der Zweitgeborene, den väterlichen Erstgeburtssegen erhält.Isaak ist alt und blind geworden. Er bittet seinen Erstgeborenen Esau, ihm sein Lieblingsgericht(Wildbret) <strong>zu</strong><strong>zu</strong>bereiten, und verspricht ihm den Segen nach dem Essen. Sofort eilt Esau in <strong>die</strong>Botanik, um <strong>zu</strong> jagen. Rebekka allerdings hat das Gespräch durch <strong>die</strong> Zeltwand hindurch belauschtund eilt ihrerseits <strong>zu</strong> ihrem Lieblingssohn <strong>Ja</strong>kob.Auf, Jüngelchen, bring mir zwei Zicklein, damit ich sie <strong>zu</strong>bereiten und in Richtung Wildbret würzenkann. Du ziehst in der Zwischenzeit Esaus Festklamotten an, Schatziputz, damit du so riechst wiedein roter Bruder. Und damit du dich auch so anfühlst wie dein Urang-Utan-Bruder, binden <strong>wir</strong> dirdann <strong>die</strong> Felle der toten Ziegen um Arme und Hals. Alles klar, Hasi?<strong>Ja</strong>kob hat Bedenken. Sein Vater könnte womöglich „meinen, ich hielte ihn <strong>zu</strong>m Besten, und ichbrächte Fluch über mich statt Segen.“Rebekka beruhigt: „Dein Fluch komme über mich, mein Sohn.“Als der als Esau maskierte <strong>Ja</strong>kob mit dem duftenden Pseudo-Wildbret das Zelt seines Vaters betritt,fragt <strong>die</strong>ser, wer da sei.Esau. Setz dich, Vater, iß und segne mich.Und als Isaak fragt, wie sein Sohn nur so schnell das Wild erjagt hat, antwortet <strong>Ja</strong>kob: „Der Herr,dein Gott, hat es mir entgegenl<strong>auf</strong>en lassen.“Isaak läßt sich von dem Geruch der Kleider und den fellbedeckten Armen täuschen, obwohl er<strong>Ja</strong>kobs Stimme erkennt (!), und erteilt ihm den Segen.Nach <strong>Ja</strong>kobs Abgang erscheint dann Esau, <strong>die</strong> Intrige fliegt <strong>auf</strong>, aber das Geschehen ist nicht mehr<strong>zu</strong> ändern. <strong>Ja</strong>kob hat sich den väterlichen Segen ergaunert, einen zweiten Segen besitzt Isaak nicht.Und das ist nach „der Fersenhalter“ <strong>die</strong> zweite Bedeutung des Namens <strong>Ja</strong>kob: „der Betrüger“.Isaak ist traurig, Esau wütend; er will <strong>Ja</strong>kob töten, weshalb <strong>die</strong>ser auch flieht, an den Euphrat <strong>zu</strong>rmütterlichen Verwandtschaft.Diese Geschichte gibt einiges <strong>zu</strong> denken.Rebekka, <strong>die</strong> Intrigantin, bevor<strong>zu</strong>gt den einen Zwilling und scheißt <strong>auf</strong> den anderen. (Diesmalschreibe ich das Wort aus, weil der Anlaß es voll rechtfertigt.) Was für eine Mutter!<strong>Ja</strong>kob, der Erbschleicher, der Lügner, der Betrüger. Was für ein Bruder! Was für ein Sohn! Aber dasAllerärgste ist, daß er schamlos „seinen“ Gott für seinen Betrug verwendet und in „seinem“ Namenlügt. „Gott hat mir das Wild vorbeigeschickt.“ Später werden Menschen für weit geringerenMißbrauch des Namens Gottes <strong>zu</strong> Tode gesteinigt (siehe: zweites Gebot), hier geschieht – nichts.<strong>Ja</strong>kob und Rebekka ziehen den Betrug einfach durch. Der Zweck heiligt <strong>die</strong> Mittel. Und Gottscheint es ebenso recht und billig <strong>zu</strong> sein, was da passiert. Es scheint ihm auch egal <strong>zu</strong> sein, daß ERbei <strong>die</strong>ser Gaunerei als Erklärung für das schnelle Essen herhalten muß. Von einem „Fluch“ kannjedenfalls weit und breit nicht <strong>die</strong> Rede sein. Weder für den gesegneten Betrüger <strong>noch</strong> seine Mutter.Der Idiot in der Geschichte heißt jedenfalls Esau. Er <strong>wir</strong>d so ziemlich um ALLES betrogen. Daß erda total rotiert und seinem „Zwillingsbruder“ nach dem Leben trachtet, ist wohl nachvollziehbar. Ichhätte jedenfalls Verständnis dafür, wenn er seiner „Mutter“ vor <strong>die</strong> Füße gespuckt hätte; aber davon<strong>wir</strong>d nichts überliefert. Überhaupt ist nach <strong>die</strong>ser filmreifen Intrige und der Flucht <strong>Ja</strong>kobs vonRebekka nicht mehr <strong>die</strong> Rede.Auch Isaak, der Blinde, scheint nicht gerade der Hellste gewesen <strong>zu</strong> sein; auch ER ist ein bißchender Depp in <strong>die</strong>ser Erzählung, wenn auch nicht im selben Ausmaß wie der geprellte Esau.(Gestorben ist Isaak übrigens <strong>noch</strong> lange nicht, er hat sogar <strong>noch</strong> erwachsene Enkel erlebt.)Das Bündnis mit Gott ist jedenfalls (und nicht <strong>zu</strong>m einzigen Mal) nicht <strong>auf</strong> den Erstgeborenenübergegangen. Es macht offensichtlich auch nichts, daß Isaaks Segen <strong>auf</strong> betrügerische Weiseerschlichen wurde. Gott wählt, wen er will. Auch Sünder und Gauner. Hauptsache, sie heiraten


91weder Hethiterinnen <strong>noch</strong> Kanaaniterinnen. Aber ebenso wie Abrahams Erstgeborener Ismael <strong>zu</strong>mAhnherrn etlicher Völker wurde, <strong>wir</strong>d das auch Isaaks Erstgeborener Esau; also ein bißchen vonGottes Segen ist auch <strong>auf</strong> SIE entfallen; nur eben nicht das Bündnis mit Gott in seinem vollenUmfang.Wir haben hier also zwei Erklärungen für den Namen <strong>Ja</strong>kob geliefert bekommen und <strong>zu</strong>vor bereitszwei Erklärungen für Esaus Beinamen Edom.An <strong>die</strong>ser Stelle möchte ich (wie an dortiger Stelle angekündigt) <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Geschichte von derZerstörung Babels <strong>zu</strong>rückkommen.Da gibt es also irgendwo eine Stadt namens Babylon.Anderswo hört jemand, der eine völlig andere Sprache spricht, den Namen <strong>die</strong>ser Stadt und sagtsich: Seltsam, „Babylon“ klingt wie „Babel“.„Babel“ bedeutet in seiner Muttersprache „Wirrnis“.Völlig unabhängig davon, was „Babylon“ in der Sprache der Babylonier bedeutet, <strong>wir</strong>d nun„Babylon“ mit „Babel“ in Verbindung gebracht.Völlig unabhängig davon, was „Babylon“ in der Sprache der Babylonier bedeutet, <strong>wir</strong>d nun„Babylon“ mit „Babel“ gleichgesetzt.Die Folge liegt <strong>auf</strong> der Hand, nämlich <strong>die</strong> Frage: Warum heißt <strong>die</strong>se Stadt „Wirrnis“? Und wenn eskeine konkrete Erklärung gibt, <strong>wir</strong>d eben eine solche erfunden; es <strong>wir</strong>d gedeutet, interpretiert, eswerden Theorien <strong>auf</strong>gestellt; und sehr häufig <strong>wir</strong>d eben auch mystifiziert, wenn man <strong>zu</strong> keinenhalbwegs klaren Erklärungen kommt.Dies ist eine übliche Vorgangsweise des homo sapiens, und sie ist nicht nur <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Vergangenheitbeschränkt. (Im heutigen China gilt <strong>die</strong> 8 als Glückszahl, weil sie im Chinesischen so klingt wie„Reichtum“. Spargel gilt als Aphrodisiakum, weil er dem männliche Penis ähnelt, und <strong>die</strong> Austergilt als ebensolches, weil sie dem weiblichen Genital ähnlich sieht. Und so weiter.)Es liegt in der menschlichen Natur, Beziehungen zwischen Ähnlichem her<strong>zu</strong>stellen, auch wenn esobjektiv gar keine gibt. (Zum Beispiel neigen <strong>wir</strong> immer und überall da<strong>zu</strong>, Gesichter und Figuren <strong>zu</strong>erkennen.) Diesen Vorgang, in welchem etwas in etwas anderes hinein-interpretiert <strong>wir</strong>d, nennen <strong>wir</strong>auch Projektion. Jeder weiß, daß das von einem Filmprojektor <strong>auf</strong> eine Leinwand projezierte Bildnicht <strong>wir</strong>klich ist. Erheblich schwieriger ist es, <strong>die</strong> „alltäglichen“ und „normalen“ Projektionenunseres Bewußtseins als solche <strong>zu</strong> erkennen. Da<strong>zu</strong> braucht man einen klaren Verstand und eineausgewogene Emotionalität. (Aber wer hat das schon?!?)<strong>Ein</strong>e andere Grundeigenschaft des Menschen ist gleichzeitig auch eines seiner größten Probleme: Erneigt da<strong>zu</strong>, alles <strong>auf</strong> SICH <strong>zu</strong> beziehen. Er neigt nicht nur da<strong>zu</strong>, er MACHT das auch. Und zwar fastständig.Wenn <strong>wir</strong> uns <strong>die</strong>ses Phänomen näher anschauen, kommen <strong>wir</strong> ganz schnell <strong>zu</strong> der einfachenErkenntnis, daß jeder <strong>Ein</strong>zelne von uns nur SEIN eigenes Leben führt und führen kann. Nur ICHerlebe <strong>die</strong> Welt; selbstverständlich erlebst auch du <strong>die</strong> Welt, aber DU erlebst sie <strong>auf</strong> deine Weise undICH <strong>auf</strong> <strong>die</strong> meine; ICH erlebe DEIN Erleben nicht, und DU nicht MEINES. Nur ICH empfangemeine Sinneseindrücke. Nur ICH habe meine Gedanken. Nur ICH habe meine Gefühle. DEINEGedanken und Gefühle spielen sich in DIR ab, nicht in mir. Nicht ICH, sondern DU hast deineSinneseindrücke. Selbst wenn es Gemeinsamkeiten in der Art unserer Gefühle, Gedanken undSinneseindrücke gibt, so ist das den<strong>noch</strong> eine Tatsache. Ich und du <strong>sind</strong> unterschiedliche Individuen.Wenn <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Welt (oder das, was <strong>wir</strong> „<strong>die</strong> Welt“ nennen) wahrnehmen wollen, <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> <strong>auf</strong> unsereSinne angewiesen. Über unsere körperlichen fünf Sinne (so manche Lebewesen haben mehr oderandere) brauche ich wohl nicht <strong>zu</strong> reden, <strong>die</strong> kennt ja jeder. Oder sollte ich vielleicht doch? Es gibtnämlich einen hochinteressanten, weil weithin unbeachteten Aspekt der Sinneswahrnehmung: <strong>die</strong>Zeit. Der Schall <strong>zu</strong>m Beispiel braucht eine gewisse Zeit, um den Weg von der Schallquelle <strong>zu</strong>m Ohr<strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>legen; <strong>die</strong> Geschwindigkeit, mit der sich Schall „bewegt“, ist abhängig vom jeweiligenMaterial, über das er übertragen <strong>wir</strong>d: Luft 340 Meter pro Sekunde, Wasser 1440 m/sec, Stahl ca.5000 m/sec; im luftleeren Weltall ist Schallübertragung nicht möglich, da muß man schon andere


92Wellen verwenden.Auch das Licht, ohne das unser Auge keine sichtbaren Objekte wahrnehmen könnte, braucht einegewisse Zeit, bis es dort ankommt; nicht ganz 300 000 Kilometer legt es in jeder Sekunde <strong>zu</strong>rück;das Licht, das uns vom Mond erreicht, ist ungefähr 1,2 Sekunden unterwegs, das der Sonne braucht8 Minuten und 20 Sekunden, und das Licht von Alpha Centauri, der nächstgelegenen Sonne, brauchtbereits über 4 <strong>Ja</strong>hre, bis es uns erreicht. Andromeda, <strong>die</strong> nächstgelegene Galaxis, ist bereits überzwei Millionen Lichtjahre entfernt.Ebenso benötigen Geruchsmoleküle eine gewisse Zeit, bis es in unserer Nase duftet oder stinkt.Weil <strong>die</strong>se Zeitverzögerung aber allgemein vorhanden ist, schert es niemanden, daß <strong>wir</strong> eigentlich inder Vergangenheit leben. Es fällt einem erst <strong>auf</strong>, wenn man darüber nachdenkt.Nun <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> auch beim entscheidenden Faktor von Sinneswahrnehmung angelangt: dem, was <strong>wir</strong>Bewußtsein nennen oder Geist; dem, was für viele nur eine komplexe Ansammlung von Neuronenist – dem Gehirn. Und es läßt sich selbstverständlich auch nicht leugnen, daß alle Sinneseindrückeerst im Gehirn „verarbeitet“ werden. Hochspezialisierte Körperzellen empfangen Signale, <strong>die</strong> inumgewandelter Form durch hochspezialisierte Körperzellen <strong>zu</strong> anderen hochspezialisiertenKörperzellen transportiert werden; Sinnesorgan – Nervenbahn – Gehirn, so funktioniert das nunmal. Völlig erforscht und erklärt ist <strong>die</strong>ses Geschehen aber <strong>noch</strong> nicht.Aber nicht alles, was unsere Sinnesorgane erreicht, <strong>wir</strong>d auch vom Bewußtsein wahrgenommen.„Hast du <strong>die</strong> alte Frau mit dem rosa gefärbten Pudel gesehen?“ – „Nein. Wo?“„Hörst du den Vogel?“ – „Jetzt, wo du's sagst. Zuvor ist es mir nicht <strong>auf</strong>gefallen.“„Stört dich denn der Verkehrslärm nicht?“ – „Ach, ich bin so daran gewöhnt, ich hör' das gar nichtmehr.“Wir kennen deratige Situationen wohl <strong>zu</strong>r Genüge. Offensichtlich wählt das Bewußtsein (oder dasGehirn?) aus, was es für wichtig und wesentlich hält, der (überwiegende!) Rest der Sinneseindrücke<strong>wir</strong>d nicht wahrgenommen. Wir würden wahrscheinlich auch verrückt werden, wenn <strong>wir</strong> <strong>die</strong> ganzeFülle der Sinneseindrücke wahrnehmen müßten.Das Bewußtsein (oder das Gehirn?) verhält sich <strong>noch</strong> weit erstaunlicher, wenn es nicht ausreichendmit Sinneseindrücken versorgt <strong>wir</strong>d oder mit <strong>die</strong>sen <strong>zu</strong>wenig an<strong>zu</strong>fangen weiß – dann ERGÄNZTes <strong>die</strong> Lücken durch Erfahrungswerte, also durch Erinnerung. <strong>Ein</strong> Hauptkriterium <strong>die</strong>ses Vorgangsist Ähnlichkeit. Mit Wirklichkeit oder Wahrheit hat das oft gar nichts mehr <strong>zu</strong> tun.Es existieren <strong>noch</strong> zwei weitere Phänomene unseres Bewußtseins (oder unseres Gehirns?): Es stelltVerbindungen zwischen verschiedenen Bewußtseinsinhalten her, mitunter sogar völlig an denHaaren herbeigezogene. Es deutet und interpretiert Sinneseindrücke und zieht Schlußfolgerungen,welche leider ebenfalls viel <strong>zu</strong> oft mit Wirklichkeit und Wahrheit nichts <strong>zu</strong> tun haben, weil erneutÄhnlichkeit eine große Rolle spielt.(An <strong>die</strong>ser Stelle möchte ich einen Vergleich anstellen. Prinzipiell existieren zwei völligverschiedene Sichtweisen bezüglich dem, was <strong>wir</strong> (oft ziemlich leichtfertig) Bewußtsein oder Geistnennen. Die eine besagt, daß Bewußtsein <strong>die</strong> Folge eines hochentwickelten Nervensystems mit demGehirn an der Spitze ist. Die andere vertritt <strong>die</strong> Auffassung, daß Bewußtsein (ursprünglich „rein“)erst durch <strong>die</strong> Verbindung mit der Materie den Körper und damit Nervensystem und Gehirn be<strong>wir</strong>kt.Der Widerspruch liegt ganz klar <strong>auf</strong> der Hand: Der Aussage „der Körper schafft das Bewußtsein“steht <strong>die</strong> Aussage „das Bewußtsein schafft den Körper“ gegenüber.Aber vielleicht haben beide Anschauungen ihre Berechtigung. Deshalb mein Vergleich mit derComputer-Technologie. Was macht einen guten Computer aus – Hardware oder Software? Die besteHardware ist nichts wert, wenn <strong>die</strong> Software nicht viel taugt. <strong>Ein</strong>e schwache Hardware wiederumkann mit der besten Software nichts anfangen, kann sie <strong>zu</strong>meist gar nicht lesen, und <strong>die</strong> Folge heißtdann oft: Systemabsturz.In meinem Vergleich steht „Hardware“ für den Körper. Wofür „Software“ steht oder stehen kann,das überlasse ich euren eigenen Gedanken. Dieser Vergleich soll ja nur eine Anregung sein, keineTheorie.


93Aber in der Tat hat man im L<strong>auf</strong>e der letzten zweihundert <strong>Ja</strong>hre allerlei „Software“ feststellenkönnen. So wissen <strong>wir</strong> heute, daß alle Lebewesen <strong>auf</strong> unserer Erde mit Hilfe von „Programmen“„funktionieren“, <strong>die</strong> allesamt in einer gemeinsamen „Programmiersprache“ „geschrieben“ <strong>sind</strong> – sieheißt DNS und kommt mit lediglich vier Buchstaben aus. (Über nicht-irdisches Leben können <strong>wir</strong>nichts aussagen, weil <strong>wir</strong> keines kennengelernt haben.) Weiters besteht sämtliche Materie imgesamten Universum aus einer beschränkten Anzahl an Elementen (104), <strong>die</strong> wiederum aus einerbeschränkten Anzahl an Elementarteilchen (so weit ich weiß 12) <strong>auf</strong>gebaut <strong>sind</strong>. Sie alle verhaltensich nach den selben Gesetzmäßigkeiten; <strong>die</strong>se „ultimative“ Software fällt unter den Begriff„Naturgesetze“. An <strong>die</strong>sen kommt nichts und niemand vorbei.Auf welche Art <strong>die</strong> Elementarteilchen <strong>auf</strong>gebaut <strong>sind</strong>, wissen <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> nicht so ganz genau; aberimmerhin ist auch hierfür schon eine Theorie entwickelt worden, Energiestrukturen mit dem Namen„Strings“ sollen dafür verantwortlich sein. Womit <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Welt der Materie verlassen hätten und in<strong>die</strong> Welt der Energie eingetreten wären. Hier haben <strong>wir</strong> jedoch <strong>noch</strong> beträchtliche Wissenslücken.Aber ich bin mir sicher, daß auch <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ser Ebene allgemeine und universelle Gesetzmäßigkeitenvorhanden <strong>sind</strong>. Ebenso sicher bin ich mir, daß auch <strong>die</strong> „Strings“ <strong>noch</strong> nicht <strong>die</strong> endgültigeUrsache der „Welt“ <strong>auf</strong>zeigen, daß es NOCH feinere Strukturen und Gesetzmäßigkeiten „dahinter“gibt.Die Idee einer alles-durchdringenden universellen „Software“ ist auch gar nichts Neues, nur daßdafür andere Begriffe verwendet wurden. Selbstverständlich <strong>wir</strong>ft der Vergleich mit einer Software<strong>die</strong> Fragen <strong>auf</strong>: Wer hat sie geschrieben? <strong>Ein</strong> persönlicher Gott? Oder existiert sie als universellesPrinzip, das gar nicht anders funkionieren KANN?Aber kehren <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> dem, was <strong>wir</strong> „menschlichen Geist“ oder „Bewußtsein“ nennen und wasmöglicherweise nur eine Ansammlung von „Software“ ist, <strong>die</strong> manche „sonderbaren“ oder„verrückten“ Menschen (auch „Heilige“ oder „Weise“ genannt) loswerden wollen, weil sie derAuffassung <strong>sind</strong>, daß <strong>die</strong> „Basis-Software“ oder das „Betriebssystem“ an sich ja auch wunderbarfunktioniert.)Über unsere fünf menschlichen Sinne erlangen <strong>wir</strong> lediglich einen beschränkten <strong>Ein</strong>druck derWirklichkeit, und auch das nur mit Zeitverzögerung. Wir wählen aus, ergänzen Lücken, sortierenund interpretieren. Wir schaffen unsere eigenen Weltbilder, und das ist völlig „normal“. (Über densogenannten „sechsten Sinn“ (in der Tierwelt „Instinkt“ genannt, in der Menschenwelt „Intuition“(oder meinetwegen „spontane Wahrnehmung oder Erkenntnis“)) will ich mich hier gar nicht äußern;aber ich bin mir sicher, daß <strong>wir</strong> auch in <strong>die</strong>ser Hinsicht auswählen, Lücken ergänzen, sortieren undinterpretieren.)<strong>Ein</strong>e der erstaunlichsten Eigenschaften unseres Bewußtseins ist es wohl, schlichtweg ALLEM eineBedeutung <strong>zu</strong>messen <strong>zu</strong> wollen. Und „selbstverständlich“ <strong>wir</strong>d jegliche Bedeutung in Beziehunggesetzt <strong>zu</strong> UNS, <strong>zu</strong> MIR, dem einzelnen Menschen, und <strong>zu</strong> homo sapiens als Spezies insgesamt.So kommt es <strong>zu</strong> der Aussage: Der Mensch ist das Maß aller Dinge.Ebenso kommt es da<strong>zu</strong>, daß homo sapiens in allem Sinn und Zweck sucht.Dies trifft auch (Was heißt hier „auch“; speziell!) <strong>auf</strong> religiöse Menschen <strong>zu</strong>, <strong>die</strong> Gott in denMittelpunkt rücken, denn auch sie beziehen alles, was mit Gott in Verbindung gebracht <strong>wir</strong>d, auchnur wiederum <strong>auf</strong> sich, den Menschen. Gottes Plan, Gottes Wille, Gottes Auftrag – alles bezogen<strong>auf</strong> den Menschen. Der Mensch als Ebenbild Gottes, als Sinn und Zweck der Schöpfung. Gott sagt,ich soll. Gott sagt, ich darf. Gott sagt, ich darf nicht. Gott sagt, ich muß.Der Mensch ist das Maß seiner selbst.Und er paßt ALLES seinen Bedürfnissen und Notwendigkeiten an, sogar seine Auffassungen undInterpretationen von Gott oder Transzendenz.Das nenne ich maximale kollektive Egozentrik.Das nenne ich maximalen Opportunismus.Das ist das ganz normale Verhalten des homo sapiens?


94<strong>Ja</strong>kob flieht nach Haran am Euphrat <strong>zu</strong> Laban, dem Bruder seiner Mutter. Dort verliebt er sich indessen jüngere Tochter Rahel. Die beiden Männer vereinbaren, daß <strong>Ja</strong>kob sie heiraten kann, wenn ersieben <strong>Ja</strong>hre lang für Laban arbeitet.Aber ätsch! Onkelchen ist AUCH ein Betrüger und steckt statt Rahel seine ältere Tochter Lea unterden Brautschleier; es schickt sich einfach nicht, wenn <strong>die</strong> jüngere Tochter vor der älteren heiratet.Geschehen ist geschehen, <strong>die</strong> Hochzeit kann nicht mehr rückgängig gemacht werden, <strong>Ja</strong>kob muß<strong>noch</strong> weitere sieben <strong>Ja</strong>hre für Onkel Laban arbeiten, um seine Rahel <strong>zu</strong> bekommen.Danach treten <strong>die</strong> beiden Schwestern in einen gewissen Gebärwettstreit ein: Wer gebiert mehrSöhne? (Von Töchtern <strong>wir</strong>d wieder einmal nichts berichtet.) Und weil <strong>die</strong> beiden (vielleicht garnicht so geschwisterlichen) Schwestern weniger produktiv <strong>sind</strong> als erhofft, schanzen sie ihremGemahl jeweils eine ihrer Mägde (Sklavinnen) als Nebenfrau <strong>zu</strong>.Diese vier Frauen schenken <strong>Ja</strong>kob während seines Aufenthalts in Haran elf Söhne; der zwölfte,Nachzügler Benjamin, <strong>wir</strong>d erst nach <strong>Ja</strong>kobs Rückkehr nach Kanaan geboren.Wie viele <strong>Ja</strong>hre <strong>Ja</strong>kob insgesamt bei Laban verbringt, <strong>wir</strong>d nicht erwähnt; es dürften aber wohl mehrals <strong>die</strong> zwanzig gewesen sein, von denen Vers 38 des 31. Kapitels spricht. (Sonst ginge sich <strong>die</strong>seGeburtenvielfalt zeitlich gar nicht aus.)Schließlich bricht <strong>Ja</strong>kobs Sippe – nachdem er sich mittels List den besseren Teil von Labans Herdenangeeignet hat – heimlich (!) <strong>zu</strong>m langen Marsch nach Kanaan <strong>auf</strong>. Laban verfolgt ihn sieben Tagelang; Gott erscheint ihm in einem Traum und befiehlt ihm, <strong>Ja</strong>kob nichts an<strong>zu</strong>tun. Anschließendbegleitet Laban seine Töchter, seine Enkel und seinen Schwiegersohn (nicht ohne einen gewissenStreit) bis <strong>zu</strong> einem Ort, der danach Gal-Ed (Zeugenhügel) genannt <strong>wir</strong>d. Dort errichtet <strong>Ja</strong>kob einSteinmal, an welchem ein Vertrag zwischen den Sippen <strong>Ja</strong>kobs und Labans beschworen <strong>wir</strong>d. Dabeisagt Laban folgenden interessanten Satz: „Der Gott Abrahams und der Gott Nahors seien Richterzwischen uns.“ (Kapitel 31, Vers 53)Nun können <strong>wir</strong> wohl mit Sicherheit davon ausgehen, daß sowohl der Verfasser als auch <strong>die</strong>Akteure <strong>die</strong>ser Geschichte „ich“ und „du“, „dein“ und „mein“, „<strong>wir</strong>“ und „ihr“, „unsere“ und„eure“, <strong>Ein</strong>zahl und Mehrzahl voneinander unterscheiden konnten.Laban verwendet das Zeitwort „sein“ in einer Mehrzahlsform.Wenn ich <strong>zu</strong>m Beispiel <strong>zu</strong> meiner Schwester sage: „Dein Vater und mein Vater seien ....... “, dann ist<strong>die</strong>se Aussage korrekt, denn meine Mutter hat nach dem Tod ihres ersten Mannes (dem Vater meinerSchwester) <strong>noch</strong> ein zweites Mal geheiratet (nämlich meinen Vater); es ist von ZWEI Personen <strong>die</strong>Rede. Wenn ich <strong>zu</strong> meiner Schwester sage: „Deine Mutter und meine Mutter seien ...,,.. “, dann istdas schlicht Blödsinn; <strong>wir</strong> haben ja eine gemeinsame Mutter. In <strong>die</strong>sem Fall ist <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>zahlsform„sei“ korrekt.Wir müssen also davon ausgehen, daß Laban von zwei verschiedenen Göttern spricht und nicht voneinem gemeinsamen. Erhärtet <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>se Schlußfolgerung durch Vers 19, in welchem Rahel vor derFlucht <strong>die</strong> Götterbilder ihres Vaters stiehlt. Mit dem Monotheismus der aramäischen Verwandtschaftam Euphrat ist es also nicht weit her. Offensichtlich verehrten <strong>die</strong> Aramäer NICHT den GottAbrahams, Isaaks und <strong>Ja</strong>kobs.Den Patriarchensöhnen war eingebläut worden, sie müßten sich an den Bund mit Gott halten unddürften ja keine „gottlosen“ Weiber der umliegenden Völkerschaften <strong>zu</strong>r Frau nehmen. Ismael undEsau hielten sich nicht daran, der Verlust des Bundes (<strong>zu</strong>mindesten in weiten Teilen) war <strong>die</strong> Folge.Aber <strong>die</strong> „gottlosen“ Weiber der aramäischen Verwandtschaft stellten offenbar kein Problem dar.Und erneut stellt sich <strong>die</strong> Frage, warum keine Jebusiterinnen geheiratet wurden, <strong>die</strong> ja unter ihremPriesterkönig Melchisedek den SELBEN Gott verehrten wie Abraham und seine bündnistreuenNachfahren.


95Als sich <strong>Ja</strong>kobs Troß seiner Heimat nähert, <strong>wir</strong>d ihm immer mulmiger <strong>zu</strong>mute. Er fürchtet <strong>die</strong>Rache seines Zwillingsbruders Esau. <strong>Ja</strong>kob hat ziemlich <strong>die</strong> Hosen voll und offensichtlich einschlechtes Gewissen. (Da<strong>zu</strong> hat er auch genug Anlaß, der Betrüger!)Esau hingegen hat ihm schon lange verziehen und freut sich. Ehrlich. Von einer Freude <strong>Ja</strong>kobs kannich in <strong>die</strong>ser Erzählung nichts herauslesen, nur von Erleichterung. <strong>Ein</strong>e Wärme seitens <strong>Ja</strong>kobsgegenüber seinem Bruder kann ich nirgendwo erkennen. Aber immerhin beschenkt er ihn reichlich.Das 33. Kapitel (mit der Überschrift „<strong>Ja</strong>kobs Versöhnung mit Esau“) erzählt, daß Esau danach inseine neue Heimat Seïr <strong>zu</strong>rückkehrt, <strong>Ja</strong>kob jedoch mit seiner Sippe in Kanaan verbleibt und sich„als Fremdling“ vor den Toren der Stadt Sichem niederläßt. (Das Dasein als „Fremdling“ innerhalbKanaans ist eines der Merkmale der Patriarchengeschichte. Gott hat ihnen zwar das ganze Landversprochen – aber erst für später.)Vor <strong>die</strong>sem Kapitel <strong>wir</strong>d allerdings <strong>noch</strong> eine Geschichte erzählt, <strong>die</strong> dermaßen eigenartig ist, daßich sie wortwörtlich zitieren möchte (Kapitel 32, Verse 23-33):„In derselben Nacht stand er <strong>auf</strong>, nahm seine beiden Frauen, seine beiden Mägde sowie seine elfSöhne und durchschritt <strong>die</strong> Furt des <strong>Ja</strong>bbok. Er nahm sie und ließ sie den Fluß überqueren. Dannschaffte er alles hinüber, was ihm sonst <strong>noch</strong> gehörte. Als nur <strong>noch</strong> er allein <strong>zu</strong>rückgeblieben war,rang mit ihm ein Mann, bis <strong>die</strong> Morgenröte <strong>auf</strong>stieg. Als der Mann sah, daß er ihm nichtbeikommen konnte, schlug er ihn <strong>auf</strong>s Hüftgelenk. <strong>Ja</strong>kobs Hüftgelenk renkte sich aus, als er mit ihmrang. Der Mann sagte: Laß mich los; denn <strong>die</strong> Morgenröte ist <strong>auf</strong>gestiegen. <strong>Ja</strong>kob aber entgegnete:Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest. Jener fragte: Wie heißt du? <strong>Ja</strong>kob, antworteteer. Da sprach der Mann: Nicht mehr <strong>Ja</strong>kob <strong>wir</strong>d man dich nennen, sondern Israel (Gottesstreiter);denn mit Gott und Menschen hast du gestritten und hast gewonnen. Nun fragte <strong>Ja</strong>kob: Nenne mirdoch deinen Namen! Jener entgegnete: Was fragst du mich nach meinem Namen? Dann segnete erihn dort. <strong>Ja</strong>kob gab dem Ort den Namen Penuël (Gottesgesicht) und sagte: Ich habe Gott vonAngesicht <strong>zu</strong> Angesicht gesehen und bin doch mit dem Leben davongekommen.Die Sonne schien bereits <strong>auf</strong> ihn, als er durch Penuël zog; er hinkte an seiner Hüfte. Darum essen<strong>die</strong> Israeliten den Muskelstrang über dem Hüftgelenk nicht bis <strong>auf</strong> den heutigen Tag; denn er hat<strong>Ja</strong>kob <strong>auf</strong>s Hüftgelenk, <strong>auf</strong> den Hüftmuskel geschlagen.“<strong>Ein</strong>e sehr seltsame, sehr archaische Geschichte mit einer sehr seltsamen Art von „Logik“. Auch <strong>die</strong>in meiner Bibelausgabe vorhandene Fußnote seitens christlicher Theologen erhellt <strong>die</strong>se Geschichtenicht unbedingt: „In <strong>die</strong>ser Erzählung <strong>sind</strong> drei alte Traditionen miteinander verwoben: Erstens einevon der Umbenennung des Namens <strong>Ja</strong>kob in Israel; zweitens eine, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Herkunft des NamensPenuël erklärt; drittens eine, <strong>die</strong> den sonderbaren Brauch begründet, den Muskelstrang über demHüftgelenk der Tiere nicht <strong>zu</strong> essen. Der unbekannte „Mann“ war vielleicht in der vorisraelitischenForm der Erzählung ein dämonisches Wesen; <strong>die</strong> israelitische Tradition erkennt in ihm Gott selbstoder <strong>zu</strong>mindest ein himmlisches Wesen, einen Engel.“Soso. Tja. Hmm. Richtig „wohl“ scheint es den christlichen Theologen bei <strong>die</strong>ser Erzählung alsoauch nicht gerade <strong>zu</strong> sein.Wiederum <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Herkunft zweier Namen „erklärt“.Ich würde auch nicht protestieren, wenn jemand <strong>die</strong>se Erzählung „völlig irreal“ oder „an den Haarenherbeigezogen“ oder „haarsträubend“ nennen sollte. Zumindest aber ist sie archaisch-naiv. <strong>Ja</strong>kobringt mit Gott und erreicht – wenn schon nicht einen knappen Punktesieg, dann <strong>zu</strong>mindest – einrespektables Unentschieden? <strong>Ja</strong>kob gibt sogar mit einem ausgerenkten Hüftgelenk nicht <strong>auf</strong>?Warum nennt sein Gegner seinen Namen nicht? Und warum sollte man irgendeinen Muskelstrangnicht essen dürfen? Jedenfalls finden <strong>wir</strong> in <strong>die</strong>ser Geschichte das, was <strong>wir</strong> heute unter Logikverstehen, bestenfalls in kümmerlichen Ansätzen; dagegen finden <strong>wir</strong> jede Menge loser Enden. Aber<strong>auf</strong>grund der menschlichen Fähigkeit, alles Mögliche mit allem Möglichen in Verbindung setzen <strong>zu</strong>können, ist eine passende Deutung wohl möglich. (Und was nicht paßt, <strong>wir</strong>d passend gemacht.)Darum: Tja. Hmm. Soso.


96Das 34. Kapitel ist erheblich „leichter“ nach<strong>zu</strong>vollziehen. Es schildert einen „Ehrenmord“.Dina, eine der ansonsten weder namentlich <strong>noch</strong> zahlenmäßig erwähnten Töchter <strong>Ja</strong>kobs, „ging aus,um sich <strong>die</strong> Töchter des Landes an<strong>zu</strong>sehen“. (<strong>Ein</strong> Bewohner Sichems – mit Namen Sichem, Sohndes Hiwiters Hamor, des Landesfürsten (welch Zufälle!) – „erblickte sie; er ergriff sie, legte sich <strong>zu</strong>ihr und vergewaltigte sie. Er faßte Zuneigung <strong>zu</strong> Dina, der Tochter <strong>Ja</strong>kobs, er liebte das Mädchenund redete ihm gut <strong>zu</strong>.“ (<strong>Ein</strong>e ganz schnelle Sache!) Er will sie heiraten. Wie es dem Mädchen soging, das <strong>wir</strong>d nicht erwähnt; <strong>die</strong> Reaktion ihrer Brüder sehr wohl: Sie empfinden <strong>die</strong> Geschehnisse„als Beleidigung und wurden sehr zornig; eine Schandtat hatte Sichem an Israel begangen“.<strong>Ja</strong>kob und seine Söhne vereinbaren mit Hamor, dem Vater des Unholds, nun folgenden Deal:Sichem bekommt Dina <strong>zu</strong>r Frau, wenn sich alle Bewohner der Stadt beschneiden ließen. In Vers 13<strong>wir</strong>d <strong>die</strong>se Antwort <strong>auf</strong> Hamors Brautwerbung als „hinterlistig“ bezeichnet.Diese Bezeichnung ist durchaus korrekt.Auch <strong>die</strong> folgenden Handlungen müssen als hinterlistig bezeichnet werden. Als nämlich alleSichemiter drei Tage später infolge der Beschneidung an Wundfieber leiden, greifen Simeon undLevi, zwei der Söhne <strong>Ja</strong>kobs, <strong>zu</strong> ihren Schwertern „und brachten alles Männliche um“. Sowohl <strong>die</strong>Leichen als auch <strong>die</strong> ganze Stadt werden geplündert; das gesamte Vieh <strong>wir</strong>d einkassiert; <strong>die</strong> Frauenund Kinder werden „fortgeführt“, wie es so dezent heißt – in Wirklichkeit <strong>wir</strong>d ihr Los wohl <strong>die</strong>Sklaverei gewesen sein.Keine ganz so nette Geschichte. Selbst <strong>Ja</strong>kob, der Betrüger, beklagt, daß Simeon und Levi ihn „inVerruf“ bringen.Über das Mädchen Dina aber <strong>wir</strong>d nichts mehr berichtet.Der erste Ehrenmord der Weltliteratur war also ein Gemetzel. Ihm folgten <strong>noch</strong> viele weitere großeund kleine Ehrenmord-Gemetzel. Die Opfer – Frauen und Mädchen – verschwanden gewöhnlich inder Versenkung, erlangten ihre „Ehre“ nie wieder und wurden oft genug ebenfalls getötet.Dieser – überwiegend bei Männern vorkommende – Wahnsinn nennt sich „Ehre“, „Ehrgefühl“ oder„Stolz“. Bei näherem Hinsehen ist er aber nichts anderes als Eitelkeit. Anstatt den Opfern Mitgefühlentgegen<strong>zu</strong>bringen, werden <strong>die</strong>se NOCH mehr gedemütigt, indem man sie ausgrenzt, versteckt odergar tötet. Mit deren Würde hat das überhaupt nichts <strong>zu</strong> tun, lediglich mit der überhöhten Eitelkeit,<strong>die</strong> <strong>die</strong> Männer eben „Stolz“ und „Ehre“ nennen.Ich bezeichne ein derartiges Verhalten als krank. Aber es ist ein guter Beweis dafür, wie primitivund unreif sich homo sapiens gebärdet. Nicht nur in der „archaischen“ Bronzezeit, sondern auchheute <strong>noch</strong>.


97Nach Isaaks Tod (er <strong>wir</strong>d selbstverständlich von <strong>Ja</strong>kob UND Esau begraben; Rebekka <strong>wir</strong>dNICHT mehr erwähnt) setzt <strong>die</strong> Erzählung mit <strong>Ja</strong>kobs Söhnen fort. Wie sie mit Mehrheitsbeschluß(Nachzügler Benjamin ist nicht dabei) ihren talentierten, intelligenten und beliebten Bruder Josephaus Eifersucht in <strong>die</strong> Sklaverei verk<strong>auf</strong>en (nette Brüder!) und ihrem Vater <strong>Ja</strong>kob den Tod seinesLieblingssohnes vorgaukeln (nette Söhne!). Wie Joseph nach Ägypten kommt und dort wegen seinerFähigkeiten als Traumdeuter an den Hof des Pharao gelangt. Wie er <strong>auf</strong>grund kluger Ratschläge <strong>zu</strong>rrechten Hand des Pharao <strong>wir</strong>d und das ganze Land regiert. Wie er während einer Hungersnot einemTeil seiner Brüder begegnet, <strong>die</strong> in Ägypten um Hilfe bitten. Wie Joseph von seinen Brüdern nichterkannt <strong>wir</strong>d und durch eine kleine List <strong>die</strong> Wiedervereinigung der ganzen Familie erreicht <strong>wir</strong>d.Joseph – ein echter Superstar. Durchaus verständlich, daß man ein Musical über ihn geschriebenhat. <strong>Ein</strong> tadelloser Mann UND ein Sympathieträger.Lediglich eine winzige Kleinigkeit <strong>wir</strong>ft einen kleinen Schatten; aber in der Regel <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>seKleinigkeit wohl einfach überlesen: Joseph war mit einer Ägypterin verheiratet. Schlimmer <strong>noch</strong>:mit der Tochter eines ägyptischen Priesters. Es ist <strong>wir</strong>klich nicht an<strong>zu</strong>nehmen, daß Schwiegervaterund Gemahlin andere Götter verehrt hatten als <strong>die</strong> ortsüblichen ägyptischen. Monotheisten dürftensie wohl nicht gewesen sein.Wie verträgt sich <strong>die</strong>se Tatsache mit dem göttlichen Bund?Und wie verträgt sie sich mit der Vorschrift, keine Frauen aus anderen Völkern <strong>zu</strong> ehelichen, schongar keine Götzen<strong>die</strong>nerinnen?(Das <strong>wir</strong>d wohl ein echtes Rätsel bleiben. Oder es bedarf einer angemessenen, gut formulierten,opportunistischen Deutung.)Mit <strong>Ja</strong>kobs und später Josephs Tod in Ägypten endet das erste Buch der Thora, bei Christen bekanntunter dem Namen „Genesis“.Das zweite Buch, „Exodus“ genannt, erzählt, wie Moses das Volk der Israeliten aus Ägyptenhinausführt und von Gott „das Gesetz“ für sein Volk erhält.Zu Beginn <strong>wir</strong>d (ziemlich kurz) erwähnt, wie das israelitische Volk sich während der 430 <strong>Ja</strong>hre inÄgypten gut vermehrt hatte, aber auch daß es von den Ägyptern in <strong>die</strong> Sklaverei gezwungen wordenwar. Und da der amtierende Pharao (Name leider nicht genannt) nicht mehr dulden will, daß es inseinem Land mehr Hebräer gibt als Ägypter, befiehlt er, alle männlichen Neugeborenen unter denHebräern <strong>zu</strong> töten. Aber <strong>die</strong> hebräischen Hebammen widersetzen sich <strong>die</strong>ser Anordnung. Es werdenauch ihre Namen genannt: Schifra und Pua.Im vierten Buch Mose (genannt Numeri) <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> exakte Zahl der wehrfähigen Männer angegeben,<strong>die</strong> mindestens zwanzig <strong>Ja</strong>hre alt waren und mit Moses aus Ägypten fortgezogen waren – 603 550(Kapitel 1, Vers 46). Es <strong>wir</strong>d auch <strong>die</strong> exakte Zahl <strong>die</strong>ser wehrfähigen Männer nach vierzigjährigemAufenthalt <strong>auf</strong> der Halbinsel Sinai genannt – 601 730 (Kapitel 26, Vers 51).Über sechshunderttausend Wehrfähige. Da<strong>zu</strong> <strong>noch</strong> <strong>die</strong> alten oder nicht wehrfähigen Männer, <strong>die</strong>Frauen, <strong>die</strong> Kinder. Überschlagsmäßig also eine Gesamtzahl von mindestens 2,5 Millionen, eherwohl drei. Die Gesamtbevölkerung Ägyptens <strong>zu</strong>r Zeit des Pharao Ramses des Zweiten (in dessenRegierungszeit der Exodus stattgefunden haben soll (um 1250 v.Chr.) <strong>wir</strong>d heute <strong>auf</strong> <strong>die</strong> selbe Zahlgeschätzt. Alle <strong>zu</strong>sammen, nicht nur <strong>die</strong> Israeliten. (Und ich dachte schon, in der Thora eine <strong>auf</strong>vernünftigen Wegen nachvollziehbare Zahl an<strong>zu</strong>treffen!)Drei Millionen Hebräer – und nur zwei Hebammen? Da braucht mich gar niemand <strong>zu</strong> kitzeln, damitmir das Lachen kommt. Aber ihre Namensnennung ist ein nettes Detail in einer netten Geschichte.Weil mit der Mithilfe der hebräischen Hebammen also nicht <strong>zu</strong> rechnen ist, müssen <strong>die</strong> Ägypterselber den männlichen hebräischen Nachwuchs im Nil ersäufen. Diesem Schicksal entgeht einKnabe namens Moses, dessen Mutter ihn drei Monate lang versteckt hälz, ihn dann in einBinsenkästchen legt und <strong>die</strong>ses flußabwärts treiben läßt, wo eine Tochter des Pharao den Korb dannaus dem Wasser fischt – das heißt: fischen läßt. So gelangt Moses an den königlichen Hof.Allerdings benötigt <strong>die</strong> Prinzessin eine Amme für das Kind und läßt deshalb – <strong>die</strong> leibliche Mutter


98des Knaben holen. <strong>Ein</strong> Zufall kann das wohl nicht sein, denn es steht ausdrücklich „<strong>die</strong> Mutter desKnaben“ geschrieben (Kapitel 2, Vers 8). Woher weiß <strong>die</strong> namenlose Prinzessin, wer <strong>die</strong> Mutter ist?Wo sie doch – gesetzwidrig! – den Jungen drei Monate lang im Geheimen <strong>auf</strong>gezogen hat?Auch das ist wohl nur ein nettes Detail in einer netten Geschichte.Vielleicht auch der Name des Kindes: Moses. Er ist ägyptisch und bedeutet „Kind“.Wer bitte nennt sein Kind „Kind“?Noch da<strong>zu</strong> in der ortsüblichen <strong>Ein</strong>geborenensprache?(Ich bin der Vater zweier Kinder. Sie heißen weder „Kind“ und „Kind zwei“ <strong>noch</strong> „männlichesKind“ und „weibliches Kind“; sie haben „richtige“ Namen.Also wer bitte nennt ein Kind bloß „Kind“?)Im schulischen Geschichtsunterricht ließ mich damals der Pharaonenname Tutmoses <strong>auf</strong>horchen.Selbstverständlich erinnerte mich „Tutmoses“ an „Moses“. Damals. Erst später wurde mir klar, daßMoses tatsächlich ein ägyptischer Name war. (Der Name „Tutmoses“ macht übrigens auch Sinn:„Kind des Tut“; oder „Sohn des Tut“. Aber nur „Kind“ allein?)(Die <strong>zu</strong>r erstmaligen Erwähnung des Namens Moses gehörige Fußnote in meiner Bibelausgabebesagt übrigens: „Der israelitische Erzähler hört das hebräische Zeitwort „ziehen“ (maschah)heraus“. – Aha. Ziehen. Herausziehen. Aus dem Fluß herausziehen. Ist das also wieder „nur“ einGeschichtchen wegen einer Wortassoziation, einer <strong>zu</strong>fälligen Ähnlichkeit von Worten in zweierleiSprachen?)Jedenfalls stillt <strong>die</strong> leibliche Mutter ihr eigenes Kind eine Zeitlang gegen Entgelt und bringt es dannder Prinzessin <strong>zu</strong>rück, <strong>die</strong> ihn an Sohnes Statt <strong>auf</strong>zieht.<strong>Ein</strong>es Tages beobachtet der inzwischen erwachsen gewordene Moses, wie ein ägyptischer Aufsehereinen hebräischen Sklaven bei der Fronarbeit schlägt. „Mose sah sich nach allen Seiten um, und alser sah, daß sonst niemand da war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand.“ (Kapitel 2,Vers 12)Ausdrücklich <strong>wir</strong>d der „gerächte“ Hebräer als einer „seiner Stammesbrüder“ bezeichnet. Aberwoher weiß Moses, daß der Hebräer auch ein solcher ist? Daß er, Moses, selber ein Hebräer ist?Wer hat ihm das gesteckt? Die Prinzessin? Sie, <strong>die</strong> eigentlich den „Hebräerbalg“ hätte umbringenmüssen – anstatt ihn <strong>auf</strong><strong>zu</strong>ziehen? (Und was mag wohl Papa Pharao da<strong>zu</strong> gesagt haben?) DieBeschneidung kann das wohl nicht offenbart haben, da sie ja auch von den Ägyptern praktiziertwurde. Also woher weiß der junge Mann mit dem ägyptischen Namen, daß er gar kein Ägypter ist,sondern ein Hebräer?(Und woher weiß Moses – später dann – daß Aaron sein leiblicher Bruder ist? Wer hat ihm wohlDAS verraten?)Nette Details, nette Geschichte.Moses flieht nach <strong>die</strong>sem Totschlag. Stiefgroßvater Pharao will ihn nämlich töten lassen.Moses flieht nach Midian, einen Küstenstreifen im Nordwesten der Arabischen Halbinsel, wo er miteiner Tochter des dortigen Oberpriesters eine Familie gründet. Dieser Priester verehrt den selbenGott wie <strong>die</strong> Hebräer, es ist also alles korrekt für Moses. (Inwieweit Moses im Glauben seiner Vätererzogen wurde (oder ob überhaupt), das <strong>wir</strong>d nirgendwo erwähnt; aber man muß es wohl annehmen.(Bei einem Propheten <strong>wir</strong>d das ja im Allgemeinen auch nicht hinterfragt.))<strong>Ein</strong>es Tages weidet Moses <strong>die</strong> Ziegen und Schafe seines Schwiegervaters in der Nähe des„Gottesberges“ Horeb, auch bekannt als „Berg Sinai“. (Als wäre <strong>die</strong>ser Berg nur ums Eck vonMidian! Schaut mal in einen Atlas!) Da erscheint ihm „der Engel des Herrn“ in einem brennendenDornbusch. Moses nähert sich, und dann spricht der Herr selber aus dem Feuer (wieder einmal <strong>die</strong>sesprachliche Ver<strong>wir</strong>rung von „Engel“ und „Herr“): „Ich bin der Gott deiner Väter. Ich habe dasWehklagen meines Volkes gehört, und du, Moses, <strong>wir</strong>st es aus Ägypten hinausführen.“Moses, ganz bescheiden, traut sich das nicht <strong>zu</strong>. Aber Gott beruhigt ihn: “Ich bin bei dir.“Danach fragt Moses, was er denn sagen solle, wenn ihn <strong>die</strong> Israeliten nach dem Namen ihres Gottesfragen sollten.


99Und da antwortet Gott mit den berühmten vier Buchstaben:יחדחJHWH.Heute weiß man nicht einmal mehr, wie <strong>die</strong>ser Name überhaupt ausgesprochen <strong>wir</strong>d. Das jüdischeVolk entwickelte im L<strong>auf</strong>e der Zeit eine dermaßen große Ehrfurcht vor <strong>die</strong>sem Namen, daß er nichtmehr ausgesprochen werden durfte. Obwohl er Gottes Name für alle Zeit sein sollte. ZU heilig.Tabu. Man verwendete stattdessen das Wort „Adonai“ (Herr); aus einer Verschmel<strong>zu</strong>ng von JHWHund Adonai soll dann der Name „Jehova“ entstanden sein. Sagt man. (Aber das ist so ganz und garnicht mein Metier; Zahlen- und Buchstabenspielerei, <strong>die</strong> mitunter (und das ist höflich ausgedrückt)<strong>die</strong> Grenze <strong>zu</strong>r Magie überschreiten, das ist meine Sache nicht so ganz.)Diese meine Bibelausgabe übersetzt JHWH mit „ich bin da“.Gott sagt also: „Ich bin der 'Ich-bin-da'.“ (Exodus, Kapitel 3, Vers 14)Ich habe auch schon <strong>die</strong> Überset<strong>zu</strong>ngen „Ich bin, der ich bin“, „Ich bin der Seiende“, „Ich bin, derich sein werde“ und „Ich bin der-ist-der-war-der-sein-<strong>wir</strong>d“ gelesen.Ich hege <strong>die</strong> Vermutung, daß JHWH genauso unübersetzbar ist wie der Begriff „brahman“ imSanskrit (und seine personifizierte Form „Brahma“); ich habe jedenfalls <strong>noch</strong> keine Überset<strong>zu</strong>nggefunden, <strong>die</strong> mich <strong>wir</strong>klich befriedigt hätte. Irgendwie können <strong>die</strong>se Begriffe mit all-umfassendemzeitlosen Sein in Verbindung gebracht werden. Vielleicht bedeuten „JHWH“ und „brahman“ sogarexakt das „Selbe“.Weiters sagt Gott <strong>zu</strong> Moses, daß er den ägyptischen Pharao <strong>auf</strong>fordern solle, das israelitische Volkaus der Sklaverei <strong>zu</strong> entlassen und des Weges ziehen <strong>zu</strong> lassen, daß Pharao <strong>die</strong>ser Bitte aber nichtentsprechen würde, daß dar<strong>auf</strong>hin das gesamte Volk der Ägypter das dementsprechende Fettabbekäme (bekannt unter dem Begriff „<strong>die</strong> zehn Plagen“), daß danach <strong>die</strong> Israeliten ziehen dürftenund sich <strong>die</strong> Israelitinnen nach Belieben an Schmuck und Hausrat der Ägypterinnen gütlich tundürften. (Ist das nicht eine göttlich-sanktionierte Form von Plünderung <strong>zu</strong> nennen?)Der brennende Dornbusch <strong>wir</strong>d von den meisten Menschen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Geschichte für wahr halten,als göttliches Wunder angesehen. Aber vieles, was gestern <strong>noch</strong> als Wunder galt, ist heute schonwissenschaftlich erklärbar. (Das ist ja das Herrliche an der Wissenschaft, daß man mittels Wissenetwas erklären kann, woran andere nur glauben können – oder müssen. Wissenschaft und Forschungist etwas Erhellendes; problematisch <strong>wir</strong>d sie oft erst durch <strong>die</strong> Anwendung ihrer Erkenntnisse.)Wahrscheinlich habt ihr alle schon gesehen, wie <strong>die</strong> Luft flimmert, wenn es draußen so richtig heißund trocken ist.Vielleicht habt ihr ebenfalls schon gesehen, wie sich eine offene Flamme unter sehr hellerLichteinstrahlung verhält: Man sieht sie nicht, erkennt sie nur am Flimmern der Luft (und amGlimmen der Glut).Und sicherlich ist euch bekannt, daß verschiedene Pflanzen ätherische Öle beinhalten, <strong>die</strong> bei derentsprechenden Temperatur verdampfen.Also stellt euch mal vor: Sinai; Steinwüste, Sommer, sehr heiß, sehr trocken, sehr hell. Aus einigerEntfernung sieht der Viehhirte Moses, wie <strong>die</strong> Luft über einem Busch NOCH MEHR flimmert als<strong>die</strong> übrige Luft. Er will sich <strong>die</strong>ses Phänomen etwas näher anschauen.Ätherische Dämpfe kennt er nur aus den Tempeln, wenn der Mensch diverses Zeug abfackelt. Aberdabei bleiben immer Verbrennungsprodukte <strong>zu</strong>rück. Hier aber nicht. Der Busch scheint <strong>zu</strong> brennen,ohne daß er verbrennt. <strong>Ein</strong> bronzezeitlicher Mensch kann sich da nur wundern und demnach einWunder vermuten.Moses steht also vor <strong>die</strong>sem Busch und wundert sich; vielleicht ist er in Ehrfurcht erstarrt. Er stehtdort – mitten in einer Wolke ätherischer Substanzen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ser Busch ausschwitzt und ausdampft.


100Aus eigener Erfahrung kann ich euch versichern, daß einige Pflanzen über Inhaltsstoffe verfügen,<strong>die</strong> sehr heftige Aus<strong>wir</strong>kungen <strong>auf</strong> Nervensystem und Gehirn besitzen.Aber der bronzezeitliche Moses dürfte von Nervensystem, Gehirn und ätherischen Substanzensicher nicht viel Schimmer gehabt haben. Er steht also einfach nur dort, guckt und staunt – undatmet schwere ätherische Substanzen ein.Und ich kann euch aus eigener Erfahrung versichern, daß unter dem <strong>Ein</strong>fluß einiger Substanzen <strong>die</strong>Welt erheblich anders erlebt werden kann, ganz abgesehen mal von den mitunter unvermeidlichenHalluzinationen.Moses steht also dort. Möglicherweise „high“ – ohne es <strong>zu</strong> wissen, ohne es beabsichtigt <strong>zu</strong> haben.Da können sich ganz leicht und ganz schnell Visionen einstellen. Oder Halluzinationen, <strong>die</strong> alsVisionen empfunden werden. <strong>Ein</strong> Mensch der Bronzezeit dürfte das wohl viel ernsthafter erlebthaben als ein heutiger Zeitgenosse. „Fun“ dürfte es für Moses wohl keine gewesen sein – wenn oderfalls es so war wie hier angedacht.


101An <strong>die</strong>ser Stelle möchte ich <strong>die</strong> Gelegenheit ergreifen und ein bißchen über Rauschmittel oderbewußtseinsverändernde Substanzen plaudern.Ich bin ein Kind der Generation „Sex, Drugs & Rock 'n' Roll“. Man könnte auch sagen, ich wärefrüher mal so eine Art Spät-Hippie gewesen.Unsere Elterngeneration war damals ziemlich empört gewesen über Sex, Drugs & Rock 'n' Roll.„Das hätt's <strong>zu</strong> UNSERER Zeit NICHT gegeben“ und so. Stimmt auch: Früher sprach man auch von„Wein, Weib und Gesang“, das war ja ganz anders. Heute heißt es etwas undifferenziert „Party PartyParty“ und ist genauso weit verbreitet wie früher Sex, Drugs & Rock 'n' Roll oder Wein, Weib undGesang.Über Sex reden will ich nun <strong>wir</strong>klich nicht; als Extrem-Fun-Sportart oder Akrobatik hat's mir aber<strong>noch</strong> nie richtig gut getan. Über partnerschaftliche Beziehungen will ich schon gar nichts sagen; dabin ich eher ein Experte dafür, wie's NICHT geht.Über Musik kann ich nur sagen: Hört welche. Mehr! MEHR! Geschmäcker und Hörgewohnheitenmögen verschieden sein, aber wenn Musik Freude bereitet und Gefühle der Harmonie be<strong>wir</strong>kt, danngenügt das ja.Ich nehme an, daß der Gebrauch von Rauschmitteln ursprünglich <strong>auf</strong> Schamanismus und rituelleKulthandlungen beschränkt war. Da der Mensch aber prinzipiell <strong>zu</strong> „Mehr!“ und „Noch einmal!“neigt, <strong>wir</strong>d der kultisch-religiöse Zweck wohl recht schnell einer gewissen Inflation unterworfengewesen sein. Heute <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Gründe für einen Rauschmittelgenuß hauptsächlich wohl Gewohnheitund Unglücklich-Sein.Die Grenzen zwischen Gewohnheit und psychischer Abhängigkeit <strong>sind</strong> fließend. Sucht ist nicht nurkörperliche Abhängigkeit, sie kann auch „nur“ psychologischer Natur sein und ist <strong>wir</strong>klich nichtempfehlenswert. Ich zolle jedem <strong>Ein</strong>zelnen Respekt, der eine Sucht überwunden hat; das muß auchgar keine Sucht nach Rauschmitteln sein. Jedem, der eine Sucht überwinden möchte, sage ich: NurMut! Mach es!Über Unglücklich-Sein können Tausende Bücher geschrieben werden, <strong>zu</strong>sätzlich <strong>zu</strong> den Tausenden,<strong>die</strong> es ohnehin schon gibt.Alle Menschen durchl<strong>auf</strong>en eine völlig natürliche Periode des Unglücklich-Seins: <strong>die</strong> Pubertät. In<strong>die</strong>ser Zeitspanne ist man ein halberwachsenes Kind, das sich wie ein Erwachsener benehmen soll,und gleichzeitig ein Halberwachsener, der sich wie ein Erwachsener benehmen will, jedochgleichzeitig <strong>die</strong> Elterngeneration ablehnt und sich wie ein bockiges Kind benimmt. Übrig bleibt inetwa ein Sechstel-Mensch, und genau so fühlt man sich auch. Zusätzlich <strong>wir</strong>ft es Pubertierendezwischen manischen und depressiven Gefühls<strong>zu</strong>ständen nur so hin und her, und weder sie <strong>noch</strong> ihreFamilienangehörigen <strong>sind</strong> darüber besonders glücklich. Verursacher <strong>die</strong>ser bipolaren Störung <strong>sind</strong><strong>die</strong> Sexualhormone Östrogen und Progesteron einerseits (girls only) und Testosteron andererseits(boys only). Selbst <strong>die</strong> wenigen Menschen, <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sen Hormonausbrüchen verschont bleiben,leiden darunter, weil sie nicht so <strong>sind</strong> wie <strong>die</strong> „Normal“-Pubertierenden.Es braucht <strong>Ja</strong>hre, bis man sich an <strong>die</strong>se körpereigenen Drogen gewöhnt. Manche schaffen das ihrganzes Leben lang nicht <strong>wir</strong>klich.In den meisten patriarchalischen Gesellschaften argumentieren Männer, daß Frauen wegen ihrerKörperlichkeit (von Östrogen und Progesteron weiß man ja <strong>noch</strong> nicht so lange) <strong>zu</strong> keinerleiTätigkeiten taugen als Arbeit, Arbeit, Arbeit und so nebenbei dem Werfen von ungefähr einemDutzend Kinder (bevor<strong>zu</strong>gt Knaben). Das Aufgeilen der Männer in geschlossenen, aber den<strong>noch</strong>öffentlichen Räumlichkeiten wurde auch <strong>noch</strong> akzeptiert, sofern es nicht <strong>die</strong> eigenen Weiber undTöchter waren. Aber wie kommen Männer bloß <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee, daß es besser sei, voll <strong>auf</strong> Testosteron<strong>zu</strong> sein als <strong>auf</strong> der Kombination Östrogen-Progesteron? Da kann man schon recht leicht erkennen,wie <strong>die</strong>se gefährlichen körpereigenen Sexualdrogen nicht nur Gefühle, sondern auch das Denkenverändern.Aber <strong>die</strong> patriarchalische Theorie von der weiblichen Inkompetenz <strong>auf</strong>grund ihrer Körperlichkeit


102hat <strong>noch</strong> einen anderen Haken. Im L<strong>auf</strong>e der <strong>Ja</strong>hre fährt nämlich der menschliche Körper <strong>die</strong>Produktion der Sexualdrogen <strong>zu</strong>rück; <strong>die</strong>s geschieht bei Männern schleichend, bei Frauen ziemlichabrupt und in weit höherem Maße.<strong>Ein</strong> Versiegen der Testosteron-Produktion gilt unter Männern als Versagen und <strong>wir</strong>d oft „Verlust derMännlichkeit“ genannt. Es ist leicht <strong>zu</strong> erkennen, wie gefährlich Testosteron tatsächlich ist, wennsich Männer überwiegend über einen zeugungsfähigen Ejakulier- und Urinierkolben definieren.<strong>Ein</strong> Versiegen der weiblichen Sexualdrogen gilt jedoch als völlig normal, obwohl es ebenfalls starkeGefühle des Unglücklich-Seins be<strong>wir</strong>kt. Nach jahrelangen Ent<strong>zu</strong>gserscheinungen ist eine Frau dannjedoch relativ frei von den gewohnten Hormonräuschen. Müßte demnach nicht <strong>die</strong> Führung derGesellschaft den weitgehend sexualdrogenfreien Frauen anvertraut werden? Die müßten <strong>auf</strong>grundihrer veränderten Körperlichkeit ja eher da<strong>zu</strong> geeignet sein als <strong>die</strong> weiterhin hormongesteuertenMännlichkeits-Männer. Aber das <strong>wir</strong>d ein waschechter Testosteron-Junkie wohl nicht ganz so leichteinsehen. Ursache: wahrscheinlich Testosteron-Rausch.Die erstmalige heftige Ausschüttung von Sexualhormonen be<strong>wir</strong>kt also <strong>die</strong> erste heftige Phase desUnglücklich-Seins und formt als Neben<strong>wir</strong>kung aus weitgehend glücklichen Kindern Frauen undMänner, <strong>die</strong> sich für den Rest ihres Lebens dann gegenseitig als Außerirdische empfinden. Aufgrundeines <strong>zu</strong>meist sehr hohen Hormonpegels bleibt es Männern und Frauen aber nicht erspart, sich mitder jeweils anderen außerirdische Sub-Spezies ein<strong>zu</strong>lassen und mit ihr <strong>zu</strong> verkehren, da man vonder Heftigkeit der körpereigenen Sexualdrogen da<strong>zu</strong> getrieben <strong>wir</strong>d. Deshalb spricht man auchallgemein von „Sexualtrieb“ und „Geschlechtsverkehr“. Homosexualität, Sodomie, Masturbationsowie sämtliche Formen von Polygamie beziehungsweise Polyandrie <strong>sind</strong> übrigens auch keineLösungen, sondern lediglich Varianten der Sexualdrogen-Abhängigkeit. Das chirurgische Entfernenverschiedener Organe oder Körperteile ist ebenfalls keine Lösung.Das Zusammeinsein von Menschen <strong>auf</strong>grund ihres Getrieben-Seins durch ihre jeweiligenSexualdrogen be<strong>wir</strong>kt zwar eine Menge an Gefühlen des Glücklich-Seins, andererseits aber auchjede Menge an Problemen und jede Menge an Gefühlen des Unglücklich-Seins. Letztere versuchtman dann <strong>auf</strong> völlig unterschiedliche Art los<strong>zu</strong>werden oder <strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong> lindern: indem maneinfach den Sexualpartner austauscht; durch <strong>die</strong> simple Hoffnung, daß es wohl einmal besserwerden <strong>wir</strong>d; durch Resignation (was leider manchmal tödlich endet); indem man in ein Klostereintritt oder freischaffend-zölibatär lebt; indem man sich's nur <strong>noch</strong> selber besorgt; indem man sichIRGENDWIE weiterhoppelt; oder indem man <strong>die</strong> Negativ-Folgen der körpereigenen Sexualdrogen(Unglücklich-Sein) mit der Zufuhr körperfremder Substanzen bekämpft, von denen man einepositive Veränderung der Gefühls- und Gedankenwelt erwartet. Letzteres führt <strong>zu</strong>meist ebenfalls <strong>zu</strong>negativen Neben<strong>wir</strong>kungen, <strong>zu</strong> ANDEREN so<strong>zu</strong>sagen, häufig sogar da<strong>zu</strong>, daß das von denSexualdrogen verursachte Unglücklich-Sein <strong>noch</strong> verstärkt <strong>wir</strong>d.So einfach ist das Mensch-Sein als Sexualdrogen-Junkie.Da <strong>die</strong> Pubertät <strong>die</strong> erste längerfristige Phase ist, in welcher der Mensch sein inneres Gleichgewichtverliert und dementsprechend das Unglücklich-Sein erfährt, ist <strong>die</strong>s <strong>zu</strong>meist auch <strong>die</strong> Phase derersten Drogenerfahrungen. Die häufigste <strong>Ein</strong>stiegsdroge <strong>zu</strong>r Bekämpfung des Unglücklich-Seins isteine natürlich vorkommende Substanz namens Alkohol.Jede Drogen-Statistik, <strong>die</strong> nicht Alkohol als Droge Nr.1 anführt, ist schlichtweg eine Lüge (mithoher Wahrscheinlichkeit von Säufern oder Schnapsbrennern ersonnen).Sämtliche Substanzen, <strong>die</strong> einen <strong>Ein</strong>fluß <strong>auf</strong> das zentrale Nervensystem und insbesonders <strong>auf</strong> dasGehirn haben, müssen als Drogen bezeichnet werden. Auch Medikamente.(So nebenbei: Es gibt auch TÄTIGKEITEN, <strong>die</strong> <strong>zu</strong> Abhängigkeit und Sucht führen können und dichEBENFALLS ziemlich kaputt machen.)Bereits Paracelsus sprach davon, daß es <strong>die</strong> Dosis ist, <strong>die</strong> aus einer Substanz ein Medikament oderein Gift macht.Gegen Medikamente oder gar Notfall-Medikamente (<strong>zu</strong>m Beispiel Morphine) ist selbstverständlichnichts ein<strong>zu</strong>wenden. <strong>Ein</strong>e regelmäßige Medikation ist allerdings IMMER problematisch. Aber wenn


103man ein chronischer Schmerzpatient ist und vielleicht schon bald den Löffel abgibt, dann sollte derFaktor Abhängigkeit wohl keine Rolle mehr spielen.<strong>Ein</strong>e Übersicht darüber, in welchen Phasen meines persönlichen Unglücklich-Seins ich welcheSubstanzen <strong>zu</strong> mir genommen habe, bekommt ihr nicht. Aber ich bin sehr froh darüber, daß ich nurmehr von Ärzten verschriebene „normale“ Medikamente <strong>zu</strong> mir nehme. So nebenbei hat das meinUnglücklich-Sein auch erheblich reduziert.Deshalb mein persönliches Kurz-Resümee in puncto Drogen:1. Im selben Maß, in dem DU eine Droge nimmst, nimmt <strong>die</strong>se auch DICH.2. Wie kann man nur <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee kommen, daß eine Substanz, <strong>die</strong> eine Wirkung <strong>auf</strong> das zentraleNervensystem und insbesonders <strong>auf</strong> das Gehirn hat, dort oder anderswo keine unerwünschtenSpuren hinterläßt?3. Sucht andere Wege, euer persönliches Unglücklich-Sein los<strong>zu</strong>werden.


104Völlig unabhängig davon, ob Moses nun „high“ war oder nicht, er tut, wie Gott ihm befahl.Pharao läßt <strong>die</strong> Israeliten NICHT gehen. Also muß Gott ihm mittels der berühmt gewordenen„zehn Plagen“ den Schädel <strong>zu</strong>rechtrücken.Neun der zehn Plagen kann man heute <strong>auf</strong> wissenschaftliche und leicht verständliche Weiseerklären. Nur <strong>die</strong> Erklärung für <strong>die</strong> zehnte Plage ist mir etwas <strong>zu</strong> dünn. (Der kümmerliche Rest anGetreide wäre von Schimmelpilzen verseucht gewesen und überwiegend an Erstgeborene verfüttertworden.)Nährstoffreiche Sedimente im Nil be<strong>wir</strong>ken eine extreme Algenblüte, <strong>die</strong> das Wasser rot erscheinenläßt.Das Wasser <strong>wir</strong>d ungenießbar. Fische sterben in Massen.Ihrer Freßfeinde beraubt, vermehren sich Amphibien und Insekten ungehindert.Krankheiten und Seuchen für Vieh und Mensch <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Folge.Danach folgen einzelne Ereignisse, wie sie öfter mal vorkommen: eine Heuschreckenplage, einHagelsturm, ein dreitägiger Sandsturm (oder vielleicht <strong>die</strong> Verdunkelung des Himmels durch denVulkanausbruch <strong>auf</strong> Santorin im 17. <strong>Ja</strong>hrhundert vor Christus).(<strong>Ein</strong> Hagelsturm „über ganz Ägypten“ ist übrigens rein meteorologisch NICHT möglich; derleiriesige Wetterfronten gibt es zwar <strong>auf</strong> dem Jupiter, <strong>auf</strong> Erden jedoch nicht.)Die zehnte Plage, der Tod jeder männlichen Erstgeburt, ist meiner Meinung nach ein reiner Mythos,der aus dem religiösen Selbstverständnis der Israeliten resultiert. Alle männlichen Erstgeborenenunter Mensch und Vieh gehörten Gott. Sie mußten entweder geopfert werden oder mittels rituellerErsatz-Opfer freigek<strong>auf</strong>t werden. Dies war Teil des Bundes zwischen Gott und seinem Volk. OhneErstgeburts-Opfer kein göttlicher Segen.Wenn nun den Ägyptern alles männliche Erstgeborene wegstirbt, dann bedeutet das: IHR habtGottes Segen NICHT. Ihr seid verflucht.Und weil alles männliche Erstgeborene unter den Israeliten am Leben bleibt, heißt das: WIRbesitzen Gottes Segen sehr wohl. WIR <strong>sind</strong> sehr wohl gesegnet. Gott ist mit uns.<strong>Ein</strong> Mythos von außerordentlich hoher Symbolkraft.Den Satz „Gott ist mit uns“ oder „Gott ist <strong>auf</strong> unserer Seite“ (auch in der <strong>Ein</strong>zahl gebräuchlich) hat<strong>die</strong> Welt schon oft gehört. Viel <strong>zu</strong> oft für meinen Geschmack; <strong>zu</strong>mal es sich <strong>zu</strong>meist nur umopportunistisches Geschwafel handelt.<strong>Ein</strong> Monist gibt einen derartigen Satz wahrscheinlich NIE von sich. Oder – indirekt – IMMER.Vor einigen <strong>Ja</strong>hren hörte ich <strong>die</strong>sen Satz aus dem Mund eines US-Basketball-Profis, nachdem seinTeam einen wichtigen Play-Off-Sieg errungen hatte. Er sagte: „Heute war Gott <strong>auf</strong> unserer Seite.“Zugegeben: <strong>Ein</strong> bißchen geschluckt hab' ich da schon. Aber dann habe ich einfach gelauscht, wasder Mann sonst <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> sagen hatte, aus sportlicher Sicht.Aber irgendwie ist seine Aussage <strong>noch</strong> einige Tage lang in meinem Kopf <strong>auf</strong>getaucht und hat michschließlich <strong>zu</strong> einigen Gedankenspielchen angeregt.Ich ließ tiefgläubige Basketball-Teams unterschiedlicher Religionen gegeneinander antreten. Wer dawohl gewinnen würde? Aber dann wurde mir klar, daß <strong>die</strong>se Aufeinandertreffen von Christen,Muslimen, Buddhisten, Hindus, Taoisten und Juden nichts bringen würde, weil mit Sicherheitjemand <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee kommen würde, SEIN Gott wäre mächtiger als der des Gegners oder SEINEReligion <strong>die</strong> einzig richtige.Also ließ ich Christen gegeneinander spielen. Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Armenier,Kopten. Aber mit Sicherheit würde auch hierbei jemand behaupten, daß SEINE Auffassung vonChristentum <strong>die</strong> einzig richtige wäre.Also beschränkte ich mich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> vielen protestantischen, neo-protestantischen und evangelikalenMini-Kirchen, <strong>die</strong> in den USA ja <strong>wir</strong>klich zahlreich vorhanden <strong>sind</strong> und sich über<strong>die</strong>s gegenseitigakzeptieren und respektieren.Ich nahm für jede der beiden Mannschaften zwölf tiefgläubige US-Profis, einen tiefgläubigen


105Coach, einen tiefgläubigen Co-Trainer, einen tiefgläubigen Mannschaftsarzt, einen tiefgläubigenMasseur und einen tiefgläubigen Zeugwart. Zwei gleichwertige Teams also, auch in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Spielstärke. Da<strong>zu</strong> als Schiedsrichter drei neutrale jüdische Rabbiner, denen religionsbedingt ja anGerechtigkeit gelegen sein muß und <strong>die</strong> auch etwas von Basketball verstehen.Jede Mannschaft sitzt also in ihrer Kabine, hält sich an den Händen, motiviert sich und betet. JedesTeam ist beseelt von Gott, vom Glauben an Gott, vom Glauben an <strong>die</strong> eigene Stärke, von sportlicherFairness und Siegesgewißheit.Dann kann's losgehen.Gott ist mit ihnen.Mit beiden Teams.Erstes Viertel 24:24.Halbzeitstand 51:51.Endstand 97:97.Overtime. 108:108.Zweite Verlängerung 121:121.Nach der neunten Verlängerung (Spielstand 206:206) beschließt man, das Spiel am nächsten Tagfort<strong>zu</strong>setzen.Am Ende des sechsten Spieltags <strong>wir</strong>d ein Ruhetag vereinbart.Nach vielen Wochen einigt man sich beim Spielstand von 5364:5364 <strong>auf</strong> ein Unentschieden.Alle halten sich an den Händen und beten. Gott ist mit ihnen. Mit BEIDEN Mannschaften.So müßte es sich eigentlich abspielen, wenn tiefgläubige Menschen ohne den geringsten Zweifel anGottes Beistand und mit gleichwertiger sportlicher Kompetenz gegeneinanden antreten.Ich hab' mir auch einen Vergleichskampf der ganz anderen Art ausgedacht:Das eine Team formte ich aus den tiefstgläubigen Hobby-Basketballern der Welt. Trainingslager inder heiligen Stadt Jerusalem. Die besten tiefstgläubigen Betreuer unter Leitung eines chinesischenZen-, Tai-Chi und Kung-Fu-Meisters.Das andere Team rekrutierte ich aus den fiesesten Typen, <strong>die</strong> man in der US-Profiliga nur findenkann: Egomanen, Blasphemiker, Kriminelle, Perverse, Schläger, Sexisten, Rassisten, Satanisten,Zyniker, Spötter, Koksnasen, selbstherrliche Giftkröten, allesamt echte Kotzbrocken; über<strong>die</strong>s alleuntereinander spinnefeind, autoritätsfeindlich und asozial. <strong>Ein</strong> zerstrittener, undisziplinierbarerH<strong>auf</strong>en von aggressiven Chaoten. Da<strong>zu</strong> eingebildete und unfähige Betreuer. Kein Trainingslager,lediglich individuelle Vorbereitung in Gefängnissen und Bordellen.„Heavenly Harmony“ gegen „Bad Boyz 666“.Rein von der Mentalität her, aus dem Sichtwinkel des Glaubens, müßten <strong>die</strong> himmlischenHarmoniker <strong>die</strong> bösen Junx mit 120:50 hinwegfegen. Ich schätze aber, daß es eher umgekehrt endenwürde, selbst wenn sich <strong>die</strong> zweit- und drittklassigen Profis <strong>zu</strong>meist nur <strong>auf</strong> persönliche Ego-Tripsbeschränken.Wunder <strong>sind</strong> selten.Der Glaube befähigt den Menschen <strong>zu</strong>meist nur <strong>zu</strong> dem, was er ohnehin kann. Nur manchmalwerden persönliche Grenzen überschritten.Ist es vermessen, anstelle des Begriffs „Glauben“ einfach das Wörtchen „Selbstvertrauen“ <strong>zu</strong>verwenden?Motivation ist Glauben aber allemal. (Leider nicht immer <strong>zu</strong>m Guten.)Übrigens hat das Team <strong>die</strong>ses „Heute war Gott <strong>auf</strong> unserer Seite“-Profis bereits das nächste Matchwieder verloren, in Folge auch <strong>die</strong> gesamte Play-Off-Serie, und konnte den wohlver<strong>die</strong>nten Urlaubantreten. (Meister geworden ist meines Wissens nach das Team, gegen welches Gott kurzfristigbeistand, <strong>zu</strong>mindest in den Augen <strong>die</strong>ses gläubigen Sportlers.) Allerdings sagte niemand nach einer<strong>die</strong>ser Niederlagen, Gott wäre an <strong>die</strong>sem Tag NICHT <strong>auf</strong> ihrer Seite gestanden oder <strong>auf</strong> der Seitedes Gegners.So was sagt man in der Regel nicht. Gott war ganz sicher nicht schuld. Dann war eben der Glaube


106<strong>zu</strong> schwach.Oder der Gegner einfach besser.Oder <strong>die</strong> Umstände waren mitentscheidend. Schiedsrichter, Publikum, der Boden; der letzte Wurfim zweiten Viertel, der gerade nicht hineinwollte; das Foul in der allerletzten Minute, das nichtgegeben wurde; Glück und Pech.Eigentlich ist es in sämtlichen Lebensbereichen so, daß, wenn etwas schiefgeht, alles nur irgendwieMögliche dafür verantwortlich gemacht <strong>wir</strong>d – nur nicht Gott. Und wenn doch <strong>noch</strong> Gott ins Spielgebracht <strong>wir</strong>d, dann ist alles Teil des undurchschaubaren göttlichen Plans; oder eine PRÜFUNG;einen Sinn MUSS ja alles haben.Mir scheint, nirgendwo bietet sich mehr Raum für den menschlichen Opportunismus als <strong>auf</strong> demGebiet des Glaubens.Die meisten Menschen glauben ganz fest an Plan, Sinn und Prüfung.Viele vertreten <strong>die</strong> Auffassung, daß Gott all jene prüft und sogar züchtigt, <strong>die</strong> er liebt. Je größer <strong>die</strong>Züchtigung, desto größer <strong>die</strong> Liebe. In kleinerem Maß soll das auch für Eltern (insbesonders Väter)und Kinder gelten. Wer sein Kind liebt, der züchtigt es. Mein Vater muß mich gehaßt haben; keineinziges Mal hat er <strong>die</strong> Hand gegen mich erhoben; nicht einmal richtig gebrüllt hat er. Der angeblichso weise König Salomon hat <strong>die</strong> Sprößlingszüchtigung allerdings ausdrücklich empfohlen. (Demwidersprach sogar Walter von der Vogelweyde, als er dichtete: „Niemand bringt mit Ruten bösesKind <strong>zu</strong>m Guten.“ Hat damals aber wenig genützt.)Salomons Volk ist im L<strong>auf</strong>e der Geschichte von EINER xcr Phase in <strong>die</strong> nächste getorkelt odergetrieben worden; Ägypter, Assyrer, Babylonier, Griechen, Römer, so ziemlich ALLE europäischenVölker der letzten zwei <strong>Ja</strong>hrtausende. Verfolgung, Pogrome, Holocaust.Wenn Gott SEIN Volk prüft und <strong>zu</strong>r Reife bringt, indem er es züchtigt, weil er es liebt (und vieleJuden scheinen das auch so <strong>zu</strong> sehen), dann müßte vor sämtlichen Holocaust-Gedenkstätten undehemaligen KZ-Lagern folgende Gedenktafel stehen: „Oh wie seid ihr doch gequält und gepeinigtworden! Wie sehr muß Gott euch doch geliebt haben, daß er euch dermaßen gezüchtigt und geprüfthat! Oh ihr Glücklichen! Ach wäre ich doch einer von euch!“Aber derartige Gedenktafeln gibt es nirgends. Sie würden – von wenigen psychopathischen undperversen Antisemiten abgesehen – auch nirgendwo Verständnis und Zustimmung auslösen, sondernwohl eher <strong>die</strong> wohlver<strong>die</strong>nte Empörung.Mir scheint, nirgendwo bietet sich mehr Raum für den menschlichen Opportunismus als <strong>auf</strong> demGebiet des Glaubens und dessen Interpretationen.Der Opportunismus-Dschungel aus Glauben, Glaubensdeutung, Meinung, Weltanschauung,Selbstbeweihräucherung und religiösen Gefühlen ist leider nur äußerst schwer <strong>zu</strong> durchdringen.Mitunter bringt er auch seltsame Blüten hervor, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> den ersten Blick zwar wunderschönaussehen, bei näherer Betrachtung aber gar nicht so gut riechen.So erzählte <strong>zu</strong>m Beispiel eine sympathische jüdische Lady einer Fernsehkamera, wie einer ihrerVerwandten oder Bekannten <strong>auf</strong> wundersame Weise einer Nazi-Kontrolle im Dritten Reich entging.Sie schloß ihre Geschichte mit einem mitreißenden Lächeln und den Worten: „Da sieht man wiedereinmal, wie Gott <strong>auf</strong> sein Volk schaut.“Bei <strong>die</strong>sen Worten hätte ich ganz ganz kräftigt geschluckt, wenn mir nicht <strong>die</strong> Spucke weggebliebenwäre.Ich hege keinerlei Zweifel, daß <strong>die</strong>se betagte Dame aus reinem Herzen gesprochen hat (wenn auchetwas hirnlos). Ich zweifle aber auch keineswegs daran, daß ein paar Millionen Juden es damalsetwas anders gesehen haben.Soviel <strong>zu</strong>r Relativität der <strong>zu</strong>meist opportunistischen Auffassung „Gott ist mit uns“.


