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Nekrolog auf meinen Freund Roland Richter Ich weiß, lieber Roland ...

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<strong>Nekrolog</strong> <strong>auf</strong> <strong>meinen</strong> <strong>Freund</strong> <strong>Roland</strong> <strong>Richter</strong><strong>Ich</strong> <strong>weiß</strong>, <strong>lieber</strong> <strong>Roland</strong>, Worte über Dich waren Dir stets ein Graus, schienen überflüssig,nicht nötig. Und doch ist heute der Tag, an dem wir auch zu Dir kommen,um über Dich zu sprechen. Vielleicht das letzte mal so zahlreich, auch aus Lieberose.Für mich ist es kein Tag nur der Trauer, denn Du hast bei unseren letzten Begegnungenfast demonstrativ wiederholt, daß Du keine Angst vorm Tod, sondernnur vor dem Sterben hättest. Vor drei Jahren, als Du schon wußtest, was mit Dir ist,da hörte ich zum ersten mal den Satz: "Wenn ich jetzt sterbe, das macht nichts. <strong>Ich</strong>habe so soviel erlebt. <strong>Ich</strong> hatte ein schönes Leben." - und Du lächeltest dabei. <strong>Ich</strong>spürte und sah auch, daß Du innerlich zufrieden warst, trotz Deines erkennbarschlechter gewordenen Zustandes.Du warst nie ein Anlaß zum Traurigsein, auch Dein Tod jetzt ist es nicht, dennwenn ein Mensch wie Du geht, hinterläßt er nicht einfach nur viel, sondern man istimmer noch angefüllt und bewegt von der Begegnung mit Dir. Gewiß, Du nimmstauch viel wieder mit, was wir nicht rechtzeitig <strong>auf</strong>nehmen konnten. Gespräche mitDir endeten nie, weil etwa der Stoff ausging, sondern weil man <strong>auf</strong>brechen wollte,weil ein Lokal schloß oder Du abreisen mußtest. Wir haben oft über ernste Dingegesprochen, doch habe ich Dich nie verzweifelt, höchstens <strong>auf</strong>gebracht erlebt undviel gelacht haben wir. Über Deine unerschöpflichen Witze, natürlich, aber mehrnoch über den Witz, mit dem Du vom Leben erzähltest, von schönen und traurigenGeschichten. Nie hast Du dabei deine Gegner oder die, die Dir schadeten, niedergemacht,Du hast sie als Menschen anerkannt, selbst die Schlimmsten. Und wasich nach und nach begriff war, daß Du die Fallstricke jener unfreien Zeit, in der Dulange Zeit gelebt hast, <strong>auf</strong> Schwejksche Art betrachtet und bewältigt hast. Es isteine seltene menschliche Kraft. Du hast dich auch nicht einfach nur durchlaviert,Nischen gesucht oder Kompromisse hingenommen, nein: du hast Dich tätig eingemischtin die Verhältnisse, wie sie eben waren, hast nicht <strong>auf</strong> bessere Zeiten gehofftoder gewartet - und gut sächsisch ist Dir deine Frohnatur das Kleid gewesen,1


in dem Du nicht grundsätzlich verletzbar wurdest. Das hat mir sehr imponiert. Duhattest politischen Ärger, gewiß, und nicht wenig, aber Du bliebst klar und gerade.So wie Du die letzte Zeit gelebt hast, hat Dich der nahende Tod aber doch überrascht.Denn Du sprachst noch vom Bäumesetzen, von Kräutern im Garten undwolltest das Kranksein nicht noch mehr beachten als es Dir ohnehin abverlangte,hast davon für Dich behalten, was Dir als Gesprächsthema unsinnig erschien. Esging Dir gut, wie Du immer sagtest, und so bist Du eben gestorben.Und wer bist Du und wer sind wir und wer bin ich? Du warst mein Klassenlehrerin Lieberose, nur für ein Jahr. Dann ging ich 1977 nach Berlin und Du folgtest1979 dem Versprechen, Deiner Mutter in Neuhausen nach dem Tod Deines Vaterszur Seite zu stehen. Erst nach 1994, als ich, nun Historiker, wieder in Lieberoselebte, entstanden unsere <strong>Freund</strong>schaft und unser Gespräch, die dieser Tod ja nichtbeendet.Als Du als Junglehrer von Sachsen nach Lieberose kamst, im August 1956, stiegstDu aus dem Frühzug mitten in die Geschichte aus. Denn es gab zwei Bahnhöfe mitdem Namen Lieberose, einen in der Stadt Lieberose und einen im NachbardorfJamlitz. In Dresden hatte man Dir geraten, nicht den Stadtbahnhof zu nehmen,sondern den vermutlich größeren Staatsbahnhof Lieberose, der allerdings in Jamlitzlag, was Du nicht wissen konntest. Immerhin erfuhrst Du bei der Ankunft dort,daß der Schulstandort Lieberose auch zu Fuß zu erreichen sei. Auf dem Weg durchdas Dorf Jamlitz also lief Dir als erster Dr. Walter Kühne über den Weg, der bekannteJamlitzer Maler und Graphiker, mit einem Brotlaib unterm Arm. Kühnestarb noch im selben Jahr, doch zehn Jahre später hast Du deine Schüler angeleitet,die Geschichte der Jamlitzer Künstlerfamilien zu erforschen. Jamlitz mit seinemvergangenen Leid öffnete Dir später noch <strong>auf</strong> eigenartige Weise das Fenster zurunerreichbar scheinenden weiten Welt, so paradox und widersinnig das zunächstklingt. Mitte der 70er Jahre haben Deine Schüler das Lager erforscht, wo mitten imDorf Jamlitz tausende Menschen, vor allem Juden aus ganz Europa, mißhandelt,2


