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S chule I G rundbildung1GRUNDBILDUNGSCHULEGewonnen!Vom Alphakurs zu BuchautorInnenVon Uta EndsinA123456789Z14 SchulabschlüsseHauptschulabschlussRealschulabschlussHochschulzulassungsprüfung16 Gebärdensprache17 Lesen und SchreibenGrund- und AufbaukurseFür langsame LernerInnenElementarbildungKurse für MigrantInnenIntegrationskurse Alphabetisierung22 Deutsch als ZweitspracheIntegrationskurseOrientierungskurseAbendkurseZusatzkurseEinbürgerungDie GewinnerInnen des Schreibwettbewerbs zusammen mit VHS-Direktor C.-H. Bösling,Fachbereichsleiterin Astrid Dinter und Kursleiterin Uta EndsinIm Herbst 2008 schrieb der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung wie jedesJahr einen neuen Schreibwettbewerb aus. Drei Fotos standen zur Auswahl, zu denen bis zumFebruar 20<strong>09</strong> eine Geschichte geschrieben werden konnte. Vier Teilnehmer meines Alpha-Kurses entschieden sich für das Bild einer blonden jungen Frau am Bahnhof und fingen mitFeuereifer an zu schreiben. Später kamen zwei weitere Teilnehmerinnen dazu.Wir hatten damals nicht im Traum daran gedacht, dass wir mit unserer Geschichte unter140 Einsen dun gen zusammen mit Duisburg und Hamburg den ersten Preis gewinnen würden!Verliehen wurde uns der Preis auf der literarischen Soireé in Berlin. Viel Spaß beim Lesen!Antworten und Gedankeneiner blonden Putzfrau»Sie wollen meinen heutigen Tagesablaufbeschrieben haben, mit möglichst vielenDetails?Nun, da gibt es nicht viel zu erzählen.Eigent lich, wie immer dienstags. Ich bin umviertel nach fünf aufgestanden, die Kaffeemaschineeingeschaltet, geduscht und dasFrühstück für die Kinder vorbereitet. MeineNachbarin Manuela versorgt die Kinderdienstags und donnerstags. Die Kinderfreuen sich auf die beiden Tage, weil sie vonManuela nach Strich und Faden verwöhntwerden. Dabei habe ich meinen Kaffeegetrunken. Um ihn in Ruhe zu trinken, bleibtkeine Zeit. Um sechs verlasse ich das Hausund gehe zum Bahnhof.Am Bahnhof war heute ein Fotograf, vielleichthat der sogar mich fotografiert. Dawar heute ziemlich viel los, weil eine MengeZüge nicht fahren konnten, das Wetter waraber auch schlimm! Ich war froh, dass Horstmich auf Handy angerufen hat, um zu fragen,ob er mich mitnehmen soll. Mir warschon ganz schwindelig von den ganzenDurchsagen im Bahnhof – ich muss allesüber das Hören machen, weil ich Problememit dem Lesen habe. Nein, es ist nicht so,dass ich gar nicht lesen kann, die Buchstabenerkenne ich schon, aber so schnell aufAnzeigetafeln und unter Druck ist haltschwie rig. Deshalb besuche ich in der Volkshochschuleeinen Kurs, ich will das können.Meine Kinder kommen nächstes Jahr in dieSchule und ich will ihnen helfen.Es ist nichts besonderes, dass Horst michmorgens anruft. Er arbeitet im Klärwerk undwenn er Nachtschicht hat, nimmt er michmit. Er wohnt in Bramsche und musste heutesogar nach Kalkriese, eine Verwandte vonihm arbeitet dort und er wollte einiges mitihr bequatschen und sollte ihr Honig mitbringen.Er ist Hobby-Imker. Wir konnten nurlangsam fahren, aber ich war pünktlich da.Nun, normalerweise ist meine Vorarbeiterinvor mir da, aber heute war ich allein.Ob ich weiß, was das für Ausstellungsstückesind und was für ein Museum. Sie denken,weil ich nicht lesen kann, wüsste ich dasnicht? Wenn man nicht lesen kann, ist mandoch nicht blöd! Das ist wie bei Blinden, diehaben ein stärkeres Gehör und Instinkte fürihre Umgebung, die haben Menschen ohne12VHS OSNABRÜCK 20<strong>09</strong> II