107Zurück <strong>zu</strong> Moses.Nach der zehnten Plage (und dem Verlust seines eigenen Erstgeborenen) hat der Pharao schließlich<strong>die</strong> Nase voll und läßt <strong>die</strong> Hebräer gehen. Allerdings bereut er schnell den Verlust einer derartiggroßen Masse von äußerst günstigen Arbeitskräften und verfolgt sie mit einer Armee. Er setzt sichan <strong>die</strong> Spitze <strong>die</strong>ser Armee (<strong>die</strong> Rede ist von „600 auserlesenen Streitwagen und allen anderenStreitwagen der Ägypter und drei Mann <strong>auf</strong> jedem Wagen“ (Exodus Kapitel 14, Vers 7, wobei derdritte Mann der Wagenlenker war und kein Kämpfer) und verfolgt <strong>die</strong> Israeliten (<strong>zu</strong>r Erinnerung:über 600 000 wehrfähige Männer mit völlig unbekannter Bewaffnung).(Hat tatsächlich eine Armee von vielleicht 3000 Mann ein Millionenvolk verfolgt, um es in <strong>die</strong>Sklaverei <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>zwingen? Mutig, <strong>die</strong>ser Pharao. Oder sehr dumm. Oder stimmen wieder einmalirgendwelche Zahlenangaben nicht so ganz?)Nun folgt das nächste Wunder: <strong>die</strong> Vernichtung der gesamten ägyptischen Armee im Schilfmeer.(Vom Roten Meer ist nirgendwo <strong>die</strong> Rede.) Seit 26. Dezember 2004 müßte eigentlich klar sein,welches Naturereignis in <strong>die</strong>ser Geschichte dargestellt <strong>wir</strong>d: ein Tsunami. Zuerst zieht sich das Meer<strong>zu</strong>rück, Minuten später kehrt es mit großer Gewalt <strong>zu</strong>rück. <strong>Ein</strong> verheerender Riesen-Schwupp.Gab es eine derartige Katastrophe in biblischen Zeiten? <strong>Ja</strong> – im 17. <strong>Ja</strong>hrhundert vor Christi Geburtexplo<strong>die</strong>rte der Vulkan Thera, dessen Überreste <strong>die</strong> heutige Insel Santorin bilden. Es war einweitaus heftigerer Ausbruch als der des Vesuv, der Pompeii und Herculaneum vernichtete. DieserAusbruch in der Ägäis dürfte sogar einen gewaltigeren Tsunami ausgelöst haben als den unsbekannten aus dem <strong>Ja</strong>hr 2004. Wahrscheinlich ist der Untergang der minoischen Kultur dar<strong>auf</strong><strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen. Und mit Sicherheit können <strong>wir</strong> davon ausgehen, daß im östlichen Mittelmeerraum<strong>noch</strong> über Generationen Geschichten über <strong>die</strong>se damals völlig unerklärliche Katastrophe erzähltwurden. Ich nehme an, ein Rest <strong>die</strong>ser Erzählungen ist viele <strong>Ja</strong>hrhunderte später in <strong>die</strong> Thoraeingeflossen. Es wäre ja nicht das erste oder das letzte Mal, daß verschiedene Erzählungen in einerneuen <strong>zu</strong>sammenfließen.Über den Begriff „Schilfmeer“ <strong>wir</strong>d <strong>noch</strong> heute gerätselt. Das Rote Meer oder gar das Mittelmeer<strong>sind</strong> jedenfalls nicht gemeint. Wahrscheinlich dürfte es sich um eine Sumpf- und Marschlandschaftim östlichen Nildelta handeln. <strong>Ein</strong> Tsunami ist dort aber wohl NICHT möglich.Nach dem Untergang – im wahrsten Sinne des Wortes – der ägyptischen Armee zieht das hebräischeVolk weiter, jedoch nicht der bekannten Handels- und Heerstraße an der Küste des Mittelmeersentlang ins Land der Philister (Kapitel 13, Vers 17), sondern nach Südosten, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Halbinsel Sinai,in <strong>die</strong> Steinwüste.Gott zieht den Israeliten bei Tag in Form einer Wolkensäule voraus und in der Nacht in Form einerFeuersäule.Am 15. Tag des zweiten Monats seit dem Beginn der Flucht beginnt das Volk aus verständlichenGründen <strong>zu</strong> murren: Hunger; nichts mehr <strong>zu</strong> essen. Dar<strong>auf</strong> folgt das nächste Wunder: Gott läßtManna vom Himmel regnen, und am Abend bringt ein Sturm Unmengen von Wachteln. (Manvermutet, daß unter „Manna“ <strong>die</strong> weißliche Absonderung gewisser Sträucher gemeint ist, welcheeinen gewissen Nährwert haben sollen.) Von nun an fallen tagtäglich Mannamassen vom Himmel,außer am Sabbath (da fällt gar nichts, da ruht Gott ja), dafür fällt am Tag davor <strong>die</strong> doppelte Dosis.Frische Wachteln gibt's nur einmalig, danach jedoch jede Menge gedörrte. Tag für Tag Manna undWachteln. Manna und Wachteln. Da<strong>zu</strong> das spärliche Wasser der Wüste.Es müssen riesige Massen gewesen sein, um ein Millionenvolk <strong>zu</strong> versorgen.Im dritten Monat nach dem Aus<strong>zu</strong>g aus Ägypten erreicht das Volk den Berg Horeb und lagert dort.Um welchen Gipfel des Sinai-Gebirges es sich genau handelt, ist heute nicht mehr fest<strong>zu</strong>stellen.Mein Lexikon erwähnt drei Gipfel: Djebel Katherin (2637 Höhenmeter), Djebel Musa (2285) undDjebel Serbal (2070). Der „Größe“ der folgenden Ereignisse entsprechend müßte es sich eigentlichum den höchsten Gipfel handeln. <strong>Ein</strong> Hügelchen ist jedenfalls keiner der drei.Moses steigt also <strong>zu</strong> Beginn des 19. Kapitels <strong>auf</strong> den Horeb. Dort sagt ihm Gott: „Ihr habt gesehen,


108was ich den Ägyptern angetan habe, wie ich euch <strong>auf</strong> Adlerflügeln getragen und hierher <strong>zu</strong> mirgebracht habe. Jetzt aber, wenn ihr <strong>auf</strong> meine Stimme hört und meinen Bund haltet, werdet ihr unterallen Völkern mein besonderes Eigentum sein. Mir gehört <strong>die</strong> ganze Erde, ihr aber sollt mir als einReich von Priestern und als ein heiliges Volk gehören. Das <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Worte, <strong>die</strong> du den Israelitenmitteilen sollst.“ (Verse 4-6)Moses steigt also wieder hinunter, ruft <strong>die</strong> Ältesten des Volkes <strong>zu</strong>sammen und teilt ihnen GottesWorte mit. In Vers 8 antwortet dann das ganze Volk (nicht nur <strong>die</strong> Ältesten) einstimmig: „Alles, wasder Herr gesagt hat, wollen <strong>wir</strong> tun.“Also steigt Moses wieder hin<strong>auf</strong> und überbringt Gott <strong>die</strong> Antwort des Volkes.Gott befiehlt dar<strong>auf</strong>hin, daß sich das Volk zwei Tage „heilig halten“ und <strong>die</strong> Kleidung waschen soll,am dritten Tag werde er (Gott) <strong>auf</strong> den Sinai hinabsteigen und dem Volk erscheinen; allerdingsdürfte niemand aus dem Volk <strong>auf</strong> den Berg steigen ( ! ) oder den Berg auch nur berühren ( !?! ),sonst müßten <strong>die</strong>se Leute getötet werden; Ausreißer unter den Tieren übrigens ebenso.Also steigt Moses wieder hinunter und instruiert das Volk.Im Morgengrauen des dritten Tages beginnt der Berg <strong>zu</strong> rauchen und <strong>zu</strong> krachen und <strong>zu</strong> beben. DasVolk fürchtet sich. Moses führt es an den Fuß des Berges.Und Moses steigt wieder hin<strong>auf</strong>.Oben sagt ihm Gott, er solle dem Volk einschärfen, es solle nicht neugierig sein und nichtversuchen, <strong>zu</strong> ihm (Gott) vor<strong>zu</strong>dringen. Moses entgegnet ihm (völlig korrekt): „Das Volk kann nicht<strong>auf</strong> den Sinai steigen. Denn du selbst hast uns eingeschärft: Zieh eine Grenze um den Berg underklär ihn für heilig. Doch der Herr sprach <strong>zu</strong> ihm: Geh hinunter und komm <strong>zu</strong>sammen mit Aaronwieder her<strong>auf</strong>! Die Priester aber und das Volk sollen nicht versuchen hin<strong>auf</strong><strong>zu</strong>steigen und <strong>zu</strong>mHerrn vor<strong>zu</strong>dringen, sonst reißt er in ihre Reihen eine Bresche. Da ging Mose <strong>zu</strong>m Volk hinunterund sagte es ihnen.“ (Kapitel 19, 23-25)Nach <strong>die</strong>sen Versen beginnt das 20. Kapitel mit den Worten „Dann sprach Gott all <strong>die</strong>se Worte: Ichbin <strong>Ja</strong>hwe, dein Gott“ und so weiter, inklusive der Verkündigung der Zehn Gebote.Wie jeder <strong>zu</strong> wissen meint, hat Moses <strong>die</strong> Zehn Gebote am Gipfel des Sinai empfangen. Aber demwar offensichtlich NICHT so. Denn als Gott <strong>die</strong> Zehn Gebote verkündet (das 20. Kapitel <strong>wir</strong>d auchmit „<strong>die</strong> Zehn Gebote“ überschrieben) und <strong>zu</strong>sätzlich „das Bundesbuch“ (so werden <strong>die</strong> Kapitel 21bis 23 überschrieben), befinden sich Moses und sein Volk UNTEN am Fuß des Berges. Das ist auchkeineswegs ein erzählerischer Fehler des Verfassers, denn das nächste Kapitel beginnt mit denWorten. „Zu Mose sprach er: Steig <strong>zu</strong>m Herrn hin<strong>auf</strong>.“ Also befand sich Moses eindeutig am Fußdes Sinai, als <strong>die</strong> Zehn Gebote verkündet wurden.„Zu Mose sprach er: Steig <strong>zu</strong>m Herrn hin<strong>auf</strong> <strong>zu</strong>sammen mit Aaron, Nadab, Abihu und mit siebzigvon den Ältesten Israels; werft euch in einiger Entfernung nieder! Mose allein soll sich dem Herrnnähern, <strong>die</strong> anderen dürfen nicht näher kommen und das Volk darf den Berg nicht mit ihm<strong>zu</strong>sammen besteigen.Mose kam und übermittelte dem Volk alle Worte und Rechtsvorschriften des Herrn. Das ganze Volkantwortete einstimmig und sagte: Alles, was der Herr gesagt hat, wollen <strong>wir</strong> tun. Mose schrieb alleWorte des Herrn <strong>auf</strong>. Am nächsten Morgen stand er zeitig <strong>auf</strong> und errichtete am Fuß des Bergeseinen Altar und zwölf Steinmale für <strong>die</strong> zwölf Stämme Israels. Er schickte <strong>die</strong> jungen MännerIsraels aus. Sie brachten Brandopfer dar und schlachteten junge Stiere als Heilsopfer für den Herrn.Mose nahm <strong>die</strong> Hälfte des Blutes und goß es in eine Schüssel, mit der anderen Hälfte besprengte erden Altar. Dar<strong>auf</strong> nahm er <strong>die</strong> Urkunde des Bundes und verlas sie vor dem Volk. Sie antworteten:Alles, was der Herr gesagt hat, wollen <strong>wir</strong> tun; <strong>wir</strong> wollen gehorchen. Da nahm Mose das Blut,besprengte damit das Volk und sagte: Das ist das Blut des Bundes, den der Herr <strong>auf</strong>grund all <strong>die</strong>serWorte mit euch geschlossen hat.Danach stiegen Mose, Aaron, Nadab, Abihu und <strong>die</strong> siebzig von den Ältesten Israels hin<strong>auf</strong> und siesahen den Gott Israels. Die Fläche unter seinen Füßen war wie mit Saphir ausgelegt und glänzte hellwie der Himmel selbst. Gott streckte nicht seine Hand gegen <strong>die</strong> Edlen der Israeliten aus; sie durften


109Gott sehen und sie aßen und tranken.Der Herr sprach <strong>zu</strong> Mose: Komm her<strong>auf</strong> <strong>zu</strong> mir <strong>auf</strong> den Berg und bleib hier! Ich will dir <strong>die</strong>Steintafeln übergeben, <strong>die</strong> Weisung und <strong>die</strong> Gebote, <strong>die</strong> ich <strong>auf</strong>geschrieben habe. Du sollst das Volkdarin unterweisen. Da erhob sich Mose mit seinem Diener Josua und stieg den Gottesberg hin<strong>auf</strong>.Zu den Ältesten sagte er: Bleibt hier, bis <strong>wir</strong> <strong>zu</strong> euch <strong>zu</strong>rückkehren; Aaron und Hur <strong>sind</strong> ja bei euch.Wer ein Anliegen hat, wende sich an sie. Dann stieg Mose <strong>auf</strong> den Berg und <strong>die</strong> Wolke bedeckte denBerg. Die Herrlichkeit des Herrn ließ sich <strong>auf</strong> den Sinai herab und <strong>die</strong> Wolke bedeckte den Bergsechs Tage lang. Am siebten Tag rief der Herr mitten aus der Wolke Mose herbei. Die Erscheinungder Herrlichkeit des Herrn <strong>auf</strong> dem Gipfel des Berges zeigte sich vor den Augen der Israeliten wieverzehrendes Feuer. Mose ging mitten in <strong>die</strong> Wolke hinein und stieg <strong>auf</strong> den Berg hin<strong>auf</strong>. VierzigTage und vierzig Nächte blieb Mose <strong>auf</strong> dem Berg.“Dieses 24. Kapitel <strong>wir</strong>d in meiner Bibelausgabe mit „der Bundesschluß“ überschrieben.In Vers 4 heißt es, daß Moses all <strong>die</strong> in den Kapiteln 20 bis 23 (Zehn Gebote und Bundesbuch) amFuß des Sinai gesprochenen Worte Gottes niederschrieb. Diese in Vers 7 als „Urkunde des Bundes“(Bundesurkunde) bezeichnete Schrift stammt also aus der Hand Mose, wurde wahrscheinlich <strong>auf</strong>Leder oder Pergament geschrieben und ist NICHT mit den beiden Steintafeln identisch, von denenspäter <strong>die</strong> Rede ist.In Vers 5 werden mehrere Jungstiere geopfert. Aber woher nahmen <strong>die</strong> „jungen Männer“ <strong>die</strong>seTiere? Das Volk besaß ja keinerlei Herden, hatte gehungert und war <strong>auf</strong> <strong>die</strong> wundersame Ernährungmit Manna und Dörrwachteln angewiesen. Gott hat <strong>die</strong>se Stiere nicht herbeigewundert; und aus denFalten der Mosaischen Gewänder <strong>sind</strong> sie auch nicht gepurzelt.Um wieviele Tausendschaften junger Männer innerhalb des Millionenvolkes mag es sich wohlgehandelt haben? Und wieviel Blut braucht man wohl, um ein derartig großes Volk <strong>zu</strong> besprengen?Warum <strong>wir</strong>d Mose Diener Josua einmal namentlich erwähnt und an andere Stelle nicht?(Und WAS mögen <strong>die</strong> Leute am Sinai wohl gesehen haben?)Was mögen sie oben wohl gegessen und getrunken haben? Wachteln, Manna und Wasser?In den Kapiteln 25 bis 31 folgen weitere Gebote und Anweisungen; DIESE erhält Moses AUF demBerg. Die Gebote und Anweisungen, <strong>die</strong> er am Fuß des Berges empfangen hat, werden NICHTwiederholt. Den<strong>noch</strong> müssen <strong>wir</strong> davon ausgehen, daß sie <strong>auf</strong> den am Bergesgipfel empfangenen,von Gottes eigener Hand beidseitig beschriebenen Steintafeln enthalten waren.Diese beiden Tafeln werden in Vers 18 des 31. Kapitels „Tafeln der Bundesurkunde“ genannt.Es ist durchaus verständlich, wenn sich an <strong>die</strong>ser Stelle etwas Ver<strong>wir</strong>rung einstellen sollte.„Bundesurkunde“ und „Tafeln der Bundesurkunde“. Die erste schrieb Moses am Fuß des Sinai, <strong>die</strong>beiden Steintafeln schrieb <strong>Ja</strong>hwe persönlich <strong>auf</strong> dessen Gipfel.Inhalt: einerseits vier Kapitel (<strong>die</strong> von Gott am Fuß des Berges gesprochenen Worte), andererseitssieben Kapitel (<strong>die</strong> von Gott am Sinai-Gipfel gesprochenen Worte) plus wahrscheinlich auch <strong>die</strong>bereits in der Moses-Version enthaltenen vier Kapitel.So GANZ eindeutig ist der Text ja nicht unbedingt. Und leider <strong>wir</strong>d man niemals feststellen können,was <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sen Steintafeln geschrieben stand. Es gibt sie nämlich nicht mehr.Moses zertrümmert sie, als er wieder unten ankommt; denn das Volk tanzt um ein goldenes Kalb.„Geh, steig hinunter, denn dein Volk, das du aus Ägypten herausgeführt hast, läuft ins Verderben.“So spricht Gott im 7. Vers des 32. Kapitels <strong>zu</strong> Moses.Also steigt Moses wieder hinunter. (An einer Stelle (Vers 17) <strong>wir</strong>d sogar Josua so nebenbei wiedererwähnt.)Eigentlich müßten Moses (und Josua) ja unter dem Gipfel <strong>auf</strong> Aaron, Nadab, Abihu und <strong>die</strong> siebzigvon den Ältesten Israels treffen – aber <strong>die</strong> <strong>sind</strong> nicht da, und weder Moses (<strong>noch</strong> Josua) <strong>noch</strong> <strong>Ja</strong>hwehöchstpersönlich <strong>noch</strong> dem Verfasser <strong>noch</strong> einem der vielen Millionen Leser scheint das <strong>auf</strong>gefallen<strong>zu</strong> sein. Sie <strong>sind</strong> einfach nicht da, weil der Verfasser sie in seinem Erzählstrang einfach vergessenhat; für IHN <strong>sind</strong> sie bereits wieder unten am Fuße des Berges – und tanzen um das goldene Kalb.Das ist – wenn es mir erlaubt ist, einen Begriff aus der Welt des Sports <strong>zu</strong> verwenden – ein


110erzählerisches Eigentor; eines von mehreren. (Ich erinnere nur an <strong>die</strong> nicht vorhanden gewesen seindürfenden Opferstiere.)Dieses goldene Kalb ist <strong>zu</strong>m Sinnbild jeglicher Götzenverehrung geworden, bis <strong>auf</strong> den heutigenTag. „Konstruiert“ hat es Aaron; <strong>auf</strong> Wunsch des Volkes (2½ - 3 Millionen Menschen); gegossenaus dem Schmuck, den man mit Gottes Erlaubnis den Ägypterinnen abgenommenen hatte.Aber wie und womit wurde <strong>die</strong>ses Kalb gegossen? Woher kamen <strong>die</strong> Schmelzöfen, welche denSchmelzpunkt des Goldes von 1064,76 Grad Celsius erreichten? Womit wurden <strong>die</strong> Brennöfenbefeuert – mitten in Dornbuschistan (pardon: mitten in der Wüste Sinai)? Und reicht dafür einZeitrahmen von 40 oder 39 Tagen? (Näher hingucken oder gar hinterfragen darf man also wiedermal nicht.)Glaubt man der Thora, dann tanzte das gesamte Volk ums goldene Kalb. Alle. Das gesamte Volkwar vom Glauben abgekommen. Sie allesamt hatten Aaron gedrängt, das Kalb <strong>zu</strong> erschaffen. Dasgesamte Volk. Alle. (Zur Erinnerung: über 600 000 wehrfähige Männer plus deren Anhang.)Sie alle waren <strong>zu</strong> Kalbsverehrern geworden. Allesamt. Ohne Ausnahme.Kalbsverehrer, Kalbisten, Kalbianer, Kälberer.Innerhalb von nur vierzig Tagen!Hatten sie denn tatsächlich vergessen, was all <strong>die</strong> Monate <strong>zu</strong>vor geschehen war? Zehn Plagen,Schilfmeer, Staub- und Feuersäule, Manna – alles WEG aus der Erinnerung? Kann denn einMillionenvolk kollektiv derart verwildert, abtrünnig und vergeßlich werden?Moses flippt jedenfalls total aus, als er das Kalbisten-Spektakel sieht. Er <strong>wir</strong>ft <strong>die</strong> beiden Steintafelnzornentbrannt <strong>zu</strong> Boden und zertrümmert sie.(Sollte an <strong>die</strong>ser Stelle ein frommer Mensch eigentlich nicht ins Schlucken kommen? Was würdestDU machen, wenn dir „dein“ Gott höchstpersönlich ein kleines Kieselsteinchen schenkt? Würdestdu es an einem besonderen Platz in deiner Wohnung <strong>auf</strong>bewahren? Oder würdest du es wegwefen,sobald dich einer deiner Angehörigen verärgert? Hat Moses sich denn nicht versündigt, als er <strong>die</strong>beiden „Tafeln der Bundesurkunde“ zertrümmerte? Hat er damit nicht seine persönliche Wut überGottes eigenhändig verfaßtes Vermächtnis gestellt, seine Wut über Gott selbst gestellt? Er war ja mitkeinem Wort <strong>zu</strong> <strong>die</strong>ser Zerstörung <strong>auf</strong>gefordert worden; er handelte offensichtlich eigenständig.)Zu seinem leiblichen Bruder Aaron, dem Ober-Kälberer, sagt Moses nur: „Was hat dir <strong>die</strong>ses Volkgetan, daß du ihm eine so große Schuld <strong>auf</strong>geladen hast?“ Danach ruft er: „Wer für den Herrn ist,her <strong>zu</strong> mir. Da sammelten sich alle Leviten um ihn.“ (Exodus 32, 26) Später (4. Buch Mose(Numeri), 3. Kapitel, Vers 39) <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Gesamtzahl der (männlichen) Leviten genannt. 22 000. Aberwie groß <strong>die</strong> Anzahl der Leviten auch gewesen sein mag, Moses befiehlt ihnen nun, ihre Schwerter<strong>zu</strong> ziehen, kräftig im Volk drein<strong>zu</strong>schlagen, Bruder, Freund und Nächsten <strong>zu</strong> erschlagen.Ungefähr 3000 Menschen fallen <strong>die</strong>sem Gemetzel <strong>zu</strong>m Opfer.Das erste religiös motivierte Massaker der Weltliteratur – während etwas abseits von <strong>die</strong>semGeschehen <strong>die</strong> Worte „Du sollst nicht töten!“ <strong>auf</strong> mehrere kleinere Trümmer verteilt bereitsbeginnen, <strong>zu</strong>m Staub der Religionsgeschichte <strong>zu</strong> zerfallen.


111Am Morgen nach <strong>die</strong>sem Gemetzel sagt Moses seinen Stammesgenossen, er werde erneut <strong>auf</strong> denHoreb hin<strong>auf</strong>steigen, um eine Art von Sühne für sie <strong>zu</strong> er<strong>wir</strong>ken. Gott befiehlt ihm dort denWeitermarsch nach Kanaan.Aber ist Moses auch <strong>wir</strong>klich erneut <strong>auf</strong> den Horeb geklettert? Oder <strong>wir</strong>d in <strong>die</strong>ser kurzen<strong>Ein</strong>fügung nur <strong>die</strong> nächste Bergbesteigung vorweggenommen? Denn Moses befiehlt keineswegsden Weitermarsch, sondert schlägt sein Zelt etwas außerhalb des Lagers <strong>auf</strong>, um dort nach derblutigen Kalbstragö<strong>die</strong> <strong>zu</strong> grübeln und <strong>zu</strong> grumpeln. Wenn Moses aus seinem Zelt tritt, erhebt sichdas ganze Volk. Sobald er wieder ins Zelt geht, läßt sich am Zelteingang eine Wolkensäule nieder,und Gott spricht mit Moses, Auge in Auge, wie Menschen miteinander reden. Wenn das Volk <strong>die</strong>Wolkensäule sieht, erhebt es sich und <strong>wir</strong>ft sich <strong>zu</strong> Boden. (So GANZ korrekt ist <strong>die</strong>se Darstellungja nicht. Das Volk STAND ja bereits, wenn Moses vor dem Zelt stand; und wenn er hineinging, kam<strong>die</strong> Wolkensäule, und <strong>die</strong> Leute brauchten sich nur <strong>noch</strong> nieder<strong>zu</strong>werfen, erheben mußten sie sichnicht mehr, da sie ja bereits standen. (Demgemäß müßte das gesamte Millionenvolk geraume Zeitentweder stramm gestanden oder gelegen haben. (Aber das ist wohl nur ein nebensächliches Detail(mit einem überflüssigen, kleinlichen Kommentar).)))Schließlich – ohne genauere Zeitangabe – befiehlt Gott Moses, zwei Steintafeln <strong>zu</strong>recht<strong>zu</strong>hauen und<strong>auf</strong> den Berg Horeb <strong>zu</strong> tragen, damit sie dort beschrieben werden konnten. Also steigt Moses amfolgenden Morgen wieder <strong>auf</strong> den Berg, und zwar allein. Mit den beiden erneut von Gottbeschriebenen Steintafeln – so<strong>zu</strong>sagen den Duplikaten der Original-Tafeln – steigt Moses ab undverkündet seinem Volk (erneut?) all <strong>die</strong> (bereits verkündeten?) Gebote, Verbote und Vorschriften,<strong>die</strong> er von Gott erhalten hat. (<strong>Ein</strong> paar neue <strong>sind</strong> auch dabei.)Danach werden Bundeslade und Bundeszelt gebaut, Priestergewänder gefertigt, das Heiligtumeingerichtet und eingeweiht, und DANN endlich marschiert das Volk weiter ins gelobte undversprochene Land, Kanaan. Woher all <strong>die</strong> Materialien für all <strong>die</strong> Gerätschaften und Gewänderstammten, mitten in der Wüste, weiß keiner.(Eigentlich hatte ich <strong>die</strong> Erzählung von der Verkündigung der mosaischen Gebote etwas anders inErinnerung gehabt, nämlich viel einfacher: Moses ging hin<strong>auf</strong>, kam mit den beiden Steintafelnwieder herunter und verkündete all <strong>die</strong> Vorschriften. Daß <strong>die</strong> zehn Gebote eigentlich am Fuß desHoreb verkündigt worden waren, habe ich gar nicht mitgekriegt, habe ich mehrmals „überlesen“.Daß Moses so<strong>zu</strong>sagen in einer Frühform des Alpinismus insgesamt fünf (oder gar sechs) Mal denBerg besteigen mußte, war mir ebenfalls entgangen (ebenfalls mehrmals).(Ist es eigentlich normal, daß man verschiedene Passagen einer (<strong>zu</strong>gegebener Maßen sehrumfangreichen) Schrift einfach überliest? Ist es eigentlich normal, daß man immer wieder <strong>zu</strong> jenenPassagen <strong>zu</strong>rückkehrt, <strong>die</strong> man als schön oder bedeutungsvoll ansieht, dafür andere Passagen eherlinks liegen läßt? Ist es eigentlich normal, daß man so<strong>zu</strong>sagen <strong>die</strong> Rosinen aus dem Kuchen pickt?(Eigentlich ist es mir ja ziemlich egal, was jemand glaubt und denkt, sofern er Andersgläubige undAndersdenkende damit nicht belästigt oder ihnen gar Schaden <strong>zu</strong>fügt. Irgendwie ist es mir auchegal, wenn sich jemand seine Rosinen aus dem Gesamtkuchen herauspickt. Das entspricht jadurchaus dem offensichtlich naturgegebenen Opportunismus des homo sapiens. Aber wie sieht esmit den extrasauren Zitronenstückchen aus, <strong>die</strong> im Gesamtkuchen mitgebacken <strong>sind</strong>? Muß man <strong>die</strong>eigentlich ebenfalls schlucken? Und wie sieht es gar mit den (besonders für Wüstenreligionentypischen) Steinchen und Sandkörnern aus, <strong>die</strong> „versehentlich“ im Kuchen gelandet <strong>sind</strong>? (Gan<strong>zu</strong>nd gar nicht mag ich's, wenn jemand <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sen Steinchen herumkaut, bis ihm das Zahnfleischblutet und er mit blutig-speicheligen „Wahrheiten“ um sich spückelt (Verniedlichungsform von„spucken“) und vielleicht sogar <strong>noch</strong> mit blutig-speicheligem Lächeln den Kuchen als „saftig, sehrsaftig“ lobt.))))Das Volk der Israeliten zieht also weiter, <strong>die</strong> Wolkensäule vorneweg. An den Grenzen Kanaans <strong>wir</strong>dhaltgemacht. Kundschafter werden ausgeschickt, von jedem der zwölf Stämme einer. Nach vierzigTagen kehren sie <strong>zu</strong>rück und berichten.


112Alles super; Milch und Honig; Weintrauben; <strong>die</strong> Feinde nicht <strong>zu</strong> stark; nichts wie rein.Aber dann machen sich Zweifel breit; das Land sei doch nicht so toll und der Feinde viele; auchgäbe es Riesen. Das Volk murrt (wieder mal). Warum <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> nicht in Ägypten geblieben? Warum<strong>sind</strong> <strong>wir</strong> nicht in der Wüste gestorben?Und da beschließt Gott folgendermaßen über sein Volk, das nun bereits <strong>zu</strong>m zehnten Mal ihren Gott<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Probe gestellt und nicht <strong>auf</strong> ihn gehört hat (4. Buch Mose (Numeri), Kapitel 14, Vers 22):„So viele Tage, wie ihr gebraucht habt, um das Land <strong>zu</strong> erkunden, nämlich vierzig Tage, so viele<strong>Ja</strong>hre lang – für jeden Tag ein <strong>Ja</strong>hr – müßt ihr <strong>die</strong> Folgen eurer Schuld tragen, also vierzig <strong>Ja</strong>hrelang; dann werdet ihr erkennen, was es heißt, mir Widerstand <strong>zu</strong> leisten. Ich, der Herr, habegesprochen. Unwiderruflich werde ich es mit <strong>die</strong>ser ganzen bösen Gemeinde so machen, <strong>die</strong> sichgegen mich <strong>zu</strong>sammengerottet hat: In <strong>die</strong>ser Wüste finden sie ihr Ende, hier müssen sie sterben.“Gemeint <strong>sind</strong> damit ALLE Erwachsenen über 20 (Männer selbstverständlich, über Frauen <strong>wir</strong>dwieder einmal rein gar nichts gesprochen) mit Ausnahme der beiden Kundschafter Kaleb und Josua,<strong>die</strong> nicht gegen Gott <strong>auf</strong>gemuckt hatten. Erst <strong>die</strong> nächste Generation sollte das versprochene Landerobern dürfen.(An <strong>die</strong>ser Stelle wage ich wiederum einen kleinen mathematischen <strong>Ein</strong>wand. Wie lange irrten <strong>die</strong>Israeliten <strong>auf</strong> der Halbinsel Sinai umher? 40 <strong>Ja</strong>hre? Sind da <strong>die</strong> knapp 2½ <strong>Ja</strong>hre bereits enthalten,<strong>die</strong> sie bereits unterwegs gewesen waren, bevor sie wegen ihrer Eigenmächtigkeit <strong>zu</strong> weiteren 40<strong>Ja</strong>hren verdonnert wurden? Dann wurden allerdings <strong>die</strong> 40 Tage der Erkundung Kanaans nichtmathematisch exakt in 40 <strong>Ja</strong>hre umgemünzt. Oder wurden <strong>die</strong> 40 <strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong> den bereits erwandertenknapp 2½ hin<strong>zu</strong>gerechnet? Dann jedoch dauerte der Sinai-Aufenthalt nicht 40, sondern knapp 42½<strong>Ja</strong>hre.Oder handelt es sich wiederum „nur“ um eine symbolische Zahl? Oder um eine Kombination vonsymbolischen Zahlen? Oder um eine Kombination von halbwegs realen und symbolischen Zahlen?Ich gebe <strong>zu</strong>: Mein rechnerischer <strong>Ein</strong>wand besitzt lediglich den Stellenwert einer Spitzfindigkeit;einer Spitzfindigkeit <strong>zu</strong> Ungunsten der Thora und in Folge auch der Bibel (und auch des Koran).Aber im Vergleich <strong>zu</strong> den vielen Spitzfindigkeiten seitens von Theologen und Gläubigen <strong>zu</strong>Gunsten der Thora (und der Bibel (und des Koran)) ist meine Spitzfindigkeit wohl nur eineMikrobe.)Moses gelangt nicht nach Kanaan. Er stirbt <strong>auf</strong> dem Berg Nebo östlich des Jordan, mit Blick <strong>auf</strong> dasGelobte Land jenseits des Flusses, im hohen Alter von 120 <strong>Ja</strong>hren. 40 <strong>Ja</strong>hre hat er als Ägyptergelebt, 40 <strong>Ja</strong>hre im Exil am Golf von Akaba, 40 <strong>Ja</strong>hre lang hat er seine Stammesgenossen durchDornbuschistan, <strong>die</strong> Halbinsel Sinai geführt. (Und wer <strong>noch</strong> immer nicht begriffen hat, daß <strong>die</strong> Zahl40 symbolisch <strong>zu</strong> verstehen ist (für was auch immer), der <strong>wir</strong>d <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Erkenntnis wohl <strong>noch</strong> einegewisse Zeit warten müssen. Wahrscheinlich vierzig <strong>Ja</strong>hre.)


113Als Höhepunkt des Buches genannt „Thora“ (Gesetz) muß wohl <strong>die</strong> Verkündigung <strong>die</strong>sesGesetzes angesehen werden, insbesondere <strong>die</strong> Verkündigung der berühmten „Zehn Gebote“. Wirfinden zwei annähernd deckengsgleiche Versionen im 2. Buch Mose (Exodus, Kapitel 20, 2-19) undim 5. Buch Mose (Deuteronomium, Kapitel 5, 6-21). Ich zitiere aus dem Buch Exodus:„Ich bin <strong>Ja</strong>hwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus. Du sollst nebenmir keine anderen Götter haben. Du sollst dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung vonirgendetwas am Himmel droben, <strong>auf</strong> der Erde unten oder im Wasser unter der Erde. Du sollst dichnicht vor anderen Göttern niederwerfen und dich nicht verpflichten, ihnen <strong>zu</strong> <strong>die</strong>nen. Denn ich, derHerr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott: Bei denen, <strong>die</strong> mir Feind <strong>sind</strong>, verfolge ich <strong>die</strong> Schuldder Väter an den Söhnen, an der dritten und vierten Generation; bei denen, <strong>die</strong> mich lieben und <strong>auf</strong>meine Gebote achten, erweise ich Tausenden meine Huld. Du sollst den Namen des Herrn, deinesGottes, nicht mißbrauchen; denn der Herr läßt den nicht ungestraft, der seinen Namen mißbraucht.Gedenke des Sabbaths: Halte ihn heilig! Sechs Tage darfst du schaffen und jede Arbeit tun. Dersiebte Tag ist ein Ruhetag, dem Herrn, deinem Gott, geweiht. An ihm darfst du keine Arbeit tun: du,dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, dein Vieh und der Fremde, der indeinen Stadtbereichen Wohnrecht hat. Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel, Erde und Meergemacht und alles, was da<strong>zu</strong>gehört; am siebten Tag ruhte er. Darum hat der Herr den Sabbathtaggesegnet und ihn für heilig erklärt.Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit du lange lebst in dem Land, das der Herr, dein Gott, dirgibt.Du sollst nicht morden.Du sollst nicht <strong>die</strong> Ehe brechen.Du sollst nicht stehlen.Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.Du sollst nicht nach dem Haus deines Nächsten verlangen. Du sollst nicht nach der Frau deinesNächsten verlangen, nach seinem Sklaven oder seiner Sklavin, seinem Rind oder seinem Esel odernach irgendetwas, das deinem Nächsten gehört.“Die Gebote 9 und 10 sehe ich eher als Empfehlungen oder als Warnhinweise. „Bei wiederholtemBegehren können entsprechende Handlungen <strong>die</strong> Folge sein.“Die ersten drei Gebote betreffen <strong>die</strong> <strong>Ja</strong>hwe-Verehrung. Für ANDERE Monotheisten sowie fürMonisten, Polytheisten, Animisten und Atheisten können <strong>die</strong>se drei Gebote dem<strong>zu</strong>folge nicht gelten.Rein persönlich erachte ich lediglich EINEN Ruhetag pro Woche als <strong>zu</strong> wenig und somit alsunvernünftig. Meiner Meinung nach sollte man <strong>die</strong> drei Ruhetage der drei großen monotheistischenReligionen Judentum (Samstag), Christentum (Sonntag) und Islam (Freitag) symbolisch vereinigenund <strong>die</strong> 4-Tage-Woche einführen. Ich schätze aber, daß <strong>die</strong> Mehrheit der an sich vernunftbegabtenMitmenschen für <strong>die</strong>se Form der Vernunft <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> unvernünftig ist.Auch das vierte Gebot sehe ich eher als Empfehlung an. Ich kenne etliche Menschen, für <strong>die</strong> ichgroßes Verständnis <strong>auf</strong>bringe, wenn sie ihre Eltern NICHT ehren. Man kann auch <strong>die</strong> Redewendung„Ehre, wem Ehre gebührt“ verwenden. Oder sich (nur beispielsweise) <strong>die</strong> Frage stellen, wen derSprößling einer Junkie-Nutte und einer verklemmt-perversen L<strong>auf</strong>kundschaft wohl ehren sollte,<strong>zu</strong>mal wenn er (oder sie) unter staatlicher Obsorge <strong>auf</strong>gewachsen ist. (Ich persönlich hatte in <strong>die</strong>serHinsicht großes Glück; ich darf meine Eltern ehren.)Erst in neueren Bibelausgaben <strong>wir</strong>d der Begriff „morden“ verwendet, in älteren steht überall: „Dusollst nicht töten.“ Es besteht ja durchaus ein Unterschied zwischen den Begriffen „töten“ und„morden“; der zweite <strong>wir</strong>d hauptsächlich in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> den Menschen verwendet, „du sollst keineMenschen töten“. Aber haben sich Juden, Christen und Muslime jemals konsequent an <strong>die</strong>ses Gebotgehalten? Wird nicht schon in folgenden Verordnungen des „Gesetzes“ das Töten von Mitmenschenwegen diverser Verfehlungen befohlen? Noch heute werden im monotheistischen Kulturkreis


114Todesurteile wegen religiöser, moralischer, politischer und kultureller Verfehlungen vollstreckt,nicht nur wegen krimineller. Das Exekutieren von Mitmenschen ist einer modernen Zivilisationabsolut unwürdig. Von Krieg und Völkermord will ich erst gar nicht reden.Ich persönlich bin seit dreißig <strong>Ja</strong>hren Lakto-Vegetarier und lehne das Töten von Tieren ab, solangeda<strong>zu</strong> keine unmittelbare Notwendigkeit besteht. Als ein nach Gewaltlosigkeit Strebender bin ichdavon überzeugt, daß ein Leben ohne Töten besser ist; für mich selber, und für <strong>die</strong> nicht getötetenLebewesen sowieso. Den<strong>noch</strong> bin ich nicht gänzlich frei vom (direkten) Töten: Wenn sich nämlichsogenanntes Ungeziefer anschickt, meine Nahrungsmittel, meine Textilien oder gar mich selber<strong>auf</strong><strong>zu</strong>fressen, dann mache ich von meinem Recht <strong>auf</strong> Selbstverteidigung Gebrauch und töte,manchmal sogar mit einem gewissen Bedauern. Dem übrigen Geziefer jedoch – inklusive meinenArtgenossen – stehe ich weitgehend wohlwollend gegenüber.Mit Ehebruch (oder Beziehungsbruch) habe ich NUR schlechte Erfahrungen; aktiv und weit mehr<strong>noch</strong> passiv. Moralisieren will ich aber nicht.Das Eigentum anderer Menschen respektiere ich. Ich stehle nicht, es sei denn, man bezeichnet dasPflücken von Beeren und Pilzen, das <strong>Ein</strong>sammeln von Steinen, Holzstücken und Ähnlichem <strong>auf</strong>uneingezäuntem Gelände als Diebstahl. Prinzipiell muß ich feststellen, daß es <strong>noch</strong> immer nichtrestlos geklärt ist, was homo sapiens eigentlich besitzen kann und darf. Gerade monotheistischeKulturen haben sich im L<strong>auf</strong> der <strong>Ja</strong>hrhunderte im Diebstahl von Ländereien und ganzer Kontinente„ausgezeichnet“. Inwiefern kann man Land oder Wasser oder gar andere Lebewesen überhauptbesitzen? Den Besitz von Menschen lehne ich jedenfalls uneingeschränkt ab – im Gegensatz <strong>zu</strong>Thora, Bibel und Koran.Das Gebot über <strong>die</strong> Falschaussage <strong>wir</strong>ft für mich <strong>die</strong> überaus philosophische Frage <strong>auf</strong>: Was istLüge? Darüber könnten <strong>wir</strong> wahrscheinlich endlos diskutieren, <strong>zu</strong>mal <strong>wir</strong> alle aus Höflichkeitlügen. Jedenfalls hätte ich keinerlei Skrupel, Vertreter von diktatorischen Systemen an<strong>zu</strong>lügen unddadurch Mitmenschen (und mich selber) <strong>zu</strong> schützen. Obwohl ich großen Wert <strong>auf</strong> Wahrheit lege,erachte ich Mitgefühl als höheren Wert.Insgesamt <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Zehn Gebote (nicht nur <strong>die</strong> vier oder fünf, <strong>die</strong> ich persönlich tatsächlich geltenlassen kann) ein guter Ansatz. Über viele <strong>Ja</strong>hrhunderte waren sie sogar recht vorbildlich. In einermodernen Zivilisation bedürfen sie jedoch sowohl einer gewissen Ausweitung als auch einergewissen <strong>Ein</strong>schränkung, vor allem aber einer erweiterten Erklärung.Im Anschluß an <strong>die</strong> Zehn Gebote findet ihr in den Büchern Exodus, Levitikus, Numeri undDeuteronomium (2., 3., 4. und 5. Buch Mose) <strong>die</strong> übrigen Gebote und Verbote, <strong>die</strong> Gott denIsraeliten verbindlich verordnete. Bitte lest selber nach, wenn es euch interessiert. Manche Passagen<strong>sind</strong> <strong>noch</strong> immer allgemein vernünftig, manche sollten neu interpretiert werden, manche dürftenjedoch in einer modernen Zivilisation keinen Platz mehr finden. Manche treten sogar <strong>die</strong>Deklaration der Menschenrechte mit Füßen; <strong>die</strong>se Deklaration hat es DAMALS zwar <strong>noch</strong> nichtgegeben, aber HEUTE gibt es sie, und sie sollte sogar <strong>noch</strong> erweitert und verbessert werden.Derlei fragwürdige Passagen des Thora-Textes möchte ich nun – subjektiv und einseitig – zitierenund weitgehend kommentarlos für sich selber sprechen lassen.Vorausschicken möchte ich ein weithin bekanntes Gebot: „Du sollst deinen Nächsten lieben wiedich selbst.“ (Lev 19, Vers 18)Die Fußnote <strong>zu</strong> <strong>die</strong>sem Vers relativiert <strong>die</strong>sen hohen ethischen Ansatz allerdings gleich wiederumgehend: „Unter dem „Nächsten“ verstand Israel vor allem den Volks- und Glaubensgenossen;doch <strong>sind</strong> nach Vers 34 auch alle Fremden, <strong>die</strong> Gastrecht genießen, in das Gebot der Nächstenliebemit eingeschlossen. Jesus hat es nach Matthäus 5, 43 und Lukas 10, 27-37 <strong>auf</strong> alle Menschenausgedehnt.“ – Aha! Die EIGENEN Leute soll man lieben, allerdings auch nur, wenn sie sich an all<strong>die</strong> anderen „wichtigen“ Gebote und Verbote halten (wie man <strong>noch</strong> sehen <strong>wir</strong>d); <strong>die</strong> „ANDEREN“braucht man nicht <strong>zu</strong> lieben. – (!?!)„<strong>Ein</strong>en Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde


115gewesen.“ (Ex 22, 20)„Ihr dürft keinerlei Aas essen. Du sollst es dem Fremden, der in euren Stadtbereichen Wohnrechthat, <strong>zu</strong>m Essen überlassen oder es einem Ausländer verk<strong>auf</strong>en.“ (Dtn 14, 21a)Die erste nach den Zehn Geboten erlassene Vorschrift des Buches Exodus ist das sogenannteAltargesetz, und schon <strong>die</strong> nächste Bestimmung betrifft „hebräische Sklaven“.Ich kapier's nicht; ich kapier's einfach nicht: Da <strong>wir</strong>d mit vielen Worten <strong>die</strong> wundersame Geschichteerzählt, wie ein ganzes Volk nur durch Gottes Hilfe der kollektiven Sklaverei entrinnt, und daszwölfte Gebot (so<strong>zu</strong>sagen) behandelt <strong>die</strong> Sklavenhaltung, sogar <strong>die</strong> der EIGENEN Leute! Was mußdas für eine schreckliche Zeit gewesen sein, wo nicht nur <strong>die</strong> Menschen derart unsensibel waren,sondern auch ihre Götter!Da können <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>m Beispiel lesen, daß ein Sklavenhalter, der seinen Sklaven <strong>zu</strong> Tode prügelt,straffrei ausgeht, wenn <strong>die</strong>ser nicht bereits am selben Tag stirbt; „es geht ja um sein eigenes Geld.“(Ex 21, 21)Am Ende des Krieges gegen <strong>die</strong> Midianiter tadelt Moses seine Hauptleute: „Warum habt ihr alleFrauen am Leben gelassen? Gerade sie haben <strong>auf</strong> den Rat Bileams hin <strong>die</strong> Israeliten da<strong>zu</strong> verführt,vom Herrn ab<strong>zu</strong>fallen und dem Pegor <strong>zu</strong> <strong>die</strong>nen, sodaß <strong>die</strong> Plage über <strong>die</strong> Gemeinde des Herrn kam.Nun bringt alle männlichen Kinder um und ebenso alle Frauen, <strong>die</strong> schon einen Mann erkannt undmit einem Mann geschlafen haben. Aber alle weiblichen Kinder und <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> <strong>noch</strong> nicht miteinem Mann geschlafen haben, laßt für euch am Leben.“ (Num 31, 15-18)Über den Krieg gegen Sihon, den König von Heschbon, <strong>wir</strong>d berichtet: „Damals eroberten <strong>wir</strong> alleseine Städte. Wir weihten <strong>die</strong> ganze männliche Bevölkerung, <strong>die</strong> Frauen, <strong>die</strong> Kinder und <strong>die</strong> Greiseder Vernichtung; keinen ließen <strong>wir</strong> überleben.“ (Dtn 2, 34)„Und der Herr, unser Gott, gab auch Og, den König des Baschan, und sein ganzes Volk in unsereGewalt. Wir schlugen ihn und ließen keinen überleben.“ (Dtn 3, 3)„Aus den Städten <strong>die</strong>ser Völker jedoch, <strong>die</strong> der Herr, dein Gott, dir als Erbbesitz gibt, darfst dunichts, was Atem hat, am Leben lassen. Vielmehr sollst du <strong>die</strong> Hethiter und Amoriter, Kanaaniterund Perisiter, Hiwiter und Jebusiter der Vernichtung weihen, so wie es der Herr, dein Gott, dir <strong>zu</strong>rPflicht gemacht hat, damit sie euch nicht lehren, alle Gräuel nach<strong>zu</strong>ahmen, <strong>die</strong> sie begingen, wennsie ihren Göttern <strong>die</strong>nten, und ihr nicht gegen den Herrn, euren Gott, sündigt.“ (Dtn 20, 16-18)„Du <strong>wir</strong>st alle Völker verzehren, <strong>die</strong> der Herr, dein Gott, für dich bestimmt. Du sollst in dir keinMitleid mit ihnen <strong>auf</strong>steigen lassen.“ (Dtn 7, 16)„<strong>Ein</strong>en Ausländer darfst du nicht über dich einsetzen, weil er nicht dein Bruder ist.“ (Dtn 17, 15)„Du darfst von deinem Bruder keine Zinsen nehmen: weder Zinsen für Geld <strong>noch</strong> Zinsen fürGetreide <strong>noch</strong> Zinsen für sonst etwas, wofür man Zinsen nimmt. Von einem Ausländer darfst duZinsen nehmen, von deinem Bruder darfst du keine Zinsen nehmen, damit der Herr, dein Gott, dichsegnet in allem, was deine Hände schaffen, in dem Land, in das du hineinziehst, um es in Besitz <strong>zu</strong>nehmen.“ (Dtn 23, 20-21)Zu den berühmten Worten „Aug' um Aug', Zahn um Zahn“ möchte ich lediglich anmerken, daß <strong>die</strong>Folge nur eine Welt voller zahnloser und blinder Idioten sein kann. (Das „copyright“ für „Aug' umAug'“ steht übrigens auch nicht der Thora <strong>zu</strong>, sondern dem mesopotamischen König Hammurabi(18. <strong>Ja</strong>hrhundert v.Chr.).)<strong>Ein</strong> „störrischer“ Sohn soll <strong>zu</strong> Tode gesteinigt werden. (Dtn 21, 18-21)„Verflucht, wer sich mit seiner Schwester hinlegt, mit der Tochter seines Vaters oder mit der Tochterseiner Mutter.“ (Dtn 27, 22)Na da hat Abraham ja großes Glück gehabt, daß <strong>die</strong>se Verordnung <strong>zu</strong> SEINER Zeit <strong>noch</strong> nichtgegolten hat!<strong>Ein</strong>e weibliche Kriegsgefangene darf geheiratet werden; ihre Zustimmung ist offenbar nichterforderlich; man kann sie aber auch jederzeit wieder hinauswerfen, sobald sie einem nicht mehrgefällt, nur verk<strong>auf</strong>en oder als Sklavin kennzeichnen darf man sie nicht. „Denn du hast sie dirgefügig gemacht.“ (Dtn 21, 10-14)


116<strong>Ein</strong> unberührtes, nicht verlobtes Mädchen darf vergewaltigt werden, sofern man hinterher dem Vatereine Entschädigung zahlt und <strong>die</strong> Geschändete ehelicht. (Dtn 22, 28-29)<strong>Ein</strong> Mann, der ein unberührtes, jedoch verlobtes Mädchen vergewaltigt, ist <strong>auf</strong> jeden Fall mit demTod <strong>zu</strong> bestrafen; das Mädchen ebenfalls, wenn sie innerhalb der Stadtmauern vergewaltigt wurde,wo sie ja um Hilfe schreien konnte, nicht jedoch, wenn sich der Vorfall <strong>auf</strong> freiem Feld <strong>zu</strong>getragenhat, wo man etwaige Hilferufe nicht hätte hören können. (Dtn 22, 23-27)„Wohnt ein Mann einer Frau bei, <strong>die</strong> einem anderen Mann als Sklavin <strong>zu</strong>r Nebenfrau bestimmt istund <strong>die</strong> weder losgek<strong>auf</strong>t <strong>noch</strong> freigelassen ist, dann soll der Fall untersucht werden; sterben sollensie nicht, da sie nicht freigelassen war. Er soll als sein Schuldopfer für den Herrn einen Widder <strong>zu</strong>m<strong>Ein</strong>gang des Offenbarungszeltes bringen.“ (Lev 19, 20-21)Eigentlich werden SÄMTLICHE sexuellen Verstöße – außer dem gerade erwähnten „Gebrauch“von Kriegsbeute und volkseigenen Jungfrauen – mit dem Tod bestraft. Weibliche Homosexualität<strong>wir</strong>d jedoch nirgendwo erwähnt. (Freut euch, liebe lesbische Schwestern! <strong>Ein</strong>e Gesetzeslücke!)„<strong>Ein</strong>e Frau soll nicht <strong>die</strong> Ausrüstung eines Mannes tragen und ein Mann soll kein Frauenkleidanziehen; denn jeder, der das tut, ist dem Herrn, deinem Gott, ein Gräuel.“ (Dtn 22, 5)„Wenn zwei Männer, ein Mann und sein Bruder, miteinander r<strong>auf</strong>en und <strong>die</strong> Frau des einenhin<strong>zu</strong>kommt, um ihren Mann aus der Gewalt des anderen, der <strong>auf</strong> ihn einschlägt, <strong>zu</strong> befreien, undwenn sie <strong>die</strong> Hand ausstreckt und dessen Schamteile ergreift, dann sollst du ihr <strong>die</strong> Hand abhacken.Du sollst in dir kein Mitleid <strong>auf</strong>steigen lassen.“ (Dtn 25, 11-12)„Ihr sollt dem Wortlaut dessen, wor<strong>auf</strong> ich euch verpflichte, nichts hin<strong>zu</strong>fügen und nichtsdavon wegnehmen; ihr sollt <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gebote des Herrn, eures Gottes, achten, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> ich euchverpflichte.“ (Dtn 4, 2)„Ihr sollt <strong>auf</strong> sie achten und sollt sie halten. Denn darin besteht eure Weisheit und eure Bildung inden Augen der Völker. Wenn sie <strong>die</strong>ses Gesetzeswerk kennen lernen, müssen sie sagen: In der Tat,<strong>die</strong>se große Nation ist ein weises und gebildetes Volk. Denn welche große Nation hätte Götter, <strong>die</strong>ihr so nah <strong>sind</strong>, wie <strong>Ja</strong>hwe, unser Gott, uns nah ist, wo immer <strong>wir</strong> ihn anrufen? Oder welche großeNation besäße Gesetze und Rechtsvorschriften, <strong>die</strong> so gerecht <strong>sind</strong> wie alles in <strong>die</strong>ser Weisung, <strong>die</strong>ich euch heute vorlege?“ (Dtn 4, 6-8)„Als der Höchste (den Göttern) <strong>die</strong> Völker übergab, als er <strong>die</strong> Menschheit <strong>auf</strong>teilte, legte er <strong>die</strong>Gebiete der Völker nach der Zahl der Götter fest; der Herr nahm sich sein Volk als Anteil, <strong>Ja</strong>kobwurde sein Erbland.“ (Dtn 32, 8-9)„Und <strong>Ja</strong>kob aß und wurde satt, Jeschurun wurde fett und bockte. <strong>Ja</strong>, fett und voll und feist bist dugeworden. Er stieß den Gott, der ihn geformt hatte, von sich und hielt den Fels für dumm, der ihngerettet hatte. Sie weckten seine Eifersucht durch Fremde, durch gräuliche Wesen reizten sie ihn<strong>zu</strong>m Zorn: Sie opferten Geistern, <strong>die</strong> keine Gottheiten <strong>sind</strong>, und Göttern, <strong>die</strong> sie früher nichtkannten, Neulingen, <strong>die</strong> erst vor kurzem gekommen waren, vor denen eure Väter sich nichtfürchteten.“ (Dtn 32, 15-17)„Gerechtigkeit, Gerechtigkeit – ihr sollst du nachjagen, damit du Leben hast und das Land in Besitznehmen kannst, das der Herr, dein Gott, dir gibt.“ (Dtn 16, 20)„Es soll von Generation <strong>zu</strong> Generation ein immer währendes Brandopfer am <strong>Ein</strong>gang desOffenbarungszeltes vor dem Herrn sein, wo ich mich euch offenbare, um mit dir <strong>zu</strong> reden.“ (Ex 29,Vers 42)Immer während? Brandopfer? (Igitt!)„Das Feuer soll <strong>auf</strong> dem Altar brennen bleiben, es darf nicht erlöschen und der Priester soll jedenMorgen Holz nachlegen. Er lege dar<strong>auf</strong> das Brandopfer und lasse <strong>auf</strong> ihm <strong>die</strong> Fettteile desHeilsopfers in Rauch <strong>auf</strong>gehen. <strong>Ein</strong> ständiges Feuer soll <strong>auf</strong> dem Altar brennen; es darf nichtverlöschen.“ (Lev 6, 5-6)„Väter sollen nicht für ihre Söhne und Söhne nicht für ihre Väter mit dem Tod bestraft werden.Jeder soll nur für sein eigenes Verbrechen mit dem Tod bestraft werden.“ (Dtn 24, 16)Für <strong>Ja</strong>hwe selbst hingegen gilt <strong>die</strong>ses Verbot der Sippenhaftung selbstverständlich nicht; er straft bis


117ins dritte und vierte Glied.„Denn der Herr, dein Gott, ist verzehrendes Feuer. Er ist ein eifersüchtiger Gott.“ (Dtn 4, 24)„Als <strong>die</strong> Israeliten in der Wüste waren, entdeckten sie einmal, daß einer am Sabbath Holz sammelte.Die Leute, <strong>die</strong> ihn beim Holz Sammeln angetroffen hatten, brachten ihn vor Mose und Aaron undvor <strong>die</strong> ganze Gemeinde. Man sperrte ihn ein, weil <strong>noch</strong> nicht entschieden war, was mit ihmgeschehen sollte. Der Herr sprach <strong>zu</strong> Mose: Der Mann ist mit dem Tod <strong>zu</strong> bestrafen. Die ganzeGemeinde soll ihn draußen vor dem Lager steinigen. Da führte <strong>die</strong> ganze Gemeinde den Mann vordas Lager hinaus und steinigte ihn <strong>zu</strong> Tod, wie der Herr es Mose befohlen hatte.“ (Num 15, 32-36)„<strong>Ein</strong> Mann, der mit einer Frau während ihrer Regel schläft und ihre Scham entblößt, hat ihreBlutquelle <strong>auf</strong>gedeckt und sie hat ihre Blutquelle entblößt; daher sollen beide aus ihrem Volkausgemerzt werden.“ (Lev 20, 18)„Darum haltet den Sabbath; denn er soll euch heilig sein. Wer ihn entweiht, soll mit dem Todbestraft werden. Denn jeder, der an ihm eine Arbeit verrichtet, soll aus seinen Stammesgenossenausgemerzt werden.“ (Ex 31, 14)Meine Lieblingspassage im negativen Sinn ist aber Exodus 22, Vers 19: „Wer einer Gottheit außer<strong>Ja</strong>hwe Schlachtopfer darbringt, an dem soll <strong>die</strong> Vernichtungsweihe vollstreckt werden.“Allein schon der Begriff „ausmerzen“ erinnert mich brechreizfördernd an diverse Ideologien undSysteme des 20. und 21. <strong>Ja</strong>hrhunderts, <strong>die</strong> es besser nie gegeben hätte. Aber keiner <strong>die</strong>ser Ideologienoder Diktaturen ist trotz einer gewissen Kreativität in puncto Menschenverachtung ein Wort wie„Vernichtungsweihe“ eingefallen, nicht einmal den pseudo-religiös pervertierten Nazis. Ich hoffe, esnimmt mir in meiner Übelkeit niemand übel, wenn ich jetzt das Wort „Vernichtungsweihe“ in derAmphetamin-verseuchten Sprechweise des Ober-Nazis schlechthin, des sogenannten „Führers“,„ausspreche“: „Verrrrnichtongsweihe“.Verrrrnichtongsweihe!Was für ein entsetzliches Unwort!(Mit <strong>die</strong>sem Unwort sowie der generellen Empfehlung, eigenständig nach<strong>zu</strong>denken und VIELMusik <strong>zu</strong> hören, beende ich meine subjektiv-kritische Bildungsreise durch <strong>die</strong> Thora, <strong>die</strong> Basis für<strong>die</strong> drei großen monotheistischen Religionen.„So wie der Herr seine Freude daran hatte, euch Gutes <strong>zu</strong> tun und euch zahlreich <strong>zu</strong> machen, so<strong>wir</strong>d der Herr seine Freude daran haben, euch aus<strong>zu</strong>tilgen und euch <strong>zu</strong> vernichten.“ (Dtn 28, 63)Verrrrnichtongsweihe.)


119<strong>Ein</strong> sanfter, leiser, hochintelligenter, schon etwas abgeklärter alter Mann hat mir beigebracht, daßman Geschehnisse der Vergangenheit eigentlich nur unter den Gesichtspunkten der damaligen Zeitbeurteilen sollte.Es ist wohl etwas problematisch, über Kulturen einer längst vergangenen Zeit <strong>zu</strong> urteilen. Mansollte sie weder schön <strong>noch</strong> häßlich reden.Selbst wenn <strong>wir</strong> uns gedanklich <strong>die</strong>sen Kulturen, ihren Traditionen, Geschichten und Kultenannähern können, so wissen <strong>wir</strong> den<strong>noch</strong> nicht, wie es sich damals angefühlt hat. Es gibt heute auchkeine echten Vergleichswerte innerhalb zeitgenössischer Beduinenkulturen; selbst <strong>die</strong>se wissenschon, was eine Plastikflasche oder eine Kalaschnikov ist.Bronzezeit und Antike <strong>sind</strong> vorbei. Vieles, was damals als gut oder als richtig angesehen wurde, istheute nicht mehr akzeptabel.So mancher außergewöhnliche Mensch der damaligen Zeit würde sich mit seinen Handlungen derdamaligen Zeit HEUTE direkt in den Knast befördern.Wir sollten einfach sagen: „Damals war es so. Heute ist es anders.“Ich persönlich bin heilfroh darüber, daß es heute anders ist. Ich möchte eigentlich nicht in einem deruns „bekannten“ <strong>Ja</strong>hrtausende der Vergangenheit leben.Und <strong>auf</strong> gar keinen Fall möchte ich, daß <strong>die</strong> Weltanschauung einer lange vergangenen Zeit <strong>zu</strong>mPflichtprogramm der heutigen Zeit <strong>wir</strong>d – oder es gar bleibt.


120Vielleicht <strong>wir</strong>d sich der eine oder <strong>die</strong> andere Lesende fragen: Warum kritisiert <strong>die</strong>ser Typ <strong>die</strong>Thora dermaßen? Wieso macht er sich teilweise sogar lustig?Die Antwort ist ziemlich einfach: Kritik muß erlaubt sein. Wer Religionsfreiheit will, muß auchReligionskritik aushalten. Wer Religionskritik verweigert oder bekämpft, der arbeitet bereits an derErrichtung eines fundamentalistischen Gottesstaates, also einer Diktatur, <strong>die</strong> Andersgläubigkeitnicht <strong>zu</strong>läßt.Ich bin auch der Überzeugung, daß man sich über falsche, unsinnige und absurde Anschauungenund Erzählungen lustig machen darf. Ich glaube <strong>zu</strong>m Beispiel nicht an <strong>die</strong> Zahnfee, den Osterhasen,den Klapperstorch oder den Weihnachtsmann. Wenn Kinder daran glauben, dann „toleriere“ ich das;ich will sie ja weder verletzen <strong>noch</strong> ver<strong>wir</strong>ren. Aber sobald ich <strong>zu</strong> der Überzeugung gelangt bin, daßsie es verkraften, über derlei Phantome und Phantasiegestalten <strong>auf</strong>geklärt <strong>zu</strong> werden, dann tue ichdas auch. Über Erwachsene jedoch, <strong>die</strong> an derlei Unsinn glauben, mache ich mich mitunter lustig,weil sie sich als Feinde der eigenen Vernunft gebärden.Aufklärung bedeutet Klar-Machen. Dieses Wort hat für mich <strong>die</strong> selbe Bedeutung wie das Wort„Enthüllung“. <strong>Ein</strong>e Enthüllung entfernt <strong>die</strong> Hülle, legt das Wesentliche frei, macht klar. Die Begriffe„Enthüllung“ und „Aufklärung“ haben etwas mit Wahrheit <strong>zu</strong> tun, und Wahrheit ist in erster LinieWissen.Glaube ist Vertrauen in das Wissen anderer Menschen, häufig auch nur das Vertrauen in DERENGlauben.Die Thora ist voll von Anschauungen und Erzählungen, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r damaligen Zeit zwar gang und gäbewaren, in der heutigen Zeit aber keinen Platz mehr haben sollten. Wir leben nicht mehr im zweitenoder ersten <strong>Ja</strong>hrtausend VOR Christi Geburt. (Aber wenn jemand in jener Epoche leben möchte,dann soll er es von mir aus tun; aber bitte ohne den Rest der Menschheit <strong>zu</strong> belästigen oder seineUralt-Überzeugungen anderen Menschen <strong>auf</strong>schwatzen <strong>zu</strong> wollen. (Von mir aus kann man aucheigene Reservate für archaisch-reaktionäre Fundamentalisten einrichten. (Aber damit würden sich<strong>die</strong>se Leute ja leider nicht begnügen.)))Wenn Menschen <strong>auf</strong> einem absoluten Wahrheitsanspruch der Thora bestehen, dann wehre ich michdagegen. Es mag <strong>die</strong> Wahrheit der damaligen Zeit gewesen sein, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> dem Wissen der damaligenZeit beruhte. Aber Wissen ist angewachsen, und demgemäß hat sich auch <strong>die</strong> Sicht der Wahrheitverändert. Wissen <strong>wir</strong>d zweifellos weiter anwachsen. Immer wieder <strong>wir</strong>d neues Wissen unser altes,gewohntes Weltbild verändern – und das schmerzt mitunter.Das Streben nach Wissen und Wahrheit ist ein völlig natürliches Bedürfnis des Menschen und sollteallgemein gefördert werden. Leider hat sich immer wieder und in sämtlichen Kulturen <strong>die</strong> jeweiligeReligion als Hauptbremse für wachsendes Wissen herausgestellt. Leider haben in allen Religionenirgendwann konservative, reaktionäre Bürokraten und Eiferer mit der Tendenz <strong>zu</strong> rassistischem,religiösem und sexistischem Chauvinismus <strong>die</strong> Kontrolle übernommen, denen offenbar nicht viel anMitgefühl und Würde gelegen war (beziehungsweise IST). Alle Andersdenkenden INNERHALBder jeweiligen Religionsgemeinschaften <strong>sind</strong> <strong>auf</strong>gefordert, derartige Mißstände <strong>zu</strong> beseitigen. VonAUSSEN kann eine Religion nicht verändert werden, nur vernichtet. (Und daran ist mir persönlichrein gar nichts gelegen.)„Thora“ bedeutet „Gesetz“. Diese Schrift <strong>wir</strong>d deshalb „Gesetz“ genannt, weil es <strong>die</strong> 613 Geboteund Verbote enthält, an <strong>die</strong> sich ein gläubiger Jude <strong>zu</strong> halten hat (oder sich <strong>zu</strong>mindesten haltensollte). Mit Ausnahme einer Minderheit praktiziert das heutige Judentum <strong>die</strong> in der Thoraüberlieferten Vorschriften aber nicht mehr im Maßstab 1:1, also Wort für Wort. Man hat <strong>die</strong>seGesetze im L<strong>auf</strong>e der <strong>Ja</strong>hrhunderte den jeweiligen Verhältnissen angepaßt, sie neu interpretiert. <strong>Ein</strong>durchschnittlicher Jude beteiligt sich heute nicht mehr an der Steinigung eines Gotteslästerers odereiner Ehebrecherin; er hat davon Abstand genommen, obwohl er nach dem Text der Thora da<strong>zu</strong>sogar verpflichtet wäre. Auch <strong>die</strong> Vorschriften über <strong>die</strong> Behandlung von Sklaven <strong>sind</strong> mittlerweilehinfällig geworden, weil im Judentum keine Sklaverei mehr betrieben <strong>wir</strong>d; aber gemäß der Thora


121ist eine solche keineswegs verboten. Steinigung und Sklaverei mögen einst allgemein üblichgewesen sein, heute dürften sie aber eigentlich nicht mehr existieren, aber sie tun es den<strong>noch</strong>; inmanchen Wohngegenden innerhalb Israels und mancher islamischer Länder fliegen immer <strong>noch</strong>Steine, und auch <strong>die</strong> Sklaverei gibt es in manchen Ländern <strong>noch</strong>. Weder in der Thora <strong>noch</strong> in dendar<strong>auf</strong> folgenden Schriften des vorchristlichen Judentums <strong>noch</strong> im christlichen Neuen Testament<strong>noch</strong> im Koran ist auch nur EIN EINZIGES Wort gegen <strong>die</strong> Sklaverei <strong>zu</strong> finden. Diese mag damalsallgemein üblich gewesen sein, aber etwas, das als üblich oder „normal“ angesehen <strong>wir</strong>d, ist deshalb<strong>noch</strong> lange nicht richtig; heute nicht und damals auch nicht.Gegen manche Anschauungen und Gewohnheiten MUSS einfach etwas gesagt und getan werden.Auch wenn es unbequem ist oder mitunter etwas schmerzt.


122Vielleicht <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> eine oder der andere Gläubige sich in religiösen Gefühlen verletzt fühlen.Alleine schon <strong>die</strong> Wortkombination „religiöse Gefühle“ zeigt, daß Religion offenbar mehr mitEmotionen <strong>zu</strong> tun hat als mit Verstand, mehr mit Glauben als mit Wissen. Dagegen ist auch imPrinzip nichts ein<strong>zu</strong>wenden. In allen Religionen ist Emotionalität ein Zugang <strong>zu</strong>m sogenanntenGöttlichen.EIN Zugang.Die natürliche Emotionalität des Menschen ist nur einer der Zugänge <strong>zu</strong>m Göttlichen oder <strong>zu</strong>rTranszendenz. Das Sanskritwort „yoga“ ist quasi ein Sammelbegriff für alle Methoden oderZugänge. Yoga beschränkt sich nicht nur <strong>auf</strong> körperliche Übungen. Diese Körperübungen <strong>sind</strong> auchnur eine der Methoden. <strong>Ein</strong>e andere ist Meditation. <strong>Ein</strong>e andere ist vernunftorientiert und nennt sichPhilosophie; <strong>die</strong>se Methode funktioniert recht gut, sie geschieht durch gründliches Nachdenken.(Selber denken. Sehr empfehlenswert! Den Verstand benutzen. Das Wesentliche herausholen, dasNicht-Wesentliche ausschließen. Erkenntnis. Selber denken! Sehr gefährlich!)Aber auch der größte Denker ist niemals frei von Gefühlen. Emotionen <strong>sind</strong> etwas grundsätzlichMenschliches. Sie <strong>sind</strong> völlig normal.Wir empfinden eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Gefühle. Manche <strong>sind</strong> uns angenehm, manchenicht. Wir unterscheiden in positive und negative Gefühle, gute und schlechte, schöne und leidvolle.Und da <strong>wir</strong> alle <strong>die</strong>se Gefühle empfinden, wissen <strong>wir</strong>, wie es ist, wenn andere Menschen Freudeoder Leid empfinden. Ersteres soll angestrebt, zweites soll vermieden werden.Wir Menschen können Gefühle teilen. Wir können <strong>die</strong>s sogar <strong>zu</strong>sammen mit Tieren. Demnach <strong>sind</strong>Gefühle eine universelle Sprache. Selbstverständlich sollte auch tierisches Leid vermieden werden.Und wenn jemand wechselseitige Gefühle mit andersgearteten Lebewesen empfindet, dann gilt dasebenso <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ser Ebene.Daß ein transzendenter Gott leiden könnte, halte ich schlichtweg für Unsinn. <strong>Ein</strong>en leidenden Gottkönnten <strong>wir</strong> ja richtiggehend fertigmachen, indem <strong>wir</strong> ihn permanent leiden lassen.Deshalb können Verlet<strong>zu</strong>ngen religiöser Gefühle nicht <strong>auf</strong> Gott bezogen werden, sondern nur <strong>auf</strong><strong>die</strong> an ihn Glaubenden. Gottes religiöse Gefühle (sofern man von solchen überhaupt sprechen kann)können niemals verletzt werden.Wenn Heilige oder Propheten sich in der Zwischenzeit bei Gott <strong>auf</strong>halten, dann <strong>sind</strong> sie wohl freivon Leid, also können IHRE religiösen Gefühle ebenfalls nicht verletzt werden.Religion an sich ist ja keine Person und kann deshalb keinerlei Verlet<strong>zu</strong>ngen empfinden. Verletztwerden kann Religion also nur insofern, indem Angehörige <strong>die</strong>ser Religion eine Verlet<strong>zu</strong>ng ihrerreligiösen Gefühle empfinden.Also bezieht sich eine Verlet<strong>zu</strong>ng religiöser Gefühle allemal <strong>auf</strong> Gläubige. Gott, Religion an sich,sogar Heilige und Propheten bleiben davon unberührt.Erst unlängst meinte ein lieber Freund, daß Jesus und seine Anhänger zweifellos irgendwelcheDrogen verwendet haben müssen. Ich habe lediglich gegrinst und in etwa gemeint: „So war dassicher nicht.“ Vor etlichen <strong>Ja</strong>hren wären aber <strong>noch</strong> recht heftige Reaktionen in mir hochgestiegen.Man kann <strong>auf</strong> derartige Aussagen völlig unterschiedlich reagieren. Der eine lächelt, der andereschüttelt den Kopf über derlei Spekulationen; der eine fühlt sich peinlich berührt, der anderebeleidigt oder betroffen; der eine beginnt <strong>zu</strong> beten oder <strong>zu</strong> zetern, der andere schreit „Blasphemie!“und malt Plakate, mit denen er <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Straße geht; der eine greift <strong>zu</strong>m Feuer, um irgendetwassymbolisch <strong>zu</strong> verbrennen, der andere greift gleich <strong>zu</strong>r Waffe und tötet.Es scheint also ziemlich unterschiedliche religiöse Gefühle <strong>zu</strong> geben.Religiöse Gefühle <strong>sind</strong> mir nicht fremd. Aber das geht euch im Detail nichts an. Gar nichts. Das istPrivatsache. Das ist Intimsphäre.Würden andere Menschen <strong>die</strong>s ähnlich sehen, hätten <strong>wir</strong> erheblich weniger Probleme <strong>auf</strong> <strong>die</strong>serWelt. Zumeist neigen Menschen jedoch da<strong>zu</strong>, ihre religiösen Gefühle nicht für sich <strong>zu</strong> behalten,sondern ihnen Ausdruck <strong>zu</strong> verleihen. Oft führt erst das systematische Praktizieren von öffentlichen


123Ritualen da<strong>zu</strong>, daß derartige Gefühle ausgelöst werden.Jeder Mensch, der irgendwelche Erfahrungen mit eigenen religiösen Gefühlen hat, <strong>wir</strong>d mir<strong>zu</strong>stimmen: Religiöse Gefühle <strong>sind</strong> untrennbar mit Freude und Liebe verbunden. Und weil manandere Menschen (vor allem <strong>die</strong>, welche man sowieso schon liebt) an <strong>die</strong>sen Gefühlen der Freudeund Liebe teilhaben lassen möchte, versucht man <strong>die</strong>se Gefühle – und ihre Ursache, <strong>die</strong> religiöseErfahrung – an sie <strong>zu</strong> vermitteln. Allerdings stoßen <strong>die</strong>se Vermittlungsversuche oft <strong>auf</strong>Unverständnis und Ablehnung. Dies führt oft da<strong>zu</strong>, daß sich der Religiöse <strong>zu</strong>rückzieht und sich <strong>auf</strong>das Beisammensein mit Gleichgesinnten beschränkt. So entsteht dann automatisch eine Abgren<strong>zu</strong>ngvon „<strong>wir</strong>“ und „ihr“. Und nur all<strong>zu</strong> bald und all<strong>zu</strong> oft führt ein beidseitiger Mangel an Verständnis,Toleranz und Mitgefühl <strong>zu</strong> Konflikten.Jeder von uns besitzt ein gewisses Weltbild, eine gewisse Sicht der Dinge, eine gewisse Weltsicht.<strong>Ein</strong> allgemein verbindliches Weltbild besitzen <strong>wir</strong> NICHT. Dies würde absolute Weltsicht, absoluteErkenntnis, absolutes Wissen bedeuten. Keine einzige Religion, keine einzige Ideologie, keineeinzige Lehre kann <strong>die</strong>s vermitteln; das ist schon allein <strong>auf</strong> Grund der Unvollkommenheit jeglicherSprache unmöglich. Weltsicht und Weltbild <strong>sind</strong> also allemal unvollkommen und relativ. Jede <strong>noch</strong>so kleine Veränderung der Weltsicht verwandelt <strong>die</strong> alte, gewohnte Weltsicht in eine neue. Mittlereund größere Veränderungen <strong>sind</strong> mit einem gewissen Maß an Angst und Verunsicherung verbunden.Das ist völlig normal; so <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> nun mal gestrickt; homo sapiens strebt eben nach Sicherheit.Verunsicherung schafft Angst. Diese be<strong>wir</strong>kt Flucht- oder Kampfmechanismen. Jede Infragestellungeiner Weltsicht (nicht nur einer religiösen) be<strong>wir</strong>kt Verunsicherung und Angst. Gleichzeitig ist <strong>die</strong>saber ein Hinweis dafür, daß man eigentlich gar keine sichere, gesicherte Weltsicht besitzt. Für einenreligiösen Menschen bedeutet das jedoch <strong>zu</strong>meist: Sein Glaube ist schwach; ein starker, festerGlauben kann ja wohl durch nichts erschüttert oder in Frage gestellt werden. – Oder?Da religiöse Gefühle voller Freude und Liebe <strong>sind</strong>, kann ein echter freudvoll Liebender <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Infragestellung seiner religiösen Gefühle eigentlich nur mit Traurigkeit und Mitgefühl reagieren;Traurigkeit darüber, daß sein Gegenüber NICHT <strong>die</strong>se Gefühle empfindet, sie weder versteht <strong>noch</strong>respektiert, also aus einem gewissen Maß an Unwissenheit heraus handelt. Deshalb ist ja auchMitgefühl angebracht. Aber wie sollten Freude und Liebe jemals mit Aggression vereinbar sein?Das ist doch ein offensichtlicher Widerspruch!Wie sollten Freude und Liebe jemals verletzen oder beleidigen können?Und wenn <strong>die</strong>s den<strong>noch</strong> möglich ist, dann <strong>sind</strong> Freude und Liebe nichts Absolutes. Dann ist aberauch ihre Quelle – das religiöse Empfinden – nichts Absolutes, <strong>zu</strong>mindest muß dann <strong>die</strong>sesEmpfinden als <strong>noch</strong> nicht vollkommen angesehen werden.Deshalb vertrete ich <strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong> Verlet<strong>zu</strong>ng religiöser Gefühle wohl nur eine Verlet<strong>zu</strong>ngder persönlichen Weltsicht ist.Gott und alle anderen Wesen, <strong>die</strong> <strong>wir</strong> <strong>auf</strong> einer absoluten Ebene annehmen, <strong>sind</strong> zweifellos frei vonLeid. Sie können weder verletzt <strong>noch</strong> beleidigt werden. Sie brauchen auch nicht verteidigt <strong>zu</strong>werden. Warum also fühlen dermaßen viele Menschen sich da<strong>zu</strong> genötigt, sie verteidigen <strong>zu</strong>müssen? So<strong>zu</strong>sagen stellvertretend?Lediglich <strong>die</strong> EIGENE Verunsicherung, <strong>die</strong> EIGENE Angst bringt sie da<strong>zu</strong>.Allein schon <strong>die</strong> Tatsche, daß religiöse Gefühle verletzt werden können, daß ein religiöses Weltbildin Frage gestellt werden kann, müßte schon <strong>zu</strong> denken geben.Daß <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Verlet<strong>zu</strong>ng religiöser Gefühle, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Infragestellung eines religiösen Weltbilds mitVerunsicherung, Angst und Aggression reagiert <strong>wir</strong>d, ist durchaus menschlich. Niemand hat es gern,wenn der Boden seiner Weltsicht wackelt, wenn seine gewohnte Sicherheit angetastet <strong>wir</strong>d. Diestrifft aber nicht nur <strong>auf</strong> religiöse Weltbilder <strong>zu</strong>, sondern <strong>auf</strong> alle anderen ebenso. (Sogar <strong>auf</strong> Fans desFC Bayern München und derlei „Lebenswichtigkeiten“.)Mit Freude und Liebe <strong>sind</strong> aber Zorn, Rache, Krieg und alle anderen Formen von Aggressionunvereinbar. Sie schließen einander aus.Es ist völlig normal, daß ein religiöser Mensch eine Beziehung <strong>zu</strong> den Objekten seiner Verehrung


124hat. Es ist völlig normal, daß Beziehung gleichzeitig auch Bindung bedeutet. Und es ist ebenfallsvöllig normal, daß man sich über seine Beziehungen definiert, sich mit ihnen identifiziert.Wenn du dich also in deinen religiösen Gefühlen verletzt fühlst, werden deine Beziehungen, deineBindungen, deine Identifikation, deine Identität in Frage gestellt. Und deshalb solltest du, wenndeine religiösen Gefühle verletzt werden, dir vielleicht selber <strong>die</strong> Frage stellen, inwieweit deinepersönlichen Beziehungen und Bindungen <strong>zu</strong>m Göttlichen überhaupt intakt <strong>sind</strong>, ob vielleicht deineIdentifikation mangelhaft ist (oder gar falsch?), und inwieweit Identifikation und Identität das selbe<strong>sind</strong>.Wenn du dich also in deinen religiösen Gefühlen verletzt fühlst, dann hinterfrage sie bitte <strong>zu</strong>ersteinmal ein bißchen (bevor du vielleicht etwas tust, was mit religiösen Gefühlen so ganz und garnichts <strong>zu</strong> tun hat).


