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Gänsehaut Krimisammelband von Schülerinnen und Schülern der ...

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<strong>Gänsehaut</strong><br />

<strong>Krimisammelband</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Schülerinnen</strong> <strong>und</strong> <strong>Schülern</strong> <strong>der</strong> HS1 Bad Aussee<br />

Autoren <strong>und</strong> Autorinnen:<br />

Markus Amon, Franziska Berton, Sabrina Brandl, Nadine Egger,<br />

Anna-Maria Erhart, Jakob Frosch, Christina Grill, Benno Hacker,<br />

Eva Haim, Sara Hillbrand, Lena Huber, Lisa Höber, Sarah Mayer,<br />

Lena Mittermair, Christina Moser, Adrian Neuhuber, Sophie Rastl,<br />

Jakob Schweitzer<br />

unter <strong>der</strong> Anleitung <strong>von</strong> Krimiautorin Beate Maxian<br />

Schuljahr 2011/2012


Inhaltsverzeichnis<br />

Mord am Feuerkogel <strong>von</strong> Markus Amon 3<br />

Mr. Anonym <strong>von</strong> Franziska Berton 7<br />

Die letzte Party <strong>von</strong> Sabrina Brandl 17<br />

Tödlicher Schlaf <strong>von</strong> Nadine Egger 23<br />

David Jones <strong>von</strong> Anna-Maria Erhart 33<br />

Der dumpfe Knall <strong>von</strong> Jakob Frosch 41<br />

Dein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Helfer <strong>von</strong> Christina Grill 47<br />

Hass <strong>von</strong> Benno Hacker 57<br />

Blaue Augen <strong>von</strong> Eva Haim 61<br />

Das Leichenboot <strong>von</strong> Sara Hillbrand 71<br />

Ein Tag im Himmel <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> zurück <strong>von</strong> Lena Huber 76<br />

Empire State <strong>von</strong> Lisa Höber 87<br />

Der fast perfekte Mord <strong>von</strong> Sarah Mayer 97<br />

dreizehn <strong>von</strong> Lena Mittermair 108<br />

Geschwisterliebe <strong>von</strong> Christina Moser 116<br />

Tödlicher Umzug <strong>von</strong> Adrian Neuhuber 122<br />

Atemlos <strong>von</strong> Sophie Rastl 128<br />

Der Pfeilgift Mord <strong>von</strong> Jakob Schweitzer 141


Mord am Feuerkogel<br />

(Markus Amon)<br />

Wie<strong>der</strong> einmal war das Gössler Almfest. Wie auch so viele an<strong>der</strong>e war Susi zu diesem Anlass den<br />

weiten Weg aus dem Tal gekommen. Es wurde gelacht <strong>und</strong> auch so einige Biere <strong>und</strong> Schnäpse<br />

getrunken. Es wurde spät <strong>und</strong> Susi begann damit, sich zu verabschieden. “Ich glaube, ich werde<br />

jetzt schön langsam den Weg ins Tal antreten“, fügte sie noch hinzu.<br />

„Du kannst aber auch gerne bei mir in <strong>der</strong> Hütte schlafen <strong>und</strong> dann morgen zurück ins Tal gehen,<br />

sonst verletzt du dich zum Schluss noch“, bot Martha an. Susi <strong>und</strong> Martha kannten sich schon seit<br />

<strong>der</strong> Volksschulzeit <strong>und</strong> waren seit dem beste Fre<strong>und</strong>e.<br />

Susi nahm das Angebot gerne an. Martha meinte noch, dass die Hütte offen sei <strong>und</strong> dass sich Susi<br />

in das Bett auf <strong>der</strong> rechten Seite legen könne.<br />

Da Susi <strong>und</strong> Martha schon ewig befre<strong>und</strong>et waren, kannte sie genau den Weg zu <strong>der</strong> Hütte. Es war<br />

nicht weit, einfach nur geschätzte 150m dem Weg folgen <strong>und</strong> dann noch zweimal rechts gehen. Die<br />

Hütte lag neben dem Almweg bergaufwärts.<br />

Plötzlich sah sie eine Gestalt aus dem Dunkel <strong>der</strong> Nacht hervortreten. Sie erkannte aber sofort, dass<br />

es ihr Nachbar <strong>und</strong> guter Fre<strong>und</strong> Peter war. Sie begrüßten sich fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> Susi lud ihn auf einen<br />

Tee in die Hütte ein. Eine St<strong>und</strong>e später beschlossen die beiden einen Mondscheinspaziergang auf<br />

den Feuerkogel zu machen. Es war eine w<strong>und</strong>erschöne Nacht <strong>und</strong> Susi war so richtig in<br />

Hochstimmung. Oben am Feuerkogel angekommen, konnten die beiden die Wahnsinns Aussicht,<br />

durch den Vollmond über ihnen, bew<strong>und</strong>ern.<br />

Susi strahlte Peter an. Plötzlich packte er sie am Arm <strong>und</strong> zog sie grob zu sich.<br />

„Was soll das, Peter?“ Sie versuchte sich zu befreien, doch Peters Umklammerung wurde umso<br />

fester, je mehr sie sich wehrte. „Verdammt, du tust mir weh!“„Es soll auch weh tun.“ „Sag einmal,<br />

was soll das? Bist du verrückt geworden?“, röchelte sie noch halb benommen.„Sagt dir <strong>der</strong> Name<br />

Don Giovanni etwas?“<br />

Susi sah ihren vermeintlichen Fre<strong>und</strong> verständnislos an <strong>und</strong> plötzlich schossen Bil<strong>der</strong> durch ihren<br />

Kopf. Vor ihrem inneren Auge lief ein Film ab, Szenen, die vor vielen Jahren in Sardinien<br />

geschehen waren.<br />

Er würgte Susi bis sie keine Luft mehr bekam, dann lag sie leblos im Gras, <strong>und</strong> als wäre das nicht<br />

genug, stieß er ihr noch zur Sicherheit ein Messer mitten ins Herz! Susi lag blutüberströmt im<br />

taunassen Gras <strong>und</strong> rührte sich nicht mehr. Peter hatte ihr das Leben genommen, <strong>und</strong> dabei hatte sie<br />

ihren Nachbarn immer so gerne gehabt. Er nahm die tote Susi unter den Armen <strong>und</strong> schliff sie<br />

Richtung Abgr<strong>und</strong>, dort schmiss er den leblosen Körper in den Abgr<strong>und</strong>. Susi schlug noch einige<br />

3


Male auf, bevor sie dann endgültig liegen blieb. Peter war zufrieden, er hatte seinen Auftrag erfüllt.<br />

Sein Patron wird es ihm danken, da war er sich sicher.<br />

Als Martha in die Hütte kam, fielen ihr die beiden Teetassen auf dem Tisch auf. Hatte Susi Besuch<br />

gehabt? Sie schlich zur Schlafkammer, legte ihr Ohr an die Tür, lauschte. Kein Geräusch war zu<br />

hören. Vorsichtig öffnete sie die Tür einen Spalt breit, spähte in den Raum. Das Bett stand im<br />

hintern Eck. Obwohl kein Licht darauf fiel, sah Martha sofort, dass Susi nicht darin lag. Das Bett<br />

schien vollkommen unberührt zu sein.<br />

Martha schloss die Tür <strong>und</strong> wechselte in ihre eigene Schlafkammer. Im Bett grübelte sie noch eine<br />

Weile über die Teetassen <strong>und</strong> Susis Verschwinden nach. Irgendwann übermannte sie jedoch die<br />

Müdigkeit <strong>und</strong> sie schlief ein.<br />

Ein lautes Geräusch riss Martha aus ihrem Schlaf. Erschrocken fuhr sie hoch. Was war das<br />

gewesen? Es hatte wie ein lauter Schrei geklungen. In diesem Moment hörte sie es wie<strong>der</strong>.<br />

Eindeutig. Da draußen schrie sich jemand die Seele aus dem Leib. Ihr erster Gedanken gehörte ihrer<br />

Fre<strong>und</strong>in.<br />

Noch einmal. Erst jetzt erkannte sie, dass die Stimme zu einem Mann gehören musste, <strong>und</strong> dass<br />

diese Stimme ihren Namen brüllte.<br />

Schnell warf sich Martha ihren Morgenmantel über, rannte zur Haustüre, riss sie auf. Vor ihr stand<br />

Sepp, ihr Hüttennachbar.<br />

Er wollte sich gerade auf den Weg ins Tal machen, als er am Feuerkogel, eine Blutlacke fand. Als er<br />

<strong>der</strong> Blutspur folgte, welche <strong>der</strong> Lacke entsprang, machte er dann die furchtbare Entdeckung. Die<br />

Spur führte zum Abgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> da unten lag ein lebloser Körper.<br />

Sepp nahm mit einem Schrei den Almweg Richtung Tal, um zu <strong>der</strong> Stelle zu kommen, an <strong>der</strong> Susi<br />

lag. Martha lief so schnell sie konnte hinter Sepp nach <strong>und</strong> rief: ,, Was ist passiert? Warum schreist<br />

du so herum?“ Und Sepp schrie nur: ,, Komm mit, ich glaub, da ist etwas Furchtbares passiert!“<br />

Zehn Minuten später hatten die beiden dann die Unfallstelle erreicht. Sie hatte keinen Puls. Martha<br />

dachte an die beiden Teetassen in ihrer Hütte <strong>und</strong> meinte: ,, Das war kein Unfall“, <strong>und</strong> die<br />

Würgemale an Susis Hals waren eine Bestätigung für Martha. Sepp sagte spontan: ,, Die hat jemand<br />

vom Feuerkogel geschubst. Oben ist eine Blutlacke <strong>und</strong> eine Schleifspur bis zum Abgr<strong>und</strong>“. Martha<br />

sagte entsetzt: „ Wir müssen die Polizei rufen“.<br />

Aufgeregt warteten Martha <strong>und</strong> Sepp auf das Eintreffen <strong>der</strong> Polizei.<br />

Nach langen drei St<strong>und</strong>en war es endlich so weit, sie sahen wie am Fuße des Hanges zwei<br />

Bergretter <strong>und</strong> ein unbekannter Dritter, den Weg herauf kamen.<br />

Sepp wollte ihnen ein Stück entgegenlaufen, doch Martha wollte mit <strong>der</strong> toten Susi keine einzige<br />

4


Sek<strong>und</strong>e alleine zurückbleiben. Zwanzig Minuten später waren die drei endlich bei ihnen<br />

angekommen.<br />

„ Bin ich froh, dass ihr endlich da seid“, meinte Martha erleichtert. Auch Sepp konnte man ansehen,<br />

dass ihm leichter war.<br />

„Was ist passiert“, fragte <strong>der</strong> unbekannte Mann, <strong>der</strong> mit den Bergrettern gekommen war.<br />

„Wir hatten gestern ein Almfest, <strong>und</strong> eigentlich wollte die Susi bei mir in <strong>der</strong> Hütte übernachten,<br />

<strong>und</strong> als ich zurückkam, war sie nicht mehr da. Nur habe ich das gleich sehr eigenartig gef<strong>und</strong>en,<br />

dass zwei Teetassen auf dem Tisch gestanden sind. Da muss noch jemand in <strong>der</strong> Hütte gewesen<br />

sein,“ sprudelte es aus Martha heraus.<br />

Aha, meinte <strong>der</strong> Mann nur <strong>und</strong> sah sich nun die Leiche ganz genau an. Nachdem er auch den Boden<br />

r<strong>und</strong> um Susis Leiche genauestens untersucht hatte, meinte er: „Wo könnte hier in <strong>der</strong> Nähe ein<br />

Hubschrauber landen“?<br />

Einer <strong>der</strong> Bergretter sagte ihm, das oben auf <strong>der</strong> Gössler Alm genug Platz dazu ist, <strong>und</strong> dann<br />

funkten sie einen Polizeihubschrauber an.<br />

In <strong>der</strong> Zeit bis zum Eintreffen des Hubschraubers ging <strong>der</strong> Mann mit Martha <strong>und</strong> Sepp hinauf zur<br />

Hütte, um sich alles genau anzusehen.<br />

Dann erst stellte er sich als Kriminal-Oberkommissar Berger vor.<br />

Er fand das auch höchst merkwürdig, dass in <strong>der</strong> Hütte zwei Teetassen standen, <strong>und</strong> so stellte er sie<br />

gleich für eine DNA- Analyse sicher. Dann hörten sie schon den Hubschrauber kommen.<br />

Kommissar Berger ging gemeinsam mit den beiden zum Hubschrauberlandeplatz. Ein<br />

Spurensicherungsteam <strong>und</strong> ein Pathologe stiegen aus. Dann wurde ein Lagebericht gemacht <strong>und</strong> die<br />

Aufgaben eingeteilt. Der Pathologe <strong>und</strong> ein Mann <strong>der</strong> Spurensicherung gingen zu Susis Leiche, <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Kommissar, Martha, Sepp <strong>und</strong> <strong>der</strong> zweite Spurensicherer gingen auf den Feuerkogel.<br />

Der Spurensicherer brauchte nicht lange um festzustellen, dass am Feuerkogel ein Kampf um Leben<br />

<strong>und</strong> Tod stattgef<strong>und</strong>en haben muss, den Susi lei<strong>der</strong> verloren hat. Oberkommissar Berger fragte Sepp<br />

<strong>und</strong> Martha ob sie wüssten, ob Susi Feinde hatte. „Nein“, meinten beide, „ die Susi mochte je<strong>der</strong><br />

gerne“.<br />

Die Bergretter hatten in <strong>der</strong> Zwischenzeit die Leiche <strong>von</strong> Susi eingepackt <strong>und</strong> zum Hubschrauber<br />

transportiert. Sie brachten Susi dann auch gleich nach Salzburg um eine Autopsie vor zu nehmen.<br />

Kommissar Berger blieb noch einige Zeit mit <strong>der</strong> Spurensicherung auf <strong>der</strong> Gössler Alm. Am<br />

meisten Hoffnung legte er in die Teetasse, die er in Marthas Hütte gef<strong>und</strong>en hatte. Dann flog Berger<br />

mit dem Polizeihubschrauber ebenfalls nach Salzburg.<br />

Als die Fingerabdrücke <strong>und</strong> die DNA, die sich auf <strong>der</strong> Teetasse befanden, sichergestellt waren, kam<br />

5


<strong>der</strong> Kommissar zurück nach Gr<strong>und</strong>lsee um sich in Susis Haus <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Nachbarschaft umzusehen<br />

<strong>und</strong> umzuhören. Als er an Peters Haustür klopfte, dachte sich dieser: „Lass dir ja nichts anmerken“.<br />

„Grüss Gott“, sagte Berger zu Peter: „ich bin <strong>der</strong> leitende Ermittler im Fall <strong>von</strong> Frau Susanne<br />

Köberl, haben Sie diese Frau gut gekannt?“, fragte Berger mit ernster Miene. „Ja natürlich, ich<br />

wohn ja schon ein paar Monate neben ihr <strong>und</strong> sie wissen ja wie es am Gr<strong>und</strong>lsee ist, da kennt je<strong>der</strong><br />

jeden“, sagte Peter. „Woher kommen sie eigentlich ursprünglich Herr Stoiser?“, fragte Berger. „ Ich<br />

komme aus Vorarlberg, genauer gesagt aus Bregenz.“ Peter dachte sich, warum <strong>der</strong> Kommissar ihm<br />

all diese Fragen stellen würde, <strong>der</strong> konnte doch gar keinen Verdacht geschöpft haben! Als <strong>der</strong><br />

Kommissar dann auch noch sagte, dass er <strong>von</strong> sämtlichen Bekannten <strong>von</strong> Susi gerne DNA <strong>und</strong><br />

Fingerabdrücke haben würde, bekam Peter schön langsam Panik. Peter meinte zu Berger: „ Ich<br />

muss jetzt los, ich bin schon sehr spät dran, denn ich habe heute einen Zahnarzttermin.“ „Ja, dann<br />

will ich sie nicht mehr länger aufhalten Herr Stoiser, aber vergessen sie nicht später nach Bad<br />

Aussee auf den Polizeiposten zu kommen, um ihre Fingerabdrücke abzugeben.“ Fügte <strong>der</strong><br />

Kommissar noch im Gehen hinzu. Peter packte so schnell wie möglich das Wichtigste zusammen,<br />

<strong>und</strong> verschwand dann mit seinem Auto hinter <strong>der</strong> nächsten Kurve. Er kam natürlich nie beim<br />

Zahnarzt an <strong>und</strong> so ließ Kommissar Berger österreichweit nach ihn fahnden. Auf <strong>der</strong> Grenze zu<br />

Italien, wurde Peter Stoiser bereits gestoppt <strong>und</strong> umgehend nach Salzburg überstellt. Dort wartete<br />

Berger schon auf ihn.<br />

Peter konnte sich nicht mehr raus reden, viel zu eindeutig war seine Flucht, Berger wollte nur<br />

einfach wissen WARUM.<br />

Alles begann vor vielen Jahren auf Sardinien, Susi machte dort Urlaub <strong>und</strong> hatte beobachtet, wie<br />

sein Patron, Don Giovanni, in einer Taverne einem an<strong>der</strong>en Mann ein Messer in die Brust gerammt<br />

hatte. An Hand <strong>von</strong> Susis Aussage wurde Don Giovanni für zehn Jahre verurteilt <strong>und</strong> kam im<br />

Gefängnis ums Leben. Und so bin ich nach Österreich gekommen um meinen Patron <strong>und</strong> Bru<strong>der</strong><br />

Don Giovanni zu rächen.<br />

6


Dienstag, 00:05<br />

Mr. Anonym<br />

(Franziska Berton)<br />

Oh mein Gott! Schon Mitternacht! Und ich brauche noch die Hausübung für morgen. Verzweifelt<br />

starre ich auf den Bildschirm. Lisa wollte mir ihre Arbeit übermitteln, damit ich sie abschreiben<br />

kann. Natürlich ein bisschen verän<strong>der</strong>t, damit unsere Lehrerin nichts merkt. Dass jedoch bis jetzt<br />

nichts gekommen ist, ist ungewöhnlich für Lisa. Keine SMS. Keine Mail. Ich blicke alle paar<br />

Sek<strong>und</strong>en auf mein Handy.<br />

Endlich die E-Mail. …… Das ist nicht Lisas Adresse. anonym@a.com. Wem gehört diese Adresse?<br />

Kenne ich wen mit dieser Adresse? Nein. Wahrscheinlich eine Spam. Aber eine Spam ohne Betreff?<br />

.. Und klick. Was soll das wie<strong>der</strong> bedeuten: „450.“ Was bedeutet das? Google-Fenster auf <strong>und</strong><br />

Suche. Keine Ergebnisse. Okay, löschen <strong>und</strong> aus.<br />

Mittwoch, 06:30<br />

Ich reiße meine Augen auf <strong>und</strong> mein erster Gedanke gehört <strong>der</strong> Hausübung. Decke weg, Computer<br />

an. Während sich das Betriebssystem hochfährt, hole ich meine Zahnbürste. Explorer an, einloggen<br />

<strong>und</strong> Posteingang. Yeaah! Eine Mail. Waaaas!? Schon wie<strong>der</strong> <strong>von</strong> diesem anonym@a.com. Wie<strong>der</strong><br />

ohne Betreff. „450. Du entkommst mir nicht. Ich beobachte dich.“ Wer könnte das sein? Das ist<br />

keine Spam mehr. Aber einfach löschen, anziehen <strong>und</strong> ab in die Schule.<br />

Auf dem Weg zur Schule, 07:30<br />

Hmmmm, wer könnte mir diese E-Mails geschickt haben? Die Autos sausen an mir vorbei, doch<br />

keiner bleibt stehen, um mich über die Straße zu lassen. Endlich, einer bleibt stehen <strong>und</strong> ich hebe<br />

aus Dankbarkeit meine Hand. Nun schnell zum Bäcker.<br />

„Hallo Maria!“<br />

„Hallo Nelly!“<br />

„Ein Käsestangerl,bitte!“<br />

„ Zwei Minuten musst du warten, denn sie sind noch nicht ganz fertig.<br />

„Kein Problem.“<br />

Ach da steht dieser nette, ganz in Schwarz gekleidete Mann, <strong>der</strong> jeden Morgen um die gleiche Zeit<br />

hier Kaffee trinkt. Soviel ich weiß, ist sein Name Wolfgang.<br />

„Hallo Wolfgang.“<br />

„Hallo Nelly! Wie geht’s?“<br />

„Danke, sehr gut.“<br />

7


„Hier dein Käsestangerl.“<br />

„Danke, hier zwei Euro. Tschüss.“<br />

Schule, 07:59<br />

In fünf Minuten läutet es. Schnell rein in die Schule <strong>und</strong> rauf in die Klasse. Da steht Lisa am Gang.<br />

Mit was wedelt sie da? Was ist das in ihrer Hand?<br />

„Nelly! Deine Hausübung! Ich hab sie dir ausgedruckt. Ich hatte gestern kein Datenvolumen mehr<br />

<strong>und</strong> deswegen hab ich es dir heute einfach mitgebracht. „Man Lisa, danke. Ich habe schon gedacht,<br />

dass ich ohne Hausübung in den Unterricht muss.“<br />

Wir umarmen uns noch schnell <strong>und</strong> dann ab in die Klasse.<br />

13:32<br />

Endlich Zuhause. Ich geh schnell ins Internet <strong>und</strong> dann mach ich meine Aufgabe. Schon wie<strong>der</strong> eine<br />

E-Mail <strong>von</strong> diesem anonym. Diesmal steht: „348. Es ist zwecklos. Ich weiß alles über dich.“<br />

Oh nein! Ich hab Angst <strong>und</strong> meine Eltern kommen erst in vier Tagen aus dem Urlaub zurück. Was,<br />

wenn er zu mir nach Hause kommt? Meine Fre<strong>und</strong>innen werden es mir nicht glauben. Die werden<br />

meinen ich scherze, denn ich mache oft Scherze über solche Sachen. Und bevor sie es nicht selber<br />

sehen, lachen sie mich nur aus. Meinen Computer kann ich doch nicht in die Schule mitnehmen <strong>und</strong><br />

wenn ich alleine Zuhause bin, darf keiner zu mir kommen. Aber ich könnte die E-Mail ausdrucken.<br />

Ich drehe mich schnell zum Drucker, da fällt mir ein, dass die Tinte leer ist, <strong>und</strong> dass ich neue hätte<br />

besorgen sollen. An<strong>der</strong>e Idee. Ich leite die Mail einfach an Lisa weiter, dann wird sie mir glauben<br />

müssen. Vielleicht hilft sie mir sogar bei <strong>der</strong> Suche nach diesem Mr. Anonym. Mitteilung<br />

erfolgreich gesendet, steht auf dem Display meines Computers, doch es wird länger dauern bis Lisa<br />

diese Mail sieht, denn sie ist heute Nachmittag nicht zu Hause <strong>und</strong> morgen <strong>und</strong> übermorgen haben<br />

wir lange Schule. Und wenn sie ihre Mails checkt, dann meistens gleich nach <strong>der</strong> Schule. Ich<br />

könnte sie anrufen. Nein, doch nicht. Ich habe heute zu Mittag mein letztes Guthaben verbraucht,<br />

als ich meinen Eltern geschrieben habe, dass alles OK ist. Und zum Aufladen hab ich kein Geld. Es<br />

läuft mir kalt über den Rücken.<br />

Was soll ich jetzt tun? Ich hab Angst. Ich spüre wie mir <strong>der</strong> kalte Schweiß übers Gesicht läuft.<br />

Meine Hände <strong>und</strong> Knie zittern. „Ganz ruhig, Nelly“, versuche ich mich zu beruhigen. „Denk nach!<br />

Wer könnte das sein?“<br />

Es läutet an <strong>der</strong> Tür. Oh mein Gott!<br />

Ich schleiche aus meinem Zimmer.<br />

„Wer ist da?“, frage ich am Weg zur Tür.<br />

Schnell aber leise schleiche ich durch den kurzen <strong>und</strong> schmalen Vorraum.<br />

Keine Antwort.<br />

8


Bei <strong>der</strong> Tür trete ich einen Schritt beiseite. Jetzt bin ich mir absolut sicher, dass Anonym vor <strong>der</strong> Tür<br />

steht, ich habe mir gemerkt, dass Gangster gerne durch Türen schießen, das habe ich in einem Film<br />

gesehen. Verdammt! Jetzt kann ich nicht mehr durch den Spion schauen. Ich will nicht, dass mein<br />

Leben bald vorbei ist. Was habe ich diesem Mr. Anonym getan? Wie könnte ich mich wehren? Ich<br />

spüre, wie <strong>der</strong> warme Schweiß aus meinen Poren kommt. Ich frage noch einmal.<br />

„Wer ist da?“<br />

Es läutet wie<strong>der</strong>.<br />

Es läutet immer öfter <strong>und</strong> in kürzeren Abständen.<br />

Ich frage wie<strong>der</strong>: „Wer ist da?“<br />

Keine Antwort. Ich schaue mich um. Womit könnte ich mich bewaffnen?<br />

Nahe <strong>der</strong> Eingangstür liegt nichts. Die Pfanne, schießt es mir durch den Kopf. In <strong>der</strong> Küche steht<br />

die Gusseisen-Pfanne noch auf <strong>der</strong> Anrichte. Die ist schwer <strong>und</strong> als Waffe geeignet. So leise wie<br />

möglich stehle ich mich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Tür weg, Richtung Küche. Währenddessen wird <strong>der</strong> Besucher<br />

ungeduldiger. Er läutet in immer kürzeren Abständen. Die letzten Meter laufe ich, schnappe mir die<br />

Pfanne <strong>und</strong> gehe mit meiner Waffe im Anschlag zurück. Das Läuten verstummt. Hat er aufgegeben?<br />

Ich bin wie gelähmt. Ich weiß nicht wie mir zumute ist. Ich kann mich eine Zeit lang nicht<br />

bewegen. Ich stehe da, starre in die gelbe, gegenüberliegende Wand, die nur einen Schritt <strong>von</strong> mir<br />

entfernt ist.<br />

Jetzt bin ich mir sicher. Er ist weg. Langsam schaue ich durch den Spion.<br />

Nichts zu sehen.<br />

Total aufgebracht gehe ich ins Zimmer zurück. Ich muss mich beruhigen. Das Beste wäre jetzt,<br />

wenn ich mich ins Bett lege <strong>und</strong> versuche zu schlafen. So werde ich am schnellsten <strong>und</strong> am besten<br />

ruhig.<br />

Och du liebe Maria! Ich habe bis halb sechs geschlafen?! Egal ich bin zumindest ruhiger geworden.<br />

Doch jetzt habe ich Hunger. Raus aus dem Bett <strong>und</strong> ab in die Küche.<br />

Na toll. Ich war wie<strong>der</strong> nicht einkaufen. Eine Milch, zwei Joghurts <strong>und</strong> vertrocknete Tomaten sind<br />

im Kühlschrank. Ich nehme mir ein Joghurt heraus <strong>und</strong> mische es mit dem Müsli, das auf <strong>der</strong><br />

Anrichte steht.<br />

Das war jetzt gut. Doch mir geht noch immer das Klingeln <strong>von</strong> heute Mittag nicht aus dem Kopf.<br />

Wer verfolgt mich? Wer weiß, wo ich wohne? Wer ist <strong>der</strong> „Verfolger“?<br />

Ach ich muss noch den Müll raus tragen. Ich nehme den Mülleimer <strong>und</strong> gehe zur Haustür. Ich ziehe<br />

meine Schuhe an <strong>und</strong> begebe mich vorsichtig nach draußen.<br />

Oh nein! Da kommt Frau Stoller. Die hört nichts, also muss ich immer schreien <strong>und</strong> die fragt immer<br />

9


so viel.<br />

„Hallo Nelly!“<br />

„Hallo Frau Stoller.“<br />

„Wie gehst dir?“<br />

„Gut, danke. Ihnen?“<br />

„Auch gut. Ich war heute bei dir <strong>und</strong> habe geklingelt, doch keiner hat aufgemacht. Was war los?“<br />

Ach so. Das war die Frau Stoller. Und deswegen hat auch niemand auf meine Frage, wer da sei,<br />

geantwortet.<br />

„Ich war einkaufen. Hätten Sie was gebraucht?“, lüge ich.<br />

„Ich hatte keine Eier, aber ich war gerade welche kaufen.“<br />

„Okay dann. Ich muss lei<strong>der</strong> los. Auf Wie<strong>der</strong>sehen.“<br />

Mann, ich glaube das ganze Haus hat mich schreien gehört. Egal, zumindest habe ich jetzt Ruhe<br />

gef<strong>und</strong>en. Ich dachte wirklich, dass dieser Mr. Anonym vor <strong>der</strong> Tür steht. Hahaha, lächerlich.<br />

Ich rede mir ein, dass alles okay ist, doch ich habe noch immer Angst. Doch das ist keine normale<br />

Angst. Es war eine unangenehme Angst. Eine ganz unheimliche. Ich gehe in die Wohnung zurück.<br />

Dort begebe ich mich ins Zimmer <strong>und</strong> schalte den Fernseher ein.<br />

Nichts gibt es. Kin<strong>der</strong>sendung, Sportsendung, Leute mit ihren Problemen, Nachrichten. Oh mein<br />

Gott! Es gibt kein ordentliches Programm. Ich werde dann einfach ein Buch nehmen <strong>und</strong> lesen.<br />

Donnerstag, 06:31<br />

Neeeeiiin!! Okay, gut. Es war nur ein Traum. Dieser Mann wollte mich entführen. Egal, war nur ein<br />

Traum. So auf <strong>und</strong> ab in die Schule.<br />

Beim Bäcker, 07:25<br />

„Hallo Maria. Ein Mohnweckerl bitte.“<br />

„Ja sofort“<br />

„Hallo Wolfgang!“<br />

Hallo Nelly. Bist du noch immer alleine zu Hause?“<br />

„Ja. Meine Eltern kommen erst in drei Tagen.“<br />

„Hier dein bestelltes Mohnweckerl.“<br />

„Okay, danke. Tschüss.“<br />

In <strong>der</strong> Schulpause, 09:30<br />

„Hey Lisa. Du, ich hab da eine Frage. Könntest du mir bitte bei <strong>der</strong> Suche nach Mr. Anonym helfen.<br />

Ich weiß, du glaubst mir nicht, doch ich hab auch eine E-Mail <strong>von</strong> ihm an dich weitergeleitet. Bitte<br />

Lisa.“<br />

10


„Man Nelly. Das ist kein Problem. Du weißt doch, dass ich dir immer helfe.“<br />

„Danke Lisa.“<br />

„Dann fangen wir gleich heute nach <strong>der</strong> Schule an, okay?“<br />

„Okay danke.“<br />

Nach <strong>der</strong> Schule, 14:03<br />

„So welche Anhaltspunkte hast du?“<br />

„Ich hab nur E-Mails <strong>von</strong> Mr. Anonym bekommen.“<br />

„Okay, dann gehen wir zu dir <strong>und</strong> schauen uns die E-Mails an. Vielleicht finden wir irgendwelche<br />

Anhaltspunkte.“<br />

„Aber meine Eltern erfahren nicht, dass du bei mir warst.“<br />

„Bist du verrückt?!“<br />

Wir machen uns auf den Weg <strong>und</strong> kommen bei <strong>der</strong> Bäckerei vorbei, in <strong>der</strong> ich morgens immer mein<br />

Frühstück kaufe. Dann bei einem kleinen Supermarkt, vor dem ein Spielplatz liegt, man die Kin<strong>der</strong><br />

schreien <strong>und</strong> lachen hört.<br />

„Warum hast du mich nicht früher gebeten, dir zu helfen?“<br />

„Ich dachte, dass du mir nicht glauben würdest.“<br />

„Mensch Nelly. Du kannst immer zu mir kommen <strong>und</strong> werde dir immer helfen.“<br />

Mann, was würde ich ohne Lisa machen. Okay, wir sind zu Hause. Schnell ab ins Zimmer <strong>und</strong><br />

Computer an.<br />

Während das Betriebssystem des Computers hochfährt, frage ich Lisa ob sie Hunger hat.<br />

Sie lehnt ab.<br />

Internetfenster auf <strong>und</strong> schnell meine Mails checken. Eine neue E-Mail <strong>von</strong> Mr. Anonym ist<br />

angekommen. Drinnen steht: 450. Ich brauch das Geld <strong>von</strong> dir, bevor deine Eltern zu Hause sind!<br />

Ok, mir wird so einiges klar. Die Zahl die er immer mit geschickt hat, ist eine Geldsumme.<br />

Der will Geld <strong>von</strong> mir? Der weiß wohl, dass meine Mutter Maklerin <strong>und</strong> mein Vater Geschäftsmann<br />

ist.<br />

„Nelly, <strong>der</strong> will Geld <strong>von</strong> dir. Aber wie viel?“<br />

„Ich glaub, dass es etwas mit dieser Zahl zu tun hat.“<br />

„Ja, gute Idee. Okay 450 Euro sind zu wenig, aber 4 500 Euro könnte ich mir vorstellen.“<br />

„Ja, du hast Recht. Mehr wird <strong>der</strong> <strong>von</strong> mir doch nicht verlangen. Doch ich kann meine Eltern nicht<br />

bestehlen <strong>und</strong> wohin soll ich ihm das Geld bringen? Ich kann nicht einfach zum Save gehen <strong>und</strong> das<br />

Geld heraus nehmen, so eine Summe fällt auf. Doch wenn ich ihnen sage was los sei, also sie jetzt<br />

anrufe, dann kommen sie aus dem Erholungsurlaub zurück. Das will ich auch nicht. Ich brauche<br />

11


einen klaren Kopf. Komm, ich lad´ dich auf ein Eis ein.“<br />

Auf dem Weg zur Eisdiele kommen wir wie<strong>der</strong> an dem kleinen Supermarkt vorbei. Dort steht eine<br />

Gruppe <strong>von</strong> Frauen. Man hört sie tratschen.<br />

„Habt ihr gewusst, dass Wolfgang total hohe Schulden hat?“<br />

„Der Wolfgang Göngler?“<br />

„Ja, genau <strong>der</strong>.“<br />

Heißt nicht dieser Wolfgang, <strong>der</strong> immer beim Bäcker ist, Göngler?<br />

„Du Lisa. Ich hab einen Verdacht wer dieser Mr. Anonym sein könnte.“<br />

„Dann sag.“<br />

„Du erklärst mich aber nicht für verrückt, wenn ich dir das erzähle.“<br />

„Nein, <strong>und</strong> sag jetzt endlich.“<br />

Ich warte bis <strong>der</strong> gelbe LKW vorbeifährt <strong>und</strong> sag‘s ihr dann.<br />

„Die Frauen dort haben gerade über den Wolfgang Göngler erzählt, <strong>und</strong> dass <strong>der</strong> Schulden hat. Und<br />

er kennt meine Eltern gut <strong>und</strong> weiß, dass sie zurzeit nicht da sind.“<br />

„ Und du meinst jetzt, er stalkt dich? Das hört sich relativ logisch an. Nelly! Ich hab eine Idee. Du<br />

hast mir ja mal erzählt, dass er in <strong>der</strong> Früh immer beim Bäcker ist. Morgen schwänzen wir die<br />

Schule. Du wirst trotzdem so tun als ob du in die Schule gehst <strong>und</strong> kommst dann zu mir. Ich werde<br />

mich irgendwo verstecken wo ich einen Blick auf die Bäckerei hab. Wenn er dann raus kommt,<br />

gehe ich ihm nach. Warte kurz. Arbeitet er wo?“<br />

„Nope. Er ist arbeitslos.“<br />

„Okay gut. Also weiter im Plan. Ich geh ihm nach <strong>und</strong> du wirst dann auch nachkommen, doch Pass<br />

auf, dass dich keiner sieht.“<br />

„Sehr gute Idee.“<br />

Freitag. 07:00.<br />

Ich bin so aufgeregt. Ich hab fast gar nicht geschlafen. Hoffentlich kommen wir heute drauf, wer<br />

<strong>der</strong> Täter ist. Gleich treffe ich mich mit Lisa. Schnell fertig machen <strong>und</strong> ab.<br />

Bei <strong>der</strong> Bäckerei<br />

„Hey Lisa. Wie geht’s?“<br />

„Hey Nelly. Gut, dir?“<br />

„Hab nicht viel geschlafen, weil ich so aufgeregt war.“<br />

„Na dann gehen wir <strong>der</strong> Sache auf den Gr<strong>und</strong>.“<br />

„Aber Lisa, was willst du machen, wenn wir fertig sind, mit <strong>der</strong> Verfolgung?“<br />

„Lass dich überraschen!“<br />

12


„Okay.“<br />

„So <strong>und</strong> jetzt rein mit dir.“<br />

Ich springe über die niedrige Trennwand zwischen <strong>der</strong> Bäckerei <strong>und</strong> dem Gehsteig <strong>und</strong> laufe zur<br />

Tür. Durchatmen <strong>und</strong> rein.<br />

„Hallo Maria.“<br />

„Hallo Nelly.“<br />

„Ein Mohnweckerl, bitte“, sage ich zu Maria <strong>und</strong> drehe mich um, zu Wolfgang.<br />

„Hi Wolfgang.“<br />

„Hallo Nelly. Wie geht’s deinen Eltern?“<br />

„Sehr gut, danke <strong>der</strong> Nachfrage.“<br />

„Hier, bitteschön“, unterbricht uns Maria <strong>und</strong> übergibt mir das Mohnweckerl.<br />

Ich leg ihr das Geld hin <strong>und</strong> geh wie<strong>der</strong>.<br />

„Tschüss ihr beiden.“<br />

Ich öffne die Tür <strong>und</strong> sehe Lisa. Sie sieht mich neugierig an. Ich laufe mit einem Grinsen im<br />

Gesicht zu ihr <strong>und</strong> teile ihr mit, dass Wolfgang sich in <strong>der</strong> Bäckerei befindet.<br />

Nach einer halben St<strong>und</strong>e kommt er heraus <strong>und</strong> geht geradeaus. Lisa verfolgt ihn mit etwas<br />

Abstand, um nicht <strong>von</strong> ihm gesehen zu werden. Sie gibt mir übers Handy Bescheid, erklärt mir in<br />

unregelmäßigen Abständen, wo sie sich gerade befindet, damit ich auf dem Laufenden bleibe.<br />

Eine alte Frau geht mit einem kleinen Mops an mir vorbei. Ich beobachtet wie manche Menschen<br />

sorgenlos durch die Straßen gehen. An<strong>der</strong>e haben ein besorgtes Gesicht aufgesetzt <strong>und</strong> eilen durch<br />

die Straßen.<br />

Das Läuten meines Handys reißt mich aus den Gedanken. Ich hebe ab <strong>und</strong> Lisa beginnt sofort zu<br />

reden.<br />

„Komm zur Post Nelly. Beeile dich aber!“<br />

„Okay. Bin gleich da.“<br />

Ich springe auf <strong>und</strong> mache mich auf den Weg zur Post. Ich laufe fast. Warum soll ich mich beeilen?<br />

Was hat sie entdeckt? Ich biege um die Ecke <strong>und</strong> sehe Lisa hinter einem Busch. Ich laufe zu ihr <strong>und</strong><br />

frage was los ist.<br />

„Nelly, Wolfgang ist gerade in die Spielhalle hineingegangen <strong>und</strong> wenn man eins <strong>und</strong> eins<br />

zusammen zählt, weiß man, dass er spielsüchtig ist. Und ich glaube, dass eine größere Summe als<br />

4.500 Euro im Spiel ist. Ich glaube, dass 45. 000 Euro gemeint sind <strong>und</strong> das ist wirklich ein<br />

Problem.“<br />

„Nein Lisa. Bitte nicht.“ Ich spüre wie mir die Tränen die Wangen hinunterlaufen. Ich weine nicht<br />

13


aus Schmerz o<strong>der</strong> Verzweiflung, son<strong>der</strong>n, weil ich besorgt bin. „ Lisa, könntest du heute bei mir<br />

übernachten. Alleine habe ich Angst.“<br />

„Ja klar.“ Sie dreht sich zu mir <strong>und</strong> wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. „Mach dir keine<br />

Sorgen. Wir lösen den Fall.“<br />

„Danke Lisa, dass du mir hilfst.“<br />

„Kein Problem. Und jetzt warten wir bis er herauskommt.“<br />

Wir setzen uns im Schnei<strong>der</strong>sitz hin <strong>und</strong> warten. Lisa erzählt mir wie es in <strong>der</strong> Therme war, die sie<br />

letztes Wochenende mit ihren Eltern besuchte. Nachdem sie mir alle Details über die Therme <strong>und</strong><br />

über die ach-so-tollen Jungs erzählt hat, blicken wir zur verdunkelten Tür. Sie geht langsam auf <strong>und</strong><br />

Wolfgang kommt wie<strong>der</strong> raus.<br />

„Ach, da hat wohl jemand kein Geld mehr, o<strong>der</strong> warum ist <strong>der</strong> so schnell“, kommentiert Lisa<br />

spöttisch. „Ich geh ihm wie<strong>der</strong> nach <strong>und</strong> du gehst eine Minute später los. Okay?“<br />

„Okay, aber du hast mir noch immer nicht die Überraschung gesagt.“<br />

„Wart nur ab.“<br />

Sie dreht sich um <strong>und</strong> folgt Wolfgang. Da sitze ich wie<strong>der</strong> <strong>und</strong> warte bis ich losgehen kann, aber<br />

diesmal muss ich nicht lange warten. Eine Minute ist schnell vorbei, dann mache auch ich mich auf<br />

den Weg.<br />

Wolfgang geht am Gehsteig. Keine auffälligen Bewegungen o<strong>der</strong> Aktionen. Er wirkt ruhig. Man<br />

sieht ihm gar nicht an, dass er jemanden bedroht o<strong>der</strong> spielsüchtig ist.<br />

Lisa biegt in die Glöcknergasse ein, ich folge ihr.<br />

Als ich dort angekommen bin, hockt sie schon hinter einer niedrigen Wand.<br />

„Er ist in dieses Haus vor uns reingegangen. Ich schätze er wohnt hier.“<br />

„Ich geh schnell an <strong>der</strong> Glocke schauen.“<br />

Ich stehe auf <strong>und</strong> laufe schnell hin. Ja, Glöckner, steht da. Ich schleiche zurück.<br />

„Ja er wohnt hier. Und sogar im Erdgeschoss.“<br />

„Perfekt <strong>und</strong> jetzt sag ich dir die Überraschung. Ich hab einen „Zauberschlüssel“ besorgt. Das<br />

bedeutet, dass <strong>der</strong> Schlüssel für alle Schlösser passt.“<br />

„Wo hast du so was her?“<br />

„Aus unserer Schlosserei. Wenn wer mal den Schlüssel verliert, hat mein Vater so etwas <strong>und</strong> ich hab<br />

ihm halt einen gestohlen. Fällt eh nicht auf.“<br />

„Wow Lisa, aber wir können nicht rein so lange er drinnen ist.“<br />

„Warte ich bin noch nicht fertig. Ich hab herausgef<strong>und</strong>en, dass er heute um 13:00 Uhr in den<br />

Karten-Klub geht. Dort treffen sich Männer die alle möglichen Kartenspiele spielen.“<br />

14


„Und es ist 13:30, also ist er gleich weg.“<br />

„Gehen wir in <strong>der</strong> Zwischenzeit ein Eis kaufen?“<br />

„Ja gern. Ich lade dich ein.“<br />

„Okay danke.“<br />

13:03 vor Wolfgangs Haus<br />

Wir setzen uns hinter den Busch <strong>und</strong> warten bis Wolfgang vorbei geht. Was wenn er uns sieht? Tut<br />

er uns dann was an?<br />

Ich will gar nicht daran denken. Die Tür des Wohnhauses geht auf. Wir heben unseren Kopf<br />

langsam <strong>und</strong> sehen nach. Es ist Wolfgang. Beide halten die Luft an. Er soll ja nicht hersehen. Bitte<br />

nicht! Er kommt ums Eck, setzt seinen Hut auf <strong>und</strong> geht an uns vorbei. Er sieht nicht her.<br />

„He Nelly. Die Luft ist rein.“<br />

„Na dann.“<br />

Wir stehen auf <strong>und</strong> begeben uns vors Haus. Lisa macht sich schon auf den Weg, um die Tür zu<br />

öffnen. Als ich mir das Haus ansehe, fällt mir auf dass Wolfgangs Fenster offen ist.<br />

„Du Lisa. Komm mal.“<br />

„Ja bitte. Was ist los?“<br />

„Heute ist unser Glückstag. Wolfgang hat sein Fenster offen gelassen.“<br />

„Nicht dein Ernst. Okay dann gehen wir halt durchs Fenster rein.“<br />

Wir gehen auf dem schmalen Kiesweg zum Fenster <strong>und</strong> springen rein.<br />

Hmm, altmodisch eingerichtet hier.<br />

„Nelly, komm schon. Ich hab den Computer gef<strong>und</strong>en.“<br />

„Ach super. Komme schon.“<br />

Ich gehe durchs kleine Wohnzimmer in sein Schlafzimmer. Hier müffelt es. Ich stell mich neben<br />

Lisa <strong>und</strong> wir haben Glück, denn er hat die Seite mit seiner E-Mail offen gelassen.<br />

Ich lese, dass er mir vor zwei Minuten eine E-Mail geschrieben hat. Ich werfe ein Blick auf mein<br />

Handy <strong>und</strong> sehe die Nachricht.<br />

„Nelly, hast du die E-Mail schon bekommen.“<br />

„Ja warte. Ich les sie dir vor:<br />

Hallo Nelly! Kannst du dich nicht mal melden. Du hast noch vier St<strong>und</strong>en Zeit, dann will ich das<br />

Geld auf dem Spielplatz beim Kin<strong>der</strong>garten im Sand vergraben finden. 450.<br />

„Tja, Pech für ihn. Wir können jetzt alles <strong>der</strong> Polizei erzählen.“<br />

Ich sehe wie Lisa einen kleinen Zettel in <strong>der</strong> Hand hält. Sie liest ihn vor:<br />

„Freitag, 17:00, Uhr Geld abholen!! (4 500euro)“<br />

15


„Ha, <strong>der</strong> weiß wohl nicht, dass ich die beste Fre<strong>und</strong>in hab, die mir bei allem hilft <strong>und</strong> mit mir jedes<br />

Problem löst.“<br />

Ich hole mein Handy heraus, wähle die Nummer <strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong> erzähle ihr, dass mich wer übers<br />

Internet bedroht hat, <strong>und</strong> dass ich jetzt endlich weiß wer er ist. Ich habe ihnen auch die Adresse<br />

gesagt.<br />

Nach fünf Minuten hören ich <strong>und</strong> Lisa die Sirenen. Ich bin so erleichtert. Ich habe sofort ein<br />

Grinsen im Gesicht.<br />

Die Polizisten kommen wie die Verrückten zur Tür herein gestürmt. Ich zeige ihnen den Computer<br />

<strong>und</strong> einer <strong>der</strong> Polizisten nimmt uns zum Verhör mit. Ich erzähle ihm alles, auch dass meine Eltern<br />

nicht da sind. Er meint erst ob das nicht gefährlich sei, doch dann fällt ihm ein, dass ich vierzehn<br />

bin. Er ruft meine Eltern an <strong>und</strong> erzählt ihnen alles, danach gibt er mir das Telefon.<br />

Mein Papa meldet sich <strong>und</strong> sagt:“ Kind was machst du nur für Sachen. Nein ich scherze nur. Wenn<br />

nächstes Mal etwas los ist, sage es uns. Aber weißt du was, ich <strong>und</strong> Mama nehmen den Flieger in<br />

einer St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> dann sehen wir uns in drei St<strong>und</strong>en.“<br />

„Okay Papa“<br />

Wir verabschieden uns <strong>und</strong> die Polizei bringt mich <strong>und</strong> Lisa heim.<br />

Wir öffnen die Tür <strong>und</strong> ich begebe mich gleich ins Zimmer <strong>und</strong> lege mich auf mein Bett. Ich denke<br />

nach. Was wäre gewesen wenn ich es ignoriert habe? O<strong>der</strong> was wenn..? Ich bin zu müde, um<br />

nachzudenken. Die ganze Aktion hat mich fertig gemacht.<br />

„Guten Morgen, Schatz“, ich höre die sanfte Stimme meines Vaters.<br />

Ich muss wohl eingeschlafen sein.<br />

Mein Vater drückt mich <strong>und</strong> sagt: “Nächstes Mal spielst du nicht Detektiv!<br />

Du kannst mit jedem Problem zu uns kommen.“<br />

16


Die letzte Party<br />

(Sabrina Brandl)<br />

Die Tanzpaare tanzten eng umschlungen zu den Klängen. Es war Abschlussfeier in einer Schule.<br />

Der Saal war brechend voll <strong>und</strong> es schien, als fehle niemand.<br />

“Buuuuuuuum!!“<br />

Plötzlich riss ein lauter Knall die tanzende Menge aus ihrer Umarmung. Augenblicklich war die<br />

Musik tot <strong>und</strong> die Gäste des Schulballs schauten fragend umher. Niemand schien zu begreifen, was<br />

soeben passiert war. Es waren so viele Leute im Festsaal, dass man gar nicht feststellen konnte, ob<br />

jemand fehlt. Doch Vali wusste, dass seine Fre<strong>und</strong>in Nici kurz den Raum verlassen wollte.<br />

Vali rannte in den Nebenraum. Er wusste das seine Fre<strong>und</strong>in in den Nebenraum wollte weil sie ihre<br />

Handtasche dort liegen hatte <strong>und</strong> sie wollte ihr Handy hohlen um ein paar Bil<strong>der</strong> zu machen.<br />

Doch seine Fre<strong>und</strong>in war nicht da. Er konnte nichts Verdächtiges erkennen, nur das seine Fre<strong>und</strong>in<br />

nicht hier war, ihre Handtasche aber schon. Er überlegte wo<strong>von</strong> <strong>der</strong> Knall kam? War es ein Schuss<br />

o<strong>der</strong> wurde in <strong>der</strong> Nähe etwas gesprengt? Und hatte Nici was damit zu tun? Sie war ja nicht hier wo<br />

sein sollte. Er kannte sich nicht mehr aus. Langsam lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken,<br />

denn er hatte sehr Angst um seine Fre<strong>und</strong>in. Panik machte sich in ihm breit. Wo verdammt war<br />

Nici? Was war hier passiert? Er würde gerne seine Fre<strong>und</strong>e um Hilfe bitten, aber würde ihn die<br />

an<strong>der</strong>en auslachen, wenn er sich um seine Fre<strong>und</strong>in sorgte, nur weil sie kurz den Saal verlassen<br />

hatte? Er, <strong>der</strong> coole Vali, <strong>der</strong> sich um nichts <strong>und</strong> niemanden sorgte wurde panisch, nur weil Nici sich<br />

<strong>von</strong> ihm entfernt hatte, würden sie lachen. Egal, dieses Risiko musste er eingehen. So schnell er<br />

konnte, lief er in den Saal zurück. Dort versuchten einige Schüler, die sich nicht um den Knall<br />

interessierten, die Musik wie<strong>der</strong> in Gang zu setzen.<br />

Er rannte zuerst in die Klasse wo die Matratzen aufgebaut waren. Dann rief er Ben <strong>und</strong> Silvi an. Sie<br />

kamen sofort nach oben <strong>und</strong> halfen Vali beim Suchen. Silvi lief zuerst ins Mädchen WC. Dort war<br />

sie nicht. Ben lief zum Kaffeeautomaten. Da war sie wie<strong>der</strong> nicht. Vali versuchte Nici anzurufen,<br />

doch sie ging nicht ran. Die drei trafen sich wie<strong>der</strong> im Stiegenhaus. Sie teilten sich mit, dass<br />

niemand Nicoletta gef<strong>und</strong>en hatte. „Schon langsam gerate ich in Panik! Scheiße! Wo ist sie<br />

verdammt ??“, rief Ben angespannt. Alle stimmten ihm zu. Sie beschlossen aber keinen Elefanten<br />

aus dieser Sache zu machen <strong>und</strong> weiter zu suchen. Sie wollten es den an<strong>der</strong>en nicht erzählen, denn<br />

es würde Panik ausbrechen. Es könnte ja auch sein, dass Nicoletta einen Scherz machen wollte <strong>und</strong><br />

allen einen Schrecken einjagen will. Plötzlich fiel Vali ein, dass Nici vielleicht raus gehen wollte.<br />

17


Die drei rannten zum Ausgang. Doch was sie da sahen, glaubte ihnen zuerst keiner….<br />

Sie sahen Nicoletta. Aber wie? Sie war tot. Sie hang blutüberströmt am Baum. Es sah schlimm aus.<br />

Keiner konnte es glauben. Silvi brach in Tränen aus, sackte zusammen. ,,Wieso? Wieso sie? Nein!<br />

Bitte nicht!“, schrie sie unentwegt, Sie lag am Boden <strong>und</strong> war nicht mehr ansprechbar.<br />

Vali sagte kein Wort. Und Ben sprach kein Wort. Vali versuchte zu fliehen. hinaus zu laufen. Doch<br />

die Tür ging nicht auf. Sie standen vor <strong>der</strong> Eingangstür, sahen die tote Nicoletta aber bekamen die<br />

Tür nicht auf um raus zu laufen. Es war schlimm für die drei einfach dazu stehen <strong>und</strong> nicht zu ihr<br />

laufen zu können. Ben versuchte Silvi zu trösten während Vali Gegend die Tür trat. Vergeblich.<br />

Sie schrie wie am Stiel. So laut das inzwischen schon mehrere Leute angerannt kamen <strong>und</strong> sehen<br />

wollten, was los war. Ben schickte alle wie<strong>der</strong> zurück in den Festraum <strong>und</strong> sagte dass es nicht so<br />

schlimm sei <strong>und</strong> dass es sich um ein privates Problem handelte.<br />

Sie wollten nicht, dass jemand bemerkt was gerade los ist. Es ist unglaublich für alle <strong>und</strong> sie wollen<br />

die an<strong>der</strong>en nicht damit belasten. Sie wollten den unerwarteten Tod aufdecken. Sie wollten wissen<br />

wer so etwas macht. O<strong>der</strong> hat sie es selbst gemacht? Aber warum so auffällig? Sie fragten sich<br />

warum die Türe zum raus gehen geschlossen war. Da rannte Vali zum Hintereingang, doch dieser<br />

war auch geschlossen. Es brach erneute Panik auf. Was sollte Vali auch tun? Jemanden anrufen?<br />

Wäre ja eine gute Idee. Wenn er Empfang hätte. Hat er aber nicht. Er rannte zurück zu Ben <strong>und</strong><br />

Silvi. Doch wo sind sie jetzt hin? Nicht mehr da!<br />

,,Scheiße! Silvi !?! Ben!?! Wo seit ihr????‘‘<br />

Doch keiner meldete sich. Vali wollte sein Handy heraus hohlen. Doch wo war es jetzt? Jetzt hat er<br />

sein Handy auch noch verloren. Beim Eingang hätte er Empfang, dass weiß er. Er lief zurück zum<br />

Hintereingang um sein Handy zu suchen. Plötzlich hörte er einen Schrei. Es klang nach dem Schrei<br />

<strong>von</strong> Silvi. Und Ben hörte man auch. Er fragte sich wo die beiden sind. Eine Tür wurde aufgerissen.<br />

Es rannte jemand heraus. Eine sehr dicke Person. Ganz schwarz angezogen. Man konnte nicht<br />

erkennen ob diese Person männlich o<strong>der</strong> weiblich war. Vali wollte hinterher laufen, doch seine Füße<br />

waren wie angewachsen. Die Tür stand nun offen. Er ging langsam hin <strong>und</strong> sah Ben <strong>und</strong> Silvi an<br />

zwei Stühlen aneinan<strong>der</strong> geb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ein Tuch in den M<strong>und</strong> gesteckt. Vali packte sein<br />

Taschenmesser aus <strong>und</strong> fing an die beiden zu befreien. Es dauert gefüllte zehn Minuten bis er Silvi<br />

befreit hatte. Und dann noch einmal so lange für Ben. Alle hatten einen Schock. Silvi <strong>und</strong> Ben<br />

wussten auch nicht wer diese Person war <strong>und</strong> warum diese Person das machte. Alle waren verwirrt.<br />

Da lief die Person wie<strong>der</strong> vorbei ……<br />

18


Vali lief ihm hinterher. So schnell er konnte. Jetzt lief diese Person die Stiegen hinauf. Ganz hinauf.<br />

Silvi <strong>und</strong> Ben liefen genauso hinterher. Vali war aber um einiges schneller, kam <strong>der</strong> schwarzen<br />

