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PDF - LERNEN lernen - die Zeitschrift

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lebensqualität <strong>die</strong> <strong>Zeitschrift</strong> für KinaestheticsEin Kooperationsprodukt von:Kinaesthetics Deutschland, Kinaesthetics Italien, Kinaesthetics Österreich, Kinaesthetics Schweiz,European Kinaesthetics Association, Stiftung Lebensqualität.Herausgeber: Stiftung Lebensqualität, Nordring 20, CH-8854 Siebnen.www.zeitschriftlq.comwww.kinaesthetics.netAuf der Suche nach einer Struktur meines Lernens<strong>LERNEN</strong> <strong>lernen</strong>Andreas Kösslerjonglierte imRahmen seinerAusbildung zumKinaesthetics-Trainer Stufe 3 mitFeuerbällen unddokumentierte<strong>die</strong>sen Bewegungs-Lernprozess.Übungspoi aus sehrweichen PU-Softbällenzum gefahrlosen Übender Bewegungen.Meine Ausbildung zum Kinaesthetics-Trainer Stufe3 Pflege von Mai 2008 bis Juni 2009 enthielt dasProjekt „Eigenes Bewegungs<strong>lernen</strong>“. Der Auftraglautete, sich mit der eigenen Bewegungskompetenzund dem eigenen Lernen in einem selbst gewähltenKontext auseinanderzusetzen. In <strong>die</strong>semArtikel dokumentiere ich <strong>die</strong> Erfahrungen in Bezugauf mein Bewegungs<strong>lernen</strong>. Am Ende stelleich <strong>die</strong> Struktur meines Lernprozesses dar, um zu<strong>lernen</strong>, wie ich lerne.Poi – Spiel mit den Feuerbällen. Vor einigenJahren erlebte ich am Strand von Koh Phi Phijeden Abend Vorführungen mit den Feuerpoi. Ichwar total fasziniert davon. Darum habe ich michentschieden, Poischwingen zu er<strong>lernen</strong>. Poi habenihren Ursprung bei den Maori in Neuseeland undsind etwa tausend Jahre alt (Poi = Ball). Der Ur-Poiwar ein Ritual der Frauen, um <strong>die</strong> auf Brautschaubefindlichen Männer mit ihrem Reaktions- undKoordinationsvermögen zu beeindrucken. Der Poientwickelte sich aber ständig weiter und ist nun einSpiel für alle geworden.Erste Lernschritte. Begonnen habe ich sechsWochen vor dem Abschlusstag der Ausbildung. DieZielformulierung mit einem zeitlichen Rahmen hatmich in meinem Lernen unterstützt. Genau zu wissen,was ich <strong>lernen</strong> möchte, war der Motor meinesLernprozesses. Da für mich Kontinuität wichtig war,habe ich eine tägliche Übungszeit von mindestenszehn Minuten festgelegt. Der nächste Schritt warnun, herauszufinden, wie ich <strong>die</strong>se verschiedenenBewegungsabläufe mit den Poi <strong>lernen</strong> kann. Nachmeinen Recherchen bin ich auf mehrere Möglichkeitengestoßen. Zum Beispiel gab es Beschreibungenzu den Bewegungen der verschiedenenFiguren. Dies aber so zu <strong>lernen</strong>, erschien mir unmöglich.Ich habe mir ein Lehrvideo besorgt, in demein Trainer nacheinander <strong>die</strong> zwölf Grundfiguren invielen Einzelschritten zeigt. Nach der Einstellung derSchnurlänge und dem Herausfinden der richtigenFinger für <strong>die</strong> Schlaufen konnte das Üben beginnen.Die erste Aufgabe war es nun, <strong>die</strong> Poi gleichzeitig undparallel zum Körper zu schwingen. Ist <strong>die</strong>s geschafft,können auch gleich <strong>die</strong> ersten Figuren folgen. Dochist es wichtig, erst dann weiterzumachen, wenn dasSchwingen der einzelnen