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Jugendstrafrecht - Reform statt Abkehr - Strafverteidigervereinigungen

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Prof. Dr. Heribert Ostendorf<strong>Jugendstrafrecht</strong> - <strong>Reform</strong> <strong>statt</strong> <strong>Abkehr</strong>I.Das <strong>Jugendstrafrecht</strong> unter populistischem BeschussDas <strong>Jugendstrafrecht</strong> galt bislang als Vorreiter für <strong>Reform</strong>en des Erwachsenenstrafrechts.Es galt als modernes Strafrecht. <strong>Jugendstrafrecht</strong>liche Reaktionen auf Straftatenwurden bisher als effektiver und angemessener angesehen, um junge Straftätervon einer Wiederholung der Straftat abzuhalten. Ich nenne einige Beispiele:1. Dem weitgehenden Verzicht auf kurze Freiheitsstrafen (§ 47 StGB) durchdas 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25.6.1969 war das JGG 1953 mit dem Ausschlusseiner Jugendstrafe unter 6 Monaten vorausgegangen.2. Der Täter-Opfer-Ausgleich im Erwachsenenstrafrecht (§ 46 a StGB), eingeführtdurch das Verbrechensbekämpfungsgesetz vom 28.10.1994, hatte seinenVorläufer im <strong>Jugendstrafrecht</strong>, hier formell eingeführt mit dem 1. Änderungsgesetzzum JGG im Jahre 1990, informell schon vorher in vielen Modellprojektenmit Erfolg praktiziert.3. Die Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB), eingeführt im Erwachsenenstrafrechtdurch das 3. Strafrechtsänderungsgesetz im Jahr 1953, wurde im <strong>Jugendstrafrecht</strong>bereits mit dem 1. Jugendgerichtsgesetz im Jahre 1923 vorweggenommen.4. Die <strong>Reform</strong> des Erwachsenensanktionenrechts, um die es in letzter Zeit stillgeworden ist, lehnt sich ausdrücklich an den Sanktionskatalog des JGG an.5. Die Einheitsstrafe im <strong>Jugendstrafrecht</strong> (§ 31 JGG) wird seit langem zum Vorbildgenommen für eine Ersetzung der umständlichen Gerechtigkeitsarithmetikim Rahmen einer Gesamtstrafenbildung im Erwachsenenstrafrecht.243


244Diese Vorreiterrolle geht zunehmend verloren. Mehr Repression wird in Anlehnungan das Erwachsenenstrafrecht gefordert, nicht selten unter Missbrauch derFlagge des Erziehungsstrafrechts. Die Forderungen gehen soweit, das <strong>Jugendstrafrecht</strong>abzuschaffen. Hierbei gilt es, zwei Diskussionsebenen auseinander zuhalten.Da ist einmal die Ebene der öffentlichen Diskussion, zum anderen die Ebene derFachdiskussion. In der Öffentlichkeit wird die Diskussion von der Politik undden Medien bestimmt. In dieser Diskussion steht das geltende <strong>Jugendstrafrecht</strong>unter populistischem Beschuss. Jugendstaatsanwälte und Jugendrichter werdenals allzu nachsichtig, die Strafen als zu weich kritisiert, 1 es werden härtere Reaktionenvon der Jugendstrafjustiz verlangt und es wird ein anderes <strong>Jugendstrafrecht</strong>gefordert. So wird – wenn auch nur vereinzelt – die Herabsetzung des Strafbarkeitsaltersvon 14 auf 12 Jahre propagiert. 2 Bei einer Aussetzung der Jugendstrafe,d. h. der Freiheitsstrafe, zur Bewährung soll ein »Warnschuss-Arrest« verhängtwerden. 3 Die Dauer der Jugendstrafe von bislang höchstens 10 Jahren soll auf 15Jahre angehoben werden. 4 Es sollen die Heranwachsenden, d.h. die 18- bis 21-Jährigenimmer oder doch zumindest regelmäßig nach dem Erwachsenenstrafrechtbestraft werden. 5 Es soll die Sicherungsverwahrung, d.h. der dauerhafte Wegschlussnach Verbüßung der Strafe auch im <strong>Jugendstrafrecht</strong> eingeführt werden. 6Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung und die nachträgliche Sicherungsverwahrunghat der Gesetzgeber für Heranwachsende, die nach Erwachsenenstrafrechtbestraft werden, bereits beschlossen (§ 106 Abs. 3 – 6 JGG). In einer Vielzahl,in einer kaum noch zu überblickenden Vielzahl von Gesetzesinitiativen sind dieseForderungen eingebracht worden. An die Spitze dieser Bewegung hat sich derfrühere Hamburger Justizsenator Kusch gestellt, der die gänzliche Abschaffungdes <strong>Jugendstrafrecht</strong>s verlangt hat. 7 Bislang sind diese Forderungen von der Bundespolitikabgelehnt worden, obwohl nach Bevölkerungsumfragen sich eine eindeutigeMehrheit ebenfalls für mehr Härte im Strafrecht, speziell im <strong>Jugendstrafrecht</strong>ausspricht. Zumindest wird in den Medien ein solcher Eindruck geweckt,wobei ein Großteil der Medien eben zu dieser Bevölkerungseinstellung mit einerdramatisierenden Lagebeschreibung und dem Herauspicken von spektakulärenEinzelfällen beiträgt. Das ist ein permanenter, sich immer mehr beschleunigenderKreislauf um das ›Goldene Kalb‹, das da heißt: mehr Strafe.Ganz anders, diametral anders, ist die Positionierung in der Fachwelt, in der Justizpraxisund in der Wissenschaft. Die Forderungen nach Verschärfung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>swerden fast einhellig abgelehnt. Auf den Jugendgerichtstagen, die alledrei Jahre von der Deutschen Vereinigung der Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen– abgekürzt DVJJ – organisiert werden, wird umgekehrt eine Weiterentwicklungdes <strong>Jugendstrafrecht</strong>s im Sinne eines Vorrangs erzieherischer Hilfen verlangt.Der 64. Deutsche Juristentag hat im Jahr 2002 in Berlin ebenfalls sich eindeutig fürdie Beibehaltung des geltenden <strong>Jugendstrafrecht</strong>s ausgesprochen, eine Herabsetzungdes Strafbarkeitsalters abgelehnt, ja, wenn auch mit knapper Mehrheit, verlangt,alle Heranwachsenden nach dem <strong>Jugendstrafrecht</strong> zu bestrafen. 8 In diesemSinne hat sich auch der Deutsche Richterbund geäußert. 9 54 Professoren aus den