Gestalt aber nicht gut hinterher, weil die Person ja etwas Vorsprung hatte.<br />

Die Gestalt lief die Stiegen im Schulhaus so hoch hinauf, wo Vali, Silvi <strong>und</strong> Ben noch nie waren. Es<br />

musste <strong>der</strong> Dachboden sein. Es war stockdunkel. Man sah gar nichts. Die Schwarze Person sah man<br />

auch nicht mehr. Silvi schaltete die Handylampe ein. Lei<strong>der</strong> war diese auch nicht mehr so gut zu<br />

benützen, da ihr Handy fast keinen Akku mehr hatte. ,,Scheiße ! Mein Handy hat bald keinen Akku<br />

mehr. Was machen wir jetzt? Was wenn dieser Idiot uns da<strong>von</strong> kommt? Dann ist Nicoletta<br />

gestorben ohne dass wir den Täter erfasst haben. Dieser Idiot muss gestraft werden!‘‘, sagte Silvi<br />

leicht nervös. ,,Silvi jetzt beruhig dich erst Mal. Wir schaffen es schon diesen Vollidioten zu fassen.<br />

Und wenn er uns entkommt schalten wir so schnell wie möglich die Polizei ein. Ich frage mich<br />

wieso wir das nicht gleich gemacht haben. Jetzt ist es zu spät. Keinen Empfang am Handy <strong>und</strong> raus<br />

können wir hier auch nicht.‘‘, versuchte Ben Silvi zu beruhigen. Er schaffte es ziemlich wenig. Aber<br />

er schaffte es, dass Silvi ein klein wenig ruhiger wurde. Ben drehte sich um <strong>und</strong> schrie:,, Scheiße!<br />

Dieser Idiot hat uns eingesperrt. Er hat gerade die Türe zu gesperrt. Scheiße verdammt! Jetzt<br />

können wir auch sterben. Nein! ‘‘<br />

Silvi ließ sich langsam <strong>und</strong> schleppend auf den Boden fallen. Man sah ihr ihre Verzweiflung sehr<br />

an. Auch Vali wusste sich nicht mehr zu helfen. Der einzige <strong>der</strong> noch einen Ausweg aus dem<br />

dunklen Dachboden suchte war Beni. Aber nach wie vor ohne Erfolg. Langsam blinkte <strong>der</strong><br />

Akkuwarner auf dem Handy. Sie mussten jetzt schnell einen Ausweg aus dieser Dunkelheit finde.<br />

Plötzlich sah Silvi ein kleines silbernes Fenster, so groß, dass sie durch passen könnten neben einem<br />

großen Kasten vollgestellt mit Schachteln. Sie sprang auf <strong>und</strong> lief zu dem Fenster <strong>und</strong> versuchte es<br />

zu öffnen. Vergeblich! ,,Hey Jungs! Helft mir mal schnell dieses Fensterartiges Teil auf zu machen.<br />

Vielleicht könnten wir dadurch flüchten.‘‘, schrie Silvi den Jungs zu. Beni sprang sofort auf in<br />

Gegensatz zu Vali. Vali wurde gerade alles klar. Seine Fre<strong>und</strong>in war tot. Jetzt begriff er erst alles. Es<br />

war ein schlimmes Gefühl. Ben nahm eine lange Eisenstange <strong>und</strong> schlug gegen das Fenster. Da<br />

merkte er, dass es leicht auf gehen würde. Es war aber kein Fenster. Es war ein dünner Gang wo<br />

man in den Wänden <strong>der</strong> Schule herum kriechen konnte. Sie hatten keine Ahnung für was es gut war<br />

aber vielleicht könnten sie ja dadurch flüchte. Ben schrie Vali zu:,, Komm schon Vali! Wir haben<br />

einen Ausweg gef<strong>und</strong>en. Da kommen wir vielleicht raus <strong>und</strong> melden es gleich einen Lehrer. Komm<br />

jetzt!‘‘ Vali stand langsam auf <strong>und</strong> ging mit einem gesenkten Kopf zu den an<strong>der</strong>en. Vali war immer<br />

<strong>der</strong> Coole <strong>und</strong> <strong>der</strong> Schwarm <strong>von</strong> <strong>der</strong> ganzen Schule. Und nun zeigte er Gefühle. Gefühle die noch<br />

niemand bei ihm gesehen hatte. Es war traurig. Ben kroch als erstes in diesen komischen Gang. Es<br />

19


war sehr eng <strong>und</strong> es roch ziemlich eigenartig. Man konnte nur auf den Knien <strong>und</strong> auf Händen herum<br />

krabbeln. Dicht hinter Ben war Silvi <strong>und</strong> mit einem kleinen Abstand dann auch Vali. Es war so zu<br />

sagen eine lange Reise durch die Gänge. Aber endlich schrie Ben: ,,Da ist ein Ausgang. Da geht es<br />

raus! Endlich!‘‘ Sie kamen im Damen WC <strong>der</strong> Schule heraus. Sie sprangen nach <strong>der</strong> Reihe aus dem<br />

Gang <strong>und</strong> rannten raus. Da stand die schwarze Gestalt bei <strong>der</strong> Stiege <strong>und</strong> schaute die drei wütend<br />

an. Man sah das Gesicht. Ihr Gesicht. Das Gesicht <strong>von</strong> dem man es am wenigsten erwartet hätte.<br />

Es war Nici. Es war das Gesicht <strong>von</strong> <strong>der</strong> w<strong>und</strong>erschönen Nicoletta Rodalfo. Aber wieso? War sie<br />

nicht tot? O<strong>der</strong> wer war das dann auf dem Baum?<br />

,,Nici? Du lebst noch?‘‘, schrie Vali. Er wollte hin laufen um sie zu umarmen aber sie erwi<strong>der</strong>te<br />

diese Umarmung nicht. Sie drückte ihn weg. Sie schrie Vali an: ,,Lass mich! Lasst mich alle in<br />

Ruhe! Ihr geht mir alles so <strong>der</strong>maßen auf die Nerven. Mit eurem beste Fre<strong>und</strong>e Getue. Ihr braucht<br />

mich ja eh alle nur weil ich so w<strong>und</strong>erhübsch bin. Ich meine schaut mich an? Und dann schaut euch<br />

an. Keiner versteht mich <strong>von</strong> euch. KEINER! Und ich brauch euch nur um beliebter zu werden da<br />

ich noch nicht lange hier wohne. Das habe ich geschafft. Ich bin die Schönheit <strong>der</strong> Schule. Also<br />

verschwindet jetzt.‘‘<br />

,,Aber wieso? Wieso? Du hast doch Vali geliebt <strong>und</strong> ich war deine beste Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Ben dein<br />

bester Fre<strong>und</strong>. Und wieso bist du überhaupt hier? Du hängst ja am Baum. T-t-t-tot.‘‘, fragte Silvi.<br />

,,Ach kommt schon! Ihr seid alle so naiv. Ihr habt keine Ahnung. Ich brauch euch nicht. Ich hab<br />

euch nur ausgenutzt! Und dich Vali? Dich hab ich sowieso nie geliebt. Ich hasse euch alle!‘‘ , rief<br />

Nici mit einem bösen Blick im Gesicht <strong>und</strong> rannte nun die Stiege hinunter. Während dem Laufen<br />

griff sie sich plötzlich unter ihren viel zu großen Pullover <strong>und</strong> zog zwei große Polster heraus. Daher<br />

sah sie auch so dick aus. Diese schmiss sie auf die Stiege um schneller laufen zu können. Sie lief<br />

weiter <strong>und</strong> Vali, Silvi <strong>und</strong> Ben liefen ihr hinterher. Plötzlich brach Nicoletta zusammen. Sie lag<br />

leblos auf dem Boden. Silvi stürzte sich sofort auf sie. Ben rannte weiter <strong>und</strong> wollte einen Lehrer<br />

holen. Er fand gerade keinen also lief er wie<strong>der</strong> zurück. Er sah das Nici die Augen auf hatte <strong>und</strong><br />

leise sagte:,, Ich kann nicht mehr. Bringt mich um! Tötet mich verdammt! Ich habe einen Mord<br />

begangen. Ich bin ein Mör<strong>der</strong>!‘‘ Sie weinte, sie weinte so sehr, wie sie noch niemand bevor gesehen<br />

hat. Plötzlich nahm sie ein blutiges Messer aus Hosentasche. Es wussten sofort alle was sie jetzt<br />

wollte. Sie wollte sich umbringen. Ben wollte ihr das Messer aus <strong>der</strong> Hand reißen, da steckte das<br />

Messer bereits in ihrem Bauch. Man konnte langsam sehen wie ihr die Augen zufielen. Silvi rief die<br />

Rettung an. In dieser Zeit versuchten alle Nici am Leben zu halten. Sie durfte einfach nicht<br />

einschlafen! Nicoletta war schon länger krank. Keiner wusste genau was sie hatte. Man sah es ihr<br />

nicht wirklich an, aber es fehlte ihr etwas. Als Silvi am nächsten Tag ins Krankenhaus fuhr,<br />

20


überlegte sie im Bus, was sie jetzt zu dem Arzt sagen sollte, <strong>der</strong> sie gestern bat für ein Gespräch ins<br />

Krankenhaus zu kommen. Als sie ankam wurde sie sofort <strong>von</strong> einem Arzt erwartet. Silvi fragte<br />

gleich mit Tränen in den Augen: ,, Wie geht es ihr? Lebt sie noch? Oh mein Gott! Was ist nur mit<br />

ihr los? ‘‘ Er erklärte ihr die Situation, dass sie außer Lebensgefahr ist, aber noch nicht ansprechbar<br />

ist. Jetzt fragte er sie, ob sie etwas zu diesem Fall weiß. Sie überlegte nicht lang, atmete tief ein <strong>und</strong><br />

fing mit einem traurigen <strong>und</strong> fertigen Ton an: ,, Sie litt unter Magersucht, schon länger. Aber sie<br />

sagte mir immer, dass es nicht so schlimm sei <strong>und</strong> dass sie nicht zu dünn sei. Am Ende wurde sie<br />

immer dünner <strong>und</strong> aß nichts mehr. Wir gingen mit ihr zu einem Beratungsgespräch, aber sie redete<br />

nichts mit dem Psychologen. Sie hatte auch Probleme zu Hause. Ihr Vater hatte eine Affäre mit <strong>der</strong><br />

Mutter <strong>von</strong> dem Opfer. Die Mutter <strong>von</strong> Nicoletta saß tagelang nur mehr da <strong>und</strong> heulte. Es war<br />

schlimm für Nicoletta an zu sehen wie ihre Mutter litt, weil Nici absolut nichts dagegen machen<br />

konnte. Sie liebt ihre Mutter wie eine Fre<strong>und</strong>in. ‘‘ ,,Wie heißt das Opfer?‘‘, fragte er interessiert. Sie<br />

antwortete ihm leise: ,, Tabea. Tabea Lindner glaube ich. Sie war zwei Jahrgänge hinter uns. Sie sah<br />

Nicoletta ziemlich ähnlich. Blonde, lange Haare, gleicher Style, ähnliche Größe. Es passt alles<br />

zusammen. Es war eine Tat aus Rache an die Mutter <strong>von</strong> dieser Tabea, die Nicolettas Familie<br />

zerstörte‘‘ Der Arzt bedankte sich für das lange Gespräch <strong>und</strong> verabschiedete sich. Als Silvi nach<br />

Hause ging, traf sie Vali auf <strong>der</strong> Straße. Er sah immer noch ziemlich nie<strong>der</strong>geschlagen aus. Silvi<br />

rannte zu ihm hin <strong>und</strong> fragte ihn:,, Weißt du jetzt schon alles über den Mordgr<strong>und</strong> <strong>und</strong> dem ganzen?<br />

Da du ja jetzt bei deinem Vater in Holland gewesen bist‘‘<br />

,,Nein ich weiß gar nichts. Ich wollte gerade zu dir gehen, da du dein Handy ausgeschaltet hast. Wie<br />

geht es ihr? L-l-l-lebt sie noch? ‘‘, sagte er verzweifelt zu Silvi.<br />

,, Ja sie lebt noch. Sie wurde gerade operiert. Sie wird noch lange im Krankenhaus verbringen <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Arzt glaubt auch, dass sie danach in die Psychiatrie kommen wird, wegen ihrer Magersucht ‘‘,<br />

erklärte sie ihm. Sie erzählte ihm noch alles was sie dem Arzt auch sagte.<br />

Das letzte dass Vali sagte, war: ,, Es wird nichts mehr so wie zu vor!<br />

21


Tödlicher Schlaf<br />

(Nadine Egger)<br />

Sie flieht. Sie ist barfuß. Ihre Füße sind w<strong>und</strong> <strong>von</strong> den vielen Steinen, welche sich wie Glasscherben<br />

anfühlen. Immer wie<strong>der</strong> dreht sie sich um, als ob jemand sie verfolgt. Die zerrissenen Klei<strong>der</strong><br />

flattern in <strong>der</strong> kühlen Nachtluft. Sie spürt, dass etwas Warmes, Flüssiges über ihre zierlichen<br />

Wangen läuft. Blut. Die Zweige <strong>und</strong> Äste <strong>der</strong> vielen Bäume schneiden ihr wie Messer in ihre Haut.<br />

Wie<strong>der</strong> dreht sie sich panisch um. Sie hört Geräusche. Jetzt fühlt sie, dass ihr diese warme, klebrige<br />

Flüssigkeit auch <strong>von</strong> ihren langen, blonden Haare tropft. Ein letztes Mal dreht sie sich noch um. Da<br />

steht es, stürzt sich auf sie. Sie fällt.<br />

Inspektor Baloon sitzt gemütlich in seinem breiten Sessel. Er trinkt seine Tasse Tee als plötzlich <strong>der</strong><br />

Beamte Brown auf ihn zustürmt.<br />

- Inspektor Baloon. Es wurde eine Leiche gef<strong>und</strong>en, eine junge Frau, Mitte zwanzig.<br />

Der sehr massige Inspektor steht auf <strong>und</strong> wendet sich Brown zu.<br />

- Na, dann wollen wir doch mal den Tatort besichtigen. Haben wir schon irgendwelche<br />

Informationen zum Opfer?<br />

- Nur, dass die Frau im Deeperforest aufgef<strong>und</strong>en wurde. Doch zur Zeit können wir we<strong>der</strong><br />

sagen wie sie heißt, noch wer sie war.<br />

- Naja, dann los. Lass es uns herausfinden.<br />

Inspektor Baloon betritt den nassen, feuchten Waldboden. Überall riecht es nach modrigem<br />

Holz <strong>und</strong> Moos, doch es mischt sich noch ein fürchterlicher Geruch hinzu. Ihm wird <strong>der</strong><br />

Weg zum Opfer gewiesen.<br />

Inspektor Baloon schreitet auf die Leiche zu. Sie ist blond. Ihre langen Haare sind <strong>von</strong> dem<br />

getrockneten Blut völlig braun gefärbt.<br />

- Wieso? Warum bringt man denn nur so ein junges Mädchen um?<br />

- Warum kann ich lei<strong>der</strong> auch nicht sagen. Vielleicht kann ich dir an<strong>der</strong>wärtig mehr helfen.<br />

Baloon dreht sich um. Er blickte in ein altbekanntes Gesicht.<br />

- Wie lange ist es her? 20 Jahre? Jones.<br />

Erst jetzt beäugt er auch den restlichen Körper.<br />

- Alt bist du geworden.<br />

- Und du hast auch ein paar Kilo zugenommen. Hab ich nicht recht?<br />

23


- Noch immer <strong>der</strong> alte Spaßvogel!<br />

- Du kennst mich doch.<br />

Brown, <strong>der</strong> noch immer verw<strong>und</strong>ert daneben steht, spricht endlich aus, was auch das<br />

restliche Tatortteam denkt.<br />

- Ich wusste gar nicht, dass die Herren sich kennen.<br />

- Er war mein Schwager, Brown.<br />

- War, wenn sie erlauben Inspektor?<br />

- Ja. War.<br />

Tiefe Gefühle <strong>von</strong> Kummer durchströmten Baloons Körper. Er musste an sie denken. Sie<br />

war noch so jung.<br />

- Ähhm… Sie müssen nicht darüber sprechen, wenn Sie nicht wollen.<br />

- Doch Brown. Wir arbeiten jetzt schon sehr lange zusammen. Es ist an <strong>der</strong> Zeit, dir die<br />

Wahrheit über meine Vergangenheit zu erzählen: Ich hatte vor 20 Jahren eine Frau. Ihr<br />

Name war Lizzy. Ich war in <strong>der</strong> Arbeit als es geschah…<br />

- Als was geschah?<br />

Baloon bringt kein Wort heraus. Er ist dankbar. Dankbar, dass sein alter Fre<strong>und</strong> James Jones<br />

das weitere Reden übernimmt.<br />

- Lizzy ging an diesem Morgen in die Bank. An diesem Tag war ein Überfall. Es gab Geiseln.<br />

Eine da<strong>von</strong> war Lizzy.<br />

Jetzt stockt auch er. Er spricht weiter.<br />

- Der Anführer <strong>der</strong> Gruppe, kannte Baloon noch <strong>von</strong> früher. Er erkannte Lizzy wie<strong>der</strong>. Er<br />

packte Lizzy am Kragen. Er hielt ihr die Pistole an den Kopf. Er stürmte aus dem Gebäude.<br />

Baloon war, damals noch als normaler Polizist an Ort <strong>und</strong> Stelle. Der Bankräuber wusste<br />

das. Er ließ anordnen, das gewünschte Geld überreicht zu bekommen. Baloon sollte es tun.<br />

Als Baloon ihn erreichte, übergab er ihm das Geld. Er hoffte, dass auf diesen Weg Lizzy die<br />

Freiheit erlangte. Dem war nicht so.<br />

Baloon unterbricht.<br />

- Er grinste mir noch einmal schelmisch ins Gesicht. Er drückte ab.<br />

- Das ist ja schrecklich. Das tut mir leid für Sie beide.<br />

- Danke. Wie gesagt, es war vor 20 Jahren <strong>und</strong> dieses junge Mädchen hat mich irgendwie an<br />

sie erinnert. Aber mein alter Fre<strong>und</strong>, was machst du hier?<br />

- Das Mädchen. Ihr Name ist Julie McScinney. Sie stammt aus Florida <strong>und</strong> ist 23 Jahre alt.<br />

Ihre Mutter ist eine alte Bekannte <strong>von</strong> mir. Und wie du weißt, arbeite ich in Florida bei <strong>der</strong><br />

24


Mordkommission. Daraus lässt sich schließen, dass wir bei diesem Fall wohl Partner sein<br />

werden.<br />

Baloon betritt das Zimmer. Es riecht steril wie im Krankenhaus. Überall sind weiße<br />

Gestalten. Auch die ganze Einrichtung ist weiß. Mitten im Raum steht ein Tisch. Auf ihm<br />

liegt etwas, das mit einem Tuch verhüllt ist. Vor jenem Tisch steht Mann in einem weißen<br />

Kittel. Der Doktor.<br />

Baloon spricht angeregt mit dem Doktor.<br />

- Die W<strong>und</strong>en am Kopf weisen auf einen harten Schlag hin. An dem gesamten Körper sind<br />

Schürfw<strong>und</strong>en. Solche, wie man sie normalerweise erleidet, wenn man angefahren wird. Da<br />

sie jedoch im Wald aufgef<strong>und</strong>en wurde, muss sie einige Meilen gelaufen sein.<br />

- Das bedeutet, die Stelle, an <strong>der</strong> das Mädchen angefahren wurde, liegt irgendwo in einem<br />

Radius <strong>von</strong> vier Meilen um den Tatort.<br />

- Richtig.<br />

- Gut… dann werde ich jetzt all meine Leute losschicken um die Stelle zu finden.<br />

- Halt, nicht so schnell. Es gibt noch etwas zu wissen. Es war sehr auffällig, dass sie barfuß<br />

ist. Ich weiß nicht vielleicht findet ihr die Schuhe noch. Jedoch habe ich auch<br />

Fingerabdrücke gef<strong>und</strong>en. Wir lassen sie diesen Moment durch die Datenbank laufen.<br />

- Gut. Informieren Sie mich, wenn Sie Ergebnisse haben.<br />

- In Ordnung.<br />

- Und nun entschuldigen sie mich.<br />

Inspektor Baloon nimmt sein Telefon heraus <strong>und</strong> wählt Browns Nummer.<br />

- Brown hier.<br />

- Guten Tag Brown.<br />

- Oh Sie sind‘s. Wie kann ich Ihnen helfen?<br />

- Schicken Sie sofort alle Leute die wir haben los. Sie sollen alle Straßen im Umfeld <strong>von</strong> vier<br />

Meilen vom Tatort absuchen.<br />

- In Ordnung Sir.<br />

- Ach ja, <strong>und</strong> bitte informieren Sie Inspektor Smith.<br />

- Mach ich. Gibt es sonst noch etwas?<br />

- Danke, das war alles.<br />

- Gut, dann auf wie<strong>der</strong> hören.<br />

25


Der Inspektor geht die langen Gänge des Police Departments entlang. Endlich erreicht er<br />

sein Büro. Erschöpft lässt er sich in seinen Sessel fallen. Froh darüber, endlich ein paar<br />

Minuten Ruhe zu finden. In diesem Moment stürmt <strong>der</strong> Dokter herein.<br />

- Entschuldigung. Ich hätte anklopfen sollen. Störe ich?<br />

- Nein, nein. Schon gut, was gibt’s?<br />

- Ich habe die Ergebnisse für die Fingerabdrücke. Wenn Sie mir bitte folgen würden?<br />

- Gut.<br />

Baloon erhebt sich aus seinem Stuhl. Etwas schwerfällig. Er folgt dem noch sehr jungen<br />

Doktor. Die beiden betreten einen Raum, in dem es vor Technik nur so wimmelt. Alles auf<br />

dem neuesten Stand.<br />

- Inspektor! Hier herüber bitte.<br />

- Also… Was hat es mit diesen Fingerabdrücken auf sich?<br />

- Wie zu erwarten waren die besagten Fingerabdrücke nicht in <strong>der</strong> Datenbank.<br />

- Das bringt uns nicht weiter…<br />

- Nein tut es nicht. Doch das hier schon.<br />

Der Doktor hält ein kleines Proberöhrchen in die Höhe. Baloon entdeckt darin einen<br />

orangefarbenen Faden.<br />

- Was ist das?<br />

- Ich habe es in ihren Haaren gef<strong>und</strong>en. Als ich mir die Faser genauer unter dem Mikroskop<br />

ansah, entdeckte ich Baumwoll- <strong>und</strong> Kunststofffasern. Und das Verhältnis stimmt genau mit<br />

dem, einer Häftlingskleidung zusammen.<br />

- Aber wie sollte ein Häftling sie umbringen. Es gab in den letzten Monaten keinerlei<br />

Ausbrüche in den Vereinigten Staaten.<br />

- Eben das ist das Problem! Ich kann es mir einfach nicht erklären!<br />

- Beruhige dich. Keine Sorge. Wir werden es schon herausfinden.<br />

Es ertönt eine schrille Musik. Der Inspektor braucht jedoch einen Moment, um zu begreifen,<br />

dass es sein Handy war das klingelt.<br />

- Baloon?<br />

- Guten Tag, Smith hier. Wir haben die Stelle, an <strong>der</strong> Julie angefahren wurde, gef<strong>und</strong>en.<br />

- Endlich erfreuliche Nachrichten. Ich komme sofort.<br />

- Gut, bis später.<br />

Baloon steigt aus seinem Wagen aus. Die Straße ist eine Nebenstraße. Ziemlich staubig. Er<br />

26


ewegt sich zu den Kollegen Smith <strong>und</strong> Brown. Jene knien auf <strong>der</strong> staubigen Straße. Jetzt<br />

erst bemerkt Brown den Inspektor.<br />

- Oh, Inspektor! Endlich sind Sie da.<br />

- Tut mir Leid. Ging nicht schneller.<br />

- Nun, jetzt sind Sie ja da.<br />

- Was haben wir gef<strong>und</strong>en?<br />

- Nun ja, natürlich das Blut des Opfers. Und Reifenspuren. Wahrscheinlich vom harten<br />

Abbremsen. Dort hinten,<br />

Der Inspektor folgt <strong>der</strong> ausgestreckten Hand des Beamten.<br />

- fanden wir ein Auto. Wir fanden den Führerschein <strong>und</strong> er gehört dem Opfer.<br />

- Also war es ein Unfall?<br />

- Es scheint fast so…<br />

- Aber dann läge das Opfer nicht mit einer tödlichen Kopfverletzung 4 Meilen östlich!! Aber<br />

zurück zu den Reifenspuren.<br />

- Genau. Wir ließen einen Spezialisten holen.<br />

- Und was meinte er?<br />

- Dass es sich um Spuren eines Müllwagens handelt! Ist das nicht verrückt?<br />

- Nein, ganz <strong>und</strong> gar nicht. Smith?<br />

- Ja?<br />

- Bitte schau, ob es irgendwo Müllmänner gibt, die Häftlingskleidung tragen.<br />

- Ist das ein Scherz?<br />

- Nein, mein totaler Ernst.<br />

- Gut. Wenn du meinst.<br />

- Danke. Und wenn Ihr mich jetzt entschuldigen würdet, ich muss noch mal ins Büro.<br />

Zurück im Büro versucht Baloon etwas zur Ruhe zu kommen. Er schafft es nicht. Dieser<br />

Fall beschäftigt ihn einfach zu sehr. Wie wird es wohl <strong>der</strong> Mutter ergehen, wenn sie erfährt,<br />

dass ihre geliebte Tochter tot ist.<br />

Endlich erreicht ihn <strong>der</strong> ersehnte Anruf <strong>von</strong> Smith.<br />

- Alter Fre<strong>und</strong> , du hattest Recht!<br />

- Das weiß ich. Ich habe immer recht.<br />

- Ja schon gut… Möchtest du jetzt wissen wo man die Sträflingsmüllmänner findet?<br />

- Natürlich. Wo soll ich hinkommen?<br />

- Zu <strong>der</strong> Harperlane 596. Nervenklinik.<br />

27


- Nerve…<br />

- Frag nicht. Ich erkläre es dir später.<br />

Baloon erreicht das Gelände. Er steigt aus dem Wagen. Er betritt einen vertrockneten Rasen.<br />

Überall nur einzelne vertrocknete Halme. Er erblickt ein <strong>von</strong> außen mo<strong>der</strong>n aussehendes<br />

Gebäude. Es ist blau <strong>und</strong> müsste dem Aussehen nach zu beurteilen über 200 Fenster haben.<br />

Brown geht auf Baloon zu.<br />

- Guten Tag Sir.<br />

- Tag Brown. Nun sagen Sie, was ist das hier für ein Gebäude?<br />

- Darf ich vorstellen, die Psychosomatische Klinik <strong>von</strong> Mannhatten Umgebung.<br />

- Und was haben Sie herausgef<strong>und</strong>en?<br />

- Noch nicht allzu viel nur, dass sie hier eine Art Programm haben, welches beinhaltet, dass<br />

die psychisch labilen Menschen Gefängnisklei<strong>der</strong> tragen <strong>und</strong> als Müllmänner herumfahren.<br />

Detektiv Jones spricht gerade mit dem Leiter <strong>der</strong> Klinik um Näheres herauszufinden.<br />

- Na worauf warten wir dann noch? Lass uns hineingehen.<br />

Die beiden Herren betreten das Gebäude. Baloon blickt einmal quer durch den Raum. Es<br />

riecht wie in einem Altersheim. Doch das Zimmer ist bunt bemalt. Es sieht fast wie ein<br />

Wartezimmer in einer Arztpraxis aus. Alles ist in Orangetönen gehalten. Baloon folgt<br />

Brown, <strong>der</strong> ihm den Weg zu einer verschlossenen Tür weist. Er deutet darauf. Baloon<br />

versteht. Er betritt das Zimmer hinter <strong>der</strong> Tür. Er sieht Jones mit knallrotem Kopf. Vor Jones<br />

sitzt ein älterer Herr, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Leiter zu sein scheint.<br />

- Na endlich!<br />

- Was ist los Jones?<br />

- Was ist los?! Was ist los?!Baloon!!!! Der will mir einfach nichts erzählen!<br />

- Schon gut. Beruhige dich. Ich übernehme ab jetzt.<br />

- Mir soll‘s recht sein…<br />

- Also mein Name ist Charles Baloon. Und wie darf ich Sie nennen?<br />

- Dr. William Green<br />

- Freut mich sie kennen zu lernen.<br />

- Mich nicht wirklich.<br />

- Nun, das kann ich mir denken. Jedoch würde es uns beiden das Leben etwas leichter<br />

machen, wenn Sie kooperieren würden <strong>und</strong> mir die Antworten, die ich benötige, geben.<br />

28


Einverstanden?<br />

- Einverstanden.<br />

- Also, was hat es mit diesen Müllmännerhäftlingen auf sich?<br />

- Das sind keine Häftlinge!<br />

- Was denn dann?<br />

- Es sind ganz normale, wir nennen sie hier ,,An<strong>der</strong>e‘‘.<br />

- Und warum tragen sie Sträflingskleidung?<br />

- Nun ja, das ist das Programm. Hierbei versuchen wir ,,An<strong>der</strong>e‘‘ wie<strong>der</strong> in die Gesellschaft<br />

einzubringen. Wir lassen sie hierbei Jobs erledigen wie Straßenkehren, Gemeindearbeiten<br />

- <strong>und</strong> Müllbeseitigung.<br />

- Und Müllbeseitigung.<br />

- Und warum die Häftlingskleidung?<br />

- Dazu wollte ich gleich kommen! Nun, damit man sie noch <strong>von</strong> den an<strong>der</strong>en Arbeitern<br />

unterscheiden kann, tragen sie diese Häftlingskleidung. Die Menschen, die bei diesem<br />

Programm dabei sind, haben Freude daran, sich wie<strong>der</strong> einmal normal zu fühlen.<br />

- Und führen sie denn auch Listen, welche besagen, welcher Teilnehmer zu welchem<br />

Zeitpunkt an welchem Ort ist?<br />

- Aber natürlich! Es wäre doch unverantwortlich wenn nicht!<br />

- Und könnten sie mir die besagte Liste <strong>von</strong> gestern Abend vorlegen?<br />

- Ja, warten Sie, ich muss sie nur schnell suchen.<br />

Neugierig beäugt Baloon den Doktor, während er die Liste sucht. Ein bisschen verrückt sieht<br />

er aus. Er, mit seinen kugelr<strong>und</strong>en Brillengläsern <strong>und</strong> seiner Halbglatze. Die einzigen Haare,<br />

die er noch hat, sind weiß <strong>und</strong> stehen zu Berge. Baloon muss schmunzeln.<br />

- Ha! Hab sie gef<strong>und</strong>en!<br />

- Schön, händigen Sie mir die Liste aus.<br />

- In Ordnung.<br />

Baloon liest die Liste. 19. 20. 21.Na endlich! Der zwei<strong>und</strong>zwanzigste. Er liest die Aufgaben,<br />

bis er zu <strong>der</strong> Kategorie ,,Müllmänner‘‘ kommt. Baloon liest die Namen <strong>und</strong> das jeweilige<br />

Ortsgebiet. Er liest <strong>und</strong> liest <strong>und</strong> liest <strong>und</strong> liest.<br />

Es herrscht Stille. Plötzlich bricht Baloon die Stille.<br />

- Ich hab ihn!<br />

Er stürmt aus dem Zimmer ohne auch nur einen weiteren Blick an den Doktor zu<br />

verschwenden. Brown <strong>und</strong> Smith kommen auf ihn zu.<br />

29


- Hast du ihn?<br />

Will Brown wissen.<br />

- Wer ist es?<br />

Fragt Jones.<br />

- Ja, ich hab ihn <strong>und</strong> sein Name lautet Fred Newton. Hier auf dieser Liste steht alles drauf! Er<br />

wurde vor drei Jahren hier eingeliefert <strong>und</strong>…. Aha. Er bewohnt Zimmer Nummer 396. Also<br />

los meine Herren!<br />

Sie rennten zu Zimmer Nummer396. Baloon öffnet die Tür <strong>und</strong> sie stellen Fred Newton.<br />

- Fred Newton, Sie werden uns jetzt aufs Revier begleiten. Sie haben das Recht zu schweigen.<br />

Baloon schaut <strong>von</strong> einem Fenster aus zu, wie Jones Newton seine Rechte vorliest. Er ist<br />

fertig. Jetzt betritt Baloon den kleinen Verhörraum. Newton sitzt zusammen gekauert auf<br />

dem Stuhl mitten im Raum. Baloon tut es weh, solche Leute zu befragen. Denn meistens<br />

sind sie sich ihrer Tat gar nicht bewusst, während sie sie verüben. Solche Leute tun ihm leid,<br />

da sie es unbewusst machen. Und jene armen Leute dann auch noch ins Gefängnis zu<br />

schicken, war eine Bürde für sich. Man kann das alles nur überstehen, wenn man an das<br />

Opfer denkt. In diesem Fall Julie McSkinney. Baloon lässt einen tiefen <strong>und</strong> langen Seufzer<br />

<strong>von</strong> sich, dann beginnt er.<br />

- Guten Tag, Mister Newton.<br />

- Gu-uten Tag wünsch ich Ihnen auch. Ganz, ganz viel.<br />

- Wissen Sie was, nennen Sie mich Charly.<br />

- Und Si-ie mich Mister Newtony.<br />

Newton lacht. So fröhlich, dass Baloon das Herz aufgeht.<br />

- Darf ich dich auch Fred nennen?<br />

- Ist oka-ay.<br />

- Gut Fred. Hast du dem jungen Mädchen gestern weh getan?<br />

- Weh getan? Nein! Mädchen hat geschlafen.<br />

- Geschlafen?<br />

- Jaaa. War müde <strong>von</strong> laufen.<br />

- Fred, warum ist sie gelaufen?<br />

Und Fred erzählt ihm die ganze Geschichte auf seine, sozusagen kindliche Art. Fred erzählte<br />

jedes Detail. Im Glauben, dass dieses Mädchen nur schläft. Doch Baloon versteht, wie es<br />

wirklich geschehen ist. Er verabschiedet sich herzlich bei Fred <strong>und</strong> verlässt den Raum. Er<br />

30


wendet sich an Brown.<br />

- Bitte berufen Sie eine Pressekonferenz ein.<br />

- In Ordnung, aber was werden Sie denen erzählen?<br />

- Die Wahrheit.<br />

Es ist stickig. Ein paar Schweißperlen laufen ihm übers Gesicht. Es ist laut. Überall sind<br />

nervöse Reporter zu hören <strong>und</strong> mittendrin Baloon. Er begibt sich auf ein Podium <strong>und</strong><br />

beginnt.<br />

- Darf ich um Ruhe bitten!<br />

Um Baloon herum wird es Augenblicklich still. Er fährt fort.<br />

- Ich werde Ihnen jetzt erzählen, was gestern Nacht geschehen ist. Ich werde danach keine<br />

Fragen beantworten. Und ich möchte im Vorfeld sagen, dass <strong>der</strong> Mann, Fred Newton, <strong>der</strong><br />

dieses Verbrechen begangen hat, das nicht wollte. Er ist ein sehr netter Mensch <strong>und</strong> hat in<br />

jener Nacht nicht verstanden, was geschehen ist. Es geschah so: Mr. Newton fuhr wie jeden<br />

Mittwochabend mit dem Müllwagen, um seiner Tätigkeit nach zu gehen. Er übersah das<br />

Mädchen, Julie McSkinney, welches auf <strong>der</strong> Straße stand <strong>und</strong> Hilfe suchte, da ihr Wagen<br />

stehen geblieben war. Er fuhr sie an <strong>und</strong> blieb sofort stehen. Er stieg aus um nach dem<br />

Rechten zu sehen <strong>und</strong> sah das ohnmächtige Mädchen. Er beugte sich hinunter <strong>und</strong> zog ihr<br />

die Schuhe aus, denn Schuhe zu sammeln ist eine seiner Makken. Doch das Mädchen<br />

wachte genau in diesem Moment wie<strong>der</strong> auf <strong>und</strong> fing vor Schreck an zu schreien. Dann fing<br />

auch Fred an zu schreien <strong>und</strong> das Mädchen sprang auf <strong>und</strong> rannte in den Wald. Fred hielt es<br />

für ein Spiel <strong>und</strong> rannte hinterher. Er rief nach ihr, sie solle stehen bleiben, doch sie rannte<br />

weiter. Das machte ihn wütend <strong>und</strong> er rannte schneller. Er wurde immer wüten<strong>der</strong> <strong>und</strong> als er<br />

sie schließlich erreichte, riss er sie nie<strong>der</strong> <strong>und</strong> ihr Kopf schlug auf einen Stein auf. Er dachte,<br />

dass sie so müde vom Laufen war <strong>und</strong> deswegen jetzt schlief. Er ging zurück zum Wagen<br />

<strong>und</strong> setzte seine R<strong>und</strong>e fort. Wir haben am besagten Auto eine Schramme <strong>und</strong> Blut vom<br />

Opfer gef<strong>und</strong>en. Das war alles. Ich danke Ihnen fürs Zuhören.<br />

Und Baloon steigt vom Podium. Die ganzen Fragen um ihn herum hört er nicht. Er begibt<br />

sich zum Ausgang. Dort trifft er auf Jones.<br />

- War schwer gerade, nicht?<br />

- Ja. Es war schön dich wie<strong>der</strong> einmal zu sehen, mein alter Fre<strong>und</strong>. Und es tut mir leid, dass<br />

du für die Mutter des Opfers keine bessere Nachricht hast.<br />

- Mir auch. Dann auf Wie<strong>der</strong>sehen.<br />

31


- Ja. Auf Wie<strong>der</strong>sehen.<br />

Die beiden umarmen sich, dann begibt sich Baloon in sein Büro, setzt sich in seinen grünen<br />

Sessel <strong>und</strong> trinkt eine Tasse Tee.<br />

32


Dort stand sie.<br />

David Jones<br />

(Anna-Maria Erhart)<br />

Mit zittern<strong>der</strong> Hand am Abzug. Nur eine Haarlänge <strong>von</strong> ihm entfernt. Ihre kalten, leeren Blicke<br />

trafen ihn. Minuten um Minuten verstrichen. Die Schneeflocken flogen unruhig umher. Sie wurden<br />

<strong>von</strong> einem kalten Wind begleitet. Kein Wort, kein bedeuten<strong>der</strong> Blick, nichts. Ihre Lippen zuckten<br />

nervös. Sie zog ihre Augenbrauen hoch. Er spürte ihre Angst deutlich.<br />

„Du hast es nicht an<strong>der</strong>s gewollt.“, sagte sie leise <strong>und</strong> drückte ab. Ein einziger Schuss genügte <strong>und</strong><br />

er ging qualvoll nie<strong>der</strong>. Einige Minuten blieb sie stocksteif stehen. Ohne wirklich zu begreifen, was<br />

geschehen war. Lange starrte sie ihn wie gelähmt an. Wie ferngesteuert ließ sie die Waffe fallen <strong>und</strong><br />

ging. Zurück bleib nur ihr Stolz.<br />

-<br />

Während <strong>der</strong> vollbärtige Polizei Inspektor Mario Dragoner verzweifelt versucht sein Tetris-Spiel<br />

noch zu retten, saß sein Partner gelangweilt neben ihm <strong>und</strong> kaute lustlos an seinen Fingernägeln<br />

herum. Plötzlich ertönt das nervige Geräusch des Telefons.<br />

Dragoner hob ab.<br />

„Bin ich jetzt richtig?“<br />

„Mit wem wollen Sie sprechen?“<br />

„Die Dame <strong>von</strong> vorhin hat gesagt, dass ich mit dem Inspektor Dragoner reden soll.“<br />

Die Stimme klang gehetzt <strong>und</strong> sie klang, als gehöre sie einer älteren Dame.<br />

„Dann sind Sie hier richtig. Was kann ich für Sie tun?“<br />

„Ich habe eine Leiche gef<strong>und</strong>en.“<br />

Nun hatte die Frau Dragoners volle Aufmerksamkeit.<br />

„Können Sie genau angeben, wo Sie sich befinden?“, fragte <strong>der</strong> Inspektor.<br />

„Ja, in Eselsbach kurz nach dem Fußballplatz. Erstes Haus rechts.“<br />

„Wir werden uns umgehend auf den Weg machen.“<br />

Ein ungutes Gefühl machte sich im Inspektor breit.<br />

Nervös tappte er mit seinen Fingern auf das Lenkrad. Sein ohnehin schon ungeduldiger Partner<br />

Lorenz Polt kaute noch nervöser auf seinen kaum vorhandene Fingernägel.<br />

Endlich angekommen machte sich Polt sofort ans Werk die Daten <strong>und</strong> die Aussage <strong>von</strong> Frau<br />

Stadlberger aufzunehmen, während Dragoner sich den Weg zur Leiche freischaufelte.<br />

33


Als Dragoner vor Ort <strong>der</strong> Leiche dann ins Gesicht blickte, stockte ihm <strong>der</strong> Atem. Er drehte sich um<br />

<strong>und</strong> ging. Weg. Einfach weg vom Geschehen. Ging <strong>und</strong> konnte nicht stehen beleiben. Mal schnell,<br />

mal langsam. Er ging. Dann lief er. Er heulte, dann schwieg er. Plötzlich setzte er sich hin. Ohne<br />

darüber nachzudenken. Setzte sich mitten auf eine Straße. Er schwitzte <strong>und</strong> fror zugleich. Seinen<br />

Tränen gefroren ihm im Gesicht. Konnte vor Nebel <strong>und</strong> Dunkelheit nichts sehen. Nur hin <strong>und</strong><br />

wie<strong>der</strong> brannten ihm die Lichter <strong>der</strong> vorbeirasenden Autos in den Augen. Ob er weinte, merkte er<br />

nicht mehr. Ob er dachte, wusste er nicht mehr. Ob er fühlte, spürte er nicht mehr. Ein warmes<br />

Gefühl kam auf in ihm. Kalt lief es ihm über den Rücken. Er schlief ein.<br />

-<br />

„Hallo?“<br />

Kurz öffnete <strong>der</strong> Inspektor die Augen. Tageslicht brannte wie Feuer in seinen Augen.<br />

„Sie sind Polizist o<strong>der</strong>? Ich bin Claudia“, sagte eine dunkelhaarige, attraktive Frau mit<br />

kärntnerischem Akzent <strong>und</strong> reichte ihm erwartungsvoll die Hand. Ohne auf eine Reaktion zu warten<br />

redete sie weiter:<br />

„Was machen Sie denn hier auf dieser öden, einsamen Straße? Also Sie könnten mir<br />

fre<strong>und</strong>licherweise sagen, wie ich zurück zum Erzherzog Johan Hotel komme?“<br />

Wie<strong>der</strong> ließ die etwas hysterische Frau ihn nicht zu Wort kommen.<br />

„Ich will ja nicht unhöflich sein, aber sie sehen scheiße aus. Krank <strong>und</strong> verletzt. Ist etwas passiert?<br />

Kann ich helfen?“<br />

Undeutlich <strong>und</strong> langsam fragte er:<br />

„Wo bin ich hier?“<br />

„Ja, irgendwo im Ausseerland. Gössel sagt man hier dazu o<strong>der</strong> so. Aber keine Ahnung, ich komme<br />

aus Kärnten.<br />

So sehr sich <strong>der</strong> Inspektor auch anstrengte, er konnte nichts mehr sagen.<br />

„Ich rufe einen Krankenwagen. Bis <strong>der</strong> kommt, könnten Sie mir ja erzählen, was geschehen ist?“<br />

Plötzlich sprang sie auf <strong>und</strong> lief da<strong>von</strong> als sie einen schwarzen Mercedes vorbei- fahren sah.<br />

Vergeblich versuchte sich Dragoner aufzurichten. Wie gelähmt lag er auf dem kalten Eis <strong>der</strong> Straße.<br />

Er fiel in Ohnmacht.<br />

Als er wie<strong>der</strong> aufwachte, umgaben ihn die schleichenden Geräusche weißer<br />

Krankenschwesterpatschen. Nichts als Geräte, Schläuche <strong>und</strong> Nadeln um <strong>und</strong> in ihn.<br />

Noch mit etwas verschwommenem Blick sah er dann eine Schwester am Schreibtisch neben ihm<br />

sitzend Zeitung lesen.<br />

34


„Guten Morgen.“ War alles was, ihm einfiel zu sagen.<br />

„Herr Dragoner. Wie geht es Ihnen?“<br />

„Hm. Mir ist wichtig zu wissen warum ich hier auf <strong>der</strong> Intensivstation liege?“<br />

„Weil eine junge Kärntnerin gestern Nacht einen Krankenwagen für sie gerufen hat während sie vor<br />

lauter Unterkühlung in Lebensgefahr schwebten.“ Erklärte im die schöne Brünette sanft.<br />

„Schön. Wann kann ich nach Hause?“ fragte er mit einer Menge Sarkasmus in <strong>der</strong> Stimme.<br />

„Wenn alle Untersuchungen gut ausfallen in etwa zwei St<strong>und</strong>en.“<br />

Wie<strong>der</strong> im Polizei Revier angekommen, setzte sich Mario sofort hinter den Computer um den<br />

Fortschritt <strong>der</strong> Ermittlung nachzuschauen. Nichts. Sofort griff er zum Telefon um seinen Partner<br />

anzurufen, doch in diesem Augenblick kam dieser mit läutendem Telefon zur Tür herein <strong>und</strong><br />

berichtet ihm sofort <strong>von</strong> den bisherigen Untersuchungen <strong>der</strong> Ermittlung. Sie beschließen noch<br />

einmal zum Tatort zu fahren um sich nach möglichen weiteren Hinweisen umzuschauen. Auf dem<br />

Weg dort hin überlegte sich Inspektor Pollier ob <strong>und</strong> wie er Dragoner auf den Vorfall vergangenen<br />

Tages ansprechen soll.<br />

„Wie geht es dir?“<br />

„Bestens. Danke. Wie nach zwei Wochen Urlaub.“<br />

„Ich mach mir Sorgen um dich!“<br />

„Warum? Dazu hast du keinen Gr<strong>und</strong>.“<br />

„Wegen dem Vorfall. Mein Beleid. Soll ich mit dem Chef sprechen, damit diesen Fall jemand<br />

an<strong>der</strong>er übernimmt?“<br />

„Das Einzige, was mir jetzt noch bleibt ist, dass ich denjenigen, <strong>der</strong> Julian das angetan hat, finde<br />

<strong>und</strong> für die nächsten Jahrzehnte hinter Gitter zu bringen. Am liebsten würde ich ihm das gleiche<br />

antun.“<br />

„Das hat keinen Sinn. Und deinen Bru<strong>der</strong> bringt es dir auch nicht mehr zurück.“<br />

„Aber <strong>der</strong>jenige verdient es.“<br />

Nach zwei St<strong>und</strong>en langem erfolglosen im Schnee Herumstapfen haben sich die beiden doch dazu<br />

entschlossen, erstmal nach Hause zu fahren <strong>und</strong> sich auszuruhen. Alleine auf dem Sofa machte sich<br />

Dragoner daran zu überlegen, ob sein Bru<strong>der</strong> vielleicht Feinde hatte. Nach zahlreichen Telefonaten<br />

mit Verwandten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>en war Dragoner um drei Tassen Tee <strong>und</strong> 17 Beileidswünsche schwerer,<br />

doch helfen können hat ihm keiner. Gerade als er sich auf den Weg ins Bett machen wollte, fiel ihm<br />

35


ein Zettel aus seiner Westentasche. Darauf stand:<br />

Gute Besserung<br />

wünscht dir deine „Kärntnerin“ Claudia.<br />

Ruf mich an, wenn du den Zettel gef<strong>und</strong>en hast.<br />

Sofort wählte er die Nummer, doch er kam nur in die Mobilbox. zwei weitere Tage lang versuchte<br />

er diese Nummer zu erreichen, blieb jedoch erfolglos. Krampfhaft versuchte er sich an diese Frau<br />

zu erinnern. Dann kam ihm die Idee, bei sämtlichen Hotels <strong>der</strong> Stadt nach einer jungen Kärntnerin<br />

zu fragen. Beim Erzherzog Johann Hotel mitten in Bad Aussee wurde er schließlich doch fündig.<br />

Claudia Herobeck hieß sie. Er versuchte über Internet die Adresse herauszufinden. Dass sie laut<br />

Internet keinen festen Wohnsitz in Österreich hatte, verwirrte ihn. Er telefonierte lange mit <strong>der</strong><br />

Auskunft, doch die konnte ihm auch nicht weiter helfen. Plötzlich klingelte das Telefon. Claudia<br />

Herobeck ruft an, erschien groß auf seinem Bildschirm.<br />

„Hallo? Mit wem spreche ich?“, sagte eine junge Stimme etwas gehetzt.<br />

„Mario Dragoner mein Name. Ich bin Polizist. Ich habe ihren Zettel gef<strong>und</strong>en. Ich hoffe, ich<br />

spreche mit Claudia?“<br />

„Oh. Jetzt weiß ich, wer sie sind. Sie sind <strong>der</strong> Polizist <strong>von</strong> neulich Abend o<strong>der</strong>?“<br />

„Genau. Im Krankenhaus hat man mir gesagt, sie haben mich “gerettet“.“<br />

„Ja ich habe sie auf <strong>der</strong> Straße liegend gef<strong>und</strong>en. Ich habe lediglich den Krankenwagen gerufen.“<br />

„Ja. Aber warum sind Sie dann auf einmal weggelaufen?“<br />

„Äh. Ich muss auflegen. Auf Wie<strong>der</strong>hören.“<br />

„Warten Sie. Sind Sie noch in Bad Aussee?“<br />

„Ja.“ Hörte man noch leise, während sie schon fast aufgelegt hat.<br />

Ein zweites Mal klingelt sein Telefon. Eine dunkle Stimme mit deutschem Akzent sagte leise:<br />

„Mario. Schön dich zu hören. Ich will dich warnen. Lass die Ermittlungen im Fall deines Bru<strong>der</strong>s<br />

fallen, sonst wird dir dasselbe angetan. Das gleiche passiert wenn du dich nicht ab sofort <strong>von</strong><br />

Claudia fernhältst.“<br />

Bevor Dragoner noch etwas sagen konnte, geschweige denn überhaupt realisieren was gerade<br />

geschehen war, legte er auf. Über das musste er erstmal eine Nacht schlafen. Also legte er sich mit<br />

unruhigem Gewissen ins Bett.<br />

36


Am nächsten Tag vertraute er das seinem Partner Polt an. Dieser schlug sofort vor denjenigen<br />

anzuzeigen, doch weil Dragoner glaubt, mit dem ist wirklich nicht zu scherzen, redet er es Polt<br />

schnell wie<strong>der</strong> aus. Zuerst wollen die Beiden herausfinden wer ihn angerufen hatte. Was er mit<br />

Dragoners toten Bru<strong>der</strong> zu tun hat <strong>und</strong> warum Claudia mit drin steckte.<br />

Er vereinbart ein Treffen mit Claudia. Mit feuchten Händen <strong>und</strong> vereinzelt Schweißperlen auf <strong>der</strong><br />

Stirn gab sie ihm etwas zitternd die Hand. Stocksteif saß sie auf den dunkeln Sesseln des<br />

Kaffeehauses.<br />

„Alles in Ordnung?“, fragte Mario desinteressiert.<br />

„Ja natürlich. Also was wollen Sie wissen?“<br />

„Ich möchte wissen, warum Sie am 8. Januar, in dieser Nacht in <strong>der</strong> sie mich gef<strong>und</strong>en haben,<br />

weggelaufen sind?“<br />

„Bei allem Respekt Herr Dragoner, kann ich Ihnen dazu keine Auskunft geben.“, erwi<strong>der</strong>te Claudia<br />

auf einmal förmlich.<br />

„Ich bin Mario, lass uns du sagen!“ <strong>und</strong> er reicht ihr nochmals die Hand. Nur wi<strong>der</strong>willig stimmt sie<br />

ein.<br />

„Claudia.“, sagt sie schnell.<br />

„Gut, Claudia. Für mich ist es enorm wichtig, wenn du mir erzählen könntest, was an diesem Abend<br />

genau geschehen war, warum du auf dieser Straße unterwegs waren <strong>und</strong> vor allen Dingen ohne Auto<br />

<strong>und</strong> warum du weggelaufen bist als <strong>der</strong> Mercedes vorbei fuhr?“<br />

Claudia beugt sich zu ihm vor <strong>und</strong> flüsterte:<br />

„Ich kann Ihnen hier in <strong>der</strong> Öffentlichkeit nichts sagen. Sehen sie diesen Mann dort unten an dem<br />

Tisch im Eck?“<br />

„Ja.“<br />

„Er beobachtet mich. Ich kenne diesen Mann. Er ist einer dieser Handlanger meines Ex-Fre<strong>und</strong>es<br />

Prunto.“<br />

„Ich brauche diese Informationen. Wann kannst du sie mir geben?“<br />

„Schreib deine Adresse auf diese Serviette. Ich komme heute gegen elf Uhr bei dir vorbei.“<br />

Er schrieb seine Adresse auf die Serviette <strong>und</strong> bemühte sich dabei unauffällig zu sein. Zügig steckte<br />

Claudia sie in die Tasche <strong>und</strong> ging hinaus. Zurück blieb Dragoner mit 2 Kaffees <strong>und</strong> einer<br />

Rechnung. Er kontaktierte seinen Partner Polz <strong>und</strong> berichtete seinen Fortschritt.<br />

Zu Hause wartete er ungeduldig auf Claudia. Nach zwei st<strong>und</strong>en langem Zeitungslesen klingelte es<br />

endlich an <strong>der</strong> Tür<br />

37


„Hallo“, begrüßte Claudia ihn mit einer Umarmung. Noch mit den Gedanken bei dieser Umarmung<br />

sagte Mario:<br />

„Hallo bitte kommen Sie herein.“ Er nahm ihr den Mantel ab <strong>und</strong> führte sie an seinen Küchentisch.<br />

„Als Claudia, bitte kannst du mir jetzt erzählen, was in dieser Nacht genau geschah?“<br />

„Es ist alles etwas kompliziert. Vor zwei Wochen hat uns ein Ausseer um 7800 Euro betrogen. Mein<br />

Ex-Fre<strong>und</strong> ist daraufhin sofort nach Österreich gekommen <strong>und</strong> wollte sich das Geld holen.“<br />

„Wie war sein Name?“<br />

„Julian. Er nannte keinen Nachnamen.“<br />

Als Dragoner das hörte, war ihm sofort nach Weinen zumute. Weiterhin versuchte er sich jede<br />

Emotion zu verkneifen <strong>und</strong> professionell weiter zu fragen:<br />

„Was ist mit diesem Julian geschehen?“, fragte er mit ängstlichem Unterton in <strong>der</strong> Stimme. Obwohl<br />

er die Antwort schon kannte.<br />

„Er hatte wie erwartet kein Geld.“ Kurz hörte sie, auf als sie bemerkte, dass Dragoner das Wasser in<br />

den Augen stand.<br />

„Also machte er es genau wie bei allen an<strong>der</strong>en, die nicht nach seinen Regeln spielen“, fuhr sie fort.<br />

„Er tötete ihn?“, fragte er.<br />

„Nicht direkt er. Er ließ ihn töten.“<br />

„Wissen Sie wann dies genau geschah?“<br />

„Ja seltsamer weise in <strong>der</strong> Nacht, bevor ich sie gef<strong>und</strong>en hatte.“<br />

„Ok. Und warum sind Sie noch mal vor diesem Mercedes weggelaufen?“, fragte er etwas verwirrt.<br />

„Er saß darin. Ich habe etwas getan, was nicht nach seinen Regeln ging. Ich wusste, er würde mich<br />

gefangen halten, wenn er mich kriegt.“<br />

„Wie gut kannten Sie Julian?“<br />

„Naja, er ist mir nie wirklich aufgefallen als er noch in unserem Geschäft tätig war. Aber Prunto hat<br />

immer gemerkt, dass er mich anstarrte. Deshalb hat er ihn schnell beför<strong>der</strong>t <strong>und</strong> so <strong>von</strong> mir<br />

ferngehalten.“<br />

„Welches „Geschäft“?“<br />

„Naja. Wir verkaufe illegal Drogen. Und als Julian mit Drogen im Wert <strong>von</strong> 7800 Euro weglief,<br />

waren seine Tage praktisch schon gezählt.“<br />

„Gut. Darf ich Sie jetzt bitten zu gehen? Ich muss für mich alleine sein.“<br />

„Was ist jetzt auf einmal los mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?“<br />

Doch erst als sie das mit Kerzen umrandete Bild <strong>von</strong> Julian Dragoner auf <strong>der</strong> Komode stehen sah,<br />

mit einem Schriftzug auf dem stand: Für immer wirst du, mein geliebter Bru<strong>der</strong>, in meinem Herzen<br />

38


weiterleben, begriff sie auch, warum er kurz vorm Weinen war. Auch warum er in dieser Nacht auf<br />

<strong>der</strong> Straße saß <strong>und</strong> warum es ihm so wichtig war es zu erfahren, was wirklich geschehen ist. Sie<br />

rannte aus dem Haus.<br />

Als sie Dragoner am nächsten Tag im Hotel treffen wollte, hatte Claudia nur einen Brief für ihn<br />

hinterlassen. Dieser Brief lautete:<br />

Lieber Mario,<br />

Ich verstehe jetzt, warum es dir so wichtig war, alles zu verstehen. Hier noch mal die wahre<br />

Geschichte:<br />

Als dein Bru<strong>der</strong> vor knapp zwei Jahren bei uns eingestiegen ist, war es wie Liebe auf den ersten<br />

Blick zwischen uns. Wir verbrachten w<strong>und</strong>erschöne Monate zusammen. Eines Tages machte er mir<br />

den Vorschlag, einfach ein par Drogen zu nehmen <strong>und</strong> abzuhauen. Ich sagte ihm, dass er keine<br />

Chance hätte mit dem durchzukommen <strong>und</strong> wollte ihn dabei aufhalten. Er hat damit gedroht, Prunto<br />

<strong>von</strong> uns beiden zu erzählen. Also habe ich ihn laufen lassen, da ich wusste Prunto, würde ihn<br />

umbringen. Als wir alle in Österreich waren, habe ich den entschluss gefasst es selber zu<br />

vollbringen also habe ich ihm vor seiner Haustür aufgelauert. Ich weiß jetzt, dass es <strong>der</strong> größte<br />

Fehler meines Lebens war, dich zu verletzen. In den wenigen schönen Tagen mit dir ist mir<br />

aufgefallen, dass es wichtigeres gibt im Leben als Geld zu machen, nämlich das wahre Leben. Ich<br />

habe mich entschlossen zurück zu meiner Familie nach Brasilien zu fliegen. Wenn du das liest<br />

werde ich schon im Flieger sitzen.<br />

Dragoner schwieg bis an sein Lebensende über die Tat <strong>und</strong> über diesen Brief.<br />

39<br />

Mach es gut! In Liebe, Claudia.


