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2013-04 - Verband für den Sekundarbereich

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1781 | Ausgabe 4/<strong>2013</strong> | JUNI | 57. Jahrgang<strong>Verband</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Sekundarbereich</strong>10.000 Beamtegegen Rot-GrünPädagogik & Hochschul Verlag . Graf-Adolf-Straße 84 . 40210 Düsseldorf3 AufgespießtDas Schweigender Lämmer4 Im BrennpunktAbqualifiziert13 DossierBildung zwischen Steuerung undAnpassung: Menschenbilder,Reformstrategien, Akteure23 AngespitztEs hat sichausgemuttert


IMPRESSUMlehrer nrw – G 1781 –erscheint sieben Mal jährlichals Zeitschrift des‘lehrer nrw’ – <strong>Verband</strong> <strong>für</strong><strong>den</strong> <strong>Sekundarbereich</strong>Der Bezugspreis ist <strong>für</strong>Mitglieder des ‘lehrer nrw’im Mitgliedsbeitrag enthalten.Preis <strong>für</strong> Nichtmitgliederim Jahresabonnement:€ 35,– inklusive PortoINHALTFoto: SmetsHerausgeber undGeschäftsstellelehrer nrwNordrhein-Westfalen,Graf-Adolf-Straße 84,40210 Düsseldorf,Tel.: 0211 / 1 64 09 71,Fax: 0211 / 1 64 09 72,Web: www.lehrernrw.deRedaktionBrigitte Balbach,Heribert Brabeck, UlrichBrambach, Frank Görgens,Michael König, JochenSmets, DüsseldorfFörderschulen: »Inklusion fängt bei uns an« Seite 10-12Verlag undAnzeigenverwaltungPÄDAGOGIK &HOCHSCHUL VERLAG –dphv-verlagsgesellschaftmbh,Graf-Adolf-Straße 84,40210 Düsseldorf,Tel.: 0211 / 3 55 81 <strong>04</strong>,Fax: 0211 / 3 55 80 95Zur Zeit gültig:Anzeigenpreisliste Nr. 13vom 1. Oktober 2012Zuschriften undManuskripte nur anlehrer nrw,Zeitschriftenredaktion,Graf-Adolf-Straße 84,40210 DüsseldorfFür unverlangt eingesandteManuskripte kann keine Gewährübernommen wer<strong>den</strong>.Namentlich gekennzeichneteBeiträge geben die Meinungihrer Verfasser wieder.2tttlehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>AUFGESPIESSTBrigitte Balbach:Das Schweigen der Lämmer 3IM BRENNPUNKTUlrich Brambach: Abqualifiziert 4SENIORENSeeluft <strong>für</strong> lehrer nrw-Senioren 6Selbstsicherheitskurs 6Gewaltige Dimensionen 7MAGAZIN10.000 Beamte gegen Rot-Grün 8Fachleiter: Zulage erhöht, aber… 9Flucht und Migration 9TITELJochen Smets: »Inklusion fängtbei uns uns an« 10Heribert Brabeck: Hintergrund:Förderschultypen 12DOSSIERProf. Dr. Jochen Krautz: Bildungzwischen Steuerung und Anpassung:Menschenbilder, Reformstrategien,Akteure 13tttSCHULE & POLITIKBilder aus der Bierwerbung 17Interview mit Michael Heinrichsdorff,Leiter der Schule Auguststraße:»Die Förderschulen dürfen nichtweiter diskriminiert wer<strong>den</strong>« 18Referenzrahmen mit Tücken 20Frank Görgens:Gar nicht pre(ä)chtig 22ANGESPITZTJochen Smets:Es hat sich ausgemuttert 23MUNDGERECHTMichael König: Nur der ersteSchritt kostet Mühe 24ÜBER DEN TELLERRANDHeribert Brabeck:Angriffs-Aussperrungin Dänemark 26HIRNJOGGINGJutta May:Kreuzworträtsel & Sudoku 27


AUFGESPIESSTDas Schweigender LämmerQualitätsabsturz in der Lehrerausbildung in Sichtvon BRIGITTE BALBACHWenn Lämmer Gefahr wittern oderAngst bekommen, blöken sie. Wennsie sich wohl und sicher fühlen,schweigen sie. Dieses Schweigen fand einesymbolische Deutung im Buch und Film ‘DasSchweigen der Lämmer’ von Thomas Harris.Solange die Hauptermittlerin Starling <strong>den</strong>Verbrecher, Hannibal Lecter, jagt, hört sie dasBlöken der Lämmer aus ihrer Kindheit. IhrZiel ist das Schweigen der Lämmer am Ende,wenn Lecter überführt ist. Dieses Blöken derLämmer kann ich zurzeit sehr deutlich hören,und zwar in Bezug auf die Fachleiterproblematik.Wir haben in NordrheinWestfalen in<strong>den</strong> letzten Jahren ein gutes Lehrerausbildungsgesetzauf <strong>den</strong> Weg gebracht; jetztdrohen wir jedoch auf halber Strecke systemischzu ‘verhungern’. Zumutungen <strong>für</strong> FachleiterWorum geht es hier? Das MSW hat die Überarbeitungeines Runderlasses aus dem Jahr1985 zu ‘Anrechnungsstun<strong>den</strong> der Lehrkräfteals Fachleiterin oder Fachleiter an Zentren <strong>für</strong>schulpraktische Lehrerausbildung’ in der letztenWoche vorgelegt. Schon beim ersten Lesenwar man ganz fassungslos ob der zugemutetenVerschlechterungen: Verringerungder Anrechnungsstun<strong>den</strong> <strong>für</strong> Fachleiter, Herabsetzender Grundermäßigung <strong>für</strong> die Kernseminarleitung,Vergabe von Anrechnungsstun<strong>den</strong><strong>für</strong> Seminarleiter im Einvernehmenmit der Seminarkonferenz, Begrenzung derArbeitszeit <strong>für</strong> Fachleiter bis höchstens zurPflichtstun<strong>den</strong>zahl ohne gleichzeitige personelleRessourcenzuteilung.Zur Begründung versicherte die zuständigeAbteilung des MSW bei der Bekanntgabe <strong>den</strong><strong>Verband</strong>s- und Gewerkschaftsvertretern: DerLandesrechnungshof habe auf der Einhaltungdes Haushaltsgesetzes bestan<strong>den</strong>, mit einerHaushaltssanierung habe das nichts zu tun.Rechtsverstöße dulde die neue Landesregierungeben nicht, so hieß es. Allerdings habesich die Zulage <strong>für</strong> Fachleiter ja verdoppelt.Darüber hinaus habe sich die Relation bei derVergabe von Anrechnungsstun<strong>den</strong> bei derStellenzuweisung von 1:10,5 (bisher) auf1:9,9 (neu) verbessert. Ein Fernziel sei es, eineBudgetierung der Anrechnungsstun<strong>den</strong> vomZfsL vornehmen zu lassen, das ginge jedochnicht von heute auf morgen. Die Perspektivesei die Autonomie der Seminare zum Schuljahr2015/16. Die aktuelle Vorlage sei nur eineÜbergangsregelung. Was ist das:Trost oder Hohn?!Seit Jahrzehnten, genau seit 34 Jahren, wurdedie Fachleiterpauschale nicht verändert –bis heute. Von 76,69 auf jetzt 150 Euro. Dasist ja schon mal ein guter Ansatz nach unserer<strong>Verband</strong>srödelei bei der Ministerin. Aberbisher war mir noch nicht klar, dass wir diesesGeld jetzt auch noch selbst erwirtschaftenmüssen?! Und was heißt hier Übergangsregelung?!Die meisten Übergangsregelungenim Schulbereich halten sich wiePech und Schwefel im Märchen, nämlich bisin alle Ewigkeit! Passende Beispiele kennenSie sicherlich selbst.Der <strong>Sekundarbereich</strong>I ist auch deshalb besondersaufgebracht, weil über die Ungerechtigkeitbei der Wahrnehmung der Fachleiteraufgabenzwischen dem gehobenen und demhöheren Dienst das Mäntelchen der Unantastbarkeitgebreitet wird. Im <strong>Sekundarbereich</strong>IIist diese Fachleiterstelle nämlich einBeförderungsamt mit einer klaren Funktionund einer Besoldungserhöhung; bei uns hingegenwer<strong>den</strong> die Aufgaben lediglich ‘beglichen’durch einigeAnrechnungsstun<strong>den</strong>,<strong>für</strong> die manauch noch kämpfenmuss und die bei Weitemnicht ausreichen, diedurch das neue LABG anfallen<strong>den</strong>Aufgaben sinnvoll und einerqualitativ guten Lehrerausbildung angemessenerfüllen zu können. Von Fürsorgepflicht undWertschätzung keine SpurWas mutet man <strong>den</strong> Fachleitern da eigentlichzu? Sollen sie bei Erreichen ihrer Höchststun<strong>den</strong>zahlvon 41 Wochenstun<strong>den</strong> <strong>den</strong> Griffelfallen lassen und Dienst nach Vorschrift machen?Wer<strong>den</strong> Einsatzfreude und Motivationnicht mehr benötigt? Von Fürsorgepflicht undWertschätzung will ich gar nicht re<strong>den</strong>. Ichfordere von meinem Dienstherrn, dass ermich ernst nimmt! Das ist der gesellschaftlicheMindeststandard im Umgang miteinander.Daran mangelt es seit geraumer Zeit zwischender Landesregierung und ihrem öffentlichenDienst!Die Vertreter der Landesregierung im MSWräumen bezüglich der Fachleiterproblematikein, dass das hier Besprochene nicht der Königswegsei. Eine Flexibilisierung der Ressourcenkäme sicherlich zu besseren Ergebnissenund ist <strong>für</strong> die Zukunft angedacht. Das erinnertmich stark an die Diskussion um die Ressourcenzur Inklusion. Wenn ein Bedarf nichtmehr festgestellt wird, gibt es <strong>den</strong> ggf. nichtmehr. Dann lassen sich auch Ressourcen vielbesser verteilen. Auf diese Weise schafft mansich Probleme geschickt vom Hals. So könnenSeminare eigene Vergabesysteme entwickeln,was vom MSW besonders gelobt wird. Istklar: Wer Mangel gut verwaltet, eignet sich inbesonderer Weise.4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw3


AUFGESPIESSTDie Frage ist dann letztlich, wer dieseAufgabe überhaupt noch wahrnehmenmöchte? Zurzeit haben wir schon Besetzungsproblemeim Fachleiterbereich. Beiweiterem Herabschrauben der Attraktivitätkönnen Abordnungen mögliche Folgen sein.Davon spricht sogar das MSW. Es gibt darüberhinaus zu, dass es ein Fehler war, dieStellvertretungen vor Jahren abzuschaffen,so dass Leitungsaufgaben auch von Fachleiternübernommen wer<strong>den</strong> mussten, was zurweiteren Arbeitsverdichtung geführt hat.Wir Experten haben dies vor Jahren schongerügt, ohne Erfolg. Expertenmeinung giltnichts im eigenen Ministerium. Qualitätsabsturz in derLehrerausbildung drohtDas neue LABG haben wir von lehrernrw mit auf <strong>den</strong> Weg gebracht. Es gibt darinviele Ansätze, die Gutes versprechen undeinen richtigen Weg erkennen lassen. Dazugehören zum Beispiel die PersonenorientierteBeratung, die Einführung eines Kerncurriculums,die Einführung eines Eingangs- undPerspektivgesprächs oder die Einführung einesbenotungsfreien Raumes. Um dieseNeuerungen jedoch mit Leben zu füllen undihnen tatsächliche Qualität zu verschaffen,braucht es ausreichende Ressourcen, damites zu keinem Qualitätsabsturz der Lehrerausbildungin Nordrhein-Westfalen kommt.Erklärtes Ziel ist deshalb das ‘Schweigender Lämmer’ in der Lehrerausbildung. Starlingkommt im gleichnamigen Film erstdann zu Ruhe und Entspannung und damitzu ‘ihrem’ Schweigen der Lämmer, als sie<strong>den</strong> Fall Lecter aufgeklärt hat. Spannungund Wut sind ihr im Thriller Antrieb und Hinderniszugleich. Sie versucht zu lernen, mitder Wut umzugehen und sie positiv <strong>für</strong> ihrZiel zu nutzen. So müssen auch wir es machen.Wir müssen gemeinsame Anstrengungenunternehmen, um unser Ziel, die Sicherungder Qualität in der Lehrerausbildung,<strong>für</strong> unsere Schülerinnen und Schüler zu erreichen.Guter Unterricht kann nur durchgut ausgebildete Lehrer erfolgen. Da<strong>für</strong>lohnt sich jeder Einsatz! Machen Sie gleichmit! Schreiben Sie uns dazu Ihre Meinung!Abqualifiziert!Ein gigantisches Schul-Experiment in Ba<strong>den</strong>-Württemberg wirftauch ein Schlaglicht auf die aktuellen bildungspolitischen Entwicklungenin Nordrhein-Westfalen. Zwei Wissenschaftler warnendavor, <strong>den</strong> Lehrer zum Lernbegleiter abzuqualifizieren.von ULRICH BRAMBACHNeue Lernkultur, individuelle Potenzialentfaltung,selbstorganisiertesLernen, individuelle Förderung: Dassind die Schlagworte eines pädagogischenGroßversuchs, <strong>den</strong> die grün-rote Landesregierungin Ba<strong>den</strong>-Württemberg auf demRücken der Schüler durchführen will. Hiersoll die Gemeinschaftsschule anstelle vonHauptschule, Werkrealschule und Realschuleals zweite Säule neben das Gymnasiumtreten. Der Lehrer wird zum Lernbegleiterdegradiert.Die Hintergründe und die nicht vorhan<strong>den</strong>ewissenschaftliche Basis dieses Großversuchsdecken die renommierten BildungsforscherMatthias Burchardt (PädagogischeHochschule Ludwigsburg) und JochenKrautz (Alanus Hochschule, Alfter) ineinem sehr lesenswerten Gastbeitrag in derFrankfurter Allgemeinen Zeitung auf (‘NeueLernkultur im Musterländle’, Ausgabe vom10. Mai). Der Artikel ist erschreckend in seinerDiagnose und wohltuend in seiner Klarheit.Außen eine bunte Hülle,innen heiße LuftDie Verheißungen der vermeintlichneuen Lernkultur klingen hübsch,aber sie sind wenig gehaltvoll. Wider <strong>den</strong> MainstreamEndlich traut sich mal einer, eine andere Positionzu vertreten, als es der Mainstream vorgibt.Endlich vernehmen wir eine Stimme ausder Wissenschaft, die kenntnisreich und fundiertall das beim Namen nennt, was <strong>den</strong> Kolleginnenund Kollegen auch in Nordrhein-Westfalen auf <strong>den</strong> Nägeln brennt. Selber dürfensie keine Positionen nach außen vertreten,die der Ministeriumsmeinung zuwider läuft.lehrer nrw hat des Öfteren von Maulkörbenberichtet, die verhängt wur<strong>den</strong> – und wer<strong>den</strong>.Auch in Nordrhein-Westfalen zerschlagendie verantwortlichen Politiker unser gutfunktionierendes und überaus erfolgreichesSchulsystem ohne Not aus ideologischenGrün<strong>den</strong>, um daraus langfristig ein Einheitsschulsystemzu schaffen. Die Voraussetzungensind historisch günstig, <strong>den</strong>n in fast allenBundesländern ist das Schulministeriumin rot-grüner Hand. Die Ideologie ist aufdem Vormarsch!Brigitte Balbach ist Vorsitzende deslehrer nrw – <strong>Verband</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Sekundarbereich</strong>E-Mail: info@lehrernrw.de4lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


