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Bibelenergie<br />

Kurzbibel<br />

in Form gebracht und bedacht von Traugott Giesen<br />

-1940 geboren, 39 Jahre ev. Pastor, erst in Berlin, dann in Keitum auf Sylt, dort<br />

auch wohnhaft- tgiesen@gmx.de .<br />

Die wichtigsten Bibeltexte - von dam<strong>als</strong>, aber so gar nicht von gestern - dazu<br />

geistvolle Gedanken zum Starkbleiben, dargeboten <strong>als</strong> Bibelrolle zum Scrollen<br />

Zuvor<br />

Die Bibel kann niemand auslesen; sie gleicht einer Quelle, die immer frisches<br />

Wasser gibt. Sie beschreibt die Anfänge der Menschheitssehnsucht vom großen<br />

Gott und seiner Liebesgeschichte, die immer noch im Gange ist. Die Bibel ist zu<br />

Recht das “Buch der Bücher“ genannt, es ist das notwendige Buch überhaupt.<br />

Doch es gibt in ihm vermauerte Türen - abgelaufene Geschichts- und<br />

Gesetzestexte etwa. Und es gibt einladende Zugänge: Erleuchtete Gebete oder<br />

hinreißende Erzählungen.<br />

Die Bibel ist ja erst spät zu einem Buch zusammengewachsen. Eigentlich ist sie<br />

eine vierzehnhundert Jahre umfassende Bibliothek aus (mehr oder weniger) 66<br />

Büchern und einem Anhang von 15 Schriften. Ein Wegkundiger ist da hilfreich,<br />

um die dringendsten Texte und schönsten Bibelstellen zu finden.<br />

Aus dem „Kontinent Heilige Schrift“ ist Bibelenergie für den Tag zu schürfen:<br />

Ein Stück Text, dazu ein paar Ideen von TG, erwachsen aus 39 Jahren<br />

Pastordasein und einem langen Leben; Viel Angelesenes und Erfahrenes ist<br />

beigemischt.<br />

Es ist doch so: Gott schafft noch und schreibt seine Bibel weiter mit uns;<br />

Schreiben wir sie mit. Der Luthertext (revidierte Fassung 1984) der Deutschen<br />

Bibelgesellschaft in Auswahl und sehr gerafft und persönlich bearbeitet, liegt<br />

dieser Rolle, dieser Mappe zu Grunde. Die Reihenfolge der Evangelientexte<br />

lehnt sich an „Die Synopse der vier Evangelien“ an, ebenfalls aus dem Verlag<br />

Deutsche Bibelgesellschaft.<br />

B. Brecht lässt einen Weisen sagen: „Ich lehre es, weil es alt ist, d.h. weil es<br />

vergessen werden und <strong>als</strong> nur für vergangene Zeiten gültig betrachtet werden<br />

kann. Gibt es nicht ungeheuer viele, für die es ganz neu ist?“<br />

1


Die meisten Zeitgenossen wissen nicht mehr, wer Kain und Abel waren und sie<br />

feiern an Weihnachten christliche Folklore, aber finden die Geburtsgeschichte<br />

nicht, auch wenn man ihnen die Bibel gäbe. Dabei ist die Bibel doch voll<br />

Bilder, die uns Zusammenhalt einprägen, Bilder <strong>als</strong> Baken, die uns die uns den<br />

Weg weisen.<br />

Ja, „bei der Lektüre der Bibel wieder in eine Art Goldgräberstimmung verfallen“<br />

(Kardinal Lehmann), das wäre was. Jeder nehme vom großer Schatz, ob <strong>als</strong><br />

Offenbarung gelesen oder „nur“ <strong>als</strong> Weltliteratur. Diese Auswahl hier hat ihren<br />

Sinn erfüllt, wenn man selbst zur „richtigen“ Bibel greift.<br />

Die Texte des Alten Testamentes erscheinen fortlaufend.<br />

Die Texte des Neuen Testamentes sind gruppiert um<br />

A Jesus Christus-<br />

1 Jesu Geburt, 2 Jesu Worte und Taten, 3 Jesu Passion- Kreuzigung-<br />

Auferstehung.<br />

B Apostelgeschichte, Briefe, Offenbarung<br />

Altes Testament<br />

* *<br />

Die Schöpfung<br />

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.<br />

1.Mose 1,1<br />

Vorher war nur Er. Von Gott her ist alles geworden. Alles erwächst aus ihm,<br />

dem Ursprung; alles ist Erweiterung, Entwicklung, Erfüllung und Vollendung<br />

des Angefangenen. So sind wir auch nicht „Früchte des Zorns“, nicht Treibgut<br />

auf dem Fluss Nirgends. Sondern wir sind von Gott Gewollte, erschaffen durch<br />

seinen Willen. Das hebräische Wort, das da für „schaffen“ steht, ist Gott<br />

vorbehalten, und meint „aus dem Nichts ins Sein gerufen“.<br />

Gott schuf, schafft, schuf, weil er Gegenüber will, Abdruck und Erfindung und<br />

Ausgeburt seiner Selbst.<br />

Tohuwabohu<br />

Und die Erde war wüst und leer.<br />

1.Mose 1,2<br />

2


Schuf Gott auch das Wüste, die Leere? Alles Sein ist Seins. Auch was wenig<br />

Wesen hat, schreit nach mehr, will Fülle werden; Wüste will blühen, Leere will<br />

gefüllt sein. Das kommt davon, daß nichts ohne Erwartung, nichts ohne Gott ist.<br />

Im hebräischen Urtext steht: „tohuwabohu“: wüst und leer. Ich nehme es <strong>als</strong><br />

Versprechen, alles Verquere ist auf Heilwerden ausgestreckt. Es ist eine<br />

Heilkraft in der Welt. Ich will ihr nicht entgegen sein, will einigermaßen in<br />

Schrittrichtung mit ihr im Gang sein. Ich glaube, dass auch mein Chaos heil<br />

wird.<br />

Und es war finster auf der Tiefe<br />

und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.<br />

1.Mose 1,2b<br />

Das Schweben des Geistes kann man eigentlich nur musikalisch ausdrücken.-<br />

Am Anfang ist geballte Energie, die schon schwanger geht mit Licht und<br />

Wandel.<br />

Immer wieder, immer noch ist es uns finster. Und wir werden wieder in<br />

Dunkles tauchen. Eingesogen werden wir von Muttermundhaftem- dann ist<br />

Ruhe; alles Grelle, Schreiende, Fordernde wird abgetan sein. Und die<br />

Schöpfung geht weiter mit uns.<br />

Und Gott sprach:<br />

1.Mose 1,3<br />

Das ist die Erlösung. Wenn wir verkracht sind und einer bricht das Schweigen,<br />

ist das befreiend. Um Welten größer das Glück, dass Gott sich endlich äußert,<br />

sich kenntlich macht <strong>als</strong> sprechender Gott. Er hätte anonym und unpersönlich<br />

bleiben können, nur gewaltig eben, Naturkraft pur, Schöpfer eines Universums<br />

ohne Menschen, ohne Gegenüber und ohne Zwiesprache. Aber endlich-<br />

nachdem Gott schon einige Milliarden Jahre Entwicklung hat laufen lassen,<br />

spricht er. Und fängt an, sich zu offenbaren. Er ist dabei, ein Sein zu schaffen,<br />

das vernehmbar ist; Klang ist; ja, das Antwort ist. Alles Sein ist Sein-Nehmen.,<br />

sein Wesen ist Gewolltsein. Er aber ist Sein gebend. Er gebietet dem Sein zu<br />

sein.<br />

„Es werde Licht!“<br />

Und es ward Licht.<br />

1.Mose 1,3b<br />

Gottes erstes Wort ruft eine Schöpfung herauf, die Erleuchtung bringt. Die Idee<br />

„Licht“ ist das erste aller Werke. Erst die Idee, später dann das physikalische<br />

3


Material. Die Lichtkörper sind einer späteren Entwicklungsstufe vorbehalten; sie<br />

treten erst nach und nach in Erscheinung. Sicher schwingt in der Hochschätzung<br />

des Lichtes <strong>als</strong> erste Schöpfung die Dankbarkeit für die Sonne mit. Ihr<br />

Auggehen lässt die Nacht weichen und richtet uns Menschen zum Tagwerk auf.<br />

Aber vor dem Inswerksetzen muss Gott auf die Idee kommen.<br />

Hier werden die Weichen gestellt: Erst der Geist, dann die Materie. Erst auch<br />

die Idee zu diesem und jenem bestimmten Menschen, dann das Mischen der<br />

Chromosomen. So geht dem Leuchtstoff voraus die Idee und der Wille: Licht<br />

soll werden.<br />

Von diesem Willen lebt das Universum. Wir werden nicht verglühen sondern<br />

werden in einem „Licht von unerschöpftem Lichte“ stehen.<br />

Der erste Tag<br />

Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der<br />

Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus<br />

Abend und Morgen der erste Tag.<br />

1.Mose 1,4.5<br />

Auf das Qualitätssiegel Gottes kommt es wohl an. Dass er Vorhandenes gut<br />

findet, gibt Dauer und rechte Zuordnung. Finsternis und Helle tun uns gut, sie<br />

stehen uns bei, sie geben uns den Rhythmus des Gedeihens.<br />

Die Nacht soll für den Schlaf sein- eine der menschenfreundlichsten<br />

Erfindungen ist doch dies kleine alltägliche Sterben, dann die Auferweckung<br />

zum neuen Tag. Ich darf wieder ich sein, hier sein auf eigenen Beinen und mit<br />

tätigen Händen. Jeder Tag - eine neue Berufung; auch das ist gut.<br />

Das Himmelsgewölbe, die Erde, das Grün<br />

Und Gott schuf im zweiten Schritt das Himmelsgewölbe, darunter das Wasser<br />

für die Erde. Im dritten Schritt trennte er auf der Erde das Meer und das Land.<br />

Und sprach die Erde an, sie solle Gras und Kraut, das Samen bringe, aufgehen<br />

lassen und fruchttragende Bäume Und Gott sah, dass es gut war.<br />

1.Mose 1,6-13<br />

Die Früheren dachten, es gäbe einen Himmels-Ozean, der von der irdischen<br />

Atmosphäre wie durch eine gläserne Glocke getrennt sei. Trennen war und ist<br />

überhaupt ein besonders wichtiger Akt: Dem Meer ist eine Grenze gesetzt. Das<br />

schafft der Erde Raum für Anwachs. Herrlich, wie die Erde mit schöpferischer<br />

Kraft ausgestattet ist: Gott macht, dass sich die Dinge selber machen (Martin<br />

Luther). Jeder neue Baum und jede neue Sorte ist aus Gottes Schatz und Willen<br />

ohne dass es eine gezielte Entscheidung Gottes braucht. Sein Ansehen, sein<br />

Gutfinden lässt die Schöpfung gelingen.<br />

4


Die Lichter<br />

Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden<br />

Tag und Nacht und bilden Zeiten, Tage, Monate und Jahre- das war am vierten<br />

Schöpfungstag. Und Gott sah, dass es gut war.<br />

1.Mose 1,14-19<br />

Gelehrte des Gottesglaubens brachten vor wohl 2500 Jahren das<br />

Schöpfungswerk in diese Worte und diese Abfolge. Ihnen war es dramatisch<br />

wichtig, die Gestirn-Götter der Nachbarvölker, Sonne und Mond, klein zu<br />

machen. Sie erniedrigten Sonne und Mond zu „Lampen“. Leuchtkörper haben<br />

zu dienen, haben keinen eigenen Willen und sind keine Verehrung wert.<br />

So sollen wir auch nicht der Sonne danken sondern für die Sonne. Und die<br />

Sterne sind Leuchten aber keine Schicks<strong>als</strong>mächte.<br />

Die Tiere<br />

Und Gott sprach am fünften Welttag: Es wimmle das Wasser von lebendigem<br />

Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. Und im<br />

sechsten Abschnitt sprach Gott: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein<br />

jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes. Und Gott sah, dass<br />

es gut war; und er segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und<br />

erfüllet das Wasser, die Luft, die Erde.<br />

1.Mose 1,20-25<br />

Es muss uns begeistern, dass schon vor zweieinhalbtausend Jahren die Frommen<br />

das Schöpfungswerk <strong>als</strong> ein „work in progress“, <strong>als</strong> in Arbeit, ansahen, in<br />

Entwicklung (eben wollen Forscher entdeckt haben, daß die Phönix-Galaxie<br />

täglich zwei neue Sonnen ausspuckt). Eins fußt auf dem anderen, geht aus dem<br />

andern hervor: Das Wasser <strong>als</strong> Wiege; nach den Fischen, aus den Fischen die<br />

Vögel, dann die Landtiere. „Die Erde bringe hervor!“- heißt auch: Die Erde<br />

nutze das Vorhandene für neue Arten.<br />

Nicht „Schöpfung oder Entwicklung“, sondern Schöpfung <strong>als</strong> Entwicklung,<br />

mittels Entwicklung; nicht die Entwicklung ist das Schöpferische, „die<br />

Entwicklung ist kein denkendes Wesen“ (I. Kant) wie auch das Kochen nicht<br />

das Essen macht. Was setzt das Werden in Gang, hält es in Gang? Wer setzt die<br />

Naturgesetze? Der Koch der Schöpfung entwickelt das Werden in Schritten und<br />

Gängen. Und zielt auf das Ihm Ähnliche.<br />

Zum Bilde Gottes<br />

5


Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die<br />

da herrschen über die Tiere. Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde,<br />

zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie <strong>als</strong> Mann und Frau.<br />

1. Mose 1,26.27<br />

Das alte Israel dachte sich Gott <strong>als</strong> die Summe vieler Gottheiten und <strong>als</strong> Person.<br />

Damit war ein gewaltiger Schritt in der Entwicklung des menschlichen Denkens<br />

getan- die uralten Gottheiten des Krieges und der Liebe, des Regens und der<br />

Ernte, der Künste und des Todes, des Meeres und der verschiedenen Stämme<br />

waren zusammengefasst. In dem Einen klingen die vielen noch nach-„lasset uns<br />

Menschen machen“ –spricht Gott, der Viele, ja, der Alles ist.<br />

Die dunklen Kräfte wurden früher einem Teufel, einem Gegengott<br />

zugeschrieben. Aber Israels Glaube ist auch darum groß, weil er an einen<br />

Großen, an Einen, den Einen, den Ganzen glaubt. Der umfasst auch das<br />

Schattenhafte, Dunkle, Böse.<br />

Gott ist mehr <strong>als</strong> nur der Gute, er ist der Ganze. Der schafft sich ein Wesen, das<br />

er mit der Sehnsucht ausstattet, vollständig zu werden und Vollkommenes zu<br />

bauen, und einmal im Ganzen aufzugehen. Alle Lust strebt darum über das hier<br />

notgedrungen Bruchstückhafte hinaus und will Ewigkeit (Friedrich Nietzsche).<br />

Der Menschensinn strebt in Kunst und Wissenschaft und noch im<br />

Schrebergärtlein Abbild von Ganzheit an.<br />

Das Wesen Mensch ist nicht wie das Tier eins und einig mit der Natur. Der<br />

Mensch sucht sein Gegenüber, mit dem er ein Ganzes bilden kann. Die Ellipse<br />

mit den zwei Brennpunkten, die mal weit auseinander treiben, mal<br />

zusammenfallen in einem Punkt und eine Kugel bilden, sind das Traum- Bild für<br />

das Menschenpaar.<br />

Doch der Mensch ist so plastisch veranlagt, daß er nicht auf eine einzige<br />

Ergänzung festgeschweißt ist. Er kann sich weitläufig befreunden und kann<br />

einen Reigen mit den Menschengeschwistern bilden. Weil Gott in keiner Weise<br />

monoman ist, hat er uns so spannend in uns selbst gemacht. Gott ist nicht autark,<br />

nicht glücklich in sich selbst. Darum will er Wesen, mit denen er sprechen und<br />

schaffen kann; Wesen, denen Selbsterkenntnis möglich ist, weil sie ein<br />

Gegenüber haben, in dem dieses Selbst sich erkennen kann.<br />

Segen für Tier und Mensch<br />

Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und<br />

füllet die Erde und macht sie euch untertan.<br />

1.Mose 1,28<br />

Tiere und Menschen bekommen den Segen, der beauftragt und Geleit zusagt.<br />

Allem Menschenrecht und Tierschutz geht <strong>als</strong> Begründung voraus: Mensch und<br />

Tier unterstehen Gottes Segen und dem Befehl, sich zu mehren.<br />

6


Dass der Zeugungsauftrag des Menschen höchste Pflicht sei, ist nicht gesagt.<br />

Die jetzige Überfülle der Erde bewirkt Leid aus Mangel und Krankheit und<br />

Enge, was nicht von Gott gewollt ist. Nicht Zeugen und Gebären ist höchstes<br />

Gebot sondern mütterlich, väterlich alle Kinder an den Gütern des Lebens zu<br />

beteiligen.<br />

Dem auf Gott hörenden Menschen ist geboten, die Natur sich untertan zu<br />

machen. Dieser Auftrag hat zu Wissenschaft und Technik angeleitet mit all den<br />

Wohltaten und Schattenseiten der Moderne Der Mensch hat sich Mittel zur<br />

Umwälzung der Natur zugelegt. Verliert er sich <strong>als</strong> Mitarbeiter Gottes aus den<br />

Augen und weiß nicht mehr die höchste Instanz, der er verantwortlich ist, dann<br />

wird der Mensch sich und der Natur und der Mutter allen Seins zum Feind. Weil<br />

der Mensch geneigt ist, selbstherrlich die Natur auszubeuten, muss der Segen<br />

Gottes uns immer wieder neu anleiten zu geistvollem Handinhand mit der Natur.<br />

Von der Natur könnten wir Modernen die Strategie lernen, „zu wachsen und<br />

dabei immer komplexer und reicher zu werden, ohne pleite zu gehen“ (Michael<br />

Succow). Aber blind gegen unsere Natureinbettung und ertaubt gegen Gottes<br />

Auftrag zur pfleglichen Mitgestaltung lebt der Mensch sein „Untertanmachen“<br />

<strong>als</strong> „Prinzip Ausnutzen“ bis zur Zerstörung. Ob Gott diesen möglichen<br />

Niedergang mit bedacht hat, <strong>als</strong> er den Menschen so hoch begabte? Gott hat in<br />

der Entwicklung der Arten nicht Halt gemacht beim Menschenaffen sondern er<br />

schritt weiter zum Affenmenschen und darüber hinaus zum Homo sapiens.<br />

Diese Schöpfung ist noch im Gang und zielt auf eine heile Welt mit uns und<br />

gegen uns aber immer für uns katastrophenhafte, wunderbare Menschen. Auch<br />

in einer Pfütze kann sich der Himmel spiegeln. Wir sind noch zu retten mit<br />

Heiligem Geist.<br />

Sehr gut<br />

Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und es war sehr gut. Da ward aus<br />

Abend und Morgen der sechste Tag.<br />

1.Mose 1,31<br />

Uns beginnt der Tag am Morgen und geht abends zur Neige. Wir gehen vom<br />

Hellen ins Dunkle. Für Israel hebt der neue Tag am Abend an. Israel geht vom<br />

Dunkel ins Helle. Das ist ein starkes Bild für die Werdewelt, die erst noch licht<br />

wird.<br />

Dass Gott alles Gemachte für sehr gut hält, meint nicht, dass die Welt schon<br />

perfekt sei. Sondern sie ist sehr gut für Weiteres; ihr Rahmen, ihre<br />

„Naturkonstanten“ sind sehr gut.<br />

Der alte Bibel-Text hat noch das Weltbild seiner Zeit: Was gut wird, ist am<br />

Anfang gut gewesen, darum hat es eine Chance. Der Baum muss aus guten<br />

Samen stammen. Das Goldene Zeitalter ist der Ursprung, dann kommt der<br />

Abfall, dann das Gericht und neuer Anfang auf höherer Ebene. Wir denken<br />

heute anders: Sicher muss der Anfang gut sein, aber wir sind auf dem Weg, wir<br />

7


sind in einer guten Geschichte, die auf den Frieden Gottes mit aller Kreatur<br />

zugeht. Wir dürfen sagen: Gott segnet die Anfänge und den Weg und treibt das<br />

Werden zum Ziel.<br />

Gott wird feiern<br />

Und am siebenten Tage ruhte er von allen seinen Werken. Und segnete diesen<br />

Tag besonders.<br />

1.Mose 2,1-3<br />

Die sieben Tage meinen nicht 168 Stunden sondern Weltzeiten, Epochen. Die<br />

Woche gehört zu den ganz wenigen Zeitabschnitten, die im Bewusstsein der<br />

Menschen schon früh verankert waren. Die sieben Schöpfungstagen meinen<br />

sieben Phasen.<br />

Es ist hier auch das Wissen von dam<strong>als</strong> mitgeteilt, aber es ist dargeboten <strong>als</strong><br />

Lobgesang, <strong>als</strong> große Liturgie der Anbetung. Es geht den Verfassern um den<br />

unbedingten Willen, den es zu preisen gilt. Goethe sagt es spielerisch: „In<br />

wenigen Stunden hat Gott das Rechte gefunden“.<br />

Natürlich ist diese Poesie dem naturwissenschaftlichen Denken zu ungenau. Es<br />

lässt nur Objektives –<strong>als</strong>o in Wiederholung Zählbares, Messbares- gelten.<br />

Dieses Weltbild ist nicht f<strong>als</strong>ch aber eng, es kann auch von der Liebe nur ihre<br />

chemischen und physikalischen Ausläufer erfassen. Das Wiegbare, Messbare<br />

ist nur eine von mehreren Sprachen Gottes, wie auch Sternkunde und<br />

Mathematik neben der Bibel den Willen Gottes ausdrücken.<br />

Der siebte Tag wird keinen Abend haben. Es ist die Feierzeit Gottes mit aller<br />

Kreatur, „da Fried und Freude lacht“. Noch sind wir auf dem steinigen Weg zur<br />

Vollendung, sind noch am sechsten Tag, sind noch in Arbeit, auch Gott ist noch<br />

in Aktion. Doch der Anfang ist gemacht.<br />

„Der siebte Tag siebt das Schaffen der sechs durch das Sieb der Ruhe“ (Ludwig<br />

Strauss). Als Anbruch von ewigem Glück, <strong>als</strong> messianische Insel im Meer der<br />

unerlösten Zeit hat Gott den Sabbat bzw. den Sonntag gestiftet. Da soll der<br />

Mensch ruhen, und die Nutztiere auch.<br />

Der Ruhetag nach sechs Arbeitstagen ist eine der frühesten sozialen<br />

Errungenschaften der Menschheit. Israel zählte ihn unter die drei Gaben, die der<br />

Mensch aus dem Paradies mitnehmen durfte: Die Sonne, den Sabbat und die<br />

Liebesumarmung.<br />

*<br />

Die Schöpfung anders erzählt<br />

Als Gott der Herr Erde und Himmel machte, waren alle die Sträucher noch nicht<br />

auf Erden, und all das Kraut auf dem Felde war noch nicht gewachsen; denn<br />

Gott der Herr hatte noch nicht regnen lassen auf Erden, und kein Mensch war<br />

8


da, der das Land bebaute; aber ein Nebel stieg auf von der Erde und feuchtete<br />

alles Land.<br />

1.Mose 2,4-6<br />

Das ist eine andere, ältere Darstellung vom Anfang. Sie unterscheidet sich stark<br />

von der schon wissenschaftlich zu nennende Reihung im ersten Kapitel. Dieser<br />

Bericht ist wohl geschrieben 950 Jahre vor Christi Geburt. Die Bilder reichen in<br />

graue Vorzeit zurück. Da konnte man sich dem Nichts gedanklich nur nähern,<br />

indem man aufzählte, was alles noch nicht da war. Vor allem war anfangs der<br />

Mensch noch nicht da, durch dessen Feldarbeit recht eigentlich die Schöpfung<br />

anfängt, jedenfalls für ein Bauernvolk.<br />

Gott verehren und das Land bebauen sind die zwei Seiten der einen Medaille,<br />

und haben im Lateinischen nur ein Wort: colere- wovon Kultur kommt. Der<br />

Mensch ist Gottes einziger Zeuge.<br />

Der Boden ist schon da, aber der ist so gut wie Nichts, ist Wüste, die eigentliche<br />

Schöpfung beginnt mit der Feuchtung. Für die Menschen im Norden ist der<br />

Anfang gleichbedeutend mit dem (Wieder)kommen der Sonne. Die Menschen<br />

am Rande der Wüste finden das immer wieder sich erneuernde<br />

Schöpfungswunder im Aufblühen des Landes nach dem großen Frühjahrsregen.<br />

Für uns fängt die Schöpfung damit an, dass eine absichtsvolle Intelligenz die<br />

Welt irgendwann ins Sein ruft und die Startbedingungen unfassbar genau<br />

einstellt, die Naturkonstanten, die Schwerkraft etwa und dann die koordinierte<br />

Mutation. Die Welt mit ihrer Geschichte von Zufall und Notwendigkeit ist selbst<br />

etwas uns Zufallendes, uns Zugeworfenes, ein Einfall, ein freies Geschenk<br />

Gottes, nicht der Natur, die ja selbst Geschenk ist.<br />

Von Erde genommen<br />

Da machte Gott den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Atem des<br />

Lebens in seine Nase. Und so wurde der Mensch ein lebendiges Wesen.<br />

1.Mose 2,7<br />

Töpfe und Schmuck waren die ersten Herstellungen des Menschen. Darum lag<br />

es für die Früheren nahe, sich Gott <strong>als</strong> Töpfermeister und Künstler vorzustellen,<br />

der liebevoll die Körper des ersten Menschenpaares formt. Als Material (Mater<br />

= Mutter) bot sich Erde an- schon aus der Erfahrung, dass der Leib ja wieder zu<br />

Erde zerfällt. Aber zum Körper muss hinzukommen der Atem, der auch für uns<br />

noch viel mit Seele zu tun hat.- Hier wieder ein liebevolle Zeichen: Gott gibt<br />

von seinem Atem dem Menschen ab.<br />

Wir wissen heute, dass der Schöpfer statt Erdmaterial eine schon entwickelte<br />

