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100 Jahre Baptistengemeinde Göttingen - Baptisten Göttingen

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Festschrift<br />

<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong><br />

<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>


Freitag, 16. September 1994<br />

20.00 Uhr<br />

Samstag, 17. September 1994<br />

11.00 Uhr<br />

Festveranstaltungen<br />

Orgelkonzert mit Werken von Sweelinck,<br />

Buxtehude, Bach und Bartock.<br />

Es spielt Kirchenmusikdirektor<br />

Armin Schoof, Lübeck,<br />

an der fertiggestellten Janke-Orgel<br />

Empfang mit geladenen Gästen<br />

15.30 Uhr Bunter Gemeindenachmittag mit einer<br />

Rückschau<br />

auf <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> Gemeindegeschichte<br />

Sonntag, 18. September 1994<br />

10.00 Uhr<br />

Montag, 19. September 1994<br />

20.00 Uhr<br />

Dienstag, 20. September 1994<br />

20.00 Uhr<br />

Festgottesdienst mit<br />

Pastor Eckhard Schaefer, Bad Homburg<br />

Musik, Literatur, Überraschungen<br />

Mitwirkende:<br />

Andreas Malessa, Rundfunkmoderator<br />

Albrecht Gralle, Schriftsteller<br />

Bongo & Co.<br />

u. a.<br />

Vortrag:<br />

Die Geschichte der deutschen <strong>Baptisten</strong><br />

- speziell in Südniedersachsen<br />

Pastor Günter Balders, Hamburg<br />

Alle Veranstaltungen finden im Gemeindezentrum, Bürgerstraße 14, statt.


Jesus spricht: Ich bin der Weg<br />

und die Wahrheit<br />

und das Leben;<br />

niemand kommt zum Vater denn durch mich.<br />

Johannes 14, 6<br />

Den Frieden lasse ich euch,<br />

meinen Frieden gebe ich euch.<br />

Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.<br />

Euer Herz erschrecke sich nicht<br />

und fürchte sich nicht.<br />

Johannes 14, 27


BUND EVANGELISCH-FREIKIRCHLICHER GEMEINDEN<br />

IN DEUTSCHLAND (K.d.ö.R.)<br />

Grußwort zum <strong>100</strong>jährigen Jubiläum der Gemeinde <strong>Göttingen</strong><br />

Die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> feiert die Treue Gottes in ihrer <strong>100</strong>jährigen Geschichte. Das ist ein<br />

willkommener Anlaß, Grüße und Segenswünsche der großen baptistischen<br />

Konfessionsfamilie zu senden; zumal es in vielen Gemeinde unseres Landes Mitglieder gibt,<br />

die während ihrer Studienzeit Geschwisterschaft und Gastfreundschaft in <strong>Göttingen</strong> erlebt<br />

haben.<br />

Mit Worten aus Psalm <strong>100</strong> grüße ich im Auftrag der Bundesleitung und der über 600<br />

Gemeinden aus Ost und West, aus Nord und Süd:<br />

Dienet dem Herrn mit Freuden,<br />

kommt vor sein Angesicht mit Frohlocken,<br />

erkennet, daß der Herr Gott ist.<br />

Er hat uns gemacht und nicht wir selbst ...<br />

Beim Rückblick wird der Dienst vieler Männer und Frauen aus der Gründerzeit und den<br />

nachfolgenden <strong>Jahre</strong>n bis heute vor Augen stehen. Die geschichtlichen Rahmenbedingungen<br />

für den Dienst der Gemeinde Jesu haben sich gewandelt. Es gab Zeiten, in denen das<br />

"Frohlocken" schwer über die Lippen kam, und es gab Zeiten, in denen die Gegenwart<br />

Gottes überschwänglich erfahren wurde. Der Cantus Firmus ist aber immer derselbe<br />

geblieben: Menschen zur Erkenntnis Gottes verhelfen, ihre Geschöpflichkeit und<br />

Abhängigkeit annehmen und das Herrsein Gottes bejahen.<br />

Daß die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> diesem Auftrag mit Freuden treu bleibt, ist mein<br />

Segenswunsch. Die Gemeinde macht Geschichten, Gott macht Geschichte. Deshalb feiert<br />

die Gemeinde die I 00jährige Treue Gottes in ihrer Geschichte.<br />

Mit herzlichen Grüßen<br />

gez. Eckhard Schaefer


Vorwort zum geschichtlichen Rückblick<br />

<strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>: Das ist eine lange Zeit, wenn man die<br />

Spanne eines Menschenlebens sieht. Doch sind es nur etwas mehr als fünf Prozent<br />

der Zeit, in der es die Gemeinde Jesu gibt.<br />

Trotzdem ist der runde Geburtstag ein Anlaß, einmal zurück und dann wieder nach<br />

vorne zu blicken. Wie hat das eigentlich in <strong>Göttingen</strong> mit den <strong>Baptisten</strong><br />

angefangen? Wie entwickelte sich die Gemeinde weiter? Welche Krisen machte sie<br />

durch? Und wie vielfältig waren ihre Aktivitäten?<br />

Obwohl seit 18 <strong>Jahre</strong>n Mitglied der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, habe ich doch<br />

versucht, wie ein Beobachter von außen Material zu sammeln und in kurzen<br />

thematischen Blöcken zusammenzustellen. Auf eine Wertung habe ich ganz<br />

bewußt - von einigen Ausnahmen abgesehen -verzichtet. Ob und wo man das<br />

Wirken Gottes in <strong>Göttingen</strong> in dieser kleinen Gemeindegeschichte erkennen kann,<br />

das mag der Leser selbst entscheiden. Die Führung Gottes erschließt sich dem<br />

Menschen, wie im Leben überhaupt, durch den Glauben.<br />

Das <strong>100</strong>jährige Bestehen der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ist ein Grund zum<br />

Feiern. Manche Entwicklungen grenzen an ein Wunder, für viele Gemeindemitglieder<br />

waren oft plötzliche Wendungen Wunder Gottes. Und doch darf man<br />

nicht vergessen: Die Kirche, auch die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, ist die Gemeinde Gottes<br />

in dieser unvollkommenen Welt. Neben den vielen schönen Dingen, dem Positiven,<br />

dem Lebensglück, das viele Menschen durch die Gemeinde fanden, ist so manches<br />

auch schiefgegangen. So wäre der historische Rückblick schöngefärbt, würde man<br />

nur das Positive darstellen. Also auch von Dingen, die nicht so gut gelaufen sind,<br />

erzählt diese Rückschau.<br />

Andererseits: die Geschichte der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ist so vielschichtig, daß man<br />

selbst bei ausführlicher Darstellung nur einen Teil beschreiben kann. Was dem<br />

einen wichtig erscheint, ist dem anderen eher unwichtig. Einige Ereignisse der<br />

Gemeinde scheinen zu fehlen- Über die Auswahl kann man immer streiten, doch<br />

ich meine, daß ein guter Querschnitt gelungen ist.<br />

Eine gute Grundlage für den Rückblick auf die ersten 75 <strong>Jahre</strong> der Gemeindegeschichte<br />

war die Festschrift zum Jubiläum vor 25 <strong>Jahre</strong>n. Darauf baut diese<br />

Schrift auf. Hinzu kamen weitere Quellen aus dem Gemeindearchiv sowie aus<br />

privaten Sammlungen verschiedener Familien der Gemeinde. Auch in dem Archiv<br />

der Stadt <strong>Göttingen</strong> waren bislang unbekannte Quellen zu finden. Die Fotos<br />

stammen zum größten Teil von Helmut Janke, einige auch von mir. Die Aufnahme<br />

des Titelbildes stammt von Siegfried Wagner. Bei der Sichtung des Materials war<br />

mir Reinhard Caspari eine große Hilfe, aber auch die vielen<br />

Gesprächspartner, allen voran die Mitglieder des Arbeitskreises zur Vorbereitung<br />

des Gemeindejubiläums 1994.<br />

In dieser kleinen Gemeindegeschichte schreibe ich durchgehend von der<br />

"<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>", obwohl sie offiziell seit 1942 "Evangelisch-Freikirchliche


Gemeinde" heißt, nachdem sich die <strong>Baptisten</strong> im Dritten Reich mit anderen kleinen<br />

Freikirchen zusammenschließen mußten. Auch wenn sich nach dem Kriege einige<br />

Freikirchen von dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden wieder trennten,<br />

blieb der offizielle, etwas undeutliche Name doch erhalten. In <strong>Göttingen</strong> kennt man<br />

die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde als <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Deshalb diese<br />

Vereinfachung.<br />

Kleine thematische Abschnitte und eine große Schrift sollen das Lesen erleichtern.<br />

Man muß nicht von vorne nach hinten lesen, man kann auch in der Mitte oder im<br />

hinteren Teil beginnen. Am Ende werden alle Pastoren kurz vorgestellt, die in<br />

dieser Gemeinde gewirkt haben, ebenso die Gemeindeschwestern. Die<br />

Hauptamtlichen haben mehr, als man gemeinhin denkt, in ihrer jeweiligen Zeit das<br />

Leben der Gemeinde geprägt. Manches erschließt sich besser, wenn man sich den<br />

Pastor oder die Pastoren vor Augen führt, die zum entsprechenden Zeitpunkt in<br />

<strong>Göttingen</strong> waren. Jeder Pastorenwechsel war in gewissem Sinne ein Neuanfang,<br />

zumindest der Anlaß für eine Neubesinnung.<br />

Nun wünsche ich allen Lesern viel Freude beim Lesen, dabei ab und zu ein<br />

Schmunzeln oder gar ein befreiendes Lachen. Denn auch das Leben einer<br />

Gemeinde ist nicht todernst. Immer wieder hat die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> das<br />

Handeln Gottes auf unterschiedliche Weise erlebt.<br />

Karl Heinz Bleß


Anfänge der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong><br />

Für den 80jährigen Ernst Zeller war es ein großer Tag, als er im Sommer 1892<br />

Besuch aus Uslar bekam. Der junge Prediger Bernhard Naundorf war nach<br />

<strong>Göttingen</strong> gekommen, um ihn zu besuchen. Der alte<br />

Tischler war zu seinem Sohn nach <strong>Göttingen</strong> gezogen<br />

und entbehrte sehr den Kontakt zu den Glaubensgeschwistern.<br />

Bei einem gemeinsamen Spaziergang der<br />

beiden Männer kam ihnen eine Vision. "Wieso gibt es<br />

in der 25 000 Einwohner zählenden Stadt <strong>Göttingen</strong><br />

keine <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>?" fragten sie sich. In Kassel<br />

und Einbeck gab es schon seit 50 <strong>Jahre</strong>n eine Gemeinde.<br />

Hugo Mundhenk beschrieb den historischen<br />

Spaziergang aus dem <strong>Jahre</strong> 1892 in einem Rückblick<br />

1944 folgendermaßen: "Und wie bewegte es bei<br />

einem Rundgange durch die Stadt beider Herzen, daß<br />

hier noch nichts für den Herrn geschehen war, ja, wie<br />

haben sie in seinem Altenstübchen inbrünstig den<br />

Herrn angerufen, er möge doch auch hier seines<br />

Namens Ruhm groß werden lassen."<br />

Bernhard Naundorf<br />

1894-1907<br />

Schon am 11. September 1892 begannen erweckliche Versammlungen in einem<br />

kleinen Raum im "Römischen Kaiser" in der Groner Straße. Zu Ostern 1893 ließen<br />

sich vier gläubig gewordene Menschen auf das Bekenntnis ihres Glaubens in Uslar<br />

taufen. Und nach einem Jahr gab es in <strong>Göttingen</strong> bereits sieben <strong>Baptisten</strong>.<br />

In der Zwischenzeit hatte man ein anderes Versammlungslokal aufgetan,<br />

denn direkt über der Schankstube ließ sich nur mit Einschränkungen ein<br />

Gottesdienst feiern. Am St. Annengange, etwa dort, wo später das Hauptpostamt<br />

in der Friedrichstraße oberhalb des Wilhelmsplatzes war, fand man<br />

einen freundlicheren und<br />

geräumigeren Versammlungsraum,<br />

der allerdings<br />

etwas versteckt lag. Im<br />

Hause störte sich nach<br />

einiger Zeit eine Bewohnerin<br />

an der kleinen Gläubigenschar,<br />

die sich regelmäßig<br />

zum Singen und Beten traf.<br />

Um dem Streit aus dem<br />

Wege zu gehen, suchten die<br />

Gemeindemitglieder weiter<br />

nach einem geeigneten<br />

Raum für ihre Gemeinschaft.<br />

Das erste Gemeindehaus: Gartenstraße


Die erste Seite des ersten Protokollbuches der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong>


Als Gebetserhörung werteten sie die Möglichkeit, im Sommer 1894 ein Hausgrundstück<br />

in der Gartenstraße 13 erwerben zu können, dicht am Ufer des Leinekanals.<br />

Dort bauten sie einen Saal mit 87 Sitzplätzen, zu dessen Finanzierung der Einbecker<br />

Fabrikant Wilhelm Meyer erheblich beitrug. Am 5. Juli 1894 konnte man das Haus<br />

beziehen. Nun gründeten die inzwischen 17 Gläubigen einen Monat später, am 4.<br />

August 1894, eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Mit dabei waren Vertreter der<br />

<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n Einbeck, Magdeburg und der Muttergemeinde Uslar. Erster<br />

Pastor (oder Prediger, wie man damals sagte) wurde der inzwischen 33jährige<br />

Bernhard Naundorf, der nun auch nach <strong>Göttingen</strong> zog.<br />

Die ersten 17 Mitglieder sind auf der ersten Seite des ersten Protokollbuches der<br />

Gemeinde aufgezählt:<br />

1. Ernst Zeller, Tischler,<br />

2. Martin Pleßmann, Kanzlei-Diätar ( = Aushilfsangestellter in einer Kanzlei),<br />

3. Ludwig Ahlbrecht,<br />

4. Martha Pleßmann, Dienstmädchen,<br />

5. Dorothea Nückel, Dienstmädchen,<br />

6. Wilhelm Jäger, Bibelbote,<br />

7. Wilhelm Kramer, Schriftsetzerlehrling,<br />

8. Wilhelm Kramer, Arbeiter,<br />

9. Wilhelmine Kramer, Ehefrau,<br />

10. Anna Simon, Dienstmädchen,<br />

11. Johanna Reimann, Witwe,<br />

12. Ludwig Naundorf, Gärtner,<br />

13. Bernhard Naundorf, Prediger,<br />

14. Luise Naundorf, Ehefrau,<br />

15. Johanna Ente, Dienstmädchen,<br />

16. Otto Schulze, Geschäftsreisender,<br />

17. Anna Schulze, Ehefrau.<br />

Die erste Gemeindeleitung setzte sich wie folgt zusammen:<br />

Bernhard Naundorf als Prediger und Ältester,<br />

Otto Schulze als Diakon,<br />

Ernst Zeller als Vorstandsmitglied<br />

und Martin Pleßmann als Schriftführer.<br />

"Der Wahrheitszeuge", das damalige Organ der deutschen <strong>Baptisten</strong>, schließt den<br />

Bericht über die Gemeindegründung in <strong>Göttingen</strong>: "Bemerkt sei noch, daß nicht<br />

nur das Gehalt des Predigers der jungen Gemeinde voraussichtlich gesichert<br />

ist, sondern daß auch noch ein wackerer Jüngling als Kolporteur in <strong>Göttingen</strong><br />

und Umgegend mit Treue und Fleiß thätig ist, ja, daß sogar die kleine Schar<br />

ein stattliches Haus mit Garten in günstiger Lage ihr eigenes Heim nennen<br />

darf." Auf der nächsten Bundesversammlung wurden Bedenken laut "gegen die<br />

Bildung so kleiner Gemeindlein".<br />

Einen Monat später zogen zweiweitere Glaubensgeschwister nach <strong>Göttingen</strong>, am<br />

16. Dezember wurden vier Neubekehrte getauft - in Einbeck, weil es in <strong>Göttingen</strong><br />

noch kein Taufbecken (Baptisterium) gab.


Erste Ideen für einen Kapellenbau und dessen Verwirklichung<br />

Eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ohne Taufbecken? Schon damals wird der<br />

jungen Gemeinde dieses Handikap aufgestoßen sein. Aber erst im Mai 1901 kam<br />

die Frage auf, ob man nicht bauen sollte. Zu der Zeit zählte die Gemeinde 70<br />

Mitglieder, für die der Raum in absehbarer Zeit zu klein werden würde. Deshalb<br />

regte Prediger Naundorf in einer Gemeindestunde an, schon im kommenden<br />

Frühjahr zu bauen.<br />

Erste Planungen begannen. Im Juni 1901 sagte die Bundeskassen-Commission ein<br />

Darlehen von 3.000 Mark zu, wenn die Gemeinde zwei Bürgen stellt. Die<br />

Gemeindeversammlung beschloß, die Brüder Drews und Otto Schulze jun. als<br />

Bürgen zu benennen, nachdem diese sich dafür zur Verfügung gestellt hatten. Im<br />

November lag ein Kostenvoranschlag mit Finanzplan vor. Da die Gemeinde<br />

voraussichtlich 8.000 bis 10.000 Mark an Eigenkapital haben würde, nicht zuletzt<br />

durch eine überregionale Kollekte, würde sie jährlich 300 Mark an Zinsen zu tragen<br />

haben, rechnete man. Angesichts dieser Zahlen beschloß die Gemeinde zu bauen.<br />

Es kam dann doch anders. Im Juni 1902 teilte der Vorstand der Gemeinde mit, daß<br />

"der Bau einer Kapelle in der Gartenstraße nur unter großen Schwierigkeiten<br />

genehmigt" würde. Allerdings habe die Stadtverwaltung der Gemeinde ein<br />

Grundstück in der Bürgerstraße neben der Mittelschule zum Tausch angeboten.<br />

Nach einigen Verhandlungen stellte die Stadt das 700 Quadratmeter große<br />

Grundstück gegen das in der Gartenstraße (einschließlich Schulden) zur<br />

Verfügung.<br />

Im August 1902 lagen der Gemeinde schon die neuen Pläne vor. An das<br />

Gotteshaus (Kapelle) sollte nun ein Wohnhaus angebaut werden. Geschätzte<br />

Gesamtkosten: 42.455 Mark. Ein Gemeindemitglied stellte fest, daß das<br />

"eine schwere Aufgabe für uns sei, aber im Aufblick zum Herrn sollten wir<br />

versuchen, es durchzuführen". Die Zinsbelastung wurde damals auf 900 Mark pro<br />

Jahr geschätzt, wovon man 700 Mark durch Mieteinnahmen decken wollte. In 18<br />

<strong>Jahre</strong>n wollte die Gemeinde dann schuldenfrei sein. Nach weiteren Planungen legte<br />

die Gemeinde am 5. September den Grundstein. Im August des folgenden <strong>Jahre</strong>s<br />

sollte das Einweihungsfest sein, das am 23. August auch termingerecht gefeiert<br />

werden konnte. Bis heute steht das Gebäude in der Bürgerstraße 13 gegenüber<br />

dem jetzigen Gemeindezentrum.<br />

70 Mitglieder zählte die Gemeinde 1903. Die Kapelle verfügte über 425 Sitzplätze.<br />

Die Gemeinde sah diesen Neubau als Glaubenswagnis an. Sicher dachte man<br />

daran, daß die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> weiter so wachsen würde wie in den <strong>Jahre</strong>n<br />

zuvor.


Eine Second-hand-Orgel<br />

Schon wenige <strong>Jahre</strong> nach dem Bau der Kapelle in der Bürgerstraße 13 kam der<br />

Gedanke auf, eine Orgel für das Gotteshaus anzuschaffen. Der Gemeindegesang<br />

wurde bis dahin von einem Harmonium begleitet. Doch woher sollte das Geld<br />

kommen in einer Zeit, in der man mit dem Abtragen der Schulden für den Neubau<br />

schon genug an finanziellen Belastungen zu tragen hatte?<br />

Der Gemeindechor gab einen Gesangsnachmittag, zu dem man vermutlich Eintritt<br />

nahm oder, was wahrscheinlicher ist, eine Kollekte hielt, die das Startkapital für die<br />

neue Orgel bilden sollte. Auch in den folgenden <strong>Jahre</strong>n gab es solche<br />

Veranstaltungen. Doch die Inflation 1923 bedeutete einen herben Rückschlag:<br />

Mehr als 1.000 Mark verschlang die Geldentwertung, der Rest ging bei der<br />

Umstellung auf die Rentenmark verloren.<br />

Die Gemeinde ließ sich nicht entmutigen. Aber 1948 mußte sie die gleiche<br />

Erfahrung mit dem Ersparten machen. Einen größeren Geldbetrag hatte man 1946<br />

für die zu liefernde Orgel bei der Firma Paul Ott angezahlt. Als im Juni 1948 die<br />

Währung von der Reichs- auf die Deutsche Mark umgestellt wurde, blieben nur<br />

noch 300 Mark übrig. Damit schien sich endgültig der Gedanke an eine eigene<br />

Orgel zerschlagen zu haben. Denn schon damals rechnete man mit einem Preis<br />

von 10.000 Mark für eine Orgel.<br />

In dem Willen, das Projekt nicht ganz fallen zu lassen, setzte der Finanzaus-schuß<br />

der Gemeinde 1950 erneut 1.000 Mark in den Gemeindehaushalt ein. Doch damals<br />

träumte wohl noch niemand davon, daß sich schon bald eine ganz andere Lösung<br />

zeigen würde.<br />

Wenige Tage vor Pfingsten 1950 kam Alfred Schmidt, der Mitglied der Gemeinde<br />

<strong>Göttingen</strong> war, von einer Reise aus Ostfriesland zurück. Er brachte Unterlagen von<br />

einer Orgel im Gymnasium in Leer mit, die verkauft werden sollte. Das Instrument<br />

war 1908 von der hannoverschen Orgelbauwerkstatt Furtwänger & Hammer<br />

errichtet worden und sollte durch eine neue ersetzt werden. Der für Orgelfragen bei<br />

den <strong>Baptisten</strong> zuständige Enno Popkes aus Ihrhove (heute Westoverledingen)<br />

hatte Schmidt die Unterlagen für Karl Caspari mitgegeben, der prüfen sollte, ob<br />

diese Orgel etwas für <strong>Göttingen</strong> sei. In <strong>Göttingen</strong> blieben die Unterlagen erst einmal<br />

liegen.<br />

Vier Wochen später nahm der Sohn Karl Casparis, Herbert, die Orgel in Leer in<br />

Augenschein. Er war zu der Zeit in Weener, der Nachbarstadt Leers, tätig. Das<br />

telegrafisch mitgeteilte Urteil war positiv: "Orgel gut - für <strong>Göttingen</strong> durchaus<br />

möglich - Kaufpreis 2.000 Mark".<br />

Wenige Tage später fuhren Pastor Werner Klein, Alfred Schmidt senior und junior<br />

sowie Karl Caspari nach Leer, um sich die Gebraucht-Orgel anzusehen. Nach<br />

einstündiger Prüfung zusammen mit Enno Popkes und Orgelbaumeister Führer aus<br />

Wilhelmshaven waren die Verhandlungen abgeschlossen und der Kaufpreis<br />

bezahlt. Nun war nur noch die formale Zustimmung des niedersächsischen


Kultusministers für den Verkauf der Schulorgel nötig, die nach einigen Wochen<br />

auch kam.<br />

Nach dem Willen der Gemeindeleitung sollte die Orgel umgebaut werden, wie es<br />

der Sachverständige vorgeschlagen hatte. Äußerlich wurde sie dem Gebäude<br />

angepaßt, technisch in der Orgelbauwerkstatt Führer in Wilhelmshaven überholt. In<br />

<strong>Göttingen</strong> baute sie Tischlermeister Wilhelm Körber, der hier Gemeindemitglied<br />

war, mit seinen Gesellen auf. Bereits am 3. September 1950 konnte die Secondhand-Orgel<br />

ihrer neuen Bestimmung übergeben werden. Zuvor war mit hohem<br />

Aufwand die Statik der Empore den neuen Erfordernissen angepaßt worden, damit<br />

sie das Gewicht der pneumatischen Orgel, die technisch bedingt viele Bleileitungen<br />

hatte, auf Dauer tragen konnte.<br />

Mehr als 30 <strong>Jahre</strong> tat diese Orgel<br />

ihren Dienst bei der musikalischen<br />

Begleitung des Gemeindegesangs<br />

und bei Konzerten. Doch im Laufe der<br />

<strong>Jahre</strong> wurde das Instrument immer<br />

reparaturanfälliger, so daß die<br />

Gemeinde hoffte, daß die Orgel bis<br />

zum Umzug in das neue<br />

Gemeindezentrum auf der<br />

gegenüberliegenden Straßenseite<br />

noch funktionstüchtig bleiben würde.<br />

So war es auch, denn nur an ganz<br />

wenigen Sonntagen mußte die<br />

Gemeinde ohne Orgel auskommen.<br />

Bei der Einweihung des<br />

Gemeindezentrums 1984 versteigerte<br />

die Gemeinde im Rahmen eines<br />

Festes die Orgelpfeifen. Der Erlös<br />

war für die neue Janke-Orgel<br />

gedacht. Zwei Register blieben<br />

jedoch erhalten und wurden in die<br />

neue Orgel eingebaut, nachdem die<br />

Pfeifen handwerklich überholt worden<br />

waren: die 8-Fuß-Flöte im Hauptwerk<br />

und das Octave-4-Fuß-Pedalregister.<br />

Anfänge in Nordhausen<br />

Die Orgel gleich nach dem Einbau<br />

1897, drei <strong>Jahre</strong> nach ihrer Gründung, hatte die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> mit einer<br />

"Station" (Außenstelle) in Nordhausen angefangen. Bernhard Naundorf war<br />

regelmäßig einmal im Monat in dem etwa 80 Kilometer entfernten thüringischen<br />

Nordhausen. Die sonntägliche Wortverkündigung teilte er sich mit Predigthelfern<br />

seiner Gemeinde. Am 5. Dezember 1909 gründete sich als Ergebnis dieser Arbeit<br />

in Nordhausen eine selbständige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mit 53 Mitgliedern.