SENIORENSeeluft <strong>für</strong>lehrer nrw -SeniorenMit einer 45-köpfigen Gruppe brachen die lehrer nrw -Seniorenam 21. April zu einer viertägigen Exkursion nach Warnemündeauf. Faszinierende Ein- und Ausblicke von der Land- und Wasserseiteprägten die Fahrt.Der erste Erkundungsgang nach derAnkunft führte fast alle in kleinenGruppen durch Warnemünde mitseinen niedlichen Häusern und Gartenanlagen.Am Folgetag stand ein Besuch im Rostockauf dem Programm. Vom Parkplatzam Hafen kreuzten die Teilnehmer die LangeStraße, die zu DDR-Zeiten zur PrachtundAufmarschstraße ausgebaut wor<strong>den</strong>war. Ein weiteres Ziel war das KröpelinerTor. Die Wallanlagen, die Rostock umgaben,bil<strong>den</strong> heute einen Ruhepol am Rande derSelbstsicherheitskursEreignisreicheund informativeTage erlebtendie lehrernrw -Seniorenbei ihrer Ostsee-Tour.Fünfzehn lehrer nrw -Kolleginnen und Seminar ist leider bereits ausgebucht).Kollegen wer<strong>den</strong> am 27. August ein Das Kommissariat ‘Vorbeugung’ bietetganztägiges Selbstsicherheitsseminar bei die Veranstaltung <strong>für</strong> Personen ab fünfzigder Dortmunder Polizei besuchen (das Jahre an, die sich noch aktiv und mobilINFOEinen ersten Einblick gibt ein Video einer früheren Veranstaltung unter folgendem Link:www.wdr.de/mediathek/html/regional/2012/<strong>04</strong>/11/lokalzeit-dortmundseniorentraining.xmlInnenstadt. Entlang der alten Stadtmauerging es zum ehemaligen Kloster zum heiligenKreuz, heute ein Museum.Der Universitätsplatz, die KröpelinerStraße, der Neue Markt mit dem Rathausund seiner gotischen Backsteinfassade sowiedie Marienkirche, ein Beispiel <strong>für</strong> dienorddeutsche Backsteingotik, waren weitereStationen des Rundgangs durch die Hansestadt.Per Boot erkundete die Gruppe bei einerHafenrundfahrt die alten Werften, die neuenAnlagen des Jachthafens auf der ‘HohenDüne’, das Cruiser Terminal (zu gutdeutsch: Anleger <strong>für</strong> Kreuzfahrschiffe) undINFOAusführliche Berichteüber diese und andereExkursionen derlehrer nrw-Seniorenfin<strong>den</strong> Sie unterwww.lehrernrw.de/verband/seniorendie diversenFähranleger.Tag dreiführte die lehrernrw-Seniorenzunächstnach Stralsund.Mit dem Busging es an deralten Stadtmauerund <strong>den</strong> renovierten Stadttoren vorbeibis zum Hafen. Hier lag die echte Gorch-Fock, die von <strong>den</strong> Russen am Kriegsendegekapert wor<strong>den</strong> war, vor Anker. Stralsundstellte eindrucksvoll unter Beweis, warumes mit Wismar zum Unesco-Weltkulturerbegehört. Faszinierende Ein- und Ausblickegab es auch am folgen<strong>den</strong> Tag in Bad Doberanund Wismar.Zurück in Warnemünde erlebten die Reiseteilnehmerdas Schauspiel des Auslaufensder ‘AIDA Bella’. Konrad Dahlmannim öffentlichen Raum bewegen. Der Seminarablaufbeinhaltet theoretische Wissensvermittlungund praktische Übungen.Themen sind unter anderem: Selbstschutzgedankenstärken, Selbstsicherheitaufbauen, Opferwerdung vermei<strong>den</strong>,Sensibilisierung <strong>für</strong> bestimmte Tatbegehungsweisen,Zivilcourage – aber richtig!,Zeugen-/Helferverhalten, Handlungssicherheitim öffentlichen Nahverkehr.6lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


SENIORENGewaltigeDimensionenRiesige Hochregallagerließendie Besucherdes TextildiscountersKiK staunen.gangskontrolle in Windeseile von unzähligenGabelstaplerfahrern zum Band gefahren wer<strong>den</strong>,das die Paletten entweder unmittelbarzur weiteren Konfektionierung hin leitet oderins Hochregallager schafft.Lange Wege haben die 22 Besucher in <strong>den</strong>blitzblanken Hallen zurückzulegen, um vomWareneingang zum imposanten Hochregallagerzu kommen, in dem die Paletten wie von Geisterhandgesteuert, ein- uns aussortiert wer<strong>den</strong>.In der Kommissionierungsstraße fahren Kommissionäremit ihren Gabelstaplern an <strong>den</strong> jeweiligenStapelplätzen vor, um wieder vonHand die jeweilige Ware vom Stapel zu nehmen,sie auf die Palette zu legen, um so eineWarenlieferung <strong>für</strong> eine der über dreitausendeuropäischen Filialen zusammen zu stellen.22 lehrer nrw -Senioren informierten sichüber die Abläufe im KiK-Lager.Wer es nicht von innen gesehen hat,kann man sich die riesengroßenAusmaße des KiK-Hochregallagersin Bönen kaum vorstellen. Am 14. besichtigtendie lehrer nrw-Senioren <strong>den</strong> Lagerkomplexdes Textildiscounters.In fünf Niedriglagerhallen und einer imJahr 2007 erweiterten Hochregallagerhallesammelt KiK die zum großen Teil aus Überseeeintreffen<strong>den</strong> Wareneingänge, lagert siemeist nur <strong>für</strong> wenige Tage und konfektioniertsie dann <strong>für</strong> die Verteilung auf über dreitausendFilialen in Europa.Das Entla<strong>den</strong> der beim Wareneingang angedocktenSeecontainer geschieht zum größtenTeil von Hand. Die KiK-Mitarbeiter greifenhunderte von Paketen und verla<strong>den</strong> sieauf Paletten, die dann nach der Warenein-Werben bringtERFOLG!Anzeigenannahmeunter& 0211/35581<strong>04</strong>4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw7


MAGAZINFotos (2x): SmetsDBB-Landesvorsitzender Meinolf Guntermann erklärte in seiner Rede während der Kundgebung,dass die Beamtenschaft durch die rot-grünen Sparbeschlüsse aus dem System dersozialen Marktwirtschaft herauskatapultiert werde: »Das lassen wir uns nicht bieten!«10.000 Beamtegegen Rot-GrünRund 10.000 Beamte haben am 15. Mai in Düsseldorf gegen dieSparbeschlüsse der NRW-Landesregierung demonstriert und dierot-grüne Koalition zur 1:1-Übertragung des Tarifergebnisses <strong>für</strong>alle Beamten aufgefordert. Auch lehrer nrw war dabei.Die gemeinsame Demonstration desDeutschen Beamtenbundes, des DeutschenGewerkschaftsbundes undDeutschen Richterbundes in Nordrhein-Westfalenstand unter dem Motto: ‘Beamte sindnicht die Sparschweine der Landesregierung’.Mit Transparenten, Trommeln und Trillerpfeifensetzten sich am Nachmittag zwei Demonstrationszügezunächst getrennt in Bewegung.Die bei<strong>den</strong> Züge vereinigten sichkurz vor dem Landtag und versammeltensich dort zu einer imposanten Kundgebung.»Nach dem Willen der Landesregierungsollen 262.400 Beamte und Richter weiterezwei Jahre die schleichende, seit zehn Jahrenandauernde Enteignung hinnehmen – dieEnteignung durch Versagung des Inflationsausgleichesüber eine Gehaltserhöhung«, erklärteder DBB-Landesvorsitzende MeinolfGuntermann.Andreas Meyer-Lauber, Vorsitzender desDGB NRW, betonte, es sei alles andere alsRund 10.000 Beamte……zogen in einem gewaltigen Demonstrationsmarschdurch die Düsseldorfer Innenstadtzum Landtag. Auch lehrer nrw war dabei.sozial, <strong>den</strong> Besoldungsgruppen A11 undA12 noch nicht einmal einen Inflationsausgleichzu gewähren und die Beschäftigtenab A13 ganz leer ausgehen zu lassen. Diessei der Versuch, die Beamtenschaft in Nordrhein-Westfalenzu spalten, so der DGB-Landeschef.»Und es ist eine Mär, dass es nurdie Besserverdiener trifft. Unsere Polizistenund Lehrer, unsere Beamten in <strong>den</strong> Verwaltungen,Finanzämtern und Justizvollzugsanstaltenbekommen keineswegs Spitzengehälter.Die Landesregierung schröpft dieklassische Mittelschicht!«Dass die Kolleginnen und Kollegen in <strong>den</strong>Besoldungsgruppen A11 und A12 in <strong>den</strong>Jahren <strong>2013</strong> und 2014 eine minimale Erhöhungvon je einem Prozent bekommen,während die Besoldungsgruppe A13 leerausgeht, lässt aus Sicht von lehrer nrw ineklatanter Weise die Laufbahnunterschiedeaußer Acht. An <strong>den</strong> Schulen im <strong>Sekundarbereich</strong>I (gehobener Dienst) ist A13 <strong>für</strong> <strong>den</strong>Normal-Lehrer die Endstufe der Karriereleiter.Im <strong>Sekundarbereich</strong> II (höherer Dienst)ist A13 hingegen die Eingangsstufe. Werdort A13 hat, muss sich nicht lange grämen,weil die A14-Beförderung in der Regel nichtlange auf sich warten lässt. Im Sek I-Bereichhaben A13-Lehrkräfte diese Chance nicht.Sie bleiben dauerhaft von der Einkommensentwicklungausgeschlossen.»Die Art und Weise, wie hier Teile der Lehrerschaftvon der Einkommensentwicklungabgekoppelt wer<strong>den</strong>, ist entweder ein Belegpolitischer Ahnungslosigkeit oder ein bewussterVersuch, einen Keil in die Kollegienzu treiben«, kommentierte lehrer nrw-VorsitzendeBrigitte Balbach die Pläne der rotgrünenLandesregierung.8lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


EinpersönlichesExemplar desBüchleins‘Alltag einesFachleiters –ein Trauerspiel’übergab Brigitte Balbach(r.) im Septemberan SchulministerinSylvia Löhrmann.Offenbar hat dasWerk Nach<strong>den</strong>kenausgelöst.Fachleiter: Zulageerhöht, aber …lehrer nrw hat im vergangenen Jahr mit einerbreit angelegten Aktion auf die eklatanteGeringschätzung der Arbeit der Fachleiterhingewiesen. Die Kampagne hat offenbarWirkung gezeigt: Im Gesetzentwurf zur Anpassungder Dienst- und Versorgungsbezüge<strong>2013</strong>/14 ist eine annähernde Verdopplungder Fachleiterzulage von bisher 76,69 Euroauf 150 Euro pro Monat vorgesehen. Zur Begründungheißt es im Gesetzentwurf: »DieFachleiterzulage <strong>für</strong> Lehrkräfte in der Lehrerfortbildungin Höhe von 76,69 Euro ist in derHöhe seit über dreißig Jahren unverändertgeblieben. Hätte sie an linearen Besoldungsanpassungenteilgenommen, läge sie heutebei rund 173,00 Euro. Die Anhebung auf150,00 Euro trägt diesem Umstand Rechnung.«»Für lehrer nrw ist dies ein erster Erfolg inder Fachleiter-Problematik. Wir kämpfenschon lange <strong>für</strong> eine angemessene Honorierungder Arbeit der Fachleiter, die seit überdreißig Jahren mit einer unveränderten Zulagevon 76,69 Euro pro Monat abgespeistwer<strong>den</strong>«, erklärte <strong>Verband</strong>svorsitzende BrigitteBalbach. lehrer nrw hatte im September2012 ein Buch herausgegeben mit demTitel: »Alltag eines Fachleiters – ein Trauerspiel«.Das Büchlein ist im Stile der Reclam-Hefte gehalten. In der Publikation schilderndrei Fachleiter stellvertretend <strong>für</strong> viele Kolleginnenund Kollegen ihren Alltag – und derist geprägt von Stress, unzähligen Überstun<strong>den</strong>,fehlender Anerkennung, aber auch vonenormem Idealismus und von großer Lei<strong>den</strong>schaft<strong>für</strong> die Aufgabe, jungen Lehrern einenoptimalen Start ins Berufsleben zu ermöglichen.Das Buch ist an <strong>den</strong> Schulen und Lehrerausbildungszentrenverteilt wor<strong>den</strong>, aberauch im Landtag. Ein persönliches Exemplarübergab Brigitte Balbach an SchulministerinSylvia Löhrmann.Die Ministerin hatte seinerzeit versprochen,sich um das Thema zu kümmern. Wasdabei herausgekommen ist, erfüllt jedoch beiweitem nicht die langjährigen Erwartungender Betroffenen, und es entspricht nicht derWertigkeit der Fachleiter-Tätigkeiten. Hiermuss deutlich nachgebessert wer<strong>den</strong>. lehrernrw fordert diesbezüglich ein Funktionsamt<strong>für</strong> Fachleiter im <strong>Sekundarbereich</strong>I, das es im<strong>Sekundarbereich</strong>II-Bereich schon seit Jahrzehntengibt. Dies ist eine Frage der Gleichbehandlung.Foto: SmetsMAGAZINFlucht undMigrationDie Don Bosco Mission Bonn hatneues Unterrichtsmaterial <strong>für</strong>die Klassen 7 bis 10 zum Thema‘Flucht und Migration’ entwickelt.Die Handreichung <strong>für</strong> Lehrer richtetsich an Schülerinnen und Schülerder Klassen 7 bis 10 und trägt demUmstand Rechnung, dass mittlerweilein jeder deutschen SchulklasseKinder von Einwanderern sitzen.Schon jetzt stellen sich viele Lehrerund Schüler ihren Vorurteilen, <strong>den</strong>Fragen nach Herkunft und <strong>den</strong>Chancen von Vielfalt mit Kreativitätund Begeisterung.Anhand von sechs authentischenLebens- und Migrationsgeschichtenreflektieren die Schülerinnen undSchüler ihre eigene Lebenssituationund entwickeln Empathie <strong>für</strong> die Lagevon Flüchtlingenund Frem<strong>den</strong>.Bei der Konzeptionwur<strong>den</strong> dieLehrpläne <strong>für</strong>Geografie undPolitik berücksichtigt.Wegender lebensnahenGeschichten eignetsich dieHandreichungaber auch <strong>für</strong><strong>den</strong> DeutschundReligionsunterricht.Das Unterrichtsmaterial ist kostenlosbei der Don Bosco Mission inBonn erhältlich oder online unterwww.donboscomission.de/schule zu bestellen.4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw9