Sorte Natur genutzt hat. Ob Erde oder Menschenaffe- ob aus Erde geformt oder<br />

aus einer Affenherde liebevoll hochgezüchtet, das kann Christen gleich recht<br />

sein. Der Sprung vom Menschenaffen zum Affenmenschen ist ein<br />

9


Quantensprung an Qualität: Etwas von Gottes Inwendigem muss dem Menschen<br />

implantiert sein, dass er gedeihen kann.<br />

Man kann naturwissenschaftlich wohl keinen Sinn beweisen, kein Ziel, um<br />

dessen Willen die Welt entstand. Das spricht nicht gegen die Existenz von Gott<br />

und Sinn. Die meisten Menschen sprechen ihrem Dasein einen Sinn zu. Wer<br />

sich aber beschränkt auf das zwar nicht f<strong>als</strong>che aber enge Weltbild aus rein<br />

physikalischen, chemischen, biologischen Erkenntnissen, der kann wenigstens<br />

erwägen: “Möglicherweise wurde der Mensch so selektiert, dass er seinem<br />

Leben einen Sinn geben muss“ (S. Hibbeler). Das nackte „Selektieren“ –<strong>als</strong>o<br />

„heraussuchen“ oder auch „züchten“ schreit für weiterdenkende Menschen<br />

geradezu nach einem „Treiber des Werdens“. Martin Luther sagt „Ich glaube,<br />

daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen<br />

und Ohren, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält.“ Nimm dies<br />

<strong>als</strong> Spitzensatz auch deines Glaubens. Man kann das so denken: Beweis für die<br />

Existenz Gottes sei dir dein Existieren.<br />

Garten Eden<br />

Und Gott pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den<br />

Menschen hinein, dass er den Garten bebaue und bewahre.<br />

1.Mose 2,8.15<br />

Der Mensch inmitten gartenhafter Schöpfung, Gott selbst <strong>als</strong> Der Große<br />

Gärtner!- Noch der Stolz von Hobbygärtnern über die schönste Rose, den<br />

dicksten Kürbis erinnert von Ferne an die Leidenschaft Gottes, dass das<br />

Lebendige ihm gut gedeihe.<br />

Wieder ist die Wüstenerfahrung Hintergrund für das alte Weltbild, in dem die<br />

Oase Wunder und Glück ist. Ähnlich wir Modernen: Die Astronauten berichten<br />

von ihrem Dank, ihrer Bewunderung für den blauen Planeten inmitten von<br />

Schwärze und funkelnder Kälte.<br />

Die Erde zu bebauen und zu bewahren ist schon vor 3000 Jahren dem Menschen<br />

aufgegeben. Diese Weisung muss mitklingen, wenn wir den Auftrag, die Erde<br />

uns untertan zu machen, hören: Nicht zerstörerisches Ausbeuten sondern das<br />

bewahrende Nutzen ist Menschheitsberuf.<br />

Aufs Du angelegt<br />

Und Gott sprach: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; ich will ihm einen<br />

Gefährten machen, der mit ihn lebt. Und Gott schuf aus Erde alle die Tiere auf<br />

dem Felde und alle die Vögel unter dem Himmel und brachte sie zu dem<br />

Menschen, dass er sähe, wie er sie nenne; denn wie der Mensch jedes Tier<br />

nennen würde, so sollten sie heißen. Und der Mensch gab einem jeden Vieh und<br />

Vogel unter dem Himmel und Tier auf dem Felde seinen Namen.<br />

10


Aber der erste Mensch war zunächst allein.<br />

1.Mose 2, 18-20<br />

Das ist ein Urwissen von uns allen und auch Gott erklärt es ausdrücklich für ein<br />

Defizit und nicht <strong>als</strong> eine Leistung, allein klar kommen zu wollen. „Wer einsam<br />

ist, der hat es gut, weil keiner ist, der ihm was tut“ (W. Busch), ist eine<br />

wehmütige Erkenntnis. Sie wird behoben dadurch, dass wir wieder und wieder<br />

uns <strong>als</strong> beziehungsfähig erweisen. Wir sind für andere brauchbar und nötig und<br />

liebenswert geschaffen. Weil es nicht gut ist, allein zu sein, sollen wir auch nicht<br />

allein lassen.<br />

Dam<strong>als</strong> dachte man, Gott habe erst einen geschaffen- dann den anderen. In<br />

Israel war der erste Mensch <strong>als</strong> Mann gedacht, in andern Kulturkreisen ist die<br />

Frau zuerst da. Jedenfalls begründet die Geschichte von Adam und Eva keinen<br />

Vorrang für den Mann.<br />

Schon die Vorfahren wussten, dass Mensch und Tier aus gleichem Stoff sind.<br />

Der Mensch aber hat den Auftrag, die Tiere zu benennen, <strong>als</strong>o sie sich<br />

zuzuordnen. Früher war der Abstand zu den Tieren noch klein, es war ein langer<br />

Kampf, bis sich die Vorherrschaft des Menschen erwiesen hat und die Gefahr<br />

gebannt war, von den wilden Tieren ausgerottet zu werden. Die Vorstellung,<br />

dass der Mensch seine Ergänzung im Tier finden könne, ist in den Märchen<br />

noch bewahrt. Aber der Mensch braucht den Menschen.<br />

Ein Fleisch<br />

Da ließ Gott einen tiefen Schlaf fallen auf den Menschen, und er schlief ein.<br />

Und er nahm eine seiner Rippen und schloss die Stelle mit Fleisch. Und Gott<br />

baute eine Frau aus der Rippe, die er von dem Manne nahm, und brachte sie zu<br />

ihm. Da sprach der Mann: Das ist doch Bein von meinem Bein und Fleisch von<br />

meinem Fleisch. Und darum wird wieder und wieder der Mensch Vater und<br />

Mutter verlassen und seinem Gefährten anhangen, und sie werden ein<br />

Gutesganzes (ein Fleisch) werden.<br />

Und sie waren beide nackt, der Mann und seine Frau, und sie schämten sich<br />

nicht.<br />

1.Mose 2,21-24<br />

Die Ur- Schöpfung wiederholt sich in jeder Biographie. Auf dem Weg zum<br />

Erwachsenwerden ziehen wir mehrfach uns in uns selbst zurück. Die Mädchen<br />

wollen zu den Pferden, die Jungen zieht es zu Kampfspielen untereinander.<br />

Bevor wir offen werden fürs andere Geschlecht, müssen wir im Tiefschlaf aus<br />

dem Unbewussten schöpfen. Da tut sich die Erkenntnis auf, wir müssen von uns<br />

abgeben, um doppelt zurückzubekommen.<br />

Das Bild von der verloren gegangenen Rippe kann von einer der uralten<br />

Geschichte herrühren: Die Männer am Feuer erzählen sich von den Kämpfen<br />

der Vorfahren mit den wilden Tieren, und wie dem Urvater die Wahl gelassen<br />

11


war zwischen Unverwundbarkeit und Frau. So gab er die Hälfte seines<br />

Körperpanzers, der ehem<strong>als</strong> auch den Bauch geschützt hat, für die Erschaffung<br />

seiner Eva. –Dieses Märchen bebildert ideal die Erfahrung der Liebe: Das<br />

plötzliche Erwachen aus dem Schlaf des Alleinseins, es fällt einem wie<br />

Schuppen von den Augen: „Das ist ja Fleisch von meinem Fleisch“, das bin ich<br />

selber noch einmal anders: Du, meine bessere Hälfte!<br />

Diese Geschichte erzählt nicht, wie, sondern dass Gott den Menschen gemacht<br />

hat, ergänzungsbedürftig und beziehungsfähig. Irgendwann wird aus dem Kind<br />

der Eltern die Frau oder der Mann zu dem Menschen, dem er dann zugehört und<br />

anvertraut und zugemutet ist, oder den er auch verfehlt.<br />

Obwohl zu jeder Trauung ganz zu Recht dieser Bibeltext gelesen wird, ist dieser<br />

nicht die Gründungsakte unseres mitteleuropäischen Eheverständnisses,<br />

geschweige denn das Einsetzungswort für ein „Ehesakrament“. Es gibt nicht die<br />

Ehe, es gibt viele Formen, einander Gehilfe und liebender Mensch zu sein.<br />

Erkenntnis<br />

Und Gott ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen<br />

und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der<br />

Erkenntnis des Guten und Bösen. Und Gott gebot dem Menschen und sprach:<br />

Du darfst essen von allen Bäumen im Garten, aber von dem Baum der<br />

Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen; denn an dem Tage, da du<br />

von ihm isst, musst du des Todes sterben.<br />

1. Mose 2,8.16-18<br />

Mindestens zwei Geheimnisse treiben den Menschen um: Warum können wir<br />

nicht ewig leben? Und: Kann ich das Gute tun und das Böse lassen? Auf beide<br />

Fragen antwortete je eine Erzählung aus uralten Zeiten. Der Mensch aß<br />

verbotenerweise vom Baum des ewigen Lebens; Und er aß vom Baum der<br />

Erkenntnis des Guten und des Bösen, beides konnte er nicht lassen. Die ganz<br />

früher getrennten Erzählungen handelten von zwei Bäumen im Paradies. Aber<br />

die Probleme, die mit den Bäumen (Baum = Leben) kamen, gehören zusammen<br />

und die Strafe ist eine. So konnte man gut die beiden Bäume <strong>als</strong> Lebensbaum<br />

ineins sehen. Der Mensch ist sterblich, weil er erkennt, dass er sterblich ist. Er<br />

gewinnt Erkenntnis; damit verliert er das den Tieren ähnliche ewige Kindsein.<br />

Er wird „Hirnhund“(G. Benn), er muss denken, sich mühen, sich größer machen,<br />

er muss das Paradies des Nichtdenkenmüssens verlassen. Und er will<br />

versuchen, will alles ausprobieren. Erst war er veranlagt, eben wie ein Tier nur<br />

zu müssen. Jetzt ist ihm Spielraum gewährt, zu wollen, zu entscheiden.<br />

Sollte Gott gesagt haben<br />

12


Aber die Schlange war listiger <strong>als</strong> alle Tiere auf dem Felde, die Gott gemacht<br />

hatte, und die sprach zu der Frau: Ja, sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht<br />

essen von allen Bäumen im Garten?<br />

1.Mose 3,1-3<br />

Der wohl abgründigste Dialog der Menschheitsgeschichte steht in diesen<br />

knappen Zeilen. Die Schlange ist uraltes Symbol für Kommen aus dem Urgrund,<br />

für Erstickenmachen durch (Jagd)List, aber auch für Häutung und Wandlung,<br />

Heilung. Und für ein Denken, das nicht weiter kommt: Die Schlange beißt sich<br />

in den Schwanz. – So ist die Schlange auch Symbol der ewigen Wiederkehr des<br />

Gleichen- ohne Fortschritt und Erweiterung.<br />

Die Schlange spricht, was der Mensch auch in sich selbst sprechen hört: Ja,<br />

sollte Gott das wirklich gesagt haben? Sollte mein geliebter Vater seiner<br />

geliebten Tochter schönste Früchte vorenthalten- das kann doch nicht wahr sein:<br />

genießt alleine, ohne mit seiner Tochter zu teilen?<br />

Die Schlange ist Bild für das menschliche Argwöhnen gegen Gottes Güte. Dies<br />

Argwöhnen haben die Alten durch das Auftreten der Schlange <strong>als</strong> von außen<br />

kommend beschrieben. Und tatsächlich ist der Argwohn gegen Gott, dass er uns<br />

quälen könnte, indem er uns Glück willentlich vorenthielte und Unglück uns<br />

zufügte, himmelschreiend. Ist der Mensch zu diesem Argwohn fähig, ist er dazu<br />

fähig gemacht. Keiner hat sich selbst geschaffen. Diese Erkenntnis oder Ausrede<br />

schiebt die Schuld für unser Schuldigwerden in Richtung Gott. Durch Auftritt<br />

der Schlange, die ja Gottes Geschöpf auch ist, zeigen die Alten: Gott befähigt<br />

und verurteilt uns zum schuldig werden können und -müssen.<br />

Wer handelt, muss auch Versäumnisse und Fehler und Schuld auf sich laden.<br />

Damit, daß Gott uns das Wissen um Gut und Böse einräumt, räumt er uns auch<br />

das Recht auf Schuld ein. Wir dürfen, was wir nicht dürfen: gegen das Wissen<br />

des Guten gegen an handeln.<br />

Das verquere Gespräch<br />

Da sprach die Frau zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im<br />

Garten; aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt:<br />

Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, dass ihr nicht sterbet!“<br />

Da sprach die Schlange zur Frau: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben,<br />

sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esst, werden eure Augen<br />

aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.<br />

1.Mose 3,4-5<br />

Wissen, was gut und böse ist, ist eine Gottesqualität. Diese Begabung hat uns<br />

Gott von immer her zugedacht. Tatsächlich kommen wir irgendwann im<br />

Kindesalter dazu, unsere Eltern zu belügen und zu bestehlen. Und fühlen in dem<br />

Augenblick uns stärker <strong>als</strong> sie. Jedenfalls fühlen wir unser Gewissen- wir<br />

wissen: Das darfst du nicht. Und doch schmeckt es gut. Unsere Augen werden<br />

13


uns aufgetan für die Ahnung, wie schwer das Leben ist, wir lieben die Eltern<br />

und verletzen sie doch.<br />

Diese Erfahrung von uns allen, haben unsere biblischen Vorfahren übertragen<br />

auf Gott und in einer Szene vom Garten und den verbotenen Früchten<br />

nachgestellt. Immer wünschen wir, es gut zu haben und doch nicht schuldig zu<br />

sein.- Aber im Angesicht der Hungernden dieser Welt ist keine schuldlose<br />

Nische zu haben: Mein Vergeuden macht die Welt mit krank. Und mein Erfolg<br />

ist oft mit dem Scheitern Anderer erkauft. Wir wissen um uns, wissen daß wir<br />

verantwortlich sind- letztlich Gott, dem wir Rede und Antwort stehen müssen,<br />

schon jetzt. Denn unser Gewissen ist im Dialog mit ihm.<br />

Sehen, was klug macht<br />

Und die Frau sah, dass von dem Baum gut zu essen wäre und dass er eine Lust<br />

für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte.<br />

1. Mose 3,6<br />

Da ist ein Verbot von dem aufgestellt, dem alles gehört. Aber Frau Mensch sah.<br />

Ihre Lebensbereitschaft neigt dazu, die Verhältnisse zu ihren Gunsten zu<br />

nutzen. Sie lässt sich die Dinge zum Besten dienen. Sie geht davon aus, dass<br />

Gott gut ist. Der wird nicht einen Baum in die Mitte des Gartens stellen, dessen<br />

Früchte Glück verheißen aber vergiftet sind. Auch wird mein geliebter Vater –<br />

so Eva- keine Versuchsanordnung aufbauen, nur um mich zu testen. Er weiß<br />

doch. Also will er mich klug machen. Darum macht er, daß Lust mir in die<br />

Augen springt.<br />

Als die Menschheit noch in den Kinderschuhen steckte, gab es eine<br />

Entwicklungsstufe ohne Gebote, ohne Gut und Böse, ohne Wahl. Die<br />

Schöpferkraft musste entscheiden, ob es beim Menschenaffen sein Bewenden<br />

haben sollte. Oder ob Gott sich ein Partnerwesen heranerziehe. Dann muss dies<br />

vor allem Spielraum haben, selbst zu wählen, was es für Gut und Böse hält. Gott<br />

kann ihm zwar seine Sicht der Dinge sagen. Aber erst wenn der Mensch aus<br />

freiem Willen das göttliche Maß für sich gelten lässt- und nicht etwa aus Angst<br />

vor Strafe- lebt er ebenbildlich mit Gott.<br />

Die Menschen vor uns legten für sich fest: Gott ließ den Erdling mitentscheiden,<br />

ob er mit Gewissen gekrönt und beladen sein will. So viel Schmerz und Hass<br />

und Gewalt kommt dadurch in die Welt, dass der Erdling Mensch wird- <strong>als</strong>o<br />

nicht nur „das Findigste aller Tiere“ bleibt, sondern „Invalide höherer Kräfte“<br />

(Helmuth Plessner) ist.<br />

Auch wollte Gott die Entscheidung, welche auch Bitternis mitbringt, nicht<br />

alleine treffen. Natürlich leidet die Mutter des Lebens, wenn ihre Kinder ihr ins<br />

Angesicht widerstehen und sich gegenseitig Böses antun. Hätte Gott uns<br />

schonen wollen, hätte er uns unwissend, hätte unsere Vorfahren Menschenaffen<br />

bleiben lassen. Aber der Blitz des Heiligen Geistes half ersten Affenmenschen<br />

zur Welt. Sie lernten, aufrecht zu gehen und Gebote des Herrn zu vernehmen.<br />

14


Und er aß<br />

Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann auch davon, und er<br />

aß.<br />

1.Mose 3,6b<br />

Das sollen wir uns so vorstellen: Lange steht Eva da, allein, wortlos, es arbeitet<br />

in ihr. Was die Schlange sagte, ist ja eine Stimme in ihr. Ob sie vielleicht Gott<br />

näher kommt, wenn sie das Gebot überspringt? Ob sie nicht vertraut werden soll<br />

mit dem Wissen von Allem? Ob sie vielleicht Gott besser versteht, wenn sie ihn<br />

nicht wörtlich nimmt? Soll ich meine Fähigkeiten auszuweiten?<br />

Aber dann liegt Schuld und Unschuld glasklar offen, frei scheint sie wählen zu<br />

können, ob sie den Apfel greift oder es sein lässt.<br />

Eva vor dem verlockenden Baum- wir spüren das Gefälle hin zum<br />

selbstverständlichen Tun des Verbotenen: Köstlich ist die Augenweide, und<br />

dazu noch das Versprechen, dadurch klug zu werden. Da darf man doch nicht<br />

ablehnen. Sie nimmt. Und die Verführte wird zur Verführenden. Sie nimmt, isst,<br />

gibt. Und er isst.-<br />

Dass die Frau den ersten Griff tut, ist kein Zeichen von Mehrschuldsein und<br />

Zweitrangigkeit, die der Frau so lange aufgedrückt wurde. Im Gegenteil scheint<br />

sie mehr Partner Gottes zu sein, schöpferischer und intelligenter, aktiver <strong>als</strong> der<br />

vor sich hinarbeitende Mann. Für ihn ist ja typisch, nichts verlieren zu wollen,<br />

während die Frau auf Gewinnen setzt. Die Frau scheint immer über das<br />

Geheimnis des Lebens zu walten. „Durch Männer lernt man höchstens, wie die<br />

Welt ist, durch Frauen jedoch, was sie ist“ (Cees Nooteboom). Die lange<br />

Geschichte männlicher Herrschaft geht Hand in Hand mit der Dummheit des<br />

Adam.<br />

Gewahr werden, was mit einem ist<br />

Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan und sie wurden gewahr, dass sie<br />

nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze.<br />

1.Mose 3,7<br />

Ihnen wurden wahrlich die Augen geöffnet. Aber sie fanden kein selbstbewusst<br />

erblühtes Ich. Die Unschuld war entzaubert, die Kindheit verloren. Es kommen<br />

auf sie die Mühen des Wissens: Sie lernen sich <strong>als</strong> Mängelwesen kennen, die<br />

geschlechtliche Stelle legt die Ergänzungsbedürftigkeit bloß. Durch Verdecken<br />

schaffen sie die Angewiesenheit nicht aus der Welt, es bleibt bei ihnen die<br />

Scham- eine innere Entherrlichung, ein Erschrecken, nicht leuchtend wie Gott<br />

für einander zu sein sondern zerrissen, argwöhnisch, selbstsüchtig, hungrig nach<br />

Liebe. In der Umarmung werden sie für Augenblicke von ihrer Eigensucht zu<br />

einem Ganzsein erlöst.<br />

15


Mensch, wer bist Du<br />

Adam und Eva hörten Gott, der sich im Garten erging, <strong>als</strong> der Tag kühl<br />

geworden war. Und sie versteckten sich vor dem Angesicht Gottes unter den<br />

Bäumen im Garten. Und Gott rief: Adam, wo bist du? Und er sprach: Ich hörte<br />

dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich<br />

mich.<br />

Und Gott sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Du hast gegessen von<br />

dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen. Da sprach<br />

Adam: Die Frau, die du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum und ich aß.<br />

Da sprach Gott zur Frau: Warum hast du das getan? Die Frau sprach: Die<br />

Schlange betrog mich, sodass ich aß.<br />

Da sprach Gott zu der Schlange: Weil du das getan hast, sollst du auf deinem<br />

Bauche kriechen dein Leben lang; Feindschaft soll sein zwischen deiner Brut<br />

und den Menschenkindern. Und zur Frau sprach er: Unter Mühen sollst du<br />

Kinder gebären und Verlangen sollst haben nach dem Mann. Und zum Mann<br />

sprach er: Unter Mühen sollst du den Acker bestellen, im Schweiße deines<br />

Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zur Erde zurückkehrst, davon<br />

du genommen bist.<br />

Und Adam nannte seine Frau Eva, Mutter des Lebendigen.<br />

1.Mose 3, 8-20<br />

„Adam, Mensch, wo bist du, wer bist du“?- ist der Ruf nach mir selbst. Was ist<br />

mit mir los; ist es ein Glück, dass ich bin? So müssen wir fragen. Es ist damit<br />

ein Horchen auf Antwort in uns eingegeben, ein Streben hin, bestätigt zu<br />

werden. Es ist der, die Andere, das Gegenüber, das mich zum Ich macht.<br />

Durch Mitmenschen hindurch ruft Gott nach mir: Ich muss aus mir<br />

herauskommen, aus dem Dickicht des Unbewussten, ich muss mich outen, mich<br />

kenntlich machen durch das, wofür ich einstehe.<br />

Mich verkriechen geht nicht, Scham vor der eigenen Dürftigkeit gilt nicht. Ich<br />

muss mich zeigen, anbieten, meine Begabung ausgeben, muss mich zu erkennen<br />

geben, ich muss Ich werden in dauernder Fühlung mit Gut und Böse.<br />

Das Ableiten von Schuld ist menschlich; Adam belastet die Frau, die Du, Gott,<br />

mir gegeben hast. Er beschuldigt <strong>als</strong>o letztlich Gott. Das macht auch die Frau:<br />

Die Schlange hast Du doch auf mich angesetzt!<br />

Die schweren Menschenlasten sahen die Vorfahren im Schuldigwerden<br />

begründet: die Angst vor giftigem Getier; die Mühe mit dem Nachwuchs und<br />

der Geschlechtlichkeit, die Mühe ums tägliche Brot, der dauernde Blick in<br />

Richtung Vergeblichkeit und Tod.<br />

Beides gilt: Die Menschen sehen letztlich Gott haftbar für die schwierigen<br />

Umstände. Diese aber besetzt Gott auch mit Hoffnung. Und Gott nimmt den<br />

Menschen in die Verantwortung: In den schwierigen Umständen wächst der<br />

Mensch, kommt zu sich selbst. Der Mann, der erst seine Frau von sich stößt,<br />

16


nennt sie dann Mutter alles Lebendigen- darin steckt Liebe und Trotz und Stolz:<br />

Der Mann sieht sich <strong>als</strong> Gefährten der Mitschöpferin, der Partnerin Gottes.<br />

Das Wissen um Gut und böse ist unser Adel<br />

Und Gott sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was<br />

gut und böse ist. Das ist die Vertreibung aus dem Garten Eden, unter Schmerzen<br />

soll er Leben weitergeben, unter Mühen die Erde bebauen. Und Gott machte<br />

Adam und seiner Frau Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. Cheruben<br />

versperren mit flammenden Schwertern den Weg zurück zum Paradies.<br />

1.Mose 3, 21 -24<br />

Das Wissen um Gut und Böse macht den Menschen anders <strong>als</strong> alle andere<br />

Kreatur. Es geht nicht mehr, das Leben aus dem Bauch; und wie es kommt, ist<br />

es gut- das ist vorbei. Von den vielen Möglichkeiten müssen wir die am<br />

wenigsten Schädliche ermitteln und tun. Einigermaßen nur wollen, was man darf<br />

und einigermaßen können, was man muss, das ist die alltägliche Gnade. Und<br />

Gelingen ist tägliches Wunder.<br />

Uns sind Felle mitgegeben; wir können uns schützen vor dem Erfrieren, auch<br />

seelisch. Gut, dass Gott uns selbst umkleidet vor der Scham- von der es viele<br />

Sorten gibt; und immer hat Scham was von Schuld- oder Mängelwissen. Vor<br />

Allem, was uns Schuldverlorensein in die Seele drückt- da sei Gott vor, bitte.<br />

Der Weg zurück ins Paradies ist uns verschlossen- wir müssen durch die<br />

Geschichte durch. Leben ist eine Dienstreise, wir können sterben, wenn wir das<br />

Menschsein durchlaufen haben. Spätestens dann werden wir erkennen: Das<br />

Paradies liegt vor uns.<br />

„Der Cherub steht nicht mehr davor“- das wissen wir von Christus. Auf der<br />

Rückseite der Zeit hat Gott noch viel mit uns vor.<br />

Anders erzählt John Milton (geb.1609): Als Adam gewahr wird, daß Eva von<br />

der verbotenen Frucht gekostet hat, wendet er sich zunächst entsetzt ab. Doch<br />

dann wird ihm klar: Auch er muss nun den Apfel nehmen, weil er andernfalls<br />

allein zurückbliebe. Adam ist kein Opfer des Bösen, sondern er entscheidet sich<br />

bewusst für den Sündenfall. Sein Vergehen ist, daß er die Liebe zu Eva höher<br />

stellt <strong>als</strong> das Gesetz. Der Dichter lässt Adam und Eva aus dem Paradies treten;<br />

und „die Welt liegt ihnen zu Füßen“. –Es wäre dies ein Lobgesang auf die (von<br />

Gott uns eingeräumte) Willensfreiheit, auf die Liebe und die Lust, etwas<br />

aufzubauen. Letztlich hat ja Gott sich einen Partner erschaffen, indem er uns<br />

abkoppelt vom kindlichen Unwissen hin zum Gewissen des erwachten<br />

Menschen.<br />

Kain und Abel<br />

*<br />

17


Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie wurde schwanger und gebar den<br />

Kain. Danach gebar sie Abel. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein<br />