Wie war man ausgerechnet nach Nordhausen gekommen? Wieder war es der<br />

Einbecker Fettwaren-Fabrikant Wilhelm Meyer, der einmal gesagt haben soll: "In<br />

jener Gegend habe ich Geschäfte gemacht; nun möchte ich gern, daß dort auch<br />

Gottes Reich gebaut würde." Und so sandte er zunächst 1897 seinen<br />

Geschäftsreisenden Friedrich Schulz nach Nordhausen, "um den dortigen Kreis<br />

geschäftlich besser bearbeiten zu können, und gleichzeitig den Grundstein zu legen<br />

für die dort zu gründende Missionsarbeit". Mit seiner Frau Marie zog Schulz in die<br />

etwa 33 000 Einwohner zählende Branntweinstadt. Wilhelm Meyer muß mit seinen<br />

Schmierstoffen, die praktisch auf jedem Bauernhof gebraucht wurden, genug Geld<br />

verdient haben. Er finanzierte seine geschäftlichen Expansionen wie die<br />

Gemeindearbeit in Nordhausen.<br />

In der Lindenstraße 12 in Nordhausen entstand im Hinterhaus ein Versammlungsraum<br />

mit 60 Sitzplätzen. Einer der Schwerpunkte der Gemeindearbeit war die<br />

"Sonntagsschule", mit der man im Februar 1898 begann. Um hier die Arbeit auf<br />

mehrere Schultern zu verteilen, zog Wilhelm Körber aus <strong>Göttingen</strong> nach<br />

Nordhausen.<br />

Im Oktober 1901 kam eine weitere personelle Unterstützung aus <strong>Göttingen</strong>: der<br />

23jährige Wilhelm Wiswedel, der als Kolporteur angestellt war. Er verkaufte Bibeln<br />

und christliche Schriften. In dieser Zeit gehörten 20 Menschen zur Station<br />

Nordhausen der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Getauft wurden die neuen<br />

Gemeindemitglieder bis 1903 jeweils in Einbeck, anschließend in der neuen Kapelle<br />

in <strong>Göttingen</strong>.<br />

Nachdem der Grundstein für eine selbständige Gemeinde in Nordhausen gelegt<br />

war, bemühte sich Wilhelm Meyer in Einbeck um einen eigenen Pastor für die<br />

Nordhäuser Station. Er fand in Chemnitz den wegen seiner Unerschrokkenheit und<br />

seines missionarischen Eifers bekannten Heinrich Braun. Der zog im Herbst 1906<br />

mit seiner Frau Martha und seinen acht Kindern nach Nordhausen. Zu der Zeit<br />

fanden die Versammlungen immer noch im Hinterhaus in der Lindenstraße statt.<br />

Schon bald wurde es hier aber zu eng, so daß man über einen Kapellenbau<br />

nachdachte. Wieder war es Wilhelm Meyer in Einbeck, der in der Grimmelallee 51<br />

ein verlottertes Grundstück erwarb. Dort stand "ein verkommenes und zerfallenes<br />

Anwesen, ein Haus, das von Grund auf renoviert werden mußte". Dort, wo Pferde-<br />

und Schweinestall gewesen waren und die Decke durchgebrochen war, sollte der<br />

Gottesdienstraum entstehen. Und schon bald packten alle Gemeindemitglieder an.<br />

Aus <strong>Göttingen</strong> kam der Zimmermeister Hoffmeister, der dort zur <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />

gehörte, und stabilisierte mit seinen Handwerkern das Gebäude, zog neue Decken<br />

und Balken ein und fing das Dach ab. Es war derselbe Zimmermeister, der in<br />

<strong>Göttingen</strong> auch zum Beispiel die Holzbänke für die Kapelle gebaut hatte.<br />

Am 6. Oktober 1907 weihte die Gemeinde den neuen Saal ein, der 160 bis 170<br />

Personen Platz bot. Nun dauerte es nur noch zwei <strong>Jahre</strong> (Dezember 1909), bis<br />

<strong>Göttingen</strong> die Station Nordhausen in die Selbständigkeit entlassen konnte. Von da<br />

an wurden alle Entscheidungen für Nordhausen von den Gemeindemitgliedern in<br />

Nordhausen gefällt. Bereits im Frühjahr hatte die Gemeinde Nordhausen in der 23<br />

Kilometer weiter südlich gelegenen Stadt Sondershausen eine Station gegründet.


Kontakte zwischen den Gemeinden <strong>Göttingen</strong> und Nordhauen bestehen bis heute;<br />

nach der Wende 1989 wurden sie wieder intensiviert.<br />

Die Kapelle mit Wohnhaus in der Grimmelallee 51 in Nordhausen (1990)<br />

Eine Gemeinde mit Tennisplatz?<br />

Kreativität und Perspektiven muß man der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> beim Blick<br />

in die Geschichte immer wieder bescheinigen. So gab es vor 60 <strong>Jahre</strong>n<br />

nachweislich Pläne, einen Tennisplatz zu bauen. Und das kam so:<br />

Um 1930 erwarb die Gemeinde ein etwa 10.000 Quadratmeter großes Gelände vor<br />

den Toren <strong>Göttingen</strong>s auf dem Lohberg, von wo man einen sehr schönen Ausblick<br />

in das Leinetal hatte. (Man war wohl auf das Grundstück gekommen, weil gleich<br />

nebenan Wilhelm Kramer, einer der Gründungsmitglieder, ein Wochenendhaus<br />

stehen hatte.) Hier sollte nun eine "Freizeitanlage" entstehen. Direkt am Wald und<br />

an einem Wanderweg gelegen, richteten die Gemeindemitglieder zunächst einen<br />

Gottesdienstplatz mit rund hundert Sitzplätzen ein. Da es in der 30er <strong>Jahre</strong>n noch<br />

üblich war, am Sonntag vormittags und nachmittags einen Gottesdienst zu feiern,<br />

hatten die Göttinger die Idee, sich im Sommer bei schönem Wetter unter freiem<br />

Himmel zum gemeinsamen Gesang und zum Hören auf das Wort Gottes zu treffen.<br />

Damit wollte man auch heraus aus dem geschlossenen Kirchengebäude,<br />

Öffentlichkeitsarbeit verwirklichen, fremden Menschen auch hier die<br />

Schwellenangst nehmen. Wer wollte, konnte sich einfach als "Zaungast" alles


ansehen oder aber sich dazusetzen. Außer am Sonntagnachmittag war der Platz im<br />

Sommer dienstags geöffnet.<br />

Das Leben der Christen besteht aus weit mehr als den Feiern von Gottesdiensten<br />

und dem diakonischen Dienst. In der Überzeugung, daß auch das gemeinsame<br />

Spielen zum lebendigen Christsein gehört oder gehören kann, stellte man<br />

Spielgeräte (Reck, Schaukel und Rundlauf) für die Jugend und einen Sandkasten<br />

für die Kinder auf. Und für das kommende Jahr (1933) plante man, einen<br />

Tennisplatz zu bauen. Für die weitere Zukunft gab es Überlegungen, hier ein<br />

Altersheim, ein Erholungsheim oder ähnliches zu errichten. Konkrete Pläne dafür<br />

gab es aber noch nicht.<br />

Den Platz auf dem Lohberg weihte die Gemeinde am Montag, dem 8. August 1932,<br />

offiziell ein. Es war gleichzeitig die Feier zur Erinnerung daran, daß 40 <strong>Jahre</strong> zuvor<br />

Bernhard Naundorf nach <strong>Göttingen</strong> gekommen und Ernst Zeller besucht hatte, also<br />

an die "Geburtsstunde" der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Der Platz erhielt den<br />

Namen "Naundorfhöhe".<br />

Prediger Johannes Schoof machte in einem Vortrag klar, daß man "mit der<br />

Namensgebung des Grundstücks allein den Herrn, der seine Erlösten zu so<br />

reichem Segen setzen kann, verherrlichen", gleichzeitig aber den Wunsch zum<br />

Ausdruck bringen wolle, "die uns verliehenen Gaben ebenso entschieden wie Br.<br />

Naundorf in Gottes Dienst stellen zu können".<br />

Lange hatte die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> allerdings keine Freude an der "Naundorfhöhe",<br />

auch wurde der Tennisplatz nicht gebaut und noch weniger ein Alten-<br />

oder Erholungsheim. Das Naziregime beanspruchte 1936 das Grundstück, weil hier<br />

eine Kaserne entstehen sollte (Zietenkaserne). Mit dem Erlös aus dem Verkauf des<br />

Geländes trug die Gemeinde ihre letzten Schulden aus dem Kapellenbau ab.<br />

Rückzug während der 30er <strong>Jahre</strong><br />

Wie verhielten sich die Gemeindemitglieder in der Zeit des Nationalsozialismus und<br />

des Zweiten Weltkrieges? Diese Frage ist nur schwer zu beantworten, denn in den<br />

Archiven ist kaum etwas zu finden. Es scheint, als habe sich die Gemeinde auf sich<br />

selbst zurückgezogen, sich auf interne Probleme konzentriert. Nur einige wenige<br />

Gemeindemitglieder, so stellt es sich heute dar, waren von der "neuen Zeit"<br />

begeistert, die meisten waren wohlverunsichert. Denn unübersehbar waren die<br />

Einschränkungen, die der Staat der Freikirche auferlegte. So mußten sich zum<br />

Beispiel auf staatlichen Druck hin 1942 mehrere Freikirchen zum Bund<br />

Evangelisch-Freikichlicher Gemeinden zusammenschließen. Eine Wirkung der<br />

Gemeinde in die Gesellschaft hinein ist kaum auszumachen.<br />

Als der Zweite Weltkrieg begann, wurde die Gemeindearbeit noch schwieriger. Die<br />

meisten Männer wurden eingezogen. Pastor Reinhard Steenblock versuchte,<br />

brieflich Kontakt zu den Soldaten zu halten. Er schrieb seine Sonntagspredigten<br />

vollständig auf, vervielfältigte sie und schickte sie an die Gemeindemitglieder, die<br />

Soldaten waren.


Das Ende des Krieges bedeutete eine neue Herausforderung. Flüchtlinge kamen<br />

über Friedland auch nach <strong>Göttingen</strong>, darunter viele <strong>Baptisten</strong>. Innerhalb weniger<br />

Monate verdoppelte sich die Zahl der Gemeindemitglieder in <strong>Göttingen</strong>.<br />

Organisatorisch, seelsorgerlich und diakonisch war eine neue Ära zu meistern.<br />

Zwei <strong>Jahre</strong> Studentenspeisung in<br />

<strong>Göttingen</strong><br />

Obwohl es nur zwei von hundert <strong>Jahre</strong>n waren, haben sie doch die Gemeindegeschichte<br />

nachhaltig geprägt: die <strong>Jahre</strong> der Studentenspeisungen. Sie begannen am<br />

3. Juni 1947 und endeten Ende Juni 1949. Es war die Zeit der besonderen Not in<br />

Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Lebensmittelversorgung funktionierte<br />

noch nicht wieder, Flüchtlingsströme verschärften die Versorgungssituation weiter.<br />

Viele Menschen hungerten, an regelmäßige Mahlzeiten konnten Tausende nicht<br />

denken. Besonders betroffen davon waren Kinder (Waisen), Studenten und Senioren.<br />

Genau in der Mitte dieser beiden <strong>Jahre</strong> war die Währungsreform in Deutschland (20.<br />

Juni 1948).<br />

Der Baptistische Weltbund mit Sitz in den USA organisierte Lebensmittellieferungen.<br />

Verteilungspartner in Deutschland war die "Bruderhilfe" in Dillenburg. In<br />

<strong>Göttingen</strong> begann am 3. Juni 1947 die erste Studentenspeisung Deutschlands,<br />

nach deren Vorbild bald auch in Tübingen, München und Hamburg ähnliche<br />

Hilfsprojekte anliefen; in Dillenburg und Bad Homburg organisierten die <strong>Baptisten</strong><br />

Altenspeisungen, in Schneeberg im Erzgebirge Kinderspeisungen, in Leipzig und<br />

Meiningen Kindergartenspeisungen und in Sosa (Erzgebirge) und Altenburg in<br />

Thüringen kombinierte Alten- und Kinderspeisungen.<br />

Gustav Voss als Koch, Heinrich Schmidtmann<br />

und Pastor Philipp Scherer<br />

Zunächst hatte die Gemeinde<br />

soviele Lebensmittel erhalten,<br />

daß sie ein Vierteljahr lang<br />

hundert Studenten viermal<br />

wöchentlich eine warme<br />

Mahlzeit in ihren<br />

Gemeinderäumen (Kleiner<br />

Saal) in der Bürgerstraße 13<br />

austeilen konnte. Die<br />

provisorische Küche war im<br />

Keller, wo Gustav Voss als<br />

Koch die Verantwortung trug.<br />

Schon im September 1947,<br />

nach weiteren Lieferungen,<br />

konnte die Zahl der<br />

Teilnehmer auf 150 erhöht<br />

werden. Am 1. Februar 1948<br />

teilte die Gemeinde sogar an<br />

fünf Tagen Essen an<br />

Bedürftige aus.


Wie sollte man die "Berechtigten" auswählen? Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> beauftragte<br />

das Akademische Hilfswerk der Universität mit der Auswahl, weil man nicht nur an<br />

baptistische Studenten das Essen verteilen wollte, sondern an die Bedürftigsten in<br />

der Stadt. So mußten sich alle, die sich um die Teilnahme am Mittagessen<br />

bewarben, einer Untersuchung durch einen Arzt unterziehen, der zugleich<br />

bestimmte, ob der einzelne vier oder acht Wochen teilnehmen durfte. Bevorzugt<br />

wurden die, die besonders unterernährt waren, sowie Examenssemester. Die gute<br />

Verpflegung steigerte die Arbeitsfähigkeit schnell und spürbar. Auch riß sie viele<br />

Hungernde aus ihrer Depression. Immer wieder berichteten Teilnehmer, daß ihre<br />

Mattigkeit überwunden wurde, sich ihre Leistungsfähigkeit steigerte und sie auch<br />

geistig frischer waren.<br />

Nach genau einem Jahr hatte das Akademische Hilfswerk 1.167 Studenten<br />

einschließlich einiger Dozenten für die Speisung ausgewählt. Weitere 144 benannte<br />

die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> aus ihren Mitgliedern und Freunden, 389 Teilnehmer<br />

bestimmte die "Bruderhilfe" aus der Ortsgemeinde und ihrem Freundeskreis, wobei<br />

auch Menschen berücksichtigt wurden, die der Gemeinde als gesundheitlich<br />

gefährdet benannt worden waren, aber nicht zur Ortsgemeinde gehörten.<br />

Statistik nach einem Jahr: An insgesamt 236 Verpflegungstagen wurden rund<br />

siebeneinhalb Tonnen Lebensmittel in rund 32.000 Einzelportionen zu je drei Viertel<br />

Litern je Essen an <strong>100</strong>0 Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgegeben. Die<br />

Mahlzeiten wurden aus Mehl, Haferflocken, Milch in Dosen oder Tüten, Erbsen,<br />

Suppenmehl, Nudeln, Grieß, Linsen und Kartoffeln, Pflaumen, Rosinen und Zucker,<br />

Käse, Speck, Wurst, Fleisch und Fett, Schokolade, Kakao und Sirup sowie<br />

Heringen zubereitet. Reichte zuerst in der provisorischen Küche ein <strong>100</strong>-Liter-<br />

Kochkessel, so brauchte man bald einen mit 150 Litern Volumen und schließlich<br />

einen 250-Liter-Wasserbad-Kochkessel, der den Vorteil hatte, daß darin praktisch<br />

nichts anbrennen konnte.<br />

Im Laufe des <strong>Jahre</strong>s 1948 wurde die Teilnehmerzahl pro Verpflegungstag auf 250<br />

bis 300 erhöht. Neunzig Prozent der Teilnehmerinnen und Teilnehmer gehörten<br />

nicht der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde an.<br />

Die Bilanz nach zwei <strong>Jahre</strong>n: 15 Tonnen Lebensmittel waren verarbeitet worden, 2<br />

500 Studenten und Dozenten kamen in den Genuß der Studentenspeisung. Hinzu<br />

kam ein Anteil von etwa 20 Prozent der Teilnehmer, die aus allen Volksschichten<br />

kamen. An 540 Verpflegungstagen wurden in den zwei <strong>Jahre</strong>n 60.000 bis 70.000<br />

Essen ausgegeben.<br />

Für die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> war die Studentenspeisung eine große<br />

organisatorische Leistung. Trotzdem stieß man immer wieder an Grenzen. Zum<br />

Beispiel wußte man zeitweise nicht, wo man die Lebensmittel einlagern sollte, die<br />

Gemeindearbeit war eingeschränkt, weil die Nebenräume zur "Mensa"<br />

umfunktioniert worden waren. So wandte sich die Gemeinde im Juni 1948 an die<br />

Göttinger Stadtverwaltung mit der Bitte, einen Lagerraum zur Verfügung zu stellen.<br />

Das Engagement der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> für die Versorgung der Studenten fand in<br />

<strong>Göttingen</strong> Beachtung. Als die Speisung genau ein Jahr lief, lud die Gemeinde zu<br />

einer kleinen Feierstunde ein, zu der unter anderem der Rektor der Universität,<br />

Professor Dr. Hermann Rein, als Vertreter des Akademischen Hilfswerks der


evangelisch-reformierte Theologieprofessor Dr. Otto Weber sowie Vertreter der<br />

Stadt <strong>Göttingen</strong> kamen. Der Rektor der Universität stellte in einer Rede die "hohe<br />

sittliche Bedeutung" des Werkes heraus. Er sprach von dem Geist und der<br />

opferbereiten Liebe der amerikanischen Spender, die nicht einen geschlagenen<br />

Feind, sondern einen hilfsbedürftigen Bruder sähen und dafür persönliche Arbeit<br />

(Überstunden) leisteten, um die Gelder für die Hilfsaktion zusammenzubekommen.<br />

Für die Gemeinde war dieser diakonische Dienst an den Mitbürgern auch eine<br />

missionarische Aufgabe. Viele Menschen, die wahrscheinlich nie in die Gemeinderäume<br />

der <strong>Baptisten</strong> gekommen wären, lernten die Menschen hier kennen<br />

und verloren so die Schwellenangst. Ob dadurch auch Menschen zum Glauben an<br />

Jesus Christus kamen, ist allerdings nicht bekannt.<br />

Ganz sicher ist der Gemeinde aber die Gruppe der Studenten in der Stadt bewußt<br />

geworden, so daß schon zu dieser Zeit ein christlicher Studentenkreis entstand.<br />

Die "Bruderhilfe" in Friedland<br />

Als Anfang Mai 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, war Friedland, 15<br />

Kilometer südlich von <strong>Göttingen</strong>, noch ein unbekanntes Dorf, das aber innerhalb<br />

weniger Wochen und Monate zu einem der bekanntesten Orte in Deutschland<br />

werden sollte. Denn mit dem Ende des Krieges begann hier erst das eigentliche<br />

Chaos. Tausende waren unterwegs, auf der Flucht oder auf der Suche nach<br />

Familienangehörigen, nach Arbeit und Wohnung; eine funktionierende Verwaltung<br />

gab es nicht mehr. Die Versorgung mit Lebensmitteln brach vollends zusammen.<br />

Die "Bruderhilfe" der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde 1948, Baracke 82


So richtete die britische Besatzungsmacht im September 1945 in Friedland, an der<br />

Grenze zur sowjetischen und zur amerikanischen Besatzungszone, ein Lager in<br />

den ehemaligen Ställen des Versuchsguts der Universität <strong>Göttingen</strong> ein, in dem die<br />

Vertriebenen, Flüchtlinge, Evakuierten und Heimkehrer erfaßt, verpflegt und<br />

vorläufig untergebracht werden sollten. Das Lager hatte eine zentrale Bedeutung,<br />

weil man hier neue Papiere erhielt, die etwa für Arbeitsgenehmigungen oder<br />

Lebensmittelzuweisungen nötig waren. Doch niemand hatte sich wohl das Ausmaß<br />

der Bevölkerungsbewegungen vorstellen können, die in ost-westlicher oder westöstlicher<br />

Richtung unterwegs waren. Das Lager war ständig überfüllt, die Mitarbeiter<br />

der Lagerleitung mit ihren Aufgaben überfordert. Auch die Helfer des Deutschen<br />