125Vielleicht stellt sich jemandem auch <strong>die</strong> Frage: Aber warum schreibt <strong>die</strong>ser Typ dermaßen VIELüber <strong>die</strong> Thora?Die Antwort ist ganz simpel: Ich hatte gar nicht vor, dermaßen viel <strong>zu</strong> zitieren und <strong>zu</strong> hinterfragen,aber ich hab' dann einfach so viel GEFUNDEN. Ich war sogar selber davon überrascht, wieviel anFragwürdigkeiten, Widersprüchen und archaischer Weltanschauung es <strong>zu</strong> finden gab. Das lag daran,daß ich <strong>die</strong>smal <strong>die</strong> Thora unter anderen Gesichtspunkten gelesen habe. Eigentlich wollte ich sie jagar nicht <strong>zu</strong>r Gänze lesen, sondern nur daraus zitieren. Aber je mehr ich nach den Stellen suchte, <strong>die</strong>ich zitieren wollte, desto mehr fragwürdige oder gar haarsträubende Passagen fielen mir ins Auge.Auch das hat seinen Grund. Früher hatte ich <strong>die</strong> in der christlichen Bibel enthaltenen Schriften derjüdischen Tradition mit einer ganz speziellen Brille gelesen, einer Brille mit christlich-jüdischenScheuklappen, mit direkt <strong>auf</strong> Gott fokussierten Gläsern mit Gott-Komma-Gott Dioptrien, hergestelltvon der Firma Gott & Sohn. Mit anderen Worten: Ich wollte Gott sehen, ich wollte Gott finden. Ichlas als Gläubiger oder <strong>zu</strong>mindest als Glauben-Wollender.Diesmal las ich allerdings als jemand, der nicht mehr glauben oder glauben wollen MUSS. Ichkonnte mit meiner eigenen Brille lesen (ganz ohne <strong>wir</strong>d wohl schwer möglich sein), und je nachBedarf <strong>die</strong> jüdisch-christliche <strong>auf</strong>setzen, <strong>die</strong> islamische, <strong>die</strong> hinduistische, <strong>die</strong> buddhistische undauch <strong>die</strong> atheistische. (Allerdings ist es mir nicht möglich, einen zeitgenössischen Religionskritikeroder Atheisten <strong>zu</strong> zitieren, da ich keinen einzigen gelesen habe.) Dank <strong>die</strong>ser neuen Form desambivalenten Lesens ist mir dann <strong>auf</strong>gefallen, unter welchem grundsätzlichen Problem nahe<strong>zu</strong> allebekennenden Gläubigen und bekennenden Ungläubigen leiden: Sie sehen <strong>die</strong> jeweilige heiligeSchrift als Gesamtpaket an; dem<strong>zu</strong>folge könne man sie nur als Gesamtheit annehmen oder alsGesamtheit verwerfen. Da<strong>zu</strong> beigetragen hat selbstverständlich <strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong> in denjeweiligen heiligen Schriften vermittelte Botschaft direkt oder indirekt (durch Inspiration) GottesWort ist. Da<strong>zu</strong> beigetragen haben selbstverständlich auch jene Passagen in den Schriften, in denenMenschen, <strong>die</strong> an <strong>die</strong>ser Schrift etwas verändern, Gottes Zorn und Höllenqualen angedroht werden.Dadurch <strong>wir</strong>d der Begriff „heilig“ endgültig <strong>zu</strong>m Begriff „tabu“. Nur innerhalb ziemlich engerGrenzen ist es erlaubt, <strong>die</strong> jeweilige Schrift <strong>zu</strong> deuten und aus<strong>zu</strong>legen. Überset<strong>zu</strong>ngen <strong>sind</strong> sowiesoproblematisch und dürfen nur mit großer Vorsicht durchgeführt werden. Das schriftliche Originalaber ist tabu und darf nicht verändert werden.Ich persönlich habe in der Zwischenzeit kein Problem mehr damit, eine religiöse Schrift NICHT alsGesamtpaket an<strong>zu</strong>sehen. Deshalb fällt es mir auch leicht, relativ trocken <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>fassen, wasman in der Thora NICHT findet:<strong>die</strong> Existenz einer Seele,ein Jenseits,Himmel und Hölle,Wiedergeburt,ewiges Leben,eine Auferstehung von den Toten,einen Messias,ein Königreich Gottes im Himmel,ein Königreich Gottes <strong>auf</strong> Erden,eine Endzeit,ein Jüngstes Gericht,einen formlosen Gott,Transzendenz.Diese Glaubensinhalte hat das Judentum (<strong>zu</strong>mindest ansatzweise) erst in späterer Zeit entwickelt. Inder Thora findet ihr sie nicht; ihr könnt sie dort nur finden, sie nur aus der Thora herauslesen, wennihr sie <strong>zu</strong>vor hineininterpretiert.Nicht einmal ein echter Monotheismus kann aus der Thora herausgelesen werden, denn an KEINER


126EINZIGEN Stelle <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Existenz anderer Götter geleugnet.Das erste Gebot lautet auch nicht (wie vom Christentum oft interpretiert): „Du sollst an EINEN Gottglauben“, sondern: „Du sollst keine anderen Götter haben neben MIR“.Das Judentum der damaligen Zeit ist also keineswegs ein Monotheismus, sondern lediglich einselektiver Polytheismus, in dem <strong>die</strong> Verehrung anderer Götter als <strong>Ja</strong>hwe von eben<strong>die</strong>sem verboten<strong>wir</strong>d. Ich wage sogar <strong>die</strong> Behauptung, daß das Judentum der Zeit VOR der Zerstörung des Tempels<strong>zu</strong> Jerusalem im <strong>Ja</strong>hr 70 n.Chr. nur bedingt als Religion angesehen werden kann, eher als Opferkult.Der Unterschied <strong>zu</strong> anderen Opferkulten der damaligen Zeit besteht eigentlich nur darin, daß nurEINEM Gott, dem Schöpfergott <strong>Ja</strong>hwe, geopfert werden darf.(Erst unlängst ist mir <strong>zu</strong> Ohren gekommen, daß <strong>Ja</strong>hwe in den alten, polytheistischen Zeiten deshebräischen Volkes „lediglich“ der Gott der Vulkane gewesen sein soll.)<strong>Ein</strong> selektiver Polytheismus aber ist keineswegs etwas Besonderes, ein solcher hat sich auch inMesopotamien mit der Marduk-Verehrung entwickelt oder in Ägypten unter dem ketzerischenPharao Echnaton mit der Verehrung des Sonnengottes Aton.Während aber in altägyptischen Kulten eine ausgeprägte Jenseits-Bezogenheit festgestellt werdenkann und ein Leben nach dem Tod angestrebt <strong>wir</strong>d, finden <strong>wir</strong> in der Thora derartige AnschauungenNIRGENDS, sondern ausschließlich einen <strong>auf</strong> das DIESSEITS bezogenen Opferkult, der <strong>auf</strong> einemganz persönlichen Bund zwischen <strong>Ja</strong>hwe und dem Volk der Hebräer gründet. In <strong>die</strong>sem Vertragverspricht <strong>Ja</strong>hwe den Hebräern <strong>die</strong> Herrschaft über ein eigenes Territorium, Herrschaft über seineFeinde, Wohlstand und Fruchtbarkeit. Mehr nicht. Als Gegenleistung verlangt <strong>Ja</strong>hwe absolutenGehorsam, eine strikte <strong>Ein</strong>haltung der von ihm vermittelten Gebote und Verbote sowie alltäglicheund besondere Tieropfer.Der Begriff „Hochreligion“ scheint mir für einen derartigen archaischen Opferkult jedenfalls gan<strong>zu</strong>nd gar nicht angebracht; meiner Meinung nach ist das sogar eine Anmaßung.


127In meinen frühen <strong>Ja</strong>hren – also als Kind und Jugendlicher – hatte ich mit Religion so ganz und garnichts im Sinn. Ich kannte auch nur eine einzige Religion, nämlich den Katholizismus. Dieser warmir – ehrlich gesagt – unangenehm bis peinlich.Als ich <strong>zu</strong>m ersten Mal <strong>die</strong> Evangelien und <strong>die</strong> nachfolgenden Schriften des Neuen Testaments las,geschah das auch keineswegs deswegen, weil ich urplötzlich an Religion interessiert gewesen wäre.Nein; vielmehr wollte ich etwas über „das parapsychologische Phänomen Jesus“ erfahren sowieüber diverse Prophezeiungen, da ich in eben<strong>die</strong>sem <strong>Ja</strong>hr 1978 <strong>zu</strong> der Erkenntnis gelangt war, daßich mich inmitten einer Untergangskultur befand. Wenn ihr dann <strong>zu</strong>sätzlich <strong>noch</strong> in Betracht zieht,daß ich damals (um meinen 22. Geburtstag herum) nahe<strong>zu</strong> täglich meine Joints rauchte undüberwiegend Science Fiction, Märchen, Sagen und etliche unvermeidliche Hippie-Autoren inklusiveHermann Hesse las sowie François Rabelais, dann wißt ihr in etwa, wie ich damals so dr<strong>auf</strong> war.(<strong>Ein</strong>e gewisse Schwäche für SciFi habe ich immer <strong>noch</strong>, und Rabelais ist sowieso <strong>zu</strong> empfehlen.Die Anschauung, daß ich mich innerhalb einer Untergangskultur befände, hat sich übrigens nurinsofern verändert, daß sie im L<strong>auf</strong>e von drei <strong>Ja</strong>hrzehnten mehrfach bestärkt worden ist.)Selbstverständlich habe ich den wundertätigen Jesus und diverse Prophezeiungen auch gefunden.Ob's aber was gebracht hat oder wann oder inwiefern, das ist ein anderes Kapitel, das ich eucherspare.Womit ich aber <strong>wir</strong>klich nicht gerechnet hatte, das war der MENSCH Jesus sowie das Gottesbild,das er vermittelte. Dieses entsprach nämlich ganz und gar nicht dem, was mir in Kindheit undJugend nahegebracht worden war. (Aber was kann man auch von der Volksfrömmigkeit erwarten?Und was kann man gar erwarten von einem Pfarrer, der an höheren Festtagen demonstrativ denhöchsten gebräuchlichen Geldschein ins Kollektenkörbchen legt und anschließend höchstselbst mitflammend-strafend-prüfenden Blicken durch seine Gemeinde eilt und peinlichst registriert, werwieviel da<strong>zu</strong>legt?) Der Gott, den Jesus „Vater“ nannte, war gut, gütig, barmherzig, verzeihend,verständnisvoll, voller Mitgefühl und in der Tat wert, Vater genannt <strong>zu</strong> werden. Er war keinesfallsder strafende Peitschenknaller, der unter schweren Drohungen Gehorsam und Sittsamkeit einfordert,der peinlichst genau alles registriert, was du denkst, fühlst und tust, bis hin <strong>zu</strong>r Ausschüttungverschiedener Körpersäfte. Er war keineswegs der langbärtige, strenge Überdrüber-Patriarch, dereifersüchtig alles beobachtet und dich dementsprechend belohnt oder bestraft. Er war keineswegsfordernd oder gar einengend, beängstigend oder <strong>zu</strong>m Fürchten. Statt Gottesfurcht vermittelte JesusGottesliebe.Jesus selber verkörperte all <strong>die</strong> oben genannten Eigenschaften des väterlichen Gottes <strong>auf</strong> dermenschlichen Ebene. Er sprach von Gott als Vater und zeigte sich selbst als Bruder, immer wiedersolidarisch mit den Armen, Kranken und Schwachen, immer wieder deren Fürsprecher undBeschützer, immer wieder bereit, <strong>die</strong> Reichen und Mächtigen wegen ihres Machtmißbrauchs, ihrerStandesdünkel, ihrer oberflächlichen Buchstabengläubigkeit und ihrer Doppelmoral <strong>zu</strong> kritisieren.Für mich, der ich nach einem „anderen“ Leben suchte, nach einem „neuen“ Leben, nach einemsinnvollen, gerechten Leben in Liebe, Mitgefühl und Brüderlichkeit, ohne andere aus<strong>zu</strong>nutzen oder<strong>zu</strong> belügen, ohne <strong>die</strong> Umwelt aus<strong>zu</strong>beuten, <strong>zu</strong> verschmutzen und <strong>zu</strong> zerstören, für MICH war <strong>die</strong>serJesus nicht nur ein Mensch, den man als außergewöhnlich bezeichnen mußte, sondern ein Vorbildund Ideal, selbst wenn man nie in seine Sandalen hineinwächst. Völlig unabhängig davon, ob manin ihm Gottes Sohn, eine göttliche Inkarnation oder den Messias sehen mag, als Weisheitslehrer, denman einfach gern haben muß, kann man ihn allemal akzeptieren.Seit jener Zeit bin ich Jesus-Fan. Zum ausgeflippten Jesus-Freak hat's nie gereicht, weil ich schonbald <strong>zu</strong> wenig ausgeflippt war, was vielleicht damit <strong>zu</strong>sammenhing, daß ich das Kiffen <strong>auf</strong>gab. (Füreine etwaige Minderheit von in Sache Drogen völlig Unbedarfte: Kiffen heißt Rauchen von hierortsverbotenen und nicht geduldeten Hanf-Produkten, wobei <strong>die</strong>se Produkte nicht aus der heimischenSorte (Vogelhanf) gewonnen werden, sondern aus der vor allem im Orient verbreiteten „giftigen“Verwandtschaft.) Auch <strong>zu</strong>m bekennenden Christen der traditionellen oder neuzeitlich-evangelikalen


128Art hat's nicht gereicht, das wäre mir immer schon <strong>zu</strong> eng gewesen. Außerdem bin ich nicht so ganzder gesellige Typ.Ich las also ein Evangelium nach dem anderen, und <strong>die</strong>ser Jesus hat mich <strong>wir</strong>klich schwerbeeindruckt. Dann las ich <strong>die</strong> Apostelgeschichte, was mich aber schon weniger interessierte, danach<strong>die</strong> Briefe, <strong>die</strong> außer Ermahnungen <strong>zu</strong>m rechten Glauben auch nicht <strong>wir</strong>klich etwas Neues brachten.Schlußendlich las ich das letzte Buch des Neuen Testaments, <strong>die</strong> Offenbarung des Johannes, wasdas von Jesus vermittelte Gottesbild bereits erheblich verdunkelte.Da ich aber damals ein recht wißbegieriges Kerlchen war und mehr wissen wollte über Gott, Welt,Wirklichkeit, Zukunft und mich selber, begann ich das Buch vom Anfang an weiter<strong>zu</strong>lesen, GANZvon vorne, also mit der Genesis, dem ersten Buch der Thora. Da fand ich dann tatsächlich all das,was ich schon vor <strong>Ja</strong>hren weder verstehen konnte <strong>noch</strong> verstehen wollte, all das, was mir schon vor<strong>Ja</strong>hren <strong>zu</strong>wider gewesen war, und über<strong>die</strong>s <strong>noch</strong> einiges mehr an bisher Unbekanntem, was mirebenso <strong>zu</strong>wider war und mir das Lesen <strong>zu</strong>nehmend verleidete.Ich war aber nicht nur wißbegierig, sondern auch ziemlich hartnäckig, also las ich weiter und lasund las. Selbstverständlich fand ich auch etwas von dem, was ich suchte, aber nicht in dem Maße,wie ich erhofft und erwartet hatte. Die Thora stellte sich als große Enttäuschung heraus, und auch inden folgenden Schriften des Alten Testaments fand ich nur einen Abglanz des Gottesbildes, das mir<strong>zu</strong>vor durch <strong>die</strong> Evangelien vermittelt worden war.Danach hatte ich VIEL <strong>zu</strong> überdenken. Die Gottesbilder des Alten und des Neuen Testaments warennämlich ganz und gar nicht deckungsgleich, widersprachen einander sogar. Aber ich sagte mir: Dahat eine Weiterentwicklung stattgefunden, Gott ist Gott, nur <strong>die</strong> Sichtweisen des Menschen habensich verändert. Und ich beließ es dabei.Auch wenn ich in den (fast 30) <strong>Ja</strong>hren danach so einige Schriften anderer Religionen und andererKulturkreise gelesen habe, zwischendurch habe ich den<strong>noch</strong> immer wieder <strong>zu</strong>r Bibel gegriffen, umetwas ganz Bestimmtes nach<strong>zu</strong>schlagen oder einen Teil oder <strong>die</strong> gesamte Bibel <strong>zu</strong> lesen.Aber kein einziges Mal konnte ich das Gottesbild des Alten Testaments mit dem des NeuenTestaments <strong>auf</strong> Deckungsgleichheit bringen. Der <strong>Ja</strong>hwe des Alten Bundes blieb mir fremd. <strong>Ja</strong>hweblieb sperrig. Mein Herz hat er kein einziges Mal erreicht. Er blieb – irgendwie unangenehm.Erst vor wenigen <strong>Ja</strong>hren begann ich mich <strong>zu</strong>nehmend mit Gedanken an<strong>zu</strong>freunden, <strong>die</strong> ich teilweiseschon <strong>zu</strong> Beginn der 80er-<strong>Ja</strong>hre hatte; damals hatte ich es anscheinend nicht gewagt, sie konsequentweiter<strong>zu</strong>denken.Auf unserem Planeten gibt es eine Vielzahl von Schöpfungsmythen, nach denen man folgendeMöglichkeiten eines „Anfangs“ ableiten kann:Es ist kein Anfang fest<strong>zu</strong>stellen, wie der Buddhismus sagt, und es gibt auch keinen Schöpfergott.Es gibt keinen Schöpfergott, der Anfang ist der Urknall. Das ist <strong>die</strong> Sichtweise der modernenWissenschaft. Es gibt in der Zwischenzeit aber auch <strong>die</strong> Theorie des zyklischen Urknalls, das heißt:Urknall, Ende des Universums, erneut Urknall, erneutes Ende, Urknall, Ende und so weiter, wobeiüber das Ende des Universums derzeit <strong>noch</strong> spekuliert <strong>wir</strong>d. (Entweder es zieht sich wieder<strong>zu</strong>sammen, wodurch es eine immer höhere Dichte und Temperatur <strong>auf</strong> immer engerem Raumerreicht, bis es erneut <strong>zu</strong> einem Urknall kommt; oder es dehnt sich dermaßen aus, daß schlußendlichsämtliche Wechsel<strong>wir</strong>kungen <strong>zu</strong>m Erliegen kommen und <strong>die</strong> völlige Entropie eintritt (das heißt einenergetischer <strong>Ein</strong>heits-„Brei“ entsteht, in welchem sich absolut NICHTS mehr tut, wobei auch nichtmehr von Zeit und Raum gesprochen werden kann (und <strong>die</strong>ser bestenfalls gedanklich erfaßbare„Punkt Unendlich“ <strong>zu</strong>m „Punkt Null“ des nächsten Urknalls <strong>wir</strong>d – aber das ist wie gesagt derzeitnur eine Hypothese).)<strong>Ein</strong> Schöpfergott ist für den Urknall verantwortlich (<strong>die</strong> „Light“-Version für monotheistischeWissenschaftler).<strong>Ein</strong> Schöpfergott ist sowohl für den Anfang des Universums als auch für dessen Entwicklung alsauch dessen Ende verantwortlich.<strong>Ein</strong>e Mehrzahl von übernatürlichen Wesen ist für Anfang, Entwicklung und Ende verantwortlich.


129<strong>Ein</strong> Schöpfergott ist für den Anfang verantwortlich, ein anderer Gott für <strong>die</strong> Entwicklung und eindritter für das Ende. (Das wäre <strong>zu</strong>m Beispiel das Dreigestirn des Hinduismus.)Da <strong>wir</strong> uns aber schön langsam mit dem Gedanken anfreunden müssen, daß es jede Menge andererUniversen außerhalb des unsrigen gibt, müssen dementsprechend folgende Möglichkeiten gelten:Kein Schöpfergott.<strong>Ein</strong> einziger Schöpfergott für alle Universen.<strong>Ein</strong> Schöpfergott für jedes einzelne Universum.<strong>Ein</strong> Konsortium für alle Universen.Jeweils ein eigenes Konsortium für jedes einzelne Universum.(Der Hinduismus übrigens vertritt <strong>die</strong> Auffassung, daß es eine unbekannte Anzahl verschiedenerUniversen gibt und jedes Universum seinen eigenen Schöpfergott hat. Der Schöpfergott <strong>die</strong>ses (oder„unseres“) Universums heißt Brahma.)GANZ RICHTIG sein kann höchstens EINE <strong>die</strong>ser Möglichkeiten.Teilweise richtig sein können alle.Allerdings bedeutet „teilweise richtig“ gleichzeitig „teilweise falsch“.Und völlig falsch können ebenfalls alle sein.Rein theoretisch.Aus rein wissenschaftlicher Sicht scheint unser Universum keinen Schöpfergott nötig <strong>zu</strong> haben;auch keinen kontrollierenden Gott, weil <strong>die</strong> Naturgesetze wunderbar funktionieren – und anderswiegar nicht funktionieren könnten. Weil aber auch <strong>die</strong> modernsten wissenschaftlichen Konzepte <strong>noch</strong>so manche Fragezeichen übrig lassen, können religiöse Nicht-Buddhisten auch weiterhin sagen:„Siehst du – GOTT!“WENN es aber einen Schöpfergott gibt, der für <strong>die</strong>se prächtige Unvollkommenheit verantwortlichist, dann ist wohl an<strong>zu</strong>nehmen, daß es nicht mehrere Schöpfergötter gibt, sondern nur einen.Deshalb stelle ich nun einige Gleichungen in den Raum:Schöpfergott 1 = Schöpfergott 2Schöpfergott = Schöpfergott<strong>Ja</strong>hwe = Brahma(Ich habe bewußt Brahma aus der Vielzahl der Schöpfergötter ausgewählt, weil er als hinduistischeGottheit von vielen Menschen (mehr oder weniger) verehrt <strong>wir</strong>d – im Gegensatz <strong>zu</strong>m altägyptischenAmun oder Viracocha, dem Schöpfergott der Inka, oder dem bereits erwähnten mesopotamischenSchöpfergott Marduk, oder Lengai, dem Gott der Massai. (Streng genommen <strong>sind</strong> <strong>die</strong> MassaiEBENFALLS Monotheisten, allerdings ist Lengai sowohl gut als auch böse – was abrahamitischeMonotheisten „selbstverständlich“ nicht so sehen.) – Übrigens: In ganz In<strong>die</strong>n gibt es lediglicheinen einzigen Tempel, der Brahma geweiht ist.)Laut der in der Thora schriftlich niedergelegten Eigendefinition ist JHWH der Gott des von ihmerwählten Volkes, der Gott der Hebräer/Israeliten/Juden, also deren Stammesgottheit.Als erstes und oberstes Gebot für sein Volk nennt JHWH „Du sollst keine Götter haben neben mir!“Damit <strong>wir</strong>d indirekt <strong>die</strong> Existenz ANDERER Götter bestätigt.Auch <strong>die</strong> in der Thora enthaltene Bezeichnung „Höchster Gott“ ist eine solche Bestätigung. AnKEINER EINZIGEN Stelle der Thora <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Existenz anderer Götter geleugnet, an KEINERStelle sagt JHWH: „Es gibt keine anderen Götter.“ An KEINER Stelle sagt JHWH: „Ich bin dereinzige Gott.“Laut der in der Thora schriftlich niedergelegten Eigendefinition ist JHWH der Schöpfer der Welt,also der Schöpfergott.Das ist das Maximum, was ich JHWH <strong>zu</strong>gestehen kann: nämlich Schöpfergott <strong>zu</strong> sein. Denn


130Transzendenz oder Formlosigkeit <strong>sind</strong> in der Thora NIRGENDWO <strong>auf</strong><strong>zu</strong>finden. Diese Ideenwurden innerhalb der hebräischen Kultur erst <strong>Ja</strong>hrhunderte später entwickelt.JHWH ist EIN Gott innerhalb einer unbekannten Vielzahl ANDERER Götter.JHWH ist demnach – um den Sanskrit-Begriff <strong>zu</strong> benutzen – ein deva.Er benimmt sich ja auch wie ein solcher. Er benimmt sich ja auch wie all <strong>die</strong> anderen Götter, <strong>die</strong> <strong>wir</strong>aus unterschiedlichen Mythologien kennen.Schauen <strong>wir</strong> uns einmal an, wie er in der Thora dargestellt <strong>wir</strong>d oder wie er sich in der ThoraSELBER darstellt:Er ist rachsüchtig, eifersüchtig, streng (und knallhart), nachtragend (bis ins dritte und vierte Glied),bevor<strong>zu</strong>gt seine eigenen Leute (auch wenn sie Unrecht tun), bestraft andere Völker und deren Leute(obwohl sie weniger oder gar kein Unrecht tun), er ist willkürlich, ungerecht, <strong>zu</strong>meist unduldsam,fordert absoluten Gehorsam und ist über<strong>die</strong>s total geil <strong>auf</strong> den Gestank verbrannter Tieropfer. <strong>Ja</strong> ererfreut sich sogar an der Furcht seiner Gläubigen.Das alles <strong>sind</strong> Eigenschaften, wie sie anderen Göttern ebenso <strong>zu</strong>geschrieben werden. JHWHunterscheidet sich von anderen Göttern der verschiedensten archaischen oder antiken Kulturen nurinsofern, daß er der Schöpfergott und der Stammesgott eben desjenigen Volkes ist, das eben<strong>die</strong>seseine Geschichte in Form der Thora überliefert hat.Mit Transzendenz haben <strong>die</strong>se Eigenschaften NICHTS <strong>zu</strong> tun.Auch mit dem Gottesbild, das Jesus verbreitete, <strong>sind</strong> <strong>die</strong>se Eigenschaften nicht vereinbar. Man darfsich also nicht wundern, wenn dermaßen viele Christen ein Problem damit haben, den Gott desAlten Testaments mit dem Gott des Neuen Testaments in <strong>Ein</strong>klang <strong>zu</strong> bringen.Früher dachte ich, daß sich <strong>die</strong> Vorstellung der Menschen in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> ein und den selben Gottverändert hat. Heute glaube ich eher, daß zwei verschiedene „Wesenheiten“ beschrieben werden: derSchöpfergott JHWH einerseits und ein transzendenter Gott andererseits.Die „Große Religiöse Tragik“ besteht meiner Meinung nach darin, daß das Judentum zwar<strong>Ja</strong>hrhunderte nach der Thora <strong>zu</strong>r Erkenntnis der Transzendenz gelangte, sich aber nicht von ihremStammesgott (und ihrer Sonderrolle als sein Priestervolk) lösen konnte, <strong>die</strong> Idee der Transzendenznicht konsequent genug verfolgte und stattdessen Transzendenz und ihr traditionelles Bild vonJHWH miteinander vermischte.Christentum und Islam haben <strong>die</strong>se Verwechslung nahe<strong>zu</strong> fugenlos übernommen. Das ist der„Großen Religiösen Tragik“ zweiter und dritter Teil.Erst bei den Recherchen für <strong>die</strong>ses Buch bin ich dr<strong>auf</strong>gekommen, daß meine Idee, daß <strong>Ja</strong>hwe nichtmit dem transzendenten Gott gleich<strong>zu</strong>setzen ist, keineswegs so neu und so spektakulär ist, wie ichgedacht hatte. Bei Philo von Alexandrien <strong>zu</strong>m Beispiel ist der Demiurg, der Weltenschöpfer, zwaraus der Transzendenz entstanden, aber nicht mit ihr identisch. Es gab (und gibt) sogar Leute, <strong>die</strong>JHWH als böse bezeichneten, ja als das Böse schlechthin. Aber so weit braucht man ja gar nichtgehen; es genügt schon, wenn man JHWH nicht mehr mit Transzendenz verwechselt.


131Die Thora ist eines der ältesten Schriftstücke der Menschheitsgeschichte, aber mit Sicherheit nichtdas älteste. Jedes Schriftwerk aus dermaßen alten Zeiten ver<strong>die</strong>nt einen gewissen Respekt, alleinschon wegen seines Alters.„Thora“ bedeutet „Gesetz“. <strong>Ein</strong>e strikte <strong>Ein</strong>haltung der mosaischen Gesetze – wie sie in der Thoranach<strong>zu</strong>lesen <strong>sind</strong> – ist in der heutigen Zeit völlig indiskutabel. Jeder Staat, der <strong>die</strong> Thora <strong>zu</strong> einemgeltenden Gesetz erklären würde, müßte (um einen neuzeitlichen (US-) Ausdruck <strong>zu</strong> verwenden) alsSchurkenstaat betrachtet werden. Jeder vernünftige und mitfühlende Mensch müßte <strong>die</strong> Thora alsGrundlage für eine Gesetzesstruktur ablehnen. Als Gesetzesgrundlage ist <strong>die</strong> Thora sogar <strong>noch</strong>unannehmarer als <strong>die</strong> <strong>zu</strong>recht vielgeschmähte Sharia des Islam, welche seit über 400 <strong>Ja</strong>hren nichtreformiert worden ist.Nicht einmal das Judentum vollzieht <strong>die</strong> in der Thora enthaltenen Gesetze im wörtlichen Sinne;man hat sich der sich verändernden Zeit, den sich verändernden Umständen angepaßt; man hatinterpretiert; lediglich ausgewählte Fundamentalisten bestehen <strong>auf</strong> eine wortgetreue <strong>Ein</strong>haltung dermosaischen Gesetze. (Wenn man es ganz genau nimmt, MÜSSTEN allerdings ALLE Juden NOCHIMMER <strong>die</strong> mosaischen Gesetze WORTGETREU befolgen, da nichts geändert, hin<strong>zu</strong>gefügt oderweggelassen werden DARF. Man muß wohl annehmen: weder in Worten <strong>noch</strong> in Gedanken.Den<strong>noch</strong> haben Juden <strong>die</strong>s im L<strong>auf</strong>e der Zeit mehrmals getan, und selbstverständlich ist <strong>die</strong>sebenfalls eine Form von Opportunismus, allerdings mit positiven Folgen für ein menschenwürdigesZusammenleben. Bravo! Bitte weiter so, denn es ist <strong>noch</strong> viel <strong>zu</strong> tun.)Unter dem Arbeitstitel „Das Gesetz“ kann ich <strong>die</strong> Thora leider nicht akzeptieren. <strong>Ein</strong>em derartigenGesetze muß ich mich verweigern.Unter dem Arbeitstitel „Hebräische Götter- und Heldensagen“ akzeptiere ich <strong>die</strong>ses Schriftwerkjederzeit. (Obwohl sich in meinen Bücherschränken andere Sagenbücher und Heldengeschichtenbefinden, denen ich etwas mehr abgewinnen kann.)Beim Arbeitstitel „Wort Gottes“ jedoch stellen sich mir <strong>die</strong> Haare <strong>auf</strong>. Von einem unfehlbaren Gottkann man wohl auch ein unfehlbares Wort erwarten. Dies ist in <strong>die</strong>ser Schrift keineswegs der Fall.Es ist voll von Irrtümern, Widersprüchen, uralt-barbarischen Wertvorstellungen, archaisch-blutigerHärte, einer schon lange überholten Weltanschauung; voll von Behauptungen, <strong>die</strong> einer modernerwissenschaftlichen Betrachtungsweise nicht standhalten. Es mangelt <strong>die</strong>ser Schrift erheblich anMitgefühl, Wärme und Menschenwürde. Es ist eine archaische Schrift für ein archaisches Volk ineiner archaischen Zeit. Dort und damals mag es seine Berechtigung gehabt haben. Dort und damalsmag es für unfehlbar gehalten worden sein. In der heutigen Zeit jedoch ist eine wortwörtlicheInterpretation ein Schlag ins Gesicht von Wissenschaft, Menschlichkeit, Menschenwürde und sogarHausverstand.Wer immer <strong>die</strong> Thora als unfehlbar bezeichnet, muß meiner Meinung nach als Fundamentalistangesehen werden, sogar als Chauvinist. Und weil eben der Inhalt der Thora nicht als unfehlbarangesehen werden kann, kann es auch nicht das Wort Gottes sein. Zumindest rechnen <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ser jawohl können. Widersprüche oder mehrfach verknotete Erzählfäden <strong>sind</strong> von ihm ebenfalls nicht <strong>zu</strong>erwarten. Nicht einmal, wenn er <strong>die</strong>s aus Liebe <strong>zu</strong> archaischen, starrsinnigen und ungebildetenHalbnomaden täte.Wenn aber <strong>die</strong> Thora nicht das Wort eines unfehlbaren Gottes ist, kann sie nur das Wort einesunvollkommenen Gottes (also eines deva) oder aber Menschenwerk sein. Selbst wenn man sich <strong>zu</strong>rAnnahme durchringt, daß <strong>die</strong> Thora – so wie <strong>die</strong> folgenden Bücher der jüdischen Tradition – dasWerk verschiedener Menschen ist, <strong>die</strong> direkt von Gott inspiriert wurden, muß man trotzdemfeststellen: Sonderlich gut ist <strong>die</strong>se Inspiration nicht herübergebracht worden.Was wäre denn so falsch daran, wenn man <strong>die</strong> Thora nicht mehr als unmittelbares Wort Gottesbetrachtet, sondern als inspiriertes Werk von Menschen? Ist es denn tatsächlich so schwer,Un<strong>zu</strong>länglichkeiten ein<strong>zu</strong>gestehen? Un<strong>zu</strong>länglichkeiten, <strong>die</strong> unmöglich von einem vollkommenen,unfehlbaren, allwissenden und allmächtigen Gott stammen können?


132Lasset uns ein wenig aus der Welt des Glaubens, des Kultes, der Religion und der Kritik daranheraustreten und überwechseln in <strong>die</strong> Welt überprüfbarer Fakten.Wann wurde <strong>die</strong> Thora eigentlich niedergeschrieben?Die Antwort ist einfach: Wir wissen es nicht genau. Ebensowenig <strong>sind</strong> ihre Verfasser bekannt. Fürviele akademische Spezialisten (<strong>zu</strong> denen ich ja nicht gehöre) gilt der Prophet Ezra (um 400 v.Chr.)als vermutlicher Verfasser eines großen Teils der Thora. Wahrscheinlich ist auch etwas Wahres dran;er dürfte wohl tatsächlich an der Verfassung der Thora und der nachfolgenden Schriften (<strong>zu</strong>mBeispiel Josua, Richter, Samuel, Bücher der Könige, Bücher der Chronik) beteiligt gewesen sein.WISSEN tun <strong>wir</strong> das allerdings nicht. Auf jeden Fall müssen <strong>wir</strong> uns insofern korrigieren, daß nichtmehr von bronzezeitlichen Verfassern <strong>die</strong> Rede sein kann, sondern von eisenzeitlichen – was an derarchaischen Naivität und Brutalität jedoch GAR NICHTS ändert.Im <strong>Ja</strong>hr 622 v.Chr., dem 18. Regierungsjahr des Königs Joschija, wurde bei Restaurierungsarbeitenim Jerusalemer Tempel „das Gesetzbuch“ gefunden. So berichtet das 2. Buch der Könige in Vers 8des 22. Kapitels. Nach Ansicht der heutigen Forschung handelte es sich bei <strong>die</strong>sem „Gesetzbuch“aber keineswegs um <strong>die</strong> gesamte Thora, sondern lediglich um einen Teil des fünften Buches Mose,des Deuteronomium. Wahrscheinlich war einer der damaligen Priester der Verfasser. Vermutlich warKönig Joschija der Auftraggeber.Joschija hätte möglicherweise eine Größe der Weltgeschichte werden können, wenn er seinReformwerk <strong>zu</strong> Ende hätte führen können und nicht in einem Gefecht gegen <strong>die</strong> Ägypter getötetworden wäre. Joschija war nämlich, was man heute wohl einen Zentralisten nennen würde. SeinZiel war ein einiges Reich mit der Hauptstadt Jerusalem, eine einige Kultur mit Jerusalem alsZentrum und ein einiger Kult für das gesamte Volk. Er verbot <strong>die</strong> Opferungen an den vielen altenKultstätten <strong>auf</strong> den vielen Anhöhen. Nur <strong>noch</strong> im Tempel <strong>zu</strong> Jerusalem durfte geopfert werden. Erverbot sämtliche Kulte außer dem der <strong>Ja</strong>hwe-Verehrung. (Es war nämlich keineswegs so, daß alleJuden <strong>Ja</strong>hwe verehrten. Die jüdische Geschichtsdeutung schreibt, daß ein Teil des Volkes „vomBund“ mit <strong>Ja</strong>hwe abgekommen wären; in Wahrheit war der <strong>Ja</strong>hwe-Kult nur einer der vielen Kulte<strong>die</strong>ser Region.)Seit wann <strong>wir</strong>d eigentlich <strong>Ja</strong>hwe verehrt? Bei <strong>die</strong>ser Frage scheiden sich <strong>die</strong> Geister. Es gibtnämlich keinen schriftlichen Beleg, der älter wäre als der „<strong>zu</strong>fällige“ Fund <strong>zu</strong>r HerrschaftszeitJoschijas. Überhaupt verschwinden Schriftfunde <strong>auf</strong> Fels und Tonscherben im 9. <strong>Ja</strong>hrhundert v.Chr.völlig. Über<strong>die</strong>s ist es ein großes Dilemma der monotheistischen Religionen, daß es für David undSalomon keine historischen Beweise gibt. Gerade von einem außergewöhnlichen König wieSalomon dürfte man <strong>zu</strong>mindest eine vermehrte Bautätigkeit erwarten – leider Fehlanzeige. (<strong>Ein</strong>einziges Steintäfelchen mit den Namen Israel und David dr<strong>auf</strong> ist <strong>wir</strong>klich nicht viel. Ich bezweifleauch gar nicht, daß es David und Salamon gegeben hat; man hat eben – wie so oft – Legendendaraus gemacht und idealisiert.)Die einzigen Beweise für <strong>die</strong> Geschichte des jüdischen Volkes vor dem 8. oder 9. <strong>Ja</strong>hrhundert <strong>sind</strong><strong>die</strong> Thora und <strong>die</strong> geschichtsdeutenden Schriften in Folge, <strong>die</strong> allesamt erst nach Joschijageschrieben wurden. Der einzige Beweis ist also das eigene, viel später verfaßte Schriftgut. (Wennman höflich sein und Begriffe wie „fragwürdig“ und „spekulativ“ vermeiden möchte, muß manimmer <strong>noch</strong> sagen: ziemlich mager. Außerdem möchte ich <strong>auf</strong> das Bedürfnis des homo sapienshinweisen, Liebes und Teures und für ihn Wichtiges <strong>zu</strong> idealisieren, sowie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> weitverbreiteteSitte, hinterher Wunschvorstellungen nachgehen und alles Mögliche hineindeuten <strong>zu</strong> wollen.)Auch für den Aus<strong>zu</strong>g aus Ägypten gibt es keinen einzigen Beweis. Die alten Ägypter haben, wieman seit der Entzifferung der Hieroglyphen weiß, recht ordentlich Geschichtsschreibung,Geschichtsdeutung und zeitgenössische Propaganda <strong>zu</strong> Ehren des jeweiligen Pharao betrieben. Abernirgendwo <strong>wir</strong>d das Abwandern eines ganzen Volkes erwähnt. Es gibt lediglich eine einzigeErwähnung des hebräischen Volkes, nämlich als Tutmoses III. im <strong>Ja</strong>hr 1458 v.Chr. einen Aufstandunter Führung des Fürsten von Kadesh niederwarf, Megiddo, das Zentrum der Rebellion, einnahm


133und in Folge auch das Völkchen der Hebräer unterwarf; 150 Stammesführer sollen an <strong>die</strong>semAufstand beteiligt gewesen sein, aber das Oberhaupt der Hebräer war offenbar <strong>zu</strong> unbedeutend, umnamentlich erwähnt <strong>zu</strong> werden. Selbstverständlich wurden auch Menschen als Kriegsgefangene undKriegsbeute nach Ägypten verschleppt; das war damals allgemeine Sitte. Von der Verschleppungeines ganzen Volkes <strong>wir</strong>d allerdings nirgendwo berichtet; für eine kollektive Versklavung gibt eskeinerlei Beweis. Es hätte auch keinerlei Anlaß da<strong>zu</strong> gegeben. Kanaan und Syrien waren nach derEroberung Megiddos für längere Zeit fest in ägyptischer Hand. Die Hebräer in Kanaan mußtensowieso <strong>die</strong> ägyptische Oberhoheit anerkennen und wahrscheinlich heftig Steuern abgeben; darunterwohl auch Arbeitskräfte, genannt Sklaven.Über Hebräer in Ägypten berichten <strong>die</strong> alten Ägypter nichts, ebensowenig über ein Erstarken <strong>die</strong>sesVolkes, einen großen Sklaven<strong>auf</strong>stand oder <strong>die</strong> erzwungene Abwanderung eines Millionenvolkes.Auch über eine Kette von Katastrophen (zehn Plagen) <strong>wir</strong>d nichts überliefert.Allgemein <strong>wir</strong>d der Aus<strong>zu</strong>g der Israeliten in etwa <strong>auf</strong> das <strong>Ja</strong>hr 1250 v.Chr. datiert, also in <strong>die</strong>Regierungszeit von Ramses II. Diese Datierung lehne ich entschieden ab; nie und nimmer kann<strong>die</strong>ses Ereignis <strong>zu</strong>r Zeit Ramses II. (1304-1237) stattgefunden haben. Ramses II. ist einer derwenigen Herrscher der Weltgeschichte, der den Beinamen „der Große“ erhalten hat. Er ließ ganzeTempelstädte erbauen und veranlaßte den Bau von Abu Simbel, einem <strong>noch</strong> heute bewundertenKulturschatz. Er ließ im Nildelta zwei neue Städte errichten und machte eine davon <strong>zu</strong>r neuenHauptstadt – Pi-Ramesse, das Haus des Ramses, das Haus des Sohn des Ra. Von der Errichtung<strong>die</strong>ser Stadt berichtet auch <strong>die</strong> Thora; Hebräer hätten sie unter Zwang errichtet – allerdings bin ichmir sicher, daß ganz allgemein Sklaven dabei <strong>zu</strong> Werke gingen, Sklaven aus vielen Völkerschaften,wahrscheinlich auch Hebräern; und Ägypter obendrein.Die Regierungszeit des Pharao Ramses II. ist einer der ganz großen Höhepunkte des alten Ägypten.Er schloß sogar einen Friedensvertrag mit den Hethitern, völlig ohne Zwang, den ersten historischbelegten Friedensvertrag. <strong>Ein</strong> schwacher König war er mit Sicherheit nicht. Er regierte 67 <strong>Ja</strong>hre.Das Reich blühte.Stellen <strong>wir</strong> uns hingegen den Aus<strong>zu</strong>g eines ganzen Volkes vor, über<strong>die</strong>s eines Volkes, welcheszahlreicher gewesen sein soll als das ägyptische. Stellt euch vor, <strong>die</strong> Hälfte der Bevölkerung verläßtdas Land, über<strong>die</strong>s jene, <strong>die</strong> den Großteil der körperlichen Arbeit verrichtet. (Und das tun Sklavennun mal.) Zweifellos würde das gesamte Staatsgefüge <strong>zu</strong>sammenbrechen, jede Form von Ordnung,jede Form von Wirtschaft. Die Ernährung des (Rest-) Volkes wäre nicht mehr gewährleistet.Hunger; Aufstände, Chaos, Bürgerkrieg. Selbstverständlich würden sich sämtliche Nachbarvölkerüber Ägypten hermachen. – Aber nichts davon geschah. Das Reich ge<strong>die</strong>h und blühte.Stellen <strong>wir</strong> uns den Zustand des ägyptischen Staatswesens NACH den in der Thora überliefertenzehn Plagen vor. <strong>Ein</strong>e Kette von Umweltkatastrophen. Totaler Ernteausfall. Mehrere Seuchen, <strong>die</strong>Mensch und Vieh dezimieren. <strong>Ein</strong> derartiges Katastrophenjahr schwächt jedes Staatswesen oderführt sogar <strong>zu</strong> dessen totalem Zusammenbruch. – Aber nichts davon geschah. Das Reich ge<strong>die</strong>h undblühte.Beide Ereignisse <strong>zu</strong>sammengenommen hätten das Reich bis in <strong>die</strong> Grundmauern erschüttert, mitgroßer Wahrscheinlichkeit sogar vernichtet. Noch heute wäre eine Kette derartiger Katastrophen unddas folgende Abwandern des Großteils der arbeitenden Bevölkerung eine kaum <strong>zu</strong> bewältigendeKrise für jedes Staatswesen.Aber nichts davon geschah <strong>zu</strong>r Zeit von Ramses II. Auch in den <strong>Ja</strong>hrhunderten davor oder danach<strong>wir</strong>d nichts über derartige Ereignisse berichtet. Wir müssen also davon ausgehen, daß <strong>die</strong> Thoralediglich mündlich weitergegebene Erzählungen EINZELNER Ereignisse <strong>zu</strong>sammenfaßt undüber<strong>die</strong>s in Form einer selbstbezogenen Geschichtsdeutung wiedergibt.Millionen gläubiger Monotheisten würden sich alle Finger abschlecken, wenn es nur einen einzigenkonkreten Beweis für den Exodus gäbe.Mit Sicherheit hat es hebräische Sklaven in Ägypten gegeben; mit Sicherheit hat es in dort – wieauch sonstwo – Umwelt- und Unwetterkatastrophen gegeben. Die Regierungszeit Ramses' des


134Großen kommt aber mit ebensolcher Sicherheit für den etwaigen Exodus nicht in Frage.Wenn ich <strong>die</strong> in meiner Bibelausgabe angegliederte Zeittafel betrachte, dann finde ich <strong>auf</strong> jederSeite eine rechte Spalte mit dem Titel „biblische Daten“ sowie links <strong>die</strong> Spalte mit dem Titel„außerbiblische Daten“. Auf Seite 1437 <strong>die</strong>ses von christlichen Würdeträgern abgezeichneten undabgesegneten Buches lese ich nun Folgendes:(Rechts:) Um 1250 Exodus (Aus<strong>zu</strong>g) der Israeliten aus Ägypten, Mose (Ex 12-14)(Darunter:) Um 1230 Ansiedlung der Hebräer unter Josua in Palästina (Jos 1-12)(Und nach einem kleinen Zwischenraum:) 1200-1020 Richterzeit(Links:) 1304-1237 Ramses II. In Ägypten(Und wiederum nach einem kleinen Zwischenraum:) Um 1200 Zerfall des Hetiterreiches (Ich selberschreib' <strong>die</strong> Hethiter lieber mit h.)(Direkt darunter:) 1200-900 Eisenzeit I(Und direkt danach:) Um 1190 Ansiedlung der Philister in Kanaan. Niedergang Ugarits. Ende derMykenischen Kultur. Aramäer in Ostsyrien.Auf der rechten Seite können <strong>wir</strong> wieder einmal erkennen, wie leichtfertig sowohl Thora als auchThora-Gläubige mit Zahlen jonglieren. 1250 minus 1230 ist nun allemal 20. Da braucht es <strong>noch</strong>einen erheblichen Spielraum, bis man <strong>auf</strong> <strong>die</strong> 40 <strong>Ja</strong>hre kommt, <strong>die</strong> das hebräische Volk <strong>auf</strong> derHalbinsel Sinai umherwanderte. Diesen Spielraum kann man wohl nur durch ein erhebliches Maßan Opportunismus und Geschichtsdeutung erklären. (Ist da den Theologen und Schriftforschernetwa gar ein kleiner Fehler unterl<strong>auf</strong>en?)In der linken Spalte wiederum finden <strong>wir</strong> historisch gesicherte Daten, also Fakten, fast <strong>auf</strong>s <strong>Ja</strong>hrgenau. In der Tat gab es um das <strong>Ja</strong>hr 1200 v.Chr. herum erhebliche Veränderungen im Raum desöstlichen Mittelmeeres. Plötzlich verschwand <strong>die</strong> Mykene-Kultur in Griechenland völlig von derBildfläche; ebenso erging es dem mächtigen Reich der Hethiter, einer Weltmacht <strong>zu</strong>r damaligenZeit. Auch <strong>die</strong> reichen und wichtigen Handelsstädte und Stadtstaaten im heutigen Syrien gingenunter, und zwar durch <strong>die</strong> Invasion bis heute unbekannter Völkerschaften, <strong>die</strong> man unter demSammelbegriff „Seevölker“ <strong>zu</strong>sammenfaßt; es gibt auch archäologische Fundstücke, <strong>auf</strong> denen <strong>die</strong>Eroberung Ugarits und anderer Städte geschildert <strong>wir</strong>d. Bis heute ist es ungeklärt, woher <strong>die</strong>seVereinigung mehrerer Völker stammte. <strong>Ein</strong>ige Forscher vermuten erhebliche Klimaveränderungen,<strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Eroberung einer neuen Heimat nötigten.Sogar das mächtige Ägypten wäre beinahe von <strong>die</strong>sen Seevölkern vernichtet oder erobert worden.Die offizielle ägyptische Geschichtsschreibung spricht von einer gloriosen Seeschlacht, in derRamses III. (1193-1162 v.Chr.) <strong>die</strong> Angreifer vernichtend schlägt. In seiner Grabkammer jedoch(dem Tod, den Göttern und der erhofften Wiedergeburt im Jenseits etwas näher) spricht <strong>die</strong>serPharao von einem Friedensvertrag, den er mit den Angreifern schloß, und davon, wie er <strong>die</strong>senVölkern einen Siedlungsraum im Nordosten seines Reiches gewährte und sie <strong>noch</strong> jahrelang durchWarenlieferungen aller Art unterstützte. Diese unter Ramses III. angesiedelten Völker (man nimmtan, es waren deren zwei) kennt man heute unter dem Namen Philister.Laßt uns nun <strong>auf</strong>s Neue zwei Geistesdisziplinen anwenden, <strong>die</strong> in den heiligen Schriften desMonotheismus nicht erwähnt werden: Mathematik und Logik. Moses hatte sein Volk bewußt in <strong>die</strong>Wüste geführt, um <strong>auf</strong> seinem Weg nach Kanaan nicht ins Land der Philister kommen <strong>zu</strong> müssen.Aber wie hätte das eigentlich gehen können, wenn es <strong>zu</strong> seiner Zeit weder Philister <strong>noch</strong> deren Landgab? Zwischen 1250 und 1190 („um .... “) liegen allemal sechs <strong>Ja</strong>hrzehnte. (So nebenbei bemerkt:Kanaan war damals eine ägyptische Provinz. Wer flieht vor den Ägyptern, um anschließend in eineägyptische Provinz ein<strong>zu</strong>fallen?) Auch Josua konnte bei seinem Eroberungs<strong>zu</strong>g durch Kanaan nichtmit Philistern in Konflikt geraten sein. Und ganz ganz sicher konnten sich Stammvater Abrahamund seine Kinder und Kindeskinder nicht mit den Philistern herumgeärgert haben; da liegen sogaretliche <strong>Ja</strong>hrhunderte dazwischen.Für <strong>die</strong> gesamte Epoche, in welche <strong>die</strong> Erzählungen der Thora angesiedelt <strong>wir</strong>d, gilt: Es gab <strong>noch</strong>keine Philister. Zumindest in <strong>die</strong>sem Punkt ist der Anspruch der Thora <strong>auf</strong> jegliche Form der


135Geschichtsdeutung (geschweige denn <strong>auf</strong> geschichtliche Wahrheit) eine komplette Farce.Insgesamt dürfte der historische Wahrheitsgehalt in der Thora wohl eher mit dem Gehalt vonSpurenelementen in Lebensmitteln vergleichbar sein. Aber das darf uns nicht verwundern, dennniedergeschrieben wurden <strong>die</strong>se Erzählungen ja erst 700 bis 1500 <strong>Ja</strong>hre SPÄTER. Und dazwischenwurden <strong>die</strong>se Erzählungen von Mund <strong>zu</strong> Mund weitergegeben, ausgeschmückt, umgedeutet und undund. (Kennt ihr <strong>zu</strong>fällig das Kinderspiel „Stille Post“?)Jedes Volk hat das Recht, seine Frühgeschichte frei <strong>zu</strong> interpretieren oder auch <strong>zu</strong> erdenken. JedesVolk muß aber auch damit rechnen, daß es dafür belächelt oder gar verlacht und kritisiert <strong>wir</strong>d;insbesonders, wenn <strong>die</strong>se Frühgeschichte als heilig und tabu dargestellt <strong>wir</strong>d. Sagen, Legenden undMythen werden <strong>auf</strong> der ganzen Welt zwar respektiert und in Ehren gehalten, aber eben als Sagen,Legenden und Mythen, als traditionelles Kulturgut. Warum sollten <strong>wir</strong> <strong>die</strong> jüdische Sammlung anSagen, Legenden und Mythen, genannt Thora, anders behandeln? Zu Beginn des 21. <strong>Ja</strong>hrhundertsmüßte es doch endlich möglich sein, den Anspruch der Thora <strong>auf</strong> Wahrheit und göttlichen Ursprung<strong>auf</strong><strong>zu</strong>geben. Daß dem allerdings <strong>noch</strong> immer nicht so ist, sagt viel über <strong>die</strong> Unreife des homosapiens aus – und über seine geistige Gefangenschaft in archaischen Denkmustern.


136Jetzt möchte ich ein ganz spezielles Highlight für Thora- und Bibelskeptiker an den Mannbeziehungsweise den homo sapiens jedweden Geschlechts bringen. Leider ist es mir nicht möglich,den Namen der Fernsehsendung <strong>zu</strong> nennen, in welcher der Beitrag über <strong>die</strong>se wissenschaftliche„Sensation“ gesendet wurde, <strong>noch</strong> den Sender, und – leider, leider! – schon gar nicht auch nur eineneinzigen Namen der beteiligten Wissenschaftler.Vor wenigen <strong>Ja</strong>hren brachte eine der vielen Ausgrabungen im sogenannten Heiligen Landkanaanitische Gräber <strong>zu</strong> Tage. (Offenbar pflegten Kanaaniter und Israeliten unterschiedlicheMethoden der Grablegung.) Kanaanitische K<strong>noch</strong>en wurden geborgen. Es gelang sogar, aus <strong>die</strong>senkanaanitische DNS <strong>zu</strong> gewinnen. Dann kam ein neugieriges akademisches Scherzkeks <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee,<strong>die</strong>se kanaanitische DNS mit israelitischer DNS <strong>zu</strong> vergleichen.Resultat: kein Unterschied.Selbstverständlich folgte auch <strong>die</strong> logische Schlußfolgerung: Kanaaniter und Israeliten waren EINVolk.EIN Volk, lediglich getrennt durch unterschiedliche Religionen. (Nichts ist schlimmer als <strong>die</strong> eigeneVerwandtschaft, wenn sie anders lebt, andere Gottheiten verehrt, anders denkt, anders IST. DieserDNS-Vergleich erklärt nebenbei auch den ausgeprägten Anti-Kanaanismus der Israeliten.)Damit aber nicht genug der logischen Schlußfolgerungen: Wenn Kanaaniter und Israeliten EIN Volkwaren, dann konnten <strong>die</strong> Israeliten gar nicht Kanaan gewaltsam erobert haben, weil sie ja schon dortlebten, nämlich als wachsende religiöse Minderheit innerhalb der Kanaaniter, <strong>die</strong> sie genetisch auchselber waren.Wenn es aber <strong>die</strong>se Eroberung des Gelobten Landes gar nicht gab, kann es auch den vierzigjährigenWüstenmarsch nicht gegeben haben, den Exodus, das kollektive Sklavendasein und <strong>die</strong> gesamtePatriarchengeschichte in der Form, in der <strong>die</strong>se in der Thora erzählt <strong>wir</strong>d.


137Man kommt bei der Beschäftigung mit jüdischer Religion und jüdischer Kultur leider nichtumhin, das Thema Antisemitismus <strong>zu</strong> erörtern.Soweit ich <strong>zu</strong>rückschauen kann, war ich immer schon Anti-Antisemit und auch ein Verächtertotalitärer Regierungsformen. Ich bin einfach so erzogen worden.Und wenn es irgendein Privileg sein sollte, der Nachkomme eines Opfers des Nationalsozialismusoder eines KZ-Insassen <strong>zu</strong> sein, dann steht mir <strong>die</strong>ses Privileg ebenfalls <strong>zu</strong>. Aber an einen derartigenvererbbaren Bonus glaube ich nicht.Antisemitismus ist eine Sonderform von Chauvinismus.Chauvinismus ist <strong>die</strong> Geisteshaltung, wonach <strong>die</strong> Gruppe, der man selber angehört, besser ist alseine andere und <strong>die</strong>ser überlegen.Zumeist <strong>wir</strong>d der Begriff Chauvinismus als Synonym für übertriebenen Nationalismus oderPatriotismus verwendet. Aber das <strong>sind</strong> nur zwei der vielen (viel <strong>zu</strong> vielen!) Erscheinungsformen vonChauvinismus. Diese Geisteshaltung können <strong>wir</strong> in so ziemlich allen Lebensbereichen des homosapiens feststellen, nämlich überall dort, wo Menschen glauben, besser <strong>zu</strong> sein als andere, oder daßMitmenschen in irgendeiner Hinsicht schlechter oder minderwertiger wären. Es gibt Chauvinismusinnerhalb winziger Cliquen und innerhalb von Weltanschauungs-Gemeinschaften mit vielenMillionen von Anhängern. Es gibt Fanclub-Chauvinismus, Musik-, Literatur-, Theater- undsonstigen Kultur-Chauvinismus, es gibt (meist männlichen) geschlechtsspezifischen Chauvinismus,es gibt Bildungs-Chauvinismus und Berufs-Chauvinismus, und nicht <strong>zu</strong>letzt gibt es „rassischen“und „völkischen“ Chauvinismus.Besonders peinlich empfinde ich religiösen Chauvinismus. Wenn etwas, das Menschen verbindenund Heil bringen soll, <strong>zu</strong> Trennung, Ausgren<strong>zu</strong>ng, Verachtung und Haß führt, dann kann mit <strong>die</strong>serReligion etwas nicht stimmen.(Prinzipiell möchte ich feststellen, daß sämtliche Formen von Chauvinismus der ultimative Beweisdafür <strong>sind</strong>, daß homo sapiens derzeit keine <strong>wir</strong>klich hochstehende geistige Spezies ist, überwiegendunreif bis archaisch-primitiv, und eine kollektive geistige Evolution dringend nötig hätte.)Antisemitismus ist eine besondere Spielart des Chauvinismus. Während in anderen Formen <strong>die</strong>eigene Gruppe besser ist als andere, bedeutet Antisemitismus vielmehr, daß alle anderen Gruppenbesser <strong>sind</strong> als das jüdische Volk (meist „<strong>die</strong> Juden“ genannt). Antisemitismus ist ein Chauvinismusmit doppeltem negativen Vorzeichen, das im Gegensatz <strong>zu</strong>r Mathematik allerdings kein positivesErgebnis bringt, sondern nur eine Steigerung des negativen.„Der Jude“ als ultimativer Sündenbock. „Der Jude“ ist schuld. „Der Jude“ als Feindbild schlechthin.„Der Jude“ ist eben „anders“.Das „schlechte“ Volk.Das „böse“ Volk.Aber so etwas gibt es nicht in „meiner“ Welt.Als ich im <strong>Ja</strong>hre 1980 Pakistan durchquerte, da wurde mir schon am allerersten Tag der Großteilmeiner Barschaft gestohlen; eine Woche später, als ich schwer erkrankt war, behandelte mich eineinheimischer Militärarzt (obwohl er es rein gesetzlich gar nicht gedurft hätte) und rettete mirvielleicht sogar das Leben. Welches Pauschalurteil sollte ich aus <strong>die</strong>sen beiden Ereignissen ziehen?Daß Pakistani <strong>die</strong> besten Menschen der Welt <strong>sind</strong>? Oder daß alle Pakistani Diebe und Gauner <strong>sind</strong>?Beides wäre falsch. Beides ist oberflächlicher Unsinn.„Gut“ und „schlecht“ <strong>sind</strong> immer nur einzelne Menschen. Selbst wenn sie sich <strong>zu</strong> Gemeinschaften<strong>zu</strong>sammenschließen.„Gut“ und „schlecht“ <strong>sind</strong> Völker eigentlich nie so richtig, sie können aber von den maßgeblichenKräften der Gesellschaft („Führer“ oder so ähnlich genannt) in gewisse Richtungen „geführt“werden. Oder gedrängt. Es kann recht schnell geschehen, daß aus „gut“ plötzlich „schlecht“ <strong>wir</strong>d.(Umgekehrt ist es erheblich schwieriger.)Homo sapiens neigt sowieso <strong>zu</strong>m Mißtrauen gegenüber dem Fremden, allein schon aus Gründen der


138Vorsicht und Selbsterhaltung. Da<strong>zu</strong> gesellt sich <strong>noch</strong> ein wesentlicher Faktor, den man„gesellschaftliche Identität“ nennen kann (was immer das auch sei). Weltweit ist es üblich, denNachbarvölkern (<strong>zu</strong>mindest ein bißchen) <strong>zu</strong> mißtrauen, sie mehr oder weniger scherzhaft <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Sch<strong>auf</strong>el <strong>zu</strong> nehmen und Witze <strong>zu</strong> reißen. Wenn das aber ernst genommen <strong>wir</strong>d, dann folgenVerunglimpfung, Herabwürdigung, Verachtung und Haß. Und das ist eben Chauvinismus.Chauvinismus ist XCR.Antisemitismus ist XCR.Auch Anti-Amerikanismus ist XCR. Allerdings nimmt <strong>die</strong>ser ständig <strong>zu</strong>, weil US-amerikanischePolitik und leider auch US-amerikanische Kultur sich im L<strong>auf</strong>e der letzten <strong>Ja</strong>hrzehnte (oder gar<strong>Ja</strong>hre!) etwas unbeliebt gemacht haben. Der „gute (und reiche) Onkel aus Amerika“ <strong>wir</strong>d nicht mehrganz so geliebt und geschätzt wie in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Aber das geht eigentlichder ganzen reich gewordenen Verwandtschaft so. Prinzipiell. Im Großen wie im Kleinen. Mitschulddaran trägt wohl auch eine gewisse Überheblichkeit, <strong>die</strong> sich bei der reich oder mächtig gewordenenVerwandtschaft so einstellt. Niemand mag Überheblichkeit. Das bekommen auch viele Haupt- undGroßstädter <strong>auf</strong> der ganzen Welt <strong>zu</strong> spüren. Niemand mag es, wenn jemand seinen Glauben vom„Besser-Sein“ vor sich herträgt. Zwar schätzt man Geschenke und dergleichen, aber das <strong>wir</strong>d häufigkaputt gemacht durch ein gewisses Gefühl von Minderwertigkeit und Un<strong>zu</strong>länglichkeit, welches oftdurch ein all<strong>zu</strong> offensichtliches Beschenken entsteht. Auch Abhängigkeit mag niemand. Ebensoschätzt es niemand, von oben herab belehrt <strong>zu</strong> werden. Rechthaber mag ja auch keiner.„Uncle Sam“ ist ein großer Rechthaber. Er glaubt doch tatsächlich, daß er das beste aller Systemeentwickelt hat; das beste Wirtschaftssystem, das beste Politsystem, das beste Justizsystem, das besteSystem der Religionsfreiheit und <strong>die</strong> beste Umset<strong>zu</strong>ng von Religion, kurz: das beste System, um dasBeste aus jedem einzelnen Menschen heraus<strong>zu</strong>holen.Naja.Eigentlich <strong>sind</strong> „<strong>die</strong> US-Amerikaner“ (und ebenso auch andere, <strong>die</strong> eine ähnliche Anschauungvertreten) mit <strong>die</strong>ser Auffassung in der Minderheit. Sogar ein Teil der eigenen Bevölkerung istanderer Meinung.Aber <strong>die</strong> USA waren eine Zeitlang sehr erfolgreich, <strong>sind</strong> ziemlich reich und mächtig geworden.Nicht unbedingt jeder <strong>Ein</strong>zelne, aber <strong>die</strong> Gesamtheit, <strong>die</strong> Nation.Erfolg, Reichtum und Macht mögen <strong>die</strong> meisten Menschen allerdings schon, vor allem in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong><strong>die</strong> eigene Person. Deshalb werden Erfolg, Reichtum und Macht auch angestrebt. Die meisten <strong>sind</strong>davon überzeugt, daß Erfolg, Reichtum und Macht sie nicht verändern, nicht korrumpieren würden,daß sie „<strong>die</strong> Gleichen“ bleiben würden. (Naja, eine Minderheit schafft's ja auch.) Sogar <strong>die</strong>Kommunistische Partei Chinas hat unlängst <strong>die</strong> Parole „Reichtum ist ruhmvoll“ herausgegeben.Aber sollte eine kommunistische Partei nicht eher sagen: „Reichtum ist asozial“? (Seltsam ist derL<strong>auf</strong> der Welt!)Aber „schlecht“ oder „böse“ <strong>sind</strong> weder das chinesische <strong>noch</strong> das amerikanische Volk, und genau sowenig das jüdische. Sie <strong>sind</strong> vielmehr so, wie sie erzogen werden. Wie sie sich eigentlich selbsterziehen. Wie das Volk sich erzieht. Wie der <strong>Ein</strong>zelne sich erzieht. (Also erst wieder: <strong>zu</strong> schlechtoder <strong>zu</strong> wenig erzogen?)Der durchschnittliche US-Amerikaner mag manchmal ein bißchen lässig oder sogar überheblichsein, über<strong>die</strong>s etwas ungebildet. (Gerade <strong>die</strong>se Kombination von Überheblichkeit und Unwissenheit(mangelnder Bildung) kann recht penetrant und peinlich sein!) Aber „schlecht“ oder „böse“ <strong>sind</strong>„<strong>die</strong> Amis“ nicht. (Dafür aber so gut wie pleite. Die wehrhaften Anti-Amerikanisten können ihreeher sinnlosen und viel <strong>zu</strong> oft auch unmenschlichen Aktivitäten also ruhig einstellen, Blut und Geldsparen und einfach abwarten, daß <strong>die</strong> USA ihre „leadership“ einbüßen. Und das WIRD passieren.(Daß sich dadurch aber „alles“ <strong>zu</strong>m Besseren wenden <strong>wir</strong>d, das wage ich <strong>zu</strong> bezweifeln. Erstensgibt keiner so gern seine Führungsposition her, und zweitens drängen dann automatisch anderenach, <strong>die</strong> nicht unbedingt „besser“ <strong>sind</strong>.))Ich glaube nicht, daß irgendein Volk besser ist als irgendein anderes.


139Die Existenz eines „auserwählten“ Volkes lehne ich prinzipiell ab.Ich lehne den Gedanken prinzipiell ab, daß sich Gott (oder irgendein Gott) ein ganz bestimmtesVolk für seine „Zwecke“ auserwählt oder auserwählt hat.Ich glaube nicht an auserwählte Völker.Ich glaube nicht an auserwählte Stämme.Ich glaube nicht an auserwählte Sippen.Ich glaube nicht an auserwählte Kasten.Ich glaube nicht an auserwählte Kreise oder Gruppierungen.Ich glaube nicht an auserwählte Familien.Für mich <strong>sind</strong> derlei Anschauungen nur Auswüchse verschiedener Denkweisen des homo sapiens,<strong>die</strong> stark nach Chauvinismus müffeln.Ich habe mich mein ganzes bewußtes Leben lang gegen Antisemitismus gestemmt, und ich machedas auch weiterhin.Sechs Millionen Holocaust-Opfer <strong>sind</strong> nicht <strong>zu</strong> leugnen; es sei denn, man ist extra dämlich odereine besonders xcr Art von AL. Oder es ist politisch opportun.Viele Menschen wissen nicht, daß fast ebenso viele Polen während des Zweiten Weltkriegs umsLeben kamen, nicht etwa während des Polen-Feld<strong>zu</strong>gs, sondern im Zuge der „Sonderbehandlung“für „ostische“ „Untermenschen“. Es scheint aber, als hätten <strong>die</strong>se Toten nicht eine ebenso effektiveErinnerungs-Lobby. (Verzeiht bitte <strong>die</strong>ses Wort, aber ich wüßte nicht, welches „besser“ wäre.) Diekatholische Kirche hätte nach dem Krieg <strong>die</strong>se Aufgabe übernehmen können, war möglicherweiseaber viel <strong>zu</strong> sehr damit beschäftigt, „gut-katholische“ Nazis nach Südamerika <strong>zu</strong> verschiffen oder<strong>die</strong> eigene nicht ganz rühmliche Rolle <strong>zu</strong> tarnen. Seither war es anscheinend nie so richtig politischopportun, tote Polen mit toten Juden gleich<strong>zu</strong>stellen. Nicht einmal ein polnischer Papst konnte <strong>die</strong>s;außerdem war das Feindbild <strong>die</strong>ses Papstes eher Hammer und Sichel.Für mich persönlich ist Genozid Genozid. Es macht dabei wenig Sinn, Völker und Opferzahlengegeneinander <strong>auf</strong><strong>zu</strong>rechnen. Dann müßten eigentlich Indianer im Zentrum der Genozid-Erinnerungstehen; aber <strong>die</strong>se haben eben auch nicht <strong>die</strong> „beste“ Erinnerungslobby, ganz abgesehen von einergewissen Geschichtsdeutung. (Mich würde interessieren, wie viele Holocaust-Gedenkstätten es inden USA gibt, und wie viele Gedenkstätten ebendort sich mit den Völkermorden an Indianern odermit der Sklaverei beschäftigen.)Im 5. Buch Mose <strong>wir</strong>d erwähnt, wie mehrere Völker im Zuge der Eroberung von östlich des Jordangelegenen Gebieten völlig ausra<strong>die</strong>rt wurden; Männer, Frauen, Greise, Kinder; <strong>auf</strong> Befehl <strong>Ja</strong>hwesdurch Mose Mund. Ob man sich heute <strong>noch</strong> mit Stolz daran erinnert?Kritik am Staat Israel war <strong>noch</strong> nie leicht, wenn man kein Araber ist. Man eckt schnell am BegriffAntisemitismus an. Die Karte „Holocaust-Erinnerung“ <strong>wir</strong>d nur all<strong>zu</strong> leicht als Super-Jokergezückt. NOCH sticht <strong>die</strong>ser Joker.Überhaupt ist es sehr schwer, Staat, Volk, Gesellschaft, Tradition, Kultur, Kult und Religion desjüdischen Volkes voneinander <strong>zu</strong> trennen. Da scheitern mitunter sogar Juden; oder sie flüchten ineinen Zweck-Opportunismus. (Ihre Gegner machen es ebenso.)Israel ist ein Nationalstaat mit chauvinistischen Tendenzen, wie viele andere auch. Über<strong>die</strong>s hatIsrael bei seiner Staatsgründung bewußt dar<strong>auf</strong> vergessen, seine Staatsgrenzen <strong>zu</strong> definieren. (AlsVorbild <strong>die</strong>nten übrigens <strong>die</strong> USA.) Das schafft nicht gerade Freunde. Strebt Israel etwa gar einStaatsgebiet wie <strong>zu</strong> Zeiten der Thora oder König Salomons an, vom Grenzbach Ägyptens bis <strong>zu</strong>mEuphrat, mit Gebieten in Jordanien, Syrien und im Libanon? Die Palästinenser-Gebiete imWestjordanland gehören ja sowieso <strong>zu</strong>m Kerngebiet des früheren Königreichs Israel. Kann's dajemals Frieden geben?Um <strong>die</strong> Problematik des Nahost-Problems <strong>auf</strong><strong>zu</strong>zeigen, möchte ich symbolisch den hebräischenVornamen Eli und den arabischen Vornamen Ali verwenden:Eli: Dieses Land gehört UNS !Ali: Dieses Land gehört UNS !