Ackermann.<br />

1.Mose 4, 1-2<br />

Die deutsche Sprache hat für die Liebesumarmung eigentlich nur das<br />

behutsame “Miteinander- Schlafen.“ Das hebräische „Erkennen“ dagegen feiert<br />

das geistige Ereignis, das mit dem Lieben einhergeht: ausgeliefert aneinander<br />

nehmen wir uns wahr, von Angesicht zu Angesicht.<br />

Der Mensch ist geliebter Sünder- dafür steht das erste Menschenpaar. Das erste<br />

Brüderpaar ist einander feind- auch das kennzeichnet die von Anfang an<br />

bedrohte Schöpfung; sie muss erst noch heil werden.<br />

Schäfer und Bauer sind ehem<strong>als</strong> Konkurrenten- sie stehen für Rivalität aller Art.<br />

Der wirtschaftliche Kampf ums Überleben macht auch vor Geschwistern nicht<br />

Halt.<br />

Zum Erntedank<br />

brachte Kain dem Herrgott Opfer von den Früchten des Feldes, Abel brachte<br />

Jungtiere von seiner Herde. Und Gott sah Abel und sein Opfer gnädig an, aber<br />

Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte<br />

finster seinen Blick.<br />

1.Mose 4, 3-5<br />

Beide Brüder wissen, dass sie ihre guten Ernten Gott verdanken. Auch ihre<br />

Gesundheit, ihre Familien, die Zeit, die Freude, ja, sich selbst verdanken sie<br />

Gott. Aber wie ein Blitz aus eben noch heiterem Himmel fährt ein Hass in die<br />

Welt, fällt in des Menschen Herz. Kain sieht seine Sympathie bei Gott und dem<br />

Schicksal verloren. Vielleicht war es ein nichtiger Anlass nur- sein Opferfeuer<br />

qualmte, während Abels Feuer herrlich prasselte. Er sieht sich zurückgesetzt,<br />

sieht Abel bevorzugt. Und schon lodert Argwohn in Kain auf, Grimm überzieht<br />

seine Seele, Neid und Gewalt brechen hervor.<br />

Die Geschichte lässt Gott den Urheber auch des Grimms sein, er verteilt seine<br />

Gunst ungerecht („Die Wege des Herrn sind unerforschlich“-sagte man früher.)<br />

Wir sind heute mit solcher Schuldzuweisung vorsichtig. Jesu lehrte uns, Gott<br />

nicht <strong>als</strong> Autor von Bösem zu sehen, sondern <strong>als</strong> Miterleider und Erlöser.<br />

Grimm<br />

Da sprach Gott zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen<br />

Blick? Es ist doch so: Wenn du ohne Arg bist, kannst du frei den Blick erheben.<br />

Sinnst du aber Böses, so lauert die Sünde <strong>als</strong> Dämon an der Tür. Auf dich hat er<br />

es abgesehen. Du aber werde Herr über ihn.<br />

1.Mose 4,6.7<br />

18


Kain ist nicht automatisch seiner Aggression ausgeliefert. Im Gewissen hört er<br />

sich infrage gestellt. Warum denn der Hass? Ist in dir ein Verlangen zu<br />

zerstören? Willst du gewinnen durch Kleinmachen und Vernichten? Sünde kann<br />

monströs Macht über uns gewinnen; wir sehen uns <strong>als</strong> Opfer eines Dämons, der<br />

auf uns zufliegt, von uns Besitz ergreift Aber du Mensch, beherrsche deine Lust,<br />

zu unterwerfen. Benutz kein Böses, auch nicht <strong>als</strong> Mittel für angeblich gute<br />

Zwecke - so lockt Gott und würdigt uns eines ziemlich freien Willens.<br />

Es gibt böse Mächte, Dämonen, Hexen- aber sie können nicht in dein Haus, es<br />

sei denn, du lässt sie ein. Schlimm ist, sie noch einzuladen. Wir haben<br />

Entscheidungsspielräume, haben immer wieder Möglichkeiten, zu wählen. „Wer<br />

A sagt, muss nicht B sagen, er kann auch erkennen, dass A f<strong>als</strong>ch war“ (Bert<br />

Brecht).<br />

Bruders Hüter<br />

Doch Kain sprach zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und <strong>als</strong> sie<br />

auf dem Felde waren, griff Kain seinen Bruder Abel an und schlug ihn tot.<br />

Da sprach Gott zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Was weiß ich?<br />

Soll ich meines Bruders Hüter sein?<br />

1.Mose 4,8.9<br />

Abgründig, dass Menschen Ihresgleichen umbringen können. Dann sind alle<br />

Sperren niedergerissen von der einen Gier, diesen aus dem Weg zu räumen. Um<br />

sich seine Lebenskraft oder seinen Besitz, seine Würde, seine Macht<br />

anzueignen. Tief in uns wissen wir, dass wir einander zu Hütern bestellt sind.<br />

Mord ist fast Selbstmord. Lebenslänglich wird man das Töten bei sich haben,<br />

Sein Schrei, sein Niedersinken schiebt sich in jeden künftigen Gedanken. Die<br />

Räume des Schreckens wird man nie mehr los.<br />

„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einen, wenn man<br />

herabsieht“(Georg Büchner). Kain ist tief gekränkt. Er sieht sich <strong>als</strong> Opfer, zum<br />

Versager gemacht, er tötet den Zeugen seiner Schmach. In einer Eruption aus<br />

Wut auf sich selbst-dass er so danebenlag in seiner Einschätzung- und Zorn :<br />

warum ich und nicht er- und Angst,wie kleingemacht soll es jetzt weitergehn<br />

neben dem triumphierenden Bruder- schlägt er zu, gegen seinen Willen, seine<br />

Vorsätze, seine Vernunft.<br />

Fluch<br />

Gott sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit<br />

zu mir von der Erde. Verflucht sollst du sein. Wenn du den Acker bebauen<br />

19


wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Ruhelos und flüchtig sollst du<br />

sein auf Erden.<br />

1.Mose 4,10-12<br />

Das ist der Fluch der bösen Tat: Man kann sich seines Lebens nicht mehr freuen.<br />

Nähe mit dem Mörder wird gemieden, seine Mitarbeit wird nicht gewollt. Die<br />

einzige Chance ist die garstige Fremde. Wo man ihn erkennt wird man Steine<br />

nach ihm werfen. Und er muss weiter. Es gilt das Wort aus Weisheit 11,16:<br />

„Womit einer sündigt, damit wird er auch bestraft.“<br />

Todesstrafe abgelehnt<br />

Gott sprach: Aber totschlagen soll ihn keiner. Und Gott gab Kain ein Zeichen,<br />

dass ihn niemand erschlüge. Und Kain ging weit weg, jenseits von Eden, wo er<br />

meinte, er sei dem Herrn aus dem Blick.<br />

1.Mose 4,13-16<br />

Die Sensation ist, dass schon ganz früh die Menschen wussten: Todesstrafe geht<br />

nicht. Das Leben, auch des Mörders, ist des Herrn. Fürchterlich, dass sich doch<br />

immer wieder Menschen anbieten zu Henkern, um anmaßend „im Namen des<br />

Herrn“ Leben auszulöschen.<br />

Aber auch Gott ist gezeichnet mit dem Kainsmal. Das ist ein Versprechen: Auch<br />

jenseits von Eden bleiben Gottes Augen über Bruder Kain. Und dem Abel ist ein<br />

unverbrüchliches Gedenken gewidmet in all den Mühen um<br />

Geschwisterlichkeit.<br />

Geschichten wie die von Kain und Abel erzählen, das kann man eigentlich nur,<br />

wenn man starken Mutes ist. Denn es braucht Kraft, die Räume des Schreckens<br />

zu vermessen und den Hang zur Gewalt in uns zu merken; Geben wir nicht auf,<br />

mitten im Winter die Keime des Frühlings zu glauben. Entzünden wir kleine<br />

Feuer der Liebe, helfen wir dem Pflänzchen Humanität zum Überleben. Retten<br />

wir Menschen aus ihrer Sprachlosigkeit. Hilde Domin sehnt sich, das Vertrauen<br />

zwischen den Brüdern noch einmal herzustellen, damit es eine zweite Chance<br />

gibt: „Abel steh auf/ damit Kain sagt/damit er sagen kann/Ich bin dein Hüter/<br />

Bruder/wie sollte ich nicht dein Hüter sein.“<br />

Und hat nicht der alte Indianer recht der seinem Enkel von dem Bösen und dem<br />

Guten in der Welt erzählt und davon, dass in einem jeden von uns ein guter und<br />

ein böser Wolf steckt? Und der Enkel fragt: „Welcher Wolf siegt denn“? Und<br />

der Indianer antwortet: „Der, den du fütterst“.<br />

Doch Zukunft<br />

Und Kain und seine Frau bekamen den Henoch, der baute eine Stadt.<br />

Nachkommen wurden Viehzüchter, andere Zither –und Flötenspieler, andere<br />

Eisenschmiede.<br />

20


1.Mose 4,17.20f<br />

Der schuldbeladene Kain geht an die Arbeit, vielleicht will er wiedergutmachen<br />

und der Schuld entkommen. Christian Morgenstern sagte: „Wer sich groß<br />

verfehlt, hat auch große Quellen der Reinigung in sich.“ Kinder ins Leben rufen<br />

und sie erziehen, das baut Zukunft, Kains Kindern schreibt man die Erfindung<br />

der Stadt zu, der sozialen Einrichtung überhaupt. Und sie machten Musik und<br />

Waffen und Geschmeide.<br />

Wir stammen von Mördern ab,wir sind Sieger, stammen ab von Siegern.<br />

Unzählbar die, die starben, ehe sie Eltern wurden.<br />

Aus der Tiefe zu den Sternen<br />

Ein Tiefpunkt der menschlichen, der männlichen Großmannssucht klingt auf in<br />

dem grölenden Triumphlied des Kain-Nachkommen Lamech: Ada, Zilla, meine<br />

Frauen! Merkt auf, was Lamech zu sagen hat: Ich erschlage einen Mann für<br />

meine Wunde, einen Jungen für meine Beule. Na und? Ich sage: Kain sollte<br />

siebenmal gerächt werden aber der große Lamech soll siebenmal siebzigfach<br />

gerächt werden.<br />

1.Mose 4,23.24<br />

Wir kommen aus Zeiten, da galt das Recht des Stärkeren. Der nahm, was er<br />

wollte und stillte seine Mordlust, bis er erschöpft war. Hunderttausend Jahre<br />

wohl brauchte Gott, um dem Menschen Gewissen einzutrichtern: ein Um- sich-<br />

selbst- wissen: Mensch, du bist für dein Tun verantwortlich. Du bist gewürdigt<br />

und verpflichtet, einer höheren Instanz Antwort und Rechenschaft zu geben.<br />

( So kann man eigentlich nicht sagen: „Vor meinem Gewissen hab ich mir nichts<br />

vorzuwerfen“. Ich stehe ja mit meinem Gewissen vor einer Instanz, der ich<br />

verantwortlich bin.)<br />

Ein Meilenstein in der Erziehung des Menschengeschlechtes ist die Begrenzung<br />

der Rache auf ein strenges: „Wie du mir, so ich dir.“ „Auge um Auge, Zahn um<br />

Zahn, Leben um Leben“ (2.Mose 21,23f). Nicht mehr, nicht weniger, kein<br />

Pogrom aber auch keine Gnade. Die Zeitenwende brachte Jesus: „Wenn dich<br />

jemand auf die rechte Backe schlägt, biete ihm auch die linke. Will einer deinen<br />

Mantel, gib ihm auch dein Hemd.“ (Matthäus 5,39). Der Mensch wird zur<br />

Feindesliebe fähig, wenn er an Jesu Hand den Racheherrn und den<br />

Gesetzesrichter hinter sich lassen darf und hinfindet zum „Gott der Geduld und<br />

des Trostes“ (Römerbrief 15,5).<br />

Sintflut - die größte anzunehmende Traurigkeit<br />

*<br />

21


Als aber Gott sah, dass die Bosheit der Menschen groß war auf Erden und alles<br />

Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immer und immer, da reute es<br />

ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in<br />

seinem Herzen und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe,<br />

vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum<br />

Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, dass ich<br />

sie gemacht habe. Aber...<br />

1.Mose 6,5-7<br />

Es ist vielleicht der gewalttätigste Satz über die Menschheit.<br />

Niederschmetternder haben wir nicht von uns gesprochen und von Gott: Wir,<br />

unsere Spezies, ein Missgriff eines scheiternden, gebrochenen Gottes. Der Satz,<br />

ist wie eine gewaltige Flut, mit der der Herr seinen Stall ausmistet, seine Welt<br />

hinwegspült.<br />

Immer wieder kamen und kommen Fluten, Feuersbrünste, Hungerkatastrophen,<br />

Vulkanausbrüche über die Menschheit. Und Menschen fragen: Warum? Und<br />

sagen, um Gott zu schützen: Wir sind selbst schuld. Wären wir Gott, hätten wir<br />

mit Unsereins auch Schluss gemacht.<br />

Doch an den Vernichtungssatz schließt sich ein Aber, das leuchtendste Aber.<br />

Vielleicht, am Ende des Tunnels, Licht; nicht vom entgegenkommenden Zug<br />

sondern von Noah, der Arche, dem Regenbogen, dem Bund.<br />

Aber Noah<br />

war ein frommer Mensch und ohne Tadel zu seinen Zeiten; er lebte mit Gott. Zu<br />

ihm sprach Gott: Das Ende allen Lebens ist bei mir beschlossen, denn die Erde<br />

ist voller Frevel; ich will sie alle verderben mit der Erde.<br />

Du aber mache dir einen Kasten von dreihundert Ellen, dreißig Ellen Höhe, mit<br />

Stockwerken, Ställen, Kammern, Fenstern. Ich will eine Sintflut kommen lassen.<br />

Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.<br />

Aber mit dir will ich meinen Bund aufrichten, und du sollst in die Arche gehen<br />

mit deinen Söhnen, mit deiner Frau und mit den Frauen deiner Söhne.<br />

In die Arche sollt ihr bringen von allen Tieren, von allem Fleisch, je ein Paar,<br />

Männchen und Weibchen, dass sie leben bleiben mit dir. Genug Verpflegung<br />

und Futter nimm mit!<br />

Und Noah tat, was Gott gebot. Und die Tiere gingen zu Noah in die Arche,<br />

paarweise. Dann kamen die Wasser der Sintflut. Alle Brunnen der großen Tiefe<br />

brachen auf und es taten sich die Fenster des Himmels auf. Es regnete vierzig<br />

Tage und vierzig Nächte.<br />

1.Mose 6,8-22; 7,1-12<br />

Die Rettung liegt bei einem, der mit Gott lebt. Einer bleibt übrig, einer kehrt um,<br />

einer baut die Arche. Die Vielen können irren. Einer aber sieht Gott kommen.<br />

Einer weiß, was zu tun ist: Retten, Bergen, in Sicherheit bringen, alles verlassen<br />

22


um des einen Auftrags willen. So einen fand Gott; Und so einen findet Gott<br />

immer wieder in den großen und kleinen Katastrophen. Lasst uns nicht sagen:<br />

„Nach uns die Sintflut“. Bauen wir Archen, Freundschaften, Inseln zum<br />

Überleben.<br />

Solange die Erde steht<br />

Nach dem lange nicht enden wollenden Regen gedachte Gott an Noah und an<br />

alles Getier, das mit in der Arche war, und ließ die Winde los auf Erden und die<br />

Wasser fielen.<br />

Noah wurde ungeduldig- er ließ einen Raben ausfliegen; der flog immer hin und<br />

her und kam zurück. Auch eine Taube fand nichts Trockenes und kam zurück.<br />

Später ließ er erneut eine Taube fliegen, die kam um die Abendzeit zurück, und<br />

trug einen Ölzweig in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich<br />

verlaufen hätten und Land in Sicht war.<br />

Dann redete Gott mit Noah und sprach: Geh aus der Arche, du und die Deinen<br />

und alles Getier, auf dass sie sich mehren auf Erden.<br />

So ging Noah heraus mit allem, was bei ihm war. Und er baute Gott einen Altar<br />

und dankte und feierte ihn. Gott aber sprach: Ich will hinfort nicht mehr die<br />

Erde verfluchen um der Menschen willen. Auch wenn das Machen und Tun des<br />

menschlichen Herzens böse ist, will ich hinfort nicht mehr schlagen alles, was<br />

da lebt. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und<br />

Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.<br />

Und Gott segnete Noah und die Seinen und schloss einen Bund mit Noah und<br />

seinen Nachkommen und mit allem lebendigen Getier und sprach: Es soll keine<br />

Sintflut mehr kommen, welche die Erde verderbe. Ich setze meinen Bogen in<br />

die Wolken. Den will ich ansehen und gedenken und den sollt ihr ansehen und<br />

gedenken: Es ist ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und Schöpfung.<br />

1. Mose 8 -9,17<br />

Böse von Jugend auf, der Mensch.- Das kann nicht wahr sein, denn wir stammen<br />

doch aus Gottes Willen. Aber wir können böse werden, furchtbar hassvoll. Und<br />

Gott konnte seine Freude an uns Menschen verlieren. Aber dann bekehrt sich<br />

Gott wieder zu seiner Kreatur. Gott will mit uns auskommen, auch wenn er an<br />

uns leidet. Das ist eine Art Wandel in Gott, ist aber eher doch ein<br />

Quantensprung in der Gotteserkenntnis des Menschen.<br />

Und verzichtet Gott hiermit nicht auf jegliche gewaltsame Einmischung?<br />

Jedenfalls werden wir gänzlich in Verantwortung genommen. Verhängt Gott<br />

keine Strafaktionen mehr, müssen wir die Folgen unseres Tuns um so mehr<br />

prüfen – und ausbaden.<br />

Tief zurück liegen Zeiten schauerlicher Göttervorstellungen. In vielen<br />

Schöpfungssagen der Menschheit steht eine Urflut am Anfang. Alle Völker am<br />

Meer haben Sintfluten im Volksschatz, immer war Sünde schuld, um nicht ganz<br />

23


irre zu werden am Verhängnis. Immer war es göttliches Erbarmen, das neuen<br />

Anfang machte.<br />

Wunderbar: Der Regenbogen, den auch Gott ansehen will <strong>als</strong> seinen Eid, <strong>als</strong><br />

seine Unterschrift: Ich will mit euch Menschen durchhalten, auch wenn ihr<br />

schwierig seid. Und auch die Natur soll euch aushalten. In aller Gefährdung ein<br />

rettendes Wort!<br />

Noah aber, der Ackermann, pflanzte <strong>als</strong> Erstes einen Weinberg.<br />

Und da er von dem Wein trank, wurde er betrunken und lag im Zelt aufgedeckt.<br />

Als nun Ham die Blöße seines Vaters sah, sagte er's seinen beiden Brüdern<br />

draußen. Da nahmen Sem und Jafet ein Kleid und legten es auf ihrer beider<br />

Schultern und gingen rückwärts hinzu und deckten ihres Vaters Blöße zu; und<br />

ihr Angesicht war abgewandt, damit sie ihres Vaters Blöße nicht sähen.<br />

1.Mose 9, 21-23<br />

In den ersten Kapiteln der Bibel klingen die Grundthemen des Menschlichen<br />

an; dazu gehört auch das Schmerzliche am Altwerden: die Hilfsbedürftigkeit.<br />

Noah zecht mit seinen Söhnen, er fällt um, kommt von Sinnen, liegt entblößt da.<br />

Ein Sohn tut das Nötige: Ohne des Vaters in seiner Schwäche ansichtig zu<br />

werden, tritt er zu ihm und verhüllt ihn gnädig mit einer Decke. -Vater und<br />

Mutter im Alter die Ehre zu bewahren ist dringend. Denn die jetzt schwach<br />

werden, waren vorher stark und nährten und lehrten die nächste Generation<br />

sicher an die zwanzig Jahre. Auch sind die Alten alle Achtung wert, weil sie in<br />

ihren Mühen das Leben durchgehalten haben- was bei den Jungen ja noch offen<br />

ist. An den Alten kann man üben, die notwendige Fürsorge sicherzustellen und<br />

ihnen ihre Freiheit zu bewahren –kann <strong>als</strong>o üben, so zu handeln, wie man selbst<br />

mal „behandelt“ sein will.<br />

*<br />

Der Turmbau<br />

Von den Nachkommen Noahs kommen die Völker her. Und alle Welt hatte<br />

einerlei Zunge und Sprache. Die nach Osten zogen, fanden eine Ebene im Lande<br />

Schinar und ließen sich dort nieder. Sie sprachen untereinander: Lasst uns Ziegel<br />

streichen und brennen! - und nahmen Ziegel <strong>als</strong> Stein und Erdharz <strong>als</strong> Mörtel<br />

und taten sich zusammen: lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen<br />

Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen; sonst<br />

verlieren wir uns in alle Länder.<br />

Da fuhr Gott hernieder, Stadt und Turm der Menschen zu besehen. Und<br />

erschrak: Das ist erst der Anfang- wenn die so weitermachen, werden sie<br />

entgrenzt. Verwirren wir ihre Sprache, dass sie sich nicht verabreden können!<br />

24


Daher heißt ihr Name Babel, weil Gott da verwirrt hat aller Länder Sprache und<br />

sie von dort zerstreut hat in alle Länder.<br />

1.Mose 10,32; 11,1-9<br />

Die lange vor uns lebten, dachten den Ursprung der Welt <strong>als</strong> Einheit: Ein erster<br />

Mensch, ein erstes Menschenpaar, eine Urflut nach der Noah der erste Mensch<br />

war, von ihm zweigen alle Völker ab, am Anfang auch eine Ursprache; Die<br />

verwirrende Vielsprachigkeit galt <strong>als</strong> Strafe für den Größenwahn der Ahnen,<br />

ebenso die schrumpfende Lebenszeit erklärte man sich <strong>als</strong> Ermattung und Strafe.<br />

Am Anfang dachten die Alten war Fülle und Goldenes Zeitalter. In<br />

unvordenklicher Zeit war eine Zeit der Ursprünge. Dann kamen die Abstiege bis<br />

zum ausstehenden Weltuntergang. Aber dann ist mit neuem Aufstieg zu rechnen<br />

bis in die Fülle des Himmels. Und dessen Ewigkeit ist dann die gesammelte und<br />

geheilte Zeit (Augustin).<br />

Der Turm zu Babel galt wie andere Weltwunder des Altertums <strong>als</strong> Zeichen für<br />

die hohe Leistungsfähigkeit der Vorfahren. Dass nur Reste vom Turm zu Babel<br />

blieben, nahmen spätere Generationen <strong>als</strong> Zeichen: Die wollten zu hoch hinaus.<br />

Ihr Scheitern blieb Mahnung, selber nicht in Hybris zu fallen.<br />

Die „Babylonische Sprachverwirrung“ bleibt Warnung, die Sprache nicht zum<br />

Herrschaftsmittel verkommen zu lassen. Auch fängt der Friede mit der Wahrheit<br />

der Worte an. Wenn Menschen einander nur kommandieren und verhören,<br />

können sie sich nicht verstehen.<br />

Die stärkste Gegengeschichte ist die von Pfingsten (Apostelgeschichte 2). Der<br />

Heilige Geist der Kommunikation brennt in den ersten Christen.<br />

*<br />

Abraham, Vater des Glaubens<br />

Gott erwählte sich einen Menschen, namens Abram (später Abraham) aus<br />

Haran. Den sprach er an: Geh aus deinem Vaterland und von deiner<br />

Verwandtschaft und aus deiner Eltern Haus in ein Land, das ich dir zeigen<br />

werde. Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir<br />

einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein; ja, in dir sollen<br />

gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.<br />

Abraham glaubte dem Herrn, und das rechnete er ihm zur Gerechtigkeit an.<br />

1.Mose 12, 1-3; 15,6<br />

Im grandiosen Zeitraffer schildern die Schriftgelehrten vom Tempel Salomos<br />

(um 950 v. Chr.) die Vorzeit. Nach Schöpfung und Zeit der Riesen (1.Mose 6)<br />

und Sintflut schließt Gott mit Noah den Bund fürs Leben: Leben soll<br />

weitergehen. Und in Abraham schließt er den Bund des Glaubens. Abraham soll<br />

Vater Israels werden, des Volkes, dem die Gottessorge und die Erwartung des<br />

Messias aufgetragen wird. Der Segen über Abraham ist aller Menschheit<br />

gewidmet: Bewusste Gotteskenntnis ergießt sich von Abraham an in die Welt:<br />

25


Der Schöpfer hat mich geschaffen, und in ein besonderes, nahes Verhältnis zu<br />

sich gefügt. So kann ich Gott vertrauen, ich gehöre ihm. Im Innersten bin ich<br />

„Kind Gottes“. Nicht weil ich so gehorsam bin sondern weil ich dazu bestimmt<br />

bin und geliebt bin. Diese Gewissheit ist der Glaube, den Gott uns schenkt und<br />

bei uns sucht.<br />

Abraham wird rausgerufen aus seinem Zuhause, seinem Mondgottglauben,<br />

seinem Eingebettetsein in ein kreisendes Hier und Jetzt. Dann wird er<br />

losgeschickt „in ein Land, das ich dir zeigen werde“. Und er packt mit Frau Sara<br />

sein Hab und Gut zusammen. An der Gartenpforte weiss er noch nicht, ob es<br />

nach rechts oder links geht. Einen Schritt weiter ist er auf einen Weg geleitet,<br />

der Jahrhunderte später Israel ins Gelobte Land führt. Abraham lässt sich auf<br />

die Verheißung Gottes ein und kann darum alles verlassen. Vor ihm: Zukunft,<br />

Weg, Ziel statt ewige Wiederkehr des Gleichen. Abraham entdeckt den Gott der<br />

Geschichte, der auch Schöpfer ist, aber eben auch der mitgehende Behüter.<br />

*<br />

Wir sind doch Brüder<br />

Da zog Abraham aus mit seiner Frau Sara und aller Habe, und Schwager Lot<br />

und dessen Familie zog mit. Abraham war fünfundsiebzig Jahre alt, <strong>als</strong> er aus<br />