Seit Wochen herrschte Dürre.<br />

Der dumpfe Knall<br />

(Jakob Frosch)<br />

Der Boden glich einer Wüste, die Flüsse <strong>und</strong> Bäche führten kaum Wasser.<br />

Auch <strong>der</strong> Tag, an dem sich Hannes, Stefan, Oliver <strong>und</strong> ich zum Fußballspielen verabredeten, war<br />

trocken <strong>und</strong> heiß. Aus diesem Gr<strong>und</strong> schloss unsere Schule nach nur vier St<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wir konnten<br />

den Nachmittag für das Spiel nutzen. Wir trafen uns oft zum Fußballspielen, denn wir waren alle<br />

recht gute Spieler. Hannes <strong>und</strong> Oliver spielten beim SG. Ausserland <strong>und</strong> waren dort die Besten.<br />

Hannes wurde im vorigen Jahr Torschützenkönig <strong>und</strong> Oliver Zweiter. Stefan <strong>und</strong> ich spielten früher<br />

auch einmal beim SG. Ausserland, doch damals spielten wir nur noch zum Spaß.<br />

Immer wenn es extrem heiß war, gingen wir zur Abkühlung in den Bach hinterm Fußballplatz <strong>und</strong><br />

dadurch stand gleich fest, dass wir an diesem Tag auch in den Bach gehen würden. Es war ein<br />

kleiner Bach, <strong>der</strong> dank <strong>der</strong> Schneeschmelze auch zu dieser Zeit noch genug Wasser führte. Er war<br />

nie son<strong>der</strong>lich warm, doch es war immer zu ertragen. Um zum Bach zu gelangen, musste man ein<br />

kleines Feld queren <strong>und</strong> einen Wald durchqueren. Wir waren oft dort, denn zur Abkühlung war er<br />

großartig, es war auch ein Wasserfall dort. Wenn <strong>der</strong> Bach genug Wasser führte, konnte man den<br />

Wasserfall auch hinunterspringen. Aber in diesem Sommer führte er viel zu wenig Wasser.<br />

Dann sagte Oliver: „Ich habe eine tolle Idee, lasst uns hier eine große Party feiern.“<br />

„Da müssen wir aber erst unsere Eltern fragen“, sprach Hannes das Unvermeidliche an.<br />

„Hast Recht. Und was erzählen wir ihnen? Wenn ich meinen Eltern verrate, dass ich mitten in <strong>der</strong><br />

Nacht am Bach feiern möchten … vergiss es!“ Stefan machte eine abfällige Handbewegung. Die<br />

an<strong>der</strong>en verstanden, seine Eltern waren die strengsten <strong>von</strong> allen.<br />

Oliver fügte noch hinzu:,, Jakob, du holst ein Zelt <strong>und</strong> nimmst Getränke mit, Stefan, du bringst<br />

etwas zum Essen mit, Hannes, du nimmst ein bisschen Alkohol mit <strong>und</strong> ich nehme gute Laune mit.“<br />

Nachdem das mit den Eltern geklärt war <strong>und</strong> wir ihnen erzählt hatten, dass wir alle bei Oliver<br />

schlafen würden, ging ich los, um meine Sachen <strong>und</strong> ein Zelt zu holen. Am Weg nach Hause dachte<br />

ich mir:,, Warum darf Oliver <strong>von</strong> seinen Eltern aus alles machen? Irgendwie ist das auch ein wenig<br />

komisch. Ich möchte nicht alles dürfen, denn dann würde ich vielleicht auf die schiefe Bahn geraten<br />

<strong>und</strong> etwas mit Drogen zu tun haben!“<br />

Ich war sehr schnell fertig, ging aber noch nicht rüber zum Fußballplatz. Ich suchte eine<br />

Taschenlampe <strong>und</strong> ein Radio, damit wir Musik hören konnten. Danach schnappte ich meine Tasche<br />

<strong>und</strong> packte alles hinein. Ich ging zu meinem Rad <strong>und</strong> radelte rüber zum Fußballplatz, bzw. zum<br />

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Zieglbach. Ich war noch alleine dort, niemand war da <strong>und</strong> somit hatte ich Zeit, das Zelt aufzubauen.<br />

Ich war schon fast fertig, als Oliver <strong>und</strong> Hannes kamen. Die beiden hatten so viel Zeug mit, dass<br />

je<strong>der</strong> zwei Taschen mitschleppen musste. Wir bauten das Zelt fertig <strong>und</strong> bereiteten alles vor, um<br />

darin schlafen zu können, obwohl wir wussten, dass wir wahrscheinlich nicht schlafen würden.<br />

Doch wo war Stefan? „Er wird wohl gleich kommen“ ,dachte ich mir.<br />

Hannes, Oliver <strong>und</strong> mir war so heiß, dass wir uns nochmal abkühlen mussten. Wir gingen unterhalb<br />

vom Wasserfall in ein kleines Becken, welches <strong>der</strong> Wasserfall im Laufe <strong>der</strong> Jahre ausgrub.<br />

„Schön langsam müsste Stefan auch kommen“, sagten wir gleichzeitig, wie im Chor.<br />

Wir beschlossen, Stefan zu Hause abzuholen, er wohnte nicht weit entfernt vom Fußballplatz. Als<br />

wir bei ihm zu Hause angelangt waren, läuteten wir. Seine strenge Mutter öffnete die Türe. Ich<br />

fragte: „Wo ist denn Stefan?“<br />

„Er ist oben, er muss seine Aufgaben machen <strong>und</strong> lernen muss er auch noch!“<br />

„Wir hatten uns aber ausgemacht bei Oliver zu schlafen. Darf Stefan nicht?“, erwi<strong>der</strong>te Hannes.<br />

„Auf keinen Fall! Nächste Woche sind zwei Schularbeiten <strong>und</strong> dafür muss er noch viel lernen!“,<br />

fuhr Stefans Mutter uns an <strong>und</strong> schmiss die Türe vor unserer Nase zu.<br />

Das war wie<strong>der</strong> mal typisch für Stefans Mutter. Er durfte nie etwas mit uns unternehmen. Irgendwie<br />

tat er mir leid!<br />

Wir gingen wie<strong>der</strong> rüber zum Bach <strong>und</strong> ließen uns unseren Spaß, obwohl Stefan nicht durfte, nicht<br />

ver<strong>der</strong>ben. Als wir wie<strong>der</strong> beim Zelt ankamen, fing es an zu dämmern. Wir packten den ersten<br />

Alkohol heraus <strong>und</strong> nahmen alle einen Schluck. Eigentlich wollte ich ja gar keinen Alkohol trinken,<br />

denn ich war Sportler <strong>und</strong> Sportler tranken keinen Alkohol. Ich konnte aber nicht „nein“ sagen.<br />

Meine Fre<strong>und</strong>e würden mich dann wie<strong>der</strong> als feig bezeichnen.<br />

Als wir immer lustiger wurden, holte ich meinen Radio heraus, um die Stimmung anzuheizen. Ich<br />

drehte Ö3 auf volle Lautstärke auf.<br />

Plötzlich rauschte unsere Zeltplane, zuerst dachten wir es sei nur <strong>der</strong> Wind, doch als es sich<br />

wie<strong>der</strong>holte, gingen wir mit Taschenlampen ausgerüstet hinaus. Man sah nichts, doch als ich in den<br />

Wald schaute, sah ich zwei leuchtende Augen. Ich deutete in die Richtung, machte meine Fre<strong>und</strong>e<br />

darauf aufmerksam. Die Gestalt kam näher, löste sich aus <strong>der</strong> Dunkelheit … <strong>und</strong> … es war Stefan.<br />

„Ich bin <strong>von</strong> zu Hause abgehauen, meine Mutter darf nichts da<strong>von</strong> erfahren <strong>und</strong> wenn sie es<br />

erfahren würde, habe ich mein ganzes Leben Hausarrest.“<br />

„Ok, wir werden das für uns behalten. Aber deine Mutter ist schon komisch“, entgegnete ich. „Da<br />

hast du Recht“, antwortete Stefan.<br />

Nach dieser Überraschung gingen wir zurück in unser Zelt <strong>und</strong> richteten für Stefan einen<br />

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Schlafplatz her. Nun mussten wir zusammenrücken, um im Zelt Platz zu haben. Nach einer Zeit <strong>und</strong><br />

viel Alkohol beschlossen wir, baden zu gehen. Hannes zögerte zuerst, doch dann ließ er sich doch<br />

überreden. Wir zogen uns unsere Badehosen an <strong>und</strong> gingen mit Taschenlampe <strong>und</strong> Handtüchern<br />

bewaffnet hinaus. In dieser Nacht war es nicht so finster, es war fast Vollmond. Wir gingen wie<strong>der</strong><br />

in das kleine Becken unterhalb vom Wasserfall. Im Gegensatz zum Nachmittag war <strong>der</strong> Bach eiskalt<br />

<strong>und</strong> wir brauchten lange, bevor wir mit dem gesamten Körper untertauchten. Je länger wir uns im<br />

Wasser aufhielten, umso mehr gewöhnten wir uns an die Kälte.<br />

Es war sehr lustig, doch irgendwie kam mir Stefan komisch vor. Er verhielt sich ruhig, schien<br />

geistig abwesend, wollte nie bei irgendwelchen Blödeleien mitmachen. Ich fragte ihn, ob es ihm<br />

schlecht ginge, er Bauchweh o<strong>der</strong> ähnliches habe.<br />

„Mir geht es gut, ich muss nur immer dran denken, was passiert, wenn mich meine Mutter hier<br />

erwischt. „<br />

„Das kann ich verstehen. Doch komm, feiere mit uns <strong>und</strong> denk nicht dran, was sein könnte.“<br />

Währenddessen holte Oliver Alkohol, um im Bach eine „Poolparty“ zu machen. Ehrlich gesagt, war<br />

Oliver da schon ganz schön besoffen. Er laberte unentwegt <strong>und</strong> konnte schon fast nicht mehr<br />

gehen. Er sagte mit komischer Stimme: „Lasst uns eine Mutprobe machen. Wer traut sich vom<br />

Wasserfall springen?“<br />

„Bist du wahnsinnig! Es ist viel zu wenig Wasser. Da kommst du am Boden an <strong>und</strong> das könnte sehr<br />

schmerzhaft werden“, sagte Hannes empört.<br />

„Bist du feig o<strong>der</strong> was?“, antwortete Oliver.<br />

„Nein, bin ich nicht! Ich springe auf keinen Fall, ihr könnt alle gerne springen, wenn ihr euer Leben<br />

riskieren wollt!“ ,schrie Hannes.<br />

„Ok, wenn du nicht willst, musst du nicht. Aber ich möchte springen. Wer ist noch dabei?“<br />

antwortete Oliver ganz ruhig.<br />

„Ich“, sagten Stefan <strong>und</strong> ich in einem Chor.<br />

„OK! Kommt lasst uns springen!“<br />

Oliver stand schon am Abgr<strong>und</strong>, als ich erst durch den Wald zu ihm ging. Als ich oben ankam, sagte<br />

er:“ Bis gleich!!!“ <strong>und</strong> sprang.Zuerst dachte ich mir, dass das sicher nicht gut ausgeht. Doch er<br />

tauchte nach seinem Bauchfleck gleich wie<strong>der</strong> auf. Das hatte sicher extrem weh getan, doch durch<br />

den vielen Alkohol spürte er es nicht mehr. Er schrie nur: „Komm Jakob, das ist verdammt lustig!“<br />

Als ich am Abgr<strong>und</strong> stand, zögerte ich kurz, dachte darüber nach, wie viel Alkohol ich getrunken<br />

hatte. Mir blieb eh nichts an<strong>der</strong>es übrig, als zu springen <strong>und</strong> somit dachte ich nicht lange darüber<br />

nach, was passieren konnte. Ich sprang einfach. Ich machte keinen Bauchfleck, so wie Oliver. Nun<br />

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war Stefan an <strong>der</strong> Reihe. Er hatte noch fast keinen Alkohol getrunken <strong>und</strong> somit dachte ich mir,<br />

dass da auch nicht son<strong>der</strong>lich viel passieren würde. Er sprang gleich <strong>und</strong> überlegte nicht lange. Kurz<br />

darauf war ein dumpfer Knall zu hören. Blitzschnell schaute ich hinauf in den Wald <strong>und</strong> sah eine<br />

schwarze Gestalt verschwinden.<br />

Es war <strong>der</strong> fürchterlichste Augenblick in meinem Leben, Stefan leblos fallen zu sehen. Er kippte<br />

nach vorne <strong>und</strong> machte einen Bauchklatscher. Oliver lachte zuerst, weil er dachte, dass Stefan nur<br />

einen Spaß machen würde.<br />

“ Hör jetzt auf zu lachen <strong>und</strong> zieh ihn aus dem Wasser!!“, schrie ich ihn an.<br />

Oliver befolgte meine Anweisungen <strong>und</strong> zog ihn heraus. Ein Loch klaffte in seinem Rücken. Ich<br />

hatte mich nicht getäuscht. Jemand hatte unseren Fre<strong>und</strong> angeschossen.<br />

Ich legte sofort mein Ohr an seinen M<strong>und</strong>, um zu hören, ob er noch atmete. Hoffte auf ein<br />

Lebenszeichen. Doch es war nicht zu hören, man konnte auch keinen Puls mehr spüren! Er war tot.<br />

Es war furchtbar für mich, meinen besten Fre<strong>und</strong> tot neben mir liegen zu haben. Der<br />

zweitschlimmste Gedanke war, das ganze nun seiner Mutter zu erzählen. Derweil telefonierte<br />

Hannes schon mit <strong>der</strong> Polizei <strong>und</strong> es dauerte auch nicht lange bis man das Licht <strong>der</strong><br />

Autoscheinwerfer durch den Wald blitzen sah. Es waren zwei staatliche Männer, die in ihren<br />

schwarzen Uniformen aus dem Auto stiegen <strong>und</strong> uns merkwürdig musterten. Die beiden kamen<br />

gleich zu mir <strong>und</strong> fragten mich, was passiert sei. Ich erzählte ihnen alles, verschwieg aber, dass<br />

Stefan <strong>von</strong> Zuhause abgehauen war. Ich dachte mir, dass das nicht so entscheidend sei, doch ich<br />

dachte falsch.<br />

Ich hoffte, dass sie so schnell wie möglich den Mör<strong>der</strong> finden werden. Und ich hoffte, dass <strong>der</strong><br />

Mör<strong>der</strong> eine ordentliche Strafe kassieren würde. Die Polizei verhörte uns alle <strong>und</strong> rief dann den<br />

Leichenwagen, welcher Stefan mitnahm <strong>und</strong> in die Gerichtsmedizin zur Obduktion brachte.<br />

Als <strong>der</strong> Leichenwagen wie<strong>der</strong> gefahren war, fragte uns <strong>der</strong> Polizist, wer <strong>und</strong> wo die Eltern des Toten<br />

sind. Hannes erklärte ihm den Weg zu Stefans Haus. Nachdem wir wie<strong>der</strong> alleine waren,<br />

beschlossen wir die Zelte abzubauen <strong>und</strong> nach Hause zu gehen. Nur Oliver wollte noch bleiben,<br />

denn er hatte das alles aufgr<strong>und</strong> seines Alkoholspiegels nicht verstanden, doch wir überredet ihn,<br />

mit uns nach Hause zu gehen. Hannes <strong>und</strong> ich waren sehr betroffen <strong>und</strong> konnten das alles nicht<br />

verstehen. Und <strong>der</strong> Gedanke an Stefans Mutter ging mir auch nicht aus dem Kopf. „Was sie wohl<br />

machen wird, wenn sie erfährt, dass er abgehauen <strong>und</strong> jetzt tot ist?“, stellte ich mir selbst die Frage.<br />

Als ich zu Hause angekommen war, schlief meine Familie bereits. Ich schlich ins Haus, fiel in mein<br />

Bett, schlug verzweifelt mit den Fäusten gegen meinen Polster.<br />

Am nächsten Morgen weckte mich das Läuten meines Handys. Ich hatte unheimlich Kopfweh <strong>und</strong><br />

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<strong>der</strong> Klingelton nervte mich ungemein, trotzdem ging ich dran. Es war <strong>der</strong> Polizist <strong>von</strong> gestern. Er<br />

hatte eine Nachricht für mich. Er wusste, wer <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> <strong>von</strong> Stefan war. Ich dachte, es sei<br />

irgendein Unbekannter, welcher nichts Besseres zu tun hatte, als junge Menschen umzubringen.<br />

Doch dann sagte er etwas, dass ich mein ganzes Leben nicht vergessen werde. Dieser Satz prägte<br />

mein Leben <strong>und</strong> meine Gedanken über Erwachsene. Es war am Anfang nicht leicht zu glauben, was<br />

er sagte, ich dachte mir, das gibt es nicht, das ist unmöglich. Doch dann sagte <strong>der</strong> Polizist es<br />

nochmal: ,,Der Mör<strong>der</strong> <strong>von</strong> Stefan ist seine eigene Mutter!! Sie hat gestanden, ihren Sohn ermordet<br />

zu haben.“ Und diesen Satz konnte ich nie mehr vergessen. Nie mehr.<br />

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Dein Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> Helfer<br />

(Christina Grill)<br />

Friedlich lag er da, <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>lsee. Das steirische Meer, wie er auch genannt wurde. Die Oberfläche<br />

zeigte sich spiegelglatt, keine einzige Welle brach sich am Ufer. Ich tauchte hinein <strong>und</strong> spürte das<br />

Wasser. Letzte Nacht hatte es geregnet. Die Seetemperatur war gesunken.<br />

Ich ging oft im Sommer mit meinen Fre<strong>und</strong>en baden. Diesmal war ich jedoch alleine, wollte diesen<br />

Tag nutzen. Der Herbst stand vor <strong>der</strong> Tür <strong>und</strong> damit das Ende <strong>der</strong> Badesaison.<br />

Zusätzlich gab es noch einen Gr<strong>und</strong>, warum ich heute alleine an den See kam. Ich erk<strong>und</strong>ete den<br />

See nach Schätzen. Meine beste Fre<strong>und</strong>in Charlie <strong>und</strong> ich suchten immer nach gleich aussehenden<br />

Steinen. Das waren dann unsere Fre<strong>und</strong>schaftssteine. „Friend- Stones“, wie wir sie nannten .<br />

Vielleicht würde ich auch alleine etwas Beson<strong>der</strong>es finden.<br />

Ich schwamm hinaus. Tauchte unter. Jetzt gab es nur noch mich <strong>und</strong> das Wasser. Viele verschieden<br />

große Steine waren zu sehen. Manche waren fast so groß wie ich. Einer sogar größer. Ich sah einen<br />

Fisch vorbeischwimmen. Es war eine Forelle. Von unten sah ich ein Funkeln. Ich konnte aber nicht<br />

erkennen, was es war. Zu viele Algen versperrten mir die Sicht. Also musste ich tiefer<br />

hinuntertauchen, um den Gr<strong>und</strong> zu sehen. Als ich mich an den Algen festhielt, um nicht<br />

aufzutreiben, sah ich eine Hand. Ich tat die an<strong>der</strong>en Algen beiseite um mehr zu sehen. Und da war<br />

sie.<br />

Eine Leiche!<br />

Erschrocken ließ ich die Algen los. Schnappte wie ein Fisch nach Luft, doch meine Lungen füllten<br />

sich mit Wasser. Ich musste auftauchen. Luft holen. Ich schwamm so schnell es mir möglich war<br />

nach oben. Dort atmete ich gierig. Was sollte ich jetzt tun? Noch mal runter tauchen? O<strong>der</strong> war das<br />

alles Einbildung? Meine Neugier war groß. Ich musste zurück. Nochmals schwamm ich hinunter zu<br />

<strong>der</strong> Stelle, wo ich sie entdeckte. Was würde passieren? Ich rechnete mit dem Schlimmsten. Ich sah<br />

wie<strong>der</strong> das Funkeln an <strong>der</strong> Stelle, wo ich die Gestalt entdeckte <strong>und</strong> schwamm dorthin. Ich suchte<br />

hinter den Algen. Weiter rechts. Links. Doch wo war sie?? Ich bekam es mit <strong>der</strong> Angst zu tun. War<br />

sie hinter mir? Über mir? Würde sie aus dem Nichts auftauchen <strong>und</strong> mich mit in die Tiefe reißen?<br />

Doch nirgends war sie. Ich gab auf. Hatte ich mir alles nur eingebildet? Wahrscheinlich.<br />

Ich ließ mich an die Wasseroberfläche treiben. Setzte mich wie<strong>der</strong> ans Ufer <strong>und</strong> wickelte mich in<br />

mein Handtuch. War das wirklich gerade passiert? So unmöglich wäre das ja gar nicht, eine Leiche<br />

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zu sehen. Aber wieso konnte ich sie nicht mehr finden? War alles Einbildung?? Ab <strong>und</strong> zu spielt mir<br />

meine Fantasie einen Streich. Das wäre nicht das erste Mal. Und auch dieses Erlebnis wollte ich als<br />

Hirngespinst abtun. Ich fror, wollte nur noch nach Hause. Rasch zog ich meine Kleidung an, schob<br />

das Fahrrad zur Straße <strong>und</strong> wollte losfahren, doch dann sah ich meinen Nachbarn Franz Hengl auf<br />

mich zu gehen. Er hatte ein komisches Lachen aufgesetzt <strong>und</strong> sein Blick wirkte nervös.<br />

„Hallo Samantha.“ Ich hasse es, wenn man mich mit meinem vollständigen Namen anspricht.<br />

„Hallo Franz“, sagte ich mit zittriger Stimme. Würde er merken, dass etwas nicht stimmte?<br />

Hoffentlich nicht. Aber er war ja Polizist, also könnte ich eigentlich, o<strong>der</strong> eher müsste ich es ihm<br />

erzählen.<br />

„Du woast schwimmen o<strong>der</strong>?“<br />

„Ähm, jo.“<br />

„Und? Wie woas?“<br />

„Eigentlich eh recht lustig.“ Eine glatte Lüge.<br />

„Woast tauchen a?“<br />

„Jo, aber nit long.“<br />

„Host wos entdeckt o<strong>der</strong> g’ f<strong>und</strong>en do unten?“ Bildete ich mir das nur ein o<strong>der</strong> zuckte sein Auge?<br />

Irgendwie gruselig. Aber was sollte ich nur sagen? - Ja, eine Leiche. Nein ich hab sie nicht da<br />

reingeworfen. Du glaubst mir nicht? Was? Gleich mit ins Gefängnis? – Das wäre keine gute Idee.<br />

Ich könnte lügen, wär ja nicht das erste Mal.<br />

„Jo, sicher.“<br />

„Und wos?“ Sein Tonfall wurde ernst <strong>und</strong> sein Blick durchbohrte mich. Ich kramte in meiner<br />

Tasche herum. Vielleicht hatte ich etwas dabei? Hoffentlich.<br />

„Also, wos host jetzt g’ sehn?“, drängte er mich. Zum Glück waren einige Friend- Stones vom<br />

letzten Mal in <strong>der</strong> Tasche. Ich zeigte sie ihm.<br />

„Aso.“ Er lächelte. „Muas jetzt nu wohin. Pfiati. “<br />

„Pfiati Franz.“ Und weg war er. Jetzt ab aufs Rad <strong>und</strong> los.<br />

In dieser Nacht konnte ich kaum schlafen. Ich musste immer wie<strong>der</strong> an die Leiche denken. Ich<br />

schwamm im Traum nochmals zu diesem Funkeln. Wie<strong>der</strong> sah ich sie. Nur dieses Mal riss mich die<br />

Hand mit. Zog mich in die Tiefe. Vorbei an dem Holz, vorbei an den Steinen. Sie ließ mich los. Ich<br />

war erleichtert. Doch plötzlich fingen sich die Algen seltsam zu bewegen an. Ich wollte aus dem<br />

Wasser. Ich schwamm. Und schwamm. Als ich fast an <strong>der</strong> Oberfläche angekommen war, schlang<br />

sich eine Alge um meinen Fuß. Ich riss sie ab. Doch kaum hatte ich diese besiegt, kam schon die<br />

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zweite! Und eine dritte! Es folgten so viele, dass ich nichts mehr dagegen tun konnte. Sie zogen<br />

mich immer tiefer. Ich hatte keine Chance <strong>und</strong> ertrank.<br />

Am nächsten Morgen wachte ich schweißnass auf. „Zum Glick nur a Tram“, dachte ich.<br />

Ich stand auf <strong>und</strong> ging ins Badezimmer, um zu duschen. Ich drehte das Wasser auf <strong>und</strong> spürte<br />

förmlich, wie mir die Sorgen abfielen. Es war befreiend. Ich zog mich um <strong>und</strong> machte mich auf den<br />

Weg zum Bus. Dort eingestiegen, setzte ich mich auf meinen Stammplatz. Sollte ich es den an<strong>der</strong>en<br />

erzählen o<strong>der</strong> es lieber für mich behalten? Ich glaubte, dass es besser wäre, wenn ich es nur Charlie<br />

<strong>und</strong> Amy erzählte. Meinen besten Fre<strong>und</strong>innen konnte ich ja vertrauen.<br />

Wer wusste schon, was die an<strong>der</strong>en sagen würden? Ich konnte es mir bildlich vorstellen. Sie zielten<br />

mit ihren Fingern wie mit Pistolen auf mich <strong>und</strong> ihre Kommentare schmerzten wie Schüsse.<br />

„Do kimmt die Lebendige, die Tote sieht!“ o<strong>der</strong> „Nimmst Du mi des nächste Moi mit zum<br />

Leichenschmaus?“ könnte ich öfter zu hören bekommen. Weil ich nicht <strong>der</strong> Typ war, <strong>der</strong> sich gut<br />

mich Worten rechtfertigen konnte, wollte ich so etwas möglichst vermeiden.<br />

Der Bus hielt an. Ich stieg aus <strong>und</strong> ging die Straße entlang zur Schule. Vor den Spinden warteten<br />

auch schon meine Fre<strong>und</strong>e auf mich. Ich begrüßte sie mit einer Umarmung <strong>und</strong> als ich mir Schuhe<br />

<strong>und</strong> Jacke ausgezogen hatte, gingen wir die Treppe hinauf.<br />

„Und, wos wor bei eng so los?“, fragte Charlie.<br />

„Z’ wenig. Bei dir Sam?“, sagte Amy.<br />

„I muas eng wos erzöhn.“ Doch in diesem Augenblick klingelte auch schon die Schulglocke.<br />

„Nächste Pause im Gang. Okay?“<br />

„Passt“, sagten sie, wie aus einem M<strong>und</strong>.<br />

Wir gingen in die Klasse, stellten die Schultaschen zu unseren Plätzen <strong>und</strong> holten das<br />

Geschichtsheft <strong>und</strong> Buch heraus. Die Lehrerin kam, wie immer, erst nach zehn Minuten. Während<br />

<strong>der</strong> St<strong>und</strong>e überlegte ich, wie ich die Geschichte mit <strong>der</strong> Leiche am besten erzählen könnte. So<br />

kompliziert wird es schon nicht werden, grübelte ich.<br />

Als es läutete, gingen wir wie ausgemacht in den Gang <strong>und</strong> setzten uns auf den Boden.<br />

„Also?“, fragte Amy.<br />

„I wor gestern schwimmen. Und beim Tauchen hob i a Leiche gsehn.“<br />

„Du host a Leiche gsehn…!?“, sagte Amy, während Charlie vor Schreck kein Wort heraus brachte.<br />

„Doch es stimmt. I hob nit g’ wusst wos i doa soid. I bin rauf g’ schwommen <strong>und</strong> donn wie<strong>der</strong><br />

runter. Donn wor’ s weg“, ergänzte ich leise.<br />

49


„Wie hot sie ausg’ schaut?“, erk<strong>und</strong>igte sich Charlie, die ihre Stimme wie<strong>der</strong> gef<strong>und</strong>en hatte.<br />

„Braune Haare, um die 30. I werd’ nie ihren fürchterlichen Blick vergessen..“ Mir kamen still die<br />

Tränen. Die beiden nahmen mich in die Arme, um mich zu trösten. Es tat gut, verstanden zu<br />

werden.<br />

„Du muasst zur Polizei! Der hot sicher an Unfall g’ hobt, o<strong>der</strong> is vielleicht sogar ermordet worden!“<br />

„Ageh! Sicher nit!“<br />

„Woasst du’s?“<br />

„Hey! Hert’s auf mit <strong>der</strong> Streiterei!“, unterbrach ich sie <strong>und</strong> wischte mir die Tränen aus dem<br />

Gesicht. „Der Franz wor a do <strong>und</strong> hot mi ausg’ frogt.“<br />

„Wie ausg’ frogt?“, erk<strong>und</strong>igte sich Charlie.<br />

„Wos i do ho <strong>und</strong> wos i g’ sehn ho. “<br />

“Irgendwie komisch...“ Zum Glück sah man mir nicht an, dass ich geweint hatte. „I schau moi wos<br />

in nächster Zeit passiert <strong>und</strong> donn sehn ma’ s eh.“<br />

Sie nickten verständnisvoll <strong>und</strong> wir gingen zurück in die Klasse. Den restlichen Schultag verbrachte<br />

ich eher still auf meinem Platz. Nach <strong>der</strong> letzten St<strong>und</strong>e gingen wir wie<strong>der</strong> die Treppe runter, zogen<br />

uns Jacke <strong>und</strong> Schuhe an <strong>und</strong> stiegen in den Bus. Um uns herum war es laut. Alle redeten o<strong>der</strong><br />

lachten. Nur wir saßen still auf den Plätzen <strong>und</strong> warteten darauf, endlich unsere Bushaltestelle zu<br />

sehen. Als ich ausstieg, war nur ein leises „Tschüss, bis morgen“ zu hören.<br />

Mein Nachhauseweg führte mich am Gr<strong>und</strong>lsee entlang <strong>und</strong> ich musste sofort an das Ereignis<br />

denken. War die Leiche noch dort unten? Wurde sie schon entdeckt? Wie lange war sie überhaupt<br />

schon dort unten? War es ein Unfall o<strong>der</strong> wirklich ein Mord, wie Amy gesagt hat? Ein Mord? Bei<br />

uns? Das hört sich, dann schon seltsam an. Wer sollte denn schon in unserem kleinen Ort jemanden<br />

umbringen? Höchstens <strong>der</strong> Bauer die Kuh. Aber so ein richtiger Mord?<br />

Naja, vielleicht würde es ja genau deswegen mal Zeit dafür?!<br />

Ich öffnete die Haustür <strong>und</strong> trat ein. „Hi Mama! Wos gibt’s zu essen?“<br />

„A Schnitzel. Passt des eh?“<br />

„Sicher!“ Ich warf meine Schultasche in eine Ecke, setzte mich auf meinen Platz <strong>und</strong> aß genüsslich<br />

meine Leibspeise. Mhhh… Meine Mama war die beste Köchin auf <strong>der</strong> Welt! Lei<strong>der</strong> musste sie<br />

mittags meistens arbeiten <strong>und</strong> dann musste ich kochen. Und das war mehr schlecht als recht! Nach<br />

dem Essen nahm ich mir die Zeitung <strong>und</strong> die Schultasche mit auf mein Zimmer.<br />

Ich setzte mich zu meinem Schreibtisch <strong>und</strong> machte meine Hausaufgaben. Ich fing mit Mathe an<br />

<strong>und</strong> arbeitete mich langsam bis zu Englisch vor. Zum Schluss kam Deutsch, das war zum Glück<br />

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nicht so viel wie sonst immer! Nach getaner Arbeit schlug ich die Zeitung auf, um wie<strong>der</strong> up- to-<br />

date zu sein . Sonst übersprang ich die ersten Seiten immer, weil mich dieser ganze politische Kram<br />

nicht interessierte. Doch heute war es an<strong>der</strong>s. Mich überkam das Gefühl, dass es heute nicht<br />

schaden könnte. Ich las Artikel für Artikel. Und da sah ich es. Dick <strong>und</strong> fett, schwarz auf weiß stand<br />

es da: LEICHENFUND IN GRUNDLSEE/BAD AUSSEE. Mir stockte <strong>der</strong> Atem. War das meine<br />

Leiche, die da gemeint war? O<strong>der</strong> nur Zufall? Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich las weiter:<br />

Gestern wurde eine Leiche in <strong>der</strong> Traun (Gr<strong>und</strong>lsee/Bad Aussee) gef<strong>und</strong>en. Sie wurde als Regina<br />

Stangl identifiziert. Bei <strong>der</strong> Obduktion stellt man Blutergüsse am Oberkörper <strong>und</strong> Schnittw<strong>und</strong>en<br />

am Hals fest. Die Polizei vermutet, dass sie zuerst misshandelt, stranguliert <strong>und</strong> dann in den<br />

Gr<strong>und</strong>lsee geworfen wurde. Von dort trieb sie in den weiterführenden Fluss die Traun, wo sie <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Feuerwehr aus dem Wasser gezogen wurde. Die Polizei for<strong>der</strong>t alle auf, die Hinweise zu diesem<br />

Fall haben, sich zu melden.<br />

Oh mein Gott! Amy hatte Recht! Es war also wirklich ein Mord… Also musste ich doch zur Polizei.<br />

Aber eigentlich hatte ich keinen einzigen Hinweis. Ich hatte die Leiche gesehen … das war es dann<br />

auch schon! Wofür also dahin? Ich könnte ja auch wie<strong>der</strong> zum See <strong>und</strong> dort nach irgendetwas<br />

suchen. So einfach konnte ich dieses Geschehnis ja auch nicht vergessen! Ich musste dort hin! Am<br />

besten gleich morgen mit Amy <strong>und</strong> Charlie. Heute wollte <strong>und</strong> konnte ich einfach nicht mehr. Ich<br />

war zu müde für das alles. Ich musste neue Kräfte sammeln <strong>und</strong> erst dann konnte ich mich zu<br />

irgendwas aufraffen.<br />

„I hob’ s dir doch g’ sogt!“<br />

„I woas…“<br />

„Wie wär’ s mit ’ner Entschuldigung?“<br />

„Für wos??“<br />

„I hob recht g’ hobt <strong>und</strong> du nit.“<br />

„Na <strong>und</strong>? I entschuldig’ mi nit!“<br />

„Doch des wirst du!“<br />

„Na wieso soid i?“<br />

„Hey! Kinnt’ s ihr a ohne Streiten?“ Warum mussten die beiden immer <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> streiten??<br />

War auch egal. Ich hatte jetzt wichtigere Sorgen.<br />

Ein leises „Entschuldigung!“ war zu hören.<br />

51


„Endlich… Wos soid i jetzt doa? Kemmt’ s ihr donn mit zum Tauchen?“<br />

„Sicher! “, antworteten sie gleichzeitig.<br />

„Wenigstens do seid ihr eng einig!“ Ich lächelte <strong>und</strong> war schon gespannt auf diesen Nachmittag.<br />

Nach dem Essen schnappte ich mir mein Rad <strong>und</strong> trat so schnell ich konnte in die Pedale. Würden<br />

wir mit einem Hinweis zurückkommen o<strong>der</strong> bliebe <strong>der</strong> große F<strong>und</strong> nur ein Traum? Ich hoffte, in <strong>der</strong><br />

Eile nichts vergessen zu haben! Jetzt war es auch schon egal. Ich war fast da. Von Weitem sah ich<br />

schon die Fahrrä<strong>der</strong> <strong>von</strong> Amy <strong>und</strong> Charlie. Ich stellt meines dazu <strong>und</strong> lief zu ihnen.<br />

„Hey. Hobt’ s eh auf mi g’woatet?“, fragte ich.<br />

„Natürlich.“<br />

„Donn legen wir moi los!“<br />

Wir gingen ins Wasser <strong>und</strong> schwammen hinaus. Ich musste voran, denn nur ich wusste wo wir<br />

suchen mussten. Nun tauchten wir hinunter. Vorbei an den Steinen. Vorbei an den Algen. Hier<br />

musste es doch gewesen sein! Plötzlich sah ich wie<strong>der</strong> dieses Funkeln! Ich deutete den an<strong>der</strong>en<br />

aufzutauchen. Sie verstanden mich.<br />

„Hobt’ s ihr das Funkeln g’ sehn? Do hob i de Leiche entdeckt. Schauen ma moi wos des is!“<br />

Wie<strong>der</strong> tauchten wir runter. Ich tauchte genau darauf zu. Wie<strong>der</strong> waren mir die Algen im Weg. Ich<br />

bekam Angst, dass die Leiche wie<strong>der</strong> auftauchen könnte. Doch das tat sie nicht. Zum Glück. Ich tat<br />

die Algen beiseite <strong>und</strong> schwamm noch näher. Nun konnte ich es erkennen. Es war eine goldene<br />

Brosche! Doch es war keine billige, die es bei irgendwelchen Geschäften im Ausverkauf gab. Sie<br />

sah teuer aus. Sehr teuer! Ich hob sie auf <strong>und</strong> schwamm mit ihr nach oben.<br />

„Schwimmen wir zum Strand!“, sagte ich.<br />

Amy <strong>und</strong> Charlie nickten nur <strong>und</strong> wir gingen aus dem Wasser. Wir setzten uns <strong>und</strong> begutachteten<br />

das Stück.<br />

„Glaubst Du die hot <strong>der</strong> Leiche g’ hört?“, fragte Charlie.<br />

„Vielleicht. Kinnt a wer andrer verloren haben-“, fügte ich hinzu.<br />

„De hob i schon moi wo g’ sehn!“, unterbrach mich Amy <strong>und</strong> nahm die Brosche an sich. „De is nit<br />

billig! Nur wos für Reiche, aber wer is so reich, dass er sich des leisten ko? Wor de Frau reich?“<br />

„Keine Ahnung. Stand nit in <strong>der</strong> Zeitung. Miassad ma sich erk<strong>und</strong>igen. Wahrscheinlich soid i doch<br />

zur Polizei.“<br />

„Hallo“, sagten Amy, Charlie <strong>und</strong> ich gleichzeitig.<br />

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„Hallo. Wie ko i eng höfn?“, sagte Franz.<br />

„I hob vorgestern doch mehr g’ sehn. I hob de Leich dort beim Tauchen g’ sehn, nur donn woas<br />

weg.“<br />

„Du host mi belogen?!“ So aufgebracht hatte ich ihn noch nie gesehen.<br />

„I wor in Panik! Und im Zeitungsartikel stand, dass olle de Hinweise hom, zur Polizei gehen<br />

sollen!“<br />

„Entschuldigung.“ Er beruhigte sich langsam. „Wor sonst nu wos?“<br />

„Na. I hoff <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> wird bald g’ f<strong>und</strong>en. Wir gehen jetzt wie<strong>der</strong>. Pfiat di.“<br />

„Der Mör<strong>der</strong> is bereits g’ f<strong>und</strong>en.“<br />

„Wer wor’ s?!“, wollten Amy <strong>und</strong> Charley gleichzeitig wissen.<br />

„Ihr Mann. Sie sind seit 20 Johren verheiratet, nur die Ehe bröckelt schon long. Er hot gedocht, dass<br />

sie fremd geht <strong>und</strong> hot sie aus Eifersucht umgebrocht. Doch er sitzt nu nit im Gefängnis, weil wir<br />

Beweise brauchen.“<br />

„Wow. Des hätte i jetzt nit gedocht. Pfiat di.“<br />

„Pfiat di.“<br />

Als wir aus dem Polizeigebäude gingen, fragte mich Charlie: “Warum host nichts g’ sogt? De<br />

Brosche hätte er bestimmt braucht!“<br />

„De hom den Täter doch schon!?“, antwortete ich.<br />

„Doch, nur de Polizei wird’s mehr brauchen als wir. O<strong>der</strong> wos sollen wir damit mochn?“<br />

„Wir gehen auf Spurensuche! I glaub nit, dass <strong>der</strong> Herr Stangl seine Frau ermordet hot. Nit aus<br />

Eifersucht.“, schlug Amy vor. „Einverstanden?“<br />

„Okay, aber wo sollen wir suchen?“, fragte ich.<br />

„Wir fragen den Herr Stangl ob die Brosche seiner Frau g’ hört hot.“<br />

Gesagt - getan. Und schon standen wir vor <strong>der</strong> Haustür <strong>der</strong> Familie Stangl. Ich wusste zwar selbst<br />

nicht, was uns das bringen sollte, aber wir hatten nichts zu verlieren.<br />

„Hallo Herr Stangl. Mein Beileid wegen ihrer Frau“, sagte ich einfühlsam.<br />

„Danke. Und genau jetzt wär’ s mit unserer Ehe bergauf gegangen wär. Sie wor mein Leben…“<br />

Seine Augen wurden glasig <strong>und</strong> eine Träne rann aus seinem Augenwinkel die Wange herunter.<br />

„Wir wollten eigentlich gor nit long stören, nur wir hätten do a Frage.“<br />

„Hot de Brosche ihrer Frau g’ hört?“, fragte Amy. „Wir hom sie am Ufer vom Gr<strong>und</strong>lsee g’<br />

f<strong>und</strong>en.“ Sie zeigte ihm die Brosche. Er erkannte sie sofort.<br />

„Jo de hot sie immer dabei g’ hobt.“<br />

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„Hom Sie die Brosche ihrer Frau g’ kauft?“<br />

„Na, sie hot g’ sogt, ihre Tante hot’ s ihr g’ schenkt.“<br />

„Und wo wohnt die Tante?“, erk<strong>und</strong>igte sich Charlie.<br />

„Des Haus rechts.“ Er deutete auf das große, alte Haus, das eher wie eine Villa aussah. Das Haus<br />

umschloss ein schöner Garten mit vielen Bäumen <strong>und</strong> einer großen Terrasse. Auch w<strong>und</strong>ervolle –<br />

wenn auch etwas kitschige – Statuen <strong>von</strong> Engeln zierten das Paradies.<br />

„Danke, dass Sie uns weiter g’ hoifn hom“, bedankte sich Charlie.<br />

„Warum hobt ihr des eigentlich wissen wollen?“, fragte Herr Stangl mit einem misstrauischen<br />

Blick.<br />

„Wir glauben an ihre Unschuld <strong>und</strong> wollen des beweisen“, sagte ich entschlossen. Dann gingen wir<br />

die Straße bis zum Haus <strong>der</strong> Tante entlang <strong>und</strong> ich konnte noch bevor Herr Stangl hinter <strong>der</strong> Tür<br />

verschwand sehen, wie ein Lächeln über seine Lippen kam <strong>und</strong> ich dachte mir „Er is definitiv kein<br />

Mör<strong>der</strong>!“ Als Amy geklingelt hatte, machte uns eine alte <strong>und</strong> runzelige Frau auf. Sie hatte bestimmt<br />

schon bessere Zeiten hinter sich!<br />

„Hallo. Wir wollten fragen ob Sie de Brosche schon moi g’ sehn hom.“ Und auch dieses Mal zeigte<br />

Amy die Brosche her.<br />

„Na. I hob nu nie so a Brosche g’ sehn, geschweige denn g’ kauft. Solche Dinger sind nur unnötig<br />

<strong>und</strong> Staubfänger. Warum?“ Ich habe noch nie in meinem bisherigen Leben so eine unfre<strong>und</strong>liche<br />

<strong>und</strong> boshafte Person gesehen! Ich glaube es ist besser wenn sie nicht zu viel weiß o<strong>der</strong> überhaupt<br />

etwas. Sie scheint so, als ob sie uns bei dem nächsten falschen Wort den Kopf abhacken würde,<br />

schießt es mir durch den Kopf.<br />

Als könnte Amy meine Gedanken lesen, antwortete sie: „Wir hom die Brosche am Gehsteig g’<br />

f<strong>und</strong>en <strong>und</strong> hom docht sie g’ hört vielleicht Ihnen. Aber da des nit <strong>der</strong> Fall is gehen wir jetzt wie<strong>der</strong>.<br />

Auf Wie<strong>der</strong>sehen <strong>und</strong> Entschuldigen Sie de Störung.“ Bei dem letzten Satz setzte Amy ein so<br />

zuckersüßes <strong>und</strong> unschuldiges Lächeln auf, dass man meinen hätte können, die Tante müsste sich<br />

gleich übergeben. Ohne auch nur ein Wort des Abschiedes knallte sie uns die Tür vor <strong>der</strong> Nase zu<br />

<strong>und</strong> wir gingen lachend weiter.<br />

„Aber wenn ihr Mann <strong>und</strong> ihre Tante de Brosche nit g’ kauft hom, wer donn?“, fragte sich Amy.<br />

„Warum hätte de Frau Stangl den Herrn Stangl belügen soin?“<br />

„Je<strong>der</strong> hot seine Geheimnisse. Auf zum Juwelier!“, sagte ich.<br />

„Wos willst du beim Juwelier?! Shoppen kost a später “, sagte Amy verw<strong>und</strong>ert.<br />

„Na i versteh schon“, sagte Charlie. „Der Juwelier in Aussee ko ins weiterhöfn! Der wird wissen<br />

wer die Brosche g’ kauft hot!“<br />

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Wenigstens eine, die mit dachte!<br />

Nun standen wir vor dem Juwelier <strong>und</strong> wussten nicht, was wir tun sollten. Würden sie uns<br />

überhaupt etwas sagen dürfen? Gibt es nicht genau dafür den Datenschutz? Aber so genau wusste<br />

ich das jetzt auch wie<strong>der</strong> nicht.<br />

„Überlasst die Sache mir… “, sagte Amy. Sie nahm die Brosche, warf noch einmal einen prüfenden<br />

Blick in den Taschenspiegel <strong>und</strong> ging mit wackelnden Hüften <strong>und</strong> einem verführerischen Blick auf<br />

den Verkäufer zu. Charlie <strong>und</strong> ich sahen uns die Szene genüsslich an <strong>und</strong> mussten lachen. Das war<br />

so typisch für Amy. Immer wenn ein männliches Wesen, das nicht älter als 19 war, anwesend war,<br />

musste sie sich auf ihn stürzen <strong>und</strong> mit ihm flirten <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> fielen die Jungs darauf rein!<br />

Man konnte sie mit einer hungrigen Löwin vergleichen, die immer auf <strong>der</strong> Suche nach neuen<br />

Opfern war. Nach kurzer Zeit kam sie mit zwei Zetteln in <strong>der</strong> Hand aus dem Geschäft heraus.<br />

„Wos host do?“<br />

„Auf dem ersten Zettel steht die Handynummer <strong>von</strong> dem feschen Verkäufer <strong>und</strong> auf dem zweiten<br />

<strong>der</strong> Name des Besitzers <strong>der</strong> Brosche. Wer glaubst hot’ s g’ kauft?“<br />

Ich nahm sofort den Zettel <strong>und</strong> las den Namen. „Na!“<br />

„Oh doch! Unglaublich o<strong>der</strong>?“<br />

„Franz Hengl.“ Jetzt riss mir Charlie den Zettel aus <strong>der</strong> Hand, um sich selbst zu überzeugen.<br />

„Der hot ihr de Brosche g’ schenkt! Er is die Affäre wegen <strong>der</strong> die Ehe <strong>der</strong> Stangl g’ bröckelt hot!“,<br />

stellte Charlie fest.<br />

„Er wor <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>! Wir miassn zur Polizei. Jetzt!“, befahl Amy.<br />

„Da Franz is aber Polizist. Der muas sicher orbeiten!“, sagte ich.<br />

„Wir miassn’ s riskieren. Vielleicht hom wir Glick.“<br />

Und wir hatten Glück. Keine Spur <strong>von</strong> diesem hinterhältigen Mör<strong>der</strong>. Wir liefen voller Eile auf den<br />

an<strong>der</strong>en Polizist zu, als würde uns ein Bienenschwarm verfolgen.<br />

„Wir wissen, wer <strong>der</strong> wahre Mör<strong>der</strong> <strong>von</strong> Regina Stangl is!“<br />

„Wirklich? Wer denn?“, sagte <strong>der</strong> Polizist mit einem Grinsen im Gesicht, als wären wir Verrückte.<br />

„Franz Hengl“, sagte ich.<br />

„Und warum seid ihr so überzeugt da<strong>von</strong>? Der wahre Mör<strong>der</strong> is ihr Mann. O<strong>der</strong> hobt ihr Beweise?“<br />

„Des soin ma glauben. Der Herr Hengl hot a Affäre mit <strong>der</strong> Frau Stangl g’ hobt <strong>und</strong> des hot ihr<br />

Mann vermutet. Der Hengl hot ihr de Brosche g’ kauft <strong>und</strong> wollte, dass sie ihren Mann verlässt. Nur<br />

jetzt hot sie ihren Mann mehr geliebt, in <strong>der</strong> Ehe ging es bergauf <strong>und</strong> sie wollte sich vom Hengl<br />

trennen. Nur <strong>der</strong> hot sich gedocht „Wenn i sie nit hom ko, donn niemand!“ <strong>und</strong> hot sie umgebrocht.<br />

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Jetzt wollte er des dem Herr Stangl anhängen, weil er ihn dafür hasst, dass er seine Geliebte<br />

bekommt <strong>und</strong> nicht er.“<br />

„Aber wenn er sie so g’ liebt hot, warum hot er sie vorher misshandelt?“, fragte de Polizist.<br />

„Damit sie genauso leidet wie i g’ litten hob! “ Wir drehten uns um. Wir hatten nicht bemerkt, wie<br />

Franz Hengl die Tür hereinkam. Er hatte ein hasserfülltes Lachen im Gesicht <strong>und</strong> eine Pistole in <strong>der</strong><br />

Hand, die auf uns gerichtet war.<br />

„Also stimmt des olles Franz?! Du hättest sie jo nit umbringen miassn! Du woast, dass i di<br />

festnehmen muas…“<br />

„Des dad i an deiner Stelle nit. Immerhin hob i de Pistole nit du.“<br />

„Hey! Und wos sogst donn unseren Eltern wenn wir tot sind??“, fragte Amy in einem<br />

provozierenden Ton.<br />

„Du bist jetzt moi leise, sonst bist du de erste, mein Schatz.“ Er war ganz nahe bei ihr <strong>und</strong> hielt ihr<br />

die Pistole unters Kinn. Er lachte. Doch Amy schien ganz ruhig, er war so auf sie fixiert, dass ich<br />

mich nach hinten schleichen konnte, um mir eine Buchstütze aus schwerem Messing zu nehmen.<br />

„Nenn mi nie wie<strong>der</strong> Schatz“, sagte Amy, bevor sie ihm in seine Visage spuckte.<br />

Genau in dem Moment, als er sie zur Seite stieß, um mehr Platz zu haben, schlug ich ihm die Stütze<br />

über sein Haupt <strong>und</strong> er fiel zu Boden. Einige Sek<strong>und</strong>en lag er nur da <strong>und</strong> rührte sich nicht. Es war<br />

still. Totenstill. War er nur verletzt o<strong>der</strong> gar tot? Er hatte eine W<strong>und</strong>e auf dem Kopf. Das dunkelrote<br />

Blut rann auf den Teppich. Die Flecken würde man nie mehr herausbringen. Der an<strong>der</strong>e Polizist<br />

durchbrach die furchtbare Stille <strong>und</strong> rief die Rettung. An das, was in den nächsten Minuten <strong>und</strong><br />

St<strong>und</strong>en geschah, konnte ich mich nur noch verschwommen erinnern. Hengl wurde verarztet <strong>und</strong><br />

dann verhaftet. Der Fall kam in die Zeitung <strong>und</strong> bis jetzt verging kein Tag, an dem ich nicht darüber<br />

nachdachte, was gewesen wäre, wenn <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> nicht zurückgegangen wäre <strong>und</strong> gleich<br />

geschossen hätte.<br />

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Hass<br />

(Benno Hacker)<br />

Hass?! Was ist das? Eine körperliche Regung? Ein Fehler im Gehirn? O<strong>der</strong> ein zum Menschen<br />

passendes Gefühl? Ich habe bisher noch nie gehört, dass Tiere hassen. Ihn empfinden immer nur<br />

Menschen. Hass hat viele Seiten, gute findet man selten. Auch ich musste das am eigenen Leib<br />

erfahren. Es gab einmal eine Zeit, in <strong>der</strong> ich dachte, dass Hass eine lebenswichtige Regung ist.<br />

Damals hasste ich viele Leute, heute nur noch mich. Damals dachte ich, dass alle die nicht hassen,<br />

nicht würdig sind zu leben <strong>und</strong> alle die, die falschen Leute hassen ebenso. Aber am meisten hasste<br />

ich die, die nicht so waren wie ich o<strong>der</strong> die nicht das taten, was ich <strong>von</strong> ihnen wollte. Und nur<br />

aufgr<strong>und</strong> meines Hasses machte ich Fehler, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Heute will<br />

ich die ich Tat nur noch wie<strong>der</strong>gutmachen.<br />

Ich sitze auf einer Holzbank <strong>und</strong> schaue dem Mann, <strong>der</strong> mir gegenübersitzt, fest in die Augen. Wie<br />

er das alles aufnehmen wird? Seine Unruhe ist deutlich zu spüren. Durch das Gitter merke ich, wie<br />

ihm <strong>der</strong> Angstschweiß auf <strong>der</strong> Stirn steht. Ich kann ihn zwar nicht gut sehen aber es reicht, um zu<br />

wissen, dass er lieber sein Leben behalten <strong>und</strong> mich nicht verraten will, als mich zu verraten <strong>und</strong> zu<br />

sterben …<br />

Da ich ihm das noch mal vor Augen führen will, frage ich ihn mit liebenswürdiger Stimme:<br />

„Du wirst deine Pflichten als Beichtvater auch in diesem beson<strong>der</strong>en Fall nicht vernachlässigen,<br />

o<strong>der</strong>?“<br />

„Ne-Nein werde ich nicht, versprochen“, antwortet er mit brüchiger Stimme.<br />

„Ich werde jetzt gehen. Sie bleiben sitzen <strong>und</strong> nach ein paar Minuten können Sie ebenfalls den<br />

Beichtstuhl verlassen. Hören Sie?“<br />

Sein Nicken erahne ich mehr, als dass ich es sehe.<br />

Ich will den Kirchturm besichtigen. Ich bezahle die gefor<strong>der</strong>ten „freiwilligen“ Spenden <strong>und</strong> fange<br />

an die Treppe hochzusteigen. Ich zähle mit <strong>und</strong> komme auf 164 Stufen. Eine schöne Zahl denke ich<br />