Figuren gut funktioniert.Innen-Perspektive. Bei <strong>die</strong>sen Lernschrittenhabe ich auf mich und meine Bewegungen geachtet.Sobald ich mich zum Beispiel auf <strong>die</strong> Bewegungsrichtungdes Trainers oder der Poi konzentrierte,haben <strong>die</strong>se ihre Laufbahn geändert. Ich musste alsoimmer wieder mit geschlossenen Augen über meineMuskelspannung im Oberarm merken, in welcherPosition sich <strong>die</strong> Poi befinden. Um das in meinemKörper erfahren zu können, musste ich viele Bewegungsabläufe,wie zum Beispiel <strong>die</strong> Poi parallel nachhinten schwingen, sehr oft wiederholen.Mein kinästhetischer Sinn wurde somit immerwieder aufs Neue gefordert. Bei den Übungen istmir aufgefallen, dass mein linker Arm schneller an18 praxislebensqualität 04/2010


Wie in jeder Sportart gibtes auch hier spezielleNamen für Bewegungsabläufe:Diese Figurheißt„Forwards Weave“.Die Lerntheorienach Batesonseine Grenzen stößt. Zum einen in puncto Kraft,aber auch in der Koordination vieler Bewegungenwar meine linke Seite immer schwächer. Da ichRechtshänder bin, habe ich versucht, meine linkeHand mehr in meinen Alltag zu integrieren, vomEssen angefangen bis hin zum Zähneputzen.Zeitfaktor. Ich setzte mir eine zeitliche Grenzeder Übungseinheiten. Wenn nach einer Stundegar nichts mehr gelingen wollte, war eine längerePause erforderlich. Nach sechs Wochen intensivenTrainings wurde mein Handling mit den Poi immersicherer und ich konnte nun acht verschiedeneFiguren miteinander verknüpfen. Einer kleinenchoreografischen Darbietung am Abschlusstag derAusbildung stand nun nichts mehr im Wege.Muster meiner Lernprozesse (Abb. 1).Nun stellte ich mir <strong>die</strong> Frage, welche Muster oderStrukturen ich in meinem Lernprozess beobachtenkonnte. Diese Frage hat zu folgenden Antwortengeführt:a) Impuls von außenDurch <strong>die</strong> Aufgabenstellung innerhalb der Ausbildungund durch das Sehen des Bewegungsspiels>>Der Autor:Andreas Kössler istKinaesthetics-Trainer inpersonalem und professionalemBereich (s. S. 12)Gregory Bateson kategorisiert <strong>die</strong> Lernprozessein fünf hierarchisch aufeinanderaufbauende Lerntypen: Lernen null bis LernenIV, wobei sich <strong>die</strong> Lernebenen jeweils auf denLernkontext der Ebenen darunter beziehen.Lernen nullLernen als Veränderung. Die Reaktion desOrganismus auf einen Reiz aus seiner Umwelterzielt bei Wiederholung genau <strong>die</strong>selbeWirkung.Lernen ILernen ist stochastisch und basiert aufErfahrungen von Versuch und Irrtum aufder Ebene darunter.Lernen IILernen zu Lernen. Begreifen des Kontexteseiner Lernsituation.Lernen IIIDas Selbst wird irrelevant.Lernen IVOntogenese plus Polygeneselebensqualität 04/2010 praxis 19


a) Impulsvon Aussend) DokumentationLernen IIb) Lernen planen(Zielformulierung mitzeitlichen Rahmen)c) Lernschritte(Anleitung von außen undErfahrung in meinem Körper)Lernen nullLernen IAbb. 1. Lernen III und IV wurde in <strong>die</strong>ser Abbildung nicht berücksichtigt,da es beim Menschen schwierig und selten sein wird.mit den Feuerbällen wurde ich motiviert, Poischwingenzu <strong>lernen</strong>.b) Lernen planen(Zielformulierung mit zeitlichem Rahmen)Es war eine Recherche nötig, wie ich das