Haran zog, um im Land Kanaan zu wohnen. Er baute bei Sichem einen Altar<br />

und östlich der Stadt Bethel, danach zog Abraham weiter ins Südland. In den<br />

langen Jahren der Wanderzeit (<strong>als</strong> Nomade) wurde er reich an Vieh, Silber und<br />

Gold.<br />

Lot hatte auch viele Schafe, Rinder und Zelte. Aber das Land konnte beide<br />

nicht ertragen, immer war Zank zwischen den Hirten von Abrahams Vieh und<br />

den Hirten von Lots Vieh.<br />

Da sprach Abraham zu Lot: Lass doch nicht Zank sein zwischen mir und dir und<br />

zwischen meinen und deinen Hirten. Wir sind doch Brüder! Steht dir nicht alles<br />

Land offen? Trenne dich doch von mir! Willst du zur Linken, so will ich zur<br />

Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken.<br />

Da erwählte sich Lot die ganze wasserreiche Gegend am Jordan und zog nach<br />

Osten. Also trennte sich einer vom andern.<br />

Abraham wohnte im Lande Kanaan und Lot in den Städten am unteren Jordan,<br />

bis nach Sodom zog er mit seinen Zelten. Die Leute von Sodom aber waren<br />

böse.<br />

1.Mose 12,4 -13,13<br />

Streit zwischen Brüdern, Familien, Mitarbeitern geschieht. Das Kunstwerk ist<br />

nur, wie damit hinreichend friedlich zu leben? Abraham macht das vorbildlich.<br />

Er schlägt Trennung vor, lässt aber Lot die erste Wahl. Das Geheimnis seiner<br />

und aller Großzügigkeit ist das Wissen, gesegnet zu sein. Und darum gönnen<br />

können.<br />

26


*<br />

Sara und Hagar- eine Geschichte mit Folgen bis heute<br />

Sara, Abrahams Frau, bekam keine Kinder. Sie hatte aber eine ägyptische Magd,<br />

die hieß Hagar. Und Sara sprach zu Abraham: Siehe, Gott hat es verfügt, dass<br />

ich nicht schwanger werde. Geh zu meiner Magd, ob ich vielleicht durch sie zu<br />

einem Sohn komme. Und Abraham hörte auf Sara.<br />

Er schlief mit Hagar, die ward schwanger. Da fing sie an, ihre Herrin zu<br />

verachten. Da sprach Sara zu Abraham: Das Unrecht, das mir geschieht, komme<br />

über dich! Ich habe meine Magd dir in die Arme gegeben; nun sie aber sieht,<br />

dass sie schwanger geworden ist, bin ich in ihren Augen verachtet. Gott sei<br />

Richter zwischen mir und dir. Und Sara demütigte sie, da floh sie von ihnen weg<br />

in die Wüste.<br />

Aber der Engel Gottes fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste und sprach<br />

zu ihr: Den Sohn, den du gebären wirst, sollst du Ismael nennen.- was heißt:<br />

„Der Herr hat dein Elend erhört“. Und Hagar nannte fortan den Herrn: “Du bist<br />

ein Gott, der mich sieht.“<br />

Später wurde Sara doch noch schwanger. Und <strong>als</strong> sie ihr Kind geboren hatte,<br />

sprach sie zu Abraham: Treibe Hagar von uns mit ihrem Sohn; denn der Sohn<br />

dieser Magd soll nicht erben mit meinem Sohn Isaak. Das Wort missfiel<br />

Abraham sehr um seines Sohnes Ismael willen.<br />

Aber Gott sprach zu ihm: Lass es dir so gefallen. (17,19) Ich will Sara segnen<br />

und nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden. Er soll zu einem großen<br />

Volk werden. Aber auch den Sohn der Magd will ich zu einem Volk machen, er<br />

ist auch dein Sohn.<br />

Da stand Abraham früh am Morgen auf und nahm Brot und einen Schlauch mit<br />

Wasser und legte es Hagar auf die Schulter, dazu den Knaben, und schickte sie<br />

fort. Da zog sie hin und irrte in der Wüste umher bei Beerscheba.<br />

Als nun das Wasser in dem Schlauch ausgegangen war, setzte sie den Knaben<br />

unter einen Strauch ab und wartete gegenüber, einen Bogenschuss weit; denn sie<br />

sprach: Ich kann nicht ansehen des Knaben Sterben. Und sie erhob ihre Stimme<br />

und weinte.<br />

Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr: Steh auf,<br />

nimm den Knaben und führe ihn an deiner Hand; denn ich will ihn zum großen<br />

Volk machen. Und Gott tat ihr die Augen auf, dass sie einen Wasserbrunnen<br />

sah. Und sie gab dem Knaben zu trinken.<br />

1.Mose16 u. 21.1-19<br />

Groß, die Geschichte der zwei alttestamentlichen Frauen. Sara ist kinderlos. Sie<br />

gibt ihre Sklavin Hagar dem Abraham in die Arme: Er soll mit ihr <strong>als</strong><br />

Leihmutter für Sara ein Kind zeugen. Die stolze Ägypterin Hagar triumphiert<br />

wohl, Sara staucht sie zurecht. Das Kind wird geboren. Später wird Sara auch<br />

schwanger, sie gebiert den Isaak. Jetzt will sie Hagar und deren Söhnchen aus<br />

27


den Augen haben. Sie veranlasst den Abraham, beide vom Hof zu treiben. Nah<br />

am Verdursten, rettet sie ein Engel, eine Quelle lag offen vor ihren Füßen.<br />

Gott gibt dem erst Kinderlosen zwei Söhne. Auch Ismael soll ein großes Volk<br />

werden. Aber aus Isaak soll das besondere Volk Gottes werden, ein Segen für<br />

alle Geschlechter auf Erden. Und doch sind auch die von Ismael stammenden<br />

Völker doch Völker Gottes. Abraham wird der Vater der Ökumene: Vater des<br />

Glaubens von Juden und Christen und Moslems zugunsten der ganzen<br />

Menschheit. -<br />

Der islamischen Tradition gilt Ismael <strong>als</strong> Ahnherr der Araber. Schon das alte<br />

Testament kennt den palästinensischen Stämmeverbund der Ismaeliten <strong>als</strong><br />

Feinde Israels. Der Islam beruft sich auf den Segen, den Gott auch für Ismael<br />

hat. Beide - Israel und Araber haben in Abraham den einen gemeinsamen<br />

Stammvater des Glaubens, sie sind Brudervölker.<br />

Der Koran führt die Geschichte von Hagar in der Wüste so weiter: Als die<br />

Quelle Semsem vor Hagar aufsprang, wusste sie, daß Gott diesen Ort heiligte<br />

und ließ sich dort im Tal Kaaba nieder. Später baute Abraham und Ismael dort<br />

ein Heiligtum. Ismael empfing vom Erzengel Gabriel den bis heute in Mekka<br />

aufbewahrten Stein, der aus Trauer über den Götzendienst in der Welt zum<br />

„Schwarzen Stein“ geworden ist.<br />

Die Rivalität der Weltanschauungen heute hat tiefe Wurzeln. Auch die<br />

Christenheit hat aufzuholen im Verständnis des Islams. Lange galt der Islam den<br />

christlichen Kirchen <strong>als</strong> Häresie oder böswillige Verdrehung christlicher<br />

Wahrheiten. Dabei gewann der Prophet Muhammed (+632) durch Visionen die<br />

Gewissheit, er müsse die Basis des jüdischen und des christlichen, ja des ganzen<br />

Menschheitsglaubens wieder zur Geltung bringen: die völlige Hingabe (das<br />

arabische Wort dafür: Islam) an den allmächtigen und barmherzigen Gott. Eine<br />

weltliche Sphäre jenseits von Gottes Heiligkeit und Ruf in den Gehorsam gibt es<br />

nicht: Der Mensch hat ungeteilt Gott zu dienen, alles Tun ist Gottesdienst und<br />

untersteht einer Geistlichen Aufsicht.<br />

Eine Sensation gelang der Türkei unter Atatürk. In einem islamischen Land<br />

setzte er die Trennung von Moschee und Staat durch. Bis heute kämpfen<br />

ungezählte Schattierrungen von Islam um die Wahrheit. Die der Moderne<br />

zugewandte Seite hält Demokratie und Gleichberechtigung der Frau für<br />

durchaus vereinbar mit dem Islam, der Sufismus verehrt Gott <strong>als</strong> die reine<br />

Liebe, im Iran gewinnt gerade eine Richtung die Oberhand, der Toleranz und<br />

Freizügigkeit <strong>als</strong> gotteslästerlich gilt.<br />

Wir Europäer, durch die Nietzsche-Marx- und Feuerbäche Gegangenen, die wir<br />

nichts Heiliges mehr zu wissen scheinen außer unserer Ruhe, lächeln beim<br />

Thema „Gotteslästerung“ meist nur müde. Das Thema Gottesverachtung ist<br />

durch Auschwitz und die Atombombe und die Millionen Hungertoten jährlich<br />

ziemlich aufgebraucht. Darum fiel uns die Karikatur vom Propheten mit Bombe<br />

im Turban erst auf, <strong>als</strong> viele Moslems diese Zeichnungen <strong>als</strong> Schändung Ihres<br />

Glaubens lasen. Wir hier müssen verstehen lernen.<br />

28


*<br />

Gott dreifach<br />

Und Gott erschien Abraham, während er an der Tür seines Zeltes saß, <strong>als</strong> der<br />

Tag am heißesten war. Drei Männer standen vor ihm. Vor denen neigte er sich<br />

zur Erde und sprach: Ich will euch bewirten, dass ihr euer Herz labt; danach<br />

mögt ihr weiterziehen. Und er trug Kuchen, Butter und Milch auf, schlachtete<br />

ein Kalb und bereitete es zu. Dann setzte er es ihnen vor und wartete ihnen auf.<br />

Er blieb dabei stehen vor ihnen unter dem Baum und sie aßen.<br />

Da sprach Gott: Ich will wieder zu dir kommen übers Jahr. Dann soll Sara, deine<br />

Frau, einen Sohn haben. Das hörte Sara hinter der Tür des Zeltes. Sie lachte bei<br />

sich selbst und sprach: Nun ich alt bin, soll ich noch der Liebe pflegen, und<br />

mein Abraham ist doch auch alt! Der Herr sprach: Ihr werdet sehen, übers Jahr<br />

soll Sara einen Sohn haben.<br />

1. Mose 18, 1-15<br />

(Diese Geschichte steht zwischen Ismaels und Isaaks Geburt) Eigentümlich<br />

diese Begebenheit: In drei Gestalten der eine Gott- ein starkes Inkognito.<br />

Abraham fremdelt nicht, er ist sofort gastfrei, sicher hat er die gottvolle Aura<br />

gespürt. Ein Kind wird ihnen verheißen, Sara lacht; sie, wissend, hält es für<br />

unmöglich. Sara lacht- das ist auch ein Lockruf, auch im Alter Neues zu<br />

erwarten.<br />

Die Dreifach-Erscheinung hier hat später die Kirche aufgenommen <strong>als</strong> Vorbild<br />

für die trinitarische (drei in eins) Idee von Gott. Die wundersame Mutterschaft<br />

der Sara wiederholt sich bei Maria.<br />

*<br />

Abrahams Handel mit Gott<br />

Und Gott sprach zu Abraham: Es ist großes Geschrei über Sodom und Gomorra,<br />

dass ihre Sünden sehr schwer sind. Ich will hinabfahren und sehen und strafen.<br />

Abraham aber sprach: Willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen<br />

umbringen? Es könnten vielleicht fünfzig Gerechte in der Stadt sein; kannst du<br />

die umbringen und dem Ort nicht vergeben trotz fünfzig Gerechter?<br />

Gott sprach: Finde ich fünfzig Gerechte in der Stadt, so will ich um ihretwillen<br />

dem ganzen Ort vergeben. Abraham antwortete und sprach: Ach siehe, ich habe<br />

mir herausgenommen, zu reden mit dem Herrn, wiewohl ich von Erde<br />

genommen bin.<br />

Es könnten vielleicht fünf weniger <strong>als</strong> fünfzig Gerechte darin sein; und dann?<br />

Würdest du die ganze Stadt verderben um der fünf willen? Er sprach: Finde ich<br />

darin fünfundvierzig, so will ich sie nicht verderben.<br />

Und er fuhr fort mit ihm zu reden und sprach: Man könnte vielleicht nur vierzig<br />

darin finden. Er aber sprach: Ich will ihnen nichts tun um der vierzig willen.<br />

29


Abraham sprach: Zürne nicht, Herr, dass ich noch mehr rede. Man könnte<br />

vielleicht nur dreißig darin finden. Er aber sprach: Finde ich dreißig darin, so<br />

will ich ihnen nichts tun.<br />

Und er sprach: Ach siehe, ich habe mich getraut, mit dem Herrn zu reden. Man<br />

könnte vielleicht zwanzig darin finden. Er antwortete: Ich will sie nicht<br />

verderben um der zwanzig willen. Und er sprach: Ach, zürne nicht, Herr, dass<br />

ich nur noch einmal rede. Man könnte vielleicht nur zehn darin finden. Er aber<br />

sprach: Ich will sie nicht verderben um der zehn willen.<br />

1.Mose 18, 20-32<br />

Gott hält viel von Abraham, er zieht ihn ins Vertrauen über Sodoms Schuld.<br />

Uralt ist die Vorstellung, Gott müsse erst mal an den Tatort, um zu wissen.<br />

Modern dagegen ist fast schon, dass Abraham wagt, wie ein Teppichhändler auf<br />

dem Bazar mit Gott zu feilschen. Es ist, <strong>als</strong> würde Gott vom Menschen lernen,<br />

dass Kollektivhaftung nicht gottgewollt sein kann; klar, dass Gott nicht die<br />

Gerechten mit den Ungerechten umkommen lassen darf. Bei Gott gibt es wohl<br />

eine umgekehrte Kollektivhaftung: Die wenigen erlösen die vielen.<br />

Ergreifend auch: Gott lässt mit sich reden- er braucht das Gespräch mit seinen<br />

Auserwählten.<br />

*<br />

Eine wüste Geschichte<br />

Zwei Engel kamen nach Sodom am Abend; Lot aber sah sie, er stand auf, ging<br />

ihnen entgegen und neigte sich bis zur Erde und sprach: Ihr lieben Herren, kehrt<br />

doch ein im Hause eures Knechts und bleibt über Nacht.<br />

Aber <strong>als</strong> sie einkehrten, kamen Leute der Stadt Sodom und umgaben das Haus,<br />

und riefen Lot und sprachen zu ihm: Wo sind die Männer, die zu dir gekommen<br />

sind? Führe sie heraus zu uns, dass wir uns über sie hermachen. Lot ging heraus<br />

zu ihnen vor die Tür und sprach: Ach, liebe Brüder, tut nichts Böses den<br />

Fremden!<br />

Siehe, ich habe zwei Töchter, die wissen noch von keinem Manne; die will ich<br />

herausgeben unter euch und tut mit ihnen, was euch gefällt; aber diesen<br />

Männern tut nichts, denn sie sind unter den Schatten meines Daches gekommen.<br />

Die Engel-Männer griffen aber hinaus und zogen Lot herein ins Haus und<br />

schlossen die Tür zu. Und sie schlugen die Leute vor der Tür des Hauses mit<br />

Blindheit, sodass sie es aufgaben, die Tür zu finden.<br />

Und die Männer sprachen zu Lot: Hast du hier noch Verwandte? Die führe mit<br />

weg aus dieser Stadt. Denn wir werden diese Stätte verderben.<br />

Als nun die Morgenröte aufging, drängten die Engel Lot zur Eile und sprachen:<br />

Rettet euer Leben und seht nicht hinter euch. Da ließ Gott Schwefel und Feuer<br />

regnen vom Himmel herab auf Sodom und Gomorra Und Lots Frau sah hinter<br />

sich und wurde zur Salzsäule.<br />

30


1.Mose 19<br />

Es kann ein Vulkanausbruch gewesen sein, mittels dessen die Städte Sodom und<br />

Gomorra in Schutt und Asche fielen. Man verstand die Katastrophe <strong>als</strong> Strafe<br />

Gottes für die sprichwörtlich gewordene sodomitische Unzucht.<br />

Wir tun recht daran, Unglück mit unserem Tun in Verbindung zu bringen. Leben<br />

ist ja Konflikte lösen und Unglück ist auch immer ein Lehrstück für Versagen<br />

und Bessermachen. Katastrophen sind ja immer auch menschgemacht,<br />

jedenfalls wurden immer Warnungen überhört aus Sorglosigkeit und<br />

Selbstsucht. Man braucht nicht ein direkte Eingriffe Gottes in die Geschichte<br />

anzunehmen, die Menschheitsgeschichte ist auch so Gottes Geschichte mit den<br />

Menschen.<br />

Boten mit Vollmacht werden gesandt, um Lot und die Seinen zu retten. Die<br />

Boten werden von Leuten aus Sodom angegriffen. Lot bietet seine Töchter <strong>als</strong><br />

„Freiwild“ an, die Gastfreundschaft war ihm den Verrat an den Töchtern wert.<br />

Frauenhandel und Kindesmissbrauch waren noch üblich. Die patriarchalische<br />

Mannesehre galt viel. Mag sein, daß die Frau des Lot an den ungeweinten<br />

Tränen ihrer Mitwisserschaft erstickte. Ihr Zurückschauen, ihr Gebanntbleiben<br />

in Vergangenheit wurde ihr zum Verhängnis.<br />

*<br />

Kein Menschenopfer mehr<br />

Gott stellte Abraham auf eine fürchterliche Probe. Er sprach: Abraham! Und der<br />

antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen Sohn, den du lieb<br />

hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf<br />

einem Berge, den ich dir zeigen werde.<br />

Da stand Abraham früh am Morgen auf, spaltete Holz zum Brandopfer,<br />

bepackte den Esel und nahm seinen Sohn Isaak und sie machten sich auf.<br />

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Er<br />

legte das Holz zum Brandopfer dem Sohn auf. Er nahm das Feuer und das<br />

Messer; und gingen die beiden miteinander.<br />

Da sprach Isaak zu seinem Vater: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin<br />

ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das<br />

Schaf zum Brandopfer?<br />

Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum<br />

Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und <strong>als</strong> sie an die Stätte<br />

kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das<br />

Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das<br />

Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn<br />

schlachte.<br />

Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham!<br />

Er antwortete: Hier bin ich.<br />

31


Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun<br />

weiß ich, dass du Ehrfurcht zu Gott hegst und hast deines einzigen Sohnes nicht<br />

verschont um meinetwillen.<br />

Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der<br />

Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und<br />

opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Und Abraham nannte die<br />

Stätte »Der Herr sieht«. Daher sagt man bis heute: Morija- der Berg, da der Herr<br />

sieht.<br />

1.Mose 22<br />

Daß Gott uns auf die Probe stellt, um unser Gottvertrauen auszuloten, das soll<br />

uns unvorstellbar sein- Und doch sehen sich Menschen in Versuchung geführt,<br />

sehen sich vor Entscheidungen gestellt, die nicht unschuldig lassen. Auch dann<br />

haben wir mit Gott zu tun. Entscheidungen klären uns, sie zeigen unser wahres<br />

Gesicht, zunächst uns selbst, dann auch den Mitmenschen und natürlich Gott,<br />

der um uns aber immer schon weiss.<br />

Sicher hat Gott nicht dem Abraham den Sohn abverlangt, um seinen Glauben zu<br />

testen. Aber Menschen haben sich lange ausgeliefert gesehen wilden, herrischen<br />

Göttern; Menschenopfer waren gang und gäbe- an Götter oder fürs Vaterland<br />

oder den Familienclan.<br />

Jedenfalls ist dies die Geschichte von der Ablösung des Menschenopfer durch<br />

das Tieropfer, wenn auch verpackt in einen schauerlichen Befehl.<br />

Israel und viele andere Menschen in Verzweiflung nahmen „Vater Abraham“<br />

zum Vorbild: Wenn Gott auch das Pfand seines Glücks-Versprechens uns aus<br />

der Hand windet, hat er doch Wege, seine Verheißung zu erfüllen. Müssen wir<br />

auch durch Finsternisse, sind diese nicht Endstation. In diesem Sinne darf die<br />

Bitte: „Führe uns nicht in Versuchung“ so verstanden werden: „Vater, führe uns<br />

durch die Versuchungen“.<br />

*<br />

Eine Frau für Isaak<br />

Abraham war alt geworden, seine Sara war gestorben, er hat sie in der Höhle<br />

Machpela, dem Erbbegräbnis östlich von Hebron, begraben. Überreich hatte<br />

Gott sie gesegnet.<br />

Abraham sprach zu seinem Großknecht Elieser: Zieh zu meiner Verwandtschaft<br />

und nimm meinem Sohn Isaak dort eine Frau. Gott wird seinen Engel vor dir her<br />

senden, dass du die Richtige findest. Wenn aber die Frau dir nicht folgen will, so<br />

bist du vom Auftrag befreit.<br />

Elieser nahm zehn Kamele und noch allerlei Güter seines Herrn und machte sich<br />

auf und zog nach Mesopotamien, zu der Stadt Nahor.<br />

1.Mose 24, 1-10<br />

32


Abraham lässt bei seiner Verwandtschaft in seiner alten Heimat nach einer Frau<br />

für Isaak suchen. Er scheint sich des Findens sicher zu sein: Gott wird einen<br />

Engel vor dir hersenden, sagt er dem Brautwerber. Traumhaft, diese sonnige<br />

Gewissheit, daß die Richtige schon da ist. Herrlich auch der Respekt vor der<br />

Selbstbestimmtheit der Frau: Wenn die Richtige aber nicht in die Fremde mit<br />

will, dann kann man nichts machen.<br />

*<br />

Wie sich die Richtige fand<br />

Nach langer Reise ließ Elieser die Kamele sich lagern draußen vor der Stadt<br />

Nahor bei dem Wasserbrunnen des Abends um die Zeit, da die Frauen kamen<br />

um Wasser zu schöpfen.<br />

Und er sprach: Du Gott Abrahams, lass es mir heute gelingen. Das erste<br />

Mädchen das zum Wasserschöpfen kommt, und bereitwillig mir zu trinken gibt<br />

und meinen Tieren, die soll mir <strong>als</strong> von Dir bestimmt gelten.<br />

Und ehe er ausgeredet hatte, kam ein Mädchen heraus, schön von Angesicht,<br />

und trug einen Krug auf ihrer Schulter. Die stieg hinab zum Brunnen, füllte den<br />

Krug und stieg wieder herauf. Da bat sie Elieser um Wasser.<br />

Und sie sprach: Trinke, mein Herr! Und eilends ließ sie den Krug hernieder auf<br />

ihre Hand und gab ihm zu trinken. Dann sprach sie: Ich will deinen Kamelen<br />

auch schöpfen, bis auch sie getrunken haben.<br />

Elieser aber betrachtete sie und schwieg still, abwartend, ob Gott zu seiner Reise<br />

Gnade geben werde. Dann nahm er einen goldenen Stirnreif und zwei goldene<br />

Armreifen und sprach: Wessen Tochter bist du? Sie sprach zu ihm: Ich bin<br />

Rebekka, die Tochter Betuëls, des Sohnes der Milka, den sie dem Nahor, dem<br />

Bruders Abrahams geboren hat. Und Raum zur Herberge haben wir auch genug.<br />

Da neigte sich Elieser und betete zu Gott.<br />

Das Mädchen aber lief und sagte alles in ihrer Mutter Hause. Und Rebekka hatte<br />

einen Bruder, der hieß Laban; und Laban lief zu dem Mann draußen bei dem<br />

Brunnen. Und sprach: Komm herein, du Gesegneter des Herrn!<br />

Und man lud ihn ein zum Essen. Er sprach aber: Ich will nicht essen, bis ich<br />

zuvor meine Sache vorgebracht habe. Sie antworteten: Sage an! Und Elieser<br />

sagte von Abraham, von seines Herrn Auftrag, dass er für den Sohn aus der<br />

Verwandtschaft um eine Frau werben solle und es habe sich gefügt, daß diese<br />

junge Frau vom Herrn erwählt scheint, denn sie kam <strong>als</strong> erste zum Brunnen und<br />

stillte meinen Durst.<br />

Da antworteten Laban und Betuël und sprachen: Das kommt von Gott, darum<br />

können wir nichts weiter dazu sagen. Wir sind einverstanden, dass sie die Frau<br />

werde des Sohnes deines Herrn.<br />

Am Morgen aber sprach er: Lasst mich ziehen zu meinem Herrn, haltet mich<br />

nicht auf, denn Gott hat Gnade zu meiner Reise gegeben. Da sprachen sie: Wir<br />

wollen das Mädchen rufen und fragen, was sie dazu sagt.<br />

33


Und sie riefen Rebekka und sprachen zu ihr: Willst du mit diesem Manne<br />

ziehen? Sie antwortete: Ja, ich will es.<br />

Da ließen sie Rebekka ziehen mit Abrahams Knecht und ihre Amme ging auch<br />

mit. Und sie segneten Rebekka und sprachen zu ihr: Du, unsere Tochter, unsere<br />

Schwester wachse vieltausendmal tausend, und dein Geschlecht nehme die Tore<br />

von Gottes Feinden ein.<br />

So machte sich Rebekka auf und zog mit Abrahams Knecht davon.<br />

1.Mose 24,11 – 61<br />

Diese freundliche Erzählung hat noch die Anmut der orientalischen<br />

Märchenerzähler. Die wollen unterhalten und belehren. Erst später wurde die<br />

ursprünglich selbstständige Geschichte in die Sammlung der heiligen Schriften<br />

eingearbeitet.<br />

Spannend bleibt, wie Elieser herausfindet, dass Gott Gnade zu seiner Reise<br />

gegeben hat. Erstens geht er davon aus, dass er im Dienste des Herrn unterwegs<br />

ist. Und zweitens schlägt er Gott ein Erkennungs-Schema vor. Er wagt, Gott<br />

festzulegen, um sich Kenntnis zu beschaffen. Aber es bleibt die Freiheit Gottes<br />

gewahrt. Und auch die Frau muss zustimmen. Ihr sofortiges Mitgehen zeigt,<br />

dass auch die Frau, von Gott sich auserwählt weiss und damit Geschichte nicht<br />