<strong>und</strong> trete an das Gelän<strong>der</strong>. Es ist nur halbhoch, mir reicht es gerade zum Bauch. Vom Turm aus<br />

schaue ich zum Mittelteil <strong>der</strong> in klassischer Form gehaltenen Kirche. Das Dach vor mir war früher<br />

einmal mit roten Dachziegeln belegt, heute sind viele Löcher darin <strong>und</strong> die Dachziegel, die noch da<br />

sind, sind <strong>von</strong> grünem Moos bedeckt. Ein Windstoß trifft mich. Mir wird richtig kalt. Ich wechsle<br />

die Seite <strong>und</strong> schaue jetzt direkt auf den kleinen Platz vor dem Eingang unter dem Turm. Ich halte<br />

mich an dem kalten Eisengelän<strong>der</strong> vor mir fest. Ich denke über die Worte des Pfarrers nach. Sprach<br />

er die Wahrheit, als er meinte, dass man beim Sterben noch mal sein ganzes Leben vor Augen sieht?<br />

57


Nein, eigentlich kann das gar nicht sein. Ist das dann vielleicht die Hölle? Ist die Hölle nur die<br />

Erinnerung an alles, was man falsch gemacht hat? An alle schmerzhaften Entscheidungen des<br />

Lebens? Wenn dann die Worte des Pfarrers <strong>der</strong> Wahrheit entsprachen, erlebt ja je<strong>der</strong> Mensch die<br />

Hölle. Egal wie viel Gutes o<strong>der</strong> Böses jemand getan hat. Eine Hand berührt meine Schulter. Als ich<br />

mich umdrehen will, verhin<strong>der</strong>t dies jemand. Derjenige flüstert mir gleich darauf leise ins Ohr:<br />

„Ein schönes letztes Treffen, hier oben.“<br />

Die Hand fängt plötzlich an, mich nach vorne zu schieben. Als ich mich vom Gelän<strong>der</strong> abstoßen<br />

will, gibt es nach. Ich falle. Das Gelän<strong>der</strong> ist immer noch in meiner Hand. Eine einzige Wolke steht<br />

am Himmel. Sie ist zart wie eine Fe<strong>der</strong>. Ein starker Wind zerrt an dem Gelän<strong>der</strong>. Habe ich mich<br />

doch verzählt mit den Stufen? Eigentlich dauert mein Sturz bereits viel zu lange. Plötzlich habe ich<br />

das Gefühl, als würden meine Arme ausreißen. Das Gelän<strong>der</strong> ist noch gar nicht heruntergefallen,<br />

wie ich jetzt bemerke. Eine Hand hält es fest. Die Hand gehört einem Mann:<br />

Meinem Beichtvater! Nein, doch nicht, wie ich jetzt bemerke. Sie sehen sich nur sehr ähnlich. Ich<br />

kenne den Mann, aber woher?<br />

„Lass ihn fallen, für ausgiebige Rache ist später noch genügend Zeit.“<br />

„Falls er es überleben sollte. Es sind auch schon Menschen aus niedrigeren Höhen gefallen <strong>und</strong><br />

gestorben.“<br />

„Der ist robust gebaut <strong>und</strong> falls er nicht überleben sollte, ist es auch egal.“<br />

Als ich in die Straße einbiege, merke ich, dass das ich in die Altstadt gekommen bin. Alle Hauser<br />

sind sehr alt <strong>und</strong> haben kaum noch Farbe an <strong>der</strong> Fassade, manche sind sogar schon in sich<br />

zusammengebrochen. Eben bin ich noch an prachtvollen frisch aufgestellten Häusern<br />

vorbeigegangen, während jetzt für jedes zweite Haus jede Hilfe zu spät ist. Ich schaue mich kurz<br />

um. Das Haus neben mir hat die Nummer 124. Ich suche die Nummer zwei!<br />

Sofort fällt es ins Auge. Es ist aus Holz <strong>und</strong> hat einen dunkelbraunen Anstrich, zweistöckig <strong>und</strong><br />

besitzt einen kleinen Vorgarten, mit nahezu englischem Rasen. Der Weg in den Garten geht durch<br />

ein Tor mit farbenfrohen Ranken, das die einzige Lücke in <strong>der</strong> sonst perfekten Hecke darstellt.<br />

‚Immer für Überraschungen gut‘, denke ich mir, während ich in die gut versteckte Kamera lächle.<br />

Als ich an <strong>der</strong> Tür ankomme, wird diese gerade <strong>von</strong> einer lächelnden Frau in ihren besten Jahren<br />

aufgemacht.<br />

„Hallo, komm doch rein.“<br />

Bevor ich ihrer Auffor<strong>der</strong>ung folge, schaue noch mal die Straße auf <strong>und</strong> ab, aber ich kann wie<strong>der</strong><br />

niemanden ungewöhnlichen entdecken. „Wirst du verfolgt?“, fragt sie, während die Tür zuschlägt.<br />

„Ich weiß es nicht, aber ich habe so das Gefühl als ob.“<br />

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Dass ich nicht einfach so ein Gefühl habe, weiß sie sehr genau. Dennoch sagt sie nichts. Das Haus<br />

ist gut beheizt. Das Vorzimmer führt in einen Flur <strong>von</strong> dem die Zimmer abzweigen. Die Frau führt<br />

mich direkt in das erste Zimmer. Es ist die Küche. Außer einem Herd, einem Kühlschrank <strong>und</strong> einer<br />

Arbeitsplatte ist hier auch ein mit Kuchen <strong>und</strong> Kaffee gedeckter Tisch.<br />

Sie weist mir einen Stuhl vor dem ein kleines Küchlein auf einem kitschigen Teller steht.<br />

Da ich ein Mann bin <strong>der</strong> gern schnell zur Sache kommt, spreche ich sie gleich auf mein Problem an:<br />

„Als ich auf dem Computer, den Sie mir gegeben hatten, nach Informationen über Ihren Vater<br />

suchte, fand ich vor allem eines:<br />

Informationen über Projekte einer Gruppe, die Firmen infiltriert <strong>und</strong> Daten über geplante Projekte<br />

dieser Firmen.<br />

Ihr Vater hatte Informationen über eine Vereinigung die Wirtschaftsspionage im großen Stil betreibt.<br />

Woher hatten Sie den PC überhaupt?“<br />

„Papas letzter Vermieter hat ihn mir zugeschickt, warum?“<br />

„Ich werde, seit ich mit ihm in einem Hotel ins Netz gegangen bin, verfolgt. Die wollen mich tot<br />

sehen!<br />

“Aber sie werden Sie nicht tot sehen o<strong>der</strong> doch?“<br />

„Ich hoffe nicht.“<br />

Plötzlich explodiert etwas. Alles um mich herum ist wie im Himmel, viel zu viel weiß. Ich höre nur<br />

unverständliche Laute. War ich bewusstlos? Plötzlich bewegt sich jemand o<strong>der</strong> etwas schnell auf<br />

mich zu. Ich spüre wie mich etwas auf <strong>der</strong> Wange trifft <strong>und</strong> meinen Kopf beiseite schleu<strong>der</strong>t. Ein<br />

Brummen erfüllt mein ganzes Ohr <strong>und</strong> mir wird schwarz vor den Augen.<br />

Zwei Männer reden mit einan<strong>der</strong>. Wer sind die? Und was wollen die? Haben sie jetzt was sie<br />

wollen? O<strong>der</strong> wollen sie mich? Rational denken. Jetzt höre ich keinen einzigen Ton mehr. Staub<br />

erfüllt die Luft. Ein Krachen, ich schrecke auf <strong>und</strong> sehe gerade noch wie die Wand die auf meiner<br />

linken Seite ist zu mir hin umkippt. Mir fällt irgendetwas Schwereres auf den Kopf. Ich falle zu<br />

Boden.<br />

Neben mir zischt die Uhr vorbei. Über mir sehe ich noch das hämische Grinsen des Mannes, <strong>der</strong><br />

mich geschubst hat. Der Boden kommt schnell näher. Plötzlich bleibt alles stehen. Ich hänge auf<br />

dem Rücken in <strong>der</strong> Luft. Nein unter mir ist etwas. Komisch ich habe die Landung gar nicht gespürt.<br />

Ist das Gras unter mir? Wo bin ich <strong>und</strong> wie bin ich hier hergekommen? Plötzlich strömt es auf mich<br />

ein. Die Kopfschmerzen überwiegen alles. Ich spüre nur meinen Kopf <strong>und</strong> <strong>der</strong> pulsiert. Ich richte<br />

mich langsam auf alles dreht sich eine Weile, sodass mir ganz übel wird. Vor mir liegt ein an<strong>der</strong>er<br />

Mann. Er ist voller Staub <strong>und</strong> hat überall Schürfw<strong>und</strong>en. Sein Kopf! Was ist damit passiert. Mir<br />

59


wird schlecht <strong>und</strong> ich erbreche mehrere Male bevor ich mich dazu durchringe meinen anzufassen.<br />

Mein Kopf ist kalt, eiskalt. Und viel härter als ich ihn in Erinnerung habe. O<strong>der</strong> ist er womöglich<br />

genauso wie <strong>der</strong> <strong>von</strong> dem Mann zu meinen Füßen aus Eisen? Ich spüre Glas <strong>und</strong> sehe plötzlich<br />

meine Hand. Ich kann alles sehen. Ich sehe die einzelnen Verbindungen <strong>und</strong> wie sie aufgebaut sind.<br />

Ich weiß plötzlich, wie meine Hand funktioniert wie sie aufgebaut ist <strong>und</strong> wie sie sich vernichten<br />

lässt. Ich denke nur noch eines bevor alles schwarz wird: Vernichten?<br />

60


Blaue Augen<br />

(Eva Haim)<br />

Eine Stimme weckte mich. Meine Augenli<strong>der</strong> waren schwer, ich konnte sie nicht öffnen. Doch ich<br />

hörte jemanden reden, jedoch verstand ich die Bedeutung <strong>der</strong> Worte nicht.<br />

Mein Kopf brummte. Als hätte ich am Vortag zu viel getrunken.<br />

Gestern! Was war eigentlich gestern?<br />

Ich versuchte mich zu erinnern. Ich war mit Natascha in <strong>der</strong> Disco. Und dann?<br />

Dann war da ein riesiges Loch.<br />

Endlich gelang es mir, meine Augen zu öffnen. Ich sah meine Fre<strong>und</strong>in Lena neben mir sitzen. Ich<br />

wollte mich aufsetzen, doch mein Kopf versetzte mir einen schmerzvollen Stich, sodass ich nur ein<br />

genervtes Brummen <strong>von</strong> mir gab.<br />

Lena, die fast eingeschlafen wäre, schrak durch mein Brummen auf.<br />

„Sie kommt zu sich“, sagte sie erst leise, dann lauter <strong>und</strong> irgendwann brüllte sie es. „Sie kommt zu<br />

sich!“<br />

Dann hörte ich jemanden in den Raum kommen. Schemenhaft erkannte ich eine Krankenschwester.<br />

Erst dann bemerkte ich, dass ich nicht zu Hause war.<br />

„Wo ...“,<br />

“ Du bist im Krankenhaus“, unterbrach mich Lena. „ Stevie, <strong>der</strong> Securitybeamte <strong>von</strong> <strong>der</strong> Disco, hat<br />

dich mit einer riesigen Platzw<strong>und</strong>e gef<strong>und</strong>en. Du bist mitten am Parkplatz gelegen. Du hattest<br />

gestern wohl eine kleine Prügelei <strong>und</strong> mit welchem schiachen Hawara ist eigentlich Natascha<br />

wie<strong>der</strong> mitgefahren? Sie ist nämlich seit eurem Besuch in <strong>der</strong> Disco nicht mehr aufgetaucht.“<br />

Ich wollte antworten, doch mein Kopf wurde schwer <strong>und</strong> meine Augen fielen zu.<br />

Als ich wie<strong>der</strong> aufwachte, war Lena weg <strong>und</strong> eine Krankenschwester stand neben mir.<br />

Als sie bemerkte, dass ich aufwachte, ging sie aus dem Zimmer <strong>und</strong> kam mit meiner Mutter zurück.<br />

Sie schaute mich böse an, obwohl sie dennoch sichtlich darüber erleichtert war, mich hier lebend zu<br />

sehen.<br />

Ich glaube, sie hatte Angst um mich. Sie würde sicher wissen wollen, was passiert ist. Aber was<br />

sollte ich ihr erzählen? Ich wusste doch selbst nicht, was passiert war o<strong>der</strong> wo Natascha sich befand.<br />

„Ach Kind“, seufzte meine Mutter.<br />

Mir war klar, dass jetzt ein langer Vortrag folgen würde. Das war immer so. Ich verletzte mich <strong>und</strong><br />

meine Mutter klärte mich über die Gefahren des Lebens auf.<br />

„Was hast du dir eigentlich nur dabei gedacht?“<br />

61


„Gedacht!? Was sollte ich mir schon groß denken!?“<br />

„In einem an<strong>der</strong>en Ton mein Fräulein! Und eigentlich bist du alt genug um auf dich aufzupassen<br />

<strong>und</strong> über deine Entscheidungen nachzudenken!“<br />

„Wenn ich wüsste was ich gemacht habe o<strong>der</strong> was passiert ist, könnte ich dir sagen was ich mir<br />

dabei gedacht habe!“<br />

„ Ja das mein liebes Kind kommt vom vielen Alkohol!“<br />

Ich verdrehte die Augen.<br />

Das war wie<strong>der</strong> typisch meine Mutter. Als sie es endlich einsah, dass ich mich an nichts mehr<br />

erinnern konnte, schob sie meinen Gedächtnisverlust auf den Alkohol. Dann mischte sich die<br />

Krankenschwester ein <strong>und</strong> erklärte meiner Mutter, dass ich nichts mehr <strong>von</strong> dem Abend wusste,<br />

weil ich einen heftigen Schlag auf den Hinterkopf bekommen hatte.<br />

Ich schaute mit Vergnügen zu, wie sich das Gesicht meiner Mutter zu einer ärgerlichen Grimasse<br />

verzog. Ich wusste, dass sie es nicht leiden konnte, Unrecht zu haben. Am liebsten würde sie jetzt<br />

irgendetwas sagen, um die Krankenschwester zu beleidigen.<br />

Sie ballte die Fäuste, atmete tief durch <strong>und</strong> ließ dann die Hände wie<strong>der</strong> entspannt hängen, gab mir<br />

einen Kuss auf die Stirn <strong>und</strong> ging. Die Tür quietschte, weil meine Mutter Steine <strong>von</strong> <strong>der</strong> Straße<br />

herein getragen hatte <strong>und</strong> wahrscheinlich einer unter die Tür gekommen war. Ich bekam Kopfweh<br />

<strong>und</strong> mir wurde schwarz vor Augen.<br />

Natascha <strong>und</strong> ich stehen in <strong>der</strong> Disco. Es sind viele Leute um uns herum. Natascha zieht mich aufs<br />

Klo, vorbei an den ganzen Leuten.<br />

Auf dem Klo stehen einige Mädchen. Manche schminken sich vorm Spiegel, an<strong>der</strong>e hängen schon<br />

vor <strong>der</strong> Kloschüssel <strong>und</strong> kotzen sich die Seele aus dem Leib. Natascha verschwindet in einer<br />

Kabine. Ich warte. Sie geht noch zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Doch davor<br />

stehen viele Mädchen, die sich schminken <strong>und</strong> Natascha boxt sich durch, wäscht sich die Hände<br />

<strong>und</strong> macht die Tür nach draußen auf.<br />

Eines <strong>der</strong> Mädchen schiebt sich an mir vorbei durch die offene Tür. Den Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e<br />

sehe ich ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Blaue Augen blitzen mich an. Die Tür schlägt<br />

wie<strong>der</strong> zu <strong>und</strong> Natascha erscheint.<br />

„Ich hab ihn gesehen“, zische ich ihr zu.<br />

Ein starkes Rütteln weckte mich. Eine Krankenschwester stand über mich gebeugt <strong>und</strong> schüttelt<br />

mich. „Was ist los? Du hast geschrien!“<br />

„Ich hab geschlafen.“<br />

„Dann hattest du wohl einen Albtraum, o<strong>der</strong>?“<br />

62


Erst da merkte ich, dass ich kreidebleich war <strong>und</strong> schwer atmete.<br />

„Ja. ähm. Ich versuche wie<strong>der</strong> weiterzuschlafen.“<br />

Ich spürte, wie langsam eine Träne über mein Gesicht floss. Blitzschnell stützte ich meinen Kopf in<br />

die Hand, damit man meine Träne nicht sah. Dann setzte ich noch ein unechtes Lächeln auf <strong>und</strong><br />

hoffte, dass die Krankenschwester nun endlich glauben würde, dass es mir gut ging <strong>und</strong> das Zimmer<br />

verlassen würde. Ich wollte allein sein.<br />

„Okay, kann ich dich dann allein lassen?“, sagte sie endlich.<br />

„Ja ja! Klar, wenn was ist, schrei ich einfach wie<strong>der</strong>!“<br />

Wenn was ist, da schrei ich einfach wie<strong>der</strong>!? Was war denn das für ein bescheuerter Spruch gerade?<br />

Was wird sich die jetzt <strong>von</strong> mir wohl denken?<br />

Ich sah an ihrem Blick, dass sie mich für vollkommen übergeschnappt hielt!<br />

Wow, die Krankenschwester hatte eigentlich voll die blauen Augen. Ich hätte auch so gern blaue<br />

Augen, meine sind ja nur grün <strong>und</strong> grüne Augen hat sowieso je<strong>der</strong>. Wenn sie nicht so dick wäre,<br />

wäre sie ja eigentlich ganz hübsch. Ich meine blaue Augen, blonde lange Harre, sie ist genau das<br />

Gegenteil <strong>von</strong> mir. Ich habe ja grüne Augen <strong>und</strong> dunkelbraune schulterlange Haare. Ich würde<br />

sofort mit ihr tauschen. Dann wären mir die paar Kilos mehr auf den Hüften auch egal. Nur ihre<br />

piepsige Stimme war unerträglich.<br />

„Okay ich schau dann später noch einmal nach dir.“<br />

Sie ging aus dem Zimmer. Was war denn das gerade!? Ich wischte mir schnell die Tränen aus den<br />

Augen.<br />

Was war das für ein Mann? Sollte ich es jemanden erzählen?<br />

Nein! Ich rege mich viel zu viel auf!<br />

„Es war nur ein Traum!“, beruhigte ich mich selbst.<br />

„Nur ein Traum.“<br />

Und was, wenn nicht?<br />

Ich darf mich jetzt damit nicht fertig machen!<br />

Ich sollte wirklich versuchen wie<strong>der</strong> weiter zu schlafen. Doch mir gingen die blauen Augen <strong>der</strong><br />

Krankenschwester nicht aus dem Kopf. Ich habe solch intensiv blaue Augen schon einmal gesehen!<br />

Aber wo?<br />

Ist ja jetzt egal!<br />

Ich muss einfach versuchen zu schlafen!<br />

Einfach die Augen schließen <strong>und</strong> versuchen zu schlafen.<br />

Natascha <strong>und</strong> ich stehen in <strong>der</strong> Disco.<br />

63


Wir setzten uns zur Bar, um etwas zu trinken. Natascha sieht sich nervös um.<br />

„Da ist er schon wie<strong>der</strong>!“ Sie starrt in eine Ecke.<br />

Ich folge ihrem Blick.<br />

Blaue Augen blitzen mich an.<br />

„Gehen wir lieber!“<br />

Ein Klopfen weckte mich. Ich öffnete langsam meine Augen. Die Krankenschwester steckte ihren<br />

Kopf bei <strong>der</strong> Tür herein. Ihre blauen Augen blitzten mich an, wie gerade noch die Augen in meinem<br />

Traum. Doch dieses Mal machten sie mir Angst.<br />

„Ich bring dir essen!“<br />

Erst jetzt bemerkte ich das Tablett ihn ihrer Hand, zu sehr hatte ich ihr in die Augen gestarrt.<br />

Schnell senkte ich den Kopf, um ihr nicht mehr ihn die Augen sehen zu müssen.<br />

„Ja ja..“<br />

„ Okay … ich stell‘s dir einfach neben das Bett.“<br />

Sie ging ohne ein weiteres Wort.<br />

Irgendwie tat sie mir jetzt leid.<br />

Ich meine, ich hab ihr einfach auf einmal nicht mehr ins Gesicht geschaut.<br />

Ich sollte etwas trinken, um wie<strong>der</strong> einen klaren Kopf zu bekommen. Ich nahm langsam das Glas<br />

mit Orangensaft in die Hand.<br />

Orangensaft.<br />

Das war Nataschas Lieblingssaft. War? Was dachte ich da bloß!? Natascha lebte doch noch!<br />

O<strong>der</strong> etwa nicht?<br />

Langsam liefen mir Tränen über die Wange.<br />

Erst jetzt merkte ich. was eigentlich los war.<br />

Meine Fre<strong>und</strong>in war verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> niemand wusste wo sie war.<br />

Nur ich wusste, was passiert war!<br />

Und ich? Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern!<br />

Eine unglaubliche Wut durchfuhr mich. Eine solche Wut, dass das Glas, das ich in <strong>der</strong> Hand hielt,<br />

zersprang. Doch nicht einmal diesen Schmerz spürte ich.<br />

Ich spürte nur die Wut <strong>und</strong> die Tränen, die mir über die Wangen liefen.<br />

Trotzdem wagte ich einen Blick auf meine Hand.<br />

Sie blutete <strong>und</strong> Glassplitter steckten in ihr. Mir wurde schwarz vor Augen.<br />

Ich liege am Boden. Mein Kopf schmerzt. Um mich herum ist lauter Blut <strong>und</strong> einzelne<br />

64


Glasscherben liegen am Boden. Alles vor meinen Augen ist verschwommen.<br />

„Jenny!“ Natascha, sie schreit nach mir!<br />

„Jenny!“ Ihre Stimme klingt verweint.<br />

Ich kann mich nicht bewegen, so sehr ich es auch versuche.<br />

Ich sehe die verschwommenen Umrisse <strong>von</strong> Natascha. Sie wird in ein Auto gezogen, <strong>von</strong> einem<br />

Mann. Ich kann ihn nicht erkennen. Das einzige das ich <strong>von</strong> ihm sehe, sind seine blauen Augen.<br />

Meine Augenli<strong>der</strong> fallen zu.<br />

„Aaaaah!“ Ich wusste jetzt wie<strong>der</strong>, was passiert war.<br />

„Aaaaah!“ Lena saß neben mir, ich habe sie anscheinend erschreckt.<br />

Doch das interessierte mich jetzt nicht.<br />

Ich begann wie<strong>der</strong> zu weinen.<br />

Lena sprang auf <strong>und</strong> nahm mich in den Arm.<br />

Obwohl sie doch gar nicht wusste, was passiert war! Aber sie wahnte, dass ich genau das in diesem<br />

Moment brauchte. Das hatte ich schon den ganzen Tag vermisst. Jemanden <strong>der</strong> mich in den Arm<br />

nimmt!<br />

„Was ist denn los?“ Es war schön Lenas beruhigende Stimme zu hören.<br />

„Hast du Schmerzen?“<br />

„Nein. Ich habe gesehen, was mit Natascha passiert ist.“<br />

„Du weißt wie<strong>der</strong> was passiert ist?“<br />

„Ja.“<br />

„Und? Komm schon, was ist passiert?“<br />

„Natascha <strong>und</strong> ich waren in <strong>der</strong> Disco <strong>und</strong> da war dieser Mann. Er hat uns schon die ganze Zeit so<br />

komisch angesehen. Wir hatten echt Angst vor ihm, also beschlossen wir, früher zu gehen.<br />

Als wir draußen am Parkplatz standen, kam er auf einmal auch heraus. Wir wollten gehen doch er<br />

hielt Natascha am Ärmel fest! Ich sagte ihm, er soll sie loslassen! Aber er reagierte nicht, nahm<br />

seine Bierflasche <strong>und</strong> schlug sie mir gegen den Kopf! Er schleppte Natascha in sein Auto. Das ist<br />

das letzte, was ich noch weiß.“<br />

„Oh Gott, das meinst du doch nicht ernst?“<br />

„Doch, so ist es passiert!“<br />

Ich setzte mich ein Stück auf.<br />

„Ich muss so schnell wie möglich aus diesem Krankenhaus raus <strong>und</strong> Natascha suchen!“<br />

Lena drückte mich zurück ins Bett.<br />

„Beruhige dich erst einmal! Ich schalte dir den Fernseher zur Ablenkung ein <strong>und</strong> überlege<br />

65


inzwischen, wie ich dich hier rausbekomme.“<br />

Lena griff zur Fernbedienung, schaltete den Fernseher ein <strong>und</strong> ging aus dem Zimmer.<br />

Ich sah mir die Nachrichten an.<br />

„Mann aus Psychiatrischer Klinik entkommen! Der 51-jährige Mann ist aus <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

geflohen. Er wurde dort eingeliefert, da er seit dem Tod seiner eigenen Tochter ein Mädchen im<br />

Alter <strong>von</strong> ca. 17 Jahren mit blondem Harren entführt hat <strong>und</strong> diese dann bei sich zu Hause gefangen<br />

gehalten hat. Sozusagen als Ersatz für seine eigene Tochter. Zum Glück konnte die junge Frau<br />

fliehen. Nun befürchtete die Polizei erneut eine Entführung, bittet daher die Bevölkerung um Hilfe.<br />

Falls sie diesen Mann sehen, melden Sie sich bitte bei <strong>der</strong> nächsten Polizeidienststelle!“<br />

„Lena!!“<br />

Lena kam so schnell wie möglich bei <strong>der</strong> Tür wie<strong>der</strong> hereingerannt.<br />

„Was ist denn los?“<br />

„Der Mann da im Fernsehen! Er ist es!“<br />

„Was ist er?“<br />

„Er ist <strong>der</strong>, <strong>der</strong> Natascha entführt hat!“<br />

„Bist du dir sicher?“<br />

„Ja ich erkenne ihn an seinen blauen Augen <strong>und</strong> eigentlich hat es geheißen, dass er auf blonde<br />

Mädchen losgeht! Das würde erklären, warum er mich nicht auch noch entführt hat!“<br />

„Das ist gut! Je mehr Informationen wir haben, desto besser! Ich habe wie<strong>der</strong>um nicht so gute<br />

Neuigkeiten...“<br />

„Was ist denn passiert?“<br />

„Die wollen dich noch nicht gehen lassen!“<br />

„Wir müssen aber Natascha finden!“<br />

„Ja, ich weiß!“<br />

„Und was wollen wir jetzt machen?“<br />

„Tja. Gut, dass dein Zimmer im Erdgeschoß ist!“<br />

„Du willst doch nicht etwa, dass ich einfach abhaue? Das würden die doch merken, wenn ich am<br />

nächsten Tag einfach nicht mehr da bin!“<br />

„ Du sollst ja auch nicht für immer abhauen. Nur für diese Nacht. Wir fahren in die Disco <strong>und</strong><br />

schauen, ob irgendjemand weiß wo <strong>der</strong> Typ wohnt!“<br />

„Okay <strong>und</strong> wann soll ich dann abhauen?“<br />

„Gute Frage ... Weißt du, wann die hier Schluss machen?“<br />

„Nein ... Das hab ich bis jetzt jedes Mal verpennt!“<br />

66


„Hmm.. Ich klopfe dann einfach gegen das Fenster okay?<br />

„ Ja okay.“<br />

„ Aber jetzt muss ich echt weg.“<br />

„Okay bis später.“<br />

„Gut. Bye bye <strong>und</strong> mach dir nicht zu viele Sorgen, wir finden Natascha!“<br />

„Passt. Tschüss.“<br />

Nicht zu viele Sorgen machen, wie stellt sie sich das vor?<br />

Ich meine meine, beste Fre<strong>und</strong>in ist <strong>von</strong> einem Psycho entführt worden!!<br />

Und sie sagt mir, ich soll mir nicht so viele Sorgen machen, ging es mir durch den Kopf.<br />

Ich sollte noch ein bisschen schlafen.<br />

*<br />

„Hey.“<br />

„Na endlich! Ich habe mir schon überlegt, ob ich die Scheibe einschlagen soll, weil du nicht<br />

aufgemacht hast!“<br />

„Ja tut mir leid! Aber diese alte Schnepfe war noch da <strong>und</strong> wollte gar nicht mehr gehen!“<br />

„Schon okay. Komm steig ein!“<br />

Was mache ich hier eigentlich!? Ich bin aus einem Krankenhaus abgehauen um in die Disco zu<br />

fahren, regte sich mein Gewissen. Es ist ja für einen guten Gr<strong>und</strong>!<br />

Auch wenn ich mir höchstwahrscheinlich im Nachhinein wie<strong>der</strong> einen Vortrag <strong>von</strong> meiner Mutter<br />

anhören durfte.<br />

Naja. Natascha ist es mir wert!<br />

Ich war noch so müde, ich konnte kein Auge zu tun. Ich musste die ganze Zeit daran denken, was<br />

passieren wird.<br />

„Wir sind da!“<br />

„Okay <strong>und</strong> wen fragen wir jetzt am besten?“<br />

„Fragen wir doch Stevie! Der weiß sowieso, wo je<strong>der</strong> wohnt, <strong>der</strong> hier ein- <strong>und</strong> ausgeht!“<br />

„Das machen wir!“<br />

„Hey Jenny!“<br />

Ich drehe mich um <strong>und</strong> sehe, dass Stevie mir geschrien hat.<br />

„Hier fang!“<br />

„Igitt!! Was soll ich den mit diesen alten Lappen!?“<br />

„Du hast vergessen den Scheiß wegzuputzen, den du gemacht hast!“<br />

„Nicht witzig du Idiot!“ mischte sich Lena ein.<br />

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„Wir sind sowieso wegen etwas ganz an<strong>der</strong>em da!“<br />

„Aha <strong>und</strong> warum? Wollt ihr wie<strong>der</strong> einmal einen draufmachen?“<br />

„Nein, ich wollte fragen, ob du weißt, wo <strong>der</strong> Kerl hier wohnt?“ Natascha hielt Stevie ein Bild <strong>von</strong><br />

dem Mann hin.<br />

„Woher hast du das Bild?“<br />

„Ich hab ja gesagt, ich muss nach Hause! Vorbereitungen treffen!“<br />

„Ja, den kenne ich, <strong>der</strong> wohnt gleich hier ums Eck in dem lila farbenen Haus! Ein ganz ein<br />

komischer Typ.“<br />

„Gleich hier ums Eck! Dann komm doch Lena, fahren wir hin!“<br />

„Müsstest du nicht eigentlich noch im Krankenhaus liegen?“<br />

„Stevie hat Recht, du musst wie<strong>der</strong> ins Krankenhaus! Morgen Jenny okay!?“<br />

„ Aber.. Ja okay..“<br />

„Gut, danke Stevie, bye bye“<br />

„Was heißt hier bye bye!? Und wer putzt den Scheiß hier dann weg?“<br />

Natascha <strong>und</strong> ich hopsten schnell ins Auto <strong>und</strong> sahen zu, wie Stevies Kopf rot anlief <strong>und</strong> er selbst<br />

die eingetrocknete Blutlacke wegwischte.<br />

„Ich will sie jetzt schon holen!“<br />

„Ich weiß, ich ja auch Jenny! Aber wir müssen uns jetzt erst einmal ein wenig ausruhen <strong>und</strong> dann<br />

schauen wir weiter!“<br />

Die ganze Nacht brachte ich im Krankenhaus kein Auge zu. Wie sollte ich denn auch schlafen?<br />

Meine beste Fre<strong>und</strong>in wurde <strong>von</strong> einem Psychopathen entführt, <strong>der</strong> was weiß ich mit ihr aufführt!<br />

Und ich? Ich weiß sogar wo er wohnt <strong>und</strong> darf nicht zu ihr fahren <strong>und</strong> sie endlich holen!<br />

Ich muss hier raus!!<br />

Ich muss einfach <strong>und</strong> zwar sofort!!<br />

So, hier steh ich ein paar Meter vor dem Haus.<br />

Ich höre leise Schritte.<br />

Ich sehe ihn!<br />

Den Mann!<br />

Den Mann <strong>von</strong> dem Foto, den Mann <strong>von</strong> <strong>der</strong> Disco, den Mann <strong>der</strong> Natascha hatte!<br />

Ich lief hinter eine große Eiche <strong>und</strong> sah ihm zu.<br />

Ich zitterte.<br />

Meine Hände – eiskalt.<br />

Mein Kopf - bebte.<br />

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Meine Augen - voll mit Tränen.<br />

Er hatte eine Schaufel in <strong>der</strong> Hand.<br />

Ich sah ein perfektes Rechteck, das am Boden zuerst ausgehoben <strong>und</strong> dann zugeschüttet wurde.<br />

Er legte einen Strauß weißer Rosen darauf.<br />

Mein Herz schlug schneller.<br />

Meine Tränen flossen schneller.<br />

Ich verstand.<br />

Ich wartete, bis er wegging.<br />

Dann rannte ich hin, schnappte mir die Schaufel, welche er zurückließ <strong>und</strong> grub!<br />

Meine Tränen quollen <strong>und</strong> ich hoffte, dass es nicht zu spät war.<br />

Endlich stieß ich auf eine Kiste, sie war vernagelt.<br />

Ich hörte ein leises Jammern <strong>und</strong> Kratzen <strong>von</strong> innen kommen.<br />

Ich riss die Kiste auf!<br />

Ich war selbst überrascht, wie stark ich sein konnte.<br />

Erst danach bemerkte ich, dass mir das Blut <strong>von</strong> den Fingern tropfte.<br />

Egal!<br />

In <strong>der</strong> Kiste lag Natascha.<br />

Sie hatte ein weißes Kleid an, durch welches das Blut, das ihr über den ganzen Körper lief noch<br />

mehr zur Geltung kam.<br />

Ich starrte auf ihren Brustkorb <strong>und</strong> war erleichtert, als ich eine Bewegung bemerkte.<br />

Ich wollte ihr aus <strong>der</strong> Kiste helfen, doch dann…<br />

Meine Augenli<strong>der</strong> waren schwer. Ich hörte jemanden reden.<br />

Ich öffnete meine Augen.<br />

Im Krankenhaus – schon wie<strong>der</strong>.<br />

Die Krankenschwester lehnte wie<strong>der</strong> über mir.<br />

Doch dieses mal sagte sie mit einem Lächeln: „Auch wie<strong>der</strong> einmal da! „<br />

Ich legte meinen Kopf auf die Seite.<br />

Ich sah Lena am neben Bett sitzen.<br />

Doch neben wem?<br />

Ich sah die blonden Harre <strong>und</strong> wusste dass es Natascha war.<br />

Ich musste lächeln.<br />

Lena stand auf, drehte sich zu mir, stemmte die Hände in die Hüfte, versuchte böse zu schauen,<br />

konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen <strong>und</strong> sagte:<br />

69


„Ich habe doch gesagt, du sollst warten! Naja, irgendwie war es mir ja klar. Jetzt mussten ich <strong>und</strong><br />

die Polizei halt nachkommen!“<br />

70


Das Leichenboot<br />

(Sara Hillbrand)<br />

Ich sah es. Es war riesig. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals in meinem Leben so ein großes<br />

Schiff gesehen zu haben. Ich ging näher hin <strong>und</strong> sah den Eingang. Ich wurde schon erwartet, als sie<br />

mich sahen, fragten sie mich nach meinen Ausweis <strong>und</strong> als sie meinen Namen lasen, sagten sie<br />

voller Freude:<br />

Ein schwimmendes Grandhotel, mit eleganten Kabinen, dem größten Sonnendeck mit mehren<br />

Schwimmbecken. Purer Luxus, wenn man dem Prospekt glaubte. Der Eingang am Ende des<br />

Zugangstegs war mit verschiedenen Fahnen dekoriert worden. Ich vermutete, dass dies die<br />

Internationalität <strong>der</strong> Feriengäste des Schiffs symbolisieren sollte. Kaum hatte ich den Eingang<br />

passiert, erwarteten mich zwei Stewards in weißen Anzügen. Je<strong>der</strong> <strong>von</strong> ihnen hielt ein Klemmbrett<br />

in <strong>der</strong> einen <strong>und</strong> einen Kugelschreiber in <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Hand.<br />

„Herzlich Willkommen auf <strong>der</strong> MSC Fantasie. Ihr Name bitte“, säuselte einer <strong>der</strong> beiden.<br />

„Berger. Kornelia Berger.“<br />

„Oh, Frau Berger. Wir haben schon sehnsüchtig auf Sie gewartet. Sie haben die Kabine Nr. 77 am<br />

obersten Deck. Das Team <strong>der</strong> MSC Fantasie wünscht einen angenehmen Aufenthalt.“<br />

Er entließ mich mit einem fre<strong>und</strong>lichen Lächeln <strong>und</strong> widmete sich <strong>der</strong> Dame hinter mir.<br />

Ich war auf dem neuesten Schiff <strong>der</strong> Welt eingeladen. Und alles nur, weil mein Mann Silvio Berger<br />

ein erfolgreicher Bauingenieur war <strong>und</strong> Millionen auf dem Konto hatte. Im Moment befand er sich<br />

auf einer Dienstreise, darum reiste ich alleine.<br />

Ich war ein bisschen nervös. Unentwegt kam mir die Titanic <strong>und</strong> <strong>der</strong>en schreckliches Schicksal in<br />

den Sinn. Als ich jedoch die Räumlichkeiten <strong>der</strong> MSC Fantasie betrat, war meine Nervosität wie<br />

weggeblasen.<br />

Ich wurde vom Personal nett begrüßt- „Solche Schleimer!“, schoss es mir durch den Kopf. „Die<br />

begrüßen mich nur so übertrieben fre<strong>und</strong>lich, weil mein Mann Millionär ist!“<br />

Ich bedankte mich ebenfalls übertrieben fre<strong>und</strong>lich für den Champagner <strong>und</strong> verschwand in<br />

Richtung Kabine.<br />

Die Kabine war riesengroß, glich einem Appartement.<br />

Es war w<strong>und</strong>erschön. Natürlich war ich seit Jahren an Luxus jedwe<strong>der</strong> Art gewöhnt, aber das hier<br />

übertraf sogar meine Ansprüche.<br />

Ich trat auf den Balkon <strong>und</strong> betrachtete den Hafen <strong>von</strong> New York. Der Anblick beeindruckte mich.<br />

Ich sah auf die Uhr. Es war 14:55. In fünf Minuten würde das Schiff abfahren. Ich wandte mich um,<br />

71


ging in das Badezimmer, um mich frisch zu machen. Gerade als ich mein Make up auffrischte,<br />

spürte ich eine sanfte Bewegung. Das Schiff legte ab.<br />

Auf dem Weg zum Abendessen fiel mir ein Mann auf. Er erschien mir armselig, trug zerrissene,<br />

alte <strong>und</strong> schmutzige Jeans.<br />

Ich war verw<strong>und</strong>ert, setzte meinen Weg dennoch fort, wollte auf gar keinen Fall zu spät zum<br />

Abendessen erscheinen.<br />

Der Saal war sehr schön <strong>und</strong> groß. Als Ehrengast durfte ich am Kapitänstisch sitzen. Dort lernte ich<br />

die Gattin eines wohlhabenden Unternehmers kennen. Sie hieß Linda. Wir verstanden uns auf<br />

Anhieb <strong>und</strong> unterhielten uns nach dem Essen noch lange an <strong>der</strong> Bar. Wir tauschten unsere<br />

Kabinennummern aus <strong>und</strong> verabredeten uns für den nächsten Tag am Swimmingpool.<br />

Auf dem Weg zu meinem Zimmer kam ich an einer Kabine vorbei, <strong>der</strong>en Tür offen stand.<br />

Zuerst dachte ich mir nichts dabei, hatte eben jemand vergessen, seine Tür zu schließen. Aber schon<br />

wenige Schritte weiter, beschlich mich ein eigenartiges Gefühl. Was, wenn jemand meine Hilfe<br />

brauchte? Ich ging zurück, drückte vorsichtig die Tür zur Gänze auf <strong>und</strong> betrat den dunklen Raum.<br />

Ich ging in alle Räume aber es war niemand hier.<br />

Dann fiel mir noch <strong>der</strong> Balkon ein! Ich rannte auf den Balkon <strong>und</strong> sah etwas, was ich nie vergessen<br />

werde. Ich sah einen toten Mann auf dem Boden liegen. Er war voller Blut <strong>und</strong> daneben lag ein<br />

blutverschmiertes Messer.<br />

Mein Blick wan<strong>der</strong>te umher <strong>und</strong> blieb an <strong>der</strong> Balkontür haften. Instinktiv steuerte ich darauf zu,<br />

drückte die Klinke <strong>und</strong> zog die Tür auf. Mir stockte <strong>der</strong> Atem. Vor mir lag ein Mann. Seine<br />

Kleidung <strong>und</strong> auch sein Gesicht waren voll Blut. Überall war Blut. Auch das Messer, das neben ihm<br />

auf dem Boden lag, war blutverschmiert. Diesen Anblick werde ich mein Leben lang nicht<br />

vergessen.<br />

Ich war so geschockt, dass ich nicht einmal schreien konnte. Und dann schoss es mir durch den<br />

Kopf. Ich hatte diesen Mann schon einmal gesehen. Der Tote war <strong>der</strong> armselige Mann mit den<br />

zerrissenen Jeans.<br />

Ich löste mich aus meiner Starre, lief so schnell ich konnte zu Lindas Kabine. Aufgeregt klopfte ich.<br />

„Linda. Linda. Mach die Tür auf!“<br />

Kurz darauf öffnete meine neue Fre<strong>und</strong>in. Sie trug noch ihr Abendkleid, hatte ihre Haare mit einem<br />

Haarband zurückgeschoben <strong>und</strong> in ihrem Gesicht Reinigungsmilch verteilt.<br />

„Was ist los? Warum brüllst du hier so herum?“<br />

„Es ist etwas Schreckliches passiert. Du musst mitkommen.“<br />

72


Ich sagte es sei ein Notfall <strong>und</strong> sie kam mit. Ich zeigte ihr die Leiche <strong>und</strong> fragte, was ich jetzt<br />

machen soll. Ich hatte panische Angst, dass sie mich jetzt verdächtigen.<br />

Linda sagte, wir sollen zum Kapitän gehen <strong>und</strong> ihm sagen, dass es eine Leiche auf dem Schiff gibt.<br />

Aber irgendwie hatte ich Angst vor diesem Gedanken zum Kapitän zu gehen. Linda überredete<br />

mich schließlich <strong>und</strong> wir gingen zum zu ihm. „Ja?“, sagte er als wir anklopfen. Wir gingen herein<br />

<strong>und</strong> er begrüßte uns übertrieben fre<strong>und</strong>lich ,wie es alle hier machten. „In <strong>der</strong> Kabine 333 liegt ein<br />

alter Mann. Erstochen. Ich sah das die Türe offen war <strong>und</strong> ging hinein <strong>und</strong> auf dem Balkon lag <strong>der</strong><br />

alte Mann. Neben ihm lag ein blutverschmiertes Messer. Es ist ein älterer Mann. Und er schaut<br />

nicht aus, als ob er viel Geld hätte, denn er hat eine zerissene <strong>und</strong> dreckige Hose an.“, sagte ich zum<br />

Kapitän. Er staunte. Er rief den Rettungsdienst.<br />

Die Leiche wurde in einen kühlen Raum gelegt, wo sie untersucht wurde.<br />

Es vergingen die Tage <strong>und</strong> ich hörte nichts Weiteres <strong>von</strong> <strong>der</strong> Leiche o<strong>der</strong> dem Mör<strong>der</strong>. Aber<br />

plötzlich sah ich Linda in <strong>der</strong> Nacht am Gang herumschleichent, ich bekam panische Angst <strong>und</strong><br />

verschwand in meinem Zimmer. Dort angekommen, dachte ich mir aber, dass ich ein Zeuge sein<br />

könnte, wenn Linda jetzt jemanden umbringen will, aber sie ist doch meine Fre<strong>und</strong>in?!<br />

Ich schlich mich aus meiner Kabine <strong>und</strong> verfolgte sie. Sie ging durch den ganzen Stock. Plötzlich<br />

blieb sie stehen. Ich bekam unheimliche Angst <strong>und</strong> wollte umkehren, aber dann kam mir wie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Gedanke, dass ich ein Zeuge sein könnte. Also blieb ich im Gang stehen <strong>und</strong> beobachtete die etwas<br />

an<strong>der</strong>s wirkende LInda. Ich dachte mir:“ Was ist wenn sie mich sieht?! Tötet sie mich dann, weil ich<br />

etwas gesehen haben könnte? Aber ich verdrängte den Gedanken schnell <strong>und</strong> redete mir ein, dass<br />

Linda, die ja eigentlich nett schien, nicht die Mör<strong>der</strong>in sein könne.“ Sie stand schon ungefähr fünf<br />

Minuten an <strong>der</strong> gleichen Stelle <strong>und</strong> schaute sich um. Auf einmal öffnete sie mit einem Draht die<br />

Kabinentür. Ich bekam leichte Panik. Sie ging in das Zimmer <strong>und</strong> ich verfolgte sie bis zur<br />

Zimmertür. Dann sah ich, dass Linda ein Messer zuckte <strong>und</strong> mit dem Messer einen an<strong>der</strong>en Raum<br />

betrat. Ich konnte nicht feststellen, welcher Raum es war, aber ich vermutete, dass es das<br />

Schlafzimmer war, denn es war eine ähnliche Kabiene wie Lindas. Ich war entsetzt, wie ich mich in<br />

Linda getäuscht hatte. Ich wartete vor <strong>der</strong> Kabine <strong>und</strong> plötzlich hörte ich einen lauten Schrei <strong>und</strong><br />

grausame Geräusche. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte , denn ich hatte Angst um mein<br />

Leben. Ich ging in die Kabine hinein <strong>und</strong> schaute in dieses Zimmer. Ich bekam einen Schock. In <strong>der</strong><br />

Kabine sah ich Lindas Ehemann mit einer an<strong>der</strong>en Dame im Bett <strong>und</strong> daneben stand Linda weinend<br />

mit einem Messer in <strong>der</strong> Hand. Ich rannte hinein <strong>und</strong> schrie so laut ich nur konnte stop. Linda<br />

schaute mich verw<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> entsetzt an <strong>und</strong> fiel mir in die Arme. Sie sagte weinend zu ihrem<br />

Mann: ,,Ich hasse dich“ <strong>und</strong> dann brachte ich sie auf meine Kabine <strong>und</strong> sie erzählte mir, dass sie<br />

73


sich schon länger gedacht habe, dass ihr Mann eine Affäre habe, aber sie redete nie mit ihm darüber.<br />

Ihre Ehe war schon sehr schlecht <strong>und</strong> als sie diesen Gedanken mit <strong>der</strong> Affäre hatte, machte sie sich<br />

Vorwürfe, aber dann plante sie Rache <strong>und</strong> wollte ihren Mann umbringen. Ich war schockiert, wie<br />

enttäuscht <strong>und</strong> wütend Linda war. Und mir wurde langsam wie<strong>der</strong> klar, dass dieser Mör<strong>der</strong> noch<br />

immer auf dem Schiff herumlief. Linda übernachtete bei mir, denn sie war ziemlich traurig. Am<br />

nächsten Tag ging ich zum Kapitän, ich erzählte ihm nichts <strong>von</strong> Lindas geplanten Mord, denn dann<br />

würde sie verdächtigt werden. Ich fragte ihn, wie es bei den Ermittlungen aussah <strong>und</strong> er sagte, dass<br />

sie nur wissen, dass <strong>der</strong> alte Mann <strong>von</strong> einem Mann erstochen wurden ist. Ich war erleichtert, als ich<br />

hörte, dass ein Mann den Mord begangen hatte. Ich ging zu Linda zurück in die Kabine. Als ich die<br />

Türe aufsperrte, hörte ich zwei Stimmen. Ich ging hinein <strong>und</strong> sah Linda <strong>und</strong> ihren Mann. Sie<br />

schrien sich an <strong>und</strong> machten sich gegenseitig Vorwürfe. Ich ließ die beiden alleine <strong>und</strong> hoffte, dass<br />

Linda auf keine Dummheiten kam. Danach ging ich am Schiff spazieren <strong>und</strong> plötzlich sah ich einen<br />

Mann, <strong>der</strong> mir schon bekannt war, es war ein gesuchter Mör<strong>der</strong>, <strong>der</strong> abgetaucht war <strong>und</strong> seit Jahren<br />

gesucht wurde. Er stritt gerade heftig mit einer älteren Dame. Ich war überzeugt, dass dieser Mann<br />

<strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> ist <strong>der</strong> gesucht wird. Er hatte sich sicher unter einem falschen Namen <strong>und</strong> gefälschten<br />

Dokumenten einchecken lassen. Ich fing ein Gespräch mit ihm an <strong>und</strong> erkannte ihn sofort. Ich ließ<br />

mir nichts anmerken <strong>und</strong> fragte ganz nebenbei nach seiner Kabinennummer. Er verriet sie mir <strong>und</strong><br />

ich verabschiedete mich. Danach ging ich zum Kapitän <strong>und</strong> erzählte ihm, was ich erfahren hatte. Er<br />

glaubte mir <strong>und</strong> sagte, sie werden den Mann im Auge behalten. Danach ging ich in die Kabine<br />

zurück <strong>und</strong> Linda erzählte mir mit einem Lächeln, dass sie sich mit ihrem Mann ausgesprochen hat<br />

<strong>und</strong> sie einen Neuanfang machen. Ich freute mich für sie, <strong>und</strong> erzählte ihr was ich gesehen hatte. Sie<br />

war schockiert, dass ein gesuchter Mör<strong>der</strong> auf diesem Schiff war. Ich beruhigte sie <strong>und</strong> sie packte<br />

ihren Koffer <strong>und</strong> zog wie<strong>der</strong> zu ihrem Mann in die Kabine. Ich konnte nicht schlafen in dieser<br />

Nacht. Deshalb ging ich um Mitternacht an die Bar. Als ich am Weg zu meiner Kabine war, sah ich<br />

den gesuchten Mann in den Aufzug steigen. Ich rannte in meine Kabine, denn ich bekam Angst. Als<br />

ich in <strong>der</strong> Kabine war, schloss ich alle ab <strong>und</strong> ging schlafen. Am nächsten Morgen hörte ich beim<br />

Frühstück dass eine ältere Dame erstochen worden war. Ich ging sofort zum Kapitän <strong>und</strong> erzählte<br />

ihm dass ich diesem Mann gestern um ungefähr 3 Uhr in <strong>der</strong> Nacht im Aufzug gesehen hatte. Der<br />

Kapitän bedankte sich herzlich <strong>und</strong> ich ging zurück in meine Kabine. Es vergingen Tage, aber<br />

nichts geschah. Aber plötzlich bekam ich einen Anruf. Der Kapitän sagte ich soll so schnell wie<br />

möglich zu ihm kommen. Ich ging hin, machte die Tür auf <strong>und</strong> sah ihn. Ihn den gesuchten Mör<strong>der</strong><br />

in Handschellen sitzen. Ich fragte, was los sei <strong>und</strong> erfuhr die ganze Wahrheit. Henry Monel<br />

ermordete zwei Menschen auf dem Boot, seinen Bru<strong>der</strong>, den älteren Mann nach einem Streit um<br />

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eine Frau <strong>und</strong> die ältere Dame. Die ältere Dame wusste über seine Vergangenheit Bescheid. Ich war<br />

schockiert <strong>und</strong> erleichtert zugleich. Aber diesen Urlaub werde ich nie mehr vergessen..<br />

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Ein Tag im Himmel <strong>und</strong> wie<strong>der</strong> zurück<br />

(Lena Huber)<br />

“Com on Lea, don’t dream – answer my question“<br />

Englischunterricht, jeden Freitag in <strong>der</strong> letzten St<strong>und</strong>e das selbe.<br />

Lea, die allgemein als „Tagträumerin“ bekannt war, versank in eine Fantasie-Welt: Eine große<br />

Wiese, auf <strong>der</strong> die schönsten Blumen blühen, ein kleiner Teich, in dem die Koikarpfen um die Wette<br />

schwimmen, bunte Schmetterlinge <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Mitte ein einziger Apfelbaum.<br />

Nichts tat sie lieber, als sich dort hin zu flüchten um dem Alltag zu entkommen.<br />

Der Englischunterricht, <strong>der</strong> zuerst in den Hintergr<strong>und</strong> geraten <strong>und</strong> vor ihren Augen verschwommen<br />

war, kehrte mit einem Ruck zurück.<br />

„Oh, I’m sorry Miss, I faded away. Can you please repeat your question?”<br />

Na toll, ein Minus näher am Genügend im Zeugnis.<br />

Doch es war Freitag <strong>und</strong> einfach schon zu nah am Wochenende, wer konnte sich da noch auf Schule<br />

konzentrieren?<br />

Gott sei Dank läutete es in diesem Moment <strong>und</strong> Lea konnte sich vor dem Tadel ihrer Lehrerin<br />

drücken. Durcheinan<strong>der</strong>, aber glücklich, eilte sie den Flur zu ihrem Schließfach entlang, um nicht in<br />

die tobende Menge zu geraten. „Lea, du musst den Kopf frei kriegen! Hör endlich auf zu träumen<br />

<strong>und</strong> konzentrier dich auf das Wesentliche!“, das sagte sie sich immer wie<strong>der</strong>. Sie rannte schon fast<br />

um die Ecke, <strong>und</strong>, bumm, sie krachte frontal in jemanden rein. „Oh mein Gott, bitte lass es keinen<br />

Lehrer sein“, dachte sie gerade, als sich vor ihr jemand aufrichtete. „Tut mir verdammt leid, ich war<br />

total in Gedanken versunken. Hab nicht gecheckt, dass du da warst.“<br />

Die Stimme, die zu ihr sprach, war Lea die liebste auf <strong>der</strong> Welt. Es war Liam. Für sie war er <strong>der</strong><br />

tollste Typ auf Erden. Da war nur ein Problem, er war mit Natascha, dem beliebtesten Mädchen <strong>der</strong><br />

Schule, zusammen. Natascha <strong>und</strong> Lea waren damals die allerbesten Fre<strong>und</strong>innen gewesen, so<br />

unzertrennlich wie Billa <strong>und</strong> Hausverstand. Aber wie es so oft kommt, sind sie jetzt die größten<br />

Feinde. Lea wusste nur noch, dass es einen Riesenstreit wegen einer Barbie-Puppe gab, also<br />

eigentlich völlig belanglos. Jedenfalls stand Liam jetzt mit einem schuldbewussten<br />

Gesichtsausdruck vor ihr.<br />

„Kein Ding, ist ja nichts passiert“,<br />

sagte sie, noch völlig benommen <strong>von</strong> dem Sturz.<br />

„Ich glaub dir das jetzt mal, aber geh doch besser zur Krankenschwester, vielleicht hast du ja eine<br />

leichte Gehirnerschütterung. Komm, ich begleite dich?!“<br />

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Tollpatschig stand sie auf <strong>und</strong> ließ sich <strong>von</strong> Liam zu Krankenstation leiten. Natürlich hatte sie keine<br />

Verletzungen o<strong>der</strong> eine Gehirnerschütterung, nur ein paar blaue Flecken. Dennoch, das war eine <strong>der</strong><br />

schönsten St<strong>und</strong>en ihres Lebens gewesen. Liam-Zeit, sie liebte es. Der Bus war schon längst weg,<br />

deshalb musste sie zu Fuß gehen. Und da Liam „überfürsorglich“ war, wich er ihr nicht <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Seite. Erst als sie die Türe zu ihrem Zimmer öffnete, blieb er stehen <strong>und</strong> lehnte sich gegen den<br />

Türrahmen. Er beobachtete jeden ihrer Schritte, es war bestimmt nur das Schuldgefühl, obwohl Lea<br />

genau so schuldig war wie er.<br />

„Du musst dir keine Sorgen machen, es geht mir gut! Wirklich. Das hat dir die Krankenschwester<br />

mindestens zehnmal bestätigt.“<br />

„Ich mach mir auch keine Sorgen mehr um dich. Aber, als ich beim Zusammenprall deine Haut<br />

berührte, fühlte es sich an, als ob du Fieber hättest <strong>und</strong> das beunruhigte mich. Noch merkwürdiger<br />

wurde es, als die Krankenschwester diese Temperatur nicht zu bemerken schien.“<br />