is hin zur Geschichte des Lieberoser Schlosses und zu einem urkomischen LieberoserAnekdotenabend zusammen mit Rolf Brunn, um nur von den letzten Jahrenzu sprechen. Legendär, doch nun vergangen sind die Klassentreffen, die Dichmehrmals im Jahr nach Lieberose führten. Jedesmal konntest Du einen Film vonKlassenfahrten und schulischen Höhepunkten aus dem Hut zaubern und damit beeindrucken,nein, das stimmt nicht, Du hattest eben Jahrzehnte zuvor vorsorglichdokumentiert, was Dir als damalige Gegenwart bewahrenswert erschien. <strong>Ich</strong> erinnerean Deine Arbeitsgemeinschaften. Eine hieß diplomatisch "Arbeitsgemeinschaftzur Erforschung der Geschichte der örtlichen Arbeiterbewegung". Der Obrigkeitwar genüge getan, aber zur Arbeiterbewegung gibt es ganze drei Arbeiten.Das konntest Du, die Konflikte im Konkreten lösen, anstatt sie im Grundsätzlichenzur aussichtslosen Kraftprobe mit den Mächtigen werden zu lassen, wie manch anderer.Du warst vielseitig, vor allem auch technisch begabt, und hast die AG Flugmodellsportund die GST gegründet und lange geleitet. Vom aktiven Segelsport bisfast zuletzt können Deine Neuhausener <strong>Freund</strong>e viel besser berichten.Einiges erfüllte Dich mit Sorge, selbstverständlich darüber, ob Deine Anstöße <strong>auf</strong>genommenwerden, ob die von Dir gegründeten Fundamente halten und ob auchspäter fortgesetzt werde, woran Schüler von Dir bis heute wirken. Und immer wiederhast Du Menschen zusammengeführt, die sich aneinander erfreuen und begeisternkonnten. Im vergangenen Oktober wurde unser Besuch in Popershau bei demKunstschnitzer Gottfried Reichel zur letzten gemeinsamen Reise, ein ähnlich vonAufgaben beseelter Mensch wie Du, <strong>Roland</strong>. Der Tagesausflug war strapaziös,aber Du hast Dich nicht beklagt. Wir haben gelacht und Pläne geschmiedet. Sowolltest Du immer, daß ich Lisa Miková kennenlerne, die hochbetagt in Prag lebendeWitwe von Frantisek Mika, einem Überlebenden von Jamlitz, mit dem Dueng befreundet warst. Am Nachmittag vor Deinem Tod hast Du mich noch angerufen,aber ich habe gerade im Garten gearbeitet. Wir hätten über den endlich gefundenenTermin für die Reise nach Prag zu Lisa Miková gesprochen, mit dem Neu-5


hausener Reiseunternehmen früh hin und abends zurück … Als ich am nächstenTag Deine Nummer wählte, nahm schon niemand mehr ab.Wir werden die Arbeiten von Gottfried Reichel in diesem Herbst in Jamlitz ausstellen,in dem Bahnhof, der noch Lieberose hieß, als Du dort vor fast 57 Jahren ankamst.Und ich werde demnächst allein nach Prag fahren und Lisa Miková davonerzählen, wie wir heute von Dir Abschied genommen haben.Fürs letzte haben wir Lieberoser Dir märkische Erde mitgebracht, die nach DeinemWunsch das Grab bedecken soll. Sie ist vom Jamlitzer Bahnhof.Und nun, <strong>lieber</strong> <strong>Roland</strong>, hab' Dank.Am 7. Juni 2013 gehalten von Andreas Weigelt während der Beerdigung <strong>auf</strong> dem Friedhof in Neuhausen/Erzgebirge6

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