heute mehr angezeigt wird als früher, dass das Dunkelfeld der Kriminalität verkleinertwird. 11 Auch die Schwere der Delikte hat keineswegs, wie vielfach angenommenwird, zugenommen. Mord und Totschlag, Raubdelikte sind deutlichzurückgegangen. Damit stimmt überein, dass die Jugend heute nach empirischenErhebungen sehr gut dasteht. Die Werteeinstellung der Jugend zu Familie undFreundschaft ist außerordentlich positiv, hat sich nach der letzten Shell-Jugendstudienoch weiter erhöht. 69% der Jungen sagen im Jahr 2006 »Man braucht eineFamilie, um glücklich zu sein«, bei den Mädchen sind es sogar 76%. 12 Nach einerJugendstudie, die von dem Bundesverband der deutschen Banken in Auftrag gegebenwurde, sagen 63% der jugendlichen Befragten, dass ihr Verhältnis zu denEltern sehr gut ist, 33% sagen, dass es gut ist und nur 3% räumen ein, dass es nichtso gut oder schlecht ist. 13 Nach der Studie »Jugendsexualität 2006«der Bundeszentralefür gesundheitliche Aufklärung sind die Eltern allen Alarmrufen über dasAuseinanderbrechen familiärer Bindungen zum Trotz die wichtigsten Vertrauenspersonenfür sexuelle Fragen. 14 Jugend geht hiernach auch verantwortungsbewusstermit dem Geschlechtsverkehr um als früher, d.h. mehr als zwei Drittelbenutzt heute Kondome, u.a. mit der Folge, dass die Zahl der Teenager-Müttersinkt. Nach den Kriminalstatistiken und nach Umfragen steht Jugend heute erheblichbesser da als vor 10 und 20 Jahren.Die Nullbockgeneration ist passé. Jugend hat nach den aktuellen Befragungen inder Shell-Jugendstudie sowie der Jugendstudie der deutschen Banken einen ausgesprochenenLeistungswillen, geht zielorientiert in Ausbildung und Beruf, wennsie denn eine Ausbildungs-, eine Arbeitsstelle findet. Die Angst, keinen Arbeitsplatzzu finden, sozial abzusteigen, ist ebenso groß. Im Jahr 2006 ging die Zahlder gemeldeten Lehrstellen bundesweit um 12.000 auf 459.000 zurück. Gleichzeitignahm die Zahl der Bewerber um 22.199 auf 763.100 zu. 763.100 Bewerbern stehen459.000 Lehrstellen gegenüber, d.h. mehr als jeder dritte Bewerber geht leeraus bzw. muss mit berufsvorbereitenden Maßnahmen die Leerzeit überbrücken.Diese Leerzeit - <strong>statt</strong> Lehrzeit - hat zunehmend eine Überschuldung junger Menschenzur Folge, 15 wobei sich das Handy als Schuldenfalle entpuppt. Es bestehtmehr Anlass, nach dem Zustand der Erwachsenenwelt als nach dem Zustand derJugend zu fragen: Werden die Erwachsenen der Jugend gerecht?Zweite Fehlannahme: Mehr Härte = mehr EffizienzDie zweite Fehlannahme ist, dass mehr Härte mehr Effizienz bringt. Das Gegenteilist nach groß angelegten Rückfalluntersuchungen der Fall.Jehle, Heinz und Sutterer haben vor kurzem eine neue, die größte Rückfalluntersuchungfür die Bundesrepublik Deutschland vorgelegt. 16 Erfasst wurdenalle Personen, die 1994 im Zen-tral- oder Erziehungsregister eingetragen waren.Da bei Verurteilungen zu einer unbedingten Freiheits- bzw. Jugendstrafe sowiezu einer freiheitsentziehenden Maßregel für den anschließenden Zeitraumdes Vollzugs keine echte Rückfälligkeitsprüfung erfolgen kann, wurden die indiesem Jahr aus dem Vollzug entlassenen mit aufgenommen. Der Rückfallzeitraumbetrug vier Jahre, d.h. im Jahre 1999 wurden das Bundeszentralregister246


und das Erziehungsregister erneut ausgewertet. Hier einige Ergebnisse:- Rückfälligkeit nach Verbüßung der Jugendstrafe ohne Bewährung 77,8%- der Jugendstrafe mit Bewährung 59,6%- Arrest 70%- ambulante Sanktionen 31,7%.Es ist offensichtlich schwieriger, mit freiheitsentziehenden Sanktionen junge Menschenwieder auf den ›geraden Weg‹ zu bringen. In den Anstalten passt man sichan oder wird angepasst. Wenn eine Änderung, eine positive Änderung in der Einstellungund im Verhalten erreicht wird, hält diese bei neuen Konfliktsituationen inFreiheit häufig nicht an. Erst recht ist es trügerisch, auf einen Abschreckungseffekt zusetzen. Das funktioniert gerade bei jungen Menschen in der Regel nicht. Alle glauben,dass sie nicht erwischt werden. Wenn Jugendrichter den Jugendarrest zur Abschreckungverhängen, damit die Verurteilten den Freiheitsentzug kennen lernen und deshalbvor weiteren Taten sich abschrecken lassen, so zeigen empirische Untersuchungenzur Wirkung des Arrestes eher das Gegenteil: Nach Befragungen verliert mitdem Erleben des Arrestes der Freiheitsentzug seinen Schrecken. 