30.11.2012 Aufrufe

Genetische Ursachen epileptischer Enzephalopathien (Zeitschrift für

Genetische Ursachen epileptischer Enzephalopathien (Zeitschrift für

Genetische Ursachen epileptischer Enzephalopathien (Zeitschrift für

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Infobox 1: EuroEPINOMICS – Genetics of<br />

Rare Epilepsy Syndromes<br />

Im Rahmen des EuroEPINOMICS-Programms<br />

der European Science Foundation<br />

stellt das Projekt „Genetics of Rare Epilepsy<br />

Syndromes“ die Genetik seltener Epilepsiesyndrome<br />

und <strong>epileptischer</strong> Epilepsien in<br />

den wissenschaftlichen Fokus. Innerhalb<br />

dieses Forschungsnetzwerks werden ab<br />

Sommer 2011 verschiedene europäische<br />

Arbeitsgruppen gemeinsam an der Aufklärung<br />

der genetischen <strong>Ursachen</strong> von<br />

seltenen, meist schwer verlaufenden Epilepsien<br />

arbeiten. Hier<strong>für</strong> stehen durch die<br />

verschiedenen Partner alle Methoden der<br />

modernen Genetik, einschließlich genomweiter<br />

Analysen, zur Verfügung. Eine zentrale<br />

Datenbank zur Phänotypisierung soll<br />

die Identifizierung neuer Krankheitsentitäten<br />

und Genotyp-Phänotyp-Korrelationen<br />

ermöglichen.<br />

Die Arbeitsgruppe Pädiatrische Epilepsiegenetik<br />

der Klinik <strong>für</strong> Neuropädiatrie in Kiel<br />

ist an diesem Projekt beteiligt und steht als<br />

Ansprechpartner zur Verfügung.<br />

tischen Enzephalopathie auf [11]. Während<br />

das Krankheitsbild in der pädiatrischen<br />

Epileptologie mittlerweile gut bekannt<br />

ist, kann die Diagnosestellung bei<br />

Erwachsenen schwierig sein [16].<br />

Die genetische Diagnostik sollte möglichst<br />

frühzeitig bei Auftreten der genannten<br />

Symptom- und Befundkonstellationen<br />

erfolgen, da dies weitere diagnostische<br />

Maßnahmen verhindert, eine<br />

humangenetische Beratung ermöglicht<br />

und durch die Vermeidung provozierender<br />

Medikamente (v. a. Lamotrigin, Carbamazepin/Oxcarbazepin<br />

und Phenytoin<br />

als „Natriumkanalblocker“) sowie den<br />

Einsatz spezifisch zugelassener Medikamente<br />

(Stiripentol) therapeutische Konsequenzen<br />

folgen [25].<br />

Epilepsie mit mentaler<br />

Retardierung bei<br />

Mädchen: PCDH19<br />

Die Epilepsie mit mentaler Retardierung<br />

bei Mädchen wurde erstmals 1971 in<br />

einer großen Familie beschrieben („epilepsy<br />

with mental retardation limited<br />

to females“, EFMR, OMIM #3000888;<br />

[17]). Im Jahr 2008 folgten eine weiterführende<br />

Charakterisierung des Krankheitsbilds<br />

und die Identifikation des zugrunde<br />

liegenden Gens [10, 37]. Weibli-<br />

112 | <strong>Zeitschrift</strong> <strong>für</strong> Epileptologie 2 · 2011<br />

Leitthema<br />

che Familienmitglieder zeigen eine im<br />

frühen Kleinkindalter (6 bis 36 Monate)<br />

beginnende Epilepsie, die sich häufig<br />

zunächst mit Fieberkrämpfen manifestiert.<br />

Im Verlauf folgen unterschiedliche<br />

generalisierte und fokale Anfallsformen;<br />

ebenso finden sich generalisierte und fokale<br />

EEG-Veränderungen. Meist kommt<br />

es in der Adoleszenz zu einem Sistieren<br />

der Epilepsie. Daneben besteht eine Entwicklungsverzögerungunterschiedlichen<br />

