100 Jahre Baptistengemeinde Göttingen - Baptisten Göttingen
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Festschrift<br />
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong><br />
<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>
Freitag, 16. September 1994<br />
20.00 Uhr<br />
Samstag, 17. September 1994<br />
11.00 Uhr<br />
Festveranstaltungen<br />
Orgelkonzert mit Werken von Sweelinck,<br />
Buxtehude, Bach und Bartock.<br />
Es spielt Kirchenmusikdirektor<br />
Armin Schoof, Lübeck,<br />
an der fertiggestellten Janke-Orgel<br />
Empfang mit geladenen Gästen<br />
15.30 Uhr Bunter Gemeindenachmittag mit einer<br />
Rückschau<br />
auf <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> Gemeindegeschichte<br />
Sonntag, 18. September 1994<br />
10.00 Uhr<br />
Montag, 19. September 1994<br />
20.00 Uhr<br />
Dienstag, 20. September 1994<br />
20.00 Uhr<br />
Festgottesdienst mit<br />
Pastor Eckhard Schaefer, Bad Homburg<br />
Musik, Literatur, Überraschungen<br />
Mitwirkende:<br />
Andreas Malessa, Rundfunkmoderator<br />
Albrecht Gralle, Schriftsteller<br />
Bongo & Co.<br />
u. a.<br />
Vortrag:<br />
Die Geschichte der deutschen <strong>Baptisten</strong><br />
- speziell in Südniedersachsen<br />
Pastor Günter Balders, Hamburg<br />
Alle Veranstaltungen finden im Gemeindezentrum, Bürgerstraße 14, statt.
Jesus spricht: Ich bin der Weg<br />
und die Wahrheit<br />
und das Leben;<br />
niemand kommt zum Vater denn durch mich.<br />
Johannes 14, 6<br />
Den Frieden lasse ich euch,<br />
meinen Frieden gebe ich euch.<br />
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.<br />
Euer Herz erschrecke sich nicht<br />
und fürchte sich nicht.<br />
Johannes 14, 27
BUND EVANGELISCH-FREIKIRCHLICHER GEMEINDEN<br />
IN DEUTSCHLAND (K.d.ö.R.)<br />
Grußwort zum <strong>100</strong>jährigen Jubiläum der Gemeinde <strong>Göttingen</strong><br />
Die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> feiert die Treue Gottes in ihrer <strong>100</strong>jährigen Geschichte. Das ist ein<br />
willkommener Anlaß, Grüße und Segenswünsche der großen baptistischen<br />
Konfessionsfamilie zu senden; zumal es in vielen Gemeinde unseres Landes Mitglieder gibt,<br />
die während ihrer Studienzeit Geschwisterschaft und Gastfreundschaft in <strong>Göttingen</strong> erlebt<br />
haben.<br />
Mit Worten aus Psalm <strong>100</strong> grüße ich im Auftrag der Bundesleitung und der über 600<br />
Gemeinden aus Ost und West, aus Nord und Süd:<br />
Dienet dem Herrn mit Freuden,<br />
kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken,<br />
erkennet, daß der Herr Gott ist.<br />
Er hat uns gemacht und nicht wir selbst ...<br />
Beim Rückblick wird der Dienst vieler Männer und Frauen aus der Gründerzeit und den<br />
nachfolgenden <strong>Jahre</strong>n bis heute vor Augen stehen. Die geschichtlichen Rahmenbedingungen<br />
für den Dienst der Gemeinde Jesu haben sich gewandelt. Es gab Zeiten, in denen das<br />
"Frohlocken" schwer über die Lippen kam, und es gab Zeiten, in denen die Gegenwart<br />
Gottes überschwänglich erfahren wurde. Der Cantus Firmus ist aber immer derselbe<br />
geblieben: Menschen zur Erkenntnis Gottes verhelfen, ihre Geschöpflichkeit und<br />
Abhängigkeit annehmen und das Herrsein Gottes bejahen.<br />
Daß die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> diesem Auftrag mit Freuden treu bleibt, ist mein<br />
Segenswunsch. Die Gemeinde macht Geschichten, Gott macht Geschichte. Deshalb feiert<br />
die Gemeinde die I 00jährige Treue Gottes in ihrer Geschichte.<br />
Mit herzlichen Grüßen<br />
gez. Eckhard Schaefer
Vorwort zum geschichtlichen Rückblick<br />
<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>: Das ist eine lange Zeit, wenn man die<br />
Spanne eines Menschenlebens sieht. Doch sind es nur etwas mehr als fünf Prozent<br />
der Zeit, in der es die Gemeinde Jesu gibt.<br />
Trotzdem ist der runde Geburtstag ein Anlaß, einmal zurück und dann wieder nach<br />
vorne zu blicken. Wie hat das eigentlich in <strong>Göttingen</strong> mit den <strong>Baptisten</strong><br />
angefangen? Wie entwickelte sich die Gemeinde weiter? Welche Krisen machte sie<br />
durch? Und wie vielfältig waren ihre Aktivitäten?<br />
Obwohl seit 18 <strong>Jahre</strong>n Mitglied der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, habe ich doch<br />
versucht, wie ein Beobachter von außen Material zu sammeln und in kurzen<br />
thematischen Blöcken zusammenzustellen. Auf eine Wertung habe ich ganz<br />
bewußt - von einigen Ausnahmen abgesehen -verzichtet. Ob und wo man das<br />
Wirken Gottes in <strong>Göttingen</strong> in dieser kleinen Gemeindegeschichte erkennen kann,<br />
das mag der Leser selbst entscheiden. Die Führung Gottes erschließt sich dem<br />
Menschen, wie im Leben überhaupt, durch den Glauben.<br />
Das <strong>100</strong>jährige Bestehen der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ist ein Grund zum<br />
Feiern. Manche Entwicklungen grenzen an ein Wunder, für viele Gemeindemitglieder<br />
waren oft plötzliche Wendungen Wunder Gottes. Und doch darf man<br />
nicht vergessen: Die Kirche, auch die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, ist die Gemeinde Gottes<br />
in dieser unvollkommenen Welt. Neben den vielen schönen Dingen, dem Positiven,<br />
dem Lebensglück, das viele Menschen durch die Gemeinde fanden, ist so manches<br />
auch schiefgegangen. So wäre der historische Rückblick schöngefärbt, würde man<br />
nur das Positive darstellen. Also auch von Dingen, die nicht so gut gelaufen sind,<br />
erzählt diese Rückschau.<br />
Andererseits: die Geschichte der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ist so vielschichtig, daß man<br />
selbst bei ausführlicher Darstellung nur einen Teil beschreiben kann. Was dem<br />
einen wichtig erscheint, ist dem anderen eher unwichtig. Einige Ereignisse der<br />
Gemeinde scheinen zu fehlen- Über die Auswahl kann man immer streiten, doch<br />
ich meine, daß ein guter Querschnitt gelungen ist.<br />
Eine gute Grundlage für den Rückblick auf die ersten 75 <strong>Jahre</strong> der Gemeindegeschichte<br />
war die Festschrift zum Jubiläum vor 25 <strong>Jahre</strong>n. Darauf baut diese<br />
Schrift auf. Hinzu kamen weitere Quellen aus dem Gemeindearchiv sowie aus<br />
privaten Sammlungen verschiedener Familien der Gemeinde. Auch in dem Archiv<br />
der Stadt <strong>Göttingen</strong> waren bislang unbekannte Quellen zu finden. Die Fotos<br />
stammen zum größten Teil von Helmut Janke, einige auch von mir. Die Aufnahme<br />
des Titelbildes stammt von Siegfried Wagner. Bei der Sichtung des Materials war<br />
mir Reinhard Caspari eine große Hilfe, aber auch die vielen<br />
Gesprächspartner, allen voran die Mitglieder des Arbeitskreises zur Vorbereitung<br />
des Gemeindejubiläums 1994.<br />
In dieser kleinen Gemeindegeschichte schreibe ich durchgehend von der<br />
"<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>", obwohl sie offiziell seit 1942 "Evangelisch-Freikirchliche
Gemeinde" heißt, nachdem sich die <strong>Baptisten</strong> im Dritten Reich mit anderen kleinen<br />
Freikirchen zusammenschließen mußten. Auch wenn sich nach dem Kriege einige<br />
Freikirchen von dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden wieder trennten,<br />
blieb der offizielle, etwas undeutliche Name doch erhalten. In <strong>Göttingen</strong> kennt man<br />
die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde als <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Deshalb diese<br />
Vereinfachung.<br />
Kleine thematische Abschnitte und eine große Schrift sollen das Lesen erleichtern.<br />
Man muß nicht von vorne nach hinten lesen, man kann auch in der Mitte oder im<br />
hinteren Teil beginnen. Am Ende werden alle Pastoren kurz vorgestellt, die in<br />
dieser Gemeinde gewirkt haben, ebenso die Gemeindeschwestern. Die<br />
Hauptamtlichen haben mehr, als man gemeinhin denkt, in ihrer jeweiligen Zeit das<br />
Leben der Gemeinde geprägt. Manches erschließt sich besser, wenn man sich den<br />
Pastor oder die Pastoren vor Augen führt, die zum entsprechenden Zeitpunkt in<br />
<strong>Göttingen</strong> waren. Jeder Pastorenwechsel war in gewissem Sinne ein Neuanfang,<br />
zumindest der Anlaß für eine Neubesinnung.<br />
Nun wünsche ich allen Lesern viel Freude beim Lesen, dabei ab und zu ein<br />
Schmunzeln oder gar ein befreiendes Lachen. Denn auch das Leben einer<br />
Gemeinde ist nicht todernst. Immer wieder hat die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> das<br />
Handeln Gottes auf unterschiedliche Weise erlebt.<br />
Karl Heinz Bleß
Anfänge der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong><br />
Für den 80jährigen Ernst Zeller war es ein großer Tag, als er im Sommer 1892<br />
Besuch aus Uslar bekam. Der junge Prediger Bernhard Naundorf war nach<br />
<strong>Göttingen</strong> gekommen, um ihn zu besuchen. Der alte<br />
Tischler war zu seinem Sohn nach <strong>Göttingen</strong> gezogen<br />
und entbehrte sehr den Kontakt zu den Glaubensgeschwistern.<br />
Bei einem gemeinsamen Spaziergang der<br />
beiden Männer kam ihnen eine Vision. "Wieso gibt es<br />
in der 25 000 Einwohner zählenden Stadt <strong>Göttingen</strong><br />
keine <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>?" fragten sie sich. In Kassel<br />
und Einbeck gab es schon seit 50 <strong>Jahre</strong>n eine Gemeinde.<br />
Hugo Mundhenk beschrieb den historischen<br />
Spaziergang aus dem <strong>Jahre</strong> 1892 in einem Rückblick<br />
1944 folgendermaßen: "Und wie bewegte es bei<br />
einem Rundgange durch die Stadt beider Herzen, daß<br />
hier noch nichts für den Herrn geschehen war, ja, wie<br />
haben sie in seinem Altenstübchen inbrünstig den<br />
Herrn angerufen, er möge doch auch hier seines<br />
Namens Ruhm groß werden lassen."<br />
Bernhard Naundorf<br />
1894-1907<br />
Schon am 11. September 1892 begannen erweckliche Versammlungen in einem<br />
kleinen Raum im "Römischen Kaiser" in der Groner Straße. Zu Ostern 1893 ließen<br />
sich vier gläubig gewordene Menschen auf das Bekenntnis ihres Glaubens in Uslar<br />
taufen. Und nach einem Jahr gab es in <strong>Göttingen</strong> bereits sieben <strong>Baptisten</strong>.<br />
In der Zwischenzeit hatte man ein anderes Versammlungslokal aufgetan,<br />
denn direkt über der Schankstube ließ sich nur mit Einschränkungen ein<br />
Gottesdienst feiern. Am St. Annengange, etwa dort, wo später das Hauptpostamt<br />
in der Friedrichstraße oberhalb des Wilhelmsplatzes war, fand man<br />
einen freundlicheren und<br />
geräumigeren Versammlungsraum,<br />
der allerdings<br />
etwas versteckt lag. Im<br />
Hause störte sich nach<br />
einiger Zeit eine Bewohnerin<br />
an der kleinen Gläubigenschar,<br />
die sich regelmäßig<br />
zum Singen und Beten traf.<br />
Um dem Streit aus dem<br />
Wege zu gehen, suchten die<br />
Gemeindemitglieder weiter<br />
nach einem geeigneten<br />
Raum für ihre Gemeinschaft.<br />
Das erste Gemeindehaus: Gartenstraße
Die erste Seite des ersten Protokollbuches der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>
Als Gebetserhörung werteten sie die Möglichkeit, im Sommer 1894 ein Hausgrundstück<br />
in der Gartenstraße 13 erwerben zu können, dicht am Ufer des Leinekanals.<br />
Dort bauten sie einen Saal mit 87 Sitzplätzen, zu dessen Finanzierung der Einbecker<br />
Fabrikant Wilhelm Meyer erheblich beitrug. Am 5. Juli 1894 konnte man das Haus<br />
beziehen. Nun gründeten die inzwischen 17 Gläubigen einen Monat später, am 4.<br />
August 1894, eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Mit dabei waren Vertreter der<br />
<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n Einbeck, Magdeburg und der Muttergemeinde Uslar. Erster<br />
Pastor (oder Prediger, wie man damals sagte) wurde der inzwischen 33jährige<br />
Bernhard Naundorf, der nun auch nach <strong>Göttingen</strong> zog.<br />
Die ersten 17 Mitglieder sind auf der ersten Seite des ersten Protokollbuches der<br />
Gemeinde aufgezählt:<br />
1. Ernst Zeller, Tischler,<br />
2. Martin Pleßmann, Kanzlei-Diätar ( = Aushilfsangestellter in einer Kanzlei),<br />
3. Ludwig Ahlbrecht,<br />
4. Martha Pleßmann, Dienstmädchen,<br />
5. Dorothea Nückel, Dienstmädchen,<br />
6. Wilhelm Jäger, Bibelbote,<br />
7. Wilhelm Kramer, Schriftsetzerlehrling,<br />
8. Wilhelm Kramer, Arbeiter,<br />
9. Wilhelmine Kramer, Ehefrau,<br />
10. Anna Simon, Dienstmädchen,<br />
11. Johanna Reimann, Witwe,<br />
12. Ludwig Naundorf, Gärtner,<br />
13. Bernhard Naundorf, Prediger,<br />
14. Luise Naundorf, Ehefrau,<br />
15. Johanna Ente, Dienstmädchen,<br />
16. Otto Schulze, Geschäftsreisender,<br />
17. Anna Schulze, Ehefrau.<br />
Die erste Gemeindeleitung setzte sich wie folgt zusammen:<br />
Bernhard Naundorf als Prediger und Ältester,<br />
Otto Schulze als Diakon,<br />
Ernst Zeller als Vorstandsmitglied<br />
und Martin Pleßmann als Schriftführer.<br />
"Der Wahrheitszeuge", das damalige Organ der deutschen <strong>Baptisten</strong>, schließt den<br />
Bericht über die Gemeindegründung in <strong>Göttingen</strong>: "Bemerkt sei noch, daß nicht<br />
nur das Gehalt des Predigers der jungen Gemeinde voraussichtlich gesichert<br />
ist, sondern daß auch noch ein wackerer Jüngling als Kolporteur in <strong>Göttingen</strong><br />
und Umgegend mit Treue und Fleiß thätig ist, ja, daß sogar die kleine Schar<br />
ein stattliches Haus mit Garten in günstiger Lage ihr eigenes Heim nennen<br />
darf." Auf der nächsten Bundesversammlung wurden Bedenken laut "gegen die<br />
Bildung so kleiner Gemeindlein".<br />
Einen Monat später zogen zweiweitere Glaubensgeschwister nach <strong>Göttingen</strong>, am<br />
16. Dezember wurden vier Neubekehrte getauft - in Einbeck, weil es in <strong>Göttingen</strong><br />
noch kein Taufbecken (Baptisterium) gab.
Erste Ideen für einen Kapellenbau und dessen Verwirklichung<br />
Eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ohne Taufbecken? Schon damals wird der<br />
jungen Gemeinde dieses Handikap aufgestoßen sein. Aber erst im Mai 1901 kam<br />
die Frage auf, ob man nicht bauen sollte. Zu der Zeit zählte die Gemeinde 70<br />
Mitglieder, für die der Raum in absehbarer Zeit zu klein werden würde. Deshalb<br />
regte Prediger Naundorf in einer Gemeindestunde an, schon im kommenden<br />
Frühjahr zu bauen.<br />
Erste Planungen begannen. Im Juni 1901 sagte die Bundeskassen-Commission ein<br />
Darlehen von 3.000 Mark zu, wenn die Gemeinde zwei Bürgen stellt. Die<br />
Gemeindeversammlung beschloß, die Brüder Drews und Otto Schulze jun. als<br />
Bürgen zu benennen, nachdem diese sich dafür zur Verfügung gestellt hatten. Im<br />
November lag ein Kostenvoranschlag mit Finanzplan vor. Da die Gemeinde<br />
voraussichtlich 8.000 bis 10.000 Mark an Eigenkapital haben würde, nicht zuletzt<br />
durch eine überregionale Kollekte, würde sie jährlich 300 Mark an Zinsen zu tragen<br />
haben, rechnete man. Angesichts dieser Zahlen beschloß die Gemeinde zu bauen.<br />
Es kam dann doch anders. Im Juni 1902 teilte der Vorstand der Gemeinde mit, daß<br />
"der Bau einer Kapelle in der Gartenstraße nur unter großen Schwierigkeiten<br />
genehmigt" würde. Allerdings habe die Stadtverwaltung der Gemeinde ein<br />
Grundstück in der Bürgerstraße neben der Mittelschule zum Tausch angeboten.<br />
Nach einigen Verhandlungen stellte die Stadt das 700 Quadratmeter große<br />
Grundstück gegen das in der Gartenstraße (einschließlich Schulden) zur<br />
Verfügung.<br />
Im August 1902 lagen der Gemeinde schon die neuen Pläne vor. An das<br />
Gotteshaus (Kapelle) sollte nun ein Wohnhaus angebaut werden. Geschätzte<br />
Gesamtkosten: 42.455 Mark. Ein Gemeindemitglied stellte fest, daß das<br />
"eine schwere Aufgabe für uns sei, aber im Aufblick zum Herrn sollten wir<br />
versuchen, es durchzuführen". Die Zinsbelastung wurde damals auf 900 Mark pro<br />
Jahr geschätzt, wovon man 700 Mark durch Mieteinnahmen decken wollte. In 18<br />
<strong>Jahre</strong>n wollte die Gemeinde dann schuldenfrei sein. Nach weiteren Planungen legte<br />
die Gemeinde am 5. September den Grundstein. Im August des folgenden <strong>Jahre</strong>s<br />
sollte das Einweihungsfest sein, das am 23. August auch termingerecht gefeiert<br />
werden konnte. Bis heute steht das Gebäude in der Bürgerstraße 13 gegenüber<br />
dem jetzigen Gemeindezentrum.<br />
70 Mitglieder zählte die Gemeinde 1903. Die Kapelle verfügte über 425 Sitzplätze.<br />
Die Gemeinde sah diesen Neubau als Glaubenswagnis an. Sicher dachte man<br />
daran, daß die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> weiter so wachsen würde wie in den <strong>Jahre</strong>n<br />
zuvor.
Eine Second-hand-Orgel<br />
Schon wenige <strong>Jahre</strong> nach dem Bau der Kapelle in der Bürgerstraße 13 kam der<br />
Gedanke auf, eine Orgel für das Gotteshaus anzuschaffen. Der Gemeindegesang<br />
wurde bis dahin von einem Harmonium begleitet. Doch woher sollte das Geld<br />
kommen in einer Zeit, in der man mit dem Abtragen der Schulden für den Neubau<br />
schon genug an finanziellen Belastungen zu tragen hatte?<br />
Der Gemeindechor gab einen Gesangsnachmittag, zu dem man vermutlich Eintritt<br />
nahm oder, was wahrscheinlicher ist, eine Kollekte hielt, die das Startkapital für die<br />
neue Orgel bilden sollte. Auch in den folgenden <strong>Jahre</strong>n gab es solche<br />
Veranstaltungen. Doch die Inflation 1923 bedeutete einen herben Rückschlag:<br />
Mehr als 1.000 Mark verschlang die Geldentwertung, der Rest ging bei der<br />
Umstellung auf die Rentenmark verloren.<br />
Die Gemeinde ließ sich nicht entmutigen. Aber 1948 mußte sie die gleiche<br />
Erfahrung mit dem Ersparten machen. Einen größeren Geldbetrag hatte man 1946<br />
für die zu liefernde Orgel bei der Firma Paul Ott angezahlt. Als im Juni 1948 die<br />
Währung von der Reichs- auf die Deutsche Mark umgestellt wurde, blieben nur<br />
noch 300 Mark übrig. Damit schien sich endgültig der Gedanke an eine eigene<br />
Orgel zerschlagen zu haben. Denn schon damals rechnete man mit einem Preis<br />
von 10.000 Mark für eine Orgel.<br />
In dem Willen, das Projekt nicht ganz fallen zu lassen, setzte der Finanzaus-schuß<br />
der Gemeinde 1950 erneut 1.000 Mark in den Gemeindehaushalt ein. Doch damals<br />
träumte wohl noch niemand davon, daß sich schon bald eine ganz andere Lösung<br />
zeigen würde.<br />
Wenige Tage vor Pfingsten 1950 kam Alfred Schmidt, der Mitglied der Gemeinde<br />
<strong>Göttingen</strong> war, von einer Reise aus Ostfriesland zurück. Er brachte Unterlagen von<br />
einer Orgel im Gymnasium in Leer mit, die verkauft werden sollte. Das Instrument<br />
war 1908 von der hannoverschen Orgelbauwerkstatt Furtwänger & Hammer<br />
errichtet worden und sollte durch eine neue ersetzt werden. Der für Orgelfragen bei<br />
den <strong>Baptisten</strong> zuständige Enno Popkes aus Ihrhove (heute Westoverledingen)<br />
hatte Schmidt die Unterlagen für Karl Caspari mitgegeben, der prüfen sollte, ob<br />
diese Orgel etwas für <strong>Göttingen</strong> sei. In <strong>Göttingen</strong> blieben die Unterlagen erst einmal<br />
liegen.<br />
Vier Wochen später nahm der Sohn Karl Casparis, Herbert, die Orgel in Leer in<br />
Augenschein. Er war zu der Zeit in Weener, der Nachbarstadt Leers, tätig. Das<br />
telegrafisch mitgeteilte Urteil war positiv: "Orgel gut - für <strong>Göttingen</strong> durchaus<br />
möglich - Kaufpreis 2.000 Mark".<br />
Wenige Tage später fuhren Pastor Werner Klein, Alfred Schmidt senior und junior<br />
sowie Karl Caspari nach Leer, um sich die Gebraucht-Orgel anzusehen. Nach<br />
einstündiger Prüfung zusammen mit Enno Popkes und Orgelbaumeister Führer aus<br />
Wilhelmshaven waren die Verhandlungen abgeschlossen und der Kaufpreis<br />
bezahlt. Nun war nur noch die formale Zustimmung des niedersächsischen
Kultusministers für den Verkauf der Schulorgel nötig, die nach einigen Wochen<br />
auch kam.<br />
Nach dem Willen der Gemeindeleitung sollte die Orgel umgebaut werden, wie es<br />
der Sachverständige vorgeschlagen hatte. Äußerlich wurde sie dem Gebäude<br />
angepaßt, technisch in der Orgelbauwerkstatt Führer in Wilhelmshaven überholt. In<br />
<strong>Göttingen</strong> baute sie Tischlermeister Wilhelm Körber, der hier Gemeindemitglied<br />
war, mit seinen Gesellen auf. Bereits am 3. September 1950 konnte die Secondhand-Orgel<br />
ihrer neuen Bestimmung übergeben werden. Zuvor war mit hohem<br />
Aufwand die Statik der Empore den neuen Erfordernissen angepaßt worden, damit<br />
sie das Gewicht der pneumatischen Orgel, die technisch bedingt viele Bleileitungen<br />
hatte, auf Dauer tragen konnte.<br />
Mehr als 30 <strong>Jahre</strong> tat diese Orgel<br />
ihren Dienst bei der musikalischen<br />
Begleitung des Gemeindegesangs<br />
und bei Konzerten. Doch im Laufe der<br />
<strong>Jahre</strong> wurde das Instrument immer<br />
reparaturanfälliger, so daß die<br />
Gemeinde hoffte, daß die Orgel bis<br />
zum Umzug in das neue<br />
Gemeindezentrum auf der<br />
gegenüberliegenden Straßenseite<br />
noch funktionstüchtig bleiben würde.<br />
So war es auch, denn nur an ganz<br />
wenigen Sonntagen mußte die<br />
Gemeinde ohne Orgel auskommen.<br />
Bei der Einweihung des<br />
Gemeindezentrums 1984 versteigerte<br />
die Gemeinde im Rahmen eines<br />
Festes die Orgelpfeifen. Der Erlös<br />
war für die neue Janke-Orgel<br />
gedacht. Zwei Register blieben<br />
jedoch erhalten und wurden in die<br />
neue Orgel eingebaut, nachdem die<br />
Pfeifen handwerklich überholt worden<br />
waren: die 8-Fuß-Flöte im Hauptwerk<br />
und das Octave-4-Fuß-Pedalregister.<br />
Anfänge in Nordhausen<br />
Die Orgel gleich nach dem Einbau<br />
1897, drei <strong>Jahre</strong> nach ihrer Gründung, hatte die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> mit einer<br />
"Station" (Außenstelle) in Nordhausen angefangen. Bernhard Naundorf war<br />
regelmäßig einmal im Monat in dem etwa 80 Kilometer entfernten thüringischen<br />
Nordhausen. Die sonntägliche Wortverkündigung teilte er sich mit Predigthelfern<br />
seiner Gemeinde. Am 5. Dezember 1909 gründete sich als Ergebnis dieser Arbeit<br />
in Nordhausen eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mit 53 Mitgliedern.