Liam sah sie mit einem so ernsten Blick an, dass es ihr kalt über den Rücken lief. „Ich habe kein<br />

Fieber, ich wie<strong>der</strong>hole es gerne noch mal: ES GEHT MIR GUT! Und falls du mich nicht noch<br />

länger so anstarren möchtest, kannst du jetzt gehen. Danke für alles. Ich seh dich dann morgen in<br />

<strong>der</strong> Schule.“<br />

Ohne noch ein Wort zu sagen, wendete er seinen beinahe engelhaften Körper <strong>und</strong> schwebte<br />

scheinbar die Treppe runter. Lea wusste selbst nicht, warum sie so forsch geworden war, aber das<br />

etwas nicht mit ihr stimmte, hatte sie auch schon gemerkt. Zum Beispiel hatten ihre braunen Haare<br />

einen unglaublichen Goldstich bekommen. Das konnte zwar auch an <strong>der</strong> Sonne liegen, aber bisher<br />

hatten sich im Frühjahr nur immer ein paar Strähnchen gefärbt. Egal, die Haarfarbe war ja auch eher<br />

neben sächlich. Sie fühlte sich nicht wohl in ihrem Körper. Fast als würde sie, wie die Nähte bei<br />

einem alten Teddy, platzen. Dabei war sie eigentlich unglaublich schlank. Einige ihre<br />

Klassenkameradinnen beneideten sie um ihre Figur. Lea konnte sich nicht erklären, was mit ihr los<br />

war. In ihr machte sich, wenn sie nicht gerade in <strong>der</strong> Schule war, ein wohlig warmes Gefühl breit.<br />

Sie fühlte sich so vollkommen, wie sie es noch nie getan hatte. Zugegeben das hörte sich nicht<br />

wirklich merkwürdig an, aber Lea kannte sich, sie wusste dass etwas nicht stimmte <strong>und</strong> sie wollte<br />

herausfinden, was das war. Doch gerade im Moment fühlte sie sich h<strong>und</strong>eelend. Als hätte sie den<br />

ganzen Dreck, <strong>der</strong> auf dem nach Hause weg gelegen hatte, aufgesaugt. Sie ging ins Bad <strong>und</strong> ließ<br />

sich eine heiße Badewanne ein. Verdammt, es war Freitag <strong>und</strong> sie hatte keine Pläne für den Abend<br />

o<strong>der</strong> für den restlichen Tag. Kein normaler Teenager startet planlos ein Wochenende. Zumindest<br />

konnte sie sich keine vorstellen, außer ihr selbst. Also ließ sie ein heißes Bad ein. Um einmal richtig<br />

zu entspannen. Nach dem Bad, streifte sie sich ihre Lieblingsjogginghose <strong>und</strong> ein T-Shirt über <strong>und</strong><br />

77


setzte sich mit einem Buch <strong>und</strong> einer Packung Haribo Beeren-Mix aufs Sofa.<br />

„Bist du auch so aufgeregt wie ich? Wenn die Welt sich schlafen legt…“<br />

Lea schlug die Augen auf. Ihr Handy klingelte <strong>und</strong> das Lied „Dach <strong>der</strong> Welt, <strong>von</strong> Max Giesinger“<br />

tönte aus dem Lautsprecher. Es war ein Uhr morgens. Sie wollte schon auflegen, doch dann sah sie<br />

den Namen, <strong>der</strong> auf dem Display aufleuchtete: „Liam“.<br />

„Wenn nicht mindestens jemand gestorben ist, lege ich wie<strong>der</strong> auf!“<br />

„Genau darum geht’s. Natascha wurde auf dem Parkplatz vorm Puzzles gef<strong>und</strong>en, tot. Die Polizei<br />

will, dass du kommst. Frag nicht warum, ich weiß es nicht. Beeil dich!“<br />

In Windeseile schlüpfte sie in ihre Jacke <strong>und</strong> rannte zu ihrem Motorroller.<br />

Glücklicherweise waren es nur zehn Minuten zum Puzzles. Als Lea dort ankam, war ein riesiges<br />

Durcheinan<strong>der</strong>, überall waren Polizisten <strong>und</strong> Jugendliche, die zuvor vermutlich noch in <strong>der</strong> Bar<br />

waren <strong>und</strong> sich jetzt um den Ort des Geschehens tummelten.<br />

„Tud mir leid, aber das hier ist ein Tatort, Sie können nicht auf den Parkplatz fahren.“<br />

Einer <strong>der</strong> Polizisten kam auf Lea zu.<br />

„Oh ja klar, aber ich bin Lea Johnson <strong>und</strong> man sagte mir, ich solle kommen.“<br />

„Wenn das so ist, dann folgen Sie mir bitte. Wir sollten an einem ruhigeren Platz miteinan<strong>der</strong><br />

reden.“<br />

Sie gingen ins Innere <strong>der</strong> Bar <strong>und</strong> setzten sich an einen <strong>der</strong> hinteren Tische.<br />

„Fräulein Johnson, könnten Sie mir bitte sagen, was sie am gestrigen Abend zwischen zehn <strong>und</strong> elf<br />

Uhr getan haben?“<br />

„Ich habe geschlafen. Ich bin um ca. sieben Uhr in die Badewanne gestiegen <strong>und</strong> habe dann <strong>von</strong> ca.<br />

acht bis halb zehn gelesen. Danach bin ich eingeschlafen.“<br />

„Gibt es irgendwelche Zeugen?“<br />

„Meine Eltern werden das sicher bestätigen.“<br />

„Gut ich werde sie morgen Früh kontaktieren. Eine Frage hätte ich aber noch, wissen sie ob<br />

Natascha irgendwelche Feinde hatte?“<br />

„Ich denke so ziemlich jedes Mädchen in <strong>der</strong> Stadt hatte etwas gegen sie. Sie war eigentlich nur bei<br />

den Jungs beliebt.“<br />

„Vielen Dank Lea, Sie können jetzt gehen. Ich weiß, es ist merkwürdig für Sie, dass sie kommen<br />

mussten, aber nachdem so viele Jugendliche bereits hier sind, wollten wir die Befragungen hier<br />

abhalten <strong>und</strong> alle möglichen Täter hier haben. Nicht, dass sie unter Verdacht stehen würden.“<br />

Immer noch ziemlich perplex kam Lea wie<strong>der</strong> zu Hause an. Was sollte das?<br />

Mit diesen letzten Gedanken wurde ihr schwarz vor den Augen <strong>und</strong> sie verlor das Bewusstsein. Als<br />

78


Lea wie<strong>der</strong> erwachte, war um sie alles dunkel, völlige Stille. Wo zur Hölle war sie? Und warum<br />

brannte ihr Rücken wie verrückt?<br />

Sie hörte etwas reißen <strong>und</strong> spürte wie<strong>der</strong> einen höllischen Schmerz. Ihr entfuhr ein Schrei <strong>und</strong><br />

plötzlich richtete sich ein greller Lichtstrahl auf sie <strong>und</strong> die Stimme einer Frau sprach zu ihr.<br />

„Hallo Lea, ich habe mich schon gefragt, wann du zu uns kommen wirst. Es hat erstaunlich lange<br />

gedauert. Wie fühlst du dich?“<br />

„Ähm hallo. Ich, nun ja also, entschuldigen Sie, aber wo genau bin ich?“<br />

„Im Himmel, wo sonst. Du bist ein Engel mein Kind. Das wusstest du doch, o<strong>der</strong> etwa nicht?“<br />

Zugegeben Lea war auf vieles vorbereitet gewesen, aber auf so etwas bestimmt nicht.<br />

„Ein Engel. Wow, das ist jetzt etwas verwirrend.“<br />

„Aber Schatz, das ist doch nur logisch, wenn man deinen Familienstammbaum betrachtet. Übrigens,<br />

deine Flügel stehen dir gut.“<br />

Himmel, Engel, Flügel, das war einfach zu viel für Lea. Sie fing an zu schluchzen <strong>und</strong> dann weinte<br />

sie, so sehr wie noch nie zuvor.<br />

Keiner sagte etwas, keiner kam zu ihr um sie zu trösten.<br />

Und nach einer gefühlten St<strong>und</strong>e hörte sie auf. Ihre Tränen waren aufgebraucht, für den Moment.<br />

Nach einem kurzen Zögern stand sie auf <strong>und</strong> blickte dem schönsten Geschöpf, das sie je gesehen<br />

hatte, in die Augen. Wie zwei strahlend blaue Saphire leuchteten sie ihr entgegen. Sie war so<br />

w<strong>und</strong>erschön, dass Lea sich kurz fangen musste, bevor sie sprechen konnte.<br />

„Sie wussten also schon länger, dass ich komme?“<br />

„Natürlich, je<strong>der</strong> hier wusste es. Wir haben seit deiner Geburt darauf gewartet. Gott hat uns gesagt,<br />

dass du kommen würdest, sobald du das erste verlierst, das dir je Hoffnung gab. Wir hatten nur<br />

nicht gedacht, dass das so lange dauern würde.“<br />

„Natascha? Unmöglich! Ich habe sie gehasst.“<br />

„Nicht ganz, zu Beginn war sie dir wichtig <strong>und</strong> ich denke, du weißt genau so gut wie ich, dass sie<br />

dir immer noch wichtig ist. Aber genug da<strong>von</strong>, gehen wir besser zu dir nach Hause <strong>und</strong> suchen dir<br />

was zum Anziehen heraus.“<br />

Sie gingen o<strong>der</strong> besser schwebten eine ganze Weile nebeneinan<strong>der</strong> her. Vorbei an an<strong>der</strong>en Engeln<br />

<strong>und</strong> an<strong>der</strong>en Wesen, die Lea noch nie gesehen hatte. Es war wahrlich <strong>der</strong> Himmel, in dem sie sich<br />

befand, wo sonst konnte es so schön sein wie hier. Nach ca. einer halben St<strong>und</strong>e konnte Lea die<br />

Pforte eines Schlosses, welches im Schein <strong>der</strong> untergehenden Sonne erstrahlte, erkennen. Vor dem<br />

Schloss standen zwei Engel, sie sahen aus wie Krieger. Als sie weiter in das Schloss hineingingen,<br />

konnte Lea mehr <strong>von</strong> den Wachen entdecken.<br />

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„Wer wohnt hier? Ich meine, weil es so sehr gesichert ist.“<br />

„Hier lebt <strong>der</strong> Erbe des Jaros. Der Nachfolger Gottes.“<br />

„Gott hat einen Nachfolger?“<br />

„Je<strong>der</strong> hat einen Nachfolger. Und je<strong>der</strong> ist ein Nachfolger.“<br />

„Und wessen Nachfolger bin ich?“<br />

„Der <strong>der</strong> Erbin des Jaros. Du wirst die Gemahlin <strong>von</strong> unserem Hohenpriester.“<br />

„Wow, nein das kann nicht sein. Ich glaube, da liegt eine Verwechslung vor. Ich bin gerade mal 17,<br />

ich kann doch <strong>von</strong> keinem die Ehefrau sein.“<br />

„Aber <strong>der</strong> Hohenpriester ist in seiner menschlichen Gestalt auch erst 18. Lea, du wurdest dazu<br />

bestimmt, das kannst du dir nicht aussuchen.“<br />

Damit war die Unterhaltung abgeschlossen. Sie betraten einen riesigen Thronsaal. Ein langer roter<br />

Teppich führte zu, wie sollte es an<strong>der</strong>s sein, dem Thron.<br />

„Ah Nafiriti, ich habe dich erwartet. Die ausgesandten Krieger haben mir Bericht erstattet, das Heer<br />

rü… Wer begleitet dich Nafiriti?“<br />

Nafiriti, <strong>der</strong> namenlose Engel hatte also doch einen Namen.<br />

„Lea Johnson, mein Priester. Sie wird ihre Gemahlin sein.“<br />

„Lea, wie schön, dass du hier bist. Nach so langer Zeit. Ich befürchtete schon das du nicht kommst.“<br />

„Hören Sie Mr. Priester, da muss es eine Verwechslung geben…“<br />

„Eine Verwechslung? Liebes, da gibt es keine Verwechslung. Du bist die Nachfolgerin meiner<br />

ehemaligen Geliebten.“<br />

„Aber, nichts für ungut, ich liebe Sie nicht. Ich hatte bis vor ein paar St<strong>und</strong>en nicht einmal die<br />

geringste Ahnung <strong>von</strong> Ihrer Existenz, wie kann es da sein das ich schon einen fixen Platz in dieser<br />

Welt habe?“<br />

Diesmal war es Nafiriti, die das Wort an sie richtete:<br />

„Wie ich dir bereits gesagt habe, wussten wir bereits seit deiner Geburt, dass du kommen wirst,<br />

mein Kind.“<br />

„Bringt Sie doch erst mal in Ihre Gemächer. Lasst Sie ankommen.“<br />

Mit diesen Worten verließen Nafiriti <strong>und</strong> Lea den Thronsaal. Nafiriti führte Lea eine schmale<br />

Wendeltreppe hinauf. Bis sie wie<strong>der</strong> vor einer Tür standen. Aber diese Tür sah an<strong>der</strong>s aus als die,<br />

die Lea sonst im Schloss gesehen hatte. Sie war schneeweiß <strong>und</strong> hatte eine unglaublich schöne<br />

Verzierung, es erinnerte Lea ein wenig an eine Tür, die sie mal auf dem Dachboden ihrer<br />

Urgroßmutter gesehen hatte, als sie noch jünger war. Sie betraten das Zimmer <strong>und</strong> Lea konnte ihre<br />

Verw<strong>und</strong>erung nicht verbergen.<br />

80


„Das sieht ja aus wie mein Zimmer.“<br />

„Wir haben <strong>von</strong> all deinen Möbeln eine exakte Kopie herstellen lassen. Damit du über den Verlust<br />

besser hinweg kommst. Willst du dich nicht erstmal im Spiegel betrachten?“<br />

Als Lea ihr Spiegelbild sah, stockte ihr <strong>der</strong> Atem. Sie hatte tatsächlich Flügel <strong>und</strong> sah auch sonst<br />

aus wie ein Engel. Es war ein ungewohntes Bild für sie.<br />

„Ich lasse dich jetzt alleine. Mach dich vor dem Abendmahl etwas frisch. Später hole ich dich<br />

wie<strong>der</strong> ab.“<br />

Als sie weg war, ließ sich Lea auf ihr Bett fallen. Es war ihr so vertraut, es roch auch ein wenig wie<br />

zu Hause. Ein paar Minuten verweilte sie so, aber dann merkte sie wie dreckig sie sich fühlte. Nach<br />

kurzem Zögern sprang sie auf <strong>und</strong> suchte nach einer Tür in ein Badezimmer. Da alles war wie bei<br />

ihr zu Hause, war es schnell gef<strong>und</strong>en. Aber konnte man mit Flügeln überhaupt unter die Dusche?<br />

Lea versuchte etwas zu finden um die Flügel vor dem Wasser zu schützen, aber da war nichts. Also<br />

beschloss sie sich einfach nur zu beeilen. Sie stellte das Wasser an <strong>und</strong> voller Freude bemerkte sie,<br />

dass die Flügel trocken blieben. Nach einer ausgiebigen Dusche versuchte sie in ihrem<br />

Klei<strong>der</strong>schrank etwas Angemessenes zum Anziehen zu finden. Immerhin war es ja ein Abendessen<br />

mit einem Hohenpriester. Es waren verdammt viele Klei<strong>der</strong> drin. Aber Lea erkannte nichts da<strong>von</strong><br />

wie<strong>der</strong>. Es war alles neu. Die Entscheidung viel ihr nicht leicht, aber schließlich fand sie doch<br />

etwas. Als sie fertig mit allem war, klopfte es auch schon an ihrer Tür. Es war einer <strong>der</strong> Wachen, <strong>der</strong><br />

sie abholte <strong>und</strong> in einen ungeheuer großen Speisesaal brachte. Eine Tafel, die in <strong>der</strong> Mitte des<br />

Zimmers stand, war feierlich gedeckt. Am oberen Ende saß dieser Priester, zugegeben er sah echt<br />

verdammt gut aus, aber eine gezwungene Zukunft mit ihm konnte sie sich trotzdem nicht vorstellen.<br />

Als sie auf die Tafel zuging, stand er auf <strong>und</strong> verbeugte sich leicht vor ihr.<br />

„Du siehst bezaubernd aus Liebste. Wie ein Engel.“<br />

Er zwinkerte ihr zu.<br />

„Danke.“<br />

Lea wollte nicht unhöflich klingen, aber es ging ihr ziemlich gegen den Strich, dass er so vertraut<br />

mit ihr umging.<br />

„Wie ist eigentlich dein Name? Weißt du, es nervt mich ein wenig, dass alle wissen, wer ich bin <strong>und</strong><br />

ich <strong>von</strong> niemandem den Namen weiß.“<br />

„Das verstehe ich natürlich. Ich heiße Marlo. Kein sehr ungewöhnlicher Name. Nicht?“<br />

„Aber auch nicht sehr gewöhnlich. Immer noch besser als Lea.“<br />

Sie musste lächeln, als sie das sagte <strong>und</strong> ihr fiel auf, dass es gar nicht schwer war, ihn zu mögen, so<br />

wie sie es zuerst gedacht hatte.<br />

81


„Dein Name ist doch schön. O<strong>der</strong> magst du ihn nicht? Hier im Himmel kannst du ihn<br />

selbstverständlich än<strong>der</strong>n, wenn du magst.“<br />

Lea wollte gerade antworten, als die Tür aufsprang <strong>und</strong> ein Krieger hereinstürmte.<br />

„Mein Priester, sie kommen!“<br />

Marlo sprang auf. Sein Gesichtsausdruck ließ nichts Gutes ahnen.<br />

„Wie viel Zeit bleibt uns noch?“<br />

„Etwa 20 Minuten bis zum Schloss.“<br />

Er kam auf Lea zu <strong>und</strong> zerrte sie eine Treppe in den unteren Teil des Schlosses hinab. Lea war viel<br />

zu aufgeregt um etwas zu sagen. Marlo lief immer weiter <strong>und</strong> eine ganze Meute Krieger hinterher.<br />

„Mein Priester, sollten Sie ihrer Gemahlin nicht sagen was hier vorgeht?“<br />

„Aber natürlich Damir. Liebste, verzeih mir, dass ich nichts sagte, aber auch <strong>der</strong> Himmel hat seine<br />

Schattenseiten. Die Hölle hat uns den Krieg erklärt <strong>und</strong> jetzt greifen sie an.“<br />

Dieser erste Tag war nicht gerade nach Leas Geschmack. Sie kamen in einen Raum, in dem überall<br />

Schwerter, Axten, Morgensterne, <strong>und</strong> Dinge, die sie nicht kannte, sortiert waren, es war die<br />

Waffenkammer. In <strong>der</strong> Mitte des Raumes standen zwei goldene Rüstungen. Lea ahnte, wem sie<br />

gehörten <strong>und</strong> sie behielt recht mit ihrer Vermutung. Die Rüstungen waren für Marlo <strong>und</strong> sie. Es kam<br />

ihr vor wie eine Ewigkeit die Rüstung anzuziehen. Als sie es geschafft hatte, war Marlo schon dabei<br />

die Waffenkammer wie<strong>der</strong> zu verlassen. Lea folgte ihm so schnell sie konnte. Im nächsten Raum, in<br />

den er sie führte, waren mehrere Boxen. In ein paar da<strong>von</strong> waren auch Pferde. Eines da<strong>von</strong>, eine<br />

Fuchsstute, war Leas Pferd. Sie war noch nie zuvor geritten, aber als sie auf <strong>der</strong> Stute saß, wusste<br />

sie genau, was sie zu tun hatte.<br />

„Als wäre es das natürlichste auf <strong>der</strong> Welt, nicht?“<br />

Marlo deutete auf das Pferd.<br />

„Ja, stimmt.“<br />

In wildem Galopp stürmte sie auf die Weide vor dem Schloss <strong>und</strong> schon bald konnte Lea die<br />

übrigen Krieger sehen. Es war, trotz <strong>der</strong> unglücklichen Umstände, ein Bild für Götter. Als Lea sich<br />

neben Marlo in die Formatierung einreihte, sah sie in <strong>der</strong> Ferne das Heer <strong>der</strong> Hölle. Es waren bei<br />

Weitem mehr Krieger als im Himmel.<br />

„Wir sind zu wenige“,<br />

stammelte Lea. Doch Marlo blickte ihr siegessicher in die Augen.<br />

„Nein, wir sind in <strong>der</strong> Überzahl. Schau dich doch mal um.“<br />

Und das tat sie. Marlo hatte Recht, sie waren scheinbar wirklich in <strong>der</strong> Überzahl. Es waren noch<br />

unglaublich viele Krieger zu ihnen gestoßen.<br />

82


„Ich weiß aber gar nicht, wie man kämpft.“<br />

„Du wirst auch nicht kämpfen. Es ist nur seit jeher Tradition, dass die Hohenpriester, wenn ein<br />

Krieg beginnt, am Anfang, den Kopf <strong>der</strong> Formation bilden. Nachher ziehen wir uns zurück. Ich<br />

wollte nur nicht auf die Formalitäten verzichten.“<br />

Es beruhigte sie zu wissen, dass sie nicht kämpfen musste, aber sie war sich nicht h<strong>und</strong>ertprozentig<br />

sicher, ob es auch wirklich stimmte. Das Heer <strong>der</strong> Hölle rückte schnell näher. Den Kopf ihrer<br />

Position bildete ein Wesen, das Lea nicht einmal in ihren schlimmste Träumen so hatte aussehen<br />

lassen. Der Teufel. Sie sah ihm direkt in die Augen <strong>und</strong> er erwi<strong>der</strong>te ihren Blick. In seinen Augen<br />

war we<strong>der</strong> Furcht noch Zweifel, in seinen Augen war Erregung <strong>und</strong> Begierde für den Krieg.<br />

„Pervers.“<br />

Lea sagte es voller Zorn. Der Teufel schien es zu hören, denn er lachte bei ihren Worten schallend<br />

auf. Ein dreckiges Lachen.<br />

„Na Marlo. Wen bringst du mir da als Opfergabe? Glaubst du den Krieg so zu verhin<strong>der</strong>n?“<br />

„Sie ist keine Opfergabe. Sie ist meine Gemahlin. Und ich versuche ganz bestimmt nicht mit einer<br />

lebenden Opfergabe deinen Krieg zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Wir können doch darüber reden…“<br />

„Reden? Mein kleiner Priester, glaubst du wirklich, du kannst statt Krieg zu führen einfach über<br />

alles reden?“<br />

Eine <strong>der</strong> Höllenfrauen, die einzige Höllenfrau, wie Lea bemerkte, stellte sich neben den Teufel. Da<br />

niemand sonst gerade sprach, ergriff sie das Wort.<br />

„Geliebter, die Männer sind es müde zu warten, lass sie angreifen. Keiner <strong>von</strong> uns hat die Absicht<br />

lange zu bleiben. Bringen wir die Sache hinter uns.“<br />

Wie<strong>der</strong> blitze die Erregung in den Augen des Teufels auf.<br />

„Ja Geliebte, bringen wir die Sache hinter uns.“<br />

Er wendete sein Pferd <strong>und</strong> schrie in die Meute, die hinter ihm gestanden hatte.<br />

„Macht euch bereit zum Kampf Männer, stürmt dieses verdammte Schloss. Zum Frühstück wollen<br />

wir ja wie<strong>der</strong> unten sein.“<br />

Mit einem Mal stürmten sie alle los, die ersten Engel rissen sie einfach mit. Nur Lea <strong>und</strong> Marlo<br />

blieben vorerst verschont.<br />

„Bringen wir uns in Sicherheit Liebste. Es hat keinen Sinn, sich dem Feind so offen auszuliefern.“<br />

Er riss sein Pferd nach rechts <strong>und</strong> galoppierte auf ein Waldstück zu, ohne zu überlegen tat Lea es<br />

ihm nach. Niemand schien die beiden zu bemerken. Sie ritten <strong>und</strong> ritten, als in dem Waldstück<br />

plötzlich eine kleine Lichtung vor ihnen erschien.<br />

83


„U unmöglich“,<br />

stammelte Lea.<br />

„Das ist meine Lichtung.“<br />

Es war wie in ihren Tagträumen. Auf <strong>der</strong> Lichtung blühten die schönsten Blumen, ein kleiner Teich,<br />

in dem die Koikarpfen um die Wette schwammen, bunte Schmetterlinge <strong>und</strong> in <strong>der</strong> Mitte war ein<br />

einziger Apfelbaum.<br />

„Du hattest Visionen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Lichtung, ich weiß. Es ist ein Ort <strong>der</strong> Ruhe <strong>und</strong> des Friedens. Selbst<br />

wenn eigentlich ein Krieg herrscht.<br />

„Werden sie uns hier nicht finden?“<br />

„Nein, niemals. Sie können uns in diesen Teil des Himmels nicht folgen. Wir kehren erst zurück,<br />

wenn wir den Krieg gewonnen haben <strong>und</strong> entwe<strong>der</strong> alle Höllenkrieger tot o<strong>der</strong> zurückgekehrt sind.“<br />

Er sprang <strong>von</strong> seinem Pferd <strong>und</strong> nahm ihm den Sattel <strong>und</strong> das Zaumzeug ab.<br />

Es war alles in allem ein furchtbar sinnloses Ereignis, was sich nach dem Essen vollzogen hatte. Ein<br />

Krieg, vor dem man sich versteckte, seine Gefolgsleute aber sterben ließ, o<strong>der</strong> darauf hoffte, dass<br />

man gewann. Nein. So nachlässig <strong>und</strong> dumm konnte <strong>der</strong> Himmel nicht sein. Lea konnte so nicht<br />

sein. Sie griff nach ihrem Schwert <strong>und</strong> wendete ihr Pferd in Richtung Schlachtfeld. Wie<strong>der</strong> eilte sie,<br />

aber diesmal offen, auf die Gefahr zu. Das Schlachtfeld sah nach diesen wenigen Minuten ganz<br />

an<strong>der</strong>s aus als zuvor. Das Höllenheer hatte ungefähr gleich viele Krieger verloren wie das<br />

Himmelsheer. Es war kein schöner Anblick. Voller Zorn stürzte sich Lea auf den Höllenkrieger, <strong>der</strong><br />

ihr am nächsten war. Sie zog ihr Schwert <strong>und</strong> rammte es ihm genau ins Herz. Keiner <strong>der</strong><br />

Höllenkrieger trug eine Rüstung. Es war ein unfairer Krieg. Der Krieger fiel <strong>von</strong> seinem Pferd. Er<br />

war tot. Lea spürte ein Gefühl <strong>von</strong> Macht <strong>und</strong> Abscheu in sich aufsteigen. Sie hätte nie gedacht,<br />

dass sie zu so etwas wie Mord fähig wäre. Mit diesen Gedanken tötete sie den nächsten Krieger. Es<br />

wurden immer mehr, alle starben sofort. Lea konnte Damir sehen, <strong>der</strong> Krieger, <strong>der</strong> sie in die<br />

Waffenkammer begleitet hatte. Er kämpfte an <strong>der</strong> Seite eines an<strong>der</strong>en <strong>und</strong> sie töteten, wie zuvor<br />

Lea, ohne mit <strong>der</strong> Wimper zu zucken, einen nach dem an<strong>der</strong>en. Ein Blutbad vom Feinsten.<br />

Entsetzlich so etwas mit ansehen zu müssen, noch schlimmer bei so etwas helfen zu müssen. Aber<br />

erstaunlicherweise waren nur noch wenige Höllenkrieger vorhanden. Dies war kein richtiger Krieg.<br />

Es war ein wer vernichtet wen als erstes. Der Himmel würde gewinnen, ohne Zweifel. Und so war<br />

es auch. Nach zwei St<strong>und</strong>en gewann <strong>der</strong> Himmel, ohne großen Verlust. Keiner <strong>der</strong> Höllenkrieger<br />

überlebte. Nicht einmal <strong>der</strong> Teufel selbst. Lea hatte gegen ihn gekämpft, aber er war kein begabter<br />

Kämpfer, nach wenigen Minuten fiel auch er <strong>von</strong> seinem Pferd. Die Himmelskrieger zogen sich<br />

zurück, alle, bis auf Damir, er ritt auf Lea zu.<br />

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„Hohenpriesterin, es war sehr mutig <strong>von</strong> ihnen an unserer Seite zu kämpfen. Mutig <strong>und</strong> unüblich.“<br />

„Ich weiß Damir, aber ich konnte nicht auf <strong>der</strong> Lichtung bleiben. Es schien mir falsch zu sein selbst<br />

zu feig zu kämpfen aber die an<strong>der</strong>en sterben lassen.“<br />

Ehrfürchtig verneigte er sich vor ihr. Als er sich wie<strong>der</strong> aufrichtete, starrte er auf das Waldstück.<br />

„Er kommt zurück.“<br />

Marlo trabte auf sie zu.<br />

„Der Krieg ist gewonnen. Sehr schön. Liebste, es ist nicht üblich, dass eine Hohenpriesterin kämpft.<br />

Das nächste Mal unterlässt du das besser. Wir wollen dich noch lange am Leben erhalten.“<br />

„Das ist doch kein Krieg gewesen, verdammt noch mal! Das war eine Schlacht, wenn überhaupt.<br />

Und ich werde mich nicht verstecken! Ich werde auch beim nächsten Mal kämpfen!“<br />

„Liebste du darfst dich nicht zu sehr aufregen. Es ist deine Entscheidung ob du kämpfst o<strong>der</strong> nicht.<br />

Wie gesagt, es war nur nicht üblich.“<br />

Sie ritten zurück zum Schloss, entledigten sich ihrer Rüstungen <strong>und</strong> stiegen die Treppe wie<strong>der</strong><br />

empor. Lea ging in ihr Zimmer, ließ sich auf ihr Bett fallen <strong>und</strong> schlief sofort ein. Sie träumte nicht.<br />

Zum zweiten Mal an diesem Tag, hüllte sich alles um sie in einen schwarzen Schleier.<br />

„Lea? Schatz? Ist alles in Ordnung?“<br />

Sie hörte eine Stimme, es war ihre Mutter. Wie konnte das sein? Ihre Mutter war doch auf <strong>der</strong> Erde<br />

<strong>und</strong> Lea war im Himmel. Mit schwacher Stimme versuchte sie zu sprechen.<br />

„Mom? Bist du das?“<br />

„Liebling, Gott sei dank. Ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen. Warum liegst du denn<br />

hier draußen? Bist du in Ohnmacht gefallen?“<br />

Draußen? Wo war sie? Langsam öffnete Lea die Augen. Sie lag im Garten vor ihrem Haus.<br />

„Schatz, die Polizei hat gestern angerufen. Natascha wurde nicht ermordet, sie hatte einen<br />

Herzstillstand. Wusstest du, dass sie Drogen nahm?“<br />

„Was? Nein, das wusste ich nicht. Woher denn auch? Mom, lass uns jetzt nicht mehr darüber reden,<br />

okay?“<br />

„Schon gut. Komm steh auf. Wir gehen besser ins Haus, es sieht nach Regen aus.“<br />

Lea stand auf <strong>und</strong> sie gingen ins Haus. Wie konnte es sein, dass sie jetzt wie<strong>der</strong> hier war? Noch vor<br />

wenigen Minuten war sie doch noch im Himmel. O<strong>der</strong> hatte sie alles nur geträumt? Hatte sie einen<br />

Schock gehabt, wegen Nataschas Tod?<br />

„Lea, bitte geh ins Bad <strong>und</strong> pick dir die Fe<strong>der</strong>n aus den Haaren. Woher kommen die überhaupt?<br />

Hast du ein Kissen zerrupft?“<br />

Völlig verständnislos ging Lea ins Bad. Als sie vor den Spiegel trat konnte sie sich ein Kichern<br />

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nicht verkneifen. Ihre Haare waren weiß. Über <strong>und</strong> über mit Fe<strong>der</strong>n bedeckt. Ein Tag im Himmel<br />

<strong>und</strong> wie<strong>der</strong> zurück. War alles nur ein Traum gewesen?<br />

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Empire State<br />

(Lisa Höber)<br />

„Desastre, desastre!“,hörte ich Piere rufen. Ich drehte mich zu ihm um <strong>und</strong> sah direkt in seine<br />

braunen Augen die mich zu zwei schmalen Schlitzen zusammengekniffen böse anstarrten. „Ella,<br />

bist du verrückt?!!“, zischte er mich mit seinem französischen Akzent an, „du hast mich<br />

ruiniert!!“Ich musste schmunzeln. Immer, wenn Piere sich schrecklich aufregte, zuckte sein<br />

Schnurrbart nervös hin <strong>und</strong> her. „Was gibt es da zu lachen, Fräulein?!!“<br />

Ich wurde wie<strong>der</strong> ernst. „Nichts, gar nichts, Piere.“. Er ließ sich in einen Stuhl fallen <strong>und</strong> seufzte<br />

laut. Er sah mich eine Weile lang verzweifelt an. Ich versuchte seinen Blicken auszuweichen, indem<br />

ich den Boden anstarrte. Nach einer Weile fing ich an die Bodenfliesen zu zählen. Weiß waren sie,<br />

weiß mit einer kleinen blauen Blume in <strong>der</strong> Mitte. Obwohl sie schon ziemlich abgenutzt waren,<br />

strahlten sie immer noch dieses typische Flair eines alten französischen Landhauses aus. Genauso<br />

wie <strong>der</strong> Rest <strong>von</strong> Pieres Bistro.<br />

„Was soll ich bloß mit dir machen??“,riss mich Piere aus meinen Gedanken. Dann schlug er die<br />

Hände vors Gesicht. Es schien, als wolle er damit meiner Handlung, die ihn angeblich ruinierte,<br />

mehr Dramatik verleihen. Allmählich machten mich seine Gesten <strong>und</strong> sein Schweigen nervös. Nach<br />

einiger Weile nahm er die Hände vom Gesicht, beugte sich etwas nach vorne <strong>und</strong> blickte ins Leere.<br />

Was hätte ich jetzt dafür gegeben, seine Gedanken zu lesen. Überlegte er etwa mich zu feuern?<br />

Nein. Piere doch nicht, beruhigte ich mich stumm. O<strong>der</strong> doch?<br />

„Ella“, stammelte er langsam, „versteh doch, ich muss hier einen Betrieb am Laufenden halten. Da<br />

kann ich mir solche Ausrutscher einfach nicht leisten.“<br />

Beschämt sah ich zu Boden. Piere hatte im Gr<strong>und</strong>e ja Recht. Ein kleines Mädchen vom Land, wie<br />

ich es war, hatte im Gastronomiebetrieb einfach nichts zu suchen! Wär ich doch bloß in meinem<br />

kleinen unbedeutenden Städtchen am Rande <strong>von</strong> New York City geblieben. Ich wär bestimmt eine<br />

super Bäuerin geworden. O<strong>der</strong> ich hätt es wie Tante Catherine gemacht: Einen reichen Graf<br />

geheiratet <strong>und</strong> nach Europa abgehaut. Was wohl aus ihr geworden war? Mehr als die üblichen<br />

Weihnachtsgeschenke bekamen wir alle nicht mehr <strong>von</strong> ihr. Ich wusste nicht mal wo sie überhaupt<br />

genau wohnte. In <strong>der</strong> Schweiz vielleicht? Das würde die Schweizer Schokolade erklären, die letztes<br />

Jahr in meinem Päckchen wär. Naja, die landete im Endeffekt so o<strong>der</strong> so im Bauch meiner zwei<br />

kleinen Brü<strong>der</strong>…<br />

„Ella, hörst du mir überhaupt zu?“, riss mich Piere aus meinen Tagträumen.<br />

„Natürlich, Sir.“<br />

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Eine äußerst unglaubwürdige Lüge. Ich wusste doch, was jetzt kommt. Er würde mir einen ewig<br />

langen Vortrag halten über mein Versagen <strong>und</strong> meiner totalen Unfähigkeit <strong>und</strong> dass er sich so einen<br />

Tollpatsch wie mich einfach nicht leisten konnte <strong>und</strong> am Schluss würde ich vor <strong>der</strong> Tür landen.<br />

Wozu also das ganze Gerede? Konnte Piere nicht einfach mal seine Meinung sagen <strong>und</strong> mich<br />

rauswerfen? Er war doch sonst auch nicht so zimperlich! Naja, ich hätte mich weniger aufregen<br />

son<strong>der</strong>n mich eher bemühen sollen zu retten, was noch zu retten war! Vielleicht lässt er mir noch<br />

wenigstens einen Job als Putze, die die Toiletten schrubbt. Wär mir auch recht, Hauptsache ich hätte<br />

einen Job!! Ach warum gab ich mir Mühe, wir wissen alle wie die Geschichte ausgehen würde:<br />

Piere wird mich rauswerfen.<br />

So war es dann auch. Aber es war keineswegs furchtbar o<strong>der</strong> unerträglich gewesen. Nein, es war<br />

sogar ganz nett. Ok, nett ist vielleicht nicht das passende Wort, aber ich hab die Sache ganz gut<br />

überstanden. Piere hatte mir sogar noch meine Bezahlung für den nächsten Monat gegeben!<br />

Tja, da stand ich nun. Starrte die Ladentür an. Wie so ein angeb<strong>und</strong>ener H<strong>und</strong>, <strong>der</strong> nicht verstand,<br />

warum er dort im Inneren nicht willkommen war. Doch nun Schluss damit! Ich konnte schließlich<br />

nicht ewig dort rumstehen! Meine Zeit im Bistro war vorbei! Das musste ich nun mal einsehen,<br />

auch wenn es hart war! Es war nicht <strong>der</strong> Untergang <strong>der</strong> Welt…vorerst.<br />

Was Ted wohl dazu sagen würde?<br />

Ted war mein Fre<strong>und</strong> seit letztem Sommer. Ich besaß damals noch einen H<strong>und</strong>, sein Name war<br />

Chookie. Und naja, wie soll ich sagen, Chookie war nicht gerade <strong>der</strong> artigste aller H<strong>und</strong>e! Nachdem<br />

er damals meine Großmutter ins Handgelenk gebissen hatte, war es an <strong>der</strong> Zeit, mit ihm eine<br />

H<strong>und</strong>eschule zu besuchen. Das lief nicht ganz so am Schnürchen, wie ich mir das vorgestellt hatte.<br />

Da Chookie nicht grade <strong>der</strong> Engel unter den H<strong>und</strong>en war, waren die Trainer nicht begeistert <strong>von</strong><br />

ihm <strong>und</strong> gaben ziemlich schnell auf. Doch dann kam Ted <strong>und</strong> er hatte den H<strong>und</strong> im Griff wie kein<br />

an<strong>der</strong>er vor ihm! Und so ergab sich die Geschichte mit uns schließlich <strong>von</strong> selbst. Chookie lebt<br />

übrigens nicht mehr: vom Bus überfahren <strong>der</strong> Arme. Ted <strong>und</strong> ich denken aber schon wie<strong>der</strong> darüber<br />

nach uns einen neuen H<strong>und</strong> zuzulegen.<br />

Jedenfalls wird Ted nicht begeistert da<strong>von</strong> sein, dass ich meinen ohnehin schon schlecht bezahlten<br />

Job los war. Wir waren vor einer Weile zusammen in eine Wohnung im Stadtzentrum gezogen. Die<br />

Miete war ziemlich teuer, doch wir konnten noch nichts Besseres finden.<br />

Langsam setzte ich mich in Bewegung. Es begann zu schneien, <strong>und</strong> ehe ich mich umsah, war die<br />

gesamte Straße in einen Nebel aus weißen Schneeflocken gehüllt. Mir war eiskalt. So schnell mich<br />

meine Füße trugen, lief ich die lange Straße entlang, bis ich unser kleines Wohnhaus sah. Mit<br />

zittrigen Händen schlich ich das Treppenhaus hinauf.<br />

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Während des Treppensteigens versuchte ich mir eine möglichst glaubwürdige Ausrede<br />

auszudenken. Vielleicht sollte ich ihm erzählen, dass Piere zumachen müsse? Nein, Pieres Bistro<br />

war eines <strong>der</strong> erfolgreichsten <strong>der</strong> ganzen fifth Aveneu. Die Story konnte ich also streichen. Ich<br />

könnte sagen, dass Piere einen ganzen Batzen Geld geerbt habe, <strong>und</strong> deshalb nicht mehr arbeiten zu<br />

brauchen. Auch nicht gut, es würde doch sicher einer seiner sieben Neffen den Laden übernehmen.<br />

Mann, das gibt’s doch nicht! Sollte ich ihm einfach die Wahrheit erzählen? Er würde doch sicher<br />

sauer werden. Obwohl, Ted weiß, wie hart es ist, einen anständigen Job zu finden. Er wuchs auf <strong>der</strong><br />

Straße auf, <strong>und</strong> ist seither das raue <strong>und</strong> oberflächliche Leben in New York City gewohnt. Das ist<br />

jedenfalls das, was er mir erzählt hat. Ich habe mir nie wirklich große Gedanken über Teds früheres<br />

Leben gemacht. Viel wichtiger war mir das hier <strong>und</strong> jetzt. Ted <strong>und</strong> ich, das war das einzige, das<br />

zählte. Solange wir zusammen waren, konnte uns nichts zerstören, <strong>und</strong> ich wusste auch, dass es für<br />

immer so bleiben würde.<br />

Das dachte ich jedenfalls.<br />

Noch immer <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kälte geschüttelt suchte ich hektisch unsere Schlüssel, die immer unter <strong>der</strong><br />

Fußmatte lagen. Doch sie waren nicht da. Ich sah nach, ob die Haustüre aufgesperrt war. Das war<br />

sie. Bis jetzt kam mir die Sache noch nicht son<strong>der</strong>lich verdächtig vor. Doch das sollte sich schon<br />

sehr bald än<strong>der</strong>n.<br />

Langsam öffnete ich die Tür. Es war mucksmäuschen still. Ted war also nicht zu Hause. Doch<br />

warum sperrte er dann nicht ab? Er wusste, doch dass wir uns in einer äußerst kriminellen Gegend<br />

aufhielten, o<strong>der</strong>?<br />

Nachdem ich den kurzen hellen Gang hinter mir hatte, war ich im Wohnzimmer angelangt. Hier<br />

sollte mich ein Schock erwarten. Ich zog die roten Vorhänge, die es vom Gang trennten zur Seite<br />

<strong>und</strong> mein Herz blieb fast stehen. Ich brauchte einen Moment um zu realisieren warum.<br />

Es war leer.<br />

Das Wohnzimmer war leer. Ein weißer, leerer Raum mit zwei großen Fenstern am Rand. Sogar <strong>der</strong><br />

Lampenschirm <strong>und</strong> die darunter versteckte Glühbirne war verschw<strong>und</strong>en!<br />

Da stand ich nun. Versteinert. Wie eine Statue. Im kleinen, weißen Raum wo früher unser Sofa <strong>und</strong><br />

unser Fernseher stand. Unser kleines verstaubtes Klavier, unsere Bil<strong>der</strong>. Und jetzt, jetzt war alles<br />

nur noch ein großes Nichts. Ich versuchte mich zu bewegen, mich zu piksen, damit ich endlich <strong>von</strong><br />

diesem Albtraum aufwachen konnte!<br />

Doch es war kein Traum. Es war die harte, traurige Realität. Ted <strong>und</strong> ich, wir waren Opfer eines<br />

Raubüberfalles.<br />

Da schoss es mir wie ein Blitz durch den Kopf! Ted! Wo war er nur?! Ob sie ihm etwas angetan<br />

89


haben?! Schnell löste ich mich aus meiner kalten Starre <strong>und</strong> rannte in die Küche.<br />

Wie auch im Wohnzimmer nichts. Mein nächstes Ziel war das Schlafzimmer. Nichts. Kein Ted.<br />

Keine Möbel. Kein gar nichts. Nicht mal ein Staubkorn war zu sehen. Als hätten sie noch<br />

aufgeräumt, nachdem sie eingebrochen waren.<br />

Langsam ergriff mich die Panik. Wo war Ted?! Wo waren unsere Möbel?! Ich eilte zurück ins<br />

Wohnzimmer, als mich endgültig die Kraft verließ. Ohne darüber nachzudenken legte ich mich auf<br />

den kalten Boden <strong>und</strong> rollte mich zusammen. Tausend Gedanken gingen mir durch Kopf. In mir<br />

tobte eine eigenartige Mischung aus Trauer, Verzweiflung, Wut <strong>und</strong> Ungewissheit, was noch auf<br />

mich zu kommen würde. Ich merkte nicht mal, wie meine Hände wie<strong>der</strong> unbeweglich <strong>und</strong> kalt<br />

wurden. Ich lag bloß da. Besser gesagt meine leblose Hülle lag da. Mit meinen Gedanken war ich<br />

bei meinem Großvater. Ich erinnerte mich an die letzten Worte, die er, als ich letzten Sommer<br />

beschloss mein Glück in New York zu versuchen, zu mir sagte. „Ein Vögelchen vom Land gehört<br />

auch aufs Land <strong>und</strong> nicht in die Stadt.“<br />

Ob er vielleicht Recht damit hatte? Taugte ich wirklich nicht für das laute, stressige Stadtleben? War<br />

ich wirklich so eine Versagerin?! Kriegte ich wirklich nichts auf die Reihe?!!<br />

Plötzlich bemerkte ich, dass die Wohnung nicht komplett leer war. In meinen Augenwinkeln konnte<br />

ich die Umrisse eines Holzsessels erkennen.<br />

Und tatsächlich. Als ich mich langsam wie<strong>der</strong> aufrichtete, war da wirklich ein Sessel in <strong>der</strong> linken<br />

Ecke zu sehen. Warum hatte ich ihn vorher noch nicht bemerkt? Er war eigentlich kaum zu<br />

übersehen.<br />

Erst jetzt konnte ich den kleinen, weißen Zettel <strong>der</strong> darauf lag erkennen. Ich konnte einen Namen<br />

darauf lesen. Meinen.<br />

Etwas irritiert ging ich zu dem Sessel um den Brief vorsichtig zu öffnen. Er war nicht mit<br />

son<strong>der</strong>lich viel Aufwand gemacht. Es war eine fürchterliche Schrift! Als ob ein Kleinkind ihn<br />

verfasst hätte. Doch er stammte <strong>von</strong> keinem Kleinkind. Er stammte <strong>von</strong> Ted.<br />

Der Brief riss mir fast das Herz aus <strong>der</strong> Brust. Ted war weg. Für immer. Er würde nie mehr<br />

zurückkommen. Er war es, <strong>der</strong> unsere Wohnung leer geräumt hat. Es war <strong>von</strong> Anfang an sein Plan<br />

gewesen! Mich zu täuschen <strong>und</strong> auszunutzen. Dieser dreckige Verräter! Wie ich nur jemals auf<br />

seine Spielchen hineinfallen konnte! Ich kleines naives Bauernmädchen! Er hatte ein leichtes Spiel<br />

mit mir! Diesen ganzen Ärger hatte ich mir selbst zuzuschreiben! Ich hätte es doch schon ahnen<br />

sollen, als er mir immer Kleingeld für angebliche „Spenden“ aus <strong>der</strong> Tasche gezogen hatte!<br />

Doch so einfach würde ich mich nicht geschlagen geben! Ich werde den Dreckskerl finden <strong>und</strong><br />

wenn es das letzte ist, was ich tue! Und spätestens dann ist er mir <strong>und</strong> <strong>der</strong> Polizei eine Erklärung<br />

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schuldig! Das war bestimmt nicht sein erstes krummes Ding! Nein, mit Sicherheit nicht…<br />

Doch was würde ich solang machen? Ich konnte doch nicht in einer leeren Wohnung leben! Ich<br />

konnte jetzt, wo ich meinen Job los war, ja nicht einmal mehr die Heizkosten bezahlen!! Ich war<br />

echt bemitleidenswert…<br />

Aber im Ernst, was hätte ich tun sollen? Draußen in Müllhalden hausen? O<strong>der</strong> in einem<br />

Obdachlosenheim unterkommen? Nein. Für ein Mädchen wie mich kam zu diesem Augenblick nur<br />

eines in Frage. Meine einzige Chance auf ein warmes Plätzchen <strong>und</strong> eine anständige Mahlzeit. Auch<br />

wenn es nicht das war, was ich wollte, es führte kein Weg daran vorbei. Schließlich war mein<br />

einziger Ausweg, mein Elternhaus…<br />

Dort stand ich nun. Am kleinem Gartentor. Mit dem einzigen, was mir noch geblieben war. Das<br />

Geld <strong>von</strong> Pierre <strong>und</strong> Teds Abschiedsbrief. War es wirklich die richtige Entscheidung hierher zu<br />

kommen? Ich könnte immer noch umdrehen! Doch nein. Wo sollte ich denn hin? Nein. Lieber hier,<br />

als bei wildfremden Menschen auf dem Sofa wie es heutzutage <strong>der</strong> Brauch war.<br />

Und da hörte ich sie auch schon. Meine Mutter. Mit ihrer hellen grellen Stimme kam sie durch die<br />

Eingangstür auf mich zugestürmt.<br />

„Ella Liebes“, flüsterte sie mir ins Ohr, als sie mich umarmte. Erst jetzt wurde mir klar, wie sehr ich<br />

sie vermisst hatte! Ihr mütterlicher Duft strömte mir in die Nase. Sie war etwas r<strong>und</strong>licher <strong>und</strong><br />

kleiner geworden in den letzten Wochen. „Kind, du bist ja ganz kalt, komm schnell rein <strong>und</strong> wärm<br />

dich auf!“, sagte sie erschrocken zu mir, als sie mich losließ.<br />

In Haus war es warm. Meine zwei kleinen Brü<strong>der</strong>, <strong>der</strong> eine sieben <strong>und</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zehn, spielten am<br />

Fußboden mit kleinen Spielzeugautos. „Jungs, seht mal, wer zu Besuch vorbeigekommen ist!“ Sie<br />

horchten beide sofort auf. Als sie mich, sahen kamen sie sofort auf mich zugestürzt <strong>und</strong> ich<br />

plumpste auf den alten Schaukelstuhl. Ich war froh, dass sie mich nicht vergessen hatten.<br />

„Was ist denn hier drinnen für ein Aufruhr?“, hörte ich eine sanfte Stimme aus <strong>der</strong> Küche fragen. Es<br />

war meine Tante Maggi. Sie <strong>und</strong> ihr Ehemann, Brian, wohnten ebenfalls mit ihrer Tochter Olivia,<br />

sie war siebzehn, bei uns. Ich musste ihr sofort hallo sagen! Schnell stand ich auf <strong>und</strong> rannte in die<br />

Küche. Was ich sah, war Tante Maggi. Aber an<strong>der</strong>s. Sie stand an <strong>der</strong> Theke <strong>und</strong> schnitt Gemüse. Ihr<br />

Gesicht war bleich, ihre Augen glasig. Ihre Nase war rot, als hätte sie gerade eben noch geweint. Ihr<br />

Gesicht war gezeichnet <strong>und</strong> trostloser als sonst. Sie sah mich an. Es dauerte etwas, bis ihr ein<br />

Lächeln gelang. Dann ließ sie das Messer sinken <strong>und</strong> kam mit offenen Armen auf mich zu. Kurz<br />

darauf kam meine Mutter ebenfalls in die Küche. „Was machst du denn hier?“, fragte Maggi mich<br />

neugierig. „Ella wird eine Zeit lang bei uns unterkommen. Sie wurde in New York aufs Übelste<br />

betrogen <strong>und</strong> hat kein Dach mehr über den Kopf. Ist das in Ordnung für dich?“, erklärte meine<br />

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Mutter.<br />

„Natürlich.“, antwortete Maggi. Ich war verwirrt. Was ging hier vor? Und warum sollte es für Tante<br />

Maggi nicht in Ordnung sein, wenn ich hier wohnen würde? Ich war immer ihr kleiner Liebling.<br />

O<strong>der</strong> etwa nicht? Die beiden sahen mir meine Verwirrung wohl an.<br />

„Ella, ich glaube, wir sollten dir etwas erzählen.“<br />

Ich saß im Wohnzimmer. Meine Füße tauten langsam auf <strong>und</strong> ich wartete auf meine Mutter, die mir<br />

anscheinend eine dramatische Geschichte erzählen musste. Sie reichte mir eine Tasse Tee <strong>und</strong> setzte<br />

sich zu mir. Maggi hatte sich wie<strong>der</strong> ihrem Gemüse gewidmet.<br />

„Was ist los, Mam?“, fragte ich neugierig. Sie seufzte. „Es ist noch immer etwas schwierig für mich<br />

darüber zu sprechen ohne zu…weinen“, schluchzte sie. Ich nahm sie in den Arm. Ich war<br />

erschüttert. „Es war vor ein paar Wochen, als ich deine Cousine Olivia <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schule abholen<br />

wollte. Ich wartete am Schulhof auf sie. Doch sie kam nicht. Ich fragte eine Lehrerin ob sie wisse,<br />

wo Olivia gewesen sein könnte. Doch diese versicherte mir dass sie nach Schulschluss sofort nach<br />

Hause gegangen sei. Sie erzählte mir, dass ein schwarzes Auto sie abgeholt habe. Es gingen ja<br />

schon lange Gerüchte <strong>von</strong> Entführern herum, doch dass unsere Olivia…“<br />

Meine Mutter war am Ende ihrer Kräfte <strong>und</strong> heulte los. Tante Maggi kam herein. Ich wusste in dem<br />

Moment nicht, was ich sagen hätte sollen. Es war zu unglaublich. Doch es war wahr…<br />

Ich lag in meinem Bett. Warm war es <strong>und</strong> gemütlich. Es gab so viel nachzudenken. Womit hätte ich<br />

bloß anfangen sollen? Olivia, wo war Olivia? Und Ted? Mein ganzes Leben stand in dem Moment<br />

Kopf! Wär ich doch bloß niemals <strong>von</strong> zu Hause weggegangen! Ich hätte niemals diesen Verräter,<br />

Ted, kennengelernt! Und ich hätte Olivia beschützen können! Doch nein, ich musste mich ja auf<br />

große Abenteuerreise begeben, <strong>und</strong> alles, was ich je hatte, hinter mir lassen! Am Ende kommt man<br />

eben doch dorthin zurück, wo man hingehört…<br />

Und ich gehörte jetzt wie<strong>der</strong> zu meiner Familie! Sie brauchten mich jetzt mehr als je zuvor! Nach<br />

New York kann ich immer noch…<br />

Plötzlich kullerten mir ein paar Tränen über die Wange. Mir wurde bewusst, dass sie vielleicht<br />

schon tot sein könnte. Je<strong>der</strong> Moment könnte zu spät sein. Je<strong>der</strong> einzelne Moment. Was war bloß<br />

passiert? Wo könnte sie nur sein? Und wer war dieses Schwein das sie entführt hatte? Tausende<br />

Fragen schwirrten mir durch den Kopf. Doch wo waren die Antworten? Es gab keine…<br />

Ich hatte die ganze Nacht kein Auge zu getan. Ich war zur Polizei gegangen. Sie hatten mir alles<br />

erzählt, es gab keine Hinweise, keine Verdächtigen, gar nichts. Sie hatten ihr Handy <strong>und</strong> ihren<br />

Computer durchsucht. Doch nichts. Den Rest des Tages verbrachte ich damit, meine Familie zu<br />

trösten <strong>und</strong> den Wald zu durchsuchen. Wie erwartet ohne Erfolg.<br />

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Das ging einige Wochen so. Wir hatten die Hoffnung, Olivia jemals lebendig wie<strong>der</strong>zusehen, schon<br />

fast aufgegeben. Doch das än<strong>der</strong>te sich schlagartig. Ich war auf dem Weg zum Bäcker, um frisches<br />

Brot zu holen, als mir dieser Junge ins Auge stach. Er hatte pechschwarzes Haar <strong>und</strong> ein<br />

kreidebleiches Gesicht. Er kam mir bekannt vor. Er zog mich förmlich an. Ich musste auf ihn zu<br />

gehen. „Hallo“, sagte ich etwas verlegen. Er sah mich erst etwas verwirrt an, fing aber dann an zu<br />

lächeln. „Sind Sie nicht Ella?“ Jetzt musste auch ich lächeln. Woher kannte ich ihn bloß? „Ja, Ja das<br />

bin ich. Sag mal, kennen wir uns?“, fragte ich etwas verwirrt. Er lachte <strong>und</strong> reichte mir die Hand.<br />