Roten Kreuzes, der Caritas und der Heilsarmee sowie zahlreiche freiwillige<br />

Studenten der Universität <strong>Göttingen</strong> konnten die Arbeit kaum bewältigen. So<br />

unterstützte die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> von April 1946 bis Ende 1951 die<br />

rund 80 Helferinnen und Helfer der Inneren Mission durch die "Bruderhilfe" des<br />

Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, die organisatorisch dem Hilfswerk<br />

der EKD verbunden war. Finanziert wurde die "Bruderhilfe" bis weit in die 50er<br />

<strong>Jahre</strong> hinein vor allem durch Spenden von <strong>Baptisten</strong> in den USA, Kanada und<br />

Schweden. Ein besonderes Komitee koordinierte die Aktivitäten gemeinsam mit<br />

einem deutschen Gremium, für das Immanuel Walter vor Ort die Projekte besah.<br />

Die Friedlandhilfe war nur ein kleiner Teil dieses Hilfswerkes.<br />

In einem Rückblick von 1948 heißt es: "Viele Lebensmüde, Hoffnungslose und<br />

Irregewordene trieben in diesem Strom des Elends. Sie hatten keine<br />

physische und seelische Kraft mehr, höchstens noch die, ihrem hoffnungslosen<br />

Dasein mit eigener Hand ein Ende zu setzen. Und das kam nicht selten<br />

vor. Diese Menschen herauszufischen und ihnen über die schwerste Krise<br />

ihres Lebens hinwegzuhelfen, wurde für uns zu einer vordringlichen<br />

Aufgabe, die zu denen der persönlichen Hilfestellung und materiellen<br />

Unterstützung hinzutrat. Bei aller schweren körperlichen Arbeit, die zu<br />

leisten war, verloren unsere Helfer doch nicht den geschärften Blick für die<br />

seelische Not. Und so ergab sich, daß in enger Zusammenarbeit mit der<br />

Lagerleitung der Seelsorge immer mehr Raum gewährt wurde.<br />

Lagergottesdienste wurden eingerichtet und gefördert, ihre innere Gestaltung<br />

wurde vertieft. Unter freiem Himmel und in engen Wellblechbaracken, in denen<br />

notfalls hundert Menschen schlecht untergebracht werden konnten, fanden Lob-<br />

und Dankgottesdienste statt. Hier bekamen müde Seelen neuen Mut zum<br />

Weiterpilgern. Die Chormitglieder der Gemeinde <strong>Göttingen</strong> waren stets zur Stelle,<br />

wenn gerufen wurde. Es geschah häufig, daß innerhalb weniger Stunden ein<br />

Autobus voll solcher Helfer nach Friedland geholt wurde, damit sie die<br />

Gottesdienste durch Lied und Zeugnis vertieften. - So hatte die kleine "Bruderhilfe"<br />

bald, ohne es zu wollen, allein durch ihre größere Beweglichkeit, die Initiative in der<br />

gottesdienstlichen Betreuung übernommen. "<br />

Im Herbst 1946 ließ der Strom der Flüchtlinge und Vertriebenen langsam nach.<br />

Dafür wechselten bald die Heimkehrer aus westlicher und östlicher<br />

Kriegsgefangenschaft über das Lager. Der erste Heimkehrertransport deutscher<br />

Kriegsgefangener aus Rußland am 13. August 1946 ist in die Geschichte<br />

eingegangen. Von der letzten Eisenbahnstation des sowjetisch besetzten Gebietes<br />

traten die Grenzübergänger den Fußmarsch nach Friedland an. So auch die


Kriegsgefangenen. Die vorsichtigen Engländer trauten den deutschen Soldaten<br />

noch immer alles zu und befürchteten, die ehemaligen Gefangenen könnten eine<br />

Bürgerkriegsarmee aufstellen, die dann in Westdeutschland eingesetzt werden<br />

sollte. Als die ersten 1200 deutschen ehemaligen Soldaten an der Grenze bei<br />

Besenhausen eintrafen, standen fünf britische Panzer schußbereit. Eine<br />

ausgeschwärmte Kompanie lag mit schweren und leichten Maschinengewehren<br />

gefechtsbereit in der Deckung. Schweigend nahten die Marschblöcke, je fünf Mann<br />

nebeneinander. Russische Posten hoben den Schlagbaum, und lähmendes<br />

Entsetzen packte alle, die den Transport erwarteten. Es waren keine kampfbereiten<br />

Soldaten, die da zurückkehrten, sondern es schleppten sich müde, erschöpfte und<br />

ausgemergelte Männer an Krücken und Stöcken mühsam voran und trugen mit<br />

letzten Kräften Kameraden, die zusammengebrochen waren. Beschämt kamen die<br />

Engländer aus der Deckung. Der Lautsprecher, der für die Begrüßungsansprache des<br />

Lagerkommandanten mit an die Grenze gefahren worden war, blieb stumm. Niemand<br />

fand Worte, als diese vielen Menschenwracks in Erscheinung traten, wie sie der<br />

Westen auf einmal noch nicht gesehen hatte: demontierte Menschen, demontiert bis<br />

auf die Knochen, die dort schweigend vorbeizogen. Eine Schwester vom Roten<br />

Kreuz, die mit brüchiger Stimme "Willkommen in der Heimat, Kameraden!" rief, erhielt<br />

von diesen furchtsam-scheuen Gestalten mit ihren stieren Blicken keine Antwort. Karl<br />

Caspari: "Noch Stunden nach dem Grenzübertritt blieb der Todesbann auf<br />

diesen Menschen, die Glauben und Hoffnung verloren zu haben schienen,<br />

haften. Sie konnten nicht mehr erfassen, daß es noch Freiheit gab und sie im<br />

Begriff standen, in diese - wenn auch nur äußere und oft recht fragwürdige -<br />

Freiheit einzutreten."<br />

Die Gottesdienste im Kreise dieser Heimgekehrten wurden bald zu Lob- und<br />

Dankgottesdiensten. Die Lieder "Großer Gott, wir loben dich" und 'Nun danket alle<br />

Gott" hatten plötzlich eine handfeste Bedeutung, die vielen Menschen hier in den<br />

Gottesdiensten unter Tränen bewußt wurde.<br />

In zahlreichen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n wurden zur Finanzierung der diakonischen und<br />

geistlichen Arbeit in Friedland Sammlungen durchgeführt. Mitte 1949 wollten die<br />

"Bruderhilfe" in Dillenburg und die Bundesleitung der deutschen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n,<br />

die Leitung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, die<br />

Finanzierung auslaufen lassen, weil man der Ansicht war, daß diese vorübergehende<br />

Arbeit nun zu Ende gehen sollte, um weitere Geldmittel für andere Aufgaben zu<br />

haben. Damals schrieb Pastor Werner Klein einen flammenden Brief an die Träger<br />

der Friedlandhilfe, um die Arbeit fortsetzen zu können. Dabei betonte er die gute<br />

ökumenische Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen und den Hilfsorganisationen<br />

im Lager. In einem unterstützenden Begleitschreiben des katholischen Lagerpfarrers<br />

Dr. Krahe betont dieser, daß die Stärke der Hilfsverbände oder Wohlfahrtsverbände<br />

im Lager "wesentlich durch die enge Zusammenarbeit und eingutes Verstehen der<br />

Leiter der einzelnen Verbände untereinander" begründet sei. "Wir dürfen wohl<br />

sagen, dass die Arbeit der Verbände der gesamten Lagerarbeit ihr 'Gesicht', ihre<br />

besondere Eigenart gegeben hat. Der Wegfall eines Verbandes würde meiner<br />

Meinung nach nicht die anderen Verbände stärken, sondern ihre gesamte<br />

Bedeutung schwächen." Das Werben zeigte Wirkung: Die Arbeit lief bis Ende 1951<br />

weiter.


Im Laufe der <strong>Jahre</strong> änderte sich mehrfach die Funktion des Lagers Friedland, weil<br />

die Zuwanderung im Laufe der Zeit nachließ, und weil zunächst "Boat People" aus<br />

Vietnam, dann Aussiedler aus Polen oder der Sowjetunion das Lager vor neue<br />

Aufgaben stellten. Seit 1964 war "Friedland" allein Grenzdurchgangslager.<br />

Die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> hat 1977 an die Tradition der Lagergottesdienste<br />

noch einmal angeknüpft, auch weil unter den Aussiedlern aus Rußland viele<br />

Evangeliumschristen-<strong>Baptisten</strong> waren. Während der pensionierte Göttinger<br />

Superintendent Ernst Archilles in der Woche täglich eine Abendandacht für die<br />

Aussiedler in der Lagerkapelle und sonntagvormittags einen evangelischen<br />

Gottesdienst anbot, halfen Mitarbeiter der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde<br />

am Samstagabend aus. An jedem Samstag waren die Göttinger <strong>Baptisten</strong> für die<br />

Abendandacht in der Lagerkapelle verantwortlich. Wegen des Rückgangs der<br />

Aussiedlerzahlen und vor allem, weil die wenigen, die die Lagergottesdienste<br />

zuletzt besuchten, so gut wie kein Wort Deutsch mehr verstanden, lief dieser Dienst<br />

Ende Juni 1994 aus.<br />

Eine andere Form der Unterstützung der "Bruderhilfe": Kleiderspenden<br />

aus Amerika für die Gemeinde. Auch Lebensmittelpakete kamen in<br />

<strong>Göttingen</strong> an.


Kurze Gemeindegeschichte in Duderstadt<br />

Auch in Duderstadt gab es nach dem Zweiten Weltkrieg eine kleine <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />

Durch die große Zahl der Flüchtlinge hatten sich auch zahlreiche<br />

<strong>Baptisten</strong> dort angesiedelt, die von der Gemeinde in <strong>Göttingen</strong> aus betreut wurden.<br />

Allerdings gibt es Hinweise, daß es bereits im <strong>Jahre</strong> 1851 sieben <strong>Baptisten</strong> in<br />

Duderstadt gab, um die sich die Gemeinde Einbeck kümmerte. 1947 zogen zwei<br />

<strong>Baptisten</strong>-Familien (Schritt und Romppel), die aus dem Osten geflüchtet waren,<br />

nach Duderstadt. Sie trafen sich bald zum Gottesdienst im "Goldenen Löwen".<br />

Mitte Juli 1951 mußte die<br />

kleine Göttinger Zweiggemeinde<br />

ihren Versammlungsort<br />

aufgeben,<br />

weil ihr der bisherige<br />

Raum im "Goldenen<br />

Löwen" gekündigt wurde.<br />

Und da es in Duderstadt<br />

keine Alternative dazu<br />

gab, sah sich die Gemeinde<br />

gezwungen, in<br />

Duderstadt eine Kapelle<br />

zu bauen. Deshalb bekam<br />

dieser Plan für die<br />

Gesamtgemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />

oberste Priorität.<br />

So schnell wie möglich<br />

mußte das Geld (20 000<br />

Mark) durch Spenden<br />

aufgebracht werden. Da­<br />

Herbst 1951: Innerhalb kürzester Zeit entsteht in<br />

Duderstadt auf einer grünen Wiese eine Kapelle.<br />

zu steuerten auch amerikanische und schwedische <strong>Baptisten</strong> über die "Bruderhilfe"<br />

Geld bei. Und: um beispielsweise die rund hundert Stühle für die Kirche zu erhalten,<br />

bat die Gemeinde andere baptistische Institutionen und Gemeinden in ganz<br />

Westdeutschland, "sich einen Platz zu sichern", indem sie jeweils einen Stuhl<br />

finanzierten - zum Preis von 12,50 Mark. Die Gemeinde stellte den Stiftern in<br />

Aussicht, den Namen des Spenders am Stuhl anzubringen. So habe man bald die<br />

bundesweite <strong>Baptisten</strong>gemeinschaft in der Duderstädter Kapelle vor Augen, war die<br />

Idee. Daraufgingen viele ein, auch beispielsweise 18 Jungen des Jungenheimes<br />

Lichterfelde in Berlin, die für einen Stuhl sammelten.<br />

Schon sehr bald hatte die Gemeinde ein städtisches Erbbau-Grundstück in<br />

Aussicht, das allerdings im Überschwemmungsgebiet der Hahle an der Straße "Auf<br />

dem Westernborn" lag. Am 20. Oktober 1951 entschied der Beschlußausschuß für<br />

den Kreis Duderstadt, daß die Gemeinde dort bauen darf, bei eventuellen<br />

Wasserschäden aber keinen Schadensersatzanspruch hat. Neun Tage später traf<br />

man sich vor einem Notar, um den Erbpachtvertrag über 80 <strong>Jahre</strong> mit der<br />

Stadtgemeinde Duderstadt zu schließen. Das Grundstück war 10,6 Ar groß. Der<br />

Erbpachtzins wurde auf 95,58 Mark pro Jahr festgelegt.


Innerhalb kürzester Zeit wurde das Gebäude auf dem Grundstück errichtet. Zu bauen<br />

begonnen hatte man offenbar schon im August oder September. Im Oktober-<br />

Gemeindebrief schrieb Prediger Werner Klein: "Unsere Kapelle in Duderstadt<br />

wächst zu unserer Freude in fleißiger Mitarbeit der dortigen Geschwister empor,<br />

so daß wir in Kürze Richtfest feiern können und die Einweihung voraussichtlich<br />

Ende November erfolgen kann. Viele Gemeindeglieder haben sich lobenswert<br />

mit ihren Spenden an dem Aufbau beteiligt. Aber noch fehlen etliche tausend<br />

Mark, um den Bau vollenden zu können." Am 9. Dezember feierte die Gemeinde<br />

in Duderstadt die<br />

Einweihung der "Christus-<br />

Kirche". Zu dem Zeitpunkt<br />

gehörten 68 Mitglieder zur<br />

Zweiggemeinde<br />

Duderstadt.<br />

Die Kapelle in Duderstadt in guten Tagen<br />

Die Zweiggemeinde in<br />

Duderstadt hatte sogar<br />

ihren eigenen Prediger. Die<br />

Gemeindeversammlung beschloß<br />

am 28. Oktober<br />

1949, den Justizangestellten<br />

Eduard Schritt zum<br />

hauptamtlichen Prediger<br />

und Seelsorger zu berufen.<br />

Die Gemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />

gab dazu ihr Ja.<br />

Schon bald entwickelten die Duderstädter <strong>Baptisten</strong> eine große Missionstätigkeit in<br />

ihrer Stadt. In besonderen Veranstaltungen bezeugten sie ihren Glauben,<br />

Referenten wurden zu Vortragsreihen eingeladen. So wuchs die Gemeinde. Auch<br />

eine Kinder- und Jugendarbeit gedieh. Selbst einen Chor gab es.<br />

Andererseits herrschte eine große Fluktuation, weil weitere Flüchtlinge herzogen<br />

und andere Familien auswanderten, etwa in die USA oder nach Kanada. Die<br />

Statistik weist als höchste Mitgliederzahl für Duderstadt und Umgebung 89 aus.<br />

Eduard Schritt verfolgte schon bald nach der Einweihung den Gedanken, an die<br />

Kapelle ein Wohnhaus anzubauen. Wenn man sich das Gebäude ansieht, dann ist<br />

es bereits so angelegt, daß es durch einen Anbau ergänzt werden kann. Eine Zwei-<br />

Zimmer-Wohnung und einen Jugendsaal sollte der Anbau haben. Die Pläne sind<br />

bis heute erhalten. 1954 stand sogar schon die Finanzierung: 20.000 Mark sollte<br />

der Anbau kosten. Doch verwirklicht wurden die Pläne nicht. Denn trotz<br />

missionarischen Einsatzes blieb die Weiterentwicklung in den folgenden <strong>Jahre</strong>n<br />

aus. Ein wichtiger Grund dafür war, daß es in dem Zonenrandgebiet nicht<br />

genügend Arbeit für die Flüchtlingsfamilien gab, so daß viele wegzogen.<br />

Der entscheidende historische Wendepunkt kam Anfang 1956, als Eduard Schritt<br />

nach Bad Wildungen zog und seinen Dienst in Duderstadt beendete. Der<br />

Gemeindevorstand in <strong>Göttingen</strong> versuchte so schnell wie möglich einen Nachfolger


zu finden, dachte dabei aus Kostengründen an einen pensionierten Pastor. Doch<br />

immer wieder zerschlugen sich die Pläne, manchmal erst nach dem<br />

Vorstellungsgespräch eines Interessenten. Da war es fast schon wie ein Aufatmen,<br />

als ein angehender Theologiestudent, der 21jährige Sigurd Birschmann, sich bereit<br />

erklärte, vor seinem Studium ein zehnmonatiges Gemeindepraktikum in Duderstadt<br />

zu absolvieren. Derweil suchte die Gemeinde weiter. Als schließlich Pastor Herbert<br />

Gudjons den Mitarbeitern in Duderstadt mitteilte, daß sich Ende September 1957<br />

ein Pastor in der Zweiggemeinde vorstellen würde, beschwerten sich die<br />

Duderstädter mit einer Unterschriftenliste beim Göttinger Gemeindevorstand, daß<br />

sie in Duderstadt nicht genügend Mitspracherecht hätten. Inzwischen zerschlugen<br />

sich die Pläne aus ganz anderen Gründen.<br />

Anfang 1958 unterbreiteten die Duderstädter der Muttergemeinde außerdem den<br />

Plan für einen Erweiterungsbau der Christus-Kirche. Die Kosten sollten rund 20 500<br />

Mark betragen. Einen Finanzierungsplan gab es allerdings nicht. Aus diesem Grund<br />

und wegen der unsicheren Zukunft der Gemeinde bei stetem Wegzug der<br />

Mitglieder riet der Göttinger Vorstand, kein Wohnhaus anzubauen, sondern den<br />

Gottesdienstraum neu aufzuteilen und entsprechend umzubauen. Es kam zum<br />

Streit, einige Gemeindemitglieder wollten nicht mehr mit <strong>Göttingen</strong><br />

zusammenarbeiten, sondern sich der Gemeinde Bad Wildungen anschließen. Nach<br />

und nach glätteten sich die Wogen wieder, im Dezember gab es gar ein<br />

Versöhungsfest.<br />

Im Mai 1962 entstanden erneut Baupläne: Die Familien Bürger und Romppel<br />

wollten auf dem Gemeindegrundstück neben der Kapelle ein Wohnhaus errichten.<br />

Die Göttinger Gemeinde signalisierte Zustimmung, doch verweigerte die Stadt<br />

Duderstadt eine Baugenehmigung. Alte Umbaupläne wurden aufgegriffen, doch<br />

stießen sie erneut auf Widerstand.<br />

1967 verkaufte die Stadt das Erbbaugrundstück an die Gemeinde einschließlich<br />

eines angrenzenden Grundstücksstreifens.<br />

Während dieser Zeit betreute die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> ihre Zweiggemeinde<br />

Duderstadt weiter. Regelmäßig fanden bis März 1969 Gottesdienste und<br />

Bibelstunden dort statt. Auch versuchte man durch besondere Veranstaltungen<br />

missionarisch nach außen zu wirken.<br />

Im nachhinein muß man feststellen, daß die Entfernung zu groß war. Den<br />

Duderstädtern fehlte eine integrierende Persönlichkeit, etwa ein "eigener" Pastor,<br />

der die Zweiggemeinde in die Unabhängigkeit von <strong>Göttingen</strong> hätte führen können.<br />

1974 verkaufte die Gemeinde das Kirchengebäude, das inzwischen schon recht<br />

verfallen war, für 40 000 Mark. Heute ist ein Autoteile-Verkauf in dem Gebäude<br />

untergebracht.


Heute ist in der ehemaligen Kapelle von Duderstadt ein Autoteilehandel<br />

Die 50er und 60er <strong>Jahre</strong><br />

Gleich nach dem Krieg, aber besonders in der zweiten Hälfte der 50er <strong>Jahre</strong> und zu<br />

Beginn der 60er <strong>Jahre</strong>, richtete die Gemeinde ihren Blick nach außen. Sie wollte die<br />

befreiende Botschaft des<br />

Evangeliums auch durch<br />

besondere Veranstaltungen<br />

in der Stadt bekanntmachen,<br />

nachdem das in den 30er<br />

<strong>Jahre</strong>n und im Krieg nur sehr<br />

begrenzt möglich gewesen<br />

war, wenn überhaupt. So<br />

veranstaltete die Gemeinde<br />

jetzt regelmäßig Evangelisationen,<br />

zunächst vermehrt in<br />

Missionszelten. In der zweiten<br />

Hälfte der 60er <strong>Jahre</strong><br />

setzten sich mehr die Vorträge<br />

für die Gemeinde, zu<br />

denen natürlich auch Gäste<br />

eingeladen wurden, mehr<br />

und mehr durch.<br />

Zeltmission war in den 50er und 60er <strong>Jahre</strong>n<br />

eine Form, das Evangelium draußen vor der<br />

Kirchentür zu verkündigen.