17 Umgekehrt wirdder Entsozialisierungsprozess verstärkt, weil in den Augen der Umwelt der Arrestantein Krimineller ist, der schon ›gesessen‹ hat.Nun kann man gegen einen solchen Vergleich der Rückfallquoten einwenden, dawerden Äpfel mit Birnen verglichen, weil diejenigen, die zu einer Jugendstrafe verurteiltwerden, in der Regel schon vorher aufgefallen sind, d.h. schon zu diesem ZeitpunktRückfalltäter waren und dementsprechend die Rückfälligkeit höher ausfallenmuss, unabhängig von der dann folgenden Sanktionierung. Dieser Einwand ist berechtigt,allerdings liefern auch die so relativierten Ergebnisse einen Erkenntnisgewinnfür die Sanktionierung: Wenn z.B. ein Jugendgericht den Angeklagten zu einemJugendarrest verurteilt, muss es damit rechnen, dass dieser trotz dieser Sanktionierungzu 70% wieder rückfällig wird. Darüber hinaus sind in Einzeluntersuchungenvergleichbare Tat- und Tätergruppen gebildet worden, um dem Einwand des unzulässigenVergleichs zu begegnen. Diese hierauf durchgeführten Rückfalluntersuchungenhaben für sozialpädagogische Sanktionen deutlich bessere Ergebnisse gebrachtals für die repressiven Sanktionen. 18 So hat eine Erfolgskontrolle vom sozialenTrainingskurs und Arrest eine signifikant geringere Rückfallquote für Teilnehmerdes sozialen Trainingskurses ergeben, obwohl diese sogar höher vorbelastet waren. 19Das differenzierte Sanktionensystem des Jugendgerichtsgesetzes mit dem Vorrangvon unterstützenden, sozialpädagogischen Maßnahmen bringt mehr Effizienz imSinne von Rückfallvermeidung als härtere Strafen, als das lange Wegsperren. Bei allenBemühungen um eine Resozialisierung im Strafvollzug ist der Strafvollzug keinLernfeld für soziales Handeln. Es wird sich angepasst, Problembewältigung wirddem Gefangenen abgenommen. Die hohen Rückfallquoten nach Verbüßung einerJugendstrafe sollten uns bewusst sein, wenn wir Jugendstrafen verhängen, verhängenmüssen zum Schutz der Gesellschaft. So lautet denn auch eine schon geläufigeForderung: Im Zweifel weniger – so die frühere Leitende Oberstaatsanwältin derStaatsanwaltschaft Itzehoe Dr. Holle Löhr. 20247


III.Gegen eine <strong>Abkehr</strong> auf gesetzlichen WegenEine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s ist z. Zt. politisch nicht durchsetzbar.Ich habe in der Auseinandersetzung mit einem entsprechenden Vorschlag abervorsorglich Position bezogen. Meine Argumentation lässt sich in fünf Thesenzusammenfassen:1. Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s widerspricht internationalen Verpflichtungender Bundesrepublik Deutschland.2. Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s bricht mit der deutschen Strafrechtstraditionder Einrichtung eines allgemeinen Jugendrechts.3. Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s ist unvereinbar mit verfassungsrechtlichenVorgaben.4. Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s steht im Widerspruch zu den entwicklungspsychologischenund kriminologischen Erkenntnissen.5. Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s führt nach den Erkenntnissen der Pönologienicht zu weniger Kriminalität sondern zu mehr Kriminalität. Ich willdies hier und heute nicht weiter ausführen, es ist nachzulesen. 21 Zugespitzt formuliert:Eine Abschaffung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s wäre eine Kulturschande!Gefährlich ist eine solche Forderung, weil damit das Tor für eine schrittweise<strong>Abkehr</strong> aufgestoßen wird. Mit den Hauptforderungen, die ich eingangs benannthabe, will ich mich auseinandersetzen.1. Herabsetzung des Strafbarkeitsalters von 14 auf 12 JahreMit dem 1. Jugendgerichtsgesetz aus dem Jahre 1923 wurde das Kinderstrafrechtabgeschafft, das Strafbarkeitsalter von 12 auf 14 Jahre angehoben. Die Nationalsozialistenhaben diese humane Erneuerung wieder rückgängig gemacht: »Wennder Schutz des Volkes wegen der Schwere der Verfehlung eine strafrechtliche Ahndungfordert«, konnten 12- und 13-Jährige wiederum bestraft werden (§ 3 Abs. 2 S.2 JGG 1943). Eben eine solche Strafbarkeit soll nach kriminalpolitischen - oder sollteich sagen: kriminalpopulistischen -Vorstößen wieder eingeführt werden. 22 Dagegensprechen nicht nur humanitäre Gründe, dagegen sprechen das Verhältnismäßigkeitsprinzipund Effizienzüberlegungen. Wenn wir Kinder in das Gefängnisstecken würden, wäre die kriminelle Karriere vorprogrammiert. Dann würde sichwiederum der Ausspruch des Kriminalreformators Franz von Liszt bewahrheiten:»Wenn ein Jugendlicher oder auch ein Erwachsener ein Verbrechen begehtund wir lassen ihn laufen, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder einVerbrechen begeht, geringer als wenn wir ihn bestrafen.« 232. Herausnahme der Heranwachsenden aus dem <strong>Jugendstrafrecht</strong>Nach geltendem Strafrecht (§ 105 JGG) muss das Jugendgericht prüfen und entscheiden,ob ein Heranwachsender – 18 bis 21-Jähriger – nach Jugend- oder Er-248


