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150 Jahre Wettlauf gegen die Zeit Das Buch der Bielefelder ...

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„Alarm, Alarm, es ruft <strong>die</strong> Pflicht“<br />

Dr. Michaela Kipp<br />

xxx 1934<br />

1. Ein tägliches Szenario in <strong>der</strong> Großstadt<br />

Bielefeld: Feuerwehralarm<br />

Die Signalwirkung von flackerndem<br />

Blaulicht und heulendem Martinshorn<br />

begleitet uns von Kindheit an. Aufregung<br />

stellt sich ein, wenn das große rote<br />

Feuerwehrauto vorbeiprescht. An<strong>der</strong>e<br />

Fahrzeuge müssen eine Gasse bilden,<br />

<strong>der</strong> Verkehr kommt kurzfristig zum Stillstand.<br />

Menschen halten <strong>die</strong> Luft an und<br />

ihre Augen auf. Vielleicht folgen weitere<br />

Einsatzfahrzeuge, bei denen bekannte<br />

Details wie Drehleiter und Einsatzkräfte<br />

in Schutzkleidung erkennbar werden –<br />

ein spannen<strong>der</strong> Anblick für <strong>die</strong> meisten.<br />

Der Beobachter hält eine Schrecksekunde<br />

inne, denn er weiß nun, dass irgendwo<br />

etwas Schlimmes passiert ist. Ein<br />

kurzer Moment <strong>der</strong> Aufregung zieht<br />

vorüber, dann ist <strong>der</strong> Spuk vorbei, weil<br />

das Verhängnis glücklicherweise an<strong>der</strong>norts<br />

hereingebrochen ist.<br />

Für <strong>die</strong> Feuerwehrleute aber<br />

geht <strong>der</strong> Einsatz in genau <strong>die</strong>sem Moment<br />

erst richtig los. Sie sind auf dem<br />

Weg zu eben jener Stelle, wo Alarm geschlagen<br />

wurde. Sie gehen dort hinein,<br />

wo an<strong>der</strong>e flüchten. Häufig können sie<br />

vor ihrem Eintreffen nicht erkennen,<br />

wie ernst <strong>die</strong> Lage wirklich ist. Der Puls<br />

geht hoch, während <strong>der</strong> Kopf kühl bleiben<br />

muss. Was dem Notsignal nun folgt,<br />

ist ein konzentrierter Einsatz von Mensch<br />

und Technik. Viel Übung und persönliche<br />

Einsatzbereitschaft mit einem extrem<br />

langen Atem stehen dahinter. Denn <strong>die</strong><br />

meisten jener Vorbereitungen, <strong>die</strong> nötig<br />

sind, um im Ernstfall direkt losschlagen<br />

zu können, geschehen für <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

unsichtbar hinter den Kulissen.<br />

In Gang wird <strong>die</strong>se Reaktionskette gesetzt,<br />

sobald <strong>der</strong> Alarm bei <strong>der</strong> Leitstelle<br />

eingeht. Von <strong>die</strong>ser Sekunde an beginnt<br />

bei Feuer- und Rettungseinsätzen <strong>der</strong><br />

<strong>Wettlauf</strong> mit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. Für Bielefeld wurde<br />

im Jahr 2004 im Brandschutzbedarfsplan<br />

<strong>die</strong> Zielvorgabe entwickelt, nach<br />

einem Notruf in 8 Minuten an je<strong>der</strong> Stelle<br />

<strong>der</strong> Stadt mit 10 Mann vor Ort sein zu<br />

können. Bei rund 300 hauptberuflichen<br />

Kräften wäre das aber ohne <strong>die</strong> Mithilfe<br />

<strong>der</strong> 800 aktiven Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr überhaupt nicht denkbar.<br />