S chule I G rundbildungBehinderung nicht. Ich habe zum Beispielein sehr gutes Gedächtnis. Manchmal, wennich arbeite, bekomme ich Führungen durchdas Museum mit und dann merke ich mir,was da erzählt wird.Also Kalkriese ist ein Museum, das an eineSchlacht vor 2000 Jahren erinnert. KomischesWort »die Schlacht«, wenn man einTuwort daraus macht, weiß man die grauenhafteBedeutung. Ja, natürlich kann ich mehrdavon erzählen. Die Römer haben versuchtin Germanien ihre Macht zu vergrößern.Die wollten höhere Steuern von den Germanenund das hat immer Ärger gegeben. DerChef der Römer hieß Varus. Der hat voneinem Germanenkönigssohn die Nachrichtbekommen, dass sie Hilfe brauchen. Weil erden Königssohn von Rom her kannte, wollteer ihm natürlich helfen. Er, ich meine denKönigssohn der Germanen, hieß Arminius.Dieser hatte sich mit seinen Soldaten hintereinem Wall versteckt und auf die Römergewartet. Eine Falle eben.Was erwartet man auch, wenn man ein Kindklaut und ohne seine Eltern tausende Kilometer entfernt aufwachsen lässt. Der nutztdann eben seine Chance als Erwachsener zurRache.Die Germanen haben gesiegt und nach Romden Kopf von Varus geschickt. Waren ebenandere Zeiten, ist ja auch schon lange her.Das alles ist in Kalkriese, 25 Kilometer vonOsnabrück entfernt, passiert. Man hat einigesdort in der Erde gefunden. Münzen,Skelette und auch eine Maske der Römer.Gut, dann erzähle ich weiter von meinemTag.Ich habe heute hauptsächlich im Treppenhausvom Aussichtsturm geputzt. Das hatmir Frau Schultz gestern aufgetragen.Ja, da haben Sie Recht, meine Vorarbeiterinund ich, wir verstehen uns nicht so gut. Siemacht oft gemeine Bemerkungen. Neulichhat sie mir ein Reinigungsmittel vor die Nasegehalten und mit fieser Betonung gesagt,dass man es nicht auf Holz nehmen darf, obich nicht lesen kann. Nur so lange Wörtermit Chemiechinesisch liest sich niemanddurch. Diese Wörter kann man doch nichtmal sprechen.Der Job ist wichtig für mich. Ich bin endlichraus aus Hartz 4. Ja, das stimmt, die Schultzehat ein paar römische Münzen, die sie immerin der Tasche hat – als Glücksbringer, aberdie sind nicht echt. Erzählt hat sie schon,dass sie echt sind. An der Kasse kann mandie kaufen.Heute Morgen habe ich, wie die Schultzenzickemir gesagt hat, auch sofort am Aussichtsturmangefangen. War ziemlich kalt daim Treppenhaus. Da ist eine Metallfirmagerade dabei, auf der Plattform ein besseresGeländer anzubringen. Einer heißt Joachim,der ist sehr nett. Wir haben abends in einerKneipe schon mal ein Bier zusammengetrunken. Mittags treffe ich mich mit denBauarbeitern in der Gastwirtschaft auf demGelände. Sabine, die Köchin in der Restaurantküche,ist super gut. Das Essen ist so wasvon lecker. Heute war Andreas mit dabei. Erhat eine Jahreskarte für Kalkriese und gehtda immer mit seinem Rauhaardackel spazieren.Er ist Bergmann und total gutmütig. Vorder Gastwirtschaft hat er Pierro angeleint.Als wir nach der Pause rauskamen, war nurnoch die Leine da. Wir haben dann alle nachPierro gerufen und ihn im Gelände