1953 - die Stadt <strong>Göttingen</strong> feierte ihr <strong>100</strong>0jähriges Bestehen - holte die Gemeinde<br />

das große Bundesmissionszelt in die Universitätsstadt. Hatte man sich bisher<br />

besonders um den Aufbau nach dem Krieg gekümmert und die Station in<br />

Duderstadt gefestigt, so<br />

begann nun eine neue Ära,<br />

die ab 1954 durch Herbert<br />

Gudjons, der dann als<br />

Pastor nach <strong>Göttingen</strong> kam<br />

und ein besonderer Verfechter<br />

der Volksmission war,<br />

geprägt. Er sorgte dafür, daß<br />

auch in Duderstadt besondereVortragsveranstaltungen<br />

stattfanden, um Menschen<br />

zum Glauben an<br />

Jesus Christus zu rufen. Und<br />

das nicht ohne Erfolg. 1954<br />

ließen sich in <strong>Göttingen</strong><br />

insgesamt 40 Frauen und<br />

Männer taufen. Das ist die<br />

größte <strong>Jahre</strong>staufziffer in der<br />

Großen Zuspruch fanden die Volksmissionen. Geschichte der Göttinger<br />

<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />

Die <strong>Baptisten</strong> waren mit ihrer Evangelisationstätigkeit in dieser Zeit allerdings nicht<br />

allein. Auch die evangelischlutherischen<br />

Kirchen in<br />

<strong>Göttingen</strong> veranstalteten von<br />

Himmelfahrt bis Pfingsten auf<br />

dem 82er Platz eine<br />

Zeltmission.<br />

Den Höhepunkt erreichten die<br />

Sonderveranstaltungen im<br />

Jahr 1959: im März eine<br />

zehntägige Evangelisation in<br />

<strong>Göttingen</strong>, im April eine<br />

einwöchige Evangelisation in<br />

Duderstadt, Ende August ein<br />

NDR-Rundfunk-Gottesdienst<br />

in der Göttinger Kapelle, im<br />

Oktober eine einwöchige<br />

Evangelisation in <strong>Göttingen</strong>,<br />

dort schließlich auch noch im<br />

November an drei Abenden<br />

"Heiligungsversammlungen".<br />

Die Arbeitsgemeinschaft evangelischer<br />

Kirchen und Freikirchen lud zu einer<br />

gemeinsamen Zeltmission ein.<br />

Doch im Laufe der <strong>Jahre</strong> entsprach diese Form der Evangelisation nicht mehr den<br />

Bedürfnissen. Mit einem neuen Pastor kamen neue Ideen, ein neuer Stil der<br />

Evangeliumsverkündigung. Die Sinnfrage wich mehr den Lebensfragen. Arnim


Riemenschneider, den die Gemeinde nach Herbert Gudjons' Weggang holte, stand<br />

für das Anliegen der Lehre. "Ruferwochen", Vortragswochen und Seminare bildeten<br />

jetzt einen neuen Schwerpunkt. Auch die Arbeit mit Kindern kam wieder in den<br />

Vordergrund: Der "Christliche Arbeitskreis für Kinder- und Jugendarbeit" gründet<br />

sich mit dem Ziel, einen Kindergarten zu bauen, ein Kreis junger Mütter entstand.<br />

Nachdem der Kindergarten im Okerweg fertig war, veranstaltete die Gemeinde dort<br />

eine Kinderwoche; auch für die Fortbildung des Chores gab es eine Singwoche.<br />

Das heißt nicht, daß die Gemeinde nicht immer wieder auch Evangelisationen<br />

durchführte, bei denen die grundsätzliche Frage nach Gott thematisiert wurde.<br />

In der zweiten Hälfte der 60er <strong>Jahre</strong> traten gesellschaftliche Fragen mehr in den<br />

Vordergrund: die Frage nach Sinn und Ziel der Ehe war nur ein Beispiel dafür. Der<br />

Wertewandel in der Gesellschaft stellte eine neue Herausforderung für alle Kirchen<br />

dar. Neue Lebensformen (Wohngemeinschaften), Studentenunruhen, neue<br />

Musikrichtungen (Beatles) sind nur einige Stichworte aus dieser Zeit. Und der<br />

gesellschaftliche Aufbruch fand in der Gemeinde Parallelen. Den Höhepunkt<br />

erreichte die Entwicklung, als baptistische Studenten in Konflikt mit der übrigen<br />

Gemeinde kamen und Harald Fischer, der Ende 1967 die Nachfolge Arnim<br />

Riemenschneiders antrat, 1973 aus persönlichen Gründen seinen Gemeindedienst<br />

quittierte und in den Schuldienst wechselte.<br />

Die Studenten in der Gemeinde<br />

<strong>Göttingen</strong> als Universitätsstadt drückt sich auch in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> aus:<br />

die Gemeindearbeit ist mit beeinflußt vom Rhythmus der Semesterzeiten und<br />

Semesterferien. In den Semesterferien lichten sich beispielsweise die Reihen im<br />

Gottesdienst deutlich.<br />

Wie andere Kirchen auch, versuchte der Bund Evangelisch-Freikichlicher Gemeinden,<br />

der Bund deutscher <strong>Baptisten</strong>- und Brüdergemeinden, die Studenten<br />

nach dem Zweiten Weltkrieg in eine besondere Arbeit einzubinden. Das war auch<br />

in <strong>Göttingen</strong> so. Hier entstand sogar eine der tragenden Säulen deutscher<br />

baptistischer Studentenarbeit, die besonders Pastor Werner Klein schon während<br />

der Studentenspeisung in <strong>Göttingen</strong> förderte. Den Studenten, die oft zum ersten<br />

Mal für längere Zeit von ihrem Elternhaus fort in einer fremden Umgebung waren,<br />

bot man einen Kreis von Gleichgesinnten an. Bundesweit hatten diese<br />

Studentenkreise Kontakte zueinander.<br />

Mit den neuen gesellschaftlichen Fragen fühlten sich immer auch die baptistischen<br />

Studenten herausgefordert. Gerade mit Ende des Krieges war eine Welt<br />

zusammengebrochen, Ideale galten plötzlich nichts mehr. Werner Klein 1948: "Zu<br />

gründlich und zu bitter ist eine Welt zusammengebrochen, der man sich in<br />

jugendlichem Elan und vertrauen hingegeben hatte, die sich jedoch als eine Welt<br />

des Truges, des Irrtums und der Lüge erwies. Nun will man selbst sehen, prüfen<br />

und begreifen und - wenn das überhaupt möglich ist - ein zutreffendes Weltbild<br />

gewinnen. Dem Drang nach geistiger Weite und Reife entspringt auch der<br />

Wunsch, im Ausland zu studieren, um in lebendiger Auseinandersetzung mit den<br />

geistigen Ideen und Kräften der Welt sein eigenes Urteil zu erwerben und die<br />

Abhängigkeit von propagandistischen Trug- und Wunschbildern zu überwinden."


Forderte man schon in Rundschreiben 1956, über neue Formen des Gottesdienstes<br />

nachzudenken, so kam es 1967 bis 1969 zu inhaltlichen und theologischen<br />

Anfragen an die bisherige Gemeindepraxis: War man bisher nicht zu sehr auf sich<br />

selbst bezogen gewesen, nur auf Erbauung und Evangelisation konzentriert? Hatte<br />

man vom Evangelium her nicht auch auf aktuelle politische Fragen Antworten zu<br />

geben? Studenten in Hamburg-Altona, Münster und <strong>Göttingen</strong> forderten ein mehr<br />

weltzugewandtes Verständnis des Evangeliums in den Gemeinden ("Münsteraner<br />

Resolution" von Pfingsten 1969). Man empfand sich selbst in einer Aufbruchsstimmung,<br />

auf dem Weg zu einer neuen Sichtweise. Und bei mancher "neuen Idee"<br />

mag der eine oder andere übers Ziel hinausgeschossen sein. Doch die Klärung, so<br />

die Stimmung insgesamt unter den Studenten, sollte die sachbezogene Diskussion<br />

bringen.<br />

In <strong>Göttingen</strong> trafen sich die Studenten der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mit Freunden seit<br />

dem Wintersemester 1957/58 14täglich in einem Hauskreis bei Sigrid und Herbert<br />

Caspari, nachdem man sich zuvor in den Gemeinderäumen im gleichen Turnus<br />

getroffen hatte. Für viele Studenten war dieser Hauskreis ein 'Zuhause". Hier<br />

konnte man kontrovers diskutieren. Und zahllosen ehemaligen Studenten verbindet<br />

sich dieser Hauskreis mit einer Tasse Ostfriesentee, die nie fehlte. Seit 1960 gaben<br />

Sigrid und Herbert Caspari außerdem die "mitteilungen" heraus, eine Studenten-<br />

Zeitschrift des Bundes EvangelischFreikirchlicher Gemeinden. Sie sollte dem<br />

Informationsaustausch der Studenten dienen und enthielt nicht selten<br />

Nachdenkliches und Provokantes, eben kritische Denkanstöße, die mit viel Fleiß<br />

ausgearbeitet worden waren.<br />

Die Gemeinde allerdings kam, und in soweit bot sie ein Spiegelbild der<br />

Gesellschaft, während des Höhepunktes der studentischen Umbruchsituation<br />

Anfang der 70er <strong>Jahre</strong> bei der Diskussion nicht mit. Die radikale Infragestellung<br />

löste Ängste um den Glauben aus. So kam es, daß in dieser Zeit die Gemeinde die<br />

kritischen Studenten isolierte. Andere baptistische Studenten sahen in ihren stark<br />

linksorientierten Kommilitonen Menschen, die ihren Glauben verloren hatten, die<br />

dem Leninismus, Marxismus oder Maoismus verfallen waren und die Gemeinde zu<br />

unterwandern versuchten, indem sie manches "fromm" formulierten. Diese<br />

wiederum sahen sich in der Rolle, ständig ihren Glauben "beweisen" zu sollen, um<br />

überhaupt mit ihrem ungewohnten Denkansatz gehört zu werden. Und auch von<br />

außerhalb kam für die Studenten und die Gemeinde keine Hilfe. Im Gegenteil: die<br />

Studenten-Zeitschrift wurde eingestellt, weil der Bund die Zuschüsse strich.<br />

Es kam bundesweit zur Krise der baptistischen Studentenarbeit, von der sie sich im<br />

Prinzip bis heute nicht erholt hat. Zwar gab es in <strong>Göttingen</strong> nach wie vor bis Ende<br />

der 70er <strong>Jahre</strong> den Hauskreis in Casparis großem Wohnzimmer, der für viele<br />

Studenten ein Ort der freien Diskussion blieb, doch als Sigrid Caspari schwerer<br />

erkrankte, löste sich der Hauskreis auf und zerfiel in kleine Kreise. Während sich in<br />

den 80er <strong>Jahre</strong>n etwa ein Kreis um Umweltthemen und die Verantwortung der<br />

Christen für die Schöpfung engagierte, versuchten andere an der Uni zu<br />

missionieren, wieder andere kümmerten sich um ausländische Kommilitonen. Erst<br />

etwa zehn <strong>Jahre</strong> später entstand mit Studenten- und Jugendpastor Ralf Ossa ein<br />

Neuanfang, doch eine Vordenkerrolle haben die Studenten theologisch nicht mehr -<br />

wie sie auch in der Gesellschaft diese Rolle zur Zeit nicht erkennbar übernehmen.


Bau eines Studentenwohnheimes<br />

Was schon lange geplant war, wurde 1984 Wirklichkeit: der Bau eines Studentenwohnheimes.<br />

Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> hatten Sigrid und Herbert Caspari mit den<br />

Studenten, die bei ihnen zu Gast waren, immer wieder die Frage diskutiert, ob nicht<br />

der Bau eines Studentenwohnheimes in <strong>Göttingen</strong> Aufgabe der Gemeinde sein<br />

könnte. Doch in der Gemeinde fanden sie zunächst keine große Begeisterung für<br />

diese Idee. Aber angeregt und ermutigt durch die Erfahrungen der Studentenkreise<br />

in den Gemeinden Marburg und Karlsruhe gründeten sie mit anderen Akademikern<br />

in der Gemeinde am 19. April 1964 den Verein "Evangelisch-Freikirchliches<br />

Studentenwohnheim <strong>Göttingen</strong>". Innerhalb kürzester Zeit gingen Spenden von 30<br />

000 Mark auf das Vereinskonto ein. So fühlten sich die Mitglieder schnell in ihrem<br />

Anliegen bestätigt, Wohnraum für Studenten zu schaffen. Ebenso unterstützten<br />

amerikanische <strong>Baptisten</strong> das Vorhaben finanziell. Studenten aus <strong>Göttingen</strong> hatten<br />

sie für den WohnheimPlan erwärmt. Obwohl man schon im folgenden Jahr begann,<br />

nach einem geeigenten Grundstück Ausschau zu halten, zerschlugen sich die<br />

Pläne immer wieder. Doch das Ehepaar Caspari war es, das trotzdem immer an der<br />

Idee festhielt.<br />

Seit 1984 steht neben dem Gemeindezentrum ein Studentenwohnheim<br />

mit 14 Plätzen. Beide Gebäude bilden architektonisch eine Einheit.


Schließlich gelang es dem Verein,<br />

zusammen mit der Gemeinde das<br />

Parkplatzgrundstück in der Bürgerstraße<br />

14 zu erwerben. Zusammen mit<br />

dem Gemeindezentrum entstand das<br />

Studentenwohnheim (Adresse: Marienstraße<br />

11). Und hatte man zunächst<br />

bescheiden an sechs Wohnplätze<br />

gedacht, so entstand nun ein Studentenwohnheim<br />

mit 14 Plätzen, das<br />

inzwischen, nach dem Tod des Ehepaares<br />

Caspari "Herbert und Sigrid<br />

Caspari-Haus" heißt. Ziel war es,<br />

möglichst zentral preisgünstigen Wohnraum<br />

für Studenten bereitzuhalten, Eine Tafel erinnert an zwei Gemein­<br />

möglichst sogar finanziell Schwächeren demitglieder, die sich sehr für Stu­<br />

unter ihnen einen Mietzuschuß zu denten einsetzten. Das Ehepaar<br />

gewähren. Bisher war das Studenten­ hatte selbst keine Kinder.<br />

wohnheim immer voll belegt, was bei<br />

der Wohnungsknappheit in <strong>Göttingen</strong> nicht überrascht.<br />

Der Eingang des Studentenwohnheims an der Marienstraße.


"Die Sonntagsschul' ist unsre Lust"<br />

Die Gemeinde <strong>Göttingen</strong> hat von Beginn an ihren Auftrag auch darin gesehen,<br />

Kindern der Stadt das Evangelium weiterzusagen. Immer wieder fanden sich<br />

Frauen und Männer, die in kindgerechter Weise ihren Glauben an den auferstandenen<br />

Herrn Jesus Christus bezeugten. So entstand die Sonntagsschularbeit<br />

in <strong>Göttingen</strong>.<br />

Im Laufe der <strong>Jahre</strong>, als die staatlichen Schulen diese Aufgabe mehr und mehr<br />

übernahmen, konzentrierte sich die Sonntagsschularbeit mehr auf die kindgerechte<br />

Verkündigung. Eine Sonntagsschule gehörte, als die Gemeinde in <strong>Göttingen</strong><br />

gegründet wurde, schon selbstverständlich zu den traditionellen Gemeindegruppen.<br />

Die Mitarbeiter erzählten den Kindern biblische Geschichten, ließen sie Bibelverse<br />

auswendig lernen, sangen Lieder und beteten mit ihnen. Es gab sogar ein Lied über<br />

die Sonntagsschule: "Die Sonntagsschul' ist unsre Lust".<br />

Als einer, der besonders befähigt war, mit Kinder zu seiner Zeit umzugehen, sei<br />

Wilhelm Körber genannt. Wie Prediger Mundhenk 1944 in seinem Bericht über die<br />

ersten 50 <strong>Jahre</strong> der Gemeindegeschichte rückwirkend schrieb, "stand die<br />

Sonntagsschule die längste Zeit unter seiner geschickten Leitung, hat viele <strong>Jahre</strong><br />

hindurch schöne Blüten getragen und zeitweilig bis zu 120 Kinder aufgewiesen".<br />

Ein Sonntagsschulheftchen aus den 20er <strong>Jahre</strong>n wirft ein Licht auf die Arbeit dieser<br />

Zeit. Dort vermerkte der "Klassenlehrer" die Anwesenheit seiner Sonntagsschüler,<br />

und er notierte jeweils mit Datum, wenn sich einer von ihnen bekehrte. So war die<br />

Reihe der Namen zugleich Gebetsliste für ihn.<br />

Familiengottesdienste im heutigen Sinn kannte man damals noch nicht. Aber der<br />

Sonntagsschulausflug im Sommer und eine Weihnachtsfeier am Nachmittag des<br />

Zweiten Weihnachtstages waren stets Höhepunkte, zu denen auch die Eltern mit<br />

eingeladen waren.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg wegen des Zuzugs vieler Flüchtlinge die<br />

Mitgliederzahl der Gemeinde auf 350 an. Gleichzeitig erhielt die Sonntagsschularbeit<br />

Auftrieb. Mitte der 50er <strong>Jahre</strong> hatte sie 164 eingetragene Kinder,<br />

einschließlich der drei Bibelklassen für ältere Kinder, die nach dem Gottesdienst<br />

zusammenkamen. Viele begabte Helfer waren nötig, um die Kinder in<br />

verschiedenen Altersgruppen zu unterrichten.<br />

Nun erwies es sich als Mangel, daß es keine kleinen Nebenräume gab. Man half<br />

sich, indem man sich im Kapellenraum in verschiedene Ecken zu<br />

Gesprächsgruppen zurückzog, in denen die Kinder bei recht großem Geräuschpegel<br />

nach dem einleitenden Gemeinschaftsteil mit ihren Gruppenleitern ins Gespräch<br />

kamen.<br />

Dieser starke Besuch hielt viele <strong>Jahre</strong> an. Engagierte Familien bauten zusätzlich<br />

eine Stadtteilkinderarbeit auf und besuchten mit einer großen Kinderschar Sonntag<br />

für Sonntag die Sonntagsschule.<br />

Dieser starke Besuch ließ Mitte der 60er <strong>Jahre</strong> nach. Nachdem die Predigerwohnung<br />

im Kapellengebäude (Wallseite) freigeworden war, standen plötzlich


einige kleinere Gruppenräume zur Verfügung. Das ermöglichte auch andere<br />

Formen der Gruppenarbeit. Auch war man nicht mehr darauf angewiesen, mit der<br />

Sonntagsschule erst nach dem Gottesdienst zu beginnen. Beide Veranstaltungen<br />

liefen zeitgleich.<br />

Nach dem Umzug vor zehn <strong>Jahre</strong>n in das Gemeindezentrum Bürgerstraße 14<br />

schienen nun endlich ausreichende Gruppenräume auch für die Sonntagsschule<br />

zur Verfügung zu stehen. Heute gibt es durch die sehr große Gruppe der<br />

Krabbelkinder schon wieder Unterbringungsprobleme.<br />

Seit einigen <strong>Jahre</strong>n trifft sich die Sonntagsschule wieder nach dem Gottesdienst,<br />

damit die Mitarbeiter am Gottesdienst teilnehmen können.<br />

Ziel der Sonntagsschule heute ist es, biblisches Grundwissen zu vermitteln und<br />

durch das persönliche Bekenntnis der Mitarbeiter den Kindern deutlich zu machen,<br />

daß der Glaube sinnvolles Leben ermöglicht.<br />

Sonntagsschulausflug Ende der 50er <strong>Jahre</strong> nach Bovenden<br />

Von der Sonntagsschule zu Kindergärten<br />

Aus der Gemeindearbeit der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> sind zwei Kindergärten<br />

entstanden, wovon einer inzwischen aus Mangel an Kindern auf dem Leineberg<br />

schließen mußte. Und doch war es dieser Kindergarten, der auf eine recht<br />

ungewöhnliche Weise entstand.<br />

Die Anfänge gehen auf das Jahr 1957 zurück, als Edith und Reinhard Caspari mit<br />

ihren Kindern Doris und Rainer in den Norden <strong>Göttingen</strong>s zogen, in die Straße<br />

Nußanger. Dort bekam die Familie schnell Kontakt zu den jungen Familien in der<br />

Umgebung. Und als Casparis sonntags ihre Kinder in die Sonntagsschule in die<br />

Bürgerstraße fuhren, wollten mehr und mehr Kinder mit. Bald reichte nicht mehr ein<br />

Auto, so daß man einen regelrechten Fahrdienst einrichtete. Da aber die Fahrzeuge


hoffnungslos überfüllt waren, stellte sich bald die Frage nach der Haftung, falls<br />

unterwegs einmal etwas passieren könnte. Schließlich fiel die Entscheidung: Es gibt<br />

eine eigene Sonntagsschule in der Wohnung Caspari!<br />

<strong>Jahre</strong>lang sangen<br />

und beteten die<br />

Mitarbeiter, die<br />

bald hinzukamen,<br />

mit den Kindern<br />

und erzählten biblischeGeschichten.<br />

Und auch zu<br />

den Eltern entstand<br />

bald ein<br />

persönlicherer<br />

Kontakt. Denn<br />

man lud die Eltern<br />

nicht in ein öffentliches<br />

Gebäude<br />

ein, um mit ihnen<br />

über ihre Kinder<br />

und die Sonntags­ Die Sonntagsschule Nußanger<br />

schularbeit zu<br />

sprechen, sondern ins private Wohnzimmer in der Nachbarschaft.<br />

Höhepunkte dieser Sonntagsschule waren typischerweise der jährliche Ausflug<br />

(Kinder zusammen mit den Eltern) sowie die Weihnachtsfeier, die man zusammen<br />

mit der Sonntagsschule in der Bürgerstraße feierte.<br />

Mit der Sonntagsschule Nußanger<br />

war es zu Ende, als die Familie<br />

Caspari Anfang 1964 nach<br />

Geismar umzog.<br />

Doch schon vorher, im <strong>Jahre</strong> 1960,<br />

war eine weitere Idee geboren,<br />

angesichts der vielen Kinder in<br />

Neubaugebieten: der Bau eines<br />

Kindergartens. Bei Gesprächen mit<br />

der Stadtverwaltung wegen eines<br />

geeigneten Grundstücks stellte sich<br />

heraus, daß es auf dem "Kleinen<br />

Hagen" keine planerischen Voraussetzungen<br />

für einen Kindergarten gab, wohl aber auf dem Leineberg. Nach vielen<br />

Überlegungen erwärmte man sich für diese Variante.<br />

Als Träger eines künftigen Kindergartens gründete sich Ende 1960 der Verein<br />

"Christlicher Arbeitskreis für Kinder- und Jugendarbeit", der auch schon bald ins<br />

Vereinsregister beim Amtsgericht eingetragen wurde und vom Finanzamt als<br />

gemeinnützig anerkannt war. Nun brauchte man nur noch Geld für den Neubau und<br />

Unterhalt.


Aus der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, die ja selbst auf Spenden ihrer Mitglieder angewiesen<br />

ist, kamen Zuwendungen, aber auch außerhalb der Gemeinde fanden sich zahlreiche<br />

Spender, die zunächst einmal für einen Grundstock für das Eigenkapital<br />

sorgten. Für den Bau des Kindergartens schließlich gab es dann Zuschüsse der<br />

Stadt <strong>Göttingen</strong>, des Landes Niedersachsen sowie des Diakonischen Werkes.<br />

Nach und nach wurden kritische und berechtigte Fragen in der Gemeinde laut, ob<br />

es denn wirklich eine diakonische Aufgabe der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> sei,<br />

einen Kindergarten zu bauen, statt das Geld für Mission einzusetzen. Das war auch<br />

einer der Gründe, warum man den Trägerverein gründete.<br />

Aber so ganz fern war die Zuwendung zu Kindern in verschiedenen Formen bei<br />

<strong>Baptisten</strong> eigentlich nie gewesen. Johann Gerhard Oncken (1800 -1884), der 1834<br />

in Hamburg die erste deutsche <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> gründete, hatte schon 1825<br />

zusammen mit Johann Wilhelm Rautenberg (1791-1865) in der evangelischen St.-<br />

Georg-Gemeinde eine Sonntagsschule gegründet, die eine wirkliche Schule war.<br />

Kinder aus ärmeren Familien, die in der Woche arbeiten mußten, bekamen hier<br />

Unterricht im Lesen, Schreiben und Rechnen. Neben einer kleinen Fibel waren<br />

Luthers Kleiner Katechismus und die Bibel die einzigen Schulbücher.<br />

Am 30. Mai 1964 feierte der Kindergarten Okerweg 32 mit Vertretern der Stadt<br />

<strong>Göttingen</strong>, der Gemeinde und des Trägervereins die Einweihung. Der erste<br />

Kindergarten in dem Neubaugebiet begann gleich mit zwei Gruppen, am 1. April<br />

1965 wurde gar eine dritte Gruppe eröffnet. Und es war ein "ganz normaler'<br />

Kindergarten, wenn auch die Mitarbeiterinnen zum Teil überzeugte Christen waren.<br />

Doch "nebenbei" nutzte die Gemeinde die Räume auch für andere Gruppenarbeit.<br />

So gab es bis zum Sommer 1967 dort eine Wochenkinderstunde für Drei- bis<br />

Achtjährige. Anschließend fand sich hier eine Jungenjungschargruppe zusammen,<br />

die dann vorübergehend in die Bürgerstraße verlegt wurde, aber bis 1974 im<br />

Okerweg großen Zuspruch fand. Bis zu 50 Jungen im Alter von 9 bis 16 <strong>Jahre</strong>n<br />

trafen sich hier (in zwei Gruppen) an jedem Samstag.<br />

Doch wie das in einem Neubaugebiet oft ist, wuchsen die Kinder der jungen<br />

Familien in diesem Wohnviertel bald aus dem Kindergartenalter heraus. Die Zahl<br />

der Kinder nahm immer mehr ab. Zuletzt wurden nur noch acht Kinder hier betreut.<br />

Knapp 15 <strong>Jahre</strong> nach der Eröffnung schloß der Kindergarten Okerweg 32 Ende Juli<br />

1979.<br />

Zunächst mietete die Stadt <strong>Göttingen</strong> die Räume, um hier eine offene Jugendarbeit<br />

zu gründen. Diese wurde mit Beginn des <strong>Jahre</strong>s 1982 ins neu eingerichtete<br />

Spielhaus Leineberg verlegt.<br />

Seitdem ist das Haus Okerweg 32 ein kleines Studentenwohnheim mit vier Plätzen.<br />

Doch der Kindergarten im Okerweg war eigentlich nur der Anfang. Denn im Juli<br />

1971 weihte der Trägerverein einen zweiten Kindergarten in Geismar ein, der bis<br />

heute in Betrieb ist.