<strong>als</strong> Leere sieht oder <strong>als</strong> klumpigen Haufen von Komplikationen. Geschichte<br />

leuchtet hier auf <strong>als</strong> von Gottes Willen und menschlichem Zutun gemeinsam<br />

Geschichtetes.<br />

*<br />

Zwillinge, so verschieden<br />

Und Abraham starb in einem schönen Alter, alt und lebenssatt, und wurde zu<br />

seinen Vätern und Müttern versammelt. Isaak nahm die Rebekka zur Frau und<br />

sie gewannen sich lieb. Und Gott segnete sie. Und Rebekka wurde schwanger,<br />

es waren Zwillinge, die stießen sich schon im Mutterleib.<br />

Der erste, der herauskam, war rötlich, ganz rau wie mit Fell, und sie nannten ihn<br />

Esau. Danach kam sein Bruder heraus; der hielt mit seiner Hand die Ferse des<br />

Esau, und sie nannten ihn Jakob (d.h. Fersenhalter). Esau wurde ein tüchtiger<br />

Jäger, ein Mann der Natur. Jakob aber wurde ein Mensch des Nachdenkens und<br />

der Häuslichkeit.<br />

Und Isaak hatte Esau lieb, er aß gern von seinem Wildbret; Rebekka aber hatte<br />

Jakob lieb.<br />

1.Mose 24,67; 25,1- 28<br />

Von Abraham und Isaak zu Jakob führt der Segen Gottes: Jakob gilt <strong>als</strong><br />

Stammvater der zwölf Söhne, von denen die zwölf Stämme Israels abstammen.<br />

Wie verquer, wie am seidenen Faden, wie wunderbar die Geschichte Israels von<br />

Anfang an lief, das erzählte sich Israel in all seinen bedrohten Zeiten:<br />

34


Es begann schon mit der langen Kinderlosigkeit des Abraham und der Sara.<br />

Verheißen war, dass aus ihnen ein Volk wird, aber ein Volk fängt mit zumindest<br />

einem Nachkommen an. Als der dann endlich da war, waren Gefahren die Fülle<br />

zu bestehen, in denen Gott den Verheißenen zurück zu fordern schien.<br />

Dann wurde Isaak erwachsen, Der Segen sollte weitergehen, aber schien schon<br />

bei den Zwillingen zu stocken. Schon im Mutterleib befehden sie sich, liefern<br />

sich ein Wettrennen um die Rangfolge. Und die Eltern befehden sich wegen<br />

ihrer jeweiligen Lieblinge. Der Segen der Väter steht dem Ältesten zu, hätte<br />

Gott den nicht gewollt, hätte er ihn ja <strong>als</strong> Zweiten zur Welt kommen lassen<br />

können.<br />

Beglückend:1.Mose 25,7:Abraham starb in schönem Alter, lebenssatt. Das ist<br />

der Traum vom friedlichen Sterben, dankbar zur Ruhe kommen nach Mühe und<br />

Arbeit und heimkehren zu den Vorangegangenen.<br />

*<br />

Für ein Linsengericht<br />

Und Jakob kochte ein Gericht. Da kam Esau vom Feld und war müde<br />

und sprach zu Jakob: Lass mich essen das rote Gericht; denn ich bin müde. Und<br />

Jakob sprach: Verkaufe mir deine Erstgeburt, sofort jetzt.<br />

Esau antwortete: Ich muss sowieso sterben; was soll mir da die Erstgeburt?<br />

Jakob sprach: So schwöre mir, du trittst sie mir ab. Und Esau schwor ihm und<br />

verkaufte Jakob seine Erstgeburt. Da gab ihm Jakob das Linsengericht, und er aß<br />

und trank und stand auf und ging davon.<br />

1.Mose 25, 29-34<br />

Bis heute ist Esaus verächtlicher Umgang mit einem hohen Gut sprichwörtlich.<br />

Da stürmt dieser Raubauz ins Haus. Der Duft seiner Lieblingsspeise erregt<br />

seinen Heißhunger. Jakob macht sich diese Gier zu Nutze, nimmt ihm den Eid<br />

ab, daß er <strong>als</strong> Ältester auf sein Erstgeburtsrecht verzichte. Vielleicht war ihm die<br />

Verheißung Gottes vom großen Volk eine Nummer zu groß und er fühlte sich<br />

für die großen Pläne Gottes zu klein, wollte nicht ins Rampenlicht, wollte gern<br />

sein eigener Herr bleiben. Gott schien ihn verstanden zu haben und ließ ihn<br />

später auf andere Weise Karriere machen.<br />

*<br />

Mutter und Sohn täuschen Isaak<br />

Als Isaak alt geworden war und seine Augen schwach, rief er Esau, seinen<br />

älteren Sohn, und sprach zu ihm: Mein Sohn! Geh aufs Feld und jage mir ein<br />

Wildbret und mach mir ein Essen, wie ich’s gern habe, und bring mir’s herein,<br />

dass ich esse, auf dass dich meine Seele segne, ehe ich sterbe.<br />

Rebekka aber hörte diese Worte, ging zu Jakob, ihrem Sohn, und sprach: Tu,<br />

was ich dir sage. Geh hin zu der Herde und hole mir zwei gute Böcklein, dass<br />

35


ich deinem Vater ein Essen davon mache, wie er’s gerne hat. Das sollst du ihm<br />

auftischen, dass er esse und dich segne vor seinem Tod.<br />

Jakob aber sprach zu seiner Mutter Rebekka: Siehe, mein Bruder Esau ist rau,<br />

doch ich bin glatt; mein Vater könnte mich betasten, und ich würde vor ihm<br />

dastehen, <strong>als</strong> ob ich ihn betrügen wollte, und brächte über mich einen Fluch und<br />

nicht einen Segen.<br />

Da sprach seine Mutter zu ihm: Der Fluch komme über mich, mein Sohn;<br />

verlasse dich auf mich. Da ging er hin und holte die Zicklein und brachte sie<br />

seiner Mutter. Die machte ein Essen, wie es sein Vater gerne hatte.<br />

Und sie nahm Esaus Feierkleider und zog sie Jakob an. Und Felle von den<br />

Zicklein tat sie ihm um seine Hände und wo er glatt war am H<strong>als</strong>e. Dann gab<br />

sie das Mahl in seine Hand. Er ging hinein zu seinem Vater und sprach: Mein<br />

Vater! Er antwortete: Hier bin ich. Wer bist du, mein Sohn? Jakob sprach zu<br />

seinem Vater: Ich bin Esau, dein Erstgeborener; komm nun, setze dich und iss<br />

von meinem Wildbret, auf dass mich deine Seele segne.<br />

Isaak aber sprach zu seinem Sohn: Wie hast du es so schnell gefunden, mein<br />

Sohn? Er antwortete: Der Herr, dein Gott, bescherte mir’s. Da sprach Isaak zu<br />

Jakob: Tritt herzu, mein Sohn, dass ich dich betaste, ob du mein Sohn Esau bist<br />

oder nicht. So trat Jakob zu seinem Vater Isaak. Und <strong>als</strong> er ihn betastet hatte,<br />

sprach er: Die Stimme ist Jakobs Stimme, aber die Hände sind Esaus Hände.<br />

Und sprach: Bist du mein Sohn Esau? Er antwortete: Ja, ich bin’s.<br />

Da sprach er: So bringe mir her, mein Sohn, zu essen von deinem Wildbret, dass<br />

dich meine Seele segne. Da brachte er’s ihm und er aß; und er trug ihm auch<br />

Wein hinein und er trank.<br />

Und Isaak, sein Vater, sprach zu ihm: Komm her und küsse mich, mein Sohn!<br />

Er trat hinzu und küsste ihn. Da roch er den Geruch seiner Kleider und segnete<br />

ihn und sprach: Siehe, der Geruch meines Sohnes ist wie der Geruch des Feldes,<br />

das der Herr gesegnet hat. Gott gebe dir vom Tau des Himmels und von der<br />

Fruchtbarkeit der Erde und Korn und Wein die Fülle. Völker sollen dir dienen,<br />

und Stämme sollen dir zu Füßen fallen. Sei Herr über deine Brüder. Verflucht<br />

sei, wer dir flucht; gesegnet sei, wer dich segnet!<br />

Als nun Isaak den Segen über Jakob vollendet hatte und Jakob kaum<br />

hinausgegangen war von seinem Vater Isaak, da kam Esau, von der Jagd und<br />

machte auch ein Essen und trug’s hinein zu seinem Vater und sprach zu ihm:<br />

Richte dich auf, mein Vater, und iss von dem Wildbret deines Sohnes, dass mich<br />

deine Seele segne.<br />

Da antwortete ihm Isaak, sein Vater: Wer bist du? Er sprach: Ich bin Esau, dein<br />

erstgeborener Sohn. Da entsetzte sich Isaak über die Maßen sehr und sprach:<br />

Wer? Wo ist denn der Jäger, der mir zuvor aufgetischt hat, und ich habe von<br />

allem gegessen, ehe du kamst, und habe ihn gesegnet? Und er wird auch<br />

gesegnet bleiben.<br />

Als Esau diese Worte seines Vaters hörte, schrie er laut und wurde über die<br />

Maßen traurig und sprach zu seinem Vater: Hast du denn nur einen Segen, mein<br />

Vater? Segne mich auch, mein Vater! Und er weinte sehr. Da antwortete sein<br />

36


Vater: Von deinem Schwerte wirst du dich nähren, und deinem Bruder sollst du<br />

dienen. Aber einst wirst du sein Joch von deinem H<strong>als</strong>e reißen. Und Esau war<br />

voll Hass und sprach bei sich: ich will meinen Bruder Jakob umbringen.<br />

Das wurden Rebekka hinterbracht. Und sie ließ Jakob warnen: Dein Bruder<br />

Esau droht, dich umzubringen. Mach dich auf und flieh, flieh zu meinem Bruder<br />

Laban nach Haran.<br />

1.Mose 27<br />

Wie Menschen f<strong>als</strong>ch spielen können- dafür ist Rebekka ein Beispiel. Sie weiß,<br />

daß sie Unrecht einfädelt und will den Fluch, wenn er denn komme, auf sich<br />

ziehen. Doch Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade. Er nutzt unsere<br />

Taten und Untaten. Besessene Mutterliebe fädelt das Schurkenstück ein, das<br />

nötig ist, um den Vatersegen auf den Gottgewollten zu lenken. Wird Rebekka<br />

von Gott verführt zum Unrecht? Wir müssen davon ausgehen, dass Rebekka tat,<br />

was sie wollte. Und Gott damit machte, was Er wollte.<br />

Wir sehen nicht, was wird. Uns bleibt nur die Hoffnung, dass vom Ende her das<br />

Geschehen seine Rechtfertigung findet und das Ende in ein Ziel mündet,<br />

welches die Auflösung aller Verwicklungen bringt.<br />

Schon Esau wird im Laufe der Zeit seinen Frieden mit dem Dieb machen, auch<br />

weil er lernt, dass Jakob nur tat, was er tun musste. Letztlich ist es doch Gott,<br />

der zusammenfügt das Finden des innersten Wesens und das Eintreffen der<br />

äußeren Zufälle. Doch werden zu <strong>als</strong> der man gedacht ist, ist harte Arbeit.<br />

*<br />

Jakob schaut die Himmelsleiter<br />

Jakob machte sich auf nach Haran und kam an eine Stätte, die zum Nachtlager<br />

einlud- die Sonne war untergegangen. Und es träumte ihm, eine Leiter stand auf<br />

Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und Engel stiegen daran auf<br />

und nieder.<br />

Und oben stand Gott und sprach: Jakob, ich bin der Gott Abrahams und Isaaks<br />

und will auch dein Gott sein. Das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen<br />

Nachkommen geben, die sollen zahlreich werden wie der Staub auf Erden, und<br />

durch dich und deine Nachkommen soll die ganze Menschheit gesegnet werden.<br />

Ich bin mit dir und will dich behüten und will dich nicht verlassen, bis alles<br />

eingetroffen ist, was ich dir zugesagt habe.<br />

Als nun Jakob von seinem Schlaf aufwachte, schauderte ihn. In Ehrfurcht<br />

eingehüllt sprach er: Hier ist ein Ort Gottes, hier ist die Pforte des Himmels.<br />

Und Jakob nahm den Stein, auf dem sein Haupt geruht hatte, und richtete ihn auf<br />

und baute einen Altar. Er nannte die Stätte Bethel - Haus Gottes.<br />

1. Mose 28, 10-21<br />

Im Traum eine Leiter sehen, an der die Engel auf und nieder steigen: Jakob sieht<br />

sich in einer nicht enden wollenden Verbindung zu Gott. Engel bilden eine Art<br />

37


Räuberleiter (Peter Handke). Ihm geschieht Verknüpfung. Er beschafft sie nicht<br />

durch gute Taten oder Geheimwissen. Gott setzt sich mit ihm in Verbindung,<br />

erwählt ihn, überschüttet ihn mit Glücksverheißung. Und keiner geht dabei leer<br />

aus; alle Welt soll davon profitieren.<br />

Auch uns kann der Weg zum Himmel offen stehen. Bedenk deine Bilder, in<br />

denen Gott sich dir nahte. Wo du leer vor Glück warst, da warst du gottvoll. Wir<br />

können uns einander Himmelsleiter sein, uns heil machen, ein Stück weit.<br />

Am Leben sein, heißt, auf dem Weg sein. Obwohl Jakob einen Ort findet voll<br />

Heiligkeit, geht er weiter. Er baut einen Altar zum bleibenden Gedächtnis aber<br />

geht weiter, gewiss, dass sein Gott mit ihm unterwegs ist.<br />

*<br />

Jakob findet Rahel<br />

Jakob ging weiter nach Osten. Nach langen Tagen kam er an einen Brunnen.<br />

Herden waren versammelt und Hirten. Jakob sprach zu ihnen: Liebe Brüder, wo<br />

seid ihr her? Sie antworteten: Wir sind von Haran. Er sprach zu ihnen: Kennt ihr<br />

auch Laban, den Sohn Nahors? Sie antworteten: Ja, wir kennen ihn. Er sprach:<br />

Geht es ihm auch gut? Sie antworteten: Es geht ihm gut; und da kommt seine<br />

Tochter Rahel mit den Schafen.<br />

Als Jakob aber Rahel sah, die Tochter Labans, des Bruders seiner Mutter, trat er<br />

hinzu und tränkte ihr die Schafe. Und er küsste Rahel und weinte laut.<br />

Dann sagte er, dass er ihres Vaters Verwandter wäre und Rebekkas Sohn. Da<br />

lief sie und sagte es ihrem Vater. Als aber Laban hörte von Jakob, seiner<br />

Schwester Sohn, lief er ihm entgegen und herzte und küsste ihn und führte ihn in<br />

sein Haus. Da erzählte er Laban alles, was sich begeben hatte.<br />

1. Mose 29,1-12<br />

Der Kranz der Jakobserzählungen ist hinreißend schön. Sie sind wahr. Sie sind<br />

Menschheitswissen. Beglückend- wie aus der Flucht eine Brautschau wird. Der<br />

Gottesliebling findet die richtige Frau, aber es sind zwei.<br />

Erst mal tut Jakob instinktiv das für den guten Weg Nötige- an der Meute der<br />

staunenden Hirten vorbei verschafft er der Richtigen Vortritt zum Wasser, dann<br />

tränkt er das Vieh, was gemeinhin <strong>als</strong> Frauenarbeit galt. Dann küsst er sie und<br />

jetzt erst stellt er sich <strong>als</strong> Verwandten vor. Er geht mit großem<br />

Selbstbewusstsein zu Werke, er weiß sich mit Gott im Bunde und nutzt diese<br />

Beziehung zielstrebig.<br />

*<br />

Jakob dient um Lea und Rahel<br />

Jakob war schon einen Monat im Haus und hatte sich nützlich gemacht. Dann<br />

sprach Laban zu Jakob: Bleib hier, du machst gute Arbeit. Sage, was willst du<br />

an Lohn haben?<br />

38


Laban hatte zwei Töchter; die ältere hieß Lea, die jüngere Rahel. Aber Leas<br />

Augen waren ohne Glanz, Rahel dagegen war schön von Gestalt und von<br />

Angesicht. –<br />

Jakob hatte Rahel schon liebgewonnen und sagte zu Laban: Ich will dir sieben<br />

Jahre um Rahel dienen. Laban antwortete: Abgemacht. So diente Jakob um<br />

Rahel sieben Jahre, und es kam ihm vor, <strong>als</strong> wären’s einzelne Tage, so lieb hatte<br />

er sie.<br />

Und nach sieben Jahren sprach er zu Laban: Gib mir nun meine Braut; denn die<br />

Zeit ist da. Da lud Laban alle Leute des Ortes ein und machte ein<br />

Hochzeitsmahl. Am Abend aber nahm er seine Tochter Lea und brachte sie zu<br />

Jakob; und sie feierten eine herrliche Hochzeitsnacht. Am Morgen aber, siehe,<br />

da wars Lea.<br />

Da sprach Jakob zu Laban: Warum hast du mir das angetan? Habe ich dir nicht<br />

um Rahel gedient? Laban antwortete: Es ist nicht Sitte in unserm Lande, dass<br />

man die Jüngere weggebe vor der Älteren. Halte mit dieser die Hochzeitswoche,<br />

so will ich dir die andere auch geben für den Dienst, den du bei mir noch weitere<br />

sieben Jahre leisten sollst. Und so geschah es. Und er hatte Rahel lieber <strong>als</strong> Lea.<br />

1.Mose 29, 13-30<br />

Unvorstellbar für uns Heutige, wie Vater Laban beide Töchtern an den Mann<br />

brachte. Aber die Mehrehe war (und ist) auch eine soziale Institution, sie<br />

geschah sicher im Einverständnis der Frauen. Und Jakob musste wohl zwei<br />

Frauen lieben, um eben diese Kinder zu erden, die Gott genau durch Jakob und<br />

seine Frauen zur Welt gebracht haben wollte.<br />

Verzaubernd die orientalischen Hochzeitsbräuche, welche die Braut verhüllt<br />

sein lassen, bis es zu spät ist für Rücktritt und Rückgabe.<br />

Hier steht auch eine der wohl schönsten Liebeserklärungen überhaupt: Die<br />

sieben Jahre Warten auf Rahel kamen ihm vor wie nur sieben einzelne Tage, so<br />

lieb hatte er sie.<br />

*<br />

Jakobs Kinder<br />

Und Lea wurde schwanger und schwanger. Sie gebar Ruben und Simeon, Levi<br />

und Juda, Issachar und Sebulon; und Töchter, darunter die Tochter Dina. Die<br />

von ihrer Magd Silpa geborenen Gad und Asser zählten auch <strong>als</strong> Leas Eigene.<br />

Rahel war lange kinderlos. Die von ihrer Magd Bilha geborenen Dan und<br />

Naftali zählten <strong>als</strong> Rahels Eigene, waren ihr aber nur ein schwacher Trost.<br />

Dann erhörte Gott die Rahel und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn<br />

und sprach: Gott hat meine Schmach von mir genommen; sie nannte ihn Josef.<br />

Und sprach: Gott, gib mir noch einen Sohn dazu! Und sie gebar noch Benjamin.<br />

1.Mose 29,31-30,24;35,16<br />

39


Dramatisch hing früher Wohl und Wehe der Frauenwürde von der Mutterschaft<br />

ab. Kinder galten <strong>als</strong> höchstes Gut des Mannes. Darum wurde auch Jakobs Liebe<br />

zu Rahel auf eine harte Probe gestellt. Er musste auch Lea lieben lernen, denn<br />

„Kinder sind eine Gabe Gottes“ (Psalm 127,3) - die Mutter vieler Kinder galt <strong>als</strong><br />

vom Herrn gesegnet. Später gebar auch Rahel noch; Jakob und Benjamin<br />

wurden die Lieblingssöhne auch des Jakob- und damit nimmt der Streit<br />

zwischen den Brüdern der einen und der anderen seinen Lauf.<br />

Uns will nicht in den Kopf, und braucht es auch nicht, daß Gott so willkürlich<br />

mit der Zeugungs- und Gebärfähigkeit hantieren sollte. Unsere Vorfahren im<br />

Glauben hatten eine andere Tendenz: Nicht sind wir Spielball göttlicher<br />

Neigungen, sondern: Gottes Wege sind wunderbar: Die Geliebte, die Schöne hat<br />

keinen Nachwuchs, die weniger Schöne strahlt durch Kinder. So sind die Gaben<br />

verschieden, aber es ist ein Geber. Und der hat in allem die Hand im Spiel.<br />

*<br />

Jakob kommt durch List zu Reichtum<br />

Als Rahel den Josef geboren hatte, sprach Jakob zu Laban: Lass mich zurück in<br />

mein Land gehen. Laban aber sprach zu ihm: Bitte, bleib. Ich spüre, dass mich<br />

Gott segnet um deinetwillen. Bestimme den Lohn, den ich dir geben soll.<br />

Jakob sagte: Du weißt, wie ich dir gedient habe und was aus deinem Vieh<br />

geworden ist unter mir. Nun wird es Zeit, daß ich für mein Eigenes sorge.<br />

Laban sagte: Ich gebe dir viel. Jakob antwortete: Du sollst mir gar nichts geben;<br />

Lass mich machen, wie ich’s meine, so will ich deine Schafe weiter hüten. Alle<br />

Schafe und Ziegen sind Deine, nur das Gefleckte oder Schwarze soll mein sein.<br />

Und Laban: Es sei, wie du gesagt hast.<br />

Und Jakob nahm frische Stäbe von Pappeln, Mandelbäumen und Platanen und<br />

schälte weiße Streifen daran aus, sodass an den Stäben das Weiße bloß wurde,<br />

und legte die Stäbe, die er geschält hatte, in die Tränkrinnen, wo die Herden<br />

hinkommen mussten zu trinken, dass sie da empfangen sollten, wenn sie zu<br />

trinken kämen. So wurden die Herden über den Stäben trächtig und brachten<br />

viel mehr Gesprenkelte, Gefleckte und Bunte zur Welt. Daher wurde Jakob über<br />

die Maßen reich, sodass er viele Schafe und auch Mägde und Knechte, Kamele<br />

und Esel hatte.<br />

Da machte sich Jakob auf und lud seine Kinder und Frauen auf die Kamele und<br />

führte weg all sein Vieh und alle seine Habe; alles, was er in Mesopotamien<br />

erworben hatte, dass er käme zu Isaak, seinem Vater, ins Land Kanaan.<br />

Jakob aber täuschte Laban damit, dass er ihm nicht ansagte, dass er ziehen<br />

wollte. So glich sein Weggang eher einer Flucht. Auch hatte Rahel den<br />

Hausgott ihres Elternhauses- eine kleine Statue- heimlich mitgehen lassen.<br />

Laban jagte mit einer Mannschaft Jakob nach- und stellte sie am Gebirge<br />

Gilead.<br />

Aber Gott war zu Laban im Traum gekommen und sprach zu ihm: Hüte dich,<br />

mit Jakob anders zu reden <strong>als</strong> freundlich. Laban sprach zu Jakob: Warum bist du<br />

40


heimlich geflohen und hast mich hintergangen und hast mirs nicht angesagt,<br />

dass ich dich geleitet hätte mit Freuden, mit Liedern, mit Pauken und Harfen?<br />

Und hast mich nicht einmal lassen meine Enkel und meine Töchter küssen?<br />

Nun, du hast töricht getan. Und wenn du schon weggezogen bist und sehnst dich<br />

so sehr nach deines Vaters Hause, warum hast du mir dann meine Gottesstatue<br />

gestohlen?<br />

Jakob antwortete und sprach zu Laban: Ich fürchtete mich und dachte, du<br />

würdest deine Töchter von mir reißen. Bei wem du aber deine Gottesfigur<br />

findest, der soll sterben. Jakob wusste aber nicht, dass Rahel sie gestohlen hatte.<br />

Da ging Laban in die Zelte Jakobs und Leas und Rahels und fand nichts. Rahel<br />

aber hatte den Hausgott genommen und unter den Kamelsattel gelegt und sich<br />

darauf gesetzt. Da sprach sie zu ihrem Vater: Ich kann nicht aufstehen vor dir,<br />

denn es geht mir nach der Frauen Weise. Daher fand er den Hausgott nicht, wie<br />

sehr er auch suchte.<br />

Nach langem Hin und Her kamen sie überein, einen Bund zu schließen mit Gott<br />

<strong>als</strong> Zeugen: Und Laban sprach: Gott wache <strong>als</strong> Späher über mir und dir, dass wir<br />

nicht in böser Absicht uns aufsuchen. Und dass du meine Töchter nicht<br />

bedrückst oder andere Frauen dazunimmst zu meinen Töchtern. Und sie aßen<br />

und gingen auseinander.<br />

1.Mose 30,25-31,34<br />

Warum bedient sich Gott eines solchen Gauners? Und schützt ihn auch noch<br />

vor dem gerechten Zorn? Wird damit Gott nicht auch Handlanger von<br />

Hinterlist? Es ist wohl so: Gott ist nicht nur der Gute. Er ist der Ganze. Unter<br />

dem resoluten Singular „Gott“ bricht sich im Menschenbewußtsein Bahn die<br />

eine, umfassende Energie. Die ist für alles zuständig, aus ihr kommt auch das<br />

Vergewaltigten und Missbrauchen. Der durchtriebene Jakob mästet sich an<br />

fremdem Gut, damit er dann Vater vieler werden kann und selbst viele ernährt.<br />

Gott ist ja ins Werden der Welt eingefleischt und ins Werden dieser Familensaga<br />

hineingebunden, er ist auch auf leidvolle Weise an die Hybris von Menschen<br />

gefesselt, eben weil er die Menschen liebt, auch die Gauner.<br />

*<br />

Wie Jakob dem Esau die Wut abkauft<br />

Am Morgen stand Laban früh auf, küsste seine Enkel und Töchter und segnete<br />

sie und zog hin in seine Heimat. Auch Jakob zog seinen Weg. Und es<br />

begegneten ihm die Engel Gottes. Er betete: Gott meines Vaters Abraham und<br />

Gott meines Vaters Isaak, Du hast gesagt: Ich will dir wohltun und deine<br />

Nachkommen zahlreich machen wie den Sand am Meer. Nun aber kommt mein<br />

Bruder Esau mir entgegen, mich und die meinen umzubringen; rette mich, Herr.<br />