Was sind das nun für Menschen, <strong>die</strong> ihre<br />

Freizeit für <strong>die</strong> Feuerwehr opfern und<br />

mögliche Gefahren dabei ‚einfach’ in<br />

Kauf nehmen? Die sich erheblicher<br />

psychologischer Belastung aussetzen,<br />

während sie auf <strong>die</strong> Toleranz ihrer Arbeitgeber<br />

und Familien bauen? Die bei<br />

Nachbarschaftseinsätzen in <strong>der</strong> ersten<br />

Reihe kämpfen, weil ihr großer Vorteil<br />

im Einsatzgeschehen <strong>gegen</strong>über den<br />

Kollegen von <strong>der</strong> Berufsfeuerwehr <strong>die</strong><br />

bessere Ortskenntnis ist? Die gerade<br />

bei Nachtalarm vollen Einsatz bringen,<br />

um Leib und Gut <strong>der</strong> schlafenden Mitmenschen<br />

<strong>gegen</strong> Schadenfeuer zu schützen?<br />

Hier folgt ein erstes Schlaglicht<br />

auf ihre Bielefel<strong>der</strong> Geschichte.<br />

2. Entwicklung <strong>der</strong> Bielefel<strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr im Überblick<br />

Am 9. Januar 1860 wurde in Bielefeld <strong>die</strong><br />

freiwillige Turnerfeuerwehr gegründet.<br />

Nachdem im Jahr zuvor viele Brände für<br />

Unruhe in <strong>der</strong> Bevölkerung gesorgt hatten,<br />

regte <strong>der</strong> spätere Geheime Kommerzienrat<br />

Delius, altge<strong>die</strong>ntes Mitglied <strong>der</strong><br />

Bielefel<strong>der</strong> Turngemeinde, <strong>die</strong> Bildung<br />

einer organisierten Feuerwehr „mit<br />

militärischer Disziplin“ im Magistrat <strong>der</strong><br />

Stadt an. Denn körperlicher Drill bildete<br />

<strong>die</strong> Voraussetzung dafür, <strong>die</strong> Spritzen<br />

eimerweise von Hand befüllen zu können,<br />

ohne zu schnell schlapp zu machen.<br />

Diese praktische Tatsache, sowie <strong>die</strong><br />

ehrenvolle Bedeutung <strong>der</strong> Löschaufgaben<br />

für das Gemeinwohl, legte <strong>die</strong><br />

Verbindung <strong>der</strong> Feuerwehrmänner zur<br />

Turnerbewegung nahe.<br />

Vorher hatten <strong>die</strong>nstverpflichtete, teilweise<br />

bezahlte Bürgerwehren und Werkfeuerwehren<br />

für Brandsicherheit in<br />

Bielefeld gesorgt, <strong>die</strong> allerdings im<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t im Zuge <strong>der</strong> Industrialisierung<br />

zunehmend nachließ. Nun setzte<br />

sich auf städtischer Ebene <strong>der</strong> Gedanke<br />

<strong>der</strong> Freiwilligkeit und Zentralisierung<br />

durch. So bezog <strong>die</strong> Turnerfeuerwehr<br />

1879 ihr Spritzenhaus in <strong>der</strong> 1860 gebauten,<br />

ersten Bielefel<strong>der</strong> Turnhalle an <strong>der</strong><br />

Turnerstraße. Die Mannschaftsstärke zu<br />

<strong>die</strong>ser <strong>Zeit</strong> betrug knapp 80 Mann. Im<br />

Jahr 1895 erhielt <strong>die</strong>se Wehr ihre erste<br />

mechanische Magirus-Leiter, <strong>die</strong> an ein<br />

Zugfahrzeug angehängt werden konnte.<br />

Sie war tatsächlich noch bis 1952 für<br />

nebengeordnete Aufgaben in Betrieb.<br />

Für <strong>die</strong> 1899 durch Ratsbeschluß<br />

eingesetzte Berufsfeuerwehr<br />

wurden vier Männer aus <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr eingestellt, <strong>die</strong> man im Keller<br />

des Alten Rathauses unterbrachte. Über<br />

<strong>der</strong> Tür prangte ein Schild mit <strong>der</strong> Aufschrift<br />