wachsenenstrafrecht sanktioniert wird. In der Praxis wird in 62% der Verfahren <strong>Jugendstrafrecht</strong>angewendet, bei schweren Delikten zu über 90% der Fälle, im Südender Republik weniger als im Norden. 24 Die Ungleichbehandlung ist in der Tat einProblem. Wiederholte, permanent wiederholte Gesetzesinitiativen verlangen eineregelmäßige Bestrafung der Heranwachsenden nach dem Erwachsenenstrafrecht,da sie volljährig sind. 25 In der Fachwelt dominiert die gegenteilige Position, die umgekehrteine generelle Bestrafung nach dem <strong>Jugendstrafrecht</strong> fordert. 26 Hier kannnicht das Pro und Kontra im Einzelnen diskutiert werden, 27 nur soviel: Eine Herausnahmeder Heranwachsenden aus dem <strong>Jugendstrafrecht</strong> wäre eine Ohrfeigefür die Justizpraxis; die gerade bei Kapitaldelikten eingesetzten Gutachter diagnostizierenja nicht ohne Grund Reifeverzögerungen, die Richter wenden nicht ohneGrund zu 62% das <strong>Jugendstrafrecht</strong> an und der BGH hat nicht ohne Grund wiederholtentschieden, dass im Zweifelsfall das <strong>Jugendstrafrecht</strong> als der angemessenerenReaktion Vorzug einzuräumen ist. 283. Anhebung der Höchststrafe von 10 auf 15 Jahre JugendstrafeNach geltendem Recht kann bei schweren Delikten eine Jugendstrafe bis zu 10Jahren verhängt werden (§ 18 Abs. 1 S. 2 JGG). In Gesetzesinitiativen wird eineAnhebung auf 15 Jahre verlangt. 29 Hierbei wird eine Gefährlichkeit vereinzelterStraftäter unterstellt, die im Interesse des Opferschutzes eine längere Inhaftierungverlange. Auch hier wird kriminalpolitisch ›aus dem Bauch‹ argumentiert,werden Ängste kriminalpolitisch missbraucht. Die Praxis der Jugendgerichtemit dem Einsatz der Höchststrafe wird nicht reflektiert. Hierzu liegt abereine empirische Untersuchung von Holger Schulz vor: »Die Höchststrafe im<strong>Jugendstrafrecht</strong> (10 Jahre) - eine Analyse der Urteile von 1987 bis 1996«, 2000.Alle Höchststrafenurteile aus dieser Zeit, d. h. im Zeitraum von 10 Jahren, mitEinschluss der Entscheidungen aus den neuen Bundesländern wurden qualitativausgewertet. Schon die geringe Zahl der Höchststrafenurteile sollte im Hinblickauf die Notwendigkeit einer Strafanhebung stutzig machen: in 10 Jahrenwurden lediglich 74 Personen zu dieser Höchststrafe verurteilt. In den Entscheidungsgründengab es keinen Hinweis, dass die Gerichte eine höhere als gesetzlichzulässige Jugendstrafe für erforderlich hielten. Ja, die meisten Verurteiltenwurden vorzeitig aus dem Jugendstrafvollzug entlassen, verbüßten nicht 10Jahre Jugendstrafe. In dem – allerdings begrenzten – Rückfallzeitraum war keineinschlägiger Rückfall zu verzeichnen. Verantwortliche Kriminalpolitik musssolche Forschungsergebnisse zur Kenntnis nehmen.4. Einführung eines »Einstiegs- oder Warnschussarrestes«Wiederholt wird die Einführung eines »Einstiegs- oder Warnschussarrestes«gefordert, wenn die Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird (§ 21 JGG)oder die Entscheidung aufgeschoben wird, ob überhaupt eine Jugendstrafe erforderlichist (§ 27 JGG). 30 Damit wird eine abschreckende Wirkung verknüpft.Empirische Forschungen haben demgegenüber das Gegenteil ergeben: Der249


Strafvollzug verliert mit der Verbüßung des Jugendarrestes seinen Schrecken. 31Dem entsprechend wird in der Rechtslehre und im Schrifttum überwiegenddiese Forderung zurückgewiesen. 32 In diesem Zusammenhang ist auf eine neueEntscheidung des BVerfG vom 19.12.2004 33 zu verweisen. Damit wird nicht nurdie gleichzeitige Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung und eines Jugendarrestesaus verfassungsrechtlichen Gründen wegen Verstoßes gegen dasWillkürverbot gem. Art. 103 Abs. 2 GG untersagt. Auch de lege ferenda ist dieAuffassung des BVerfG zu beachten, wonach es »verfassungsrechtlich nicht zurechtfertigen« ist, dass zunächst ein Jugendarrest angeordnet und vollzogenwird und später die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafebejaht werden, da somit die Voraussetzungen für den Jugendarrest tatsächlichnicht gegeben waren.5. Einführung der Sicherungsverwahrung im <strong>Jugendstrafrecht</strong>Die Sicherungsverwahrung erlebt z. Zt. ihre kriminalpolitische Blüte. Die 10-jährige Begrenzung im Fall der erstmaligen Anordnung wurde mit dem Gesetzzur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom26.1.1998 aufgehoben. Trotz der zweijährigen Überprüfungsverpflichtung (§ 67e Abs. 2 StGB) ist damit die Sicherungsverwahrung tendenziell auf ›Lebenslänglich‹angelegt. Mit dem Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrungvom 21.8.2002 wurde gem. § 66 a StGB dem erkennenden Gericht dieMöglichkeit eingeräumt, sich die Verhängung einer Sicherungsverwahrung vorzubehalten.Mit dem Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrungvom 23.7.2004 wurde gem. § 66 b StGB die Möglichkeit geschaffen, insbesondereunter Berücksichtigung des Vollzugsverhaltens des Verurteilten nachträglichdie Sicherungsverwahrung anzuordnen. Die vorbehaltene Sicherungsverwahrungund die nachträgliche Sicherungsverwahrung hat der Gesetzgeberauch für Heranwachsende eingeführt, die nach Erwachsenenstrafrecht bestraftwerden (§ 106 Abs. 3 – 6 JGG). Jetzt soll die nachträgliche Sicherungsverwahrungauch bei Jugendlichen sowie generell bei Heranwachsenden Gesetz werden – soder Gesetzesantrag der Freistaaten Bayern und Thüringen vom 21.4.2005, 34 so derKoalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD vom 11.11.2005. 