Mitte der 60er <strong>Jahre</strong> kam die erste Anfrage am Rande eines Treffens mit dem Leiter<br />

des Planungsamtes der Stadt, ob der Trägerverein in dem Neubaugebiet Geismar<br />

einen weiteren Kindergarten einrichten wolle. Ein Grundstück sei dafür<br />

ausgewiesen.<br />

Die Gemeinde griff diese Frage auf und diskutierte sie breiter. Ist ein Kindergarten<br />

für eine Kirchengemeinde nicht genug? Andererseits wohnten im Umkreis des<br />

Kindergartengrundstücks rund hundert <strong>Baptisten</strong>, so daß zu überlegen war, ob man<br />

nicht hier eine Zweiggemeinde gründeten und den Kindergartenbau mit dem Bau<br />

eines Versammlungssaales verbinden könnte.<br />

Die Sache mit der Zweiggemeinde verwarf der Gemeindevorstand, stellte aber<br />

Ende Mai 1967 das Geld für den Grundstückskauf für einen Kindergarten zur<br />

Verfügung, da die Gemeinde gerade einen größeren Geldbetrag geerbt hatte. Der<br />

Grundstückskauf wurde am 16. November 1967 besiegelt.<br />

Ein Vorentwurf für den Kindergarten zeigte, daß im Obergeschoß des Räume für<br />

die Gemeindearbeit vorgesehen waren, was die Bauverwaltung aber ablehnte. Der<br />

erste Spatenstich war im September 1970, das Richtfest bereits im November.<br />

Unerwartet gab es einige Probleme mit den Behörden, die für nötige Bescheinigungen<br />

jeweils die Zustimmung der anderen Behörden haben wollten. Schließlich<br />

gelang die Lösung des Problems über das niedersächsische Kultusministerium.<br />

Schon fünf Wochen vor der offiziellen Eröffnung am 1. Juli 1971 waren die ersten<br />

Kinder und Erzieher in das Gebäude eingezogen. <strong>Göttingen</strong>s Oberbürgermeister<br />

Walter Leßner übergab den Kindergarten seiner Bestimmung. Außer von der<br />

Kindern wurde das Gebäude für Spielnachmittage, Elternabende, Wochenkinderstunde,<br />

Mädchen- und Jungenjungschar und für einen Bibelgesprächskreis für<br />

Erwachsene genutzt.<br />

Der Kindergarten in der Schöneberger Straße heute


1977 wiederholte sich das Problem des Kindergartens Okerweg auch in Geismar in<br />

der Schöneberger Straße 5. Die Zahl der Kinder nahm stetig ab, so daß zunächst<br />

die dritte Gruppe geschlossen werden mußte. 1984 drohte gar das Ende einer<br />

weiteren Gruppe, weil keine Anmeldungen mehr vorlagen. In Krisengesprächen<br />

versuchte der Trägerverein, sich auf die neue Situation einzustellen. Unter anderem<br />

erweiterte der Verein in der Satzung sein Aufgabengebiet auf die Altenarbeit.<br />

Doch 1988 kam die Wende: die Zahl der Kinder stieg wieder, die Zukunft der<br />

zweiten Gruppe war gesichert, eine dritte Gruppe konnte sogar bald wieder<br />

eingerichtet werden.<br />

Die Jungscharen und Pfadfinder<br />

Eine etwa 1931/32 begonnene Jungschararbeit hatte nicht lange Bestand. Ab 1933<br />

bekam diese Arbeit durch die "Hitler-Jugend" Konkurrenz. Die Jungschar kam in<br />

politische Schwierigkeiten und wurde 1934 durch die nationalsozialistische<br />

Regierung verboten.<br />

Nach dem Krieg begann um das Jahr 1950 eine neue Arbeit. Einmal in der Woche<br />

trafen sich die 10- bis 14jährigen Jungen in der alten Kapelle (Bürgerstraße 13) zu<br />

Spiel, Sport und Bibelarbeit. Für viele Jungen ist hier das Fundament ihres späteren<br />

persönlichen Glaubens gelegt worden.<br />

Neben der Jungschargruppe gab es in den 50er <strong>Jahre</strong>n eine "Jungmannengruppe",<br />

später die Pfadfindergruppe, in der die 14 bis 18jährigen Jungen eine Heimat<br />

fanden. Diese Arbeit wurde Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> eingestellt. Als 1964 der neue<br />

Kindergarten auf dem Leineberg (siehe besonderen Abschnitt) eröffnet wurde,<br />

begann hier eine blühende Jungschararbeit. Etwa 50 Jungen trafen sich viele <strong>Jahre</strong><br />

lang wöchentlich in zwei Gruppen. Die gute Lage des Kindergartens am Rand der<br />

Stadt bot viele Möglichkeiten für Sport und Geländespiele. Die Gruppen bestanden<br />

überwiegend aus "gemeindefremden" Kindern. Als der Kindergarten Mitte 1979 auf<br />

dem Leineberg geschlossen wurde, trafen sich die Jungschargruppen wieder in der<br />

Bürgerstraße.<br />

Mit dem Umzug der Gemeinde in das neue Gemeindezentrum Bürgerstraße 14<br />

setzte man die Jungschararbeit in den neuen Räumen fort. Hier erhielten die<br />

Jungscharen einen eigenen Werkraum.<br />

Die Jungschararbeit erwies sich immer abhängig von der Bereitschaft entsprechend<br />

begabter Mitarbeiter. Durch die starke Fluktuation bei den jungen Erwachsenen in<br />

der Gemeinde (Studenten) gibt es auch heute noch einen häufigen Wechsel in der<br />

Leitung.<br />

Erstmals gab es in den neuen Räumen auch für Mädchen eine eigene Jungschargruppe.<br />

Heute treffen sich Jungen und Mädchen in einer gemischten Gruppe.<br />

Doch Jungschar gibt es nicht nur in der Bürgerstraße. Seit 1992 trifft sich eine<br />

weitere gemischte Gruppe im großen Saals des Kindergartens in der Schöneberger<br />

Straße 5 in Geismar. Hier wurde eine alte Tradition wieder aufgenommen, denn es


kommen dort überwiegend "gemeindefremde" Kinder zusammen. Insofern kann<br />

man von einer missionarischen Jungschararbeit sprechen.<br />

Gesungene Verkündigung<br />

Der Gemeindechor ist wie in vielen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n eine so "alltägliche"<br />

Erscheinung, daß man den enormen Einsatz der Sänger und Chorleiter oft<br />

überhaupt nicht einzuschätzen weiß. Vor allem die jahrelange Treue der<br />

Chormitglieder ist hervorzuheben, ebenso die Qualität des Gesanges, der Sonntag<br />

für Sonntag zu hören ist.<br />

Fast "schon immer" hat es einen Gemischten Chor in <strong>Göttingen</strong> gegeben. Die<br />

Anfänge liegen im Dunkeln. Eindeutig ist aber, daß gleich nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg der Chor der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> seine eigentliche Blüte hatte.<br />

Begeistert und spontan waren die Sänger dabei, auch wenn außer der Reihe<br />

Auftritte anstanden, etwa im Lager Friedland. Auch während der zahlreichen<br />

Zeltmissionseinsätze Ende der 40er und Anfang der 50er <strong>Jahre</strong> waren die Einsätze<br />

des Chores fest mit eingeplant.<br />

In dieser Zeit gab der Chor mehrfach Konzerte. Er schloß damit an eine Tradition<br />

der Chorkonzerte an, die es schon zu Beginn des Jahrhunderts gab. Denn da<br />

verband man die Musikveranstaltungen mit einem guten Zweck: der Chor spielte<br />

Geld für eine Pfeifenorgel ein (s. Abschnitt "Eine Second-handOrgel").<br />

<strong>Jahre</strong>lang gingen die Sänger gemeinsam jeden Monat ins Krankenhaus, um dort zu<br />

singen und Schriften zu verteilen. Bis heute singt der Chor, wenn auch nicht mehr<br />

in so kurzen Abständen, in verschiedenen Krankenhäusern.<br />

Die Choraufgabe, christliche Verkündigung zu singen, war immer auch ein<br />

Generationsproblem. Je länger die Sänger zusammenblieben, desto älter wurde der<br />

Chor im Durchschnitt, so daß kaum jüngere Mitglieder hinzukamen. Die jungen Leute<br />

hatten mehr Spaß an anderen, neuen Liedern. So gab es immer wieder auch (meist<br />

nur für einige <strong>Jahre</strong>) einen Jugendchor,<br />

Ein Jugendchor ging auf Tournee<br />

Jugendchöre gab und gibt es in der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> immer wieder.<br />

Dabei geht es, wie beim Gemeindechor, um die gesungene Verkündigung, aber auch<br />

um das gemeinsame Erleben. Das wurde in einer Zeit besonders deutlich, in der<br />

Michael Freitag den Jugendchor leitete (1980-85). Vizedirigent war Gernot Lorenz.<br />

Ostern 1980 war der 35 Mitglieder zählende Jugendchor durch Vermittlung des<br />

Stadtjugendringes in Polen, um den Jugendchor "Cantilena" in Posen zu besuchen.<br />

Posen, Warschau, Krakau, Auschwitz und Breslau waren die Stationen: Städte und<br />

Kirchengemeinden, die die jungen Leute kennenlernten und dort (außer in<br />

Auschwitz) auch Gottesdienste mitgestalteten oder Konzerte gaben. In Krakau<br />

sangen sie in einem Bergwerk. Im August des folgenden <strong>Jahre</strong>s fand der<br />

Gegenbesuch eines Jugendchores aus Breslau statt.


Später unternahm der Jugendchor eine weitere Reise nach Wien. Zuvor hatten sie<br />

auch in der Bundesrepublik in verschiedenen Orten Konzerte gegeben. Der "Erfolg"<br />

des Jugendchores in dieser Zusammensetzung war es, daß er sich auch als<br />

Jugendarbeit der Gemeinde verstand. Hier ging es nicht nur ums Singen, sondern<br />

auch um das Gruppenerlebnis, die Kommunikation, um das Gespräch um den<br />

Glauben und das Leben.<br />

Einen neuen Jugendchor baute Anfang 1989 Britta Welskopf auf. Beruflich war sie<br />

von Kassel nach <strong>Göttingen</strong> gekommen, weil sie im Grenzdurchgangslager<br />

arbeitete. Als der Zustrom der Aussiedler 1990/91 nachließ, deutete sich ihr<br />

Weggang an. Im Frühjahr 1991 zog sie fort, gerade als der Jugendchor so richtig in<br />

Schwung kam. Und wie meistens, war auch ihr Weggang zunächst wieder ein<br />

Bruch in der Jugendchorarbeit. Inzwischen haben sich erneut junge Sängerinnen<br />

und Sänger zusammengefunden.<br />

Der Jugendchor 1984 unter der Leitung von Michael Freitag<br />

Die Frauengruppe ist geistig rege<br />

Auch eine Frauengruppe gehört traditionell zu einer <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>. Vermutlich<br />

entwickelte sich der "Frauendienst" einmal aus der Erkenntnis, daß<br />

Frauen in einer Kirchengemeinde ebenso gut verantwortungsvolle Aufgaben<br />

übernehmen können wie die Männer, die in der Regel den Gemeindevorstand<br />

bildeten. So wird der Ursprung in der Suche nach einer frauenspezifischen<br />

Aufgabe gelegen haben.


Die Frauengruppe in <strong>Göttingen</strong> ist geprägt von der Kontinuität ihrer Leiterinnen.<br />

So leitete Charlotte Sprengel die Frauengruppe von 1959 bis 1977, also 18<br />

<strong>Jahre</strong>. Inzwischen ist ihre Nachfolgerin, Annemarie Meller, genauso lange<br />

dabei.<br />

Die Frauen treffen sich nicht nur zum jährlichen Weltgebetstag der Frauen mit<br />

anderen christlichen Frauengruppen, sie diskutieren soziale Fragen (vor Ort<br />

und weltweit), sprechen Krankenbesuche ab, laden zu bestimmten Themen<br />

Referenten ein. Und vor allem suchen sie das Gespräch um biblische Fragen.<br />

Ebenso kommen das gemütliche Kaffeetrinken und der gesellige Austausch bei<br />

den inzwischen älteren Schwestern nicht zu kurz.<br />

Als Senior längst noch nicht zu alt<br />

Als Hermann Woock im August 1983 als Pastor nach <strong>Göttingen</strong> kam, machte er<br />

gleich deutlich, daß er einen besonderen Schwerpunkt in seiner Gemeindearbeit<br />

bei den Senioren setzen wollte. Er hatte sich selbst intensiv mit der als<br />

modern geltenden Altersforschung auseinandergesetzt, die den älter werdenden<br />

Menschen ernst nehmen will, aus der Erkenntnis heraus, daß sich die<br />

Lebenserwartung bei uns immer mehr erhöht hat und Menschen, die in den<br />

Ruhestand gehen, noch nicht am Ende ihres Lebens sind, sondern ihren dritten<br />

Lebensabschnitt bewußt gestalten sollten.<br />

Das versuchte Hermann Woock in den folgenden <strong>Jahre</strong>n gemeinsam mit den<br />

Senioren umzusetzen. Da fuhr man zur Freizeit, organisierte Fahrten, lud sich<br />

Referenten zu bestimmten Themen ein, ebenso Autoren, die aus ihren Werken<br />

lasen und dann mit den Senioren ins Gespräch kamen. Ebenso berichteten<br />

Mitglieder der Gruppe, wenn sie eine Studienreise unternommen hatten, von<br />

ihren Erkenntnissen. Schließlich: auch seniorengerechte Gymnastik kam vor,<br />

damit die Glieder beweglich bleiben.<br />

Die Seniorenarbeit ist mit dem Fortzug Hermann Woocks nicht zu Ende gegangen.<br />

Sie besteht weiter fort.<br />

Mission auf vielen Gebieten<br />

Während der vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong> hat sich die Gemeinde immer wieder mit der<br />

neutestamentlichen Aufgabe der Mission beschäftigt. Die Formen der Mission<br />

wurden immer wieder in Frage gestellt, andere ausprobiert. Mission im eigenen<br />

Lande, in der eigenen Stadt auf der einen Seite, Außenmission, also Mission im<br />

Ausland, in nichtchristlichen Ländern auf der anderen Seite. Auch die Finanzierung<br />

der Missionare durch die Gemeinde oder einzelne Mitglieder wurde immer erneut<br />

diskutiert. Und die Missionare informierten nicht nur über ihre Arbeit, sie teilten auch<br />

etwa von dem Land, in dem sie waren, mit. Ebenso brachten sie neue Sichtweisen<br />

für die Form die Mission in die Diskussion ein. Um ein wenig davon nachvollziehen<br />

zu können, nimmt dieser Abschnitt einen etwas breiteren Raum ein.


Die "gemeindeeigene Missionarin"<br />

Am 8. Juni 1958 beschloß die Gemeinde auf Anregung von Pastor Gudjons hin, die<br />

in Brasilien tätige Missionarin Helga Braun als eigene Missionarin zu berufen und<br />

die Arbeit finanziell zu unterstützen. Sie war bereits ein Jahr in Nordbrasilien in der<br />

Nähe von Belém. Die Gemeinde finanzierte also die Arbeit einer jungen Frau, die<br />

sie persönlich nicht kannte. Doch Helga Braun versuchte den Kontakt zu<br />

verbessern, indem sie fast monatlich einen Brief an die Gemeinde schrieb, in dem<br />

sie über ihre Arbeit informierte. In Turiaçu war sie als Lehrerin tätig und übernahm<br />

im Rahmen der Arbeit der Missionsstation auch gottesdienstliche Aufgaben. Ihr<br />

eigentliches Ziel war es aber, "zu den Indianern zu gehen", um ihnen die christliche<br />

Botschaft zu bringen. Auch ihre Schwester Ilse war als Missionarin in Brasilien tätig.<br />

Anfang 1961 kam die Nachricht, daß die "gemeindeeigene Missionarin" nach<br />

vierjähriger Tätigkeit in Brasilien nach Deutschland kommen wird, um Heimaturlaub<br />

zu machen. Schon am 19. Februar (Pastor Herbert Gudjons war noch in <strong>Göttingen</strong>)<br />

ging die Gemeinde eine weitere Verpflichtung zur Unterstützung Helga Brauns 'bis<br />

zu ihrem zweiten Heimaturlaub" ein.<br />

Als die Missionarin Anfang November 1961 ankam, war ihr Gesundheitszustand<br />

angeschlagen, und sie mußte sich längere Zeit einer Behandlung in einem<br />

Tropenkrankenhaus unterziehen. Anfang 1963 ging sie an das Baptistische<br />

Seminar in Rüschlikon bei Zürich, um an einer siebenwöchigen Fortbildungsveranstaltung<br />

teilzunehmen. Dann begann eine Reisetätigkeit, bei der sie in<br />

Gemeinden aus ihrer Arbeit berichtete, um gleichzeitig auch viele Menschen zu<br />

gewinnen, die für sie und ihre Arbeit beteten.<br />

Am 15. September desselben <strong>Jahre</strong>s sandte die Gemeinde 'Ihre" Missionarin<br />

erneut aus. Mit dem Frachter "Rheinstein" fuhr sie am 24. September von Hamburg<br />

los und traf am 16. Oktober in Sao Luis (Brasilien) ein.<br />

Obwohl die Missionarin jetzt persönliche Kontakte in <strong>Göttingen</strong> hatte, fehlte doch<br />

das ständige Werben für ihre Arbeit durch Pastor Gudjons. Ihre Missionsbriefe<br />

wurden seltener mit dem Gemeindebrief verbreitet. Da schickte Helga Braun, ganz<br />

im Trend der Zeit, ihre Berichte per Tonband<br />

und Farbdias nach Deutschland. Die Gemeinde<br />

veranstaltete dann Missionsabende,<br />

an denen die kleine Medienschau gezeigt<br />

wurde.<br />

Im September erhielt die Gemeinde dann<br />

die Nachricht, daß ihre Missionarin auf<br />

Evangelisationsreise gehen wird, die sie in<br />

abgelegene Siedlungen und Urwalddörfer<br />

führen wird. Vermutlich auf diesen Reisen<br />

erkrankte die Missionarin (sowie eine<br />

Mitarbeiterin) erneut schwer und erholte sich<br />

dort nicht davon, so daß sich die Gemeinde<br />

aus Verantwortungsbewußtsein gezwungen<br />

sah, sie im Februar 1965 nach Deutschland<br />

zu holen. Sie kommt gleich ins Tropenkran­


kenhaus in Tübingen. Im Sommer stellt sich heraus, daß sie aus medizinischen<br />

Gründen nicht wieder in der Außenmission tätig sein kann.<br />

Die Göttinger Gemeinde bietet ihr an, zunächst für ein Jahr als hauptamtliche<br />

Mitarbeiterin hier zu arbeiten, bis sich für sie eine neue Perspektive eröffnet haben<br />

wird. Doch schon zum 31. Januar 1966 beendet Helga Braun ihr Arbeitsverhältnis<br />

von sich aus, um sich weiterzubilden, wie sie es begründet. Für sie war eine ganze<br />

Welt, ihr Lebensplan zusammengebrochen. Etwa ein gutes Jahr später nimmt die<br />

Gemeinde mit Bedauern zur Kenntnis, daß Helga Braun ihren Austritt erklärt hat.<br />

Diese Erfahrung brachte die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> jedoch nicht davon ab,<br />

auch in Zukunft Missionare auszusenden. Doch nahm man von der Form der<br />

"gemeindeeigenen" Missionarin Abstand und unterstützte solche, deren Arbeit von<br />

Missionsgesellschaften organisiert und koordiniert waren. Damit hatten auch die<br />

Missionare eine bessere soziale Absicherung.<br />

Afrika muß selbständig werden<br />

Bis die Gemeinde aber wieder bereit war, jemanden in der Außenmission finanziell<br />

zu unterstützen, dauerte es eine ganze Weile. Zwar richtete man im Mai 1969 einen<br />

Missions-Fonds ein, die inhaltliche Auseinandersetzung war aber noch nicht<br />

abgeschlossen. Die Wende kam Ende Juni 1969 am Allianz-Sonntag, zu dem der<br />

Generalsekretär der Europäischen Baptistischen Missionsgesellschaft (EBM),<br />

Pastor Helmut Grundmann, nach <strong>Göttingen</strong> gekommen war und das veränderte<br />

Missionsverständnis der EBM erläuterte: "Mission besteht heute in guter Kombination<br />

von Evangelisation und Diakonie - d.h. in medizinischer, wirtschaftlicher,<br />

technischer und pädagogischer Hilfeleistung kommt die Verkündigung zum Tragen.<br />

Missionare sind heute vielseitig ausgebildete Kräfte. Sie brauchen die beste<br />

Schulung, die möglich ist, und können dann auch wirkliche Hilfe bringen - in<br />

äußerer und innerer Hinsicht", berichtete Gemeindeleiter Karl-Heinz Haselbalg<br />

anschließend über die Informationsveranstaltung.<br />

Der Generalsekretär machte der Gemeinde anschließend in einem Brief einen<br />

Vorschlag: Sie sollte Bernd Neumann unterstützen, der gerade sein Theologiestudium<br />

abgeschossen hatte und sich eineinhalb <strong>Jahre</strong> in Paris auf einen Einsatz in<br />

Nordkamerun vorbereiten wollte (unter anderem Französisch lernen). Anschließend<br />

sollte er nach Maroua ausreisen, eine Missionsstation der <strong>Baptisten</strong> mit Lehrwerkstatt<br />

für angehende Kraftfahrzeugmechaniker. Am 7. Oktober beschloß die Gemeinde,<br />

diesen Vorschlag anzunehmen.<br />

Im Sommer 1971 reiste Bernd Neumann, der inzwischen die Amerikanerin Nancy<br />

Andersen geheiratet hatte, endlich nach Kamerun aus. Ein Jahr später erkrankte<br />