gesucht.In der Nähe vom Germanenwall haben wirein entferntes Bellen gehört. Der Hund ist inein Kaninchenloch gekrochen und steckengeblieben.Andreas ist sofort losgerannt undhat Heiko, den Museumsgärtner samt Spatenund Werkzeug geholt.Der lütte Heiko hat mit Andreas und Joachimabwechselnd gebuddelt. Die musstenmanchmal mit Pickhammer die Erde lockern.Das war ganz schön zeitaufwendig! ZumMuseum haben wir nicht gesehen. DerPierro hat irgendwann nur noch gewinselt,der war uns wichtig. Dann hat sich ein riesigerErdklumpen gelöst und gibt nicht nurden Hund, sondern auch ein mumifiziertesSkelett ohne Kopf frei. Das hatte so Metallbefestigungenwie extra breite Armreifenum die Unterarme.Dann kamen auch schon Sie mit dem Direktor.Warum der Direktor weinte und dabei»Varus, Varus, wo sind deine Münzen geblieben“geschluchzt hat, habe ich allerdingsnicht so richtig verstanden.Dann verstehe ich das natürlich. Also FrauSchultz ist auf der Treppe vom Besucherbereichausgerutscht und tödlich verunglückt.In der Kittelschürze waren Münzenaus den Ausstellungsvitrinen. An den Glaskästensind nur ihre Fingerabdrücke undnichts weiter. Sie wollten sich nur vergewissern,dass ich mit dem Diebstahl der Aus stellungsstückenichts zu tun habe. Aber jetztdarf ich gehen. Ich soll stolz sein, dass wirdas Skelett von Varus gefunden haben. Binich auch. Aber am besten ist, dass der Direktormir die Stelle von Frau Schultz gibt.Natürlich, Herr Kriminalinspektor, ich kommemorgen vorbei und unterschreibe das Protokoll!«Endlich konnte ich nach Hause. Joachim hatam Eingang auf mich gewartet, damit ichmit ihm fahren kann. Ich habe dem Kommissarnicht alles erzählt. Das hätte der nichtverstanden.Sein Schreibtisch ist so unordentlich. Akten,Papiere und benutzte Kaffeebecher aufeinander.Ich liebe Ordnung. Um mal richtigOrdnung zu schaffen, habe ich verdünnteSalzsäure und Gummihandschuhe in meinemSpind aufbewahrt. Heute Morgen habeich die Chance genutzt. Frau Schultz war jawegen des schlechten Wetters nicht da. Ichhabe mir die Schlüssel für die Glaskästengeholt. Wo die versteckt sind, hatte ichschon in meiner ersten Arbeitswoche herausgefunden.Die Münzen hatten so einengrün-blauen Belag. Im Eimer mit der Salzsäurehat es erst mal geschäumt. Ich habesie mit den Handschuhen wieder rausgefischt.Ob das wirklich Münzen waren? Ichglaub, das Museum hat sich geirrt. Gereinigtwaren das nur platte löchrige Dinger.Und echt waren auch nicht alle, weil manchesich ganz aufgelöst haben. Was noch da war,habe ich in den Kästen neu geordnet. Sahviel besser aus, hätte längst passieren müssen.Man muss ja nicht alles erzählen. Und außerdemhatte ich Gummihandschuhe an!Und das Museum hat endlich eine richtigePutzfrau, die Sauberkeit und Ordnung liebt.Die AutorInnen:Horst Barkau, Hobby-Imker, wir empfehlenbesonders seinen Rapshonig und die HonigkerzenManuela Karnop, leider keine Tagesmutter,aber wer weiß, was sie noch machtAndreas Latte, wirklich Bergmann, hat aberkeinen HundHeiko Plantholt, Hausmeister und Gärtnerund unserer SpaßvogelJoachim Pohle, Metallgießer und sofortbereit, Geschichten weiterzuspinnenSabine Thomas, Köchin, aber nicht inKalkrieseA123456789ZVHS OSNABRÜCK 20<strong>09</strong> II 13

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