35Die Bundesjustizministerin hat am 25.2.2007 einen entsprechenden Gesetzesentwurfangekündigt. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung ist geplant fürVerurteilte, die mindestens eine Jugendstrafe von 7 Jahren erhalten haben wegeneines Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung, aber auch wegen einerschweren Körperverletzung. Auch wenn eine jährliche Überprüfung <strong>statt</strong>findensoll, droht damit auch jugendlichen Straftätern das ›Lebenslänglich‹.Gegen die Nachträglichkeit der Sicherungsverwahrung werden zu Recht gewichtige,weil verfassungsrechtliche Einwände erhoben. 36 Diese hat das Bundesverfassungsgericht37 zurückgewiesen, vor allem mit dem Hinweis, dass mitder Sicherungsverwahrung keine neue Strafe verhängt werde, sondern eineMaßregel der Besserung und Sicherung, vor allem und zunächst eine Maßregel250


der Sicherung (siehe § 129 StVollzG). Diese Einwände gegen die Nachträglichkeitwill ich nicht aufgreifen. Gegen die nachträgliche Sicherungsverwahrungfür Jugendliche wie auch gegen die für Heranwachsende bereits eingeführtenachträgliche Sicherungsverwahrung (§ 106 Abs. 3 JGG) ist Zusätzliches einzuwenden.Eine nachträgliche Sicherungsverwahrung mag rechtstheoretischbei jungen Menschen begründbar sein nach dem Motto: ›Wir dürfen nicht sehendenAuges zulassen, dass ein akut gefährlicher Gewaltverbrecher aus demStrafvollzug entlassen wird.‹ Die nachträgliche Sicherungsverwahrung für jungeMenschen ist aber nicht rechtspraktikabel, ja sie kann sich kontraproduktivfür den Opferschutz auswirken. Dies aus folgenden Gründen: 381. Die kriminelle Entwicklung junger Menschen verläuft nicht linear nach unten,sozusagen auf einer schiefen Ebene und endet dann in einen Zustand von unverbesserlich.Die kriminelle Entwicklung verläuft in Wellen, mit Abbrüchen,mit Neuanfängen.2. Die Dauer einer so wellenförmigen Delinquenzperiode endet in der Mehrzahlder Fälle im Alter von 20 – 25 Jahren.3. Häufig sind es zufällige, äußere Umstände, die zu einer Umkehr führen. EinSchicksalsschlag in der Familie, Erkrankung, eine neue Partnerschaft, ein neuerJob. Derartige Umstände sind nicht voraussehbar.4. Das Leben im Strafvollzug ist keine realistische Welt, in der man lernt, mit Konfliktsituationenumzugehen. Es ist eine künstliche Welt eingerichtet in einer totalenInstitution, der totalen Reglementierung. Die meisten passen sich an, schon,um die Entlassung auf Bewährung zu bekommen. Einige lehnen sich auf, steigernsich in ihrem Hass, ›drehen durch‹. Neue Tatsachen im Sinne einer akutenRückfallgefahr beruhen nicht selten auf diesen Haftbedingungen.5. Unter dem Damoklesschwert ›nachträgliche Sicherungsverwahrung‹ wirderst recht eine Anpassungsstrategie gewählt werden. Eine Scheinanpassungverhindert aber die Einsicht in die Notwendigkeit einer Verhaltensänderung,verhindert das Lernen von Sozialverhalten. Wer für sich selbst gefährlicheNeigungen erkennt, wird diese tunlichst nicht offenbaren. Er beginnt keineTherapie. Die wirklich Gefährlichen werden so unerkennbar, die wirklich Gefährlichenwerden so unbehandelt entlassen. Das System der nachträglichenSicherungsverwahrung produziert unverbesserliche Wiederholungstäter.Wenn somit in der Praxis nur sehr begrenzt eine sichere Gefährlichkeitsprognoseabgegeben werden kann und gleichzeitig eine Therapie der wirklich Gefährlichenbehindert wird, so ist die – nachträgliche – Sicherungsverwahrunggegenüber jugendlichen Straftätern im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes,abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip gem. Art. 20 Abs. 3 GG, sowohlungeeignet als auch unangemessen. Nur ein Feindstrafrecht blendet diese Verhältnismäßigkeitsprüfungaus. Die Entwicklung von einem Bürgerstrafrecht zueinem Feindstrafrecht 39 droht vor dem <strong>Jugendstrafrecht</strong> nicht halt zu machen.251


IV.Gegen eine administrative <strong>Abkehr</strong> oder gegen eine <strong>Abkehr</strong>auf krummen WegenDer Gesetzesvollzug erfolgt bekanntlich nicht automatisch. Personalaus<strong>statt</strong>ung,die Qualität der Entscheider, die organisatorischen Rahmenbedingungen, insbesondereauch für die Vollstreckung der justiziellen Entscheidungen bestimmenden Gesetzesvollzug. Ich greife zwei bedenkliche Entwicklungen in der <strong>Jugendstrafrecht</strong>spraxisheraus.1. Gegen eine PolizeidiversionIn einigen Bundesländern, insbesondere in Berlin und Schleswig-Holstein werdender Polizei über Diversionsrichtlinien weit reichende Kompetenzen eingeräumt.Peter-Alexis Albrecht spricht insoweit von einer »exekutivischen Rechtspflege«. 