Nancy an einer schweren Lungenentzündung mit Verdacht auf TBC.<br />

Kurzentschlossen flogen beide zurück nach Deutschland. Hier war Nancy<br />

schlagartig gesund, weder von TBC noch von einer Lungenentzündung war mehr<br />

etwas festzustellen. Die Missionare, die gleich für eine Woche nach <strong>Göttingen</strong><br />

kamen, bezeugten eine wunderbare Heilung.<br />

Im Dezember reisten sie wieder nach Kamerun aus, jetzt nach Mokong in der Nähe<br />

von Maroua. Dort war inzwischen durch Fahrlässigkeit die neue Kapelle abge­


annt. Bernd Neumann hat die Aufgabe übernommen, die jungen kamerunischen<br />

Pastoren auszubilden. Darüberhinaus unterstützt er den Baptistischen Bund in<br />

Nordkamerun, finanziell unabhängig vom Ausland zu werden und auch organisatorisch<br />

die Arbeit in eigene Verantwortung zu übernehmen. Im Juni 1973<br />

erkranken beiden Neumanns. Nur ihrem inzwischen einjährigen Sohn Peter geht es<br />

gut. Vermutlich kamen sie dann zurück nach Europa, da die Berichte einfach<br />

abbrechen.<br />

Entwicklungshilfe in Tansania<br />

Im Juni 1973 reisten Eva-Maria und Dr. Berthold Mascher mit ihren Kindern<br />

Christian und Elisabeth nach Tansania aus, nachdem die Gemeinde sie am 27. Mai<br />

offiziell in einem Gottesdienst ausgesandt hatte. Als Deutschlehrerin und Arzt<br />

leisteten sie in Moshi Entwicklungshilfe im engeren Sinne. In einem Brief<br />

versuchten sie, die wirtschaftlichen Zusammenhänge<br />

deutlich zu machen: Nach<br />

schlechter Kaffee-Ernte und Dürre steigt die<br />

Inflationsrate schnell auf 40 Prozent. Die<br />

Löhne bleiben auf niedrigem Niveau, Armut<br />

macht sich breit, so daß die Kranken ihre<br />

Behandlung nicht mehr bezahlen können,<br />

nicht einmal das Fahrgeld für den preisgünstigen<br />

Bus zur staatlichen Gesundheitsstation<br />

haben. "Die meisten Menschen leben<br />

sehr bescheiden und kommen durch Ausbleiben<br />

des Regens oder durch andere Unglücke<br />

unmittelbar in Not... Eine wesentliche Hilfe<br />

sind die Gelder aus dem Ausland. Auf die<br />

Dauer wäre es aber besser, wenn die<br />

Industrieländer nicht nur gerechtere Rohstoffpreise<br />

zahlten, sondern vor allem helfen<br />

würden, daß Arbeitsplätze geschaffen werden und die Güter des täglichen Bedarfs<br />

im Lande produziert werden können", schrieb Berthold Mascher im September<br />

1974. Damit machte er in kurzen Sätzen grundsätzliche Probleme deutlich, ohne in<br />

Einzelheiten zu gehen, so daß jeder die Problematik verstehen kann. Ohnehin war<br />

es die Zeit, in der man nach neuen Modellen für die Entwicklungshilfe suchte.<br />

Im November 1975 hat sich die Lage in Tansania weiter zugespitzt, denn erneut ist<br />

der Regen ausgeblieben, die Ölkrise zeigt deutliche Folgen. Doch Maschers stellen<br />

in einem Rundbrief heraus, wie sich die Afrikaner auf diese Situation einstellen, wie<br />

sie Hilfsprojekte für die Armen im Lande selbst organisieren.<br />

Sehr interessiert sich die Gemeinde in dieser Zeit allerdings nicht für die<br />

Außenmission, weil sie vorrangig mit den Fragen des Neubaus und Kapellenrenovierung<br />

beschäftigt ist. Außerdem brennen Fragen nach der inneren Stuktur der<br />

Gemeinde <strong>Göttingen</strong> unter den Nägeln. In einer Gemeindestunde wird deutlich, daß<br />

sich Maschers einen besseren Briefkontakt zur Gemeinde in <strong>Göttingen</strong> wünschten.<br />

Doch weitere Berichte wurden nicht veröffentlicht, so daß anzunehmen ist, daß der<br />

Einsatz zu Ende ging.


Zu wenig Missionare in Kamerun<br />

Fünf <strong>Jahre</strong> lang hat die Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> ab 1975 den Franzosen Jean<br />

Pierre Dassonville und seine englische Frau Ann finanziell unterstützt, die mit<br />

ihrer damals dreijährigen Tochter in Maroua in Nordkamerun waren.<br />

Beide hatten sich auf dem theologischen Seminar in Rüschlikon (Schweiz)<br />

kennengelernt. Im Auftrag der Europäischen Baptistischen Mission (EBM) waren<br />

sie seit 1973 in Kamerun. Jean Pierre unterrichtete an der neuen kleinen<br />

Pastorenschule in Maroua, Ann unterwies die Frauen. Außerdem gab es<br />

beachtliche Jugendarbeit, die sie unterstützten.<br />

Wie die beiden Missionare in Rundbriefen mitteilten, wuchsen die <strong>Baptisten</strong>­<br />

Gemeinden in Nordkamerun schnell. Allein 1976 stieg die Zahl der getauften<br />

Mitglieder um 30 Prozent, ein Jahr später um 20 Prozent. 1977 wurden auch die<br />

ersten acht Pastoren aus Kamerun in den Gemeinden eingestellt.<br />

Trotzdem fehlte es der Missionsstation immer wieder an Mitarbeitern. Für die<br />

medizinische Betreuung konnte man sich nur noch auf das Notwendigste<br />

beschränken, 1980 mußte auch die theologische Schule geschlossen bleiben, so<br />

daß nur in Südkamerun noch die Pastorenausbildung gewährleistet war. In dieser<br />

Zeit konzentrierten sich Dassonvilles darauf, schriftliches Material für die<br />

Gemeinden zu erstellen. So arbeitete Ann an einem Handbuch für die Frauenarbeit<br />

mit, Jean Pierre gründete eine Gemeindezeitschrift für Nordkamerun.<br />

1980 gab es 16 evangelistische Pastoren im Distrikt Maroua im Norden Kameruns.<br />

Die Kirche in der Stadt, die rund 600 Menschen faßte, war fast immer voll besetzt,<br />

die kleinen Kirchen waren ebenfalls gut besucht. Trotzdem hatte es die christliche<br />

Minderheit in dem vor Moslems geprägten Gesellschaft nicht ganz einfach. So<br />

warteten die Gemeinden beispielsweise jahrelang auf eine Genehmigung, zerstörte<br />

Kirchen wieder aufbauen zu dürfen.<br />

Als Dassonvilles im Sommer 1980 ihren Einsatz in Kamerun beendeten und nach<br />

Frankreich zogen, endete auch die Unterstützung aus <strong>Göttingen</strong> für ihren Einsatz.<br />

"Mutter" für Missionarskinder<br />

Aus der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> kam Gisela Reisdorf. Sie besuchte zwei<br />

<strong>Jahre</strong> lang die Bibelschule in Wiedenest, bevor sie in den Missionseinsatz nach<br />

Tansania ging. Ihre Aufgabe war es, in einem Internat für Missionarskinder deren<br />

Erziehung zu übernehmen. Sie war sozusagen als Internatsleiterin "Mutter" für die<br />

Kinder verschiedener Missionare, die in Mbesa zur Schule gingen.<br />

Schon kurz nach ihrer Ausreise Ende Oktober 1979 meldete sie sich mit einem<br />

Brief, in dem sie sehr anschaulich und erfrischend über ihre Reiseerlebnisse<br />

berichtete. Vor allem mit der Sprache hatte sie so ihre Schwierigkeiten, zumal ihr<br />

Englisch auch nicht allzu gut war.<br />

Nach einer kurzen Sprachschulung der Grundbegriffe der Landessprache in<br />

Songea kam sie Ende Januar 1980 in Mbesa an. Und ohne Einarbeitungszeit


mußte sie loslegen. Zunächst hatte sie elf Kinder zu betreuen, später sieben. Bei<br />

ihren Rundbriefen machte sich doch bemerkbar, daß sie wußte, an wen sie in<br />

<strong>Göttingen</strong> schrieb. Sie kannte ihre Adressaten und die sie. So kam erstaunlich viel<br />

Persönliches in den Briefen herüber.<br />

Ende 1983 endet allerdings der offizielle Kontakt, nachdem die Missionarin am 6.<br />

November 1983 in einem Gottesdienst von ihrer Arbeit berichtet hatte. In den<br />

Gemeindebriefen wurde kein Brief mehrveröffentlicht. Vermutlich gab es aber<br />

weiterhin private Verbindungen. Nach ihrem Heimaturlaub reiste sie allerdings nicht<br />

wieder nach Tansania aus, sondern heiratete ganz überraschend und gründete hier<br />

eine Familie.<br />

In den 80er <strong>Jahre</strong>n in Kamerun<br />

Josephine und Reinhard Dorra waren mit ihren drei Kindern vom 1. April 1985 bis<br />

zum 10. Juni 1990 Missionare in Kamerun. Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong><br />

sandte sie aus. Träger des Einsatzes war die Europäische Baptistische Mission<br />

(EBM).<br />

Dieser Einsatz unterschied sich schon<br />

erheblich von dem „klassischen Missionars-<br />

Bild“. In Kamerun gab es einen selbständigen<br />

<strong>Baptisten</strong>bund, Dorras waren praktisch europäische<br />

Berater an einer Missionsstation mit<br />

Bibelschule, Krankenhaus und Schule in einem<br />

kleinen Dorf Nordkameruns, Ndiki. Der Kameruner<br />

<strong>Baptisten</strong>bund koordinierte die Arbeit der<br />

ausländischen Berater. Ein Jahr lang zuvor war<br />

der ordinierte <strong>Baptisten</strong>pastor Reinhard Dorra<br />

für den Einsatz der Familie in Afrika von der<br />

EBM vorbereitet worden. Unter anderem hatte<br />

er in der Nähe von Paris einen neunmonatigen<br />

FranzösischIntensivkursus absolviert.<br />

In Kamerun änderten sich die Aufgaben dann schnell. Sollte der Missionar<br />

eigentlich nur als Lehrer der Bibelschule die einheimischen Pastoren ausbilden,<br />

machte die Arbeit nach kurzer Zeit nur noch sechs Wochenstunden aus. Dafür war<br />

er mehr Verwalter der Missionsstation, Pastor einer Gemeinde in der Nähe und<br />

Leiter der Missionsschule. Josephine, gebürtig in Togo/Westafrika, war als<br />

Krankenschwester und in der Frauenarbeit berufstätig. Ihre schwarze Hautfarbe<br />

erleichterte ihr die Arbeit in manchen Situationen.<br />

Mitte 1990 kamen die Dorras wieder zurück nach Deutschland. Das hatte vor allem<br />

mit der Schulausbildung der Kinder zu tun. "Fünf <strong>Jahre</strong> Fernschule reicht", meinten<br />

die Eltern, zumal auch die jüngste Tochter eingeschult werden sollte.


Für Blinde in Afrika<br />

Um Blinden in Afrika eine Hoffnung für ihr Leben zu geben, waren Damaris und<br />

Bernhard Leemhuls viereinhalb <strong>Jahre</strong> in Diensten der Christoffel-BlindenMission<br />

(CBM). Von <strong>Göttingen</strong> sandte die Gemeinde sie in einem Gottesdienst am 26. Juni<br />

1988 als Missionare und Entwicklungshelfer aus. Bei ihnen wurde besonders<br />

deutlich, daß man Mission und Entwicklungshilfe längst nicht mehr trennen kann.<br />

Ihr Ziel war zunächst Ghana. Dort war es ihre Aufgabe, landwirtschaftliche Projekte<br />

für Blinde zu betreuen, die die CBM dort eingerichtet hatte. Begleitet war das<br />

Agrarprogramm von einem Gesundheitsprogramm für die Blinden. Denn viele von<br />

ihnen können durch eine Operation ihr Augenlicht wiedererhalten.<br />

Doch der Start war alles andere als gelungen. Die Partnerorganisation hatte<br />

inzwischen entgegen der Absprache einen einheimischen Direktor eingesetzt, der<br />

mit den Weißen aus Europa nicht zusammenarbeiten wollte, nicht zuletzt auch<br />

deshalb, weil er den Helfern aus Europa von der Qualifikation her nicht gewachsen<br />

war. Deshalb bereisten die beiden Göttinger im Auftrag der Mission einige Projekte<br />

in Togo, Burkina Faso, Sierra Leone, um sie kennenzulernen. Nach einem<br />

schwierigen halben Jahr ging es nach einer Versetzung richtig an die Arbeit.<br />

Ein Projekt in Lusambo in Zaire sollte nun ihr Aufgabenschwerpunkt sein. Während<br />

Bernhard Leemhuis als Agrar-Ingenieur den Ackerbau durch Blinde aufbauen sollte<br />

und die afrikanischen Blindenberater beriet, war Damaris als Krankenschwester in<br />

der Gesundheitsvorsorge tätig. Sie beriet die Menschen nach zwei <strong>Jahre</strong>n ihres<br />

Einsatzes dort auch dahingehend, wie man Blindheit (in Afrika oft<br />

Mangelerkrankung) vermeiden kann. Außerdem<br />

war sie am Ivermectin-Verteilprogramm<br />

der WHO beteiligt, die Verteilung eines neuen<br />

Medikamentes gegen Flußblindheit. Man<br />

wollte durch dieses Programm die Krankheit<br />

in ganz Afrika ausrotten.<br />

Ende 1991 mußten die beiden Missionare aus<br />

<strong>Göttingen</strong> Zaire wegen des Ausbruchs eines<br />

Bürgerkrieges verlassen. Mit dem Krieg war<br />

auch das gesamte aufgebaute Projekt in<br />

Frage gestellt. Beide waren nun für drei<br />

Monate in der Zentralafrikanischen Republik<br />

in der Nähe der Hauptstadt Bangui für CBM<br />

tätig. Hier ging es um die Erweiterung eines<br />

Gartenbauprojektes, um Kleintierzucht und<br />

Landwirtschaft. Die zeitliche Begrenzung<br />

sollte gewährleisten, daß die Afrikaner nicht von der deutschen Entwicklungshilfe<br />

abhängig wurden, sondern selbständig weiterarbeiteten. Von April bis Ende 1992<br />

war Bernhard Leemhuis im Zentralbüro der CBM in Bensheim tätig, weil hier<br />

dringend Mitarbeiter gebraucht wurden. Dann lief der Vertrag aus, beide zogen<br />

wieder nach <strong>Göttingen</strong>.


Als Christen in Südostasien leben<br />

Mission kann auch ganz einfach heißen: bewußt als Christen unter Menschen<br />

anderer Religionen zu leben. Das praktizieren zur Zeit Jasna und Branislav<br />

Beocanin, die ebenfalls von der Göttinger Gemeinde ausgesandt wurden. Als<br />

jugoslawische Studenten in <strong>Göttingen</strong> lernten sie die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> kennen<br />

und fanden zum Glauben an Jesus Christus. Nach ihrer Heirat gingen beide 1986<br />

nach England, um dort drei <strong>Jahre</strong> lang an einer Bibelschule zu studieren und sich<br />

so auf die hauptamtliche Verkündigung vorzubereiten. Schon im Sommer 1987<br />

interessierten sie sich so für Indien, daß sie dorthin fuhren, um vor allem in Bombay<br />

und Madras Land und Leute, das Denken der Menschen und die Arbeit der<br />

Christen dort kennenzulernen. Anschließend studierten sie in England weiter.<br />

Anfang 1990 hatte ihre Bewerbung bei der Deutschen Missionsgesellschaft (DMG)<br />

Erfolg, ebenso die Bewerbung um einen Studienplatz in Indien. Mission im<br />

eigentlichen Sinne ist dort verboten. So blieb der jungen Familie nur die<br />

Möglichkeit, im Alltag ihren Glauben zu leben und mit Nachbarn und Freunden ins<br />

Gespräch zu kommen.<br />

Intensive Kontakte zu den Nachbarn bekamen sie Weihnachten 1990, als die<br />

Bewohner ringsum etwas mehr über Weihnachtsgebräuche erfahren wollten und<br />

Beocanins besuchten. Später kamen über die Kinder und die Haushaltshilfe weitere<br />

Kontakte zu jungen Familien hinzu. In einer christlichen Gemeinde in Hindi<br />

arbeiteten beide ehrenamtlich (Sonntagsschule/Predigtgottesdienst) mit. 1993<br />

waren alle vier wieder für ein halbes Jahr in Deutschland. Gesundheitlich<br />

angeschlagen, war für Jasna ein Kur dringend nötig. Am 10. Oktober berichteten<br />

Beocanins über "ihren" Alltag in der Gemeinde. Im November sandte die Gemeinde<br />

sie wieder aus.<br />

Missionare für Studenten<br />

Missionare ganz anderer Art waren Bernd Klose, Wilhelm Fingerhut und Christa<br />

Olschewski, die das Evangelium ganz gezielt unter Studenten verkündeten, auch<br />

an den Hochschulen. Bernd Klose begann seine Arbeit mit der Studentenbewegung<br />

"Campus für Christus" Ende 1973 an der Freien Universität Berlin. Die Gemeinde<br />

<strong>Göttingen</strong> verpflichtete sich zunächst nicht, die Arbeit finanziell zu unterstützen, rief<br />

aber innerhalb der Mitglieder zu zweckgebundenen Spenden auf. Erst ab 1975<br />

erhielt der Studentenmissionar pro Monat 500 Mark. Die erste Kollekte im Monat<br />

war für ihn bestimmt.<br />

Immer wenn Bernd Klose in <strong>Göttingen</strong> war, bekam er die Gelegenheit, im<br />

Gottesdienst über seine Arbeit zu berichten. Kontakt hielt er auch ständig zu einem<br />

Freundeskreis in <strong>Göttingen</strong> und einer Studentengruppe, die hier an der Uni nach<br />

dem Modell von "Campus für Christus" tätig war. Als er für "Campus" 1980 immer<br />

mehr im Ausland war, um internationale Kontakte der Studentengruppen zu<br />

pflegen, lief die Förderung aus.<br />

Es schloß sich die Unterstützung für Wilhelm Fingerhut an, die fast zehn <strong>Jahre</strong><br />

andauerte. Er hatte während seines Studiums in <strong>Göttingen</strong> Kontakt zu "Campus"<br />

bekommen. Seit Oktober war er in der Campus-Zentrale in Gießen tätig, auch er


erichtete von seiner Arbeit im Gottesdienst, wenn er in <strong>Göttingen</strong> war. Im Herbst<br />

1989 zog Wilhelm Fingerhut wieder nach <strong>Göttingen</strong>, um die hiesige<br />

"Campus"-Gruppe als hauptamtlicher Mitarbeiter zu leiten. Er setzte sich zum Ziel,<br />

studentische Mitarbeiter auszubilden. Allerdings blieb der ehemals gute Kontakt zur<br />

Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> nicht erhalten, sondern löste sich mit der Zeit.<br />

1981 zog Christa Olschewski nah Erlangen, um in der "Campus"-Gruppe<br />

hauptamtlich mitzuarbeiten und das Evangelium unter Studenten zu verkündigen.<br />

Unter ihrer Mitarbeit entstanden weitere Gruppen in Nürnberg und Bamberg. Im<br />

Oktober 1983 zog Christa Olschewski nach Tübingen. Ihre nächste Station nach<br />

der deutschen Einheit war Leipzig, wo sie heute unter Studenten missioniert. Nach<br />

wie vor unterstützen sie einige Gemeindemitglieder aus <strong>Göttingen</strong> finanziell.<br />

Pläne für ein neues Gemeindezentrum<br />

Auffällige Parallelen gab es bei den Plänen für ein neues Gemeindezentrum und<br />

dessen Verwirklichung mit denen der Kapelle Bürgerstraße 13. Wie bei der ersten<br />

eigenen Kapelle sehen noch heute viele Gemeindemitglieder den Weg, der zum<br />

Gemeindezentrum führte, als Führung Gottes an.<br />

Anfang der 60er <strong>Jahre</strong> änderte sich die Gemeindearbeit. Es entstanden immer<br />

mehr Gemeindegruppen, die selbständig waren und eigene Räume für sich<br />

brauchten. Neben den "klassischen Gruppen" wie Sonntagsschule, Jungschar,<br />

Jugendgruppe, Frauengruppe und Chor entstanden neue. Ein Kreis junger Mütter,<br />

ein Kreis junger Erwachsener, Hauskreise: das waren nur die Anfänge.<br />

Die erste Lösung des neu entstanden<br />

Platzbedürfnisses zeigte<br />

sich zunächst, als Pastor Arnim<br />

Riemenschneider mit seiner Familie<br />

aus der Wohnung direkt an der<br />

Kapelle auszog. Nun standen die<br />

Zimmer der Wohnung als Gruppenräume<br />

zur Verfügung. Eine bedarfsgerechte<br />

Küche gab es allerdings<br />

weiterhin nicht.<br />

Das zweite Problem ließ sich nicht<br />

so schnell lösen: die Sanitärräume.<br />

Sie waren nicht mehr zeitgemäß.<br />

So gründete die Gemeinde einen<br />

Bau- und Finanzausschuß, der<br />

Lösungen mit langfristigen Perspektiven<br />

suchen sollte.<br />

Der Ausschuß erarbeitete drei Alternativen:<br />

die kleine Sanierung, die<br />

die Sanitärräume in den Keller<br />

verlegte, die mittlere Lösung, die<br />

Die Zionskapelle entsprach längst nicht<br />

mehr den Anforderungen, die man an<br />

ein Gemeindezentrum stellte.


einen Umbau in den Grenzen des jetzigen Gebäudes vorsah, und die große<br />

Lösung, die sich an die Grenzen des Grundstückes hielt, aber eine totale<br />

Veränderung des Gebäudes bedeutete. So sollte beispielsweise in den relativ<br />

hohen Gottesdienstraum eine Decke eingezogen werden, damit auf einer<br />

zusätzlichen Etage weitere Gruppenräume entstehen könnten. Dieser von einem<br />

Architekten erarbeitete Entwurf hätte bei einer Realisierung 1975 zwei Millionen<br />

Mark verschlungen.<br />

"Dann können wir das Geld doch lieber in einen Neubau investieren", argumentierten<br />

zahlreiche Gemeindemitglieder. Eine Baugenehmigung erschien zudem<br />

als nicht realistisch.<br />

Aus "Vernunftgründen" verschob die Gemeinde die Entscheidung. Der Ausschuß<br />

erhielt den Auftrag, nach einem geeigneten Grundstück zu suchen. Und in Weende<br />

Nord gab es schon bald in einem Neubaugebiet ein Angebot. Hier zogen junge<br />

Familien her, hier hätte die Gemeinde eine neue Aufgabe finden können. Selbst an<br />

ein kleines Studentenwohnheim in Weende mit acht Plätzen dachte man 1975<br />

ernsthaft nach, hatte sogar schon fertige Pläne.<br />

Doch sollte man die zentrale Lage an der Bürgerstraße aufgeben? Die Mehrheit der<br />

Gemeinde war dafür, im Zentrum zu bleiben. Alles Nachdenken begann wieder von<br />

vorne. Ein altes und geachtetes Gemeindemitglied sprach sogar von einer Vision,<br />

daß auf der gegenüberliegenden Straßenseite eine neue Kapelle entstehen würde.<br />

Das erschien mehr als unwahrscheinlich: Die Stadt <strong>Göttingen</strong> mit ihrer Parkplatznot<br />

sollte einen Parkplatz mit 70 Einstellplätzen für ein Gemeindezentrum opfern?<br />

Sogar der Bebauungsplan mußte dafür geändert werden, eine Grünfläche<br />

verschwinden. Doch plötzlich gab es ein Angebot der Stadt: Tausch Grundstück<br />

Bürgerstraße 13 mit Gebäude gegen Bürgerstraße 12 und 14, einschließlich des<br />

Bergmannschen Hauses auf der anderen Straßenseite. Außerdem hatte die<br />

Gemeinde einen finanziellen Ausgleich zu zahlen. Das war's; in großer Einmütigkeit<br />

beschloß die Gemeindeversammlung, mit der Stadt <strong>Göttingen</strong> in diesem Sinne<br />

weiterzuverhandeln. Und erstaunlicherweise gab es gegen die Änderung des<br />

Bebauungsplanes keinen nachhaltigen Einspruch von den Anliegern, die doch alle<br />

hier parkten. Im März 1980 wurde der Tauschvertrag unterschrieben. Viele<br />

sprachen in der Gemeinde von einer Gebetserhörung.<br />

Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> wußte auch, daß sie sich mit dem Tauschvertrag auf ein<br />

Wagnis eingelassen hatte. Denn das Gebäude Bürgerstraße 12, das rote<br />

"Bergmannsche Haus", war heruntergekommen und stand unter Denkmalschutz.<br />

1835 hatte es sich Professor Christian Bergmann als Sommerresidenz außerhalb<br />

des Walls bauen lassen. 1872 wurde es sein Dauerwohnsitz, nachdem er es hatte<br />

erweitern und weiter ausbauen lassen. Nun lebten hier von der Stadt <strong>Göttingen</strong><br />

einquartierte Obdachlose. Neben dem Neubau ein altes großes Haus zu<br />

renovieren, war für die Gemeinde finanziell überhaupt nicht verantwortbar.