„Pete Hendriks. Ich bin…war ein Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong> Olivia. Wir haben früher mit Ihnen blinde Kuh<br />

gespielt. Erinnern sie sich?“ Jetzt fiel es mir wie<strong>der</strong> ein! Natürlich! Pete! Wie konnte ich nur Pete<br />

vergessen? „Wie läuft es? Weiß man schon etwas neues?“, fragte er mich neugierig. Ich schüttelte<br />

den Kopf. Er biss sich auf die Lippen. „Die Polizei kommt mit so einem Fall einfach nicht klar.<br />

Wann passiert auch schon mal etwas in unserem kleinen Dorf?“, beschwerte er sich. Ich musste ihm<br />

recht geben. Unsere Polizei war wirklich nicht gerade die engagierteste. „Am Liebsten würde ich<br />

die Sache mit Olivia selbst in die Hand nehmen..“, erklärte er mir, „ ich weiß alles über sie…“<br />

Seine Idee war nicht die schlechteste. Ich meine, sie war besser als tatenlos zuzusehen. Ich lud ihn<br />

auf eine Tasse Tee beim Bäcker ein <strong>und</strong> wir berieten uns. „Hast du irgendeine kleine Ahnung, wo<br />

sie stecken, o<strong>der</strong> wer sie entführt haben könnte?“<br />

„Olivia war nie ein Mädchen, das viel SMS geschrieben, o<strong>der</strong> telefoniert hatte. Sie schrieb Briefe.<br />

Soweit ich weiß sind sie in einer Box in ihrem Zimmer aufbewahrt.“<br />

„Warum hast du <strong>der</strong> Polizei nichts <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kiste erzählt?“<br />

Er lächelte. „Denken Sie wirklich die Polizei würde einem kleinen unwissenden Jungen wie mir<br />

glauben? Noch dazu bin ich nicht sehr beliebt bei denen.“<br />

Ich zog eine Augenbraue hoch. „Weswegen das?“<br />

„Eine lange Geschichte. Die will ich Ihnen ersparen.“ Ich stimmte ihm zu. Er war mir sympathisch.<br />

Ich konnte mir nicht helfen.<br />

„Also, was schlägst du vor?“, fragte ich ihn.<br />

„Lassen Sie mich in Olivias Zimmer. Ich bin mir sicher, ich werde etwas finden.“ Ich nickte.<br />

Das Zimmer war verstaubt. Hier war anscheinend Wochen niemand mehr gewesen. Pete schaute<br />

sich um. Er ging auf den alten Wandschrank zu <strong>und</strong> öffnete ihn. Er kramte etwas darin herum.<br />

„Hier.“ Er hob eine verstaubte kleine Schachtel daraus hervor. Wir setzten uns auf das Bett. Ich<br />

strich über die Schachtel um den Staub zu entfernen. Ich konnte darauf ihren Namen in einer kleiner<br />

geschnörkelten Schrift lesen. Ich sah Pete kurz an. Dann öffnete ich die Schachtel.<br />

Locker fünfzig Briefe waren in dem kleinen Schächtelchen zu finden. Alle handgeschrieben. Eine<br />

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saubere Schrift. Ich nahm einen da<strong>von</strong> <strong>und</strong> las ihn mir laut durch.<br />

„Liebe Olivia,<br />

Ich denke jeden Tag an dich. Ich wünschte, ich könnte dich jetzt sehen. Doch das kann ich nicht.<br />

New York ist soweit weg. Soweit weg <strong>von</strong> dir. Wenn du doch bloß schon achtzehn wärst, du<br />

könntest auf <strong>der</strong> Stelle zu mir kommen. Doch keine Angst, das musst du nicht. Denn ich werde bald<br />

bei dir sein. Ich muss hier nur noch ein paar kleine private Probleme lösen, dann bin ich da bei dir.<br />

Ich verspreche es.“<br />

„Ich wusste es…“, murmelte Pete. Ich sah ihn entgeistert an.<br />

„Sie hatte einen Verehre…ich fasse es nicht. Und anscheinend war er auch noch um einiges älter als<br />

sie! Das glaub ich einfach nicht!“<br />

„Da steht kein Absen<strong>der</strong>.“ Anscheinend hörte er mir gar nicht zu. Das Gefühl, dass ich in diesem<br />

Moment hatte, war das gleiche, als ich Teds Abschiedsbrief las… es war furchtbar.<br />

Wir liefen sofort zur Polizei.<br />

„Du schon wie<strong>der</strong>!“, knurrte <strong>der</strong> Officer als er Pete sah <strong>und</strong> wollte ihn schon fast wie<strong>der</strong><br />

hinausschmeißen. Doch ich hielt ihn zurück.<br />

„Warten Sie, <strong>der</strong> Junge kann uns helfen!“ Der Mann ließ uns herein <strong>und</strong> wir zeigten ihm die Briefe.<br />

„Das ist eine äußerst interessante Geschichte, die du uns da vorweist, Pete.“, sagte er zu Pete, als<br />

wir ausgeredet hatten.<br />

„Nur lei<strong>der</strong> ist es vielleicht bald zu spät, wenn wir nichts unternehmen!“, rief Pete nervös. Der<br />

Polizeibeamte stand auf <strong>und</strong> reichte die Schachtel mit den Briefen an einen Kollegen weiter.<br />

„Es wurden uns schon <strong>von</strong> einigen besorgten Eltern Briefe <strong>von</strong> unbekannten Liebhabern ihrer<br />

Töchter gegeben. Wir werden die Schachtel einschicken <strong>und</strong> sehen, ob sie mit einer <strong>der</strong> bereits<br />

bekannten Handschriften übereinstimmen. Wir melden uns dann natürlich sofort bei ihnen“, erklärte<br />

<strong>der</strong> Officer. Unsere Arbeit war hiermit getan.<br />

Und tatsächlich! Nur wenige Tage später stand die Polizei vor unserer Tür <strong>und</strong> erzählte uns, dass sie<br />

durch die Handschrift <strong>und</strong> die Herkunft <strong>der</strong> Tinte eine Adresse herausfinden konnten! Ich schnappte<br />

mir Pete, meine Mutter, Tante Maggi <strong>und</strong> ihren Mann <strong>und</strong> fuhr mit ihnen zum angeblichen<br />

Aufenthaltsort. Die Stimmung wurde immer angespannter, je tiefer wir in den dunklen Mischwald,<br />

einige Kilometer <strong>von</strong> unserem Dorf entfernt, fuhren.<br />

Dan waren wir da. Ein kleines verlassenes Haus vor uns. Dunkle Fenster. Ziemlich alt. Die Polizei<br />

riet uns zurückzubleiben. Dann gingen sie rein. Plötzlich hörte man einen Schrei. Dann einen<br />

Schuss. Und noch einen Schrei. Die restlichen Polizisten liefen ebenfalls ins Haus. Es war ein<br />

enormes Getümmel. Dann sah ich sie.<br />

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Braunes langes Haar. W<strong>und</strong>erschön wie immer. Zwei Polizisten stützten sie. Sie war es. Zwei<br />

riesige Platzw<strong>und</strong>en im Gesicht. Doch sie war es. Und sie lebte. Tante Maggi. Meine Mutter. Pete.<br />

Alle liefen sie auf sie zu <strong>und</strong> nahmen sie in den Arm.<br />

Nur ich nicht. Ich konnte nicht. Etwas war in meinem Blickfeld, das es mir nicht ermöglichte, mich<br />

zu bewegen. Und plötzlich schoss es mir durch den Kopf. Es war so offensichtlich. Die Briefe.<br />

Hätte ich doch etwas nachgedacht. Ich griff in meine Jackentasche. Sah den Abschiedsbrief an. Sah<br />

ihn an. Zerknüllte ihn <strong>und</strong> warf ihn zu Boden. Vergrub ihn unter Laub <strong>und</strong> Gestein mit meinem Fuß,<br />

bis nichts mehr da<strong>von</strong> zu sehen war.<br />

Er lachte. Er fand es komisch. Die Polizisten prügelten ihn förmlich ins Polizeiauto. Es war<br />

plötzlich alles so klar. Und nun wusste ich, dass es vorbei war. Für immer. Und ich würde ihn nie<br />

wie<strong>der</strong> sehen, diesen Verräter. Er war hinter Gitter. Für immer. Auf nimmer Wie<strong>der</strong>sehen, Ted.<br />

95


Der fast perfekte Mord<br />

(Sarah Mayer)<br />

Blut. Überall Blut <strong>und</strong> mittendrin liegt er. In seinem eigenen Blutbad. Eine zerbrochene Glasflasche<br />

neben ihm. Im Nebenzimmer flimmert <strong>der</strong> Fernseher. Das Fensterscharnier quietscht durch den<br />

starken Windstoß. Das fahle Licht <strong>der</strong> Straßenlaterne scheint ins Zimmer. Nichts bewegt sich. Nicht<br />

einmal eine Fliege brummt. Das Kalen<strong>der</strong>blatt zeigt Dienstag den 17. an. Die Uhr im Flur tickt. Ein<br />

Handy läutet. Immer <strong>und</strong> immer kommt <strong>der</strong> selbe Klingelton: „Ich muss nur noch kurz die Welt<br />

retten,….!“ Aber es war zu spät. Man konnte niemanden mehr retten!<br />

Das ist Josef Müller klar. Er steht im stickigen Zimmer einfach nur da. Ganz still <strong>und</strong> leise. Er<br />

zittert. Hält eine Kaffeetasse in seiner Hand.- Er wollte doch nur Zucker holen! Einfachen Zucker,<br />

ohne Leiche! Doch wer konnte das schon wissen? Sein Gesicht wird allmählich blasser <strong>und</strong> blasser.<br />

Ein Schauer breitet sich in seinem Rücken aus. Ihm wird übel. Er dreht sich um. Bückt sich <strong>und</strong> ihm<br />

kommt das ganze Essen hoch. Jetzt riecht es noch strenger. Er lässt die Tasse fallen. Er läuft <strong>und</strong><br />

läuft so schnell er kann.<br />

Endlich ist er in seinem Haus. Er geht zum Telefon. Wählt 133. Es macht: „ Piep,…. piep.“ Endlich!<br />

Eine herzliche Stimme kommt aus dem Hörer.<br />

„Grüß Gott! Wie kann ich Ihnen helfen?“<br />

Josef antwortet nichts.<br />

„Hallo? Ist da jemand?“<br />

„Ähmm…. ja, hallo. Hier ist Josef Müller. Ich wohne in Bad Aussee im Ortsteil Obertressen. Ich<br />

ging gerade zu meinem Nachbar hinüber <strong>und</strong>, <strong>und</strong> er lag da. In Blut ein gewälzt <strong>und</strong>, <strong>und</strong>….!“<br />

„O.K. Wir kommen gleich. Es könnte ein bisschen dauern, bis die Kriminalpolizei eintrifft. Aber<br />

machen Sie sich keine Sorgen! – Wir sind da!“<br />

Sie legt auf. Josef hört nur mehr ein „Piep,… piep.“ Er lässt den Hörer fallen. Josef Müller setzt<br />

sich in seinen Sessel. Seine Gedanken kreisen um ihn. Still <strong>und</strong> leise ist es in seinem Haus. Man<br />

hört seine Katze Wasser schlürfen.<br />

Endlich. Eine Sirene ertönt. Josef Müller steht auf, macht die Tür auf <strong>und</strong> geht hinaus. In die<br />

Eiseskälte.<br />

„Guten Tag. Sind Sie Herr Müller?“<br />

„Ja, das bin ich.“<br />

„Ich bin Hauptinspektor Scheucher. Ich ermittle in diesem Fall. Das ist mein „Helferlein“ Inspektor<br />

Bouba.“<br />

97


„Hallo. Wo ist denn die Leiche?“<br />

„Im Haus nebenan.“<br />

„Danke.“<br />

Beide Inspektoren machen sich auf den Weg. Herr Müller ist immer hinter ihnen.<br />

Sie treten in das Haus <strong>von</strong> Udo Schmidt ein. Hauptinspektor Scheucher schaut sich um. Er geht die<br />

Stiege hinauf. Sie knarrt. Der muffige Geruch wird immer stärker. Inspektor Bouba schaut auf das<br />

Erbrochene in <strong>der</strong> Ecke.<br />

„ Das war ich“, sagt Josef.<br />

Herr Bouba nickt. Der Hauptinspektor sieht sich für ein paar Sek<strong>und</strong>en um <strong>und</strong> sagt. „ Was führte<br />

Sie zum Herrn Schmidt?“<br />

„Ich wollte nur Zucker holen. Meine Tante hat morgen Geburtstag. Deshalb brauchte ich den<br />

Zucker …. für die Torte. Ich klopfte mehrmals an, doch niemand machte die Tür auf. Ich sah, dass<br />

im Wohnzimmer, also hier, Licht brannte. Also öffnete ich die Tür. Zu meinem Staunen war sie<br />

offen. Ich ging die Stiege hoch. Da kam mir dieser Geruch in die Nase. Mir wurde allmählich übel.<br />

Ich ging in dieses Zimmer. Öffnete die Tür. Sah ihn. Drehte mich um <strong>und</strong> ich übergab mich in <strong>der</strong><br />

Ecke.“<br />

„Sie fassten auch nichts an?“<br />

„Nein, warum?“<br />

„Weil es so aussieht, als wäre ihr Nachbar mit einem Messer attackiert worden <strong>und</strong> neben ihm liegt<br />

eine Glasflasche.“<br />

Josef antwortet nicht. Er schluckt. Inspektor Scheucher sieht noch mal in die R<strong>und</strong>e. Jetzt irritiert<br />

ihn etwas. Er geht zum Schreibtisch <strong>und</strong> starrt auf einen Zettel.<br />

„Alles in Ordnung?“, fragt Bouba.<br />

„Ja, ja. Könntest du mir das alles fotografieren <strong>und</strong> nimm diesen Zettel, die Glasflasche, den<br />

Terminkalen<strong>der</strong> <strong>und</strong> sein Handy mit. Und Herr Fleck, untersuchen Sie mir bitte die Leiche. Mir<br />

kommt das alles hier nicht geheuer vor!“<br />

Am Revier starrt <strong>der</strong> Hauptinspektor nur auf diesen Zettel, wie als ob jemand ins „Narren- Kasterl“<br />

schaut. Er sitzt nur da. Ohne Emotionen zu zeigen, ohne Gefühle. Er steht auf <strong>und</strong> geht auf die<br />

Fotostaffelei zu. Er bleibt stehen. Herr Scheuer sieht nur das eine Bild an, auf dem das Opfer zu<br />

sehen ist. Nach langem Überlegen sagt er zu Bouba: „ Ich brauche bitte den Herrn Marco Schmidt<br />

<strong>und</strong> die Frau Schmidt.“<br />

Zwei St<strong>und</strong>en später treffen die beiden ein. Zuerst verhört er Marco Schmidt.<br />

98


„ Herr Schmidt?“<br />

„ Ja?“, antwortete er.<br />

„ Sie sind ja <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> vom Herrn Udo Schmidt. Stimmt das?“<br />

„ Ja, das ist richtig.“<br />

„ Haben Sie eine Frau o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>?“<br />

„ Ja. Ich wohne mit meiner Frau in einer Wohnung.“<br />

„ Sie waren ja <strong>der</strong> Letzte, mit dem sich Herr Schmidt traf, o<strong>der</strong>?“<br />

„ Ich weiß nicht, was Sie damit meinen.“<br />

„ Ich meine damit, dass Sie die letzte Person war, die ihn noch lebend sah.“<br />

„ Ich glaube schon.“<br />

„ Um drei Uhr haben Sie sich mit ihm zum Kaffee trinken im Kaffeehaus Cafébohne getroffen.“<br />

„ Ja genau.“<br />

„ Danke, das reicht mir fürs Erste. Jetzt brauche ich die Frau Schmidt!“<br />

Herr Schmidt tritt aus <strong>und</strong> man hört schon im Flur Stöckelschuhe klacken.<br />

„Wer will mich sprechen?“, fragt sie hochnäsig.<br />

„ Ich. Guten Tag. Mein Name ist Franz Scheucher. Hauptinspektor, in diesem Fall.“<br />

„ Aha. Nett zu wissen. Also, was wollen Sie <strong>von</strong> mir?“<br />

„ Sie wissen doch, dass Ihr Mann gestorben ist.“<br />

„ Ach, wirklich? Erzählen Sie mir was Neues.“<br />

„ Wir müssten Ihnen nur ganz kurz ein paar Fragen stellen.“<br />

„ Tja, dass weiß ich auch schon.“<br />

„ Nun gut, wo waren Sie gestern zwischen sechs <strong>und</strong> sieben Uhr?“<br />

„ Bei einer Weinverkostung in <strong>der</strong> Südsteiermark.“<br />

„ Seit wann sind Sie mit Herrn Schmidt verheiratet?“<br />

„ Seit zwei Jahren. Wir haben uns auf Mallorca kennengelernt <strong>und</strong> dann hat es gefunkt.“<br />

„ Wussten Sie da schon, dass er ein Millionär war?“<br />

„ Ja, wir sahen uns nämlich zum ersten Mal auf einer High- Society- Party.“<br />

„ Wie war die Weinverkostung?“<br />

„ Wie bitte?“<br />

„ Die Weinverkostung. Gestern. In <strong>der</strong> Südsteiermark?“<br />

„ Sehr schön.“<br />

Inspektor Scheucher merkt, dass ihr die Frage unangenehm war. Frau Schmidt steht auf ohne noch<br />

etwas zu sagen. Sie dreht sich mit einem leichten Dreher um <strong>und</strong> macht einen perfekten Abgang.<br />

99


Wie man es sonst nur bei Paris Hilton gewohnt war. Im Flur hört man wie<strong>der</strong> diese „klack- klack“<br />

Geräusche <strong>von</strong> ihren Leoparden- High- Heels.<br />

„ Und, wie war es? Und vor allem mit Frau Schmidt?“, fragt Bouba mit einem Lächeln.<br />

„ Sehr schön. Sehr schön. Kannst du bitte nachschauen, ob gestern in <strong>der</strong> Südsteiermark eine<br />

Weinverkostung war?“<br />

„ Hast du leicht wie<strong>der</strong> eine verpasst?“<br />

„ Sehr witzig Bouba. Du weißt doch, ich kann dich arbeitslos machen!“, sagt Herr Scheucher mit<br />

einem w<strong>und</strong>ervollen Lächeln.<br />

Man merkt Bouba an, dass es ihm unangenehm war. Inspektor Scheucher sieht sich nochmal die<br />

Fotos <strong>von</strong> Udo Schmidt an.<br />

„ Gestern war keine Weinverkostung in <strong>der</strong> Südsteiermark. Du hast nichts verpasst!“<br />

Inspektor Scheucher sieht Bouba wie<strong>der</strong> an <strong>und</strong> sagt: „ War gestern wirklich keine<br />

Weinverkostung?“<br />

„ Nein. Aber ich kann nachschauen, ob morgen eine ist. Soll ich dich gleich anmelden?“<br />

„ Witzig, aber Frau Schmidt war wahrscheinlich gestern bei einer.“<br />

„ Was?“<br />

„ Sie hat gesagt, dass sie gestern auf einer Weinverkostung in <strong>der</strong> Südsteiermark war.“<br />

„ Uhh, das gibt Ärger. Sie sieht zwar hammermäßig aus, aber im Köpfchen hat sie nichts.“<br />

„ Sei nicht so fies.“<br />

„ Und wie war es mit dem Bru<strong>der</strong> <strong>von</strong> ihm?“<br />

„ Der hat auch gelogen.“<br />

„ Warum?“<br />

„ Er hat gesagt, er hätte gestern mit Udo einen Kaffee getrunken. Aber unser Opfer war um drei bei<br />

einer Anklage.“<br />

„ War unser Opfer leicht ein Verbrecher?“<br />

„ Nein, aber ein Anwalt.“<br />

„ Also was heißt das jetzt?“<br />

„ Das heißt, dass es drei Verdächtige gibt, <strong>von</strong> dem unser Opfer ermordet worden sein könnte.“<br />

„ Seine Frau, sein Bru<strong>der</strong>“, zählt Bouba an zwei Fingern ab. „ Wer noch?“<br />

„ Die dritte Verdächtige ist Michaela Skaska.“<br />

„ Wer ist das?“<br />

„ Das war eine Klientin vom Herrn Schmidt.“<br />

„ Ja <strong>und</strong>? Das hieße, dass auch jede an<strong>der</strong>e Klientin verdächtig wäre.“<br />

100


„ Nein, das heißt es nicht. Frau Skaska war eine Klientin, mit welcher er eine Affäre hatte.“<br />

„ Uhh, die arme Frau Schmidt.“<br />

„ Du bist in sie verliebt.“<br />

„ Vielleicht…, aber sollen wir nicht einen Fall lösen?“<br />

„ Nein, du musst einen Fall lösen!“<br />

„ Warum ich?“<br />

„ Weil es heute schon spät ist <strong>und</strong> ich morgen bei einer Weinverkostung in <strong>der</strong> Südsteiermark bin.“<br />

„ Du lässt mich hier alleine?“<br />

„ Nein. Übermorgen bin ich wie<strong>der</strong> da. Viel Spaß!“<br />

Der Hauptinspektor geht aus dem Raum <strong>und</strong> nimmt elegant seinen Mantel <strong>von</strong> dem Hutstän<strong>der</strong>.<br />

Man merkt Bouba an, dass er ein bisschen nervös ist. Er alleine soll den Fall für einen Tag<br />

überwachen.<br />

„ Und wie war <strong>der</strong> eine Tag ohne mich?“, fragt Inspektor Scheucher.<br />

„ Ja, er war in Ordnung.“<br />

„ Sehr schön.“<br />

„ Wie war die Weinverkostung?“<br />

„ Sehr, sehr schön. Hast du schon etwas Neues erfahren?“<br />

„ Ja, etwas sehr Interessantes.“<br />

„ Also ich finde es nicht so interessant zu wissen, dass Frau Skaska ein Kind mit Udo hat. Und dass<br />

Frau Schmidt eine Affäre mit ihrem Schwager, also Marco Schmidt hatte. Welcher zufälliger Weise<br />

mit Frau Skaska verheiratet ist.“<br />

„ Woher weißt du das?“<br />

„ Ich war zwar auf einer Weinverkostung, aber ich bin Multitasking fähig <strong>und</strong> kann auch mit dem<br />

Internet umgehen. Ja, jetzt bist du baff!“<br />

„ Ja, allerdings! Das mit dem Multitasking <strong>und</strong> dem Internet hätte ich ihnen niemals zu getraut.“<br />

„ Hahaha, sehr witzig Bouba. Aber wie gesagt, ich kann dich entlassen.“<br />

Boubas Lächeln verschwindet sofort.<br />

„Aber, “ sagt Bouba, „warum heißt dann Michaela Skaska Michaela Skaska <strong>und</strong> nicht Michaela<br />

Schmidt, wie ihr Mann, Marco Schmidt?“<br />

„ Sehr interessante Frage, aber ich glaube, dass wir darauf später kommen. Jetzt tut das nichts zur<br />

Sache. Wir müssen uns jetzt auf die Dinge konzentrieren, die wir noch nicht wissen.“<br />

„ Du weißt, warum Michaela nicht Schmidt heißt, stimmt`s?“<br />

„ Ist das so offensichtlich?“<br />

101


„ Ja. Seit wann weißt du das schon?“<br />

„ Seitdem ich mit dem Internet umgehen kann.“<br />

Bouba lacht laut. Er findet es so witzig, dass er sich sogar am Boden wälzt. Es sieht so aus, als<br />

könne er nicht mehr aufhören.<br />

„ Hahaha, wirklich witzig. Zum Totlachen“, sagt <strong>der</strong> Hauptinspektor.<br />

„ Ich finde, “ fährt er fort, „ wir sollten nochmal die eitle Witwe, Frau Eva Schmidt interviewen.“<br />

„ Warum?“<br />

„ Bouba, das ist doch offensichtlich. Und zwar wollte ich sie fragen, warum sie nicht bei dieser<br />

großartigen Weinverkostung war! Nein, Spaß beiseite. Es gibt da noch einiges zu klären!“<br />

„ Was wollen Sie?“, fragt Eva Schmidt.<br />

„ Sie wissen doch, dass Ihr Mann tot ist, o<strong>der</strong>?“<br />

„ Ja, erzählen Sie mir jetzt bitte etwas Neues, Herr Hauptinspektor!“<br />

„ Wie Sie meinen. Der Herr Alexan<strong>der</strong> Fleck, unser „Leichen- Doktor“, wie man so schön sagt, hat<br />

Ihren Gatten obduziert <strong>und</strong> uns das Ergebnis geschickt.“<br />

Evas Gesicht wird immer blasser <strong>und</strong> blasser. Sie ist so blass im Gesicht, dass man meinen könnte,<br />

sie hätte einen Geist gesehen.<br />

„ Alles in Ordnung?“<br />

„ Ja, warum denn nicht?“<br />

„ Naja, weil es nach allem Anschein so aussehe, als würde Ihr Mann zwischen sechs <strong>und</strong> sieben Uhr<br />

am Dienstag ermordet worden sein.“<br />

„ Ja <strong>und</strong>?“<br />

„ Ja <strong>und</strong>? Sie haben gesagt, dass Sie auf einer Weinverkostung in <strong>der</strong> Südsteiermark waren. An<br />

einem 17. März. Und je<strong>der</strong> weiß, dass an einem 17. März keine Weinverkostung war!“<br />

Eva Schmidt schweigt. Man hört die Uhr ticken. Tick…, tick… .<br />

„ Dürfte ich jetzt gehen?“<br />

„ Ja, aber zuerst noch eine letzte Frage .“<br />

„ …“<br />

„ Wussten Sie <strong>von</strong> <strong>der</strong> Affäre zwischen Ihren Mann <strong>und</strong> Frau Skaska?“<br />

„ Ja, aber ich liebte meinen Mann, deshalb verzieh ich ihm.“<br />

„Danke, Sie dürfen jetzt gehen.“<br />

Frau Schmidt steht auf <strong>und</strong> man hört wie<strong>der</strong> ihre Stöckelschuhe klackern.<br />

„ Also, warum heißt jetzt Frau Skaska nicht Schmidt?“<br />

Die zwei sehen Frau Schmidt wegfahren. Man hört die Autos <strong>von</strong> <strong>der</strong> Autobahn.<br />

102


„ Das ist einfach.“<br />

„ Ja wirklich?“<br />

„ Ja. Und zwar wollte die Frau Skaska nicht Schmidt heißen.“<br />

„ Hahaha. Sehr witzig.“<br />

„ Nein, jetzt im Ernst.“<br />

„ Woher weißt du das?“<br />

„ Ich habe sie bei <strong>der</strong> Weinverkostung getroffen. Und dann sind wir ins Reden gekommen.“<br />

„ Woher wusstest du <strong>von</strong> Frau Skaska?“<br />

„ Ich las mir Udos Akte durch <strong>und</strong> dort stand, dass er ein Kind hat. Und so bin ich halt auf Frau<br />

Skaska gekommen.“<br />

„ Nett.“<br />

„ Ja, sie ist wirklich nett. Ach ja, was ist denn beim Verhör vom Marco Schmidt rausgekommen?“<br />

„ Tja, dass er mit Skaska verheiratet ist <strong>und</strong> dass er mit unserer hübschen Eva ein Verhältnis hatte.“<br />

„ Aber, warum genau die drei?“, murmelt Scheucher vor sich her.<br />

„ Wie bitte?“<br />

„ Ach, ich dachte nur nach.“<br />

„ Nein, ich will es wissen!“<br />

„ Na gut. In Udo Schmidts Handy sind nur sechs Nummern eingespeichert. Drei <strong>von</strong> seiner Kanzlei<br />

<strong>und</strong> die an<strong>der</strong>en drei Nummern sind die Nummern, <strong>von</strong> unseren Verdächtigen.“<br />

„ Das ist echt komisch.“<br />

„Wir müssen noch einmal Herrn Müller, den Nachbarn vom Udo Schmidt befragen.“<br />

„ Und warum?“<br />

„ Tja, vielleicht hat er etwas gehört, was uns sehr hilfreich wäre.“<br />

„ Ach, du machst mich wie<strong>der</strong> neugierig.“<br />

„ Warum denn?“<br />

„ Weil ich weiß, dass du etwas weißt.“<br />

„ Ich finde es schön, wenn du etwas weißt.“<br />

„ Was weißt du?“<br />

„ Sehr viel.“<br />

„ Ich weiß jetzt, was du weißt.“<br />

„ Was weißt du?“<br />

„ Naja, ich weiß, dass du weißt, wer ihn ermordet hat.“<br />

„ Woher weißt du das?“<br />

103


„ Internet.“<br />

Die beiden können sich kaum noch halten <strong>und</strong> lachen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben<br />

gelacht.<br />

„ Guten Morgen.“<br />

„ Guten Morgen Herr Müller. Wir würden gerne ein paar Fragen an Sie stellen.“<br />

„ Bitte kommt herein.“<br />

Die zwei Inspektoren treten in sein Haus ein. Es riecht nach Lebkuchen. Nach frischem Lebkuchen.<br />

„ Wollen Sie einen Pfefferkuchen?“<br />

„Wie bitte?“<br />

„ Entschuldigen Sie bitte, ich meinte Lebkuchen.“<br />

„ Nein danke. Aber was ich Sie fragen wollte ist, ob <strong>der</strong> Kuchen für Ihre Tante gut geworden ist.“<br />

„ Ja, sehr gut sogar.“<br />

„ Herr Müller, haben sie irgendetwas Verdächtiges am 17.3. gehört? O<strong>der</strong> noch besser, gesehen?“<br />

„ Also, ich hörte Ö3, aber um 18:03 Uhr kam ein Auto hergefahren. Zwei Leute stiegen aus <strong>und</strong><br />

gingen in das Haus <strong>von</strong> Udo.“<br />

„ Können Sie sich erinnern welches Auto es war?“<br />

„ Ja, ein violetter Renault Kangoo.“<br />

„ Danke, vielen Dank! Sie haben uns sehr geholfen.“<br />

Die zwei treten aus <strong>und</strong> steigen in das Polizeiauto ein.<br />

„ Also, ich weiß nicht, warum er uns damit geholfen hat.“<br />

„ Ach Bouba, das ist doch nichts Neues!“<br />

„ Hat es uns wenigstens weitergebracht?“<br />

„ Ja. Meine Theorie stimmt jetzt.“<br />

„ Das ist nichts Neues!“<br />

Die drei Verdächtigen sitzen ganz gespannt im Verhörzimmer <strong>der</strong> Kanzlei. Niemand spricht. Es ist<br />

so still im Raum, dass man sogar die Uhr ticken hört. Plötzlich hört man Schritte im Flur.- Es sind<br />

die Inspektoren. Sie treten in den Raum ein. Man merkt die Anspannung <strong>von</strong> allen dreien.<br />

„ Ja, schön euch wie<strong>der</strong> zu sehen!“, sagt Herr Scheucher.<br />

„ Tja, da wir zwei wissen, wer Udo Schmidt umgebracht hat, könnten wir eigentlich schon in den<br />

Gerichtssaal mit dem o<strong>der</strong> die Mör<strong>der</strong> gehen. Aber weil wir die Auflösung eines Falles gerne vor<br />

den Verdächtigen zelebrieren, stehen wir heute wie<strong>der</strong> hier“, sagt Bouba.<br />

„ Hahaha, sehr witzig!“, meint Frau Eva Schmidt.<br />

104


„ Gut, dann fangen wir mal mit dem Marco Schmidt an“, sagt Bouba.<br />

„ Marco“, fährt Scheucher fort, „ Sie sind, wie bekannt, <strong>der</strong> Mann <strong>von</strong> Frau Skaska <strong>und</strong> <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong><br />

<strong>von</strong> Udo. Wir haben schon oft Fälle gehabt, in denen <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> seinen Bru<strong>der</strong> umgebracht hat.<br />

Jetzt könnten wir wie<strong>der</strong> so einen Fall haben. Im ersten Verhör haben Sie uns nicht die Wahrheit<br />

erzählt. Ihr Motiv für den Mord könnte sein, dass Sie Ihren Bru<strong>der</strong> hassten, denn er hatte eine<br />

Affäre mit Ihrer Frau. Nach dem Meeting könnten Sie ihn einfach umgebracht haben <strong>und</strong> apropos,<br />

Sie waren nicht mit Ihrem Bru<strong>der</strong> Kaffee trinken, denn Ihr Bru<strong>der</strong> musste arbeiten. Ihr Motiv stünde<br />

fest.“<br />

„ Aha, jetzt könnten wir zwei ja eigentlich gehen“, meint Eva.<br />

„ Nein, dürft ihr nicht!“, sagt Bouba, „ Denn Frau Skaska war auch nicht immer ehrlich! Frau<br />

Skaska, ihr Motiv wäre, dass Sie Udo liebten, aber er erwi<strong>der</strong>te die Gefühle nicht, weil er mit seiner<br />

großen Liebe verheiratet war. Aber, eine Frage stellten wir uns trotzdem, wenn Sie die Mör<strong>der</strong>in<br />

wären, warum brachten Sie dann nicht die Frau Schmidt um?“<br />

„ Genau, Bouba, aber dann hatten wir ja eine zweite Verdächtige: Eva Schmidt. Sie log uns auch an,<br />

denn Sie war nicht auf <strong>der</strong> Weinverkostung. Also, hätte Sie kein Alibi. Ihr Mordmotiv wäre<br />

Eifersucht. Aber bei Ihnen stellten wir uns auch eine Frage: Warum brachten Sie dann ihren Mann<br />

um <strong>und</strong> nicht Frau Skaska, denn Sie hatte doch ein Verhältnis mit Ihrem Mann, o<strong>der</strong>?“, sagt Herr<br />

Scheucher.<br />

„ Doch unser lieber Hauptinspektor kann ja mit dem Internet umgehen <strong>und</strong> da sind wir auf eine<br />

an<strong>der</strong>e Theorie gekommen. Und diese Theorie ist die richtige, sie führte <strong>und</strong> nämlich zu unseren<br />

Tätern! Ja, Sie haben richtig gehört: Unseren Tätern!“, erzählt Bouba.<br />

„ Wie gesagt, weil ich mit dem Internet umgehen kann, kam ich auf unsere Mör<strong>der</strong>. Im Internet<br />

erfuhr ich auch, dass Frau Skaska mit Frau Schmidt verwandt ist. Und dann fiel mir wie<strong>der</strong> die<br />

Aussage <strong>von</strong> Frau Schmidt ein. Sie erzählte mir, dass Sie ihren Mann auf einer High- Society-Party<br />

kennen lernte. Und durch diese Aussage wurde das Motiv <strong>von</strong> euch dreien ganz an<strong>der</strong>s dargestellt!<br />

Ihr zwei seid die berüchtigte „ Clock- death“- Gruppe. Ihr seid gesuchte Mör<strong>der</strong>. Seit zwanzig<br />

Jahren sucht die Polizei schon die zwei Cousinen. Seit zwanzig Jahren sind schon fünf getötete<br />

Ehemänner gef<strong>und</strong>en worden. Und je<strong>der</strong> Mord lief so ab: Eine <strong>von</strong> euch zwei, in diesem Fall: Eva,<br />

verführt einen reichen Mann auf einer High- Society- Party. Nach ein paar Monaten heiraten die<br />

beiden. Währenddessen kommt Michaela Skaska ins Spiel. Sie heiratet einen Verwandten <strong>von</strong> dem<br />

Ehemann <strong>von</strong> Eva. Plötzlich hat Sie dann mit ihrem Schwager eine Affäre. Als seine Frau da<strong>von</strong><br />

erfährt, reist Sie irgendwo hin, also auf eine Weinverkostung. Währenddessen alle glauben, dass Sie<br />

auf eine Weinverkostung sei, bringt sie mit ihrer Cousine ihren Ehemann um. Und je<strong>der</strong> glaubt, dass<br />

105


<strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> einen Eifersuchtsmord durchführte. Er kommt ins Gefängnis <strong>und</strong> die Witwe bekommt<br />

das ganze Geld <strong>von</strong> ihrem Mann. Aber beim Mord hatten unsere zwei Damen vergessen, dass<br />

vielleicht ein Nachbar zu sehen könnte. Und dank Josef Müller haben wir nicht einen Fall, son<strong>der</strong>n<br />

fünf alte Fälle gelöst!“, sagt Hauptinspektor Scheucher.<br />

„ Polizei!“, fuhr Bouba fort, „ führen sie die zwei Frauen ab. Und Herr Scheucher, ich freue mich<br />

schon auf die nächste Zusammenarbeit mit ihnen!“<br />

„ Ich mich auch Bouba, ich mich auch!“<br />

106


107


dreizehn<br />

(Lena Mittermair)<br />

Normalerweise war Viola nicht abergläubisch, aber an diesem Novemberabend sollte sich das<br />

än<strong>der</strong>n. Dunkelheit gepaart mit dickem Nebel lag schwer über <strong>der</strong> Stadt. Obwohl es Minusgrade<br />

hatte, schlen<strong>der</strong>te Viola nur leicht bekleidet in hohen Stöckelschuhen ziellos durch die Stadt. Das<br />

gleichmäßige Stakkato ihrer Schuhe hallte in <strong>der</strong> einsamen Straße wie laute Gewehrsalven. Gerade<br />

als Viola sich die Frage stellte, warum sie auf keine Menschenseele traf, ging das Licht <strong>der</strong><br />

Straßenlaternen aus. Sie blieb stehen, horchte in die Dunkelheit. War da ein Geräusch? Die nackte<br />

Angst kroch ihr über den Rücken, schnürte ihr schließlich die Kehle zu. Sie wandte sich um,<br />

versuchte etwas zu erkennen, starrte jedoch nur in ein großes schwarzes Loch. Dann plötzlich, ein<br />

gellen<strong>der</strong> Schrei. Viola erstarrte. Sie hatte noch nie so etwas Grässliches gehört. Es war wie … ihr<br />

fehlten die Worte. Fenster <strong>der</strong> Wohnhäuser öffneten sich. Sie war also nicht alleine, auch an<strong>der</strong>e<br />

hörten das dämonische Gebrüll. Plötzlich schoss eine Gestalt auf sie zu, griff nach ihr <strong>und</strong> zog sie<br />

mit sich.<br />

Am nächsten Tag meldete die Mutter <strong>von</strong> Viola sie bei <strong>der</strong> Polizei als vermisst. Doch die vermisste<br />

Person muss 48 St<strong>und</strong>en verschw<strong>und</strong>en sein, bevor die Exekutive mit <strong>der</strong> Suche beginnen konnte.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> nahm Violas Mutter die Suche selbst in die Hand. Der erste Weg führte sie zur<br />

besten Fre<strong>und</strong>in ihrer Tochter, Sarah. Mit ihr war Viola am Vorabend in <strong>der</strong> Disco gewesen.<br />

Sarah schüttelte behäbig den Kopf. „Nein“, stieß sie stockend hervor. „Das kann … das darf nicht<br />

sein. Nicht Viola.“ Sie griff sich mit einer Hand ans Herz, während die an<strong>der</strong>e nach einer<br />

Sitzmöglichkeit, auf <strong>der</strong> sie sich nie<strong>der</strong>lassen konnte, tastet. Sie sank auf die Couch. Die Nachricht,<br />

dass Viola verschw<strong>und</strong>en war, riss ihr buchstäblich den Boden unter den Füßen weg. „Wir hatten<br />

gestern doch so einen tollen Abend!“, presste sie unter Tränen hervor.<br />

„ Ist dir irgendetwas Seltsames an ihr aufgefallen?“ fragte Monika, sie versuchte einen ruhigen Ton<br />

anzuschlagen.<br />

„Jetzt wo Sie es sagen, sie wirkte gestern schon etwas unruhig. Ich bin mit ihr zum Ausgang, dort<br />

haben wir uns verabschiedet. Ich bin dann gleich wie<strong>der</strong> zurück in die Disco.“<br />

Sarah schlug die Hände vors Gesicht, schluchzte. „Mein Gott, ich konnte doch nicht ahnen …“<br />

Violas Mutter atmete tief ein. „Dich trifft keine Schuld.“ Sie nahm Sarahs Kinn zwischen die<br />

Finger, zwang sie ihr in die Augen zu sehen. „Sarah! Ich bin mir sicher, sie zu finden. Doch ich<br />

brauche deine Hilfe. Konzentrier dich! Hast du jemanden gesehen? Ist dir etwas komisch<br />

vorgekommen, etwas, dass du vielleicht nur im Unterbewusstsein wahrgenommen hast, jetzt aber,<br />

108


wenn du darüber nachdenkst, dir eigenartig erscheint.“<br />

Die beiden sahen sich einige Sek<strong>und</strong>en an, dann schüttelte Sarah leicht den Kopf. „Nein. Nichts.“<br />

Als Monika sich verabschiedete, fühlte sie sich leer <strong>und</strong> kraftlos. Wie nur sollte sie ihre Tochter<br />

finden?<br />

In <strong>der</strong> Hoffnung Hinweise <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Leuten zu bekommen postete sie es auf Facebook. Doch das<br />

war keine gute Idee, wie sich herausstellte. Nachdem sich die Nachricht wie ein Lauffeuer<br />

ausbreitete, tauchte bei Monika <strong>der</strong> halbe Ort auf, um sie zu trösten <strong>und</strong> ihr mysteriöse Geschichten<br />

über den Verbleib ihrer Tochter zu erzählen.<br />

Doch das half ihr nicht weiter, denn Monika war gar nicht traurig. Sie war viel zu viel damit<br />

beschäftigt ihre Tochter zu suchen. Sie beschloss zu ihrer Mutter zu fahren, um dort in Ruhe<br />

nachzudenken. Als sie gerade ins Auto steigen wollte, stand plötzlich ein Junge vor ihr. Sie schätzte<br />

ihn auf 16 Jahre.<br />

„Sind Sie die Mutter <strong>von</strong> Vivi, ich meine Viola?“<br />

„Ja, das bin ich <strong>und</strong> wer bist du, wenn ich fragen darf?“<br />

„Ich bin Lukas, ich kenne Vivi seit <strong>der</strong> ersten Klasse. Sie ist so ein liebevoller <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>licher<br />

Mensch, ich möchte Ihnen bei <strong>der</strong> Suche nach ihr helfen. Ich weiß vielleicht einige Sachen über sie,<br />

die sehr hilfreich sein könnten.“<br />

„ Und wie lautet noch einmal dein Name?“<br />

„Lukas, Lukas Freilinger.“<br />

Monika wusste nicht, ob sie dem Jungen trauen sollte. Zu viele hatten ihr in den letzten Tagen<br />

Dinge erzählt, die sich später als Lügen herausstellten. Zudem sah dieser Lukas nicht gerade<br />

vertrauenserweckend aus. Lange zerzauste Haare, seine Hose hing ihm bis zu den Knien <strong>und</strong> seine<br />

Jacke hatte viele Löcher. Aber irgendetwas an ihm überzeugte. Sie deutete ihm einzusteigen. Für<br />

ihre Mutter würde sie schon eine Erklärung finden.<br />

Dort angekommen wurde sie gleich herzlichst <strong>von</strong> ihrer Mutter begrüßt<br />

„Ich habe gehört, was passiert ist. Wieso sagst du mir denn so etwas nicht gleich? Ich sitze heute<br />

beim Frisör <strong>und</strong> da muss ich erfahren, dass meine Enkelin verschw<strong>und</strong>en ist. Kannst du dir<br />

vorstellen, was für ein Schock das für mich war! Du bist sicherlich sehr erschöpft. Und wer ist <strong>der</strong><br />

junge Mann in deinem Auto?“, überfiel ihre Mutter sie mit Fragen.<br />

„Ich suche ein Plätzchen, wo ich in Ruhe durchatmen kann <strong>und</strong> <strong>der</strong> Junge in meinem Auto ist ein<br />

guter Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong> Viola, er will mir helfen, sie zu suchen. Dürfen wir hereinkommen?“<br />

„Ja meinetwegen, darf <strong>der</strong> Junge auch mit, wie heißt er denn überhaupt? Er soll endlich austeigen.“<br />

Lukas reichte Violas Großmutter die Hand <strong>und</strong> stellte sich vor, wie man sie sich das <strong>von</strong> einem<br />

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höflichen jungen Mann erwartete. Margarete schüttelte aber nur wortlos die Hand des Jungen <strong>und</strong><br />

deutete mit dem Kopf in eine bestimmte Richtung. Monika kannte ihre Mutter gut genug, um zu<br />

wissen, dass es ihr gar nicht recht war, dass sie einen Fre<strong>und</strong> Violas mitgenommen hatte.<br />

„Hier könnt ihr in Ruhe überlegen“, sagte sie <strong>und</strong> verschwand hinter dem Vorhang<br />

„Ich weiß, sie kann manchmal ganz schön nervig sein.“<br />

„ Ach, das gehört bei Müttern dazu. Oh! Entschuldigung, das habe ich nicht so gemeint.“<br />

„Wollen wir anfangen? Ich würde sagen, dass wir als erstes den Wald nach ihr absuchen. Vielleicht<br />

ist sie gestürzt o<strong>der</strong> mit ihren hohen Stöckelschuhen umgeknöchelt.“<br />

„Ehrlich gesagt halte ich das für unwahrscheinlich, warum sollte sie nach <strong>der</strong> Disco in den Wald<br />

gehen? Ich habe <strong>von</strong> Sarah gehört, dass sie gestern nicht so in Party-Stimmung war. Sie wirkte<br />

leicht nervös.“<br />

Plötzlich klingelte das Monikas Telefon. Die Angst schoss ihr über den Rücken, vielleicht ist es <strong>der</strong><br />

Kidnapper <strong>von</strong> Viola. Sie warf einen kurzen Blick zu Lukas, <strong>der</strong> nickte leicht, dann hob sie ab.<br />

„Hallo, mit wem sprech ich?“ sagte sie mit zittriger Stimme.<br />

„Hallo, hier spricht Waltraud. Ich musste mit Schrecken erfahren, dass ihre Tochter vermisst ist!<br />

„Ja, gestern Abend ist sie nicht mehr nach Hause gekommen. Haben Sie etwas gesehen?“<br />

„Deshalb habe ich Sie auch angerufen, ich denke ich habe Viola gestern in <strong>der</strong> Stadt vor dem<br />

Supermarkt gesehen.“<br />

„Sie denken?“<br />

„Sie ist ziemlich flott gegangen <strong>und</strong> dann gingen auch noch die Straßenlaternen aus. Mich<br />

verw<strong>und</strong>erte, dass sie nur sehr leicht gekleidet war, obwohl es eisig kalt war. Ihre Schminke war<br />

verschmiert, als hätte sie geweint!“<br />

„Geweint?“<br />

„Ja, sie ging Richtung Altstadt.“<br />

„ Richtung Altstadt? Danke für Ihre Mühe Sie haben uns sehr weiter geholfen!“<br />

Dann legte sie auf <strong>und</strong> sah verw<strong>und</strong>ert zu Lukas.<br />

„ Wieso ist sie wohl in Richtung Altstadt gegangen? Sie müsste doch in die an<strong>der</strong>e Richtung, wenn<br />

sie nach Hause wollte?“<br />

„ Lisa wohnt in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong> Altstadt. Vielleicht ist sie zu ihr gegangen!“<br />

„Lisa? Sie mir noch nie etwas <strong>von</strong> ihr erzählt?“<br />

„Sie ist im zweiten Semester zu uns gekommen, sie kommt aus Kroatien spricht aber schon sehr gut<br />

deutsch. Sie hat sich sofort mit allen gut verstanden, vor allem mit Viola. Seltsam das sie, sie noch<br />

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nie erwähnt hat?“<br />

„Ja, aber das ist jetzt egal. Fahren wir doch einmal hin <strong>und</strong> sehen nach ob sie dort ist.“<br />

Die zwei packten sich zusammen, verabschiedeten sich bei Monikas Mutter <strong>und</strong> stiegen ins Auto.<br />

Als sie bei Sarahs Haus angekommen waren, stand die Polizei vor dem Haus. Sie gingen zur Türe<br />

<strong>und</strong> klopften an, eine Frau mit verronnener Schminke öffnete ihnen die Tür.<br />

„Grüß Gott. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen, aber ich wollte nachfragen, ob meine Tochter<br />

Viola heute Nacht bei Ihnen geschlafen hat. Sie ist eine Schulkollegin <strong>von</strong> Sarah, sie ist heute Nacht<br />

nicht mehr nach Hause gekommen.“<br />

„Nein, lei<strong>der</strong> nicht, denn unsere Tochter ist heute Nacht genauso verschw<strong>und</strong>en. Aber kommen Sie<br />

doch erst mal herein.“<br />

Nach einem langen Gang kamen sie in ein offenes großes Wohnzimmer. Dort saß ihr Mann mit<br />

zwei Beamten an einem r<strong>und</strong>en Tisch. Auf dem Regal daneben standen eine weiße Kerze <strong>und</strong> ein<br />

Foto <strong>von</strong> Dana.<br />

„Grüß Gott“, <strong>der</strong> Beamte ging auf Monika zu <strong>und</strong> legte seine Hand auf ihre Schulter.<br />

„Also Ihre Tochter ist gestern Nacht auch verschw<strong>und</strong>en?“<br />

„Ja, nachdem sie in <strong>der</strong> Disco war, ist sie nicht mehr nach Hause gekommen. Ich bin hier, um zu<br />

fragen, ob sie hier übernachtet hat, da sich Dana <strong>und</strong> Viola sehr gut kennen. Aber das wäre jetzt ja<br />

geklärt.“<br />

„Ich hab sie gestern Abend nur noch schnell um Brot <strong>und</strong> Milch zum Supermarkt geschickt, danach<br />

kam sie nicht mehr nach Hause. Es ist alles meine Schuld, ich hätte selbst einkaufen gehen müssen.<br />

Warum lass ich sie um diese Zeit überhaupt noch aus dem Haus? Wie konnte das nur passieren?“<br />

Ihr Mann stand auf <strong>und</strong> brachte sie ins Schlafzimmer, er redete ihr gut zu <strong>und</strong> kam nach kurzer Zeit<br />

alleine wie<strong>der</strong> zurück.<br />

„Wollen Sie einen Kaffee o<strong>der</strong> Tee?“ fragte <strong>der</strong> Mann.<br />

„Nein danke. Wir müssen schnell weiter, wir haben noch einiges zu erledigen.“<br />

„Auf Wie<strong>der</strong>sehen, wir melden uns sobald wir Näheres erfahren haben.“ Sagte einer <strong>der</strong> Beamten<br />

<strong>und</strong> dann verließen sie die Wohnung.<br />

„Ist dir schon aufgefallen, dass beide als letztes beim Supermarkt gesehen wurden? Vielleicht<br />

sollten wir uns dort einmal genauer umschauen!“<br />

„ Du wirst noch zum Detektiv Lukas. Komm steig ins Auto.“<br />

Als sie dort ankamen, war alles ganz normal. Nur eine Sache störte sie. Überall waren Pfeile an die<br />

Wand geschmiert. Es ist zwar normal, dass die Wände des Supermarktes <strong>von</strong> Jugendlichen<br />

vollgeschmiert werden, doch diese Pfeile bedeuteten etwas. Sie führten alle in eine Richtung, die<br />

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zwei folgten den Pfeilen, bis sie zu einer Straßenlaterne zwei Blöcke vom Supermarkt ankamen.<br />

„ Keine Pfeile mehr? Ich denke, das war doch nur ein alberner Streich eines Jugendlichen. Komm,<br />

gehen wir wie<strong>der</strong> zurück zum Auto.“<br />

„Warte“, schrie Lukas zu ihr rüber: „Komm schnell, das musst du dir ansehen.“<br />

Monika rannte zu ihm <strong>und</strong> blieb dann prompt stehen. „ 13?“ sagte sie mit fragwürdiger Stimme:“<br />

Was soll das bedeuten, 13? Wieso ritzt jemand eine Zahl in eine Straßenlaterne? Also, das wird mir<br />

jetzt echt zu bunt. Das ist doch verrückt? Wer entführt zwei Mädchen <strong>und</strong> macht dann ein Rätsel<br />

daraus wo sie sind?“<br />

„Das ist es, ein Rätsel!“ sagte Lukas: „Lass uns alle Straßen <strong>und</strong> alle Häuser, die etwas mit 13 zu<br />

tun haben, absuchen nach weiteren Hinweisen.<br />

„ Aber wir sind doch nicht in einem Detektivfilm o<strong>der</strong> so. Lass es sein Lukas, so etwas gibt es nur<br />

in Filmen! Gehen wir zurück zum Supermarkt <strong>und</strong> fragen dort ein paar Leute, ob sie etwas gesehen<br />

haben.“<br />

Lukas drehte sich zu ihr um, legte seine Hände auf ihre Schulter <strong>und</strong> sagte mit strenger Stimme:<br />

„Sie bedeute mir etwas, sie ist das netteste, fre<strong>und</strong>lichste <strong>und</strong> hübschestes Mädchen, das ich kenne<br />

<strong>und</strong> ich möchte sie nicht verlieren. Also, wenn sie dir auch etwas bedeutet, dann reiß dich jetzt<br />

zusammen <strong>und</strong> such mit mir alle Straßen in <strong>der</strong> Umgebung ab!“<br />

Danach drehte er sich um <strong>und</strong> ging wortlos die Straße entlang. … stand noch kurze Zeit leicht<br />

schockiert am Straßenrand, dann folgte sie aber Lukas die Straße entlang. Sie gingen in ein<br />

Tourismus-Büro um sich eine genau Karte <strong>der</strong> Stadt zu holen. Um die Stille zu durchbrechen fing<br />

Monika an über Viola zu reden.<br />

„Eigentlich wollte sie nicht in die Disco gehen, ich habe sie überredet. Sie wirkte in letzten Wochen<br />

immer sehr abwesend <strong>und</strong> etwas traurig, ich wollte doch nur das wie<strong>der</strong> lachen kann <strong>und</strong> jetzt? Jetzt<br />

liegt sie vielleicht irgendwo gefesselt in einer baufälligen Hütte.“ Das war das erste Mal, wo ihr<br />

einige Tränen über die Wangen liefen. Lukas versuchte sie zu trösten, doch dann fiel ihm etwas auf.<br />

„Die leer stehende Siedlung am Stadtrand, sie hat die Hausnummer 13.“<br />

Sie starrten noch eine kurze Zeit ins Leere, dann rannten sie los. Die Siedlung war nicht weit <strong>von</strong><br />

hier, sie ist schon sehr alt <strong>und</strong> darum soll sie auch abgerissen werden. Doch plötzlich, kurz vor <strong>der</strong><br />

Siedlung, blieb Monika stehen. Lukas drehte sich zu ihr <strong>und</strong> rief ihr zu:“ Komm, wir haben es bald<br />

geschafft.“<br />

„Aber was, wenn sie sich wirklich in dem Haus befinden <strong>und</strong> die Kidnapper vielleicht bewaffnet<br />

sind?“<br />

„Wir schauen doch nur <strong>und</strong> wenn wir etwas hören, dann können wir ja die Polizei rufen. Die wird<br />

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das dann übernehmen, jetzt komm!“<br />

Monika zögerte nicht lange <strong>und</strong> lief weiter in Richtung Siedlung. Dort versteckten sie sich hinter<br />

einem Baucontainer direkt vor dem Haus. Sie hörten eine Stimme in dem Haus <strong>und</strong> dann, ein<br />

Schuss. Er kam <strong>von</strong> einen <strong>der</strong> oberen Stöcke.<br />

„So jetzt reichts!“ sagte Monika: „ Ich rufe die Polizei!“<br />

Sie nahm ihr Handy aus ihrer Jackentasche <strong>und</strong> wählte.<br />

„133 lautet die Nummer <strong>der</strong> Polizei, o<strong>der</strong>?“, wollte sie Lukas fragen Doch dann bemerkte sie erst,<br />

dass Lukas schon längst zum Haus gelaufen ist!<br />

„Nein Lukas! Komm sofort wie<strong>der</strong> zurück, das ist viel zu gefährlich für dich“, rief sie ihm nach,<br />

doch das störte ihn nicht weiter. Er kletterte die Absperrung hindurch <strong>und</strong> verschwand dann im<br />

Haus.<br />

„Ich kann ihn doch nicht einfach alleine lassen, er braucht mich. Aber das ist doch viel zu<br />

gefährlich, was mach ich denn nur? Ich muss zu ihm, es bleibt mir keine an<strong>der</strong>e Wahl!“ dachte sie<br />

sich <strong>und</strong> lief dann ebenso in das Haus. Kurz danach ertönte <strong>der</strong> zweite Schuss.<br />

In dem Haus waren alle Wände mit Graffiti vollgeschmiert. Die Wände fühlten sich nass an <strong>und</strong> am<br />