„Haupt-Feuermelde-Amt“. Städtische<br />

Einrichtungen sollten von nun an<br />

beson<strong>der</strong>en Schutz erhalten. Von 1903<br />

bis heute hat sich etwa <strong>die</strong> Brandwache<br />

im Theater erhalten, <strong>die</strong> während <strong>der</strong><br />

Aufführungen ein Auge auf den Feuerschutz<br />

hat. So konnte im Jahr 1918 eine<br />

Katastrophe vereitelt werden, weil es<br />

dem Feuerwehrmann gelang, einen um<br />

sich greifenden Brand noch während <strong>der</strong><br />

Aufführung zu löschen.<br />

Im Zuge <strong>der</strong> großen Bielefel<strong>der</strong><br />

Gebietsreform von 1973 wurden schließlich<br />

<strong>die</strong> Freiwilligen Feuerwehren des<br />

ehemaligen Landkreises <strong>der</strong> Feuerwehr<br />

Bielefeld angeschlossen und verloren<br />

damit ihren selbständigen Status. Neben<br />

den zahlreichen personellen und organisatorischen<br />

Überschneidungen in den<br />

früheren Entwicklungsphasen liegt in<br />

<strong>die</strong>ser institutionellen Zuordnung <strong>der</strong><br />

entscheidende Grund dafür, dass <strong>die</strong><br />

<strong>Zeit</strong>geschichte <strong>der</strong> Freiwilligen Feuerwehr<br />

und <strong>der</strong> Berufsfeuerwehr in Bielefeld<br />

kaum voneinan<strong>der</strong> zu trennen ist.<br />

Nicht nur deswegen empfiehlt sich zur<br />

ergänzenden Lektüre beson<strong>der</strong>s das<br />

<strong>Buch</strong> über <strong>die</strong> Bielefel<strong>der</strong> Berufsfeuerwehr<br />

von 1899 bis 1999, das <strong>der</strong> Feuerwehrkamerad<br />

Siegfried Niemann und<br />

seine Frau Britta Jünemann kenntnisreich<br />

verfasst haben.<br />

3. Festband mit Schwerpunktthemen<br />

und Gruppenfotos aller Abteilungen<br />

<strong>Das</strong> vorliegende Feuerwehrbuch will<br />

fort von <strong>der</strong> reinen Technikbegeisterung,<br />

<strong>die</strong> beim Thema Feuerwehr zwar schnell<br />

aufkommt, aber an<strong>der</strong>e interessante<br />

Zusammenhänge verdecken kann.<br />

Stattdessen soll <strong>die</strong> Gemeinschaft, das<br />

Selbstbild und <strong>die</strong> verschiedenen, historisch<br />

interessanten Phasen <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehrarbeit in Bielefeld in<br />

den letzten einhun<strong>der</strong>tfünfzig <strong>Jahre</strong>n in<br />

den Mittelpunkt gestellt werden. Es geht<br />

insgesamt darum, <strong>die</strong> gesellschaftliche<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Freiwilligen Feuerwehr<br />

für <strong>die</strong> Stadt Bielefeld aufzuzeigen, <strong>die</strong><br />

ohne <strong>die</strong>ses Ehrenamt ihren <strong>der</strong>zeitigen<br />

Löschbetrieb nicht aufrechterhalten<br />

könnte.<br />

Der Motivation ihrer Mitglie<strong>der</strong>, <strong>die</strong> –<br />

egal ob Feuerwehrmann o<strong>der</strong> Feuerwehrfrau,<br />

Gerätewart, Jugendausbil<strong>der</strong>, Feuerwehrkapellmeister<br />

o<strong>der</strong> begleiten<strong>der</strong><br />

Ehepartner – während ihrer Freizeit hart<br />

arbeiten, soll anhand einer lesbaren Institutionengeschichte<br />

nachgespürt werden,<br />

<strong>die</strong> thematische Highlights herausgreift<br />

und erläutert. Beispiele aus den<br />

verschiedenen Löschzügen illustrieren<br />

<strong>die</strong> allgemeinen Entwicklungen, während<br />

durch <strong>die</strong> Gesichter auf den Gruppenfotos<br />

ein persönlicher Bezug zu den<br />

heute aktiven Feuerwehrleuten hergestellt<br />

werden kann. So wird konkret und<br />

glaubhaft für eine Institution geworben,<br />

<strong>die</strong> dringend jungen Nachwuchs sucht.<br />

Beim Thema Jugendfeuerwehr<br />

muss nämlich symbolisch <strong>die</strong> „Alarmglocke“<br />

geläutet werden, weil allgemein<br />

merkliche Rückgänge zu konstatieren<br />

sind. In Bielefeld können <strong>die</strong> strukturellen<br />

Ausfälle bislang noch durch das<br />

Engagement <strong>der</strong> Aktiven ausgeglichen<br />

werden, <strong>der</strong>en Zusammenhalt vor dem<br />

Hintergrund solcher Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />

weiter gewachsen ist. Ihr Lohn ist das<br />

Wissen darum, unersetzliche Hilfe am<br />

Nächsten zu leisten. Denn das ausdrückliche<br />

Ziel könnte größer nicht sein: Im<br />

Erstfall ziehen <strong>die</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr aus, Menschenleben<br />