TITEL»Inklusionfängt bei uns an«Die Förderschule an der Auguststraße in Köln betreut 140 Schülerinnenund Schüler mit Störungen in der emotionalen und sozialenEntwicklung. Hier wird eine Arbeit geleistet, die auch und besondersim Inklusionsprozess unverzichtbar ist. Ein Ortstermin.Anke und Vanessa* rauschen mit nung. Neun Kinder zwischen 14 und 16 Jahrensitzen in der Klasse. Neben Simoneziemlicher Wut im Bauch in die Klasse.Es gab Stress mit einer Fachlehrerin.Beide fühlen sich ungerecht behandelt. mann die zeitweilige Doppelbesetzung <strong>für</strong>Schumann bildet Kollegin Maren Benne-Die Stunde hat eigentlich schon begonnen. die Klasse. Zwei Lehrerinnen auf zehn Schüler– an der Förderschule Auguststraße istDoch Klassenlehrerin Simone Schumannnimmt sich fünf Minuten Zeit, um <strong>den</strong> Frustpegelder äußerst impulsiven Teenager he-einem Drittel der Unterrichtszeit möglich.das zwar nicht durchgehend so, aber in rundrunterzufahren. Das klappt. Ein klärendes Die Vorteile sind offensichtlich: Die eine Kolleginleitet <strong>den</strong> Unterricht, die andere kannund vor allem ruhiges Gespräch mit derFachlehrerin wird vereinbart. Anke und Vanessasind wieder aufnahme- und arbeitsfä-oder dem Stoff schwer folgen können. »Vie-sich um Schüler kümmern, die unruhig sindhig.le unserer Schüler haben Probleme, sich zuDer Unterricht kann starten. Wirtschaft bin<strong>den</strong> oder zu öffnen«, sagt Maren Bennemann.»Sie brauchen eine Bezugsperson.steht auf dem Stun<strong>den</strong>plan. Thema heute:die Lebensmittelkennzeichnungsverord- Darum arbeiten wir mit kleinen Gruppen.« Vielfältige ProblemlagenDie Förderschule Auguststraße nimmt Kindermit Störungen in der emotionalen odersozialen Entwicklung auf. Da ist Manni (12),dessen familiäres Umfeld geprägt ist vonGewalt und Unterdrückung. Die Lehrkräfteerleben ihn als wandelndes Pulverfass. DerJunge braucht viele Angebote, die ihm helfen,seine angestauten Aggressionen so zusteuern, dass sie seinen Mitschülern undLehrern nicht scha<strong>den</strong>. Da ist Petra (14), dieüber einen langen Zeitraum von einem nahenVerwandten missbraucht wurde. DasÜberleben in dieser schlimmen Situationverbrauchte so viel Energie, dass ihr dieKraft <strong>für</strong> die allgemeine Schule ausging. Daist Tarek (11), dessen Eltern von sich selbstsagen, dass sie nicht wissen, wie man Kindererzieht. Zuhause darf er alles, bekommtkeine Grenzen gesetzt.10lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


Die Lebensmittelkennzeichnungsverordnungsteht imMittelpunkt der StundeGemeinsam erarbeiten die Schüler, welcheKennzeichnungen auf Lebensmittelverpackungensein müssen. Lehrerin MarenBennemann gibt nur gelegentlich einenDenkanstoß.Simone Schumann leitet <strong>den</strong> Unterricht, Kollegin Maren Bennemann(vorn) kümmert sich um Schüler, die unruhig sind oder dem Stoff schwerfolgen können. Die konzentrierte Arbeitsatmosphäre ist Ergebnis eineslangen Prozesses, in dem die sonderpädagogisch ausgebildeten Lehrkräfteein Gespür da<strong>für</strong> entwickeln, wie sie die Schüler ansprechen können.Fotos (2x): Smets4/<strong>2013</strong> · lehrer nrwTITELZahlreiche Schüler der Förderschule Auguststraßewachsen in problematischen Familienauf. Das äußert sich zum Beispiel inAggressivität, Angststörungen, extremer Unruheoder totaler Verschlossenheit. Es gibtaber auch viele schwierige Kinder und Jugendliche– zum Beispiel mit Autismusspektrumsstörungen–, die ein völlig normalesElternhaus haben. Gemessen daran, läuftder Unterricht in der Klasse von SimoneAuguststraße sind 27 Lehrkräfte, zwei Lehramtsanwärterinnenund eine Schulsozialarbeiterin<strong>für</strong> 140 Schülerinnen und Schüler da.»Wir arbeiten weniger mit Autorität, sondernmehr mit Bindung«, erklärt Maren Bennemann.Darum ist die Pädagogin auch skeptischhinsichtlich Inklusion – nicht was das Ziel,sondern das Tempo angeht. In einer dreißigköpfigenKlasse mit mehreren E/S-Kindern anSchumann und Maren Bennemannbemerkenswert unkom-INFOwüsste als ausgebildete Son-einer Allgemeinen Schule? »Ichpliziert und störungsfrei. Drei,vier Mal ermahnen die Lehrerinnendie Schüler bei einzelnenStörungen oder aufkommenderUnruhe, dann herrscht wiederkonzentrierte Arbeitsatmosphäre.Zwischen der Klasse und<strong>den</strong> Lehrerinnen entwickelt sichLesen Sie zu diesemThema auch das Interviewmit dem Leiterder FörderschuleAuguststraße, MichaelHeinrichsdorff, aufSeite 18.derschullehrerin nicht, wie ichdort einen reibungslosen Unterrichtsablaufgewährleistenkann. Hier kann ich es.« DasHerunterfahren von Anke undVanessa zum Beispiel hat zwarfünf Minuten Unterrichtszeitgekostet, aber da<strong>für</strong> waren dieein reges Unterrichtsgespräch. Die Schülererarbeiten gemeinsam, welche Kennzeichnungenauf Lebensmittelverpackungen seinmüssen und mit welchen Tricks die Lebensmittelindustriemitunter arbeitet.restlichen vierzig Minuten konzentriert undlernintensiv. In einer großen Klasse an einerAllgemeinen Schule fehlt es sowohl an zeitlichenwie an personellen Ressourcen <strong>für</strong>solch intensive Zuwendung. Dort hätte diegleiche Situation womöglich eine ganzeStunde gesprengt, glaubt Maren Bennemann. Empathievermögen, klareStrukturen, verlässlicheGrenzsetzungenDen Schülern mangelt es am allerwenigstenan Intelligenz oder Auffassungsgabe. Wärenda nicht die kleine Klasse und die Doppelbesetzung,könnte diese Stunde so auch an einerAllgemeinen Schule ablaufen. Dass Ruheherrscht, dass konzentriert gearbeitet wird,dass die Lehrkräfte ohne autoritären Gestusauskommen, ist allerdings keine Selbstverständlichkeit,sagt Maren Bennemann: »Dasmuss man sich erarbeiten. Das erfordert einhohes Maß an Empathievermögen und dieFähigkeit, <strong>den</strong> Schülern klare Strukturen undverlässliche Grenzsetzungen und Konsequenzenzu bieten. Ich kenne alle Schülersehr gut und weiß, wie ich sie ansprechenmuss.« Das ist das Ergebnis eines langenProzesses. Es braucht Zeit, die Schüler kennenzulernenund einzuschätzen, wie manihnen begegnen kann. Das setzt eben kleineGruppen und eine entsprechende Lehrer-Schüler-Relation voraus. An der Förderschule Affront gegenFörderschulenWenn Politiker Förderschulen als Diskriminierungsanstaltenhinstellen, empfin<strong>den</strong> MarenBennemann und viele ihrer Kollegen das alsAffront. »Es wird nicht wertgeschätzt, waswir leisten. Es gibt Kinder, <strong>für</strong> die der SchonraumFörderschule total wichtig ist.« Yannickist da nur ein Beispiel. Er kam nach einerschon nicht unkomplizierten Grundschulzeitnach dem sechsten Schuljahr von der Realschule– frustriert, gedemütigt und mit lauterSechsen auf dem Zeugnis. An der FörderschuleAuguststraße fasste er wieder Trittund Vertrauen zu sich selbst. »Wir haben ihnstark gemacht«, sagt Maren Bennemann.Nach zwei Jahren wechselte Yannick zurückauf eine andere Realschule. Dort kommt erinzwischen bestens zurecht. Im Sommer wirder seinen Abschluss machen.11


TITELGenau das ist das Ziel der Förderschulen,so die Lehrerin: »Unser Auftrag istnicht, Kinder zu verwahren, sondern sie indie Regelschule zu führen beziehungsweisezurückzuführen. Inklusion fängt bei unsan.« Ähnlich ist es auch auf der Homepageder Förderschule Auguststraße zu lesen:»Wir verstehen die Förderung unsererSchüler in unserer Schulform nicht als Ausgrenzung,sondern als ersten Schritt zur Inklusion.« 50 % schaffen Sprung andie Allgemeine SchuleDas sehen offenbar auch die Eltern so: DieFörderschule an der Auguststraße nimmtnur Schüler auf, deren Eltern das ausdrücklichwollen. Und das sind viele – so viele,dass es eine Warteliste gibt. Es hat sich herumgesprochen,dass an der FörderschuleAuguststraße etwa fünfzig Prozent der hiereingeschulten Erstklässler <strong>den</strong> Sprung andie Allgemeine Schule schaffen.Jochen SmetsLesen Sie hierzu auch das Interview auf S. 18.* alle Namen von Schülerinnen und Schülernwur<strong>den</strong> von der Redaktion geändert.Hintergrund:FörderschultypenIm Rahmen des Inklusionsprozesses sollen in einem erstenSchritt vorrangig Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungeninkludiert wer<strong>den</strong>. Dies betrifft rund siebzig Prozent allerKinder mit sonderpädagogischem Unterstützungsbedarf.2011) aus 317 Schulen mit dem FörderschwerpunktLernen/LE (früher lernbehin-von HERIBERT BRABECKdert), aus 71 Schulen mit dem FörderschwerpunktSprache und Kommunikation /Ab 1. August <strong>2013</strong> wird die Verordnungüber die sonderpädagogische SQ (früher sprachbehindert) und aus 103Förderung, <strong>den</strong> Hausunterricht und Schulen mit dem Förderschwerpunkt Emotionaleund Soziale Entwicklung/ES (früherdie Schule <strong>für</strong> Kranke (Ausbildungsordnunggemäß § 52 SchulG – AO-SF) ‘Ausbildungsordnungsonderpädagogische Förderung’ haltensauffällig). Damit sind rund siebzigerziehungsschwierig/ verhaltensgestört/ver-heißen. In ihr definieren die §§5 bis 9 zunächstdie sieben Förderschwerpunkte, <strong>für</strong> schem Unterstützungsbedarf erfasst.Prozent aller Kinder mit sonderpädagogi-die es in Nordrhein-Westfalen bisher unterschiedlicheFörderschulen gab, nämlich <strong>für</strong>: Förderschwerpunkten Sprache/SQ undWährend die Schulen bis 2011 mit <strong>den</strong>Emotionale und Soziale Entwicklung/ESE‰ Lern- und Entwicklungsstörungenzielgleich wie die Allgemeinen Schulen arbeitetenund die Rückschulung der Kinder(Förderschwerpunkte Lernen, Sprache,Emotionale und soziale Entwicklung)in das Allgemeine Schulsystem (Prinzip der‰ Geistige Behinderung (FörderschwerpunktGeistige Entwicklung)‘Durchgangsschule’) anstrebten, kommtman nun dem Wunsch von Eltern nach GemeinsamemUnterricht möglichst nach. Mit‰ Körperbehinderung (FörderschwerpunktKörperliche und motorischeder noch ausstehen<strong>den</strong> Verabschiedung desEntwicklung)9. Schulrechtsänderungsgesetzes kann das‰ Hörschädigungen (Förderschwerpunktgemeinsame Lernen von Schülerinnen undHören und Kommunikation)Schülern mit und ohne Behinderungen jetzt‰ Sehschädigungen (Förderschwerpunktzum Regelfall wer<strong>den</strong> und zwar erstmalsSehen)<strong>für</strong> Kinder, die ab dem Schuljahr 2014/2015Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungensollen zukünftig vorrangig inkludiert einer weiterführen<strong>den</strong> Schule, die Ein-die Klasse 1 einer Grundschule, die Klasse 5wer<strong>den</strong>. Sie kommen (nach Stand des Jahres gangsklasse einer gymnasialen Oberstufeoder die Eingangsklasse eines Berufskollegsbesuchen.Neben <strong>den</strong> Lern- und Entwicklungsstörungengibt es noch – zieldifferent – zwölfSchulen mit dem FörderschwerpunktSehen/SE bei Sehschädigung (früher blind,sehbehindert), 14 Schulen mit dem FörderschwerpunktHören und Kommunikation/HKbei Hörschädigung (früher taub, schwerhörig),35 Schulen mit dem FörderschwerpunktKörperliche und motorische Entwicklung/KM(früher körperbehindert) und 115 mit demFörderschwerpunkt Geistige Entwicklung/GG(früher geistig behindert).Da die Mindestgrößen <strong>für</strong> Förderschulenund Schulen <strong>für</strong> Kranke seit einer Verordnungvom 17. Oktober 1978 fest liegen, sind mindestens144 LE-Schüler nötig, um künftig alseigenständige Förderschule bestehen zukönnen. Viele Schulen sind also nach derzeitigemStand schon zu klein. Sie müssen geschlossenoder (manchmal interkommunal)zusammengelegt wer<strong>den</strong>.Die Mindestgrößen <strong>für</strong> <strong>den</strong> FörderschwerpunktSprache sind je 33 Schüler im Primarbereichund in der SekundarstufeI, <strong>für</strong> <strong>den</strong>Förderschwerpunkt Emotionale und sozialeEntwicklung je 33 Schüler in der Primarstufeund in der SekundarstufeI, <strong>für</strong> die FörderschwerpunkteHören und Kommunikation,Sehen und Körperliche und motorische Entwicklungjeweils 110 Schüler, <strong>für</strong> <strong>den</strong> FörderschwerpunktGeistige Entwicklung fünfzigSchüler, in Förderschulen im Verbund: 144Schüler, in Schulen <strong>für</strong> Kranke: zwölf Schüler,bei <strong>den</strong>en ein mindestens vierwöchiger Krankenhausaufenthaltzu erwarten ist.Heribert Brabeck ist 1. stellv. Vorsitzender des lehrer nrwund Mitglied im HPR <strong>für</strong> Lehrkräfte an Realschulen beimMSW · E-Mail: h.brabeck@grigora.de12lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