Und er blieb die Nacht da und bereitete von dem, was er erworben hatte,<br />

Geschenke vor für seinen Bruder Esau: zweihundert Ziegen und dreißig<br />

41


säugende Kamele mit ihren Füllen, vierzig Kühe und zehn junge Stiere, zwanzig<br />

Eselinnen und zehn Esel. Und beauftragte seine Knechte:<br />

Geht vor mir her und lasst Raum zwischen den Herden.<br />

Und sagte dem ersten Knecht: Wenn dir mein Bruder Esau begegnet und dich<br />

fragt: Wessen Eigentum ist das, was du vor dir hertreibst? sollst du sagen: Es<br />

gehört deinem Knechte Jakob, der sendet es <strong>als</strong> Geschenk seinem Herrn Esau<br />

und zieht hinter uns her. Ebenso gebot er auch dem zweiten und dem dritten und<br />

allen, die den Herden nachgingen, und sprach: Wie ich euch gesagt habe, so sagt<br />

zu Esau, wenn ihr ihm begegnet, und sagt ja auch: Siehe, dein Knecht Jakob<br />

kommt hinter uns.<br />

Denn er dachte: Ich will ihn gnädig stimmen mit den Geschenken, die ich vor<br />

mir herschicke. Danach will ich ihn sehen; vielleicht wird er mich annehmen. So<br />

ging das riesige Geschenk vor ihm her; er aber blieb diese Nacht im Lager.<br />

1.Mose 32,1-22<br />

Nach wohl zwanzig Jahren wagt Jakob die Rückkehr. Und er rechnet damit, dass<br />

Esaus Wut über die Segenprellerei noch frisch ist, wie am ersten Tag. Jakob<br />

fleht zu Gott, der möge ihm beistehen gegen seinen Bruder. Und gleichzeitig ist<br />

er höchst geschickt, seinen Bruder gnädig zu stimmen. Er schickt, raffiniert<br />

gestaffelt, Berge von Geschenken- in der Hoffnung, dass Esau, erschöpft vom<br />

Staunen, für die Rache schlicht zu müde sei. Diese doppelte Vorsorge: Gott<br />

bitten und sich selbst mühen, schlägt sich auch in einem Bildwort aus unserer<br />

Zeit nieder: Bete zu Gott aber fahre fort, ans andere Ufer zu rudern.<br />

*<br />

Gesegnete hinken<br />

Jakob stand auf in der Nacht und nahm seine beiden Frauen und die beiden<br />

Mägde und seine elf Söhne und die Töchter und zog an die Furt des Jabbok und<br />

führte sie über das Wasser, sodass hinüberkam, was er hatte. Er aber ging noch<br />

mal allein zurück.<br />

Da rang ein männliches Wesen mit ihm, bis die Morgenröte anbrach. Und <strong>als</strong> er<br />

sah, dass er ihn nicht niederringen konnte, schlug er ihn auf seine Hüfte. Und er<br />

sprach noch dringlicher: Lass mich gehen, denn die Morgenröte bricht an. Aber<br />

Jakob antwortete: Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.<br />

Er sprach: Wie heißt du? Er antwortete: Jakob. Er sprach: Du sollst nicht mehr<br />

Jakob heißen, sondern Israel; denn du hast mit Gott und mit Menschen gekämpft<br />

und hast gesiegt. Und er segnete ihn. Und Jakob nannte die Stätte Pniël: Der Ort,<br />

da ihm die Sonne aufging.<br />

1.Mose 32, 23-33<br />

Jakob brachte seine Familie und seine Habe ans andere Ufer, ging aber noch mal<br />

zurück, wollte wohl an der Schwelle zur Zukunft noch mal im Gebet stille sein<br />

und nächtigte allein.<br />

42


Ein Flussgott soll mit ihm gerungen haben, Jakob weiß selbst nicht, wer genau;<br />

nur spürt er, dass es Segenskräfte sind, die Hand an ihn legen. Es ist eine<br />

heilende Energie, die er nicht fahren lassen darf- er muss kämpfen um sein<br />

Glück. Er bekommt Schläge, aber er will von Gott nicht lassen. Er verkrallt sich<br />

richtig in das Gegenüber, presst ihm den Segen ab. Dann, <strong>als</strong> ihm die Sonne<br />

aufging, ist er getauft auf seinen neuen Namen: Gotteskämpfer.<br />

„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ -kann auch stehen für einen<br />

lebenslangen Kampf um das Gute oder um Gewissheit oder um Gottes- und<br />

Selbsterkenntnis. Lebenslang wird Jakob hinken- Gesegnete haben immer einen<br />

Schaden. Und die mit Schaden haben auch ihre Portion Segen.<br />

*<br />

Jakobs Versöhnung mit Esau<br />

Dann war es soweit- Jakob sah in der Ferne seinen Bruder Esau kommen mit<br />

vielen Männern. Da stellte er seine Frauen und Kinder auf und sich davor und<br />

sie gingen Esau entgegen, immer wieder sich bis zur Erde beugend. Esau aber<br />

lief ihm entgegen und herzte ihn und fiel ihm um den H<strong>als</strong> und küsste ihn und<br />

sie weinten.<br />

Und Esau sprach: Du hast mir Herden entgegen geschickt, was soll das? Er<br />

antwortete: Ich möchte so gern Gnade finden vor meinem Herrn - ich sah dein<br />

Angesicht, <strong>als</strong> Spiegel für Gottes Angesicht- freundlich hast du mich angesehen.<br />

So nimm doch diese Segensgabe.<br />

Er nötigte ihn, dass er sie nahm und sie gingen versöhnt voneinander. Esau zog<br />

an jenem Tage wiederum seines Weges nach Seïr. Jakob aber siedelt sich bei<br />

Sichem an. Er kaufte das Land für hundert Goldstücke und errichtete dort einen<br />

Altar und betete an.<br />

1. Mose 33<br />

Hinreißend, wie Jakob seine Familie <strong>als</strong> Schlachtreihe aufbaut. Er will dem Esau<br />

die noch vorhandene Wut abhandeln, will ihm auch sein Gesegnetsein<br />

vorführen. Er will Esau vor Augen führen, daß dieser es mit einem Schützling<br />

Gottes zu tun hat. Gleichzeitig hofiert er Esau ebenfalls <strong>als</strong> einen Günstling des<br />

Herrn, macht ihm geradezu ein atemberaubendes Kompliment: Nicht nur nähert<br />

er und seine Familie sich mit Kniefall, sondern er nimmt dessen Antlitz <strong>als</strong><br />

Spiegel Gottes. Er nimmt Esau in die Haftung für Gottes Freundlichkeit. So<br />

kann Esau gar nicht anders <strong>als</strong> seinem Bruder vergeben.<br />

Die vorauseilende Unterwürfigkeit Jakobs hat sicher dazu beigetragen, Esau<br />

freundlich zu stimmen. Aber Esau weiß seinen eigenen Weg. Und kann darum<br />

vergeben.<br />

*<br />

43


Jakob hatte Josef lieber<br />

Jakob aber wohnte im Lande, in dem sein Vater ein Fremdling gewesen war, im<br />

Lande Kanaan. Er wohnte dort mit seinen Söhnen und deren Familien und sie<br />

hüteten große Herden. Jakob hatte Josef lieber <strong>als</strong> alle seine andern Söhne, weil<br />

er der Sohn seines Alters war. Er schenkte ihm ein edles Kleid.<br />

Die Brüder aber hatten kein freundliches Wort für ihn übrig. Denn er<br />

überbrachte ihrem Vater Schlechtes von ihnen. Einmal hatte Josef einen Traum<br />

und erzählte ihn seinen Brüdern; da wurden sie ihm noch mehr Feind.<br />

1.Mose 37,1-5<br />

Der große Bogen der Geschichten von Josef und seinen Brüdern ist ein<br />

Meisterstück antiker Erzählung. Die Kapitel 37-50 des 1.Buch Mose nahm<br />

Thomas Mann zur Basis für seinen dreibändigen grandiosen Roman „Joseph und<br />

seine Brüder“.<br />

Josef wird der Retter des „den Gott der Väter“ verehrenden kleinen Stammes.-<br />

Aber menschliche Schwächen gefährden und begleiten die den Weg zur Größe.<br />

Unheilvoll bevorzugt der alte Jakob den (zunächst) einzigen Sohn seiner über<br />

alles geliebten Rahel. Josef geht gekleidet in „einem bunten Rock“. (Vielleicht<br />

geschneidert aus Rahels Hochzeitskleid - dies eine dichterische Phantasie des<br />

Thomas Mann). Jedenfalls nutzt der Vater ihn <strong>als</strong> Informant über<br />

Ungehörigkeiten der Brüder. Josef bekommt früh beigebracht, sich für was<br />

Besseres zu halten, dem dann auch mehr Ehrerbietung und größere Bildung<br />

zustehen.<br />

*<br />

Traumtänzer<br />

Josef sprach zu seinen Brüdern: Hört doch, was mir geträumt hat.<br />

Wir banden Korn zu Garben auf dem Felde, und meine Garbe richtete sich auf<br />

und stand; eure Garben aber stellten sich zum Kreis und neigten sich vor meiner<br />

Garbe. Da sprachen seine Brüder zu ihm: Willst du unser König werden und<br />

über uns herrschen?<br />

Und er erzählte ihnen noch einen zweiten Traum; Die Sonne und der Mond und<br />

elf Sterne neigten sich vor mir.<br />

Seine Brüder hassten ihn der Träume wegen. Auch sein Vater nahm ihn sich<br />

vor: Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Sollen wir alle vor dir<br />

niederfallen?<br />

1.Mose 37,6-10<br />

Dem Josef drängte sich in Träumen seine hervorragende Stellung auf. Gott<br />

werde viel vorhaben mit ihm- so musste er die Träume verstehen. Ja, Josef<br />

bekommt schon das Ergebnis der kommenden Erkenntnisabenteuer zu Gesicht-<br />

geradezu überrealistisch sinnlich wird sein kleines Ego aufgebaut: Einst wird<br />

man ihm zu Füßen liegen.<br />

44


Der Leser bangt mit, ob Josef die Hervorhebung ohne Hochmut bestehen wird.<br />

Aber dass er seine Träume rausposaunt, statt sie in sich reifen zu lassen, ist<br />

bedrohlich.<br />

*<br />

Die Brüder hassen ihn<br />

Wieder einmal sprach Jakob zu Josef: Geh hin nach Sichem zu deinen Brüdern<br />

und sieh, ob’s gut steht um sie und das Vieh, und sage mir dann, wie sich’s<br />

verhält.<br />

Als sie ihn von ferne kommen sahen, sprachen sie untereinander: Seht, da<br />

kommt der Träumer! Wir werden ihn uns vom H<strong>als</strong>e schaffen; wir sagen, ein<br />

böses Tier habe ihn gefressen; so wird sich zeigen, was seine Träume wert sind.<br />

Ruben aber sprach zu ihnen: Vergießt nicht Blut, sondern werft ihn in die<br />

nächste Zisterne! Er wollte ihn aus ihrer Hand erretten und ihn seinem Vater<br />

wiederbringen.<br />

Als nun Josef zu seinen Brüdern kam, griffen sie ihn, zogen ihm seinen Rock<br />

aus und ließen ihn herab in einen Brunnen, der gerade kein Wasser hatte. Und<br />

sie setzten sich nieder, um zu essen.<br />

1.Mose 37,12-24<br />

Josef wird von den Brüdern zum Abstieg in den Brunnen gezwungen- und dann<br />

setzen die sich wie nach getaner Arbeit zum Essen nieder. Ihr Grölen wird dem<br />

Josef noch lange in den Ohren liegen; es dürstet ihn, er ist hungrig, er friert, er<br />

weint- aus den Träumen wird nichts werden, er wird seine Träume verfluchen.<br />

Oder aber die halten ihn aufrecht, stärken ihn wie ein Pfand. Er hatte ja schon<br />

viel von der Verheißung gehört, die von Abraham über Isaak zu Jakob<br />

gekommen war und jetzt doch bitte Gestalt gewinnen soll in ihm.<br />

Josef ist gewiss, dass er in Gottes Plänen eine wichtige Rolle zu spielen hat. Und<br />

so kann es nicht schon mit ihm aus sein, sein Leben fängt doch gerade an zu<br />

sprießen. Vielleicht legt ihn Gott in ein Grab, wie eine Raupe in eine Puppe, ehe<br />

sie zum Schmetterling wird. Nachts sieht Josef den gestirnten Himmel über sich,<br />

sieht sich gekrönt und redet sich in Gott hinein und in den Schlaf, bis er<br />

Stimmen hört.<br />

Verkauf nach Ägypten<br />

Eine Karawane von Ismaelitern war auf dem Weg mit ihren Kamelen; die trugen<br />

kostbare Ware und zogen hinab nach Ägypten. Da sprach Juda zu seinen<br />

Brüdern: Was hilft’s uns, dass wir unsern Bruder töten? Lasst uns ihn den<br />

Händlern verkaufen, dann vergreifen sich unsere Hände nicht an ihm - er ist<br />

doch unser Bruder, unser Fleisch und Blut. Und sie gehorchten ihm und<br />

verkauften Josef für zwanzig Silberstücke nach Ägypten.<br />

*<br />

45


Dann nahmen sie Josefs Rock und schlachteten einen Ziegenbock und tauchten<br />

den Rock ins Blut und ließen seine Kleider ihrem Vater bringen und sagen:<br />

Dies haben wir gefunden; sieh, ob’s deines Sohnes Sachen sind oder nicht.<br />

Jakob erkannte das Kleid und schrie: Es ist meines Sohnes Rock; ein böses Tier<br />

hat ihn gefressen, ein reißendes Tier hat Josef geschlagen! Und Jakob zerriss<br />

seine Kleider und trug Leid um seinen Sohn lange Zeit.<br />

Aber die Midianiter verkauften ihn in Ägypten an Potifar, des Pharao Kämmerer<br />

und Obersten der Leibwache.<br />

1.Mose 37,25- 36<br />

Wie sich Schicksal fügt. Aber wir sind Ruderer, wir fahren mit dem Rücken zur<br />

Zukunft (Sören Kierkegaard). Erst im Nachhinein weist sich, wie notwendig<br />

genau diese Wege waren. Josef wusste in der Brunnentiefe nicht, was wird. Er<br />

konnte sich nur nicht denken, daß das alles gewesen sein soll. Auch Vater Jakob<br />

konnte es nicht glauben, daß Josef tot, aus und vorbei sei. Im tiefsten Winkel<br />

seines Herzens gab es eine Ahnung. Aber unter tiefer Trauer über Jahre war<br />

diese Hoffnung nur ein Flämmchen und keine Aussicht.<br />

Die Brüder handeln verbrecherisch an ihrem Bruder. Wer, wenn nicht<br />

Geschwister, sind einander zur Hilfe gedacht? Doch „Scham macht Männer zu<br />

Gaunern“ (Robert Musil). Die Brüder sehen sich gedemütigt durch den<br />

Hochmut des Einen. Das erklärt nichts, aber macht es verstehbar.<br />

*<br />

Eine traurige Geschichte<br />

Und Juda gab seinem ersten Sohn eine Frau, die hieß Tamar. Der Mann starb,<br />

ohne Kinder zu hinterlassen. Tamar tat, was dam<strong>als</strong> üblich war: Sie bat ihren<br />

Schwager Onan, seinem toten Bruder Nachkommen zu zeugen. Er schlief auch<br />

mit ihr, zog sich aber zurück, sodaß sie nicht schwanger werden konnte. Das<br />

missfiel Gott und er ließ ihn auch sterben.<br />

1.Mose 38, 6-10<br />

In jener alten Zeit war Kinderzeugen ein Dienst an der Großfamilie. Darum<br />

gehörte es sich nicht, daß die Witwe kinderlos blieb. Sie hatte geradezu ein<br />

Recht auf Nachwuchs aus der Sippe des verstorbenen Mannes. Diese und andere<br />

Sitten und Ordnungen galten <strong>als</strong> gottgegeben. Damit ist nicht gesagt, daß Gott<br />

diese Anordnug getroffen und den Vollzug verlangt hätte. Damit ist nur gesagt,<br />

daß die Menschen dam<strong>als</strong> ihre Gesetze <strong>als</strong> vom Himmel diktiert hielten. In<br />

unserer Zeit die Selbstbefriedigung <strong>als</strong> von Gott verboten zu erachten, ist<br />

absurd.<br />

*<br />

46


Männer<br />

Viele Tage waren vergangen im Leben der Witwe Tamar. Da starb Judas Frau.<br />

Und nachdem Juda ausgetrauert hatte, ging er hinauf, seine Schafe zu scheren<br />

nach Timna. Da wurde der Tamar gesagt: Siehe, dein Schwiegervater geht<br />

hinauf nach Timna.<br />

Da legte sie die Witwenkleider ab, verhüllte sich mit einem Schleier und setzte<br />

sich vor das Tor an dem Wege nach Timna. Als Juda sie nun sah, meinte er, es<br />

sei eine Hure- sie hatte auch ihr Angesicht verdeckt.<br />

Und er ließ sich mit ihr ein, nicht wissend, dass es seine Schwiegertochter war.<br />

Sie antwortete: Was willst du mir geben, dafür, daß du mit mir schlafen darfst?<br />

Er sprach: Ich werde dir einen Ziegenbock senden. Sie antwortete: So gib mir<br />

dein Siegel zum Pfand, bis ich ihn habe. Da gab er’s ihr und kam zu ihr; und sie<br />

ward von ihm schwanger.<br />

Später sandte Juda den Ziegenbock durch seinen Freund, damit er das Pfand<br />

zurückhole von der Frau. Doch der Freund kam zurück zu Juda und sprach: Ich<br />

habe sie nicht gefunden; dazu sagen die Leute des Ortes, es sei keine Hure da<br />

gewesen. Juda sprach: Sie mag’s behalten, damit wir nur nicht in Verruf<br />

geraten! Siehe, ich habe den Bock gesandt, und du hast sie nicht gefunden.<br />

Nach drei Monaten wurde Juda angesagt: Deine Schwiegertochter Tamar hat<br />

Hurerei getrieben; und siehe, sie ist davon schwanger geworden. Juda sprach:<br />

Führt sie heraus, dass sie verbrannt werde. Und <strong>als</strong> man sie hinausführte,<br />

schickte sie zu ihrem Schwiegervater und sprach: Von dem Mann bin ich<br />

schwanger, dem dies gehört. Juda erkannte sein Siegel und sprach: Sie ist<br />

gerechter <strong>als</strong> ich. Und bekannte sich zu seiner Vaterschaft.<br />

1. Mose 38, 11-26<br />

Eine der Geschichten, um deretwillen das Alte Testament im üblen Ruf steht-<br />

völlig zu Unrecht. Das Alte Testament ist grandios ehrlich- ist <strong>als</strong>o auch ein<br />

Abbild unserer menschlichen Schwächen. Und betont, daß Gott sich einlässt auf<br />

genau diese verruchten und geschickten Menschen.<br />

Die Witwe weiß sich ihrem verstorbenen Gatten zum Erhalt der Familienehre<br />

durch Nachwuchs verpflichtet. Und erwirkt sich die Schwangerschaft durch<br />

List. Der Mann, der die Hure besuchte, spricht sie des Todes schuldig. Dann<br />

weist sie aber das Siegel vor, das der Freier <strong>als</strong> Pfand zurückließ. Beschämt<br />

bekennt Juda seine Verfehlung. Und setzt Tamar in ihre Rechte ein.<br />

Es ist eine der Geschichten, die den Männern beibringen, daß sie die Frau zur<br />

Hure machen. Die Frau zu bestrafen, <strong>als</strong> wäre der Mann das Opfer ist mit dieser<br />

Geschichte <strong>als</strong> sündhaft gebrandmarkt. Es ist ein hohes Gut des Gottesglaubens,<br />

dass diese Ehrung der Tamar aufgeschrieben blieb, obwohl es den Stammvater<br />

des großen jüdischen (Nord) Reiches in schlechtem Licht zeigt. Und Tamars<br />

Sohn Perez gehört in den Stammbaum Jesse, der dann auf Jesus zuführt (Lukas<br />

3,33).<br />

*<br />

47


Einer, dem alles glückte<br />

Mit den Kaufleuten kam Josef nach Ägypten. Dort verkauften sie ihn an den<br />

Haushalter des Pharao mit Namen Potifar. Und Gott war mit Josef, sodass er ein<br />

Mensch wurde, dem alles glückte.<br />

Sein Herr sah, dass Gott mit ihm war; da gab er ihm Vollmacht über sein Haus;<br />

und alles, was er hatte, vertraute er ihm an. Aber Josef war schön an Gestalt und<br />

hübsch von Angesicht.<br />

So fügte es sich, daß, dass die Gemahlin des Potifar ihr Auge auf Josef warf und<br />

sprach: Lieb mich!<br />

Er weigerte sich aber und sprach zu ihr: Wie könnte ich das Vertrauen meines<br />

Herrn so missbrauchen und gegen ihn und Gott sündigen? Sie aber bedrängte<br />

Josef tagtäglich mit heißen Worten. Aber er blieb stark und war ihr nicht zu<br />

Willen.<br />

Eines Tages war kein Mensch sonst im Haus. Und sie verstellte ihm den Weg<br />

und sagte: Komm jetzt! Aber er riss sich los, und ließ sein Obergewand in ihrer<br />

Hand und floh zum Hause hinaus. Da war sie so sehr gekränkt, daß sie auf<br />

Rache sann.<br />

Sie rief die Leute zusammen und sprach zu ihnen: Der hebräische Kerl wollte<br />

mich vergewaltigen. Als ich schrie, da floh er – sein Gewand hielt ich fest. Da<br />

ist es. Und sie legte sein Kleid neben sich, bis ihr Gemahl heimkam.<br />

Als sein Herr nach Hause kam und die Anklage seiner Frau hörte, wurde er sehr<br />

zornig. Er ließ ihn ins Gefängnis werfen.<br />

1. Mose 39,1-20<br />

Daher <strong>als</strong>o das Wort vom „keuschen Josef“. Er wollte einfach das Vertrauen<br />

seines Herrn nicht mißbrauchen. Eigentlich reicht in heiklen Situationen das<br />

einfache Wort „nein“ und jeder vernünftige Mensch stellt bei handfester<br />

Klarheit das Werben ein. Allerdings ist Faszination ein explosiver Stoff. Sieht<br />

sich ein Mensch zurückgestoßen, so kann er rasend werden.<br />

Josef <strong>als</strong> Glückskind wird sich noch oft bewähren müssen. Und „wem viel<br />

anvertraut ist, dem wird viel abverlangt“ (Lukas 12,48). Auch die Gnade ist<br />

zwar umsonst aber ist nicht billig.<br />

*<br />

Josef hat auch im Gefängnis Glück<br />

Gott neigte die Herzen der Menschen dem Josef zu. Auch das Vertrauen des<br />

Gefängnis-Vorstehers gewann er schnell, bald waren ihm alle Gefangenen<br />

unterstellt und ohne sein Wort passierte nichts. Es geschah aber, dass sich der<br />

Mundschenk des Königs von Ägypten und der Oberste Bäcker versündigt hatten<br />

an ihrem Herrn. Und der Pharao ließ sie ins Gefängnis werfen, wo Josef auch<br />

war. Und es träumte ihnen beiden Träume voller Bedeutung. Und sie erzählten<br />

48


Josef ihre Träume. Bald darauf kamen sie frei- was Josef ihnen in Aussicht<br />

gestellt hatte.<br />

1.Mose 39,21-22; 40, 1-5<br />

Die Verfasser dieses wunderbaren Erzählreigens sehen den Verlauf der<br />

Geschichte normal laufen. Keine Gottheit greift mit Blitz und Donner von außen<br />

ein, wie man sich in grauer Vorzeit etwa des Geschickes Mächte so gewalttätig<br />

vorstellte. Hier in der vergleichsweise modernen Novelle ist Josef von guten<br />

Mächten wunderbar geborgen. Hinter den Kulissen ahnt man einen „guten<br />

Vater“, der langfristig die guten Energien stärkt und die bösen Kräfte schwächt.<br />

Gott neigte dem Josef die Herzen zu. Das ist doch das Geheimnis aller<br />

Sympathie und allen Charmes- das sie nicht erklärlich sind, sondern Zuneigung<br />

wird von höheren Ortes verfügt, sie zählen zu den Rohstoffen des Herzens und<br />

sind eigentlich Gemeineigentum. Warum auch niemand sich etwas einbilden<br />

sollte auf die Zuneigung, die er findet.<br />

Josef deutet den Mitmenschen ihre Träume. Wir sollten damit sehr behutsam<br />

sein. Am besten kann man ja seine Träume selber deuten, wenn man nur<br />

hinfühlt und achtet auf die im Traum vorweggenommene Entschlossenheit.<br />

*<br />

Josef fällt nach oben<br />

Nach zwei Jahren hatte der Pharao einen Traum, der ihn furchtbar berührte. Er<br />

ließ alle Wahrsager in Ägypten rufen und alle Weisen. Aber da war keiner, der<br />

dem Pharao seine Träume verstehbar machen konnte.<br />

Da redete der oberste Mundschenk zum Pharao und sprach: Ich muss heute an<br />

meine Sünden denken: Als der Pharao mich mit dem obersten Bäcker ins<br />

Gefängnis brachte, da träumte uns beiden in einer Nacht einem jeden sein<br />

Traum. Es war bei uns dam<strong>als</strong> ein hebräischer Jüngling, des Amtmanns Knecht,<br />

dem erzählten wir’s. Und er deutete uns unsere Träume. Und wie er uns deutete,<br />

so ist’s gekommen.<br />

Da sandte der Pharao hin und ließ Josef rufen, und sie holten ihn eilends aus<br />

dem Gefängnis. Er ließ sich frisieren und zog andere Kleider an und kam hinein<br />

zum Pharao.<br />

Da sprach der Pharao zu ihm: Ich habe einen Traum gehabt und es ist niemand,<br />

der ihn deuten kann. Ich habe aber von dir sagen hören, wenn du einen Traum<br />

hörst, so kannst du ihn deuten.<br />

Josef antwortete dem Pharao und sprach: Das steht nicht bei mir; doch lege sie<br />

dar.<br />

1.Mose 41,1-16<br />

Die Erzählung von Josef, der die Träume des Pharao deutet, nimmt einen<br />

langen Anlauf. Weit ist der Umweg übers Gefängnis, doch „es gibt keine<br />

Zufälle“. Josef musste dorthin, weil Jahre vorher dort ein Probelauf in<br />

49


Traumdeutung ihm abverlangt wurde. Daraufhin konnte später der Mundschenk<br />

sich an den Kundigen erinnern.<br />

Gott gestaltet Geschichte mit großer Übersicht und meist inkognito. Von langer<br />