Wie war man ausgerechnet nach Nordhausen gekommen? Wieder war es der<br />
Einbecker Fettwaren-Fabrikant Wilhelm Meyer, der einmal gesagt haben soll: "In<br />
jener Gegend habe ich Geschäfte gemacht; nun möchte ich gern, daß dort auch<br />
Gottes Reich gebaut würde." Und so sandte er zunächst 1897 seinen<br />
Geschäftsreisenden Friedrich Schulz nach Nordhausen, "um den dortigen Kreis<br />
geschäftlich besser bearbeiten zu können, und gleichzeitig den Grundstein zu legen<br />
für die dort zu gründende Missionsarbeit". Mit seiner Frau Marie zog Schulz in die<br />
etwa 33 000 Einwohner zählende Branntweinstadt. Wilhelm Meyer muß mit seinen<br />
Schmierstoffen, die praktisch auf jedem Bauernhof gebraucht wurden, genug Geld<br />
verdient haben. Er finanzierte seine geschäftlichen Expansionen wie die<br />
Gemeindearbeit in Nordhausen.<br />
In der Lindenstraße 12 in Nordhausen entstand im Hinterhaus ein Versammlungsraum<br />
mit 60 Sitzplätzen. Einer der Schwerpunkte der Gemeindearbeit war die<br />
"Sonntagsschule", mit der man im Februar 1898 begann. Um hier die Arbeit auf<br />
mehrere Schultern zu verteilen, zog Wilhelm Körber aus <strong>Göttingen</strong> nach<br />
Nordhausen.<br />
Im Oktober 1901 kam eine weitere personelle Unterstützung aus <strong>Göttingen</strong>: der<br />
23jährige Wilhelm Wiswedel, der als Kolporteur angestellt war. Er verkaufte Bibeln<br />
und christliche Schriften. In dieser Zeit gehörten 20 Menschen zur Station<br />
Nordhausen der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Getauft wurden die neuen<br />
Gemeindemitglieder bis 1903 jeweils in Einbeck, anschließend in der neuen Kapelle<br />
in <strong>Göttingen</strong>.<br />
Nachdem der Grundstein für eine selbständige Gemeinde in Nordhausen gelegt<br />
war, bemühte sich Wilhelm Meyer in Einbeck um einen eigenen Pastor für die<br />
Nordhäuser Station. Er fand in Chemnitz den wegen seiner Unerschrokkenheit und<br />
seines missionarischen Eifers bekannten Heinrich Braun. Der zog im Herbst 1906<br />
mit seiner Frau Martha und seinen acht Kindern nach Nordhausen. Zu der Zeit<br />
fanden die Versammlungen immer noch im Hinterhaus in der Lindenstraße statt.<br />
Schon bald wurde es hier aber zu eng, so daß man über einen Kapellenbau<br />
nachdachte. Wieder war es Wilhelm Meyer in Einbeck, der in der Grimmelallee 51<br />
ein verlottertes Grundstück erwarb. Dort stand "ein verkommenes und zerfallenes<br />
Anwesen, ein Haus, das von Grund auf renoviert werden mußte". Dort, wo Pferde-<br />
und Schweinestall gewesen waren und die Decke durchgebrochen war, sollte der<br />
Gottesdienstraum entstehen. Und schon bald packten alle Gemeindemitglieder an.<br />
Aus <strong>Göttingen</strong> kam der Zimmermeister Hoffmeister, der dort zur <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />
gehörte, und stabilisierte mit seinen Handwerkern das Gebäude, zog neue Decken<br />
und Balken ein und fing das Dach ab. Es war derselbe Zimmermeister, der in<br />
<strong>Göttingen</strong> auch zum Beispiel die Holzbänke für die Kapelle gebaut hatte.<br />
Am 6. Oktober 1907 weihte die Gemeinde den neuen Saal ein, der 160 bis 170<br />
Personen Platz bot. Nun dauerte es nur noch zwei <strong>Jahre</strong> (Dezember 1909), bis<br />
<strong>Göttingen</strong> die Station Nordhausen in die Selbständigkeit entlassen konnte. Von da<br />
an wurden alle Entscheidungen für Nordhausen von den Gemeindemitgliedern in<br />
Nordhausen gefällt. Bereits im Frühjahr hatte die Gemeinde Nordhausen in der 23<br />
Kilometer weiter südlich gelegenen Stadt Sondershausen eine Station gegründet.
Kontakte zwischen den Gemeinden <strong>Göttingen</strong> und Nordhauen bestehen bis heute;<br />
nach der Wende 1989 wurden sie wieder intensiviert.<br />
Die Kapelle mit Wohnhaus in der Grimmelallee 51 in Nordhausen (1990)<br />
Eine Gemeinde mit Tennisplatz?<br />
Kreativität und Perspektiven muß man der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> beim Blick<br />
in die Geschichte immer wieder bescheinigen. So gab es vor 60 <strong>Jahre</strong>n<br />
nachweislich Pläne, einen Tennisplatz zu bauen. Und das kam so:<br />
Um 1930 erwarb die Gemeinde ein etwa 10.000 Quadratmeter großes Gelände vor<br />
den Toren <strong>Göttingen</strong>s auf dem Lohberg, von wo man einen sehr schönen Ausblick<br />
in das Leinetal hatte. (Man war wohl auf das Grundstück gekommen, weil gleich<br />
nebenan Wilhelm Kramer, einer der Gründungsmitglieder, ein Wochenendhaus<br />
stehen hatte.) Hier sollte nun eine "Freizeitanlage" entstehen. Direkt am Wald und<br />
an einem Wanderweg gelegen, richteten die Gemeindemitglieder zunächst einen<br />
Gottesdienstplatz mit rund hundert Sitzplätzen ein. Da es in der 30er <strong>Jahre</strong>n noch<br />
üblich war, am Sonntag vormittags und nachmittags einen Gottesdienst zu feiern,<br />
hatten die Göttinger die Idee, sich im Sommer bei schönem Wetter unter freiem<br />
Himmel zum gemeinsamen Gesang und zum Hören auf das Wort Gottes zu treffen.<br />
Damit wollte man auch heraus aus dem geschlossenen Kirchengebäude,<br />
Öffentlichkeitsarbeit verwirklichen, fremden Menschen auch hier die<br />
Schwellenangst nehmen. Wer wollte, konnte sich einfach als "Zaungast" alles
ansehen oder aber sich dazusetzen. Außer am Sonntagnachmittag war der Platz im<br />
Sommer dienstags geöffnet.<br />
Das Leben der Christen besteht aus weit mehr als den Feiern von Gottesdiensten<br />
und dem diakonischen Dienst. In der Überzeugung, daß auch das gemeinsame<br />
Spielen zum lebendigen Christsein gehört oder gehören kann, stellte man<br />
Spielgeräte (Reck, Schaukel und Rundlauf) für die Jugend und einen Sandkasten<br />
für die Kinder auf. Und für das kommende Jahr (1933) plante man, einen<br />
Tennisplatz zu bauen. Für die weitere Zukunft gab es Überlegungen, hier ein<br />
Altersheim, ein Erholungsheim oder ähnliches zu errichten. Konkrete Pläne dafür<br />
gab es aber noch nicht.<br />
Den Platz auf dem Lohberg weihte die Gemeinde am Montag, dem 8. August 1932,<br />
offiziell ein. Es war gleichzeitig die Feier zur Erinnerung daran, daß 40 <strong>Jahre</strong> zuvor<br />
Bernhard Naundorf nach <strong>Göttingen</strong> gekommen und Ernst Zeller besucht hatte, also<br />
an die "Geburtsstunde" der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Der Platz erhielt den<br />
Namen "Naundorfhöhe".<br />
Prediger Johannes Schoof machte in einem Vortrag klar, daß man "mit der<br />
Namensgebung des Grundstücks allein den Herrn, der seine Erlösten zu so<br />
reichem Segen setzen kann, verherrlichen", gleichzeitig aber den Wunsch zum<br />
Ausdruck bringen wolle, "die uns verliehenen Gaben ebenso entschieden wie Br.<br />
Naundorf in Gottes Dienst stellen zu können".<br />
Lange hatte die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> allerdings keine Freude an der "Naundorfhöhe",<br />
auch wurde der Tennisplatz nicht gebaut und noch weniger ein Alten-<br />
oder Erholungsheim. Das Naziregime beanspruchte 1936 das Grundstück, weil hier<br />
eine Kaserne entstehen sollte (Zietenkaserne). Mit dem Erlös aus dem Verkauf des<br />
Geländes trug die Gemeinde ihre letzten Schulden aus dem Kapellenbau ab.<br />
Rückzug während der 30er <strong>Jahre</strong><br />
Wie verhielten sich die Gemeindemitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus und<br />
des Zweiten Weltkrieges? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, denn in den<br />
Archiven ist kaum etwas zu finden. Es scheint, als habe sich die Gemeinde auf sich<br />
selbst zurückgezogen, sich auf interne Probleme konzentriert. Nur einige wenige<br />
Gemeindemitglieder, so stellt es sich heute dar, waren von der "neuen Zeit"<br />
begeistert, die meisten waren wohlverunsichert. Denn unübersehbar waren die<br />
Einschränkungen, die der Staat der Freikirche auferlegte. So mußten sich zum<br />
Beispiel auf staatlichen Druck hin 1942 mehrere Freikirchen zum Bund<br />
Evangelisch-Freikichlicher Gemeinden zusammenschließen. Eine Wirkung der<br />
Gemeinde in die Gesellschaft hinein ist kaum auszumachen.<br />
Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde die Gemeindearbeit noch schwieriger. Die<br />
meisten Männer wurden eingezogen. Pastor Reinhard Steenblock versuchte,<br />
brieflich Kontakt zu den Soldaten zu halten. Er schrieb seine Sonntagspredigten<br />
vollständig auf, vervielfältigte sie und schickte sie an die Gemeindemitglieder, die<br />
Soldaten waren.
Das Ende des Krieges bedeutete eine neue Herausforderung. Flüchtlinge kamen<br />
über Friedland auch nach <strong>Göttingen</strong>, darunter viele <strong>Baptisten</strong>. Innerhalb weniger<br />
Monate verdoppelte sich die Zahl der Gemeindemitglieder in <strong>Göttingen</strong>.<br />
Organisatorisch, seelsorgerlich und diakonisch war eine neue Ära zu meistern.<br />
Zwei <strong>Jahre</strong> Studentenspeisung in<br />
<strong>Göttingen</strong><br />
Obwohl es nur zwei von hundert <strong>Jahre</strong>n waren, haben sie doch die Gemeindegeschichte<br />
nachhaltig geprägt: die <strong>Jahre</strong> der Studentenspeisungen. Sie begannen am<br />
3. Juni 1947 und endeten Ende Juni 1949. Es war die Zeit der besonderen Not in<br />
Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lebensmittelversorgung funktionierte<br />
noch nicht wieder, Flüchtlingsströme verschärften die Versorgungssituation weiter.<br />
Viele Menschen hungerten, an regelmäßige Mahlzeiten konnten Tausende nicht<br />
denken. Besonders betroffen davon waren Kinder (Waisen), Studenten und Senioren.<br />
Genau in der Mitte dieser beiden <strong>Jahre</strong> war die Währungsreform in Deutschland (20.<br />
Juni 1948).<br />
Der Baptistische Weltbund mit Sitz in den USA organisierte Lebensmittellieferungen.<br />
Verteilungspartner in Deutschland war die "Bruderhilfe" in Dillenburg. In<br />
<strong>Göttingen</strong> begann am 3. Juni 1947 die erste Studentenspeisung Deutschlands,<br />
nach deren Vorbild bald auch in Tübingen, München und Hamburg ähnliche<br />
Hilfsprojekte anliefen; in Dillenburg und Bad Homburg organisierten die <strong>Baptisten</strong><br />
Altenspeisungen, in Schneeberg im Erzgebirge Kinderspeisungen, in Leipzig und<br />
Meiningen Kindergartenspeisungen und in Sosa (Erzgebirge) und Altenburg in<br />
Thüringen kombinierte Alten- und Kinderspeisungen.<br />
Gustav Voss als Koch, Heinrich Schmidtmann<br />
und Pastor Philipp Scherer<br />
Zunächst hatte die Gemeinde<br />
soviele Lebensmittel erhalten,<br />
daß sie ein Vierteljahr lang<br />
hundert Studenten viermal<br />
wöchentlich eine warme<br />
Mahlzeit in ihren<br />
Gemeinderäumen (Kleiner<br />
Saal) in der Bürgerstraße 13<br />
austeilen konnte. Die<br />
provisorische Küche war im<br />
Keller, wo Gustav Voss als<br />
Koch die Verantwortung trug.<br />
Schon im September 1947,<br />
nach weiteren Lieferungen,<br />
konnte die Zahl der<br />
Teilnehmer auf 150 erhöht<br />
werden. Am 1. Februar 1948<br />
teilte die Gemeinde sogar an<br />
fünf Tagen Essen an<br />
Bedürftige aus.
Wie sollte man die "Berechtigten" auswählen? Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> beauftragte<br />
das Akademische Hilfswerk der Universität mit der Auswahl, weil man nicht nur an<br />
baptistische Studenten das Essen verteilen wollte, sondern an die Bedürftigsten in<br />
der Stadt. So mußten sich alle, die sich um die Teilnahme am Mittagessen<br />
bewarben, einer Untersuchung durch einen Arzt unterziehen, der zugleich<br />
bestimmte, ob der einzelne vier oder acht Wochen teilnehmen durfte. Bevorzugt<br />
wurden die, die besonders unterernährt waren, sowie Examenssemester. Die gute<br />
Verpflegung steigerte die Arbeitsfähigkeit schnell und spürbar. Auch riß sie viele<br />
Hungernde aus ihrer Depression. Immer wieder berichteten Teilnehmer, daß ihre<br />
Mattigkeit überwunden wurde, sich ihre Leistungsfähigkeit steigerte und sie auch<br />
geistig frischer waren.<br />
Nach genau einem Jahr hatte das Akademische Hilfswerk 1.167 Studenten<br />
einschließlich einiger Dozenten für die Speisung ausgewählt. Weitere 144 benannte<br />
die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> aus ihren Mitgliedern und Freunden, 389 Teilnehmer<br />
bestimmte die "Bruderhilfe" aus der Ortsgemeinde und ihrem Freundeskreis, wobei<br />
auch Menschen berücksichtigt wurden, die der Gemeinde als gesundheitlich<br />
gefährdet benannt worden waren, aber nicht zur Ortsgemeinde gehörten.<br />
Statistik nach einem Jahr: An insgesamt 236 Verpflegungstagen wurden rund<br />
siebeneinhalb Tonnen Lebensmittel in rund 32.000 Einzelportionen zu je drei Viertel<br />
Litern je Essen an <strong>100</strong>0 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgegeben. Die<br />
Mahlzeiten wurden aus Mehl, Haferflocken, Milch in Dosen oder Tüten, Erbsen,<br />
Suppenmehl, Nudeln, Grieß, Linsen und Kartoffeln, Pflaumen, Rosinen und Zucker,<br />
Käse, Speck, Wurst, Fleisch und Fett, Schokolade, Kakao und Sirup sowie<br />
Heringen zubereitet. Reichte zuerst in der provisorischen Küche ein <strong>100</strong>-Liter-<br />
Kochkessel, so brauchte man bald einen mit 150 Litern Volumen und schließlich<br />
einen 250-Liter-Wasserbad-Kochkessel, der den Vorteil hatte, daß darin praktisch<br />
nichts anbrennen konnte.<br />
Im Laufe des <strong>Jahre</strong>s 1948 wurde die Teilnehmerzahl pro Verpflegungstag auf 250<br />
bis 300 erhöht. Neunzig Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehörten<br />
nicht der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde an.<br />
Die Bilanz nach zwei <strong>Jahre</strong>n: 15 Tonnen Lebensmittel waren verarbeitet worden, 2<br />
500 Studenten und Dozenten kamen in den Genuß der Studentenspeisung. Hinzu<br />
kam ein Anteil von etwa 20 Prozent der Teilnehmer, die aus allen Volksschichten<br />
kamen. An 540 Verpflegungstagen wurden in den zwei <strong>Jahre</strong>n 60.000 bis 70.000<br />
Essen ausgegeben.<br />
Für die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> war die Studentenspeisung eine große<br />
organisatorische Leistung. Trotzdem stieß man immer wieder an Grenzen. Zum<br />
Beispiel wußte man zeitweise nicht, wo man die Lebensmittel einlagern sollte, die<br />
Gemeindearbeit war eingeschränkt, weil die Nebenräume zur "Mensa"<br />
umfunktioniert worden waren. So wandte sich die Gemeinde im Juni 1948 an die<br />
Göttinger Stadtverwaltung mit der Bitte, einen Lagerraum zur Verfügung zu stellen.<br />
Das Engagement der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> für die Versorgung der Studenten fand in<br />
<strong>Göttingen</strong> Beachtung. Als die Speisung genau ein Jahr lief, lud die Gemeinde zu<br />
einer kleinen Feierstunde ein, zu der unter anderem der Rektor der Universität,<br />
Professor Dr. Hermann Rein, als Vertreter des Akademischen Hilfswerks der
evangelisch-reformierte Theologieprofessor Dr. Otto Weber sowie Vertreter der<br />
Stadt <strong>Göttingen</strong> kamen. Der Rektor der Universität stellte in einer Rede die "hohe<br />
sittliche Bedeutung" des Werkes heraus. Er sprach von dem Geist und der<br />
opferbereiten Liebe der amerikanischen Spender, die nicht einen geschlagenen<br />
Feind, sondern einen hilfsbedürftigen Bruder sähen und dafür persönliche Arbeit<br />
(Überstunden) leisteten, um die Gelder für die Hilfsaktion zusammenzubekommen.<br />
Für die Gemeinde war dieser diakonische Dienst an den Mitbürgern auch eine<br />
missionarische Aufgabe. Viele Menschen, die wahrscheinlich nie in die Gemeinderäume<br />
der <strong>Baptisten</strong> gekommen wären, lernten die Menschen hier kennen<br />
und verloren so die Schwellenangst. Ob dadurch auch Menschen zum Glauben an<br />
Jesus Christus kamen, ist allerdings nicht bekannt.<br />
Ganz sicher ist der Gemeinde aber die Gruppe der Studenten in der Stadt bewußt<br />
geworden, so daß schon zu dieser Zeit ein christlicher Studentenkreis entstand.<br />
Die "Bruderhilfe" in Friedland<br />
Als Anfang Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war Friedland, 15<br />
Kilometer südlich von <strong>Göttingen</strong>, noch ein unbekanntes Dorf, das aber innerhalb<br />
weniger Wochen und Monate zu einem der bekanntesten Orte in Deutschland<br />
werden sollte. Denn mit dem Ende des Krieges begann hier erst das eigentliche<br />
Chaos. Tausende waren unterwegs, auf der Flucht oder auf der Suche nach<br />
Familienangehörigen, nach Arbeit und Wohnung; eine funktionierende Verwaltung<br />
gab es nicht mehr. Die Versorgung mit Lebensmitteln brach vollends zusammen.<br />
Die "Bruderhilfe" der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde 1948, Baracke 82
So richtete die britische Besatzungsmacht im September 1945 in Friedland, an der<br />
Grenze zur sowjetischen und zur amerikanischen Besatzungszone, ein Lager in<br />
den ehemaligen Ställen des Versuchsguts der Universität <strong>Göttingen</strong> ein, in dem die<br />
Vertriebenen, Flüchtlinge, Evakuierten und Heimkehrer erfaßt, verpflegt und<br />
vorläufig untergebracht werden sollten. Das Lager hatte eine zentrale Bedeutung,<br />
weil man hier neue Papiere erhielt, die etwa für Arbeitsgenehmigungen oder<br />
Lebensmittelzuweisungen nötig waren. Doch niemand hatte sich wohl das Ausmaß<br />
der Bevölkerungsbewegungen vorstellen können, die in ost-westlicher oder westöstlicher<br />
Richtung unterwegs waren. Das Lager war ständig überfüllt, die Mitarbeiter<br />
der Lagerleitung mit ihren Aufgaben überfordert. Auch die Helfer des Deutschen<br />
Roten Kreuzes, der Caritas und der Heilsarmee sowie zahlreiche freiwillige<br />
Studenten der Universität <strong>Göttingen</strong> konnten die Arbeit kaum bewältigen. So<br />