Boden waren immer wie<strong>der</strong> kleine Wasserpfützen. Sie ging vor bis zur Treppe, dort rief sie mit<br />

leiser zittriger Stimme Lukas Namen, dann hörte man den dritten Schuss. Sie versuchte die Treppe<br />

hochzusteigen, doch bei jedem Schritt wehrte sich ihr Körper dagegen. Im zweiten Stockwerk<br />

angekommen, rief sie erneut Lukas Namen, doch niemand meldete sich. Von weiter oben hörte sie<br />

wie<strong>der</strong> eine Stimme.<br />

„Bitte Lukas, gib ein Lebenszeichen <strong>von</strong> dir“ ,dachte sie sich. Dann hörte sie ein paar Schritte einen<br />

Stock weiter oben. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen <strong>und</strong> ging noch einen Stock weiter nach<br />

oben. Am Ende des Flures sah sie ein schwaches Licht, es dürfte <strong>von</strong> einer Kerze kommen. Dann<br />

blieb sie ruckartig stehen. Ein Schuss. Ein Schrei. Und dann war es still. Plötzlich kamen zwei<br />

Mädchen auf sie zugelaufen, es waren Viola <strong>und</strong> Dana.<br />

„Mama?“ rief Viola schon <strong>von</strong> weitem.<br />

„Viola? Ist alles in Ordnung? Seid ihr verletzt? Kommt schnell raus hier!“<br />

Als sie aus dem Haus stürmten, waren fünf Waffen auf sie gerichtet. Ihnen blieb das Herz stehen. „<br />

Falscher Alarm Jungs!“ schrie plötzlich einer <strong>der</strong> Beamten <strong>und</strong> die drei atmeten wie<strong>der</strong> beruhigt<br />

auf. Die Polizei wurde <strong>von</strong> Nachbarn gerufen. Sie wurden sofort zu einem Polizeiauto in Sicherheit<br />

gebracht.<br />

„Keine Sorge, ihr seid jetzt in Sicherheit!“ ,sagte einer <strong>der</strong> Beamten.<br />

„Aber was ist mit Lukas, er ist noch im Gebäude?“ fragte Monika.<br />

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„Wir werden in heraus holen <strong>und</strong> dann bringen wir in auch zum Revier!“<br />

„War das <strong>der</strong> Junge mit <strong>der</strong> zerrissenen Jacke?“, fragte Viola ihre Mutter.<br />

„Ja, Lukas Freilinger. Kennst du ihn nicht? Er hat gesagt er geht mit euch in die Klasse!“<br />

„Hast du Lukas Freilinger gesagt? Das kann nicht sein. Er ist mit mir in die Volksschule gegangen.<br />

Lukas war ein sehr guter Fre<strong>und</strong> <strong>von</strong> mir, er hat mich immer bei allem unterstützt. Doch dann hatten<br />

er <strong>und</strong> seine Eltern einen schweren Autounfall. Er hat es lei<strong>der</strong> nicht überlebt. Du musst dich geirrt<br />

haben Mama.“<br />

Monika wurde plötzlich ganz still <strong>und</strong> sehr blass im Gesicht, dann fuhr das Auto los.<br />

Am Polizeirevier angekommen, stellte sich heraus, dass <strong>der</strong> Kidnapper vor genau dreizehn Jahren<br />

seine dreizehn Jährige Tochter bei einem Flugzeugunglück verlor. Er konnte es einfach nicht<br />

ertragen, an<strong>der</strong>e Eltern glücklich zu sehen <strong>und</strong> daher wollte er sich rächen <strong>und</strong> ein paar Kin<strong>der</strong> aus<br />

<strong>der</strong> Stadt entführen. Viola hatte geweint, da sie <strong>der</strong> Mann schon seit ein paar Wochen verfolgt hatte<br />

<strong>und</strong> sie panische Angst hatte. Monika fragte einen Beamten nach Lukas. Ob sie ihn gef<strong>und</strong>en hatten.<br />

Doch er sagte, dass sie das ganze Haus abgesucht hätten <strong>und</strong> es war sonst niemand im Haus.<br />

Nach einigen Wochen hat Viola den Schock schon längst wie<strong>der</strong> vergessen, doch ihre Mutter ließ es<br />

einfach keine Ruhe. Sie hatte schon seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen, immer wie<strong>der</strong> stellt<br />

sie sich diese Frage: Wer war dieser Junge? Sie musste noch einmal zu dem Haus um <strong>der</strong> Sache<br />

endlich ein Ende zu machen.<br />

Am nächsten Tag machte sie sich auf den Weg, sie ging den gleichen Weg noch einmal, den sie<br />

damals mit Lukas gegangen war. Das Haus war bereits abgerissen, doch die baulichen Überreste<br />

lagen noch dort. Sie kletterte durch die Absperrung hindurch <strong>und</strong> ging bis zu dem Container, wo sie<br />

sich damals versteckt hatten. Hier hat sie Lukas zu letzten Mal gesehen. Dann sah sie jemanden. Ja,<br />

es war Lukas. Er saß auf einem großen Stein ein paar Meter <strong>von</strong> ihr entfernt <strong>und</strong> lächelte ihr zu. Sie<br />

wollte auf ihn zugehen. Doch je weiter sie sich ihm näherte, umso mehr verschwand er. Er wurde<br />

regelrecht durchsichtig. Monika bekam es mit <strong>der</strong> Angst zu tun <strong>und</strong> fing an zu laufen. Als sie<br />

ankam, saß dort niemand. Doch sie spürte ihn, sie spürte etwas Vertrauliches. Das Gefühl, das sie<br />

immer bei Lukas hatte wenn er bei ihr war.<br />

114


115


Geschwisterliebe<br />

(Christina Moser)<br />

Sie schreit auf. Wie<strong>der</strong> einmal hat Adriana eine Eins bekommen. Mit einem Lächeln nimmt sie ihr<br />

Heft entgegen.<br />

Nach <strong>der</strong> St<strong>und</strong>e ruft sie sofort ihre Mutter an <strong>und</strong><br />

erzählt ihr <strong>von</strong> <strong>der</strong> guten Note.<br />

Ihre Mutter lobt sie sehr.<br />

Adriana geht nach <strong>der</strong> letzten St<strong>und</strong>e zu ihren Eltern Marion <strong>und</strong> Peter Schmidt nach<br />

Hause. Dort ist auch ihre unbeliebte Schwester Lisa, die nie gute Noten schreibt. Sie<br />

öffnete die Tür mit dem Gedanken gleich Geld zu bekommen. Ihre Mutter drückte sie<br />

sofort <strong>und</strong> ihr Vater drückt ihr 50€ in die Hand. Lisa schaut nur <strong>und</strong> traurig zu. Sie<br />

kommt am selben Tag mit einer Vier nach Hause <strong>und</strong> wird nur fertig gemacht. Adriana trieft<br />

sich mit ihrer besten Fre<strong>und</strong>in Aliana zum Shoppen, denn sie hat in dieser<br />

Woche schon 100€ <strong>von</strong> ihrem Vater bekommen. Danach gehen die beiden noch in die<br />

Disco. Adriana ist sehr hübsch <strong>und</strong> macht gleich Bekanntschaft mit einem süßen<br />

Jungen. Sie bringt ihn mit zu sich nach Hause. Lisa sieht eifersüchtig zu, wie sie zur Tür<br />

herein kommen. Ihren Eltern ist das aber egal sie war ja schon 17.<br />

Es passiere sowieso öfter dass Adriana Jungs mit zu sich nach Hause nahm. Lisa ist ganz schön<br />

eifersüchtig auf sie da Jungs gar nicht an ihr interessiert sind. Am nächsten Morgen sitzt<br />

die ganze Familie mit Adrianas neuem Fre<strong>und</strong> am<br />

Frühstückstisch. Wie immer muss<br />

Adriana eine bösartige Bemerkung über Lisas Aussehen machen.<br />

" Lisa heute siehst du ja sehrgeil aus."<br />

Lisa wird ihr Sarkasmus zu blöd, darum geht sie in ihr Zimmer. Aber sie ist die dummen<br />

Bemerkungen <strong>von</strong> ihrer großen Schwester ja schon gewöhnt. Es klingelt an <strong>der</strong><br />

Haustür. Noch bevor Adriana ihrer Schwester schreien kann, macht sie schon die Tür auf.<br />

Aliana steht vor ihr. Aliana ist Adrianas schöne reiche Fre<strong>und</strong>in. Ihre Reaktion ist gleich<br />

wie immer. Wenn sie Lisa sieht, muss sie immer lachen, da sie sie so hässlich findet.<br />

Lisa rennt aus dem Haus. Einfach nur weg <strong>von</strong> allem. Adriana ist das aber egal, es ist ja nur<br />

ihre nervige Schwester.<br />

116


Früher verstanden sich die beiden eigentlich sehr gut. Als Adriana noch jünger war spielte sie<br />

immer gerne mit ihrer kleinen Schwester Lisa.<br />

Doch als Adriana zum Teenager heranwuchs <strong>und</strong> sich für Jungs interessierte, wurde das Verhältnis<br />

zu Lisa schlechter. Am Abend kommt Peter erschöpft <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeit nach Hause.<br />

Am Abend ist er immer sehr leicht reizbar. Marion hat schon gekocht <strong>und</strong> sitzt mit Adriana am<br />

Tisch.<br />

Sie warten, bis Peter seine Jacke aufhängt <strong>und</strong> sich zu ihnen an den Tisch setzt.<br />

" Wo ist Lisa? fragt Peter. Adriana schweigt. Lisa ist noch immer nicht nach Hause gekommen. Jetzt<br />

muss Adriana aber mit <strong>der</strong> Sprache raus. Spöttisch erzählt sie ihren Eltern was heute Morgen<br />

passiert ist. Peter wird sehr wütend <strong>und</strong> schickt Adriana sofort auf die Suche nach ihrer kleinen<br />

Schwester. Besorgt steigt Marion in ihr Auto <strong>und</strong> fährt los, auf die Suche. Adriana hat nicht vor ihre<br />

kleine Schwester zu suchen <strong>und</strong> geht zu ihrer besten Fre<strong>und</strong>in.<br />

Nach 30 Minuten ruft ihre Mutter.<br />

Sie soll sofort nach Hause kommen.<br />

Adriana hat Angst vor <strong>der</strong> Reaktion ihrer Eltern. Aber als sie zur Tür hereinkommt, ist Lisa wie<strong>der</strong><br />

da.<br />

Ihre Eltern sitzen mit Lisa in ihrem Zimmer. Ihre Schwester weint.<br />

Einmal hat Lisa die ganze Aufmerksamkeit <strong>der</strong> Eltern.<br />

Das ist Adriana nicht gewöhnt, darum geht sie in ihr Zimmer. Adriana spürt zum ersten Mal, wie<br />

sich das Gefühl <strong>von</strong> Eifersucht anfühlt.<br />

Sie ist wütend. Wütend auf ihre blöde Schwester, ihre Eltern, auf die ganze Welt.<br />

Aber Adriana hat noch etwas gegen Lisa in <strong>der</strong> Hand. Lisa hat ihre Mathematik Schularbeit schon<br />

zurückbekommen, was sie ihren Eltern aber nicht erzählt hat.<br />

Lisa hat, wie üblich eine Fünf geschrieben.<br />

Schadenfroh geht sie in Lisas kleines Zimmer, wo noch immer ihre Eltern sitzen.<br />

Mit einem Grinsen auf dem Gesicht gibt sie ihnen Lisas Mathematikheft.<br />

Lisa hatte es im Bad versteckt. Als Peter die Note vorne stehen sieh,t dreht er durch.<br />

Schlechte Noten sind für ihn inakzeptabel. Er schreit Lisa an, die geschockt in ihrem Bett sitzt.<br />

117


Er nimmt Lisas Handy mit <strong>und</strong> geht mit den an<strong>der</strong>en aus ihrem Zimmer. *Lisa kann nicht mehr. Sie<br />

versteht nicht, wie ihre einst so nette Schwester ihr so etwas antun kann. Jetzt kommt ihr ein<br />

schlimmer Gedanke.<br />

Lisa hat im Fernsehen eine Serie gesehen, in <strong>der</strong> sich Leute geritzt haben.<br />

Sie will einfach nicht mehr. Sie geht zu ihrem Schreibtisch, auf dem ein Taschenmesser liegt.<br />

Mit tränenüberströmtem Gesicht macht sie einen Schnitt. Darauf folgen vier weitere Schnitte.<br />

Sie betrachtet ihre Pulsa<strong>der</strong>n. Soll sie es tun? Sie sieht, wie sich das Blut stoßweise den Weg aus <strong>der</strong><br />

Schnittw<strong>und</strong>e über ihren Arm sucht.<br />

Plötzlich wird ihr schwindelig. Direkt schwarz vor Augen <strong>und</strong> sie fliegt um. Bewusstlos liegt sie auf<br />

dem Boden, aber das viele Blut fließt noch immer aus ihrer Hand. Nach einigen Minuten wacht sie<br />

langsam wie<strong>der</strong> auf.<br />

Sie muss sich kurz fangen. Jetzt sieht das Blut auf dem Boden. Es ist überall.<br />

Sie will schnell aufspringen um ein Pflaster <strong>und</strong> einen Fetzen aus dem Bad zu holen.<br />

Das stellte sich als keine gute Entscheidung heraus. Beim Aufspringen wird ihr wie<strong>der</strong> schwindlig<br />

<strong>und</strong> sie fällt um. Langsam probiert sie wie<strong>der</strong> aufzustehen. Sie schafft es <strong>und</strong> geht ins Bad.<br />

Schnell klebt sie ein Pflaster auf ihre W<strong>und</strong>e. Noch mehr Blut darf sie nicht mehr verlieren.<br />

Sie ist einfach nur am Boden zerstört. Sie versucht es wegzuwischen das viele Blut.<br />

Aber es gelingt ihr nicht. Auf einmal geht Lisas Türe auf, Adriana steht davor. Sie beginnt schallend<br />

zu lachen. „ Ohhh kleine Schwester, wirst du jetzt zum Emo <strong>und</strong> musst dich ritzen um<br />

Aufmerksamkeit zu bekommen?"<br />

„Wo sind unsere Eltern?“, fragt Lisa schwach. „Arbeiten. Sie können dir jetzt nicht helfen du<br />

Versagerin.“ Lisa dreht total durch. Sie nimmt das Messer <strong>und</strong> geht auf Adriana los. Die nimmt das<br />

aber nicht ernst <strong>und</strong> lacht sie weiter aus.<br />

Bei Lisa brennen nun alle Sicherungen durch <strong>und</strong> sie sticht zu. Sie ermordet ihre eigene einst so<br />

geliebte<br />

Schwester. Sie sticht zu. Ein Mal, zwei Mal, drei Mal. Immer wie<strong>der</strong>, bis sie schließlich wie<strong>der</strong> zur<br />

Besinnung kommt. Oh mein Gott habe ich das gerade wirklich getan sich Lisa.<br />

Sie machte ihre Augen auf <strong>und</strong> sieht ihre Schwester blutüberströmt leblos auf dem Boden.<br />

Geschockt starrt sie ihre Schwester an.<br />

118


Es darf niemand erfahren. Nach einigen Minuten kann sie wie<strong>der</strong> klar denken.<br />

Sie hätte nie gedacht, dass sie jemals zu so etwas fähig sein würde. Sie holt einen großen Müllsack,<br />

packt Adrianas leblosen Körper darin ein, schleift ihn aus dem Haus <strong>und</strong> mit letzter Kraft in den<br />

Wald hinter ihrem Haus. Durch diesen Wald fließt ein breiter tiefer Fluss.<br />

Das ist perfekt. Sie rollt Adriana mitsamt den Sack in dem Fluss. Die Strömung reißt Adriana sofort<br />

mit. Komisches Gefühl, sie freut sich sogar als sie ihre Schwester im Müllsack da<strong>von</strong> treiben sieht.<br />

Sie rennt nach Hause.<br />

Zuhause wischt sie ihr Zimmer gründlich auf, wirft die Putzlappen in den Mistkübel <strong>der</strong> Nachbarn.<br />

Erst danach begreift Lisa allmählich was sie gerade getan hat.<br />

Sie hat ihre eigene Schwester ermordet!<br />

Sie hört Stimmen in ihrem Kopf, die sie Mör<strong>der</strong>in nennen.<br />

Sie hält die Stimmen nicht mehr aus <strong>und</strong> nimmt eine Schlaftablette <strong>und</strong> legt sich in ihr Bett.<br />

Wie konntest du das machen? Du … meine eigene Schwester ?<br />

Das wirst du noch so bereuen! Sie werden alles erfahren <strong>und</strong> dann wird dich keiner mehr<br />

ertragen können. Sie wacht auf, sieht ihre Mutter, die sie an ihren Schultern festhält <strong>und</strong> schüttelt.<br />

„Wach auf!<br />

Du hast einen Albtraum.“ Lisa was hast du es ist nur ein Albtraum, wach auf!<br />

Sie wacht auf Tränen im Gesicht.<br />

Es war nur ein Traum beruhigt sie sich selbst. „Lisa, weißt du wo deine Schwester ist? Sie ist<br />

gestern nicht nach Hause gekommen?“, fragte Marion.<br />

„Ich glaube, sie wollte zu ihrer Fre<strong>und</strong>in antwortete Lisa panisch. Als Marion sagt, dass sie Adriana<br />

anrufen werde, fängt Lisa an zu schwitzen.<br />

Es läutet an <strong>der</strong> Tür. „Wer kann das sein, um diese Uhrzeit?“, fragt Marion.<br />

„Weiß nicht.“<br />

Beide gehen nach unten um die Türe auf zu machen. Vor ihnen stehen zwei Polizisten in Uniform.<br />

Oh mein Gott sie haben mich, sie wissen was ich gestern getan habe! , denkt sich Lisa.<br />

„Es tut uns sehr Leid Marionaber jemand hat einen Müllsack im Fluss gesehen <strong>und</strong>...“, beginnt <strong>der</strong><br />

ältere Polizist.<br />

119


„Was <strong>und</strong>?“, fragte Marion hektisch, da Adriana ja nicht da ist. „ Können wir reinkommen?“<br />

Marion führt die beiden Polizisten ihn das Wohnzimmer. Lisa folgt ihnen.<br />

„Setz dich Marion!“<br />

Marion greift sich ans Herz, als ahne sie, was nun kommen würde. „In dem Sack liegt…“ Der<br />

Uniformierte macht eine kurze Pause. „…Adriana.“<br />

„Wie.. in einem Sack?“, ist alles was Marion herausbringt.<br />

Jemand muss sie mit einem Messer erstocken <strong>und</strong> dann in den Fluss geworfen haben.<br />

„WAAAASSSS ? das kann nicht sein, nicht Adriana!“, brüllt Marion schließlich.<br />

Lisa steht einfach nur starr daneben, wortlos wie leblos. Marion bricht in Tränen<br />

aus <strong>und</strong> schickt die Polizisten weg. Schreiend rennt Lisa in ihr Zimmer.<br />

Sie hat keine Ahnung was sie jetzt machen soll. Die Polizei wird sowieso draufkommen.<br />

Diese Schuldgefühle zerreißen sie innerlich.<br />

Sie hört ihre Mutter laut weinen. Lisa glaubt die Gedanken ihrer Mutter erraten zu können: Ihre<br />

Lieblingstochter wurde ermordet wieso nur Adriana?<br />

Sie ist sich sicher, dass es ihrer Mutter lieber ist, wenn sie ermordet worden wäre, nicht ihre große<br />

Schwester. Sie hält diesen druck nicht mehr stand.<br />

Lisa geht zur Polizeistation die nur zwei Straßen weiter liegt.<br />

Sie will ein Geständnis ablegen. Sie rechnet sich schon ihre Strafe aus. Diese wird nicht ganz so<br />

hoch ausfallen, da sie noch nicht volljährig ist.<br />

Die Polizisten die zuvor schon bei ihnen zu Hause waren, sind geschockt. Sie können nicht glauben,<br />

dass ein 13 jähriges Mädchen ihre eigene Schwester ermordet haben soll. Jetzt begleiten sie Lisa zu<br />

Ihren Eltern nach Hause. Da sitzen sie <strong>und</strong> weinen, ihre Eltern, die immer ihre ältere Schwester<br />

mehr geliebt <strong>und</strong> bevorzugt haben. Lisa ist schuld!<br />

Die Polizisten erzählen ihnen <strong>von</strong> Lisas Geständnis. Marion ist geschockt <strong>und</strong> Peter schreit wie<br />

verrückt herum.Lisa muss in ein paar Wochen vor Gericht, berichten die beiden Polizisten den<br />

Eltern <strong>und</strong> gehen wie<strong>der</strong>.Lisa nehmen sie aber mit, um sie vor ihrem wütenden Vater zu schützen.<br />

Lisa bekommt Jugendarrest für fünf Jahre. Nach diesen fünf Jahren sehen ihre Eltern auch ihre<br />

Schuld ein. Aber Adriana kann ihnen keiner mehr zurückgeben.<br />

120


121


Inhalt:<br />

Tödlicher Umzug<br />

(Adrian Neuhuber)<br />

Ein Krampus bricht in ein Haus ein <strong>und</strong> erschießt einen Mann. Die Polizei verhört zuerst die<br />

Familie des Opfers, dabei stellt sich heraus, dass das Opfer ein paar Tage zuvor mit zwei an<strong>der</strong>en<br />

Männern gestritten hat <strong>und</strong> dann will er die beiden an<strong>der</strong>en mit dem Auto anfahren, aber sie können<br />

gerade noch in den Schnee springen. Der Inspektor aus Graz kommt in den kleinen Ort <strong>und</strong> kann<br />

sich gar nicht vorstellen, warum er ermordet worden ist, weil das Opfer sehr beliebt war. Die<br />

Ermittlungen gestalten sich zuerst sehr einfach, aber dann kommt <strong>der</strong> Kommissar in eine Sackgasse<br />

.<br />

1.Kapitel<br />

Da liegt er neben <strong>der</strong> zerbrochenen Balkontür mit einem tiefen Loch im Bauch. Im Hintergr<strong>und</strong> hört<br />

man das wilde Krampustreiben <strong>der</strong> Mitterndorfer Krampusse. Am nächsten Morgen steht die<br />

Polizei im Haus neben dem Toten.<br />

< Der Tote wurde in seinem Bekanntenkreis ,,Sepadl‘‘ genannt. Aber er wurde als Josef getauft. Er<br />

hatte am Vortag Streit mit zwei Fre<strong>und</strong>en.>sagte die Ermittlerin Lisa aus Bad Mitterndorf zu<br />

Martin, dem Inspektor aus Graz, <strong>der</strong> nur zufällig in Bad Mitterndorf war.<br />

sagte <strong>der</strong> Inspektor. Als sie später beim Fre<strong>und</strong> des<br />

Toten angekommen waren, stand das Auto <strong>von</strong> Anneliese, <strong>der</strong> Fre<strong>und</strong>in des Toten, vor <strong>der</strong> Tür.<br />

Martin vermutete, dass Anneliese eine Affäre mit Walter, dem Fre<strong>und</strong> des Toten, hatte. Aber weil sie<br />

Josef nicht verlassen wollte, tötete Walter den Josef aus Eifersucht. Nach dem interessanten Verhör<br />

des Fre<strong>und</strong>es stellte sich heraus, dass Josef die beiden gestern nie<strong>der</strong>fahren wollte, aber die beiden<br />

hatten es gerade noch geschafft, in den Schnee zu springen. Vorher hatten sie in <strong>der</strong> Kohlröserlhütte<br />

eine Krampusssitzung, bei <strong>der</strong> Josef bekanntgab, dass er dieses Jahr nicht mitlaufen werde, obwohl<br />

er heuer den Luzifer verkörpern durfte. Der Luzifer ist eine <strong>der</strong> prestigeträchtigsten Figuren im<br />

Ausseerland <strong>und</strong> diese Rolle wird nur an Mitglie<strong>der</strong>, die schon mindestens zehn Jahre dabei sind,<br />

vergeben. Aber er wollte dieses Jahr eine Auszeit <strong>und</strong> die hat er jetzt für immer. Das Telefon des<br />

Inspektors läutete, es ist das Labor <strong>und</strong> sie hatten die Patrone gef<strong>und</strong>en, es war eine neun Millimeter<br />

Pistole <strong>und</strong> sie war nicht angemeldet.<br />

dachte sich <strong>der</strong> Inspektor. <br />

antwortete Lisa.<br />

entgegnete <strong>der</strong> Inspektor. Sie rasten mit Blaulicht <strong>von</strong><br />

122


Mitterndorf nach Bad Aussee, wo sie es gerade noch schafften, das Geschäft rechtzeitig zu<br />

erreichen. Es lohnte sich aber nicht, denn <strong>der</strong> Besitzer des Geschäftes verkauft nur Waffen an Leute<br />

mit Waffenschein. vermutete <strong>der</strong> Inspektor. Aber<br />

das stimmte nicht, denn er hat einen Apparat, mit dem man das überprüfen konnte.<br />

<br />

<br />

Am Abend standen die beiden<br />

Polizisten in <strong>der</strong> ersten Reihe, aber Martin war sofort weg, wenn ein Krampus zwei Meter in <strong>der</strong><br />

Nähe war. Die Shows waren sehr spektakulär <strong>und</strong> auch sehr schmerzhaft für Martin. Er ging am<br />

nächsten Tag sehr langsam am Tatort herum <strong>und</strong> brauchte etwa eine Viertelst<strong>und</strong>e zum Einsteigen<br />

ins Auto. Ausgerechnet in <strong>der</strong> Mittagspause kam ein Anruf für den Inspektor, er sollte schnell zum<br />

Tatort kommen, denn die Spurensicherung hatte ein Stück Fell in einem Busch gef<strong>und</strong>en. Der<br />

Inspektor kam erst nach einer halben St<strong>und</strong>e zum Tatort, denn er benötigte erneut eine Viertelst<strong>und</strong>e<br />

zum Einsteigen. Das Fell ist das Fell des Täters, wir müssen alle Krampusse zusammentrommeln<br />

um einen Vergleich zu machen. Er war<br />

rechtzeitig zum Vergleich zurückgekommen. Die Auswahl war sehr schnell gegangen, denn es<br />

waren nur drei schwarze Krampusse in dieser Pass. Martin nahm <strong>von</strong> jedem Fell eine Probe für das<br />

Labor.<br />

2. Kapitel<br />

Die Ergebnisse vom Labor hatten ergeben, dass keiner <strong>der</strong> Krampusse <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> sein konnte, denn<br />

die Felle stimmten nicht mit dem Fell vom Tatort überein.<br />

schimpfte <strong>der</strong><br />

Inspektor lautstark. Nach geschätzten fünf St<strong>und</strong>en hielten alle den Inspektor für verrückt. Die ersten<br />

Polizisten hatten schon aufgegeben <strong>und</strong> auch Lisa hatte sich auf die Seite gesetzt. Als <strong>der</strong> Inspektor<br />

ein Fell aus einer Mülltonne zog, schauten alle sehr blöd aus <strong>der</strong> Wäsche.<br />

<br />

fragte die Ermittlerin verblüfft den Inspektor. Der Inspektor lächelte kurz <strong>und</strong> verschwand sofort in<br />

seinem Auto. Die Ermittlerin runzelte die Stirn <strong>und</strong> fuhr mit ihrem Auto dem Inspektor nach. Die<br />

Laborergebnisse haben nicht sehr viel gebracht. Es wurde ein Haar gef<strong>und</strong>en, aber es musste erst<br />

nach Graz geschickt werden <strong>und</strong> das kann eine bis zwei Wochen dauern. Die Polizisten, welche die<br />

Mülltonne noch einmal durchsucht hatten, hatten noch ein paar brauchbare Beweise gef<strong>und</strong>en. In<br />

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einem Glas hatte man Lippenstift gef<strong>und</strong>en, das könnte <strong>der</strong> Lippenstift <strong>von</strong> Anneliese sein. dachte <strong>der</strong> Inspektor. Aber wahrscheinlich ist es so, die DNA des<br />

Lippenstiftes stimmt mit dem des Haares überein. Als Lisa mit Martin beim Haus des Toten ankam,<br />

hörten sie einen Schuss. Die beiden liefen ganz schnell ins Haus. Annelise lag leblos am Boden. Sie<br />

wurde erschossen. Aber <strong>der</strong> Täter war schon weg. Er war über den Balkon geflüchtet, aber er war<br />

nicht sehr aufmerksam, denn er war durch den Schnee gelaufen, wo man seine Schuhspuren sehen<br />

konnte. Aber bevor die Spurensicherung ankam, hat <strong>der</strong> Wind alle Spuren verweht. Der Inspektor<br />

hatte noch alle Anrainer befragt, ob ihnen etwas auffälliges Aufgefallen war <strong>und</strong> es war einer alten<br />

Dame ein Mann aufgefallen, <strong>der</strong> ganz in schwarz bekleidet war <strong>und</strong> er hatte sich sehr komisch<br />

verhalten. Doch die Beschreibung war sehr ungenau. Der Inspektor ließ trotzdem eine Fahndung<br />

hinausgehen. Am nächsten Tag meldete sich ein Mann <strong>der</strong> den Mann mit dem Taxi zum Haus<br />

gebracht hatte. Er wusste sogar wie er hieß. Er hieß Walter, er war in <strong>der</strong> Metzgerei Diechtl ein<br />

Stammgast.<br />

fiel Martin ein. Er machte<br />

eine schnelle Handbewegung zur Ermittlerin <strong>und</strong> dann sind die beiden aus dem Posten<br />

hinausgerannt <strong>und</strong> in ein Auto gesprungen <strong>und</strong> da<strong>von</strong>gerast. Als sie einige Minuten vor dem Haus<br />

<strong>von</strong> Walter standen <strong>und</strong> bei den Fenstern hineinschauten, sahen sie, dass niemand mehr im Haus<br />

war.<br />

schrie <strong>der</strong> Inspektor laut gegen das alte morsche Fenster. Doch dann zur<br />

Überraschung des Inspektors stand Walter vor den beiden Polizisten. Er fragte, warum da so laut<br />

geschrien wird <strong>und</strong> warum die beiden hier sind. Der Inspektor sagte zu ihm, dass er unter<br />

Mordverdacht stünde <strong>und</strong> mit auf den Posten kommen sollte. Er zog sich kurz um <strong>und</strong> dann kam er<br />

mit den beiden Polizisten auf den Posten. Dort wurde er in den Verhörsaal gebracht <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

Inspektor fragte ihn, wo er am Mittwoch zwischen 13 <strong>und</strong> 15 Uhr gewesen war. Walter sagte, dass<br />

er in seiner Wohnung gewesen war <strong>und</strong> dass das sein Fre<strong>und</strong> Norbert beweisen kann, denn mit dem<br />

hat er zu Mittag gegessen <strong>und</strong> dann haben sie sich im Fernsehen noch Biathlon angesehen <strong>und</strong> ein<br />

paar halbe Bier getrunken. Dann ist Norbert nach Hause gegangen <strong>und</strong> Walter war dann bis am<br />

nächsten Tag allein im Haus <strong>und</strong> hatte es auch nie verlassen. Der Inspektor fragt Lisa ob sie diesen<br />

Norbert kennt <strong>und</strong> wo er wohnt. Sie sagte nur, dass sie weiß, wo er wohnt <strong>und</strong> dass er Förster ist.<br />

sagte <strong>der</strong> Inspektor <strong>und</strong> ging voraus. Die Ermittlerin ging<br />

ihm nicht nach. Sie sagte, dass man einen Allradantrieb braucht um zum Försterhaus zu gelangen.<br />

124


Er sagte, dass sich das schon ausgehen würde <strong>und</strong> dass es heute nicht so schwer zu fahren ist, weil<br />

alles trocken ist <strong>und</strong> auch nicht eisig. Sie machte eine abfällige Augenbewegung <strong>und</strong> ging mit dem<br />

Inspektor zum Dienstwagen. Während <strong>der</strong> Autofahrt fragte die Ermittlerin den Inspektor, warum er<br />

nie mit dem Auto fährt, aber er sagte nichts <strong>und</strong> tat so, als hätte er sie nicht gehört <strong>und</strong> dann sagte er<br />

wie aus dem nichts kommend, dass er nicht Autofahren kann <strong>und</strong> auch nicht will, weil seine Frau<br />

bei einem Autounfall ums Leben gekommen war <strong>und</strong> dass er nur um ein Haar überlebt hat. Er hat<br />

eine jahrelange Therapie gemacht um wie<strong>der</strong> ganz geheilt zu werden. Als die beiden Polizisten<br />

beim Försterhaus ankamen, stand ein großer Jeep in <strong>der</strong> Garage <strong>und</strong> hinter dem Jeep hing ein totes<br />

Reh an <strong>der</strong> Decke zum Ausbluten.<br />

mutmaßte Lisa. Als <strong>der</strong> Jäger die beiden Polizisten sah, fragte er zuerst, was die beiden<br />

hier zu suchen haben. Die beiden zeigten kalt ihre Dienstmarken her <strong>und</strong> dann fragten ihn die<br />

beiden dasselbe wie Walter. Er sagte auch dasselbe wie er. Nur eines passte nicht zusammen:<br />

Norbert sagte, dass er nur zum Biathlonschauen zu Walter gekommen war <strong>und</strong> Walter sagte, dass er<br />

zum Mittagessen zu ihm gekommen war.<br />

sagte <strong>der</strong> Inspektor hinter dem Rücken <strong>von</strong> Norbert zur Ermittlerin <strong>und</strong> sie sagte Der Inspektor dachte kurz nach <strong>und</strong> dann ging er zum Auto ohne etwas zu sagen <strong>und</strong> stieg<br />

ein. Die Ermittlerin sagte zu Norbert noch schnell auf Wie<strong>der</strong>sehen <strong>und</strong> stieg dann auch ins Auto<br />

ein <strong>und</strong> fragte den Inspektor, ob er nicht mehr <strong>von</strong> Sinnen sei. Er sagte einfach, fahren sie, schnell.<br />

Sie fuhr weg <strong>und</strong> fragte ihn, was das jetzt gerade sollte. Er sagte: Als sie wie<strong>der</strong> am Posten waren, fragte die<br />

Ermittlerin, warum er sich so sicher sei, dass es nicht die beiden Fre<strong>und</strong>e waren. Er antwortete<br />

nicht, er zuckte nur mit den Schultern <strong>und</strong> sagte, er weiß es einfach <strong>und</strong> wenn er es weiß, dann ist es<br />

auch so, dass hatte sie inzwischen schon <strong>von</strong> ihm erfahren. Am Abend sind die beiden miteinan<strong>der</strong><br />

Essen gegangen <strong>und</strong> da haben die beiden viel geredet. Lisa hat viele Geheimnisse <strong>von</strong> Martin<br />

erfahren <strong>und</strong> Martin auch viele <strong>von</strong> Lisa, die beiden hatten sehr viel Spaß <strong>und</strong> es wurde auch sehr<br />

spät. Am nächsten Morgen sind beide zu spät auf den Posten gekommen, weil sie bis um 3 Uhr in<br />

125


einer Bar waren. Obwohl keiner <strong>der</strong> beiden Alkohol getrunken hatte, hatten beide sehr starke<br />

Kopfschmerzen <strong>und</strong> konnten sich an nichts mehr erinnern. Lisa fragte Martin, ob er sich noch an<br />

etwas erinnern konnte. Er wusste nicht einmal wo sie gestern gewesen waren <strong>und</strong> auch nicht, ob er<br />

was getrunken hatte. Am nächsten Tag will Martin noch einmal den Taxifahrer befragen, ob er noch<br />

jemanden im Taxi zum Haus gefahren hatte o<strong>der</strong> jemanden gesehen hatte, mit dem sich Walter<br />

getroffen hatte. Doch zu dieser Befragung wird es nicht kommen, denn als sie bei dem Taxifahrer<br />

angekommen waren <strong>und</strong> bei <strong>der</strong> Glocke läuteten, kam niemand heraus. Der Inspektor trat dann mit<br />

einer Selbstverständlichkeit die Tür ein <strong>und</strong> da sah er, dass ein Fenster offen war <strong>und</strong> dass <strong>der</strong><br />

Taxifahrer vor ihnen geflüchtet war <strong>und</strong> sich wahrscheinlich irgendwo versteckte bis die beiden<br />

Polizisten wie<strong>der</strong> weggefahren waren. Aber so dumm waren sie nicht. Sie warteten, bis er sich <strong>von</strong><br />

selbst zu kennen gab. Er kam am späten Nachmittag nach Hause <strong>und</strong> fragte die beiden, was sie hier<br />

suchen. Sie sagten, dass sie noch ein paar Fragen hätten <strong>und</strong> dass er auf den Posten mitkommen<br />

sollte. Er kam freiwillig mit den zwei Polizisten mit <strong>und</strong> am Posten war er sehr kooperativ. Er gab<br />

den Polizisten sehr gute Hinweise <strong>und</strong> auch eine genaue Personenbeschreibung. Die Polizisten<br />

ließen ihn erneut laufen, sie suchten überall nach dieser Person, aber wie sich dann herausstellte gab<br />

es diese Person gar nicht <strong>und</strong> die beiden waren so dumm <strong>und</strong> glaubten ihm. Er nutzte die Zeit, dass<br />

er sich ein gutes Versteck suchen konnte, aber er hat vergessen sein Handy auszuschalten <strong>und</strong><br />

dadurch hatten sie ihn mit <strong>der</strong> Handyortung geortet <strong>und</strong> dann verhaftet. Er hat nach einem sehr<br />

langen Verhör dann endlich den Mord an Josef <strong>und</strong> Anneliese gestanden. Lisa hat nach neun<br />

Monaten ein Kind <strong>von</strong> Martin bekommen <strong>und</strong> Martin hat sich nach Bad Mitterndorf versetzen<br />

lassen <strong>und</strong> wohnt jetzt mit Lisa in einem Haus auf einem kleinen Hügel, <strong>von</strong> dort aus können die<br />

beiden über ganz Mitterndorf sehen.<br />

126


127


Atemlos<br />

(Sophie Rastl)<br />

Ich bin wie gelähmt, sehe nichts <strong>und</strong> fühle mich innerlich leer. Wo bin ich? Was ist passiert? Ich<br />

nehme meine letzte Kraft, hole Luft <strong>und</strong> schreie: „HILFE!?“<br />

„Du kannst so laut schreien wie du willst. Es wird dich keiner hören!“, höre ich eine Stimme<br />

flüstern. Ich zucke zusammen. Mit zitterndem Körper versuche ich mich zu bewegen, aber es geht<br />

nicht. Ich versuche mich zu erinnern, wie ich in diese schreckliche Situation kam. Ich war mit Luke<br />

verabredet. Im Café George. Wir verbrachten einen schönen Abend zusammen, dann<br />

verabschiedeten wir uns <strong>und</strong> ich machte mich auf den Heimweg. Plötzlich hielt ein Auto am<br />

Straßenrand. Jemand kurbelte das Fenster herunter. Das Gesicht war mir bekannt. Mein Vater hatte<br />

in <strong>der</strong> letzten Zeit öfters Kontakt zu ihm. „Guten Abend, Abigail. Wie geht es deinem Vater?“<br />

„ Bestens. Danke <strong>der</strong> Nachfrage.“<br />

Er fragte mich, ob er mich nach Hause fahren soll. Er wäre gerade in <strong>der</strong> Gegend unterwegs. Es war<br />

dunkel <strong>und</strong> kalt. Einen Moment lang wartete ich, dann griff ich vorsichtig nach dem Griff. „Na<br />

mach schon, Abigail!“. Ich gab mir einen Ruck <strong>und</strong> öffnete die Hintertür des Autos. Danach kann<br />

ich mich an nichts mehr erinnern …<br />

Ich greife um mich. Plötzlich spüre ich etwas Le<strong>der</strong>artiges in meiner Hand. Meine Tasche, schießt<br />

es mir im ersten Moment durch den Kopf. Wie<strong>der</strong> versuche ich langsam aufzustehen. An <strong>der</strong> Wand<br />

entlang tastend, bewege ich mich durch den Raum. Hier muss doch irgendwo eine Taschenlampe<br />

o<strong>der</strong> ein Lichtschalter sein.<br />

Mein Handy! Es muss in meiner Tasche sein. Ich gehe langsam in die Knie, bewege mich auf allen<br />

Vieren durch den Raum. Als ich meine Tasche wie<strong>der</strong> in meiner Hand halte, öffne ich den<br />

Reißverschluss <strong>und</strong> fange an, verzweifelt herum zu wühlen. Ich verstreue meine ganzen Sachen auf<br />

dem Boden. Dann endlich: Mein Handy. Ich drücke alle Knöpfe <strong>und</strong> tatsächlich- das Display<br />

leuchtet auf. „Das ist meine Rettung!“<br />

Vorsichtig leuchte ich durch den ganzen Raum. Was ich entdecke, raubt mir den Atem.<br />

Kapitel 2<br />

Ich kenne diesen Raum. - Aber woher? Diese Raumaufteilung, die Einrichtung…. Noch einmal<br />

drücke ich auf die rote Taste meines Handys. Durch das schwache Licht am Display sehe ich<br />

Umrisse, die mich schlussendlich zu einem erschütternden Ergebnis bringen.<br />

„Oh mein Gott!“. Ich weiß es. Meine Augen werden feucht. Eine Träne fließt mir übers Gesicht.<br />

Das ist einer <strong>der</strong> Lagerräume <strong>von</strong> „Smith& CO“- <strong>der</strong> Firma meines Vaters.<br />

128


Ich bekomme keine Luft mehr. Ich werde schwach <strong>und</strong> sinke zusammen. Was bedeutet das alles?<br />

Noch einmal drücke ich die Taste auf meinem Handy, um zu sehen, wie spät es ist. 22:45 Uhr. Um<br />

diese Zeit ist sicher niemand mehr in <strong>der</strong> Firma. Wer hat mir nach meinem Hilfeschrei geantwortet?<br />

„Ist hier jemand?“<br />

Keine Antwort.<br />

Ich habe Angst. Mir ist kalt <strong>und</strong> ich will weg <strong>von</strong> hier. Nach Hause. Zu meinen Eltern, meiner<br />

Schwester <strong>und</strong> … zu Luke. Was soll ich jetzt tun? Bin ich entführt worden? Ist das hier ein Scherz?<br />

Sind hier überall Kameras? Bin ich bei „Verstehen Sie Spaß?“<br />

Ich greife nach meinem Mantel <strong>und</strong> decke mich zu. Plötzlich höre ich Geräusche. Jemand knallt<br />

eine Tür zu. Ich springe auf, taste mich zur Tür vor <strong>und</strong> klopfe laut dagegen. „Hilfe! Hört mich<br />

jemand?“ „Hilfe! Bitte! Helft mir doch!“<br />

Ich weiß nicht, wie lange ich mir die Seele aus dem Leib schreie. Irgendwann kommt nur noch ein<br />

Krächzen aus meiner Kehle.<br />

Niemand hört mich, o<strong>der</strong> niemand will mich hören. Verzweifelt sinke ich auf die Knie.<br />

Ich bin müde <strong>und</strong> möchte einfach nur schlafen. Jedoch hält mich die Angst wach. Angst, dass etwas<br />

Schlimmes passieren könnte, mich mein Entführer tötet. Ich lege mich mit dem Kopf auf meine<br />

Tasche <strong>und</strong> decke mich mit meinem Mantel zu. Ich liege hier <strong>und</strong> starre an die Decke des Raumes.<br />

Mir fällt eines meiner Lieblingslie<strong>der</strong> <strong>von</strong> Avril Lavigne ein. Leise beginne ich zu singen:<br />

Damn, Damn, Damn,<br />

What I'd do to have you<br />

Here, Here, Here<br />

I wish you were here…<br />

Kapitel 3<br />

Vor lauter Erschöpfung bin ich dann doch eingeschlafen. Ich schrecke auf, hoffe aus einem<br />

Albtraum zu erwachen. Ein kurzer Blick genügt <strong>und</strong> ich weiß, die Entführung ist kein Traum es ist<br />

die Realität. Nur wirkt <strong>der</strong> Raum nun viel größer <strong>und</strong> heller als zuvor. Ich lege meinen Mantel zur<br />

Seite <strong>und</strong> stehe vorsichtig auf. Überall, auf je<strong>der</strong> Verpackung steht <strong>der</strong> Name „SMITH& CO“.<br />

Ich spüre Tränen über meine Wangen laufen.<br />

Ich sehe, dass dieser Raum mit einer dicken Eisentür versiegelt ist. Keine Chance zu fliehen. Ich<br />

bemerke einen Plastiksack. Er ist mir nicht aufgefallen. Soll ich es riskieren <strong>und</strong> einen Blick<br />

hineinwerfen? Vorsichtig gehe ich 2 Schritte nach vorne <strong>und</strong> öffne den Sack. Darin ist eine Flasche<br />

mit Wasser <strong>und</strong> ein Stück Brot. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken. Es war jemand hier.<br />

In <strong>der</strong> Nacht. Während ich geschlafen habe.<br />

Es könnte sein, dass das meine einzige Nahrung für heute ist. Also muss ich es mir gut einteilen. Es<br />

fällt mir aber sichtlich schwer, denn ich habe Hunger, aber vor allem habe ich fürchterlichen Durst.<br />

129


Ich nehme die Flasche <strong>und</strong> trinke. Ich merke wie mein trockener M<strong>und</strong> langsam feucht wird.<br />

Aber warum bin ich hier? Es muss doch etwas mit diesem Mann, Mr. Murphey, so heißt er, zu tun<br />

haben. Er hat mich dazu überredet, in sein Auto zu steigen. Er hat mich hierher gebracht. Aber wie<br />

er es geschafft hat, in die Firma meines Vaters zu kommen, ist mir ein Rätsel!<br />

Instinktiv fällt mein Blick auf den Platz wo ich mein Handy versteckt habe. In einem Spalt<br />

zwischen zwei Regalen.<br />

Es ist weg! Mir wird ganz schlecht. Ich fühle mich hilflos <strong>und</strong> meine Chance befreit zu werden ist<br />

gleich Null, da bin ich mir sicher. An<strong>der</strong>seits habe ich sowieso keinen Empfang, versuche ich mich<br />

zu beruhigen. Aber als Licht für die Nacht, wäre es sehr nützlich gewesen, meldet sich eine zweite<br />

Stimme in meinem Kopf. Ich habe Kopfschmerzen <strong>und</strong> mein ganzer Körper schmerzt, ich fühle<br />

mich schwach. Du musst etwas essen, ermahne ich mich stumm. Zu verhungern ist auch keine<br />

Lösung. Ich setze mich zu Boden <strong>und</strong> nehme mir ein Stück Brot.<br />

Auf einmal glaube ich ein Summen zu hören. Zuerst leise, dann lauter. Eindeutig. Die Maschinen<br />

werden nach <strong>und</strong> nach in Betrieb genommen. Die Arbeiter sind in <strong>der</strong> Fabrik.<br />

In mir keimt ein Hoffnungsschimmer auf.<br />

Irgendwann wird jemand diesen Raum betreten. Da bin ich mir ganz sicher. Mein Blick heftet sich<br />

am Türgriff fest.<br />

Ich schlage den Mantel auf die Seite, stehe auf <strong>und</strong> bewege mich in Richtung Tür. Ich versprühe auf<br />

einmal solche Energie. Mein ganzer Körper füllt sich mit Wärme. Ich flüstere leise: „ Ich schaffe es.<br />

Ich komme hier lebendig raus!“ Mit <strong>der</strong> gesammelten Energie schlage ich kräftig gegen die Tür.<br />

„HILFE! Hört mich jemand? Ich bin hier. GEFANGEN!“<br />

Ich frage mich, ob die Mitarbeiter wissen, dass ich hier eingeschlossen bin. Dass sie mich<br />

absichtlich nicht hören wollen…<br />

Kapitel 4<br />

Ich habe überhaupt kein Zeitgefühl. Aber es muss nach Feierabend sein. Denn ich höre keine<br />

Maschinen, keine Arbeiter mehr.<br />

In dem Plastiksack krame ich nach Essen. Ich finde noch ein Stück Brot <strong>und</strong> einen Schluck Wasser.<br />

Ich trinke die ganze Flasche auf einmal aus. Nicht gerade schlau, aber ich habe solchen Durst.<br />

Ich lege mich auf den kalten Betonboden. Unter mir nur ein dünner Schal. Ich decke mich wie jede<br />

hier grauenhaft verbrachte Nacht mit meinem Mantel zu <strong>und</strong> schließe die Augen.<br />

Plötzlich höre ich leise Schritte, draußen in <strong>der</strong> Fabrikshalle. Ich schlage meinen Mantel auf die<br />

Seite <strong>und</strong> taste mich zur Tür. Ich lausche <strong>und</strong> ich höre, wie sie näher kommen. Ich bekomme ein<br />

flaues Gefühl in meinem Magen. Fast wie Übelkeit. Ist das mein Entführer? Wird er mir etwas<br />

130


antun wollen? Ich kann mich an einen Feuerlöscher erinnern, <strong>der</strong> neben <strong>der</strong> Tür hängt. Ich schleiche<br />

mich nach rechts <strong>und</strong> reiße ihn herunter. Leise bewege ich mich zurück hinter die Tür.<br />

Jemand schließt die Tür auf. Durch den bereits geöffneten Spalt sehe ich eine Taschenlampe<br />

leuchten. Der Spalt wird immer größer. Ich höre jemanden atmen <strong>und</strong> ich sehe einen immer größer<br />

werdenden Schatten. „Dein Vater ist an allem Schuld!“, höre ich eine Männerstimme flüstern. Ich<br />

springe aus meinem Versteck hervor. Hole Schwung <strong>und</strong> schlage mit dem Feuerlöscher in Richtung<br />

Schatten. Ich hoffe, ich habe ihn getroffen. Ein lauter Schrei ertönt. Er fällt zu Boden. Ich schnappe<br />

mir die Taschenlampe <strong>und</strong> leuchte auf den Boden, sehe einen Mann am Boden liegen. Er bewegt<br />

sich nicht mehr.<br />

„Was ist, wenn ich ihn umgebracht habe?!“<br />

Ich leuchte das Gesicht an. „Obwohl ich angenommen habe, dass es sich um diesen Mann handelt,<br />

erschrecke ich, als ich den blutüberströmten Körper <strong>von</strong> Mr. Murphey sehe. Eine Waffe liegt in<br />

seiner schlaffen Hand.<br />

„Oh mein Gott. Er wollte mir wirklich etwas antun!“ Ich bekomme feuchte Augen. Eigentlich<br />

sollte ich sofort weglaufen, doch ich knie mich zu Boden, berühre die Halsschläfe <strong>und</strong> schaue, ob<br />

sein Puls noch schlägt.<br />

„Er lebt.“<br />

Ich überlege, was ich tun soll.<br />

„Ich muss hier weg. SOFORT!“<br />

Mit <strong>der</strong> Taschenlampe in <strong>der</strong> Hand, laufe ich aus dem Raum. Durch alle Lagerräume, bis ich zu<br />

einem Notausgang gelange. Ich reiße die Tür auf <strong>und</strong> ein lauter Alarm ertönt.<br />

„Es ist mir egal. Ich bin in Freiheit“.<br />

Ich hole Luft <strong>und</strong> lache. Ich lache vor Glück. Ich renne weiter. Durch den Schranken, <strong>der</strong> das<br />

Fabriksgelände abtrennt. Es ist dunkel <strong>und</strong> ich stehe mitten auf einer selten befahrenen Straße.<br />

Was soll ich bloß tun? Ein- zweimal erleuchtet die einsame Straße <strong>und</strong> ein Auto fährt an mir vorbei.<br />

Ich stehe wie angewurzelt da. Tausende <strong>von</strong> Gedanken schießen mir durch den Kopf.<br />

Die Entführung, dieser Mann, Luke, meine Familie, die beängstigende Dunkelheit…<br />

Ich habe solche Angst. Ein paar Mal drehe ich mich um die eigene Achse, denn ich meine,<br />

jemanden hinter mir gehört zu haben. Aber es ist niemand hier. Niemand. Ich bin ganz allein. Ich<br />

spüre wie mir Schweiß über meine abgekühlte Haut fließt <strong>und</strong> mir Tränen in den Augen aufsteigen.<br />

Immer wie<strong>der</strong> sage ich zu mir selbst:<br />

„Was soll ich bloß tun. Ich schaffe es nicht.“ Ich lasse mich am Straßenrand zu Boden fallen. Der<br />

furchtbare Gestank <strong>der</strong> Autos steigt mir in die Nase hoch <strong>und</strong> ich bekomme furchtbare<br />

131


Kopfschmerzen. Ich spüre nur noch den starken Wind <strong>der</strong> durch die Löcher meiner zerrissenen<br />

Jeans <strong>und</strong> meiner Weste kriecht <strong>und</strong> mich frieren lässt. Ich schließe meine Augen…<br />

Kapitel 5<br />

Ich versuche meine Fingerspitzen zu bewegen, aber es gelingt mir nicht, denn ich werde <strong>von</strong><br />

jemandem festgehalten. Langsam öffne ich meine Augen. Es fällt mir sichtlich schwer <strong>und</strong> mein<br />

Kopf schmerzt wie die Hölle. Ganz verschwommen sehe ich ein Gesicht, das sich über mich beugt.<br />

„Luke!“, sage ich schwach <strong>und</strong> versuche ihm ein kleines Lächeln zu schenken.<br />

„Wo bin ich?“<br />

„Du bist im Krankenhaus. Die Polizei hat dich mitten in <strong>der</strong> Nacht auf <strong>der</strong> Landstraße gef<strong>und</strong>en!“<br />

„Luke? Du bleibst doch bei mir, o<strong>der</strong>? Lass mich nicht alleine, ich habe solche Angst!“<br />

„Was ist los, Abi? Warum zitterst du so? Ich bleibe bei dir. Ich lass dich nicht mehr fort!“<br />

Er drückt meine Hand noch fester <strong>und</strong> gibt mir einen Kuss auf die Stirn.<br />

„Ich werde kurz deinen Eltern Bescheid geben, dass du wach bist.“<br />

Er geht zu seiner Jacke, holt sein Handy aus <strong>der</strong> Tasche <strong>und</strong> wählt die Nummer.<br />

„Hallo, ich bin es, Luke. Ich bin bei Abigail. Sie ist aufgewacht. Beruhigen Sie sich doch, Frau<br />

Smith. Sie ist ansprechbar <strong>und</strong> ich bin mir sicher, dass sie sich sehr freuen wird, Sie zu sehen. Ok,<br />

dann bis gleich!“<br />

Er schmeißt sein Handy auf den Tisch <strong>und</strong> setzt sich zu mir auf die Bettkante.<br />

„Möchtest du etwas trinken?“<br />

Er versucht, ganz normal zu sein, so als wäre nichts passiert. Aber ich spüre, dass es ihm nicht gut<br />

geht, dass er besorgt ist. Er würde so gerne erfahren, was passiert ist.<br />

„Nein danke.“<br />

Die Tür geht auf <strong>und</strong> eine Krankenschwester blickt herein.<br />

Sie sagt: „Fräulein Smith. Sie sind ja munter. Herr Johnson? Warum haben sie uns nicht<br />

informiert?“<br />

„Es tut mir leid. Ich war so überwältigt, dass ich nicht daran dachte!“, sagt Luke etwas zögernd.<br />

„Ist ja nicht so schlimm. Abigail, wie geht es Ihnen?“, sagt die Krankenschwester in einem<br />

fre<strong>und</strong>lichen Ton.<br />

„Ich habe fürchterliche Kopfschmerzen <strong>und</strong> mir ist verdammt kalt!“<br />

In diesem Moment geht die Tür auf <strong>und</strong> meine Eltern kommen herein. Meine kleine Schwester läuft<br />

zu meinem Bett <strong>und</strong> drückt sich an meine Brust.<br />

„Sue, wie schön dich zu sehen!“, sage ich leise <strong>und</strong> ich streiche ihr übers Haar.<br />

132


Meine Eltern kommen an mein Bett. Meine Mama kann sich nicht zurückhalten <strong>und</strong> fängt an zu<br />

weinen. Sie fällt in die Arme meines Vaters. Ich denke mir: „ Ich muss jetzt stark wirken. So als<br />

wäre alles nicht so schlimm.“ Ich nehme ihre Hand. Atme kurz ein <strong>und</strong> sage: „Mama. Warum<br />

weinst du? Ich bin hier. Es ist alles in Ordnung. Wir schaffen das schon!“ Sie sieht mir in die<br />

Augen, lächelt <strong>und</strong> drückt mir einen Kuss auf die Wange.<br />

Bevor die Krankenschwester das Zimmer verlässt, sagt sie in kurzen Worten, warum ich im<br />