140Eli: Meine Vorfahren haben schon vor dreitausend <strong>Ja</strong>hren hier gelebt!Ali: Meine Vorfahren haben schon vor dreitausend <strong>Ja</strong>hren hier gelebt!Eli: Das ist das Land meiner Väter!Ali: Das ist das Land meiner Väter!Wir sehen also, unterschiedlicher könnten Standpunkte gar nicht sein.Die ganz spezielle Problematik <strong>die</strong>ser Problematik dürfte aber darin bestehen, daß beide SeitenRecht haben. Beide berufen sich <strong>auf</strong> einen gemeinsamen Vorfahren: Abraham, Ibrahim. Die eineSeite sieht sich als Nachkommenschaft seines Sohnes Isaak, <strong>die</strong> andere als Nachkommenschaft vondessen Halbbruder Ismael. Demnach <strong>sind</strong> Juden und Palästinenser Brudervölker. Und solange siesich nicht als solche benehmen, <strong>wir</strong>d es wohl keinen echten Frieden im Nahen Osten geben, sondernbestenfalls einen brüchigen Waffenstillstand.Das ist meine Meinung.Es würde auch nichts bringen, wenn man <strong>die</strong>se Weltregion atomar totbombt. Dann würden sichJuden und Palästinenser eben im Exil gegenseitig <strong>zu</strong> Tode jammern.Noch weniger würde es bringen, wenn man <strong>die</strong> am meisten mit Blut getränkte Stadt der Welt,Jerusalem, in einen kilometertiefen Krater verwandelt. Dann würden sich Juden, Muslime und auchChristen darum streiten, wer nun wann und wie den „Heiligen Krater“ verehren dürfe.Es ist eine Schande, was sich in der „Stadt des Friedens“ und in der Gegend herum abspielt. Aber esist ein ausgezeichneter Beweis dafür, wie verbohrt, engstirnig, engherzig und überaus dämlich homosapiens werden kann, wenn er sich nationalen und religiösen Formen des Chauvinismus ergibt.<strong>Ein</strong>e Lösung des Nahost-Problems sehe ich beim derzeitigen Bewußtseins<strong>zu</strong>stand der beteiligtenParteien nicht. Die oben angedeutete „Endlösung“ IST für mich keine Lösung. Sollte es aberden<strong>noch</strong> da<strong>zu</strong> kommen – wie in all den Armageddon-Prophezeiungen geschildert – dann werden eswohl <strong>die</strong> Vertreter der sogenannten „Hochreligionen“ sein, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses Schlamassel anrichten.Wenn ich jetzt so nebenbei <strong>die</strong> „heiligen“ Krieger von der islamistischen Fraktion oder derchristlichen oder der jüdischen oder sonst einer angesprochen haben sollte, dann stellt sich natürlich<strong>die</strong> Frage: Wird es den „heiligen“ Krieg geben?KANN an Krieg überhaupt irgend etwas „heilig“ sein?„Heilige“ Gewalt?Absurd! Nicht einmal Notwehr kann „heilig“ genannt werden. Auch Gewaltanwendung <strong>zu</strong>rSelbstverteidigung darf nur als bedauerliche Notmaßnahme angesehen werden.Aber für viele Menschen ist der Glaube – genauer: „ihr“ Glaube, der „richtige“ Glaube – wichtigerals Menschlichkeit, Mitgefühl und Toleranz.Wenn eine Kandidatin <strong>zu</strong>r US-Vizepräsidentschaft öffentlich erklären kann, daß sie das militärischeEngagement ihres Landes im Irak als „göttlichen Auftrag“ ansieht, dann müssen <strong>wir</strong> wohl davonausgehen, daß weite Kreise ihrer Mitbürger gleich oder <strong>zu</strong>mindest ähnlich denken und empfinden.Demnach dürfte der „heilige“ Krieg bereits begonnen haben. (Was <strong>wir</strong>d erst geschehen, wenn <strong>die</strong>sder friedliebenden Mehrheit der Muslime erst mal <strong>auf</strong>fällt?) Auch an anderen Orten werden bereits„heilige“ Kriege geführt, <strong>zu</strong>m Beispiel an den Rändern Rußlands. In Bosnien und im Kosovowurden welche so nebenbei geführt (und <strong>sind</strong> wahrscheinlich <strong>noch</strong> gar nicht beendet). Am indischenSubkontinent kann jederzeit einer eskalieren. Auch in Afrika sterben Menschen, weil sie sich <strong>zu</strong>m„falschen“ Glauben bekennen. Und selbstverständlich der ständige Konflikt um das „heilige“ Land(Armageddon wartet) ................................. (?)Es gibt neben den „heiligen“ Kriegern von der islamistischen Fraktion also auch <strong>noch</strong> solche vonder christlich-evangelikalen, der christlich-orthodoxen, der Thora-treuen jüdischen sowieso derHindu-Fraktion. (Falls ich welche vergessen haben sollte, mögen <strong>die</strong>se sich bitte NICHT inErinnerung rufen.)Homo sapiens – Vernichter seiner selbst im „guten“ Glauben?Vielleicht schafft er's. Und dann soll's „gut“ sein.


141Über sämtlichen Werten und Idealen sämtlicher Gesellschaften, Kulturen und Religionen stehenfür mich WÜRDE und MITGEFÜHL.Die sogenannte „westliche“ Welt hat sich in den Begriffen „Menschenrechte“ und vor allem„Freiheit“ verrannt. Sämtliche Menschenrechte <strong>sind</strong> im Begriff Würde enthalten. Was ist „Freiheit“schon wert, wenn sie sich über Würde und Freiheit anderer Menschen hinwegsetzt, <strong>auf</strong> derenKosten durchgesetzt <strong>wir</strong>d, <strong>die</strong>se verletzt? Dann <strong>wir</strong>d „Freiheit“ <strong>zu</strong> Selbstsucht.Verschiedene Religionen haben sich verrannt in Begriffen wie Gottesfurcht, Gottes Wille, GottesPlan, Gottes Auftrag, Gottes Gesetz, Gesetzestreue, Gehorsam und sogar Hingabe und Ergebung.Aber was <strong>sind</strong> all <strong>die</strong>se Begriffe oder Ideale wohl wert, wenn sie sich über Würde und Freiheithinwegsetzen, <strong>auf</strong> deren Kosten durchgesetzt werden, <strong>die</strong>se verletzen? Auch das ist Selbstsucht;Selbstsucht des einzelnen Gläubigen und kollektive Selbstsucht der Gemeinschaft.Nur in Verbindung mit Würde und Mitgefühl können Ideale ver<strong>wir</strong>klicht werden. Wenn überhaupt,denn nur REALISTISCHE Ideale haben eine Chance <strong>auf</strong> Ver<strong>wir</strong>klichung.Ohne Wahrung der Würde aber ist alles eine Farce. Ohne Mitgefühl ist alles eine staubtrockeneWüste mit nahe<strong>zu</strong> roboterartigen Mechanismen.Mangel an Würde und Mitgefühl – DAS kann Sünde genannt werden.Abwesenheit von Würde und Mitgefühl – DAS ist Hölle.Würde und Mitgefühl <strong>sind</strong> nicht gerade prägende Elemente der Weltgeschichte. Leider ist es völligegal, welches <strong>Ja</strong>hrhundert oder <strong>Ja</strong>hrtausend <strong>wir</strong> unter <strong>die</strong> Lupe nehmen.Würdenträger gab es allemal und reichlich. Aber wie viele davon trugen ihre Würde NICHT <strong>auf</strong>Kosten derer, <strong>die</strong> sie selber als Unwürdige und Würdelose ansahen?Noch heute gibt es etliche Weltgegenden, <strong>die</strong> mit Begriffen wie Würde, Menschenwürde oderMenschenrechte nicht viel anfangen können.Fremdsprache. Fremddenken. Fremdfühlen.Ich fühle mich manchmal SEHR fremd in <strong>die</strong>ser Welt.Mitgefühl ist nicht gerade Standard.Sicherlich haben Humanismus, Aufklärung, Demokratie und Wohlstand so manche rauhe Schale deshomo sapiens abgeschlagen; jedenfalls MEHR rauhe Schalen, als <strong>die</strong>s <strong>die</strong> unterschiedlichenReligionen im L<strong>auf</strong>e der Zeit vermochten.Wie rauh und roh ist homo sapiens eigentlich heute <strong>noch</strong>, vor allem, wenn's eng <strong>wir</strong>d?Leider sehe ich da nur wenig Grund <strong>zu</strong>r Freude.Aber früher muß es <strong>noch</strong> VIEL schlimmer gewesen sein.Homo sapiens. Rauh und roh. Homo tatar, kaum gewürzt, ohne Senf, ohne Sauce, ohne Konfitüre.Und das „ganz normal“.Nur gelegentliche kulturelle Lichtblicke. Frieden, Wohlstand. Keine wesentlichen gesellschaftlichenUnterschiede.Überhaupt müssen <strong>wir</strong> leider feststellen, daß <strong>die</strong>se Lichtblick-Perioden immer örtlich und zeitlichbegrenzt waren. Sehr begrenzt.Da haben wohl <strong>die</strong> Würdenträger versagt, <strong>die</strong> weltlichen und <strong>die</strong> geistlichen.Oder KANN man homo sapiens gar nicht <strong>wir</strong>klich zivilisieren und kultivieren?Ist homo sapiens etwa <strong>noch</strong> immer rauh, roh, engstirnig und selbstsüchtig und nur äußerst bedingtein soziales Wesen? Liegt es etwa in der Natur des Menschen, daß er immer wieder <strong>die</strong>seLichtblick-Perioden selber zerstört?


142Aber seien <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>mindest mit unseren Uralt-Vorfahren, den bronze- und eisenzeitlichenAngstschweißgläubigen, nicht all<strong>zu</strong> streng und kritisch.Erlaubt mir ein paar Bemerkungen <strong>zu</strong>m Thema „Gottesbild“.Ich wiederhole vorerst, welche Glaubensinhalte man in der Thora NICHT findet: <strong>die</strong> Existenz einerSeele; ein Jenseits; Himmel und Hölle; Wiedergeburt; ewiges Leben; eine Auferstehung von denToten; einen Messias; ein Königreich Gottes im Himmel; ein Königreich Gottes <strong>auf</strong> Erden; eineEndzeit; ein Jüngstes Gericht; einen formlosen Gott; Transzendenz. All <strong>die</strong>se Ideen hat dasJudentum – <strong>zu</strong>mindest in Ansätzen, was <strong>die</strong> Idee der Wiedergeburt anbelangt – erst NACH derVerfassung der Thora entwickelt.Durch <strong>die</strong>se neuen Ideen (oder Erkenntnisse) hat sich nicht nur der religiöse Kult des Judentumsverändert, sondern selbstverständlich auch das Bild, das man sich von JHWH machte. Er ist etwasmilder, sanfter, verständnisvoller, gütiger geworden, und in der Diaspora (im Wesentlichen der Zeitdes Exils ab dem 2. <strong>Ja</strong>hrhundert, für manche ab dem <strong>Ja</strong>hr 70) hat er weiter an Grimmigkeit undBlutrünstigkeit eingebüßt.Die bemerkenswertesten Ideen (oder Erkenntnisse) des Judentums <strong>sind</strong> zweifellos „Transzendenz“und „Formlosigkeit“ Gottes.„Transzendenz“ bedeutet: über alles hinausgehend, was man so allgemein kennt. Da sträubt sicheigentlich das Hirn; <strong>die</strong>se Idee ist eigentlich unfaßbar.Die Idee der Formlosigkeit stieß in sämtlichen benachbarten Kulturen <strong>auf</strong> völliges Unverständnis.Diese Idee überstieg einfach <strong>die</strong> Vorstellungskraft der Menschen im damaligen Nahen und MittlerenOsten oder im Mittelmeerraum. (<strong>Ein</strong> paar tausend Kilometer weiter im Osten sah es schon ganzanders aus.)Über Formlosigkeit kann man aus begreiflichen Gründen wenig sagen. (Begreiflich ist gut – nein:voll witzig! Das lasse ich stehen!) <strong>Ein</strong>en Begriff jedoch kann man mit Formlosigkeit jederzeit inVerbindung bringen: Grenzenlosigkeit. Keine Grenze, keine Begren<strong>zu</strong>ng, keine Abgren<strong>zu</strong>ng.Aber gerade Abgren<strong>zu</strong>ng ist ein Grundmerkmal des Individuums, der Persönlichkeit, der Person.Ich bin ganz klar von dem Hocker, <strong>auf</strong> dem ich sitze, abgegrenzt. Ebenso von meinem Computer,meinem Pullover, meiner Schwester, meiner Tochter, meinem Sohn, meinen Freunden, von dir undvon allem, was nicht „Ich“ ist.Mit JHWH ist es ebenso. Er ist ganz klar von seiner Schöpfung abgegrenzt und verschieden. Er istder Schöpfergott, aber nicht seine Schöpfung. Er ist eindeutig Person, er ist ein persönlicher Gott.Nirgendwo sagt er, daß er ALLES wäre oder mit seiner Schöpfung identisch. Nein, er ist ganz klarvon seiner gesamten Schöpfung verschieden und abgegrenzt.Die Grenzenlosigkeit einer Formlosigkeit und <strong>die</strong> Abgren<strong>zu</strong>ng einer Person <strong>sind</strong> jedoch einWiderspruch sondergleichen. Formlosigkeit und Persönlichkeit GLEICHZEITIG <strong>sind</strong> nichtmöglich. Das geht einfach nicht, weil es sich widerspricht. <strong>Ein</strong>e formlose Person KANN es niemalsgeben.Nicht jedoch in den monotheistischen Religionen.Auch wenn niemand <strong>die</strong> Formlosigkeit Gottes verstehen oder erklären kann (weil's ja einWiderspruch an sich ist), GLAUBEN muß der Gläubige daran trotzdem. Die Existenz einesformlosen persönlichen Gottes ist <strong>die</strong> Basis von Judentum, Christentum und Islam. Damit ist <strong>die</strong>Anschauung von einem formlosen persönlichen Gott lediglich ein DOGMA, an das man glaubenmuß, auch wenn's <strong>noch</strong> so widersprüchlich, unlogisch und hirnrissig ist.An sich ist <strong>die</strong> Idee von einer formlosen Transzendenz ja etwas Erstaunliches und Wunderbares.Leider waren aber jene hebräischen Denker oder Mystiker, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Idee gekommen <strong>sind</strong>,unfähig, <strong>die</strong>se Idee konsequent weiter<strong>zu</strong>führen. Dann wären sie nämlich <strong>auf</strong>grund der Formlosigkeitzwängsläufig im unpersönlichen Monismus gelandet. Dann hätten sie sich jedoch von ihremStammesgott JHWH und dem speziellen Bündnis mit ihm verabschieden müssen. Und das wagteniemand. Aber falls es doch jemand gewagt haben sollte, dann dürften ihn seine Stammesgenossen


143wohl ganz schnell hinweggesteinigt haben.Vielleicht hätte das Judentum damals mehr werden können als eine sektiererische Stammesreligionmit stark chauvinistischen Grundzügen.(Und Christentum und Islam haben <strong>die</strong> absurde Idee von einer formlosen Person übernommen, undchauvinistische Grundzüge ebenso! Tragisch irgendwie.)Als Person hat Gott in den monotheistischen Religionen trotz Formlosigkeit gewisse Eigenschaftenund Charakterzüge, meistgenannt <strong>sind</strong> Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.<strong>Ja</strong> hat denn <strong>noch</strong> niemand bemerkt, daß Gerechtigkeit und Barmherzigkeit einander widersprechen,sich sogar gegenseitig ausschließen?Gerechtigkeit bedeutet: Gleiches in gleichem Maß bewerten; Ausnahmen gibt es nicht; keineBevor<strong>zu</strong>gung; keine Gnade.Barmherzigkeit jedoch ist der Verzicht <strong>auf</strong> Gerechtigkeit. Gnade vor Recht.Ich kann mir nur schwer vorstellen, daß vor mir <strong>noch</strong> niemand <strong>die</strong>se einfachen Gedankengängegetätigt hat.Oder waren vielleicht erneut Steine und Feuer „nötig“, um derartige Gedanken los<strong>zu</strong>werden?Bei genauerer Betrachtung bedeuten Gerechtigkeit und Barmherzigkeit in den monotheistischenReligionen Folgendes:Gerechtigkeit für <strong>die</strong> Gläubigen („uns“) in Form von Belohnung (Himmel).Gerechtigkeit für <strong>die</strong> Ungläubigen in Form von Bestrafung (Hölle).Barmherzigkeit für jene Ungläubigen, <strong>die</strong> sich <strong>noch</strong> rechtzeitig bekehren.Gerechtigkeit für jene Ungläubigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Zeitpunkt verpassen.Und Barmherzigkeit für „uns“ hinsichtlich unserer kleinen Verfehlungen.Zusammenfassend nenne ich das opportunistisches Geschwafel.(Aber typisch homo sapiens!)


144Niemand <strong>wir</strong>d verneinen, daß sich das Gottesbild im L<strong>auf</strong>e der <strong>Ja</strong>hrhunderte und <strong>Ja</strong>hrtausendeverändert hat.Oder hat sich etwa Gott selbst in der Zwischenzeit verändert? Ist ER etwa „anders“ geworden?Dieser Gedanke muß wohl abgelehnt werden, schließlich gilt Gott ja als unwandelbar. Demnachkann sich nur das Bild verändert haben, das sich der Mensch von Gott macht oder gemacht hat.Aus theologischer Sicht <strong>wir</strong>d gesagt, daß sich Gott einmal mehr und einmal weniger offenbart, oderdaß der Mensch einmal mehr und einmal weniger fähig ist, das Wesen Gottes <strong>zu</strong> verstehen. Aber dasist wohl nur das übliche Gesülze des theologischen Opportunismus, fern jeder Beweisbarkeit. Ichbetrachte Theologie keinesfalls als seriöse Wissenschaft; sie agiert vielmehr in einem weitgehendlogikfreien und unwissenschaftlichen Raum, in welchem <strong>die</strong> jeweiligen (<strong>zu</strong>meist unbeweisbaren)Glaubensinhalte <strong>zu</strong> Fixpunkten einer „eigenen“ Logik werden und dementsprechend gedeutet,erklärt und „bewiesen“ werden. Theologie beschäftigt sich eben mit Glauben – und weniger mitWissen. (Häufig <strong>die</strong>nt <strong>die</strong> Beschäftigung mit Wissen sogar nur da<strong>zu</strong>, Glauben <strong>zu</strong> rechtfertigen; undnur viel <strong>zu</strong> oft <strong>wir</strong>d Wissen abgelehnt und bekämpft, wenn es <strong>die</strong>sem Glauben <strong>zu</strong>widerläuft.)Theologie dürfte wohl nie <strong>zu</strong> einem umfassenden Religionsfrieden führen.Da also Gott unwandelbar ist, kann sich nur das Gottesbild verändert haben. Und <strong>die</strong>ses ist undbleibt eben ein Werk des Menschen. Deshalb ist <strong>die</strong> Aussage, der Mensch hätte Gott „erschaffen“,nicht hundertprozentig aus der Welt <strong>zu</strong> schaffen. (Aber genauso wenig kann <strong>die</strong> Aussage, daß einGott <strong>die</strong> letztliche Ursache von ALLEM sei, aus der Welt geschafft werden. Beides ist – leider(beziehungsweise „Gott sei Dank“) – unbeweisbar.)Allein schon das Wort „Gottesbild“ spricht schon Bände: Gottes Bild, Bild Gottes. Gerade DAS istes ja, was <strong>die</strong> monotheistischen Religion ablehnen und verbieten!„Du sollst dir kein Bildnis machen!“AUCH NICHT IM KOPF, liebe Leute!<strong>Ein</strong> solches Bild ist lediglich eine Vorstellung, eine Idee; sie KANN <strong>zu</strong>treffen, muß es aber nicht.Jede Eigenschaft Gottes, <strong>die</strong> man ihm <strong>zu</strong>billigt, trifft unter Umständen NICHT <strong>zu</strong>.Über Transzendenz kann eben nichts ausgesagt werden, nur indirekt, indem man beschreibt, was sieNICHT ist. Deshalb <strong>sind</strong> Aussagen, wie Gott ist oder nicht ist, <strong>zu</strong>mindest fragwürdig. Auf <strong>die</strong>serEbene können sich religiöser oder theologischer Opportunismus hervorragend austoben.Die Formlosigkeit Gottes ist der Thora fremd. Moses <strong>zu</strong>m Beispiel hat <strong>Ja</strong>hwe mehrmals „vonAngesicht <strong>zu</strong> Angesicht“ gesehen. Im zweiten Buch Mose ist von Gottes „Angesicht“ und sogar vondessen „Rücken“ <strong>die</strong> Rede (Exodus, Kapitel 33, 18-23). Noch heute <strong>wir</strong>d von „Gottes Auge“ oderGottes Hand“ gesprochen. Selbst das gesetzestreue Judentum scheut sich nicht, <strong>die</strong> „Hand Gottes“„symbolisch“ (???) dar<strong>zu</strong>stellen.Aber so ist homo sapiens nun mal: schwach und in seinem Opportunismus nicht <strong>zu</strong> bremsen. ErBRAUCHT anscheinend etwas „halbwegs“ Greifbares; und wenn's „nur“ ein „Gottesbild“ ist. MitTranszendenz aber hat ein solches wohl wenig bis gar nichts <strong>zu</strong> tun.Du sollst dir kein Bildnis machen. Auch kein Bild in deinem Kopf. Keine Vorstellung.Dies ist den meisten Menschen offensichtlich nicht möglich. Offenbar geraten sie ohne Gottesbilderund Vorstellungswelten erheblich ins Torkeln.Im Zusammenhang mit dem Begriff „Gottesbild“ möchte ich <strong>noch</strong> drei Verse aus dem Schriftgut derJuden (und der Christen) NACH der Thora zitieren:Im 11. Vers des 15. Kapitels des 1. Buches Samuel lesen <strong>wir</strong>, daß Gott wie folgt <strong>zu</strong> Samuel spricht:„Es reut mich, daß ich Saul <strong>zu</strong>m König gemacht habe.“In Vers 29 des selben Kapitels allerdings heißt es über Gott: „Er, der ewige Ruhm Israels, kannweder lügen <strong>noch</strong> bereuen. Er ist doch kein Mensch, sodaß er etwas bereuen müßte.“Und im abschließenden Vers 35 heißt es wiederum: „Samuel trauerte um Saul, weil es den Herrnreute, daß er Saul <strong>zu</strong>m König über Israel gemacht hatte.“Also was nun? Reute es ihn, kann es ihn gar nicht reuen, oder reute es ihn?


145Samuel hat sich – quasi mit Zweidrittelmehrheit – Samuel-intern dafür ausgesprochen, daß es ihnreute.Bereuen aber kann man nur einen Fehler. Wenn es Gott reute, dann gibt er damit <strong>zu</strong>, daß er mit derBestellung Sauls einen Fehler gemacht hat; daß er <strong>die</strong> Folgen <strong>die</strong>ses Fehlers nicht vorhergesehenhat. Damit können <strong>wir</strong> uns allerdings <strong>die</strong> göttlichen Eigenschaften „Allmacht“ und „Allwissen“abschminken.Wenn es ihn jedoch NICHT reute beziehungsweise reuen konnte, dann respektiert Gott <strong>die</strong>Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit seines Dieners Saul; dann war einfach kein Besserer oderFähigerer greifbar. Dann erklärt sich Gott aber ebenso einverstanden mit all dem, was sich aus SaulsFehlerhaftigkeit ergibt. Damit purzeln nun AUCH wieder Begriffe wie „Allmacht“ und „GottesPlan“. Und kann Gott überhaupt <strong>die</strong> Fehlerhaftigkeit eines einzelnen Menschen akzeptieren odertolerieren, ohne <strong>die</strong>s auch bei den anderen <strong>zu</strong> tun? <strong>Ja</strong> müßte er sich demgemäß nicht mit ALLEMeinverstanden erklären, was sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ser Welt tut? Und wäre das nicht schlichtweg <strong>die</strong>Bankrotterklärung des Monotheismus?<strong>Ein</strong> berühmtes Shakespeare-Zitat lautet: „Der Rest ist Schweigen.“ Ach wenn's bloß so wäre! Aberleider ist der „Rest“ religiöser Opportunismus, der durch theologischen Opportunismus bestärkt,erklärt und gerechtfertigt <strong>wir</strong>d.Aber so ist homo sapiens nun mal ..................Innerhalb der Religionsgemeinschaften, <strong>die</strong> an einen persönlichen Gott glauben, hört man allerorts<strong>die</strong> Feststellung: „Gott ist (so und so)“.All <strong>die</strong>se Behauptungen können stimmen – oder auch nicht. Transzendenz läßt sich nicht definieren.Ich könnte jederzeit hergehen und <strong>die</strong> Behauptung <strong>auf</strong>stellen, Gott sei ein dunkelblau-rosa karierterBilby (Kaninchennasenbeutler; wissenschaftlicher Name: macrotis; ausschließlich in Australienan<strong>zu</strong>treffen). Selbstverständlich könnte ich niemals BEWEISEN, daß Gott ein dunkelblau-rosakarierter Bilby ist, aber es könnte auch niemand beweisen, daß er es NICHT ist. Und selbst derallergrößte, allereifrigste, allerstrengste und allerengstirnigste Fundamentalist dürfte nie bezweifeln,daß Gott ein dunkelblau-rosa karierter Bilby SEIN KÖNNTE, denn Gott ist ja allmächtig und kanndementsprechend auch alles tun, was er will. (Und wohl auch alles sein. Oder?)


146<strong>Ein</strong>en speziellen Themenbereich möchte ich gesondert hervorheben: <strong>die</strong> Existenz nach dem Tod.Da gibt's nämlich völlig unterschiedliche Anschauungen. Aber eben<strong>die</strong>ser spezielle Themenbereichbeinhaltet eine Menge jener Glaubensinhalte, welche <strong>wir</strong> in der Thora <strong>noch</strong> nicht vorfinden, abersehr wohl in der jüdischen Glaubenswelt zwischen Thora und Christi Geburt sowie in dermonotheistischen Glaubenswelt insgesamt. Ich wiederhole wieder mal, worum es da so geht: <strong>die</strong>Existenz einer Seele; ein Jenseits; Himmel und Hölle; Wiedergeburt; ewiges Leben; eineAuferstehung von den Toten; einen Messias; ein Königreich Gottes im Himmel; ein KönigreichGottes <strong>auf</strong> Erden; eine Endzeit; ein Jüngstes Gericht. Gemeinsam haben <strong>die</strong>se Anschauungen(indirekt sogar <strong>die</strong> von der Existenz der Seele), daß sie allesamt nicht <strong>die</strong> Gegenwart betreffen,sondern <strong>die</strong> Zukunft. (Oder eine mögliche Zukunft.)Wenn <strong>die</strong> modernen Wissenschaften Neuro-Biologie und Neuro-Psychologie Recht haben (oderRecht haben sollten), dann verlischt mit dem allerletzten Bzzzz oder Blubb-Blubb unseres Gehirnsauch unsere Ich-bezogene Existenz. Kein Ich mehr. Keine Seele. Kein Bewußtsein. Schluß, aus,fertig! Pffffttt! <strong>Ein</strong> Ethiker kann mit <strong>die</strong>ser Vorstellung recht gut leben, ein Moralist schon weitweniger, ein Gläubiger gar nicht. (Rein persönlich unterstütze ich <strong>die</strong>se Theorie ja nicht. Da müßteich nämlich einige Erfahrungen <strong>zu</strong> schweren Halluzinationen degra<strong>die</strong>ren, mitunter sogar ALLESfür <strong>Ein</strong>bildung erklären ............. – Hmm – aber lachen würde ich trotzdem, wenn's so wäre; dasheißt: Ich könnte dann ja gar nicht mehr lachen, weil's mich dann nicht mehr gibt; also muß ichwohl jetzt schon darüber lachen, vorsorglich so<strong>zu</strong>sagen. Fürchten braucht sich jedenfalls niemand.Wieso sollte man sich fürchten, wenn's einen dann nicht mehr gibt? Und vor allem: Wovor? Oderwofür?)Das einzige vernünftige und halbwegs nachvollziehbare Konzept für ein Leben nach dem Tod heißtfür mich Wiedergeburt. (So ganz perfekt erscheint mir <strong>die</strong>ses Konzept allerdings auch nicht.)Die animistische Anschauung, wonach <strong>die</strong> Seele nach dem Tod „irgendwie“ und „irgendwo“ in <strong>die</strong>uns umgebende Natur eintritt, kann ich auch <strong>noch</strong> „irgendwie“ nachvollziehen. Gewissermaßen istdas eine Art „Wiedergeburt light“.Alle übrigen Theorien und Konzepte lehne ich als abergläubisch oder als völlig spekulativ ab.Mit <strong>die</strong>ser Aussage greife ich zwar etwas vor, indem ich jetzt schon <strong>zu</strong>m Ausdruck bringe, daß ichvon den Verheißungen und Zukunfts-Anschauungen der drei großen monotheistischen Religionennicht viel halte, aber das <strong>wir</strong>d euch hoffentlich weder stören <strong>noch</strong> wundern.Laßt uns einen Blick werfen <strong>auf</strong> zwei grundsätzliche und wesentliche Begriffe: Seele und Zeit.Die einzige Weltreligion, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Existenz einer ewigen, unveränderlichen und unverletzlichen Seeleleugnet, ist der Buddhismus.Ich schließe mich <strong>die</strong>ser Anschauung uneingeschränkt an. Ich spreche lieber von Bewußtsein. DieExistenz von Bewußtsein ist ganz leicht fest<strong>zu</strong>stellen, hingegen ist und war <strong>die</strong> Annahme einerewigen Seele immer nur Hypothese oder Glaubensinhalt. Bis heute hat <strong>die</strong> Suche nach einer Seelekein einziges konkretes Suchergebnis hervorgebracht.Der deutschsprachige Begriff „Seele“ ist als Begriff der Psychologie nachvollziehbar; er bezeichnet<strong>die</strong> Welt der Gefühle, <strong>die</strong> Welt des Unbewußten, des Unterbewußten, möglicherweise sogar eineskollektiven Überwußten.Der englischsprachige Begriff „soul“ ist als musikalischer Begriff ebenfalls leicht nachvollziehbar.Der theologische Begriff „Seele“ jedoch ist durch nichts beweisbar; er bleibt Hypothese undGlaubensinhalt – letztendlich ein Dogma.Nach buddhistischer Lehrmeinung ist der Glaube an ein beharrendes Ich in Form einerunveränderlichen Seele einer der größten Irrtümer des Menschen, und ein Festhalten an <strong>die</strong>semIrrtum eines der größten Hindernisse <strong>auf</strong> dem Weg <strong>zu</strong> Erleuchtung und Befreiung. (Daß <strong>die</strong>monotheistischen Religionen dem Menschen <strong>die</strong> Fähigkeit <strong>zu</strong> Erleuchtung und Befreiung auseigenen Kräften prinzipiell absprechen, weil nur Gott allein <strong>die</strong>s vermag, ist ein anderes Kapitel; einunseliges und unsinniges, <strong>auf</strong> das ich gar nicht näher eingehen will.)


147Es ist völlig verständlich, daß sich der durchschnittliche homo sapiens nicht so leicht mit dem Tod,insbesondere dem eigenen, abfinden kann und abfinden will. Der Ausruf „Ich will nicht sterben!“sollte eigentlich „Ich will nicht nicht-sein!“ lauten. Die Angst vor dem Nicht-Sein ist mit Sicherheit<strong>die</strong> am weitesten verbreitete, und sie entspricht voll und ganz dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb.Viele Menschen glauben, in der Angst vor dem Tod <strong>die</strong> ultimative, <strong>die</strong> Ur-Angst <strong>zu</strong> sehen. Ichpersönlich sehe das etwas anders; ich glaube, <strong>die</strong> ultimative Angst, <strong>die</strong> wesentlichste Angst ist <strong>die</strong>Angst vor Kontrollverlust; prinzipiell. Mit Sicherheit ist der Tod eine sehr eindringliche Form vonKontrollverlust.Überhaupt ist das Bedürfnis nach Kontrolle in meinen Augen eines der Hauptprobleme des homosapiens, denn im Zustand der Kontrolle <strong>sind</strong> Zustände wie Harmonie oder Hingabe wohl nur sehreingeschränkt möglich (wenn überhaupt).Die Angst vor dem Tod ist und war dermaßen groß, daß der Mensch zwangsläufig das Bedürfnisnach einem langen Leben und letztendlich sogar nach Unsterblichkeit entwickelt hat.Der Begriff „anti-aging“ bezeichnet recht deutlich den großen Horror des Menschen vor Alterungund Tod und huldigt so nebenbei einem irrealen Jugendlichkeits-Wahn. Geistig gesund kann daswohl nicht so ganz sein.Ist der Glauben an <strong>die</strong> Unsterblichkeit, in welcher Form auch immer, nur eine angstneurotischeWunschvorstellung?<strong>Ein</strong>e körperliche Unsterblichkeit ist aus physikalischen Gründen unmöglich. Diese Idealvorstellungist völlig irreal; sie gehört ins Land der Alchemisten und der Träumer. Am Ende des Universumszerflattern selbst allereinfachste Atome in sub-atomare Teilchen, <strong>die</strong>se in Energie, <strong>die</strong>se wiederumin das Große Fragezeichen.Ach wär' das schön, wenn <strong>die</strong> Physik endlich an Anfang und Ende des Universums „schauen“könnte!Bei der Betrachtung des Sternenhimmels hat man bemerkt, daß sich das Licht fast aller <strong>zu</strong>beobachtenden Objekte in den Rot-Bereich verschiebt, daß sich also (siehe Doppler-Effekt) <strong>wir</strong> (<strong>die</strong>Beobachter) und das jeweilige beobachtete Objekt voneinander entfernen. Das Universum dehntsich also aus; und zwar nicht etwa immer langsamer, sondern immer schneller. (Dies sorgt <strong>noch</strong>immer für jede Menge Grübelei.) Und da es sich ausdehnt, war es früher kleiner.Je weiter ein beobachtetes Objekt entfernt ist, desto länger braucht das Licht, um <strong>zu</strong> uns <strong>zu</strong>gelangen. Wir sehen also immer nur <strong>die</strong> Vergangenheit von Sternen und Galaxien.Ungefähr 14 Milliarden <strong>Ja</strong>hre kann man in <strong>die</strong>se Vergangenheit <strong>zu</strong>rückblicken, dann verhindert <strong>die</strong>sogenannte Hintergrundstrahlung jede weitere Beobachtung. Aber man kann denken, rechnen undim Labor experimentieren. (Der Physik sei Dank!)Nur <strong>noch</strong> 380 000 <strong>Ja</strong>hre <strong>zu</strong>rück in <strong>die</strong> Vergangenheit, <strong>zu</strong>rück bis <strong>zu</strong>m Urknall.Wer aber glaubt, daß man exakt bis <strong>zu</strong>m Urknall <strong>zu</strong>rückrechnen kann, der irrt. Man gelangt nur <strong>zu</strong>einem Zeitpunkt knapp NACH dem Urknall.5,39124 x 10 -44 Sekunden.0,0000000000000000000000000000000000000000000539124 Sekunden.„Damals“ war das Universum 1,616252 x 10 -33 Zentimeter groß.Seine Masse betrug 2,17644 x 10 -8 Kilogramm.Seine Dichte war 10 93 mal so groß wie <strong>die</strong> Dichte von Wasserstoff.Seine Temperatur betrug 1,416785 x 10 32 Kelvin.DAS ist <strong>die</strong> sogenannte Planck-Welt. Planck-Länge, Planck-Zeit, Planck-Masse, Planck-Dichte,Planck-Temperatur. (Das Universum war also – so<strong>zu</strong>sagen knapp nach dem Urknall – unvorstellbarklein, unvorstellbar dicht und unvorstellbar heiß.)Dies alles kann man berechnen dank der Erkenntnisse der Physik. Näher als bis <strong>zu</strong>r Planck-Welt, <strong>zu</strong><strong>die</strong>sem „Punkt <strong>Ein</strong>s“ oder „Zeitpunkt <strong>Ein</strong>s“ kommen <strong>wir</strong> in der Betrachtung der Vergangenheit nichtheran. Zumindest derzeit nicht. Der minimale „Zeit“-„Raum“ zwischen <strong>die</strong>sem „Zeit“-„Punkt“ derPlanckwelt und dem eigentlichen „Zeit“-„Punkt“ des Urknalls (so<strong>zu</strong>sagen dem „Punkt Null“)


148verschließt sich uns. Darüber können <strong>wir</strong> rein gar nichts aussagen.Sehr wohl aber können <strong>wir</strong> das über <strong>die</strong>sen „Punkt Null“ des Urknalls, nämlich INDIREKT. Wirkönnen sehr präzise sagen, was es „dort“ NICHT gibt: „Dort“ kann es keinerlei Materie, keinerleiEnergie, keinerlei Wechsel<strong>wir</strong>kung, ja nicht einmal Zeit oder Raum geben.Nichts. Oder vielleicht <strong>noch</strong> besser: Nicht-Irgendetwas.Interessant, daß über den Urknall genau so viel oder genau so wenig ausgesagt werden kann wieüber <strong>die</strong> Begriffe Transzendenz, brahman, Tao, Nirvana oder den „<strong>Ein</strong>en Gott“ im Sinne desAlexandriners Philo.Interessant –Erlaubt mir einen kleinen Abstecher in <strong>die</strong> Geometrie:EINS – der Punkt – <strong>die</strong> 1. Dimension. – Der Punkt besitzt keinerlei Ausdehnung; er besitzt keineGröße. Er ist auch an keinem definierbaren Ort. Er IST einfach. Darstellbar <strong>wir</strong>d er aber erst in der3. Dimension, dem Raum. Er ist eine reine Idee.ZWEI – <strong>die</strong> Linie beziehungsweise <strong>die</strong> Ebene – <strong>die</strong> 2. Dimension. – Länge plus Breite; hier gibt'sbereits Ausdehnung. Wenn man so<strong>zu</strong>sagen von der Seite dr<strong>auf</strong>schaut, ist es eine Linie, ansonsteneine Ebene (oder Fläche). Darstellbar <strong>sind</strong> beide erst in der 3. Dimension. Auch sie <strong>sind</strong> reine Ideen.DREI – der Raum – <strong>die</strong> 3. Dimension. – Länge, Breite, Höhe (oder Tiefe); genannt: Raum. Hiergibt's RICHTIG Ausdehnung, und zwar in alle Richtungen. Erst im Raum ist <strong>die</strong> Darstellungjeglicher Form möglich, werden Punkt, Linie und Ebene darstellbar; es ist nämlich nicht möglich,etwas dar<strong>zu</strong>stellen, wenn Länge oder Breite oder Höhe (Tiefe) den Wert Null <strong>auf</strong>weisen. Malt maleinen kleinen Punkt <strong>auf</strong> ein Papier, legt es unter ein Elektronenmikroskop – ihr werdet eineGebirgskette erblicken. Das gilt selbstverständlich auch für Linien. Außerdem besitzt das BlattPapier eine ganz bestimmte Dicke, das heißt Höhe; einen Werkstoff mit der Dicke (Höhe) Null gibtes nicht. Deshalb <strong>sind</strong> Punkt, Linie und Fläche erst im Raum darstellbar.Und auch Raum ist eine reine Idee. Es kann eine Fülle von Formen vorhanden sein, aber esgeschieht – NICHTS . Es gibt keinerlei Bewegung, keinerlei Wechsel<strong>wir</strong>kung; nicht einmal einenBeobachter, denn Beobachtung ist Wechsel<strong>wir</strong>kung. Diesen Raum kannst du dir nur DENKEN, dubenötigst den Faktor Zeit, um ihn auch <strong>zu</strong> „sehen“.So leicht ist es, rein gedanklich-philosophisch „Zeit“ als 4. Dimension <strong>zu</strong> beweisen, und daß Raumund Zeit untrennbar miteinander verknüpft <strong>sind</strong>. Albert <strong>Ein</strong>stein hat <strong>die</strong> gegenseitige Abhängigkeitvon Raum und Zeit wissenschaftlich bewiesen, und niemand kann <strong>die</strong>se Erkenntnis entkräften.Deshalb:VIER – <strong>die</strong> Zeit – <strong>die</strong> 4. Dimension. (Und vergeßt nicht, daß es über<strong>die</strong>s <strong>noch</strong> mindestens siebenweitere Dimensionen geben muß!) Aber ohne Raum ist auch <strong>die</strong> Zeit eine reine Idee.Selbstverständlich ist Zeit keine geometrische Größe; aber ohne sie geht eben nichts.Bis heute ist „Zeit“ ein ungeklärtes Phänomen. Gibt es einen Zeit-„Fluß“? Oder ist Zeit eineAufeinanderfolge von Zeit-„Punkten“ mit Zwischenraum zwischen dem einen Moment und demanderen? Oder .............In sämtlichen Religionen <strong>wir</strong>d Zeit als ewig bezeichnet. Der Buddhismus empfiehlt, über <strong>die</strong>Unendlichkeit von Zeit und Raum gar nicht einmal nach<strong>zu</strong>denken. Der Hinduismus nennt Zeit zwarewig, weist allerdings dar<strong>auf</strong> hin, daß Zeit nur dann vorhanden ist, wenn auch das Universummanifestiert ist. Ohne Raum auch keine Zeit. (<strong>Ein</strong>e erstaunliche Erkenntnis, <strong>die</strong> in Europa erst im20. <strong>Ja</strong>hrhundert wissenschaftlich bestätigt wurde.)Die abrahamitisch-monotheistische Sicht der Zeit ist eine völlig andere. Anfang und Ende.Erschaffung der Welt und Jüngstes Gericht. Und dazwischen dümpelt <strong>die</strong> Zeit gleichmäßig dahin.Aber Zeit ist eben NICHT linear und regelmäßig.Mittlerweile ist <strong>die</strong>se Auffassung wissenschaftlich widerlegt; falsch war sie demnach schon immer.Hochinteressant aber ist <strong>die</strong> Betrachtung der „Zeit“ VOR der Erschaffung der Welt und der „Zeit“NACH dem Jüngsten Tag.


149In der abrahamitisch-monotheistischen Sichtweise existiert VOR der Erschaffung der Welt NURGott. Der Ewige. Der Ungeborene. Der aus sich selbst Seiende.Schon allein <strong>die</strong> Annahme, daß <strong>die</strong> Engel ZEITGLEICH mit Gott VOR der Erschaffung der Weltexistiert haben könnten, ist reine Spekulation.Welche „Zeit“ soll es eigentlich gegeben haben – VOR der „Erschaffung“ von Raum und Zeit? Oderwelchen „Raum“ soll es gegeben haben?Laut Quantenphysik existieren <strong>zu</strong>mindest sieben weitere Dimensionen neben (über? unter?) Raumund Zeit; allerdings besitzt <strong>die</strong> moderne Wissenschaft derzeit <strong>noch</strong> keine Möglichkeit, in <strong>die</strong>se <strong>auf</strong>wissenschaftliche Weise „hinein<strong>zu</strong>schauen“; man kann lediglich spekulieren und theoretisieren.Jedenfalls müssen <strong>wir</strong> davon ausgehen, daß auch in <strong>die</strong>sen sieben Dimensionen Zeit und Raumvorhanden <strong>sind</strong>, denn ohne <strong>die</strong>se kann es keinerlei Wechsel<strong>wir</strong>kung geben, selbstverständlich auchkeinerlei Form.Die Existenz einer formlosen Wesenheit innerhalb <strong>die</strong>ser elf Dimensionen ist unmöglich. <strong>Ein</strong>eWesenheit jenseits von Raum und Zeit kann es nur „jenseits“ <strong>die</strong>ser elf Dimensionen geben. <strong>Ein</strong>ederartige Dimension können <strong>wir</strong> uns nicht einmal vorstellen; unser Vorstellungsvermögen ist leiderabhängig davon, was <strong>wir</strong> als VERGLEICHSWERTE heranziehen können; <strong>die</strong>se Vergleichswerte<strong>sind</strong> allemal konkret – oder eine reine Idee, ein Ideal. Idealvorstellungen aber gehen allesamt voneinem unveränderlichen Zustand aus, und ein solcher ist in einer Welt der Wechsel<strong>wir</strong>kungen ebennicht möglich. Wechsel<strong>wir</strong>kung bedeutet immer Veränderlichkeit; oder gewissermaßen Abnüt<strong>zu</strong>ng.<strong>Ein</strong>e „Welt“ jenseits von Zeit, Raum und Wechsel<strong>wir</strong>kung liegt jenseits unserer Vorstellungskraft.Wir leben eben innerhalb von Zeit, Raum und Wechsel<strong>wir</strong>kung. Hier greift wieder einmal derBegriff „Transzendenz“ – über alles, was <strong>wir</strong> kennen, hinausgehend; auch über unsere eigeneVorstellungskraft.Über Transzendenz kann man nichts Konkretes aussagen, man kann nur feststellen, was sie NICHTbeinhaltet. (Also macht euch bitte in <strong>die</strong>ser Hinsicht keine Vorstellungen, macht euch kein Bild(Bildnis) im Kopf.)Mit Ausnahme des Buddhismus (und einer philosophischen Minderheit innerhalb des Hinduismus)machen sich ALLE Religionen <strong>die</strong> verschiedensten Vorstellungen über eine Existenz jenseits derVeränderlichkeit. Diese Vorstellungen stehen immer mit dem Begriff „Ewigkeit“ in Verbindung.Aber was bitte bedeutet der Begriff „ewig“ überhaupt?Die meisten Menschen sehen Ewigkeit als eine unendliche, nie endende Abfolge von Zeiteinheiten.Dies ist eine nette Vorstellung, weil sie so nebenbei auch den Begriff „ewiges Leben“ ermöglicht.Allerdings gibt es dafür keinerlei Beweise, nicht einmal Hinweise.Noch einmal: Für ein Leben jenseits von Zeit und Raum gibt es weder Beweise <strong>noch</strong> Hinweise. <strong>Ein</strong>Leben ohne Wechsel<strong>wir</strong>kung, also Handeln oder auch Genießen, ist nicht vorstellbar; es ist auchnicht an<strong>zu</strong>nehmen, daß <strong>die</strong>s in einer achten oder zehnten Dimension anders wäre. Und eineeventuelle „zwölfte (oder dreißigste) Dimension“ genannt Transzendenz ist weder einsehbar <strong>noch</strong>beschreibbar; über Transzendenz kann eben nur ausgesagt werden, was sie NICHT ist.Ebendort landen <strong>wir</strong>, wenn <strong>wir</strong> Ewigkeit als Zeitlosigkeit definieren, als Fehlen von Zeit. Dannfehlen nämlich auch Raum und Wechsel<strong>wir</strong>kung sowie alles, was daraus entsteht. Übrig bleibt dannnur <strong>noch</strong>. Also nichts,worüber etwas ausgesagt werden kann. Übrig bleibt „Nicht-Irgend-Etwas“, <strong>auf</strong> Sanskrit „nirvana“.Für <strong>die</strong> meisten Erdbewohner der Spezies homo sapiens ist <strong>die</strong>s aber ein ganz großer Horror, weil„man dann ja nicht mehr ist.“ Aber wer könnte jemals etwas Negatives empfinden, wenn es ihnnicht mehr gibt? Wenn da niemand ist, der etwas empfinden könnte? Wenn es <strong>die</strong> Wechsel<strong>wir</strong>kunggenannt „Empfinden“ nicht mehr gibt?Symbolisiert werden kann <strong>die</strong>ses Nicht-Vorhanden-Sein-von-Irgend-Etwas, <strong>die</strong>se „Leere“ (einäußerst wichtiger Begriff in der buddhistischen Philosophie!) durch <strong>die</strong> Zahl Null. Diese „0“ ist<strong>zu</strong>sammen mit den anderen „arabischen“ Ziffern aus In<strong>die</strong>n über <strong>die</strong> arabische Welt ins christliche


150Abendland gelangt, das Denken und <strong>die</strong> Weltanschauung <strong>die</strong>ser beiden Kulturkreise hat <strong>die</strong> Nullaber nur in wenigen Ausnahmefällen erreicht. Die Verstellung einer Leere ist den monotheistischenKulturkreisen weiterhin fremd. So mancher (monotheistische?) Wissenschaftler seufzt erleichtert<strong>auf</strong> über <strong>die</strong> Feststellung, daß auch der letzte Winkel des Weltalls nicht ganz leer ist, sondern<strong>zu</strong>mindest Quantenfluktuationen <strong>auf</strong>weist. (Gott sei Dank!) Dieses Aufseufzen zeigt, daß in <strong>die</strong>serDenkweise <strong>die</strong> Null nicht mehr als eine Rechenhilfe ist.<strong>Ein</strong> Papst belegte <strong>die</strong> Null einst sogar mit seinem allerheiligsten Bannfluch. Wie konnte auch eineZahl, <strong>die</strong> das Nichts symbolisierte, HINTER eine andere Zahl gestellt deren Verzehnfachungbedeuten!?!! Das konnte wohl nur mit dem Teufel <strong>zu</strong>gehen. Zumal es das Nichts ja gar nicht gibt,denn entweder ist etwas von Gott oder vom Teufel. Pfui! – Trotzdem war das Zeitalter derrömischen Zahlen bald vorbei; sie waren einfach viel <strong>zu</strong> sperrig <strong>zu</strong>m Rechnen. Zumindest alsRechenhilfe war <strong>die</strong> Null nicht mehr <strong>auf</strong><strong>zu</strong>halten.Jetzt habe ich ein Wesen erwähnt, von dessen Wirken ich in meinem ganzen Leben auch nicht <strong>die</strong>geringste Spur entdecken konnte: den Teufel, auch Satan, Luzifer oder Iblis genannt. Fast <strong>die</strong> Hälfteder Weltbevölkerung (vielleicht sogar mehr) GLAUBT aber an <strong>die</strong>sen Kerl – denn so ihr ihnfürchtet, glaubet ihr an ihn. (Gestatten, daß ich an <strong>die</strong>ser Stelle kurz und „höllisch“ lache: HA HAHA HA ha ha ha! Das Mittelalter ist <strong>noch</strong> nicht <strong>zu</strong> Ende! Uuuuuh! Für manche hat es <strong>noch</strong> nichteinmal begonnen! (Über<strong>die</strong>s empfehle ich an <strong>die</strong>ser Stelle, schwarze Unterwäsche an<strong>zu</strong>legen sowieeinschlägig verrufene Musik <strong>zu</strong> hören.)Der Teufel ist meiner Meinung nach eine direkte Konsequenz des monotheistischen Weltbilds. Zwarhat Gott alles geschaffen (ALLES, also das Gute und „das andere auch“, wie manche jüdischeTheologen und Rabbiner etwas verschämt formulieren), aber IN VERBINDUNG GEBRACHT<strong>wir</strong>d Gott immer nur mit dem Guten, das Böse jedoch gehört in <strong>die</strong> Zuständigkeit des HerrnGottseibeiuns und seiner Helfer.Die monotheistischen Religionen vermitteln ein dualistisches Weltbild. Was in den monistischenWeltanschauungen etwas Selbstverständliches und Natürliches ist, nämlich Dualität (<strong>die</strong> moderneWissenschaft tönt übrigens in das selbe Horn der Vernunft), ist im monotheistischen Weltbild einständig tobender Kampf zwischen Gut und Böse, sogar dem personifizierten Guten und dempersonifizierten Bösen, den Kräften des Lichts und den Kräften der Finsternis. Zu verdanken haben<strong>wir</strong> <strong>die</strong>se Weltsicht höchstwahrscheinlich einem persischen Priester namens Zarathustra (Zoroaster),der im 19. <strong>Ja</strong>hrhundert v.Chr. gelebt haben soll (also lange vor Moses). Dessen Lehre ist in einemkleinen Buch namens Avesta <strong>zu</strong>sammengefaßt; lest es mal durch, ihr werdet erstaunt bis erschüttertdarüber sein, wie sehr Zarathustra <strong>die</strong> „großen“ monotheistischen Religionen beeinflußt hat.Gut und Böse aber kommen in der Natur nicht vor. Die Natur kennt derlei wertende Unterscheidungnicht, <strong>die</strong> Naturgesetze schon gar nicht. Gut und Böse <strong>sind</strong> Wertungen des menschlichen Denkens(und Glaubens, denn auch Glauben ist nur eine Art des Denkens). Und weil Gott selbstverständlichmit dem Guten in Be<strong>zu</strong>g steht, mußte zwangsläufig ein Widersacher her, ein Anti-Gott. <strong>Ein</strong>ensolchen finden <strong>wir</strong> auch schon bei Zarathustra.Im Monismus ist Dualität etwas Gegebenes, so<strong>zu</strong>sagen eine Naturkraft ohne moralische Wertung;im Monotheismus hingegen herrscht Dualismus vor, eine Ideologie, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>r Tatsache erklärt wurde.(Vergangenheit und Gegenwart der Religionsgeschichte bieten eine Fülle an Beispielen, in denenetwas „Böses“ <strong>zu</strong>m „Guten“ erklärt <strong>wir</strong>d (<strong>zu</strong>m Beispiel Blutvergießen und Töten) oder „Gutes“ <strong>zu</strong>m„Bösen“ (<strong>zu</strong>m Beispiel eigenständiges Denken oder Mitgefühl für Außenseiter). Es besteht einwesentlicher Unterschied darin, ob man gegebene und unveränderliche Naturgesetze einfachanerkennt – oder sie in Kategorien von Gut und Böse spaltet, weil man dahinter eine ordnende HandGottes UND eine zerstörerische Hand des Teufels annimmt.)Aber <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong>m Begriff Ewigkeit. Ich werde euch drei Beispiele darlegen, warum ich NICHT indiversen Spielarten einer himmlischen oder para<strong>die</strong>sischen Existenz leben möchte.Jeder (ehemalige) Karl-May-Leser kennt den Begriff „ewige <strong>Ja</strong>gdgründe“. Für Prärie-Indianer ist<strong>die</strong>s gewiß eine sehr schöne Vorstellung von ewigem Leben. Für mich nicht; ich bin seit dreißig


151<strong>Ja</strong>hren Vegetarier, Geruch und Geschmack von Fleisch oder Fisch erzeugen in mir das Gefühl vonEkel. Ich wäre in den ewigen <strong>Ja</strong>gdgründen fehl am Platz. Dies wäre für mich ganz und gar keinpara<strong>die</strong>sischer Zustand. Im Gegenteil! Und da ich mit Sicherheit irgendwann ein „Stück Wild“ ausMitgefühl verscheuchen würde, wäre einem ewigen <strong>Ja</strong>gdgründler das ewige <strong>Ja</strong>gdglück verdorbenund damit auch sein para<strong>die</strong>sischer Zustand. – Nein, dort gehöre ich sicher nicht hin.Nur mal angenommen, ich würde <strong>zu</strong>m Islam übertreten und über<strong>die</strong>s gewissen Leuten, <strong>die</strong> denIslam äußerst radikal interpretieren, in <strong>die</strong> Hände fallen. Nur mal angenommen, ich würde mich <strong>zu</strong>einem Selbstmord-Attentat verführen lassen, dann käme ich als Shahid (Märtyrer) mittelsWUUUMMMMM augenblicklich in einen para<strong>die</strong>sischen Zustand (genannt Himmel). Wie vieleJungfrauen stehen dort einem Shahid <strong>zu</strong>r Verfügung? Zweiundsiebzig? Aber was mache ich mit sovielen Frauen? Das muß doch lästig sein, so viel Rundumbe<strong>die</strong>nung kann ich mir ja gar nichtvorstellen! Und muß ich sie entjungfern etwa auch <strong>noch</strong>? Wächst ihnen dann das Jungfernhäutchen<strong>auf</strong> wundersame Weise nach? Oder werden sie „danach“ durch andere Jungfrauen ersetzt, damit ihreAnzahl gleich bleibt? <strong>Ein</strong> derartiges „Entjungferungs-Para<strong>die</strong>s“ wäre ein Horror für mich! Undüber<strong>die</strong>s: Im Koran steht ja geschrieben, daß <strong>die</strong> Berührung einer Frau prinzipiell unrein macht, Sexganz besonders. (Über einen solchen Schwachsinn äußere ich mich gar nicht. – Liebe muslimischenUnreinheits-Verfechter: Den Makel, daß ihr durch eine ganz besonders unreine Körperöffnung einerunreinen Frau genannt Mutter geboren wurdet, DIESEN Makel werdet ihr wohl trotz allerReinigungsrituale NIE ganz los werden!) Wenn ich aber im Himmel Sex habe, dann stellt sich wohl<strong>die</strong> Frage: Muß ich mich auch im Himmel wegen der Berührung von Frauen reinigen? Oder <strong>sind</strong>Frauen im Himmel nicht mehr unrein? Gibt es im Himmel überhaupt Sex? Und warum bloß sollteich mir den Stress antun und ewiglich Frauen entjungfern? – Nein, <strong>die</strong>se unausgegorene Vorstellungvon Himmel ist nichts für mich.Am Ende der christlichen Bibel finden <strong>wir</strong> eine für <strong>die</strong> christliche Vorstellungswelt repräsentativeBeschreibung von „Himmel“. Die Rede ist von einem „neuen“ Himmel und einer „neuen“ Erde,weil's den alten Himmel und <strong>die</strong> alte Erde nicht mehr gibt, und von einem „neuen“ Jerusalem. DerAutor dürfte <strong>noch</strong> sehr stark vom damaligen Judentum geprägt gewesen sein und weniger vomfrischen, <strong>noch</strong> nicht klar definierten Christentum, <strong>zu</strong>m Beispiel brennen in seinen Visionen von„Himmel“ weiterhin <strong>die</strong> Altäre des Brandopferkultes (Wöääh!). Zudem verfließen <strong>die</strong> Vorstellungenvon „Himmel“ und „Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden“ irgendwie, denn das „neue“ Jerusalem <strong>wir</strong>d als „vomHimmel herabgekommen“ bezeichnet. Dieses „neue“ Jerusalem ist eine für heutige Verhältnisserecht kleine Stadt mit hohen prächtigen Mauern und zwölf hohen prächtigen Toren (jedes von einemEngel bewacht – aber wo<strong>zu</strong>?), mit goldenen Gassen und überhaupt überall voller Edelsteine. – Daziehe ich eine bescheidene Hütte in den niederen Regionen eines Berges mit einem Wasserfall in derNähe <strong>auf</strong> jeden Fall vor. Aber für einen antiken „Habenichts“ mag eine glitzernde Stadt sehr wohleine Idealvorstellung gewesen sein. – In <strong>die</strong>sem „neuen“ Jerusalem gibt es weder Tod <strong>noch</strong>Krankheit, auch keine Nacht, denn Gott selbst strahlt in all seiner Herrlichkeit. Sein Thron steht inder Mitte der Stadt, hinter ihm <strong>die</strong> Erzengel, Engel, <strong>die</strong> himmlischen Chöre, <strong>die</strong> ganze himmlischeBig Band, <strong>die</strong> Propheten, <strong>die</strong> Märtyrer und der ganze Rest der Gläubigen, <strong>die</strong> ins „neue“ Jerusalemhineindurften – das müßten dann (in der Zukunft) ja Milliarden sein. Und alle lobpreisen Gottewiglich. – Ich finde <strong>die</strong>se Vorstellung entsetzlich langweilig. (Hat sich eigentlich schon wergefragt, wie GOTT sich dabei fühlt, wenn ihm Milliarden von Seelen unterwürfig am Schuhsenkelhängen?) Für mich persönlich ist eine Beziehung <strong>zu</strong> Gott unbedingt eine PERSÖNLICHEBeziehung. Ich möchte mit ihm Eiskaffee löffeln, durch <strong>die</strong> Botanik spazieren, herumalbern, <strong>auf</strong>einer himmlischen Playstation Tennis spielen (wobei er mich 7:6, 0:6, 6:4 gewinnen läßt) – und<strong>noch</strong> mehr an persönlicher und privater Beziehung. Aber so etwas gibt es weder in der jüdischen<strong>noch</strong> der christlichen <strong>noch</strong> der islamischen Vorstellungswelt, denn dort ist Gott „der Herr“, derhimmlische Über-Drüber-König und Über-Drüber-Patriarch und Über-Drüber-Oberprimat, dem sichjeder unterwerfen muß. Ich persönlich will keine Unterwerfung, sondern eine Beziehung. Unddeshalb bin ich auch hier fehl am Platz.


152Überhaupt stellt sich mir bei allen Vorstellungen von einem ewigen Himmel das Problem derLangeweile. Da mag sich jeder sein ganz persönliches Idealbild vom himmlischen Para<strong>die</strong>sausmalen, irgendwann wiederholt sich auch dort ALLES. Die Ewigkeit ist lang, unendlich lang,deshalb irgendwann auch zwangsläufig langweilig; selbst wenn du in anderen individuellenIdealhimmeln herumhängst – aber das <strong>sind</strong> ja auch nur Varianten von Idealvorstellungen. WennEwigkeit eine Aufeinanderfolge von Zeit oder Zeiteinheiten bedeutet, dann stellt sich Langeweileautomatisch ein. Gäbe es aber kein Erinnerungsvermögen, dann würde der Himmel auch nichtlangweilig werden. Deshalb ist <strong>die</strong> einzige für mich vorstellbare Form von Himmel frei vonErinnerung und deshalb auch von Langeweile. So<strong>zu</strong>sagen der Alzheimer-Himmel. Genauer: derAlzheimer-Himmel mit persönlichem Kontakt <strong>zu</strong> Gott. Dann freue ich mich jedesmal, wenn Gottmich 7:6, 0:6, 6:4 im himmlischen Tennis gewinnen läßt, weil mir nicht bewußt ist, daß er dasschon seit einer „halben“ Ewigkeit so macht. (Da stellt sich selbstverständlich wieder <strong>die</strong> Frage:Wie fühlt sich Gott eigentlich dabei? <strong>Ein</strong>erseits der unterwürfige Verehrungshimmel, andererseitseine Fülle von privaten Alzheimer-Ausgaben – (<strong>Ein</strong> lieber Freund meinte da<strong>zu</strong> recht trocken: Dashat er sich selber eingebrockt.))Jetzt könnt ihr selbstverständlich einwenden: Der Typ hat aber sehr seltsame Vorstellungen! – Undexakt das ist es auch: Es <strong>sind</strong> Vorstellungen, nicht mehr! Es <strong>sind</strong> MEINE Gedanken. Und <strong>die</strong>Vorstellungen ANDERER <strong>sind</strong> auch nicht mehr als eben Vorstellungen. Warum nur erklären <strong>wir</strong> <strong>die</strong>Vorstellungen archaischer, antiker und mittelalterlicher MENSCHEN bloß <strong>zu</strong> einem religiösen odereinem „mystischen“ Tabu, wo doch heute jeder „moderne“ Schulanfänger über das Weltbild jenerHerrschaften nur <strong>noch</strong> lächeln kann? (Vor allem, wenn man bedenkt, welcher Promillesatz anProphezeiungen und Visionen innerhalb der monotheistischen Kulturen überhaupt Wirklichkeitgeworden <strong>sind</strong>.)Auch im Hinduismus existiert <strong>die</strong> Vorstellung von einem ewigen „spirituellen“ Himmel – imGegensatz <strong>zu</strong>m zeitweiligen, wenn auch langlebigen „Himmel“ der devas. Aber auch für <strong>die</strong>sen„spirituellen“ Himmel gibt es weder Beweise <strong>noch</strong> Anhaltspunkte.Und nun <strong>zu</strong>m Gegenstück des Himmels – der Hölle.<strong>Ein</strong>e Hölle kennen Buddhismus und Hinduismus ebenfalls, sie ist aber nur ein vorübergehenderAufenthaltsort.Für <strong>die</strong> monotheistischen Religionen ist <strong>die</strong> Hölle hingegen ewig. Aber wem könnte an einer ewigenHöllenqual wohl gelegen sein? Wem bringt eine Bestrafung „bis in alle Ewigkeit“ irgend etwas?Wer könnte bloß ewige Freude oder <strong>zu</strong>mindest ewige Genugtuung darin empfinden, daß jemandewig bestraft <strong>wir</strong>d und leidet? Ist Gott etwa Sadist? Oder läßt Gott Sadisten in sein ewiges Reich?Gerechtigkeit ist ein hohes Ideal; ein ganz hohes übersteigertes Ideal, das in einer Welt aus Raumund Zeit NIEMALS realisiert werden kann, weil es schlicht und einfach den Naturgesetzenwiderspricht.Homo sapiens ist da<strong>zu</strong> übergegangen, <strong>die</strong>ses Ideal in eine JENSEITIGE Welt aus<strong>zu</strong>lagern. Aberhaben „dort“ ewige Bestrafung und ewige Höllenqual überhaupt einen Platz? Was ist mit dervielzitierten Gnade? Und wie wär's ganz einfach mit Mitgefühl? Liebt Gott denn nicht ALLE seine„Geschöpfe“? Angeblich ja. (Zum Teufel mit dem Teufel und der ewigen Hölle! DerartigeVorstellungen <strong>sind</strong> absolut von vorgestern – und außerdem GRAUSLICH!)Stellt sich <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Frage: Wann tritt <strong>die</strong> Ewigkeit für dich und mich und den Rest eigentlich inKraft? Mit dem Tod? Am Ende der Welt, am Ende aller Zeiten, am Tag des Jüngsten Gerichts? Oderirgendwann dazwischen?Das Wort „dazwischen“ habe ich ganz bewußt gewählt, denn das Christentum hat tatsächlich eine„Zwischenwelt“, das Purgatorium oder Fegefeuer – hmm – äh hmm: „entwickelt“. Für mich ist daschristliche Fegefeuer lediglich eine spirituelle Scheinimobilie, <strong>die</strong> sich äußerst leicht und äußerstgewinnbringend verk<strong>auf</strong>en ließ und läßt, ohne daß irgendwer jemals reklamieren könnte. (Unlängsthat der Papst, das Oberhaupt der Römisch-Katholischen Kirche, einen kleinen, ganz bestimmtenBereich des Fegefeuers <strong>auf</strong>gehoben, nämlich <strong>die</strong> Sektion für unget<strong>auf</strong>te Kinder. Wenn der Papst eine


153bestimmte Sektion des Fegefeuers liqui<strong>die</strong>ren kann, dann dürfte er auch den Rest <strong>auf</strong>lösen können.Die Macht da<strong>zu</strong> hat er ja anscheinend. Also sollte er das meiner Meinung auch tun. Hat er abernicht, er begnügte sich mit der Auflösung einer offenbar unnötig gewordenen Unterabteilung.Selbstverständlich wurde <strong>die</strong>se Wohl-Tat auch theologisch begründet. Das Fegefeuer für unget<strong>auf</strong>teKinder wäre mit der Kinderliebe Jesu Christi nicht vereinbar. (Ach! Warum hat <strong>die</strong>se Erkenntnis solange gedauert?) Weiters wäre es sowieso Gottes Wille, daß alle Menschen <strong>zu</strong> ihm kämen. – Mit<strong>die</strong>sem Satz aber haben sich <strong>die</strong> Cheftheologen des Vatikan selbst ein Riesenei gelegt und sichunwissentlich als Ketzer betätigt. Denn wenn Gott etwas WILL, dann <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>s doch wohl auchgeschehen. Und wenn er will, daß alle Menschen <strong>zu</strong> ihm kommen, dann WERDEN wohl auch alledas tun. Dann erübrigen sich aber nicht nur alle übrigen Abteilungen des Fegefeuers, auch <strong>die</strong>HÖLLE <strong>wir</strong>d überflüssig. (Auch wenn's nicht so gemeint war: Danke, Vatikan! Diese unbedachteFormulierung erheitert mich <strong>noch</strong> immer.))Aber bleiben <strong>wir</strong> bei Himmel und Hölle und der Frage, WANN <strong>wir</strong> dort anlangen. Da<strong>zu</strong> müssen <strong>wir</strong>uns <strong>noch</strong> etwas näher mit den Begriffen „Auferstehung von den Toten“ und „Jüngstes Gericht“ oder„Jüngster Tag“ beschäftigen.Zur Thematik „Auferstehung“ habe ich zwei jüdische Vereinigungen in Österreich angeschriebenund – ihr ahnt es vielleicht schon – keine Antwort erhalten. Also muß ich es offenlassen, ob Jesajadavon geträumt hat oder eine Vision erfahren hat, oder vielleicht Daniel.Wie Ägypter, Kelten und andere Völker <strong>zu</strong> ihren jeweiligen Vorstellungen einer Auferstehung vonden Toten kamen, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls war das jüdische Volk nicht das einzige,das eine derartige Vorstellung entwickelte. Christentum und Islam haben <strong>die</strong> Vorstellung desJudentums später übernommen.In Judentum, Christentum und Islam ist <strong>die</strong> Auferstehung – ganz korrekt: <strong>die</strong> „Auferstehung imFleische“ – einer der Fixsterne am Glaubensfirmament; daran MUSS man glauben (oder müßteman, denn <strong>die</strong> jüdische Sekte der Pharisäer tat es nicht!). Die Auferstehung ist keinesfalls mit einerWiedergeburt oder Reinkarnation <strong>zu</strong> verwechseln, denn <strong>die</strong> Auferstehung geschieht im EIGENENFleisch, dem Körper, den man in seinem ehemaligen körperlichen Leben hatte. Wiedergeboren <strong>wir</strong>dman ja in einem anderen Körper. Und zwar öfter. Die Auferstehung jedoch ist ein einmaligesGeschehen. (Für Hinduismus und Buddhismus ist <strong>die</strong> Lehre von der Wiedergeburt keine Theorie,sondern Tatsache; das Gesetz des Karma ebenso. Der Monotheismus sieht das leider anders. In denmonotheistischen Sichtweisen lebt man nur einmal, und wenn man sich's da mit Gott verbockt,gibt's keine zweite Chance mehr, um seine (katastrophalen?) Fehler und Verfehlungen aus<strong>zu</strong>bügeln;spätestens am Jüngsten Tag erhält man dann seinen Negativ-Lohn. Daß eine derartige AnschauungUnmengen verklemmter Moralisten, Doppelmoralisten, Heuchler und Angstneurotiker <strong>zu</strong>r Folgehat, kann sich jeder wohl selber leicht ausmalen.)Wir können davon ausgehen, daß <strong>zu</strong>mindest jeder Erwachsene sich der Tatsache bewußt ist, daßsein Körper nach dem Tod verwest und von Aasfressern, Insekten und Mikro-Organismen gefressen<strong>wir</strong>d. Das fleischliche Material genannt Leichnam <strong>wir</strong>d dann ganz einfach in den Kreisl<strong>auf</strong> derNatur <strong>zu</strong>rückgefressen. <strong>Ein</strong>e „normale“ Wiederbelebung ist nicht mehr möglich. Also kann <strong>die</strong>„Auferstehung der Toten im Fleische“ nur ein Wunder sein. Mit Mitteln der Vernunft ist siekeinesfalls <strong>zu</strong> erklären. Den<strong>noch</strong> gibt es Menschen, <strong>die</strong> der Anschauung <strong>sind</strong>, daß ein Leichnamkomplett sein muß, damit er komplett <strong>auf</strong>erstehen kann. (Werden Beschnittene eigentlich mit oderohne Vorhaut <strong>auf</strong>erstehen? – Und was soll <strong>die</strong>ser seltsame Materialismus überhaupt innerhalb einerVorstellung von übernatürlichem Wunder? Wenn Gott sowieso schon ein mega-kollektives Wundervollbringt, dann <strong>wir</strong>d er wohl auch fehlende oder todkranke Körperteile ersetzen können! (Vonkranken Körperteilen und Organen redet interessanterweise aber niemand. Da setzt man wohlvoraus, daß <strong>die</strong>se <strong>zu</strong>m Zeitpunkt der Auferstehung wieder „heil“ <strong>sind</strong>.))Die Auferstehung der Toten im Fleische ist ein einmaliges Ereignis, und zwar in der Zukunft. DieserZeitpunkt <strong>wir</strong>d „Jüngster Tag“, „Letzter Tag“, „Tag des Jüngsten Gerichts“ oder kurz „JüngstesGericht“ genannt. Seit über zweitausend <strong>Ja</strong>hren <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>ser Tag herbeigesehnt, herbeigefürchtet,


154herbeigemahnt, herbeigepredigt und herbeigedroht.Gericht. Richter, richten; Recht, recht, richtig. Gerecht. Gerechtigkeit.Gerechtigkeit ist ein sehr hohes Ideal. Ich selber war jahrzehntelang ein äußerst enthusiastischerStreber nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Noch immer packt es mich heftig an der Leber, wenn ichmit gröberen Formen von Ungerechtigkeit konfrontiert werde. Aber schon längere Zeit habe ich einIdeal, das mir wertvoller ist als Wahrheit und Gerechtigkeit: Mitgefühl. Was soll Gerechtigkeit wohlwert sein ohne Mitgefühl? Hohe Ideale <strong>sind</strong> reine Ideen, und da solche innerhalb der Welt derNaturgesetze bestenfalls vorübergehend ver<strong>wir</strong>klicht werden können, finde ich es weit besser,vernünftiger und stressfreier, wenn man sich um kleinere Ideale kümmert, <strong>die</strong> man auch umsetzenkann. (Warum wohl <strong>sind</strong> derart viele Idealisten derart frustriert? Hat das vielleicht etwas damit <strong>zu</strong>tun, daß <strong>die</strong> hohen Ideale nicht realisiert werden können, daß der Idealist selber nicht so ganz idealist, daß <strong>die</strong> Welt ums Verrecken nicht ideal werden will?)Schon Vorschulkindern fällt es <strong>auf</strong>, daß das Leben nicht gerecht ist. Erwachsene WISSEN es.Naturgesetze und sämtliche irdischen Lebewesen neben dem homo sapiens halten sich eben nicht andas menschliche Ideal „Gerechtigkeit“ und nehmen keinerlei Rücksicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Idealvorstellung.In der antiken Welt war <strong>die</strong> jüdische Vorstellung von einem gestaltlosen UND gerechten Gott denumliegenden Völkern völlig fremd und suspekt. Niemand erwartete von einem Gott Gerechtigkeit.Der Willkür der Götter war man hilflos ausgesetzt; man konnte sich nur in Teilbereichen mit ihnenarrangieren, indem man sie respektierte und ihnen opferte. Taten das <strong>die</strong> Juden denn nicht ebenso?Handelte der Gott der Juden denn nicht ebenfalls immer wieder willkürlich?Niemand in der antiken Welt erwartete Gerechtigkeit in einem <strong>die</strong>sseitigen Leben. Die gewünschteGerechtigkeit konnte es erst in einer ANDEREN Welt geben. Diese Anschauung war und ist weitverbreitet.Auch <strong>die</strong> Vorstellung, daß ein Verstorbener sich einem himmlischen oder göttlichen Gericht <strong>zu</strong>stellen hat, ist in vielen Kulturen vorhanden. Die Idee von einer individuellen Form von Gericht undGerechtigkeit ist also nichts Besonderes, <strong>die</strong> Idee eines KOLLEKTIVEN Gerichts für ALLE jemalsgelebten Menschen an EINEM EINZIGEN Tag hingegen schon. Diese Idee ist ziemlich spektakulärund monumental. Sie ist bis heute ein Grundpfeiler der abrahamitisch-monotheistischen Religionen.Am Jüngsten Gericht kommt kein Jude, kein Christ, kein Muslim vorbei.Allerdings scheint sich <strong>die</strong> Idee von einem individuellen Gericht auch weiterhin neben der Idee voneinem kollektiven Gericht <strong>zu</strong> behaupten. Es <strong>wir</strong>d auch weiterhin daran geglaubt, daß Menschen(wenn auch nicht alle, aber <strong>zu</strong>mindest „gewisse“) sofort nach ihrem Tod in den Himmel oder in <strong>die</strong>Hölle gelangen. Für <strong>die</strong>se kann das Jüngste Gericht eigentlich nicht mehr <strong>zu</strong>ständig sein, weil sie jabereits gerichtet <strong>sind</strong>, also Lohn oder Strafe bereits erhalten haben. Oder müssen sie am Tag desJüngsten Gerichts wieder kurzfristig in ihren alten Körper <strong>zu</strong>rück, damit das individuelle Urteilbestätigt werden kann? Und in welcher Tiefschlaf-Dimension befinden sich bis <strong>zu</strong>m Jüngsten Tagalle übrigen Menschen (oder eigentlich: Seelen), <strong>die</strong> für eine Spontanhölle <strong>zu</strong> „gut“, für einenSpontanhimmel jedoch <strong>zu</strong> „schlecht“ waren? Wieviel Sinn macht eigentlich eine Auferstehung immenschlichen Körper, wenn <strong>die</strong>ser <strong>noch</strong> am selben Tag sowieso seine Bedeutsamkeit verliert? (Malabgesehen von der biologischen Absonderlichkeit der Auferstehung im Fleische – auch in Hinsicht<strong>auf</strong> eine lediglich für Sadisten sinnvolle Hölle scheint <strong>die</strong> ganze Gerechtigkeits-Gerichts-Idee nichtso ganz ausgetüftelt <strong>zu</strong> sein. Da spielen wohl viele archaische Wunsch- und Angstvorstellungen einegroße Rolle.)Das Judentum hat aber nicht nur (wie viele andere Kulturen auch) eine Idee von einem gerechtenJenseits (Königreich Gottes) entwickelt, sondern auch <strong>die</strong> Idee von einem gerechten Diesseits(Königreich Gottes <strong>auf</strong> Erden) VOR dem Jüngsten Tag. Dies führt uns <strong>zu</strong> den Begriffen Endzeit undMessias.


155Der Begriff „Messias“ (hebräisch „maschiach“) bedeutet so wie das griechische Wort „christos“„der Gesalbte“. Gesalbt wurden (und werden?!) geistliche und weltliche Würdenträger; in altenZeiten in erster Linie der König und der Hohepriester, deren gemeinsame Aufgabe es war, Frieden,Wohlstand und Fruchtbarkeit des Landes und ihrer Bevölkerung <strong>zu</strong> gewährleisten. Der Königkümmerte sich um <strong>die</strong> irdischen Belange, der Hohepriester sorgte für <strong>die</strong> Gunst der Götter (oder des<strong>Ein</strong>en Gottes). (In manchen Kulturen war der Hohepriester eine Frau, sodaß <strong>die</strong> „Vereinigung“zwischen König und Hohepriesterin <strong>zu</strong>m Zwecke der Fruchtbarkeit des Landes nicht nursymbolisch-rituell, sondern durchaus praktisch durchgeführt werden konnte. Manchmal <strong>die</strong>ntenjungfräuliche Priesterinnen <strong>die</strong>sem Zwecke (eh klar, <strong>die</strong> Jungen und Knackigen!), vielleicht weiljungfräuliches Blut einfach besser „düngt“. – Dies nur so am Rande.)Der Messias ist König und Hohepriester in EINER Person, so<strong>zu</strong>sagen weltlicher UND spirituellerHerrscher in Personalunion.Aber nicht nur das – nach Auffassung der jüdischen Kultur ist der Messias ein ganz besonderer undaußergewöhnlicher Mann: ein wahrhaft „Gerechter“, ohne Fehl und Tadel, der ultimative Mensch,der „neue“ Adam, vollkommen als Mensch und Gottes menschliches Ebenbild.Entwickelt wurde <strong>die</strong> Idee von einem Messias innerhalb der jüdischen Kultur vermutlich in der Zeitzwischen der Babylonischen Gefangenschaft und der griechischen Oberhoheit, so<strong>zu</strong>sagen zwischendem einen Trauma und dem nächsten (welches nicht das letzte bleiben sollte). Der Messias würde<strong>die</strong> Fremdbestimmung der Besatzer beseitigen, <strong>die</strong> Unabhängigkeit des jüdischen Staateswiederherstellen, korrupten und unfähigen weltlichen und geistlichen jüdischen Autoritäten einEnde machen und ein Friedensreich errichten (ähnlich wie einst König Salomon, nur NOCHbesser). Über<strong>die</strong>s würde sich <strong>die</strong> Friedensherrschaft des Messias nicht <strong>auf</strong> das jüdische Volk alleinerstrecken, sondern <strong>die</strong> ganze Erde beinhalten (wodurch das jüdische Volk voll und ganz in seineFunktion als Priestervolk Gottes für ALLE Menschen eingesetzt wäre). Diese weltumspannendeFriedensherrschaft <strong>wir</strong>d „Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden“ genannt (das Reich Gottes im Himmel gibt es jawohl bereits), und weltlicher und spiritueller (geistlicher, religiöser) Herrscher ist eben der Messias,der Gesalbte, der Gerechte, der vollkommene Mensch. Gekennzeichnet sein soll das Reich Gottes<strong>auf</strong> Erden durch zwei ganz besondere, außergewöhnliche Merkmale: durch eine allgegenwärtigeund umfassende Gerechtigkeit sowie durch <strong>die</strong> völlige Abwesenheit des (sogenannten) Bösen (ansich).Wir durchschnittliche Menschen, und seien <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> so „gut“, „gerecht“, religiös, sozial oder„liebend“, könnten das Königreich Gottes <strong>auf</strong> Erden aus eigenen Kräften NICHT errichten, undwenn <strong>wir</strong> uns <strong>noch</strong> so um Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand bemühten. Nur der Messias, derAuserwählte Gottes, würde <strong>die</strong>s vermögen.Real werden soll das Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden gegen Ende der Erdgeschichte, bevor nach einemallerletzten Kampf zwischen den Kräften des Guten und jenen des Bösen das Jüngste Gerichtanbricht. Deshalb spricht man von der sogenannten „Endzeit“.Endzeit und Jüngstes Gericht <strong>sind</strong> unmittelbar miteinander verknüpft. Beide <strong>sind</strong> wesentliche undunverzichtbare Glaubensinhalte der abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam.Es ist seit Anbeginn <strong>die</strong>ser Ideen kein einziges <strong>Ja</strong>hrhundert vergangen, in dem es nicht geheißenhätte: „Jetzt ist es so weit.“ – „Bald ist es so weit.“ – „Jetzt aber <strong>wir</strong>klich.“ – „Er kommt.“ – „Sicherist er schon da.“Der Glaube an Endzeit und Jüngstes Gericht hat schon viele Menschen, sowohl durchschnittlicheGläubige als auch Sektierer und Paranoiker, immens „inspiriert“. (Sollte jemand von euch rein<strong>zu</strong>fällig Bedarf an Neurosen und Psychosen haben, so empfehle ich als Lektüre den letztenAbschnitt der Bibel, <strong>die</strong> Offenbarung des Johannes, auch Johannes-Apokalypse genannt. Nichtsfördert meiner Meinung nach <strong>die</strong> Entwicklung von erwartungsvoll-auserwählter Ver<strong>wir</strong>rtheit undparanoiden Angst<strong>zu</strong>ständen mehr als <strong>die</strong>ses antike Schriftwerk, nicht einmal Nostradamus, derUntergangsprophet des spätmittelalterlichen Geistes.


