4 Heimat und Natur

Jugendbewegung) haben ein Ursachen-Motiv gemeinsam: ein Krisenbewußtsein
angesichts der Herausforderung durch die urbanisierende Industriegesellschaft
"Unter dem Eindruck der beschleunigten Ausbreitung der
‘wissenschaftlich-technischen Zivilisation’ (H. Schelsky) und damit auch
Gefährdung der alltäglichen Lebenswelt, Landschaft und Umwelt erhält der
Heimatbegriff eine neue Plausibilität sowie einen weiteren
Bedeutungszuwachs" 447 ;
diese Erklärung lässt sich ohne weiteres an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurückprojizieren.
Es ist keineswegs ein Zufall, dass ziemlich gleichzeitig der Berliner "Wandervogel,
Ausschuss für Schülerfahrten e.V. " (1901) und der "Verein für Volkskunst
und Volkskunde" (ebenfalls e.V.) gegründet wurden. Aber auch personell gab es
Verbindungen zwischen Wandervögeln und Heimatpflegern: So war der Gründer des
"Heimatschutzbundes" jener Ferdinand Avenarius ("Dürerbund"), der beim Treffen
der "Freideutschen Jugend" 1913 am Hohen Meißner eine programmatische Rede
gehalten hatte. Die dort konzipierte Wahrhaftigkeits-Forderung bezog sich auch auf
die Ursprünglichkeit einer Volkskultur nach der Devise: wahr ist, was echt ist – echt
ist, was naturwüchsig ist – ergo: Wahrhaftigkeit und Natürlichkeit bedingen
einander. Deshalb:
"Starke reformerische Impulse erhielt der Heimat- Natur- und Landschaftsschutz
von der Jugendbewegung. Der erste Versuch, Heimatschutz in der
Jugendbewegung systematisch zu organisieren, ging von dem 1905 gegründeten
‘Hamburger Wanderverein’aus." 448
Über den Heimatbegriff wurde von Volkskundlern, Volkslied- und Dialektliedforschern
ausgiebig reflektiert (auch im Zusammenhang mit seiner Belastung durch
den Nationalsozialismus); hier mag es genügen, einige zeitgenössische Ergebnisse
dieser Bemühungen in Verbindung zur Liedpflege der Jugendbewegung zu bringen.
Das Heimatverständnis vor 1945 sollte dafür maßgebend sein. Repräsentativ für den
Common-sense in Heimatfragen zur Entstehungszeit der Jugendbewegung dürfte ein
447 M. N. Ebertz in: Wörterb. d. Christentums, Gütersloh 1988, S. 472
448 G. Gröning u. J. Wolschke-Bulmann, in: Hdb. d. dt. Ref.bewegg., Wuppertal 1998, S. 28
285