Hand wird Rettung in die Wege geleitet. Dabei muss nicht jeder Schritt einzeln<br />

von Gott konstruiert sein, die Allmacht ist auch wirksam, indem sich die Dinge<br />

selber machen. Einer hat seinen Traum gut gedeutet bekommen, vergisst dieses<br />

Wunder, aber zur rechten Zeit erinnert er sich und kann die Fügung weiter<br />

anschieben.<br />

*<br />

Die fetten und die mageren Kühe<br />

Der Pharao sprach zu Josef: Mir träumte, ich stand am Ufer des Nils und sah aus<br />

dem Wasser steigen sieben schöne, fette Kühe; die gingen auf der Weide im<br />

Grase. Nach ihnen stiegen sieben dürre, sehr hässliche und magere Kühe heraus<br />

und fraßen die sieben fetten Kühe.<br />

Und ich sah noch einen andern Traum: Ich sah sieben Ähren auf einem Halm<br />

wachsen, voll und dick. Danach gingen sieben dürre Ähren auf, dünn und<br />

versengt. Und die sieben dünnen Ähren verschlangen die sieben dicken Ähren.<br />

Und die Wahrsager können es mir nicht deuten.<br />

Josef antwortete dem Pharao: Die sieben schönen Kühe und die sieben guten<br />

Ähren sind sieben gute Jahre fetter Ernten. Die sieben mageren Kühe und die<br />

sieben versengten Ähren stehen für sieben Jahre des Hungers. In beiden<br />

Träumen verkündet Gott dem Pharao, was bevorsteht: Nach sieben Jahre Fülle<br />

werden sieben Jahre Hunger über Ägypten kommen.<br />

Nun suchte der Pharao einen verständigen und weisen Menschen, den er über<br />

Ägyptenland setze. Der sollte die richtigen Beamten einsetzen. Die sollen den<br />

fünften Teil in Ägyptenland in den sieben reichen Jahren von allem einsammeln.<br />

Sie sollen vom Ertrag der guten Jahre, die kommen werden, Getreide<br />

aufschütten in des Pharao Kornhäusern zum Vorrat in den Städten und es<br />

verwahren. Damit für Nahrung gesorgt sei für das Land für die schlechten<br />

Zeiten.<br />

Und der Pharao sprach zu Josef: Weil dir Gott dies alles kundgetan hat, ist<br />

keiner so verständig und weise wie du, in keinem wohnt der Geist Gottes wie in<br />

dir. Dich setze ich über mein Haus. Und er tat seinen Ring ab von seiner Hand<br />

und gab ihn Josef an seine Hand und kleidete ihn mit kostbarer Leinwand und<br />

legte ihm eine goldene Kette um seinen H<strong>als</strong> und ließ ihn auf seinem zweiten<br />

Wagen fahren und ließ vor ihm her ausrufen: Der ist des Landes Vater! Und<br />

setzte ihn über ganz Ägyptenland. Und Josef war dreißig Jahre alt.<br />

1.Mose 41,17-46<br />

Prophezeiende Wahrträume geschehen. Verstehende Menschen nehmen sie <strong>als</strong><br />

Wink des Schicks<strong>als</strong>, Vorkehrungen zu treffen. Träumend schärft sich in uns<br />

50


auch der Sinn für Nötiges. Zu Gesicht gebracht wird mir möglicherweise<br />

Kommendes, und Zurückliegendes klärt sich, entwirrt sich.<br />

Wir sind zuständig im Rahmen unserer Kräfte. In des Regierenden Pflicht steht<br />

es, vorausschauend vorzusorgen. Klar umrissene, hellsichtige Prognosen sind<br />

Gnade; auch Wissende zu finden für verantwortliches Handeln ist Gnade. Die<br />

richtigen Dinge zu tun, lehrt Josef. Die Dinge richtig zu tun, wurde Josef<br />

aufgegeben.<br />

Alles zieht unablässig und miteinander verkettet weiter, die einen Dinge reißen<br />

die anderen mit, und alle wissen sie nichts voneinander. Doch letztlich geschieht<br />

es, damit Sein Wille geschehe.<br />

*<br />

Josefs der Ernährer<br />

Und das Land trug in sieben reichen Jahren die Fülle, brachte Getreide wie Sand<br />

am Meer. Und Josef ließ sammeln die ganzen Ernten der sieben Jahre des<br />

Überflusses und verwahrte sie in neu errichteten Kornhäusern.<br />

Und Josef und seiner Frau Asenat wurden zwei Söhne geboren: Manasse- das<br />

heißt: Gott hat mich vergessen lassen all mein Unglück, und Ephraim- das heißt:<br />

Gott hat mich wachsen lassen in dem Lande meines Elends.<br />

Als nun die sieben reichen Jahre um waren im Lande Ägypten, da fingen die<br />

Hungerjahre an, auch in den Ländern ringsum. Als nun ganz Ägyptenland<br />

Hunger litt, schrie das Volk zum Pharao um Brot. Da tat Josef die Kornhäuser<br />

auf und verkaufte den Ägyptern; und der Hunger wurde je länger je größer im<br />

Lande. Und alle Welt litt Hunger und sie kamen nach Ägypten, um bei Josef zu<br />

kaufen.<br />

1.Mose 41, 47-57<br />

Josefs Blick in die Geschichte beschaffte dem Pharao unermessliche Macht, die<br />

Bevölkerung aber überlebte und- verarmte. Ganz Ägypten geriet in die<br />

Leibeigenschaft. Dank Josefs Strategie des Hortens in den Zeiten des<br />

Überschusses, konnte er bei Anziehen der Nachfrage nach Belieben den Preis<br />

anheben, auch die Ware verknappen. Und immer mehr mussten die Menschen<br />

geben, um immer weniger, aber doch wenigstens das Nötigste bekommen zu<br />

können.<br />

Hier wird zum ersten mal Kapitalismus im großen Stil betrieben. Einer hat die<br />

bessere Information und das Startkapital und den festeren Willen, die Zukunft<br />

mit zu gestalten. Einer häuft Reichtum –<strong>als</strong>o Gestaltungsmöglichkeit- an, andere<br />

verarmen. Sicher eine fragwürdige Art des Umgangs mit Menschen, den Gott da<br />

fördert. Immerhin entstehen so Völkerzusammenschlüsse, Austausch, Handel,<br />

Wandel. In Ägypten geschah eine Blüte der Menschheit an Geist, Religion und<br />

Kunst. Und das Volk und vor allem auch Israels Ursprungsfamilie überlebte.<br />

*<br />

51


Erste Reise der Brüder<br />

Auch in Kanaan und in Sichem bei Jakobs Familie wurde Essbares knapp. Es<br />

hatte sich aber rumgesprochen, daß in Ägypten Getreide noch zu haben sei. Da<br />

sprach Jakob zu seinen Söhnen: Kauft uns Getreide, dass wir leben und nicht<br />

sterben. Was sitzt ihr hier und macht lange Gesichter; zieht hinab und kauft das<br />

zum Überleben Notwendige.<br />

Da zogen die Brüder Josefs los, um in Ägypten Getreide zu kaufen. Aber den<br />

Benjamin, Josefs kleinen Bruder, ließ Jakob nicht mit seinen Brüdern ziehen.<br />

So kamen die zehn Söhne Jakobs aus ihrer Heimat nach Ägypten. Josef<br />

gewahrte seine Brüder schon von ferne. Sie fielen vor ihm nieder zur Erde.- Er<br />

erkannte sie, aber sie erkannten ihn nicht.<br />

Er stellte sich fremd gegen sie und redete hart mit ihnen: Woher kommt ihr? Sie<br />

sprachen: Aus dem Lande Kanaan um Getreide zu kaufen. Er verdächtigte sie:<br />

Spione seid ihr und wollt das Land ausforschen.<br />

Sie antworteten ihm: Nein, Herr! Deine Knechte sind gekommen, Getreide zu<br />

kaufen. Wir sind alle eines Mannes Söhne; redlich und keine Spione. Wir, deine<br />

Knechte, sind zwölf Brüder, und der jüngste ist noch bei unserm Vater, und<br />

einer ist nicht mehr vorhanden.<br />

Josef sprach zu ihnen: Und doch seid ihr Spione. Ich will euch prüfen: Ihr sollt<br />

nicht von hier wegkommen, es komme denn her euer jüngster Bruder! Sendet<br />

einen von euch hin, der euren Bruder hole, ihr aber sollt gefangen sein. Und sie<br />

mussten sich damit abfinden.<br />

Sie sprachen aber untereinander: Das ist die Strafe für unser Unrecht! Wir sahen<br />

die Angst der Seele unseres Bruders, <strong>als</strong> er uns anflehte, und wir wollten ihn<br />

nicht erhören; darum kommt nun diese Trübsal über uns. Nun wird sein Blut von<br />

uns gefordert.<br />

Sie wussten aber nicht, dass es Josef verstand; denn er redete mit ihnen durch<br />

einen Dolmetscher. Und er wandte sich von ihnen und weinte.<br />

Als er sich dann wieder zu ihnen wandte und mit ihnen redete, nahm er aus ihrer<br />

Mitte Simeon und ließ ihn binden vor ihren Augen. Und gab Befehl, ihre Säcke<br />

mit Getreide zu füllen und ihnen ihr Geld wiederzugeben, einem jeden in seinen<br />

Sack, dazu auch Zehrung auf den Weg; und so tat man ihnen.<br />

Sie aber erschraken, <strong>als</strong> sie unterwegs das Geld fanden. Und sprachen: Warum<br />

hat Gott uns das angetan?<br />

1.Mose 42, 1-28<br />

Dies Kapitel will sagen, dass Böses seine Strafe findet. Man sieht sich immer<br />

zweimal. Und dann sind die Verhältnisse umgekehrt, dann hat das Leben, hat<br />

Gott die herrischen Brüder zu demütig Bittenden umgekehrt. Und der einst<br />

flehte, wird Herr über Leben und Tod. Gespannt soll der Leser auch sein, ob der<br />

Freund Gottes mit seiner Machtfülle großmütig umgehen wird. Josef wird<br />

hoffentlich Gott am Werk sehen, auch im unrechten Tun der Brüder- und darum<br />

nicht anders können, <strong>als</strong> vergeben. Und ja- Schritt für Schritt wird die<br />

52


Versöhnung vorbereitet, die Brüder werden geängstigt wie sie ängsteten und<br />

hoffentlich werden sie sich geläutert zeigen.<br />

*<br />

Zögerlich schickt sich Jakob in die Realität<br />

Als sie nun heimkamen zu ihrem Vater Jakob ins Land Kanaan, sagten sie ihm<br />

alles, was ihnen begegnet war, und sprachen: Der Mann, der im Lande Herr ist,<br />

ist hart. Er will Benjamin auch sehen- und behielt Simeon <strong>als</strong> Pfand.<br />

Da sprach Jakob: Ihr beraubt mich meiner Kinder! Josef ist nicht mehr da,<br />

Simeon ist nicht mehr da, Benjamin wollt ihr auch wegnehmen- das geht alles<br />

über meine Kräfte.<br />

Irgendwann aber drückte die Hungersnot zu sehr und der Vater schickte sie los:<br />

Kauft ein wenig Getreide. Nur mit Benamin, sprach da Juda; Zu sehr hat uns der<br />

fremde Herr eingeschärft: Ihr sollt mein Angesicht nicht sehen, es sei denn, ihr<br />

bringt den Bruder mit.<br />

Da fing Jakob noch einmal an zu jammern: Warum habt ihr überhaupt gesagt,<br />

dass ihr noch einen Bruder habt? Sie antworteten: Der Mann forschte so genau<br />

nach uns und unserer Verwandtschaft und sprach: Lebt euer Vater noch? Habt<br />

ihr auch noch einen Bruder? Da antworteten wir ihm. Wie konnten wir wissen,<br />

dass er sagen würde: Bringt euren Bruder mit herab?<br />

Da sprach Juda zu Vater Jakob: Lass den Knaben mit mir ziehen, dass wir nicht<br />

sterben, wir und du und unsere Kinder. Ich will Bürge für ihn sein; von meinen<br />

Händen sollst du ihn fordern. Aber jetzt lass uns endlich gehen. Hätten wir nicht<br />

gezögert, wären wir wohl schon zweimal wiedergekommen.<br />

Da sprach Jakob: Wenn es denn so ist, so tut’s und nehmt von des Landes besten<br />

Früchten in eure Säcke und bringt dem Manne Geschenke hinab, B<strong>als</strong>am und<br />

Honig, Harz und Myrrhe, Nüsse und Mandeln. Dazu nehmt euren Bruder. Der<br />

allmächtige Gott gebe euch Barmherzigkeit vor dem Manne, dass er mit euch<br />

ziehen lasse Simeon und Benjamin. Ich aber muss sein wie einer, der seiner<br />

Kinder völlig beraubt ist. Da nahmen sie die Geschenke und doppeltes Geld mit<br />

sich, dazu Benjamin, machten sich auf, zogen nach Ägypten und traten vor<br />

Josef.<br />

1.Mose 42,25-38; 43,1-16<br />

Ein Kampf tobt zwischen Vater und den Söhnen. Nur der schiere Hunger ließ<br />

Jakobs Hartnäckigkeit erlahmen. Irgendwann blieb ihm nichts übrig, <strong>als</strong> sie<br />

ziehen zu lassen und sie Gott und der Barmherzigkeit des Herrn der Brote<br />

anzubefehlen. Der Vater weiß noch nicht, daß seine Söhne ihn des Josefs<br />

beraubt haben. Aber er setzt sich und die Brüder und ihre Familien lange dem<br />

Hunger aus und lässt lieber den Simeon im Gefängnis in der Fremde schmoren-<br />

nur, um den geliebten Benjamin bei sich halten zu können, der ja von der<br />

selben Mutter ist wie Josef, von der geliebten, früh gestorbenen Rebekka. Jakobs<br />

blinde Leidenschaft zu seiner ersten Liebe und den zwei Kindern aus dieser Ehe<br />

53


verursachen zunächst den Neid der älteren Ehefrau Lea, dann den ihrer Söhne.<br />

Jetzt wird viel gebüßt. Auch Jakob versteht sein Loslassenmüssen <strong>als</strong> Strafe:<br />

„Ich muss sein, wie einer, der seiner Kinder ganz und gar beraubt ist.“ Strafe<br />

annehmen ist wohl eine heilige Arbeit.<br />

*<br />

Josef nähert sich den Brüdern<br />

Als Josef sie kommen sah mit Benjamin, sprach er zu seinem Haushalter: Führe<br />

die Männer ins Haus und schlachte und richte zu, denn sie sollen mit mir essen.<br />

Sie fürchteten sich aber um des Geldes willen, das in den Säcken das vorige<br />

Mal obenauf lag. Der Hauhalter aber sprach: Seid guten Mutes, fürchtet euch<br />

nicht! Euer Gott und eures Vaters Gott hat euch einen Schatz gegeben in eure<br />

Säcke. Und er führte Simeon zu ihnen heraus.<br />

Dann gab er ihnen Wasser, dass sie ihre Füße wuschen, und gab ihren Eseln<br />

Futter. Sie aber richteten die Geschenke zu- sie hatten gehört, dass sie mit ihm<br />

essen sollten.<br />

Als nun Josef ins Haus trat, fielen sie vor ihm nieder zur Erde. Er aber grüßte sie<br />

freundlich und sprach: Geht es eurem alten Vater gut, lebt er noch? Sie<br />

antworteten: Es geht deinem Knechte, unserm Vater, gut und er lebt noch.<br />

Und er hob seine Augen auf und sah seinen Bruder Benjamin. Da stürzte Josef<br />

hinaus; denn sein Herz entbrannte ihm gegen seinen Bruder, und er suchte zu<br />

verbergen, daß er weinte. Als er dann sein Angesicht gewaschen hatte, ging er<br />

wieder zu ihnen und ließ auftischen.<br />

Und man setzte sie ihm gegenüber der Reihe nach, vom Erstgeborenen bis zum<br />

Jüngsten. Sie aber wunderten sich, wie genau er die Altersfolge kannte. Und<br />

man trug das Essen auf und sie tranken und wurden fröhlich mit ihm.<br />

1.Mose 43,16-34<br />

Der Haushalter Josefs verkündet ihnen ein Zeichen dafür, daß letztlich die<br />

Geschichte gut ausgehen wird: Gott selbst habe ihnen den Kaufpreis erstattet.<br />

Dann kann ja keine Strafe warten: die Scheu weicht. Josef ist so gerührt vom<br />

Wiederfinden seines jüngsten Bruders- er muß sich erst mal zurückziehen. Und<br />

dann werden die Brüder genau nach Alter an der Tafel platziert, das legt doch<br />

das Mitwissen des Josef und Göttliche Fügung nahe.<br />

Sie werden fröhlich miteinander, Josef gibt ein Stück seiner Unnahbarkeit auf.<br />

das Drama strebt noch erst seinem Höhepunkt zu. Das Wechselbad aus<br />

Fremdheit und neuer Vertrautheit hält an.<br />

*<br />

54


Entsetzen und Offenbarung<br />

Und Josef befahl seinem Haushalter und sprach: Fülle den Männern ihre Säcke<br />

mit Getreide, soviel sie fortbringen, und lege jedem sein Geld wieder oben in<br />

seinen Sack.<br />

Und meinen silbernen Becher legt oben in des Jüngsten Sack mit dem Gelde für<br />

das Getreide. Der tat, wie ihm Josef gesagt hatte.<br />

Am Morgen ließen sie die Männer ziehen mit ihren Eseln. Als sie aber zur Stadt<br />

hinaus waren und noch nicht weit gekommen, sprach Josef zu seinem<br />

Haushalter: Auf, jage den Männern nach und wenn du sie erreichst, so sprich zu<br />

ihnen: Warum habt ihr Gutes mit Bösem vergolten? Warum habt ihr den<br />

silbernen Becher gestohlen, den, aus dem mein Herr trinkt und aus dem er<br />

wahrsagt? Ihr habt übel getan.<br />

Sie fanden den Becher in Benjamins Sack und führten die Brüder zurück in die<br />

Stadt. Und sie fielen vor Josef nieder auf die Erde. Josef aber sprach zu ihnen:<br />

Wie habt ihr das tun können? Juda sprach: Gott hat die Missetat deiner Knechte<br />

gefunden. Siehe, wir und der, bei dem der Becher gefunden ist, sind von nun an<br />

deine Sklaven .<br />

Er aber sprach: Der, bei dem der Becher gefunden ist, soll mein Sklave sein; ihr<br />

aber zieht hinauf mit Frieden zu eurem Vater.<br />

Da trat Juda zu ihm und sprach: Mein Herr, lass deinen Knecht ein Wort reden<br />

vor den Ohren meines Herrn, und dein Zorn entbrenne nicht über deinen Knecht,<br />

denn du bist groß wie der Pharao. Lass mich hier bleiben an des Knaben statt <strong>als</strong><br />

Sklave meines Herrn und den Knaben lasst gehen mit seinen Brüdern. Ich<br />

könnte den Jammer nicht sehen, der über meinen Vater kommen würde, käme<br />

ich ohne Benjamin heim.<br />

1. Mose 44, 1-33<br />

Josef lässt die Brüder nachleben, was sie ihm einst angetan haben. Doch sie<br />

haben gelernt. Einst opferten sie den Einen zur Genugtuung für ihr<br />

Zurückgestelltsein beim Vater. Nun stehen sie gemeinsam für den Jüngsten, den<br />

Schwächsten ein. Noch einmal werden sie in Versuchung geführt, fein davon zu<br />

kommen. Doch sie schlagen das Angebot, den (vermeintlich) schuldigen<br />

Benjamin seiner gerechten Strafe zu überlassen, aus. Juda bietet sich <strong>als</strong> Opfer<br />

an. Dam<strong>als</strong> hatte es ihnen nichts ausgemacht, dem Vater die furchtbare<br />

Nachricht vom zerrissenen Sohn Josef zu überbringen. Jetzt will Juda lieber<br />

lebenslänglich Sklave sein, <strong>als</strong> das Leid des zu Tode erschrockenen Vaters über<br />

den Verbleib des Jüngsten in Ägyptens Gewahrsam mitzuerleben.<br />

*<br />

Josef gibt sich seinen Brüdern zu erkennen<br />

Da konnte Josef nicht länger an sich halten und rief: Lasst mich mit den<br />

Männern allein. Und kein Fremder war Zeuge, <strong>als</strong> sich Josef seinen Brüdern zu<br />

55


erkennen gab. Laut weinte er, sodass es die Ägypter und das Haus des Pharao<br />

hörten, und sprach zu seinen Brüdern: Ich bin Josef, euer Bruder, den ihr nach<br />

Ägypten verkauft habt. Lebt mein Vater noch? Und seine Brüder konnten ihm<br />

nicht antworten, so erschraken sie vor seinem Angesicht.<br />

Er aber sprach zu seinen Brüdern: Nun bekümmert euch nicht mehr und denkt<br />

nicht, dass ich darum zürne, dass ihr mich hierher verkauft habt; denn um eures<br />

Lebens willen hat mich Gott vor euch hergesandt. Es sind noch viele<br />

Hungerjahre vor uns. Gott hat mich durch euch hierher geschickt, dass er euch<br />

übrig lasse auf Erden und euer Leben erhalte zu einer großen Errettung.<br />

Nun eilt und zieht hinauf zu meinem Vater und sagt ihm: Das lässt dir Josef,<br />

dein Sohn, sagen: Gott hat mich zum Herrn über ganz Ägypten gesetzt; komm<br />

herab zu mir, säume nicht!<br />

Du sollst im Lande Gosen wohnen und nahe bei mir sein, du und deine Kinder<br />

und deine Kindeskinder; komm mit allem, was du hast. Ich will dich dort<br />

versorgen. Und er fiel seinem Bruder Benjamin um den H<strong>als</strong> und küsste alle<br />

seine Brüder und weinte an ihrer Brust. Danach redeten seine Brüder mit ihm.<br />

Und <strong>als</strong> das Gerücht kam in des Pharao Haus, dass Josefs Brüder gekommen<br />

wären, gefiel es dem Pharao gut und allen seinen Großen.<br />

Und Josef gab ihnen Wagen nach dem Befehl des Pharao und Zehrung auf den<br />

Weg und gab ihnen allen, einem jeden ein Feierkleid, aber Benjamin gab er<br />

dreihundert Silberstücke und fünf Feierkleider. Und seinem Vater sandte er zehn<br />

Esel, mit dem Besten aus Ägypten beladen. Damit entließ er seine Brüder und<br />

sie zogen hin. Und er sprach zu ihnen: Zankt nicht auf dem Wege!<br />

1.Mose 45,1-24<br />

Jetzt war Josefs Strafaktion auch genug. Sie hatten ihr Lehrgeld bezahlt. Und<br />

Josef konnte seiner Liebe freien Bahn lassen. Da standen sie, die Brüder, “wie<br />

Klötze“ (Th. Mann). Josef musste erst mal den Schauder von ihnen nehmen.<br />

Was er für sich längst erkannt hatte, offenbarte er seinen Brüdern: Euern Neid,<br />

eure Wut auf mich Bevorzugten hat Gott genutzt: Um euer Leben zu retten, hat<br />

Gott mich vor euch her gesendet.- Großmütig entschuldet Josef die Brüder, er<br />

behaftet Gott, daß letztlich er diesen Deal eingefädelt habe. Und dann ist große<br />

Versöhnung und überirdische Freude. Väterchen soll nachgeholt werden. Zuletzt<br />

wird Josef wieder der Mahner: Haltet Frieden auf dem Weg.<br />

*<br />

Jakobs Reise nach Ägypten.<br />

So kehrten die Brüder heim zu ihrem Vater Jakob und verkündeten ihm: Josef<br />

lebt noch und ist Herr über ganz Ägyptenland! Aber sein Herz blieb kalt, er<br />

glaubte ihnen nicht.<br />

Da sagten sie ihm alle Worte Josefs, und <strong>als</strong> er die Wagen sah, die ihm Josef<br />

gesandt hatte, um ihn zu holen, wurde der Geist Jakobs lebendig. Und er sprach:<br />

Ich will hin zu Josef und ihn sehen, ehe ich sterbe.<br />

56


Und er brachte Opfer dar dem Gott seines Vaters Isaak. Da geschah ihm des<br />

Nachts eine Offenbarung: Ich bin Gott, der Gott deines Vaters; fürchte dich<br />

nicht, nach Ägypten hinabzuziehen; denn daselbst will ich dich zum großen<br />

Volk machen. Ich will mit dir hinab nach Ägypten ziehen und will dich auch<br />

wieder heraufführen, und Josef soll dir mit seinen Händen die Augen schließen.<br />

Da machte sich Jakob auf von Beerscheba mit allem Eigentum; und alle<br />

Seelen des Hauses Jakobs, die mit nach Ägypten kamen, waren<br />

sechsundsechzig..<br />

1.Mose 45,25-28; 46,1-4.26<br />

Die Nachricht, Josef sei am Leben, kann den versteinerten Jakob nicht<br />

gewinnen. Erst die Geschenke aus Ägypten erwecken die Lebensgeister<br />

wieder. Sie zeigten ihm: Die Zumutung, <strong>als</strong> alter Mensch das gesegnete Stück<br />

Erde zu verlassen, muss von Gott selbst gewollt sein. Die direkte<br />

Willenskundgabe von oben her war so verpflichtend, daß sich der alte Herr<br />

langsam zur Reise anschickte. Er will Josef sehen, wenn er gewiss sein darf,<br />

jedenfalls in Heimaterde begraben zu werden. Der tiefere Grund der Reise aber<br />

ist die Heilsgeschichte: An Jakob, Sohn von Isaak und Rebekka und Enkel von<br />