unterstützte die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> von April 1946 bis Ende 1951 die<br />
rund 80 Helferinnen und Helfer der Inneren Mission durch die "Bruderhilfe" des<br />
Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, die organisatorisch dem Hilfswerk<br />
der EKD verbunden war. Finanziert wurde die "Bruderhilfe" bis weit in die 50er<br />
<strong>Jahre</strong> hinein vor allem durch Spenden von <strong>Baptisten</strong> in den USA, Kanada und<br />
Schweden. Ein besonderes Komitee koordinierte die Aktivitäten gemeinsam mit<br />
einem deutschen Gremium, für das Immanuel Walter vor Ort die Projekte besah.<br />
Die Friedlandhilfe war nur ein kleiner Teil dieses Hilfswerkes.<br />
In einem Rückblick von 1948 heißt es: "Viele Lebensmüde, Hoffnungslose und<br />
Irregewordene trieben in diesem Strom des Elends. Sie hatten keine<br />
physische und seelische Kraft mehr, höchstens noch die, ihrem hoffnungslosen<br />
Dasein mit eigener Hand ein Ende zu setzen. Und das kam nicht selten<br />
vor. Diese Menschen herauszufischen und ihnen über die schwerste Krise<br />
ihres Lebens hinwegzuhelfen, wurde für uns zu einer vordringlichen<br />
Aufgabe, die zu denen der persönlichen Hilfestellung und materiellen<br />
Unterstützung hinzutrat. Bei aller schweren körperlichen Arbeit, die zu<br />
leisten war, verloren unsere Helfer doch nicht den geschärften Blick für die<br />
seelische Not. Und so ergab sich, daß in enger Zusammenarbeit mit der<br />
Lagerleitung der Seelsorge immer mehr Raum gewährt wurde.<br />
Lagergottesdienste wurden eingerichtet und gefördert, ihre innere Gestaltung<br />
wurde vertieft. Unter freiem Himmel und in engen Wellblechbaracken, in denen<br />
notfalls hundert Menschen schlecht untergebracht werden konnten, fanden Lob-<br />
und Dankgottesdienste statt. Hier bekamen müde Seelen neuen Mut zum<br />
Weiterpilgern. Die Chormitglieder der Gemeinde <strong>Göttingen</strong> waren stets zur Stelle,<br />
wenn gerufen wurde. Es geschah häufig, daß innerhalb weniger Stunden ein<br />
Autobus voll solcher Helfer nach Friedland geholt wurde, damit sie die<br />
Gottesdienste durch Lied und Zeugnis vertieften. - So hatte die kleine "Bruderhilfe"<br />
bald, ohne es zu wollen, allein durch ihre größere Beweglichkeit, die Initiative in der<br />
gottesdienstlichen Betreuung übernommen. "<br />
Im Herbst 1946 ließ der Strom der Flüchtlinge und Vertriebenen langsam nach.<br />
Dafür wechselten bald die Heimkehrer aus westlicher und östlicher<br />
Kriegsgefangenschaft über das Lager. Der erste Heimkehrertransport deutscher<br />
Kriegsgefangener aus Rußland am 13. August 1946 ist in die Geschichte<br />
eingegangen. Von der letzten Eisenbahnstation des sowjetisch besetzten Gebietes<br />
traten die Grenzübergänger den Fußmarsch nach Friedland an. So auch die
Kriegsgefangenen. Die vorsichtigen Engländer trauten den deutschen Soldaten<br />
noch immer alles zu und befürchteten, die ehemaligen Gefangenen könnten eine<br />
Bürgerkriegsarmee aufstellen, die dann in Westdeutschland eingesetzt werden<br />
sollte. Als die ersten 1200 deutschen ehemaligen Soldaten an der Grenze bei<br />
Besenhausen eintrafen, standen fünf britische Panzer schußbereit. Eine<br />
ausgeschwärmte Kompanie lag mit schweren und leichten Maschinengewehren<br />
gefechtsbereit in der Deckung. Schweigend nahten die Marschblöcke, je fünf Mann<br />
nebeneinander. Russische Posten hoben den Schlagbaum, und lähmendes<br />
Entsetzen packte alle, die den Transport erwarteten. Es waren keine kampfbereiten<br />
Soldaten, die da zurückkehrten, sondern es schleppten sich müde, erschöpfte und<br />
ausgemergelte Männer an Krücken und Stöcken mühsam voran und trugen mit<br />
letzten Kräften Kameraden, die zusammengebrochen waren. Beschämt kamen die<br />
Engländer aus der Deckung. Der Lautsprecher, der für die Begrüßungsansprache des<br />
Lagerkommandanten mit an die Grenze gefahren worden war, blieb stumm. Niemand<br />
fand Worte, als diese vielen Menschenwracks in Erscheinung traten, wie sie der<br />
Westen auf einmal noch nicht gesehen hatte: demontierte Menschen, demontiert bis<br />
auf die Knochen, die dort schweigend vorbeizogen. Eine Schwester vom Roten<br />
Kreuz, die mit brüchiger Stimme "Willkommen in der Heimat, Kameraden!" rief, erhielt<br />
von diesen furchtsam-scheuen Gestalten mit ihren stieren Blicken keine Antwort. Karl<br />
Caspari: "Noch Stunden nach dem Grenzübertritt blieb der Todesbann auf<br />
diesen Menschen, die Glauben und Hoffnung verloren zu haben schienen,<br />
haften. Sie konnten nicht mehr erfassen, daß es noch Freiheit gab und sie im<br />
Begriff standen, in diese - wenn auch nur äußere und oft recht fragwürdige -<br />
Freiheit einzutreten."<br />
Die Gottesdienste im Kreise dieser Heimgekehrten wurden bald zu Lob- und<br />
Dankgottesdiensten. Die Lieder "Großer Gott, wir loben dich" und 'Nun danket alle<br />
Gott" hatten plötzlich eine handfeste Bedeutung, die vielen Menschen hier in den<br />
Gottesdiensten unter Tränen bewußt wurde.<br />
In zahlreichen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n wurden zur Finanzierung der diakonischen und<br />
geistlichen Arbeit in Friedland Sammlungen durchgeführt. Mitte 1949 wollten die<br />
"Bruderhilfe" in Dillenburg und die Bundesleitung der deutschen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n,<br />
die Leitung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, die<br />
Finanzierung auslaufen lassen, weil man der Ansicht war, daß diese vorübergehende<br />
Arbeit nun zu Ende gehen sollte, um weitere Geldmittel für andere Aufgaben zu<br />
haben. Damals schrieb Pastor Werner Klein einen flammenden Brief an die Träger<br />
der Friedlandhilfe, um die Arbeit fortsetzen zu können. Dabei betonte er die gute<br />
ökumenische Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen und den Hilfsorganisationen<br />
im Lager. In einem unterstützenden Begleitschreiben des katholischen Lagerpfarrers<br />
Dr. Krahe betont dieser, daß die Stärke der Hilfsverbände oder Wohlfahrtsverbände<br />
im Lager "wesentlich durch die enge Zusammenarbeit und eingutes Verstehen der<br />
Leiter der einzelnen Verbände untereinander" begründet sei. "Wir dürfen wohl<br />
sagen, dass die Arbeit der Verbände der gesamten Lagerarbeit ihr 'Gesicht', ihre<br />
besondere Eigenart gegeben hat. Der Wegfall eines Verbandes würde meiner<br />
Meinung nach nicht die anderen Verbände stärken, sondern ihre gesamte<br />
Bedeutung schwächen." Das Werben zeigte Wirkung: Die Arbeit lief bis Ende 1951<br />
weiter.
Im Laufe der <strong>Jahre</strong> änderte sich mehrfach die Funktion des Lagers Friedland, weil<br />
die Zuwanderung im Laufe der Zeit nachließ, und weil zunächst "Boat People" aus<br />
Vietnam, dann Aussiedler aus Polen oder der Sowjetunion das Lager vor neue<br />
Aufgaben stellten. Seit 1964 war "Friedland" allein Grenzdurchgangslager.<br />
Die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> hat 1977 an die Tradition der Lagergottesdienste<br />
noch einmal angeknüpft, auch weil unter den Aussiedlern aus Rußland viele<br />
Evangeliumschristen-<strong>Baptisten</strong> waren. Während der pensionierte Göttinger<br />
Superintendent Ernst Archilles in der Woche täglich eine Abendandacht für die<br />
Aussiedler in der Lagerkapelle und sonntagvormittags einen evangelischen<br />
Gottesdienst anbot, halfen Mitarbeiter der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde<br />
am Samstagabend aus. An jedem Samstag waren die Göttinger <strong>Baptisten</strong> für die<br />
Abendandacht in der Lagerkapelle verantwortlich. Wegen des Rückgangs der<br />
Aussiedlerzahlen und vor allem, weil die wenigen, die die Lagergottesdienste<br />
zuletzt besuchten, so gut wie kein Wort Deutsch mehr verstanden, lief dieser Dienst<br />
Ende Juni 1994 aus.<br />
Eine andere Form der Unterstützung der "Bruderhilfe": Kleiderspenden<br />
aus Amerika für die Gemeinde. Auch Lebensmittelpakete kamen in<br />
<strong>Göttingen</strong> an.
Kurze Gemeindegeschichte in Duderstadt<br />
Auch in Duderstadt gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine kleine <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />
Durch die große Zahl der Flüchtlinge hatten sich auch zahlreiche<br />
<strong>Baptisten</strong> dort angesiedelt, die von der Gemeinde in <strong>Göttingen</strong> aus betreut wurden.<br />
Allerdings gibt es Hinweise, daß es bereits im <strong>Jahre</strong> 1851 sieben <strong>Baptisten</strong> in<br />
Duderstadt gab, um die sich die Gemeinde Einbeck kümmerte. 1947 zogen zwei<br />
<strong>Baptisten</strong>-Familien (Schritt und Romppel), die aus dem Osten geflüchtet waren,<br />
nach Duderstadt. Sie trafen sich bald zum Gottesdienst im "Goldenen Löwen".<br />
Mitte Juli 1951 mußte die<br />
kleine Göttinger Zweiggemeinde<br />
ihren Versammlungsort<br />
aufgeben,<br />
weil ihr der bisherige<br />
Raum im "Goldenen<br />
Löwen" gekündigt wurde.<br />
Und da es in Duderstadt<br />
keine Alternative dazu<br />
gab, sah sich die Gemeinde<br />
gezwungen, in<br />
Duderstadt eine Kapelle<br />
zu bauen. Deshalb bekam<br />
dieser Plan für die<br />
Gesamtgemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />
oberste Priorität.<br />
So schnell wie möglich<br />
mußte das Geld (20 000<br />
Mark) durch Spenden<br />
aufgebracht werden. Da<br />
Herbst 1951: Innerhalb kürzester Zeit entsteht in<br />
Duderstadt auf einer grünen Wiese eine Kapelle.<br />
zu steuerten auch amerikanische und schwedische <strong>Baptisten</strong> über die "Bruderhilfe"<br />
Geld bei. Und: um beispielsweise die rund hundert Stühle für die Kirche zu erhalten,<br />
bat die Gemeinde andere baptistische Institutionen und Gemeinden in ganz<br />
Westdeutschland, "sich einen Platz zu sichern", indem sie jeweils einen Stuhl<br />
finanzierten - zum Preis von 12,50 Mark. Die Gemeinde stellte den Stiftern in<br />
Aussicht, den Namen des Spenders am Stuhl anzubringen. So habe man bald die<br />
bundesweite <strong>Baptisten</strong>gemeinschaft in der Duderstädter Kapelle vor Augen, war die<br />
Idee. Daraufgingen viele ein, auch beispielsweise 18 Jungen des Jungenheimes<br />
Lichterfelde in Berlin, die für einen Stuhl sammelten.<br />
Schon sehr bald hatte die Gemeinde ein städtisches Erbbau-Grundstück in<br />
Aussicht, das allerdings im Überschwemmungsgebiet der Hahle an der Straße "Auf<br />
dem Westernborn" lag. Am 20. Oktober 1951 entschied der Beschlußausschuß für<br />
den Kreis Duderstadt, daß die Gemeinde dort bauen darf, bei eventuellen<br />
Wasserschäden aber keinen Schadensersatzanspruch hat. Neun Tage später traf<br />
man sich vor einem Notar, um den Erbpachtvertrag über 80 <strong>Jahre</strong> mit der<br />
Stadtgemeinde Duderstadt zu schließen. Das Grundstück war 10,6 Ar groß. Der<br />
Erbpachtzins wurde auf 95,58 Mark pro Jahr festgelegt.
Innerhalb kürzester Zeit wurde das Gebäude auf dem Grundstück errichtet. Zu bauen<br />
begonnen hatte man offenbar schon im August oder September. Im Oktober-<br />
Gemeindebrief schrieb Prediger Werner Klein: "Unsere Kapelle in Duderstadt<br />
wächst zu unserer Freude in fleißiger Mitarbeit der dortigen Geschwister empor,<br />
so daß wir in Kürze Richtfest feiern können und die Einweihung voraussichtlich<br />
Ende November erfolgen kann. Viele Gemeindeglieder haben sich lobenswert<br />
mit ihren Spenden an dem Aufbau beteiligt. Aber noch fehlen etliche tausend<br />
Mark, um den Bau vollenden zu können." Am 9. Dezember feierte die Gemeinde<br />
in Duderstadt die<br />
Einweihung der "Christus-<br />
Kirche". Zu dem Zeitpunkt<br />
gehörten 68 Mitglieder zur<br />
Zweiggemeinde<br />
Duderstadt.<br />
Die Kapelle in Duderstadt in guten Tagen<br />
Die Zweiggemeinde in<br />
Duderstadt hatte sogar<br />
ihren eigenen Prediger. Die<br />
Gemeindeversammlung beschloß<br />
am 28. Oktober<br />
1949, den Justizangestellten<br />
Eduard Schritt zum<br />
hauptamtlichen Prediger<br />
und Seelsorger zu berufen.<br />
Die Gemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />
gab dazu ihr Ja.<br />
Schon bald entwickelten die Duderstädter <strong>Baptisten</strong> eine große Missionstätigkeit in<br />
ihrer Stadt. In besonderen Veranstaltungen bezeugten sie ihren Glauben,<br />
Referenten wurden zu Vortragsreihen eingeladen. So wuchs die Gemeinde. Auch<br />
eine Kinder- und Jugendarbeit gedieh. Selbst einen Chor gab es.<br />
Andererseits herrschte eine große Fluktuation, weil weitere Flüchtlinge herzogen<br />
und andere Familien auswanderten, etwa in die USA oder nach Kanada. Die<br />
Statistik weist als höchste Mitgliederzahl für Duderstadt und Umgebung 89 aus.<br />
Eduard Schritt verfolgte schon bald nach der Einweihung den Gedanken, an die<br />
Kapelle ein Wohnhaus anzubauen. Wenn man sich das Gebäude ansieht, dann ist<br />
es bereits so angelegt, daß es durch einen Anbau ergänzt werden kann. Eine Zwei-<br />
Zimmer-Wohnung und einen Jugendsaal sollte der Anbau haben. Die Pläne sind<br />
bis heute erhalten. 1954 stand sogar schon die Finanzierung: 20.000 Mark sollte<br />
der Anbau kosten. Doch verwirklicht wurden die Pläne nicht. Denn trotz<br />
missionarischen Einsatzes blieb die Weiterentwicklung in den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />
aus. Ein wichtiger Grund dafür war, daß es in dem Zonenrandgebiet nicht<br />
genügend Arbeit für die Flüchtlingsfamilien gab, so daß viele wegzogen.<br />
Der entscheidende historische Wendepunkt kam Anfang 1956, als Eduard Schritt<br />
nach Bad Wildungen zog und seinen Dienst in Duderstadt beendete. Der<br />
Gemeindevorstand in <strong>Göttingen</strong> versuchte so schnell wie möglich einen Nachfolger
zu finden, dachte dabei aus Kostengründen an einen pensionierten Pastor. Doch<br />
immer wieder zerschlugen sich die Pläne, manchmal erst nach dem<br />
Vorstellungsgespräch eines Interessenten. Da war es fast schon wie ein Aufatmen,<br />
als ein angehender Theologiestudent, der 21jährige Sigurd Birschmann, sich bereit<br />
erklärte, vor seinem Studium ein zehnmonatiges Gemeindepraktikum in Duderstadt<br />
zu absolvieren. Derweil suchte die Gemeinde weiter. Als schließlich Pastor Herbert<br />
Gudjons den Mitarbeitern in Duderstadt mitteilte, daß sich Ende September 1957<br />
ein Pastor in der Zweiggemeinde vorstellen würde, beschwerten sich die<br />
Duderstädter mit einer Unterschriftenliste beim Göttinger Gemeindevorstand, daß<br />
sie in Duderstadt nicht genügend Mitspracherecht hätten. Inzwischen zerschlugen<br />
sich die Pläne aus ganz anderen Gründen.<br />
Anfang 1958 unterbreiteten die Duderstädter der Muttergemeinde außerdem den<br />
Plan für einen Erweiterungsbau der Christus-Kirche. Die Kosten sollten rund 20 500<br />
Mark betragen. Einen Finanzierungsplan gab es allerdings nicht. Aus diesem Grund<br />
und wegen der unsicheren Zukunft der Gemeinde bei stetem Wegzug der<br />
Mitglieder riet der Göttinger Vorstand, kein Wohnhaus anzubauen, sondern den<br />
Gottesdienstraum neu aufzuteilen und entsprechend umzubauen. Es kam zum<br />
Streit, einige Gemeindemitglieder wollten nicht mehr mit <strong>Göttingen</strong><br />
zusammenarbeiten, sondern sich der Gemeinde Bad Wildungen anschließen. Nach<br />
und nach glätteten sich die Wogen wieder, im Dezember gab es gar ein<br />
Versöhungsfest.<br />
Im Mai 1962 entstanden erneut Baupläne: Die Familien Bürger und Romppel<br />
wollten auf dem Gemeindegrundstück neben der Kapelle ein Wohnhaus errichten.<br />
Die Göttinger Gemeinde signalisierte Zustimmung, doch verweigerte die Stadt<br />
Duderstadt eine Baugenehmigung. Alte Umbaupläne wurden aufgegriffen, doch<br />
stießen sie erneut auf Widerstand.<br />
1967 verkaufte die Stadt das Erbbaugrundstück an die Gemeinde einschließlich<br />
eines angrenzenden Grundstücksstreifens.<br />
Während dieser Zeit betreute die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> ihre Zweiggemeinde<br />
Duderstadt weiter. Regelmäßig fanden bis März 1969 Gottesdienste und<br />
Bibelstunden dort statt. Auch versuchte man durch besondere Veranstaltungen<br />
missionarisch nach außen zu wirken.<br />
Im nachhinein muß man feststellen, daß die Entfernung zu groß war. Den<br />
Duderstädtern fehlte eine integrierende Persönlichkeit, etwa ein "eigener" Pastor,<br />
der die Zweiggemeinde in die Unabhängigkeit von <strong>Göttingen</strong> hätte führen können.<br />
1974 verkaufte die Gemeinde das Kirchengebäude, das inzwischen schon recht<br />
verfallen war, für 40 000 Mark. Heute ist ein Autoteile-Verkauf in dem Gebäude<br />
untergebracht.
Heute ist in der ehemaligen Kapelle von Duderstadt ein Autoteilehandel<br />
Die 50er und 60er <strong>Jahre</strong><br />
Gleich nach dem Krieg, aber besonders in der zweiten Hälfte der 50er <strong>Jahre</strong> und zu<br />
Beginn der 60er <strong>Jahre</strong>, richtete die Gemeinde ihren Blick nach außen. Sie wollte die<br />
befreiende Botschaft des<br />
Evangeliums auch durch<br />
besondere Veranstaltungen<br />
in der Stadt bekanntmachen,<br />
nachdem das in den 30er<br />
<strong>Jahre</strong>n und im Krieg nur sehr<br />
begrenzt möglich gewesen<br />
war, wenn überhaupt. So<br />
veranstaltete die Gemeinde<br />
jetzt regelmäßig Evangelisationen,<br />
zunächst vermehrt in<br />
Missionszelten. In der zweiten<br />
Hälfte der 60er <strong>Jahre</strong><br />
setzten sich mehr die Vorträge<br />
für die Gemeinde, zu<br />
denen natürlich auch Gäste<br />
eingeladen wurden, mehr<br />
und mehr durch.<br />
Zeltmission war in den 50er und 60er <strong>Jahre</strong>n<br />
eine Form, das Evangelium draußen vor der<br />
Kirchentür zu verkündigen.