DOSSIERBildung zwischen Steuerung und Anpassung:Menschenbilder,Reformstrategien, AkteureTeil 1von Prof. Dr. JOCHEN KRAUTZDie veröffentlichte Diskussion überBildung wird seit langen Jahren vonBegriffen, Konzepten und Menschenbildernbeherrscht, die nicht der Bildungstheorieund Pädagogik entstammen, sondernbestimmten ökonomischen Theorien undPraktiken des Managements, oftmals garniertmit reformpädagogisch klingen<strong>den</strong> Formeln.Schlagworte wie Output-Orientierung, Qualitätsmanagement,Standards und Evaluationeneinerseits sowie selbstgesteuertes Lernen, individuelleFörderung und Kompetenzenorientierungandererseits beanspruchen Pädagogik neuzu definieren. Doch auch nach zehn JahrenDauerreform seit PISA wird der Bildungsstandder Schulabgänger offenbar nicht besser, sonderneher schlechter: Noch immer klagen Handwerkund Mittelstand und inzwischen auch dieGewerkschaften über mangelnde Ausbildungsreife.Was geht also vor im deutschen Bildungswesen?Wie kommt es, dass die große Zahl der Reformengegen die praktische Intelligenz derLehrerschaft und entgegen grundlegender Erkenntnisseder Erziehungswissenschaft durchgesetztwurde? Wieso wur<strong>den</strong> und wer<strong>den</strong> die tatsächlichenExperten <strong>für</strong> Bildung und Erziehungnicht nur nicht gehört, sondern systematischmarginalisiert und mit allerlei Tricks ‘auf Linie’gebracht? Und wer sind hierbei die Akteure,wenn diejenigen, die in einem demokratischverfassten Staat da<strong>für</strong> zuständig sind, nicht gehörtwer<strong>den</strong>?Die hier zu entwickelnde These ist also, dassdiese ökonomistische Logik verbun<strong>den</strong> mit bildungsromantischerSchwärmerei das Bildungswesenim Kern angreift, letztlich seine pädagogischeEigengesetzlichkeit zerstört und damitKultur, Demokratie und eben auch der Wirtschaftschadet, um die es angeblich geht. 1. Was ist Bildung?Bildung vollzieht sich im interpersonalen Bezug,in der gemeinsamen Aufmerksamkeit von Lehren<strong>den</strong>und Lernen<strong>den</strong> auf eine gemeinsame FremdgesteuertIm Zuge der Ökonomisierungder Bildungwer<strong>den</strong> Schüler (undSchulen) faktisch durchvon außen gesetzteKompetenzraster undBenchmarks indirektgesteuert. Nun wirdnicht mehr nach Grundund Sinn gefragt, sondernnach Zielerfüllung.Mit anzustrebenderSelbstständigkeit imDenken hat dies nichtszu tun.Foto: Fotolia/dimj4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw13


DOSSIERSache: Bildung basiert auf Beziehung. 1 Eine nichtpersonaleBildung ist insofern eigentlich nicht<strong>den</strong>kbar, weshalb auch alle Versuche, Lehrer durchTechnik zu ersetzen (heute Computer, früherSprachlabore, davor das Schulfernsehen, derSchulfunk etc.) immer gescheitert sind und weiterscheitern wer<strong>den</strong>: Sie widersprechen der Sozial-Natur des Menschen und der interpersonalen Verankerungdes Lernens. Lernen geschieht in der gemeinsamenAufmerksamkeit auf ein Drittes. 2 Insofernwidersprechen vermeintlich fortschrittlicheMetho<strong>den</strong>, in <strong>den</strong>en Lehrer sich als ‘Moderatorenselbst gesteuerter Lernprozesse’ oder ‘Lerncoaches’verstehen sollen, dem Wunsch nach unddem Recht des jungen Menschen auf ein Lernen inBeziehung. Das weiß die Pädagogik seit Jahrhunderten,und auch die Neurobiologie kommt zudem gleichen Ergebnis: »Alles schulische Lernenist eingebettet in ein interaktives und dialogischesBeziehungsgeschehen.« 3 Sieben Merkmale von BildungZusammenfassend seien sieben Charakteristikavon Bildung genannt, die jeweils längerer Erörterungbedürften, jedoch auf einen gemeinsamenPunkt hinzielen und von einem bestimmten Menschenbildausgehen:(1.) Persönlichkeit und Beziehung sind unhintergehbareGrundlagen der Pädagogik. (2.) Bildungvollzieht sich im gemeinsamen Bezug eines Ichund eines Du bzw. Wir auf die Welt. (3.) Aus Subjektperspektivestellt sich Bildung als die individuelleReformulierung von Kultur dar: Kulturgüterwer<strong>den</strong> nicht ‘vermittelt’, sondern müssen in einerAnstrengung eigener, innerer Aktivität der Schülerbelebt wer<strong>den</strong>. Damit zielt Bildung (4.) auf Verantwortung.Sie antwortet auf die Welt und ihre Aufgaben:‘Verantwortung ist der Sinn von Bildung.’ 4Dazu lehrt Bildung (5.) Verstehen. Bil<strong>den</strong>d wirktdie Aneignung von Kultur nicht durch Auswendiglernen,sondern unter der Frage, welchen Sinn einPhänomen <strong>für</strong> mich und <strong>für</strong> uns alle hat. Damit ist(6.) Lernen nicht Testvorbereitung, sondern Erkennen,also eigenständiges Prüfen von Geltung: Warumist etwas richtig oder nicht? Wie ist es begründet?Insofern zielen (7.) Lernen, Üben, Wissenund Können auf ‘personale Könnerschaft’ 5 : Es geht1 Vgl. Krautz, Jochen/Schieren, Jost (Hrsg.): Persönlichkeit und Beziehungals Grundlagen der Pädagogik. Beiträge zur Pädagogik der Person.Weinheim, Basel <strong>2013</strong>2 Vgl. Tomasello, Michael: Die kulturelle Entwicklung des menschlichenDenkens. Zur Evolution der Kognition. Frankfurt/M. 20063 Bauer, Joachim: Lob der Schule. Sieben Perspektiven <strong>für</strong> Schüler,Lehrer und Eltern. Hamburg 2007, S. 144 Danner, Helmut: Kunstpädagogik in existenzieller Verantwortung.In: Krautz, Jochen (Hrsg.): Kunst, Pädagogik, Verantwortung. Zu <strong>den</strong>Grundfragen der Kunstpädagogik. Oberhausen 2010, S. 455 Wehner, Ulrich: Etwas Können – Jemand Wer<strong>den</strong>. BildungstheoretischeVermessungen zwischen Qualifikations- und I<strong>den</strong>titätstheorie. InVierteljahresschrift <strong>für</strong> wissenschaftliche Pädagogik 1/2009, S. 81-98um das Personsein-Können, nicht das Funktionieren<strong>für</strong> andere Zwecke.Bildung zielt somit auf Selbstständigkeit im Erkennenund Verstehen, auf einen kritischen Vernunftgebrauch,auf Mit<strong>den</strong>ken und Mitfühlen bei<strong>den</strong> großen und kleinen Fragen des Lebens sowiedas dazu notwendige Wissen und Können, das esermöglicht, als Mitmensch in der menschlichenGemeinschaft ein Leben zu führen, das das eigeneGlück mit dem Wohl der Allgemeinheit verbindet. 2. Person oderhomo oeconomicus?Hiermit ist in Kürze ein personales Menschenbildund ein daraus resultierendes Bildungsverständnisumrissen. Dabei gilt die Person als Prinzip undProzess: Jeder ist immer schon Person und wird esdoch zugleich im Bildungsprozess. Und diese Personist gekennzeichnet durch unveräußerbareWürde, durch Freiheit, Vernunft und Sprachlichkeit,durch Gemeinschaftsbezogenheit oder Relationalitätund daraus resultierender Verantwortung.Person ist nicht der egoistische Einzelne, derseinem Vorteil nachstrebt und andere dazu gebraucht,sondern das Sein von Personen ist wesentlichein ‘Sein-in-Beziehungen’. 6 Personales Menschenbilddes GrundgesetzesGenau dieses personale Menschenbild legt nunauch das Grundgesetz zugrunde, wie das Bundesverfassungsgerichtformuliert: »Das Menschenbilddes Grundgesetzes ist nicht das eines isoliertensouveränen Individuums; das Grundgesetz hatvielmehr die Spannung Individuum – Gemeinschaftim Sinne der Gemeinschaftsbezogenheitund Gemeinschaftsgebun<strong>den</strong>heit der Person entschie<strong>den</strong>,ohne dabei deren Eigenwert anzutasten.«7Zugleich liegt ein solches Menschenbild allenLänderverfassungen in Deutschland zugrunde, soauch in Nordrhein-Westfalen. Dort heißt es inArt.7: »Die Jugend soll erzogen wer<strong>den</strong> im Geisteder Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit,zur Duldsamkeit und zur Achtung vor derÜberzeugung des anderen, zur Verantwortung <strong>für</strong>die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen,in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaftund Frie<strong>den</strong>sgesinnung.«Welches Menschenbild und welches Bildungsverständnisliegt aber dem veröffentlichen Bildungsdiskursund großen Teilen der Bildungspolitikzugrunde?6 vgl. Fuchs, Thomas : Das Gehirn – ein Beziehungsorgan. Eine phänomenologisch-ökologischeKonzeption. Stuttgart 2008, S. 2837 Bundesverfassungsgericht 4, 7, S. 15f. Der Mensch als steuerbarerNutzenmaximiererEs ist – in der hier notwendigen Kürze gesprochen– das der modernen Wirtschaftswissenschaften,das des homo oeconomicus. 8 DiesesModell ist ein bewusst konstruiertes, reduktionistischesMenschenbild, um berechenbares ökonomischesVerhalten zu modellieren. D.h. man weiß,dass es diesen Menschen nicht real gibt, aberman benötigt das Modell, um sein Verhalten berechnenzu können. Der homo oeconomicus istdemnach Nutzenmaximierer, zieht ein ‘Mehr’ immereinem ‘Weniger’ vor. Er verhält sich also so,wie es uns Supermärkte nahelegen wollen: Mehrist besser und mehr <strong>für</strong> billiger ist noch besser.Dieses radikal egozentrische Menschenbildcharakterisiert der Wirtschaftsethiker Thielemanndaher deutlich: Der »Homo oeconomicus verletztunmittelbar und frontal das Moralprinzip, dasheißt das Prinzip der Achtung unserer Mitmenschenin ihrer Würde. Statt sie als Subjekte, die eineneigenen Kopf haben, anzuerkennen, behandelter sie als bloße Objekte seines Vorteilsstrebens.«9Damit ist dieser homunculus aber nur amMarkt Gesellschaftswesen: Durch unsere Auswahlam Markt können wir mitentschei<strong>den</strong>. Um diesenModellmenschen in seinem Verhalten berechnenzu können, wird vorausgesetzt, dass er aufgrundgegebener und unveränderbarer Präferenzen handelt.Er handelt also innerhalb eines vorgegebenenEntscheidungsraums, <strong>den</strong> er selbst nicht gestaltet,weshalb er als steuerbar gilt.Letzteres bedeutet, dass dieser Mensch überhauptnicht als bildbar gedacht wird, <strong>den</strong>n Bildungzielt ja gerade auf Veränderung, auf Selbstentwicklung.‘Bildung’ des homo oeconomicuskann daher nur ein Training bedeuten, eine Steuerungin die ‘richtige’ Richtung, die aber nicht vonihm selbst bestimmt wird, sondern von Experten,die <strong>für</strong> ihn entschei<strong>den</strong>. Hier deutet sich bereitsder Kern unseres Problems an: Während Bildungimmer auf Selbstbestimmung in Freiheit und inVerantwortung <strong>für</strong> das Gemeinwohl zielte, kannein solcher Modellmensch nur Fertigkeiten zur‘Selbststeuerung’ erwerben, die jedoch nichtSelbstständigkeit bedeutet, sondern darauf abzielt,Ziele zu erfüllen, die nicht er selbst, sondernandere ihm setzen. Die Auswirkungen diesesMenschenbildes wer<strong>den</strong> uns wieder begegnen.8 Vgl. Graupe, Silja: Die Macht ökonomischer Bildung. Das ökonomischeMenschenbild und sein Einfluss auf das Demokratieverständnis.In: Sonderheft ‘Demokratie setzt aus’ der Vierteljahresschrift <strong>für</strong> wissenschaftlichePädagogik 2012, S. 85-1129 Thielemann, Ulrich: System Error. Warum der freie Markt zu Unfreiheitführt. Bonn 2010, S. 68, 6914lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