156Das altgriechische Wort „apokalypsis“ bedeutet Enthüllung, Offenbarung; aber Johannes vonPatmos verschleiert und verhüllt weit mehr, als daß er enthüllt oder offenbart. Seitdem es eine(jüdisch-christliche) apokalyptische Literatur gibt, existiert auch <strong>die</strong> krankhafte Form ihrer Lektüre:<strong>die</strong> Interpretitis. (Ich persönliche bezweifle ernsthaft den prophetischen Inhalt <strong>die</strong>ses Schrifttums.Wahrscheinlich <strong>sind</strong> Apokalypsen nur religiöse Erbauungs- und Drohschriften. – Über<strong>die</strong>s ist derBegriff „Apokalypse“ mittlerweile schon identisch geworden mit dem Begriff „Weltuntergang“, waser ja gar nicht bedeutet.))Judentum, Christentum und Islam <strong>sind</strong> sich in ihrem Glauben an Endzeit, Jüngstes Gericht und einjenseitiges Leben einig. Insbesondere in Christentum und Islam <strong>wir</strong>d der Wert des jenseitigenLebens überbetont; das <strong>die</strong>sseitige Leben jedoch <strong>wir</strong>d oft <strong>auf</strong> das <strong>Ein</strong>halten der von Gott (und seinenPropheten) überlieferten Gesetze und Verhaltensregeln beschränkt.Judentum, Christentum und Islam <strong>sind</strong> Endzeit-Religionen.<strong>Ein</strong> einheitliches Christentum gibt es nicht; es existieren über 150 Untergruppierungen, <strong>die</strong> sichKirchen oder Gemeinschaften nennen. Auch ein einheitliches Judentum oder einen einheitlichenIslam gibt es nicht. Aber egal, wie winzig oder weltumspannend <strong>die</strong> verschiedensten Gruppierungenauch sein mögen, der Glaube an Endzeit und Jüngstes Gericht ist ihnen gemeinsam. Deshalb nehmeich mir <strong>die</strong> Freiheit, sie allesamt als Endzeit-Sekten <strong>zu</strong> bezeichnen.


157Jeder halbwegs idealistische Mensch sehnt sich nach einem Dasein in Frieden, Liebe, Würde,Gerechtigkeit und Wohlstand.Religiöse Menschen <strong>sind</strong> GROSSE Idealisten, wenn auch mitunter <strong>auf</strong> eine etwas seltsame oder garkrasse Art. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, daß Religionen verschiedene Arten vonIdealvorstellungen entwickelt haben.Das messianische Friedensreich ist eine der bekanntesten und <strong>zu</strong>gleich größten Idealvorstellungen.Oder sollte ich besser sagen: Utopien? Wie „realistisch“ ist <strong>die</strong> Erwartung einer messianischenWunsch-Zukunft?Bis heute hat es homo sapiens nicht geschafft, in Frieden miteinander <strong>zu</strong> leben. Ich sehe auchkeinerlei Veranlassung <strong>zu</strong> einer positiven Prognose. <strong>Ein</strong> weltumfassendes Friedensreich ist undbleibt ein hohes Ideal, eine Wunschvorstellung. So mancher zwischenzeitliche Friedensfürst <strong>wir</strong>dnur deshalb als solcher bezeichnet, weil <strong>zu</strong>vor seine Feinde niedergemacht wurden und <strong>noch</strong> nichtstark genug für den nächsten Aufstand waren.Liebe ist entweder ein viel <strong>zu</strong> hohes geistiges Ideal, das praktisch niemand erreichen kann, odergleichbedeutend mit Erotik oder Brutpflege.Die Würde des Menschen ist, obwohl angeblich unantastbar, <strong>noch</strong> immer nicht gewährleistet.Wohlstand für bald sieben Milliarden Menschen ist wohl nur ein Wunschtraum, der den gesamtenPlaneten ausbluten würde.Gerechtigkeit ist ein hohes menschliches Ideal, das in der Natur nicht vorkommt.Ebenso existiert auch das (sogenannte) Böse (an sich) lediglich in der Welt des Denkenden, undnicht in der Welt rundum.Und ich sehe keinerlei Veranlassung <strong>zu</strong> der Annahme, daß sich an der Diskrepanz zwischen Naturund Naturgesetzen einerseits und den gedachten Idealvorstellungen von Gerechtigkeit und einerAbwesenheit des (sogenannten) Bösen (an sich) jemals etwas ändern <strong>wir</strong>d.<strong>Ein</strong> weltumspannendes Friedensreich ist eine uralte Sehnsucht des homo sapiens. Das Para<strong>die</strong>s <strong>auf</strong>Erden wünscht sich eigentlich jeder Mensch. Das messianische Friedensreich, das Reich Gottes <strong>auf</strong>Erden, ist also eine durchaus menschliche und leicht nachvollziehbare Idealvorstellung, eine Utopie,ein Wunschtraum. Selbst <strong>die</strong> Religionen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Vorstellung vertreten, wissen <strong>die</strong>s und betonendeshalb, daß allein Gott durch den von ihm höchstpersönlich entsandten Messias <strong>die</strong>s be<strong>wir</strong>kenkann. Nur <strong>auf</strong> wundersame Weise kann es ein para<strong>die</strong>sisches Friedensreich <strong>auf</strong> Erden geben, undselbst DAS nur zeitlich begrenzt. Erst das Reich Gottes im Himmel wäre dann endgültig und ewig.Obwohl religiöse Idealisten sich der zeitlichen Beschränkung eines messianischen Friedensreichesbewußt <strong>sind</strong>, ist <strong>die</strong> Sehnsucht danach übermächtig. Wahrscheinlich liegt das aber ganz einfach ander Tatsache, daß Menschen gerne in Form von Wachträumen denken.


158Kommen <strong>wir</strong> nun <strong>zu</strong> jener Person, welche <strong>die</strong> drei abrahamitischen Religionen Judentum,Christentum und Islam trennt wie sonst NICHTS:Jesus.Der Beinahme Christus (also: der Gesalbte) zeigt schon klar, daß für Christen Jesus der MessiasIST.Für Juden war und ist er das <strong>auf</strong> gar keinen Fall.Mohammed bezeichnet im Koran Jesus zwar als den Messias, ohne aber nur im Geringsten dar<strong>auf</strong>ein<strong>zu</strong>gehen, was <strong>die</strong>ser Begriff überhaupt bedeutet.Die Argumente der jüdischen Religion <strong>sind</strong> einfach und einleuchtend: Jesus war's nicht, denn wederhat er das Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden errichtet <strong>noch</strong> Gerechtigkeit <strong>auf</strong> Erden hergestellt, und das(sogenannte) Böse (an sich) gibt's auch <strong>noch</strong> immer. Jesus KANN es also nicht gewesen sein.War er DOCH, widersprechen <strong>die</strong> Christen. Allerdings <strong>wir</strong>d Jesus das messianische Friedensreicherst SPÄTER errichten, wenn er WIEDERKOMMT (wann genau, das weiß keiner), damals hat ersich lediglich als Messias OFFENBART und ist für uns GESTORBEN, um uns von unseren Sünden<strong>zu</strong> befreien.Diese Idee der Sündenbefreiung ist für Juden und Muslime schlicht Blödsinn, Sektierertum oder garGotteslästerung. Derartiges vermöge nur Gott selbst.Ebenso lehnen Judentum und Islam STRIKTEST <strong>die</strong> christliche Anschauung ab, daß Jesus der SohnGottes wäre. Die Idee, daß Gott einen Sohn hätte, ist für beide Religionen völlig absurd – oderebenfalls gotteslästerlich.Ebenso absurd und gotteslästerlich ist beiden Religionen <strong>die</strong> christliche Anschauung, daß Jesus mitGott wesensgleich wäre.Selbstverständlich lehnen sie auch <strong>die</strong> christliche Anschauung über <strong>die</strong> Trinität, <strong>die</strong> Dreifaltigkeitoder Dreieinigkeit Gottes (Vater, Sohn, Heiliger Geist), strikt ab. Das tun sogar manche Christen.(Was kaum jemand weiß: Sir Isaac Newton, der berühmte Physiker (exakt der mit dem fallendenApfel), war so nebenbei Alchemist UND gläubiger Christ, der als solcher <strong>die</strong> Trinität energischablehnte. Wie mag er sich wohl gefühlt haben, als er am Trinity College unterrichtete?) Die Sachemit der Dreifaltigkeit ist nicht so einfach; <strong>die</strong> meisten Christen verstehen sie ÜBERHAUPT nicht.Ich habe auch schon hohe christliche Würdenträger und gestandene Theologen stammeln gehört beidem Versuch, <strong>die</strong> Trinität <strong>zu</strong> erklären. Dem durchschnittlich intelligenten Christen ist <strong>die</strong> Trinität einRätsel, <strong>zu</strong>mindest ein Mysterium, an das man <strong>zu</strong> glauben hat; einem durchschnittlich intelligentenHindu könnte man <strong>die</strong> Dreieinigkeit Gottes eventuell erklären, sodaß er sie <strong>auf</strong> Hindu-Art auchverstehen könnte. „Aha, so was haben <strong>wir</strong> auch. Gott Vater ist so wie bei uns Gott Vishnu, derursprüngliche Ursprung. Gott Sohn ist so wie bei uns Krishna, eine Inkarnation Vishnus inMenschengestalt. Und der Heilige Geist ist so was Ähnliches wie bei uns das unpersönlichebrahman. Ich verstehe.“ Wor<strong>auf</strong> der christliche Trinitäts-Erklärer augenblicklich mit einem in <strong>die</strong>Länge gezogenen „Neiiiin“ widersprechen würde, SO wäre das NICHT gemeint, sondern – unddann käme wohl ein für Hindu-Ohren und Hindu-Gehirne ziemlich unverständliches christlichesTheologie-Gestammel, was den Hindu wahrscheinlich rasch da<strong>zu</strong> bewegen würde, sich höflichlächelnd <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>ziehen. – Naja, es dürfte wohl auch recht gewagt sein, wenn ein MONOtheist <strong>die</strong>DREIeinigkeit Gottes <strong>auf</strong> dogmatisch-theologische Weise einem Monisten erklären will, woDerartiges für <strong>die</strong>sen eher eine Selbstverständlichkeit darstellt.)Jedenfalls werden Judentum und Islam Jesus NIE als Sohn Gottes oder als mit Gott wesensgleichanerkennen, oder <strong>die</strong>s FRÜHESTENS am Jüngsten Tag tun, unter dem Motto „Upps“.Jesus Christus. Jesus, der Christus. Jesus, der Messias. Was er im jüdischen Religionsverständnisaber weder war <strong>noch</strong> ist <strong>noch</strong> sein <strong>wir</strong>d. Und <strong>die</strong>s werfen Christen dem jüdischen Volk bis heutevor: Daß sie Jesus als Messias weder erkannt <strong>noch</strong> anerkannt haben, obwohl er mitten unter ihnengelebt hat.<strong>Ein</strong>er der IHREN war.


159Allen antisemitischen Christen sei es fett ins Stammbüchlein geschrieben oder von mir aus auch<strong>auf</strong>s Hirn tätowiert: Jesus war Jude.Jesus war Jude in „rassischer“, „völkischer“ und religiöser Hinsicht.<strong>Ein</strong>em besonderen Kreis christlicher Antisemiten mag es vielleicht ein kleiner Trost sein, daß Jesuseigentlich „nur“ ein HALBJUDE gewesen sein konnte; Maria war zwar Jüdin, aber Gott wohl nicht.Vorausgesetzt natürlich, daß nicht vielleicht Josef ...........Aber das darf ein Christ ja nicht glauben; Josef war ja nur der „Nährvater“ (und – so nebenbeibemerkt – <strong>die</strong> wohl am meisten unterschätzte Nebenfigur der christlichen Heilsgeschichte). Wennaber kein Mensch der Vater Jesu war, wessen Gene hatte er dann? Nur <strong>die</strong> Marias? Deren Klon warer definitiv nicht; er war ja ein Mann. Aber woher hatte er sein y-Chromosom? Doch wohl von Gott.Ist Gott etwa das ultimative y-Chromosom? Die y-Transzendenz? Jedenfalls dürfte es für einallmächtiges Wesen wohl ein Leichtes gewesen sein, ein jüdisches Mädchen <strong>zu</strong> schwängern. (Waswiederum Nichtchristen hartnäckig leugnen und ablehnen. Warum sollte Gott das bloß tun? (AndereFrage: Warum macht er das nicht regelmäßig?))Aber lassen <strong>wir</strong> derartige genetische Belanglosigkeiten und stellen <strong>wir</strong> uns lieber <strong>die</strong> Frage, was <strong>wir</strong>aus historischer Sicht über Jesus wissen.Die Antwort ist (leider) sehr einfach: NICHTS.Da würden so einige Leute einige weniger wichtige Körperteile dafür opfern, wenn sie nur eineneinzigen schriftlichen oder gar archäologischen BEWEIS für den historischen Jesus hätten.Der erste Historiker, der Jesus erwähnt, ist Flavius Josephus, ein Jude, der gegen <strong>die</strong> Römergekämpft hatte und danach als deren Gefangener den restlichen Feld<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>r Niederschlagung desZeloten-Aufstands mitmachte, der im <strong>Ja</strong>hre 70 n.Chr. mit der Zerstörung Jerusalems, insbesonderedes Tempels, und der Vertreibung der jüdischen Bevölkerung aus Jerusalem endete. Nach <strong>die</strong>senEreignissen, freigelassen und als Gefolgsmann des späteren Kaisers Titus, schrieb Flavius Josephus,daß es in Palästina eine jüdische Sekte gäbe, <strong>die</strong> einen gewissen Jesus verehre, der unter demrömischen Statthalter Pontius Pilatus hingerichtet worden sei und von dem seine Anhängerbehaupten, er wäre von den Toten <strong>auf</strong>erstanden und der von den Juden sehnlichst erwartete Messias,<strong>auf</strong> dessen Wiedererscheinen sie nun warteten. Flavius Josephus (der seine persönliche Rollewährend des jüdischen Aufstands stark geschönt haben dürfte) gibt also nur wieder, was er selbstgehört hat. Und <strong>die</strong>s über vierzig <strong>Ja</strong>hre nach Jesu Tod (wahrscheinlich im <strong>Ja</strong>hre 30, am 7. April; für<strong>die</strong> römische Justiz war sein Prozeß nicht erwähnenswert gewesen).Wenn <strong>wir</strong> etwas über Jesus und sein Leben erfahren wollen, <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> hauptsächlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> vierEvangelisten angewiesen sowie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Apostelgeschichte des Lukas und <strong>die</strong> Briefeschreiber desNeuen Testaments. Kein einziges Evangelium wurde VOR der Zerstörung des Tempels im <strong>Ja</strong>hre 70geschrieben. Kein einziger Evangelist war ein direkter Schüler Jesu und somit Augenzeuge. Sie allewaren Schüler von Schülern oder gar deren Schüler, schrieben <strong>Ja</strong>hrzehnte nach Jesu Tod nieder, wassie selbst von diversen Quellen nur gehört hatten. Die im Neuen Testament enthaltenen Briefe <strong>sind</strong>zwar von theologischem Wert, nicht aber von einem nennenswerten historischen. Die Offenbarungdes Johannes von Patmos beschäftigt sich überhaupt fast ausschließlich mit einer (möglichen)Zukunft und ist als historische Quelle eher wertlos. (Dieser Johannes von Patmos ist übrigens wedermit dem Apostel Johannes <strong>noch</strong> mit dem Evangelisten, der in seinem Namen schrieb, identisch; daswaren drei verschiedene Personen.)Die vier Schriften der Evangelisten Markus (wahrscheinlich kurz nach 70 n.Chr.), Lukas (80 bis 90n.Chr.), Matthäus (ebenso) und Johannes (frühestens 90 n. Chr.) unterscheiden sich voneinandermehr, als der durchschnittliche Christ glaubt. Für Gläubige und ganz besonders für Theologenscheint es den<strong>noch</strong> kein Problem <strong>zu</strong> sein, unterschiedliche Schilderungen als wahr an<strong>zu</strong>sehen.Besonders <strong>auf</strong>fällig ist das bei einer der wichtigsten Erzählungen der christlichen Heilsgeschichte,nämlich dem Bericht über <strong>die</strong> Auffindung des leeren Grabes nach Jesu Auferstehung. Bei Matthäussehen Maria Magdalena und „<strong>die</strong> andere Maria“ einen Engel, der den Stein vor dem leeren Grabwegrollt und damit <strong>die</strong> Wächter des Grabes furchtbar erschreckt. Bei Markus treffen Maria


160Magdalena, Maria, <strong>die</strong> Mutter des <strong>Ja</strong>kobus, und Salome einen in weiße Gewänder gekleidetenjungen Mann im leeren Grab, dessen Stein bereits weggewälzt war. Bei Lukas treffen „<strong>die</strong> Frauen“(Anzahl und Namen nicht erwähnt) <strong>auf</strong> zwei Männer in leuchtenden Gewändern. Und bei Johannesentdeckt Maria Magdalena das leere Grab mit dem weggerollten Stein ganz alleine, ohne <strong>auf</strong>jemanden <strong>zu</strong> treffen.„Richtig“ wahr kann selbstverständlich nur EINE Version sein; bestenfalls. Es ist nicht geradeleicht, über <strong>die</strong> Glaubwürdigkeit der vier Evangelisten etwas aus<strong>zu</strong>sagen. Alle vier berichten vonGeschehnissen, <strong>die</strong> sie selbst nicht miterlebt hatten, über <strong>die</strong> sie erst aus dem Mund dritter odervierter Personen erfahren hatten. Wieviel mag sich an <strong>die</strong>sen Erzählungen wohl im L<strong>auf</strong>e der<strong>Ja</strong>hrzehnte verändert haben? Wieviel mag umgedeutet oder gar (im guten Glauben) „erfunden“worden sein? Wir wissen es nicht, und wahrscheinlich werden <strong>wir</strong> es nie erfahren.Das Todesjahr Jesu war höchstwahrscheinlich das <strong>Ja</strong>hr 30. Sein Geburtsjahr ist unbekannt, zwischen7 und 2 v.Chr. – klingt irgendwie eigenartig: Jesus wurde VOR Christus geboren. Matthäus datiertseine Geburt in <strong>die</strong> Regierungszeit des jüdischen Königs Herodes des Großen; Lukas berichtet voneiner Volkszählung <strong>zu</strong>r Zeit des römischen Kaisers Augustus, als ein gewisser Quirinius Statthaltervon Syrien war. Blöd nur, daß Herodes im <strong>Ja</strong>hr 4 VOR Christus starb und Quirinius sein Amt erstim <strong>Ja</strong>hre 6 NACH Christus antrat. Die Angaben der Evangelisten <strong>sind</strong> also – <strong>zu</strong>mindest in <strong>die</strong>semFall – nicht nur ungenau, sondern schlicht falsch.Der Geburtsort Bethlehem ist völlig unbestätigt; möglicherweise soll nur eine alttestamentarischeProphezeiung „erfüllt“ werden. Von einer Volkszählung <strong>zu</strong>r Zeit des Herodes ist nichts bekannt.Und warum in aller Welt sollte sich jemand an einem Ort registrieren lassen müssen, an dem er garnicht lebt?Auch über einen (gut organisierten) Kindermord am Ende der Herrschaftszeit von Herodes demGroßen ist nichts bekannt. (<strong>Ein</strong> netter Kerl war Herodes trotzdem nicht, dafür aber ein ziemlicheifriger Bauherr.)Die Erzählung von <strong>die</strong>sem Kindermord und der folgenden Flucht der Heiligen Familie nachÄgypten, vom berühmten Stern von Bethlehem und den drei Weisen aus dem Morgenland (auchKönige genannt) lesen <strong>wir</strong> lediglich beim Evangelisten Matthäus. Dieses Evangelium wurde imägyptischen Alexandria geschrieben. Der Autor ist namentlich nicht bekannt, schreibt aber unterdem Namen des Apostels Matthäus. Vermutlich war er ein in Alexandria ansässiger Auslandsjude(wenn mir <strong>die</strong>ser Begriff – sowie ein kurzer <strong>Ein</strong>schub <strong>zu</strong>m Thema Diaspora, dem Exil des jüdischenVolkes – erlaubt sei).Kanaan, das Gebiet zwischen Syrien und dem Sinai so<strong>zu</strong>sagen, ist schon seit <strong>Ja</strong>hrtausenden eineviel umkämpfte Weltgegend, weil <strong>die</strong>ses Gebiet geographisch einfach den Schnittpunkt derKontinente Asien und Afrika bildet, eigentlich auch von Afrika und Europa, wenn man über Landunterwegs ist. Da kamen und gingen <strong>die</strong> Völker und dementsprechend auch ihre Herrschaften.Ägypter, Hethiter, Assyrer, Perser <strong>zu</strong>m Beispiel. Im <strong>Ja</strong>hre 586 v.Chr. kamen <strong>die</strong> Babylonier unterNebukadnezar. Sie schlugen <strong>die</strong> Streitkräfte der Hebräer, zerstörten den Salomonischen Tempel,raubten sämtliche religiösen Utensilien und den Tempelschatz und verschleppten das gesamte Volkin <strong>die</strong> Sklaverei. (586 bis 538 – Babylonische Gefangenschaft.) So berichtet <strong>zu</strong>mindest das 2. Buchder Chronik, eine jüdische geschichtsdeutende Schrift, <strong>die</strong> <strong>wir</strong> auch im christlichen Alten Testamentvorfinden.Ganze fünf Verse <strong>sind</strong> dem (unbekannten) Autor <strong>die</strong>se Ereignisse wert. So manchem Detail derPriestergewänder oder Kultgegenstände wurden MEHR Verse gewidmet. <strong>Ein</strong> riesengroßes Traumader jüdischen Geschichte, der Verlust des allerwichtigsten Kultgegenstandes – und lediglich fünfVerse. Seit dem <strong>Ja</strong>hr 586 ist nämlich <strong>die</strong> berühmte Bundeslade, das sichtbare Zeugnis des Bundeszwischen Gott und seinem Volk, der Aufbewahrungsort der Gesetzestafeln, verschwunden. Und derAutor erwähnt das Verschwinden der Bundeslade nicht einmal namentlich; „<strong>die</strong> großen und kleinenGeräte des Hauses Gottes“, so schreibt er im 2. Buch der Chroniken, Kapitel 36, Verse 17 bis 21.


161Es entspricht auch nicht den Tatsachen, daß das GESAMTE hebräische Volk nach Mesopotamienverschleppt wurde. Warum sollte man das auch tun, wenn <strong>die</strong> Leute auch vor Ort als Sklavenrackern konnten? Das nun unterworfene Königreich Juda war jetzt ja eine babylonische Provinz.Es entspricht auch nicht den Tatsachen, daß im <strong>Ja</strong>hre 538, nachdem der persische König Kyros <strong>die</strong>Babylonier besiegt hatte, ALLE Hebräer wieder in ihre Heimat <strong>zu</strong>rückkehrten, um ihr zerschlagenesStaatswesen erneut <strong>auf</strong><strong>zu</strong>bauen (unter persischer Oberhoheit selbstverständlich); ein Teil <strong>die</strong>serZwangsexilanten BLIEB nämlich im Zweistromland, blieb es sogar gut zweitausend <strong>Ja</strong>hre lang;freiwillig.Ich persönlich bin überzeugt davon, daß ganz wesentliche Teile sowohl der geschichtsdeutenden alsauch der religiösen jüdischen Literatur (auch der Thora) während des Babylonischen Exils verfaßtwurden. Fern der Heimat, inmitten einer fremden Kultur, in Gefangenschaft, sehnsuchtsvoll <strong>auf</strong> <strong>die</strong>verlorene Freiheit <strong>zu</strong>rückblickend, <strong>auf</strong> Königreich, Tempel und religiösen Kult – eine solchePeriode bietet sich gerade<strong>zu</strong> da<strong>zu</strong> an, Mythen, Legenden, religiöse Überlieferungen und tatsächlichstattgefundene Ereignisse <strong>zu</strong> vermischen und nieder<strong>zu</strong>schreiben. Es ist auch durchaus möglich, daßdas Trauma der Babylonischen Gefangenschaft in Verbindung mit alten Moses-Legenden dort <strong>zu</strong>rGeschichte von der Sklaverei des Volkes in Ägypten und dem folgenden Exodus geformt wurde.Jedenfalls ist <strong>die</strong> Tatsache, daß ein Teil der nach Babylon verschleppten Hebräer nach dem <strong>Ja</strong>hr 538,dem <strong>Ja</strong>hr der „Befreiung“, in Mesopotamien verblieb, der erste historisch gesicherte Beweis für einfreiwilliges Exil eines Teils des jüdischen Volkes.Ebenfalls eine Tatsache ist es, daß in den folgenden vorchristlichen <strong>Ja</strong>hrhunderten viele jüdischeGemeinden im Mittelmeerraum sowie im Nahen und Mittleren Osten entstanden, ohne daß einpolitischer oder militärischer Zwang da<strong>zu</strong> bestand. Die Diaspora, das Leben des jüdischen Volkesim Exil, hat also durchaus auch einen freiwilligen, unerzwungenen Aspekt.Im <strong>Ja</strong>hr 70, nach der Niederschlagung des Zeloten-Aufstands und der Zerstörung des Tempels,verbot <strong>die</strong> römische Besat<strong>zu</strong>ng den Juden den Aufenthalt in Jerusalem. Nach der Niederschlagungdes Bar-Kochba-Aufstands (130-135), der nächsten jüdischen Rebellion, wurde ihnen das Siedeln inder gesamten Provinz Judäa bei Todesstrafe verwehrt. Im Nordteil des früheren Königreichs Israel,rund um den See Gennesaret, lebten aber auch weiterhin Juden. Dort – und in Syrien – entstandauch ein Teil der nachchristlichen jüdischen Schrifttradition, der sogenannte palästinensische oderJerusalemer Talmud. (Der andere Teil, der babylonische Talmud, wurde ebendort, in Mesopotamien,verfaßt.) Demnach müssen <strong>wir</strong> <strong>zu</strong>r Feststellung gelangen, daß das jüdische Volk nicht aus demGESAMTEN Heiligen Land vertrieben wurde, jedoch aus dem Kernland, vor allem aus der für <strong>die</strong>Juden heiligen Stadt Jerusalem.In den ersten beiden nachchristlichen <strong>Ja</strong>hrhunderten wurde ein Großteil des jüdischen Volkes durch<strong>die</strong> römische Herrschaft gezwungen, sich außerhalb ihres Kernlandes an<strong>zu</strong>siedeln. Das ist derBeginn der erzwungenen Diaspora; das ist eine Tatsache. Aber ebenso ist es eine Tatsache, daß einTeil des jüdischen Volkes in Teilen des Heiligen Landes, außerhalb der Provinz Judäa, verblieb; undebenso ist es eine Tatsache, daß andere Teile des Volkes bereits <strong>zu</strong>vor in ein freiwilliges Exilausgewandert waren.Die Diaspora, das Exil, GRUNDSÄTZLICH als eine gewaltsame Vertreibung des GESAMTENjüdischen Volkes <strong>zu</strong> bezeichnen, ist also nicht ganz korrekt; den<strong>noch</strong> <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>se Behauptung vonvielen <strong>noch</strong> immer <strong>auf</strong>recht erhalten.Tatsache ist ebenfalls, daß im 7. <strong>Ja</strong>hrhundert, als <strong>die</strong> Heere des <strong>noch</strong> jungen Islam das Heilige Landeroberten, Juden in und um Jerusalem lebten. Offensichtlich hatte das Oströmische Reich(mittlerweile Byzanz) weder <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>noch</strong> ein Interesse daran, das vor <strong>Ja</strong>hrhundertenausgesprochene Siedlungsverbot <strong>zu</strong> exekutieren. Auch als einige <strong>Ja</strong>hrhunderte später christlicheKreuzfahrer versuchten, das gesamte Heilige Land <strong>zu</strong> erobern, lebten Juden in und um Jerusalem.(Bei der <strong>Ein</strong>nahme Jerusalems durch <strong>die</strong> „christlichen“ Heere wurde übrigens ALLES masssakriert:Männer, Frauen, Kinder; Muslime UND Juden; sogar Christen anderer Glaubensrichtungen.) All <strong>die</strong><strong>Ja</strong>hrhunderte unter arabischer sowie türkischer Herrschaft lebten Juden in und um Jerusalem und


162scherten sich einen feuchten Dreck um das von den Römern in den <strong>Ja</strong>hren 70 und 135 erlasseneSiedlungsverbot.Da muß wohl <strong>die</strong> Frage erlaubt sein, warum der Großteil des jüdischen Volkes <strong>die</strong>s NICHT tat.Warum kehrten sie nicht in ihre Heimat <strong>zu</strong>rück? Warum verharrten sie im Exil und beklagten<strong>die</strong>ses? Warum sollte erst das 20. <strong>Ja</strong>hrhundert <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>zu</strong> einer Rückkehr ins Gelobte Landbieten? Und warum entwickelten sie <strong>die</strong> Idee, daß man erst <strong>die</strong> Ankunft des Messias abwartenmüsse, damit ER Gottes Volk in <strong>die</strong> Heimat <strong>zu</strong>rückführe? (Es gibt auch heute <strong>noch</strong> (religiöse) Judenim Exil und – etwas paradox – auch welche in Israel, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Staatengründung Israels als Fehler undmenschlichen Hochmut bezeichnen; man hätte <strong>auf</strong> den Messias warten müssen; nur Gott könneIsrael wiederherstellen, der Mensch aber nicht.)(Das (freiwillige) Exil eines Teils des jüdischen Volkes dauert weiterhin an. Der heutige Staat Israelwäre auch etwas <strong>zu</strong> klein für alle Menschen jüdischer Religions- oder Volks<strong>zu</strong>gehörigkeit. Existiertda etwa gar ein Zusammenhang mit der derzeitigen Siedlungspolitik Israels im palästinensischenWestjordanland? Strebt der Staat Israel etwa tatsächlich ein Groß-Israel in biblischen Grenzen an,weil es bewußt <strong>auf</strong> eine Festlegung von Staatsgrenzen verzichtet hat? Israel ist eine seltsameMischung aus <strong>auf</strong>geklärter Demokratie, militärischen Notfallverordnungen und einem Zivilrecht, indem religiöse Instanzen mitregieren und immer wieder großen <strong>Ein</strong>fluß <strong>auf</strong> das öffentliche Lebennehmen. Ich vergönne <strong>die</strong>sem Staat eine friedliche Existenz. Aber wie soll <strong>die</strong>se gewährleistetwerden? Durch einen Militär- beziehungsweise einen Gottesstaat?)<strong>Ein</strong>er jener freiwilligen Exilanten dürfte der Autor des Matthäus-Evangeliums gewesen sein. Erlebte in Alexandria, dem wahrscheinlich größten kulturellen und <strong>wir</strong>tschaftlichen Zentrum desdamaligen Mittelmeerraums. Mit dem Entstehungsort läßt sich auch der Ägyptenbe<strong>zu</strong>g <strong>die</strong>sesEvangeliums erklären. (Wahrscheinlich wurden diverse apokryphe, also kirchlich nicht anerkannteSchriften, ebenfalls in Ägypten verfaßt. Aber <strong>zu</strong> apokryphen Schriften möchte ich mich erst garnicht äußern. Lest bitte selber. („Klüger“ gemacht hat mich <strong>die</strong> Lektüre der neutestamentlichenApokryphen übrigens nicht wesentlich.))Möglicherweise ist <strong>die</strong> altägyptische Kultur sogar mehr ins frühe Christentum eingeflossen, als manallgemein für möglich hält. Es darf sowieso darüber spekuliert werden, ob und inwiefern derselektive Monotheismus Echnatons das frühe Judentum beeinflußt hat, ob Moses („das Kind“) einägyptischer Prinz war, ob und unwiefern zwischen <strong>die</strong>sen beiden Möglichkeiten ein Zusammenhangbesteht, ob und inwieweit das Ägyptische Totenbuch <strong>die</strong> Jenseitsvorstellungen von Judentum,Christentum und Islam beeinflußt hat.Gibt's da vielleicht <strong>noch</strong> mehr Zusammenhänge?Sieht das christliche Kreuz dem altägyptischen „Anch“, dem Symbol für (ewiges) Leben, nur rein<strong>zu</strong>fällig ähnlich?Inwieweit ist der im Römischen Reich weit verbreitete und populäre Isis-Kult ins frühe Christentumeingeflossen? Isis, <strong>die</strong> Göttin des Lebens. Isis, <strong>die</strong> Mutter mit dem göttlichen Kind. (<strong>Ein</strong>e sehrbeliebte Darstellung der damaligen Zeit.) Isis, <strong>die</strong> göttliche Mutter. Osiris, Bruder und Gemahl derIsis, getötet und zerstückelt, von Isis und Anubis <strong>zu</strong>sammengeflickt, am dritten Tag <strong>zu</strong> neuem Lebenerwacht. Sirius, der Hundsstern, der Stern der Isis, welcher <strong>zu</strong> Sommerbeginn am östlichenHorizont <strong>auf</strong>geht und <strong>die</strong> nahende Nilflut „ankündigt“, das Um-und-Auf für das „Leben“ im Niltal;Sirius, der um <strong>die</strong> Wintersonnenwende tief am westlichen Horizont steht, sodaß man ihn direkt vorder Nase hat, wenn man aus dem Osten kommt.Zufälle?Der sogenannte Stern von Bethlehem beschäftigt <strong>die</strong> Christenheit, seitdem es <strong>die</strong>se Geschichte ausdem Matthäus-Evangelium gibt. <strong>Ein</strong>en Kometen hat es <strong>zu</strong>r damaligen Zeit, rund um das (nichtexistente) <strong>Ja</strong>hr 0, definitiv nicht gegeben, eine <strong>auf</strong>fällige, sichtbare Konjunktion zweier Planetenebenfalls nicht, lediglich eine Annäherung. Aber mit Hilfe der Astrologie können drei oder vierverschiedene Termine für <strong>die</strong> Geburt Jesu „berechnet“ werden; allerdings muß sich meiner Meinung


163nach <strong>die</strong> Astrologie wohl den Verdacht einer Interpretitis-Infektion gefallen lassen.Ich persönlich halte es durchaus für einleuchtend, daß im Stern von Bethlehem der Sirius <strong>zu</strong> sehenist. Dies würde auch <strong>zu</strong>m <strong>noch</strong> heute gefeierten Geburtstag Jesu passen, dem 25. Dezember. (Daß<strong>die</strong>ser Tag auch der Geburtstag des persischen Gottes Mitras ist, dessen Kult <strong>zu</strong>r Zeit des frühenChristentums innerhalb des Römischen Reichs ebenfalls sehr populär war, ist wahrscheinlich<strong>wir</strong>klich nur ein Zufall. (Oder?))Ob der Verfasser des Matthäus-Evangelius bewußt Elemente der ägyptischen Religionskultur inseine Schrift übernommen hat oder umgekehrt sich bewußt <strong>die</strong>ser Elemente be<strong>die</strong>nt hat, umÄgyptern <strong>die</strong> neue Jesus-Religion nahe<strong>zu</strong>bringen, <strong>wir</strong>d wohl nie geklärt werden können. Fest stehtjedenfalls, daß der obligate Stern, <strong>die</strong> drei Weisen aus dem Osten sowie <strong>die</strong> Flucht der HeiligenFamilie nach Ägypten in keinem der anderen drei Evangelien <strong>zu</strong> finden <strong>sind</strong>.Geburtstag und Geburtsjahr Jesu bleiben also weiterhin im Dunkeln.Für den Geburtsort Bethlehem gibt es keinerlei nachvollziehbare Beweise. Die alttestamentarischeLobpreisung <strong>die</strong>ses Ortes ist nicht viel.Über eine Volkszählung <strong>zu</strong>r damaligen Zeit ist nichts bekannt. Die Notwendigkeit einer Reise aneinen anderen Ort <strong>zu</strong>m Zweck einer Volkszählung ist fadenscheinig bis absurd.Wurde Jesus also in Nazareth geboren?Leider auch nicht. Neuen Forschungsergebnissen <strong>zu</strong>folge gab es <strong>die</strong> Stadt Nazareth in der erstenHälfte des 1. <strong>Ja</strong>hrhunderts <strong>noch</strong> gar nicht.Möglicherweise ist ein einfacher Überset<strong>zu</strong>ngsfehler beziehungsweise eine Fehlinterpretation dafürverantwortlich, daß aus einem NAZARENI, einem Gesetzeshüter, ein Nazarener, ein BewohnerNazareths, geworden ist.(Ich habe durchaus Verständnis dafür, daß ein Christ an <strong>die</strong>ser Stelle kräftig ins Schlucken oder insSchwitzen kommt.)Auch <strong>die</strong> Berufsbezeichnung „Zimmermann“ ist nicht ganz korrekt. Der griechische Begriff„tekton“ bezeichnet primär einen Handwerker im Allgemeinen, sogar den ungelernten Handwerker;„Zimmermann“ ist nur eine Nebenbedeutung. Waren Vater Josef und Sohn Jesus „nur“ ungelernteHandwerker, ungelernte Hilfskräfte, Gelegenheitsarbeiter, „Hilfsarbeiter“, wie man in meinerheimatlichen Alpenregion immer <strong>noch</strong> sagt? In das amtskirchliche Renommee eines Heilands undSohn Gottes würde das ja nicht unbedingt passen. Aber was wäre eigentlich Schlechtes daran?Immerhin würde es eindringlich erklären, warum Jesus ein derart großes Herz für <strong>die</strong> „kleinenLeute“ hatte. Als ungelernte Hilfskraft wäre er ja selber ein Angehöriger der niedrigsten Schicht derjüdischen Gesellschaft; nur Menschen, <strong>die</strong> aus körperlichen oder geistigen Gründen als unreingalten, hätten dann <strong>noch</strong> „unter“ ihm gestanden, und für <strong>die</strong>se hatte er ebenfalls ein großes Herz undviel Verständnis.Wenn man den Erzählungen der Evangelisten Glauben schenkt. Mehr als glauben können <strong>wir</strong> in<strong>die</strong>sem Fall leider nicht. Jede einzelne Geschichte könnte eine Legende sein; Übertreibung oder garErfindung.Den historischen Jesus gibt es leider nicht. Aber selbstverständlich <strong>wir</strong>d weiterhin nach <strong>die</strong>semgesucht.Zum Beispiel gibt es mittlerweile mehrere Kandidaten für das „Grab Jesu“. Aber was ist denn schonso interessant oder wichtig an einem leeren Grab? Denn zweifellos müßte Jesu Grab LEER sein, erist ja von den Toten <strong>auf</strong>erstanden und hat sich wenig später Richtung Himmel begeben. (Wenn manden Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas glauben kann.) Das Auffinden von sterblichenÜberresten wäre sogar ein direkter Beweis dafür, daß Jesus NICHT von den Toten <strong>auf</strong>erstanden istund demnach auch nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> erzählte Weise in den Himmel „<strong>auf</strong>gefahren“ sein konnte. Dieswürde das gesamte Gebäude des Christentums nicht nur in Frage stellen, sondern mit hoherWahrscheinlichkeit sogar <strong>zu</strong>m <strong>Ein</strong>sturz bringen.Manche Menschen glauben, Jesus wäre vor seinem Wirken längere Zeit in In<strong>die</strong>n gewesen, hätte(als geschulter Yogi) <strong>die</strong> Kreuzigung überlebt und wäre danach nach In<strong>die</strong>n <strong>zu</strong>rückgekehrt; sein


164Grab läge in Srinigar im indischen Teil Kashmir. Echte Beweise dafür gibt es allerdings nicht. <strong>Ein</strong>eeinzige Erwähnung eines hellhäutigen Meisters aus dem Westen mit Namen Issa in einer einzigenindischen Schrift ist nicht gerade viel, wohl eher eine Sache für Gläubige und Interpreten.Auch andere Aufenthalte Jesu außerhalb Palästinas können weder bestätigt <strong>noch</strong> hundertprozentigverneint werden. Den historischen Jesus gibt es leider nicht.Erzählungen über außergewöhnliche Ereignisse bei Zeugung, Schwangerschaft und Geburtaußergewöhnlicher Menschen sowie besondere Geschehnissen während ihrer Kindheit finden <strong>wir</strong><strong>auf</strong> allen Kontinenten und in allen Religionen. Ich schätze, daß kein einziges <strong>die</strong>ser Ereignissejemals beweisbar sein <strong>wir</strong>d.Rein persönlich bin ich ja überzeugt, daß es einen historischen Jesus tatsächlich gegeben hat.Inwieweit <strong>die</strong>ser jedoch mit dem im Neuen Testament übermittelten Jesus übereinstimmt, kann ichleider nicht sagen. Da kann man nämlich – wenn man will – etliche Widersprüche und Unklarheitenentdecken, nicht nur <strong>die</strong> bereits erwähnten, welche <strong>die</strong> Geburtszeit, den Geburtsort, den Stern vonBethlehem, Nazareth und <strong>die</strong> verschiedenen Schilderungen über das Auffinden des leeren Grabesbetreffen.Das in den Evangelien übermittelte Jesus-Bild zeichnet einen sanften, sanftmütigen, friedlichen,friedliebenden und überaus mitleidvollen Menschen, dessen Mitgefühl auch nicht vor tabuisiertenund ausgegrenzten Personen wie Aussätzigen (Lepra-Kranken), Besessenen (Geisteskranken) oderGesetzesbrechern haltmacht – eigentlich im Widerspruch <strong>zu</strong>r Tradition der jüdischen Kultur undderen religiösen Gesetzen. In einigen Textpassagen jedoch <strong>wir</strong>d ein Jesus geschildert, der so gan<strong>zu</strong>nd gar nicht <strong>zu</strong>m Image des sanften und friedliebenden Ober-Softie paßt.Wahrscheinlich kennt wohl jeder <strong>die</strong> Szene, in der Jesus Geldwechsler, Händler und Käufer aus demJerusalemer Tempel hinauspeitscht. Aber an deren Tätigkeit war eigentlich gar nichts Anstößiges.Das in den Evangelien angeführte Argument für Jesu Totalausraster, nämlich daß der Tempel einHaus des Gebets sein solle und keine Räuberhöhle, ist recht weit hergeholt. Gebetet wurde ja – wiein der Thora vorgeschrieben. Und geopfert wurde ebenfalls – wie vorgeschrieben. Daß Opfertiereverk<strong>auf</strong>t wurden, war völlig normal und verstieß gegen keinerlei religiöse Vorschrift. Daß Geldgewechselt wurde, war sogar erforderlich, denn es durfte nur in jüdischer Währung geopfert werden,nicht in griechischer oder römischer oder sonstwelcher. Also waren <strong>die</strong> Tätigkeiten von Händlern,Käufern und Geldwechslern völlig legitim und sogar geboten. Niemand störte sich an derleiPraktiken, auch <strong>die</strong> gestrengen Römer nicht. Nur der sanfte Jesus flippte völlig aus. Hat <strong>die</strong>seEpisode tatsächlich stattgefunden? Oder wurde <strong>die</strong>se Erzählung erst nachträglich eingeflochten, umvielleicht den Tempelkult der Juden an<strong>zu</strong>prangern?Egal war ihm der Tempel mit Sicherheit nicht. Er wandert viele Tagesmärsche, um ihn <strong>auf</strong><strong>zu</strong>suchen.Mehrmals. Wie es sich für einen frommen Juden gehört. Er weist jeden seiner Geheilten an, sich imTempel <strong>zu</strong> zeigen, damit sie dort von den Priestern wieder für „rein“ erklärt werden konnten underneut als vollwertige Mitglieder in <strong>die</strong> jüdische Gesellschaft <strong>auf</strong>genommen wurden. Hier hält ersich buchstabengetreu an <strong>die</strong> Gesetze, an DAS Gesetz – <strong>die</strong> Thora.An einer Stelle betont Jesus sogar <strong>die</strong> Unverrückbarkeit der Thora. Bei Matthäus heißt es nämlich inKapitel 5, 17-18 wie folgt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und <strong>die</strong> Propheten<strong>auf</strong><strong>zu</strong>heben. Ich bin nicht gekommen, um <strong>auf</strong><strong>zu</strong>heben, sondern um <strong>zu</strong> erfüllen. Amen, das sage icheuch: Bis Himmel und Erde vergehen, <strong>wir</strong>d auch nicht der kleinste Buchstabe des Gesetzesvergehen, bevor nicht alles geschehen ist.“ Das Gesetz aber ist <strong>die</strong> Thora mit ihren 613 Geboten undVerboten. Das Gesetz ist NICHT <strong>die</strong> Verkündigung des Messias, sein Erscheinen oder sein Wirken.Das Gesetz ist <strong>die</strong> Thora. Bis <strong>zu</strong>m Jüngsten Gericht soll sie bestehen bleiben und befolgt werden.Dies ist völlig im Sinne der jüdischen Tradition und paßt haargenau <strong>zu</strong> einem Nazareni, einemGesetzeshüter.Kein Mensch steht gemäß <strong>die</strong>ser Tradition ÜBER dem Gesetz, der Thora, auch nicht der Messias.Jesus aber stellt sich ÜBER den Sabbath (Matthäus 12, Vers 8) und damit auch über das Gesetz, <strong>die</strong>Thora. (Ich unterstütze übrigens <strong>die</strong> Auffassung, daß der Sabbath für den Menschen geschaffen


165wurde und nicht der Mensch für den Sabbath, voll und ganz. Man kann wohl davon ausgehen, daßprinzipiell sämtliche Gesetze außerhalb der Naturgesetze für den Menschen geschaffen worden <strong>sind</strong>(und zwar vom Menschen selber), und nicht umgekehrt.)Jesus verweist in den Evangelien immer wieder <strong>auf</strong> das Gesetz. Er hält sich auch an <strong>die</strong>se, nurgegen das Sabbathgesetz verstößt er mehrmals. Ist er nun ein Nazareni, ein buchstabengetreuerGesetzeshüter, oder ein religiöser Reformer, der das strenge Sabbathgesetz <strong>auf</strong>weichen will?Diesem offensichtlichen Widerspruch bin ich leider nicht gewachsen.Soll man sich nun an der Regel orientieren oder an der Ausnahme?In der Regel ist der Prophet der Nächstenliebe sanft und friedfertig: <strong>Ein</strong>en NOCH pazifistischerenMenschen kann man sich kaum vorstellen. Bei Lukas 12, 49-51 spricht er allerdings ganz anders:„Ich bin gekommen, um Feuer <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erde <strong>zu</strong> werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!Ich muß mit einer T<strong>auf</strong>e get<strong>auf</strong>t werden und ich bin sehr bedrückt, solange sie <strong>noch</strong> nicht vollzogenist. Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erde <strong>zu</strong> bringen? Nein, sage ich euch, nichtFrieden, sondern Spaltung.“ Und bei Matthäus 10, Vers 34 klingt es sogar ganz und gar nichtgewaltfrei: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden <strong>zu</strong> bringen, sondern das Schwert.“SO spricht ein Endzeit-Prophet, SO sprechen gewaltbereite Endzeit-Sektierer, wie es <strong>zu</strong>m Beispiel<strong>die</strong> Essener waren, <strong>die</strong> nur dar<strong>auf</strong> warteten, <strong>zu</strong>sammen mit dem Messias und den himmlischenHeerscharen GEWALTSAM das Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden errichten <strong>zu</strong> können. War Jesus vielleichtEssener? Oder stand er <strong>die</strong>ser Sekte nahe? Jedenfalls passen derartige Worte nicht ins Bild einesLiebenden.Bei der Ankunft in Jerusalem, kurz vor seinem Tod, verflucht der hungrige Jesus einen Feigenbaum,weil <strong>die</strong>ser keine Früchte für ihn trägt. Dies ist in meinen Augen eines Liebenden unwürdig, paßteher <strong>zu</strong> einem selbstsüchtigen und selbstgerechten Zauberer.Auch das direkte Umfeld Jesu ist nicht so hundertprozentig gewaltfrei. <strong>Ein</strong>er seiner zwölfhandverlesenen, auserwählten Jünger (Apostel) ist Simon Zelotes. Simon, der Zelot, also einer jenerFreiheitskämpfer gegen Rom und für ein erneuertes Israel, einer jener Aufständischen, derenRebellion später <strong>zu</strong>r Zerstörung des Tempels im <strong>Ja</strong>hre 70 führte. Nicht Simon, welcher früher eingewaltbereiter Zelot war, sondern Simon, der Zelot.Auch bei der Gefangennahme Jesu geht es nicht gewaltlos ab. Bei Lukas 22, Vers 49 fragen seineBegleiter: „Herr, sollen <strong>wir</strong> mit dem Schwert dreinschlagen?“ Und einer seiner Begleiter haut auchtatsächlich jemandem ein Ohr ab. Namen allerdings nennt nur der Evangelist Johannes: Das Opferwar ein Diener des Hohen Rats namens Malchus, der Täter Simon Bar-Jona, genannt Kephas, heuteallgemein bekannt unter dem Namen Petrus. Wieso trägt ein einfacher Fischer und friedlicherFamilienvater überhaupt ein Schwert? Wieso tragen offensichtlich auch <strong>noch</strong> andere Begleiter desVerkünders der Nächstenliebe Schwerter? Wie paßt <strong>die</strong>se Bewaffnung <strong>zu</strong> den Lehren ihresMeisters? (Liebet eure Feinde! Wer <strong>zu</strong>m Schwert greift, <strong>wir</strong>d durch das Schwert sterben. Wenn dicheiner <strong>auf</strong> <strong>die</strong> linke Backe schlägt, halte ihm auch <strong>noch</strong> <strong>die</strong> rechte hin.) War es überhaupt üblich, daßZivilisten Schwerter herumtrugen? Nein, war es nicht. Wäre es nach Pilatus, dem Statthalter derProvinz, gegangen, hätten Juden nicht einmal mit Dolchen heruml<strong>auf</strong>en dürfen. Wer bewaffnet war,mußte damit rechnen, als Aufständischer verhaftet <strong>zu</strong> werden. Waren etwa Jesus und <strong>die</strong> Seinenallesamt Zeloten? Oder Essener? „Normal“ ist <strong>die</strong>se Schwerter-Story jedenfalls mit Sicherheit nicht.(Da muß ein durchschnittlicher Nächstenliebe-Christ eigentlich ganz schön schlucken und furzen,um <strong>die</strong>se Geschichte verdauen <strong>zu</strong> können. Aber ist <strong>die</strong>se Erzählung über <strong>die</strong> bewaffnete Schar desFriedensfürsten und Propheten der Nächstenliebe eigentlich nicht eher <strong>zu</strong>m Kotzen?)Friedfertiger Verkünder der Nächstenliebe – gesetzestreuer Gesetzeshüter – Prophet der Endzeit –Endzeitkrieger. Wer war <strong>die</strong>ser Jesus? Wer waren seine Anhänger? Oder was waren sie?Soll man sich nun an der Regel orientieren oder an der Ausnahme?


166„Tu es Petrus“ – „Du bist Petrus (und <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Felsen will ich meine Kirche (eigentlich:Versammlung) <strong>auf</strong>bauen).“ – Diese Worte hat Jesus mit Sicherheit nie ausgesprochen.„Fels“ heißt im Lateinischen „petra“, nicht „petrus“. Im Griechischen heißt es ebenfalls „petra“; und„petros“, „Stein“, besitzt auch <strong>die</strong> Nebenbedeutung „Fels“. – „Petros“, nicht „petrus“. Aber derBeiname des Simon Bar-Jona war ja, wie mehrmals in den Evangelien erwähnt, sowieso „Kephas“.„Petrus“ ist gewissermaßen ein Wortspiel, und nur jemand, der Latein über das nötige Maß hinausbeherrscht, ist <strong>zu</strong> einem solchen fähig. Zum Beispiel reichen meine vier <strong>Ja</strong>hre Schulfranzösischdafür keineswegs, im Englischen reicht es <strong>zu</strong>m Teil, und meine sechs <strong>Ja</strong>hre Schullatein reichen ganzsicher nicht. Man muß wohl <strong>zu</strong>erst lernen, in der fremden Sprache <strong>zu</strong> denken, eine Überset<strong>zu</strong>ng imKopf ist etwas anderes und reicht nicht für Wortspiele.Waren Jesus und <strong>die</strong> Seinen des Lateinischen mächtig? Wohl nicht. Ich neige sogar da<strong>zu</strong>, „ganzsicher nicht“ <strong>zu</strong> sagen. Ihre Muttersprache war Aramäisch, und <strong>die</strong> im Osten des RömischenImperiums gebräuchliche Handels- und Amtssprache war Griechisch, nicht Latein. Außer denRömern selber und einer hochgebildeten einheimischen Elite (wenn überhaupt, denn Griechischgenügte ja schon) sprach wohl niemand Latein. <strong>Ein</strong>er gebildeten Elite gehörten weder Jesus <strong>noch</strong>auch nur ein einziger Jünger an. Möglicherweise haben Levi (später bekannt unter dem NamenMatthäus) und Judas ein wenig Latein gesprochen; Levi, weil er als Steuereintreiber für <strong>die</strong> Römertätig war, und Judas, weil er als einziger der Apostel ein Städter war und eventuell etwas mehrBildung besaß. Jesus und <strong>die</strong> anderen Galiläer dürften – verzeiht den Ausdruck – ziemlich einfacheLandeier gewesen sein. Diese werfen auch heute nicht mit Wortspielen in einer Fremdsprache umsich.Da<strong>zu</strong> kommt <strong>noch</strong> <strong>die</strong> ausgeprägte Abneigung gegen <strong>die</strong> Römer und ihre Kultur, <strong>die</strong> jederdurchschnittliche Jude empfand beziehungsweise sogar empfinden mußte.Der Freiheitsdrang des jüdischen Volkes war groß. Die Römer waren Besatzer – und deshalb Feindeund Unterdrücker. Wer MIT ihnen <strong>zu</strong>sammenarbeite oder sie sogar unterstützte, war nicht geradebeliebt.Die jüdische Religion war (und ist) eine äußerst strenge Form des Monotheismus. Die Römer warenPolytheisten, <strong>die</strong> eine Vielzahl an Göttern verehrten, darunter auch einen „lebenden“, einen inMenschengestalt: den Kaiser. Der religiöse Kaiserkult war sogar eine der Grundsäulen desImperiums. Für fromme Juden aber war das <strong>die</strong> schlimmste Form einer Versündigung gegen ihrenGott. Kompromisse oder auch nur ein Minimum an Toleranz waren da nicht möglich. DieReligionskultur der Römer war für fromme Juden einfach nur von Übel; gottlos und gotteslästerlich.Die alltägliche Situation zwischen Juden und Römern war also sehr gespannt. Zwar übten <strong>die</strong>Römer ihrerseits große Toleranz in Be<strong>zu</strong>g <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Religionen anderer Völker und integrierten <strong>die</strong>seauch in ihre eigene Kultur, aber das war mit dem Judentum eben nicht möglich, weil <strong>die</strong>ses <strong>die</strong>Toleranz einer anderen Religion unter allen Umständen ausschloß. Nur <strong>die</strong> Verehrung <strong>Ja</strong>hwes warerlaubt. „Du sollst keine Götter haben neben mir.“ <strong>Ein</strong> ultimatives und nicht ab<strong>zu</strong>änderndes Gebot.Toleranz einer anderen Religionskultur DURFTE es nicht geben.Obwohl Rom <strong>die</strong> jüdische Religion als alte Religion achtete und tolerierte, konnte es das intoleranteSelbstverständnis des Judentums und dessen Ablehnung und Bekämpfung anderer Religionskultenicht dulden. Das war ihnen nicht nur <strong>zu</strong> sektiererisch, sondern eindeutig auch ein schweresVergehen gegen ihren eigenen Kaiserkult und damit gegen das Imperium an sich.Was <strong>die</strong> Römer von den Völkern der von ihnen eroberten Gebiete verlangten, war gar nicht so viel(in etwa <strong>wir</strong>d Derartiges auch heute verlangt): Anerkennung der römischen Oberhoheit, <strong>Ein</strong>haltungder „pax romana“ (des „römischen Friedens“, also der römischen Gesetze), Anerkennung desKaisers als Herrscher des Reiches UND als göttliche Gestalt (somit auch aktive Verehrung imRahmen des religiösen Kaiserkults; <strong>die</strong> eigenen Götter durfte man selbstverständlich auch <strong>noch</strong>behalten und verehren) sowie <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>haltung der römischen Steuergesetze (und ZAHLEN mußten<strong>die</strong> unterworfenen Völker genug).


167Nichts davon konnte einem Juden recht und angenehm sein. <strong>Ein</strong>iges davon war ihnen sogar vonIHREM Gesetz, der Thora, ausdrücklich verboten.Wenn Jesus und seine Anhängerschaft FROMME Juden waren – und davon können und müssen <strong>wir</strong>wohl ausgehen – dann waren sie keine Fans der Römer; keine Unterstützer, sondern Gegner.Als Jesus den Steuereintreiber („Zöllner“) Levi in seinen Kreis <strong>auf</strong>nahm, protestierten <strong>die</strong> anderenApostel energisch. Jemand, der von den Römern <strong>auf</strong>gezwungene Steuern eintrieb und damit demjüdischen Religionsgesetz über <strong>die</strong> Tempelsteuer <strong>zu</strong>widerhandelte, war ihnen gar nicht recht.Wenn sie – <strong>zu</strong>mindest phasenweise – mit Schwertern bewaffnet herumliefen, war das sogar MEHRals ein Verstoß gegen römische Gesetze, denn das Tragen derartiger Waffen war Juden strengstensverboten und wurde als (versuchter) Aufruhr gegen Rom geahndet. Und da waren <strong>die</strong> Römer gan<strong>zu</strong>nd gar nicht zimperlich.Daß eine Gruppe von Rom-Skeptikern, Rom-Gegnern oder Rom-Feinden einen der Ihren mit einemrömischen (lateinischen) Beinamen (<strong>noch</strong> da<strong>zu</strong> einem Wortspiel) versieht, ist völlig absurd. Genauso absurd, wie wenn heutige Taliban einen der Ihren „Jim“ oder „Bruce“ oder „Will“ nennen – unddann auch <strong>noch</strong> mit einem fremdsprachigen Wortspiel jonglieren wie <strong>zu</strong>m Beispiel „You are Will,and you shall fulfill my will“.Deshalb bin ich überzeugt, daß <strong>die</strong>se Felsen-Kirche-Geschichte niemals passiert ist und erst imL<strong>auf</strong>e des 2. oder gar 3. <strong>Ja</strong>hrhunderts in <strong>die</strong> Evangelien eingefügt wurde, um Petrus, den legendärenersten Bischof von Rom, als „Nachfolger“ Jesu legitimieren <strong>zu</strong> können und somit <strong>die</strong> Vorherrschaftdes Bischofs von Rom über alle anderen Bischöfe.Wäre nicht <strong>die</strong>se Felsen-Kirche-Erzählung in den Evangelien, dann wäre Simon Bar-Jona, genanntKephas, genau so ein Statist der Jesus-Geschichte wie sein Bruder Andreas oder sonst ein Apostel.Der einzige Apostel, der für <strong>die</strong> christliche Heilslehre von Bedeutung ist, heißt Judas Iskariot. Ohneseine „Mitarbeit“ wäre Jesus ja gar nicht gekreuzigt worden.Übersetzt man <strong>die</strong> Evangelien korrekt, dann hat Judas seinen Meister Jesus nicht „verraten“,sondern „überantwortet“ oder „übergeben“. Vielleicht tat er <strong>die</strong>s sogar im Auftrag seines Meisters.Der sprichwörtlich gewordene „Judaslohn“ ist wahrscheinlich nur zahlenmythologisch <strong>zu</strong> verstehen.Die Ziffernsummer des Namens Juda(s) beträgt nämlich 30. Keinesfalls wurde nach Judas' Tod von<strong>die</strong>sen dreißig Silberlingen ein Grundstück namens „Blutacker“ gek<strong>auf</strong>t. <strong>Ein</strong> derartiges Grundstückgab es in der ersten Hälfte des 1. <strong>Ja</strong>hrhunderts gar nicht. Auch der Tod des Judas ist unklar. In denEvangelien erhängte er sich, in der Apostelgeschichte hingegen verreckte er mit heraushängendemGedärm <strong>auf</strong> einer Landstraße. Daß bestenfalls eine Version stimmen kann, liegt wohl <strong>auf</strong> der Hand.Oder ist alles – wieder einmal – nur symbolisch?<strong>Ein</strong>es muß wohl klar sein: Die Wahl der zwölf Apostel ist durchaus von hohem symbolischen Wert.Zwölf Stämme Israels, zwölf Apostel. Und sofort nach der Chaotik um Jesu Hinrichtung und dem„Ausscheiden“ des Judas wählten <strong>die</strong> übrig gebliebenen Jünger einen neuen zwölften Mann.Die zwölf Original-Apostel hat Jesus selbst ausgewählt. Sie waren handverlesen. Möglicherweisewar Judas sogar der engste Vertraute Jesu, verantwortlich für <strong>die</strong> Beschaffung von Nahrung,Geldmitteln und Schlafgelegenheiten. Das würde auch erklären, warum Jesus Judas schickte, um„endlich“ im Sinne der Heilsgeschichte „überantwortet“ <strong>zu</strong> werden.Sehen <strong>wir</strong> uns <strong>die</strong> christliche Heilslehre etwas näher an.In der von mir persönlich nicht geschätzten Johannes-Offenbarung <strong>wir</strong>d anfangs beschrieben, wieGott und andere Himmelswesen (wahrscheinlich Erzengel) <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erde hinunterblicken und mitBesorgnis feststellen, daß <strong>die</strong> Menschen so gar nicht nach Gottes Willen leben und allesamt inGefahr <strong>sind</strong>, der ewigen Verdammnis anheim<strong>zu</strong>fallen. Was tun? Nur EINER ist bereit, selberhinunter<strong>zu</strong>gehen und <strong>die</strong> Menschen aus der XCR <strong>zu</strong> holen. (Warum nur einer? Hätte Gott sich nichtetwas anderes überlegen können? Nein! Eben DAS ist Gottes Plan, genau DARIN besteht GottesHeilsangebot: Erlösung durch „das Lamm“ (siehe auch „Lamm Gottes“, vergleiche (unbedingt!)auch Opferlamm, <strong>die</strong>sen prophylaktischen Sündenbock).) So kommt also Jesus, Sohn Gottes,wesensgleich mit Gott und selber Gott, <strong>auf</strong> und in <strong>die</strong> Welt, um durch seinen ungerechtfertigten,


168FREIWILLIGEN Opfertod <strong>die</strong> Menschen von ihren Sünden <strong>zu</strong> befreien. Nach seinem Todüberwindet er selbigen, erwacht <strong>zu</strong> neuem Leben (in einem „transformierten“ körperlichenZustand), vermittelt seinen engsten Schülern seinen göttlichen („Heiligen“) Geist und auch <strong>die</strong>Fähigkeit, ihrerseits in seinem Namen Sünden <strong>zu</strong> vergeben. Weiters verspricht er seine Wiederkehr,um das (sogenannte) Böse (an sich) endgültig <strong>zu</strong> vernichten und das Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden <strong>zu</strong>errichten.Diese Wiederkunft deckt sich fast völlig mit der traditionellen jüdischen Erwartung eines Messias.Fast, denn während der jüdische Messias ein MENSCH sein <strong>wir</strong>d (oder soll), wenn auch das Idealeines „Gerechten“, ist der wiedergekehrte Jesus ein Himmelswesen in all seiner himmlischen Prachtund Größe und bedarf keiner Geburt. (Den<strong>noch</strong> glauben manche Christen auch an eine solche„Wiedergeburt“.)Den ersten Teil der christlichen Heilslehre (mit Sündenvergebung und Erlösung allein durch Jesus)lehnen Juden strikt ab, Muslime ebenso, und andere Religionen in weitesten Teilen eigentlich auch.Für Muslime ist Jesus ein Prophet, aber nicht mehr.Für Juden ist er – nehme ich mal an – nicht einmal ein Rabbi im traditionellen Sinn, geschweigedenn Prophet oder gar der Messias. Für Juden MUSS Jesus <strong>auf</strong>grund der von seinen Schülern undAnhängern verbreiteten Lehre außerhalb des Judentums stehen.Für nichtchristliche Monotheisten liegt eine Vergebung der Sünden allein bei Gott. KEIN Menschvermag <strong>die</strong>s, auch nicht der <strong>zu</strong>künftige Messias.Der Messias, der Erlöser, <strong>auf</strong> den <strong>die</strong> Juden warten, ist ein Mensch.Der Messias, <strong>auf</strong> den <strong>die</strong> Christen warten, IST bereits Erlöser. Und Gott. Gott Sohn.


169Wenn <strong>wir</strong> uns an <strong>die</strong> <strong>Ein</strong>führung in <strong>die</strong> esoterische Philosophie des jüdischen Alexandriners Philo<strong>zu</strong>rückerinnern, dann ist der Begriff „Sohn“ eine Metapher, ein Sinnbild. Der „Sohn“ ist dasProdukt von „Vater“ (dem <strong>Ein</strong>en Gott, über den nichts ausgesagt werden kann – Transzendenz) und„Mutter“ Sophia, Weisheit, Dyas, dem kosmischen Gesetz der Dualität, ohne das nichts entstehenkann.Dieser „Sohn“ ist der Weltenschöpfer oder Demiurg.Also <strong>Ja</strong>hwe, der Schöpfergott.Wenn aber Jesus der Sohn <strong>Ja</strong>hwes ist, dann ist er eigentlich ja der „Enkel“, nicht der „Sohn“.Oder habe ich mich etwa im Labyrinth esoterischer Metaphern verl<strong>auf</strong>en?Oder haben sich ANDERE in <strong>die</strong>sem Labyrinth verl<strong>auf</strong>en?Hat man „etwas“ ZU wörtlich genommen?War Jesus eine göttliche Inkarnation?Über eine Brahma-Inkarnation ist mir nichts bekannt. Über keine einzige.Wessen Inkarnation könnte Jesus gewesen sein?Oder ist das bereits ein ANDERES spekulatives Labyrinth, in dem man sich verirren kann?Hängen diverse Labyrinthe miteinander <strong>zu</strong>sammen?Gibt es einen Labyrinthismus?Gibt es gar einen Labyrinthizismus?Wo<strong>zu</strong>?Wie kommt man bloß heraus?Wie kommt man bloß hinein?Und wo<strong>zu</strong>?


170<strong>Ein</strong>e der Textstellen der jüdischen Tradition, <strong>die</strong> seitens der Christenheit angeführt werden, umJesus als Messias <strong>zu</strong> beweisen, finden <strong>wir</strong> beim Propheten Jesaja. Es ist das sogenannte „vierte Liedvom Gottesknecht“, Kapitel 52, Vers 13 bis Kapitel 53, Vers 12.„Seht, mein Knecht hat Erfolg, er <strong>wir</strong>d groß sein und hoch erhaben.Viele haben sich über ihn entsetzt, so entstellt sah er aus, nicht mehr wie ein Mensch, seine Gestaltwar nicht mehr <strong>die</strong> eines Menschen.Jetzt aber setzt er viele Völker in Staunen, Könige müssen vor ihm verstummen.Denn was man ihnen <strong>noch</strong> nie erzählt hat, das sehen sie nun;was sie niemals hörten, das erfahren sie jetzt.Wer hat unsere Kunde geglaubt? Der Arm des Herrn – wem wurde er offenbar?Vor seinen Augen wuchs er <strong>auf</strong> wie ein junger Sproß, wie ein Wurzeltrieb aus trockenem Boden.Er hatte keine schöne und edle Gestalt, sodaß <strong>wir</strong> ihn anschauen mochten.Er sah nicht so aus, daß <strong>wir</strong> Gefallen fanden an ihm.Er wurde verachtet und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheitvertraut.Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet; <strong>wir</strong> schätzten ihn nicht.Aber er hat unsere Krankheit getragen und unsere Schmerzen <strong>auf</strong> sich geladen.Wir meinten, er sei von Gott geschlagen, von ihm getroffen und gebeugt.Doch er wurde durchbohrt wegen unserer Verbrechen, wegen unserer Sünden zermalmt.Zu unserem Heil lag <strong>die</strong> Strafe <strong>auf</strong> ihm, durch seine Wunden <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> geheilt.Wir hatten uns alle verirrt wie Schafe, jeder ging für sich seinen Weg.Doch der Herr lud <strong>auf</strong> ihn <strong>die</strong> Schuld von uns allen.Er wurde mißhandelt und niedergedrückt, aber er tat seinen Mund nicht <strong>auf</strong>.Wie ein Lamm, das man <strong>zu</strong>m Schlachten führt, und wie ein Schaf angesichts seiner Scherer, so tatauch er seinen Mund nicht <strong>auf</strong>.Durch Haft und Gericht wurde er dahingerafft, doch wen kümmerte sein Geschick?Er wurde vom Land der Lebenden abgeschnitten und wegen der Verbrechen seines Volkes <strong>zu</strong> Todegetroffen.Bei den Ruchlosen gab man ihm sein Grab, bei den Verbrechern seine Ruhestätte,obwohl er kein Unrecht getan hat und kein trügerisches Wort in seinem Mund war.Doch der Herr fand Gefallen an seinem zerschlagenen (Knecht), er rettete den, der sein Leben alsSühneopfer hingab.Er <strong>wir</strong>d Nachkommen sehen und lange leben. Der Plan des Herrn <strong>wir</strong>d durch ihn gelingen.Nachdem er so vieles ertrug, erblickt er das Licht. Er sättigt sich an Erkenntnis.Mein Knecht, der gerechte, macht <strong>die</strong> vielen gerecht; er lädt ihre Schuld <strong>auf</strong> sich.Deshalb gebe ich ihm seinen Anteil unter den Großen, und mit den Mächtigen teilt er <strong>die</strong> Beute,weil er sein Leben dem Tod preisgab und sich unter <strong>die</strong> Verbrecher rechnen ließ.Denn er trug <strong>die</strong> Sünden von vielen und trat für <strong>die</strong> Schuldigen ein.“Als Fußnote folgen fünf Zeilen mit Querverweisen <strong>zu</strong> anderen Textstellen, fast ausschließlich mitsolchen des christlichen Neuen Testaments.Aber nur Teile <strong>die</strong>ser Prophezeiung können <strong>auf</strong> Jesus bezogen werden. Er war weder häßlich <strong>noch</strong>von Krankheiten gezeichnet; er wurde nicht wegen seines Aussehens von Menschen gemieden. Erhatte (nach seiner Hinrichtung) weder ein langes Leben <strong>noch</strong> Nachkommen. Auch teilte er mitMächtigen keine Beute. Wenn man aber nur ausgesuchte Textpassagen dafür heranzieht, was man„beweisen“ will, dann ist das wieder einmal so, wie wenn man Rosinen aus einem Kuchen pickt.Das ist Rosinen-Theologie. Das ist religiöser Opportunismus. Das ist Rosinen-Opportunismus.Diagnose: Interpretitis; Labyrinthismus.Ist <strong>die</strong>ser Kuchen überhaupt schon fertig gebacken?Davon essen möchten ja viele.Und stimmt das Rezept überhaupt?


171Wenige Tage vor seinem Tod ritt Jesus <strong>auf</strong> dem Rücken einer Eselin in Jerusalem ein, einer Eselinmit einem Fohlen.Wie prophezeit. Jesaja, Sacharja, Psalmen. Die beiden Eselchen standen aber keineswegs so <strong>zu</strong>fälligherum, sondern Jesus schickte Jünger aus, sie <strong>zu</strong> holen.Warum hat er nicht seinen Bart gekrault und in etwa Folgendes überlegt? „Wenn ich der Messiasbin, dann bin ich es sicherlich auch ohne Esel. Und wenn ich es nicht bin, werde ich es durch <strong>die</strong>seganz sicher auch nicht.“Jesus und seine Anhänger waren gläubige und fromme Juden, und sie KANNTEN deshalb auch all<strong>die</strong> Messias-Prophezeiungen der jüdischen Religionskultur.Die Prophezeiungen MUSSTEN erfüllt werden, wenn er der Messias war.Jesus WOLLTE <strong>die</strong> Prophezeiungen erfüllen.Gezweifelt hat er ja manchmal. Er hat Petrus gefragt: „Was sagen <strong>die</strong> Leute so über mich?“ Und:„Was glaubst du selber, Simon?“Seit jener Unterhaltung aber scheint er sich gewiß gewesen <strong>zu</strong> sein, entschlossen gewesen <strong>zu</strong> sein.„Ich bin der Messias. Ich werde <strong>die</strong> Schrift erfüllen. Die Propheten zielen <strong>auf</strong> mich hin. Ich gehejetzt nach Jerusalem, um <strong>zu</strong> sterben. Ich nehme den Opfertod <strong>auf</strong> mich, um das Volk Israel mit Gott<strong>zu</strong> versöhnen, um es <strong>zu</strong> erlösen, von seinen Sünden <strong>zu</strong> befreien. Ich bin das Opferlamm.“<strong>Ein</strong> gläubiger Christ <strong>wir</strong>d sich bei der Formulierung „scheint er sich gewiß gewesen <strong>zu</strong> sein“vermutlich ein wenig empören. Er MUSS gewissermaßen sogar von einem heftigen Hirn- undHodensausen befallen werden, denn für einen gläubigen Christen IST Jesus ja der Messias.Aber es ist nicht aus<strong>zu</strong>schließen, daß Jesus samt seiner Anhängerschaft lediglich glaubte, er wäreder Messias; daß er selber davon überzeugt war und deshalb BEWUSS und in gutem Glauben <strong>auf</strong>seinen eigenen Tod hinarbeitete; daß ER SELBER Judas be<strong>auf</strong>tragte, ihn an den jüdischen HohenRat aus<strong>zu</strong>liefern.<strong>Ein</strong>es muß man wohl feststellen: NACH seinem freiwilligen Tod hat Jesus das Königreich Gottes<strong>auf</strong> Erden NICHT errichtet, weder hat er <strong>die</strong> Römer aus dem Land geworfen <strong>noch</strong> Israel befreit, erist weder <strong>zu</strong>m weltlichen <strong>noch</strong> religiösen Führer des Volkes Israel geworden.Das jüdische Volk erwartete (und erwartet auch weiterhin) einen irdischen Herrscher. Der christlicheMessias jedoch ist ein jenseitiger, himmlischer Herrscher; Gottes Sohn, wesensgleich mit Gott.(Kann man sagen: himmlischer Vizekönig? Wo<strong>zu</strong> ein solcher überhaupt nötig sein sollte, wissenwahrscheinlich nicht einmal Theologen.) Während der jüdische Messias über ein irdisches Reichherrschen soll, ist der christliche ein Herrscher im Himmel. Aus dem „Königreich Gottes <strong>auf</strong> Erden“ist ein „Himmelreich“ geworden.Wird der Begriff „Himmelreich“ gar bewußt falsch oder irreführend übersetzt oder interpretiert?Probiert mal, in den jeweiligen Passagen der Evangelien „Himmelreich“ durch „Königreich Gottes<strong>auf</strong> Erden“ <strong>zu</strong> ersetzen; das ändert so manche Predigt.Jesus und seine Anhänger waren zweifellos fromme Juden, <strong>die</strong> wie der Großteil des jüdischenVolkes an ein unmittelbares, baldiges Erscheinen des Messias glaubten; und zwar des jüdischenMessias, denn einen christlichen gab es <strong>noch</strong> nicht.Und nichts in den Predigten Jesus deutet dar<strong>auf</strong> hin, daß er eine NEUE Religion begründen wollte.


172Die Vergebung der Sünden ist von ganz zentraler Bedeutung für <strong>die</strong> christliche Lehre.In den übrigen monotheistischen Religionen steht es allein Gott <strong>zu</strong>, Sünden <strong>zu</strong> vergeben. ImChristentum kann das allerdings auch Jesus, weil er ja selber Gott ist, Gott Sohn. Es können <strong>die</strong>saber auch all jene Personen, <strong>die</strong> Jesus vor seiner „Himmelfahrt“ mit <strong>die</strong>ser Fähigkeit ausgestattethat, sowie all jene Personen, denen <strong>die</strong>se Personen <strong>die</strong>se Fähigkeit weitergegeben haben (in Formeiner Weihe) und so weiter und so weiter; allerdings ist ihnen <strong>die</strong> Sündenvergebung ausschließlichIM NAMEN JESU gegeben. (Es gibt allerdings auch Christen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Weitergabe der Fähigkeit<strong>zu</strong>r Sündenvergebung bezweifeln oder ablehnen.)Daß Jesus anderen Menschen Sünden vergeben hatte, betrachteten seine jüdischen Zeitgenossen alsgröbste Anmaßung, als Gotteslästerung. Ich schätze, sie (und andere nicht-christliche Monotheisten)sehen das auch heute <strong>noch</strong> so.In den Evangelien <strong>wir</strong>d berichtet, daß Jesus nach seinen Wunderheilungen <strong>die</strong> Worte „Deine Sünden<strong>sind</strong> vergeben“ und „Sündige nicht mehr“ sprach. Daraus kann man schließen, daß Jesus nichtirgendwelche Symptome beseitigte, sondern <strong>die</strong> „wahren“ Ursachen der Leiden: „sündhaftesVerhalten“ (im monotheistischen Sprachgebrauch) beziehungsweise (im hinduistischen oderbuddhistischen Sinne) „karma“; er beseitigte <strong>die</strong> karmischen Ursachen der jeweiligen Leiden.Karma bedeutet Handeln; sowohl das Handeln an sich als auch relevanten Folgen des Handelns. In<strong>die</strong>sem Fall ist negatives oder schlechtes Karma gemeint.Sowohl Hinduismus als auch Buddhismus <strong>sind</strong> voll von Geschichten über Buddhas, Bodhisattvas,Rinpoches, Meister und Gurus mit der Fähigkeit, das Karma anderer Menschen <strong>auf</strong> sich nehmen <strong>zu</strong>können. Aus Sicht <strong>die</strong>ser Religionen ist Jesus beileibe weder <strong>Ein</strong>zelfall <strong>noch</strong> Sonderfall.Man kann davon ausgehen, daß dem Kulturkreis, in dem Jesus und seine Anhänger lebten, <strong>die</strong>Karma-Idee fremd oder bestenfalls ansatzweise bekannt war. Deshalb darf man sich auch nichtwundern, wenn Jesu Schüler nicht <strong>wir</strong>klich kapierten, daß Jesus bei diversen Heilungen karmische<strong>Ein</strong>griffe tätigte, und darum <strong>die</strong>se Handlungen in eine Richtung mystifizierten, <strong>die</strong> NOCH MEHRRaum für diverse Mißverständnisse oder ein generelles Unverständnis bot.Ich persönlich zweifle weder daran, daß Jesus <strong>die</strong> Fähigkeit hatte, karmische <strong>Ein</strong>griffe tätigen <strong>zu</strong>können, <strong>noch</strong> daß andere Menschen <strong>die</strong>se Fähigkeit besaßen oder besitzen. Strittig ist für mich nur,ob <strong>die</strong>se Leute das Karma anderer einfach so irgendwohin verpuffen lassen können, oder aber, obsie <strong>zu</strong>mindest einen Teil <strong>die</strong>ses Karma sehr wohl <strong>auf</strong> sich nehmen müssen. Ich neige <strong>zu</strong> zweiterAnschauung; daß man so<strong>zu</strong>sagen „dafür zahlen“ muß, wenn man bewußt in das Leben andererMenschen eingreift, indem man deren Karma (oder einen Teil davon) <strong>auf</strong> sich nimmt.Unter <strong>die</strong>sem Gesichtspunkt kann man <strong>zu</strong> der Feststellung gelangen, daß Jesus eigentlich rechtheftig für seine <strong>Ein</strong>griffe bezahlt hat.Jesu karmische <strong>Ein</strong>griffe waren PERSÖNLICHER Natur; es waren einzelne Menschen, <strong>die</strong> er <strong>auf</strong><strong>die</strong>se Art heilte.An eine kollektive Karma-Verbrennung glaube ich nicht.An eine prophylaktische, im voraus getätigte Beseitigung von negativem Karma, wie <strong>die</strong>s imChristentum proklamiert <strong>wir</strong>d in der Behauptung, daß Jesus ALLE Sünden ALLER Menschen (auch<strong>die</strong> <strong>zu</strong>künftiger Generationen) <strong>auf</strong> sich nehmen würde, sofern man sich nur <strong>zu</strong> Jesus bekennt undbereut, glaube ich schon gar nicht.Die Welt würde anders aussehen, wenn dem so wäre. Denn leider ist <strong>die</strong> Geschichte der Christenheitvoll von Psychopathen, Mördern und Verbrechern, <strong>die</strong> sich sehr wohl <strong>zu</strong> Jesus bekannten – odersogar in dessem Namen ihre Fiesheiten und Verbrechen begingen (und begehen).