1953 - die Stadt <strong>Göttingen</strong> feierte ihr <strong>100</strong>0jähriges Bestehen - holte die Gemeinde<br />
das große Bundesmissionszelt in die Universitätsstadt. Hatte man sich bisher<br />
besonders um den Aufbau nach dem Krieg gekümmert und die Station in<br />
Duderstadt gefestigt, so<br />
begann nun eine neue Ära,<br />
die ab 1954 durch Herbert<br />
Gudjons, der dann als<br />
Pastor nach <strong>Göttingen</strong> kam<br />
und ein besonderer Verfechter<br />
der Volksmission war,<br />
geprägt. Er sorgte dafür, daß<br />
auch in Duderstadt besondereVortragsveranstaltungen<br />
stattfanden, um Menschen<br />
zum Glauben an<br />
Jesus Christus zu rufen. Und<br />
das nicht ohne Erfolg. 1954<br />
ließen sich in <strong>Göttingen</strong><br />
insgesamt 40 Frauen und<br />
Männer taufen. Das ist die<br />
größte <strong>Jahre</strong>staufziffer in der<br />
Großen Zuspruch fanden die Volksmissionen. Geschichte der Göttinger<br />
<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />
Die <strong>Baptisten</strong> waren mit ihrer Evangelisationstätigkeit in dieser Zeit allerdings nicht<br />
allein. Auch die evangelischlutherischen<br />
Kirchen in<br />
<strong>Göttingen</strong> veranstalteten von<br />
Himmelfahrt bis Pfingsten auf<br />
dem 82er Platz eine<br />
Zeltmission.<br />
Den Höhepunkt erreichten die<br />
Sonderveranstaltungen im<br />
Jahr 1959: im März eine<br />
zehntägige Evangelisation in<br />
<strong>Göttingen</strong>, im April eine<br />
einwöchige Evangelisation in<br />
Duderstadt, Ende August ein<br />
NDR-Rundfunk-Gottesdienst<br />
in der Göttinger Kapelle, im<br />
Oktober eine einwöchige<br />
Evangelisation in <strong>Göttingen</strong>,<br />
dort schließlich auch noch im<br />
November an drei Abenden<br />
"Heiligungsversammlungen".<br />
Die Arbeitsgemeinschaft evangelischer<br />
Kirchen und Freikirchen lud zu einer<br />
gemeinsamen Zeltmission ein.<br />
Doch im Laufe der <strong>Jahre</strong> entsprach diese Form der Evangelisation nicht mehr den<br />
Bedürfnissen. Mit einem neuen Pastor kamen neue Ideen, ein neuer Stil der<br />
Evangeliumsverkündigung. Die Sinnfrage wich mehr den Lebensfragen. Arnim
Riemenschneider, den die Gemeinde nach Herbert Gudjons' Weggang holte, stand<br />
für das Anliegen der Lehre. "Ruferwochen", Vortragswochen und Seminare bildeten<br />
jetzt einen neuen Schwerpunkt. Auch die Arbeit mit Kindern kam wieder in den<br />
Vordergrund: Der "Christliche Arbeitskreis für Kinder- und Jugendarbeit" gründet<br />
sich mit dem Ziel, einen Kindergarten zu bauen, ein Kreis junger Mütter entstand.<br />
Nachdem der Kindergarten im Okerweg fertig war, veranstaltete die Gemeinde dort<br />
eine Kinderwoche; auch für die Fortbildung des Chores gab es eine Singwoche.<br />
Das heißt nicht, daß die Gemeinde nicht immer wieder auch Evangelisationen<br />
durchführte, bei denen die grundsätzliche Frage nach Gott thematisiert wurde.<br />
In der zweiten Hälfte der 60er <strong>Jahre</strong> traten gesellschaftliche Fragen mehr in den<br />
Vordergrund: die Frage nach Sinn und Ziel der Ehe war nur ein Beispiel dafür. Der<br />
Wertewandel in der Gesellschaft stellte eine neue Herausforderung für alle Kirchen<br />
dar. Neue Lebensformen (Wohngemeinschaften), Studentenunruhen, neue<br />
Musikrichtungen (Beatles) sind nur einige Stichworte aus dieser Zeit. Und der<br />
gesellschaftliche Aufbruch fand in der Gemeinde Parallelen. Den Höhepunkt<br />
erreichte die Entwicklung, als baptistische Studenten in Konflikt mit der übrigen<br />
Gemeinde kamen und Harald Fischer, der Ende 1967 die Nachfolge Arnim<br />
Riemenschneiders antrat, 1973 aus persönlichen Gründen seinen Gemeindedienst<br />
quittierte und in den Schuldienst wechselte.<br />
Die Studenten in der Gemeinde<br />
<strong>Göttingen</strong> als Universitätsstadt drückt sich auch in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> aus:<br />
die Gemeindearbeit ist mit beeinflußt vom Rhythmus der Semesterzeiten und<br />
Semesterferien. In den Semesterferien lichten sich beispielsweise die Reihen im<br />
Gottesdienst deutlich.<br />
Wie andere Kirchen auch, versuchte der Bund Evangelisch-Freikichlicher Gemeinden,<br />
der Bund deutscher <strong>Baptisten</strong>- und Brüdergemeinden, die Studenten<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg in eine besondere Arbeit einzubinden. Das war auch<br />
in <strong>Göttingen</strong> so. Hier entstand sogar eine der tragenden Säulen deutscher<br />
baptistischer Studentenarbeit, die besonders Pastor Werner Klein schon während<br />
der Studentenspeisung in <strong>Göttingen</strong> förderte. Den Studenten, die oft zum ersten<br />
Mal für längere Zeit von ihrem Elternhaus fort in einer fremden Umgebung waren,<br />
bot man einen Kreis von Gleichgesinnten an. Bundesweit hatten diese<br />
Studentenkreise Kontakte zueinander.<br />
Mit den neuen gesellschaftlichen Fragen fühlten sich immer auch die baptistischen<br />
Studenten herausgefordert. Gerade mit Ende des Krieges war eine Welt<br />
zusammengebrochen, Ideale galten plötzlich nichts mehr. Werner Klein 1948: "Zu<br />
gründlich und zu bitter ist eine Welt zusammengebrochen, der man sich in<br />
jugendlichem Elan und vertrauen hingegeben hatte, die sich jedoch als eine Welt<br />
des Truges, des Irrtums und der Lüge erwies. Nun will man selbst sehen, prüfen<br />
und begreifen und - wenn das überhaupt möglich ist - ein zutreffendes Weltbild<br />
gewinnen. Dem Drang nach geistiger Weite und Reife entspringt auch der<br />
Wunsch, im Ausland zu studieren, um in lebendiger Auseinandersetzung mit den<br />
geistigen Ideen und Kräften der Welt sein eigenes Urteil zu erwerben und die<br />
Abhängigkeit von propagandistischen Trug- und Wunschbildern zu überwinden."
Forderte man schon in Rundschreiben 1956, über neue Formen des Gottesdienstes<br />
nachzudenken, so kam es 1967 bis 1969 zu inhaltlichen und theologischen<br />
Anfragen an die bisherige Gemeindepraxis: War man bisher nicht zu sehr auf sich<br />
selbst bezogen gewesen, nur auf Erbauung und Evangelisation konzentriert? Hatte<br />
man vom Evangelium her nicht auch auf aktuelle politische Fragen Antworten zu<br />
geben? Studenten in Hamburg-Altona, Münster und <strong>Göttingen</strong> forderten ein mehr<br />
weltzugewandtes Verständnis des Evangeliums in den Gemeinden ("Münsteraner<br />
Resolution" von Pfingsten 1969). Man empfand sich selbst in einer Aufbruchsstimmung,<br />
auf dem Weg zu einer neuen Sichtweise. Und bei mancher "neuen Idee"<br />
mag der eine oder andere übers Ziel hinausgeschossen sein. Doch die Klärung, so<br />
die Stimmung insgesamt unter den Studenten, sollte die sachbezogene Diskussion<br />
bringen.<br />
In <strong>Göttingen</strong> trafen sich die Studenten der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mit Freunden seit<br />
dem Wintersemester 1957/58 14täglich in einem Hauskreis bei Sigrid und Herbert<br />
Caspari, nachdem man sich zuvor in den Gemeinderäumen im gleichen Turnus<br />
getroffen hatte. Für viele Studenten war dieser Hauskreis ein 'Zuhause". Hier<br />
konnte man kontrovers diskutieren. Und zahllosen ehemaligen Studenten verbindet<br />
sich dieser Hauskreis mit einer Tasse Ostfriesentee, die nie fehlte. Seit 1960 gaben<br />
Sigrid und Herbert Caspari außerdem die "mitteilungen" heraus, eine Studenten-<br />
Zeitschrift des Bundes EvangelischFreikirchlicher Gemeinden. Sie sollte dem<br />
Informationsaustausch der Studenten dienen und enthielt nicht selten<br />
Nachdenkliches und Provokantes, eben kritische Denkanstöße, die mit viel Fleiß<br />
ausgearbeitet worden waren.<br />
Die Gemeinde allerdings kam, und in soweit bot sie ein Spiegelbild der<br />
Gesellschaft, während des Höhepunktes der studentischen Umbruchsituation<br />
Anfang der 70er <strong>Jahre</strong> bei der Diskussion nicht mit. Die radikale Infragestellung<br />
löste Ängste um den Glauben aus. So kam es, daß in dieser Zeit die Gemeinde die<br />
kritischen Studenten isolierte. Andere baptistische Studenten sahen in ihren stark<br />
linksorientierten Kommilitonen Menschen, die ihren Glauben verloren hatten, die<br />
dem Leninismus, Marxismus oder Maoismus verfallen waren und die Gemeinde zu<br />
unterwandern versuchten, indem sie manches "fromm" formulierten. Diese<br />
wiederum sahen sich in der Rolle, ständig ihren Glauben "beweisen" zu sollen, um<br />
überhaupt mit ihrem ungewohnten Denkansatz gehört zu werden. Und auch von<br />
außerhalb kam für die Studenten und die Gemeinde keine Hilfe. Im Gegenteil: die<br />
Studenten-Zeitschrift wurde eingestellt, weil der Bund die Zuschüsse strich.<br />
Es kam bundesweit zur Krise der baptistischen Studentenarbeit, von der sie sich im<br />
Prinzip bis heute nicht erholt hat. Zwar gab es in <strong>Göttingen</strong> nach wie vor bis Ende<br />
der 70er <strong>Jahre</strong> den Hauskreis in Casparis großem Wohnzimmer, der für viele<br />
Studenten ein Ort der freien Diskussion blieb, doch als Sigrid Caspari schwerer<br />
erkrankte, löste sich der Hauskreis auf und zerfiel in kleine Kreise. Während sich in<br />
den 80er <strong>Jahre</strong>n etwa ein Kreis um Umweltthemen und die Verantwortung der<br />
Christen für die Schöpfung engagierte, versuchten andere an der Uni zu<br />
missionieren, wieder andere kümmerten sich um ausländische Kommilitonen. Erst<br />
etwa zehn <strong>Jahre</strong> später entstand mit Studenten- und Jugendpastor Ralf Ossa ein<br />
Neuanfang, doch eine Vordenkerrolle haben die Studenten theologisch nicht mehr -<br />
wie sie auch in der Gesellschaft diese Rolle zur Zeit nicht erkennbar übernehmen.
Bau eines Studentenwohnheimes<br />
Was schon lange geplant war, wurde 1984 Wirklichkeit: der Bau eines Studentenwohnheimes.<br />
Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> hatten Sigrid und Herbert Caspari mit den<br />
Studenten, die bei ihnen zu Gast waren, immer wieder die Frage diskutiert, ob nicht<br />
der Bau eines Studentenwohnheimes in <strong>Göttingen</strong> Aufgabe der Gemeinde sein<br />
könnte. Doch in der Gemeinde fanden sie zunächst keine große Begeisterung für<br />
diese Idee. Aber angeregt und ermutigt durch die Erfahrungen der Studentenkreise<br />
in den Gemeinden Marburg und Karlsruhe gründeten sie mit anderen Akademikern<br />
in der Gemeinde am 19. April 1964 den Verein "Evangelisch-Freikirchliches<br />
Studentenwohnheim <strong>Göttingen</strong>". Innerhalb kürzester Zeit gingen Spenden von 30<br />
000 Mark auf das Vereinskonto ein. So fühlten sich die Mitglieder schnell in ihrem<br />
Anliegen bestätigt, Wohnraum für Studenten zu schaffen. Ebenso unterstützten<br />
amerikanische <strong>Baptisten</strong> das Vorhaben finanziell. Studenten aus <strong>Göttingen</strong> hatten<br />
sie für den WohnheimPlan erwärmt. Obwohl man schon im folgenden Jahr begann,<br />
nach einem geeigenten Grundstück Ausschau zu halten, zerschlugen sich die<br />
Pläne immer wieder. Doch das Ehepaar Caspari war es, das trotzdem immer an der<br />
Idee festhielt.<br />
Seit 1984 steht neben dem Gemeindezentrum ein Studentenwohnheim<br />
mit 14 Plätzen. Beide Gebäude bilden architektonisch eine Einheit.
Schließlich gelang es dem Verein,<br />
zusammen mit der Gemeinde das<br />
Parkplatzgrundstück in der Bürgerstraße<br />
14 zu erwerben. Zusammen mit<br />
dem Gemeindezentrum entstand das<br />
Studentenwohnheim (Adresse: Marienstraße<br />
11). Und hatte man zunächst<br />
bescheiden an sechs Wohnplätze<br />
gedacht, so entstand nun ein Studentenwohnheim<br />
mit 14 Plätzen, das<br />
inzwischen, nach dem Tod des Ehepaares<br />
Caspari "Herbert und Sigrid<br />
Caspari-Haus" heißt. Ziel war es,<br />
möglichst zentral preisgünstigen Wohnraum<br />
für Studenten bereitzuhalten, Eine Tafel erinnert an zwei Gemein<br />
möglichst sogar finanziell Schwächeren demitglieder, die sich sehr für Stu<br />
unter ihnen einen Mietzuschuß zu denten einsetzten. Das Ehepaar<br />
gewähren. Bisher war das Studenten hatte selbst keine Kinder.<br />
wohnheim immer voll belegt, was bei<br />
der Wohnungsknappheit in <strong>Göttingen</strong> nicht überrascht.<br />
Der Eingang des Studentenwohnheims an der Marienstraße.
"Die Sonntagsschul' ist unsre Lust"<br />
Die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> hat von Beginn an ihren Auftrag auch darin gesehen,<br />
Kindern der Stadt das Evangelium weiterzusagen. Immer wieder fanden sich<br />
Frauen und Männer, die in kindgerechter Weise ihren Glauben an den auferstandenen<br />
Herrn Jesus Christus bezeugten. So entstand die Sonntagsschularbeit<br />
in <strong>Göttingen</strong>.<br />
Im Laufe der <strong>Jahre</strong>, als die staatlichen Schulen diese Aufgabe mehr und mehr<br />
übernahmen, konzentrierte sich die Sonntagsschularbeit mehr auf die kindgerechte<br />
Verkündigung. Eine Sonntagsschule gehörte, als die Gemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />
gegründet wurde, schon selbstverständlich zu den traditionellen Gemeindegruppen.<br />
Die Mitarbeiter erzählten den Kindern biblische Geschichten, ließen sie Bibelverse<br />
auswendig lernen, sangen Lieder und beteten mit ihnen. Es gab sogar ein Lied über<br />
die Sonntagsschule: "Die Sonntagsschul' ist unsre Lust".<br />
Als einer, der besonders befähigt war, mit Kinder zu seiner Zeit umzugehen, sei<br />
Wilhelm Körber genannt. Wie Prediger Mundhenk 1944 in seinem Bericht über die<br />
ersten 50 <strong>Jahre</strong> der Gemeindegeschichte rückwirkend schrieb, "stand die<br />
Sonntagsschule die längste Zeit unter seiner geschickten Leitung, hat viele <strong>Jahre</strong><br />
hindurch schöne Blüten getragen und zeitweilig bis zu 120 Kinder aufgewiesen".<br />
Ein Sonntagsschulheftchen aus den 20er <strong>Jahre</strong>n wirft ein Licht auf die Arbeit dieser<br />
Zeit. Dort vermerkte der "Klassenlehrer" die Anwesenheit seiner Sonntagsschüler,<br />
und er notierte jeweils mit Datum, wenn sich einer von ihnen bekehrte. So war die<br />
Reihe der Namen zugleich Gebetsliste für ihn.<br />
Familiengottesdienste im heutigen Sinn kannte man damals noch nicht. Aber der<br />
Sonntagsschulausflug im Sommer und eine Weihnachtsfeier am Nachmittag des<br />
Zweiten Weihnachtstages waren stets Höhepunkte, zu denen auch die Eltern mit<br />
eingeladen waren.<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg wegen des Zuzugs vieler Flüchtlinge die<br />
Mitgliederzahl der Gemeinde auf 350 an. Gleichzeitig erhielt die Sonntagsschularbeit<br />
Auftrieb. Mitte der 50er <strong>Jahre</strong> hatte sie 164 eingetragene Kinder,<br />
einschließlich der drei Bibelklassen für ältere Kinder, die nach dem Gottesdienst<br />
zusammenkamen. Viele begabte Helfer waren nötig, um die Kinder in<br />
verschiedenen Altersgruppen zu unterrichten.<br />
Nun erwies es sich als Mangel, daß es keine kleinen Nebenräume gab. Man half<br />
sich, indem man sich im Kapellenraum in verschiedene Ecken zu<br />
Gesprächsgruppen zurückzog, in denen die Kinder bei recht großem Geräuschpegel<br />
nach dem einleitenden Gemeinschaftsteil mit ihren Gruppenleitern ins Gespräch<br />
kamen.<br />
Dieser starke Besuch hielt viele <strong>Jahre</strong> an. Engagierte Familien bauten zusätzlich<br />
eine Stadtteilkinderarbeit auf und besuchten mit einer großen Kinderschar Sonntag<br />
für Sonntag die Sonntagsschule.<br />
Dieser starke Besuch ließ Mitte der 60er <strong>Jahre</strong> nach. Nachdem die Predigerwohnung<br />
im Kapellengebäude (Wallseite) freigeworden war, standen plötzlich
einige kleinere Gruppenräume zur Verfügung. Das ermöglichte auch andere<br />
Formen der Gruppenarbeit. Auch war man nicht mehr darauf angewiesen, mit der<br />
Sonntagsschule erst nach dem Gottesdienst zu beginnen. Beide Veranstaltungen<br />
liefen zeitgleich.<br />
Nach dem Umzug vor zehn <strong>Jahre</strong>n in das Gemeindezentrum Bürgerstraße 14<br />
schienen nun endlich ausreichende Gruppenräume auch für die Sonntagsschule<br />
zur Verfügung zu stehen. Heute gibt es durch die sehr große Gruppe der<br />
Krabbelkinder schon wieder Unterbringungsprobleme.<br />
Seit einigen <strong>Jahre</strong>n trifft sich die Sonntagsschule wieder nach dem Gottesdienst,<br />
damit die Mitarbeiter am Gottesdienst teilnehmen können.<br />
Ziel der Sonntagsschule heute ist es, biblisches Grundwissen zu vermitteln und<br />
durch das persönliche Bekenntnis der Mitarbeiter den Kindern deutlich zu machen,<br />
daß der Glaube sinnvolles Leben ermöglicht.<br />
Sonntagsschulausflug Ende der 50er <strong>Jahre</strong> nach Bovenden<br />
Von der Sonntagsschule zu Kindergärten<br />
Aus der Gemeindearbeit der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> sind zwei Kindergärten<br />
entstanden, wovon einer inzwischen aus Mangel an Kindern auf dem Leineberg<br />
schließen mußte. Und doch war es dieser Kindergarten, der auf eine recht<br />
ungewöhnliche Weise entstand.<br />
Die Anfänge gehen auf das Jahr 1957 zurück, als Edith und Reinhard Caspari mit<br />
ihren Kindern Doris und Rainer in den Norden <strong>Göttingen</strong>s zogen, in die Straße<br />
Nußanger. Dort bekam die Familie schnell Kontakt zu den jungen Familien in der<br />
Umgebung. Und als Casparis sonntags ihre Kinder in die Sonntagsschule in die<br />
Bürgerstraße fuhren, wollten mehr und mehr Kinder mit. Bald reichte nicht mehr ein<br />
Auto, so daß man einen regelrechten Fahrdienst einrichtete. Da aber die Fahrzeuge
hoffnungslos überfüllt waren, stellte sich bald die Frage nach der Haftung, falls<br />
unterwegs einmal etwas passieren könnte. Schließlich fiel die Entscheidung: Es gibt<br />
eine eigene Sonntagsschule in der Wohnung Caspari!<br />
<strong>Jahre</strong>lang sangen<br />
und beteten die<br />
Mitarbeiter, die<br />
bald hinzukamen,<br />
mit den Kindern<br />
und erzählten biblischeGeschichten.<br />
Und auch zu<br />
den Eltern entstand<br />
bald ein<br />
persönlicherer<br />
Kontakt. Denn<br />
man lud die Eltern<br />
nicht in ein öffentliches<br />
Gebäude<br />
ein, um mit ihnen<br />
über ihre Kinder<br />
und die Sonntags Die Sonntagsschule Nußanger<br />
schularbeit zu<br />
sprechen, sondern ins private Wohnzimmer in der Nachbarschaft.<br />
Höhepunkte dieser Sonntagsschule waren typischerweise der jährliche Ausflug<br />
(Kinder zusammen mit den Eltern) sowie die Weihnachtsfeier, die man zusammen<br />
mit der Sonntagsschule in der Bürgerstraße feierte.<br />
Mit der Sonntagsschule Nußanger<br />
war es zu Ende, als die Familie<br />
Caspari Anfang 1964 nach<br />
Geismar umzog.<br />
Doch schon vorher, im <strong>Jahre</strong> 1960,<br />
war eine weitere Idee geboren,<br />
angesichts der vielen Kinder in<br />
Neubaugebieten: der Bau eines<br />
Kindergartens. Bei Gesprächen mit<br />
der Stadtverwaltung wegen eines<br />
geeigneten Grundstücks stellte sich<br />
heraus, daß es auf dem "Kleinen<br />
Hagen" keine planerischen Voraussetzungen<br />
für einen Kindergarten gab, wohl aber auf dem Leineberg. Nach vielen<br />
Überlegungen erwärmte man sich für diese Variante.<br />
Als Träger eines künftigen Kindergartens gründete sich Ende 1960 der Verein<br />
"Christlicher Arbeitskreis für Kinder- und Jugendarbeit", der auch schon bald ins<br />
Vereinsregister beim Amtsgericht eingetragen wurde und vom Finanzamt als<br />
gemeinnützig anerkannt war. Nun brauchte man nur noch Geld für den Neubau und<br />
Unterhalt.
Aus der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, die ja selbst auf Spenden ihrer Mitglieder angewiesen<br />
ist, kamen Zuwendungen, aber auch außerhalb der Gemeinde fanden sich zahlreiche<br />
Spender, die zunächst einmal für einen Grundstock für das Eigenkapital<br />
sorgten. Für den Bau des Kindergartens schließlich gab es dann Zuschüsse der<br />
Stadt <strong>Göttingen</strong>, des Landes Niedersachsen sowie des Diakonischen Werkes.<br />
Nach und nach wurden kritische und berechtigte Fragen in der Gemeinde laut, ob<br />
es denn wirklich eine diakonische Aufgabe der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> sei,<br />
einen Kindergarten zu bauen, statt das Geld für Mission einzusetzen. Das war auch<br />
einer der Gründe, warum man den Trägerverein gründete.<br />
Aber so ganz fern war die Zuwendung zu Kindern in verschiedenen Formen bei<br />
<strong>Baptisten</strong> eigentlich nie gewesen. Johann Gerhard Oncken (1800 -1884), der 1834<br />
in Hamburg die erste deutsche <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> gründete, hatte schon 1825<br />
zusammen mit Johann Wilhelm Rautenberg (1791-1865) in der evangelischen St.-<br />
Georg-Gemeinde eine Sonntagsschule gegründet, die eine wirkliche Schule war.<br />
Kinder aus ärmeren Familien, die in der Woche arbeiten mußten, bekamen hier<br />
Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen. Neben einer kleinen Fibel waren<br />
Luthers Kleiner Katechismus und die Bibel die einzigen Schulbücher.<br />
Am 30. Mai 1964 feierte der Kindergarten Okerweg 32 mit Vertretern der Stadt<br />
<strong>Göttingen</strong>, der Gemeinde und des Trägervereins die Einweihung. Der erste<br />
Kindergarten in dem Neubaugebiet begann gleich mit zwei Gruppen, am 1. April<br />
1965 wurde gar eine dritte Gruppe eröffnet. Und es war ein "ganz normaler'<br />
Kindergarten, wenn auch die Mitarbeiterinnen zum Teil überzeugte Christen waren.<br />
Doch "nebenbei" nutzte die Gemeinde die Räume auch für andere Gruppenarbeit.<br />
So gab es bis zum Sommer 1967 dort eine Wochenkinderstunde für Drei- bis<br />
Achtjährige. Anschließend fand sich hier eine Jungenjungschargruppe zusammen,<br />
die dann vorübergehend in die Bürgerstraße verlegt wurde, aber bis 1974 im<br />
Okerweg großen Zuspruch fand. Bis zu 50 Jungen im Alter von 9 bis 16 <strong>Jahre</strong>n<br />
trafen sich hier (in zwei Gruppen) an jedem Samstag.<br />
Doch wie das in einem Neubaugebiet oft ist, wuchsen die Kinder der jungen<br />
Familien in diesem Wohnviertel bald aus dem Kindergartenalter heraus. Die Zahl<br />
der Kinder nahm immer mehr ab. Zuletzt wurden nur noch acht Kinder hier betreut.<br />
Knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach der Eröffnung schloß der Kindergarten Okerweg 32 Ende Juli<br />
1979.<br />
Zunächst mietete die Stadt <strong>Göttingen</strong> die Räume, um hier eine offene Jugendarbeit<br />
zu gründen. Diese wurde mit Beginn des <strong>Jahre</strong>s 1982 ins neu eingerichtete<br />
Spielhaus Leineberg verlegt.<br />
Seitdem ist das Haus Okerweg 32 ein kleines Studentenwohnheim mit vier Plätzen.<br />
Doch der Kindergarten im Okerweg war eigentlich nur der Anfang. Denn im Juli<br />
1971 weihte der Trägerverein einen zweiten Kindergarten in Geismar ein, der bis<br />
heute in Betrieb ist.