Also blieb dieses Problem zunächst liegen. Ein neues Gemeindezentrum auf dem<br />

Parkplatz sollte zunächst entstehen, wobei man die alten Bäume erhalten wollte.<br />

Als die ersten Pläne vorlagen, ging es dann relativ schnell. Einige kleinere<br />

Änderungen beschloß die Gemeinde an den Plänen für den sechseckigen<br />

Gottesdienstraum, die zehn Gruppenräume sowie eine Wohnung für den<br />

Hausmeister. Eine entscheidende Frage war beispielsweise, ob man eine Empore<br />

einbauen wollte mit rund 80 Sitzplätzen. Die Gemeindeversammlung war dafür.<br />

Obwohl der Bebauungsplan<br />

geändert werden mußte, erhielt<br />

die Gemeinde am 10. September<br />

1982 die Baugenehmigung,<br />

feierte am 23. Oktober desselben<br />

<strong>Jahre</strong>s die Grundsteinlegung,<br />

am 10. Juni 1983 das<br />

Richtfest und am 2. Dezember<br />

1984 die Einweihung.<br />

Bis dahin hatten sich viele<br />

Gemeindemitglieder an den Bauarbeiten<br />

beteiligt. Die geplanten<br />

Baukosten von 3,5 Millionen<br />

Mark (für 350 Mitglieder) würde<br />

man senken können, wenn man<br />

einen Teil des Gebäudes in<br />

Eigenleistung erstellte, das war<br />

vielen klar. Und so war für eine<br />

ganze Reihe von Mitgliedern für Grundsteinlegung am 23. Oktober 1982<br />

zwei <strong>Jahre</strong> der Sonnabend<br />

wegen Bauarbeiten verplant. Am Ende kam man dann auf eine Bausumme von<br />

2,75 Millionen Mark.<br />

Während des Baues des Gemeindezentrums vollzog sich auch ein Pastorenwechsel<br />

in der Göttinger <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>: Bei der Grundsteinlegung war Hans-<br />

Hermann Firus hier Gemeindepastor, zum Richtfest am 10. Juni kam bereits sein<br />

Nachfolger Hermann Woock als Gast aus Berlin, und bei der Einweihung war er<br />

schon im Amt. In diesem Zusammenhang darf man nicht vergessen, daß der<br />

"Studentenverein", zu dem vorwiegend Gemeindemitglieder gehören, auf dem<br />

gleichen Gelände zeitgleich ein Studentenwohnheim errichtete (siehe<br />

Studentenarbeit).


Das "rote Haus" nebenan machte Sorgen<br />

Das Bergmannsche Haus, Bürgerstraße 12, wegen seiner auffälligen bonbonroten<br />

Farbe meist als "rotes Haus" bezeichnet, ließ die Gemeinde aber nicht lange ruhen.<br />

Konnte man als Kirche sozialverträglich Obdachlosen den Wohnraum kündigen?<br />

Eine heikle Frage. Was war überhaupt noch mit diesem Gebäude anzufangen?<br />

Man hatte ein schweres Erbe übernommen, zumal das Gebäude auch noch unter<br />

Denkmalschutz stand. Als es dann einen Brand gab, anschließend einen Wasserschaden,<br />

schließlich eine Hausbesetzung mit negativen Schlagzeilen in der<br />

Presse, da schien die Last doch zu schwer zu werden. Und es war unvermittelt ein<br />

Zeitdruck entstanden, der zum Handeln zwang, nicht nur wegen des zunehmenden<br />

Verfalls des Hauses.<br />

Ein Blick aus der Baugrube auf das übernommene<br />

"rote Haus" nebenan, das so<br />

langsam verfiel. Aber es gab kein Geld zum<br />

Renovieren. Es dauerte ein paar <strong>Jahre</strong>, bis<br />

sich eine Lösung des Problems abzeichnete<br />

Wie durch ein Wunder lösten<br />

sich die Probleme dann nach<br />

und nach. Zunächst zogen<br />

die Mieter einer nach dem<br />

anderen aus, so daß man in<br />

die Räume konnte. Die Gemeinde<br />

stellte für eine umfassende<br />

Sanierung des Gebäudes<br />

am 19. August 1986<br />

einen Bauantrag. Zu der Zeit<br />

standen nur 82 000 Mark als<br />

Versicherungsleistungen<br />

wegen der Schäden und eine<br />

Einzelspende von rund<br />

30 000 Mark zur Verfügung.<br />

Die Stadt <strong>Göttingen</strong> bewilligte<br />

einen Zuschuß von 13 000<br />

Mark. Das würde aber nie<br />

reichen, denn mit rund<br />

700 000 Mark Sanierungskosten<br />

mußte man schon<br />

rechnen, einige schätzten gar<br />

das Doppelte. Die Baugenehmigung<br />

kam Anfang<br />

1987, doch die Finanzierung<br />

stand noch immer nicht. In der großen Ratlosigkeit und auch, um eine konkrete<br />

Stellungnahme der Behörden zu erhalten, stellte die Gemeinde im Dezember 1987<br />

einen Abrißantrag.<br />

Dann schaltete sich überraschend die Denkmalpflege ein. Nach vielen Verhandlungen<br />

bat das Institut für Denkmalpflege Hannover als Obere Denkmalschutzbehörde<br />

die Gemeinde, einen Antrag auf einen verlorenen (nicht rückzahlbaren)<br />

Zuschuß für die Sanierungsmaßnahme zu stellen. Wie ein Geschenk<br />

des Himmels traf der Bewilligungsbescheid von 247 000 Mark ein.<br />

Damit stand neben einem noch aufzunehmenden Kredit die Finanzierung für den<br />

Erhaltungsumbau.


Das Gemeindezentrum von der Bürgerstraße aus gesehen. Trotz<br />

eigenwilliger Architektur ist zu erkennen, daß es sich hier um eine Kirche<br />

handelt.<br />

Bei den Sanierungsarbeiten stellte sich dann bald heraus, daß das Fundament auf<br />

der Westseite in einem sehr problematischen Zustand war. Hier waren nur<br />

Feldsteine lose aufeinandergelegt worden. Um den Fundamenten festen Halt zu<br />

geben, legten Gemeindemitglieder das Haus rundum frei. An der Westseite baute<br />

man eine Stahlbetonmauer. Auf den anderen Seiten hatte man offensichtlich schon<br />

früher für den nötigen Halt gesorgt. Gemeindemitglieder trugen durch Eigenleistungen<br />

zur Kostensenkung bei.<br />

Schließlich war der flache Gewölbekeller eine Herausforderung. Er schien sich ideal<br />

für einen Jugendraum zu eignen, wenn er nur nicht so flach wäre. Also hob man<br />

den Boden um 60 Zentimeter aus, um ihn für die Gruppenarbeit nutzen zu können.<br />

Am 24. August 1990 war das "rote Haus", das im Rahmen der Sanierungsarbeiten<br />

einen neuen Anstrich in einem Gelbton erhielt, fertig. Das Ockergelb wird vermutlich<br />

auch der Architekt und Baumeister Georg Ludwig Friedrich Lawes (1789-1864), der<br />

unter anderem auch das Leineschloß, das Opernhaus und das Residenzschloß<br />

Herrenhausen baute, für die Bergmannsche Villa verwandt haben. In dem sanierten<br />

Gebäude, das als Gemeindehaus dient, befinden sich zur Zeit drei Wohnungen. Die<br />

untere ist Pastorenwohnung. Den Gewölbekeller weihte allerdings nicht eine<br />

Gemeindegruppe ein, sondern ein internationales Forscherteam, das sich dem<br />

Leben und Wirken Rudolf von Jherings (1818-1892) widmet. Der Rechtsgelehrte<br />

Rudolf von Jhering hatte die letzten zwanzig <strong>Jahre</strong> seines Lebens in diesem Haus<br />

gewohnt.


Die Sanierungsarbeiten an dem Haus veränderten die öffentliche Meinung total.<br />

War der Zerfall des Gebäudes zunächst kritisch beobachtet worden, kam nun Lob<br />

von allen Seiten: Wohnraum und den historischen Charakter des Gebäudes hatte<br />

man erhalten und war trotzdem den modernen Anforderungen (z.B. wärmeisolierende<br />

Sprossen-Fenster aus Holz) gerecht geworden. Das „Göttinger<br />

Tageblatt" sprach gar von einem "Paradebeispiel für eine gelungene Sanierung<br />

nach Denkmalschutz-Kriterien". Finanziell trägt sich das Haus durch Mieteinnahmen<br />

selbst, so daß die Gemeindekasse nicht dadurch belastet wird und man<br />

etwa die Gemeindearbeit einschränken müßte. Im Gegenteil hat es sich als positiv<br />

herausgestellt, daß wieder einer der Gemeindepastoren am Gemeindezentrum<br />

wohnt.<br />

Die Bergmannsche Villa nach der Sanierung<br />

Die neue Orgel ist ausbaufähig<br />

Mit dem neuen Gemeindezentrum hatte die Gemeinde auch gleich an eine neue<br />

Orgel gedacht. Schließlich ist in ihren Reihen ein Orgelbaumeister, Rudolf Janke,<br />

bei dem auch ein weiteres Gemeindemitglied beschäftigt ist. Und damit schied auch<br />

die Diskussion von vornherein aus, die in den 70er <strong>Jahre</strong>n ganz sicher<br />

aufgekommen wäre, ob man eine moderne Elektronik-Orgel oder eine traditionelle<br />

Pfeifen-Orgel haben wollte. Aber solch ein handgearbeitetes Instrument ist eben<br />

nicht ganz billig.


Ein Jahr lang behalf sich die Gemeinde mit einer kleinen Leihorgel. Anfang 1985<br />

begannen die Arbeiten an dem neuen Instrument in Jankes Orgelbauwerkstatt in<br />

Bovenden. Schon bei der Planung der Kirche war der Standort bedacht worden. So<br />

befindet sich ein Teil des Instrumentes hinter einer durchbrochenen Holzwand: die<br />

drei Pedalregister, die Windlade, der Keilbalg und das Gebläse.<br />

Die Hauptorgel steht vor einer weißen Holzwand, die Pfeifen des Pedals sind dahinter<br />

verborgen, das aus massivem Eichenholz gefertigte Hauptgehäuse ist in drei<br />

Türme und zwei Zwischenfelder gegliedert. Über den Prospektpfeifen ist ein<br />

speziell entworfenes, handgeschnitztes<br />

Zierwerk angebracht.<br />

Zwar sah die neue Orgel ein<br />

Jahr nach dem Einzug der<br />

Gemeinde in die neue Kirche<br />

am dritten Adventssonntag<br />

1985 zur Einweihung vollständig<br />

aus, doch aus Kostengründen<br />

hatte die Gemeinde<br />

entschieden, daß sie zwar<br />

groß ausgelegt, aber noch<br />

nicht vollständig ausgebaut<br />

werden sollte. So plante man<br />

gleich 14 Register, sie sich auf<br />

zwei Manuale und Pedal<br />

verteilten. Doch in dem Gehäuse<br />

steckten zunächst nur<br />

neun Register. Auch das<br />

zweite Manual war nicht<br />

vorhanden, das Brustwerk<br />

leer.<br />

Zum <strong>100</strong>jährigen Gemeindejubiläum<br />

ist die zweite<br />

Ausbaustufe der Orgel vorgesehen.<br />

Da soll die Orgel in<br />

ihrer ganzen Fülle erklingen.<br />

Sie hat übrigens eine<br />

"ungleich schwebende Stimmung",<br />

nach dem Vorbild der<br />

Stimmungen des 18. Jahrhunderts.<br />

Die neue Orgel kurz vor der Einweihung<br />

Die Ausländer nicht ausschließen<br />

Seit den 80er <strong>Jahre</strong>n gibt es in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> einen besonderen<br />

Arbeitszweig, der sich mit den Ausländern in der Stadt beschäftigt. So fanden<br />

Studenten der SMD in der Gemeinde ein Zuhause, weil sie merkten, daß sie ihr


willkommen waren und daß es Menschen gab, die versuchten, trotz der<br />

Sprachschwierigkeiten mit ihnen ins Gespräch zu kommen.<br />

Es war Pastor Hermann Woock, der sich für die Erweiterung der Tontechnik im<br />

neuen Gemeindezentrum einsetzte, die eine Simultanübersetzung während des<br />

Gottesdienstes möglich machte. Und Fred-Roderich Pohl, der auch beruflich viel<br />

Englisch spricht, erklärte sich bereit, die Übersetzung ins Englische jeden Sonntag<br />

zu übernehmen. Er hat zwei Helfer, die einspringen, wenn er verhindert ist. Wie<br />

stark dieser Service angenommen wird, ist sehr unterschiedlich. Aber im<br />

Durchschnitt sind es 15 Gottesdienstbesucher, die sich den entsprechenden<br />

Kopfhörer ausleihen, um die Veranstaltung in Englisch zu verfolgen.<br />

Daneben gibt es einen internationalen Hauskreis. Es begann vor etwa zehn <strong>Jahre</strong>n,<br />

als Kala und Bala BalaKrishna aus Sri Lanka vorwiegend unter Tamilen im Raum<br />

<strong>Göttingen</strong> das Evangelium verkündigten und Interessenten zu sich nach Hause<br />

einluden. Das Interesse war sehr groß, der Kreis wurde im Laufe der <strong>Jahre</strong> immer<br />

internationaler und immer größer. Oft drängten sich 30 Menschen aus allen Teilen<br />

der Erde in einem Wohnzimmer. Umgangssprache ist auch hier Englisch.<br />

Außerdem gibt es einen internationalen Bibelkursus in Englisch und einen weiteren<br />

internationalen Kreis, der sich samstags trifft.<br />

Fred-Roderich Pohl in dem kleinen Tonstudio hinter dem Gottesdienstraum<br />

mit Blickkontakt zur Versammlung<br />

Keine Scheu vor der Öffentlichkeit<br />

Von Anfang an hat die Gemeinde die Öffentlichkeit nicht gescheut. Doch war die<br />

Öffentlichkeitsarbeit sehr unterschiedlich. Es beginnt bei den Gottesdienstankündigungen<br />

in der Zeitung, geht über die Einladung durch Handzettel zu<br />

besonderen Veranstaltungen bis hin zu den umfangreichen Zeitungsberichten zur


Einweihung des Gemeindezentrum vor zehn <strong>Jahre</strong>n und der Frage nach der<br />

Zukunft des "roten Hauses". Außerdem beschäftigte die Fraktionen im Rat lange<br />

die Frage, was aus der alten <strong>Baptisten</strong>kirche (Bürgerstraße 13) werden solle.<br />

Schon am 5. Juli 1894 lud die Gemeinde mit einer Anzeige im "Allgemeinen Anzeiger<br />

aus Stadt und Land" in <strong>Göttingen</strong> "zur Eröffnung des VersammlungsLocales der<br />

Gemeinde gläubig getaufter Christen (<strong>Baptisten</strong>), Gartenstr. 13" ein. Am 12.<br />

November 1902 meldete die "Göttinger Zeitung": "Die hiesige <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />

läßt neben der städtischen Knaben-Mittelschule eine Kapelle errichten, die<br />

voraussichtlich noch in diesem <strong>Jahre</strong> im Rohbau fertig gestellt werden wird."<br />

Schon am 4. Juli hatte die Zeitung den Grundstückstausch gemeldet: "Die hiesige<br />

<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, welche gegenwärtig in dem Hause Gartenstraße 13 einen<br />

Betsaal besitzt, beabsichtigt, sich auf dem nördlich der Knabenmittelschule<br />

an der Bürgerstraße gelegenen, der Stadt gehörenden Grundstücke ein<br />

Gotteshaus zu erbauen. Die Stadt wird dies Grundstück gegen das Haus in der<br />

Gartenstraße umtauschen. Die städtischen Collegien haben in ihrer gestrigen<br />

Sitzung ihre Zustimmung zu diesem Besitzwechsel gegeben. Das Haus soll<br />

umgebaut werden, um später an Stelle des St. Crucisstifes zu treten, welches<br />

demnächst in den Besitz der Universität übergehen wird."<br />

Nach der Ankündigung in einer Meldung am 19. August 1903, daß die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong><br />

ihre Zionskapelle einweihen wird, berichtete die "Göttinger Zeitung" am 24.<br />

August auf der ersten Seite von der Einweihungsfeier. Auch von der Einweihung der<br />

Naundorfhöhe erfuhren die Göttinger aus der Zeitung: Das "Göttinger Tageblatt"<br />

berichtete davon am 6. August 1932, am gleichen Tage auch die "Göttinger Zeitung".<br />

Schließlich erwähnte das Tageblatt 1934 den 5. Weltkongreß der <strong>Baptisten</strong> in Berlin<br />

mit 1300 Abgeordneten aus 60 Nationen. Die Beschallung der Halle für den Kongreß<br />

besorgte die Firma Caspari & Co. aus <strong>Göttingen</strong>.<br />

Später waren auch die Zeltmissionen als lokale Ereignisse Thema der Zeitungsberichterstattung,<br />

ebenso, wie an anderer Stelle erwähnt, die Studentenspeisungen.<br />

Als dann das neue Gemeindezentrum 1984 eingeweiht werden sollte<br />

und die Verhandlungen der Gemeinde um die Erhaltung des Baudenkmals "rotes<br />

Haus" um Zuschüsse auf dem Höhepunkt waren, versorgte die Gemeinde die<br />

Medien sehr umfangreich mit Pressematerial. Schließlich berichtete das Tageblatt<br />

auch 'inhaltlich" über die Gemeinde: eine Taufe in Wort und Bild. Doch nicht bei<br />

allen Gemeindemitgliedern stieß diese offensive Öffentlichkeitsarbeit auf ungeteilte<br />

Zustimmung. Wie alle Kirchen tat man sich schwer mit der Art der Berichterstattung,<br />

vor allem wenn die Gemeinde nach einer Hausbesetzung (rotes Haus) nicht nur im<br />

positiven Licht dastand. Doch war es in dieser Zeit besonders Pastor Hermann<br />

Woock, der deutlich machte, daß christliche Verkündigung sehr viel mit<br />

Öffentlichkeitsarbeit zu tun hat. Und auch Jesus hatte zu seiner Zeit nicht immer<br />

eine "positive Presse". Trotzdem handelte und redete er öffentlich. Die<br />

Öffentlichkeit gehört, so Hermann Woock immer wieder, zum Wesen der<br />

Verkündigung.


Die Zeit der Diakonissen<br />

Es gab in der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> auch eine Epoche, aus der Diakonissen<br />

nicht wegzudenken sind. Sie waren als Gemeindeschwestern tätig,<br />

widmeten sich also vor allem sozialen Aufgaben. Die Zeit der Diakonissen begann<br />

1946 und endete 1964.<br />

Es waren: 1946-52 Schwester Minna Schulz<br />

1952-59 Schwester Dora Langmaak<br />

und 1959-64 Schwester Ingrid Speck.<br />

Die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> <strong>Göttingen</strong> ist seit 1953 Mitglied im "Gemeindepflegedienst<br />

Mitte", einem ökumenischen Zusammenschluß der Kirchen im Göttinger Zentrum.<br />

Viele Mitglieder der Gemeinde sind auch Mitglied in diesem Verein, der die<br />

häusliche Krankenpflege übernimmt.<br />

Minna Schulz<br />

1946-52<br />

Dora Langmaak<br />

1952-59<br />

Ingrid Speck<br />

1959-64<br />

Ehrenamtliche Mitarbeiter in der Gemeinde<br />

Es ist klar, daß eine Gemeinde wie die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>, die die Freiwilligkeit<br />

besonders betont, nicht ohne ehrenamtliche Mitarbeiter auskommt. Sie sind die<br />

eigentlichen "Arbeiterinnen und Arbeiter". Das beginnt bei den Gemeindeleitern,<br />

den Mitgliedern der Vorstände, erstreckt sich über die Gruppenleiter, die Mitglieder<br />

der Chöre bis hin zu denen, die nach dem Gottesdienst für den Kaffee und den<br />

Abwasch sorgen, sowie den Betreuern der Kleinkinder während der<br />

Veranstaltungen. Und nicht zu vergessen sind die Hausmeister, die Küsterfamilien,<br />

die mit ihrer Art die Grundstimmung in den Gemeinderäumen mitbestimmten. So<br />

haben sich unzählige Mitglieder der Gemeinde in den zurückliegenden hundert<br />

<strong>Jahre</strong>n mit ihren Begabungen in den Dienst stellen lassen. Ihre Namen<br />

aufzuzählen, würde den Rahmen dieses Rückblicks sprengen.<br />

Stellvertretend sollen hier die Gemeindeleiter und Ältesten genannt werden:


1907-1913 Friedrich Hoffmeister (Ältester)<br />

1913-1921 Otto Schulze (Ältester)<br />

1921-1951 Wilhelm Körber (Ältester)<br />

1951-1955 Carl Caspari (Ältester)<br />

1955-1961 Herbert Gudjons als Prediger war gleichzeitig Ältester<br />

1961-1969 Rudolf Friedrichs (Gemeindeleiter)<br />

1969-1973 Karl Heinz Hasenbalg (Gemeindeleiter)<br />

1973-1975 Rudolf Friedrichs (Gemeindeleiter)<br />

1975-1978 Manfred Graf (Gemeindeleiter)<br />

1978-1979 Erich Wolfrum (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />

1979-1985 Winfried Salewski (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />

1988-1992 Joachim Meyer (Sprecher der Gemeindeleitung)<br />

1992- Winfried Salewski (Ältester)<br />

Die Gemeindeleitung (früher Gemeindevorstand) wird von der Gemeindeversammlung<br />

als Leitungsorgan der Gemeinde für drei <strong>Jahre</strong>, neuerdings für vier<br />

<strong>Jahre</strong> gewählt. Seit 1978 sind auch Frauen in der Gemeindeleitung.<br />

In der Gemeindeleitung besprechen die Frauen und Männer mit ihren verschiedenen<br />

Begabungen die Belange der Gemeinde, diskutieren auftretende Probleme<br />

und erarbeiten Lösungsvorschläge, die sie dann der Gemeinde vorstellen. Sie<br />

behandeln Themen des Gemeindelebens, seelsorgerliche Anliegen und<br />

Mitarbeiterfragen ebenso wie den jährlichen Finanzplan und anstehende Investitionen.<br />

1994 wählte die Gemeindeversammlung eine neue Gemeindeleitung. Das<br />

Vertrauen der Gemeinde erhielten: Britta Broocks, Eberhard Fischer, Konrad<br />

Heuer, Ernst Meßmer, Brigitte Petereit, Marlies Salewski, Daniel Schiller, Howard<br />

Shaw und Michael Vauk. Zur Gemeindeleitung gehören ebenfalls die<br />

Gemeindepastoren Andre Heinze, Ralf Ossa (bis Juli 1994) und Siegfried Wagner<br />

sowie der Gemeindeälteste Winfried Salewski.<br />

Pastoren: verschiedene Persönlichkeiten<br />

So unterschiedlich Menschen nun einmal sind, so verschieden waren auch die<br />

Pastoren, die in den vergangenen <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong>n die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> mitgeprägt<br />

haben. Auch wenn von der Idee her die Mitglieder der Gemeinde als mündige<br />

Gläubige einen Geistlichen "nur" als hauptamtlichen Mitarbeiter einstellten, so<br />

bestimmten diese Hauptamtlichen mehr noch als die zahlreichen Mitarbeiter in den<br />

Gemeindegruppen den Weg der Gemeinde entscheidend mit. Denn jeder Pastor<br />

setzte seinen Fähigkeiten entsprechend Schwerpunkte.