173Wer ist „schuld“ am Tod Jesu?Die Juden?Judas?Die Römer?Jesus selber?Gott?Die Behauptung, <strong>die</strong> Juden der damaligen Zeit hätten kein Gesetz gehabt, um einen Menschenhin<strong>zu</strong>richten, ist keinesfalls richtig. Wer eine Ehebrecherin <strong>zu</strong> Tode steinigen konnte – völligkonform mit der Thora – , der konnte <strong>die</strong>s auch mit Gotteslästerern tun. In der vom EvangelistenLukas verfaßten Apostelgeschichte berichtet Saulus von Tarsus (später bekannt unter dem NamenPaulus) in Vers 10 des 26. Kapitels, daß er selbst mitverantwortlich war für Hinrichtungen nachjüdischem Recht. In derlei religiöse Zwistigkeiten mischten sich <strong>die</strong> Römer nicht ein.Jesus wurde nicht gesteinigt, sondern gekreuzigt. Die Kreuzigung war <strong>die</strong> im römischen Reichübliche Hinrichtungsmethode für Schwerverbrecher sowie politische Aufrührer.Jesus wurde nach römischem Recht verurteilt und hingerichtet. Es war kein jüdischer Prozeß, derihm das Leben kostete, sondern ein römischer.Pontius Pilatus, der örtliche Statthalter Roms, hat Jesus <strong>zu</strong>m Tode verurteilt.Dieser Pontius Pilatus hatte zwanzig <strong>Ja</strong>hre als Offizier im römischen Heer ge<strong>die</strong>nt, bevor er denPosten als Statthalter in einer unruhigen Grenzregion antrat. Es ist kaum vorstellbar, daß einhartgesottener Soldat der verständnisvolle Zauderer und Softie gewesen sein soll, als der er imNeuen Testament dargestellt <strong>wir</strong>d; ein solcher hätte <strong>die</strong>ses Amt gar nicht bekommen. In Wirklichkeitwar er ja auch kein Weichei, er hätte sogar gern härter gegen <strong>die</strong> als „schwierig“ bekannten Judendurchgegriffen, durfte aber keinesfalls einen Volks<strong>auf</strong>stand provozieren. Er scheute sich allerdingsauch nicht, anti-römische Tendenzen, <strong>die</strong> in eine Rebellion ausarten könnten, brutal <strong>zu</strong> bekämpfen.Nur fünf <strong>Ja</strong>hre nach Jesu Tod schickte er einen Trupp Soldaten nach Samaria, um den dortigenMessias samt seiner Anhängerschaft <strong>zu</strong> liqui<strong>die</strong>ren. Dieses Gemetzel kostete ihm auch seinen Job;oder sogar <strong>noch</strong> mehr. Er wurde nach Rom <strong>zu</strong>rückbefohlen, fiel in Ungnade und verübtehöchstwahrscheinlich Selbstmord, um Ehre und Besitz der Familie <strong>zu</strong> <strong>retten</strong>. Durch und durchRömer, möchte man sagen; keinesfalls „Christ“.Wieso aber <strong>wir</strong>d Pilatus in den Evangelien derartig positiv beschrieben, daß er von manchen sogarals Heiliger verehrt <strong>wir</strong>d?Wer – außer den Römern selber – hatte ein Interesse daran, Pilatus – und damit Rom insgesamt – alsam Tode Jesu unschuldig dar<strong>zu</strong>stellen?(Daß <strong>die</strong> Evangelien <strong>die</strong> Basis für den christlichen Antisemitismus bilden, möchte ich nur am Randeerwähnen. Sie weisen <strong>die</strong> Schuld an Jesu Tod EINDEUTIG „den Juden“ <strong>zu</strong> – und zwar kollektiv.Das Neue Testament läßt nämlich das jüdische Volk folgendermaßen sprechen: „Sein Blut kommeüber uns und unsere Kinder.“ (Matthäus 27, Vers 25))Wer hatte ein Interesse daran, Rom von jeglicher Schuld frei<strong>zu</strong>sprechen und <strong>die</strong>se dem jüdischenVolk <strong>zu</strong><strong>zu</strong>weisen?Nur im Lukas-Evangelium <strong>wir</strong>d der gefangene Jesus auch vor König Herodes gebracht. Zuerst, inaller Frühe, <strong>wir</strong>d Jesus vom Hohen Rat der Juden verhört, danach <strong>wir</strong>d er <strong>zu</strong> Pilatus gebracht, <strong>die</strong>serschickt ihn weiter <strong>zu</strong> Herodes, weil Jesus als Galiläer unter <strong>die</strong> Zuständigkeit des Herodes fällt,jener wiederum schickt Jesus <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> Pilatus, wo er dann verhört, gefoltert und <strong>zu</strong>m Kreuzestodverurteilt <strong>wir</strong>d.(Frage am Rande: Würde <strong>die</strong> Christenheit heute einen Galgen verehren, wenn Jesus gehängt wordenwäre? Oder einen Richtblock, ein Schwert, ein Beil, wenn er geköpft worden wäre?)Zur dritten Stunde soll Jesus ans Kreuz genagelt worden sein.Geht sich das zeitlich eigentlich alles aus – Hoher Rat, Pilatus, Herodes, erneut Pilatus? Wann kannman einen römischen Statthalter aus dem Bett klingeln? Oder einen (jüdischen) König?


174Zwischen der sechsten und neunten Stunde <strong>die</strong>ses Tages legte sich laut dreier Evangelien Finsternisüber das ganze Land, und in Jesu Todesstunde riß der Vorhang des jüdischen Tempels entzwei; beiJohannes jedoch finden <strong>wir</strong> nichts davon. (Die Berichte der Evangelisten <strong>sind</strong> also keineswegs soeinhellig, wie durchschnittliche Christen meinen.)„Mein Königtum ist nicht von <strong>die</strong>ser Welt.“Diese an Pilatus gerichteten Jesus-Worte finden <strong>wir</strong> lediglich beim Evangelisten Johannes, Kapitel18, Vers 36. In den anderen Evangelien fragt Pilatus lediglich, ob Jesus der König der Juden sei, und<strong>die</strong> Antwort lautet jedes Mal: „Du sagst es.“ Bei Johannes allerdings lautet Jesu Antwort: „Sagst dudas von dir aus, oder haben es dir andere über mich gesagt?“<strong>Ein</strong>en zweiten König der Juden konnte Pilatus nicht dulden, <strong>zu</strong>mal Herodes ja weitgehend gutspurte und kooperierte. Das roch nach Aufruhr.<strong>Ein</strong>en zweiten Sohn Gottes allerdings konnte Pilatus auch nicht dulden; es GA für ihn und jedenanderen Römer ja bereits einen Sohn Gottes – den römischen Kaiser. Das roch erst recht nachAufruhr und massenhaft Problemen.Also weg mit dem Kerl. Kurz und bündig. War ja nicht der erste – und auch nicht der letzte.Ob Jesus wohl tatsächlich <strong>die</strong>se Worte an Pilatus gesprochen hat? Als JÜDISCHER Messias sichernicht, denn dessen Reich ist SEHR WOHL <strong>die</strong>sseitig, ja sogar AUSSCHLIESSLICH von <strong>die</strong>serWelt. Kein Jude erwartete – und erwartet – <strong>die</strong> Verkündigung eines „Himmelsreichs“, sondern <strong>die</strong>Errichtung des Königreichs Gottes AUF ERDEN.Und das roch für <strong>die</strong> römische Besat<strong>zu</strong>ng sowieso nach Aufruhr und massenhaft Problemen (und sonebenbei wahrscheinlich auch nach Sektierertum).Aber wem – außer den Römern – könnte daran gelegen gewesen sein, aus einer <strong>die</strong>sseitsbezogenenMessias-Erwartung eine jenseitsbezogene NEUE Religion <strong>zu</strong> machen?Die jüdische Messias-Erwartung war ständiger Sprengstoff in gesellschaftlicher und politischerHinsicht, nicht nur in religiöser. Diesen Sprengstoff durch eine neue Jenseits-Religion entschärft <strong>zu</strong>wissen, war den Römern sicherlich recht. Wenn das Heil in einem Jenseits nach dem Tode <strong>zu</strong> findenwar, mußte ein <strong>die</strong>sseitiges Heil ja nicht mehr erkämpft werden.


175Gäbe es <strong>die</strong> Möglichkeit, mittels eines besonderen Fernrohrs in <strong>die</strong> Vergangenheit <strong>zu</strong> blicken,dann würde ich das aus Langeweile und Interesse wohl mehrmals tun. Und ich würde <strong>auf</strong> jeden Falldas Jerusalem der <strong>Ja</strong>hre 48 bis 50 anpeilen. In einem <strong>die</strong>ser <strong>Ja</strong>hre fand nämlich das sogenannteApostelkonzil statt.Mich würde brennend interessieren, welche Gruppierungen, Meinungen, Interessen, Anschauungenund Glaubensinhalte dort <strong>auf</strong>einanderprallten und diskutiert wurden. Mich würde interessieren,warum nach <strong>die</strong>sem Konzil der Vorsteher der Jerusalemer Anhängerschaft Jesu, ein leiblicherBruder Jesu mit Namen <strong>Ja</strong>kobus, nahe<strong>zu</strong> in Bedeutungslosigkeit versank. Mich würde interessieren,warum als eindeutiger „Sieger“ <strong>die</strong>ses Konzils der Superstar der christlichen Theologie hervortrat:Saulus von Tarsus.Saulus hatte den Namen Paulus angenommen, nachdem er zwei oder drei <strong>Ja</strong>hre nach Jesu Tod <strong>auf</strong>dem Weg nach Damaskus eine Jesus-Vision erfahren hatte. Zwischen den <strong>Ja</strong>hren 32 oder 33 und denmöglichen Konzilsdaten 48 oder 50 liegen 15 bis 18 <strong>Ja</strong>hre. Was hat Saulus in <strong>die</strong>sem Zeitraumeigentlich getan? Seine Missionsreisen unternahm er allesamt erst NACH dem Apostelkonzil, seineebenso berühmten Briefe schrieb er ebenfalls erst danach.Saulus entstammte einer gebildeten und wahrscheinlich wohlhabenden jüdischen Familie imfreiwilligen Exil. Er war des Hebräischen, Aramäischen, Griechischen und des Latein mächtig. Under besaß das römische Bürgerrecht. In jungen <strong>Ja</strong>hren ging er vom kleinasiatischen Tarsus (in derheutigen Türkei) nach Jerusalem, um für den Hohen Rat <strong>zu</strong> arbeiten. Saulus war Priester undgehörte der Sekte der Pharisäer an, welche nicht an <strong>die</strong> Auferstehung von den Toten glaubte.Kommen <strong>die</strong> Pharisäer eventuell deshalb so schlecht im Neuen Testament weg, weil Saulus nicht sogut <strong>auf</strong> seine ehemaligen Kumpel <strong>zu</strong> sprechen war, nachdem er <strong>zu</strong>r „neuen“ Lehre des Jesus vonNazareth konvertiert war? Es ist ja allgemein bekannt, daß Konvertiten etwas eifriger ans Werkgehen als Gläubige, <strong>die</strong> in eine Religion hineinwachsen. Oder ist das Neue Testament etwa nurdeshalb anti-pharisäisch, weil <strong>die</strong> Pharisäer <strong>die</strong> Auferstehung leugneten, eine der Grundsäulen desChristentums, ohne <strong>die</strong> es gar keine christliche Lehre gäbe?Wenn jemand <strong>zu</strong>fällig einmal von Langeweile geplagt sein sollte, möge er das Neue Testament <strong>zu</strong>rHand nehmen und <strong>die</strong> in den Evangelien vorhandenen „Worte Jesu“ den Briefen des Saulus vonTarsus gegenüberstellen; wenn er <strong>zu</strong>sätzlich <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Apostelgeschichte und das Evangelium desmutmaßlichen Saulus-Schülers Lukas hin<strong>zu</strong>rechnet, <strong>wir</strong>d wohl klar, wen <strong>wir</strong> als Begründer desChristentums <strong>zu</strong> betrachten haben.Saulus konnte hervorragend mit Worten umgehen. Im Brief an <strong>die</strong> Römer zeigt er sich alsIntellektueller, der den Römern eine neue, den Heiden wohlgesonnene Religion nahebringt. Im Briefan <strong>die</strong> Hebräer präsentiert er sich als in allen Schriften bewanderter Ex-Jude (religiös gesehen), deretwas Neues, Besseres und Wahreres vertritt. In den übrigen Briefen zeigt er sich als Bruder undLehrer.Auf seinen Missionsreisen war Saulus als Zeltmacher tätig. Oder auch nicht. Im erstenKorintherbrief (Kapitel 9, Vers 6) schreibt er nämlich: „Sollen nur ich und Barnabas <strong>auf</strong> das Rechtverzichten, nicht arbeiten <strong>zu</strong> müssen?“ Hier ging es um <strong>die</strong> Frage, ob ein Prediger nur vom Predigenleben durfte oder nebenbei auch arbeiten müsse. Saulus wollte offensichtlich „nur“ predigen. Imzweiten Brief an <strong>die</strong> Thessalonicher vertritt Saulus jedoch eine gegenteilige Auffassung, nämlichdaß sich jeder selber sein Brot ver<strong>die</strong>nen soll. In Vers 10 des 3. Kapitels heißt es sogar: „Wer nichtarbeiten will, soll auch nicht essen.“ (Isoliert betrachtet klingt das sogar ein wenig faschistoid.)Zweifellos war Saulus ein großer Idealist, als Konvertit mit Sicherheit sogar ein besonders großer.Über<strong>die</strong>s fröhnte er einer besonderen Spielart des Idealismus: dem Zölibat. Auf seine persönlicheAblehnung einer geschlechtlichen Beziehung ist <strong>noch</strong> heute <strong>die</strong> Ehelosigkeit diverser NacholgerJesu <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>führen. Überhaupt scheint Saulus nicht sehr viel von Frauen gehalten <strong>zu</strong> haben. Ichzitiere <strong>die</strong> Verse 33 bis 35 aus dem 14. Kapitel des 1. Briefs an <strong>die</strong> Korinther: „Wie es in allenGemeinden der Heiligen üblich ist, sollen <strong>die</strong> Frauen in der Versammlung schweigen; es ist ihnen


176nicht gestattet <strong>zu</strong> reden. Sie sollen sich unterordnen, wie auch das Gesetz es fordert. Wenn sie etwaswissen wollen, dann sollen sie <strong>zu</strong> Hause ihre Männer fragen; denn es gehört sich nicht für eine Frau,vor der Gemeinde <strong>zu</strong> reden.“ (Konkret genug? Also, liebe Christin: Schnauze halten und daheimden Alten fragen, was du wahrscheinlich sowieso nicht verstehst. Alles klar? (Meint Saulus; ich janicht.)) Auch Sklaven sollten brav sein und ihre Herren so nebenbei bekehren.Wie viele andere Juden und Urchristen war auch Saulus absolut davon überzeugt, unmittelbar in derEndzeit <strong>zu</strong> leben. Dies sollten Leser des Neuen Testaments allemal bedenken: Sämtliche Schriftendes Neuen Testaments gehen davon aus, daß <strong>die</strong> Endzeit bereits begonnen hatte und das KönigreichGottes <strong>auf</strong> Erden unmittelbar bevorstand; daß es nicht mehr lange dauern würde, bis Jesus in allseiner göttlichen Herrlichkeit <strong>zu</strong>rückkehren und <strong>die</strong>ses Königreich Gottes errichten würde.BALD – so hatte Jesus versprochen – würde er wiederkehren. Nur <strong>noch</strong> kurze Zeit.Aber was bedeutet „bald“? <strong>Ein</strong>ige Monate, einige <strong>Ja</strong>hre? Kann man <strong>Ja</strong>hrzehnte eventuell <strong>noch</strong> als„bald“ ansehen? (<strong>Ja</strong>hrhunderte oder gar <strong>Ja</strong>hrtausende wohl eher nicht mehr.)Wie mag es Jesu Anhängerschaft wohl ergangen sein in den <strong>Ja</strong>hren unmittelbar nach seinemAbgang? Die ersten paar <strong>Ja</strong>hre werden sie wohl <strong>auf</strong> Jesu glanzvolle Rückkehr geduldig und vollerFreude gewartet haben. Aber wie haben sie sich wohl im <strong>Ja</strong>hre 40 gefühlt, zehn <strong>Ja</strong>hre nach JesuTod? Oder im <strong>Ja</strong>hre 48? Wie „bald“ entschwanden Hoffnung, Zuversicht, unmittelbare Erwartungdes Königreichs Gottes <strong>auf</strong> Erden? Wurde vielleicht deshalb das Apostelkonzil einberufen, weil sich<strong>zu</strong>nehmend Zweifel und Ungeduld breitmachten? Wurde dabei vielleicht sogar ein völlig neuesJesus- und Messias-Bild entworfen und der Grundstein für eine völlig neue Religion gelegt?Sämtliche Briefe – und das <strong>sind</strong> nun mal <strong>die</strong> frühesten christlichen Zeugnisse – wurden erst NACHdem Apostelkonzil verfaßt. Und immer wieder finden <strong>wir</strong> darin den selben Grundtenor: Haltet festam Glauben; der Herr kommt bald; nur <strong>noch</strong> kurze Zeit; hütet euch vor Irrlehrern. An <strong>die</strong>sen immerwiederkehrenden Mahnungen, Aufforderungen und Warnungen kann man erkennen, daß Glaube undHoffnung im Schwinden gewesen sein müssen; daß es tatsächlich Lehrer mit unterschiedlichen oderabweichenden Auffassungen (Irrlehrer) gegeben haben muß.Wer mögen <strong>die</strong>se Irrlehrer wohl gewesen sein? Hatten welche am Apostelkonzil teilgenommen?Hatten <strong>die</strong>se dabei den Kürzeren gezogen? Gehörten <strong>die</strong> Essener da<strong>zu</strong>?Die Endzeit-Sekte der Essener warnte ihrerseits vor einem Irrlehrer, den sie „den Lügner“ nannten.Ist damit Saulus von Tarsus gemeint, der eine neue Interpretation des Messias-Gedankens vertrat,eine neue Jenseits-Lehre verkündete und so nebenbei eine gewisse Freundlichkeit gegenüber Rom?Handelte Saulus, der römische Bürger, vielleicht sogar im Auftrag der Römer, um <strong>die</strong> jüdischeGesellschaft durch <strong>die</strong> Verkündigung einer neuen Lehre <strong>zu</strong> spalten?<strong>Ein</strong>es ist jedenfalls <strong>auf</strong>fällig: Die Botschaft des Neuen Testaments ist im Gegensatz <strong>zu</strong>r allgemeinenHaltung des jüdischen Volkes der damaligen Zeit NICHT gegen Rom gerichtet, sogar ziemlichromfreundlich. Im 13. Kapitel des Römerbriefs versteigt sich Saulus sogar <strong>zu</strong> der Aussage, daßJEDE staatliche Gewalt von Gott eingesetzt wäre! (Na da werden sich <strong>die</strong> Herren Lenin, Stalin,Hitler, Mussolini, Franco und Mao ja freuen!)War Saulus etwa gar ein „agent provocateur“ der Römer?Oder war er „nur“ ein Populist, Idealist, Fanatiker, ehrgeiziger Konvertit?Ohne Saulus wäre <strong>die</strong> Anhängerschaft Jesu möglicherweise lediglich eine kleine jüdische Sektegeblieben, <strong>die</strong> recht schnell im Staub des Nahen Ostens versickert wäre, <strong>zu</strong>mal Jesus ja NICHTwiederkehrte, um das Reich Gottes <strong>auf</strong> Erden <strong>zu</strong> errichten.Obwohl der „bald“ wiederkehrende Jesus bis <strong>auf</strong> den heutigen Tag, annähernd 2000 <strong>Ja</strong>hre später,nicht wieder erschienen ist, <strong>wir</strong>d dar<strong>auf</strong> weiterhin vertraut und gehofft. Dieses „Bald“ begann im<strong>Ja</strong>hre 30. Von einem „Bald“ dürfte heute eigentlich nicht mehr <strong>die</strong> Rede sein. Den<strong>noch</strong> hat sich dasChristentum, <strong>die</strong>se überwiegend von Saulus bestimmte und später durch den römischen Kaiser ( ! )Konstantin fixierte Religion, bis <strong>auf</strong> den heutigen Tag gehalten. Möglicherweise liegt das an der<strong>Ein</strong>fachheit der christlichen Botschaft: Glaube, Liebe, Hoffnung.Ohne einen wie-immer-auch-gearteten Glauben scheint der Mensch offenbar nicht aus<strong>zu</strong>kommen.


177Hoffnung – wenngleich ihr ein Stückchen Zweifel innewohnt – ist wohl eine ganz wesentlicheGrundhaltung des Menschen in seinem offensichtlich naturgegebenen Opportunismus.Und wer könnte etwas gegen Liebe einwenden?Übrigens ist das Gebot <strong>zu</strong>r Nächstenliebe nicht, wie in den Evangelien behauptet, ein von Jesusgepredigtes NEUES Gebot; „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ finden <strong>wir</strong> nämlichexakt in <strong>die</strong>ser Formulierung in der (jüdischen) Thora – Moses, Levitikus, Kapitel 19, Vers 18.„Liebet eure Feinde!“ – DAS ist ein „neues“ Gebot.Aber <strong>wir</strong>d damit nicht etwas viel verlangt? Muß man jene, <strong>die</strong> uns feindlich gegenüberstehen, denntatsächlich lieben, genügt es nicht, ihnen keinen Schaden <strong>zu</strong>fügen <strong>zu</strong> wollen? Auf mein Recht <strong>auf</strong>Selbstverteidigung möchte ich nämlich keineswegs verzichten.Und sollten <strong>die</strong>sem „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ nicht eventuell zwei Fußnotenhin<strong>zu</strong>gefügt werden? – Erstens: Es ist nicht erforderlich und oft sogar hochproblematisch, denNächsten MEHR <strong>zu</strong> lieben als sich selbst. – Zweitens: Wie kannst du deinen Nächsten <strong>wir</strong>klichlieben, wenn du dich selbst nicht liebst?


178In den vier kanonischen, den im Neuen Testament enthaltenen Evangelien lacht Jesus kein einzigesMal; lediglich in einer der apokryphen gnostischen Schriften tut er das. (Wenn ich mich nicht irre:im Petrus-Evangelium.)Gott lacht in der Bibel sowieso nie.Wird „göttliches“ Lachen prinzipiell als Blasphemie empfunden?Oder nur dessen Darstellung?Sämtliche Darstellungen eines lächelnden Jesus, <strong>die</strong> ich jemals gesehen habe, fallen für mich in <strong>die</strong>Kategorie „gütig-verständnisvoll-verzeihend-schmerzvoll“. In seinem Gesichtsausdruck schwingtimmer ein „Ich sterbe für euch, weil ich euch so liebe“ mit. So manchem Christen dürfte dabei wohldas schlechte Gewissen und ein (wenn auch tief religiöses) Minderwertigkeitsgefühl drücken.Die Darstellung der Kreuzigung, also der qualvollen Hinrichtung Jesu, lehne ich mit entschiedensterEntschiedenheit ab. Nur Schwerstneurotiker und Psychopathen würden Todeskampf-Darstellungenihrer engsten Familienangehörigen <strong>zu</strong> Hause an <strong>die</strong> Wand hängen.Und Jesus – Messias, Erlöser, Gottes Sohn und selbst Gott – müßte für einen Christen eigentlichMEHR sein als „bloß“ ein Verwandter.Für derlei Darstellungen kann ich nur EIN Wort finden: Perversion.Oder vielleicht zwei Worte: mittelalterliche Perversion.


179Im wahrscheinlich gebräuchlichsten Gebet der Christenheit, dem Vaterunser, finden <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Zeile„und führe uns nicht in Versuchung“.Wie paßt das ins christliche Gottesbild?Ist für Versuchungen eigentlich nicht Gottes Widersacher <strong>zu</strong>ständig? (Name bekannt.)Versucht Gott <strong>die</strong> Menschen tatsächlich?Warum?


180Ich habe mich bereits als bekennenden Jesus-Fan bezeichnet, und da<strong>zu</strong> stehe ich auch. Ich bin einFan des MENSCHEN Jesus – so, wie er überwiegend in den Evangelien gezeichnet <strong>wir</strong>d. Es ist mirdabei auch völlig egal, ob <strong>die</strong>se Darstellung überhaupt dem „realen“, historischen Jesus entspricht.Ich bin ein Fan des MENSCHEN Jesus, entkleidet von jeglicher jüdischen Tradition und christlicherTheologie. Ich bin ein Fan des Super-Humanisten. (Für Spät-Hippies: Jesus von Woodstock – loveand peace.)Aber ich weiß ECHT nicht, ob er das überhaupt war.Deshalb erlaube ich mir <strong>die</strong> Frage: War Jesus vielleicht nur einer der vielen einfachen, ungebildetenWanderprediger, <strong>die</strong> das Pech hatten, in eine besonders sektiererische Phase einer sektiererischenKultur mit einer sektiererischen Religion geboren worden <strong>zu</strong> sein?Besteht das große Dilemma des Christentums vielleicht darin, daß ein jüdischer Wanderprediger,Wunderheiler und Exorzist <strong>auf</strong> einen Thron gesetzt wurde, der ihm gar nicht <strong>zu</strong>stand, und daß <strong>die</strong>serThron von seiner Anhängerschaft vergoldet wurde und über<strong>die</strong>s <strong>noch</strong> in den Himmel ausgelagert?


181Er heilte Kranke, speiste Hungernde und erweckte Tote <strong>zu</strong>m Leben. Er <strong>wir</strong>kte Wunder, verbreiteteeine Botschaft des Friedens und wurde von seinen Anhängern als Sohn Gottes verehrt. DieNachricht von seiner Empfängnis war seiner Mutter von Gott überbracht worden. Anstatt <strong>zu</strong>sterben, wurde er von einem himmlischen Chor ins Para<strong>die</strong>s geleitet. Sein Name: Apollonius vonTyana.Er bezeichnete sich als Verkörperung des Heiligen Geistes, predigte und vollbrachte Wunder, <strong>die</strong> inder christlichen Apostelgeschichte als Zauberei bezeichnet wurden. Seine Anhänger sahen in ihmden Erlöser. Sein Name: Simon Magus.Er war ein direkter Nachfahre König Davids, ein charismatischer Anführer mit einer kleinen, abertreuen Anhängerschaft. Er bekämpfte und besiegte <strong>die</strong> Römer, befreite Jerusalem und <strong>die</strong> ProvinzJudäa. Viele waren sicher, in ihm den Messias gefunden <strong>zu</strong> haben. Er selbst ernannte sich <strong>zu</strong>mPrinzen Israels. Es dauerte <strong>Ja</strong>hre, bis <strong>die</strong> Römer den nach ihm benannten Aufstand niedergeschlagenhatten; danach verboten sie <strong>die</strong> jüdische Religion. Sein Name: Simon Bar-Kochba.Er wurde am 25. Dezember als Sohn einer Jungfrau geboren. Er teilte mit seinen engsten Vertrautenein letztes Mahl, bevor er in den Himmel <strong>auf</strong>stieg. Er kam wieder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Erde <strong>zu</strong>rück als GottesSohn. Seine Anhänger feierten ein rituelles Mahl mit Brot und Wein, welche Leib und Blut desHeiligen symbolisierten. Sein Name: Mitras.Sie wurde Königin des Himmels und Heilige Mutter Gottes genannt. Ihre Priester und Priesterinnentrugen weiße Gewänder als Zeichen der Reinheit und Keuschheit. An bestimmten Tagenverweigerten ihre Verehrerinnen den Geschlechtsakt, um ihr ihre Keuschheit <strong>zu</strong> widmen. (Daskommt bei Männern <strong>zu</strong>meist gar nicht gut an.) Sie wurde als Heilige Jungfrau verehrt und <strong>zu</strong>meistals liebende Mutter mit ihrem göttlichen Kindlein dargestellt. Ihr Name: Isis.


182Wenn (falls?) aber der Gott der Monotheisten nur eine irrtümliche Vermengung von nichtpersonifizierbarer Transzendenz und einem (beliebigen?) Schöpfergott ist, der Messias lediglicheine idealistische Wunschvorstellung, Jesus gar kein außergewöhnlich-göttlicher <strong>Ein</strong>zelfall, <strong>die</strong>Endzeit eine idealistisch hochstilisierte Fehldeutung kosmischer Naturgesetze und das JüngsteGericht ein psychologisches Beruhigungsmittel für Idealisten mit ausgeprägter Sehnsucht nachGerechtigkeit und Erlösung, was gäbe es dann wohl <strong>noch</strong> über den Islam <strong>zu</strong> sagen?Gut gemeint, Mohammed? Guter Versuch – für <strong>die</strong> damalige Zeit und <strong>die</strong> dortige Kultur?Daß Mohammed Juden und Christen schätzt, <strong>zu</strong> deren Tötung <strong>auf</strong>ruft, <strong>zu</strong> deren Schutz <strong>auf</strong>ruft, <strong>zu</strong>deren Tötung <strong>auf</strong>ruft, sie lobt, kritisiert, <strong>zu</strong> deren Tötung <strong>auf</strong>ruft? (Warum bloß war Mohammedunfähig, sich klar und deutlich aus<strong>zu</strong>drücken? Unter dem Sammelbegriff „sie“ werden Juden,Christen, Ungläubige beschrieben; oder aber irrgläubige Juden, irrgläubige Christen, irrgläubigeMuslime, Irrgläubige und Ungläubige an sich; oder muslimische Heuchler, jüdische Heuchler,christliche Heuchler. – Bis man endgültig abgeklärt hat, was unter „sie“ <strong>zu</strong> verstehen ist, ist <strong>die</strong>Sahara wahrscheinlich wieder <strong>zu</strong>m Para<strong>die</strong>s geworden.)Daß laut Koran Islam, Judentum und Christentum wetteifern sollen in guten Taten?Daß Mohammed wiederholt Evangelium und Thora als „Richtschnur“ bezeichnet, <strong>zu</strong>r Achtung vonJuden und Christen ermahnt, aber auch gelegentlich <strong>zu</strong> deren Tötung <strong>auf</strong>ruft?Daß man von einer „eindeutigen“ Botschaft eigentlich etwas mehr erwartet? Zum Beispiel mehr als<strong>die</strong> Anweisung, Frauen sollten von ihren Reizen nur herzeigen, „was davon sichtbar sein muß“?(Wer bestimmt darüber eigentlich? Mohammed erwähnt im 32. Vers der 24. Sure lediglich EINEN<strong>zu</strong> bedeckenden Körperteil namentlich: den Busen. Wenn man <strong>die</strong> Verhüllung der Scham alsselbstverständlich voraussetzt, ist demnach ein Bikini muslimisch korrekt. Von Schleier undKopftuch findet man im Koran kein einziges Wort. Und vor wem sollen muslimische Frauen durchdiverse Kleidervorschriften eigentlich „geschützt“ werden? In erster Linie wohl vor den Männernder eigenen Gesellschaft, also vor muslimischen Männern. <strong>Ja</strong> <strong>sind</strong> <strong>die</strong>se denn dermaßen feurigeHengste, daß sie sich nicht selber unter Kontrolle haben?)Daß <strong>die</strong> im Koran enthaltene Darstellung einer Schwangerschaft nicht ganz korrekt ist, denn ausErde <strong>wir</strong>d nicht so schnell Samen und danach ein „Blutgerinnsel“? (Sure 22, Vers 6. (Nicht schlechtfürs 7. <strong>Ja</strong>hrhundert, aber WAHR und RICHTIG <strong>wir</strong>d eine derartige Darstellung den<strong>noch</strong> nicht;deshalb kann <strong>die</strong>se „Übermittlung“ auch nicht von „Gott“ stammen, denn dessen „Version“ müßteja richtig sein.))Daß man durch <strong>die</strong> Berührung einer Frau unrein <strong>wir</strong>d? (Sure 5, Vers 7) Daß Frauen, <strong>die</strong>se unreinenGebärmütter, nie und nimmer einem Mann gleich sein werden oder dürfen? (Oder sollte ich <strong>die</strong>senSatz nicht besser hinter Hunderten von Klammern und Anführungszeichen tarnen?)Daß der Koran vier Ehefrauen erlaubt, Mohammed selbst jedoch deren sechzehn besessen habensoll und <strong>die</strong>s mit göttlicher <strong>Ein</strong>gebung rechtfertigte?Daß Mohammed nur wenige <strong>Ja</strong>hre nach seiner Flucht von Mekka nach Medina einen Beute- undRachefeld<strong>zu</strong>g gegen <strong>die</strong> Mekkaner anführte, obwohl weder er selbst <strong>noch</strong> seine Familie <strong>noch</strong> seineReligion <strong>noch</strong> deren Anhänger bedroht waren? (Streng genommen also ein Verstoß gegen <strong>die</strong>eigenen Regeln.) Daß bei <strong>die</strong>sem Feld<strong>zu</strong>g so nebenbei auch ein paar hundert Juden in den Sandbeißen mußten? Daß bereits in der nächsten Generation Muslime andere Muslime töteten (ebenfallsstrengstens verboten!), weil sie sich nicht über <strong>die</strong> „Nachfolge“ des Propheten einigen konnten?(Übrigens bis heute nicht. Getötet <strong>wir</strong>d glaubensintern ebenfalls <strong>noch</strong>.)Daß der Koran von Mohammed bereits im 3. Vers der 2. Sure als „vollkommenes Buch“ „ohneZweifel“ bezeichnet <strong>wir</strong>d? (Daß ich dem ganz sicher nicht <strong>zu</strong>stimmen kann?)Daß im Islam keine Religionen außer den monotheistischen Schriftreligionen geduldet werden? Daßnicht tolerierbare Religionen und deren Anhänger ausgerottet werden dürfen? (Aber darin war dasChristentum ja auch nicht so „übel“!)Daß der Islam <strong>zu</strong> einer <strong>noch</strong> krasseren Jenseits-Religion geworden ist als das Christentum?


183Daß der in Sure 2, Vers 257 angeführte Satz „Es soll kein Zwang sein im Glauben“ nicht <strong>wir</strong>klich<strong>die</strong> gelebte Wirklichkeit wiedergibt?Was gäbe es sonst <strong>noch</strong> über den Islam <strong>zu</strong> sagen? Daß <strong>zu</strong> seinen Vertretern <strong>die</strong> nettesten Leutegehören und auch grimmige Psychopathen? Daß <strong>die</strong>s im selben Maß auch <strong>auf</strong> andere Religionen<strong>zu</strong>trifft?Daß ich des Zitierens müde geworden bin (wie man vielleicht gemerkt hat)?Also wiederhole ich mal kurz, daß Judentum, Christentum und Islam, <strong>auf</strong>gesplittert in diverseFraktionen, eine Summe von mehr oder weniger großen Endzeitsekten darstellen.Was früher einmal der große Vorteil jeder einzelnen <strong>die</strong>ser drei Religionen war, nämlich eine mehroder weniger einheitliche, aber den<strong>noch</strong> verbindliche Schrift, ist <strong>zu</strong>nehmend <strong>zu</strong> deren Hemmschuhgeworden. Schriften, in denen es vor Irrtümern, Verwechslungen, längst überholten Weltbildern undAnschauungen sowie äußerst unvollständigen und unrichtigen „Wahrheiten“ nur so wimmelt,sollten nicht unbedingt als Gottes unmittelbare und „eindeutige“ Botschaft angesehen werden. Sowerden <strong>die</strong>se Bücher, <strong>die</strong> ja wegen ihrer „Heiligkeit“ und wegen ihrer „göttlichen“ Herkunft nichtverändert werden dürfen, <strong>zu</strong> Fallstricken. Ob wohl „irgendwer“ <strong>die</strong>se drei Religionen vor ihrerSelbsterdrosselung bewahren kann?(Ich persönlich glaube ja nicht, daß <strong>die</strong> monotheistischen Religionen reformierbar <strong>sind</strong>. Das hatBISHER nicht geklappt, und für <strong>die</strong> Zukunft bin ich auch nicht gerade Optimist.(Ob ANDERE Religionen, <strong>die</strong> es bräuchten, reformierbar <strong>sind</strong>, weiß ich übrigens auch nicht.))


184Homo sapiens ist eine soziale Spezies. Er stellt soziale Beziehungen nicht nur <strong>zu</strong> Seinesgleichenher, sondern auch <strong>zu</strong> Tieren, Pflanzen und sogar <strong>zu</strong> unsichtbaren Wesenheiten – völlig unabhängigvom Maß ihrer Realität. „Gute“ Wesen und Kräfte motivieren ihn <strong>zu</strong>m Gut-Sein und versprechenBelohnung, Hoffnung, Sicherheit und Wohlgefühl; <strong>die</strong> Furcht vor „bösen“ Kräften und Wesen hältihn davon ab, asozial und „unmenschlich“ <strong>zu</strong> sein. Deshalb besitzen Religionen einen wesentlichenStellenwert innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsformen. Aber es wäre ein Irrtum, Religion undreligiöse Moral mit Ethik gleich<strong>zu</strong>setzen. Deshalb sollte für religiöse Menschen gelten: Ethikgenügt ebenso; und für Atheisten: Ethik genügt.Sämtliche Religionen <strong>sind</strong> mehr oder weniger gute Konzepte, das Phänomen „Sein“ dar<strong>zu</strong>stellen;perfekt ist mit Sicherheit keines <strong>die</strong>ser Konzepte.Der Maßstab, den ich selber bei Religionen und Religionsgemeinschaften anlege, ist das Maß anGewalt, das man in ihnen vorfindet, insbesondere das Maß der Gewalt, das Andersgläubigenentgegengebracht <strong>wir</strong>d. Und da sehen <strong>die</strong> drei abrahamitischen „Hochreligionen“ leider nicht sehrgut aus.Aber was will man auch von uralten Glaubensschriften erwarten, in denen das Recht <strong>auf</strong> Racheverteidigt <strong>wir</strong>d? Rache ist ein sehr niedriges Motiv. Und das straffreie Töten oder UnterwerfenAndersgläubiger ist erst recht als barbarisch ab<strong>zu</strong>lehnen.Der Zweck heiligt <strong>die</strong> Mittel GANZ SICHER NICHT.Nur all<strong>zu</strong> leicht verhärtet Religion <strong>zu</strong>r Ideologie.Mit einer Verschmel<strong>zu</strong>ng der Religionen ist wahrlich nicht <strong>zu</strong> rechnen. Auf der theologischen Ebenewerden <strong>die</strong> unterschiedlichen Religionen nie und nimmer <strong>zu</strong>sammenfinden, da<strong>zu</strong> <strong>sind</strong> sie einfach <strong>zu</strong>unterschiedlich; nur <strong>auf</strong> menschlicher Ebene gibt es <strong>wir</strong>kliche Gemeinschaft. Diese Tatsache zeigtso nebenbei, welchen Stellenwert Theologie in Wirklichkeit besitzt.Ich möchte ganz sicher nicht in einem Land leben, in welchem <strong>die</strong> Religion mitregiert; nicht einmalin einem buddhistischen.Besonders <strong>die</strong> „heiligen“ Länder Israel und Saudi-Arabien werden sich kaum da<strong>zu</strong> durchringenkönnen, den <strong>Ein</strong>fluß der jeweiligen Religion <strong>auf</strong> den Privatbereich <strong>zu</strong> beschränken.Auch einen reinen Hindu-Staat In<strong>die</strong>n würde ich nicht als Hort der Freiheit und der Toleranzbezeichnen können.Was <strong>die</strong> <strong>zu</strong>nehmende Radikal-Evangelisierung der USA be<strong>wir</strong>ken <strong>wir</strong>d, weiß <strong>noch</strong> niemand.Ich möchte keinen sogenannten Gottesstaat.Überhaupt stellt sich in <strong>die</strong>sem Zusammenhang <strong>die</strong> Frage, was wohl im „Falle des Falles“ <strong>zu</strong> geltenhabe: das Recht der Menschen, des Staates, der internationalen Vereinigungen – oder das Recht derReligion, der religiösen Autoritäten, der „heiligen“ Schriften. Menschen-Gesetz oder Gottes Gesetz?Müßte jemand, der sich HEUTE schon da<strong>zu</strong> bekennt, sich im Zweifelsfalle gegen das Gesetz seinesStaates <strong>zu</strong> stellen, nicht auch schon HEUTE in den Knast, so wie andere Verfassungsgegner auch?(Aber so viele Gefängnisse gäbe es ja gar nicht.)Ich jedenfalls fühle mich gar nicht wohl bei dem Gedanken, jemand könnte mich im „Falle desFalles“ <strong>zu</strong>m „Feind der Religion“ erklären und mich gemäß der jeweiligen Uralt-Gesetze„behandeln“.Verrrrnichtongsweihe.Da kann <strong>die</strong> Religionsfreiheit, <strong>die</strong> man bereitwillig und selbstverständlich gewährt, ganz schnell ineinen Schuß ins eigene Genick ausarten.


185Wenn ihr in mir einen gläubigen Menschen sehen wollt, dann macht das. Wenn ihr in mir einenAtheisten sehen wollt, dann macht das. Beide Annahmen <strong>sind</strong> für mich belanglos. (Ich würde eseher vorziehen, wenn ihr in mir eine kleine Nervensäge seht, denn manchmal bin ich das <strong>wir</strong>klich.)Jeder gläubige Mensch kann sich <strong>auf</strong>führen wie das allergrößte AL.Jeder Atheist kann sich <strong>auf</strong>führen wie das allergrößte AL.Jeder gläubige Mensch kann ein wundervoller, edler Mensch sein.Jeder Atheist kann ein wundervoller, edler Mensch sein.Glaube und Weltanschauung <strong>sind</strong> eine persönliche Kraftquelle, aber auch nicht viel mehr.„Jeder <strong>wir</strong>d gerichtet nach seinen Taten.“ So läßt das Neue Testament Jesus sprechen. Von Glaubenist in <strong>die</strong>sem Zusammenhang nichts <strong>zu</strong> lesen. Dieser Satz ist von einer wahrhaft einfachenGültigkeit. Er gilt für jeden <strong>Ein</strong>zelnen, jede Gruppe, jede Gemeinschaft und selbstverständlich auchfür jede Religion. Ebenso tut das auch der (eigentlich in einem anderen Zusammenhang überlieferte)Jesus-Ausspruch „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“. Diese beiden Zitate können uns alsganz einfacher Maßstab <strong>die</strong>nen.An einer der immer wiederkehrenden TV-Diskussionen, in denen Vertreter von Judentum,Christentum und Islam sich gegenseitig „hochreligiösen“ Honig um den Mund schmieren und sichandererseits dezent voneinander abgrenzen, nahm ein bemerkenswerter Mann teil; eine jüdischeAutorität aus Mitteleuropa. Ich nenne ihn bemerkenswert, weil er wahrlich Bemerkenswertes vonsich gab. Erstens sagte er, daß man nicht Jude sein müsse, um <strong>zu</strong> Gott <strong>zu</strong> gelangen; Nicht-Judenhätten es sogar erheblich leichter, weil sie sich nur an sieben Gesetze halten müßten und nicht an613. (Leider hat er <strong>die</strong>se sieben nicht <strong>auf</strong>gezählt; das hätte mich interessiert.) Aber hinterher folgteeine Aussage, <strong>die</strong> ich nur respektvoll mit „Hut ab!“ kommentieren kann. Er sagte nämlich, daß esnicht einmal zwingend notwendig wäre, an Gott <strong>zu</strong> glauben; <strong>die</strong>ser würde schon jedem seine Tatenanrechnen.Ich wünsche mir MEHR derartige (religiöse) Menschen.Auch hier <strong>wir</strong>d <strong>auf</strong> TATEN verwiesen, <strong>wir</strong>d Religion sekundär.Wenn es aber gar nicht zwingend notwendig ist, an Gott <strong>zu</strong> glauben, warum TUN <strong>wir</strong> es dann?Ich habe dar<strong>auf</strong> eine dermaßen simple Antwort, daß sie einem im Normalfall gar nicht in den Sinnkommt: Weil's hilft.Wenn Religion da<strong>zu</strong> beiträgt, aus dir einen „besserer“ Mensch <strong>zu</strong> machen, dann hilft's, dann ist esgut so.Wenn dich Religion davon abhält, ein „besserer“ Mensch <strong>zu</strong> sein, dann hilft's eben nicht.Zumeist zeigt der Umgang mit ANDERSGLÄUBIGEN (oder den sogenannten „Ungläubigen“), wieweit dein religiöses Verständnis ge<strong>die</strong>hen ist. Wenn es an Respekt, Mitgefühl und Wahrung derWürde mangelt, dann kann wohl offensichtlich etwas nicht so ganz stimmen.Es ist also völlig egal, ob du religiös bist oder nicht, ob du <strong>die</strong>ser Religion anhängst oder jener.In erster Linie zählen deine Taten.In zweiter Linie zählen <strong>die</strong> Motive deiner Taten. Am allerbesten ist es sicherlich, wenn du einfachum des Handeln willens handelst und dabei keinerlei persönlichen Zweck im Sinn hast, so<strong>zu</strong>sagen<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Früchte deines Tuns verzichtest. Das nennt man selbstloses Handeln.Wenn du das aber nicht kannst, dann tu trotzdem was. Du mußt ja sowieso etwas tun. Aber achtewenigstens dar<strong>auf</strong>, kein Leid <strong>zu</strong> verursachen. Dies beinhaltet natürlich auch dein eigenes Leid.Ultra-Altruismus <strong>wir</strong>d schädlich, wenn du dich damit <strong>zu</strong>m Idioten machst, indem du dich ausnützenläßt.Also: Schadet niemand und hilfet. Das müßte eigentlich genügen.


186(So am Rande möchte ich <strong>noch</strong> folgende „Theorie“ erwähnen:<strong>Ein</strong>es Tages schipperten Außerirdische durch unser Sonnensystem und entdeckten <strong>die</strong> Erde.Entzückend! Was für ein Biotop! Prächtig! Und <strong>auf</strong>recht gehende Primaten gibt es AUCH! Ob'svielleicht sogar etwas bringt, wenn man <strong>die</strong> Evolution ein bißchen beschleunigt?Also schnappten sie sich ein paar U-Uhs, nahmen Gewebeproben, machten einige Gen-Tests. Undweil einige der folgenden Experimente durchaus Aussichten <strong>auf</strong> Erfolg versprachen, faßten siefolgenden Entschluß: „Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich.“Sie setzten eine kleine Population der mit Hilfe außerirdischer DNS veränderten U-Uhs <strong>zu</strong>rück inihr gewohntes Biotop.Vermutlich waren Zeit und Mittel relativ begrenzt. <strong>Ein</strong>e Beobachtung der genveränderten U-Uhsdürfte nur für eine gewisse Zeit möglich gewesen sein, dann flogen <strong>die</strong> Außerirdischen <strong>zu</strong>rück.Aber sie kamen einige Zeit später wieder, um sich einen Überblick darüber <strong>zu</strong> verschaffen, wie sichihre Genmanipulation weiterentwickelt hatte.Anscheinend dürften sie darüber ziemlich enttäuscht gewesen sein, denn sie beschlossen eineweitaus effektivere Maßnahme <strong>zu</strong>r Verbesserung der U-Uh-DNS: <strong>die</strong> direkte, eigen-äh-„händige“Schwängerung ausgewählter U-Uh-Weibchen. Aber <strong>die</strong> Ergebnisse schienen auch nicht das <strong>zu</strong> sein,was sich <strong>die</strong> Außerirdischen davon versprochen hatten. Also flog man wieder ab, nahm vielleichteinige Gewebeproben von U-Uh-Weibchen und U-Uh-Außerirdischen-Mischlingen mit, um in Ruhe<strong>zu</strong>hause weiterforschen <strong>zu</strong> können.Aber sie kamen einige Zeit später wieder, um sich einen Überblick darüber <strong>zu</strong> verschaffen, wie sichihre Genmanipulation weiterentwickelt hatte. (Ob's wohl eine Weiterentwicklung gegeben hat?)Diesmal beschlossen sie, einzelnen Populationen von U-Uhs DIREKT <strong>zu</strong> helfen, ihnen ein gewissesMaß an Kultur <strong>zu</strong> vermitteln und einfach <strong>auf</strong> deren Lernfähigkeit und Intelligenz <strong>zu</strong> vertrauen. Alsolehrten sie den U-Uhs <strong>die</strong> allereinfachsten Grundkenntnisse von Land<strong>wir</strong>tschaft, Vieh<strong>zu</strong>cht, Schriftund einigen für notwendig erachtete Wissenschaften, verschenkten auch ein paar Kulturpflanzenund ein wenig „primitive“ Technologie.<strong>Ein</strong>es der U-Uh-Völkchen, das sich <strong>die</strong> Außerirdischen herauspickten, um ihr altes Gen-Experimentdoch <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> einer passablen Kultur <strong>zu</strong> formen, lebte damals an der Schnittstelle von Afrika undAsien. Die Außerirdischen, <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sem Völkchen „Elohim“ genannt wurden, schnappten sichderen Hyper-Intelligenzler und brachten sie <strong>auf</strong> den höchstgelegen Ort <strong>die</strong>ser Weltgegend, den BergHoreb (Sinai).Das Raumschiff der Außerirdischen schwebte über dem Gipfel, gerade hoch genug, damit seineflammenden Triebwerke <strong>die</strong> Erde nicht verbrannten. Laut donnerten <strong>die</strong> Triebwerke und <strong>wir</strong>beltenjede Menge Staub <strong>auf</strong>. Man mußte <strong>die</strong> Außenlautsprecher ganz schön weit <strong>auf</strong>drehen, damit manCaptain <strong>Ja</strong>hwe klar und deutlich verstehen konnte.„Hört mal, Jungs, es ist Zeit, daß ihr etwas über das Kapitel Ethik erfährt. – Ach! Ihr habt ja keinenSchimmer, was Ethik überhaupt bedeutet! – Na gut! Ich gebe euch nun folgende GESETZE!“Hinterher überließen <strong>die</strong> Außerirdischen ihrem auserwählten kleinen Völkchen <strong>noch</strong> zwei steinerneMakro-Chips und bläuten den guten Leutchen eindringlich ein, aus welchen Hölzern und Metallensie ein Gehäuse für <strong>die</strong>se her<strong>zu</strong>stellen hätten, damit <strong>die</strong>se Konstruktion als eine Art Primitiv-Handyfunktionieren konnte.Dann flogen sie weiter; vielleicht nach Amerika. Mit Sicherheit flogen sie irgendwann wieder nachHause und überließen ihre genmanipulatierten U-Uhs sich selber.Ob sie danach (in der Zwischenzeit) wiedergekommen <strong>sind</strong>, um sich einen Überblick darüber <strong>zu</strong>verschaffen, wie sich ihre Genmanipulation weiterentwickelt hat?Ob sie schon bemerkt haben, daß ihre „Schöpfung“ sich nicht so ganz nach Wunsch entwickelt hat?Ob sie ihre <strong>Ein</strong>griffe schon bedauern?JETZT , wo <strong>die</strong>se U-Uhs ziemlich „klug“ geworden <strong>sind</strong>,


187jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs Raketen besitzen, um Mini-Ausflüge über <strong>die</strong> unmittelbare Schwerkraft ihresHeimatplaneten hinaus veranstalten <strong>zu</strong> können,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs mit den giftigsten Stoffen ihres Heimatplaneten hantieren und über<strong>die</strong>s einige<strong>noch</strong> giftigere da<strong>zu</strong>-erfunden haben,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs über mächtige Waffen verfügen, <strong>die</strong> jegliches Leben <strong>auf</strong> ihrem Planetenauslöschen können,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs das biologische Gleichgewicht ihres Heimatplaneten erheblich durcheinandergebracht haben,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs aus Außerirdischen Götter gemacht haben,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs aus Außerirdischen insgesamt und einem Raumschiff-Captain im Besondereneinen einzigen Gott <strong>zu</strong>sammengefaßt haben,jetzt, wo <strong>die</strong>se U-Uhs aus außerirdischer Technologie Kultgegenstände gemacht haben (sofern sienicht verloren gingen),jetzt werden <strong>die</strong>se Außerirdischen wohl intelligent genug sein, um den „modernen“ U-Uhs aus demWeg <strong>zu</strong> gehen.Vielleicht aber haben <strong>die</strong>se Außerirdischen jetzt eine neue, SINNVOLLE Aufgabe: <strong>zu</strong> verhindern,daß <strong>die</strong>se Spezies moderner U-Uhs ihr Sonnensystem verlassen kann.)


188Und nun will ich euch meine Meinung kundtun, was mit Riesenabstand <strong>die</strong> „wahre“ WeltreligionNr.1 der Gegenwart ist.Ich möchte bewußt <strong>die</strong> US-afro-amerikanisch-witzig-kreative Schreibart benutzen: bizness.biznessbiznessbiznessUnkreativ: „business“.Gänzlich unkreativ: „Geschäfte-Machen“.Diese Religion ist weltweit verbreitet. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, da bizness mitnahe<strong>zu</strong> allen anderen Religion in <strong>Ein</strong>klang gebracht werden kann. Nur sogenannte „<strong>Ein</strong>geborene“oder „Naturvölker“, denen Primitivität nachgesagt <strong>wir</strong>d, praktizieren bizness nicht; aber schon inabsehbarer Zeit <strong>wir</strong>d es <strong>die</strong>se religiösen Minderheiten nicht mehr geben, weil ihnen ihr Lebensrauminfolge der Ausbreitung von bizness abhanden kommt.Heut<strong>zu</strong>tage geht rein gar nichts ohne bizness. bizness regiert <strong>die</strong> Welt. bizness ist <strong>die</strong> Grundlage dermenschlichen Zivilisation.bizness besitzt neben Milliarden von gläubigen Anhängern sowie einer Unzahl von Priestern,Ministranten, Tempel<strong>die</strong>nern und Tempelwachen auch eine gewisse Zahl an besonders eingeweihtenHohepriestern, Gurus und Weisen. (Solche Begriffe werden auch tatsächlich verwendet!)bizness besitzt riesige, prächtige, wahrlich beeindruckende Tempel.bizness hat selbstverständlich auch eine eigene Art von liturgischer Sprache hervorgebracht und unsso wunderschöne Worte beschert wie „Minuswachstum“, „Gewinnwarnung“ oder „Real<strong>wir</strong>tschaft“.Und bizness hat uns <strong>die</strong> Verschmel<strong>zu</strong>ng von Tempel und Wettbüro geschenkt: <strong>die</strong> Börse.Die Ursprünge von bizness liegen im Dunkel der Vergangenheit. Vermutlich liegt <strong>die</strong>se Religioneinfach in der Natur des Menschen. In den letzten fünf <strong>Ja</strong>hrhunderten jedoch hat sich biznesserheblich weiterentwickelt. (Der Begriff „verbessert“ wäre wohl etwas pervers.)<strong>Ein</strong>st als Tauschgeschäft zwischen mißtrauischen Mangel-Leidenden gedacht, ist bizness im L<strong>auf</strong>eder Zeit <strong>zu</strong>r reinen Vertrauenssache geworden.Und Vertrauen ist Glauben.Zum Zwecke der Vereinfachung und der Beschleunigung des Tauschhandels wurden im L<strong>auf</strong>e derZeit Vertrauens-Münzen, Vertrauens-Scheine unterschiedlicher Art, Vertrauens-Karten aus Plastikund Vertrauens-Chips eingeführt. Ohne Glauben an <strong>die</strong>se Vertrauens-Fetische funktioniert biznessnicht; das hat <strong>die</strong> Vertrauenskrise des <strong>Ja</strong>hres 1929 eindrucksvoll bewiesen. (Damals bekam manmitunter für zweitausend Gramm Vertrauensscheine nur mehr tausend Gramm Brot.)Eigentlich wollte ich drei oder vier saftige Kapitel über <strong>die</strong>ses Thema schreiben, aber <strong>die</strong> Ereignisseder zweiten <strong>Ja</strong>hreshälfte des <strong>Ja</strong>hres 2008 <strong>sind</strong> mir <strong>zu</strong>vorgekommen. Ich bin ja fast traurig darüber,daß es nun nichts mehr bringt, <strong>die</strong> pessimistischen Voraussagen eines Spinners nieder<strong>zu</strong>schreiben!Ich erinnere nur kurz: leichtfertig gewährte Kredite, Spekulationen, Immobilienkrise, Bankenkrise,Börsenkrise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise, staatliche Hilfe, Verstaatlichung, staatliche Kontrolle,internationale Kontrolle, Heiligsprechung von Karl Marx – nein! SOOOO weit auch wieder nicht!„Die Finanzkrise ist in der Real<strong>wir</strong>tschaft angelangt.“ ( Das ist ein Originalzitat aus der mittleren


189Priesterschicht, genauer: der Sekte der sogenannten „Politiker“.) Ist damit nicht irgendwie gesagtworden, daß es eine Irreal-Wirtschaft auch <strong>noch</strong> geben muß?<strong>Ein</strong> anderer Vertreter der Polit-Sekte hat sich <strong>zu</strong> folgender Predigt durchgerungen: „Wir müssen denKapitalismus neu erfinden!“ (Mit „Kapitalismus“ ist selbstverständlich bizness gemeint.)Jedenfalls ist <strong>die</strong> Krise des <strong>Ja</strong>hres 2008 real. Hunderte von Milliarden <strong>sind</strong> verloren gegangen. Mankann auch sehr konkret feststellen, wer wieviel verloren hat. Aber wer hat gewonnen? Die Antwortist <strong>zu</strong>gleich verblüffend und auch schockierend: Niemand. Das Geld ist einfach weg. Hat sich inLuft <strong>auf</strong>gelöst. Ist nicht mehr vorhanden. Die wundersame Geld-Auflösung. <strong>Ein</strong> Negativ-Wunder.Man muß wohl in <strong>die</strong> Hohen Mysterien des bizness-Kultes eingeweiht sein, um <strong>die</strong>ses einzigartigeNegativ-bizness-Negativ-Wunder <strong>zu</strong> begreifen. Dem gläubigen Volk bleibt es wohl ein Rätsel.Ist <strong>die</strong>ses <strong>auf</strong>gelöste Geld nur <strong>die</strong> Irreal-Währung einer Irreal-Wirtschaft? Hat es lediglich in Formvon irrealen Vertrauens-Ziffern <strong>auf</strong> Irreal-Papieren existiert, <strong>auf</strong> irrealen Vertrauens-Papieren? Etwagar <strong>auf</strong> irrealen Vertrauens-Vertrauens-Papieren? Oder als irreale Vertrauens-Bits in irgendwelchenirrealen Vertrauens-Netzwerken?(Als nicht eingeweihter bizness-Kritiker kann ich ja nur Fragen stellen, keine Antworten liefern.)Auf jeden Fall sehen sich jetzt eine Vielzahl von Staaten da<strong>zu</strong> genötigt, <strong>die</strong> von der bizness-Krise2008 <strong>auf</strong>gerissenen Löcher in den bizness-Strukturen durch eine entsprechende Bereitstellungdiverser Vertrauensscheine <strong>zu</strong>mindest in dem Maß <strong>auf</strong><strong>zu</strong>füllen, daß der Glaube an bizness nichtebenfalls verschwindet und dadurch das gesamte bizness-System in den Abgrund zieht.Ohne Glauben an bizness kein bizness.Woher nehmen <strong>die</strong> betroffenen Staaten eigentlich das Geld, um <strong>die</strong> Negativ-Wunder-Löcher<strong>zu</strong>mindest notdürftig <strong>zu</strong> stopfen, damit bizness nicht verreckt? Haben sie es überhaupt? Denn wennsie es besitzen, dann haben <strong>die</strong> Polit-Priester uns, das Volk der Gläubigen, jahrzehntelang angelogenund abgezockt, indem sie uns gesagt haben, sie hätten es nicht. Oder versuchen sie, uns jetzt dasGeld weg<strong>zu</strong>nehmen, das sie brauchen, weil sie's nicht haben? <strong>Ja</strong> haben WIR es denn? Oder müssensich <strong>die</strong>se Staaten das Geld von irgendwem leihen, weil sie's nicht haben und ihre Bürger auchnicht? Und von wem? Von den wenigen Staaten, <strong>die</strong> KEINE Schulden haben? Von denen, <strong>die</strong> selberSchulden haben? Von Banken? Von „in Not geratenen Banken“? (Super Zynismus, aber AUCHnicht von mir, sondern ebenfalls ein Originalzitat!) Geld von Banken leihen, um Banken undKreditnehmer in der Wirtschaft mit Krediten <strong>zu</strong> <strong>retten</strong>? (Diese Religion ist <strong>wir</strong>klich sehrkompliziert!) Und wer zahlt <strong>die</strong> Zinsen für <strong>die</strong>ses Leih-bizness ? Wohl der Staat. Also WIR. Gibt's<strong>die</strong>se Leihgelder auch <strong>wir</strong>klich? Oder <strong>sind</strong> sie ebenfalls nur Vertrauens-Ziffern und Vertrauens-Bits,<strong>die</strong> den Glauben an bizness bewahren sollen? Ist alles nur eine komplizierte Umschuldung? <strong>Ein</strong>eVerschiebung von Vertrauens- und Glaubensinhalten? <strong>Ein</strong>e Vertrauens-Umschuldung? (DieseReligion ist <strong>wir</strong>klich sehr kompliziert!)Aber was werden <strong>die</strong> zehn kleinen Negerlein und all <strong>die</strong> anderen Dunkelhäutlinge denken, wennplötzlich das Hundertfache, Fünfhundertfache, vielleicht sogar das Tausendfache jener Geldmittel,<strong>die</strong> sie bitter benötigen würden, <strong>zu</strong>r Füllung von Negativ-Wunder-Löchern plötzlich vorhanden ist?Werden sie jemals wieder Geschäfte mit den blaßhäutigen bizness-Priestern machen wollen?(Auch wenn mir <strong>die</strong> bizness-Krise von 2008 <strong>zu</strong>mindest zwei Kapitel geklaut hat, auch wenn ich mirziemlich sicher bin, daß <strong>die</strong>se Krise mit viel Mühe (und vielleicht nur äußerst kurzfristig) gemeistertwerden <strong>wir</strong>d – ein paar Kleinigkeiten will ich trotzdem <strong>noch</strong> loswerden.)bizness <strong>wir</strong>d sich zwangsläufig ein bißchen verändern, ohne sich jedoch <strong>wir</strong>klich einschneidendreformieren <strong>zu</strong> können. NEU erfunden werden kann bizness sicher nicht.Die nächste Krise kommt bestimmt. Dann können <strong>wir</strong> kreativ sein und „Krise“ mit drei „i“schreiben. Kriiise.Und selbst wenn auch <strong>die</strong>se Kriiisen-Krise überwunden <strong>wir</strong>d – <strong>die</strong> nächste Krise kommt bestimmt.Dann können <strong>wir</strong> kreativ sein und „Krise“ mit fünf „i“ schreiben oder bizness mit zwei „z“ und drei„s“. Kriiiiise. bizznesss.Wie jedes System hat auch bizness seine Grenzen. Zu glauben, bizness hätte solche nicht, ist


190völliger Schwachsinn, ist purer Aberglaube; bizness-Aberglaube .Bei näherer Betrachtung kann bizness überhaupt nichts erschaffen, sondern nur umwandeln. Da<strong>zu</strong>braucht man Arbeitskräfte und Energie (also Menschen, Tiere, Maschinen, Kraftwerke) sowie jedeMenge an natürlichen Ressourcen (Luft, Wasser, Erde, Nahrung und viele viele bunte Rohstoffe).Menschen kann man relativ leicht <strong>zu</strong>r Mitarbeit bewegen; bevor sie selber verhungern oder ihreAngehörigen verhungern lassen, strampeln sie wie verrückt. Aber <strong>die</strong> EINZIGE derzeit vorhandeneQuelle für <strong>die</strong> benötigten Rohstoffe – unser Planet – stellt bei einer Überbeanspruchung einfachseine stillschweigende Mitarbeit ein. Das wäre so<strong>zu</strong>sagen das globale Negativ-Wunder der vonbizness verursachten Art. Diesem Punkt nähern <strong>wir</strong> uns. Und spätestens DANN ist wohl Schluß mitbizness.Das von bizness versprochene „Große Heil“ (Wohlstand für alle) ist außerdem gar nicht erreichbar.Zumindest nicht <strong>die</strong> Form von Wohlstand, wie so vom modernen, industrialisierten biznesspropagiert <strong>wir</strong>d. Da<strong>zu</strong> bräuchten <strong>wir</strong> nämlich <strong>noch</strong> mindestens fünf <strong>zu</strong>sätzliche Planeten.bizness kann also gar nicht einhalten, was <strong>die</strong> <strong>zu</strong>meist lächelnde Priesterschaft so allgemeinverspricht. Trotzdem glauben <strong>die</strong> meisten Menschen daran.Und da soll <strong>noch</strong> jemand sagen, bizness hätte nichts mit Glauben <strong>zu</strong> tun!Wir brauchen nur in Zeitungen und Zeitschriften blicken, ins Fernsehen, ins Internet, in Geschäfteund <strong>auf</strong> Plakate, <strong>wir</strong> brauchen uns nur selber betrachten, um <strong>die</strong> alltäglichen Rituale und <strong>die</strong>alltägliche Liturgie <strong>die</strong>ser Religion <strong>zu</strong> erkennen:Glaubensbekenntnis.Lobpreisungen.Segen.Allerdings bedeutet <strong>die</strong>ser Segen für <strong>die</strong> meisten Menschen nicht „Wohlstand“, sondern lediglich„Hoffnung <strong>auf</strong> Wohlstand“.Und das soll nichts mit Glauben <strong>zu</strong> tun haben?Das lateinische Zeitwort „credere“ bedeutet anvertrauen, vertrauen, übergeben, überlassen; borgen;Vertrauen schenken; Glauben schenken, glauben; für wahr halten; dafür halten, meinen, der Ansichtsein.„Credo“ (ich glaube) – das ist <strong>die</strong> lateinische Bezeichnung für das christliche Glaubensbekenntnis.Und „credit“ bedeutet: er, sie, es glaubt.Kredite <strong>sind</strong> ein unverzichtbarer Bestandteil von bizness.Glauben und Vertrauen stellen das Gegenteil von Mißtrauen und Angst darstellen.Auch <strong>die</strong> Begriffe „Bonus“ und „Malus“ sprechen für sich; sie bedeuten „gut“ und „böse“ (oder„schlecht“).Und wer <strong>noch</strong> immer nicht glaubt, daß bizness etwas mit Glauben <strong>zu</strong> tun hat, der muß wohl einwahrer Gläubiger sein.


191Die zwei obersten Glaubens-Inhalte von bizness, <strong>die</strong> zwei obersten Ideale, <strong>die</strong> das „Große Heil“Wohlstand herbeiführen sollen, heißen Wachstum und Gewinn (auch Profit genannt).Genauer: stetiges Wachstum und stetig wachsender Gewinn.Jeder halbwegs vernünftig denkende Mensch weiß, daß <strong>die</strong>s nicht möglich ist. (Es ist mir völligunverständlich, wie man nur daran glauben kann. Ist bizness tatsächlich so einfach als Irrlehre <strong>zu</strong>entlarven?) Die Basis von bizness ist einerseits der Mensch und andererseits das ihn umgebendebiologische, chemische, physikalische Umfeld, das ihm sämtliche Werkstoffe für bizness und <strong>die</strong>Rahmenbedingungen <strong>zu</strong>r Ver<strong>wir</strong>klichung von bizness <strong>zu</strong>r Verfügung stellt (sprich: <strong>die</strong> Umwelt, derPlanet, das Ökosystem Erde, Mutter Erde). Da aber der Mensch selber Teil <strong>die</strong>ses Systems ist, ist<strong>die</strong> EINZIGE Basis für bizness unser Planet.„Mutter Erde“.Derzeit benimmt sich homo sapiens wie ein verfressener, gieriger Säugling, der <strong>die</strong> mütterlichenBrüste bis <strong>auf</strong>s Blut leersaugt. Er steckt es auch weg, daß er bereits <strong>zu</strong>sammen mit der MuttermilchBlut trinkt. Er MUSS ja auch weitersaugen, eine andere Nahrungsquelle gibt es ja nicht. Erst einechronisch werdende Brustentzündung mit Tendenz <strong>zu</strong>m Brustkrebs gibt ihm etwas <strong>zu</strong> denken.Therapien werden diskutiert. In der Zwischenzeit <strong>wir</strong>d munter weitergesoffen. Gierig und verfressenist der Säugling ja nach wie vor. Und wenn's <strong>die</strong> linke Titte nicht bringt, dann nimmt man eben <strong>die</strong>rechte <strong>zu</strong>r Hand (beziehungsweise <strong>zu</strong>m Munde).Die Idee, daß Mütterchen vielleicht sterben könnte, ist ziemlich neu und leuchtet immer <strong>noch</strong> nichtso ganz ein. Mami war schon immer da, Mami <strong>wir</strong>d immer da sein, Mami <strong>wir</strong>d schon wiedergesund werden. Dar<strong>auf</strong> trinken <strong>wir</strong> jetzt mal. Prost! Welche Titte nehmen <strong>wir</strong> denn?Homo sapiens ist weder ein nettes <strong>noch</strong> ein intelligentes Kind.Homo sapiens hat ein erhebliches Mentalitätsproblem. Die wesentlichsten Teile <strong>die</strong>ses Problemsheißen „Wachstum“ und „Gewinn“.Wenn <strong>wir</strong> <strong>die</strong>se beiden Begriffe <strong>zu</strong>rückübersetzen in <strong>die</strong> Sprache der Thora, dann erhalten <strong>wir</strong> zweiwohlbekannte Sätze:„Seid fruchtbar und mehret euch!“„Macht euch <strong>die</strong> Erde untertan!“Wachstum.Gewinn.Fruchtbarkeit sei jedem vergönnt – aber bitte maßvoll!<strong>Ein</strong> angenehmes Leben sei jedem vergönnt – aber bitte maßvoll!Der Wachstums-Segens-Befehl hat uns <strong>die</strong> Überbevölkerung eingebracht.Der Gewinn-Segens-Befehl hat uns <strong>die</strong> globale Ausbeutung und den Blick in den Abgrund beschert.Die Welt ist aus dem Gleichgewicht. Der Verursacher heißt homo sapiens.Wenn das gierig-opportunistische Söhnchen seine Maßlosigkeit nicht selber in den Griff bekommt,dann muß er eben vom kranken Mütterchen gemaßregelt werden.Das Mentalitätsproblem des homo sapiens kann mit lediglich zwei Worten beschrieben werden:Fruchtbarkeitswahn und Machbarkeitswahn.Seid fruchtbar und mehret euch.Macht euch <strong>die</strong> Erde untertan.Wachstum.Gewinn.Fruchtbarkeitswahn und Machbarkeitswahnsinn <strong>sind</strong> aber nicht nur <strong>auf</strong> bizness und <strong>die</strong> dreiabrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam beschränkt, man findet sie in fastallen Kulturen des Menschen. Global. Es dürfte sich also um prinzipielle oder typische Psychosendes homo sapiens handeln.Früher einmal mag es notwendig gewesen sein, zehn Kinder <strong>zu</strong> zeugen, damit drei durchkommen.Früher einmal mag es nicht viel ausgemacht haben, wenn man sich von Mütterchen Natur be<strong>die</strong>nt


192hat.Aber <strong>die</strong> Masse macht's!Wir <strong>sind</strong> <strong>zu</strong> viele, und <strong>wir</strong> brauchen <strong>zu</strong>viel Muttermilch.In meinen jugendlichen <strong>Ja</strong>hren war „Überbevölkerung“ ein nahe<strong>zu</strong> allgegenwärtiges und breitdiskutiertes Thema. Heute, wo fast drei Milliarden Menschen MEHR <strong>die</strong> Erde bevölkern, kommt<strong>die</strong>ses Thema so gut wie gar nicht mehr in den Me<strong>die</strong>n vor. Anscheinend ist <strong>die</strong>ses Eisen viel <strong>zu</strong>heiß geworden, als daß sich jemand getraut, es an<strong>zu</strong>fassen. Dieses Thema ist nahe<strong>zu</strong> tabuisiertworden.600 oder 700 Millionen Chinesen nannte man damals „<strong>die</strong> gelbe Gefahr“. Und was sagt man heuteüber <strong>die</strong> doppelte Anzahl an Chinesen? „Was für ein Markt! Das dürfen <strong>wir</strong> uns nicht entgehenlassen!“Homo sapiens hat nicht <strong>wir</strong>klich etwas da<strong>zu</strong>gelernt. Statt kaltem Krieg haben <strong>wir</strong> jetzt eben kaltesbizness. Kalten bizness-Krieg. An Fruchtbarkeitswahn und Machbarkeitswahn hat sich rein garnichts geändert.Und das Gedankengut der drei abrahamitischen Religionen hat ERHEBLICHEN <strong>Ein</strong>fluß <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Entwicklung der modernen bizness-Zivilisation gehabt.Deshalb fordere ich ganz offen (und fett gedruckt):„Seid fruchtbar und mehret euch!“sowie„Macht euch <strong>die</strong> Erde untertan!“gehören <strong>auf</strong> den Index der gefährlichen Ideologien!Und zwar ganz oben hin!Fruchtbarkeitswahn und Machbarkeitswahn gehören geächtet!Und therapiert.


193Die allerallerschlimmste Verbindung zweier Religionen ist für mich persönlich jene zwischenbizness und kleineren Splittergruppen der christlichen Reformation, welche in für <strong>die</strong> damaligeEntwicklung des Kapitalismus nicht unwesentlichen Ländern wie den Niederlanden und derSchweiz entstanden <strong>sind</strong>. Mittlerweile <strong>sind</strong> <strong>die</strong>se ehemals kleinen Grüppchen (Sekten) zahlreichund mächtig geworden, besonders in den für <strong>die</strong> Entwicklung des zeitgenössischen Kapitalismusmaßgeblichen USA. Diese Mischreligion vertritt voller Inbrunst <strong>die</strong> Anschauung, daß Reichtum„gottgewollt“ ist, ja sogar ein DIREKTER Beweis für ein „gottgefälliges“ Leben. Daß in denEvangelien jedoch Gegenteiliges geschrieben steht, ist den Anhängern <strong>die</strong>ser „reformatierten“Mischreligion völlig egal, weil offensichtlich nicht bewußt. Denn wäre es ihnen bewußt, wäre <strong>die</strong>s<strong>die</strong> schlimmste Form von menschenverachtendem und weltzerstörendem Opportunismus. So aberkann man <strong>zu</strong> gemäßigteren Arten von Kritik Zuflucht nehmen. Mögen <strong>die</strong>se „Reformatierten“ ihre„christlichen Armeen“ für den endzeitlichen Endkampf erk<strong>auf</strong>en – ich schätze, ANDERE werdenbald MEHR Geld und <strong>Ein</strong>fluß besitzen und <strong>die</strong>se „reformatierten“ bizness-Christen INSGESAMT<strong>auf</strong>k<strong>auf</strong>en. Das hat mit mit einem Kampf der Kulturen aber nichts <strong>zu</strong> tun – that's bizness.