Mitte der 60er <strong>Jahre</strong> kam die erste Anfrage am Rande eines Treffens mit dem Leiter<br />
des Planungsamtes der Stadt, ob der Trägerverein in dem Neubaugebiet Geismar<br />
einen weiteren Kindergarten einrichten wolle. Ein Grundstück sei dafür<br />
ausgewiesen.<br />
Die Gemeinde griff diese Frage auf und diskutierte sie breiter. Ist ein Kindergarten<br />
für eine Kirchengemeinde nicht genug? Andererseits wohnten im Umkreis des<br />
Kindergartengrundstücks rund hundert <strong>Baptisten</strong>, so daß zu überlegen war, ob man<br />
nicht hier eine Zweiggemeinde gründeten und den Kindergartenbau mit dem Bau<br />
eines Versammlungssaales verbinden könnte.<br />
Die Sache mit der Zweiggemeinde verwarf der Gemeindevorstand, stellte aber<br />
Ende Mai 1967 das Geld für den Grundstückskauf für einen Kindergarten zur<br />
Verfügung, da die Gemeinde gerade einen größeren Geldbetrag geerbt hatte. Der<br />
Grundstückskauf wurde am 16. November 1967 besiegelt.<br />
Ein Vorentwurf für den Kindergarten zeigte, daß im Obergeschoß des Räume für<br />
die Gemeindearbeit vorgesehen waren, was die Bauverwaltung aber ablehnte. Der<br />
erste Spatenstich war im September 1970, das Richtfest bereits im November.<br />
Unerwartet gab es einige Probleme mit den Behörden, die für nötige Bescheinigungen<br />
jeweils die Zustimmung der anderen Behörden haben wollten. Schließlich<br />
gelang die Lösung des Problems über das niedersächsische Kultusministerium.<br />
Schon fünf Wochen vor der offiziellen Eröffnung am 1. Juli 1971 waren die ersten<br />
Kinder und Erzieher in das Gebäude eingezogen. <strong>Göttingen</strong>s Oberbürgermeister<br />
Walter Leßner übergab den Kindergarten seiner Bestimmung. Außer von der<br />
Kindern wurde das Gebäude für Spielnachmittage, Elternabende, Wochenkinderstunde,<br />
Mädchen- und Jungenjungschar und für einen Bibelgesprächskreis für<br />
Erwachsene genutzt.<br />
Der Kindergarten in der Schöneberger Straße heute
1977 wiederholte sich das Problem des Kindergartens Okerweg auch in Geismar in<br />
der Schöneberger Straße 5. Die Zahl der Kinder nahm stetig ab, so daß zunächst<br />
die dritte Gruppe geschlossen werden mußte. 1984 drohte gar das Ende einer<br />
weiteren Gruppe, weil keine Anmeldungen mehr vorlagen. In Krisengesprächen<br />
versuchte der Trägerverein, sich auf die neue Situation einzustellen. Unter anderem<br />
erweiterte der Verein in der Satzung sein Aufgabengebiet auf die Altenarbeit.<br />
Doch 1988 kam die Wende: die Zahl der Kinder stieg wieder, die Zukunft der<br />
zweiten Gruppe war gesichert, eine dritte Gruppe konnte sogar bald wieder<br />
eingerichtet werden.<br />
Die Jungscharen und Pfadfinder<br />
Eine etwa 1931/32 begonnene Jungschararbeit hatte nicht lange Bestand. Ab 1933<br />
bekam diese Arbeit durch die "Hitler-Jugend" Konkurrenz. Die Jungschar kam in<br />
politische Schwierigkeiten und wurde 1934 durch die nationalsozialistische<br />
Regierung verboten.<br />
Nach dem Krieg begann um das Jahr 1950 eine neue Arbeit. Einmal in der Woche<br />
trafen sich die 10- bis 14jährigen Jungen in der alten Kapelle (Bürgerstraße 13) zu<br />
Spiel, Sport und Bibelarbeit. Für viele Jungen ist hier das Fundament ihres späteren<br />
persönlichen Glaubens gelegt worden.<br />
Neben der Jungschargruppe gab es in den 50er <strong>Jahre</strong>n eine "Jungmannengruppe",<br />
später die Pfadfindergruppe, in der die 14 bis 18jährigen Jungen eine Heimat<br />
fanden. Diese Arbeit wurde Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> eingestellt. Als 1964 der neue<br />
Kindergarten auf dem Leineberg (siehe besonderen Abschnitt) eröffnet wurde,<br />
begann hier eine blühende Jungschararbeit. Etwa 50 Jungen trafen sich viele <strong>Jahre</strong><br />
lang wöchentlich in zwei Gruppen. Die gute Lage des Kindergartens am Rand der<br />
Stadt bot viele Möglichkeiten für Sport und Geländespiele. Die Gruppen bestanden<br />
überwiegend aus "gemeindefremden" Kindern. Als der Kindergarten Mitte 1979 auf<br />
dem Leineberg geschlossen wurde, trafen sich die Jungschargruppen wieder in der<br />
Bürgerstraße.<br />
Mit dem Umzug der Gemeinde in das neue Gemeindezentrum Bürgerstraße 14<br />
setzte man die Jungschararbeit in den neuen Räumen fort. Hier erhielten die<br />
Jungscharen einen eigenen Werkraum.<br />
Die Jungschararbeit erwies sich immer abhängig von der Bereitschaft entsprechend<br />
begabter Mitarbeiter. Durch die starke Fluktuation bei den jungen Erwachsenen in<br />
der Gemeinde (Studenten) gibt es auch heute noch einen häufigen Wechsel in der<br />
Leitung.<br />
Erstmals gab es in den neuen Räumen auch für Mädchen eine eigene Jungschargruppe.<br />
Heute treffen sich Jungen und Mädchen in einer gemischten Gruppe.<br />
Doch Jungschar gibt es nicht nur in der Bürgerstraße. Seit 1992 trifft sich eine<br />
weitere gemischte Gruppe im großen Saals des Kindergartens in der Schöneberger<br />
Straße 5 in Geismar. Hier wurde eine alte Tradition wieder aufgenommen, denn es
kommen dort überwiegend "gemeindefremde" Kinder zusammen. Insofern kann<br />
man von einer missionarischen Jungschararbeit sprechen.<br />
Gesungene Verkündigung<br />
Der Gemeindechor ist wie in vielen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n eine so "alltägliche"<br />
Erscheinung, daß man den enormen Einsatz der Sänger und Chorleiter oft<br />
überhaupt nicht einzuschätzen weiß. Vor allem die jahrelange Treue der<br />
Chormitglieder ist hervorzuheben, ebenso die Qualität des Gesanges, der Sonntag<br />
für Sonntag zu hören ist.<br />
Fast "schon immer" hat es einen Gemischten Chor in <strong>Göttingen</strong> gegeben. Die<br />
Anfänge liegen im Dunkeln. Eindeutig ist aber, daß gleich nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg der Chor der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> seine eigentliche Blüte hatte.<br />
Begeistert und spontan waren die Sänger dabei, auch wenn außer der Reihe<br />
Auftritte anstanden, etwa im Lager Friedland. Auch während der zahlreichen<br />
Zeltmissionseinsätze Ende der 40er und Anfang der 50er <strong>Jahre</strong> waren die Einsätze<br />
des Chores fest mit eingeplant.<br />
In dieser Zeit gab der Chor mehrfach Konzerte. Er schloß damit an eine Tradition<br />
der Chorkonzerte an, die es schon zu Beginn des Jahrhunderts gab. Denn da<br />
verband man die Musikveranstaltungen mit einem guten Zweck: der Chor spielte<br />
Geld für eine Pfeifenorgel ein (s. Abschnitt "Eine Second-handOrgel").<br />
<strong>Jahre</strong>lang gingen die Sänger gemeinsam jeden Monat ins Krankenhaus, um dort zu<br />
singen und Schriften zu verteilen. Bis heute singt der Chor, wenn auch nicht mehr<br />
in so kurzen Abständen, in verschiedenen Krankenhäusern.<br />
Die Choraufgabe, christliche Verkündigung zu singen, war immer auch ein<br />
Generationsproblem. Je länger die Sänger zusammenblieben, desto älter wurde der<br />
Chor im Durchschnitt, so daß kaum jüngere Mitglieder hinzukamen. Die jungen Leute<br />
hatten mehr Spaß an anderen, neuen Liedern. So gab es immer wieder auch (meist<br />
nur für einige <strong>Jahre</strong>) einen Jugendchor,<br />
Ein Jugendchor ging auf Tournee<br />
Jugendchöre gab und gibt es in der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> immer wieder.<br />
Dabei geht es, wie beim Gemeindechor, um die gesungene Verkündigung, aber auch<br />
um das gemeinsame Erleben. Das wurde in einer Zeit besonders deutlich, in der<br />
Michael Freitag den Jugendchor leitete (1980-85). Vizedirigent war Gernot Lorenz.<br />
Ostern 1980 war der 35 Mitglieder zählende Jugendchor durch Vermittlung des<br />
Stadtjugendringes in Polen, um den Jugendchor "Cantilena" in Posen zu besuchen.<br />
Posen, Warschau, Krakau, Auschwitz und Breslau waren die Stationen: Städte und<br />
Kirchengemeinden, die die jungen Leute kennenlernten und dort (außer in<br />
Auschwitz) auch Gottesdienste mitgestalteten oder Konzerte gaben. In Krakau<br />
sangen sie in einem Bergwerk. Im August des folgenden <strong>Jahre</strong>s fand der<br />
Gegenbesuch eines Jugendchores aus Breslau statt.
Später unternahm der Jugendchor eine weitere Reise nach Wien. Zuvor hatten sie<br />
auch in der Bundesrepublik in verschiedenen Orten Konzerte gegeben. Der "Erfolg"<br />
des Jugendchores in dieser Zusammensetzung war es, daß er sich auch als<br />
Jugendarbeit der Gemeinde verstand. Hier ging es nicht nur ums Singen, sondern<br />
auch um das Gruppenerlebnis, die Kommunikation, um das Gespräch um den<br />
Glauben und das Leben.<br />
Einen neuen Jugendchor baute Anfang 1989 Britta Welskopf auf. Beruflich war sie<br />
von Kassel nach <strong>Göttingen</strong> gekommen, weil sie im Grenzdurchgangslager<br />
arbeitete. Als der Zustrom der Aussiedler 1990/91 nachließ, deutete sich ihr<br />
Weggang an. Im Frühjahr 1991 zog sie fort, gerade als der Jugendchor so richtig in<br />
Schwung kam. Und wie meistens, war auch ihr Weggang zunächst wieder ein<br />
Bruch in der Jugendchorarbeit. Inzwischen haben sich erneut junge Sängerinnen<br />
und Sänger zusammengefunden.<br />
Der Jugendchor 1984 unter der Leitung von Michael Freitag<br />
Die Frauengruppe ist geistig rege<br />
Auch eine Frauengruppe gehört traditionell zu einer <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Vermutlich<br />
entwickelte sich der "Frauendienst" einmal aus der Erkenntnis, daß<br />
Frauen in einer Kirchengemeinde ebenso gut verantwortungsvolle Aufgaben<br />
übernehmen können wie die Männer, die in der Regel den Gemeindevorstand<br />
bildeten. So wird der Ursprung in der Suche nach einer frauenspezifischen<br />
Aufgabe gelegen haben.
Die Frauengruppe in <strong>Göttingen</strong> ist geprägt von der Kontinuität ihrer Leiterinnen.<br />
So leitete Charlotte Sprengel die Frauengruppe von 1959 bis 1977, also 18<br />
<strong>Jahre</strong>. Inzwischen ist ihre Nachfolgerin, Annemarie Meller, genauso lange<br />
dabei.<br />
Die Frauen treffen sich nicht nur zum jährlichen Weltgebetstag der Frauen mit<br />
anderen christlichen Frauengruppen, sie diskutieren soziale Fragen (vor Ort<br />
und weltweit), sprechen Krankenbesuche ab, laden zu bestimmten Themen<br />
Referenten ein. Und vor allem suchen sie das Gespräch um biblische Fragen.<br />
Ebenso kommen das gemütliche Kaffeetrinken und der gesellige Austausch bei<br />
den inzwischen älteren Schwestern nicht zu kurz.<br />
Als Senior längst noch nicht zu alt<br />
Als Hermann Woock im August 1983 als Pastor nach <strong>Göttingen</strong> kam, machte er<br />
gleich deutlich, daß er einen besonderen Schwerpunkt in seiner Gemeindearbeit<br />
bei den Senioren setzen wollte. Er hatte sich selbst intensiv mit der als<br />
modern geltenden Altersforschung auseinandergesetzt, die den älter werdenden<br />
Menschen ernst nehmen will, aus der Erkenntnis heraus, daß sich die<br />
Lebenserwartung bei uns immer mehr erhöht hat und Menschen, die in den<br />
Ruhestand gehen, noch nicht am Ende ihres Lebens sind, sondern ihren dritten<br />
Lebensabschnitt bewußt gestalten sollten.<br />
Das versuchte Hermann Woock in den folgenden <strong>Jahre</strong>n gemeinsam mit den<br />
Senioren umzusetzen. Da fuhr man zur Freizeit, organisierte Fahrten, lud sich<br />
Referenten zu bestimmten Themen ein, ebenso Autoren, die aus ihren Werken<br />
lasen und dann mit den Senioren ins Gespräch kamen. Ebenso berichteten<br />
Mitglieder der Gruppe, wenn sie eine Studienreise unternommen hatten, von<br />
ihren Erkenntnissen. Schließlich: auch seniorengerechte Gymnastik kam vor,<br />
damit die Glieder beweglich bleiben.<br />
Die Seniorenarbeit ist mit dem Fortzug Hermann Woocks nicht zu Ende gegangen.<br />
Sie besteht weiter fort.<br />
Mission auf vielen Gebieten<br />
Während der vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> hat sich die Gemeinde immer wieder mit der<br />
neutestamentlichen Aufgabe der Mission beschäftigt. Die Formen der Mission<br />
wurden immer wieder in Frage gestellt, andere ausprobiert. Mission im eigenen<br />
Lande, in der eigenen Stadt auf der einen Seite, Außenmission, also Mission im<br />
Ausland, in nichtchristlichen Ländern auf der anderen Seite. Auch die Finanzierung<br />
der Missionare durch die Gemeinde oder einzelne Mitglieder wurde immer erneut<br />
diskutiert. Und die Missionare informierten nicht nur über ihre Arbeit, sie teilten auch<br />
etwa von dem Land, in dem sie waren, mit. Ebenso brachten sie neue Sichtweisen<br />
für die Form die Mission in die Diskussion ein. Um ein wenig davon nachvollziehen<br />
zu können, nimmt dieser Abschnitt einen etwas breiteren Raum ein.
Die "gemeindeeigene Missionarin"<br />
Am 8. Juni 1958 beschloß die Gemeinde auf Anregung von Pastor Gudjons hin, die<br />
in Brasilien tätige Missionarin Helga Braun als eigene Missionarin zu berufen und<br />
die Arbeit finanziell zu unterstützen. Sie war bereits ein Jahr in Nordbrasilien in der<br />
Nähe von Belém. Die Gemeinde finanzierte also die Arbeit einer jungen Frau, die<br />
sie persönlich nicht kannte. Doch Helga Braun versuchte den Kontakt zu<br />
verbessern, indem sie fast monatlich einen Brief an die Gemeinde schrieb, in dem<br />
sie über ihre Arbeit informierte. In Turiaçu war sie als Lehrerin tätig und übernahm<br />
im Rahmen der Arbeit der Missionsstation auch gottesdienstliche Aufgaben. Ihr<br />
eigentliches Ziel war es aber, "zu den Indianern zu gehen", um ihnen die christliche<br />
Botschaft zu bringen. Auch ihre Schwester Ilse war als Missionarin in Brasilien tätig.<br />
Anfang 1961 kam die Nachricht, daß die "gemeindeeigene Missionarin" nach<br />
vierjähriger Tätigkeit in Brasilien nach Deutschland kommen wird, um Heimaturlaub<br />
zu machen. Schon am 19. Februar (Pastor Herbert Gudjons war noch in <strong>Göttingen</strong>)<br />
ging die Gemeinde eine weitere Verpflichtung zur Unterstützung Helga Brauns 'bis<br />
zu ihrem zweiten Heimaturlaub" ein.<br />
Als die Missionarin Anfang November 1961 ankam, war ihr Gesundheitszustand<br />
angeschlagen, und sie mußte sich längere Zeit einer Behandlung in einem<br />
Tropenkrankenhaus unterziehen. Anfang 1963 ging sie an das Baptistische<br />
Seminar in Rüschlikon bei Zürich, um an einer siebenwöchigen Fortbildungsveranstaltung<br />
teilzunehmen. Dann begann eine Reisetätigkeit, bei der sie in<br />
Gemeinden aus ihrer Arbeit berichtete, um gleichzeitig auch viele Menschen zu<br />
gewinnen, die für sie und ihre Arbeit beteten.<br />
Am 15. September desselben <strong>Jahre</strong>s sandte die Gemeinde 'Ihre" Missionarin<br />
erneut aus. Mit dem Frachter "Rheinstein" fuhr sie am 24. September von Hamburg<br />
los und traf am 16. Oktober in Sao Luis (Brasilien) ein.<br />
Obwohl die Missionarin jetzt persönliche Kontakte in <strong>Göttingen</strong> hatte, fehlte doch<br />
das ständige Werben für ihre Arbeit durch Pastor Gudjons. Ihre Missionsbriefe<br />
wurden seltener mit dem Gemeindebrief verbreitet. Da schickte Helga Braun, ganz<br />
im Trend der Zeit, ihre Berichte per Tonband<br />
und Farbdias nach Deutschland. Die Gemeinde<br />
veranstaltete dann Missionsabende,<br />
an denen die kleine Medienschau gezeigt<br />
wurde.<br />
Im September erhielt die Gemeinde dann<br />
die Nachricht, daß ihre Missionarin auf<br />
Evangelisationsreise gehen wird, die sie in<br />
abgelegene Siedlungen und Urwalddörfer<br />
führen wird. Vermutlich auf diesen Reisen<br />
erkrankte die Missionarin (sowie eine<br />
Mitarbeiterin) erneut schwer und erholte sich<br />
dort nicht davon, so daß sich die Gemeinde<br />
aus Verantwortungsbewußtsein gezwungen<br />
sah, sie im Februar 1965 nach Deutschland<br />
zu holen. Sie kommt gleich ins Tropenkran
kenhaus in Tübingen. Im Sommer stellt sich heraus, daß sie aus medizinischen<br />
Gründen nicht wieder in der Außenmission tätig sein kann.<br />
Die Göttinger Gemeinde bietet ihr an, zunächst für ein Jahr als hauptamtliche<br />
Mitarbeiterin hier zu arbeiten, bis sich für sie eine neue Perspektive eröffnet haben<br />
wird. Doch schon zum 31. Januar 1966 beendet Helga Braun ihr Arbeitsverhältnis<br />
von sich aus, um sich weiterzubilden, wie sie es begründet. Für sie war eine ganze<br />
Welt, ihr Lebensplan zusammengebrochen. Etwa ein gutes Jahr später nimmt die<br />
Gemeinde mit Bedauern zur Kenntnis, daß Helga Braun ihren Austritt erklärt hat.<br />
Diese Erfahrung brachte die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> jedoch nicht davon ab,<br />
auch in Zukunft Missionare auszusenden. Doch nahm man von der Form der<br />
"gemeindeeigenen" Missionarin Abstand und unterstützte solche, deren Arbeit von<br />
Missionsgesellschaften organisiert und koordiniert waren. Damit hatten auch die<br />
Missionare eine bessere soziale Absicherung.<br />
Afrika muß selbständig werden<br />
Bis die Gemeinde aber wieder bereit war, jemanden in der Außenmission finanziell<br />
zu unterstützen, dauerte es eine ganze Weile. Zwar richtete man im Mai 1969 einen<br />
Missions-Fonds ein, die inhaltliche Auseinandersetzung war aber noch nicht<br />
abgeschlossen. Die Wende kam Ende Juni 1969 am Allianz-Sonntag, zu dem der<br />
Generalsekretär der Europäischen Baptistischen Missionsgesellschaft (EBM),<br />
Pastor Helmut Grundmann, nach <strong>Göttingen</strong> gekommen war und das veränderte<br />
Missionsverständnis der EBM erläuterte: "Mission besteht heute in guter Kombination<br />
von Evangelisation und Diakonie - d.h. in medizinischer, wirtschaftlicher,<br />
technischer und pädagogischer Hilfeleistung kommt die Verkündigung zum Tragen.<br />
Missionare sind heute vielseitig ausgebildete Kräfte. Sie brauchen die beste<br />
Schulung, die möglich ist, und können dann auch wirkliche Hilfe bringen - in<br />
äußerer und innerer Hinsicht", berichtete Gemeindeleiter Karl-Heinz Haselbalg<br />
anschließend über die Informationsveranstaltung.<br />
Der Generalsekretär machte der Gemeinde anschließend in einem Brief einen<br />
Vorschlag: Sie sollte Bernd Neumann unterstützen, der gerade sein Theologiestudium<br />
abgeschossen hatte und sich eineinhalb <strong>Jahre</strong> in Paris auf einen Einsatz in<br />
Nordkamerun vorbereiten wollte (unter anderem Französisch lernen). Anschließend<br />
sollte er nach Maroua ausreisen, eine Missionsstation der <strong>Baptisten</strong> mit Lehrwerkstatt<br />
für angehende Kraftfahrzeugmechaniker. Am 7. Oktober beschloß die Gemeinde,<br />
diesen Vorschlag anzunehmen.<br />
Im Sommer 1971 reiste Bernd Neumann, der inzwischen die Amerikanerin Nancy<br />
Andersen geheiratet hatte, endlich nach Kamerun aus. Ein Jahr später erkrankte<br />
Nancy an einer schweren Lungenentzündung mit Verdacht auf TBC.<br />
Kurzentschlossen flogen beide zurück nach Deutschland. Hier war Nancy<br />
schlagartig gesund, weder von TBC noch von einer Lungenentzündung war mehr<br />
etwas festzustellen. Die Missionare, die gleich für eine Woche nach <strong>Göttingen</strong><br />
kamen, bezeugten eine wunderbare Heilung.<br />
Im Dezember reisten sie wieder nach Kamerun aus, jetzt nach Mokong in der Nähe<br />
von Maroua. Dort war inzwischen durch Fahrlässigkeit die neue Kapelle abge
annt. Bernd Neumann hat die Aufgabe übernommen, die jungen kamerunischen<br />
Pastoren auszubilden. Darüberhinaus unterstützt er den Baptistischen Bund in<br />
Nordkamerun, finanziell unabhängig vom Ausland zu werden und auch organisatorisch<br />
die Arbeit in eigene Verantwortung zu übernehmen. Im Juni 1973<br />
erkranken beiden Neumanns. Nur ihrem inzwischen einjährigen Sohn Peter geht es<br />
gut. Vermutlich kamen sie dann zurück nach Europa, da die Berichte einfach<br />
abbrechen.<br />
Entwicklungshilfe in Tansania<br />
Im Juni 1973 reisten Eva-Maria und Dr. Berthold Mascher mit ihren Kindern<br />
Christian und Elisabeth nach Tansania aus, nachdem die Gemeinde sie am 27. Mai<br />
offiziell in einem Gottesdienst ausgesandt hatte. Als Deutschlehrerin und Arzt<br />
leisteten sie in Moshi Entwicklungshilfe im engeren Sinne. In einem Brief<br />
versuchten sie, die wirtschaftlichen Zusammenhänge<br />
deutlich zu machen: Nach<br />
schlechter Kaffee-Ernte und Dürre steigt die<br />
Inflationsrate schnell auf 40 Prozent. Die<br />
Löhne bleiben auf niedrigem Niveau, Armut<br />
macht sich breit, so daß die Kranken ihre<br />
Behandlung nicht mehr bezahlen können,<br />
nicht einmal das Fahrgeld für den preisgünstigen<br />
Bus zur staatlichen Gesundheitsstation<br />
haben. "Die meisten Menschen leben<br />
sehr bescheiden und kommen durch Ausbleiben<br />
des Regens oder durch andere Unglücke<br />
unmittelbar in Not... Eine wesentliche Hilfe<br />
sind die Gelder aus dem Ausland. Auf die<br />
Dauer wäre es aber besser, wenn die<br />
Industrieländer nicht nur gerechtere Rohstoffpreise<br />
zahlten, sondern vor allem helfen<br />
würden, daß Arbeitsplätze geschaffen werden und die Güter des täglichen Bedarfs<br />
im Lande produziert werden können", schrieb Berthold Mascher im September<br />
1974. Damit machte er in kurzen Sätzen grundsätzliche Probleme deutlich, ohne in<br />
Einzelheiten zu gehen, so daß jeder die Problematik verstehen kann. Ohnehin war<br />
es die Zeit, in der man nach neuen Modellen für die Entwicklungshilfe suchte.<br />
Im November 1975 hat sich die Lage in Tansania weiter zugespitzt, denn erneut ist<br />
der Regen ausgeblieben, die Ölkrise zeigt deutliche Folgen. Doch Maschers stellen<br />
in einem Rundbrief heraus, wie sich die Afrikaner auf diese Situation einstellen, wie<br />
sie Hilfsprojekte für die Armen im Lande selbst organisieren.<br />
Sehr interessiert sich die Gemeinde in dieser Zeit allerdings nicht für die<br />
Außenmission, weil sie vorrangig mit den Fragen des Neubaus und Kapellenrenovierung<br />
beschäftigt ist. Außerdem brennen Fragen nach der inneren Stuktur der<br />
Gemeinde <strong>Göttingen</strong> unter den Nägeln. In einer Gemeindestunde wird deutlich, daß<br />
sich Maschers einen besseren Briefkontakt zur Gemeinde in <strong>Göttingen</strong> wünschten.<br />
Doch weitere Berichte wurden nicht veröffentlicht, so daß anzunehmen ist, daß der<br />
Einsatz zu Ende ging.