40In Schleswig-Holstein hat die Polizei das Recht, eine sofortige Schadenswiedergutmachungsowie Entschuldigung und ›kleine Täter-Opfer-Maßnahmen‹ zuveranlassen. Für weitergehende Maßnahmen ist zwar die Zustimmung derStaatsanwaltschaft einzuholen. Faktisch wird aber auf diesem Wege die Entscheidungauf die Ebene der Polizei verlagert. In Berlin wird über die Einschaltung einesSozialarbeiters als ›Diversionsmittler‹ nur die geplante Diversion als solchemit der Staatsanwaltschaft abgesprochen. Die Art der Maßnahme bleibt dem Diversionsmittlerüberlassen. Dies führt zu einer rechtsstaatswidrigen Kompetenzverlagerungvon der Staatsanwaltschaft bzw. dem Gericht auf die Polizei. 41Die geforderte Freiwilligkeit der Jugendlichen steht in der Praxis häufig nur aufdem Papier. Nach einer vergleichenden groß angelegten Untersuchung der Diversionspraxisnach den früheren Diversionsregeln und der heutigen Regel inSchleswig-Holstein haben sich die Sanktionen im Rahmen der Diversion deutlichverschärft, d.h. es werden deutlich mehr Arbeitsmaßnahmen und Geldzahlungen›angeregt‹, weniger der Täter-Opfer-Ausgleich. Polizei hat offensichtlichein größeres Sanktionsbedürfnis. In 44% der Fälle erfolgten Korrekturenvon Seiten der Staatsanwaltschaft gegenüber dem polizeilichen Sanktionsvorschlag,bezogen hierauf wurde in 63% der Fälle von der Staatsanwaltschaft einemildere Sanktion für angemessen angesehen oder ein gänzlicher Verzicht fürgeboten erachtet. 42Noch problematischer ist der kriminalpräventive Modetrend, so genannte TeenCourts einzurichten. Pilotprojekt war das »kriminalpädagogische SchülerprojektAschaffenburg«. 43 In diesem Modell werden unter Anleitung und Aufsichtder Staatsanwaltschaft Schüler zur Ahndung von Straftaten Jugendlicher eingesetzt,in dem im Rahmen eines Gesprächs über die Tat in Übereinstimmung mitdem Beschuldigten eine pädagogische Maßnahme festgesetzt wird. So positivder Ansatz der autonomen Konfliktregelung unter Jugendlichen ist, z. B. durchSchülerkonfliktlotsen, so weckt die Feststellung »generell fallen in vergleichbarenFällen die Sanktionen an Teen Courts in der Regel härter aus als an regulärenJugendgerichten« 44 Besorgnisse. Die ungewöhnliche »Richterrolle« für Jugendlichebegünstigt offensichtlich ungewöhnliche Strafbedürfnisse. 45252


2. Gegen eine Verabschiedung der Jugendgerichtshilfe aus demJugendstrafverfahrenDie Jugendgerichtshilfe verabschiedet sich in jüngster Zeit zunehmend aus Jugendstrafverfahren.Vielfach nimmt sie entgegen ihrer Verpflichtung gem. § 38JGG nicht mehr an der Verhandlung teil, weil das entsprechende Personal fehlt.Hinsichtlich der Sanktionierung erweist sich die so genannte Steuerungsverantwortungder Jugendhilfe gem. § 36 a SGB VIII als eine fatale Fehlentscheidungdes Gesetzgebers. 46 Damit werden den Jugendrichtern die helfenden-ambulantenSanktionen aus der Hand genommen. Die Jugendgerichtshilfe verweigerteine Umsetzung derartiger Sanktionen, weil von ihrer Seite ein entsprechenderHilfebedarf nach dem SGB VIII nicht festgestellt wurde. Im Vorwege werdenderartige Sanktionen der Jugendstrafjustiz gar nicht mehr angeboten. Obwohlaus rechtlicher, insbesondere verfassungsrechtlicher Sicht eine Steuerungsverantwortungder Jugendgerichtshilfe im Rahmen der strafjustiziellen Sanktionierungabzulehnen ist, weil damit die richterliche Sanktionskompetenz (Art. 92GG) ausgehebelt wird, wird damit nochmals das Kostenproblem verdeutlicht.Die Kommunen stellen nicht ohne Berechtigung die Frage, warum sie die Kostentragen sollen für die Umsetzung von Sanktionen, die von der Jugendstrafjustizangeordnet wurden. Ich werde hierauf zurückkommen.V.Für eine Weiterführung der <strong>Jugendstrafrecht</strong>sreformIn diesen kriminalpolitischen Zeiten muss man schon froh sein, wenn der Status quogehalten wird. <strong>Reform</strong>en werden z.Zt. nur noch auf Grund von Entscheidungen desBundesverfassungsgerichts umgesetzt, so mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtsvom 31.5.2006 47 für die <strong>Reform</strong> des Jugendstrafvollzugs. Mit der Entscheidungvom 16.1.2003 48 wurden die Elternrechte im Jugendstrafverfahren deutlichgestärkt. Der Gesetzgeber hat mit dem 2. Justizmodernisierungsgesetz dementsprechenddie gesetzlichen Vorgaben für den Ausschluss der Eltern von der Hauptverhandlungkonkretisiert und gleichzeitig im Falle des Ausschlusses die Pflichtverteidigungangeordnet (§§ 51 Abs. 2-5, 68 Nr. 3 JGG). Auf die verfassungsgerichtlicheArgumentation gegen den so genannten Einstiegs- oder Warnarrest habe ich bereitshingewiesen. Wir dürfen aber nicht allein auf das Bundesverfassungsgericht setzen,zumal dessen Fortschrittlichkeit personenabhängig ist. Unterhalb der Schwelle derVerfassungsgebotenheit gibt es kriminalpolitische Forderungen. Es gilt nicht nur abzuwehren,es gilt selbstbewusst positive Veränderungen einzufordern. Die zweite <strong>Jugendstrafrecht</strong>sreformkommissionder DVJJ hat hierzu einen umfassenden <strong>Reform</strong>katalogvorgelegt, manches hiervon ist auf dem Juristentag 2002 diskutiert und beschlossenworden. Ich will einige Punkte aufgreifen:1. Heranwachsende sind generell dem <strong>Jugendstrafrecht</strong> zu unterstellen. DieEntwicklung junger Menschen ist keineswegs mit 18 Jahren abgeschlossen.253