194Es ist für mich unbestreitbar, daß <strong>die</strong> abrahamitischen Religionen, besonders das Christentum,einen wesentlichen Anteil – nein! – einen Hauptanteil daran <strong>zu</strong> tragen haben, daß homo sapiensdurch sein Raubameisentum – nein! – durch sein religiös gerechtfertigtes Raubameisentum <strong>die</strong> Erdean den Rand des Ruins getrieben hat.Allerdings könnte ich an <strong>die</strong>ser Stelle auch etliche Kapitel darüber schreiben, was an denmonistischen Religionen Hinduismus, Buddhismus und Taoismus nicht so ganz stimmt, was mitSicherheit nicht stimmen kann, was kritisiert werden muß und selbstverständlich auch geändertgehört.Aber das wäre wiederum Stoff für ein Extra-Büchlein. Ohne mich. Keine Lust. Deshalb nur kurzdas, was mir „echt“ <strong>auf</strong>stößt:Der gegenwärtige Taoismus hat mit der philosophischen Grundeinstellung der alten Weisen kaum<strong>noch</strong> etwas <strong>zu</strong> tun. Der Begriff „Tao“ als notdürftige Umschreibung für etwas, das nicht beschriebenwerden kann (Transzendenz), ist <strong>zu</strong> einem Synonym für einen persönlichen „Weg“ geworden, <strong>auf</strong>dem ein Gleichgewicht zwischen den natürlichen dualistischen Kräften Yin und Yang ver<strong>wir</strong>klichtwerden kann. Das Ziel einer persönlichen Unsterblichkeit ist meiner Meinung nach sogar einWiderspruch <strong>zu</strong> dem, was <strong>die</strong> alten Meister unter „Tao“ verstanden, nämlich Transzendenz. (Aber<strong>die</strong>ses beharrliche Festhalten an einem „Ich“ ist sowieso eines der wesentlichen Probleme desMenschen, wenn nicht sogar DAS Grundproblem (oder DER Irrtum) schlechthin.)In<strong>die</strong>n nennt sich „<strong>die</strong> größte Demokratie der Welt“. Damit ist aber wohl nur <strong>die</strong> Zahl derWahlberechtigten gemeint. Obwohl das Kastensystem des Hinduismus vom Gesetz her nicht mehrexistiert, gibt es <strong>die</strong>ses immer <strong>noch</strong>. Jetzt sitzen eben diverse Angehörige diverser Kasten undUnterkasten als eine Art von Standesvertretung im Parlament. Auch Kastenlose. Davon gibt es inIn<strong>die</strong>n ungefähr 160 Millionen. Vom Gesetz her gibt es sie natürlich nicht, weil das Kastensystem jaoffiziell <strong>auf</strong>gehoben wurde. „In echt“ bleibt vielen von ihnen weiterhin der Zugang <strong>zu</strong>m örtlichenTempel oder <strong>zu</strong>m Dorfbrunnen verwehrt. Wählen und gewählt werden dürfen sie allerdings. Es gibt<strong>noch</strong> immer Angehörige höherer Kasten, <strong>die</strong> in Gegenwart von Angehörigen der untersten Kasteoder gar von Kastenlosen <strong>die</strong> Luft anhalten, um nicht „verunreinigt“ <strong>zu</strong> werden. Mit Politik hat dasnichts <strong>zu</strong> tun, mit Kultur schon gar nicht, lediglich mit Religion und Chauvinismus.Übergriffe <strong>auf</strong> Muslime und Christen gibt es in In<strong>die</strong>n praktisch wöchentlich.Über<strong>die</strong>s gibt es in In<strong>die</strong>n ungefähr 65 Millionen Kinderarbeiter. (Da ist's mit einem gewöhnlichenAufstoßen wohl nicht mehr abgetan!)Wohin sich In<strong>die</strong>n – sowohl in religiöser als auch in sozialpolitischer, <strong>wir</strong>tschaftspolitischer odermacht- und außenpolitischer Hinsicht – in naher Zukunft entwickeln <strong>wir</strong>d, ist nicht so leichtvoraus<strong>zu</strong>sehen. Sprengstoff gibt's jedenfalls genug; und ich glaube nicht, daß der Hinduismus einebesonders aktive Kraft <strong>zu</strong>r Mäßigung des bereits vorhandenen Konfliktpotentials darstellt.Dem Buddhismus – nicht unbedingt der Religion, aber der Philosophie – stehe ich ziemlich offengegenüber; auch der tibetischen Variante, <strong>die</strong> wegen ihrer Verschmel<strong>zu</strong>ng mit der Bön-Tradition jaeigentlich gar kein „originaler“ Buddhismus ist. Ich bin auch ein gewisser Fan des Dalai Lama; abernicht generell.Es gibt aber eine ganz große Kleinigkeit, <strong>die</strong> mir persönlich ganz ganz sauer, übelschmeckend und<strong>auf</strong>dringlich <strong>auf</strong>stößt. Immer wieder sehe ich, der gemäßigte Vegetarier, im TV, wie tibetischeMönche Fleisch verzehren. Wenn sie das im tibetischen Hochland tun, wo vielleicht das Überlebendavon abhängt, habe ich durchaus Verständnis dafür; nicht jedoch, wenn sie das irgendwo im Exilmachen, wo Tausende oder Millionen von Menschen in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft sichvegetarisch ernähren können. Wie kann man einerseits für das Wohl aller Lebewesen beten – undandererseits ein solches verzehren, wenn da<strong>zu</strong> keinerlei Notwendigkeit besteht? Wie kann man dasgläubige Volk dahingehend belehren, daß man nicht unnötig Würmer, Insekten oder andere Tieretöten soll, weil sie ja theoretisch <strong>die</strong> Inkarnation des eigenen Großvaters sein könnten – undanschließend <strong>die</strong> eigene mögliche Großmutter verzehren, obwohl keinerlei Notwendigkeit dafür


195besteht? Da muß man wohl von ganz gewöhnlichen Nahrungsgewohnheiten sprechen. (Leider gibtes religiösen Opportunismus überall.)Auch hinsichtlich der Stellung der Frau nehmen es <strong>die</strong> meisten buddhistischen Autoritäten undMönche nicht so ganz – „korrekt“. Nonnen besitzen deutlich weniger Zugang <strong>zu</strong> Bildung undreligiöser Belehrung; <strong>zu</strong>meist <strong>sind</strong> ihnen <strong>die</strong> „hohen“ Weihen verwehrt. Dafür leisten sie erheblichmehr körperliche Arbeit. Viele Autoritäten vertreten <strong>zu</strong>dem <strong>die</strong> Auffassung, daß <strong>die</strong> Erleuchtung nurin einem männlichen Körper erlangt werden kann. – Schon vergessen, daß es auch weiblicheBodhisattvas gibt?Homo sapiens ist eben ein seltsames, unvollkommenes Wesen.Homo sapiens ist eben Opportunist.Wie es scheint, ist keine einzige Religion so richtig tauglich für mich.Oder ich bin nicht tauglich für eine <strong>die</strong>ser Religionen.Vielleicht bin ich aber lediglich ein Eigenbrötler. Oder ein Eigenkeksler, Eigenteeler, Eigenmilchler,Eigenjoghurtler. (Macht selber weiter, wenn's euch Spaß macht.)Das sollte aber niemanden davon abhalten, seinerseits eine Religion <strong>zu</strong> praktizieren. Religionen<strong>sind</strong> nämlich nicht nur hervorragend da<strong>zu</strong> geeignet, Gesellschaftssysteme <strong>zu</strong>sammen<strong>zu</strong>halten undihnen <strong>zu</strong>mindest ein moralisches (oder gar ethisches) Skelett <strong>zu</strong> verleihen, sie besitzen tatsächlichWege und Möglichkeiten, um aus dir einen „besseren“ oder glücklicheren Menschen <strong>zu</strong> machen;<strong>zu</strong>m Beispiel das Wiederholen von Worten oder Sätzen, auch in gesanglicher Form, oder dasWiederholen von Bewegungen, auch in Form von Tanz, oder bestimmte Körperhaltungen, oder <strong>die</strong>Konzentration <strong>auf</strong> bestimmte Objekte, auch in Form von Vorstellungen und Gedanken, oder jene„Kunst“, den Geist <strong>zu</strong> leeren, genannt Meditation. Diese Methoden <strong>sind</strong> dermaßen gut und <strong>wir</strong>ksam,daß sie auch ohne jeden religiösen Inhalt funktionieren. Ist das nicht phantastisch?Also macht mal, wenn ihr wollt.Wenn Religion dich <strong>zu</strong> Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Toleranz und einer gewissen Selbstlosigkeitmotiviert, ist das wohl nicht vom Schlechten.


196Homo sapiens ist unbestreitbar Nahrungsopportunist.Ich glaube NICHT, daß er seinen evolutionären Sieges<strong>zu</strong>g als Jäger und Sammler angetreten hat,sondern lediglich als Sammler; auch nicht als Vegetarier, sondern eben als Nahrungsopportunist.Da war <strong>die</strong> Welt <strong>noch</strong> in Ordnung, weil der Mensch über selbige <strong>noch</strong> nicht <strong>wir</strong>klich nachdenkenmußte. Er mußte sich nur merken, an welchem Ort und <strong>zu</strong> welcher Zeit es etwas <strong>zu</strong> futtern gab. Erwar damals <strong>noch</strong> ein überwiegend vom Zufall abhängiger, spontaner Nahrungsopportunist.Damals waren mit Sicherheit auch <strong>noch</strong> Frauen wichtiger als Männer. Die Gründe dafür <strong>sind</strong> simpelund einleuchtend. Wenn innerhalb einer Gruppe von fünf Frauen, fünf Männern und etlichenKindern durch ein Mißgeschick drei Frauen starben, dann war das ein erheblicher Verlust, der <strong>die</strong>Zukunft der gesamten Sippe gefährdete. Fünf Frauen konnten in einem guten <strong>Ja</strong>hr fünf Kindergebären, zwei Frauen aber nur zwei. <strong>Ein</strong> einzelner Mann jedoch konnte in einem guten <strong>Ja</strong>hr genausofünf Kinder zeugen wie fünf Männer. Deshalb war ein Mann wesentlich entbehrlicher als eine Frau.Deshalb war es auch erheblich intelligenter, Männern <strong>die</strong> gefährlichen Tätigkeiten <strong>zu</strong> überlassen.Dies änderte sich mit der (wahrscheinlich eher unfreiwilligen) Entdeckung von Land<strong>wir</strong>tschaft undVieh<strong>zu</strong>cht erheblich. Vorbei war es nun mit der spontanen Sammlerei, homo sapiens wurde <strong>zu</strong>mBERECHNENDEN Nahrungsopportunisten und <strong>zu</strong>m Sammler von Besitztümern.Vermutlich infolge <strong>zu</strong>nehmender Bevölkerung entwickelten sich das Patriarchat und komplexerepatriarchalische Gesellschaftsstrukturen. (So nebenbei wurde auch das Auf-<strong>Ein</strong>ander-<strong>Ein</strong>prügelnimmer komplexer: der Krieg. <strong>Ein</strong> bis <strong>auf</strong> den heutigen Tag nicht gelöstes Problem wurde ebenfalls<strong>zu</strong>nehmend akuter: Landbesitz!) Schließlich wurde der Frau auch <strong>noch</strong> <strong>die</strong> letzte gesellschaftlicheBastion fast <strong>zu</strong>r Gänze genommen: Schamanismus, Priesterschaft und Prophetie.Selbstverständlich veränderten sich auch religiöse Vorstellungen. Sie wurden <strong>zu</strong>nehmend komplexerund komplizierter.Auch das Verhältnis des homo sapiens <strong>zu</strong>r Natur änderte sich. Für den Jäger und Sammler war <strong>die</strong>Natur einfach DA. Sie war weder Freund <strong>noch</strong> Feind, sie war beides, sie war selbstverständlich. Erlebte in ihr, mir ihr, von ihr. Er war gewissermaßen ein Teil von ihr. Als Ackerbauer und Viehzüchterwar der Mensch jedoch genötigt, kontrollierend in den L<strong>auf</strong> der Natur ein<strong>zu</strong>greifen. Dadurch wurde<strong>die</strong> Natur <strong>zu</strong>nehmend als feindlich empfunden, weil sie <strong>die</strong> Erträge von Ackerbau und Vieh<strong>zu</strong>chtund damit auch das Überleben des Menschen bedrohte. Man mußte ihr „trotzen“, man mußte sie„bezwingen“, man mußte sie „nutzbar machen“, man mußte sie „beherrschen“.Gleichzeitig verlor <strong>die</strong> Natur in einigen Kulturen <strong>zu</strong>nehmend auch den Status eines Freundes. <strong>Ein</strong>enFreund kann man nur in geringem Maß kontrollieren, dann <strong>wir</strong>d er <strong>zu</strong>m Diener, <strong>zu</strong>m Knecht, einMittel <strong>zu</strong>m Zweck, <strong>zu</strong>m Faktor, <strong>zu</strong>m Objekt, <strong>zu</strong>m nutzbringenden Objekt. Sagen <strong>die</strong> Begriffe„Nutztier“ und „Nutzpflanze“ nicht ausreichend genug darüber aus, wie sehr sich das Verhältnis desMenschen <strong>zu</strong>r Natur verändert hat?Auf <strong>die</strong>sem Moder der Naturentfremdung ge<strong>die</strong>hen (und gedeihen) <strong>die</strong> drei abrahamitischenReligionen Judentum, Christentum und Islam. Die Natur wurde als Feind oder als nützlich oder alsnutzlos angesehen und dementsprechend behandelt. Die eigene Natur, <strong>die</strong> Natur des Menschen,wurde den selben Kriterien unterworfen.So brauchen <strong>wir</strong> uns also <strong>wir</strong>klich nicht darüber wundern, daß sowohl Außenwelt als auchInnenwelt erheblich durcheinander gebracht worden <strong>sind</strong>.Die Welt ist aus dem Gleichgewicht; und <strong>die</strong> drei monotheistischen Religionen und Kulturen habenein immens hohes Maß <strong>die</strong>ses Ungleichgewichts <strong>zu</strong> verantworten. Abgesehen von einer äußerstknapp gehaltenen Erwähnung eines schon lange verlorenen para<strong>die</strong>sischen Zustands ist in den„Heiligen“ Schriften <strong>die</strong>ser drei „Hoch“-Religionen absolut NICHTS <strong>zu</strong> finden, was <strong>auf</strong> eineNaturverbundenheit oder <strong>zu</strong>mindest <strong>auf</strong> einen herzlich empfundenen Respekt vor der Naturschließen ließe.Die kargen Ansätze einer Veränderung <strong>die</strong>ser Mentalität scheinen mir auch eher einer Nützlichkeitder Notwendigkeit <strong>zu</strong> entspringen als einer <strong>auf</strong>richtig empfundenen Seelenverwandtschaft.


197Wenn sich <strong>die</strong>se drei Religionen nicht in absehbarer Zeit erheblich reformieren, werden sie inspätestens zwei Generationen als „<strong>die</strong> großen Verderber der Welt“ angesehen werden und nichtmehr als „Heilsbotschaften“.Was hilft schon ein Heilsversprechen, wenn <strong>die</strong> ganze Welt im A ist?Denn daß <strong>die</strong> Welt <strong>zu</strong>nehmend im Argen liegt, ist nicht das Werk des Bösen, sondern das Werk desMenschen, des (angeblichen) homo sapiens.Es wäre DRINGEND notwendig, daß der Mensch den Herrschaftsanspruch über das Biotop, in demer lebt, <strong>auf</strong>gibt.Die beschönigende Behauptung innerhalb der monotheistischen Religionen, daß der Mensch ja garnicht der Herrscher der Welt, sondern lediglich ihr Verwalter (im Auftrag Gottes) wäre, ist in meinenAugen nur eine überaus windige Interpretation des Herrschaftsgedankens.Weg damit!Die Erde ist NICHT „untertan“ <strong>zu</strong> machen!Die Schöpfung darf sich NICHT vor dem Menschen fürchten müssen!Der allergrößte Fehler des homo sapiens besteht meiner Meinung nach darin, daß er GLAUBT, überder Natur <strong>zu</strong> stehen. Vielleicht besteht der allergrößte Fehler aber auch darin, daß er glaubt, über derEIGENEN Natur <strong>zu</strong> stehen. Vielleicht besteht er aber auch darin, daß er GLAUBT, über seinereigenen Natur stehen <strong>zu</strong> MÜSSEN. (Mit „Natur“ meine ich <strong>die</strong> physische (körperliche) Seite desMenschen; seine Säugetierhaftigkeit. (Ob es überhaupt so eine Art „geistige Natur“ des homosapiens gibt? Oder „nur“ ?))Daß sich homo sapiens durch irreführende Gedanken <strong>zu</strong>nehmend von der Natur im Allgemeinenund seiner eigenen Natur im Besonderen entfremdet hat, das versteht sich hoffentlich wohl vonselbst. Jetzt glaubt er, mit eben<strong>die</strong>ser unterentwickelten naturfernen Intelligenz <strong>die</strong> Probleme lösen<strong>zu</strong> können, <strong>die</strong> er sich mit selbiger selber eingebrockt hat. Ob das wohl funktioniert?Jedenfalls: Wenn es dem homo sapiens nicht baldigst gelingt, sich als Teil seines Biotops <strong>zu</strong> sehenund sich vor allem aber als solches <strong>zu</strong> benehmen, dann <strong>wir</strong>d er in krassem Ausmaß <strong>zu</strong> leiden habenund eventuell sogar kollektiv krepieren.Und DAZU könnte ich nur sagen: Recht so!


198Wahrscheinlich hat der über viele Generationen erfolgreich praktizierte Nahrungsopportunismusden Menschen <strong>zu</strong>m generellen Opportunisten gemacht. Wenn ihr nur ein bißchen kritisch insalltägliche Leben hineinschaut, werdet ihr überall den selbstverständlichen Opportunismus deshomo sapiens wahrnehmen; selbstverständlich auch <strong>auf</strong> dem Gebiet der Religion. Nur äußerstspärlich gesät <strong>sind</strong> jene, <strong>die</strong> ihren natürlichen Opportunismus überwinden; nur <strong>die</strong>se ver<strong>die</strong>nenWIRKLICH den Beinamen „sapiens“. (Ich gehöre leider nicht da<strong>zu</strong>.)Wir alle kennen opportunistische Sprüche wie <strong>die</strong>se: Alles <strong>wir</strong>d wieder gut. So schlimm kann's garnicht werden. Wir haben <strong>noch</strong> immer einen Ausweg gefunden. Bisher hat der Mensch <strong>noch</strong> für jedesProblem auch eine Lösung gefunden. Gerade in der Not zeigt der Mensch seine Größe. Inschwierigen Situationen wächst der Mensch über sich hinaus. Krise als Chance. Es gibt immer einenAusweg. Gott <strong>wir</strong>d helfen. Shiva <strong>wir</strong>d helfen.Eigentlich hat der Mensch für nahe<strong>zu</strong> jede Situation den passenden Sinnspruch, das passendeSprichwort, den passenden Trost <strong>zu</strong>r Hand.Und für <strong>die</strong> gegenteilige Situation ebenfalls.Opportunismus pur.Aber nur schöne Sprüche und ein bißchen guter Wille werden uns bei den aktuellen oder absehbarenProblemen nicht helfen. Die Erderwärmung WIRD fortschreiten, <strong>die</strong> Wetterextreme WERDENzahlreicher und intensiver, das Artensterben und <strong>die</strong> Abhol<strong>zu</strong>ng der Regenwälder WERDENweitergehen, <strong>die</strong> Umweltverschmut<strong>zu</strong>ng WIRD weiter <strong>zu</strong>nehmen, <strong>die</strong> Weltbevölkerung WIRDweiter wachsen, <strong>die</strong> Ressourcen WERDEN knapper werden (da<strong>zu</strong> zählt selbstverständlich auch dasWasser), <strong>die</strong> Krisenherde WERDEN mehr werden, <strong>die</strong> Kriegsgefahren WERDEN steigen. Dieökologische Katastrophe WIRD näher rücken, <strong>die</strong> ökonomische ebenso, und selbstverständlich auch<strong>die</strong> politische.Jede „echte“ ökologische Katastrophe <strong>wir</strong>d automatisch auch eine ökonomische und eine politischeauslösen.Jede „echte“ <strong>wir</strong>tschaftliche Katastrophe <strong>wir</strong>d automatisch auch eine politische nach sich ziehen,wahrscheinlich auch eine ökologische.Jede „echte“ politische Katastrophe <strong>wir</strong>d automatisch auch eine <strong>wir</strong>tschaftliche und wahrscheinlichauch eine ökologische sein.Das Maximum der politischen Katastrophe heißt wahrscheinlich Weltkrieg; möglicherweise sogarAtomkrieg.<strong>Ein</strong> lieber Freund meinte unlängst, als <strong>wir</strong> über <strong>die</strong>se Problematik redeten, daß <strong>die</strong> Überlebendendes Dritten Weltkriegs wohl daraus lernen und sich ändern würden. Ich habe ihm widersprochen:Der Mensch würde seinen Opportunismus NICHT ablegen, er würde WIEDER hierarchische undausbeuterische Strukturen <strong>auf</strong>bauen, nur um eine winzige Spur ANDERS. Seine grundsätzlicheMentalität würde er jedoch NICHT ändern.Und mein Freund, der ansonsten ganz und gar nicht Mundfaule, schwieg.


199Im <strong>Ja</strong>hre 2008 hat <strong>die</strong> Europäische Union eine Verminderung der Produktion des TreibhausgasesCO 2 um 20% bis <strong>zu</strong>m <strong>Ja</strong>hr 2020 beschlossen. Damals war man mächtig stolz und <strong>zu</strong>versichtlich.(Nicht einmal ein <strong>Ja</strong>hr später hat man schon wieder andere Sprüche vom Stapel gelassen, weil eineFinanzkrise dazwischenkam.) Aber eine Reduktion um 20% wäre sowieso <strong>zu</strong>wenig.Ich ziehe gern den Vergleich mit einem übergewichtigen Mann, der sich sein ganzes Fett selberhin<strong>auf</strong>gegessen hat und aus gesundheitlichen Gründen eine Reduktion seines Gewichts um 20%beschließt, selbstverständlich über <strong>die</strong> <strong>Ja</strong>hre verteilt. Aber <strong>die</strong>ser Typ bringt 300 Kilo <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Waage;und wenn er auch 20% abnimmt, dann hat er immer <strong>noch</strong> 240 Kilo, ist immer <strong>noch</strong> ein kranker„Fettsack“ und „frißt“ immer <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> viel.Es gibt eine Menge guter Ideen. Aber ich schätze, daß sie allesamt nicht ausreichen, um uns aus derPatsche <strong>zu</strong> helfen, weil es da nämlich den Faktor ZEIT gibt. Die Reaktionen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> vergangenen 20bis 30 <strong>Ja</strong>hre kommen <strong>zu</strong>meist erst <strong>noch</strong>, denen können <strong>wir</strong> gar nicht entkommen, <strong>die</strong> haben <strong>wir</strong> jabereits verursacht. Wenn <strong>wir</strong> JETZT etwas unternehmen, um das Klima im positiven Sinne <strong>zu</strong>verändern, dann erhalten <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Resultate aber ebenfalls erst in 20 bis 30 <strong>Ja</strong>hren. Und BIS <strong>wir</strong>endlich etwas verändern, verschlimmern <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Situation weiter, und es <strong>wir</strong>d NOCH enger.Bis jetzt haben <strong>wir</strong> <strong>die</strong> Erde um 0,8 Grad erwärmt; <strong>noch</strong> nicht einmal ein Grad, aber schon dasspüren <strong>wir</strong> erheblich. <strong>Ein</strong>e Erwärmung um 2 Grad gilt bereits als sicher; satte 4 bis 5 Grad bis <strong>zu</strong>m<strong>Ja</strong>hr 2100 <strong>sind</strong> wahrscheinlich.Wenn's so weiter geht.Klimaforscher haben berechnet, daß bei einer Erderwärmung von 3 Grad das Amazonas-Gebiet <strong>zu</strong>rSteppe <strong>wir</strong>d. Amazonien produziert 20% unseres Sauerstoffs. DANN <strong>wir</strong>d's erst <strong>wir</strong>klich eng!Bei einer Temperatur<strong>zu</strong>nahme von 6 Grad aber ist endgültig Schluß für homo sapiens. Dann kannkein Mensch mehr leben.Die Chancen stehe also recht gut, daß homo sapiens sich selber ausrottet.Unter den derzeit allseits bekannten Vorausset<strong>zu</strong>ngen würde ich persönlich nicht unbedingt dar<strong>auf</strong>wetten, daß der Mensch <strong>noch</strong> <strong>die</strong> Kurve kriegt, ohne sich vorher durch eine ökologische oderökonomische oder politische Katastrophe oder eine Kombination davon selbst reduziert <strong>zu</strong> haben.Dies bringt mich <strong>zu</strong>rück an <strong>die</strong> Anfangskapitel <strong>die</strong>ses Buches, wo ich homo sapiens mit Viren undBakterien verglichen und euch in einem ganz bestimmten Punkt „<strong>auf</strong> später“ vertröstet habe:Wiedergutwerdung des homo sapiens, entweder durchSelbsterkenntnis;oder mittels Ohrfeigen von Mutter Natur;oder durch derzeit <strong>noch</strong> unbekannte, vermutete oder auch prophezeite Faktoren;oder notwendig gewordene Reduzierung des Menschen durch selbige, im vorigen Punktgenannte Faktoren;oder teilweise Ausrottung von Mensch UND anderen Lebewesen.Vernichtung des homo sapiens, entweder durcheigene Hand;oder durch <strong>die</strong> Natur;oder durch derzeit <strong>noch</strong> unbekannte, vermutete oder auch prophezeite Faktoren;alles jeweils mit den Varianten KEINE Reduzierung oder Vernichtung anderer Lebewesenoder aber doch.EINES ist jedenfalls sicher: „BRAUCHEN“ tut uns der Planet NICHT!Womit kann man den Menschen also vergleichen – mit Viren, mit Bakterien, oder mit Parasiten?Meine persönliche Meinung lautet: MIT ALLEN DREIEN.Homo sapiens verhält sich wie JEDER DIESER DREI. Mal so, mal so, mal so.Er tut es, weil er's eben KANN. Er tut es, weil er ein ausgezeichneter Opportunist ist. Er tut es, weil


200er es WILL. Er tut es, weil es ihm einfach in der Natur liegt und er offensichtlich unfähig ist, sich <strong>zu</strong>beherrschen. Er tut es, weil er gern Schwächere beherrscht. Er tut es, weil er unreif ist.Und was ist jetzt mit den „derzeit <strong>noch</strong> unbekannten, vermuteten oder auch prophezeitenFaktoren“?Über derzeit <strong>noch</strong> unbekannte Faktoren kann ich selbstverständlich überhaupt nichts sagen. Die <strong>sind</strong>ja <strong>noch</strong> unbekannt.Über vermutete Faktoren habe ich wahrscheinlich schon genug von mir gegeben; vermutet selberweiter. (Aber ganz korrekt gesagt: <strong>Ein</strong> bißchen kommt <strong>noch</strong>.)Über prophezeite Faktoren oder über Prophezeiungen insgesamt will ich eigentlich so wenig wiemöglich reden.Eigentlich gar nicht.Früher hab' ich Prophezeihungen nahe<strong>zu</strong> gesammelt. Gescheiter bin ich dabei nicht unbedingtgeworden, glücklicher ebenfalls nicht. Ich möchte lieber weitgehend <strong>auf</strong> Prophezeiungenverzichten; vor allem <strong>auf</strong> Prophezeihungen aus dem jüdisch-christlich-islamischen Kulturkreis.(Macht euch selber „schlau“ – oder verrückt.)Überhaupt ist es recht seltsam, daß homo sapiens immer wieder dem Bedürfnis unterliegt, etwasKonkretes über <strong>die</strong> Zukunft erfahren <strong>zu</strong> wollen. Zumindest etwas Mehr-oder-weniger-Konkretes.Oder IRGENDWAS.Gerade in <strong>wir</strong>tschaftlich oder politisch unsicheren Zeiten boomt <strong>die</strong>ses Geschäft mit der Zukunft.Ich schätze, letztendlich will homo sapiens ZWEI Antworten erhalten: „Alles <strong>wir</strong>d gut (auch wenndu einige Hindernisse <strong>zu</strong> überwinden hast)“ und vor allem „Du bist ein guter Mensch“. Und wennso nebenbei <strong>die</strong> „Anderen“, <strong>die</strong> „Bösen“, „Schlechten“ und „Gottlosen“ eines <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Mützebekommen – umso besser. Das beruhigt gleich doppelt.


201Und nun will ich hochoffiziell bekennen: Ich bin ein fideler Apokalyptiker.Ich begrüße ein Aussterben des homo sapiens. Es <strong>sind</strong> ja schon viele Spezies ausgestorben, weil siesich den veränderten Umweltverhältnissen nicht anpassen konnten. Wenn homo sapiens an einerderartigen Veränderung selber schuld ist, dann ist das eine brillante Ironie. <strong>Ein</strong> weltgeschichtlicherWitz für <strong>Ja</strong>hrmillionen.Mich freut's direkt, daß es dem Menschen an den Kragen geht. Mich freut's – egal, ob er es überlebtoder nicht. Dem Planeten könnte nichts Besseres passieren als der Untergang des homo sapiens.<strong>Ein</strong>en allerletzten Tag für <strong>die</strong>sen Planeten <strong>wir</strong>d es mit Sicherheit geben; spätestens dann, wenn sichunsere Sonne <strong>zu</strong>m Roten Riesen <strong>auf</strong>bläht. Aber das <strong>wir</strong>d erst in ungefähr zwei Milliarden <strong>Ja</strong>hrenpassieren. Die Erde hätte also nach dem Ableben Seiner Scheinheiligkeit, des homo sapiens, <strong>noch</strong>genügend Zeit, eine neue Spezies hervor<strong>zu</strong>bringen, <strong>die</strong> tatsächlich Intelligenz bewiese.Also freuen <strong>wir</strong> uns! Fidelitas!Irgendwann <strong>wir</strong>d auch <strong>die</strong>ses Universum da verschwinden. Wieder ein Allerjüngster Tag. Aber nichtfür all <strong>die</strong> anderen Universen. Und all <strong>die</strong> <strong>zu</strong>künftigen Universen.Wer wäre wohl penetrant und impertinent genug, ein Ende <strong>die</strong>ses Mega-Spektakels voraussehen,vorauswissen oder vorausglauben <strong>zu</strong> wollen?Nichts für mich! Ich möchte mich innerhalb meiner kleinen Existenz freuen. Das genügt mir.Fidelitas!Mir macht's nichts aus, wenn der Mensch untergeht. Mir macht's auch nichts aus, wenn der Planetuntergeht. Wär' eben schade. Aber mit Sicherheit glaube ich nicht, daß <strong>die</strong> Erde der einzige Ort ist,an dem man sich freuen kann. Fidelitas! Und mit Sicherheit glaube ich ebensowenig, daß ein Gottsich meiner Freude verweigern würde.Freude! Fidelitas!Seid glücklich! Seid einfach! Seid einfach glücklich!Völlig egal, wann euer Stündchen schlägt: Seid glücklich! Wer oder was sollte euch davonabhalten? <strong>Ein</strong> neidiger, selbstgerechter, selbstsüchtiger, sadistischer Gott etwa? Das ist doch völligabsurd!IHR SELBER könnt euch jederzeit vom Glücklich-Sein abhalten – durch eure Vorstellungen undWünsche, eure Ideale, eure Ängste, Neurosen und Psychosen.Aber niemand zwingt euch, eure unerreichbaren Ideale, eure Vorstellungen und Wünsche, eureÄngste, Neurosen und Psychosen <strong>auf</strong><strong>zu</strong>geben; selbstverständlich steht es euch frei, darin <strong>zu</strong>verharren.Ich persönlich, ich in meiner Begrenztheit, ich bin gerne begrenzt und trotzdem fidel.Mich bekümmert <strong>die</strong> Zukunft gar nicht mehr so wie früher mal. Das Nirvana (das Nicht-Irgendwas)oder das Sonstwas <strong>sind</strong> mir sicher, so oder so, früher oder später, und euch ebenso.Es macht überhaupt keinen Sinn, sich davor <strong>zu</strong> fürchten, NICHT <strong>zu</strong> sein. Diese Vorstellung mag deneinen oder anderen Horizont übersteigen und deshalb Furcht erregen. Jedoch ist <strong>die</strong> Angst davor,NICHT <strong>zu</strong> sein, äußerst irreal und unsinnig, da es im Nicht-Sein gar nicht mehr „irgendjemanden“geben kann, der Angst empfinden könnte.Aber selbstverständlich steht es jedem frei, als lebensgeiler Angstneurotiker weiterhin <strong>die</strong> Welt <strong>zu</strong>verunsichern.Mir genügt es schon, wenn man mich mit hohen Idealen, Ängsten, Neurosen und Psychosenverschont, wenn man es mir erlaubt, ein fideler Apokalyptiker <strong>zu</strong> sein!


202Auf politischer, <strong>wir</strong>tschaftlicher, naturwissenschaftlicher, weltanschaulicher und religiöser Ebene<strong>wir</strong>d kräftig über <strong>die</strong> Zukunft unserer Erde und der Menschheit diskutiert, geforscht, prognostiziertund gemutmaßt. Als fideler Apokalyptiker nehme mir nun <strong>die</strong> Freiheit heraus, mich all <strong>die</strong>senSpekulationen an<strong>zu</strong>schließen.Ausgangspunkt <strong>sind</strong> zwei Prophezeihungen aus nicht-monotheistischen Kulturen. Die eine stammtvon den Hopi-Indianern, einem <strong>noch</strong> nicht gänzlich ausgerotteten Völkchen <strong>auf</strong> dem Staatsgebietdes Weltenretters USA, <strong>die</strong> andere aus Tibet, einem unter fadenscheinigem Vorwand besetztenGebiet mit einer eigenartigen, aber nicht uninteressanten Mischreligion. (<strong>Ein</strong> „echter“ Buddhismusist der Lamaismus ja wie gesagt nicht so ganz.)Die Hopi sprechen von einem „Tag der Reinigung“ („day of purification“), welcher den „Aufstieg“von der „vierten Welt“ in <strong>die</strong> „fünfte Welt“ einleitet. (Der Begriff „Aufstieg“ ist mir in <strong>die</strong>semZusammenhang erheblich sympathischer als <strong>die</strong> Begriffe „Untergang“ oder „Neues Zeitalter“ („newH“).) Sieben <strong>die</strong>ser „Welten“ soll es in der Menschheitsgeschichte insgesamt geben.Zu Beginn der 70er-<strong>Ja</strong>hre des 20. <strong>Ja</strong>hrhunderts haben Hopi-Sprecher verlautbart, daß <strong>die</strong>ser „Tagder Reinigung“ nicht mehr <strong>auf</strong> friedlichem Weg erreicht werden kann. (Ätsch, homo Blödmann,Gier zahlt sich nicht aus!) In <strong>die</strong>sem Zusammenhang sprechen <strong>die</strong> Hopi davon, daß einer ihrer„kachinas“ (so nennen sie ihre Himmelswesen) dafür sorgen werde, daß <strong>die</strong> von Menschenerfundene Form von Elektrizität nicht mehr funktioniert.Die Prophezeiung der Tibeter betrifft ebenfalls das „kommende Zeitalter“. Am Höhepunkt derglobalen kriegerischen Wirren soll ein neuer grüner Stern am Himmel erscheinen, so hell, daß erauch bei Tage sichtbar ist. Dieser „Smaragdstern“ soll dann das ganze kommende Zeitalter über amTageshimmel <strong>zu</strong> sehen sein – ein Symbol des „Heils“.Dieser „Smaragdstern“ soll auch einen gewissen <strong>Ein</strong>fluß <strong>auf</strong> das Bewußtsein der Menschen haben,<strong>die</strong> destruktive Gier und Aggressivität der einen bestärken (und somit deren Untergangbeschleunigen) und andererseits <strong>die</strong> anderen in ihrer friedfertigen Geistigkeit fördern. (Es ist echtein XCR, <strong>die</strong> „wahren“ Worte für den „wahren“ Menschen <strong>zu</strong> finden – da klingt's einfach nach demesoterischen Quatsch, den ich selber nicht mag. Aber ich hoffe, ihr wißt, was gemeint ist.)MEIN Beitrag <strong>zu</strong>r interkulturellen Prophetie und allumfassenden Spekulation besteht nun darin, <strong>die</strong>Idee vom Smaragdstern mit der Idee vom Ende der vom Menschen gemachten Elektrizität <strong>zu</strong>kombinieren.Die Vorstellung, daß Elektrizität nicht mehr möglich sein könnte, erscheint dem modernenMenschen völlig absurd. Kraftwerke mögen ausfallen, Stromnetze mögen <strong>zu</strong>sammenbrechen,Atombomben oder andere moderne Waffen mit einer mächtigen elektromagnetischen Abstrahlungkönnten Elektrizität lahmlegen, ein Polsprung mag <strong>die</strong> Polarität verändern – aber das wäre alles nurvorübergehend, man könnte alles reparieren oder neu bauen, und danach würde wieder allesfunktionieren. Außerem ist Elektriziät ja etwas Natürliches, kommt Elektrizität ja auch in der Naturvor.Das stimmt selbstverständlich auch. Allerdings arbeitet <strong>die</strong> Natur mit elektrisch geladenen Atomen(Ionen), der Mensch hingegen mit elektrisch geladenen Atomteilchen (Elektronen).Dieser Elektronenfluß kann durch ein starkes elektromagnetisches Feld blockiert werden, wie esbeispielsweise von einer Atombombe erzeugt <strong>wir</strong>d. Dieses Prinzip <strong>wir</strong>d in US-amerikanischenStädten bei der Verfolgung von Kriminellen und Tatverdächtigen bereits eingesetzt. <strong>Ein</strong> Gerät,welches einen kurzen, aber starken EMP (electro magnetic pulse; elektomagnetischer Impuls)erzeugt, <strong>wir</strong>d mit Rädern versehen und mittels Fernsteuerung unter das Fahrzeug der Flüchtigengebracht, der EMP <strong>wir</strong>d ausgelöst, <strong>die</strong> Elektrik des Fahrzeugs versagt, das Auto rollt aus, <strong>die</strong>Handschellen klicken. (Welches Geräusch machen eigentlich <strong>die</strong>se modernen Handfesseln ausPlastik?) Das Auto landet in der Werkstatt, <strong>die</strong> Gauner im Gefängnis. Mission accomplished.<strong>Ein</strong> ständig wiederkehrender EMP mit ausreichender Feldstärke würde ständig wiederkehrend denElektronenfluß der vom Menschen erfundenen Elektrizität blockieren.


203Ist es möglich, daß ein Stern einen derartigen EMP aussendet? Im Prinzip ja. Sterne ballern allemöglichen Arten von Strahlung in allen möglichen Wellenbereichen ins Weltall. Physikalisch ist einsolcher Stern möglich.Somit gilt für einen derartigen Stern auch Murphy's Gesetz, das in etwa Folgendes aussagt: Wannimmer etwas schiefgehen kann, <strong>wir</strong>d es irgendwann auch schiefgehen. (Irgendwann bedeutet: imnächsten Moment oder weit in der Zukunft.)DERZEIT gibt es kein Objekt in der Nähe unseres Sonnensystems, das einen derartigen EMP mitausreichender Stärke oder Reichweite ausstrahlt.(DERZEIT gibt es auch keinen Smaragdstern, der sogar bei Tage sichtbar ist.)Ist es möglich, daß ein Stern eine Strahlung im Frequenzbereich der menschlichen Gehirnaktivität(Delta-Wellen 1-4 Hertz, Theta-Wellen 5-8 Hertz, Alpha-Wellen 8-12 Hertz, Betawellen darüber)aussendet? Im Prinzip ja. Sterne ballern alle möglichen Arten von Strahlung in allen möglichenWellenbereichen ins Weltall. Physikalisch ist ein solcher Stern möglich.Ist es möglich, daß eine derartige Strahlung das menschliche Bewußtsein und damit auch seinVerhalten beeinflußt? Na sicher!Alles nur eine Frage von Stärke und Reichweite.DERZEIT gibt es ein solches Objekt nicht.Und oder aber: Murphy's Gesetz.Für den Begriff „Gehirnwelle“ oder „Gedankenwelle“ wäre man in so manchem Kulturkreis vor garnicht all<strong>zu</strong> langer Zeit <strong>noch</strong> ausgelacht und verhöhnt worden, nur wenig früher sogar verbrannt odergesteinigt. Der Sanskrit-Begriff „vritti“ bedeutet allerdings genau <strong>die</strong>ses: Gedankenwelle – undzeigt so nebenbei, daß <strong>die</strong> „alten Inder“ in mancher Hinsicht der europäisch-monotheistischenKultur etwas voraus waren (oder <strong>zu</strong>mindest völlig andere Denkansätze hatten).Stellen <strong>wir</strong> uns vor, wenn tatsächlich Wellen im Bereich einer der Frequenzbereiche unsererGehirnaktivität <strong>auf</strong> uns ein<strong>wir</strong>ken, welche Wechsel<strong>wir</strong>kungen da <strong>auf</strong>treten könnten; <strong>zu</strong>m BeispielInterferenzen und Verstärkungseffekte. <strong>Ein</strong>e Interferenz (Überlagerung mehrerer Wellen) könntemehr als unangenehm sein; man könnte aggressiv, dumm, verrückt, krank werden; man könntevielleicht <strong>zu</strong>nehmend <strong>die</strong> Fähigkeit verlieren, sich während des Tiefschlafs regenerieren <strong>zu</strong> können;man könnte dermaßen krank werden, daß man stirbt. Oder es könnte auch das Gegenteil der Fallsein; eine Verstärkung der Gehirnwellen könnte da<strong>zu</strong> führen, daß man besser denken, intensiverempfinden oder sich besser regenerieren kann.Über Gedankenwellen oder Gehirnwellen weiß <strong>die</strong> moderne Wissenschaft <strong>noch</strong> sehr wenig;eigentlich befindet sie sich <strong>noch</strong> immer in der Phase des Herumprobierens. Aber man weißimmerhin, daß Gehirnwellen existieren.Also kann ein fideler Apokalyptiker wie ich auch unverschämt spekulieren, ohne hundertprozentigwiderlegt werden <strong>zu</strong> können, und sich so nebenbei einen sogenannten Ast heruntergrinsen. DieVorstellung, daß der eine Teil der Menschheit einen kollektiven Bewußtseinsschub erfährt, weil eineneue kosmische Strahlung <strong>auf</strong> ihn einprasselt, während der andere Teil kollektiv verrückt und krank<strong>wir</strong>d, ausstirbt oder sich ausrottet, ist wunderschön und richtiggehend GEIL. Selbst wenn dabei derInterferenz-Mensch in seinem Untergang <strong>noch</strong> etwas Unheil anrichtet und manchen Zeitgenossendas Leben kostet, <strong>die</strong> sich eigentlich gut <strong>auf</strong> <strong>die</strong> neuen Bedingungen einstellen könnten. Denn genauDAS wäre es dann auch: eine simple Veränderung der allgemeinen Umweltbedingungen; Evolutiondurch einen neuen, vom Menschen nicht beeinflußbaren Faktor.Auch der Wegfall sämtlicher mit (der derzeigen Form von) Elektrizität in Verbindung stehendenTechnologien wäre kein sonderliches Problem. Bei einem kollektiven Bewußtseinsschub dürfte esbald von Erfindern und neuen Erfindungen nur so wimmeln.Ganz besonders gut an <strong>die</strong>ser Idee gefällt mir, daß sie gänzlich ohne göttliche Wesen, Außerirdischeund jede Form von Übernatürlichkeit auskommt.Nur Physik.Ich bin kein Physiker, um Berechnungen anstellen <strong>zu</strong> können über astrophysikalische Phänomene,


204Feldstärken, Sonnenmassen und und und. Ich bin lediglich ein fideler Apokalyptiker <strong>auf</strong> einemSonntagsausflug ins Reich der spekulativen Prophetie, ins Reich der Möglichkeiten; ein denkendesund fühlendes und in gewisser Hinsicht auch besorgtes Wesen, das sich als interessierter Laie soseine Gedanken macht. Und so weit ich weiß, können <strong>die</strong>se Gedanken wissenschaftlich nichthundertprozentig widerlegt werden.Könnte ein Objekt innerhalb unseres Sonnensystems <strong>zu</strong>m Smaragdstern werden?Der Jupiter dürfte wohl <strong>zu</strong> klein sein, um <strong>zu</strong> einer zweiten Sonne <strong>zu</strong> werden.Oder könnte es sich eventuell um ein vom Menschen selbst in <strong>die</strong> Erduml<strong>auf</strong>bahn geschossenesObjekt handeln? Vielleicht um eine jener nie getätigten Erfindungen, welche nie <strong>zu</strong> einer Waffeumfunktioniert wurden, <strong>die</strong> nie in <strong>die</strong> Erduml<strong>auf</strong>bahn geschossen wurden, um niemals niemanden<strong>zu</strong> bedrohen, und <strong>die</strong> deshalb auch nie außer Kontrolle geraten können?<strong>Ja</strong> wer glaubt denn SO WAS?!?! Das tut ja nicht einmal ein fideler Apokalyptiker wie ich – obwohl<strong>die</strong>se Theorie eigentlich exzellent <strong>zu</strong>m Wesen des homo sapiens passen würde.


205Manchmal, ganz ganz selten, befällt mich das Gefühl, daß sämtliche Konzepte, <strong>die</strong> sich derMensch jemals über Leben, Geist, Seele, Wiedergeburt, Leben nach dem Tod, Bewußtsein, Gott,Transzendenz gemacht hat, falsch <strong>sind</strong> – oder <strong>zu</strong>mindest nicht ganz richtig. Dieser kurzeAugenblick ist dermaßen erschreckend, daß ich mich ihm sofort wieder verschließe und nicht wage,das Undenkbare <strong>zu</strong> denken oder das Denkbare nicht <strong>zu</strong> denken.Vielleicht ertrage ich ein bißchen mehr an Undenkbarem als andere Menschen. Wahrscheinlichertragen Monisten sowieso mehr an Undenkbarem als Monotheisten und sogar Atheisten.Vielleicht haben Monotheisten dafür den Vorteil des grenzenlosen Vertrauens. Aber da bin ich mireigentlich nicht so ganz sicher.Über „mancherlei“ bin ich mir nicht so ganz sicher.Überhaupt bin ich mir nicht so ganz sicher, wieviel „Sinn“ es überhaupt macht, <strong>die</strong>ses Büchlein <strong>zu</strong>schreiben. Vielleicht trägt es nur da<strong>zu</strong> bei, <strong>die</strong> Welt NOCH mehr <strong>zu</strong> ver<strong>wir</strong>ren.Vielleicht genügt es aber auch schon, nur einem einzigen Menschen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sprünge <strong>zu</strong> helfen.Vielleicht ist „mancherlei“ von dem, was ich geschrieben habe, nicht ganz richtig.Vielleicht ist „mancherlei“ von dem, was ich geschrieben habe, auch völlig falsch.Vielleicht ist ALLES falsch.Vielleicht ist es pure Illusion.Vielleicht ist ALLES Illusion.Vielleicht bin ich ein Schmetterling, der davon träumt, ein Mensch <strong>zu</strong> sein.Vielleicht bin ich eine Nebenfigur in einem Traum.Vielleicht <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> alle nur Nebenfiguren in einem Traum von ........... – ja von wem eigentlich?Vielleicht <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> alle nur Spielfiguren in einem außergewöhnlich gut ausgetüftelten virtuellenSpiel.Vielleicht <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> tatsächlich Teil einer Matrix.Vielleicht <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Rolling Stones tatsächlich <strong>die</strong> beste Band aller Zeiten.Vielleicht ist vielleicht.Vielleicht werden Außerirdische einen Teil der Menschheit evakuieren, bevor der Planet in <strong>die</strong> Luftfliegt.Vielleicht ist homo sapiens nur eines von vielen mißlungenen Gen-Experimenten.Vielleicht ist <strong>die</strong> Erde nur ein Elementarteilchen, unser Sonnensystem ein Atom, unsere Galaxiseine Zelle, unser Universum ein Organ (vielleicht <strong>die</strong> Milz) eines dunkelblau-rosa karierten Bilby.Vielleicht amüsiert sich <strong>die</strong>ser Bilby ganz köstlich darüber, daß irgendwelche Elementarmikrobenihn „Gott“ nennen und in sonderbaren Kulten verehren.Vielleicht tritt morgen schon der Messias in Erscheinung.Vielleicht <strong>wir</strong>d übermorgen schon der Messias wegen religiöser Wahnvorstellungen von einerExpertenkommission für un<strong>zu</strong>rechnungsfähig erklärt, verschwindet in der Psychiatrischen Anstaltirgendeines Provinzkaffs und <strong>wir</strong>d dort sein ganzes restliches Leben lang niedertablettiert.Vielleicht kommt's anders, als man denkt.Vielleicht ist vielleicht nur vielleicht.Vielleicht können <strong>wir</strong> bald schon einen neuen grünen Stern am Himmel sehen.Vielleicht gibt es <strong>wir</strong>klich bald einen kollektiven Bewußtseinsschub, <strong>zu</strong>mindest für einen Teil desKollektivs.Vielleicht werden einige Religionen <strong>die</strong>se Veränderung nicht unbeschadet überdauern.Vielleicht werden sie gänzlich in der Versenkung verschwinden.Vielleicht <strong>wir</strong>d es auch einigen wissenschaftlichen Erkenntnissen so ergehen.Vielleicht schleudert es uns überhaupt aus der Grobstofflichkeit hinaus in eine völlig andereExistenzform.Vielleicht passiert das aber auch erst im Zuge des nächsten oder übernächsten „Weltuntergangs“.Vielleicht werden <strong>wir</strong> das alles bald wissen.


206Vielleicht werden <strong>wir</strong> den Beinamen „sapiens“ bald auch ver<strong>die</strong>nen.Vielleicht werden <strong>wir</strong> dann viel <strong>zu</strong> staunen und <strong>zu</strong> lachen haben.Und dann werden wohl auch Bücher wie <strong>die</strong>ses ihre Sinnhaftigkeit verloren haben.JUHUUU!!!


207So – ! Jetzt kann ich (v-i-e-l-l-e-i-c-h-t – aber vielleicht auch nicht) all jene Bücher <strong>zu</strong>r Handnehmen, <strong>die</strong> ich <strong>zu</strong> Recherchezwecken schon vorher lesen wollte. Aber dann hab' ich dar<strong>auf</strong>verzichtet, weil ich mich von niemandem beeinflussen lassen wollte, und stattdessen <strong>auf</strong> meineigenes unvollkommenes Gedächtnis <strong>zu</strong>rückgegriffen.(Na ja – ein paar Fakten hab' ich schon nachgegraben – oder von Internet-Usern nachgraben lassen(danke!).)Verzeiht bitte Fehler und Irrtümer – sie waren nicht bös' gemeint.Und jetzt <strong>noch</strong> – quasi als bonus tracks – einige Songtitel, <strong>die</strong> vielleicht als Tips und Anregungengesehen werden können, und hinterher <strong>noch</strong> einige Gedankenfetzen und Zitate ...............be here now (George Harrison)live your life (Otis Taylor Trio)act naturally (Beatles)don't give up (Peter Gabriel)take your time (Jon Anderson)take this life (In Flames)carry on (Crosby, Stills, Nash & Young)smile (Diana Ross, ein Song von Charlie Chaplin)let's dance (David Bowie)listen, learn, read on (Deep Purple)enjoy the silence (Depeche Mode)give peace a chance (John Lennon)tell the truth (Derek and the Dominos)throw down the sword (Wishbone Ash)hold out your hand (Chris Squire)open your eyes (Peter Hammill)come together (Beatles)cheer up (Bob Marley)slowdown (Andi Baum)throw your hatred down (Neil Young)love one another (Youssou N'Dour)let the children play (Santana)let it grow (Renaissance)let the sunshine in (aus dem Musical „Hair“)be happy (Mahavishnu Orchestra)give and take (Yes)if you love somebody set them free (Sting)smile (Ekseption; nicht <strong>zu</strong> verwechseln mit dem Chaplin-Song)hum along and dance (The <strong>Ja</strong>ckson 5)dance, dance, dance to the funk (<strong>Ja</strong>mes Brown)sing a song (Earth, Wind & Fire)kiss the dawn (Guano Apes)wake up and smell the coffee (The Cranberries)don't lose your mind (Miles Davis)don't eat the yellow snow (Frank Zappa)piss on the wall (J. Geils Band)stop your sobbing (The Kinks)*


208breathe (Pink Floyd)smile (David Gilmour (wieder ein anderer Song))fear no evil (Trouble)don't let them control you (Jim Capaldi)don't let it bring you down (Neil Young)help yourself (Amy Winehouse)keep on wondering (<strong>Ja</strong>ck Bruce)don't believe the hype (Public Enemy)take off (Miles Davis)be yourself (Graham Nash)feel the wind blow (Brainticket)don't let no one get you down (War)look to the rainbow (Al <strong>Ja</strong>rreau)go your own way (Fleetwood Mac)enjoy (Björk)practice what you preach (Santana)speak like a child (Tim Hardin)hold on (Limp Bizkit)join together (The Who)take it easy (Eric Burdon)heaven is in your mind (Traffic)kumba yo! (Guano Apes)*Ich habe ausschließlich englischsprachige Titel verwendet, das macht optisch einen besseren<strong>Ein</strong>druck.Natürlich hab' ich selbst auch <strong>noch</strong> ein paar Tips <strong>auf</strong> Lager:Erstens (selbstverständlich erstens!): Löse dich <strong>auf</strong>.(Falls das tatsächlich jemand durchzieht – WOW! Respekt!)Zwölftens: Schwimm nicht in der Mitte des Flusses, vor allem nicht, wenn er einem Riesen-Gullyentgegenströmt.Fünfundvierzigstens: Laß dir keinen Micro-Chip einpflanzen.Sechsundvierzigstens: Laß dir kein Fremd-Gen einpflanzen.Siebenundvierzigstens: Laß dir unter gar keinen Umständen irgendwelche chauvinistischenIdeologien einpflanzen.Dreiundsechzigstens: Laß dir nicht <strong>auf</strong> den Kopf xcr.Und schlußendlich zweiundneunzigstens: Schade niemand und hilf.(Sollte jemand ernsthaft unerwähnte Tips zwischen zwei und einundneunzig suchen: Such weiter!)*Selbstverständlich hätte ich einige Ideen und Lösungsvorschläge an<strong>zu</strong>bieten. Aber andere Menschenhaben sogar weit bessere Ideen, und <strong>die</strong>se können anscheinend auch nicht ver<strong>wir</strong>klicht werden. Alsohalte ich mich <strong>zu</strong>rück.Prinzipiell glaube ich, daß uns <strong>die</strong> Zeit davonläuft; daß <strong>wir</strong> einfach nicht mehr genug Zeit haben,das Schlamassel, in das <strong>wir</strong> uns hineingeritten haben, selber <strong>zu</strong> lösen. Aber <strong>zu</strong>m Glück <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> Teileines größeren Systems, genannt Biosphäre oder Natur, das uns <strong>zu</strong> einer anderen Lebensweisezwingen <strong>wir</strong>d und uns notfalls sogar ausrottet.


209<strong>Ein</strong>e Lösung gibt es also allemal, <strong>zu</strong>mindest eine Endlösung. Aber an eine totale Vernichtung glaubeich nicht. Als Realist ten<strong>die</strong>re ich zwar meistens in Richtung Pessimismus, aber in <strong>die</strong>sem Fall binich Optimist. Und Opportunist.<strong>Ja</strong> – ich bekenne, ich bin ein Opportunist. Ich bin AUCH nur ein Opportunist. Ich bin ein echterVertreter der Spezies homo sapiens. Aber ich bemühe mich, den offenbar genetisch bedingtenOpportunismus <strong>zu</strong> durchschauen und mit Hilfe von Mitgefühl und Verstand ein<strong>zu</strong>schränken.Ich habe immer wieder <strong>auf</strong> Erkenntnisse von Forschern und Wissenschaftlern hingewiesen,selbstverständlich lediglich <strong>auf</strong> solche, <strong>die</strong> mir in den Kram passen; immerhin bin ich Opportunist.Sicherlich gibt es auch gegenteilige Erkenntnisse – solange etwas nicht als endgültige Wahrheitanerkannt worden ist. Und das ist eben ein gewisses Problem. Selbst mit der Erkenntnis universellerNaturgesetze haben <strong>wir</strong> so unsere Probleme. Aber der <strong>Ein</strong>blick wächst.*Viele Menschen stellen <strong>die</strong> Frage: Gibt es ein Leben nach dem Tod?Darüber ist schon sehr viel geredet und geschrieben worden.Ich möchte weder Antworten <strong>noch</strong> Theorien hin<strong>zu</strong>fügen, sondern lieber einige themenverwandteZusatzfragen:Gibt es Leben vor der Geburt?Gibt es Leben vor der Zeugung?Gibt es Leben außerhalb unseres Planeten?Gibt es Leben außerhalb unserer Vorstellungen von Biologie?Gibt es Leben in anderen Sphären, Dimensionen, Daseinsbereichen?Und: Gibt es ein Leben VOR dem Tod?*Viele Menschen stellen <strong>die</strong> Frage nach dem Sinn des Lebens.Auch darüber ist schon viel gesagt und geschrieben worden.Ich möchte eine ganz persönliche Stellungnahme <strong>zu</strong> <strong>die</strong>ser Frage abgeben:Úgluk n'sótsi Worwowrórow u ú shtshátsh Sandalambandangaravandanam ehénge wúsi-wúsi Olóloglúk u glúk úgluk.(Wie man sieht, endet <strong>die</strong>ser Satz mit dem selben Wort, mit dem er beginnt. Und das muß wohlauch so sein.)*Viele religiöse Menschen, <strong>die</strong> an Gott in „Form“ einer Person glauben, verknüpfen <strong>die</strong> Frage nachdem Sinn des Lebens mit der Frage: Was WILL Gott?Auch über Gottes Willen ist schon viel geredet und geschrieben worden. Und <strong>die</strong> Gefahr einesMißbrauchs (Gottes) ist echt riesig.Auch hier möchte ich lieber einige Zusatzfragen stellen, <strong>die</strong> vielleicht <strong>zu</strong> einer Beantwortung <strong>die</strong>serFrage führen:Was hat Gott davon, wenn er bekommt, was er will?Wie geht es Gott, wenn er bekommt, was er will?Wie geht es Gott, wenn er NICHT bekommt, was er will?Was macht Gott, wenn er nicht bekommt, was er will?Was könnte jemand brauchen, der alles hat, alles kann, alles ist, der unveränderlich, unbeeinflußbar,transzendent ist?Was könnte jemand wollen, der alles hat, alles kann, alles ist, der unveränderlich, unbeeinflußbar,


210transzendent ist?Hmm –*Der Transzendenz ist es egal, <strong>auf</strong> welchem Weg du sie erreichst.Und es ist „am Ende“ auch egal, wie lange du da<strong>zu</strong> brauchst.Aber achte bitte dar<strong>auf</strong>, daß du deinen eigenen Weg nicht über den eines anderen stellst; und achtebitte ganz besonders dar<strong>auf</strong>, daß du den anderen <strong>auf</strong> seinem Weg nicht behinderst.Selbst wenn du davon überzeugt bist, daß sich der andere <strong>auf</strong> einem Irrweg befindet, kannst du dirnie absolut sicher sein, daß sich <strong>auf</strong> seinem Irrweg urplötzlich eine Abkür<strong>zu</strong>ng findet, <strong>die</strong> dir deineigener Weg nicht <strong>auf</strong>zeigt.Wir sollten also vorsichtig sein, sanftmütig, bescheiden, geduldig und genügsam, uns an denanderen genauso zart herantasten wie an <strong>die</strong> Transzendenz.Ich persönlich sehe Irrwege nur als Umwege <strong>auf</strong> dem eigenen Weg. Und es gibt immer nur deneigenen; selbst wenn einem <strong>auf</strong> <strong>die</strong>ser „Bergtour“ von sichtbaren und unsichtbaren Sherpas geholfen<strong>wir</strong>d – es ist immer <strong>die</strong> eigene Expedition.*Wenn du mit dem Begriff „Transzendenz“ <strong>noch</strong> immer nichts anfangen kannst – macht nichts, ichverrate dir schnell <strong>die</strong> Namen ihrer beiden kleinen Schwestern:Freude und Harmonie.(Ich nehme mal an, daß jeder von euch mit <strong>die</strong>sen beiden Begriffen etwas anfangen kann, weil er sieschon hin und wieder erfahren hat. Daß beide nicht <strong>auf</strong> Kosten anderer existieren können, dasversteht sich wohl von selbst.)Wenn euch Begriffe wie „Gott“ oder „Transzendenz“ <strong>zu</strong> sperrig <strong>sind</strong> und euch quer im Magenliegen, dann orientiert euch einfach an Freude und Harmonie.Ich glaube, das genügt.Man kann Freude und Harmonie nicht kontrolliert be<strong>wir</strong>ken.Man kann Freude und Harmonie nicht kontrolliert steuern.Kontrolle und Harmonie widerstreben einander.Lediglich durch Kontrolle erreicht man nur Ordnung und ein gewisses Maß an Zufriedenheit undSicherheit. Aber Harmonie ist anders.Zwischen <strong>die</strong>sen beiden Polen Kontrolle und Harmonie bewegen <strong>wir</strong> uns alle.Harmonie bedeutet immer auch Freude.Kontrolle bedeutet manchmal nicht einmal Zufriedenheit.In Zuständen der Freude und Harmonie kann man immer ein Geschrumpft-Sein des Ich-Gefühlswahrnehmen. Das Ich <strong>wir</strong>d als weniger wichtig wahrgenommen, weil man sich weniger darumkümmert; weil man sich weniger darum kümmert, es wahr<strong>zu</strong>nehmen.<strong>Ein</strong>e geschrumpfte Ich-Wahrnehmung fördert das Gefühl der Harmonie.Harmonie ist Zusammenklang.Harmonie ist Gleichklang.Harmonie ist <strong>Ein</strong>klang.Friedrich Schiller nannte <strong>die</strong> Freude einen „schönen Götterfunken“ und sagte über sie: „AlleMenschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt. („Ode an <strong>die</strong> Freude“, von Ludwig vanBeethoven vertont in seiner 9. Symphonie.)*


211Religiöse Gefühle <strong>sind</strong> etwas Tolles, Feines, Außergewöhnliches. Wenn du so in deinemKämmerchen bist und dich deinen religiösen Gefühlen hingeben kannst –In der Gruppe können religiöse Gefühle schneller erzeugt werden und intensiver erfahren werden. Inder Masse können sie gerade<strong>zu</strong> gigantisch sein. Unvergeßliche Momente der Freude.Wenn jedoch, während du in den köstlichen Gefühlen der religiösen Freude badest, etwasUnvorhergesehenes passiert, das in dir Wut oder Angst auslöst, werden <strong>die</strong>se negativen Gefühleebenfalls intensiver wahrgenommen, und <strong>die</strong> <strong>zu</strong>vor empfundene Freude ist schlagartig weg;Vergangenheit; passé. Und wenn du dich danach wieder von <strong>die</strong>ser Welle negativer Gefühle erholthast, dann kannst du dir selber sagen: Ich bin doch nicht so gefestigt in meinen religiösen Gefühlen,wie ich dachte. Oder: Ich bin doch nicht so gut dr<strong>auf</strong>, wie ich dachte. Oder irgendwas in derRichtung.Wenn du dich aber in einer Gruppe befindest, werden auch <strong>die</strong> anderen Mitglieder <strong>die</strong>ser Gruppevon der Welle <strong>die</strong>ser negativen Gefühle erfaßt. Und wie sich <strong>zu</strong>vor <strong>die</strong> einzelnen Wellen desGlücksgefühls verstärkt hatten, werden nun <strong>die</strong> Gefühle von Angst oder Wut verstärkt. In einerGruppe ist es erheblich schwerer, <strong>zu</strong> einer Beruhigung <strong>zu</strong> gelangen.In der Masse jedoch <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Welle aus Angst oder Wut <strong>zu</strong> einer Sturmflut, <strong>zu</strong> einem Tsunami. UndALLES und JEDER <strong>wir</strong>d davon mitgerissen.Gefühle „funktionieren“ eben <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Art und Weise.Dies trifft jedoch nicht <strong>auf</strong> jene gehobenen Bewußt<strong>zu</strong>stände <strong>zu</strong>, <strong>die</strong> man auch mit dem BegriffErleuchtung in Verbindung setzt. In <strong>die</strong>sen ist das Glücksgefühl zwar überwältigend, aber den<strong>noch</strong>„nur“ ein schöner Begleiter. Es verschwindet nicht so einfach von einer Sekunde <strong>auf</strong> <strong>die</strong> andere, esverwandelt sich nicht in den kaum oder gar nicht kontrollierbaren Zustand von Angst oder Wut,wenn <strong>die</strong>se plötzlich von außen ein<strong>wir</strong>ken. Selbst wenn man dabei Angst oder Wut empfindet, <strong>wir</strong>dman nicht von <strong>die</strong>sen negativen Gefühlen überwältigt. Die Welle schwappt nicht über dich drüber,sie fließt unter dir hinweg. Der gehobene Bewußtseins<strong>zu</strong>stand verschwindet nicht, während du fürkurze Zeit Angst oder Wut empfindest, und das Glücksgefühl bleibt ungebrochen. Die kurzfristigeErfahrung von Angst oder Wut war dann im Rückblick lediglich ein Wellental innerhalb deinesgehobenen Bewußtseins<strong>zu</strong>stands.<strong>Ein</strong> solcher Bewußtseins<strong>zu</strong>stand löst sich nicht so einfach innerhalb von Sekunden <strong>auf</strong>. Das dauertStunden. Das dauert auch Tage. Oder <strong>noch</strong> länger.Als ich einmal für fünf oder sechs Tage einen solchen Zustand erfuhr, dachte ich tatsächlich, erwürde nicht mehr vergehen, ich würde in <strong>die</strong>sem Zustand sterben können, juhuuh, ich hab'sgeschafft. War ein Irrtum, das <strong>zu</strong> glauben. Nachge<strong>wir</strong>kt hat <strong>die</strong>ser gehobene Zustand <strong>noch</strong> mehrereWochen. <strong>Ja</strong>hre später habe ich erfahren, daß mir einer der niedrigsten Erleuchtungs<strong>zu</strong>ständewiderfahren war. Selbstverständlich gibt es auch einen Sanskrit-Ausdruck dafür, aber den habe ichmir nicht einmal gemerkt, weil mir <strong>die</strong>s nicht mehr so wichtig erschien.<strong>Ein</strong>en derartigen Zustand habe ich seither nicht mehr erfahren. Ich habe auch gar nicht ein Bedürfnisdanach, obwohl <strong>die</strong>ser Zustand mit dem Wort „Euphorie“ nicht einmal andeutungsweisebeschrieben werden kann. Mir genügt es, daß ich WEISS, daß es solche und <strong>noch</strong> viel intensivereBewußtseins<strong>zu</strong>stände gibt.(Zwei <strong>Ja</strong>hre nach <strong>die</strong>sem Erlebnis war ich übrigens wieder voll <strong>auf</strong> der Nadel; woraus man denSchluß ziehen kann, daß man durch Erleuchtungserfahrungen – vielleicht aber auch nur durch <strong>die</strong>niederen – vor rein gar nichts bewahrt <strong>wir</strong>d.)Übrigens wurde <strong>die</strong>ser gehobene Bewußtseins<strong>zu</strong>stand keineswegs durch religiöse Gefühleausgelöst, sondern „lediglich“ durch eine bestimmte Technik, eine gewisse Art des Denkens (oderNicht-Denkens), <strong>die</strong> ich „<strong>zu</strong>fällig“ etwas intensiver anwenden konnte, weil ich „<strong>zu</strong>fällig“ infolgeeines Beziehungsbruchs in einem gewissen emotionalen und mentalen Sonder<strong>zu</strong>stand war.Persönliches Fazit: Transzendenz – oder welchen Begriff man auch verwenden möchte – isterfahrbar.Transzendenz ist erfahrbar auch außerhalb von Religion.


212Religiöse Gefühle und Erleuchtungs<strong>zu</strong>stände <strong>sind</strong> nicht unbedingt identisch.Wenn religiöse Gefühle sich ziemlich schnell und heftig in Gefühle von Wut oder Angst verwandelnkönnen, dann waren sie nur Gefühle.Die Grenzen zwischen <strong>auf</strong>richtigen religiösen Gefühlen, autosuggestiven Zuständen, Hysterie undähnlichen psychotischen Erfahrungen <strong>sind</strong> oft fließend.<strong>Ein</strong> einzelnes panisches Pferd ist schon gefährlich, eine panische Herde aber nicht <strong>zu</strong> bremsen.Wie oft <strong>sind</strong> kollektive religiöse Gefühle schon in Panik oder Blutrausch ausgeartet? Und wie oftwerden sie es NOCH?Es gibt auch pseudo-religiöse Gefühle, <strong>die</strong> vor allem in der Masse sehr mächtig sein können. Denktnur an diverse monumentale Eröffnungsfeiern von sportlichen Großereignissen oder an diverseParteiveranstaltungen. Durch letztere können Ereignisse in Gang gesetzt werden, <strong>die</strong> ganze Seenvoll Blut fordern.<strong>Ein</strong> einzelner Mensch verübt keine Lynch-Justiz.Kollektive religiöse Massengefühle <strong>sind</strong> mir persönlich suspekt.Pseudo-religiöse Massengefühle <strong>sind</strong> mir <strong>zu</strong>wider.*Transzendenz ist erfahrbar. Das kann ich euch garantieren. Und viele Menschen aus Vergangenheitund Gegenwart ebenso.Inwieweit Transzendenz ZUR GÄNZE erfahrbar ist, kann ich <strong>wir</strong>klich nicht sagen. Aber wennkleinere und größere „Schimmer“ von Transzendenz erfahrbar <strong>sind</strong>, <strong>wir</strong>d es wohl möglich sein.Auf welche Art <strong>die</strong>se Erfahrungen EMPFUNDEN, GESEHEN und INTERPRETIERT werden,hängt wohl vom kulturellen und religiösen Umfeld ab, in dem der <strong>die</strong> Transzendenz Erfahrende sichbefindet oder <strong>auf</strong>gewachsen ist, und von seiner ganz persönlichen Weltsicht.Und <strong>noch</strong> etwas kann ich jedem von euch garantieren: Am Ende deines Weges steht <strong>auf</strong> jeden FallTranszendenz.Vielleicht ist es das Nirvana, das „Nicht-Irgendetwas“.Vielleicht ist es eine unveränderliche persönliche Existenz göttlicher Natur.Lassen <strong>wir</strong> uns doch einfach überraschen!Im ersten Fall <strong>wir</strong>d vielleicht mein letzter Gedanke lauten: „Ich hab's doch gewußt!“Und im zweiten Fall <strong>wir</strong>d mein erster (neuer) Gedanke vielleicht lauten: „Ich hab's doch gewußt!“Aber mir ist es im L<strong>auf</strong>e der Zeit ziemlich egal geworden, wo ich lande.Es ist mir auch – sowohl theoretisch als auch technisch gesehen – ziemlich egal, ob ich <strong>auf</strong> „GottesSchoß“ sitzen werde – oder er <strong>auf</strong> meinem.*Viele Menschen glauben an einen Höchsten Persönlichen Gott. Auf <strong>die</strong> eine oder <strong>die</strong> andere Art, inder einen oder der anderen Form (selbst wenn <strong>die</strong>se „Formlosigkeit“ genannt <strong>wir</strong>d).Viele Menschen leben nach dem Prinzip „Glaube, Liebe, Hoffnung“.Glaube heißt Vertrauen, aber nicht Wissen. Das kann mitunter ziemlich in <strong>die</strong> Hose gehen.Liebe heißt nicht nur Verminderung des Ich-Gefühls, sondern vor allem Mitgefühl. Liebe ohneMitgefühl für andere Lebewesen, insbesonders Menschen, gibt es nicht. Der Wert „Würde“ ergibtsich dann von selbst.Hoffnung beinhaltet Zweifel. Hoffen heißt: Ich bin mir nicht so ganz sicher. Das ist zwar durchausmenschlich, allerdings auch ein trauriges Armutszeugnis, wenn man gleichzeitig von Wahrheit,Gott, Glauben und Gottvertrauen redet. Da ist irgendwie der (teuflische? Hahaha!) Wurm drin.Meist ist der Glaube mittelmäßig, <strong>die</strong> Liebe <strong>zu</strong> schwach, <strong>die</strong> Hoffnung hingegen riesengroß.Gott <strong>wir</strong>d helfen.


213Shiva <strong>wir</strong>d helfen.Allah <strong>wir</strong>d helfen.Der Messias <strong>wir</strong>d kommen.Die meisten Menschen WARTEN irgendwie.Sie warten schon seit vielen <strong>Ja</strong>hrhunderten.Juden warten <strong>auf</strong> den Messias.Christen warten <strong>auf</strong> <strong>die</strong> christliche Version des Messias.Muslime warten <strong>auf</strong> den Mahdi.Hindus warten <strong>auf</strong> Kalki, <strong>die</strong> prophezeite Vishnu-Inkarnation.Buddhisten warten <strong>auf</strong> Maitreya, den kommenden Bodhisattva.Möglicherweise ist damit sowieso der sehnlichst erwartete „<strong>Ein</strong>-und-der-Selbe“ gemeint. Ob er aberlediglich eine Wunschvorstellung ist, können <strong>wir</strong> erst „wissen“, wenn er tatsächlich da ist. Bis dahinkann man nur „glauben“Wir könnten aber auch ein bißchen mehr TUN, während <strong>wir</strong> warten.Gott <strong>wir</strong>d helfen. Gott hilft.Vielleicht tut er das sowieso immer. Vielleicht tut er das sowieso nie.Vielleicht hilft er dir, indem er dir einen Lebenspartner schenkt. Vielleicht hilft er dir, indem er direinen Lebenspartner nimmt.Vielleicht hilft er dir, indem er dir Gesundheit schenkt, vielleicht hilft er dir, indem er dirGesundheit nimmt.Vielleicht hilft er dir, indem er dir Kinder schenkt, vielleicht hilft er dir, indem er dir Kinder nimmt.Vielleicht hilft er dir, indem er dir Glauben schenkt, vielleicht hilft er dir, indem er dir Glaubennimmt.Was wissen <strong>wir</strong> schon? Wer weiß schon, wofür was gut ist?Möglicherweise ist all das „Vielleicht hilft er dir, indem“ nur opportunistisches Gequatsche. PrinzipHoffnung. Religiös-opportunistisches Blabla.Bla Bla.Bla.Bla.Pfft!*Mir ist immer wieder <strong>auf</strong>gefallen, wie oft Christen spielerisch leicht zwischen Neuen und AltemTestament hin- und herwechseln können, zwischen Nächstenliebe und Strafandrohung, Feindesliebeund Feindesvernichtung, Toleranz und Intoleranz, einem verzeihenden und einem rachsüchtigenGott.Widersprüchliche Zitate gibt es <strong>zu</strong>r Genüge, für jedes Töpfchen das passende Deckelchen.Das ist selbstverständlich religiöser Opportunismus „vom Feinsten“. (Und ich mag ihn nicht.)*„Esoterisch“ bedeutet: nur für <strong>Ein</strong>geweihte <strong>zu</strong>gänglich oder begreiflich; geheim.Für alle gleichermaßen <strong>zu</strong>gänglich heißt exoterisch.Ich bin ein Freund des exoterischen Wissens.Die wahrhaft essentiellen und wichtigen Dinge sollten „einfach“ verständlich sein. Vielleicht <strong>sind</strong>sie gerade deshalb so schwer <strong>zu</strong> verstehen.Geheimniskrämerei und elitäres Wissensgehabe <strong>sind</strong> mir suspekt. Es gibt ja eine völlig natürlicheForm von „Esoterik“: Wer etwas nicht versteht, der versteht es eben nicht.Wissen ist Macht.


214Ich persönlich bin für Machtverzicht.Wissen und Macht schaffen Eliten, wenn sich homo sapiens als Opportunist <strong>auf</strong>spielt und andereArtgenossen als minder erachtet.Ich persönlich bin anti-elitär.Ich bin dafür, daß man den Blick nach UNTEN richtet und Menschen, denen es schlechter geht alseinem selber, <strong>auf</strong> das eigene Niveau her<strong>auf</strong>holt.Nur nach oben <strong>zu</strong> streben und dabei <strong>auf</strong> andere <strong>zu</strong> vergessen – das ist nur dummer Ehrgeiz.Was heut<strong>zu</strong>tage an esoterischem Wissen so leicht verfügbar ist (also eigentlich gar nicht elitär undesoterisch), ist häufig nicht <strong>wir</strong>klich hilfreich. Aber es ist zweifellos ein Zeichen dafür, daß für vieleMenschen <strong>die</strong> herkömmlichen Religionen ihre Attraktivität eingebüßt haben.Wie oft ist Esoterik schon in Magie oder Alternativ-Religion ausgeartet?Regelmäßig?Und wie oft ist Religion esoterisch?Ich habe schon immer nach Wahrheit und Wissen gestrebt. Und ich habe schließlich entdeckt, daßes eine höhere Instanz gibt: das Mitgefühl, das man auch Liebe nennt. Dieses ist nämlich allgemeingültig und „sogar“ Kindern verständlich. Das ist ein Weg, den JEDER gehen kann.*Moral und Ethik <strong>sind</strong> in meiner Begriffswelt nicht deckungsgleich.Den Begriff „Moral“ möchte ich mit „Sittengebäude“ oder „Sittengeflecht“ übersetzen. Da andereLänder tatsächlich andere Sitten besitzen und <strong>die</strong>se sich im L<strong>auf</strong>e der Zeit auch <strong>noch</strong> ändern, ist„Moral“ ein räumlich und zeitlich begrenztes gesellschaftliches Phänomen von keiner allgemeinverbindlichen Gültigkeit. Deshalb kann und muß man von „Moralvorstellungen“ sprechen, da ihrUrsprung offensichtlich der Mensch ist. „Moral“ ist also ein unvollkommener Gesellschaftsvertrag<strong>auf</strong> Basis von Religion (oder Religionen), örtlicher Kultur und örtlichen Benimm-Regeln.Moral <strong>die</strong>nt der gesellschaftlichen Ordnung.Ethik <strong>die</strong>nt der eigenen, inneren Ordnung; dem Gewissen.Moral beschränkt sich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gemeinschaft, der man selber angehört, sowie <strong>auf</strong> jenen Teil der„Fremden“, <strong>die</strong> man als Gäste, als neue Mitglieder der Gemeinschaft oder <strong>zu</strong>mindest als annäherndgleichwertig akzeptiert. Ethik bestimmt das Verhalten gegenüber allen anderen Menschen,unabhängig ihrer jeweiligen Moralvorstellungen, letztendlich sogar das Verhalten gegenüber allenanderen Lebewesen, ja gegenüber jeglicher Existenz. Im Gegensatz <strong>zu</strong>r jeweils geltenden Moral istEthik IMMER mit Mitgefühl verbunden. Ethik ohne Mitgefühl gibt es nicht.Das Höchstmaß <strong>die</strong>ser ethischen <strong>Ein</strong>stellung <strong>wir</strong>d meiner Meinung nach mit dem Sanskrit-Begriff„sarvamangalam“ ausgedrückt; <strong>die</strong>se buddhistische Gebetsformel bedeutet „Wohl allen Lebewesen“(der Begriff „Heil“ wäre zwar effektiver, ist jedoch gerade im deutschsprachigen Raum ziemlichunsympathisch geworden).Wenn sich „du sollst nicht ....... “ in Richtung „du darfst nicht ....... “ bewegt – das ist Moral. Auf<strong>die</strong>se Art <strong>wir</strong>d Moral <strong>zu</strong> Gesetz, <strong>zu</strong> Verpflichtung im Sinne von Pflicht und Gehorsam.Wenn sich „du sollst nicht ....... “ in Richtung „ich kann gar nicht anders“ oder „ich bringe eseinfach nicht übers Herz, anders <strong>zu</strong> handeln“ bewegt – das ist Ethik. Ethik bedeutet Verpflichtungim Sinne von Verantwortung.„Und Gott?“ <strong>wir</strong>d jetzt vielleicht der eine oder <strong>die</strong> andere Lesende fragen.<strong>Ja</strong> wenn du an einen persönlichen Gott glaubst, mußt du dich ihm gegenüber sowieso für ALLESverantwortlich fühlen.Und glaubst du im Ernst, er <strong>wir</strong>d dich unter irgendwelchen Moralvorstellungen beurteilen? Christenmit christlichen Normen messen, Muslime mit islamischen, Hindus mit hinduistischen, Juden mitjüdischen?Für mich persönlich ist es völlig müßig und hinfällig, über christliche, jüdische oder buddhistische


215Ethik <strong>zu</strong> diskutieren. Ethik steht für mich ebenso außerhalb wie innerhalb der verschiedenenReligionen. Ethik steht über den Religionen.Über religiös motivierte Moral brauchen <strong>wir</strong> ebenfalls nicht diskutieren; Moral <strong>wir</strong>d wohl nie etwasUniversell-Existenzielles sein.(Notiz am Rande: Jeder kann mit dem Begriff „Doppelmoral“ etwas anfangen. Aber WER kenntden Begriff „Doppelethik“?)*Wissenschaft beruht <strong>auf</strong> Fakten, <strong>die</strong> <strong>zu</strong>vor Theorien waren und durch Versuche oder weitereForschung bestätigt worden <strong>sind</strong>. Wenn eine Theorie falsch oder <strong>zu</strong>mindest nicht ganz richtig ist,<strong>wir</strong>d sie früher oder später durch eine bessere oder <strong>die</strong> richtige ersetzt.Wissenschaftliche Erkenntnisse <strong>sind</strong> nicht so leicht aus der Welt <strong>zu</strong> schaffen. Naturgesetze <strong>sind</strong> undbleiben Naturgesetze. Die sogenannten Naturkonstanten der Physik <strong>sind</strong> TATSÄCHLICH konstanteGrößen, und zwar überall in dem uns bekannten Universum. (In andere Universen können <strong>wir</strong> janicht hineinschauen.)Wenn es so etwas wie wissenschaftliche Religion geben sollte, dann könnte <strong>die</strong>se Bezeichnung <strong>auf</strong>den Buddhismus und <strong>auf</strong> Teile des Hinduismus <strong>zu</strong>treffen (Yoga, Meditation, Advaita-Philosophie).Und wenn es so etwas wie unwissenschaftliche Religion gibt, dann trifft <strong>die</strong>s wohl <strong>auf</strong> <strong>die</strong> dreigroßen monotheistischen, abrahamitischen Religionen <strong>zu</strong>. Diese beruhen nahe<strong>zu</strong> ausschließlich <strong>auf</strong>Glauben und Gehorsam.Keine andere Religion hat Vernunft und Wissenschaft über dermaßen lange Zeitabschnitte blockiertwie das Christentum. Man kann nur hoffen, daß sich deckungsgleiche Tendenzen, besondersinnerhalb der gegenwärtigen islamischen Kultur, nicht weiter ausbreiten.Im L<strong>auf</strong>e der Geschichte haben unzählige Psychopathen und Mörder im Namen Gottes oder seinesSohnes oder seiner Propheten gehandelt und Unmengen an Leid verursacht. Und sie hatten immerdas passende „heilige“ Buch bei der Hand, um ihre Handlungen <strong>zu</strong> rechtfertigen.Sollten ihre Handlungen <strong>auf</strong> DEN <strong>zu</strong>rückfallen, in dessen Namen sie geschahen, dann stecktderjenige ganz schön im Schlamassel.Das kann's wohl nicht sein.Es gibt Menschen (auch Lehrer!) innerhalb von Judentum, Christentum und Islam, <strong>die</strong> in denGesetzen Gottes eine Art freiwilliges Gefängnis sehen, um sich vor der Welt <strong>zu</strong> schützen; den Lohn(<strong>die</strong> „wahre“ Freiheit) bekommt man dann im Jenseits. Diesen Leuten kann ich nur <strong>zu</strong>rufen: Bleibtin eurem Knast! Kommt JA NICHT heraus! Und kommt ja nicht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee, den Rest der WeltAUCH NOCH in ein Gefängnis <strong>zu</strong> verwandeln!Das kann's wohl nicht sein.Innerhalb der drei monotheistischen Religionen gibt es Gruppierungen, <strong>die</strong> das Rad der Zeit<strong>zu</strong>rückdrehen wollen <strong>zu</strong> dem, was sie für <strong>die</strong> ursprüngliche Religion oder <strong>die</strong> einzig richtigeAuslegung halten. Im Allgemeinen verwenden <strong>wir</strong> für solche Leute den Begriff „Fundamentalisten“.So gibt es <strong>zu</strong>m Beispiel ultra-orthodoxe Juden, extra-radikal radikale Siedler (im besetztenWestjordanland), <strong>die</strong> jegliche moderne Technik verweigern und ein Leben wie <strong>zu</strong>r Zeit der Thorapropagieren. So bestellen sie auch ihre Felder mit der Hand – ihre Maschinenpistole immergriffbereit. Dies nenne ich ein Höchstmaß des menschlichen Opportunismus; nirgendwo kann sichOpportunismus „besser“ manifestieren als <strong>auf</strong> dem Feld der religiösen Überzeugungen.Das kann's wohl nicht sein.Jede politische Ideologie verschwindet im L<strong>auf</strong>e der Zeit von der Bildfläche, wenn sie das, was sieverspricht, nicht liefern kann und immer <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Zukunft vertröstet. Da haben <strong>die</strong> meistenReligionen ja ein Riesenglück, daß das, was sie versprechen, nicht nachvollziehbar ist oder gar erstNACH DEM TOD, im Jenseits, geliefert <strong>wir</strong>d, sodaß kein „normaler“ Gläubiger überprüfen kann,ob <strong>die</strong>se Lieferung auch tatsächlich stattfindet.