Im folgenden nun der Versuch, die Pastoren zu charakterisieren:<br />

1894-1907: Bernhard Naundorf kam als 33jähriger mit<br />

großem Missionseifer nach <strong>Göttingen</strong>. Sich selbst gegenüber<br />

übte er eine eiserne Disziplin, erwartete sie auch von den<br />

Mitarbeitern. Nach der Gemeindegründung 1894 bereitete er<br />

den Bau der Kapelle 1902-03 in der Bürgerstraße vor. Auch<br />

gründete er von <strong>Göttingen</strong> aus die Gemeinde in Nordhausen.<br />

Finanziert wurde der größte Teil dieser Missionsarbeit durch<br />

den Einbecker Fabrikanten Wilhelm Meyer.<br />

1907-1913: Paul Winderlich war 45 <strong>Jahre</strong> alt, als er von<br />

Frankfurt am Main nach <strong>Göttingen</strong> kam. Seine Wirksamkeit<br />

hatte erwecklichen und vertiefenden Charakter. Er baute auf der<br />

Arbeit seines Vorgängers gezielt auf. In seine Amtszeit fällt die<br />

Ausgliederung der Station Nordhausen zur eigenständigen<br />

Gemeinde. Im Februar 1909 erlitt die Kapelle in der<br />

Bürgerstraße einen größeren Gebäudeschaden bei einer<br />

Überschwemmung.<br />

1913-21 und 1942-45: Hugo Mundhenk kam im Sommer<br />

1913 33jährig von Düsseldorf nach <strong>Göttingen</strong>. Er kümmerte<br />

sich sofort um eine rechtliche Absicherung der Gemeinde. So<br />

beantragte er die Korporationsrechte für die Gemeinde, die<br />

am 23. April 1914 durch die preußischen Ministerien auch<br />

bewilligt wurden. Sein Dienst wurde im Ersten Weltkrieg<br />

zeitweise unterbrochen. Nach seiner Einberufung wurde er<br />

nach einiger Zeit für den Lazarettdienst in <strong>Göttingen</strong><br />

freigestellt und konnte sonntags in der Gemeinde predigen.<br />

Im Sommer 1921 wechselte er in die Gemeinde Kolberg in<br />

Pommern. Als die Familie Mundhenk während des Zweiten Weltkrieges in Köln ihr<br />

Hab und Gutverloren hatte, berief die Göttinger Gemeinde diesen bewährten<br />

Seelsorger erneut. Doch war Hugo Mundhenk in dieser Zeit gesundheitlich sehr<br />

angeschlagen. Nach längerer Erkrankung starb er im Februar 1945 in der<br />

Predigerwohnung der Kapelle.<br />

1921-28: Friedrich Mascher, der im Herbst 1921 als 50jähriger<br />

von Kassel nach <strong>Göttingen</strong> kam, galt als Praktiker. Er verstand<br />

viel von Gartenbau, seine Predigt war stets volkstümlich und<br />

anziehend. In seine Zeit fielen die ersten baulichen<br />

Veränderungen an der Kapelle. Im Januar 1928 übernahm er ein<br />

größeres Arbeitsfeld in Dresden.<br />

1928-35: Johannes Schoof kam direkt nach dem Studium<br />

am baptistischen Predigerseminar in Hamburg im Alter von<br />

26 <strong>Jahre</strong>n nach <strong>Göttingen</strong>. Als Berufsanfänger hatte er den<br />

Wunsch, durch fleißige Schriftstudien geistig<br />

weiterzukommen. Nicht zuletzt wegen seines Alters hatte er<br />

guten Zugang zur Jugend, so daß er einen Kreis von<br />

bald 50 Jugendlichen um sich scharte. In seiner Dienstzeit<br />

erwarb die Gemeinde das Grundstück auf dem Lohberg, das


den Namen "Naundorfhöhe" erhielt. Wie berichtet, mußte die Gemeinde das<br />

Gelände 1935 wieder zurückgeben, weil dort Kasernen gebaut wurden. Von dem<br />

Erlös tilgte die Gemeinde die Restschulden aus dem Kapellenbau. Johannes<br />

Schoof tauschte im März 1935 seinen Arbeitsplatz mit Reinhard Steenblock in<br />

Schneidemühl.<br />

1935-43: Reinhard Steenblock war vom Typ her ganz<br />

anders. Er war bereits 57 <strong>Jahre</strong> alt, als er nach <strong>Göttingen</strong><br />

kam, seine Predigt wird als erbaulich geschildert. Er legte<br />

Vers für Vers eines Bibeltextes aus. Mit großem Einsatz<br />

machte er viele Hausbesuche, ging einzelnen Gemeindemitgliedern<br />

nach, wenn sie nicht mehr regelmäßig am<br />

Gemeindeleben teilnahmen. Im Zweiten Weltkrieg ab 1939<br />

schrieb er seine Predigten vollständig auf und schickte sie<br />

den im Krieg befindlichen Brüdern nach. 1942 mußte der<br />

Bund der <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n seinen Namen ändern und<br />

sich mit anderen Freikirchen zusammenschließen. Seitdem<br />

nennt sich die <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong> auch in <strong>Göttingen</strong> offiziell<br />

"Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde". Reinhard Steenblock kehrte 1943 nach<br />

Schneidemühl zurück.<br />

1945-49: Philip Scherer kam gegen Kriegsende. Die<br />

Gemeinde wuchs durch den Zuzug von Flüchtlingen<br />

sprunghaft. Es entstanden neun Predigtplätze, da die<br />

Mitglieder in 37 Ortschaften in der Umgebung <strong>Göttingen</strong>s<br />

wohnten. Regelmäßige Wortverkündigung organisierte die<br />

Gemeinde in Friedland, Grone, Weende, Lödingsen,<br />

Erbsen, Barterode, Wibbeke, Barlissen, Landolfshausen<br />

und nicht zuletzt in Duderstadt. Der Zustrom war gerade in<br />

dieser Zeit motivierend. So marschierte Pastor Scherer mit<br />

der missionsfreudigen Jugendgruppe regelmäßig bei jedem<br />

Wetter "zum Missionsdienst", wie er es selbst nannte. Nach<br />

dem ideologischen Zusammenbruch hatte die Gemeinde<br />

etwas zu sagen, man hörte auf die christliche Botschaft. Allerdings wurde eine<br />

personelle Verstärkung immer dringender. So stellte man im<br />

April 1946 erstmals eine Gemeindeschwester ein. Im Juni<br />

1949 übernahm Philip Scherer einen Missionsauftrag in<br />

Brasilien: Er arbeitete dort in einer deutschen <strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>.<br />

1948-50: Helmut Pohl studierte an der Universität <strong>Göttingen</strong><br />

Evangelische Theologie. Die Gemeinde berief ihn<br />

halbamtlich (Halbtagsstelle) zum Geistlichen. Seine Aufgaben<br />

erstreckten sich auf den Stationsdienst, den Gemeindeunterricht<br />

und die Jugendarbeit.<br />

1949-53: Werner Klein wurde 1947 aus der Gefangenschaft entlassen und kam<br />

nach Friedland. Dort engagierte er sich sogleich in der Arbeit der Bruderhilfe und<br />

bekam so den Kontakt zur Göttinger Gemeinde. Diese stellte den 42jährigen 1949<br />

fest ein, als die Studentenspeisungen ausliefen. Er hatte die Aufgabe, die sich


inzwischen verdoppelte Gemeinde wieder in ruhiges<br />

Fahrwasser zu bringen. Gleich zu Beginn seines Dienstes<br />

veranstaltete man die erste Zeltmission am Geismar Tor mit<br />

einem Zelt, in dem 1 000 Menschen Platz hatten. Außerdem<br />

baute er die Studentenarbeit auf und unterstützte ähnliche<br />

Bestrebungen im gesamten Bundesgebiet. Wesentlichen<br />

Anteil hatte er auch am Aufbau der Gemeinde in<br />

Duderstadt, wohin viele <strong>Baptisten</strong> als Flüchtlinge gekommen<br />

waren. 1953 wechselte Werner Klein nach Bonn. Nach<br />

seinem Weggang blieb die Gemeinde vorübergehend ohne<br />

Pastor.<br />

1954-60: Herbert Gudjons kam im Januar 1954 als 45jähriger, ein Mann, der vom<br />

Typ her immer nach vorne preschte, das Christsein überaus konsequent verstand,<br />

und für den die Wahrheit unteilbar war. Gleich in seinem<br />

ersten Dienstjahr veranstaltete die Gemeinde eine Evangelisation,<br />

nach der sich 40 Menschen taufen ließen. Gemeindeseminare<br />

an Wochenenden mit 40 bis 60 Teilnehmern,<br />

eine Jugendgruppe von 40-50 Mitgliedern, eine überaus aktive<br />

Sonntagsschule: das waren die herausragenden Schwerpunkte.<br />

Außerdem machte sich Herbert Gudjons überaus stark<br />

dafür, daß die Gemeinde (ab 1958) in der Außenmission tätig<br />

wurde. Er prägte den Ausdruck "gemeindeeigene Missionarin".<br />

In seine Zeit fällt auch der Konflikt mit der Gemeinde in<br />

Duderstadt.<br />

1961-67: Arnim Riemenschneider (geboren 1926) nahm die Idee der Seminare<br />

auf. Sein Schwerpunkt war nicht die Mission, sondern die Lehre, die Fortbildung der<br />

Gemeindemitglieder. Die Frage nach der gesellschaftlichen<br />

Verantwortung beschäftigte ihn – wie die jungen Christen<br />

überhaupt – in einer Dringlichkeit, wie sie bisher nicht<br />

analysiert worden war. Die Studentenspeisung hatte man als<br />

Aufgabe übernommen, weil sie gerade "vor der Tür" lag. Nun<br />

ging es aber um die grundsätzliche Besinnung auf die<br />

zukünftigen Aufgaben der Gemeinde. Der Arbeitskreis für<br />

Kinder- und Jugendarbeit gründete sich als Verein, der zwei<br />

Kindergärten baute. In dieser Zeit wurden auch die Ideen für<br />

den Bau eines Studentenwohnheims "geboren". Im Frühjahr<br />

1967 ging Arnim Riemenschneider als Dozent an die<br />

Bibelschule Wiedenest.<br />

1967-73: Harald Fischer kam im November 1967 als 35jähriger<br />

und baute auf dieser Linie die Gemeindearbeit weiter aus:<br />

Seminare, Fortbildung, Nachdenken über die Zukunft der<br />

<strong><strong>Baptisten</strong>gemeinde</strong>n. Mit den Studentenunruhen kamen neue<br />

Fragen von außen in die Gemeinde herein, die den gesamten<br />

deutschen Baptismus vor eine Zerreißprobe stellten. Eigentlich<br />

war dazu Harald Fischer von seiner Art her der Vermittler<br />

zwischen traditioneller Gemeinde und radikal alles in Frage<br />

stellenden Studenten, die Antworten suchten, nach speziell


christlichen in dieser Umbruchsituation. Leider war der Geistliche in dieser Zeit mit<br />

persönlichen und familiären Fragen befangen. Er bereitete sich an der Universität<br />

auf den beruflichen Wechsel in den Schuldienst vor, den er 1973 auch vollzog.<br />

1974-82: Hans-Hermann Firus, der singende Pastor,<br />

war der Seelsorger der Gemeinde. Er war 35 <strong>Jahre</strong> alt.<br />

Die in vielen Meinungen zersplitterte Gemeinde<br />

versuchte er wieder emotional zusammenzuführen. Er<br />

verstand die christliche Botschaft von der persönlichen<br />

Betroffenheit her. Im Gottesdienst sang er regelmäßig<br />

mit der Gemeinde Kanons. Sein Ansatz war in vielen<br />

Punkten vom therapeutischen Denken durchzogen. So<br />

war er experimentierfreudig, entwickelte beispielsweise<br />

die Idee der Schülerbibelkreise. Statt des Gemeindeunterrichts,<br />

dem Konfirmandenunterricht vergleichbar,<br />

sah er die Schüler als Gruppe, deren Mitglieder Beziehungen<br />

zueinander aufbauen. In diesem Umfeld lehrte<br />

er die Grundbegriffe des christlichen Glaubens. Das Modell setzte darauf, daß die<br />

Schüler anschließend zusammenbleiben und eine Jugendgruppe der Gemeinde<br />

bilden. In die Zeit von Hans-Hermann Firus fielen die zahlreichen Überlegungen um<br />

den Umbau oder Neubau eines Gemeindezentrums bis hin zur Grundsteinlegung.<br />

Von <strong>Göttingen</strong> wechselte er nach Tübingen.<br />

1983-92: Hermann Woock kam von Berlin. Er war<br />

damals 54 <strong>Jahre</strong> alt, und <strong>Göttingen</strong> sollte seine letzte<br />

Gemeinde vor der Pensionierung sein. Die Einweihung<br />

des Gemeindezentrums stand am Anfang seines Dienstes<br />

in <strong>Göttingen</strong>. Das öffentliche Interesse an diesem Neubau<br />

griff er bewußt auf, um es für die Öffentlichkeitsarbeit<br />

allgemein zu nutzen. Doch sein eigentlicher Schwerpunkt<br />

war die Seniorenarbeit. Hier setzte er entscheidende<br />

Schwerpunkte: Senioren sind keine alten Menschen, die<br />

betreut werden müssen, sondern solche, die ihren dritten<br />

Lebensabschnitt selbst aktiv gestalten wollen und sollen.<br />

Seniorenfreizeiten, Vorträge für Senioren, Seniorengymnastik:<br />

das waren nur Stichworte seiner Themen. Das Ehepaar Woock zog im<br />

Frühjahr 1992 nach Bad Oeynhausen in ein Seniorenzentrum.<br />

1990-1994: Ralf Ossa kam als 27jähriger wieder direkt<br />

vom Theologischen Seminar nach <strong>Göttingen</strong>. Vorher<br />

hatte er in Tübingen studiert. Sein Schwerpunkt sollte<br />

die Jugend- und Studentenarbeit sein - eine nicht ganz<br />

einfache Aufgabe, da die Fluktuation bei den Studenten<br />

sehr ausgeprägt ist, er es also mit immer wechselnden<br />

Teilnehmern zu tun hatte, auch bei den Mitarbeitern.<br />

Regen Kontakt hielt die Studentengruppe mit anderen<br />

Studentengruppen wie beispielsweise der Studentenmission<br />

Deutschlands (SMD) in <strong>Göttingen</strong>. Zu seinen<br />

weiteren Aufgaben gehörte der Gemeindeunterricht. Im<br />

Juni 1994 verließ Ralf Ossa <strong>Göttingen</strong> und wurde Gemeindepastor in München.


Seit 1992: André Heinze (geboren 1961) ist wieder, wie<br />

schon Helmut Pohl in den 40er <strong>Jahre</strong>n, 'Teilzeitpastor", der<br />

an der Universität an seiner Dissertation arbeitet. Sein<br />

örtlicher Schwerpunkt liegt in Bovenden, wo er für die<br />

Bibelstunde und die Kontaktpflege der Gemeindemitglieder<br />

zuständig ist. Einmal pro Monat veranstaltet er in seiner<br />

Wohnung "offene Nachmittage", die der Begegnung dienen.<br />

Theologisch ist die Lehre, praktisch umgesetzt in<br />

Seminarreihen, die Form, in der die Gaben dieses Pastors<br />

besonders deutlich werden.<br />

Seit 1993: Siegfried Wagner kam als 52jähriger<br />

von der Bildungsstätte "Kirchröder Turm" in<br />

Hannover nach <strong>Göttingen</strong>. Statt einen<br />

Bildungsbetrieb zu verwalten, wollte er doch<br />

wieder in die Gemeindearbeit. Denn Seelsorge ist<br />

seine Stärke. Deshalb nutzte er bisher die<br />

Freiräume, die entstanden, weil er sich mit zwei<br />

Kollegen die Predigtdienste teilen konnte, um<br />

Hausbesuche zu machen. In dem bisherigen<br />

"Dreiergespann" hat er die Rolle des ruhenden<br />

Pols, der besonders für den nötigen Tiefgang in<br />

der Verkündigung und Gemeindeorganisation<br />

sorgt.<br />

Welche Herausforderungen stellt die Zukunft?<br />

Zur Situation der Gemeinde <strong>Göttingen</strong> schreibt Harald Fischer 1969 am Schluß der<br />

Festschrift zum 75jährigen Gemeindejubiläum: "Alles ist in ständiger innerer und<br />

äußerer Bewegung. Wir möchten gerne Gemeinde sein, die ihren Lebenssinn nach<br />

besten Wissen und Können durch die Kraft des Heiligen Geistes erfüllt."<br />

In den vergangenen 25 <strong>Jahre</strong>n haben sich gravierende Veränderungen in fast allen<br />

Lebensbereichen ergeben, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind.<br />

"... die Menschen sind heute nicht in erster Linie - obwohl auch das - Sucher nach<br />

der Wahrheit, sondern Sucher nach Geborgenheit, nach Lebensmöglichkeiten,<br />

nach Mitteln gegen die Ängste der Zeit und der eigenen Biographie. Die Menschen<br />

sind vielmehr Heimgesuchte als Sucher. Wenn es nach Gemeinsamkeiten zu<br />

forschen gilt, dann wird man eher fündig in der gemeinsamen Heimsuchung durch<br />

Ängste des Lebens und der Welt, als in der gemeinsamen Suche nach Wahrheit<br />

oder nach Gott." (H. Hemminger, Rundbrief Offensiver junger Christen 6/93)<br />

Die so entstehenden Lebensgefühle beschriebt D. Schröder in der Süddeutschen<br />

Zeitung vom 26.2.1994: "Je verdrossener die Deutschen sich fühlen, desto mehr<br />

verlangen sie nach Orientierung, nach Führung, nach Moral. Pragmatismus ist out,<br />

Visionen sind in."


Wie notwendig Visionen sind, wird zum Beispiel deutlich angesichts der Suche<br />

nach verantwortbaren Partnerschaftsstrukturen, im Umgang mit dem ungeborenen<br />

Leben, bei der Begleitung altgewordener Menschen. Angesichts der angedeuteten<br />

Situationen stellt sich uns als Gemeinde <strong>Göttingen</strong> die Frage, womit und wie wir<br />

diesen Lebens-Herausforderungen begegnen wollen. Der Zuspruch des<br />

Evangeliums ermutigt uns, den Weg des Glaubens und des Vertrauens auch<br />

weiterhin zu wagen, Verantwortung in unserer Welt zu übernehmen und uns nicht in<br />

ein Abseits zurückzuziehen.<br />

In einer Zeit, in der Menschen drohen beziehungsunfähig zu werden, kommt dem<br />

Angebot der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus eine besondere Bedeutung<br />

zu. Gottes-Beziehung in der Gestalt von Glaube und Vertrauen umfaßt alle anderen<br />

Beziehungen und ist ihr tragender Grund. Wird die Gottesbeziehung heil, schließen<br />

sich auch die sozialen Wunden unseres Miteinanders.<br />

Gott liegt an der Beziehung zu uns Menschen. Darum lädt er ein: "Kommt her zu<br />

mir ..."<br />

Aus diesem Grund sendet er seine Gemeinde: "Geht zu den Menschen ..." Auf<br />

diesem Weg verheißt er uns seine Gegenwart: "Ich bin bei euch jeden Tag...<br />

Vermitteln läßt sich solche Hoffnung weniger durch Erkennen, vielmehr durch<br />

Erfahrung: Erfahrung mit Gott - und das heißt mit dem auferstandenen Christus. In<br />

ihm tritt Gott uns als Schöpfer und Partner gegenüber, er tritt als Tröster und Retter<br />

an unsere Seite. Aus diesem zentralen christlichen Erleben wird Heilendes und<br />

Helfendes wirksam werden im Umgang mit mir selbst, mit den mir nahestehenden<br />

Menschen, in den alltäglichen Begegnungen. So wird christliche Hoffnung im Alltag<br />

lebendig.<br />

Indem wir uns dazu ermutigen lassen, leben wir Nachfolge Jesu Christi. "Du, Herr,<br />

heißt uns hoffen und gelassen vorwärts schaun. Allen steht die Zukunft offen, die<br />

sich dir anvertraun."<br />

André Heinze<br />

Winfried Salewski<br />

Siegfried Wagner


Gemeindegruppen heute<br />

Baby- und Kleinkinderdienst<br />

Mütter-Kind-Kreis<br />

Sonntagsschule<br />

Kinderdienst während des Gottesdienstes<br />

Jungschar Bürgerstraße<br />

Jungschar Geismar<br />

Jugendgruppe<br />

Studentenkreis<br />

Seniorenkreis<br />

Frauendienst<br />

Gemeindechor<br />

Jugendchor<br />

Bläserkreis<br />

Internationale Kreise<br />

Hauskreise<br />

Sportgruppen

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