Die heutige individuelle Prüfung gem. § 105 JGG wird nicht immer den Betroffenengerecht und führt zu Ungleichbehandlungen. Vor allem kann mitdem <strong>Jugendstrafrecht</strong> individueller und effektiver im Interesse der Rückfallvermeidungreagiert werden.2. Rechtsstaatlichkeit verlangt Höchstgrenzen für Geldbußen und für Arbeitsmaßnahmen.Aus der Praxis wird von exorbitanten Sanktionen berichtet.Rechtsstaatlich ist weiterhin geboten, den so genannten Ungehorsamsarrest zueiner Ersatzsanktion für nicht durchgeführte Erziehungsmaßregeln und Zuchtmittelzu erklären. 49 Hierbei kann die Ersatzfreiheitsstrafe als Ersatz für die Geldstrafe(§ 43 StGB) Vorbild sein.3. Der Jugendarrestvollzug muss zu einem stationären sozialen Trainingskursumgestaltet werden, auf den Freizeitarrest sollte gänzlich verzichtet werden. 504. Die so genannte Vorbewährung muss im Interesse von Rechtssicherheit undRechtsstaatlichkeit gesetzlich normiert werden. Mit dieser Maßnahme wird denVerurteilten noch eine letzte Chance gegeben, dass die ausgeurteilte Jugendstrafe– bis zu 2 Jahren – zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Forderung nach einergesetzlichen Normierung betrifft insbesondere die Dauer der so genanntenVorbewährung und die Anrechnung der in dieser Zeit erfüllten Weisungen undAuflagen für eine später verweigerte Strafaussetzung zur Bewährung.5. Die Voraussetzungen für die Verhängung einer Jugendstrafe müssen umformuliertwerden. Die Feststellung »schädlicher Neigungen« ist schädlich. Wassoll der Verurteilte von sich denken, wenn ihm schädliche Neigungen zuerkanntwerden. Der Begriff ist herabsetzend und stigmatisierend. Eine persönlichkeitsspezifischeRückfallgefahr für erhebliche Straftaten sollte an die Stelledieses veralteten Begriffs aus der Tätertyplehre treten. Ebenso ist die zweiteVoraussetzung »Schwere der Schuld« zu konkretisieren auf Kapitaldelikte, dieim Hinblick auf die Erschütterung des Rechtsvertrauens in der Bevölkerungeine freiheitsentziehende Sanktion unbedingt erforderlich machen. 516. Das Hauptproblem der heutigen <strong>Jugendstrafrecht</strong>spraxis ist das fehlendebzw. mangelnde Angebot für ambulante Sanktionen sowie für Alternativenzur U-Haft. Dahinter steht die ungelöste Kostenfrage. Hier muss eine grundsätzlicheRegelung zwischen den Länderjustizverwaltungen und den Kommunengetroffen werden.VI.FazitEs gilt, die Fortschrittlichkeit des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s nicht nur zu bewahren, zu verteidigen.Es gibt auch gesetzgeberischen <strong>Reform</strong>bedarf, vor allem müssen die organisatorischenRahmenbedingungen für den Vollzug des Jugendgerichtsgesetzeseingefordert werden. <strong>Reform</strong> des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s <strong>statt</strong> Ablösung und <strong>Abkehr</strong>!254


Anmerkungen187,5 % der Bürger sagen, Verbrechen sollten härter bestraft werden, siehe Heitmeyer Die Zeit vom15.12.2005; zur neuen »Straflust« siehe Kury/Oberfell-Fuchs in: Festschrift für Schwind, 2006, S. 1021ff.; zur Verschärfung der Strafeinstellungen bei Jura-Studenten siehe Streng in: Härtere Strafen – wenigerKriminalität? Zur Verschärfung der Santkionseinstellungen, hrsg. von Kury, 2006, S. 210 ff.; dagegenReuband Neue Kriminalpolitik 2006, 99.2Zu kriminalpolitischen Vorstößen siehe DVJJ-Journal 1996, 316, 317; Brunner JR 1997, 492; Hinz ZRP 2000,112; Paul ZRP 2003, 204.3Bayerische Staatsregierung, BR-Drucks. 449/99; CDU/CSU-Bundestagsfraktion, BT-Drucks. 14/3189;weitere Gesetzesentwürfe; BR-Drucks. 312/03 und BT-Drucks. 15/1472.4Gesetzesanträge der Bayerischen Staatsregierung, BR-Drucks. 662/67, 449/99 sowie zusammen mit derSächsischen Landesregierung, BR-Drucks. 459/98.5So wiederholte Gesetzesinitiativen, zuletzt Gesetzesantrag der Freistaaten Bayern und Thüringen v.21.4.2004, BR-Drucks. 276/05.6BR-Drucks. 276/05.7Kusch NStZ 2006, 65; dagegen Ostendorf NStZ 2006, 320.864. Deutscher Juristentag, 2002, CIII2.a; so auch die »nahezu einhellige Forderung« in der Rechtslehre, sieheBöhm in Festschrift für Spendel, 1992, S. 787.9Kleine Strafrechtskommission vom 31.1.2003.10Abgedruckt bei Ostendorf, Wieviel Strafe braucht die Gesellschaft?, 2000, S. 194 sowie in ZRP 1998, 446.11Schwind, Kriminologie, 14. Aufl., § 2 Rn. 28.12Shell-Jugendstudie »Jugend 2006«, S. 50.13Bundesverband deutscher Banken, Interesse, 8/2006.14Süddeutsche Zeitung vom 3.11.2006.15So die Wirtschaftsauskunftei Creditreform, Kieler Nachrichten vom 3.11.2006.16Jehle/Heinz/Sutterer, Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, hrsg. v. BMJ, 2003; siehe auchHeinz ZJJ 2004, 435 ff..17Schumann Zentralblatt für Jugendrecht 1986, 366; Schwegler, Dauerarrest als Erziehungsmittel für jungeStraftäter, 1999, S. 285.18Kraus/Rolinski Mschrkrim 1992, 32 ff.; siehe auch die Sekundäranalyse von Synowiec, Wirkung und Effizienzder ambulanten Maßnahmen des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s, 1998, S. 362; zu positiven Effekten des Täter-Opfer-Ausgleichs siehe Keudel, Effizienz des Täter-Opfer-Ausgleichs, 2000, S. 218.19Wellhöfer Mschkrim, 1995, 42 ff..20Löhr in: Strafverfolgung und Strafverzicht, Festschrift zum 125-jährigen Bestehen der StaatsanwaltschaftSchleswig-Holstein, hrsg. von Ostendorf, 1992, S. 579 ff..21Ostendorf NStZ 2006, 320 ff..22Siehe DVJJ-Journal 1996, 316, 317; Brunner JR 1997, 492; Hinz ZRP 2000, 112; Paul ZRP 2003, 204.23Von Liszt, Vorträge und Aufsätze, 2. Bd., 1900, S. 339.24Siehe Ostendorf, JGG, 7. Aufl., Grundlagen zu §§ 105 – 106 Rn. 5, 6, 7.25Zuletzt Gesetzesantrag der Freistaaten Bayern und Thüringen vom 21.4.2004, BR-Drucks. 