216*Glaube und Vernunft müssen kein Widerspruch sein. Aberglaube und Vernunft <strong>sind</strong> es sehr wohl.Albert <strong>Ein</strong>stein sagte einmal, Wissenschaft ohne Religion sei lahm, Religion ohne Wissenschaftblind.Irgendwie stimmt das auch. Den<strong>noch</strong> teile ich seine Ansicht nicht <strong>zu</strong>r Gänze. <strong>Ein</strong>e Welt ohneReligion kann ich mir durchaus vorstellen. <strong>Ein</strong>e Welt ohne Wissenschaft hingegen WILL ich mirnicht vorstellen; das wäre ein Horror, eine Diktatur von Glauben und Aberglauben.Wenn Glaube und Vernunft sich im Widerspruch befinden, ist mindestens eines von beiden <strong>zu</strong>schwach, <strong>zu</strong> ungenau oder falsch.Wissenschaft kann nur jene Glaubensinhalte erschüttern, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> falschem Denken und <strong>auf</strong> falschenAnschauungen beruhen. Wer den<strong>noch</strong> seinem Glauben <strong>zu</strong>liebe wissenschaftliche Erkenntnisseablehnt und bekämpft, der outet sich unfreiwillig (?) als Dummkopf.Glauben heißt vertrauen. Und es gibt viele Menschen, <strong>die</strong> – <strong>zu</strong>mindest in ihren speziellenTeilbereichen – mehr wissen, mehr können, besser dr<strong>auf</strong> <strong>sind</strong> als <strong>wir</strong>, und denen <strong>wir</strong> vertrauenkönnen – sofern sie sich ihrer Verantwortung bewußt <strong>sind</strong>. (Wie immer sollte dabei gelten: Schadetniemand und hilfet.)Wir sollten sehr achtsam und vorsichtig sein bei dem, was <strong>wir</strong> glauben, und bei denen, welchen <strong>wir</strong>vertrauen. Auf keinen Fall sollten <strong>wir</strong> unseren Verstand dabei kritiklos ausschalten.Buddha sagte seinen Schülern: Glaubet nichts und niemandem, auch mir nicht, sondern nur das, wasihr selbst erfahren habt.Es ist etwas Wahres an <strong>die</strong>ser Empfehlung, denn eigene Erfahrung ist immens wertvoll, übertrifftWissen und Glauben.Aber ohne Wissen und Glauben scheint es <strong>zu</strong>meist auch nicht <strong>zu</strong> gehen. (Oder nur „<strong>noch</strong> nicht“?)Universalrezept kenne ich keines. Wahrscheinlich gibt es ein solches auch nicht. Also seid bitteachtsam, vorsichtig, tastet euch an <strong>die</strong> Wahrheit heran, laßt Platz für Anderes und Andersgläubige,schadet niemand und helft in eurem bescheidenen Rahmen.Wir müssen keine „Heiligen“ sein; es genügt, wenn <strong>wir</strong> Menschen werden.*Mach mal eine kleine Standortbestimmung:Stell dich einfach hin, wo du bist, oder setz dich hin, mach's dir bequem, stell dir von mir aus vor,daß du dich „erdest“, stopf dir von mir aus Watte in <strong>die</strong> Ohren, um Geräusche aus<strong>zu</strong>schalten, undschließe <strong>die</strong> Augen. Stell dich einfach hin und sage „ich“. (Es ist ziemlich einfach fest<strong>zu</strong>stellen, daßman existiert. Nicht?)Dann zoom (in deiner Vorstellung) aus dir hinaus in deine nähere Umgebung. Es ist ein ganzbestimmter Ort mit einem ganz bestimmten Namen. Dieser Ort ist Teil einer Region. Diese Regionist Teil eines Landes. Dieses Land ist Teil eines Kontinents.Dann zoom über <strong>die</strong> Erdatmosphäre hinaus – und <strong>die</strong>ser Kontinent ist nur ein Teil eines Planeten.Dieser Planet ist ein winziges Teilchen eines Sonnensystems. Diese ziemlich kleine und eherunterdurchschnittliche Sonne ist ein kleines Pünktchen in einem Seitenarm einer Galaxis. DieseGalaxis umfaßt mindestens zweihundert Milliarden Sonnen.Ich schreib's mal in Zahlen: 200 000 000 000. Zweihundert Milliarden.Wenn du jede Sekunde eine Sonne ausbläst, brauchst du über 6 300 <strong>Ja</strong>hre, bis es in in <strong>die</strong>ser Galaxiskomplett finster ist.Diese Galaxis ist Teil eines Galaxienh<strong>auf</strong>ens inmitten von mindestens dreihundert MilliardenGalaxien, <strong>die</strong> meisten mit mindestens hundert Milliarden Sonnen.Und das ist nur der sichtbare Teil <strong>die</strong>ses materiellen Universums.


217Höchstens vier Prozent des Universums <strong>sind</strong> sichtbar. Der „Rest“ ist sogenannte dunkle Materie undsogenannte dunkle Energie.Dieses Universum ist nur eines unter – keine Ahnung! Unendlich vielen?Und jetzt zoom wieder <strong>zu</strong>rück.HINEIN in „unser“ Universum.HINEIN in „unsere“ Galaxis.HINEIN in „unser“ Sonnensystem.HINAUF <strong>auf</strong> „unseren“ Planeten.„HINEIN“ in „dein“ Land und an den Ort, an dem du dich befindest.Und dann stellst du dir <strong>die</strong> Frage: „Wie wichtig bin ich?“


220Schon für ein <strong>Ein</strong>zelwesen ist es problematisch (und nicht empfehlenswert), wenn es sich ZUwichtig nimmt. Dies gilt umso mehr für kleinere und größere Gemeinschaften.Macht euer Fensterchen <strong>auf</strong> und schaut hinaus in <strong>die</strong> Welt: Welche Staaten und (fehlgeleiteten)Völker halten sich qualitativ für wichtig? Welche Staaten und (fehlgeleiteten) Völker <strong>sind</strong>quantitativ groß genug, um sich für wichtig <strong>zu</strong> halten?Von eben<strong>die</strong>sen Staaten und Völkern haben <strong>wir</strong> wohl <strong>noch</strong> eine Menge Probleme <strong>zu</strong> erwarten.*Humor ist eine der großartigsten Eigenschaften des menschlichen Geistes (und sicherlich auch des„göttlichen“).Ohne Humor ist der Mensch wie ein starrer trockener Ast.Humor ist komplett verschieden von Spaßmachen, Schadenfreude und Witz um des Witzes willen.Humor ist <strong>zu</strong>m Beispiel – wie es so schön heißt – wenn man TROTZDEM lacht.Humor ist vor allem, wenn man über sich selber lacht.Wenn man das nicht kann, darf auch nicht von Humor <strong>die</strong> Rede sein, sondern nur von Witz undWitzigkeit.Hütet euch vor Menschen ohne Humor! In ihnen stecken immer riesengroße Beamte, mittelmäßigeLehrer oder kleine Diktatoren.Und pflegt bitte <strong>die</strong>ses bizarre Blättchen an eurem dürstenden Ast. Humor ist einer der köstlichstenSüßstoffe unseres Lebens.*<strong>Ein</strong>es der größten Probleme des Menschen ist Gewalt. Dies betrifft das <strong>Ein</strong>zelwesen, <strong>die</strong> Speziesinsgesamt und jede Gemeinschaftsform dazwischen.Gewalt bedeutet keineswegs „nur“ körperliche Gewalt. Aber emotionale Gewalt, psychische Gewaltund geistige Gewalt <strong>sind</strong> dermaßen komplexe Themenbereiche, dermaßen tief-psychologisch unddermaßen hoch-philosophisch, daß ich sie an <strong>die</strong>ser Stelle nur ERWÄHNEN möchte.Das Problem „physische Gewalt“ allein ist schon groß genug.Ich hatte und habe das Glück, sehr wenig körperliche Gewalt erlebt <strong>zu</strong> haben. Eigentlich erzeugenSÄMTLICHE Formen von Gewalt, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> mich ausgeübt werden, in mir ein ziemlich hohes Maßan Angst und Wut. Dann werden in mir leider leicht erkennbare Säugetier-Mechanismen aktiviert:Um-Sich-Treten und Beißen, Fliehen oder Tot-Umfallen-Wollen. Es ist gar nicht angenehm undschon gar nicht gut, wenn man in derartige Situationen gerät; sicherlich kennt das jeder von euchund kann es nachvollziehen.An <strong>die</strong> wenigen Momente EIGENER körperlicher Gewalt denke ich gar nicht gern.Es gibt lediglich einen einzigen Akt physischer Gewalt in meinem Leben, den ich entschuldigenoder rechtfertigen kann. Denn wenn ein Fahrgast einen Taxifahrer attackiert, <strong>wir</strong>d sich <strong>die</strong>ser dochwohl <strong>zu</strong>r Wehr setzen dürfen. Aber ich war damals überaus schockiert über <strong>die</strong> Aggression undBrutalität, <strong>zu</strong> der ich urplötzlich und irgendwie ganz selbstverständlich fähig war. Etliche Minutenlang habe ich gezittert, innerlich sogar bis <strong>zu</strong>m <strong>Ein</strong>schlafen (mindestens!). Gearbeitet habe ich an<strong>die</strong>sem Tag nicht mehr. (Übrigens war das damals ein Sieg nach Punkten; seine Nase blutete undmeine nicht.)Ich schätze, <strong>die</strong> meisten Menschen würden meine wenigen Gewalt-Aktionen als eher harmlosansehen. So sehe ich das selber nicht, aber <strong>wir</strong> leben eben leider in einer sehr gewalttätigen Welt.Als „normal“ angesehen werden darf Gewalt wohl nie.Wohl gefühlt habe ich mich dabei kein einziges Mal.Eigentlich möchte und muß ich <strong>die</strong> Ursachen für meine eigene Gewalt allesamt irgendwo zwischenDummheit, Schwäche und dem unbeholfenen Revierverhalten eines männlichen Primaten


221einordnen.Ich könnte eine Geschichte aus meinem eigenen Leben erzählen, wie Schmerz <strong>zu</strong> Verzweiflungführt und <strong>die</strong>se <strong>zu</strong> Aggression. Aber <strong>die</strong>se Geschichte geht neben meiner Ex-Frau und mir höchstens<strong>noch</strong> unsere Kinder etwas an. Aber ich habe meine damalige Abkehr vom Gewaltverzicht (ich hab'sie an der Gurgel gepackt und an <strong>die</strong> Wand gedrückt) immer als persönliche Niederlage angesehen,und zwar mir selber und meinen Idealen gegenüber; daß ich meiner Ex-Frau gegenüber keinBedauern empfinden konnte, darf ruhig als Beispiel dafür angesehen werden, wohin Schmerz, Leidund Verzweiflung führen können.Aber eine andere Anekdote aus meiner Vergangenheit kann ich von mir geben, weil <strong>die</strong>seGeschichte erstens bereinigt ist und zweitens <strong>zu</strong> ziemlich absurden Neben<strong>wir</strong>kungen führte:Meine damalige Freundin hatte es verabsäumt, mich über das Ende unserer Beziehung <strong>zu</strong>informieren, und bezog stillschweigend ein Häuschen mit einem anderen Mann. Es hat ein bißchengedauert, bis ich das bemerkt habe, aber dann bin ich vor <strong>die</strong>sem Häuschen gestanden mit <strong>die</strong>semGefühl von umgedrehtem Nachttopf <strong>auf</strong> dem Kopf. Wieder mal. Aber <strong>die</strong>smal wollte ich andersreagieren als mit Leiden, Akzeptieren, Verstehen und Verzeihen. Illuminiert von der ortsüblichenVolksdroge Alkohol beschloß ich, meinem Nachfolger mittels eines Taschenmessers <strong>zu</strong>m K<strong>auf</strong>zweier neuer Autoreifen <strong>zu</strong> bewegen. (Eifersucht ist kein gutes Gefühl; Genugtuung aber auch nichtunbedingt!) Bis heute hat mich <strong>noch</strong> niemand für <strong>die</strong>se Tat gescholten, und das ist fünfzehn <strong>Ja</strong>hreher. Im Gegenteil – von einigen Leuten wurde mir plötzlich ein Respekt <strong>zu</strong>teil, den sie mir <strong>zu</strong>vornicht in <strong>die</strong>sem Maße entgegenbrachten. Zuvor war ich anscheinend ein idealistischer Softie, dernett ist und lieb und es durchaus versteht, wenn man ihn terminlich versetzt oder sonstwie nicht soganz wichtig nimmt – und plötzlich war ich jemand, den man respektiert (und vielleicht ein bißchenweniger mag). – (Seltsame Welt ......... !) – Aber <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Form von „Respekt“ kann ich liebendgern verzichten. Das ist der „Respekt“ für Mafiosi, Gangsta, Führerlein, Patriarchen und andereMachos. Dieser „Respekt“ beruht <strong>auf</strong> Furcht und verschwindet von selbst, wenn <strong>die</strong> jeweiligeMachtposition verloren geht. Deshalb ist es für mich ganz leicht fest<strong>zu</strong>stellen, was <strong>die</strong>ser „Respekt“wert ist:(NICHTS).*Anläßlich eines Deutschland-Besuchs hat der Dalai Lama (den ich <strong>zu</strong>meist sehr schätze) sinngemäßFolgendes gesagt:Manchmal wäre es notwendig, Gewalt mit Mitteln der Gewalt entgegen<strong>zu</strong>treten, damit <strong>die</strong>se Gewalt<strong>auf</strong>hört. Aber man müsse dabei dar<strong>auf</strong> achten, daß man sich nicht von negativen Gefühlenüberwältigen läßt. Und man solle nie dar<strong>auf</strong> vergessen, daß der Mensch „gegenüber“ <strong>die</strong> selbeWürde besitzt.Da ist mir der Dalai Lama wohl um <strong>Ein</strong>iges an Verständnis und Mitgefühl voraus; und an Praxissowieso. Meine Gefühle galoppieren nämlich gewaltig, wenn mir Gewalt begegnet. Zudem fällt esmir oft äußerst schwer, in jemandem eine Würde <strong>zu</strong> entdecken, <strong>die</strong> er selbst mit Füßen tritt.*„Ich bin ein radikaler militanter buddhistischer Fundamentalist.“Jeder, der den Buddhismus nur ein BISSCHEN kennt, weiß, wie absurd eine solche Aussage wäre.Warum bloß ist <strong>die</strong> selbe Aussage innerhalb anderer Religionsgemeinschaften möglich?Was könnte es wohl über <strong>die</strong>se Religionen oder Religionsgemeinschaften aussagen?Nur Fehlinterpretation, nur falsche Auslegung, nur Irrtum?


222Genau <strong>die</strong>ses „NUR“ gilt es <strong>zu</strong> zerstäuben; sonst werden <strong>wir</strong> über <strong>die</strong>se Stolpersteine <strong>noch</strong>drüberpurzeln und entsetzlich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schnauze fallen.Aber vielleicht ist gerade DAS nötig. Es hat sich schon oft gezeigt, daß homo sapiens sehrbescheiden, tolerant und demütig <strong>wir</strong>d, wenn er nach einem selbst verursachten Sturz mit einemdoppelten Kieferbruch herumläuft und seine Fresse nicht <strong>zu</strong>m rechthaberischen Blabla <strong>auf</strong>bekommt.Leider hat es sich ebenso oft gezeigt, daß nur eine Minderheit auch tatsächlich etwas daraus lernt.Typisch Opportunist.Auf <strong>zu</strong>m nächsten Kieferbruch! Und <strong>noch</strong> nie war ein Schädelbruch so nahe.*Es existieren große, größere und kleinere Religionsgemeinschaften oder Sekten und ähnlicheGruppierungen, <strong>die</strong> nach außen hin den Anschein erwecken, völlig friedlich und gewaltlos <strong>zu</strong> sein.INNERHALB <strong>die</strong>ser Gemeinschaften jedoch herrscht bei näherem Hinsehen ein hoher Druck inForm von Regeln und Erwartungen. Und das ist in meinen Augen ebenso Gewalt.*Viele Menschen vertreten <strong>die</strong> Auffassung, daß Gewalt innerhalb der menschlichen Kultur notwendigund auch gut ist, <strong>zu</strong>mindest ein bißchen Gewalt. Diesen Menschen empfehle ich folgende Übung(„Leben durch <strong>die</strong> Faust“):Wenn du in der Früh munter <strong>wir</strong>st, konzentrierst du dich <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Finger, krümmst sie und ballst sie<strong>zu</strong> Fäusten. Diese öffnest du dann bis <strong>zu</strong>m <strong>Ein</strong>schlafen nicht mehr. Egal was du tust – mach's mit <strong>zu</strong>Fäusten geballten Händen. Vollziehe deine morgendlichen Hygienerituale, ziehe dich an, bereite undverzehre dein Frühstück, gehe deiner geregelten Arbeit nach, mach einfach alles, was du an jedemanderen Tag ebenso tust – nur eben mit den Fäusten. Und komm gar nicht erst <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Idee, dir vonMenschen mit offenen Händen helfen <strong>zu</strong> lassen; nur <strong>die</strong> Hilfe von Tieren und anderen „Fäustlingen“ist erlaubt. Am Abend liebkost du dann mit deinen Fäusten deine Lieben, entkleidest dich und gehst<strong>zu</strong> Bett. Dort konzentrierst du dich erneut ganz intensiv <strong>auf</strong> deine Hände und ballst sie <strong>noch</strong> heftiger<strong>zu</strong>sammen, bis dich der Schlaf übermannt.Wenn du eingeschlafen bist, entspannen sich deine Fäuste ganz von selbst. Dieses Phänomen kannstdu dann am nächsten Morgen „<strong>die</strong> Klugheit des Körpers“ nennen.Sollte <strong>die</strong>se Übung erfolglos geblieben sein, hätte ich <strong>noch</strong> eine andere an<strong>zu</strong>bieten. Während jedoch<strong>die</strong> erste als symbolische Übung mit meditativem Charakter angesehen werden kann, ist <strong>die</strong> zweiteeine überaus „praktische“ Übung und eindeutig unter „hardcore“ ein<strong>zu</strong>ordnen. Deshalb folgenderWarnhinweis: Gewalt kann <strong>zu</strong> Verlet<strong>zu</strong>ngen führen und deine Gesundheit gefährden.Stelle dich vor einen Spiegel und lächle dein Spiegelbild an. Dann ballst du eine Faust und haust dirin <strong>die</strong> Fresse. Und <strong>noch</strong> einmal. Und fester. Auf <strong>die</strong> Lippe, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nase, <strong>auf</strong>s Auge. Und fester. AufsKinn, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nase. Und <strong>noch</strong> einmal. Auf <strong>die</strong> Wange, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nase, in <strong>die</strong> Fresse. Wenn plötzlichBlut fließt, so ist das eine völlig normale Neben<strong>wir</strong>kung von körperlicher Gewalt. Das gilt auch fürSchwellungen an Gesicht oder Faust. Diese völlig natürlichen Neben<strong>wir</strong>kungen sollten dich nichtweiter irritieren. Schlag einfach weiter. Wenn es irgendwann seltsam knackt oder leise kracht, dannist wahrscheinlich ein kleiner K<strong>noch</strong>enbruch <strong>die</strong> Ursache. Zumeist kann das relativ leicht repariertwerden oder sogar – mit leichten optischen Nebeneffekten – von selbst verheilen. Solltest duplötzlich am Boden liegend erwachen – auch das ist eine völlig natürliche Neben<strong>wir</strong>kung. Ebenso,wenn du dich ver<strong>wir</strong>rt und groggy fühlst. Steh <strong>auf</strong>, lächle dein Spiegelbild an und wiederhole <strong>die</strong>Übung. Vielleicht be<strong>wir</strong>ken <strong>die</strong> Erschütterungen der Faustschläge DIESMAL eine Neuvernet<strong>zu</strong>ngdiverser Gehirnzellen und damit ein eventuelles „Aha“-Erlebnis.Sollte <strong>die</strong>s jedoch nicht der Fall sein, kannst du <strong>die</strong> Übung durch <strong>die</strong> Verwendung einer der größtenErrungenschaften des homo sapiens <strong>noch</strong> erheblich intensivieren: Werkzeug. Verwende statt deiner


223eigenen verletzlichen Fäuste einen Hammer, ein Stemmeisen, <strong>die</strong> stumpfe Seite einer Axt oder einenanderen harten und handlichen Gegenstand, der durch <strong>die</strong>se Zweckentfremdung <strong>zu</strong>r sogenannten„Waffe“ <strong>wir</strong>d. Und dann haust du dir wieder in <strong>die</strong> Fresse, <strong>auf</strong>s Auge, <strong>auf</strong>s Kinn, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nase oderwo immer du auch hintriffst. Die bereits erwähnten Neben<strong>wir</strong>kungen treten erheblich schneller undintensiver <strong>auf</strong>, <strong>sind</strong> aber weiterhin völlig natürlich und normal. Solltest du am Boden liegen undNICHT wieder erwachen, so nennt man <strong>die</strong>sen Zustand entweder Koma, was ein späteres Erwachenoffenläßt, oder Tod. Im zweiten Fall müssen dann deine Familie und deine Freunde eineBegräbniszeremonie veranlassen, was aber gewissermaßen auch nur eine normale Neben<strong>wir</strong>kungvon Gewalt ist, allerdings keine natürliche, sondern eine kulturelle.Die einfachste oder allererste Neben<strong>wir</strong>kung habe ich bewußt bisher nicht erwähnt: Schmerz. Wenndu <strong>zu</strong>fällig Schmerz und Lustempfinden miteinander verwechselst, solltest du unbedingt einenPsychotherapeuten <strong>auf</strong>suchen und dich <strong>auf</strong> eine längerfristige Therapie einstellen. <strong>Ein</strong>e solche istauch angebracht, wenn du stolz dar<strong>auf</strong> sein solltest, wie viele Schmerzen und Verlet<strong>zu</strong>ngen duertragen kannst. Diese absonderliche Art von Stolz ist KEIN normaler Bewußtseins<strong>zu</strong>stand, sondernein hochgradig neurotischer.Wenn du aber sogar nach dem Überleben der „ultra hardcore“-Version <strong>noch</strong> nicht verstanden hast,daß man durch eigenes Schmerz-Erleben und Leiden <strong>auf</strong> das Schmerz-Erleben und LeidenANDERER rückschließen kann, dann <strong>wir</strong>st du wohl <strong>auf</strong> ein intensives Erleuchtungserlebnis wartenmüssen, was relativ selten ist, oder <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Entwicklung der Gehirnprothese.*Vielen vielen vielen Menschen bedeuten Stolz, Ehre oder auch Ruhm sehr sehr sehr viel.Aber es genügen schon leichte Variationen einer einzigen Frage, um den „echten“ Wert <strong>die</strong>serBegriffe fest<strong>zu</strong>stellen.Wie viele Menschenleben hat Stolz gerettet?Wie viele Menschenleben hat Stolz gekostet?Wie viele Menschenleben hat Ehre gerettet?Wie viele Menschenleben hat Ehre gekostet?Wie viele Menschenleben hat Ruhm gerettet?Wie viele Menschenleben hat Ruhm gekostet?Stolz, Ehre und Ruhm <strong>sind</strong> absolut ich-bezogene Eigenschaften, <strong>die</strong> gierig nach Anerkennunglechzen – und zwar sehr nachdrücklich – und nur von <strong>die</strong>ser (genötigten) Anerkennung leben. Dieseerzwungene Form von Anerkennung <strong>wir</strong>d von vielen als „Respekt“ verstanden, ist <strong>die</strong>s aber nicht.Der wahre Respekt geschieht völlig freiwillig, ohne Erzeugung von Druck und Angst; ohne daß ererwartet oder gar verlangt <strong>wir</strong>d.Den folgenden Satz drücke ich so richtig gern in meine Tastatur: Wer Respekt verlangt, <strong>wir</strong>d ihnwohl nicht ver<strong>die</strong>nen.*Menschen brauchen, um sich halbwegs in einem Zustand der Harmonie empfinden <strong>zu</strong> können, inerster Linie Selbstwertgefühl, was entweder durch wahre innere Zufriedenheit oder aber all<strong>zu</strong> oftnur durch Anerkennung erreicht werden kann.Selbst wenn jemand zwei linke Hände hat und geistig nicht der Hellste ist, besitzt er ohne Zweifelein Potential an Kreativität und Leistungsfähigkeit, und <strong>die</strong>ses Potential sollte gefördert werden.Wenn ein glücklicher Mensch eine Leistung in drei Tagen vollbringt, ist <strong>die</strong>s wertvoller als <strong>die</strong>100%ige Leistung eines Un<strong>zu</strong>friedenen innerhalb von zwei Tagen – sofern ein Un<strong>zu</strong>friedenerüberhaupt <strong>zu</strong> einer 100%igen Leistung fähig ist; wahrscheinlich <strong>wir</strong>d seine Fehlerquote sogar höhersein, und ganz sicher sein Stresspegel.


224Wenn es sogar archaischen Gesellschaften wie den kleinwüchsigen Buschmännern in Afrikamöglich ist, ein blindes Stammesmitglied durch<strong>zu</strong>füttern, das ja nicht mehr „vollwertig“ für eineJäger- und Sammlerkultur tätig sein kann, sollte es in der sogenannten Zivilisation wohl erst rechtein Leichtes sein, den „Schwachen“ und „Schwächlichen“ ein Leben in Würde <strong>zu</strong> ermöglichen.Wenn nicht, muß wohl an der sogenannten Zivilisation etwas faul sein.*Die meisten Menschen <strong>sind</strong> dermaßen daran gewöhnt, als Menschen zweiter Klasse behandelt <strong>zu</strong>werden, daß es ihnen gar nicht mehr <strong>auf</strong>fällt, ja daß sie das sogar als völlig normal empfinden undsogar damit <strong>zu</strong>frieden <strong>sind</strong>, <strong>die</strong>se Ungleichbehandlung oft sogar <strong>noch</strong> rechtfertigen.In <strong>die</strong>ser Hinsicht hatte Bob Marley wohl recht. Get up. Stand up. Stand up for your right.Was <strong>wir</strong> dringend brauchen, ist MEHR als Toleranz und Akzeptanz: <strong>die</strong> Selbstverständlichkeit desunterschiedlichen Mensch-Seins.*DIESEN Ansatz müßte eigentlich jeder verstehen und verinnerlichen können:Allem wohnt ein Geheimnis inne.ALLEM, ob groß oder klein.Deine Entscheidung besteht darin: Willst du Herr <strong>die</strong>ses Geheimnisses sein, Bruder oder Knecht?Wenn du Herr sein willst, <strong>wir</strong>st du ständig gegen andere Herren und gegen Knechte kämpfenmüssen; und letztendlich der Knecht deines eigenen Herrschaftsbedürfnisses sein.Wenn du Knecht sein willst, <strong>wir</strong>st du hörig sein oder gegen <strong>die</strong> Herren angehen, <strong>zu</strong>mindest aberdar<strong>auf</strong> achten müssen, daß kein anderer Knecht größer ist als du.*Verstand, Vernunft und Logik <strong>sind</strong> ausgezeichnete Mittel, um an den Rand des Unerfaßbaren, des„Großen Geheimnisses“ <strong>zu</strong> gelangen. Vor allem aber kann man damit sehr gut feststellen, was etwasNICHT ist, was etwas nicht sein KANN.Dadurch <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> Welt gewissermaßen kleiner, und es besteht <strong>die</strong> Gefahr der intellektuellenAbgegrenzheit, des Zynismus, der Intoleranz, der Herzlosigkeit, des Nihilismus. Es entsteheneinerseits Gefühle der Macht und andererseits eine bestimmte Auffassung von Sinnlosigkeit, einegewisse Leere. Das ver<strong>wir</strong>rt und verunsichert. Da muß man höllisch <strong>auf</strong>passen, daß man sich nichtin Hochmut und Verachtung von der Welt abwendet. Aber dagegen hilft ja <strong>die</strong> Ver<strong>wir</strong>klichung vonMitgefühl und Verbundenheit.Auch suchen viele in <strong>die</strong>sem Zustand innerer Verlassenheit, des Zweifels, der Infragestellung vonWerten und Sinnhaftigkeit nach Halt und verfallen erneut eher simplen Glaubensformen dertradtionellen und der modernen Art, wenden sich wieder von Verstand, Vernunft und Logik ab underachten <strong>die</strong>se als irreführend, nicht zielführend, schlecht oder gar böse. Dadurch bekämpfen sie<strong>die</strong>se Güter des menschlichen Geistes – und dadurch auch sich selbst.Dabei ist der Verstand das Standbein des menschlichen Daseins, und der Zweifel ist seine großeStärke. Ohne Zweifel kann es nämlich weder Erneuerung <strong>noch</strong> Verbesserung geben.Dieses Bedürfnis (oder das Streben) nach einer Verbesserung des Daseins ist unser Schwungbein.Standbein und Schwungbein sollten <strong>zu</strong>sammenarbeiten, sonst fällt man <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Schnauze.Nach Glück <strong>zu</strong> streben ist etwas völlig Natürliches. Aber nur das eigene Wohl <strong>zu</strong> verfolgen – das istwohl <strong>zu</strong> wenig. Außerdem gelingt es nicht einmal einem <strong>Ein</strong>siedler, sich gänzlich von der Weltab<strong>zu</strong>wenden. Es ist auch nicht viel, wenn man das Wohl der Familie anstrebt, insbesondere das dereigenen Kinder; Brutpflege betreiben sogar Krokodile. Auch das Wohl der Gemeinschaft, der du


225angehörst, ist als Maßstab <strong>zu</strong> klein, das ist wohl auch nur eine Form von Rudel- und Herdenglück.Eigentlich müßte das Minimum das Wohl ALLER Menschen sein. (Aber das ist wohl ein etwas ZUhohes Ideal. Vielleicht genügt es, das Wohl derer an<strong>zu</strong>streben, <strong>zu</strong> denen man Zugang hat. All<strong>zu</strong> hoheIdeale können ja SO frustrierend sein!)Man kann Religionen und andere Weltanschauungen ziemlich einfach daran messen, in welchemMaß sie das Wohl aller Menschen anstreben – oder nur das der eigenen Geistesgemeinschaft; ob sietrennen oder verbinden, in „<strong>wir</strong>“ und „jene“ unterteilen; ob sie alles gleichmachen wollen und damit<strong>die</strong> Natürlichkeit der Vielfältigkeit bekämpfen oder gar zerstören wollen.Es ist sehr wichtig, so natürlich wie nur möglich <strong>zu</strong> sein. Meist bringt es nichts, seine eigene Natur<strong>zu</strong> bekämpfen; viel besser ist es, sie <strong>zu</strong> erkennen, <strong>zu</strong> verstehen und insofern <strong>zu</strong> kontrollieren, daßman anderen Lebewesen, <strong>zu</strong>mindest aber Menschen, keinen Schaden <strong>zu</strong>fügt.<strong>Ein</strong>es meiner (wenig an Zahl gewordenen) persönlichen Prinzipien lautet, kein persönliches Glück<strong>auf</strong> dem persönlichen Unglück anderer <strong>auf</strong><strong>zu</strong>bauen. Wie könnte es je gut und glückbringend sein,bei anderen Menschen Leid <strong>zu</strong> verursachen?Schadet niemand und hilfet.Die meisten Menschen haben immer wieder irgendeine Form von Hilfe nötig. Ich selber binziemlich dankbar dafür, daß mir so oft geholfen <strong>wir</strong>d.Die Basis des menschlichen Lebens ist wohl das körperliche Wohl. Ausreichend gesundeLebensnotwendigkeiten (Luft, Wasser und Nahrung) <strong>sind</strong> das Minimum dafür – und leider <strong>sind</strong> <strong>wir</strong><strong>noch</strong> immer weit entfernt davon, <strong>die</strong>ses Minimum <strong>zu</strong> ver<strong>wir</strong>klichen. Auch von einer allgemeinenVer<strong>wir</strong>klichung der (ich nenne sie mal großzügig:) Kulturgüter gesundheitliche Versorgung, Bildung(des Verstandes und des Herzens) und verantwortbarer Wohlstand ist derzeit nur <strong>zu</strong> träumen.Materieller Reichtum kann anscheinend nur <strong>auf</strong> Kosten materieller Armut existieren. In einemZustand allgemeinen, relativen Wohlstands verlieren <strong>die</strong> Begiffe „reich“ und „arm“ ihre Bedeutung.Um <strong>die</strong>sen Zustand <strong>zu</strong> erreichen, brauchen <strong>wir</strong> jede Menge an Bemühungen und jede Menge anVerständnis dafür, daß einfach nicht alles machbar ist. An beiden mangelt es wohl.Jede Form von Not, vor allem <strong>die</strong> erzwungene, ist entwürdigend; sie entmenschlicht und vermindertMitgefühl und Solidarität bis <strong>zu</strong> deren Auslöschung. <strong>Ein</strong> unter Hunger oder einer anderen Formextremer Not Leidender, der sich permanent darüber Gedanken machen muß, wie er seine Familieam Leben erhält (was leider all<strong>zu</strong> oft nicht gelingt), hat gar keine Zeit für Philosophie undSelbstver<strong>wir</strong>klichung; und neben der Würde bleiben oft auch Menschlichkeit und Ethik <strong>auf</strong> derStrecke.Im Überlebenskampf werden Ethik und Mitgefühl selten. Paßt bitte <strong>auf</strong>, daß ihr <strong>die</strong>se Kostbarkeitennicht verliert.Wenn es eng <strong>wir</strong>d, werden Ethik und Mitgefühl <strong>zu</strong>m Luxus. Leistet ihn euch, wenn ihr könnt.*Es war einmal,da konnte sich homo sapiens im Selbstbe<strong>die</strong>nungsladen der Mutter Natur be<strong>die</strong>nen, ohne <strong>auf</strong> denGedanken kommen <strong>zu</strong> müssen, daß <strong>die</strong>s auch etwas kostet.Aber irgendwann kam er dann doch <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Vermutung, daß <strong>zu</strong>mindest – mitunter – eventuell – undvielleicht doch – irgendwie –Aber vielleicht auch nicht! Man zieht einfach ein Stück weiter, <strong>zu</strong>r nächsten Filiale. Oder man läßtandere zahlen.Diese Methode war aber AUCH nicht so ganz perfekt. Also entwickelte homo sapiens das Konzept„Nimm jetzt, zahl später“ und hoffte, daß <strong>die</strong>ses „Später“ niemals kommen würde.Aber ätsch! Irrtum! –In <strong>die</strong>ser Phase befinden <strong>wir</strong> uns derzeit. Noch immer.Die nächste Phase ist schon absehbar. Man hört bereits <strong>die</strong> Schritte <strong>auf</strong> der Treppe. Besuch.


226Unangenehmer Besuch. Man kann nicht einmal so tun, als kenne man <strong>die</strong>sen Besuch nicht.„Inkassobüro Mutter Natur“.„Betrifft: Restschuld von . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . “UIII-JEEH!„Ist Ihr Name Sapiens? <strong>Ja</strong>? Homo Sapiens?“UIIII-JEEEEEHH!Da hilft's auch gar nichts, wenn man sagt: „Aber ich bin das ja gar nicht! Ich hab ja gar nichtsgemacht! Das muß ein ANDERER Homo Sapiens sein. Da muß es sich um einen Irrtum handeln,Frau Mutter. Ich bin's nicht, liebe Frau Mutter! Ich bin das nicht! – Nein! – Nein! – NEEEIIIIIN!“*Die sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ sollte eigentlich Wohlstand für ALLE bewerkstelligen. Aberweder tut sie das <strong>noch</strong> kann sie das.Sie produziert Wohlstand in unterschiedlichen Preis- und Qualitätsklassen. Wer sich nicht einmal<strong>die</strong> unterste Preisklasse leisten kann, fällt unter den Wohlstandstisch und bekommt <strong>die</strong> Krümel.<strong>Ein</strong> direkter Zusammenhang zwischen Arbeit und Wohlstand kann nur bedingt festgestellt werden;ein Zusammenhang zwischen Leistung und Wohlstand <strong>noch</strong> viel weniger. Hierbei entstehen sogar<strong>die</strong> absurdesten Preis- und Qualitätsklassen. (In Lateinamerika gibt es Plantagenarbeiter, <strong>die</strong>praktisch den selben Lebensstandard „genießen“ wie ihre Vorfahren im 19. <strong>Ja</strong>hrhundert, als <strong>die</strong>se<strong>noch</strong> Sklaven waren, sie „dürfen“ dafür aber um 20 oder 30 Prozent mehr arbeiten.)Die sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ möchte ihre Spielregeln am liebsten ausschließlich selbstbestimmen. Staatliche Beeinflussung gilt weitgehend als unerwünscht. Aber offensichtlich ist der„freie“ Markt unfähig da<strong>zu</strong>, sich selbst <strong>zu</strong> kontrollieren. Anscheinend funktioniert das Wechselspielvon Angebot und Nachfrage nur in „guten“ Zeiten.Weltweit machen (<strong>wir</strong>tschafts-) politische Gruppierungen Propaganda mit dem Werbespruch „Privatstatt Staat“. Aber sobald ein Normalbürger in eine Notsituation gerät, fragen Vertreter des „freien“Marktes sofort: „Hast du vorgesorgt? Kannst du dir <strong>die</strong> Beseitigung deiner Notlage auch finanziellleisten? – Schade, da kann ich dir leider nicht helfen. Wende dich bitte an Staat oder gemeinnützigeOrganisationen.“ (Was häufig gleichbedeutend ist mit „Geh betteln!“)Oft genug können <strong>wir</strong> Folgendes beobachten: Sobald ein markt<strong>wir</strong>tschaftliches Unternehmen selberin eine Notlage gerät, <strong>wir</strong>d ganz laut nach der Hilfe des Staates gerufen. „Privat statt Staat“? Wohlnur, wenn es Mister Privat von Nutzen ist! (Aber das ist eigentlich nur der typische Opportunismusdes homo sapiens. So<strong>zu</strong>sagen „<strong>die</strong> Regel“.)Die sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ produziert und verk<strong>auf</strong>t also Wohlstand an alle, <strong>die</strong> ihn sichleisten können, und verteilt <strong>die</strong> Gewinne <strong>die</strong>ser Tätigkeiten – ungerecht. Den kleineren Teilbekommen <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> dafür ARBEITEN, den größeren Teil aber <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Mittel da<strong>zu</strong>BESITZEN, um andere arbeiten <strong>zu</strong> lassen (im Wesentlichen also Geld und <strong>die</strong> sogenanntenProduktionsmittel). Ab einem bestimmten Grad von Besitz braucht man selber nichts mehr tungeschweige denn etwas leisten, da sorgt das Zur-Verfügung-Stellen von Besitz ganz von allein fürden „nötigen“ Gewinn. Das ist lediglich eine neue Form von Feudalismus.(Ich war 21, als mir <strong>die</strong>se Problematik im Rahmen einer Wohngemeinschaft bewußt wurde. Ganzschnell wurden <strong>auf</strong> Grund unterschiedlicher Besitzverhältnisse aus befreundeten Partnern einerseitsBittsteller und andererseits eine Pseudo-Elite, <strong>die</strong> bestimmen und anschaffen konnte. Beiden Teilenkotzte das irgendwann an, weil <strong>die</strong> einen mehr „machen“ sollten und <strong>die</strong> anderen es irgendwannnicht mehr einsehen wollten, daß sie mehr „geben“ sollten. – Homo sapiens ist als Opportunist viel<strong>zu</strong> anfällig für derartige Mechanismen (<strong>zu</strong> denen selbstverständlich auch das Schnorrertum derBequemlichkeit gehört).„Besitz“ ist eines der Grundprobleme in der großen weiten Welt; ein bis heute ungelöstes; sämtlicheExperimente <strong>sind</strong> gescheitert; und keine Lösung ist in Sicht. Mangelnde Reife? Mangelndes


227Bewußtsein? Opportunismus? Wo ist <strong>die</strong> Grenze zwischen Privatbesitz und Allgemeinbesitz <strong>zu</strong>ziehen? Daß alles ALLEN gehört, will wohl keiner. (Wenn sich jemand meine CD-Sammlung unterden Nagel reißen wollte, würde ich wahrscheinlich ganz schnell <strong>zu</strong>m Monster mutieren.)Die sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ empfindet den Begriff „Solidarität“ als Aufruf <strong>zu</strong> ihrerAbschaffung, als kommunistische Kampfparole und als direkten Angriff <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Besitzverhältnisse(<strong>die</strong> der besitzenden „Kapitalisten“, logisch!, nicht <strong>die</strong> der Arbeiter und Kleinunternehmer). Abernur eine Solidargemeinschaft kann den Bestand einer Gesellschaft <strong>auf</strong> Dauer gewährleisten undsozialen (gesellschaftlichen) Frieden hervorbringen. (Daß <strong>wir</strong> davon recht weit entfernt <strong>sind</strong> und unsmittlerweile sogar NOCH weiter entfernen, muß ich wohl nicht weiter erläutern. (Ich persönlichhabe das Glück, <strong>die</strong> Staatsbürgerschaft eines recht wohlhabenden und sozial orientierten Staates <strong>zu</strong>besitzen, und über<strong>die</strong>s das Glück, einer Generation an<strong>zu</strong>gehören, für <strong>die</strong> soziale Errungenschaften<strong>noch</strong> „leistbar“ <strong>sind</strong>. (Hoffentlich!)))Daß <strong>die</strong> sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ mit all ihren fragwürdigen Auswüchsen gerade inLändern entwickelt wurde, <strong>die</strong> sich als „christlich“ bezeichnen, ist besonders traurig. Was soll derJesus-Ausspruch „Was ihr dem Geringsten meiner BRÜDER getan, das habt ihr mir getan!“ dennschon anderes sein als ein Aufruf <strong>zu</strong>r Solidargemeinschaft?Aber nicht nur mit den Lehren Jesu ist <strong>die</strong> sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ unvereinbar, auch mitDemokratie. Die sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ fördert das Recht des Stärkeren, derDemokratie geht es aber um das Recht ALLER. (Wenn es einer Demokratie nicht um Recht undWohlstand aller gehen sollte, IST sie gar keine mehr; oder nur „Demokratur“.)Ist euch <strong>auf</strong>gefallen, wie viele markt<strong>wir</strong>tschaftliche Unternehmen sich in den letzten <strong>Ja</strong>hrzehntenfusioniert oder gegenseitig <strong>auf</strong>gek<strong>auf</strong>t haben? Und <strong>zu</strong>meist ist NICHT von mittelständischen undkleinen Betrieben <strong>die</strong> Rede, sondern von Konzernen, von den Großen und ganz Großen (<strong>die</strong>selbstverständlich auch <strong>die</strong> Kleineren so nebenbei <strong>auf</strong>saugen). Das ist eben <strong>die</strong> System-eigene„Logik“ der sogenannten „freien Markt<strong>wir</strong>tschaft“. Höchstwahrscheinlich würde <strong>die</strong>se „logische“Entwicklung da<strong>zu</strong> führen, daß es weltweit nur mehr eine Handvoll, maximal ein Dutzend Konzernegibt, <strong>die</strong> den gesamten Planeten kontrollieren (und plündern) und dabei so tun, als befänden sie sichin einem „freien“ Wettbewerb. Die ganze Welt wäre dann ein Supermarkt, in dem jeder ein<strong>zu</strong>k<strong>auf</strong>enhätte und für den letztendlich auch jeder arbeiten müßte. (Ich habe bewußt <strong>die</strong> Möglichkeitsformbenutzt, da ich <strong>zu</strong>tiefst davon überzeugt bin, daß <strong>die</strong> sogenannte „freie Markt<strong>wir</strong>tschaft“ schonVORHER <strong>zu</strong>sammenbricht.)<strong>Ein</strong>e „öko-soziale Markt<strong>wir</strong>tschaft“ (was wohl dem Ideal ziemlich nahe käme) <strong>wir</strong>d es in naherZukunft eher NICHT geben. Wie soll das auch möglich sein, wenn der EINE Teil <strong>die</strong> Verteilung vonWohlstand nach OBEN vehement bekämpft (das heißt: so gut es geht und man sich traut) und derANDERE Teil eine solche nach UNTEN verweigert (und dabei <strong>noch</strong> ständig betont, wie SEHR ihmdoch an Wohlstand für alle gelegen ist)?(Aufschlußreich folgende Zahlen bezüglich Wohlstand und K<strong>auf</strong>kraft, Deutschland, Sommer 2008:oberes <strong>Ein</strong>kommensdrittel plus drei komma (hab ich vergessen, ich glaube: zwei) Prozent, unteres<strong>Ein</strong>kommensdrittel minus vierzehn.)Von einer Solidargemeinschaft ist homo sapiens WEIT entfernt; regional, national, international,global. Da<strong>zu</strong> ist der Opportunismus des „Ich will MEHR“ und „Die anderen sollen selber schau'n“einfach viel <strong>zu</strong> groß; ganz abgesehen vom „Wer soll das bezahlen?“Da fehlt's dem homo sapiens wohl insgesamt an Bewußtsein – nicht nur den Verfechtern dersogenannten „freien Markt<strong>wir</strong>tschaft“.*Der Begriff „Kommunismus“ liegt vielen Menschen dermaßen quer im Magen, daß oft sogar derenDenken blockiert <strong>wir</strong>d. (Es ist aber auch <strong>wir</strong>klich verdammt viel (viel <strong>zu</strong> viel!) Unmenschlichkeitunter <strong>die</strong>sem Namen passiert.)


228Karl Marx gelesen haben aber wahrscheinlich nicht all<strong>zu</strong> viele.Selbstverständlich ist auch der Marxismus eine gedankliche Utopie. <strong>Ein</strong>e Utopie kann weder durcheine Weltanschauung <strong>noch</strong> eine Philosophie <strong>noch</strong> eine Religion ver<strong>wir</strong>klicht werden.Weder durch Weltanschauungen <strong>noch</strong> durch Philosophien <strong>noch</strong> durch Religionen können Menschengleich gemacht werden. Menschen <strong>sind</strong> nun mal nicht alle gleich, nur gleich viel „wert“.<strong>Ein</strong>e der vielzitierten Aussagen des Ur-Kommunismus ist wohl der Satz „Religion ist Opium für dasVolk“.Es ist zwar zweifellos richtig, daß Religion als psychologisches Beruhigungs-, Schlaf- undSchmerzmittel mißbraucht werden KANN, mißbraucht WURDE und WIRD, aber so generell kannman das Wort IST einfach nicht verwenden; da fallen eventuelle positive Aspekte der Religionenvöllig unter den Tisch.Außerdem ist es eine Tatsache, daß Religion ebenso als Aufputschmittel verwendet und mißbrauchtwerden KANN, mißbraucht WURDE und WIRD. Und das ist sogar gefährlicher und katastrophaler,daraus entsteht immer nur Leid.Außerdem kann man bei näherer Hinsicht auch nicht leugnen, daß Religion ein hervorragendesPlacebo sein kann.Wo immer sich religiöse Gefühle gegen andere Menschen richten, kann mit <strong>die</strong>sen Gefühlen undder jeweiligen Interpretation von Religion etwas nicht stimmen.Da <strong>die</strong>se Gefühle aber sehr mächtig sein können, sollte man sein Gehirn nicht völlig <strong>auf</strong> „stand by“schalten, sondern <strong>auf</strong>merksam sein und prüfen; ich möchte sagen: man muß „höllisch“ <strong>auf</strong>passen,was alles so unter den Deckmäntelchen „Gott“ und „Religion“ an den Mann (und <strong>die</strong> Frau, sogar andas Kind) gebracht <strong>wir</strong>d.Ich persönlich habe KEINE Idee, wie man religiöse Ekstase von religiöser Hysterie unterscheidenkönnte. Wahrscheinlich muß man abwarten, welche Früchte sie HINTERHER bringen.Hinter EINER Aussage des Ur-Kommunismus kann ich aber jederzeit stehen: hinter der Forderung,daß <strong>die</strong> Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ein Ende haben muß. Ich finde, jedervernünftige Mensch müßte eigentlich <strong>die</strong>se Forderung unterstützen können.Wenn ich dadurch <strong>zu</strong>m Kommunisten werde, bin ich es gern.Wer eine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen leugnet, muß wohl ein ziemlichseltsames, <strong>auf</strong> jeden Fall aber realitätsfernes Weltbild besitzen. Der <strong>wir</strong>d wohl WIRKLICH <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Erfindung der Gehirnprothese warten müssen.Wer nicht ein Ende der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen fordert, kann eigentlich nurein Unterstützer und Nutznießer <strong>die</strong>ser Ausbeutung sein, also selber ein Ausbeuter oder <strong>zu</strong>mindesteiner, der es werden möchte.Ich persönlich fordere auch ein Ende der Ausbeutung des Planeten durch den Menschen.Sofern nicht etwas Gravierendes (im positiven oder im negativen Sinne) passiert, <strong>wir</strong>d <strong>die</strong>sesThema wohl <strong>die</strong> nächsten <strong>Ja</strong>hrzehnte der Weltgeschichte in erheblichem Maße mitbestimmen.Aber <strong>die</strong>ses Süppchen hat sich homo sapiens ja selbst geköchelt.*<strong>Ein</strong>e Diktatur des Proletariats lehne ich ebenso ab wie eine Diktatur des Bürgertums, des Adels, derPriester, der Wirtschaft, der Wissenschaft, der Künstler, der Schönen, der Starken, der Erfolgreichenoder der Erfolglosen, der Männer, der Frauen, der Häßlichen, der Schwachen oder der Blöden.In sogenannten „schlechten“ Zeiten <strong>wir</strong>d immer der Ruf nach einer straffen Führung laut, nachRecht und Ordnung, Führer und König, nach Moral und leider auch allem, was unter dem Begriff„Gott“ mißbraucht werden kann. Das geschieht mit einer gewissen Eigendynamik, weil es einfachniemand so gern sieht, daß es ihm von <strong>Ja</strong>hr <strong>zu</strong> <strong>Ja</strong>hr schlechter geht. Da werden nur all<strong>zu</strong> leichtHeilserwartungen jeder Art geweckt.Wenn <strong>die</strong> Glücksgöttin dann in der einen Hand „Freiheit“ anbietet und in der anderen „Sicherheit“,


229„Ordnung“, „Wohlstand“ und „Macht“, werden sich <strong>die</strong> meisten Menschen GEGEN <strong>die</strong> Freiheitentscheiden, ohne extra lange nach<strong>zu</strong>denken.Aber <strong>zu</strong>gleich mit der Freiheit schwindet immer auch <strong>die</strong> Würde.Diese ist ein höheres Gut als <strong>die</strong> Freiheit.Speziell in der westlichen Welt <strong>wir</strong>d das oft durcheinandergebracht. Freiheit bedeutet keineswegs,sich über <strong>die</strong> Freiheit oder Würde eines Mitmenschen hinwegsetzen <strong>zu</strong> dürfen. <strong>Ein</strong> Beharren <strong>auf</strong>Freiheit sollte nicht da<strong>zu</strong> führen, daß andere Menschen verletzt werden. Und Freiheit sollte schongar nicht da<strong>zu</strong> mißbraucht werden, <strong>auf</strong> Kosten anderer <strong>zu</strong> leben.Als Höchstmaß der Freiheit empfinde ich <strong>die</strong> gewaltfreie Anarchie. (Anarchie bezeichnet eineGesellschaftsform ohne Herrscher und ist NICHT gleichbedeutend mit dem Wort „Chaos“.) Ichpersönlich könnte ganz gut ohne Herrscher auskommen. Ich würde auch nicht weniger sozialorientiert sein, sondern eher mehr. Aber im Großen und Ganzen ist homo sapiens <strong>noch</strong> nicht reif fürein selbstbestimmtes und selbstverantwortliches Leben. Das Experiment „Anarchie“ würdezweifellos in Chaos und Zerstörung ausarten, weil <strong>die</strong> meisten Menschen so weit wie nur möglichdas gewaltsame Recht des Stärkeren praktizieren und ziemlich hemmungslos dem totalenOpportunismus frönen würden.Deshalb werden <strong>wir</strong> wohl weiter mit verschiedenen Formen von Demokratie oder mit gemäßigtenMonarchien herumexperimentieren müssen.Wer aber glaubt, daß <strong>die</strong> Mehrheit immer Recht hat oder gar das Richtige be<strong>wir</strong>kt, der sollte sichdaran erinnern, daß <strong>noch</strong> vor knapp 500 <strong>Ja</strong>hren <strong>die</strong> allgemein gültige Meinung besagte, daß <strong>die</strong> Erdeeine Scheibe wäre.Und nichts könnte ein blindes Vertrauen an <strong>die</strong> Mehrheitsmeinung wohl besser <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sch<strong>auf</strong>elnehmen als der Grafitti-taugliche Spruch „Milliarden von Fliegen können nicht irren – eßtScheiße!“*Ich habe schon <strong>zu</strong>sammen mit katholischen, protestantischen und orthodoxen Christen unter einemDach geschlafen, mit Sunniten und Schiiten, mit Juden, Hindus und Buddhisten, auch mit Atheisten.Ich habe schon mit Menschen aus mindestens fünfzig Nationen positive Gefühle geteilt. Und das istüberhaupt nichts Besonderes. Wir <strong>sind</strong> Familie, wenn <strong>wir</strong> wollen.Die Unterschiede zwischen uns <strong>sind</strong> unwesentlich und belanglos. Hauptsächlich bestehen sie in derOberfläche des Körpers und in unnützen Nebenfunktionen des Bewußtseins.*Sollte es euch <strong>zu</strong>fällig interessieren, wie jemandeinen höchsten Gott,mächtige Himmelswesen,eine Schöpfungsgeschichte,eine Urgeschichte mit hochkomplexen Verwicklungen<strong>auf</strong> schriftstellerische Weise ERFINDET, dann lest bitte das „Silmarillion“ von J.R.R. Tolkien. (Fürechte Fans des „Herrn der Ringe“ müßte das sowiese „Pflicht“ sein.)Auf Basis <strong>die</strong>ses Buches könnte man eine komplett neue Religion <strong>auf</strong>bauen, mit Theologie undPhilosophie und Ritualen und allem Drum und Dran, was man eben so als „Kult“ bezeichnet, und<strong>die</strong>ser Kult könnte eine ganze Kultur beeinflussen und prägen.Aber warum sollte man das bloß tun?***


230Zwei deutsche Dichter möchte ich <strong>noch</strong> zitieren.Der eine ist Friedrich von Hardenberg, genannt Novalis (1772-1801):„Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren<strong>sind</strong> Schlüssel aller Kreaturen,wenn <strong>die</strong>, so singen oder küssen,mehr als <strong>die</strong> Tiefgelehrten wissen,wenn sich <strong>die</strong> Welt ins freie Lebenund in <strong>die</strong> Welt <strong>wir</strong>d <strong>zu</strong>rückbegeben,wenn sich dann wieder Licht und Schatten<strong>zu</strong> echter Klarheit werden gatten,und man in Märchen und Gedichtenerkennt <strong>die</strong> ew'gen Weltgeschichten,dann fliegt vor einem geheimen Wortdas ganze verkehrte Wesen fort.“Der zweite ist Bertolt Brecht (1898-1956):„Wer baute das siebentorige Theben? In den Büchern stehen <strong>die</strong> Namen von Königen. Haben <strong>die</strong>Könige <strong>die</strong> Felsbrocken herbeigeschleppt? Und das mehrmals zerstörte Babylon – Wer baute es soviele Male <strong>auf</strong>? In welchen Häusern des goldstrahlenden Lima wohnten <strong>die</strong> Bauleute? Wohingingen an dem Abend, wo <strong>die</strong> Chinesische Mauer fertig war, <strong>die</strong> Maurer? Das große Rom ist vollTriumphbögen. Wer errichtete sie? Über wen triumphierten <strong>die</strong> Cäsaren? Hatte das vielbesungeneByzanz nur Paläste für seine Bewohner? Selbst in dem sagenhaften Atlantis brüllten in der Nacht,wo das Meer es verschlang, <strong>die</strong> Ers<strong>auf</strong>enden nach ihren Sklaven. Der junge Alexander eroberteIn<strong>die</strong>n. Er allein? Cäsar schlug <strong>die</strong> Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich? Philippvon Spanien weinte, als seine Flotte untergegangen war. Weinte sonst niemand? Friedrich derZweite siegte im Siebenjährigen Krieg. Wer siegte außer ihm? Jede Seite ein Sieg. Wer kochte denSiegesschmaus? Alle zehn <strong>Ja</strong>hre ein großer Mann. Wer bezahlte <strong>die</strong> Spesen?So viele Berichte.So viele Fragen.“


231Irgendwann („demnächst“?) <strong>wir</strong>d <strong>die</strong> „internationale Staatengemeinschaft“ sagen können: „Gesternstanden <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> vor einem Abgrund. Heute <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> einen entscheidenden Schritt weiter.“Die Welt ist zwar vernetzt, aber nicht verbunden. (Weißnichtwer)Wenn Reichtum ein Ideal ist, und Religiosität ebenso, dann müßte eigentlich der milliardenschwerereligiöse Fundamentalist der allerbeste Alleinherrscher sein. BRRRRR!!!Wer nicht mehr staunen kann, der hat schon verloren.Wenn ihr den Wandel wollt, müßt ihr euch selbst wandeln. (Mahatma Gandhi)Stolz und Würde nehmen den selben Raum ein, doch dort ist nur Platz für einen. (Weißnichtwer)Manchmal ist „Gott“ <strong>die</strong> allerschlimmste Ausrede, <strong>die</strong> jämmerlichste Umschreibung von „ich weißes nicht“. Nötig haben das wohl nur stolze Schwächlinge und religiöse Eiferer, <strong>die</strong> sich da<strong>zu</strong>berufen fühlen, ihren allwissenden Gott mit der eigenen Unwissenheit verteidigen <strong>zu</strong> müssen.Der Wissende löst Probleme, der Weise vermeidet sie. (Weißnichtwer)Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null, und das nennen sie ihrenStandpunkt. (Albert <strong>Ein</strong>stein)Überzeugungen <strong>sind</strong> gefährlichere Feinde der Wahrheit als Lügen. (Friedrich Nietzsche)Rache ist eine feige Form der Trauer. (Weißnichtwer)Der Mensch baut <strong>zu</strong> viele Mauern und <strong>zu</strong> wenig Brücken. (Isaac Newton)Der Wunsch ist oft der Vater des Irrtums.Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. (Aus Sambia)Der ideale Staat hat den Zweck, <strong>die</strong> Idee des Guten <strong>zu</strong> realisieren. (Plato, zitiert von Harald Lesch)Das Charakteristische der Intelligenz ist der Zweifel. (Wieder Lesch)Es gibt vieles zwischen Himmel und Erde, was nicht in Büchern steht. Und vieles steht in Büchern,was es zwischen Himmel und Erde nicht gibt. (Weißnichtwer)Nicht der Glaube trennt <strong>die</strong> Menschen, sondern daß <strong>die</strong> einen leiden und <strong>die</strong> anderen ihnen Leid<strong>zu</strong>fügen. (Thomas Müntzer)Menschen <strong>sind</strong> <strong>die</strong> Minderheit im Volk. (Weißnichtwer)Wenn ein blinder Käfer über <strong>die</strong> Oberfläche einer Kugel krabbelt, merkt er nicht, daß der Weg, dener <strong>zu</strong>rücklegt, gekrümmt ist. Ich hingegen hatte das Glück, es <strong>zu</strong> merken. (Albert <strong>Ein</strong>stein)Denken Sie selbst, sonst tun's andere für Sie. (Vince Ebert)Macht ist ein Finger im Arsch. (Leider weiß ich nicht, von wem das stammt – aber „köstlich“!)Die Scheiße stinkt vorwiegend dort, wo geschissen <strong>wir</strong>d. (Leider auch nicht von mir)Arroganz ist <strong>die</strong> Gewalt der Elite.Würde <strong>die</strong> Natur uns so grob behandeln wie <strong>wir</strong> sie, wären <strong>wir</strong> alle schon lange tot. (<strong>Ein</strong>ukrainischer Holzfäller)Die Suche nach Perfektion ist der sicherste Weg in <strong>die</strong> Welt der Probleme. (Weißnichtwer)Man fürchtet, was man nicht versteht. (Weißnichtwer)All that is not given is lost. (Leider nicht von mir)Setze Gott keine Grenzen. (Ramakrishna)


232Wen der Himmel bewahren will, den erfüllt er mit Güte. (Lao Tse)Das Leben liegt weder in der Vergangenheit <strong>noch</strong> in der Zukunft, sondern allein in der Gegenwart.(Kamada Isso)Dem Herz, das ehrlich ist, öffnen sich selbst Steine. (Lju Hsjuang)Das Lächeln, das du aussendest, kehrt <strong>zu</strong> dir <strong>zu</strong>rück. (Aus In<strong>die</strong>n)<strong>Ein</strong> Herz ohne Liebe ist wie ein Garten ohne Blumen. (Aus <strong>Ja</strong>pan)Den wunderbarsten Klang kannst du nur in der Stille hören: Das bist du selbst. (Lao-tse)Macht können <strong>wir</strong> durch Wissen erlangen, aber <strong>zu</strong>r Vollendung gelangen <strong>wir</strong> nur durch <strong>die</strong> Liebe.(Aus China)Das Böse liegt nicht in den Dingen der Welt, es liegt allein im Menschen. (Ebenfalls aus China)Das Leben birgt viele Umwege in sich. Die Kunst besteht darin, dabei <strong>die</strong> Landschaft <strong>zu</strong>bewundern. (Zen-Weisheit)Im Gegensatz <strong>zu</strong> Weisheit kann sich Glauben jederzeit in Wahnsinn verwandeln.Das Verursachen von Leiden durch weiterführendes gegenseitiges Verursachen von Leiden <strong>zu</strong>erwidern, ist eine Endlosschlinge, in der sich letztlich jeder <strong>zu</strong> erhängen droht.„Gott“ liegt zwischen den Momenten. (Werner Pirker)Wir <strong>sind</strong> bereits erleuchtet, nur haben <strong>wir</strong> es vergessen. (Jiddu Krishnamurti)Handlungen geschehen – aber es gibt keinen Handelnden. (Buddha)Transzendenz bedeutet das Fehlen von Zeit und FormAlles entsteht aus dem Nichts. (<strong>Ein</strong>e Aussage der Quantenphysik)Schadet niemand und hilfet. (Johann Wolfgang von Goethe)


233Sind <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> <strong>retten</strong>? <strong>Ja</strong> <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> <strong>retten</strong>?Wer oder was könnte uns <strong>retten</strong>? Wir selbst? Homo dingsbums?<strong>Ja</strong> <strong>sind</strong> <strong>wir</strong> <strong>noch</strong> <strong>zu</strong> <strong>retten</strong>?EINS ist jedenfalls klar: Wenn <strong>wir</strong> NICHT <strong>zu</strong> <strong>retten</strong> <strong>sind</strong>, dann <strong>wir</strong>d's wohl nicht schade um unssein. Evolution durch Selektion. 65 Milliarden <strong>Ja</strong>hre vom Dino bis <strong>zu</strong>m Homo. Da bleibt <strong>noch</strong>VIEL Zeit für <strong>die</strong> Evolution.Und für Schöpfergott-Gläubige: „Er“ kann's ja <strong>noch</strong> einmal versuchen. Aus Fehlern lernt man ja.Ich selber habe vor, auch weiterhin ein undefinierbares Gemisch aus Opportunist, Optimist, Realist,Pessimist, Träumer, Antonist und fidelem Apokalyptiker <strong>zu</strong> bleiben.(Was bleibt mir sonst auch übrig?)Viele viele <strong>Ja</strong>hrhunderte hindurch hat man <strong>die</strong> Worte vernommen: „Siehe, <strong>die</strong> Zeit ist nahe!“ oder:„Die Zeit ist gekommen!“ oder: „Das Ende der Welt ist nahe!“Und in der Tat: So <strong>wir</strong>d's wohl auch sein.Für fidele Apokalyptiker ist es ganz sicher so.Sicherlich ist <strong>die</strong> Zeit schon SEHR nahe.(Schließlich tut sich ja praktisch IMMER etwas Besonderes. Demnach MUSS <strong>die</strong> Zeit auch(besonders?) nahe sein.)Fünf vier drei zwei eins null.(Upps!) Da hat sich wohl wer geirrt. (Aber da ich überdurchschnittlich intelligent und <strong>zu</strong>gleichüberdurchschnittlich sensibel und sensitiv bin, bin ich wohl der Zeit ein bißchen voraus. – Also:)Fünf – vier – drei – zwei – eins –(Öha! Schon wieder upps!)*An der Empfehlung, keinen Schaden an<strong>zu</strong>richten und hilfreich <strong>zu</strong> sein, kann ich eigentlich nichtsNegatives entdecken. Es sei denn, man zieht den dritten Teil des Original-Zitats hin<strong>zu</strong>: „Man muß<strong>die</strong> Gläubigen stärken.“ Denn über Glaube und Aberglaube und Irrglaube läßt sich diskutieren – undstreiten.Gerade über Glauben, Aberglauben und Irrglauben kann Problematik in <strong>die</strong> ersten beiden Teile desGoethe-Zitats einfließen. Deshalb habe ich den dritten Teil des Zitats auch nur am Anfang erwähnt,später dann nicht mehr. Aber jetzt, gegen Ende <strong>die</strong>ses Büchleins, will ich es den<strong>noch</strong> tun.Nur Dummköpfe und völlig indiskutable Herrschertypen und Manipulanten können ein Interessedaran haben, Aberglaube und Irrglauben <strong>zu</strong> bestärken. Aber häufig ist es nicht leicht, Aberglaubenund Irrglauben <strong>zu</strong> erkennen; <strong>zu</strong>mal Glauben bei <strong>die</strong>ser Erkenntnis <strong>zu</strong>meist rein gar nichts hilft,sondern viel eher Zweifel, Verstand, Intelligenz, Logik und Unterscheidungsfähigkeit.Niemand besitzt das Recht, den Glauben eines anderen Menschen einfach so <strong>zu</strong> amputieren und <strong>zu</strong>zerstören, selbst wenn es sich um Aberglauben und Irrglauben handelt. Nur jeder <strong>Ein</strong>zelne solltedarüber bestimmen dürfen, was er glauben will und welche Glaubeninhalte er loslassen, entfernen,amputieren, zerstören will.VON SICH AUS.Gewalt sollte keinesfalls angewendet werden, auch nicht <strong>die</strong> subtile Gewalt der religiösenÜberzeugung oder des Wissens, auch nicht das (mitunter gewaltbereite) Bedürfnis, anderen helfenund sie überzeugen <strong>zu</strong> wollen. Das ist sicherlich eine Gratwanderung. Aber <strong>wir</strong> müssen sie wohlunternehmen, wenn <strong>wir</strong> uns selber und <strong>die</strong> Welt um uns ein bißchen besser machen wollen.Man sollte nur einen sanften und vor allem liebevollen Druck ausüben, wenn <strong>wir</strong> aus unseremMitgefühl heraus einen Mitmenschen da<strong>zu</strong> bewegen wollen, einen Irrtum <strong>zu</strong> erkennen undlos<strong>zu</strong>lassen. Und man sollte sich dabei schon sehr sicher fühlen, daß man sich nicht selber irrt. Mansollte den anderen dabei sanft führen, so wie man einen Kranken, ein kleines Kind, den allerliebsten


234Menschen führt, wenn man ihn über ein Hindernis hinweg <strong>zu</strong> einem Ort der Ruhe bringen möchte.(Angesichts <strong>die</strong>ser Worte <strong>wir</strong>d mir wieder mal bewußt, wie unvollkommen ich bin!)So, jetzt kannst du selber den dritten Teil des Zitats in deinem eigenen Sinne neu formulieren.*Tut euch selber den Gefallen, in <strong>die</strong>sem Büchlein nicht den Versuch eines Glaubens-Exorzismus <strong>zu</strong>sehen. Seht es bitte als Versuch, mit Humor und etwas Sarkasmus Irrtümer <strong>auf</strong>zeigen <strong>zu</strong> wollen.Manche Irrtümer <strong>sind</strong> hoffentlich wohl offensichtlich, manche vielleicht nicht ohne gründlichesÜberdenken <strong>zu</strong> erkennen. <strong>Ein</strong>e Garantie, daß mir selber keine Irrtümer unterl<strong>auf</strong>en <strong>sind</strong>, gibt esselbstverständlich nicht.Irren scheint einfach <strong>zu</strong>r menschlichen Natur <strong>zu</strong> gehören.(Aber nicht nur der menschlichen – wenn sogar der Gott des Alten Testaments einige seinerHandlungen und Entscheidungen bereut . . . . . . . . . . . )Irrtümer <strong>sind</strong> wie mehr oder weniger große Felsbrocken <strong>auf</strong> unserem Weg. Über manche steigt manelegant drüber, über manche geht man herum, manche kann man nur mit einer gewissen Müheüberwinden.Aber ganz blöd wäre es, wenn man sich diverse Felstrümmer <strong>auf</strong> den Buckel schnallt undweitermarschiert. Oder? (Ich muß mal bei der nächsten Rast nachschauen, ob der Käse in meinemRucksack auch <strong>wir</strong>klich ein Käse ist.)*Viele Hindus sehen in der Vishnu-Inkarnation Buddha <strong>die</strong> bewußte Verkörperung des Irrlehrers, um<strong>die</strong> „echten“ Hindus (<strong>die</strong> Hindus) von den „falschen“ Hindus (den Buddhisten) <strong>zu</strong> scheiden. Ichselbst sehe das nicht so; ich glaube eher, Buddha hat mit seiner Lehre bewußt über das Zielhinausgeschossen, um Krimskrams, Bimmelbammel, Übersteigerungen und Unnotwendigkeitenlos<strong>zu</strong>werden. Jedenfalls glaube ich nicht so ganz, daß er mit der Entwicklung, <strong>die</strong> seine Lehre seit2500 <strong>Ja</strong>hren genommen hat, uneingeschränkt einverstanden wäre. Ich glaube wohl eher, <strong>die</strong>se Lehrebenötigt – aus buddhistischer Sicht – erneut einen Buddha oder einen Bodhisattva, der uns etwasmehr Verständnis bringt.Selbstverständlich braucht meiner Meinung nach auch der Hinduismus – aus hinduistischer Sicht –erneut einen avatara (beziehungsweise Buddha oder Bodhisattva), der uns etwas mehr Verständnisbringt.Ganz ähnlich wie mit Buddha und dem Verhältnis zwischen seiner Lehre und dem Hinduismusverhält es sich mit Jesus und dem Christentum, nur etwas ausgeprägter. Viele meinen, durch Jesuswären <strong>die</strong> „echten“ Gläubigen (<strong>die</strong> Christen) von den „falschen“ Gläubigen (den Juden) geschiedenworden. Aber warum haben dann <strong>die</strong> „echten“ Gläubigen des Neuen Bundes den ganzen Alten Bundmitgeschleppt? Ich glaube außerdem, Jesus würde bei seiner „Wiederkehr“ <strong>zu</strong>erst einmal <strong>die</strong> Händeüber dem Kopf <strong>zu</strong>sammenschlagen und ausrufen: „Nein, nein! So war das ja gar nicht gemeint!“ Ichschätze, auch das Christentum benötigt – aus buddhistischer Sicht – erneut einen Buddha oder einenBodhisattva, der uns etwas mehr Verständnis bringt.Ähnlich verhält es sich auch mit Mohammed und dem Islam. Viele meinen, durch <strong>die</strong> Verkündigungdes Koran wären <strong>die</strong> „echten“ Gläubigen (<strong>die</strong> Muslime) von den „falschen“ Gläubigen (Juden undChristen) geschieden worden. Ich glaube eher, <strong>die</strong>se Lehre benötigt – aus buddhistischer Sicht –einen Buddha oder einen Bodhisattva, der uns etwas mehr Verständnis bringt.Auch wenn <strong>die</strong> drei „großen“ monotheistischen Religionen nicht an Buddhas und Bodhisattvas imbuddhistischen Sinne glauben, benötigen sie solche (dringend!).Vielleicht genügt aber schon <strong>die</strong> Strahlung eines grünen Sterns.<strong>Ein</strong> Grundproblem der drei „großen“ monotheistischen Religionen ist in meinen Augen, daß keine


235einzige bisher den Mut da<strong>zu</strong> gefunden hat, das völlig verfehlte Konzept des Gehorsam-fordernden,eifersüchtigen und rachsüchtigen Schöpfergottes JHWH-Brahma <strong>auf</strong><strong>zu</strong>geben und sich dem bereits„offenbarten“ Gott der Liebe, der Menschlichkeit und der Freude <strong>zu</strong><strong>zu</strong>wenden. Die Christenheitbetet <strong>zu</strong> einem Vater, aber nur Ausnahmen empfinden ihn auch als solchen; <strong>die</strong> meisten <strong>sind</strong> (ebensowie <strong>die</strong> meisten Juden und Muslime) Knechte und Sklaven geblieben. Die Jesus <strong>zu</strong>geschriebeneLehre ist meiner Meinung nach in wesentlichen Bereichen mißverstanden und mißgedeutet worden.Man könnte sie jedoch auch SO interpretieren: Der transzendente Gott ist euer Vater, ihr seid seineSöhne und Töchter; das Himmelreich ist euch sicher, ihr seid ja seine Erben; er ist der König, ihrseid Prinzen und Prinzessinnen – ihr braucht euch nur wie solche benehmen.Ich bin mir sicher, daß Mohammed aus Judentum und Christentum heraus eine gereinigte, „wahre“Religion vermitteln wollte; aber es ist ihm nicht gelungen, auch er konnte sich vom archaischenBild des gewaltigen und gewalttätigen Schöpfergottes nicht lösen.(Zu einem Monismus <strong>sind</strong> <strong>die</strong> monotheistischen Religionen leider nicht fähig.)Ganz sicher bin ich mir, daß weder der Buddha Siddharta Gautama <strong>noch</strong> der (mögliche) BodhisattvaJesus eine neue RELIGION begründen wollten.Ich glaube, <strong>wir</strong> bräuchten eine einfache, lebbare, erlebbare Lehre und Lebensweise, ÜBER allenReligionen. Von mir aus auch ANSTELLE.Ich möchte eigentlich nur ein ganz einfacher MENSCH sein, der nichts MEHR ersehnt und anstrebtals Harmonie und Freude; hier und jetzt; immer.Ich wünsche mir Harmonie – egal ob „hier“ oder „dort“, egal ob in „plus-unendlich“ oder in„minus-unendlich“.Und das wünsche ich euch ebenso.


237Ich wünsche euch Freudentränen.


239„Ich bin betroffen, wenn Menschen <strong>auf</strong>einander einprügeln im Namen des selben Gottes, derWahrheit und der Liebe.“Das war der erste Satz für <strong>die</strong>ses Buch, und es hat Monate gedauert, bis ich dann tatsächlich mit<strong>die</strong>ser „Arbeit“ begann.(Das heißt: Eigentlich beginne ich ja JETZT. Gleichzeitig – <strong>noch</strong> eigentlicher? – bin ich im nächstenMoment damit fertig. – Da sieht man wieder, wie relativ <strong>die</strong> Zeit ist ....... )Nichtsdestotrotz komme ich jetzt <strong>zu</strong>m eigentlichen Anfang, denn ich kann unmöglich beginnen,ohne vorher DANKE gesagt <strong>zu</strong> haben:allen, <strong>die</strong> mir Gutes getan haben, insbesondere meiner Familie, sei es nun willentlich gewesen odersogar selbstverständlich;aber auch allen, <strong>die</strong> mir Schlechtes getan haben, egal ob willentlich oder ungewollt, und dadurchmein Wachsen (oder Schrumpfen?) gefördert haben;und allen „unsichtbaren“ Sherpas, <strong>die</strong> mir <strong>auf</strong> dem Weg <strong>zu</strong>r Bergeshöh' beistehen.ShalomSalam aleikumFriede sei mit euchom shantisarvamangalam(Und tschüss!)

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