Zu wenig Missionare in Kamerun<br />
Fünf <strong>Jahre</strong> lang hat die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ab 1975 den Franzosen Jean<br />
Pierre Dassonville und seine englische Frau Ann finanziell unterstützt, die mit<br />
ihrer damals dreijährigen Tochter in Maroua in Nordkamerun waren.<br />
Beide hatten sich auf dem theologischen Seminar in Rüschlikon (Schweiz)<br />
kennengelernt. Im Auftrag der Europäischen Baptistischen Mission (EBM) waren<br />
sie seit 1973 in Kamerun. Jean Pierre unterrichtete an der neuen kleinen<br />
Pastorenschule in Maroua, Ann unterwies die Frauen. Außerdem gab es<br />
beachtliche Jugendarbeit, die sie unterstützten.<br />
Wie die beiden Missionare in Rundbriefen mitteilten, wuchsen die <strong>Baptisten</strong><br />
Gemeinden in Nordkamerun schnell. Allein 1976 stieg die Zahl der getauften<br />
Mitglieder um 30 Prozent, ein Jahr später um 20 Prozent. 1977 wurden auch die<br />
ersten acht Pastoren aus Kamerun in den Gemeinden eingestellt.<br />
Trotzdem fehlte es der Missionsstation immer wieder an Mitarbeitern. Für die<br />
medizinische Betreuung konnte man sich nur noch auf das Notwendigste<br />
beschränken, 1980 mußte auch die theologische Schule geschlossen bleiben, so<br />
daß nur in Südkamerun noch die Pastorenausbildung gewährleistet war. In dieser<br />
Zeit konzentrierten sich Dassonvilles darauf, schriftliches Material für die<br />
Gemeinden zu erstellen. So arbeitete Ann an einem Handbuch für die Frauenarbeit<br />
mit, Jean Pierre gründete eine Gemeindezeitschrift für Nordkamerun.<br />
1980 gab es 16 evangelistische Pastoren im Distrikt Maroua im Norden Kameruns.<br />
Die Kirche in der Stadt, die rund 600 Menschen faßte, war fast immer voll besetzt,<br />
die kleinen Kirchen waren ebenfalls gut besucht. Trotzdem hatte es die christliche<br />
Minderheit in dem vor Moslems geprägten Gesellschaft nicht ganz einfach. So<br />
warteten die Gemeinden beispielsweise jahrelang auf eine Genehmigung, zerstörte<br />
Kirchen wieder aufbauen zu dürfen.<br />
Als Dassonvilles im Sommer 1980 ihren Einsatz in Kamerun beendeten und nach<br />
Frankreich zogen, endete auch die Unterstützung aus <strong>Göttingen</strong> für ihren Einsatz.<br />
"Mutter" für Missionarskinder<br />
Aus der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> kam Gisela Reisdorf. Sie besuchte zwei<br />
<strong>Jahre</strong> lang die Bibelschule in Wiedenest, bevor sie in den Missionseinsatz nach<br />
Tansania ging. Ihre Aufgabe war es, in einem Internat für Missionarskinder deren<br />
Erziehung zu übernehmen. Sie war sozusagen als Internatsleiterin "Mutter" für die<br />
Kinder verschiedener Missionare, die in Mbesa zur Schule gingen.<br />
Schon kurz nach ihrer Ausreise Ende Oktober 1979 meldete sie sich mit einem<br />
Brief, in dem sie sehr anschaulich und erfrischend über ihre Reiseerlebnisse<br />
berichtete. Vor allem mit der Sprache hatte sie so ihre Schwierigkeiten, zumal ihr<br />
Englisch auch nicht allzu gut war.<br />
Nach einer kurzen Sprachschulung der Grundbegriffe der Landessprache in<br />
Songea kam sie Ende Januar 1980 in Mbesa an. Und ohne Einarbeitungszeit
mußte sie loslegen. Zunächst hatte sie elf Kinder zu betreuen, später sieben. Bei<br />
ihren Rundbriefen machte sich doch bemerkbar, daß sie wußte, an wen sie in<br />
<strong>Göttingen</strong> schrieb. Sie kannte ihre Adressaten und die sie. So kam erstaunlich viel<br />
Persönliches in den Briefen herüber.<br />
Ende 1983 endet allerdings der offizielle Kontakt, nachdem die Missionarin am 6.<br />
November 1983 in einem Gottesdienst von ihrer Arbeit berichtet hatte. In den<br />
Gemeindebriefen wurde kein Brief mehrveröffentlicht. Vermutlich gab es aber<br />
weiterhin private Verbindungen. Nach ihrem Heimaturlaub reiste sie allerdings nicht<br />
wieder nach Tansania aus, sondern heiratete ganz überraschend und gründete hier<br />
eine Familie.<br />
In den 80er <strong>Jahre</strong>n in Kamerun<br />
Josephine und Reinhard Dorra waren mit ihren drei Kindern vom 1. April 1985 bis<br />
zum 10. Juni 1990 Missionare in Kamerun. Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong><br />
sandte sie aus. Träger des Einsatzes war die Europäische Baptistische Mission<br />
(EBM).<br />
Dieser Einsatz unterschied sich schon<br />
erheblich von dem „klassischen Missionars-<br />
Bild“. In Kamerun gab es einen selbständigen<br />
<strong>Baptisten</strong>bund, Dorras waren praktisch europäische<br />
Berater an einer Missionsstation mit<br />
Bibelschule, Krankenhaus und Schule in einem<br />
kleinen Dorf Nordkameruns, Ndiki. Der Kameruner<br />
<strong>Baptisten</strong>bund koordinierte die Arbeit der<br />
ausländischen Berater. Ein Jahr lang zuvor war<br />
der ordinierte <strong>Baptisten</strong>pastor Reinhard Dorra<br />
für den Einsatz der Familie in Afrika von der<br />
EBM vorbereitet worden. Unter anderem hatte<br />
er in der Nähe von Paris einen neunmonatigen<br />
FranzösischIntensivkursus absolviert.<br />
In Kamerun änderten sich die Aufgaben dann schnell. Sollte der Missionar<br />
eigentlich nur als Lehrer der Bibelschule die einheimischen Pastoren ausbilden,<br />
machte die Arbeit nach kurzer Zeit nur noch sechs Wochenstunden aus. Dafür war<br />
er mehr Verwalter der Missionsstation, Pastor einer Gemeinde in der Nähe und<br />
Leiter der Missionsschule. Josephine, gebürtig in Togo/Westafrika, war als<br />
Krankenschwester und in der Frauenarbeit berufstätig. Ihre schwarze Hautfarbe<br />
erleichterte ihr die Arbeit in manchen Situationen.<br />
Mitte 1990 kamen die Dorras wieder zurück nach Deutschland. Das hatte vor allem<br />
mit der Schulausbildung der Kinder zu tun. "Fünf <strong>Jahre</strong> Fernschule reicht", meinten<br />
die Eltern, zumal auch die jüngste Tochter eingeschult werden sollte.
Für Blinde in Afrika<br />
Um Blinden in Afrika eine Hoffnung für ihr Leben zu geben, waren Damaris und<br />
Bernhard Leemhuls viereinhalb <strong>Jahre</strong> in Diensten der Christoffel-BlindenMission<br />
(CBM). Von <strong>Göttingen</strong> sandte die Gemeinde sie in einem Gottesdienst am 26. Juni<br />
1988 als Missionare und Entwicklungshelfer aus. Bei ihnen wurde besonders<br />
deutlich, daß man Mission und Entwicklungshilfe längst nicht mehr trennen kann.<br />
Ihr Ziel war zunächst Ghana. Dort war es ihre Aufgabe, landwirtschaftliche Projekte<br />
für Blinde zu betreuen, die die CBM dort eingerichtet hatte. Begleitet war das<br />
Agrarprogramm von einem Gesundheitsprogramm für die Blinden. Denn viele von<br />
ihnen können durch eine Operation ihr Augenlicht wiedererhalten.<br />
Doch der Start war alles andere als gelungen. Die Partnerorganisation hatte<br />
inzwischen entgegen der Absprache einen einheimischen Direktor eingesetzt, der<br />
mit den Weißen aus Europa nicht zusammenarbeiten wollte, nicht zuletzt auch<br />
deshalb, weil er den Helfern aus Europa von der Qualifikation her nicht gewachsen<br />
war. Deshalb bereisten die beiden Göttinger im Auftrag der Mission einige Projekte<br />
in Togo, Burkina Faso, Sierra Leone, um sie kennenzulernen. Nach einem<br />
schwierigen halben Jahr ging es nach einer Versetzung richtig an die Arbeit.<br />
Ein Projekt in Lusambo in Zaire sollte nun ihr Aufgabenschwerpunkt sein. Während<br />
Bernhard Leemhuis als Agrar-Ingenieur den Ackerbau durch Blinde aufbauen sollte<br />
und die afrikanischen Blindenberater beriet, war Damaris als Krankenschwester in<br />
der Gesundheitsvorsorge tätig. Sie beriet die Menschen nach zwei <strong>Jahre</strong>n ihres<br />
Einsatzes dort auch dahingehend, wie man Blindheit (in Afrika oft<br />
Mangelerkrankung) vermeiden kann. Außerdem<br />
war sie am Ivermectin-Verteilprogramm<br />
der WHO beteiligt, die Verteilung eines neuen<br />
Medikamentes gegen Flußblindheit. Man<br />
wollte durch dieses Programm die Krankheit<br />
in ganz Afrika ausrotten.<br />
Ende 1991 mußten die beiden Missionare aus<br />
<strong>Göttingen</strong> Zaire wegen des Ausbruchs eines<br />
Bürgerkrieges verlassen. Mit dem Krieg war<br />
auch das gesamte aufgebaute Projekt in<br />
Frage gestellt. Beide waren nun für drei<br />
Monate in der Zentralafrikanischen Republik<br />
in der Nähe der Hauptstadt Bangui für CBM<br />
tätig. Hier ging es um die Erweiterung eines<br />
Gartenbauprojektes, um Kleintierzucht und<br />
Landwirtschaft. Die zeitliche Begrenzung<br />
sollte gewährleisten, daß die Afrikaner nicht von der deutschen Entwicklungshilfe<br />
abhängig wurden, sondern selbständig weiterarbeiteten. Von April bis Ende 1992<br />
war Bernhard Leemhuis im Zentralbüro der CBM in Bensheim tätig, weil hier<br />
dringend Mitarbeiter gebraucht wurden. Dann lief der Vertrag aus, beide zogen<br />
wieder nach <strong>Göttingen</strong>.
Als Christen in Südostasien leben<br />
Mission kann auch ganz einfach heißen: bewußt als Christen unter Menschen<br />
anderer Religionen zu leben. Das praktizieren zur Zeit Jasna und Branislav<br />
Beocanin, die ebenfalls von der Göttinger Gemeinde ausgesandt wurden. Als<br />
jugoslawische Studenten in <strong>Göttingen</strong> lernten sie die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> kennen<br />
und fanden zum Glauben an Jesus Christus. Nach ihrer Heirat gingen beide 1986<br />
nach England, um dort drei <strong>Jahre</strong> lang an einer Bibelschule zu studieren und sich<br />
so auf die hauptamtliche Verkündigung vorzubereiten. Schon im Sommer 1987<br />
interessierten sie sich so für Indien, daß sie dorthin fuhren, um vor allem in Bombay<br />
und Madras Land und Leute, das Denken der Menschen und die Arbeit der<br />
Christen dort kennenzulernen. Anschließend studierten sie in England weiter.<br />
Anfang 1990 hatte ihre Bewerbung bei der Deutschen Missionsgesellschaft (DMG)<br />
Erfolg, ebenso die Bewerbung um einen Studienplatz in Indien. Mission im<br />
eigentlichen Sinne ist dort verboten. So blieb der jungen Familie nur die<br />
Möglichkeit, im Alltag ihren Glauben zu leben und mit Nachbarn und Freunden ins<br />
Gespräch zu kommen.<br />
Intensive Kontakte zu den Nachbarn bekamen sie Weihnachten 1990, als die<br />
Bewohner ringsum etwas mehr über Weihnachtsgebräuche erfahren wollten und<br />
Beocanins besuchten. Später kamen über die Kinder und die Haushaltshilfe weitere<br />
Kontakte zu jungen Familien hinzu. In einer christlichen Gemeinde in Hindi<br />
arbeiteten beide ehrenamtlich (Sonntagsschule/Predigtgottesdienst) mit. 1993<br />
waren alle vier wieder für ein halbes Jahr in Deutschland. Gesundheitlich<br />
angeschlagen, war für Jasna ein Kur dringend nötig. Am 10. Oktober berichteten<br />
Beocanins über "ihren" Alltag in der Gemeinde. Im November sandte die Gemeinde<br />
sie wieder aus.<br />
Missionare für Studenten<br />
Missionare ganz anderer Art waren Bernd Klose, Wilhelm Fingerhut und Christa<br />
Olschewski, die das Evangelium ganz gezielt unter Studenten verkündeten, auch<br />
an den Hochschulen. Bernd Klose begann seine Arbeit mit der Studentenbewegung<br />
"Campus für Christus" Ende 1973 an der Freien Universität Berlin. Die Gemeinde<br />
<strong>Göttingen</strong> verpflichtete sich zunächst nicht, die Arbeit finanziell zu unterstützen, rief<br />
aber innerhalb der Mitglieder zu zweckgebundenen Spenden auf. Erst ab 1975<br />
erhielt der Studentenmissionar pro Monat 500 Mark. Die erste Kollekte im Monat<br />
war für ihn bestimmt.<br />
Immer wenn Bernd Klose in <strong>Göttingen</strong> war, bekam er die Gelegenheit, im<br />
Gottesdienst über seine Arbeit zu berichten. Kontakt hielt er auch ständig zu einem<br />
Freundeskreis in <strong>Göttingen</strong> und einer Studentengruppe, die hier an der Uni nach<br />
dem Modell von "Campus für Christus" tätig war. Als er für "Campus" 1980 immer<br />
mehr im Ausland war, um internationale Kontakte der Studentengruppen zu<br />
pflegen, lief die Förderung aus.<br />
Es schloß sich die Unterstützung für Wilhelm Fingerhut an, die fast zehn <strong>Jahre</strong><br />
andauerte. Er hatte während seines Studiums in <strong>Göttingen</strong> Kontakt zu "Campus"<br />
bekommen. Seit Oktober war er in der Campus-Zentrale in Gießen tätig, auch er
erichtete von seiner Arbeit im Gottesdienst, wenn er in <strong>Göttingen</strong> war. Im Herbst<br />
1989 zog Wilhelm Fingerhut wieder nach <strong>Göttingen</strong>, um die hiesige<br />
"Campus"-Gruppe als hauptamtlicher Mitarbeiter zu leiten. Er setzte sich zum Ziel,<br />
studentische Mitarbeiter auszubilden. Allerdings blieb der ehemals gute Kontakt zur<br />
Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> nicht erhalten, sondern löste sich mit der Zeit.<br />
1981 zog Christa Olschewski nah Erlangen, um in der "Campus"-Gruppe<br />
hauptamtlich mitzuarbeiten und das Evangelium unter Studenten zu verkündigen.<br />
Unter ihrer Mitarbeit entstanden weitere Gruppen in Nürnberg und Bamberg. Im<br />
Oktober 1983 zog Christa Olschewski nach Tübingen. Ihre nächste Station nach<br />
der deutschen Einheit war Leipzig, wo sie heute unter Studenten missioniert. Nach<br />
wie vor unterstützen sie einige Gemeindemitglieder aus <strong>Göttingen</strong> finanziell.<br />
Pläne für ein neues Gemeindezentrum<br />
Auffällige Parallelen gab es bei den Plänen für ein neues Gemeindezentrum und<br />
dessen Verwirklichung mit denen der Kapelle Bürgerstraße 13. Wie bei der ersten<br />
eigenen Kapelle sehen noch heute viele Gemeindemitglieder den Weg, der zum<br />
Gemeindezentrum führte, als Führung Gottes an.<br />
Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> änderte sich die Gemeindearbeit. Es entstanden immer<br />
mehr Gemeindegruppen, die selbständig waren und eigene Räume für sich<br />
brauchten. Neben den "klassischen Gruppen" wie Sonntagsschule, Jungschar,<br />
Jugendgruppe, Frauengruppe und Chor entstanden neue. Ein Kreis junger Mütter,<br />
ein Kreis junger Erwachsener, Hauskreise: das waren nur die Anfänge.<br />
Die erste Lösung des neu entstanden<br />
Platzbedürfnisses zeigte<br />
sich zunächst, als Pastor Arnim<br />
Riemenschneider mit seiner Familie<br />
aus der Wohnung direkt an der<br />
Kapelle auszog. Nun standen die<br />
Zimmer der Wohnung als Gruppenräume<br />
zur Verfügung. Eine bedarfsgerechte<br />
Küche gab es allerdings<br />
weiterhin nicht.<br />
Das zweite Problem ließ sich nicht<br />
so schnell lösen: die Sanitärräume.<br />
Sie waren nicht mehr zeitgemäß.<br />
So gründete die Gemeinde einen<br />
Bau- und Finanzausschuß, der<br />
Lösungen mit langfristigen Perspektiven<br />
suchen sollte.<br />
Der Ausschuß erarbeitete drei Alternativen:<br />
die kleine Sanierung, die<br />
die Sanitärräume in den Keller<br />
verlegte, die mittlere Lösung, die<br />
Die Zionskapelle entsprach längst nicht<br />
mehr den Anforderungen, die man an<br />
ein Gemeindezentrum stellte.
einen Umbau in den Grenzen des jetzigen Gebäudes vorsah, und die große<br />
Lösung, die sich an die Grenzen des Grundstückes hielt, aber eine totale<br />
Veränderung des Gebäudes bedeutete. So sollte beispielsweise in den relativ<br />
hohen Gottesdienstraum eine Decke eingezogen werden, damit auf einer<br />
zusätzlichen Etage weitere Gruppenräume entstehen könnten. Dieser von einem<br />
Architekten erarbeitete Entwurf hätte bei einer Realisierung 1975 zwei Millionen<br />
Mark verschlungen.<br />
"Dann können wir das Geld doch lieber in einen Neubau investieren", argumentierten<br />
zahlreiche Gemeindemitglieder. Eine Baugenehmigung erschien zudem<br />
als nicht realistisch.<br />
Aus "Vernunftgründen" verschob die Gemeinde die Entscheidung. Der Ausschuß<br />
erhielt den Auftrag, nach einem geeigneten Grundstück zu suchen. Und in Weende<br />
Nord gab es schon bald in einem Neubaugebiet ein Angebot. Hier zogen junge<br />
Familien her, hier hätte die Gemeinde eine neue Aufgabe finden können. Selbst an<br />
ein kleines Studentenwohnheim in Weende mit acht Plätzen dachte man 1975<br />
ernsthaft nach, hatte sogar schon fertige Pläne.<br />
Doch sollte man die zentrale Lage an der Bürgerstraße aufgeben? Die Mehrheit der<br />
Gemeinde war dafür, im Zentrum zu bleiben. Alles Nachdenken begann wieder von<br />
vorne. Ein altes und geachtetes Gemeindemitglied sprach sogar von einer Vision,<br />
daß auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine neue Kapelle entstehen würde.<br />
Das erschien mehr als unwahrscheinlich: Die Stadt <strong>Göttingen</strong> mit ihrer Parkplatznot<br />
sollte einen Parkplatz mit 70 Einstellplätzen für ein Gemeindezentrum opfern?<br />
Sogar der Bebauungsplan mußte dafür geändert werden, eine Grünfläche<br />
verschwinden. Doch plötzlich gab es ein Angebot der Stadt: Tausch Grundstück<br />
Bürgerstraße 13 mit Gebäude gegen Bürgerstraße 12 und 14, einschließlich des<br />
Bergmannschen Hauses auf der anderen Straßenseite. Außerdem hatte die<br />
Gemeinde einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Das war's; in großer Einmütigkeit<br />
beschloß die Gemeindeversammlung, mit der Stadt <strong>Göttingen</strong> in diesem Sinne<br />
weiterzuverhandeln. Und erstaunlicherweise gab es gegen die Änderung des<br />
Bebauungsplanes keinen nachhaltigen Einspruch von den Anliegern, die doch alle<br />
hier parkten. Im März 1980 wurde der Tauschvertrag unterschrieben. Viele<br />
sprachen in der Gemeinde von einer Gebetserhörung.<br />
Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> wußte auch, daß sie sich mit dem Tauschvertrag auf ein<br />
Wagnis eingelassen hatte. Denn das Gebäude Bürgerstraße 12, das rote<br />
"Bergmannsche Haus", war heruntergekommen und stand unter Denkmalschutz.<br />
1835 hatte es sich Professor Christian Bergmann als Sommerresidenz außerhalb<br />
des Walls bauen lassen. 1872 wurde es sein Dauerwohnsitz, nachdem er es hatte<br />
erweitern und weiter ausbauen lassen. Nun lebten hier von der Stadt <strong>Göttingen</strong><br />
einquartierte Obdachlose. Neben dem Neubau ein altes großes Haus zu<br />
renovieren, war für die Gemeinde finanziell überhaupt nicht verantwortbar.