DOSSIER Humankapital: Die Bildungdes homo oeconomicusDas Humankapitalkonzept 10 , mit dem die Bildungsökonomiearbeitet, bezieht nun das Könnenund Wissen des Menschen konsequent auf <strong>den</strong>individuellen und volkswirtschaftlichen Nutzen:»Individuelle Fähigkeiten müssen dabei wie eineForm des Kapitals« gedacht wer<strong>den</strong>, d.h. wie »einProduktionsfaktor, der wie ein Spinnrad oder eineGetreidemühle, einen Ertrag bringen« 11 , so die <strong>für</strong>die PISA-Studien verantwortliche OECD. Dabei sehenes Bildungsökonomen nicht als »unanständig,sondern schlicht notwendig, ‘Humankapital’als Produktionsfaktor zu sehen, in <strong>den</strong> umso mehrinvestiert wird, je höher die erwarteten Renditensind.« 12 Was geschieht jedoch, wenn Bildung nichtmehr hinreichende Rendite abwirft? Wird dannnicht mehr in junge Menschen ‘investiert’? Dannaber wird das Menschenrecht auf Bildung, dasdem Menschen als Menschen zukommt, ersetztdurch eine Berechnung des vordergründigen Nutzensvon Bildung, von dem dann Bildungsinvestitionenabhängig gemacht wer<strong>den</strong>.Wenn man also – mit Recht! – fragt, welcherwirtschaftliche Nutzen <strong>den</strong>n Bildung habe, ist diesnur beantwortbar in einem gemeinwohlorientiertenWirtschaftssystem, in dem die Wirtschaft demMenschen als Person, nicht der Mensch als Funktionder Wirtschaft dient. 13 Nur in einer gemeinwohlorientiertenWirtschaft ist die Bildung desEinzelnen nicht einfach ein taugliches Schmiermittel,um das System zum Vorteil einiger Wenigeram Laufen zu halten. Ökonomischer ImperialismusÖkonomismus bedeutet nun, dass diese fragwürdigenTheorien nicht mehr nur auf die Wirtschaft,wo sie Scha<strong>den</strong> genug anrichten, sondern auf alleLebensbereiche übertragen wer<strong>den</strong>. Der Erklärungs-und Steuerungsanspruch der Ökonomenwird hegemonial. ‘Ökonomischen Imperialismus’nennt dies der Nobelpreisträger <strong>für</strong> Wirtschaft,Gary Becker 14 : Nicht nur Bildung, auch das Gesundheitswesen,Religion, Kunst, Liebe und Demokratieließen sich als Formen nutzenmaximierenderWahlentscheidungen beschreiben. Und10 Vgl. Graupe, Silja: Humankapital. Wie der ökonomische Imperialismusdas Denken über Bildung bestimmt. In: Deutscher Lehrerverband(Hrsg.): Wozu Bildungsökonomie? Berlin 2012, S. 35-5011 Keeley, Brian: Humankapital. Wie Wissen unser Leben bestimmt.OECD Insights 2007, S. 31-3212 Straubhaar, Thomas: Humankapital, Devisenquelle der Zukunft. In:Daniel Dettling/ Christoph Prechtl (Hrsg.): Weißbuch Bildung. Für eindynamisches Deutschland. Wiesba<strong>den</strong> 20<strong>04</strong>, S. 2913 vgl. Ulrich, Peter: Zivilisierte Marktwirtschaft. Eine wirtschaftsethischeOrientierung. Bern 201014 Gary. S. Becker: ‚Economic Imperialism‘. In: Religion&Liberty, Vol.3, Nr. 2 (1993)DER AUTORProf. Dr. Jochen Krautz, Professor <strong>für</strong> Kunstpädagogikan der Alanus Hochschule <strong>für</strong> Kunstund Gesellschaft, Alfter, Mitglied im Beirat der‘Gesellschaft <strong>für</strong> Bildung und Wissen’(www.bildung-wissen.eu), Autor zahlreicherPublikationen zu <strong>den</strong> Hintergrün<strong>den</strong> der Bildungsreformen(unter anderem ‘Ware Bildung.Schule und Universität unter dem Diktat derÖkonomie’, 3. Aufl. 2011)diese Theorien, die erklärtermaßen mit der Realitätnichts gemein haben, schlagen durch in dieRealität, weil Ökonomen überall beanspruchen,Erklärungs- und Steuerungswissen zur Verfügungzu stellen, so bekanntlich auch im Bildungswesen. 3. Schlagworte derBildungsökonomieDie nun skizzierten bildungsökonomischenGrundprämissen prägen seit langem <strong>den</strong> veröffentlichtenDiskurs über Bildung. Die oft beliebigwirken<strong>den</strong> Schlagworte haben jedoch einen innerenZusammenhang, eine Logik, deren tiefgreifendeProblematik erst vor dem Hintergrund des jetztErörterten verständlich wird. 15So lautet die übliche Argumentation etwa derart,dass wir heute in einer ‘Wissensgesellschaft’lebten, die das ‘Ausschöpfen aller Begabungsressourcen’durch ‘lebenslanges Lernen’ notwendigmache, um ‘Humankapital’ zu bil<strong>den</strong>. Die Forderungnach ‘Bildungsgerechtigkeit’ wird von sozialdemokratischorientierten Zeitgenossen gernemissverstan<strong>den</strong>: Hier geht es nicht um soziale Gerechtigkeit,sondern um die möglichst effektiveAusschöpfung von Humankapitalreserven. Demnachhätten sich Schulen und Hochschulen durcheffektive Lerntechniken und Medieneinsatz daran15 Vgl. hierzu ausführlich: Krautz, Jochen: Ware Bildung. Schule undUniversität unter dem Diktat der Ökonomie. Kreuzlingen/München2007.zu orientieren, ‘was hinten heraus kommt’, alsoam messbaren ‘Output’, nicht an unkonkretenLeitidealen. Folgerichtig müsse Bildung an Standardsausgerichtet wer<strong>den</strong>, die dann allerdingsnicht Bildungs-, sondern Leistungsstandards sind.Diese müssen beständig überprüft, also evaluiertwer<strong>den</strong>. Qualität bemisst sich dann jedoch nichtprimär an der Beschaffenheit des ‘Produktes’(Schüler, Stu<strong>den</strong>t), sondern an der Effizienz seinerProduktion: Kostensenkung bei gleichbleibendemOutput hält so auch im Bildungswesen spürbarenEinzug. Zur Effizienzsteigerung dienen Programmedes Qualitätsmanagements, bei <strong>den</strong>en es jedochnicht etwa um die Verbesserung pädagogischerFähigkeiten von Lehrern geht, sondern umdie Implementierung außengeleiteter Steuerungsmechanismen.Das Kompetenzkonzept ist – wieich zeigen werde – hierzu das Mittel der Wahl.Ganz im Sinne der Übertragung des Marktprinzipsauf alle Lebensbereiche wird schließlich immerwieder die ‘Autonomie’ von Schulen undHochschulen gefordert, die sich in einem marktförmigenWettbewerb zu beweisen hätten.Garniert und sekundiert wer<strong>den</strong> diese Topoihäufig mit einer Mischung aus antipädagogischemVersatzstücken und konstruktivistischemMainstream. So formuliert etwa der SchweizerBildungsunternehmer Peter Fratton, ein Motor derderzeitigen Schulreform in Ba<strong>den</strong>-Württemberg‘vier pädagogische Urbitten’ des Kindes: »Bringemir nichts bei«, »erkläre mir nicht«, »erziehemich nicht« und »motiviere mich nicht«. 16 Diesevermeidlich ‘kindgemäße’ Bildungsromantik hateinen inneren Zusammenhang mit <strong>den</strong> besagtenManagementtechniken: Beides zerstört die Lehrer-Schüler-Beziehungund ersetzt Selbstständigkeitdurch ‘Selbststeuerung’. Denn Schüler (undSchulen) wer<strong>den</strong> hier faktisch durch von außengesetzte Kompetenzraster und Benchmarks indirektgesteuert. Nun wird nicht mehr nach Grundund Sinn gefragt, sondern nach Zielerfüllung. Mitanzustrebender Selbstständigkeit im Denken hatdies nichts zu tun. 4. Zum Beispiel: KompetenzVertiefen wir dies am Beispiel eines zentralenMusters der Bildungsreformen, dem Kompetenzkonzept.Das heute allgegenwärtige Schlagwortist wissenschaftlich nicht definiert und nicht definierbar.17 Bemerkenswert ist nun, dass der PsychologeFranz Weinert, auf <strong>den</strong> die meist zi- 16 Vgl. Burchardt, Matthias/Krautz, Jochen: »Neue Lernkultur« imMusterländle. Die Lehrer sollen in Ba<strong>den</strong>-Württemberg nicht mehr lehren,sondern als Lernbegleiter wirken. In: FAZ v. 10.05.<strong>2013</strong>, S. 717 Vgl. umfassend: Müller-Ruckwitt, Anne: ‘Kompetenz’ – bildungstheoretischeUntersuchungen zu einem aktuellen Begriff. Würzburg20084/<strong>2013</strong> · lehrer nrw15


DOSSIERtierte Kompetenzdefinition zurückgeht, dies selbstgenau wusste. In einem nicht öffentlichen Papier<strong>für</strong> die OECD von 1999, das <strong>den</strong> Vermerk »PleaseDo Not Cite« trägt, gesteht Weinert ausdrücklichein, dass es unmöglich sei, einen konsensfähigenKompetenzbegriff zu formulieren: »Because thescientific definitions of the concept of competenceare so heterogeneous, it is impossible toi<strong>den</strong>tify a consensually agreed core definition.« 18Anstatt das Konzept nun aufzugeben, konstruierter einen Kompetenzbegriff, weil die OECD <strong>für</strong> ihrePISA-Tests einen solchen benötigt! D.h. das Kompetenzkonstrukthat einzig das Ziel, irgendein Instrument<strong>für</strong> großflächige Schultestungen zu liefern.Es hat mit der Realität zunächst wenig zutun. Auch hier erscheint wiederum das schon von<strong>den</strong> bildungsökonomischen Theoremen bekanntePhänomen: Das Modell entspricht nur bedingt derRealität, doch wird nun die Wirklichkeit umgebaut,um dem Modell zu entsprechen. Das Modellschafft eine neue Wirklichkeit. Auch PISA hat dieKompetenzwirklichkeit erst hergestellt, die manvon Beginn an vorgab ‘objektiv’ zu messen.Weinerts dann veröffentlichte Behelfsdefinitionlautet bekanntermaßen wie folgt: »Kompetenz istdie bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbarenkognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten,um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damitverbun<strong>den</strong>en motivationalen, volitionalen und sozialenBereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungenin variablen Situationen erfolgreichund verantwortungsvoll nutzen zu können.« 1916 Kompetenz als Fremdsteuerungund AnpassungNimmt man diese ernst, unterwirft man damitauch innere Einstellungen, Wille, Motivation undSozialität dem Anspruch der Messbarkeit undSteuerbarkeit. Hierzu hält Volker La<strong>den</strong>thin treffendfest: »Eine solche Verhaltensmodifikationzielt massiv auf das, was zu schützen alle bisherigenBildungstheorien angestrebt hatten, nämlich<strong>den</strong> freien Willen und damit das Wollen desSelbst, das uns selbst bestimmt.« Denn nun solldas Selbst »motiviert sein, das zu tun, was anderewollen. So betrachtet (…) ist die Kompetenztheoriedie bisher ausgeprägteste Form der Fremdsteuerung.«2018 Weinert, Franz E.: Concepts of Competence. Definition and Selectionof Competencies: Theoretical and Conceptual Founfations (DeSe-Co). April 1999, S. 319 Weinert, Franz E.: Vergleichende Leistungsmessung in Schulen - eineumstrittene Selbstverständlichkeit.In: ders. (Hrsg.): Leistungsmessungen in Schulen. Weinheim und Basel2001, S. 27f.20 Volker La<strong>den</strong>thin: Kompetenzorientierung als Indiz pädagogischerOrientierungslosigkeit. In: Profil, Mitgliederzeitung des Deutschen Philologenverbandes,Heft 09/2011, S. 3lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>Dass dies nicht böswillige Überinterpretationist, macht die OECD selbst deutlich. Ihr zufolgesollen Schlüsselkompetenzen dazu befähigen,»sich an eine durch Wandel, Komplexität undwechselseitige Abhängigkeit gekennzeichneteWelt anzupassen.« »Welche anpassungsfähigenEigenschaften wer<strong>den</strong> benötigt, um mit demtechnologischen Wandel Schritt zu halten?« 21Kompetenzerwerb gilt als Anpassungsleistung andie gegebenen Verhältnisse. Kompetenz ist gewissermaßendie Bildungsform des homo oeconomicus,jenes steuerbaren und sich selbst im unhinterfragtenRahmen der gegebenen Umständesteuern<strong>den</strong> homunculus. Bildung im eingangserörterten Verständnis zielte jedoch noch nie aufAnpassung - im Gegenteil! Verlust der InhalteIn der Praxis zeigt sich zudem, dass die Kompetenzorientierungmit dem Verlust tatsächlichenWissens und Könnens einhergeht: Der Biologie-DidaktikerHans Peter Klein hat in mehreren Versu-chen gezeigt, dass etwa kompetenzorientierte Aufgabendes Zentralabiturs in Nordrhein-Westfalenproblemlos von unvorbereiteten Neuntklässlern zubewältigen sind. Das Geheimnis: Alle Lösungensind im Aufgabentext enthalten, man benötigt nur‘Lesekompetenz’, um sie zu fin<strong>den</strong> und abzuschreiben.Fachwissen braucht man dazu nicht. 22Das ist konsequent: Denn prinzipiell ist es <strong>für</strong>das Trainieren von ‘Lesekompetenz’ gleichgültig,ob dies an einem Goethe-Gedicht oder der Bedienungsanleitung<strong>für</strong> einen MP3-Player geschieht.Auch dieser Verlust der Inhalte hat tiefer gehendeBedeutung, worauf Robert Spaemann aufmerksammacht: Eigentlich wirken Erziehung und Bildungin der Schule niemals direkt auf <strong>den</strong> jungenMenschen ein, sondern entfalten sich in der gemeinsamenAufmerksamkeit auf Sachen, also die‘disciplinae’. Wer<strong>den</strong> die Inhalte sekundär und‘Fähigkeiten’ trainiert, droht dies zum direktenZugriff auf das Selbst des Schülers zu wer<strong>den</strong>:»Denn der Gegensatz von Selbstbestimmung undFremdbestimmung bricht erst dort auf, wo die Inhalteverschwin<strong>den</strong>, die uns miteinander verbin<strong>den</strong>.«23 Unterricht droht dann zum Trainingslager<strong>für</strong> allerlei Fähigkeiten zu wer<strong>den</strong>, die nicht mehrdurch Inhalte motiviert sind und daher durchTechniken der Selbstmotivation und Selbststeuerungersetzt wer<strong>den</strong> müssen.21 OECD: Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen. Zusammenfassung.2005, S. 9 u. 822 Vgl. Klein, Hans Peter: Nivellierung der Ansprüche. In: FAZ v.14.10.2010, S. 823 Robert Spaemann: Disziplin und das Problem der sekundären Tugen<strong>den</strong>.In: ders.: Grenzen. Stuttgart 2001, S. 258 Unternehmerisches SelbstEin solcher motivierter, anpassungsfähiger, ‘kreativer’und selbstgesteuerter Mensch ist nun genauder Arbeitnehmer, <strong>den</strong> nach US-amerikanischemMuster geführte internationale Konzerne benötigen,in <strong>den</strong>en wenig gedacht und streng nach‘Guidelines’ gearbeitet wird. So hat auch die EUschon früh gefordert, »Schule und Unternehmensollen aneinander angenähert wer<strong>den</strong>«. 24 Damitsind eben nicht sinnvolle Betriebspraktika undBerufsvorbereitung o.ä. gemeint, sondern ArbeitsundSozialformen, die in heutigen Großunternehmenüblich sind, sollen auf die Schule übertragenwer<strong>den</strong>: Arbeiten in Teams, Großraumbüros,wechseln<strong>den</strong> Gruppen und Projekten, flexiblesund zugleich anpassungsfähiges Handeln und eine‘unternehmerische’ Haltung, die die Interessendes Konzerns als die eigenen ansieht, ohne diesejedoch zu hinterfragen. ContainerbegriffWer nun einwendet: »So meinen wir Kompetenzorientierunggar nicht und das wollen wir auchnicht« und – wie auch die berühmte Klieme-Expertise- <strong>den</strong> Kompetenzbegriff schlicht als eineArt kleingerechneten Bildungsbegriff versteht, hatallerdings auch nicht unrecht. Gerade aufgrundder Unbestimmtheit und Ungeklärtheit des Kompetenzbegriffskann ein jeder mit seinen Vorstellungendaran anknüpfen. Kompetenz ist ein ‘Containerbegriff’,der Hoffnungen und Ziele unterschiedlichsterCouleur aufnimmt, von humanistischgeprägten und leistungsbezogenen Gymnasiallehrernebenso über von an <strong>den</strong> Realien undder beruflichen Wirklichkeit orientierten HauptundRealschulkollegen bis zu emanzipatorischund gesellschaftskritisch gesinnten Gesamtschulvertretern.Jeder meint, mit dem Konzept seineAbsichten und Ziele verbin<strong>den</strong> und umsetzen zukönnen. Das aber hat wohl System: Die praktischunmögliche Übersetzung des wissenschaftlich ungeklärtenKonzepts wird an die Basis der Schulenverschoben, und so bindet man je<strong>den</strong> mit seinenMeinungen und Überzeugungen ein. Eine grundsätzlicheInfragestellung des Konzept wird nahezuunmöglich, da immer irgendjemand etwas Gutesdaran zu fin<strong>den</strong> meint.24 Europäische Union: Weißbuch zur allgemeinen und beruflichen Bildung.Lehren und Lernen - Auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft. 1995INFODieser Fachbeitrag wird in der folgen<strong>den</strong> Ausgabefortgesetzt. Darin erläutert Prof. Jochen Krautz, wie esmöglich ist, dass Konzepte und Menschenbilder, dienicht der Pädagogik sondern ökonomischen Theoriezusammenhängenentstammen, derart dominant wer<strong>den</strong>,dass sich mittlerweile Bildungspolitik, Schulpraxisund große Teile der Wissenschaft danach ausrichten.