Poischwingener<strong>lernen</strong> kann. Ich musste mich fragen,was ich bis wann können möchte und was ich dafürbereit bin, täglich an Zeit zu investieren.c) Lernschritte (Anleitung von außen undErfahrung in meinem Körper)Die Anleitungen des Trainers halfen mir, das Poischwingenin und mit meinem Körper zu erfahrenund zu verstehen. Es kam am Anfang nie zueiner Überforderung, da ich <strong>die</strong> Figuren nach denSchwierigkeitsgraden gelernt habe. Die spezielleBezeichnung der einzelnen Figuren war hilfreich,mich zu orientieren. Die Achtung auf <strong>die</strong> verschiedenenBewegungsblickpunkte hat mir immer wiedergeholfen zu merken, was ich bei mir verändernmuss. Sobald ich auf <strong>die</strong> Poi geachtet habe, alsomeinen Blickpunkt nach außen gerichtet habe,hatte ich keine Kontrolle mehr über <strong>die</strong> Poi.Bewegungsblickpunkte mit Kinaesthetics-KonzeptenSinneDer Sehsinn ermöglicht mir, aus Reizenvon außen Informationen zu generieren.Durch <strong>die</strong> Störungen von außen entsteht <strong>die</strong>Motivation für Anpassung und Lernen. DerSehsinn ist weniger hilfreich, wenn ich auf<strong>die</strong> Poi achte, weil ich dann <strong>die</strong> Kontrolleüber sie verliere.Kinästhetisches SinnessystemIch merke, wo sich wann in der linken sowie inder rechten Hand <strong>die</strong> Poi befinden. Es hat etwasmit Muskelanspannung und -entspannungzu tun; vorläufig in meiner Oberarmmuskulatur.Je nach Kraft beim Schwingen weiß ich,ob der Poi oben oder unten ist.Anspannung heißt, er ist auf dem Weg nachoben, Entspannung bedeutet, er ist auf demWeg nach unten, wenn ich <strong>die</strong> Poi nach vorneschwinge. Geht es in <strong>die</strong> andere Richtungnach hinten, dreht sich das Ganze um. Auchwirkt durch den Schwung eine Zentrifugalkraftauf mich. Die spüre ich dann zum Beispiel inmeiner Wadenmuskulatur. Ich kann aufgrundmeines Spannungsverhältnisses in der Wadenmuskulatursagen, wo <strong>die</strong> Poi sind.BewegungselementeFür <strong>die</strong> Bewegungen mit den Poi brauche ichgenügend äußeren Raum, deshalb übe ichdraußen. Anstrengung, also erhöhte Muskelkraft,behindert mich, <strong>die</strong> Poi flüssig zuschwingen. Zeit: Kontinuität durch täglichesÜben, mindestens 10 Minuten.InteraktionsformenSeries linked Tracking. Durch den Stimuluseiner anderen Person wurde ich motiviert,Poischwingen zu <strong>lernen</strong>. Jeder Mensch lerntselbst. Von außen können nur Impulse,Stabilität und eine Lernumgebung gegebenwerden.Massen und ZwischenräumeBeim linken Arm war mir nie so bewusst,dass der in Kraft, Sensibilität und Koordinationso unterentwickelt war. Durch dasPoischwingen hat sich das verändert. Vonmeinem Körpergefühl habe ich den Eindruck,mehr in <strong>die</strong> Mitte gerutscht zu sein.TransportbewegungsebenenDiese Ebenen sind bei der Bewegung der Poiwichtig. Wenn ich versuche, sie über meineMuskeln festzuhalten, dann gehen <strong>die</strong> Poiihren eigenen Weg.BewegungsmusterSpiralige Muster stehen beim Poischwingenim Vordergrund.AnstrengungDas Spannungsnetz muss immer angepasstsein. Hohe Spannung verzerrt <strong>die</strong> Bewegungender Poi.UmgebungZu Beginn habe ich mit sogenannten Übungspoiaus Schaumstoff <strong>die</strong> Bewegungsabläufegelernt, um Verletzungen zu vermeiden. AmAnfang kommt es oft vor, dass man seinenKörper trifft.Erst nachdem ich mir absolut sicher war,habe ich es mit den Feuerpoi probiert. Diesewaren anfangs eine weitere Herausforderung.Sie sind wesentlich schwerer, dasverändert den Bewegungsablauf durch höhereMuskelspannung, und das Feuer erlaubtkeine Fehler.20 praxislebensqualität 04/2010