Ausmaßes, von Lernschwierigkeiten<br />

bis hin zur geistigen Behinderung<br />

reichend. Bei einem Teil der Patientinnen<br />

und einigen männlichen Anlageträgern<br />

treten psychiatrische Auffälligkeiten<br />

auf. Mithilfe von Kopplungsanalysen<br />

wurde EFMR als ein X-chromosomal<br />

vererbtes Krankheitsbild identifiziert.<br />

In der Folge gelang die Identifikation<br />

von PCDH19 als verantwortlichem<br />

Gen [10]. Das codierte Protein Protocadherin<br />

19 ist ein Zelladhäsionsprotein,<br />

das <strong>für</strong> Zellkontakte von Neuronen<br />

verantwortlich ist. Eine mögliche Erklärung<br />

<strong>für</strong> den ungewöhnlichen X-chromosomalen<br />

Erbgang mit männlichen<br />

Anlageträgern und weiblichen Betroffenen<br />

ist die zelluläre Interferenz: Ein Mosaik<br />

mit PCDH19-positiven und -negativen<br />

Zellen, bedingt durch die zufällige<br />

X-Inaktivierung bei der Frau, scheint<br />

<strong>für</strong> die Zelladhäsion problematischer<br />

zu sein als ein einheitliches Muster ausschließlich<br />

PCDH19-negativer Zellen bei<br />

männlichen Mutationsträgern [8].<br />

Nachfolgend konnten mehrere Arbeiten<br />

eine deutliche Ausweitung des phänotypischen<br />

Spektrums belegen. Sporadisch<br />

auftretende Mutationen und seltene<br />

Deletionen führen bei betroffenen<br />

Patientinnen zu einem Dravet-ähnlichen<br />

Phänotyp. Im Vergleich zum Dravet-Syndrom<br />

bestehen ein späterer Beginn der<br />

Epilepsie, weniger epileptischen Status<br />

und Anfallsfreiheit bei einem Großteil<br />

der Patienten im Verlauf [8]. Des Weiteren<br />

sind Patientinnen mit Fieberkrämpfen<br />

und einer fokalen Epilepsie unter den<br />

Merkmalsträgerinnen beschrieben [24].<br />

Die genetische Untersuchung von<br />

PCDH19 ist sinnvoll bei Patientinnen mit<br />

einem Dravet-ähnlichen Phänotyp ohne<br />

SCN1A-Mutation, evtl. auch bei Mädchen<br />

mit anderen Epilepsieformen und<br />

mentaler Retardierung.<br />

Chromosomale Veränderungen<br />

Neben den genannten monogenen Erkrankungen<br />

sind in den letzten Jahren<br />

zunehmend chromosomale Veränderungen<br />

wie Translokationen und Mikrodeletionen<br />

als Ursache <strong>für</strong> schwere Epilepsien<br />

des Kindesalters identifiziert worden.<br />

Diese können bekannte Gene einschließen<br />

oder unabhängig auftreten.<br />

Gerade bei komplexen Krankheitsbildern<br />

mit zusätzlichen Symptomen sollte<br />

daher eine entsprechende Diagnostik<br />

mithilfe der Chromosomenanalyse und<br />

der „array comparative genomic hybridization“<br />

(Array-CGH) erfolgen.<br />

Fazit <strong>für</strong> die Praxis<br />

F Schwere, früh beginnende Epilepsien<br />

und epileptische <strong>Enzephalopathien</strong><br />

sind oft genetisch bedingt.<br />

Zahlreiche ursächliche Gene konnten<br />

in den letzten Jahren identifiziert<br />

werden.<br />

F Die Identifikation einer genetischen<br />

Ursache ermöglicht eine humangenetische<br />

Beratung und verhindert<br />

weitere invasive Diagnostik. Für einige<br />

Krankheitsbilder resultieren auch<br />

therapeutische Konsequenzen.<br />

F Viele Erkrankungen sind durch eine<br />

genetische Heterogenität gekennzeichnet.<br />

F Neben „klassischen“, gut charakterisierten<br />

Krankheitsbildern wurde<br />

<strong>für</strong> mehrere Gene zuletzt ein erweitertes<br />

klinisches Spektrum beschrieben.<br />

Diese phänotypische Heterogenität<br />

kann die klinische Diagnose erschweren.<br />

F Auch chromosomale Veränderungen<br />

sind beschrieben und können mithilfe<br />

der Chromosomenanalyse und der<br />

Array-CGH diagnostiziert werden.<br />

F Insbesondere bei behandelbaren Erkrankungen<br />

sollte frühzeitig eine genetische<br />

Diagnostik erfolgen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!