SCHULE & POLITIKBilder aus derBierwerbungLeserbrief: ‘Schule NRW’, das Amtsblatt des Ministeriums <strong>für</strong>Schule und Weiterbildung, beschäftigt sich in seiner aktuellenAusgabe mit Gesundheitsvorsorge. Unser Leser Thomas Stoltzesieht die Aufbereitung des Themas kritisch.Nimmt man das offizielle Amtsblattdes MSW vom April <strong>2013</strong>zur Hand, so sieht man auf demTitel das Strandbild ähnlich der berühmtenWerbung <strong>für</strong> ein friesisch-herbes Bier.Die Begrifflichkeiten scheinen auch ausder oben genannten Werbung zu stammen:Links unten fin<strong>den</strong> wir die Begriffe‘Hektik, Stress, Erschöpfung, Ärger’; rechtsoben die Begriffe ‘guter Schlaf, Gesundheit,Kraft gewinnen’. Es fehlt noch: Jever trinken!Blättert man nun das Amtsblatt auf, gehtes leider nicht um die Vorzüge eines (gemäßigten)Biergenusses, sondern um das ‘aktiveVorgehen gegen Erschöpfungund Stressmit Online-Gesundheitstrainings’.Im Artikel fin<strong>den</strong>sich bunte Schaubilderund ergreifende Fotos,in <strong>den</strong>en ich beispielsweiseerfahren kann, was Bausteine derRegeneration sind oder dass ‘Ärger, Enttäuschung,Scham’ negative Gefühle und ‘Zufrie<strong>den</strong>heit,Stolz und Freude’ positive Gefühlesind. Gut, das hatte ich bereits gewusst.Wenn ich unter Erschöpfung und Stressleide, empfiehlt mir nun mein <strong>für</strong>sorgepflichtigerArbeitgeber im Rahmen einerneurologischen Selbstprogrammierung einOnline-Gesundheitstraining. Das bedeutet:Gesundheitsprävention mitMitteln der Bierwerbung?Das Titelblatt von ‘Schule NRW’ hat zumindestbei einem Leser Irritationen ausgelöst.Meine negativen Gefühle sollte ichdoch bitte umdeuten lernen.Erschöpfung, Stress und die weitere Zunahmevon Erkrankungen wie Depressionen(zum Beispiel Burnout) entstehen also nichtdurch die extreme Zunahme der durch dasMSW zu verantworteten Arbeitsbelastungenwie zum Beispiel Kürzungen der Vertretungsstellen,Schulneugründungen, Schulabwicklungen,Nullrun<strong>den</strong>, Stun<strong>den</strong>deputatevon 28 Stun<strong>den</strong> in der Woche usw. Nein, dieErkrankten sind selbst schuld. Sie habensich nicht mittels eines Online-Gesundheitstrainingsneurologisch umprogrammierenlassen! Interessanterweise sorgt am Endedes Artikels das MSW selbst schon mit einerlächerlichen Karikatur <strong>für</strong> Ironie.In Anbetracht der Situation an <strong>den</strong> Schulen,der vielen erkrankten Kolleginnen undKollegen und des sehr ernsten Themas sinddas Vorhaben und der Artikel ein Schlag insGesicht der Lehrkräfte in Nordrhein-Westfalen.Liest man nun genauer auf der angegebenenInternetseite weiter, erfährtman, dass die Teilnahme im Rahmen einerwissenschaftlichen Studie <strong>für</strong> einebegrenzte Teilnehmerzahl kostenfreisei. Hinzu kommen selbstre<strong>den</strong>d wissenschaftlicheBefragungen. Es wirdauf einen hohen Zeitaufwand hingewiesen.So soll also erst in wissenschaftlichenStudien das Online-Trainingauf seine Wirksamkeit überprüftwer<strong>den</strong>!Und das ist schon einen Titelartikelin ‘Schule NRW’ wert? Hier wer<strong>den</strong>Lehrkräfte als Versuchskaninchengesucht! Zudem fragt mansich: Ist das nicht wieder eine dieser‘kostenneutralen’ Maßnahmendes Landes? Und das bei diesem so wichtigenThema! Oder verdient sogar das Landnoch an solchen Maßnahmen, in Anbetrachtdiverser privater Kooperationspartner?Hauptsache, die Lehrkräfte wer<strong>den</strong> klaglosgestellt. Frei nach dem Motto: »Wir tunja was, sprechen groß drüber; aber eigentlichseid ihr‘s ja selbst schuld.«Wenn man also Ärger und Stress vermei<strong>den</strong>möchte, so lese man bitte nicht diesenArtikel, mache bitte nicht das Online-Gesundheitstrainingmit und trinke stattdessenbesser einmal ein Bier oder zwei – und lässtsich bitte nie klaglos stellen…4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw17


SCHULE & POLITIK»Die Förderschulen dürfen nichtweiter diskriminiert wer<strong>den</strong>«Michael Heinrichsdorff ist Leiter der Schule Auguststraßein Köln, einer Förderschule mit dem Schwerpunkt emotionaleund soziale Entwicklung. Im Interview mit lehrer nrwäußert er sich über die Zukunft der Förderschulen und dieHerausforderungen des Inklusionsprozesses.lehrer nrw: Der Prozess der Inklusionder Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischemFörderbedarf indie allgemeinbil<strong>den</strong><strong>den</strong> Schulenschreitet vor. Wie nehmen Sie diesenProzess wahr, und wie bewerten Sieihn?MICHAEL HEINRICHSDORFF: Nachdemdieser Prozess am Anfang eine beängstigendeGeschwindigkeit aufgenommenhatte, bin ich inzwischen froh, dass dieentschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Akteure sich entschlossenhaben, Sorgfalt vor Geschwindigkeit waltenzu lassen. Ich sehe inzwischen vieleBeispiele sehr gelungener Inklusion, höreaber auch von Besorgnis erregen<strong>den</strong> Entwicklungen.lehrer nrw: Sie arbeiten als Schulleitereiner Förderschule mit dem Förderschwerpunktemotionale und sozialeEntwicklung der Schülerinnen undSchüler in Köln. Wie hat sich ihre Arbeitdurch <strong>den</strong> Inklusionsprozess verändert?HEINRICHSDORFF: Es scheint ein alterTraum von mir wahr zu wer<strong>den</strong>: FörderschuleEmotionale und Soziale Entwicklungals Angebotsschule.Mir war es immer wichtig, möglichst nurSchülerinnen und Schüler aufzunehmen,deren Eltern sich bewusst <strong>für</strong> unsere Schulformentschie<strong>den</strong> haben. Das ist eine derGrundlagen <strong>für</strong> eine erfolgreiche Arbeit mit<strong>den</strong> Kindern und Jugendlichen und natürlichihren Eltern. Bis zum Beginn der intensivenDebatte über Inklusion gab es auch»Ich sehe inzwischen viele Beispiele sehrgelungener Inklusion, höre aber auch vonBesorgnis erregen<strong>den</strong> Entwicklungen«, soMichael Heinrichsdorff, Leiter der SchuleAuguststraße.Zuweisungen zu unserer Schule gegen <strong>den</strong>Willen der betreffen<strong>den</strong> Eltern. Diese Einweisungengegen <strong>den</strong> Willen der Eltern wirdes in Zukunft nur noch in Ausnahmefällengeben. Entsprechend berate ich die Eltern:Die Eltern müssen wissen, dass sie über <strong>den</strong>Förderort <strong>für</strong> ihr Kind entschei<strong>den</strong>. Dasnimmt vielen Eltern von Kindern mit massivenProblemen einiges an Ängsten.Foto: SmetsAllerdings: Der Umfang meiner Beratungstätigkeithat deutlich zugenommen.Es kommen immer mehr Eltern, die in großerNot und Verzweiflung sind bezüglichder schulischen und auch außerschulischenEntwicklung ihrer Kinder. Diese Beratungbraucht Zeit, viel Einfühlungsvermögenund eine umfassende Kenntnis über dieHilfsmöglichkeiten in unserer Stadt.lehrer nrw: Das Ministerium hat sicheine Inklusionsquote von fünfzig Prozentder Schülerinnen und Schüler <strong>für</strong>das Jahr 2017 gesetzt. Wie bewertenSie diese Zahl?HEINRICHSDORFF: Für 2017 ist das einesehr ambitionierte Zahl. Es wäre aberschade, <strong>den</strong> Erfolg der Inklusionsbemühungenvon einer solchen Zahl abhängig zumachen. Die Entscheidung über <strong>den</strong> angemessenenFörderort <strong>für</strong> ein Kind mit sonderpädagogischemFörderbedarf sollte eineindividuelle Entscheidung <strong>für</strong> das einzelneKind sein und nicht auf einem ideologischenHintergrund getroffen wer<strong>den</strong>.Den Erfolg der Inklusion müssen wir daranfest machen, ob wir <strong>für</strong> das einzelne Kinddie richtige Entscheidung bezüglich desFörderortes getroffen haben.lehrer nrw: Welche Rolle/Arbeitsschwerpunktesehen Sie in der Zukunft<strong>für</strong> die Förderschulen?HEINRICHSDORFF: Das hängt im Wesentlichendavon ab, welche Rolle das Schulministeriumihnen zuschreiben wird. Wennich mir das wünsche könnte, sähe ich <strong>für</strong>Köln zwei große Schwerpunkte:‰ Förderschule als Stützpunkt in jedemStadtbezirk <strong>für</strong> die umfassende Unterstützungder Inklusion, von dessen Arbeitalle schulischen Akteure profitierenkönnen.18lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


SCHULE & POLITIK‰ Förderschule als Angebotsschule <strong>für</strong> Schülerinnenund Schüler, die <strong>für</strong> kurze oderlängere Zeit ein kleines überschaubaresSchulsystem mit kleinen Klassen brauchenund deren Eltern von diesem Angebotüberzeugt sind.lehrer nrw: Welche Voraussetzungen <strong>für</strong>eine gelungene Inklusion der Schülerinnenund Schüler sehen Sie als grundlegend an?HEINRICHSDORFF:1. Die Bereitschaft aller an der betreffen<strong>den</strong>allgemeinen Schule, Kindern und Jugendlichenmit Förderbedarf bzw. Kindern, die ausder Norm fallen, wertschätzend und respektvolleinen Platz zuzugestehen – das istzur Zeit nicht selbstverständlich.2. Eine Entscheidung über <strong>den</strong> angemessenenFörderort, die im Einzelfall und nicht ideologischgetroffen wird: Ein Grundschulkind mitDown-Syndrom kann nicht stellvertretendstehen <strong>für</strong> Kinder mit dem FörderbedarfGeistige Entwicklung.3. Eine entsprechende Ausstattung an Räumenund Sachmitteln.4. Eine entsprechende personelle Ausstattung(zwanzig Schüler ohne Förderbedarf, fünfmit Förderbedarf, zwei Lehrkräfte, davon einemit sonderpädagogischer Ausbildung).5. Ein entsprechend durchdachtes Konzept <strong>für</strong>je<strong>den</strong> Schulstandort, das ständig überprüftwer<strong>den</strong> muss (zum Beispiel Schulbegleiter).6. Eine ‘pädagogische Heimat’ <strong>für</strong> die in derallgemeinen Schule tätigen Sonderschullehrer,damit diese in der Rückkopplung mitKollegen und einem Vorgesetzten ihrer Fakultasihre I<strong>den</strong>tität nicht verlieren. Erfahrungist ein ganz wichtiger pädagogischerSchatz <strong>für</strong> die Arbeit mit Kindern und Jugendlichenmit sonderpädagogischem Förderbedarf.7. Eine seriöse, wertschätzende Elternberatung.8. Die Förderschulen dürfen nicht weiter diskriminiertwer<strong>den</strong>.Das Interview führte Frank Görgens4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw19


SCHULE & POLITIKBild: Fotolia/lassedesignenReferenzrahmenmit TückenLesermeinung: In einem offenen Brief an Schulministerin SylviaLöhrmann übt unser Leser Robert Krell Kritik am ReferenzrahmenSchulqualität, <strong>den</strong> das Schulministerium online gestellthat. Die Ministerin will damit einen breiten Konsens überdas erreichen, was alle am Schulleben Beteiligten unter Qualitätverstehen. lehrer nrw dokumentiert <strong>den</strong> Brief in Auszügen.Sehr geehrte Frau Löhrmann, sehr geehrterHerr Hecke, sehr geehrte Damen und Herren,mit <strong>den</strong> vielen bewertbaren Aussagen im‘Referenzrahmen Schulqualität’ hat Ihr Hauseine Fleißarbeit vorgelegt, die auf <strong>den</strong> erstenBlick unverfänglich und lobenswert wirkt.Fast alle Punkte hätten beim schnellen Lesenein ‘wichtig’ verdient: Wer wollte etwanicht, dass Schülerinnen und Schüler umfassendund verantwortlich aktiv lernen könnenund die gut geleitete Schule dazu jede MengeFörderangebote, Arbeitsgemeinschaften undvernetzte Zusammenarbeit mit Externen bereitstelltund einen wertschätzen<strong>den</strong> Umgangmit <strong>den</strong> Schülerinnen und Schülern in aller ihrerUnterschiedlichkeit und Vielfalt pflegt? ZusätzlicherRegelungsdruck?Betrachtet man die Aussagen allerdings genauer,so sind viele wünschenswerte Zielemehr oder weniger deutlich mit bestimmtenschulorganisatorischen Maßnahmen verknüpft.Die Zustimmung zu <strong>den</strong> Zielen könntedaher auch als Billigung der oder gar alsFestlegung auf die dort angegebenen, vonder Sache her jedoch oft keineswegs zwingen<strong>den</strong>Maßnahmen, Abläufe und Regularieninterpretiert wer<strong>den</strong>. Es steht zu be<strong>für</strong>chten,dass bei einer später gefordertenOrientierung am Referenzrahmen dann geradeder Aufbau, die Pflege und die Einhaltunggenau dieser organisatorischen und formalenStrukturen gefordert und geprüft wird.Erfahrungen mit Schulinspektionen unddem Erstellen und Pflegen des Portfolios <strong>für</strong>die so genannte Qualitätsanalyse legen nahe,dass über <strong>den</strong> Hebel Referenzrahmen <strong>den</strong>Schulen in großem Umfang zusätzliche Planungs-und Entwicklungsarbeiten, Absprachenund Abstimmungen in endlosen Konferenzenauferlegt wer<strong>den</strong>. Das in mehrerenAussagen aufscheinende, im Wort modischEingeengtDer ReferenzrahmenSchulqualitätwirkt auf <strong>den</strong> erstenBlick unverfänglich,birgt aberdie Gefahr, dassmehr Formalismus,mehr Bürokratie,übersteigerte Festlegungen,kleinschrittigereVorkehrungen<strong>für</strong> selteneSpezialfälle, normierteAbläufe undmehr Gleichschaltungdie pädagogischeFreiheit nochweiter beschnei<strong>den</strong>.verbrämte ‘Controlling’ unterstreicht diesenVerdacht. Dass diese zusätzlichen Aufgabennicht von zusätzlichem Personal, sondernzwangsläufig an Stelle von Unterrichtsvorbereitung,Korrekturen, Zeiten <strong>für</strong> Eltern- undSchülergespräche von bereits stark belastetenLehrerinnen und Lehrern geleistet wer<strong>den</strong>müssen, scheint wenig bedacht zu sein. Noch mehr Formalismusund BürokratieDer mit der ‘Qualitätsanalyse’ beschritteneund hier offenbar weiter vorgezeichnete Wegin noch mehr Formalismus, mehr Bürokratie,übersteigerte Festlegungen, kleinschrittigereVorkehrungen <strong>für</strong> seltene Spezialfälle, normierteAbläufe, mehr Gleichschaltung undmehr Controlling ist aber aus vielen Grün<strong>den</strong>bedrohlich:‰ Wird in <strong>den</strong> nächsten Jahren (währendder Implementation des Referenzrahmens)weiter Lehrerarbeitszeit vomKerngeschäft Unterrichten und Erziehenabgezogen, schadet dies <strong>den</strong> Schülerinnenund Schülern in <strong>den</strong> nächstenSchuljahren.‰ Lehrerinnen und Lehrer sind beim Umgangmit unterschiedlichen Schülerinnenund Schülern und deren vielfältigemVerhalten oft darauf angewiesen,unmittelbar zu reagieren, um positiv zuermutigen, authentisch und glaubhaftzu lenken, unerwünschte Weiterungenim Vorfeld zu verhindern, Konflikte sofortzu entschärfen und so zu handeln,wie es ihren und <strong>den</strong> anerkannten übergeordnetenpädagogischen Zielen nützt.Das Nachblättern in Konferenzbeschlüssen,die Suche im umfangreichen Portfoliooder <strong>den</strong> Ausgestaltungen des Referenzrahmensund das starre Abspulendort beschriebener Abläufe ist in <strong>den</strong>meisten Situationen unmöglich, derNutzen entsprechender Vorarbeiten alsobeschränkt.‰ Mit der hier zu erkennen<strong>den</strong> Regelungsabsichtwird leider erneut deutlich, dassSie bzw. das Schulministerium offen-20lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