d) DokumentationDurch <strong>die</strong> schriftliche Ausarbeitung konnte ich bessereine Struktur meines Lernprozesses erkennen.In <strong>die</strong>sem Lernprozess ist mir bewusst geworden,wie wichtig der Impuls von außen ist, um Lernenzu initiieren. Erich Blechschmidt hat <strong>die</strong>s so beschrieben:„Tatsächlich hat eine genauere Untersuchungder beim Menschen ablaufenden Differenzierungsvorgängegezeigt, dass <strong>die</strong>se nicht vomZellkern, sondern umgekehrt von der Zellgrenzmembran,d. h. von außen eingeleitet werden. Stetssind <strong>die</strong> Entwicklungsbewegungen, <strong>die</strong> vom Zellkernkommen, denjenigen, <strong>die</strong> von der Zellgrenzmembranausgehen, angepasst, also nicht frei voninnen kommenden Wirkungen“ (Blechschmidt,Seite 39). Es braucht also <strong>die</strong>sen Reiz bzw. Impulsvon außen, um Entwicklung zu ermöglichen.Gehirntraining. Poischwingen ist eine Teildisziplinder Jonglage. Wissenschafter von der UniversitätRegensburg und der Universität Jena konntenin einer Stu<strong>die</strong> nachweisen, dass sich auch Erwachsenenhirnebei entsprechendem Training nochverändern. „Dieses Ergebnis widerlegt <strong>die</strong> gängigeVorstellung, dass sich <strong>die</strong> anatomische Struktur deserwachsenen Gehirns nicht mehr verändert, es seidenn durch den Alterungsprozess oder Krankheit“(„Nature“-Publikation, Seite 311). Die Stu<strong>die</strong> belegtvielmehr, dass der Lernprozess strukturelle Veränderungenin der Gehirnrinde bewirkt.Das Erkennen meiner Lernschritte vom Planenbis hin zur Anleitung und Umsetzung der einzelnenLernschritte hilft mir nun besser zu verstehen,wie mein Lernen funktioniert. Gregory Batesonhat <strong>die</strong>ses Erkennen vom eigenen Lernmuster inseiner Lerntheorie beschrieben. Er bezeichnet <strong>die</strong>sals Lernen II: „Bei einer erneuten Lernsituationmit ähnlichem Kontext kann <strong>die</strong>se erkannt werdenund der Lernprozess der vorherigen Lernsituationauf <strong>die</strong> neue angewendet werden“ (Betz, Seite 12).Nun verstehe ich, warum manches Lernen in derVergangenheit vielleicht nicht so gut geklappt hatund wie ich zukünftige Lernprozesse strukturierenwerde. Wenn Sie das nächste Mal wieder etwas<strong>lernen</strong>, dann können Sie sich ja selbst folgende Fragestellen: Welche Struktur oder Muster nutze ichfür meinen Lernprozess?Quellen:> Blechschmidt, Erich:Wie beginnt das menschlicheLeben? Christiana-Verlag, 2002.> Draganski, B.; Gaser,C.; Busch, V.; Schuierer,G.; Bogdahn, U.;May, A.: Neuroplasticity:Changes in grey matterinduced by training. In:„Nature“-PublikationBand 427/2004.> Betz, Gregor: Lernkontexte.Die Lerntheorievon Gregory Bateson.Gedanken und Anwendungsversuche,Ruhr-Universität Bochum,2006.lebensqualität 04/2010 praxis 21

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