PDF-Version zum Download - die sinnflut
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26<br />
SCHUHE<br />
Herbst<br />
Der Herbst versetzt einen traditionellerweise<br />
in <strong>die</strong> Stimmung, in der man über<br />
Vergänglichkeit nachsinnt. „So wie <strong>die</strong><br />
bunten Blätter der Bäume braun werden,<br />
in den Matsch fallen und sterben, so ist<br />
auch alles Leben auf <strong>die</strong>ser Welt endlich.“,<br />
mahnt uns der Herbst. Einige Menschen<br />
haben sogar Gedichte darüber<br />
geschrieben. Meinen Schuhen geht es momentan<br />
auch herbstlich. Ihre Zeit ist abgelaufen<br />
und sie sind keine Schuhe mehr,<br />
sondern nur noch ein bisschen zerfetzter<br />
Stoff. Selbstverständlich fühle ich mich<br />
wie jede Frau emotional mit <strong>die</strong>sen Dingern<br />
verbunden und weine heiße Tränen<br />
über ihren Tod. Aber, was soll's? Dann<br />
kauf ich mir eben neue. Die könnten allerdings<br />
schlechter sein, als meine Alten. Beschissen<br />
aussehen und unbequem sitzen.<br />
Das macht mir Angst.<br />
Der Grund, warum wir Menschen <strong>die</strong> Vergänglichkeit<br />
fürchten, ist also Ungewissheit<br />
der Zukunft und <strong>die</strong> Angst vor<br />
Verschlechterung. Ich kann nicht genau<br />
vorhersagen, wie mein Leben nach der<br />
Schule aussehen wird. Deshalb fürchte<br />
ich mich manchmal ein klein wenig davor.<br />
Aber natürlich habe ich eine Vorstellung<br />
davon, was ich gerne alles erleben möchte<br />
und freue mich darauf. Außerdem<br />
kann ich mich mit anderen austauschen,<br />
Sinnflut #05 | 1 0.1 0.07<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong>sen Lebensabschnitt schon hinter<br />
sich haben. Alles halb so wild.<br />
Ich habe aber, wie alle anderen Menschen<br />
auf <strong>die</strong>ser Welt auch, keinen blassen<br />
Schimmer, was passiert, wenn ich<br />
sterbe. Die Vergänglichkeit tritt in Form<br />
des Todes auf und ist <strong>die</strong> menschliche<br />
Urangst, <strong>die</strong> einen vielleicht immer begleitet.<br />
Die Vergänglichkeit wird als etwas Negatives<br />
gesehen, vielleicht ist sie das aber<br />
gar nicht? Ist es nicht irgendwie auch beruhigend,<br />
dass <strong>die</strong> Blätter jedes Jahr im<br />
Oktober den Gesetzen der Schwerkraft<br />
gehorchen oder meine Schuhe irgendwann<br />
ausgelatscht sind und ich mir im<br />
Alexa neue kaufen kann? Ist es nicht beruhigend,<br />
dass alles seine Zeit hat? Viel<br />
Schönes kann man oft nur erleben, wenn<br />
man <strong>die</strong> Kraft hat, das Alte einfach loszulassen<br />
und nicht weiter darüber nachzudenken.<br />
Nach dem Herbst kommt der<br />
Winter und man kann außerhalb des<br />
Schulhofes Schneebälle werfen. Vergänglichkeit<br />
ist, genauer betrachtet, sicher<br />
nicht ganz so dunkel, wie sie immer gemalt<br />
wird. Oder wollen wir wirklich <strong>die</strong><br />
Zeit anhalten?<br />
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