SCHULE & POLITIKsichtlich wenig Vertrauen in die Lehrerschaft,in die Selbstständigkeit und dieSelbstverantwortung sowie <strong>den</strong> pädagogischenAnspruch und das pädagogischeGeschick der Lehrerinnen und Lehrerhaben. Wichtige Aspektefehlen ganzAußerdem ist bezeichnend, welche <strong>für</strong> dieSchulwirklichkeit und gerade <strong>für</strong> eine guteSchule bedeutsamen Aussagen im Referenzrahmenganz fehlen (!). Jede erfahrene Lehrpersonweiß, wie wichtig beispielsweise dieBeziehungsebene ist. Erfolgreiche Lehr- bzw.Lernprozesse bedürfen einer ermutigen<strong>den</strong>,fördern<strong>den</strong> und fordern<strong>den</strong> Lernatmosphäre,in die die Lehrerin ihre bzw. der Lehrer seinePersönlichkeit überzeugend, menschlich undauthentisch einbringt. Sie/er muss die Schülerinnenund Schüler ernst nehmen und ihnenZuwendung entgegen bringen. Deswegenlernen die Schüler! Dies lässt sich natürlichschlecht verordnen, kaum quantifizierenund nur schwer formal nachprüfen.Trotzdem halte ich es <strong>für</strong> schädlich, wennentsprechende Aussagen und viele weiterewichtige Ziele fehlen: entschei<strong>den</strong>de Aspekteeiner guten Schule gehen ganz verloren!Und selbst bei <strong>den</strong> angesprochenen Bereichenspiegeln die ausgewählten Dimensionenund Kriterien, ihr Umfang bzw. dieAnzahl der Aussagen zu <strong>den</strong> Themen nichtderen Bedeutung <strong>für</strong> eine gute Schule wider.Der Referenzrahmen verengt und beeinflusstdadurch <strong>den</strong> Blick auf die Schule undnimmt indirekt eine implizite Bewertung(weil Gewichtung) der willkürlich ausgewähltenAspekte vor. Selbstständigkeit stattstatischer FestlegungenBitte verschwen<strong>den</strong> Sie Ihre Mühe und diekünftige Arbeit der Lehrerinnen und Lehrernicht auf fragwürdige Modelle, Errichtungvon Ersatzbewertungssystemen und die Institutionalisierungwillkürlicher Abläufeund Regelungen. In einer sich ändern<strong>den</strong>Gesellschaft braucht Schule nicht statischeFestlegungen, sondern Raum und Mut,sich dynamischen Anforderungen anzupassen.Bitte stärken Sie daher Selbstständigkeitund echte Selbstverantwortung undstoßen <strong>den</strong> Konsens <strong>für</strong> einige wenige,aber wirklich wichtige Ziele an. Haben Sieendlich Vertrauen in die Fähigkeit der Lehrerinnenund Lehrer, einsichtige Ziele mitselbst gewählten und situationsgerechtenMetho<strong>den</strong> auch ohne festgeschriebene Abläufeselbst verwirklichen zu wollen undzu können! Richten Sie wieder einen offenenund unverstellten Blick auf die ganzeSchule und fördern Sie echte Schulqualitätstatt <strong>den</strong> Einsatz kontraproduktiver Bezugsrahmenund verordneter bürokratischerAbläufe.


SCHULE & POLITIKDer Philosoph und PublizistRichard David PrechtGar nicht pre(ä)chtigRichard David Precht ist derzeit mit Einlassungen zum vermeintlichverkrusteten deutschen Bildungssystem in aller Munde undin vielen Talkshows. Zu Recht? Eine kritische Auseinandersetzung.von FRANK GÖRGENSEs muss gesagt wer<strong>den</strong>, es muss raus:Es ärgert mich, dass immer wiederweitgehend Ahnungslose, aber offenbarInteressierte und vermeintlich Betroffenean der Schule herumkritisieren – und dasssie umso mehr Aufmerksamkeit bekommen,je fundamentaler ihre Kritik ist.Zuerst musste ich <strong>den</strong> Precht-Artikel unddas Interview in DIE ZEIT, Heft 16, aushaltenund ertragen. Der Kölner Philosoph RichardDavid Precht, der 2007 sehr erfolgreich fragte»Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?«,bekommt vier Seiten zu seinem neuen Buch‘Anna, die Schule und der liebe Gott’. Nichts NeuesDann bekommt Precht eine Plattform am5. Mai <strong>2013</strong> bei Günter Jauch in der ARD.Unter dem Titel ‘Notendruck, Sitzenbleiben –weg mit der alten Schule?’ fabuliert er eineStunde über das deutsche Schulsystem. Eranalysiert aus seiner Perspektive Schwachstellenund Verbesserungswürdiges. Zehnwesentliche Thesen und Ansatzpunkte zurVerbesserung des Schulsystems sieht derZUM NACHLESENKölner. Dabei reichen die Überschriften derPrechtschen Forderungen bereits dazu aus,die Inhalte zu erahnen: Kinder wollen lernen,jedes Kind ist anders, vergesst die Fächer, bildetLernteams, vertieft Bildung, fördert Werte,verschönert die Lernorte, trainiert dieKonzentration, schafft die Noten ab und lasstganztägig lernen. Dies sind sicher Forderungen,die seit langem diskutiert, angegangenund nicht selten bereits evaluiert wer<strong>den</strong>. Alsonichts Neues und einiges, das auch nichtweiterhilft…Gerade schreibt uns die Hattie-Studie indie Stammbücher, dass Struktur- und Ausstattungsfragennicht die wesentlichen Elementedes Erfolges der schulischen Bildungsind, da kommt Precht und arbeitet sich andiesen Strukturfragen ab. Intellektuelle Schlampigkeithttp://daserste.ndr.de/guentherjauch/rueckblick/schulreform439.htmlwww.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/richard-david-precht-anna-die-schule-und-der-liebe-gott-oh-ihr-rennpferde-fresst-einfach-mehr-phrasenhafer-12165641.htmlwww.zeit.de/<strong>2013</strong>/16/richard-david-precht-schulsystemBild: © Raimond Spekking / CC-BY-SA-3.0 (via Wikimedia Commons)Lieber Herr Precht, ich bin das Ergebnis einerreformpädagogischen Beschulung von Montessori-Grundschulebis integrative Gesamtschulbildungaus <strong>den</strong> 80er Jahren. Ich binideologisch nicht verblendet und <strong>für</strong> Kritik anmeinem beruflichen Handeln jederzeit offen.Ich freue mich über Kritik und Verbesserungsvorschläge,die durchdacht und fundiertsind, und bin bereit, diese ergebnisoffenzu durch<strong>den</strong>ken. Ihre Kritik ist jedochoberflächlich und bisweilen polemisch. JürgenKube formuliert in seinem Artikel in derFAZ unter der Überschrift ‘Oh ihr Rennpferde,fresst einfach mehr Phrasenhafer!’, dass »soviel intellektuelle Schlampigkeit« selten war.Kube weiter: »Richard David Precht möchtedas deutsche Bildungswesen durchleuchten,funzelt aber nur mit qualmen<strong>den</strong> Klischeefackelnherum.« Ich danke Jürgen Kube <strong>für</strong> dieseeloquenten Einordnungen.Es ärgert mich, lieber Herr Precht, dass sie<strong>den</strong> Raum bekommen, diese Oberflächlichkeitenso ausbreiten zu können, während vieleKolleginnen und Kollegen mit einer großenNach<strong>den</strong>klichkeit, Fürsorge <strong>für</strong> ihre Schülerinnenund Schülerund einer großenNachhaltigkeitihrem Berufnachgehen ohneauf ihre Allgemeinplätzeantwortenzu können.Ich frage michganz offen, obDank seines Elaborats ich ins Sportstudioeingela<strong>den</strong>‘Anna, die Schule undder liebe Gott’ darf werde, wenn ichsich Richard David eine RevolutionPrecht derzeit ausgiebigin Talkshows überdes Fußballs damitausrufe, dassdas deutsche Bildungssystemauslassen –schöne Tore geschossenwer<strong>den</strong>gern in einer Mischungaus Oberflächlichkeitsollen, Talenteund Polemik.gefördert wer<strong>den</strong>müssen,Technik geschult wer<strong>den</strong> soll, schön gespieltwer<strong>den</strong> soll, fair und motiviert zu Werke gegangenwer<strong>den</strong> soll. Jogi würde abwinken,und ich würde keine Einladung erhalten.Richtig so, <strong>den</strong>n es gilt, <strong>den</strong> ernsthaften,nach<strong>den</strong>klichen und fachlich fundierten Dialogzu fördern. Hattie formuliert: Auf die Lehrerkommt es an! Ich danke <strong>für</strong> diese Stärkungmeines Berufstandes.22Frank Görgens ist Schriftleiter der <strong>Verband</strong>szeitschriftlehrer nrw des lehrer nrw – <strong>Verband</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Sekundarbereich</strong>· E-Mail: FGoergens@t-online.delehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


ANGESPITZTEs hat sich ausgemuttertMutti hat im Moment ein bisschen Ärgermit <strong>den</strong> lieben Kleinen. Die strahlendeLandes-Mama, die so schön von <strong>den</strong> Wahlkampfplakatenlächelte, plagt sich gerade mitziemlich aufmüpfigen Schützlingen herum.Vor allem die Beamten sind so richtig drin inder Trotzphase. Mutti will ihnen nur einenkleinen Lutscher geben – und manche kriegensogar überhaupt keinen. Klar, dass dieRangen da sauer sind. Die wollen einen großenLutscher. Den haben ja auch die anderenvon der Angestellten-Klasse gekriegt. Nunhat die Landesmutti wohl gedacht, dass sichder Ärger rasch wieder legt. Aber Pustekuchen:Bei der fröhlichen Mai-Party der sonstimmer so braven DGB-Rasselbande gab essogar Pfiffe und Buh-Rufe gegen Mutti.Und ein paar Tage später kamen gar10.000 Beamte zum Landtag und pfiffennoch lauter. Sie wollen große Lutscher – undzwar <strong>für</strong> alle. Und wenn nicht: Nun, dannwählen sie bei der Bundesmütterwahl imHerbst die schwarze Mutti – als Strafe <strong>für</strong> dierote. Ätsch!Nun könnte man der roten Mutti raten,sie solle sich vertrauensvoll an die Super-Nanny wen<strong>den</strong>. Die hatte <strong>für</strong> eine solch widerspenstigeBrut immer prima Tricks aufLager. Da wur<strong>den</strong> die frechen Gören gernmal auf die ‘Stille Treppe’ gesetzt. Da konntensie dann ihr Mütchen kühlen.Das Problem <strong>für</strong> die Landesmutti ist nur:Fin<strong>den</strong> Sie mal eine Stille Treppe <strong>für</strong> 10.000Beamte. Die Treppe im Empire State Buildinghat nur 1578 Stufen. Die Treppe imrechten Turm des Kölner Doms kommt aufschlappe 533 Stufen. Die Treppe am heiligenBerg Tai Shan in der chinesischen ProvinzShandong besitzt um die 6.000 Stufen.Da kommen wir der Sache schon näher.Aber China ist dummerweise so weit weg.Das gibt dann wieder Ärger mit dem Landesrechnungshof.Man darf gespannt sein, welche Erziehungstricksdie Landesmutti noch auf Lagerhat. Einstweilen aber hat man das Gefühl:Es hat sich ausgemuttert.Jochen Smets4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw23