Krankenhaus bin.<br />

„ Sie lagen fast eine ganze Nacht bewusstlos im Freien. Als die Polizei sie fand, waren sie stark<br />

unterkühlt <strong>und</strong> auch jetzt haben Sie ihre Normaltemperatur noch nicht erreicht! Sie müssen sich<br />

wirklich schonen Abigail.“<br />

Mein Papa bleibt den ganzen Besuch lang still. Er wirkt bedrückt. Aber vor den an<strong>der</strong>en wollte ich<br />

ihn nicht auf die Entführung, auf das, das ich ihn seiner Firma gefangen gehalten wurde,<br />

ansprechen.<br />

Als meine Familie das Krankenzimmer verlässt, kommt Luke noch einmal auf mich zu.<br />

Er fragt:„ Soll ich bleiben?“<br />

„Ja!“<br />

Mit aller Kraft rücke ich ein Stück zur Seite <strong>und</strong> deute auf den leeren Platz. Er legt sich zu mir <strong>und</strong><br />

ich gebe ihm ein Stück <strong>von</strong> meiner Decke.<br />

Ich greife nach seiner Hand.<br />

„Abigail. Möchtest du reden?“, fragt er mit einer ruhigen Stimme.<br />

Ich erzähle ihm die ganze Geschichte. Von Anfang bis zum Ende. Es fällt mir sehr schwer, aber ich<br />

weiß, dass ich ihm vertrauen kann.<br />

Kapitel 6<br />

Ich liege wach in meinem Krankenbett. In meinem linken Ohr höre ich den ruhigen Atem <strong>von</strong> Luke.<br />

Er schläft. Langsam versuche ich mich aufzurichten. Ich schlage die Bettdecke auf die Seite <strong>und</strong><br />

ertaste mit meinen Füßen den kalten Fliesenboden. Ich suche den Lichtschalter des Badezimmers<br />

<strong>und</strong> verschwinde für einige Minuten darin. Als ich die Badezimmertüre aufmache, höre ich draußen<br />

am Flur jemanden reden. Ich muss mich am Türgriff festhalten <strong>und</strong> mir wird plötzlich furchtbar<br />

schlecht <strong>und</strong> schwindelig. „Luke! Luke. Hilfe!“, flüstere ich leise aber trotzdem energisch.<br />

Er hört mich nicht.<br />

So schnell wie es mein Zustand erlaubt, renne ich zurück zum Bett <strong>und</strong> schüttle Luke kräftig.<br />

„Luke! Wach auf. Luke schnell.“<br />

„Was ist denn los Abi?“, fragt Luke mit mü<strong>der</strong> Stimme.<br />

133


„Draußen, draußen am Flur, da, da ist!“<br />

„Abi. Ganz ruhig. Was ist passiert?“<br />

Ich drücke seine Hand fest <strong>und</strong> sage zitternd: „Draußen am Flur. Da ist dieser Mann!“ „Welcher<br />

Mann, Abi?“, fragt Luke neugierig.<br />

„Er hat mich entführt. Warum ist er hier?“, frage ich, während ich weinend in seinen Armen<br />

zusammenbreche.<br />

Luke redet mir St<strong>und</strong>en über St<strong>und</strong>en gut zu <strong>und</strong> irgendwann fühle ich mich auch zu schwach um<br />

meine Augen wach zu halten…<br />

Leise Stimmen lassen mich erwachen. Ich bleibe ruhig <strong>und</strong> leise liegen <strong>und</strong> werfe einen kurzen<br />

Blick auf meinen Wecker. Es ist bereits nach Mittag. Ich höre mir das Gespräch zwischen meiner<br />

Mutter <strong>und</strong> einer Stationsschwester an. Ich verstehe nur einzelne Sätze. Denn sie stehen am Flur<br />

<strong>und</strong> meine Türe ist nur einen Spalt offen.<br />

„Wie konnte es nur passieren?“<br />

--<br />

„Warum ist er hier?“<br />

--<br />

„Wissen Sie nicht, was er meiner Tochter angetan hat?“<br />

Meine Mutter redet auf die Krankenschwester ein, die gar nicht zu Wort kommt.<br />

Aber ich weiß genau, um was es geht. Es geht um meinen Entführer. Luke hat meiner Mutter<br />

erzählt, was in <strong>der</strong> Nacht passiert ist.<br />

Ich begebe mich zur Tür <strong>und</strong> sage: „Mama komm herein. Die Krankenschwester kann nichts dafür.<br />

Wie konnte sie denn wissen, dass er es war.“<br />

Sie kommt ins Zimmer <strong>und</strong> nimmt mich in den Arm. Es tut wirklich gut. Solche Berührungen<br />

waren bei meiner Mutter nicht drinnen. Sie ist genauso, wie mein Vater ein Berufsmensch. Doch<br />

seit meine kleine Schwester auf <strong>der</strong> Welt ist, hat es sich ein wenig gebessert.<br />

„Luke ist zu uns nach Hause gefahren um dir noch ein paar Sachen zu bringen!“, sagt sie mit einer<br />

aufgelösten Stimme.<br />

„Ok. Aber wo ist Papa?“, frage ich.<br />

„Er hat soviel zu erledigen. Gerade hat er ein wichtiges Meeting mit einen privaten K<strong>und</strong>en!“<br />

Ich weiß genau, dass das nicht stimmt. Aber ich sage nichts <strong>und</strong> nicke stattdessen mit einem<br />

Lächeln.<br />

„Oh nein. Ich habe die Zeit übersehen. Ich muss Sue <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schule abholen. Ist es in Ordnung,<br />

wenn ich….“<br />

134


„Geh schon, Mama <strong>und</strong> gib Sue einen Kuss <strong>von</strong> mir!“, unterbreche ich sie.<br />

Sie drückt mir einen Kuss auf die Stirn <strong>und</strong> verlässt das Zimmer.<br />

Kapitel 7<br />

Ich liege im Bett <strong>und</strong> schaue mir eine Talkshow an. Doch meine Gedanken sind bei meinem Vater.<br />

Ich würde zu gern wissen, was das Ganze mit ihm zu tun hat. Ich ergreife die Initiative. Jetzt wo ich<br />

alleine bin, könnte ich in Ruhe mit ihm reden. Ich nehme das Telefon <strong>und</strong> wähle seine Nummer.<br />

„Hallo Papa. Wie geht es dir?“<br />

„Ach Abi. Danke, gut.“<br />

„Papa. Ich brauche dich jetzt. Hast du Zeit, um ins Krankenhaus zu kommen?“<br />

Sek<strong>und</strong>en <strong>der</strong> Stille.<br />

„Bitte!“, füge ich hinzu, weil er nicht reagiert.<br />

„Ich bin gleich bei dir!“, sagt er leise.<br />

„Ok. Danke!“.<br />

Kapitel 8<br />

Es klopft an <strong>der</strong> Türe. Mein Vater, wie immer im Anzug gekleidet, blickt herein.<br />

„Komm herein, Papa!“, sage ich mit einem Lächeln <strong>und</strong> stehe auf. Ich gehe ihm entgegen <strong>und</strong><br />

schließe ihn in die Arme.<br />

Wir gehen in das Café unten in <strong>der</strong> Halle.<br />

„Warum wolltest du mich sprechen, Abi?“<br />

„Papa. Bitte sag mir alles, was du weißt!“<br />

„Ich weiß nicht, was du meinst!“, antwortet er wie selbstverständlich.<br />

„Doch du weißt es genau! Was hast du mit <strong>der</strong> Entführung zu tun!“, ich weiß, dass dieser Satz hart<br />

ist, aber an<strong>der</strong>s werde ich wohl nichts erreichen.<br />

Ich merke wie er im ganzen Gesicht blass wird.<br />

„Warum war ich in deiner Firma eingesperrt?“<br />

„Abi. Das ist nicht <strong>der</strong> richtige Zeitpunk!“<br />

„Doch Papa. Das ist genau <strong>der</strong> richtige Zeitpunkt. Jeden Tag habe ich mich gefragt, warum ich in<br />

deiner Firma bin. Ich will Klarheit!“ Ich nehme seine Hand, denn ich sehe die Verzweiflung in<br />

seinen Augen.<br />

„Glaubst du nicht, dass es auch dir besser gehen würde, wenn du mit jemanden reden kannst. Schon<br />

seit dem ersten Mal, als ihr mich im Krankenhaus besucht habt, habe ich gemerkt, dass dich etwas<br />

bedrückt. Ich werde dir nicht böse sein, denn ich weiß genau, dass du das alles nicht wolltest.“<br />

„Ich bin es dir wohl schuldig“, sagt mein Vater seufzend.<br />

135


„Du weißt doch noch wer Mr. Murphey ist?“<br />

Als ich diesen Namen höre, spüre ich einen furchtbaren Stich in meiner Bauchhöhle.<br />

„Ja“, sage ich kühl.<br />

„Meine Firma ist vor etwa zwei Monaten pleite gegangen. Aber ich war zu stolz <strong>und</strong> zu feig um es<br />

euch zu sagen. Stattdessen habe ich mir <strong>von</strong> diesem Murphey Geld ausgeliehen. Als Gegenleistung<br />

habe ich ihm die Hälfte <strong>der</strong> Firmenanteile übertragen. Ich habe eine Frist <strong>von</strong> zwei Monaten<br />

bekommen um die Schulden zu begleichen. Doch ich habe es nicht geschafft, soviel Geld<br />

aufzutreiben. Ich habe Drohungen <strong>von</strong> ihm erhalten. Auch, dass er meiner Familie etwas antun<br />

würde. Doch ich habe es nicht geglaubt <strong>und</strong> euch vorgespielt, dass alles in Ordnung wäre. Doch<br />

nichts war in Ordnung. Als du dann an diesem einen Abend nicht mehr nach Hause gekommen bist,<br />

ist meine Welt zusammengebrochen. Mir war sofort klar, dass es Murphey war.“<br />

Mein Vater lässt mir keine Zeit zu antworten. Er will es hinter sich bringen. Das sehe ich ihm an.<br />

„Ich habe lange überlegt, was ich tun soll. Ich habe einen Brief <strong>von</strong> Murphey erhalten, wo drinnen<br />

stand, dass ich ihm die restlichen Firmenanteile übertragen soll. Dann würdest du frei kommen. Ich<br />

habe es natürlich sofort getan <strong>und</strong> ich habe auch deiner Mutter alles erzählt!“<br />

„Wie hat sie reagiert?“, frage ich.<br />

„Sie war geschockt. Doch sie hat mich verstanden. Deine Mutter ist eine w<strong>und</strong>ervolle <strong>und</strong> treue<br />

Frau. Sie hat mir versprochen, dass alles gut wird. Dann haben wir den Anruf <strong>von</strong> Luke bekommen,<br />

dass man dich gef<strong>und</strong>en hat <strong>und</strong> du im Krankenhaus liegst. Ich hatte solche Angst vor diesem<br />

Gespräch, das wir gerade führen, Abigail. Das kannst du dir nicht vorstellen.“<br />

„Ich bin stolz, so einen Vater wie dich zu haben!“, sage ich mit einem Lächeln.<br />

„ Was? Was hast du gesagt?“, fragt er, als hätte er sich verhört.<br />

„Papa. Ich bin nicht böse. Ich bin stolz auf dich. Du willst immer das Beste für deine Familie. Du<br />

willst uns alles ermöglichen <strong>und</strong> immer allen alles recht machen. Aber es ist nicht schlimm einmal<br />

zu versagen, etwas nicht zu schaffen. Du bist doch auch nur ein Mensch!“, sage ich mit Tränen in<br />

den Augen.<br />

Ich stehe <strong>von</strong> meinem Sessel auf <strong>und</strong> nehme ihn in den Arm. In diesem Moment höre ich die<br />

Stimme, die mir immer ein Lächeln auf die Lippen zaubert. „Hallo Schönheit!!“, ruft Luke <strong>und</strong><br />

winkt mir zu. „Eine Schönheit kann man mich im Moment nun wirklich nicht nennen!“, sage ich<br />

mit einem Lächeln. Er lächelt <strong>und</strong> zwinkert mir zu. „Wie geht es dir?“, fragt er mit einem besorgten<br />

Unterton. „Es geht. Es ist schwer zu wissen, dass dein Entführer in <strong>der</strong> gleichen Etage wie man<br />

selbst liegt.“ „Alles wird gut!“, sagt er <strong>und</strong> drückt mir einen Kuss auf die Lippen.<br />

Papas läutendes Handy unterbricht diese, nach Tagen etwas bessere Stimmung. Er antwortet mit<br />

136


kurzen Sätzen <strong>und</strong> beendet nach kurzer Zeit das Telefonat mit den Sätzen: „Ich richte es ihr aus <strong>und</strong><br />

frage sie ob sie bereit ist. Ich melde mich später noch einmal.“<br />

„Abigail. Das war die Kriminalabteilung <strong>der</strong> Polizei. Sie fragen, ob du bereit wärst eine Aussage zu<br />

machen“, spricht er <strong>und</strong> streicht mir über die Schulter.<br />

Im ersten Moment fällt mir alles hinunter. Noch einmal diese schrecklichen Tage zu wie<strong>der</strong>holen.<br />

Alles erzählen. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wird es für uns alle wie<strong>der</strong> leichter werden. Da bin ich mir<br />

sicher.<br />

„Ja. Ich mach es. Wann werden sie kommen?“<br />

„Morgen am Vormittag. So gegen neun Uhr. Ist das in Ordnung?“<br />

„Ja.“<br />

„Abi. Es tut mir leid, aber ich muss schön langsam nach Hause. Sue wartet auf mich. Sie hat doch<br />

heute ihre Ballettaufführung.“<br />

„Ach ja. Schade, dass ich nicht dabei sein kann. Ich werde sie morgen anrufen <strong>und</strong> sie fragen, wie<br />

es gelaufen ist!“<br />

Mein Vater nimmt mich in den Arm <strong>und</strong> drückt mich kurz aber kräftig.<br />

„Gute Nacht.“, sagt er sanft.<br />

„Gute Nacht, Papa!“<br />

Luke bringt mich nach Oben. Er bleibt während meines Abendessens noch bei mir.<br />

„Wie ich mich auf unsere Mc’Donalds Abende mit unseren Fre<strong>und</strong>en freue. Wissen sie eigentlich,<br />

was passiert ist?“<br />

„Sie wissen, dass du im Krankenhaus bist. Ich habe auch gesagt, dass du viel Ruhe brauchst <strong>und</strong> das<br />

du dich bei ihnen melden wirst, wenn es dir wie<strong>der</strong> besser geht. Ich wollte dir die Entscheidung<br />

überlassen, wem <strong>und</strong> was du erzählen möchtest.“<br />

„Danke!“<br />

Ich begleite ihn noch bis zur Krankenhaushalle. Dort verabschieden wir uns <strong>und</strong> ich lasse mir Zeit<br />

beim Zurückgehen. Ich versuche diese schrecklichen Bil<strong>der</strong> meiner Entführung zu verdrängen, aber<br />

es gelingt mir nicht. Auch nicht als ich mir im Bett den Fernseher einschalte.<br />

Ich lasse den Fernseher laufen <strong>und</strong> drehe mich zur Seite. Ich mache meine Augen zu, doch es dauert<br />

eine ganze Weile bis ich einschlafe.<br />

Kapitel 9<br />

Eine Stationsschwester, die an den ganzen Maschinen herumtippt, weckt mich. Schnell greife ich<br />

nach meinem Handy. Kurz nach acht Uhr. Ich stehe auf <strong>und</strong> bereite mich für das Gespräch vor. Mir<br />

wird flau, als die Tür aufgeht <strong>und</strong> zwei unbekannte Personen herein blicken.<br />

137


„Hallo. Bist du Abigail?“<br />

„Ja.“ Ich reiche den beiden Frauen die Hände.<br />

„Wir sind <strong>von</strong> <strong>der</strong> Kriminalabteilung in Brooklyn. Wie geht es ihnen, Abigail.“<br />

Ich sehe genau, wie ihre Kollegin die REC-Taste auf dem Aufnahmegerät drückt.<br />

„Es geht.“<br />

„Abigail. Können Sie mir <strong>von</strong> <strong>der</strong> Entführung erzählen? Sind Sie bereit dafür?“<br />

Ich nicke <strong>und</strong> beginne zögernd zu erzählen. Vor mir immer diese Bil<strong>der</strong>. Wie in einem Horrorfilm,<br />

aber es war alles wahr. Ich erzähle auch <strong>von</strong> meinem Vater. Ich habe mich am Vortag spät abends<br />

noch einmal bei ihm gemeldet <strong>und</strong> ihn gefragt, ob es ok ist, wenn ich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Sache mit Murphey<br />

erzähle. Er willigte ein.<br />

Über eine St<strong>und</strong>e sitzen wir bei dem Tisch, <strong>der</strong> in meinem Zimmer steht <strong>und</strong> reden.<br />

„Ich glaube, dass ist genug, Abi. Du bist ein wirklich tapferes Mädchen. Wie lange musst du im<br />

Krankenhaus bleiben?“<br />

„Bis morgen!“, sage ich <strong>und</strong> versuche zu lächeln.<br />

„Was passiert jetzt mit diesem Murphey?“, platzt es aus mir heraus.<br />

„Er ist bereits aus dem Krankenhaus entlassen <strong>und</strong> gleich darauf festgenommen worden. Im<br />

Moment sitzt er in U-Haft. Wir haben vorher mit deinem Vater geredet, <strong>der</strong> uns bereits <strong>von</strong> ihm<br />

erzählt hat. Erfreulich ist, dass er die Tat bereits gestanden hat“, erzählt mir die Inspektorin.<br />

„Wirklich? Warum haben sie mich dann überhaupt noch verhört?“, frage ich.<br />

„Wir wollten sicher gehen, dass wirklich alles so geschehen ist. Das haben Sie uns jetzt bestätigt<br />

<strong>und</strong> ich glaube, dass es Ihnen jetzt auch besser gehen wird! Danke Abigail, dass Sie sich so viel Zeit<br />

für uns genommen haben!“<br />

„Ich danke Ihnen!“ Das erste Mal breitet sich ein Gefühl <strong>der</strong> Erleichterung in mir aus. Nachdem die<br />

beiden Frauen das Zimmer verlassen haben, gehe ich zum Kasten <strong>und</strong> packe die Sachen zusammen,<br />

die ich bis morgen nicht mehr brauche. Doch ich werde vom Läuten meines Handys unterbrochen.<br />

Es ist meine beste Fre<strong>und</strong>in. Sie fragt mich, wie es mir geht <strong>und</strong> was ich für Sachen mache. Ich soll<br />

ihr alles erzählen. Doch das kann ich nicht. Ich sage, dass ich es ihr ein an<strong>der</strong>es Mal erzähle. Ich<br />

kann nicht wie<strong>der</strong> diese W<strong>und</strong>en aufreißen. Bevor ich auflege, sage ich, dass ich morgen das<br />

Krankenhaus verlassen darf.<br />

Kapitel 10<br />

Ich sitze gerade bei meinem Abendessen als <strong>der</strong> Arzt hereinkommt um mich ein letztes Mal zu<br />

kontrollieren. Er tastet mich ab <strong>und</strong> fragt mich nach meinem Wohlbefinden. Er bittet mich nach<br />

zwei Wochen noch einmal zu einer Kontrolle zu kommen. Danach wünscht er mir eine Gute Nacht<br />

138


<strong>und</strong> viel Erfolg in meinem weiteren Leben.<br />

Als ich in meinem Bett liege, denke ich an ein Leben als Arzt. Ärzte müssen immer loyal bleiben.<br />

Sie dürfen nicht zu emotional, aber auch nicht zu gelassen sein. Sie müssen so viel Leid ertragen<br />

<strong>und</strong> leben ständig unter Druck. Meinem Arzt wäre es nicht eingefallen, etwas über die Entführung<br />

zu sagen, stattdessen wünscht er mir viel Erfolg in meinem Leben. Meine Tagträumerei wurde <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Nachtschwester unterbrochen, die mir eine letzte Infusion gibt. Danach wünscht auch sie mir<br />

eine gute Nacht. Ich bin wirklich schon nervös, vor meiner morgigen Entlassung. Wie wird mein<br />

Leben nach diesem Schicksalsschlag werden?<br />

„Ich muss aufhören, mir über meine Zukunft so viele Gedanken zu machen!“, rede ich mir selber<br />

ein.<br />

Ich schalte den Fernseher, <strong>der</strong> bereits sein St<strong>und</strong>en läuft, aus <strong>und</strong> drehe das letzte Mal das<br />

Nachtlicht meines Krankenbettes aus.<br />

Kapitel 11<br />

„Abi. Wach auf! Du darfst nach Hause!“, die helle Stimme meiner kleinen Schwester lässt mich<br />

aufwachen.<br />

„Hallo Sue. “ Ich richte mich auf <strong>und</strong> werfe die Bettdecke auf die Seite.<br />

„Hallo mein Schatz. Ich hab dir ein paar Sachen zum Anziehen heraus gelegt <strong>und</strong> den Rest bereits<br />

eingepackt!“ „Danke Mama!“<br />

Ich mache mich fertig <strong>und</strong> sage mit einem Lächeln: „Können wir los?“<br />

„Natürlich!“<br />

Ich räume noch meinen Nachttisch ab <strong>und</strong> werfe alles in die Tasche. Ich schließe die Zimmertür<br />

hinter mir <strong>und</strong> laufe Hand in Hand mit meiner Schwester zum Ausgang. So wie ein kleines Kind<br />

<strong>und</strong> es fühlt sich so gut an. Die Schiebetür geht auf <strong>und</strong> ich atme die frische Luft ein. Der Wind<br />

weht durch meine Haare <strong>und</strong> mir schießen Tränen in die Augen. Seit langem sind es Tränen <strong>der</strong><br />

Freude.<br />

Epilog<br />

Heute ist mein achtzehnter Geburtstag. Ich sitze mit meiner Familie auf <strong>der</strong> Terrasse. Die Sonne<br />

lässt den wenigen Schnee glitzern. Es fühlt sich wie in einem Märchen an. Wir können wie<strong>der</strong><br />

lachen.<br />

Murphey wurde nach mehreren Prozessen für schuldig erklärt <strong>und</strong> bekam eine Bewährungs- <strong>und</strong><br />

Geldstrafe. Mein Vater hat die Firma verkauft. Er arbeitet nun als Geschäftsleiter einer großen<br />

Möbelkette <strong>und</strong> meine Mutter hat die Arbeit fürs Erste stillgelegt. Sie kümmert sich um uns <strong>und</strong> ist<br />

100% Mama. Das tut uns allen <strong>und</strong> vor allem ihr gut.<br />

139


Ich bin noch nicht ganz über die Entführung hinweg. Ich brauche noch Hilfe. Und gehe deshalb<br />

wöchentlich zu einer Therapeutin, aber es fühlt sich gut an, zu wissen, dass Murphey seine gerechte<br />

Strafe bekommen hat. Nach meinem Schulabschluss wollen Luke <strong>und</strong> ich wegziehen. Er will mir<br />

helfen, einen Neustart zu wagen. Das alte hinter mir zu lassen <strong>und</strong> nach vorne zu schauen.<br />

Die Entführung war das Schlimmste, was mir je passiert ist, aber ich habe die Kraft, nach vorne zu<br />

schauen.<br />

140


Der Pfeilgift Mord<br />

(Jakob Schweitzer)<br />

Kapitel 1 – Feierabend<br />

Hannah schlich durch die Gasse. Nur das dumpfe Klopfen <strong>der</strong> Schuhe auf Asphaltboden konnte<br />

man leise wahrnehmen. Ab <strong>und</strong> zu war auch ein leiser Flügelschlag eines Vogels zu hören. Sie war<br />

auf dem Nachhauseweg <strong>von</strong> ihrer Arbeit in <strong>der</strong> Näherei. Ein kalter, feuchter Windhauch blies ihr ins<br />

Gesicht. Ein modriger Geruch drang aus dem Kanal. Das dämmrige Licht <strong>der</strong> Straßenlaternen, um<br />

die die Insekten schwirrten, erhellte die dunklen Gassen. Sie musste sich das eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Mal<br />

die Mücken aus dem Gesicht wischen.<br />

Um diese Zeit brannten kaum Lichter hinter den Fenstern <strong>der</strong> Häuser. Nur ab <strong>und</strong> an erkannte sie<br />

durch vorgezogene Vorhänge das flackernde Licht eines Fernsehers.<br />

Hannah kannte jeden Winkel in <strong>der</strong> Gasse. Schon als kleines Kind ging sie diesen Weg nach Hause.<br />

Hannah wohnt in einem kleinen Haus, ganz in <strong>der</strong> Nähe. Schon ihre Urgroßeltern hatten darin<br />

gewohnt <strong>und</strong> es stand schief. Das F<strong>und</strong>ament litt unter Altersschwächen, sodass das Haus etwas<br />

schief stand. Außerdem wohnten noch ihre zwei Kin<strong>der</strong> bei ihr. Jonas <strong>und</strong> Suse. Jonas ist zehn <strong>und</strong><br />

Suse ist sechs Jahre alt. Ihr Vater hatte sie verlassen als Suse noch ein Baby war. Er lebte irgendwo<br />

in <strong>der</strong> Umgebung, aber Hannah hatte schon lange keinen Kontakt mehr zu ihm.<br />

Plötzlich spürte Hannah eine kalte, feuchte Hand auf ihrer Schulter. Sie merkte, wie ihr Herz<br />

schneller zu schlagen begann. Sie wagte nicht, sich umzudrehen, blieb stehen <strong>und</strong> schloss die<br />

Augen.<br />

„Hallo Hannah!“, hörte sie eine vertraute Stimme.<br />

Sie beruhigte sich. Es war Paul, ein alter Studienkollege <strong>und</strong> Hannahs bester Fre<strong>und</strong>. Er wohnte in<br />

ihrer Nähe, im Haus Nr. 57. Jetzt stand er dicht hinter ihr.<br />

„Hallo Hannah. Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken!“<br />

„Macht nichts Paul.“<br />

“Ich wollte dich fragen, ob du morgen um fünf zu meiner Party kommst.“<br />

Paul gab eine Party, weil seine Firma gute Umsätze gemacht hatte. Natürlich auch, um<br />

Geschäftskontakte zu knüpfen. Er hatte schon oft versucht Hannah zu überreden, in seine Firma zu<br />

wechseln. Aber Hannah lehnte immer wie<strong>der</strong> dankend ab.<br />

„Ja, Paul. Natürlich komme ich.“<br />

„Danke. Du bist eine sehr gute Fre<strong>und</strong>in. Dann komm gut nach Hause. Tschüss.“<br />

„Danke. Tschüss.“<br />

141


Er wandte sich um <strong>und</strong> verschwand. Hannah wollte sich beeilen, denn ihr war kalt <strong>und</strong> sie war sehr<br />

müde vom langen Arbeitstag.<br />

Wenige Minuten später stand sie vor ihrem Haus. Der Eingang lag in völliger Dunkelheit. Sie<br />

versuchte den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Doch sie verfehlte. Beim zweiten Versuch<br />

klappte es <strong>und</strong> sie konnte die Tür aufsperren. Sie betrat den schmalen Gang. Kälte schlug ihr<br />

entgegen. Das Haus zu heizen, konnte sie sich nicht leisten <strong>und</strong> auch die Elektrik funktionierte nicht<br />

mehr. Es mangelte am Geld, um die Stromrechnung zu bezahlen. Sie horchte. Stille. Die Kin<strong>der</strong><br />

schienen bereits zu schlafen. Ein Glück, denn Hannah war viel zu müde, um sich noch mit ihnen zu<br />

beschäftigen. Sie zog ihre Jacke aus, ließ sich auf die Couch fallen, zog die Decke, die dort bereit<br />

lag, über ihre Schulten <strong>und</strong> schlief ein.<br />

Kapitel 2 – Der große Schreck<br />

Hannah wachte sehr früh auf. Noch machte sie sich keine Gedanken über die Party. Jetzt musste sie<br />

sich erst einmal für die Arbeit herrichten. Sie musste auch die Schulbrote für die Kin<strong>der</strong> streichen.<br />

Es war 7 Uhr. Sie ging die Treppe hinauf. Vor <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>zimmertür blieb sie stehen <strong>und</strong> klopfte an.<br />

„Morgen! Aufstehen“, rief sie, als sie das Zimmer betrat.<br />

„Hallo Mama! Wir kommen gleich“, sagten die beiden noch ein bisschen schläfrig im Chor.<br />

Nachdem die Kin<strong>der</strong> das Frühstück gegessen hatten, stürmten sie zur Tür hinaus. Es hatte geschneit.<br />

„Tschüss Mama!“, konnte Hannah gerade noch hören, als sie die Türe wie<strong>der</strong> schloss.<br />

Nun musste sie sich beeilen. Es war halb acht.<br />

Um Punkt 8 Uhr war sie in <strong>der</strong> Arbeit. Sie musste als erstes den Computer für die Nähsteuerung<br />

einschalten. Vor ein paar Jahren wurden die Befehle <strong>und</strong> Nähmuster noch mit Lochstreifen<br />

eingegeben. Heute macht das Ganze ein komplex wirkendes Programm. Der neue Rechner war in<br />

den letzten Jahren etwas langsam geworden, aber er war immer noch schneller, als <strong>der</strong> alte<br />

Lochstreifen-PC. Außer Hannah war zu diesem Zeitpunkt nur ihre Chefin da. Die Kollegen <strong>und</strong><br />

Kolleginnen mussten bald kommen.<br />

Plötzlich fiel ihr ein, dass sie noch nicht wusste, wo sie die Kin<strong>der</strong> lassen konnte, während sie auf<br />

<strong>der</strong> Party war. Sie musste also noch schnell ihre Mutter anrufen. Gott sei Dank sagte sie zu, dass die<br />

Kin<strong>der</strong> bei ihr bleiben konnten. Nun trafen nach <strong>und</strong> nach ihre Kollegen <strong>und</strong> Kolleginnen ein <strong>und</strong><br />

sie mussten an die Arbeit gehen. Heute hatte Hannah nur bis ein Uhr Dienst. Den Rest des Tages hat<br />

sie <strong>von</strong> ihrer Chefin wegen Pauls Party frei bekommen.<br />

Hannah war jetzt wie<strong>der</strong> auf dem Heimweg. Es war fünf nach eins. Sie war noch nie so früh <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Arbeit weg, außer wenn sie zur Schule gerufen wurde. Sie wusste schon genau, was sie anziehen<br />

142


würde. Ihre Wahl war auf das kleine Schwarze gefallen, das man zweiseitig tragen konnte.<br />

Hannah wollte etwas früher auf <strong>der</strong> Party sein. Sie musste nur noch die Kin<strong>der</strong> bei ihrer Mutter<br />

abliefern. Sie waren zu Fuß unterwegs. Sie mussten aufpassen, dass sie nicht auf dem glatten,<br />

eisigen Weg ausrutschten. Hannahs Mutter wohnte in <strong>der</strong> Gartengasse 5, ganz in <strong>der</strong> Nähe <strong>von</strong><br />

ihnen.<br />

Nun war sie vor Pauls Haus, wo die Party stattfand. Es war halb fünf. Sie war genau zu <strong>der</strong> Zeit<br />

eingetroffen, zu <strong>der</strong> sie da sein wollte. Da konnte eigentlich nichts mehr schief gehen. Sie trat an die<br />

Tür <strong>und</strong> klingelte.<br />

„Hallo Hannah! Warum bist du denn schon so früh da?“<br />

„Ich wollte einfach ein bisschen früher kommen. O<strong>der</strong> ist es dir nicht recht?“<br />

„Doch, doch. Komm rein Hannah. Die ersten Gäste müssen bald eintreffen.“<br />

Hannah trat ein. Und wirklich, die ersten Gäste kamen bald darauf, obwohl die Party offiziell noch<br />

gar nicht angefangen hatte. Sie hatten offensichtlich die gleiche Idee wie Hannah, sie wollten ein<br />

bisschen früher da sein.<br />

Nach einer St<strong>und</strong>e waren alle Gäste da <strong>und</strong> das Haus war voll. Die Party war langweilig <strong>und</strong> nicht<br />

gerade <strong>der</strong> große Erfolg. Ein Besucher versuchte Schwung in die Sache zu bringen, was ihm auch<br />

gelang. Nach <strong>und</strong> nach fingen alle an zu tanzen <strong>und</strong> die Tanzfläche war voll.<br />

Plötzlich brach Geschrei aus. Ein Mann war mitten auf <strong>der</strong> Tanzfläche tot zusammengebrochen.<br />

Alle standen entsetzt <strong>und</strong> ratlos im Kreis um den toten Mann herum, da fiel die Haustüre krachend<br />

ins Schloss. Paul bewahrte kühlen Kopf <strong>und</strong> verständigte Polizei <strong>und</strong> Rettung.<br />

Kapitel 3 – Die Ermittlungen beginnen<br />

Als diese endlich nach etwas längerer Zeit eintraf, durfte keiner das Haus verlassen. Es waren zwei<br />

Polizisten, die sich mit diesem Fall beschäftigen sollten: Officer „Ham“ <strong>und</strong> Officer „Burger“. Die<br />

Leute w<strong>und</strong>erten sich ein wenig über die ungewöhnlichen Namen <strong>der</strong> beiden. Doch die Polizisten<br />

kannten das schon. Ham <strong>und</strong> Burger gingen sogleich an die Arbeit. Nach kurzer Untersuchung <strong>der</strong><br />

Brieftasche des Toten konnten sie ihn identifizieren. Es war Sebastian Schmidt, ein<br />

Softwareentwickler in Pauls Firma, <strong>der</strong> nicht zu knapp verdiente.<br />

Hannah stand wie erstarrt in einer Ecke des Raumes. Sie kannte den Mann, <strong>der</strong> jetzt tot auf dem<br />

Boden lag, nur flüchtig aus Pauls Firma. Es war schrecklich anzusehen. Sie dachte an ihre Kin<strong>der</strong><br />

<strong>und</strong> wollte nur noch nach Hause. Aber die Polizisten ließen niemanden gehen. Erst sollte je<strong>der</strong><br />

befragt werden. Für Hannah war das schrecklich, aber sie verstand, dass das Verbrechen aufgeklärt<br />

werden musste <strong>und</strong> sie setzte sich auf einen Stuhl, <strong>der</strong> in ihrer Nähe stand.<br />

Officer Ham wollte gerade mit <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Gäste beginnen, als ihn Burger noch einmal zu<br />

143


sich rief. Er schien etwas entdeckt zu haben <strong>und</strong> wies mit seinem Zeigefinger auf einen kleinen<br />

Pfeil, <strong>der</strong> im Hals des Toten steckte. Ham kramte schnell ein paar Handschuhe aus seinem Koffer<br />

heraus <strong>und</strong> zog den Pfeil vorsichtig heraus. Dann nahm er einen kleinen Koffer, auf dem „Koffer-<br />

Labor“ stand <strong>und</strong> begann den Pfeil zu untersuchen. Nach kurzer Zeit sagte er mit ruhiger Stimme:<br />

“Ein Giftpfeil. Das Gift stimmt mit den Proben <strong>von</strong> den Pfeilgiftfröschen überein. Sieh es dir an.“<br />

Er drehte den Laptopbildschirm zu Burger, damit sich dieser die ausgewerteten Messdaten ansehen<br />

konnte. Dieser Pfeil war also die Tatwaffe. Aber woher hatte sie <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>? Er konnte sie ja nicht<br />

einfach in <strong>der</strong> Apotheke o<strong>der</strong> sonst irgendwo gekauft haben. Diese Frage zu beantworten war<br />

sicherlich keine leichte Aufgabe für die Polizisten.<br />

Doch bevor Ham an diese Arbeit herangehen konnte, musste er mehr über die Gäste erfahren. Er<br />

richtete sich in einem kleinen Nebenzimmer einen Verhörraum ein <strong>und</strong> bat die einzelnen Gäste zu<br />

sich.<br />

Zuerst wollte er mit Frau Schepper sprechen. Sie erzählte ihm, dass sie bereits seit dreißig Jahren in<br />

Pauls Firma arbeitete. Sie hatte dort schon gearbeitet, als Pauls Vater noch die Firma leitete <strong>und</strong><br />

kannte Paul schon, als er noch ein Baby war. Frau Schepper arbeitete jetzt als Pauls Sekretärin. Ein<br />

Fulltimejob, <strong>der</strong> sehr anstrengend <strong>und</strong> für eine Frau ihres Alters nicht mehr so leicht zu bewältigen<br />

war. Ham notierte jedes Detail.<br />

Währenddessen machte sich Burger daran, die Herkunft des Pfeilgiftes zu klären. Er fuhr ins<br />

Polizeirevier, um sich mit einem Kollegen zu treffen, <strong>der</strong> bereits <strong>von</strong> ähnlichen Pfeilen berichtet<br />

hatte.<br />

Hannah saß noch immer auf ihrem Stuhl. Sie wurde als Letzte befragt. Officer Ham wollte wissen,<br />

was sie zur Tatzeit gemacht hatte <strong>und</strong> warum sie auf Pauls Party war, obwohl sie nicht in seiner<br />

Firma arbeitete. Hannah erzählte Officer Ham über ihre langjährige Fre<strong>und</strong>schaft zu Paul, konnte<br />

ihm aber sonst nicht viel weiterhelfen, da sie zur Tatzeit gerade in <strong>der</strong> Küche war <strong>und</strong> erst ins<br />

Zimmer kam, als die den Schrei hörte.<br />

Nachdem Officer Ham mit <strong>der</strong> Befragung aller Anwesenden fertig war <strong>und</strong> die Gästeliste noch<br />

einmal kontrolliert hatte, bemerkte er, dass er einen Gast noch nicht befragt hatte. Ham erk<strong>und</strong>igte<br />

sich bei Paul, ob er wusste, wo dieser Gast zu finden sei. Paul meinte, er habe ihn seit dem Unglück<br />

nicht mehr gesehen. Vermutlich hatte er die Party nach dem Mord verlassen, worauf auch die<br />

zuschlagende Tür hinweisen würde.<br />

Officer Ham war <strong>der</strong> Ansicht, dass er mit seinen Ermittlungen vor Ort nicht weiterkommen würde.<br />

Er bedankte sich bei den Anwesenden für ihre Mithilfe <strong>und</strong> fuhr zu Officer Burger ins Polizeirevier.<br />

Die Gäste verließen nach <strong>und</strong> nach Pauls Haus <strong>und</strong> auch Hannah wollte sich auf den Heimweg<br />

144


machen. Paul, <strong>der</strong> bemerkt hatte, dass Hannah ganz verstört war, wollte sie aber keinesfalls allein<br />

durch die dunklen Gassen nach Hause gehen lassen <strong>und</strong> begleitete sie bis zu ihrer Haustür. Hannah<br />

schloss die Tür hinter sich zu <strong>und</strong> stand allein im dunklen Hausflur. Es war sehr still im Haus. Die<br />

Kin<strong>der</strong> waren noch bei ihrer Mutter. Nach all diesen Ereignissen fühlte sich Hannah nicht wohl<br />

allein im Haus. Müde fiel sie aber schließlich in einen unruhigen Schlaf.<br />

Kapitel 4 – Der Mör<strong>der</strong>?<br />

Als Hannah am nächsten Morgen aus ihrer unruhigen Nacht erwachte, wollte sie sogleich ihre<br />

Kin<strong>der</strong> abholen. Sie ging los. Auf ihrem Weg kam sie bei Pauls Haus vorbei. Dort war schon wie<strong>der</strong><br />

die Spurensicherung im Einsatz. Hannah kam <strong>der</strong> Gedanke kurz hineinzuschauen, doch sie hatte<br />

beim besten Willen keine Nerven mehr. Also ging sie weiter, bis sie nach einer Viertelst<strong>und</strong>e bei<br />

ihrer Mutter war. Da die Kin<strong>der</strong>, die sonst immer zur Tür liefen sobald sie Hannah erblickten, noch<br />

im Bett waren, öffnete ihre Mutter die Haustür. Die Strapazen des gestrigen Tages waren Hannah<br />

anscheinend ins Gesicht geschrieben, da ihre Mutter besorgt fragte:<br />

…“<br />

„Was ist denn los? Geht es dir nicht gut?“<br />

„Ach Mama. Der gestrige Abend war schrecklich. Ein Mann aus Pauls Firma wurde ermordet<br />

„Das ist ja furchtbar!“<br />

Hannah hatte gerade ihren Mantel <strong>und</strong> den Schal abgelegt, da kamen Jonas <strong>und</strong> Suse bereits ins<br />

Zimmer gestürmt. Hannah <strong>und</strong> ihre Mutter bereiteten gemeinsam das Frühstück zu. Mit den<br />

Kin<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Nähe wollte Hannah nicht mehr über den Vorfall <strong>von</strong> gestern sprechen.<br />

Als Jonas <strong>und</strong> Suse nach dem Essen draußen im Schnee herumtollen wollten, konnte sich Hannah<br />

endlich aussprechen. Das Gespräch mit ihrer Mutter tat gut, sie bekam wie<strong>der</strong> einen klaren Kopf.<br />

Doch ein bisschen mulmig war ihr trotzdem noch.<br />

Hannah beschloss, zu Paul zu gehen, um ihm Beistand zu leisten. Ihre Mutter versprach, die Kin<strong>der</strong><br />

so gegen zwölf Uhr nach Hause zu bringen. Hannah verabschiedete sich <strong>und</strong> verließ das Haus.<br />

Als sie bei Pauls Haus ankam, war die Polizei bereits weg. Hannah klingelte, doch niemand machte<br />

auf. Die Tür war nur angelehnt <strong>und</strong> Hannah betrat die Wohnung.<br />

„Paul, bist du da?“<br />

Niemand antwortete. Hannah wollte die Frage wie<strong>der</strong>holen. In diesem Augenblick aber verspürte<br />

sie ein komisches Gefühl. Sie fühlte sich beobachtet <strong>und</strong> verfolgt. Plötzlich vernahm sie das dumpfe<br />

Knarren einer Holztreppe.<br />

„Paul, bist du´s?“<br />

Wie<strong>der</strong> antwortete niemand. Hannah konnte nicht sagen, woher das Geräusch kam. Verwirrt <strong>und</strong><br />

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etwas ängstlich stand sie im Flur <strong>und</strong> schaute in alle Richtungen. Nach längerem Suchen entdeckte<br />

sie jemanden, <strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Treppe zum zweiten Stock stand. Sie konnte nicht erkennen, wer es war,<br />

da sie nur einen Fuß sah. War es etwa <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>? Sollte sie die Nächste sein? Sie wollte<br />

weglaufen, konnte aber nicht! Sie dachte jetzt nur noch an ihre Kin<strong>der</strong>. Was sollte aus ihnen werden<br />

ohne ihre Mutter? Hannah war nicht bereit zu sterben. Jetzt war in ihrem Kopf gähnende Leere. Sie<br />

zitterte vor Angst. Plötzlich sprang die Gestalt <strong>von</strong> <strong>der</strong> Treppe!<br />

Kapitel 5 – Die freche Katze<br />

Nachdem die Person wie<strong>der</strong> festen Boden unter den Füßen hatte, schlug sie zu. Die Hand landete<br />

mit einem lauten Knall an <strong>der</strong> Wand. Es war nicht <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong>, es war Paul, <strong>der</strong> eine lästige Mücke<br />

gejagt hatte. Er hatte sich so auf das Insekt konzentriert, dass er Hannah gar nicht bemerkt hatte. Als<br />

er sich umdrehte, sah er Hannah, die vor Angst kreidebleich <strong>und</strong> zitternd an <strong>der</strong> Treppe stand.<br />

„Hallo Hannah! Was ist denn?!“<br />

Hannah blieb stumm. Ihr war <strong>der</strong> Schreck so sehr in die Glie<strong>der</strong> gefahren, dass sie nicht einmal<br />

sprechen konnte.<br />

„Nun sag doch, was los ist!“<br />

Hannah nahm sich zusammen <strong>und</strong> versuchte klaren Kopf zu behalten <strong>und</strong> einen vernünftigen Satz<br />

herauszubringen. Ganz klappte das jedoch nicht, denn sie brachte immer noch nicht mehr als<br />

„Ähm“ <strong>und</strong> „Äh“ heraus.<br />

Paul wurde ungeduldig <strong>und</strong> fuhr Hannah an, denn er konnte nicht verstehen, warum sie nicht mit<br />

ihm reden wollte.<br />

„Nun sag endlich was los ist, Hannah!“<br />

Hannah wollte Paul nicht verärgern. Sie wusste, dass er sehr ungehalten werden konnte, wenn man<br />

nicht mit ihm redete. Also unternahm sie einen neuen Versuch, <strong>der</strong> schließlich einigermaßen<br />

klappte.<br />

„Ich … ich habe … geglaubt du wärst <strong>der</strong> Mör<strong>der</strong> ... <strong>und</strong> willst mich umbringen!“<br />

Hannahs Sprache kam langsam wie<strong>der</strong> zurück. Nun verschwand auch Pauls Ungeduld <strong>und</strong> in<br />

seinem Gesicht war ein kleines Lächeln zu sehen.<br />

„Aber Hannah. Glaubst du wirklich, dass hier bei verschlossener Tür jemand herein kann, den<br />

ich nicht persönlich rein lasse?“<br />

„Das ist es ja Paul! Deine Tür war nur angelehnt. Da hätte ja je<strong>der</strong> rein <strong>und</strong> raus spazieren<br />

können.“<br />

„Das kann aber nicht sein! Ich habe die Tür zugemacht.“<br />

Plötzlich ertönte im ersten Stock ein Geräusch. Beide sahen zur Treppe hinauf <strong>und</strong> warfen sich dann<br />

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fragende Blicke zu. War doch jemand im Haus? Das konnte doch nicht sein, o<strong>der</strong>? Paul deutete<br />

Hannah ihm zu folgen <strong>und</strong> schlich vorsichtig die Treppe hinauf. Im zweiten Stock konnte er<br />

niemanden entdecken. Doch als wie<strong>der</strong>holt ein Geräusch zu hören war, glaubte Paul ein leises<br />

„Miauen“ zu hören <strong>und</strong> dann sah er auch schon etwas an <strong>der</strong> Schlafzimmertür vorbeihuschen. Da<br />

wusste Paul, wer die ganze Aufregung verursacht hatte. Es war Minka, die Nachbarskatze, die sich<br />

immer, wenn Paul die Haustüre nicht versperrte, Zutritt verschaffte.<br />

„Ist alles in Ordnung! Es ist nur die Nachbarskatze, die mich immer besuchen kommt.“<br />

Da war Hannah froh. Sie nahm die Katze auf den Arm. folgte Paul, <strong>der</strong> ihr einen Tee angeboten<br />

hatte, ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch. Minka machte es sich auf ihrem Schoß gemütlich<br />

<strong>und</strong> genoss Hannahs Streicheleinheiten.<br />

„Also, Paul. Was hat die Polizei Neues herausgef<strong>und</strong>en?“<br />

„Nur, dass <strong>der</strong> Täter ein Mann ist, was aufgr<strong>und</strong> <strong>von</strong> DNA-Spuren, die am Giftpfeil sicher<br />

gestellt werden konnten, ermittelt wurde. Es wird vermutet, dass die Person in <strong>der</strong> Umgebung<br />

lebt <strong>und</strong> einige Zeit im Ausland gewohnt hat o<strong>der</strong> sehr an exotischen Tierarten interessiert sein<br />

muss, da sie sich mit Pfeilgift auskennt.“<br />

„Weißt du denn, ob <strong>von</strong> deinen Gästen jemand im Ausland gelebt hat?“, erk<strong>und</strong>ige sich Hannah.<br />

„Das kann ich wirklich nicht sagen“, meinte Paul, „bei so vielen Gästen kann man unmöglich<br />

wissen, wer wann <strong>und</strong> wo gelebt hat. Aber ich habe <strong>der</strong> Polizei eine Kopie meiner Gästeliste<br />

gegeben.“<br />

Nun sprang die Katze <strong>von</strong> Hannahs Schoß. Sie hatte anscheinend genug vom Streicheln <strong>und</strong> ging<br />

zur Haustür. Da diese aber geschlossen war, versuchte die Katze zuerst Hannah <strong>und</strong> dann Paul<br />

durch lautes Miauen zu überreden ihr zu helfen. Hannah konnte das Gejammer <strong>der</strong> Katze nicht<br />

mehr ertragen <strong>und</strong> öffnete die Tür. Als sie die Kin<strong>der</strong> draußen sah fiel ihr ein, dass ihre Mutter Jonas<br />

<strong>und</strong> Suse um zwölf Uhr nach Hause bringen wollte. Da es schon beinahe Mittag war, beschloss<br />

Hannah sich zu verabschieden <strong>und</strong> machte sich auf den Heimweg.<br />

Kapitel 6 – Das Reptilienhaus<br />

Hannah hatte den ganzen Nachmittag über ihr Gespräch mit Paul nachgedacht. Die Sache mit dem<br />

Pfeilgift ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Wie sollte jemand aus <strong>der</strong> Umgebung an <strong>der</strong>artige<br />

Sachen kommen?<br />

Es war schon spät. Jonas <strong>und</strong> Suse schliefen bereits in ihren Zimmern. Auch Hannah hatte sich zu<br />

Bett gelegt. Durch die geschlossenen Vorhänge leuchtete das Licht des Vollmondes. Es dauerte<br />

lange, bis Hannah endlich einschlafen konnte. Zu sehr hatten sie die vergangenen Ereignisse<br />

mitgenommen.<br />

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Am nächsten Morgen fuhren Officer Ham <strong>und</strong> Officer Burger erneut zu Paul. Bei <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong><br />

Gäste war mehrfach erwähnt worden, dass es Probleme in Pauls Firma gegeben hatte. Paul<br />

bestätigte, dass die Wirtschaftskrise auch an seiner Firma nicht spurlos vorbeigegangen war. Vor<br />

einem Jahr war ein deutlicher Einbruch <strong>der</strong> Geschäfte zu verkraften <strong>und</strong> Paul blieb keine an<strong>der</strong>e<br />

Möglichkeit als einige Mitarbeiter zu entlassen. Mittlerweile hatte sich die Lage aber wie<strong>der</strong><br />

verbessert <strong>und</strong> die Firma machte gute Umsätze. Aus diesem Gr<strong>und</strong> hatte Paul auch die Party<br />

gegeben. Außerdem wollte er die Gelegenheit nutzen, um so neue K<strong>und</strong>en zu gewinnen.<br />

Officer Ham erk<strong>und</strong>igte sich, ob Paul auch seine damals entlassenen Angestellten zur Party<br />

eingeladen hatte. Paul verneinte, war aber gerne bereit mit den beiden Polizisten noch einmal die<br />

Gästeliste durchzusehen. Dabei fiel Paul <strong>der</strong> Name des Mannes auf, <strong>der</strong> bei <strong>der</strong> Party verschw<strong>und</strong>en<br />

war. Kai Frankhuber war Angestellter in Pauls Firma <strong>und</strong> wäre damals beinahe auch <strong>von</strong> einer<br />

Entlassung betroffen gewesen. Da es mit <strong>der</strong> Firma nun aber wie<strong>der</strong> bergauf ging, war Paul <strong>der</strong><br />

Meinung, dass Kai diese Sache vergessen hatte. Außerdem verstand er nicht, was das mit dem Mord<br />

zu tun haben könnte. Warum sollte Kai deshalb seinen Kollegen töten?<br />

„War <strong>der</strong> Mann schon einmal im Ausland?“, erk<strong>und</strong>igte sich Officer Ham.<br />

„Kai reist oft ins Ausland, vor allem in die Tropen. Er liebt es außerdem, Giftschlangen,<br />

Frösche <strong>und</strong> an<strong>der</strong>e exotische Tiere zu halten.“<br />

Jetzt wurde Ham so einiges klar <strong>und</strong> er verabschiedete sich <strong>von</strong> Paul. Als er draußen vor <strong>der</strong> Tür<br />

stand, rief er den Polizeichef wegen eines Durchsuchungsbefehls an. Er hatte den dringenden<br />

Verdacht, dass Kai etwas mit <strong>der</strong> Sache zu tun hatte. Gemeinsam mit Burger fuhr er zu Kais Haus.<br />

Burger verstand nicht so recht, wieso Ham Kai in Verdacht hatte. Auf seine Nachfrage erhielt er<br />

aber keine Antwort.<br />

Ham hielt vor Kais Haus <strong>und</strong> läutete. Als niemand öffnete, verschaffte er sich Zutritt <strong>und</strong> war<br />

überrascht darüber, was er zu sehen bekam. Bereits im Flur standen Terrarien mit exotischen<br />

Kleintieren. Das ganze Haus war voll mit Schlangen, Fröschen <strong>und</strong> an<strong>der</strong>em Getier. Mit einer<br />

<strong>der</strong>artigen Menge an Reptilien hatte Ham nicht gerechnet. Kai war nirgendwo zu finden. Dieses<br />

Mal dachte Burger endlich einmal mit.<br />

„Wahrscheinlich will er flüchten!“<br />

Ham war klar, dass Burger recht hatte <strong>und</strong> ließ sofort die Flughäfen, Bahnhöfe <strong>und</strong> alle Straßen, die<br />

aus <strong>der</strong> Stadt führten, überwachen.<br />

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Kapitel 7 – Der Mör<strong>der</strong> wird gefasst<br />

Inzwischen war es Mittag <strong>und</strong> Hannah beschloss, in <strong>der</strong> Mittagspause mit Paul zu reden. Die Kin<strong>der</strong><br />

wollten heute bei ihrer Mutter zu Mittag essen <strong>und</strong> Hannah nutzte die Zeit, um sich mit Paul in<br />

einem Kaffeehaus zu treffen.<br />

„Ich musste die ganze Zeit über dieses Pfeilgift nachdenken. Ich kann mir nicht erklären, wie<br />

jemand, <strong>der</strong> hier wohnt, an dieses Gift kommen soll?“<br />

„Die Polizei war heute Morgen noch einmal bei mir“, berichtete Paul, „Sie verdächtigen einen<br />

meiner Angestellten.“<br />

„Ach Paul, das ist alles so schrecklich. Sag mir doch bitte, sobald du etwas Neues weißt.“<br />

Die Zeit verging sehr schnell <strong>und</strong> Hannah musste wie<strong>der</strong> zur Arbeit. Auch Paul wollte in seine<br />

Firma, um nach dem Rechten zu sehen.<br />

Officer Ham <strong>und</strong> Officer Burger waren in <strong>der</strong> Zwischenzeit <strong>von</strong> ihren Kollegen informiert worden,<br />

dass Kai auf dem Weg zum Flughafen war. Ham <strong>und</strong> Burger fuhren sogleich los. Als sie dort<br />

angelangt waren, war das Flugzeug bereits auf <strong>der</strong> Rollbahn. Ham zeigte <strong>der</strong> Dame am<br />

Informationsstand seine Dienstmarke <strong>und</strong> bat sie, die Maschine zu stoppen. Ham <strong>und</strong> Burger<br />

beeilten sich, zum Flugzeug zu kommen.<br />

Als Kai die Polizisten sah, wollte er flüchten. Das verriet ihn, <strong>und</strong> Ham brauchte nicht lange zu<br />

suchen. Kai wurde festgenommen <strong>und</strong> gestand, dass er eigentlich Paul treffen wollte. Er gab Paul<br />

die Schuld am Tod seines besten Fre<strong>und</strong>es. Dieser war damals entlassen worden <strong>und</strong> war auf dem<br />

Heimweg tödlich verunglückt. Die Kündigung musste ihm so stark zugesetzt haben, dass er den<br />

entgegenkommenden LKW übersehen hatte. Den Pfeilgiftfrosch, <strong>von</strong> dem das Gift stammte, hatte<br />

Kai bei seiner letzten Reise in seinem Koffer ins Land geschmuggelt.<br />

Ham beschloss, Paul über den Ausgang <strong>der</strong> Ermittlungen zu informieren <strong>und</strong> machte sich auf dem<br />

Weg zu seinem Haus. Auch Hannah war gerade bei Paul angekommen, da Paul ihr erzählt hatte,<br />

dass Officer Ham noch vorbeikommen wollte. Ham berichtete, dass Kai noch geschnappt wurde,<br />

bevor er nach Brasilien flüchten konnte. Paul war sehr bestürzt über Kais Motiv <strong>und</strong> seine<br />

eigentlichen Absichten. Hannah bemühte sich sehr, ihrem Fre<strong>und</strong> beizustehen. Sie war froh, dass<br />

<strong>der</strong> Täter gefasst werden konnte, machte sich aber auch Sorgen um Paul, <strong>der</strong> ja gerade einem<br />

Anschlag entkommen war.<br />

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