Also blieb dieses Problem zunächst liegen. Ein neues Gemeindezentrum auf dem<br />
Parkplatz sollte zunächst entstehen, wobei man die alten Bäume erhalten wollte.<br />
Als die ersten Pläne vorlagen, ging es dann relativ schnell. Einige kleinere<br />
Änderungen beschloß die Gemeinde an den Plänen für den sechseckigen<br />
Gottesdienstraum, die zehn Gruppenräume sowie eine Wohnung für den<br />
Hausmeister. Eine entscheidende Frage war beispielsweise, ob man eine Empore<br />
einbauen wollte mit rund 80 Sitzplätzen. Die Gemeindeversammlung war dafür.<br />
Obwohl der Bebauungsplan<br />
geändert werden mußte, erhielt<br />
die Gemeinde am 10. September<br />
1982 die Baugenehmigung,<br />
feierte am 23. Oktober desselben<br />
<strong>Jahre</strong>s die Grundsteinlegung,<br />
am 10. Juni 1983 das<br />
Richtfest und am 2. Dezember<br />
1984 die Einweihung.<br />
Bis dahin hatten sich viele<br />
Gemeindemitglieder an den Bauarbeiten<br />
beteiligt. Die geplanten<br />
Baukosten von 3,5 Millionen<br />
Mark (für 350 Mitglieder) würde<br />
man senken können, wenn man<br />
einen Teil des Gebäudes in<br />
Eigenleistung erstellte, das war<br />
vielen klar. Und so war für eine<br />
ganze Reihe von Mitgliedern für Grundsteinlegung am 23. Oktober 1982<br />
zwei <strong>Jahre</strong> der Sonnabend<br />
wegen Bauarbeiten verplant. Am Ende kam man dann auf eine Bausumme von<br />
2,75 Millionen Mark.<br />
Während des Baues des Gemeindezentrums vollzog sich auch ein Pastorenwechsel<br />
in der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>: Bei der Grundsteinlegung war Hans-<br />
Hermann Firus hier Gemeindepastor, zum Richtfest am 10. Juni kam bereits sein<br />
Nachfolger Hermann Woock als Gast aus Berlin, und bei der Einweihung war er<br />
schon im Amt. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, daß der<br />
"Studentenverein", zu dem vorwiegend Gemeindemitglieder gehören, auf dem<br />
gleichen Gelände zeitgleich ein Studentenwohnheim errichtete (siehe<br />
Studentenarbeit).
Das "rote Haus" nebenan machte Sorgen<br />
Das Bergmannsche Haus, Bürgerstraße 12, wegen seiner auffälligen bonbonroten<br />
Farbe meist als "rotes Haus" bezeichnet, ließ die Gemeinde aber nicht lange ruhen.<br />
Konnte man als Kirche sozialverträglich Obdachlosen den Wohnraum kündigen?<br />
Eine heikle Frage. Was war überhaupt noch mit diesem Gebäude anzufangen?<br />
Man hatte ein schweres Erbe übernommen, zumal das Gebäude auch noch unter<br />
Denkmalschutz stand. Als es dann einen Brand gab, anschließend einen Wasserschaden,<br />
schließlich eine Hausbesetzung mit negativen Schlagzeilen in der<br />
Presse, da schien die Last doch zu schwer zu werden. Und es war unvermittelt ein<br />
Zeitdruck entstanden, der zum Handeln zwang, nicht nur wegen des zunehmenden<br />
Verfalls des Hauses.<br />
Ein Blick aus der Baugrube auf das übernommene<br />
"rote Haus" nebenan, das so<br />
langsam verfiel. Aber es gab kein Geld zum<br />
Renovieren. Es dauerte ein paar <strong>Jahre</strong>, bis<br />
sich eine Lösung des Problems abzeichnete<br />
Wie durch ein Wunder lösten<br />
sich die Probleme dann nach<br />
und nach. Zunächst zogen<br />
die Mieter einer nach dem<br />
anderen aus, so daß man in<br />
die Räume konnte. Die Gemeinde<br />
stellte für eine umfassende<br />
Sanierung des Gebäudes<br />
am 19. August 1986<br />
einen Bauantrag. Zu der Zeit<br />
standen nur 82 000 Mark als<br />
Versicherungsleistungen<br />
wegen der Schäden und eine<br />
Einzelspende von rund<br />
30 000 Mark zur Verfügung.<br />
Die Stadt <strong>Göttingen</strong> bewilligte<br />
einen Zuschuß von 13 000<br />
Mark. Das würde aber nie<br />
reichen, denn mit rund<br />
700 000 Mark Sanierungskosten<br />
mußte man schon<br />
rechnen, einige schätzten gar<br />
das Doppelte. Die Baugenehmigung<br />
kam Anfang<br />
1987, doch die Finanzierung<br />
stand noch immer nicht. In der großen Ratlosigkeit und auch, um eine konkrete<br />
Stellungnahme der Behörden zu erhalten, stellte die Gemeinde im Dezember 1987<br />
einen Abrißantrag.<br />
Dann schaltete sich überraschend die Denkmalpflege ein. Nach vielen Verhandlungen<br />
bat das Institut für Denkmalpflege Hannover als Obere Denkmalschutzbehörde<br />
die Gemeinde, einen Antrag auf einen verlorenen (nicht rückzahlbaren)<br />
Zuschuß für die Sanierungsmaßnahme zu stellen. Wie ein Geschenk<br />
des Himmels traf der Bewilligungsbescheid von 247 000 Mark ein.<br />
Damit stand neben einem noch aufzunehmenden Kredit die Finanzierung für den<br />
Erhaltungsumbau.
Das Gemeindezentrum von der Bürgerstraße aus gesehen. Trotz<br />
eigenwilliger Architektur ist zu erkennen, daß es sich hier um eine Kirche<br />
handelt.<br />
Bei den Sanierungsarbeiten stellte sich dann bald heraus, daß das Fundament auf<br />
der Westseite in einem sehr problematischen Zustand war. Hier waren nur<br />
Feldsteine lose aufeinandergelegt worden. Um den Fundamenten festen Halt zu<br />
geben, legten Gemeindemitglieder das Haus rundum frei. An der Westseite baute<br />
man eine Stahlbetonmauer. Auf den anderen Seiten hatte man offensichtlich schon<br />
früher für den nötigen Halt gesorgt. Gemeindemitglieder trugen durch Eigenleistungen<br />
zur Kostensenkung bei.<br />
Schließlich war der flache Gewölbekeller eine Herausforderung. Er schien sich ideal<br />
für einen Jugendraum zu eignen, wenn er nur nicht so flach wäre. Also hob man<br />
den Boden um 60 Zentimeter aus, um ihn für die Gruppenarbeit nutzen zu können.<br />
Am 24. August 1990 war das "rote Haus", das im Rahmen der Sanierungsarbeiten<br />
einen neuen Anstrich in einem Gelbton erhielt, fertig. Das Ockergelb wird vermutlich<br />
auch der Architekt und Baumeister Georg Ludwig Friedrich Lawes (1789-1864), der<br />
unter anderem auch das Leineschloß, das Opernhaus und das Residenzschloß<br />
Herrenhausen baute, für die Bergmannsche Villa verwandt haben. In dem sanierten<br />
Gebäude, das als Gemeindehaus dient, befinden sich zur Zeit drei Wohnungen. Die<br />
untere ist Pastorenwohnung. Den Gewölbekeller weihte allerdings nicht eine<br />
Gemeindegruppe ein, sondern ein internationales Forscherteam, das sich dem<br />
Leben und Wirken Rudolf von Jherings (1818-1892) widmet. Der Rechtsgelehrte<br />
Rudolf von Jhering hatte die letzten zwanzig <strong>Jahre</strong> seines Lebens in diesem Haus<br />
gewohnt.
Die Sanierungsarbeiten an dem Haus veränderten die öffentliche Meinung total.<br />
War der Zerfall des Gebäudes zunächst kritisch beobachtet worden, kam nun Lob<br />
von allen Seiten: Wohnraum und den historischen Charakter des Gebäudes hatte<br />
man erhalten und war trotzdem den modernen Anforderungen (z.B. wärmeisolierende<br />
Sprossen-Fenster aus Holz) gerecht geworden. Das „Göttinger<br />
Tageblatt" sprach gar von einem "Paradebeispiel für eine gelungene Sanierung<br />
nach Denkmalschutz-Kriterien". Finanziell trägt sich das Haus durch Mieteinnahmen<br />
selbst, so daß die Gemeindekasse nicht dadurch belastet wird und man<br />
etwa die Gemeindearbeit einschränken müßte. Im Gegenteil hat es sich als positiv<br />
herausgestellt, daß wieder einer der Gemeindepastoren am Gemeindezentrum<br />
wohnt.<br />
Die Bergmannsche Villa nach der Sanierung<br />
Die neue Orgel ist ausbaufähig<br />
Mit dem neuen Gemeindezentrum hatte die Gemeinde auch gleich an eine neue<br />
Orgel gedacht. Schließlich ist in ihren Reihen ein Orgelbaumeister, Rudolf Janke,<br />
bei dem auch ein weiteres Gemeindemitglied beschäftigt ist. Und damit schied auch<br />
die Diskussion von vornherein aus, die in den 70er <strong>Jahre</strong>n ganz sicher<br />
aufgekommen wäre, ob man eine moderne Elektronik-Orgel oder eine traditionelle<br />
Pfeifen-Orgel haben wollte. Aber solch ein handgearbeitetes Instrument ist eben<br />
nicht ganz billig.
Ein Jahr lang behalf sich die Gemeinde mit einer kleinen Leihorgel. Anfang 1985<br />
begannen die Arbeiten an dem neuen Instrument in Jankes Orgelbauwerkstatt in<br />
Bovenden. Schon bei der Planung der Kirche war der Standort bedacht worden. So<br />
befindet sich ein Teil des Instrumentes hinter einer durchbrochenen Holzwand: die<br />
drei Pedalregister, die Windlade, der Keilbalg und das Gebläse.<br />
Die Hauptorgel steht vor einer weißen Holzwand, die Pfeifen des Pedals sind dahinter<br />
verborgen, das aus massivem Eichenholz gefertigte Hauptgehäuse ist in drei<br />
Türme und zwei Zwischenfelder gegliedert. Über den Prospektpfeifen ist ein<br />
speziell entworfenes, handgeschnitztes<br />
Zierwerk angebracht.<br />
Zwar sah die neue Orgel ein<br />
Jahr nach dem Einzug der<br />
Gemeinde in die neue Kirche<br />
am dritten Adventssonntag<br />
1985 zur Einweihung vollständig<br />
aus, doch aus Kostengründen<br />
hatte die Gemeinde<br />
entschieden, daß sie zwar<br />
groß ausgelegt, aber noch<br />
nicht vollständig ausgebaut<br />
werden sollte. So plante man<br />
gleich 14 Register, sie sich auf<br />
zwei Manuale und Pedal<br />
verteilten. Doch in dem Gehäuse<br />
steckten zunächst nur<br />
neun Register. Auch das<br />
zweite Manual war nicht<br />
vorhanden, das Brustwerk<br />
leer.<br />
Zum <strong>100</strong>jährigen Gemeindejubiläum<br />
ist die zweite<br />
Ausbaustufe der Orgel vorgesehen.<br />
Da soll die Orgel in<br />
ihrer ganzen Fülle erklingen.<br />
Sie hat übrigens eine<br />
"ungleich schwebende Stimmung",<br />
nach dem Vorbild der<br />
Stimmungen des 18. Jahrhunderts.<br />
Die neue Orgel kurz vor der Einweihung<br />
Die Ausländer nicht ausschließen<br />
Seit den 80er <strong>Jahre</strong>n gibt es in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> einen besonderen<br />
Arbeitszweig, der sich mit den Ausländern in der Stadt beschäftigt. So fanden<br />
Studenten der SMD in der Gemeinde ein Zuhause, weil sie merkten, daß sie ihr
willkommen waren und daß es Menschen gab, die versuchten, trotz der<br />
Sprachschwierigkeiten mit ihnen ins Gespräch zu kommen.<br />
Es war Pastor Hermann Woock, der sich für die Erweiterung der Tontechnik im<br />
neuen Gemeindezentrum einsetzte, die eine Simultanübersetzung während des<br />
Gottesdienstes möglich machte. Und Fred-Roderich Pohl, der auch beruflich viel<br />
Englisch spricht, erklärte sich bereit, die Übersetzung ins Englische jeden Sonntag<br />
zu übernehmen. Er hat zwei Helfer, die einspringen, wenn er verhindert ist. Wie<br />
stark dieser Service angenommen wird, ist sehr unterschiedlich. Aber im<br />
Durchschnitt sind es 15 Gottesdienstbesucher, die sich den entsprechenden<br />
Kopfhörer ausleihen, um die Veranstaltung in Englisch zu verfolgen.<br />
Daneben gibt es einen internationalen Hauskreis. Es begann vor etwa zehn <strong>Jahre</strong>n,<br />
als Kala und Bala BalaKrishna aus Sri Lanka vorwiegend unter Tamilen im Raum<br />
<strong>Göttingen</strong> das Evangelium verkündigten und Interessenten zu sich nach Hause<br />
einluden. Das Interesse war sehr groß, der Kreis wurde im Laufe der <strong>Jahre</strong> immer<br />
internationaler und immer größer. Oft drängten sich 30 Menschen aus allen Teilen<br />
der Erde in einem Wohnzimmer. Umgangssprache ist auch hier Englisch.<br />
Außerdem gibt es einen internationalen Bibelkursus in Englisch und einen weiteren<br />
internationalen Kreis, der sich samstags trifft.<br />
Fred-Roderich Pohl in dem kleinen Tonstudio hinter dem Gottesdienstraum<br />
mit Blickkontakt zur Versammlung<br />
Keine Scheu vor der Öffentlichkeit<br />
Von Anfang an hat die Gemeinde die Öffentlichkeit nicht gescheut. Doch war die<br />
Öffentlichkeitsarbeit sehr unterschiedlich. Es beginnt bei den Gottesdienstankündigungen<br />
in der Zeitung, geht über die Einladung durch Handzettel zu<br />
besonderen Veranstaltungen bis hin zu den umfangreichen Zeitungsberichten zur
Einweihung des Gemeindezentrum vor zehn <strong>Jahre</strong>n und der Frage nach der<br />
Zukunft des "roten Hauses". Außerdem beschäftigte die Fraktionen im Rat lange<br />
die Frage, was aus der alten <strong>Baptisten</strong>kirche (Bürgerstraße 13) werden solle.<br />
Schon am 5. Juli 1894 lud die Gemeinde mit einer Anzeige im "Allgemeinen Anzeiger<br />
aus Stadt und Land" in <strong>Göttingen</strong> "zur Eröffnung des VersammlungsLocales der<br />
Gemeinde gläubig getaufter Christen (<strong>Baptisten</strong>), Gartenstr. 13" ein. Am 12.<br />
November 1902 meldete die "Göttinger Zeitung": "Die hiesige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />
läßt neben der städtischen Knaben-Mittelschule eine Kapelle errichten, die<br />
voraussichtlich noch in diesem <strong>Jahre</strong> im Rohbau fertig gestellt werden wird."<br />
Schon am 4. Juli hatte die Zeitung den Grundstückstausch gemeldet: "Die hiesige<br />
<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, welche gegenwärtig in dem Hause Gartenstraße 13 einen<br />
Betsaal besitzt, beabsichtigt, sich auf dem nördlich der Knabenmittelschule<br />
an der Bürgerstraße gelegenen, der Stadt gehörenden Grundstücke ein<br />
Gotteshaus zu erbauen. Die Stadt wird dies Grundstück gegen das Haus in der<br />
Gartenstraße umtauschen. Die städtischen Collegien haben in ihrer gestrigen<br />
Sitzung ihre Zustimmung zu diesem Besitzwechsel gegeben. Das Haus soll<br />
umgebaut werden, um später an Stelle des St. Crucisstifes zu treten, welches<br />
demnächst in den Besitz der Universität übergehen wird."<br />
Nach der Ankündigung in einer Meldung am 19. August 1903, daß die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />
ihre Zionskapelle einweihen wird, berichtete die "Göttinger Zeitung" am 24.<br />
August auf der ersten Seite von der Einweihungsfeier. Auch von der Einweihung der<br />
Naundorfhöhe erfuhren die Göttinger aus der Zeitung: Das "Göttinger Tageblatt"<br />
berichtete davon am 6. August 1932, am gleichen Tage auch die "Göttinger Zeitung".<br />
Schließlich erwähnte das Tageblatt 1934 den 5. Weltkongreß der <strong>Baptisten</strong> in Berlin<br />
mit 1300 Abgeordneten aus 60 Nationen. Die Beschallung der Halle für den Kongreß<br />
besorgte die Firma Caspari & Co. aus <strong>Göttingen</strong>.<br />
Später waren auch die Zeltmissionen als lokale Ereignisse Thema der Zeitungsberichterstattung,<br />
ebenso, wie an anderer Stelle erwähnt, die Studentenspeisungen.<br />
Als dann das neue Gemeindezentrum 1984 eingeweiht werden sollte<br />
und die Verhandlungen der Gemeinde um die Erhaltung des Baudenkmals "rotes<br />
Haus" um Zuschüsse auf dem Höhepunkt waren, versorgte die Gemeinde die<br />
Medien sehr umfangreich mit Pressematerial. Schließlich berichtete das Tageblatt<br />
auch 'inhaltlich" über die Gemeinde: eine Taufe in Wort und Bild. Doch nicht bei<br />
allen Gemeindemitgliedern stieß diese offensive Öffentlichkeitsarbeit auf ungeteilte<br />
Zustimmung. Wie alle Kirchen tat man sich schwer mit der Art der Berichterstattung,<br />
vor allem wenn die Gemeinde nach einer Hausbesetzung (rotes Haus) nicht nur im<br />
positiven Licht dastand. Doch war es in dieser Zeit besonders Pastor Hermann<br />
Woock, der deutlich machte, daß christliche Verkündigung sehr viel mit<br />
Öffentlichkeitsarbeit zu tun hat. Und auch Jesus hatte zu seiner Zeit nicht immer<br />
eine "positive Presse". Trotzdem handelte und redete er öffentlich. Die<br />
Öffentlichkeit gehört, so Hermann Woock immer wieder, zum Wesen der<br />
Verkündigung.
Die Zeit der Diakonissen<br />
Es gab in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> auch eine Epoche, aus der Diakonissen<br />
nicht wegzudenken sind. Sie waren als Gemeindeschwestern tätig,<br />
widmeten sich also vor allem sozialen Aufgaben. Die Zeit der Diakonissen begann<br />
1946 und endete 1964.<br />
Es waren: 1946-52 Schwester Minna Schulz<br />
1952-59 Schwester Dora Langmaak<br />
und 1959-64 Schwester Ingrid Speck.<br />
Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> ist seit 1953 Mitglied im "Gemeindepflegedienst<br />
Mitte", einem ökumenischen Zusammenschluß der Kirchen im Göttinger Zentrum.<br />
Viele Mitglieder der Gemeinde sind auch Mitglied in diesem Verein, der die<br />
häusliche Krankenpflege übernimmt.<br />
Minna Schulz<br />
1946-52<br />
Dora Langmaak<br />
1952-59<br />
Ingrid Speck<br />
1959-64<br />
Ehrenamtliche Mitarbeiter in der Gemeinde<br />
Es ist klar, daß eine Gemeinde wie die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, die die Freiwilligkeit<br />
besonders betont, nicht ohne ehrenamtliche Mitarbeiter auskommt. Sie sind die<br />
eigentlichen "Arbeiterinnen und Arbeiter". Das beginnt bei den Gemeindeleitern,<br />
den Mitgliedern der Vorstände, erstreckt sich über die Gruppenleiter, die Mitglieder<br />
der Chöre bis hin zu denen, die nach dem Gottesdienst für den Kaffee und den<br />
Abwasch sorgen, sowie den Betreuern der Kleinkinder während der<br />
Veranstaltungen. Und nicht zu vergessen sind die Hausmeister, die Küsterfamilien,<br />
die mit ihrer Art die Grundstimmung in den Gemeinderäumen mitbestimmten. So<br />
haben sich unzählige Mitglieder der Gemeinde in den zurückliegenden hundert<br />
<strong>Jahre</strong>n mit ihren Begabungen in den Dienst stellen lassen. Ihre Namen<br />
aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Rückblicks sprengen.<br />
Stellvertretend sollen hier die Gemeindeleiter und Ältesten genannt werden:
1907-1913 Friedrich Hoffmeister (Ältester)<br />
1913-1921 Otto Schulze (Ältester)<br />
1921-1951 Wilhelm Körber (Ältester)<br />
1951-1955 Carl Caspari (Ältester)<br />
1955-1961 Herbert Gudjons als Prediger war gleichzeitig Ältester<br />
1961-1969 Rudolf Friedrichs (Gemeindeleiter)<br />
1969-1973 Karl Heinz Hasenbalg (Gemeindeleiter)<br />
1973-1975 Rudolf Friedrichs (Gemeindeleiter)<br />
1975-1978 Manfred Graf (Gemeindeleiter)<br />
1978-1979 Erich Wolfrum (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />
1979-1985 Winfried Salewski (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />
1988-1992 Joachim Meyer (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />
1992- Winfried Salewski (Ältester)<br />
Die Gemeindeleitung (früher Gemeindevorstand) wird von der Gemeindeversammlung<br />
als Leitungsorgan der Gemeinde für drei <strong>Jahre</strong>, neuerdings für vier<br />
<strong>Jahre</strong> gewählt. Seit 1978 sind auch Frauen in der Gemeindeleitung.<br />
In der Gemeindeleitung besprechen die Frauen und Männer mit ihren verschiedenen<br />
Begabungen die Belange der Gemeinde, diskutieren auftretende Probleme<br />
und erarbeiten Lösungsvorschläge, die sie dann der Gemeinde vorstellen. Sie<br />
behandeln Themen des Gemeindelebens, seelsorgerliche Anliegen und<br />
Mitarbeiterfragen ebenso wie den jährlichen Finanzplan und anstehende Investitionen.<br />
1994 wählte die Gemeindeversammlung eine neue Gemeindeleitung. Das<br />
Vertrauen der Gemeinde erhielten: Britta Broocks, Eberhard Fischer, Konrad<br />
Heuer, Ernst Meßmer, Brigitte Petereit, Marlies Salewski, Daniel Schiller, Howard<br />
Shaw und Michael Vauk. Zur Gemeindeleitung gehören ebenfalls die<br />
Gemeindepastoren Andre Heinze, Ralf Ossa (bis Juli 1994) und Siegfried Wagner<br />
sowie der Gemeindeälteste Winfried Salewski.<br />
Pastoren: verschiedene Persönlichkeiten<br />
So unterschiedlich Menschen nun einmal sind, so verschieden waren auch die<br />
Pastoren, die in den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mitgeprägt<br />
haben. Auch wenn von der Idee her die Mitglieder der Gemeinde als mündige<br />
Gläubige einen Geistlichen "nur" als hauptamtlichen Mitarbeiter einstellten, so<br />
bestimmten diese Hauptamtlichen mehr noch als die zahlreichen Mitarbeiter in den<br />
Gemeindegruppen den Weg der Gemeinde entscheidend mit. Denn jeder Pastor<br />
setzte seinen Fähigkeiten entsprechend Schwerpunkte.