MUNDGERECHTNur der erste Schrittkostet MüheMit der Übertragung erweiterter Dienstvorgesetztenaufgaben aufdie Schulleiterinnen und Schulleiter ab 1. August <strong>2013</strong> möchteSchulministerin Sylvia Löhrmann die Rolle von Schulleitungen unddie eigenverantwortliche Schule stärken – aber tut sie das wirklich? Historievon MICHAEL KÖNIGAm Anfang stan<strong>den</strong> Überlegungen der damaligenSchulministerin Ute Schäfer, wieviel Freiheit Schulen brauchen, wie viel Eigenverantwortungsie übernehmen könnenund welche Herausforderungen es dabei zubewältigen gilt. Ihr Ziel: Schulleitung, Lehrkräfte,Schülerinnen und Schüler und derenEltern sollten gemeinsam und in eigenerVerantwortung ihr ‘Haus des Lernens’ in einerregionalen Bildungslandschaft gestalten.Mit dem Projekt ‘Selbstständige Schule’,das vom Ministerium <strong>für</strong> Schule, Jugendund Kinder NRW und der Bertelsmann Stiftungauf <strong>den</strong> Weg gebracht und vom 1. August2002 bis 31. August 2008 an ausgewähltenSchulen erprobt wurde, sollte vorEin erster Schritt,der offenkundigbereits sehr viel Mühegekostet hatIn der neuen Verordnung zurÜbertragung der Dienstvorgesetzteneigenschaften,die am1. August <strong>2013</strong> in Kraft tritt,ist noch nicht wirklich eineStärkung der Schulleiter-Rolleerkennbar.Foto: Fotolia/Stefan Schurrallem eine Verbesserung der Qualität schulischerArbeit und insbesondere des Unterrichtserreicht wer<strong>den</strong>.Die angestrebte Qualitätssteigerung setztenach Auffassung des Ministeriums eineeigenverantwortliche und effiziente Entwicklungsarbeitin verschie<strong>den</strong>en Bereichenvoraus: In der Personalentwicklung solltendie Schulen auf Basis schulbezogener Stellenübersichtenüber Einstellungen selbstentschei<strong>den</strong>. Freie und besetzbare Stellenkönnten bedingt kapitalisiert, die Ressourcenbewirtschaftungsollte im Rahmen weitergehenderBudgetierung effektiver gestaltetwer<strong>den</strong>. Lehrerinnen und Lehrer sollteninnovative pädagogische Konzepte in derUnterrichtsorganisation umsetzen. DieSchulkonferenz könnte die Zusammensetzungvon Lerngruppen, die Stun<strong>den</strong>tafeln, jasogar die Grundsätze der Leistungsbewertungoder auch die Versetzungsregeln verändern.Und zu guter Letzt dies: Schulleitungenund Lehrkräfte, schulische Steuergruppenund Lehrerräte sollten durch aufeinanderbezogene Qualifizierungs- und Professionalisierungsmaßnahmendarin unterstütztwer<strong>den</strong>, ihre vielfältigen und teilweise neuenAufgaben kompetent wahrzunehmen.Nur … es blieb ein Projekt. Und nach einemJahrzehnt des Probens ist von der zunächstangestrebten Autonomie der nordrhein-westfälischenSchulen nicht mehr vielübrig geblieben. Was ist neu?Mit der Verordnung zur Änderung der Verordnungüber beamtenrechtliche und disziplinarrechtlicheZuständigkeiten im Geschäftsbereichdes <strong>für</strong> <strong>den</strong> Schulbereich zuständigenMinisteriums vom 21. Januar <strong>2013</strong> (BASS 10– 32 Nr. 44) erhalten nun Schulleitungen nahezualler Schulformen zum Beginn des neuenSchuljahres <strong>2013</strong> / 2014 Dienstvorgesetztenaufgaben.Ausgenommen sind nur dieSchulleitungen der Grundschulen, bei <strong>den</strong>endie Übertragung erst zum 1. August 2015 erfolgensoll, sowie die Schulleitungen auslaufenderSchulen. Auf Antrag können beidediese Aufgaben allerdings auch schon vorherübertragen bekommen.Den Schulleitungen wer<strong>den</strong> lediglich solcheAufgaben übertragen, die sie entwederbereits vorher wahrgenommen haben oderdeswegen übernehmen können, weil tatsächlicheoder juristische Komplexitäten vom Ministerium<strong>für</strong> Schule und Weiterbildung nichterwartet wer<strong>den</strong>. Im Einzelnen sind dies diefolgen<strong>den</strong> Dienstvorgesetzteneigenschaftennach §1 Abs. 5 der Verordnung:‰ Auswahl <strong>für</strong> die Berufung in dasBeamtenverhältnis auf Probe;‰ Entlassung auf eigenen Antrag;‰ Anordnung, Genehmigung und Widerrufvon Mehrarbeit;‰ Anordnung, Genehmigung und Ablehnungvon Dienstreisen im Inland sowiein das angrenzende Ausland;‰ Erteilung von einfachen Dienstzeugnissen;‰ Genehmigung und Ablehnung von Sonderurlaubin bestimmten Fällen.24lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


MUNDGERECHTGegenüber der bis zum 31. Juli <strong>2013</strong> gelten<strong>den</strong>Fassung der Verordnung fehlen insbesonderedie Zuständigkeit der Schulleitungzur Verkürzung oder Verlängerung sowie zurBeendigung der laufbahnrechtlichen Probezeit,da hier Interessenkonflikte der Schulleiterinnenund Schulleiter gegenüber ihrenLehrkräften bislang ein immanentes Risikodargestellt haben. Keine neuen Aufgaben, abererhöhtes ArbeitspensumUnverändert beibehalten wer<strong>den</strong> die Zuständigkeitennach §1 Abs. 7 der bis zum 31. Juli<strong>2013</strong> gelten<strong>den</strong> Fassung der Verordnung,wonach Schulleiterinnen und Schulleiter Entscheidungenüber unter anderem die Abnahmedes Diensteides, eine Aussagegenehmigungoder die Dienstbefreiung zum Stillentreffen. Damit zeigt sich insgesamt, dass der<strong>für</strong> alle Schulformen gleiche Pflichtenkatalogmateriell keine wesentlich neuen Aufgabenenthält, auch wenn sich mit <strong>den</strong> hinzugewonnenenEntscheidungsräumen das Arbeitspensumder Schulleitungen graduell erhöht.Schulleitungen an eigenverantwortlichenSchulen sind mit <strong>den</strong> praktischen Konsequenzender Verordnung bereits vertrautund kennen die strittigen Fragen und innerenWidersprüche deshalb. Für sie ändert sichfaktisch nichts.Hinzuweisen ist daneben auf die Möglichkeitdes § 1 Abs. 6 der Verordnung in der zum1. August <strong>2013</strong> gelten<strong>den</strong> Fassung: Aufschriftlichen Antrag der Schulleiterin oderdes Schulleiters im Einvernehmen mit derSchulkonferenz können nämlich weitere Zuständigkeitenoptional übertragen wer<strong>den</strong>.Die Probe- und Lebenszeitverbeamtung sowieder Abschluss befristeter und unbefristeterBeschäftigungsverhältnisse erfolgen dannnicht mehr auf der Ebene der Bezirksregierungen,sondern wer<strong>den</strong> von <strong>den</strong> Schulleitungenwahrgenommen.derte Verordnung im Schulalltag bewährtoder ob sie fortwährend angepasst wer<strong>den</strong>muss.Schulleiterinnen und Schulleiter, die in der Vorsicht bei juristischVergangenheit eine umfassendere Erweiterungihrer Zuständigkeiten gefordert und diekomplexen VorgängenDa beide Zuständigkeiten erfahrungsgemäßeine Fülle von Fehlerquellen aufweisen undeine Schulleitung im Falle eines von ihr zuvertreten<strong>den</strong> Fehlers <strong>für</strong> diesen natürlichauch die Verantwortung trägt, empfiehlt essich aus juristischer Sicht, diesen Antrag nichtzu stellen. Auch wenn das Ministerium <strong>für</strong>Schule und Weiterbildung in §1 Abs. 10 derÜbertragung der Mittelbewirtschaftung anihrer Schule, Beförderungen und disziplinarrechtlichenVerfahren gewünscht haben, sehenin der neu gefassten Verordnung sicherlichnicht mehr als einen ersten Schritt, deraber offenkundig bereits sehr viel Mühe gekostethat. Dass weder die zu erwarten<strong>den</strong>Interessenkonflikte zwischen SchulleitungVerordnung in der zum 1. August<strong>2013</strong> gelten<strong>den</strong> Fassung INFOfahr fehlerhafter Entscheidun-und Lehrkräften, noch die Ge-ausdrücklich darauf hinweist,dass die <strong>für</strong> die Dienstaufsichtzuständige Schulaufsichtsbehördedie Schulleiterinnen undSchulleiter bei der Wahrnehmungder Aufgaben der dienstvorgesetztenStelle berät undunterstützt, sollten juristischFür weitere Fragensteht ihnen dieRechtsabteilung vonlehrer nrw währendder Bürozeiten derGeschäftstelle gernezur Verfügung.gen, die Regressansprüche derEntscheider nach sich ziehenkönnen, die Übertragung disziplinarrechtlicherZuständigkeitenerstrebenswert erscheinenlässt, sieht das Ministerium<strong>für</strong> Schule und Weiterbildungim Ergebnis wohl deutlicherkomplexe Vorgänge in bewährter Weise von<strong>den</strong> Dezernentinnen und Dezernenten und ihrenim Verwaltungsverfahren hoch versiertenFachkräften bearbeitet wer<strong>den</strong>. AusblickDie Übertragung erweiterter Dienstvorgesetztenaufgabenab 1. August <strong>2013</strong> stellt,trotz der Verunsicherung vieler Beteiligter,keine unlösbare Aufgabe dar. Inwieweit dieÜbertragung von durchweg einfachen Aufgaben,die die meisten Schulleiterinnen undSchulleiter in der Vergangenheit ohnehin bereitswahrgenommen haben, sie selbst undihre Rolle als Schulleitung stärkt, ist jedochzumindest aktuell nicht klar erkennbar. Zudemals es mancher Schulleiter vermag!Schulleitungen, die eine Überfrachtungmit zusätzlichen Aufgaben be<strong>für</strong>chten undUnsicherheit verspüren, sollten qualifizierteFortbildungen analog <strong>den</strong> auch von lehrernrw angebotenen Seminaren <strong>für</strong> Lehrerrätebesuchen oder bei ihren vorgesetztenDienststellen einfordern. Vor allem aber solltensie von § 1 Abs. 10 der Verordnung inder zum 1. August <strong>2013</strong> gelten<strong>den</strong> Fassungumfassend Gebrauch machen und nicht nurdie über eine erste Einführung in die neueLage nur sehr eingeschränkt hinausgehen<strong>den</strong>Schulleiterdienstbesprechungen zurGrundlage eigener Entscheidungen machen.Michael König ist Justitiar des lehrer nrw –bleibt abzuwarten, wie sich die geän-E-Mail:<strong>Verband</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Sekundarbereich</strong>Koenig@lehrernrw.de4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw25


ÜBER DEN TELLERRANDBild: Fotolia/FlexmediaRausgekehrtMit ziemlich rabiaten Metho<strong>den</strong> ging diedänische Regierung gegen Lehrkräfte vor.Angriffs-Aussperrungin DänemarkWer gedacht hatte, dass die nordrhein-westfälische Landesregierungin der Tarifauseinandersetzung im Öffentlichen Dienstmit harten Bandagen kämpft, dürfte beim Blick nach Nor<strong>den</strong>staunen: In Dänemark zwingt die Regierung Lehrer per Aussperrungzu Mehrarbeit ohne Lohnausgleich.von HERIBERT BRABECKAm 27. April <strong>2013</strong> verabschiedete dasdänische Parlament im Eilverfahrenein Sondergesetz, das die rund70.000 Lehrer des Landes zu Mehrarbeitund flexiblen Arbeitszeiten verpflichtet. Damitbeendete die Regierung die Aussperrungder Lehrer, die der Kommunale Arbeitgeberverband(KL) verordnet hatte, ohne dass eineStreikandrohung vorlag. Zwangs-Streik ohne GehaltNach der neuen gesetzlichen Arbeitszeitregelungsoll die jeweilige Schulleitung ab Beginndes Schuljahrs 2014/15 das Verhältniszwischen Unterrichts- und Vorbereitungszeitkünftig flexibel festlegen können. Bisherwar dies fest geregelt mit einer striktenObergrenze von 25 Stun<strong>den</strong> in der Woche.Schrittweise abschaffen will die Regierungauch die bisherigen Arbeitszeitermäßigungen<strong>für</strong> Lehrer, die älter als sechzig Jahresind. Die Kompensation in Form einer geringenGehaltserhöhung von durchschnittlich64 Euro im Monat ist lächerlich, zumal esnoch zu einem Lohnverlust durch die vierwöchigeAussperrung kommt. Die Pädagogenbekamen während des Streiks kein Gehalt,konnten sich aber bei der LehrergewerkschaftGeld zu geringen Zinssätzenborgen. Historisch beispiellosMit der eindeutigen Verletzung der Tarifautonomieund der historisch beispiellosen Angriffs-Aussperrungsignalisiert die Minderheitsregierungvon Ministerpräsi<strong>den</strong>tin HelleThorning-Schmidt ihre Bereitschaft, mit äußerstaggressiven Metho<strong>den</strong> gegen öffentlichBeschäftigte und alle anderen Arbeiterdes Landes vorzugehen. Neben <strong>den</strong> Sozialdemokratensind die sozialliberale RadikaleLinke (RV) und die grüne Sozialistische Volksparteiin der Regierung vertreten.Ihre eindeutige Positionierung kommt alsonicht überraschend. Die Koalition wollte aufdiese Weise die Flexibilisierung und Verlängerungder Arbeitszeiten im gesamten öffentlichenDienst durchsetzen und an <strong>den</strong> Lehrernein drastisches Exempel statuieren. Erst nachdemsich die Lehrer auch nach vier WochenAussperrung weigerten, die Verschlechterungenzu akzeptieren, setzte sich die Regierungohne gewerkschaftliche Zustimmung im Rahmendes Sondergesetzes durch. Wut und EmpörungVier Wochen lang wur<strong>den</strong> die Lehrer darangehindert zu unterrichten. Fast 900.000Schüler im Alter von sechs bis sechzehn Jahrenwaren sich selbst überlassen. Neben <strong>den</strong>Lehrern reagierten auch die Eltern und Unternehmenmit Wut und Empörung auf dasVorgehen der Regierung. Bei der Kinderbetreuungmusste Kreativität bewiesen wer<strong>den</strong>.Entweder sprangen die Großeltern einoder Unternehmen erlaubten, die Kinder zurArbeit zu mitbringen und sie während derArbeitszeit zu betreuen. Manche Elternmussten Urlaub nehmen und sich bei derKinderbetreuung abwechseln.Heribert Brabeck ist 1. stellv. Vorsitzender des lehrer nrwund Mitglied im HPR <strong>für</strong> Lehrkräfte an Realschulen beimMSW · E-Mail: h.brabeck@grigora.de26lehrer nrw · 4/<strong>2013</strong>


HIRNJOGGING1 2 3 4 5 67 89 10 1112 13 14 15 1617 18Waagerecht1. Postdirektion (Abk.)3. Gepäckstück9. Frucht11. Schmiere12. Frauenname13. Ort16. Europäer17. Logische Beweisführung19. Teil der Bibel20. Sonnengott21. Konvoi24. Speicher27. Zahl28. Prophet29. Zuneigung31. Lebewesen32. Beute33. Personalpronomen (engl.)34. Netzartiges Gewebe35. Abzüglich36. Personalpronomen (span.)38. Sache (lat.)40. Flächenmaß41. Fertiggekocht43. Reifeprüfling47. Fluss48. Leer50. Märchenfigur52. Bö<strong>den</strong>Senkrecht1. Vorname2. Stadt an der Isar3. Skatausdruck4. Europäerin5. Germanische Sage6. Münze (engl.)7. Hin und ...8. Landsäugetiere9. Fahne10. Distrikt13. Wettstreit14. Und (lat.)15. Teil des Schiefergebirges18. Monat20. Recklinghausen(Autokennzeichen)22. Sie (span.)23. Akkusativpronomen25. Ausruf (span.)26. Stärke30. Gleichgültig32. Körperteil35. Stadt in Italien37. Spät (engl.)39. Vogelprodukt42. Teilzahlungsbetrag43. Jedoch44. Nutzer (engl.)45. Herbei46. Himmelsrichtung49. Fluss in Russland51. Personalpronomen1921 22 23 24 25 2627 2829 30 3132 3334 35 3638 3941 42 43 44 45 4647 4850 5152Lösung: Kein geografischer Begriff!20374<strong>04</strong>9RÄTSELAUFLÖSUNGENDas Lösungswortdes Kreuzworträtselsinlehrer nrw 3/<strong>2013</strong>,Seite 27 lautet:BÜROKRATIEDer nebenstehen<strong>den</strong>Grafik könnenSie die kompletteAuflösung desRätsels entnehmen.LU N TN SC H G SUT U AHG TC HLösung in einer SpalteTCGLGAUSUDOKU4/<strong>2013</strong> · lehrer nrw27

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