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Interview mit Marco Seliger, Autor des Buches „Sterben für Kabul ...

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<strong>Interview</strong> <strong>mit</strong> <strong>Marco</strong> <strong>Seliger</strong>, <strong>Autor</strong> <strong>des</strong> <strong>Buches</strong> <strong>„Sterben</strong> <strong>für</strong> <strong>Kabul</strong> – Aufzeichnungen<br />

über einen verdrängten Krieg“, erschienen im Verlag E.S. Mittler & Sohn<br />

Was war Ihre Intention, dieses Buch zu schreiben?<br />

Die Menschen in Deutschland sollen und müssen wissen, was Soldaten geschieht, die in<br />

ihrem Auftrag in den Krieg geschickt werden.<br />

Wissen sie das denn nicht?<br />

Die meisten Menschen wissen, dass die Bun<strong>des</strong>wehr <strong>mit</strong> Soldaten in Afghanistan steht –<br />

und lehnen dies den einschlägigen Umfragen der vergangenen Jahre zufolge ab. Eine<br />

realistische Vorstellung davon, was unsere Soldaten in einem Krieg machen, was sie erleben<br />

und erleiden, haben die Leute nicht. Das sollten sie meiner Ansicht nach jedoch wissen, wir<br />

leben schließlich in einer Demokratie, in der die politischen Vertreter, die über den Einsatz<br />

der Bun<strong>des</strong>wehr entscheiden, vom Volk gewählt werden. Die Politiker haben die Soldaten in<br />

unser aller Namen nach Afghanistan geschickt. Wir, die Bevölkerung, können nicht so tun,<br />

als ginge uns das alles nichts an. Das ist seelenlos und undemokratisch.<br />

Hätte es eine bessere Informationspolitik der Bun<strong>des</strong>regierung über den Einsatz in<br />

Afghanistan geben müssen oder ist die Bevölkerung selbst schuld an ihrer Unwissenheit<br />

über den Einsatz?<br />

Da gibt es drei Ebenen. Bun<strong>des</strong>regierung, Verteidigungsministerium, selbst die<br />

Bun<strong>des</strong>wehrführung haben in der ersten Zeit stets die zivile Komponente dieses Einsatzes<br />

herausgehoben. So als ob es sich bei den Soldaten um bewaffnete Brunnenbohrer handele.<br />

Dieses Bild wurde geprägt und konserviert, so wurden die Streitkräfte im Übrigen auch<br />

ausgerüstet und mental geprägt. Umso erschrockener waren zunächst manche Soldaten, vor<br />

allem aber die Politiker und <strong>mit</strong> ihnen die Menschen in unserem Land, als die Lage in<br />

Afghanistan immer mehr außer Kontrolle geriet und Soldaten in Särgen zurückkamen. Das<br />

ist die erste Ebene. Die zweite Ebene ist die der Medien. In vielen Redaktionen, wie auch in<br />

der Politik, herrscht nach wie vor ein latentes Misstrauen gegenüber dem Militär. Es gibt<br />

großartige Reportagen über das Leid der Afghanen. Aber wirklich gute Geschichten über<br />

deutsche Soldaten in Afghanistan sind selten. Das Schwarz-Weiß-Schema, das viele<br />

Kollegen auf Soldaten legen, indem sie ihnen etwa eine eindimensionale Sicht auf die Welt<br />

vorwerfen, finde ich klischeehaft und nur allzu einfach. Ja, Soldaten sind dazu da, in<br />

politischem Auftrag einen politischen Willen durchzusetzen, wenn nötig, indem sie jemanden<br />

töten. Aber da<strong>mit</strong> lässt sich aus meiner Sicht noch keine grundlegende Ablehnung von<br />

Gewalt, <strong>mit</strong>hin <strong>des</strong> Militärs begründen, so wie es viele Medienkollegen tun. Das hat aus<br />

meiner Sicht auch nichts <strong>mit</strong> Pazifismus zu tun, der in unserer Gesellschaft tief verankert zu<br />

sein scheint. Und da bin ich bei Ebene drei: Unsere Gesellschaft hat die Pflicht, sich <strong>mit</strong><br />

ihren Mitbürgern, die <strong>für</strong> sie im Grunde den Kopf hinhalten, zu beschäftigen. Unser Land<br />

weiß seit 20 Jahren nicht, was es <strong>mit</strong> seinen Streitkräften überhaupt erreichen will. Dass<br />

aber junge Menschen in Afghanistan zerfetzt, zersiebt, verbrannt zu Tode kommen,<br />

interessiert kaum. Das finde ich verantwortungslos.<br />

Warum schildern Sie die Schicksale von Soldaten, Anschläge und Gefechte, in so<br />

drastischer, teilweise geradezu abschreckender Form?<br />

Menschen müssen sehen und hören, was Einzelnen geschieht, weil ihre Vorstellungskraft<br />

den allgemeinen Fakten nicht gerecht wird. Mehr als 50 Tote, mehrere hundert Verletzte –<br />

das bedeutet nichts. Das sind leere Zahlen. Aber wenn man den Menschen eine einzige<br />