zu retten. Daher will <strong>der</strong> vorliegende<br />

Festband nicht nur das veritable Jubiläum,<br />

son<strong>der</strong>n vor allem <strong>die</strong> ehrenamtlichen<br />

Helfer aus hun<strong>der</strong>tfünfzig <strong>Jahre</strong>n<br />

Freiwilliger Feuerwehr in Bielefeld würdigen.<br />

Die Beschäftigung mit <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

stellt auch <strong>die</strong> Chance zu einer öffentlichen<br />

Standpunktbestimmung <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr dar, indem <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Tradition gesichert wird, um<br />

einen Ausgriff auf <strong>die</strong> Zukunft zu wagen.<br />

Dafür ist es unerläßlich, auf <strong>die</strong> Erfahrungen<br />

und Visionen <strong>der</strong> Gruppen vor Ort<br />

zurückzugreifen. Deswegen werden <strong>die</strong><br />

Feuerwehrchroniken und Versammlungsprotokolle<br />

als ‚internes Gedächtnis’ <strong>der</strong><br />

Löschabteilungen ausgewertet und vielfach<br />

zitiert. Ausgesuchte Interviews und<br />

Fotos aus <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Freiwilligen<br />

Feuerwehr in Bielefeld finden ebenso<br />

Eingang in <strong>die</strong> Textkomposition, wie<br />

<strong>Zeit</strong>ungsartikel, spezifisches Liedgut,<br />

Aktenmaterial und Erinnerungsberichte<br />

einzelner Beteiligter.<br />

Die Historie von rund dreißig<br />

Bielefel<strong>der</strong> Löschabteilungen über<br />

an<strong>der</strong>thalb Jahrhun<strong>der</strong>te im Einzelnen<br />

nachzuzeichnen, wäre allerdings für<br />

Wie<strong>der</strong>holungen anfällig und als chronologischer<br />

Gesamtdurchgang wenig<br />

ansprechend. Daher sollen einzelne<br />

Themenblöcke, <strong>die</strong> aus jeweils kurzen<br />

Abschnitten zusammengesetzt sind,<br />

durch den roten Faden „Alarm“ lose miteinan<strong>der</strong><br />

verwoben werden. Denn <strong>der</strong><br />

Alarm ist das Zeichen für <strong>die</strong> Feuerwehr<br />

in <strong>der</strong> Öffentlichkeit .<br />

4. Zum Auftakt: eine kurze allgemeine<br />

Geschichte des Feuerwehralarms<br />

Der historische deutsche Warnruf „Feurio,<br />

feurio!“ meldet den Ausbruch eines<br />

Brandes. Um <strong>die</strong> Stimme dabei möglichst<br />

weit hören zu lassen, geschieht <strong>die</strong><br />

Wortdehnung von „Feuer“ zu „Feurio“<br />

mit langem Umlaut am Ende. In langen<br />

Schleifen endlos wie<strong>der</strong>holt entstand so<br />

ein Klang, <strong>der</strong> dem Heulen von Sirenen<br />

erstaunlich nahe kam. Wo <strong>die</strong> Stimmkraft<br />

nicht ausreichte, <strong>die</strong>nten Sturmglocken<br />

und Wächterhörner zum allseits hörbaren<br />

Alarmschlagen; <strong>der</strong> typische Zweiklang<br />

des Martinshorns hat seinen Ursprung<br />

etwa im Jagdhorn-Signal für „Gefahr“.<br />

Für solche Feuermeldungen waren zunächst<br />

<strong>die</strong> Türmer und Nachtwächter<br />

zuständig. Noch heute ist <strong>der</strong> Warnruf<br />

„Feuer!“ nach sozialpsychologischen<br />

Untersuchungen das wirkungsvollste<br />

Signal, um seine Mitmenschen zu alarmieren.<br />

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