Im folgenden nun der Versuch, die Pastoren zu charakterisieren:<br />
1894-1907: Bernhard Naundorf kam als 33jähriger mit<br />
großem Missionseifer nach <strong>Göttingen</strong>. Sich selbst gegenüber<br />
übte er eine eiserne Disziplin, erwartete sie auch von den<br />
Mitarbeitern. Nach der Gemeindegründung 1894 bereitete er<br />
den Bau der Kapelle 1902-03 in der Bürgerstraße vor. Auch<br />
gründete er von <strong>Göttingen</strong> aus die Gemeinde in Nordhausen.<br />
Finanziert wurde der größte Teil dieser Missionsarbeit durch<br />
den Einbecker Fabrikanten Wilhelm Meyer.<br />
1907-1913: Paul Winderlich war 45 <strong>Jahre</strong> alt, als er von<br />
Frankfurt am Main nach <strong>Göttingen</strong> kam. Seine Wirksamkeit<br />
hatte erwecklichen und vertiefenden Charakter. Er baute auf der<br />
Arbeit seines Vorgängers gezielt auf. In seine Amtszeit fällt die<br />
Ausgliederung der Station Nordhausen zur eigenständigen<br />
Gemeinde. Im Februar 1909 erlitt die Kapelle in der<br />
Bürgerstraße einen größeren Gebäudeschaden bei einer<br />
Überschwemmung.<br />
1913-21 und 1942-45: Hugo Mundhenk kam im Sommer<br />
1913 33jährig von Düsseldorf nach <strong>Göttingen</strong>. Er kümmerte<br />
sich sofort um eine rechtliche Absicherung der Gemeinde. So<br />
beantragte er die Korporationsrechte für die Gemeinde, die<br />
am 23. April 1914 durch die preußischen Ministerien auch<br />
bewilligt wurden. Sein Dienst wurde im Ersten Weltkrieg<br />
zeitweise unterbrochen. Nach seiner Einberufung wurde er<br />
nach einiger Zeit für den Lazarettdienst in <strong>Göttingen</strong><br />
freigestellt und konnte sonntags in der Gemeinde predigen.<br />
Im Sommer 1921 wechselte er in die Gemeinde Kolberg in<br />
Pommern. Als die Familie Mundhenk während des Zweiten Weltkrieges in Köln ihr<br />
Hab und Gutverloren hatte, berief die Göttinger Gemeinde diesen bewährten<br />
Seelsorger erneut. Doch war Hugo Mundhenk in dieser Zeit gesundheitlich sehr<br />
angeschlagen. Nach längerer Erkrankung starb er im Februar 1945 in der<br />
Predigerwohnung der Kapelle.<br />
1921-28: Friedrich Mascher, der im Herbst 1921 als 50jähriger<br />
von Kassel nach <strong>Göttingen</strong> kam, galt als Praktiker. Er verstand<br />
viel von Gartenbau, seine Predigt war stets volkstümlich und<br />
anziehend. In seine Zeit fielen die ersten baulichen<br />
Veränderungen an der Kapelle. Im Januar 1928 übernahm er ein<br />
größeres Arbeitsfeld in Dresden.<br />
1928-35: Johannes Schoof kam direkt nach dem Studium<br />
am baptistischen Predigerseminar in Hamburg im Alter von<br />
26 <strong>Jahre</strong>n nach <strong>Göttingen</strong>. Als Berufsanfänger hatte er den<br />
Wunsch, durch fleißige Schriftstudien geistig<br />
weiterzukommen. Nicht zuletzt wegen seines Alters hatte er<br />
guten Zugang zur Jugend, so daß er einen Kreis von<br />
bald 50 Jugendlichen um sich scharte. In seiner Dienstzeit<br />
erwarb die Gemeinde das Grundstück auf dem Lohberg, das
den Namen "Naundorfhöhe" erhielt. Wie berichtet, mußte die Gemeinde das<br />
Gelände 1935 wieder zurückgeben, weil dort Kasernen gebaut wurden. Von dem<br />
Erlös tilgte die Gemeinde die Restschulden aus dem Kapellenbau. Johannes<br />
Schoof tauschte im März 1935 seinen Arbeitsplatz mit Reinhard Steenblock in<br />
Schneidemühl.<br />
1935-43: Reinhard Steenblock war vom Typ her ganz<br />
anders. Er war bereits 57 <strong>Jahre</strong> alt, als er nach <strong>Göttingen</strong><br />
kam, seine Predigt wird als erbaulich geschildert. Er legte<br />
Vers für Vers eines Bibeltextes aus. Mit großem Einsatz<br />
machte er viele Hausbesuche, ging einzelnen Gemeindemitgliedern<br />
nach, wenn sie nicht mehr regelmäßig am<br />
Gemeindeleben teilnahmen. Im Zweiten Weltkrieg ab 1939<br />
schrieb er seine Predigten vollständig auf und schickte sie<br />
den im Krieg befindlichen Brüdern nach. 1942 mußte der<br />
Bund der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n seinen Namen ändern und<br />
sich mit anderen Freikirchen zusammenschließen. Seitdem<br />
nennt sich die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> auch in <strong>Göttingen</strong> offiziell<br />
"Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde". Reinhard Steenblock kehrte 1943 nach<br />
Schneidemühl zurück.<br />
1945-49: Philip Scherer kam gegen Kriegsende. Die<br />
Gemeinde wuchs durch den Zuzug von Flüchtlingen<br />
sprunghaft. Es entstanden neun Predigtplätze, da die<br />
Mitglieder in 37 Ortschaften in der Umgebung <strong>Göttingen</strong>s<br />
wohnten. Regelmäßige Wortverkündigung organisierte die<br />
Gemeinde in Friedland, Grone, Weende, Lödingsen,<br />
Erbsen, Barterode, Wibbeke, Barlissen, Landolfshausen<br />
und nicht zuletzt in Duderstadt. Der Zustrom war gerade in<br />
dieser Zeit motivierend. So marschierte Pastor Scherer mit<br />
der missionsfreudigen Jugendgruppe regelmäßig bei jedem<br />
Wetter "zum Missionsdienst", wie er es selbst nannte. Nach<br />
dem ideologischen Zusammenbruch hatte die Gemeinde<br />
etwas zu sagen, man hörte auf die christliche Botschaft. Allerdings wurde eine<br />
personelle Verstärkung immer dringender. So stellte man im<br />
April 1946 erstmals eine Gemeindeschwester ein. Im Juni<br />
1949 übernahm Philip Scherer einen Missionsauftrag in<br />
Brasilien: Er arbeitete dort in einer deutschen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />
1948-50: Helmut Pohl studierte an der Universität <strong>Göttingen</strong><br />
Evangelische Theologie. Die Gemeinde berief ihn<br />
halbamtlich (Halbtagsstelle) zum Geistlichen. Seine Aufgaben<br />
erstreckten sich auf den Stationsdienst, den Gemeindeunterricht<br />
und die Jugendarbeit.<br />
1949-53: Werner Klein wurde 1947 aus der Gefangenschaft entlassen und kam<br />
nach Friedland. Dort engagierte er sich sogleich in der Arbeit der Bruderhilfe und<br />
bekam so den Kontakt zur Göttinger Gemeinde. Diese stellte den 42jährigen 1949<br />
fest ein, als die Studentenspeisungen ausliefen. Er hatte die Aufgabe, die sich
inzwischen verdoppelte Gemeinde wieder in ruhiges<br />
Fahrwasser zu bringen. Gleich zu Beginn seines Dienstes<br />
veranstaltete man die erste Zeltmission am Geismar Tor mit<br />
einem Zelt, in dem 1 000 Menschen Platz hatten. Außerdem<br />
baute er die Studentenarbeit auf und unterstützte ähnliche<br />
Bestrebungen im gesamten Bundesgebiet. Wesentlichen<br />
Anteil hatte er auch am Aufbau der Gemeinde in<br />
Duderstadt, wohin viele <strong>Baptisten</strong> als Flüchtlinge gekommen<br />
waren. 1953 wechselte Werner Klein nach Bonn. Nach<br />
seinem Weggang blieb die Gemeinde vorübergehend ohne<br />
Pastor.<br />
1954-60: Herbert Gudjons kam im Januar 1954 als 45jähriger, ein Mann, der vom<br />
Typ her immer nach vorne preschte, das Christsein überaus konsequent verstand,<br />
und für den die Wahrheit unteilbar war. Gleich in seinem<br />
ersten Dienstjahr veranstaltete die Gemeinde eine Evangelisation,<br />
nach der sich 40 Menschen taufen ließen. Gemeindeseminare<br />
an Wochenenden mit 40 bis 60 Teilnehmern,<br />
eine Jugendgruppe von 40-50 Mitgliedern, eine überaus aktive<br />
Sonntagsschule: das waren die herausragenden Schwerpunkte.<br />
Außerdem machte sich Herbert Gudjons überaus stark<br />
dafür, daß die Gemeinde (ab 1958) in der Außenmission tätig<br />
wurde. Er prägte den Ausdruck "gemeindeeigene Missionarin".<br />
In seine Zeit fällt auch der Konflikt mit der Gemeinde in<br />
Duderstadt.<br />
1961-67: Arnim Riemenschneider (geboren 1926) nahm die Idee der Seminare<br />
auf. Sein Schwerpunkt war nicht die Mission, sondern die Lehre, die Fortbildung der<br />
Gemeindemitglieder. Die Frage nach der gesellschaftlichen<br />
Verantwortung beschäftigte ihn – wie die jungen Christen<br />
überhaupt – in einer Dringlichkeit, wie sie bisher nicht<br />
analysiert worden war. Die Studentenspeisung hatte man als<br />
Aufgabe übernommen, weil sie gerade "vor der Tür" lag. Nun<br />
ging es aber um die grundsätzliche Besinnung auf die<br />
zukünftigen Aufgaben der Gemeinde. Der Arbeitskreis für<br />
Kinder- und Jugendarbeit gründete sich als Verein, der zwei<br />
Kindergärten baute. In dieser Zeit wurden auch die Ideen für<br />
den Bau eines Studentenwohnheims "geboren". Im Frühjahr<br />
1967 ging Arnim Riemenschneider als Dozent an die<br />
Bibelschule Wiedenest.<br />
1967-73: Harald Fischer kam im November 1967 als 35jähriger<br />
und baute auf dieser Linie die Gemeindearbeit weiter aus:<br />
Seminare, Fortbildung, Nachdenken über die Zukunft der<br />
<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n. Mit den Studentenunruhen kamen neue<br />
Fragen von außen in die Gemeinde herein, die den gesamten<br />
deutschen Baptismus vor eine Zerreißprobe stellten. Eigentlich<br />
war dazu Harald Fischer von seiner Art her der Vermittler<br />
zwischen traditioneller Gemeinde und radikal alles in Frage<br />
stellenden Studenten, die Antworten suchten, nach speziell
christlichen in dieser Umbruchsituation. Leider war der Geistliche in dieser Zeit mit<br />
persönlichen und familiären Fragen befangen. Er bereitete sich an der Universität<br />
auf den beruflichen Wechsel in den Schuldienst vor, den er 1973 auch vollzog.<br />
1974-82: Hans-Hermann Firus, der singende Pastor,<br />
war der Seelsorger der Gemeinde. Er war 35 <strong>Jahre</strong> alt.<br />
Die in vielen Meinungen zersplitterte Gemeinde<br />
versuchte er wieder emotional zusammenzuführen. Er<br />
verstand die christliche Botschaft von der persönlichen<br />
Betroffenheit her. Im Gottesdienst sang er regelmäßig<br />
mit der Gemeinde Kanons. Sein Ansatz war in vielen<br />
Punkten vom therapeutischen Denken durchzogen. So<br />
war er experimentierfreudig, entwickelte beispielsweise<br />
die Idee der Schülerbibelkreise. Statt des Gemeindeunterrichts,<br />
dem Konfirmandenunterricht vergleichbar,<br />
sah er die Schüler als Gruppe, deren Mitglieder Beziehungen<br />
zueinander aufbauen. In diesem Umfeld lehrte<br />
er die Grundbegriffe des christlichen Glaubens. Das Modell setzte darauf, daß die<br />
Schüler anschließend zusammenbleiben und eine Jugendgruppe der Gemeinde<br />
bilden. In die Zeit von Hans-Hermann Firus fielen die zahlreichen Überlegungen um<br />
den Umbau oder Neubau eines Gemeindezentrums bis hin zur Grundsteinlegung.<br />
Von <strong>Göttingen</strong> wechselte er nach Tübingen.<br />
1983-92: Hermann Woock kam von Berlin. Er war<br />
damals 54 <strong>Jahre</strong> alt, und <strong>Göttingen</strong> sollte seine letzte<br />
Gemeinde vor der Pensionierung sein. Die Einweihung<br />
des Gemeindezentrums stand am Anfang seines Dienstes<br />
in <strong>Göttingen</strong>. Das öffentliche Interesse an diesem Neubau<br />
griff er bewußt auf, um es für die Öffentlichkeitsarbeit<br />
allgemein zu nutzen. Doch sein eigentlicher Schwerpunkt<br />
war die Seniorenarbeit. Hier setzte er entscheidende<br />
Schwerpunkte: Senioren sind keine alten Menschen, die<br />
betreut werden müssen, sondern solche, die ihren dritten<br />
Lebensabschnitt selbst aktiv gestalten wollen und sollen.<br />
Seniorenfreizeiten, Vorträge für Senioren, Seniorengymnastik:<br />
das waren nur Stichworte seiner Themen. Das Ehepaar Woock zog im<br />
Frühjahr 1992 nach Bad Oeynhausen in ein Seniorenzentrum.<br />
1990-1994: Ralf Ossa kam als 27jähriger wieder direkt<br />
vom Theologischen Seminar nach <strong>Göttingen</strong>. Vorher<br />
hatte er in Tübingen studiert. Sein Schwerpunkt sollte<br />
die Jugend- und Studentenarbeit sein - eine nicht ganz<br />
einfache Aufgabe, da die Fluktuation bei den Studenten<br />
sehr ausgeprägt ist, er es also mit immer wechselnden<br />
Teilnehmern zu tun hatte, auch bei den Mitarbeitern.<br />
Regen Kontakt hielt die Studentengruppe mit anderen<br />
Studentengruppen wie beispielsweise der Studentenmission<br />
Deutschlands (SMD) in <strong>Göttingen</strong>. Zu seinen<br />
weiteren Aufgaben gehörte der Gemeindeunterricht. Im<br />
Juni 1994 verließ Ralf Ossa <strong>Göttingen</strong> und wurde Gemeindepastor in München.
Seit 1992: André Heinze (geboren 1961) ist wieder, wie<br />
schon Helmut Pohl in den 40er <strong>Jahre</strong>n, 'Teilzeitpastor", der<br />
an der Universität an seiner Dissertation arbeitet. Sein<br />
örtlicher Schwerpunkt liegt in Bovenden, wo er für die<br />
Bibelstunde und die Kontaktpflege der Gemeindemitglieder<br />
zuständig ist. Einmal pro Monat veranstaltet er in seiner<br />
Wohnung "offene Nachmittage", die der Begegnung dienen.<br />
Theologisch ist die Lehre, praktisch umgesetzt in<br />
Seminarreihen, die Form, in der die Gaben dieses Pastors<br />
besonders deutlich werden.<br />
Seit 1993: Siegfried Wagner kam als 52jähriger<br />
von der Bildungsstätte "Kirchröder Turm" in<br />
Hannover nach <strong>Göttingen</strong>. Statt einen<br />
Bildungsbetrieb zu verwalten, wollte er doch<br />
wieder in die Gemeindearbeit. Denn Seelsorge ist<br />
seine Stärke. Deshalb nutzte er bisher die<br />
Freiräume, die entstanden, weil er sich mit zwei<br />
Kollegen die Predigtdienste teilen konnte, um<br />
Hausbesuche zu machen. In dem bisherigen<br />
"Dreiergespann" hat er die Rolle des ruhenden<br />
Pols, der besonders für den nötigen Tiefgang in<br />
der Verkündigung und Gemeindeorganisation<br />
sorgt.<br />
Welche Herausforderungen stellt die Zukunft?<br />
Zur Situation der Gemeinde <strong>Göttingen</strong> schreibt Harald Fischer 1969 am Schluß der<br />
Festschrift zum 75jährigen Gemeindejubiläum: "Alles ist in ständiger innerer und<br />
äußerer Bewegung. Wir möchten gerne Gemeinde sein, die ihren Lebenssinn nach<br />
besten Wissen und Können durch die Kraft des Heiligen Geistes erfüllt."<br />
In den vergangenen 25 <strong>Jahre</strong>n haben sich gravierende Veränderungen in fast allen<br />
Lebensbereichen ergeben, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind.<br />
"... die Menschen sind heute nicht in erster Linie - obwohl auch das - Sucher nach<br />
der Wahrheit, sondern Sucher nach Geborgenheit, nach Lebensmöglichkeiten,<br />
nach Mitteln gegen die Ängste der Zeit und der eigenen Biographie. Die Menschen<br />
sind vielmehr Heimgesuchte als Sucher. Wenn es nach Gemeinsamkeiten zu<br />
forschen gilt, dann wird man eher fündig in der gemeinsamen Heimsuchung durch<br />
Ängste des Lebens und der Welt, als in der gemeinsamen Suche nach Wahrheit<br />
oder nach Gott." (H. Hemminger, Rundbrief Offensiver junger Christen 6/93)<br />
Die so entstehenden Lebensgefühle beschriebt D. Schröder in der Süddeutschen<br />
Zeitung vom 26.2.1994: "Je verdrossener die Deutschen sich fühlen, desto mehr<br />
verlangen sie nach Orientierung, nach Führung, nach Moral. Pragmatismus ist out,<br />
Visionen sind in."
Wie notwendig Visionen sind, wird zum Beispiel deutlich angesichts der Suche<br />
nach verantwortbaren Partnerschaftsstrukturen, im Umgang mit dem ungeborenen<br />
Leben, bei der Begleitung altgewordener Menschen. Angesichts der angedeuteten<br />
Situationen stellt sich uns als Gemeinde <strong>Göttingen</strong> die Frage, womit und wie wir<br />
diesen Lebens-Herausforderungen begegnen wollen. Der Zuspruch des<br />
Evangeliums ermutigt uns, den Weg des Glaubens und des Vertrauens auch<br />
weiterhin zu wagen, Verantwortung in unserer Welt zu übernehmen und uns nicht in<br />
ein Abseits zurückzuziehen.<br />
In einer Zeit, in der Menschen drohen beziehungsunfähig zu werden, kommt dem<br />
Angebot der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus eine besondere Bedeutung<br />
zu. Gottes-Beziehung in der Gestalt von Glaube und Vertrauen umfaßt alle anderen<br />
Beziehungen und ist ihr tragender Grund. Wird die Gottesbeziehung heil, schließen<br />
sich auch die sozialen Wunden unseres Miteinanders.<br />
Gott liegt an der Beziehung zu uns Menschen. Darum lädt er ein: "Kommt her zu<br />
mir ..."<br />
Aus diesem Grund sendet er seine Gemeinde: "Geht zu den Menschen ..." Auf<br />
diesem Weg verheißt er uns seine Gegenwart: "Ich bin bei euch jeden Tag...<br />
Vermitteln läßt sich solche Hoffnung weniger durch Erkennen, vielmehr durch<br />
Erfahrung: Erfahrung mit Gott - und das heißt mit dem auferstandenen Christus. In<br />
ihm tritt Gott uns als Schöpfer und Partner gegenüber, er tritt als Tröster und Retter<br />
an unsere Seite. Aus diesem zentralen christlichen Erleben wird Heilendes und<br />
Helfendes wirksam werden im Umgang mit mir selbst, mit den mir nahestehenden<br />
Menschen, in den alltäglichen Begegnungen. So wird christliche Hoffnung im Alltag<br />
lebendig.<br />
Indem wir uns dazu ermutigen lassen, leben wir Nachfolge Jesu Christi. "Du, Herr,<br />
heißt uns hoffen und gelassen vorwärts schaun. Allen steht die Zukunft offen, die<br />
sich dir anvertraun."<br />
André Heinze<br />
Winfried Salewski<br />
Siegfried Wagner
Gemeindegruppen heute<br />
Baby- und Kleinkinderdienst<br />
Mütter-Kind-Kreis<br />
Sonntagsschule<br />
Kinderdienst während des Gottesdienstes<br />
Jungschar Bürgerstraße<br />
Jungschar Geismar<br />
Jugendgruppe<br />
Studentenkreis<br />
Seniorenkreis<br />
Frauendienst<br />
Gemeindechor<br />
Jugendchor<br />
Bläserkreis<br />
Internationale Kreise<br />
Hauskreise<br />
Sportgruppen