Person in ihrer Vollkommenheit zeigt, ihre Gefühle, Lebenswelt, ihre Hoffnungen und


Schwierigkeiten beschreibt und dann zeigt, wie sie stirbt, wie sie verwundet wird, dann<br />

schreibt sich das vielleicht in das Gedächtnis der Menschen ein. Wenn ein junger Mensch<br />

bei einem Bombenanschlag in seinem Panzer von dem aus der Verankerung gerissenen<br />

Motor zerquetscht wird, so dass sein Leichnam stundenlang nicht gefunden werden kann,<br />

dann sagt das etwas über die Brutalität und Dimension dieses Krieges aus, in dem unsere<br />

Soldaten stehen. Das muss beschrieben werden, da<strong>mit</strong> es bekannt wird. Denn letztlich, und<br />

das ist auch eine meiner Intentionen, geht es mir <strong>mit</strong> diesem Buch darum, die Politiker, die<br />

militärische Führung und die Gesellschaft an ihre Verantwortung <strong>für</strong> unsere Soldaten zu<br />

erinnern. Man sollte sich genau überlegen, ob es unsere Ziele in Afghanistan rechtfertigen,<br />

dass ein junger Mensch in einem Panzer zerquetscht wird.<br />

Sind sie es denn wert?<br />

Unter den gegebenen Umständen leider nein. Es entspricht nicht deutschen Interessen, eine<br />

korrupte, teils verbrecherische Clique in <strong>Kabul</strong> und in anderen Orten durch den Einsatz<br />

unserer Soldaten und von Milliarden Euro an der Macht zu halten, eine Regierung, gegen die<br />

sich letztlich der Aufstand richtet. Der derzeitige Verteidigungsminister de Maizière meint, die<br />

Soldaten könnten nichts da<strong>für</strong>, dass der politische Aufbau in Afghanistan nicht vorankommt.<br />

Das stimmt, aber die Klage über die politischen Zustände in Afghanistan höre ich schon zu<br />

lange. Hamid Karsai, der Präsident, ist in den Augen der Afghanen eine Marionette <strong>des</strong><br />

Westens. Was <strong>mit</strong> solchen Herrschern und denen, die sie stützen, geschieht, da<strong>für</strong> hält die<br />

afghanische Geschichte genügend Beispiele bereit.<br />

Und welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?<br />

Der Karren sitzt extrem tief im Schlamassel. Jede Regierung im Westen hat das begriffen.<br />

Es gibt keine zufrieden stellende Lösung mehr und schon gar kein gesichtswahren<strong>des</strong> Ende.<br />

Wir haben durch unsere Politik, unser Geld und unsere Truppen die alten zerstörerischen<br />

Kräfte Afghanistans, die Kriegsherren, wieder an die Macht gebracht. Wir haben ihre<br />

Kriegskassen gefüllt, ihre Truppen ausgerüstet und ausgebildet. Wir haben sie hofiert. Diese<br />

Kräfte sind in das machtpolitische Vakuum gestoßen, das sich nach dem Ende der Taliban<br />

aufgetan hat. Es sind ihre Leute, die in der afghanischen Armee und Polizei dienen, die dort<br />

Geld verdienen und militärisch ausgebildet werden. Es wäre naiv anzunehmen, diese Kräfte<br />

würden ihre Machtposition aufgeben, nur weil das eine Regierung in <strong>Kabul</strong> so will und weil<br />

diese Regierung nun über mehr als 300.000 Sicherheitskräfte verfügt. Eine, ich behaupte<br />

zwei Generationen wird es dauern, bis sich die Verhältnisse in Afghanistan unter<br />

fortdauerndem internationalem Engagement in allen Bereichen vielleicht verändern würden.<br />

Das sind 50 Jahre. Da<strong>für</strong> hat kein Staat der Welt den Atem, die Truppen und schon gar kein<br />

Geld. Wir könnten etwas verändern, bleiben aber <strong>mit</strong>ten auf dem Weg stehen. Ganz gleich,<br />

ob wir unsere Truppen 2012 oder 2014 abziehen, wir kapitulieren vor den afghanischen<br />

Verhältnissen. Der Tod unserer Soldaten war daher sinnlos.<br />

Das <strong>Interview</strong> führte der Verlag E.S. Mittler & Sohn <strong>mit</strong> <strong>Marco</strong> <strong>Seliger</strong> und ist zum Abdruck in<br />

Ihrem Medium freigegeben.

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