276/05.26So die DVJJ, siehe Zweite <strong>Jugendstrafrecht</strong>sreform-Kommission DVJJ-Journal extra Nr. 5, 2002, S. 10; soder 64. Dt. Juristentag, 2002, C III 2. a; so auch die »nahezu einhellige Forderung« in der Rechtslehre, sieheBöhm, in: Festschrift für Spendel, 1992, S. 787; Europarat (Ministerkomitee) Empfehlung Rec (2003) 20vom 24.9.2003 »Zu neuen Wegen im Umgang mit Jugenddelinquenz und der Rolle der Jugendgerichtsbarkeit«,III. 11; zur europäischen Ausweitung des <strong>Jugendstrafrecht</strong>s auf Heranwachsende siehe DünkelDVJJ-Journal 2003, S. 19 ff..27Ausführlicher Ostendorf ÖJZ 2004, 121 ff.; Ostendorf (Fn. 24) Grundlagen zu den §§ 105-106 Rn. 10 ff..28BGHSt 12, 119; BGH StV 2003, 460 = ZJJ 2003, 192. Dementsprechend gibt es nur äußerst wenige Revisionsentscheidungen,in denen die Verurteilung eines Heranwachsenden nach <strong>Jugendstrafrecht</strong> aufgehobenwurde, siehe hierzu Block, Fehlerquellen im Jugendstrafprozess - Eine Untersuchung der Fehlerquellenim <strong>Jugendstrafrecht</strong> anhand von Revisionsverfahren, 2005, S. 106 ff..29Gesetzesanträge der Bayerischen Staatsregierung BR-Drucks. 662/97, 449/99 sowie zusammen mit derSächsischen Landesregierung BR-Drucks. 459/98. Dagegen aber Kusch NStZ 2006, S. 69.30Brunner, JGG, 9. Aufl., § 27 Rn. 14; Bietz NStZ 1982, 121; Schaffstein NStZ 1986, 511; Bayerische StaatsregierungBR-Drucks. 449/99; CDU/CSU-Bundestagsfraktion BT-Drucks. 14/3189; weitere Gesetzesentwürfe:BR-Drucks. 312/03, BT-Drucks. 15/1472.255


31Siehe Schumann Zbl 1986, 367; Schwegler, Dauerarrest als Erziehungsmittel für junge Straftäter, 1999,S. 285.32Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl., § 27 Rn. 15; Diemer in: Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 4. Aufl., § 8 Rn.6; Herrlinger/Eisenberg NStZ 1987, 177; Ostendorf (Fn. 24) Grundlagen zu §§ 27-30 Rn. 7; ViehmannZJJ 2003, 285 ff.; Breymann/Sonnen NStZ 2005, 669 ff.; ebenso der 64. Dt. Juristentag, 2002, C VI. 7.; zusammenfassendWerner-Eschenbach, <strong>Jugendstrafrecht</strong> / Ein Experimentierfeld für neue Rechtsinstitute,2005, S. 51 ff.; siehe aber auch Vietze Der Einstiegsarrest – eine zeitgemäße Sanktion?, 2005.33ZJJ 2005, 73.34BR-Drucks. 276/05; nach Zeitungsberichten – Kieler Nachrichten vom 21.2.2006 – will auch BundesjustizministerinZypries einen entsprechenden Gesetzesantrag einbringen.35Kap. VIII, 2.1.36Siehe die Nachweise bei Ostendorf, JGG, 7. Auflage, § 106 Rn. 12.37BVerfG Strafverteidiger 2006, 574.38Siehe auch Laubenthal/Baier, <strong>Jugendstrafrecht</strong>, 2006, Rn. 438; Streng, <strong>Jugendstrafrecht</strong>, 2003, § 8 Rn. 12 a;Eisenberg, JGG, 11. Aufl., § 106 Rn. 4; Schulz SchlHA 2005, S. 251, 252; Goerdeler ZJJ 2003, 185 ff.; Werner-Eschenbach, <strong>Jugendstrafrecht</strong> / Ein Experimentierfeld für neue Rechtsinstitute, 2005, S. 203 ff., wo die Heranziehungdes § 27 JGG zur Begründung einer vorbehaltenen Sicherungsverwahrung widerlegt wird.39Jakobs ZStW 97 (1985), 751; ders. in: Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende,hrsg. von Eser/Hassemer/Burkhardt, 2000, S. 47; ders. Höchstrichterliche Rechtsprechung (HRRS) Heft3/2004, 88; abl. Dencker StV 1988, 262; Albrecht, Kriminologie, 3. Aufl., S. 70 ff.; Kunz, Kriminologie, 3.Aufl., § 9 Rn. 29; NK-StGB-Hassemer/Neumann, 2. Aufl., vor § 1 Rn. 47; Prittwitz in: Jahrbuch für RechtsundKriminalsoziologie ’04, hrsg. von Pilgram/Prittwitz, 2005, S. 224 ff.; Sauer NJW 2005, 1703.40Albrecht, <strong>Jugendstrafrecht</strong>, 3. Aufl., § 14 C II.41Siehe Ostendorf (Fn. 24), § 45 Rn. 16 m.w.N.42Siehe Grote, Diversion im <strong>Jugendstrafrecht</strong>, 2006,S. 262 ff.43Ausgewertet von Sabas, Schülergremien in der <strong>Jugendstrafrecht</strong>spflege – ein neuer Diversionsansatz,2004.44Siehe Sabas, a.a.O., S. 30.45Siehe auch Ostendorf in: Neues in der Kriminalpolitik, hrsg. von Minthe, 2003, S. 134.46Siehe bereits Ostendorf ZJJ 2004, 294.47BVerfG NJW 2006, 2093.48BVerfG NJW 2003, 2004 = DVJ-Journal 2003, 68 mit zust, Anm. von Ostendorf und Eisenberg; s. auchEisenberg/Zötsch GA 2003, 226; Grunewald, NJW 2003, 1995.49Siehe im Einzelnen Ostendorf (Fn. 24), Grdl. zu den §§ 9-12 Rn. 6.50Siehe im Einzelnen Ostendorf (Fn. 24), Grdl. zu den §§ 13-16 Rn. 9.51Siehe Ostendorf (Fn. 24), Grdl. zu den §§ 17-18 Rn. 6.256

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