Abraham und Sara soll sich doch erfüllen, was „der Gott der Väter und Mütter“<br />

verheißen hat: Sie sollen zu einem großen Volk werden. Diese Großfamilie<br />

Jakobs mit Lea (und im Gedächtnis die verstorbene Rahel) bilden die Urzelle<br />

des Volkes Israel.<br />

Die Patriarchen sind mythische Wesen. Die Historie der Stammväter Abraham,<br />

Isaak und Jakob liegt im Dunkel der Geschichte. Die Glaubens –und<br />

Lebenserfahrungen von Jahrhunderten sind literarisch verdichtet in diesen<br />

idealen Gründerfiguren. Kern des Glaubens von Jakob und Josef ist: Gott geht<br />

mit ihnen, auch ins fremdgläubige Ägypten. Das ist der Anfang des Jesus-<br />

Vertrauens, dass Gott auch mit in den Tod geht. „Vater des Glaubens“ aber ist<br />

Abraham, der aus dem Nichts heraus- <strong>als</strong>o ohne Vorerfahrung mit Gott, diesem<br />

gehorchte und losging.<br />

*<br />

Jakob segnet seine Söhne<br />

Und Josef ließ seinen Wagen anspannen und zog seinem Vater entgegen. Und<br />

<strong>als</strong> er ihn sah, weinte er lange an seinem H<strong>als</strong>e. Da sprach Jakob zu Josef: Ich<br />

will nun gerne sterben. Ich habe dein Angesicht gesehen.<br />

Josef ging zu Pharao und sagte ihm an: Mein Vater und meine Brüder, ihr<br />

Kleinvieh und Großvieh und alles, was sie haben, sind gekommen aus dem<br />

Lande Kanaan. Der Pharao sprach zu Josef: Es ist dein Vater und es sind deine<br />

Brüder, die zu dir gekommen sind. Das Land Ägypten steht dir offen, lass sie<br />

am besten Ort des Landes wohnen, lass sie im Lande Gosen wohnen, und wenn<br />

du weißt, dass Leute unter ihnen sind, die tüchtig sind, so setze sie über mein<br />

Vieh.<br />

57


Josef brachte auch seinen Vater Jakob hin vor den Pharao. Der Pharao aber<br />

fragte Jakob: Wie alt bist du? Jakob sprach zum Pharao: Die Zeit meiner<br />

Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre; wenig und böse ist die Zeit meines<br />

Lebens und reicht nicht heran an die Zeit meiner Väter in ihrer Wanderschaft.<br />

Und Jakob segnete den Pharao und ging hinaus von ihm.<br />

Josef ließ seinen Vater und seine Brüder in Ägyptenland wohnen und gab ihnen<br />

Besitz am besten Ort des Landes, im Lande Ramses, wie der Pharao geboten<br />

hatte. Und er versorgte seinen Vater und seine Brüder und das ganze Haus<br />

seines Vaters mit Brot, einen jeden nach der Zahl seiner Kinder. Und sie<br />

wuchsen und mehrten sich sehr. Und Jakob lebte noch siebzehn Jahre in<br />

Ägyptenland, sodass sein ganzes Alter wurde hundertundsiebenundvierzig<br />

Jahre.<br />

Und Josef brachte seine in Ägypten geborenen Kinder zu ihrem Großvater. Und<br />

Jakob segnete Ephraim und Manasse. Und er segnete Josef und sprach: Der<br />

Gott, vor dem meine Väter Abraham und Isaak gelebt haben, der Gott, der mein<br />

Hirte gewesen ist mein Leben lang bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöst<br />

hat von allem Übel, segne dich und die Knaben. Siehe, ich sterbe; aber Gott<br />

wird mit euch sein und wird euch zurückbringen in das Land eurer Väter. Und<br />

Jakob segnete auch all seine anderen Söhne mit einem besonderen Segen und<br />

verkündigte ihnen ihre Zukunft.<br />

1.Mose 46,28-30; 47,1-49,28<br />

Majestätisch fast schreitet Jakob beim Pharao ein. Der mag mehr Macht haben,<br />

aber Jakob verfügt über eine hellsichtige Gottesbeziehung. Der Viehbesitzer<br />

segnet ungebeten den, der sich <strong>als</strong> Gottkönig weiss. Dieser aber scheint über<br />

eine abgeklärte Größe zu verfügen- er lässt sich den Segen des ihm fremden<br />

Gottes geschehen.<br />

Als es zum Sterben ging, segnete Jakob Söhne und Enkel. Sicher blieb der<br />

weibliche Teil der Familie auch nicht ungesegnet. Jakob verbürgt sich für die<br />

große Zukunft der zwölf Stämme Israels. Er bezeugt mit seiner Erfahrung Gott<br />

<strong>als</strong> Hirten, <strong>als</strong> Engel, <strong>als</strong> Erlöser. Das hohe Alter gilt <strong>als</strong> Qualitätssiegel eines<br />

gottgemäßen Lebens.<br />

*<br />

Jakobs und Josefs Tod<br />

Als Jakob starb und zu seinen Vätern und Müttern versammelt wurde, da<br />

bestattete man ihn mit großem Geleit im Grab der Vorfahren, der Höhle<br />

Machpela, östlich von Mamre im Lande Kanaan. Als sie ihn nun begraben<br />

hatten, zog Josef mit seinen Brüdern wieder nach Ägypten.<br />

Die Brüder Josefs aber fürchteten, jetzt könne Josef zur Vergeltung schreiten.<br />

Darum sagten sie ihm, es sei des Vaters letzter Wunsch gewesen, dass er<br />

Vergebung walten lasse. Sie baten ihn: Vergib doch deinen Brüdern die<br />

58


Missetat, dass wir so übel an dir getan haben. Und Josef weinte, <strong>als</strong> sie solches<br />

zu ihm sagten.<br />

Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes Statt?<br />

Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen,<br />

um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes<br />

Volk.<br />

Und Josef sprach zu seinen Brüdern: Bald werde ich sterben; aber Gott wird sich<br />

euer annehmen. Und er wird euch aus diesem Lande führen in das Land, das er<br />

Abraham, Isaak und Jakob zu geben geschworen hat. Und Josef starb,<br />

hundertundzehn Jahre alt.<br />

1.Mose 50<br />

„Zu den Vätern (und Müttern) versammelt werden“ ist frühes Zeugnis für eine<br />

Jenseitserwartung, wie auch immer. Jedenfalls hatten die Gottgläubigen schon<br />

früh eine Hoffnung, die über das Familiengrab hinausreicht; auch wenn es ihnen<br />

wichtig war, in jener Höhle Makpela begraben zu werden. Die hatte Abraham<br />

<strong>als</strong> einzigen Grundbesitz im künftigen Gelobten Land erworben- ein Grab <strong>als</strong><br />

Pfand für ein großes Reich.<br />

Josef vergibt den Brüdern endgültig. Festgehalten bleibt, dass Schuld benannt<br />

werden muss und sie sich nicht einfach auflöst. Und Versöhnung will gelebt<br />

werden. Dazu leitet Josef sich und die Brüder an durch Verweis auf Gott. Der<br />

lässt mittels des Bösen Gutes werden. Was nicht heißt: Der Zweck heiligt die<br />

Mittel. Höchstens heiligt Gott das Mittel, den Verkauf in die Fremde, zum edlen<br />

Zweck der Bewahrung vor Hunger. Wir würden uns an Gottes Statt stellen,<br />

wenn wir Böses säen zum Zwecke einer Ernte des Guten. Dafür sind wir zu<br />

klein, und haben zu wenig Überblick.<br />

Josef stirbt schon in weniger hohem Alter <strong>als</strong> Jakob und die davor. Damit deuten<br />

die theologischen Schreiber dieses Buches an, daß sie die goldene Zeit der<br />

Gottesvertrautheit der Patriarchen zu Ende gehen sehen.<br />

2.Buch Mose<br />

* *<br />

Israels Bedrückung in Ägypten und Auszug<br />

Josef und seine Brüder waren schon lange gestorben.- Die Nachkommen Jakobs<br />

zeugten Kinder und mehrten sich und wurden überaus stark, sodass von ihnen<br />

das Land voll wurde. Da kam ein neuer König auf in Ägypten, der wusste nichts<br />

von Josef und sprach zu seinem Volk: Siehe, das Volk Israel ist mehr und<br />

stärker <strong>als</strong> wir. Wir müssen sie kurzhalten, dass sie nicht noch mehr werden.<br />

Denn wenn ein Krieg ausbräche, könnten sie sich zu unsern Feinden schlagen<br />

und gegen uns kämpfen. Und man bedrückte sie mit Zwangsarbeit. Sie bauten<br />

59


dem Pharao die Städte Pitom und Ramses.<br />

2.Mose 1<br />

Wie im Zeitraffer werden Jahrhunderte der Volkwerdung Israels in Ägypten<br />

gerafft in wenige Zeilen: Ein neuer König, ein neuer Pharao weiß nichts von<br />

Josef. Schnell vergilben Verdienste. Vergünstigungen hängen an Personen:<br />

Wechseln die Herrschaften, wechseln auch die Bevorzugungen.<br />

Auch die Eingewanderten der nächsten Generationen sind anders dran: Sie<br />

müssen sich in der Gegenwart ihre Stellung neu erkämpfen. Die Kinder Israels<br />

bleiben in Ägypten Fremde, sie machen wegen ihres vielen Nachwuchses den<br />

behäbigen Eingesessenen Angst. Man zwingt sie zu niedriger Arbeit, dann zum<br />

Frondienst an den Pyramiden.<br />

Auch das zweite Buch Mose ist hochwichtig. Das erste Buch Mose (Genesis-<br />

Werdung) legt den Grundstein unseres Denkens: Der Mensch von Gott<br />

geschaffen und zum Mitgestalten berufen.- Das zweite Buch Mose (Exodus-<br />

Auszug) zeigt die Richtung: Wir, Israel und damit die Menschheit ist mit Gott<br />

auf dem Weg aus der Gefangenschaft, aus der Sklaverei von Sünde und Tod und<br />

Vergeblichkeit hin ins „Gelobte Land“.<br />

Entdeckt wird für die Menschheit, daß wir nicht zum Zeitvertreib hier sind,<br />

sondern schwanger gehen mit Leid und Segen; unsere Seelen sind ausgespannt<br />

auf Fülle. Ausdehnung des Glücks ist der Sinn der Schöpfung, Bau von<br />

Gerechtigkeit der Weg. Der Auszug aus der Gefangenschaft in die Freiheit der<br />

Kinder Gottes ist ein Projekt jeder Generation und jedes Einzelnen. Wir sind zu<br />

einem Lebensgefühl erhoben, das aus der Idylle in das Drama gerufen ist und<br />

aus der Behaglichkeit in das Gestalten von Freiheit. Die politische und<br />

persönliche Freiheit leuchtet <strong>als</strong> großer Wurf Gottes an die Menschen auf. Es<br />

wird denkbar, daß wir nicht <strong>als</strong> Biomasse, nicht <strong>als</strong> gesichtslose Verbrauchende<br />

gedacht sind, sondern Gedankenfreiheit, Schönheit und Liebe leben dürfen.-<br />

Denn kein anderer ist Gott, <strong>als</strong> der, der aus der Knechtschaft herausführt. Immer<br />

noch. Der Auszug Israels ist Modellfall für die Menschheit. Die ist unterwegs<br />

mit dem vorausgehenden Gott. Mit ihm Schritt zu halten ist immer neuer<br />

Auftrag.<br />

Liebevoll erzählt Israel fünf bis acht Jahrhunderte nach dem dunklen Aufbruch<br />

ihrer Pilgerväter und -mütter die Rettung aus Ägypten. Wie bedrohlich auch die<br />

jeweilige Gegenwart scheint, sie ist ein Stück Weg, den Gott mitgeht.<br />

*<br />

Moses wunderbare Errettung<br />

Und der König von Ägypten befahl den hebräischen Hebammen- eine hieß<br />

Schifra, die andere Pua: Wenn ihr den hebräischen Frauen helft und bei der<br />

Geburt seht, dass es ein Sohn ist, so tötet ihn; ist’s aber eine Tochter, so lasst sie<br />

leben.<br />

60


Ein Mann vom Hause Levi aber nahm ein Mädchen aus dem Hause Levi zur<br />

Frau. Und sie ward schwanger und gebar einen Sohn. Und sie verbarg ihn drei<br />

Monate. Als sie ihn aber nicht länger verbergen konnte, machte sie ein Kästchen<br />

von Rohr und verklebte es mit Erdharz und Pech und legte das Kind hinein und<br />

setzte das Kästchen in das Schilf am Ufer des Nils, wo die Tochter des Pharaos<br />

zu baden pflegte. Und seine Schwester hielt Wache, um zu erfahren, wie es<br />

weitergehe.<br />

Und die Tochter des Pharao stieg hinab und wollte baden, und ihre Freundinnen<br />

gingen am Ufer auf und ab. Und sie sahen das Kästlein im Schilf und holten es.<br />

Als sie es öffneten, sahen sie das Kind- es weinte. Da jammerte es sie und sie<br />

sprach: Es ist eins von den hebräischen Kindlein. Und doch soll es leben.<br />

Da trat die Schwester aus dem Schilf zu der Tochter des Pharao und sprach:<br />

Soll ich eine hebräische Frau rufen, die gerade stillt, dass sie dir das Kindlein<br />

versorge?<br />

Die Tochter des Pharao sprach zu ihr: Tu das. Das Mädchen ging hin und rief<br />

die Mutter des Kindes. Da sprach die Tochter des Pharao zu ihr: Nimm das<br />

Kindlein mit und stille es mir und zieh es groß; ich will es dir lohnen. Die Frau<br />

zog das Kind groß. Und <strong>als</strong> das Kind groß war, brachte sie es der Tochter des<br />

Pharao, und es ward ihr Sohn und sie nannte ihn Mose; was heißt: „aus dem<br />

Wasser gezogen“.<br />

2.Mose 1,15; 2, 1-10<br />

Dem großen Mose gebührt eine wunderbare Geburt. Die Rettung im Schilfkorb<br />

ist starkes Zeichen der Bewahrung und der Erwählung. Und ist auch ein<br />

Lobgesang auf die Mütter dieser Erde, die oft genug ihre Kinder unter<br />

widrigsten Umständen gebären und durchbringen. Mose ist natürlich von<br />

Herkunft aus jüdischer Familie. Gleichzeitig ist er am ägyptischen Hof erzogen.<br />

Die Findelkindgeschichte flicht beide Wahrheiten zusammen.<br />

*<br />

Moses Flucht nach Midian<br />

Als Mose herangewachsen war, ging er öfter hinaus zu seinen hebräischen<br />

Brüdern und litt mit an ihrem Frondienst. Einmal schlug ein ägyptischer<br />

Aufseher einen Hebräer. Das brachte Mose so auf, daß er- kurz nach allen Seiten<br />

prüfend, ob es Zeugen gäbe- den Ägypter erschlug. Er verscharrte ihn im Sande<br />

und ging davon. Am nächsten Tag ging er wieder hin und sah zwei hebräische<br />

Männer miteinander streiten und sprach zu dem, der im Unrecht war: Warum<br />

schlägst du deinen Nächsten?<br />

Er aber sprach: Wer hat dich zum Aufseher oder Richter über uns gesetzt?<br />

Willst du mich auch umbringen, wie du den Ägypter umgebracht hast? Da<br />

fürchtete sich Mose und floh ins Land Midian. Dort setzte er sich nieder bei<br />

einem Brunnen.<br />

61


*<br />

2. Mose 2, 11-15<br />

Dass dieser einzigartige Religionsheld so unbeherrscht war und dies auch noch<br />

spätere Generationen nicht schönten, spricht für die große Menschlichkeit der<br />

Bibel und ihres Glaubens. Wieder macht Gott eben keinen Heiligen zu seinem<br />

großen Sprecher, sondern ruft einen mit dunkler Herkunft: ungeduldig,<br />

jähzornig, zerrissen in sich selbst- <strong>als</strong> Hebräer auf Seiten der Geschundenen, <strong>als</strong><br />

Adoptivenkel des Pharaos gewöhnt, kurzen Prozess zu machen. Mose hatte<br />

gemeint, der Sympathien der Hebräer sicher sein zu können. Aber Mordblut an<br />

den Händen ist nicht abzuwaschen; man geht auf Distanz zu dem, der zurecht<br />

bringen will mittels Unrecht. Der Zweck heiligt die Mittel nicht.<br />

Kain wird der große Städtebauer; Mose ist das Modell für Ausbruch aus<br />

Knechtschaft; Gott reduziert Menschen nicht auf ihre böse Tat. Er schafft<br />

Vergebung und neuen Anfang.<br />

*<br />

Fremdling sein steht am Anfang<br />

Ein Priester namens Reguel in Midian hatte sieben Töchter; die kamen, Wasser<br />

zu schöpfen, und füllten die Rinnen, um die Schafe ihres Vaters zu tränken. Da<br />

kamen Hirten und stießen sie weg. Mose aber stand auf und half ihnen und<br />

tränkte ihre Schafe. Und <strong>als</strong> sie zu ihrem Vater kamen, sprach er: Warum seid<br />

ihr heute so bald gekommen? Sie sprachen: Ein ägyptischer Mann stand uns bei<br />

gegen die Hirten und schöpfte für uns und tränkte die Schafe.<br />

Er sprach zu seinen Töchtern: Wo ist er? Warum habt ihr den Mann nicht<br />

eingeladen? Lauft, bittet ihn zu uns. Und Mose willigte ein, im Haus des<br />

Priesters von Midian zu bleiben. Und er gab Mose seine Tochter Zippora zur<br />

Frau. Die gebar einen Sohn und er nannte ihn Gerschom; was soviel heißt wie:<br />

„ich bin ein Fremdling geworden im fremden Land“.<br />

2. Mose 2,16-22<br />

Der große Mose muß wie Jakob und Josef erst in die Fremde, muß dort seine<br />

Frau finden und um sie dienen. Zweierlei ist prägend: Mose drängt auf<br />

Gerechtigkeit, er hilft den Frauen; und seine Frömmigkeit gedeiht in der<br />

Fremde, er hat keine Berührungsangst vor der Interpretation des Göttlichen in<br />

ägyptischer und midianitischer Vielfalt. Das Fremdlingsein ist mühsame aber<br />

kostbare Chance, das Eigene zu finden.<br />

*<br />

Moses Berufung<br />

Mose hütete die Schafe seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian. Einmal<br />

trieb er die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Gottesberg Horeb.<br />

62


Da erschien ihm der Engel Gottes in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch.<br />

Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. Da<br />

sprach er bei sich: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung ansehen;<br />

ich will wissen, warum der Busch nicht verbrennt. Als aber Gott sah, dass er<br />

hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch an und sprach: Mose, Mose!<br />

Er antwortete: Hier bin ich.<br />

2. Mose 3,1-4<br />

Eine der tiefgründigsten Gotteserscheinungen bahnt sich an. In der Wüste Sinai<br />

an einem „Unort“, weglos, wasserlos- nur Felsen und bizarre Luftspiegelungen-<br />

sieht Mose eine Glut, die sprüht und leuchtet- aus der Ferne vielleicht ein<br />

Dornbusch in Blütenpracht. Mose will wissen, was mit dem wunderlichen Busch<br />

los ist. Da geht ihn eine Stimme an, ein Ruf stülpt sich über ihn, er hört sich bei<br />

seinem Namen gerufen. Er weiß sich aufgerufen, er ist gemeint, ist erkannt. Er<br />

sieht sich gestellt vom Geheimnis der Welt.<br />

Wenn einem was die Schuhe auszieht<br />

Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der<br />

Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! Und er sprach weiter: Ich bin der Gott<br />

deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und<br />

Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott zu schauen.<br />

2.Mose 3,5.6<br />

Nicht, dass Moses den Herrn gesehen hätte. Der brennende, sich nicht<br />

verzehrende Dornbusch ist ein Bild für die Anwesenheit Gottes. Doch Er ist<br />

nicht besehbar, wohl aber ist seine Aura, seine Energie, sein Indienstnehmen<br />

erfahrbar. Es mag in etwa so sein, wie mit der Sonne: wir können nicht in die<br />

Sonne sehen, können nur ihre Wirkung spüren; ja, wir leben mittels ihrer.<br />

Orte der Gottesbegegnung sind energetisch aufgeladen, sind heilige Bezirke-<br />

Das Ausziehen der Schuhe ist ein Zeichen von Demut, von Entwaffnung und<br />

Verehrung.<br />

Verheißung eines Landes voll Milch und Honig<br />

Und Gott sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr<br />

Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Ich will sie<br />

erretten aus der Hand der Ägypter und sie herausführen aus diesem Lande in ein<br />

gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt. Dich aber will<br />

ich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.<br />

2. Mose 3, 7-10<br />

Hier legt Gott dem Mose seinen Rettungsplan dar und spannt ihn ein. Es sieht<br />

aus, <strong>als</strong> nähme sich Gott Zeit, um die Tiefe der Leiden gewahr zu werden. Als<br />

63


müsse das Gewissen der Welt erst mühsam sich ein Bild machen! Wir sollten<br />

immer wissen, daß unser Meinen über Gott nur ein Ahnen ist auf den Schultern<br />

derer, die vor uns Erfahrung mit ihm machten. Die uns den Bericht vom Auszug<br />

Israels geben, sind ja die Anfänger unseres Glaubens. Und wir, die wir so viel<br />

Rückblick auf passierte, gedeutete Geschichte haben, tasten auch noch, wie denn<br />

das Geleit Gottes uns geschieht.<br />

Von der Wüste aus gesehen ist das fruchtbare Land das Paradies auf Erden, das<br />

Land, wo Milch und Honig fließt. Aber jedes irdische Ziel, wenn es erst mal<br />

mühsam erreicht ist, stellt sich heraus <strong>als</strong> Vorhof, <strong>als</strong> Skizze für das „Gelobte<br />

Land, „da Fried und Freude lacht“. Wir sind hier Gäste, bleiben auf dem Weg<br />

voll Heimweh; „Wir haben hier keine bleibende Stadt sondern die zukünftige<br />

suchen wir“ (Hebräer 13,14).<br />

Das erste Zeichen<br />

Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die<br />

Israeliten aus Ägypten? Gott sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir<br />

Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten<br />

geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge.<br />

2.Mose 3,11.12<br />

Das blieb über die Jahrhunderte der nur mündlichen Weitergabe deutlich: Moses<br />

drängte sich nicht, Gottes Vormann zu werden. Er scheute sich, hielt sich für<br />

unfähig, sicher auch für unwürdig. Aber Gott übergeht dessen Einspruch und<br />

sagt ihm zu: „Mit mir kannst du alles, bist du alles.“ Gott malt ihm den Erfolg<br />

glühend vor Augen: Du wirst nach gelungener Mission hier opfern. So bürgt die<br />

Zukunft für die Gegenwart. Weil jetzt die erste Stufe Richtung Heile Welt ist,<br />

ist das Jetzt die Ouvertüre des Heilwerdenden. Uns ist aufgegeben, im<br />

Gegenwärtigen Heilendes anzubahnen. Sind wir damit voll beschäftigt, fallen<br />

viele Sorgen hinter uns zurück.<br />

Moses drängt auf den Namen<br />

Doch, spricht Moses weiter zum Herrn, wenn ich zu den Israeliten komme und<br />

sage zu ihnen: Der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der<br />

Gott Jakobs hat mich zu euch gesandt!, dann werden sie mir sagen: Wie ist sein<br />

Name? Und was soll ich ihnen dann sagen?<br />

2. Mose 3,13<br />

Mose gibt sich nicht zufrieden mit dem Erinnerungsgott, dem Gott der<br />

Vorfahren. Heute soll er sich erweisen, <strong>als</strong> eben ihr Gott und nicht sich zitieren<br />

<strong>als</strong> „Der von Dam<strong>als</strong>“. Es rettet uns auch nicht, Gott <strong>als</strong> Starter am Anfang der<br />

Welt zu wissen. Sein Schaffen heute muss uns leuchten. Und unser Mittun jetzt<br />

64


aucht einen Namen, der jetzt Energie ausstrahlt. Darum Dank an Moses, dass<br />

er drängt auf Gottes persönliches Sichbekanntmachen.<br />

Der „Gott bei uns“<br />

Gott sprach zu Mose: „Ich werde für euch da sein, <strong>als</strong> der ich für euch da sein<br />

werde“ so ist mein Name. Sag den Israeliten: Der »Ich werde für euch da sein«<br />

hat mich zu euch gesandt.<br />

2.Mose 3,14<br />

Gottes Selbstoffenbarung ergeht in der Sprache Israels und heißt: „Jahve“. Das<br />

übersetzt die griechische (alttestamentliche) Septuaginta (etwa um 300 v. Chr):<br />

„Ego eimi ho Oon“- „Ich bin der Seiende.“ Dynamischer und liebevoller aber<br />

ist die Übersetzung „Ich bin für euch da“. – „Ich bin der für euch Existierende,<br />

wie auch immer ich mich euch zeigen werde, wie immer ich euch auch<br />

geschehe“.<br />

Sicher ist Gott auch Der, Die, Das Seiende, aber vor allem ist er Liebe. Er ist für<br />

uns da. Wie verschlungen unsere Wege auch sind, er geht sie mit. Zuneigung ist<br />

sein Wesen. Schade, daß sich <strong>als</strong> Eigenname bei uns das „Jahve“- (in f<strong>als</strong>cher<br />

Vokalisierung:“Jehova“)- „Der Gott mit uns“ nicht durchgesetzt hat. Aber<br />

“Vaterunser“ meint dasselbe.<br />

Zweifel bleiben<br />

Und Gott sprach zu Mose: Geh mit den Ältesten Israels hin zum König von<br />

Ägypten und fordere die Freigabe der Kinder Israels. Und Moses sagte: ´Die<br />

Kinder Israels werden nicht auf mich hören, sie werden sagen: Gott ist dir nicht<br />

erschienen.<br />

2.Mose 3,18; 4,1<br />

Moses erweist sich <strong>als</strong> ebenbürtiger Gesprächspartner Gottes. Der legt sich<br />

mächtig ins Zeug, um Moses zu begeistern: Er soll Botschafter dessen werden,<br />

der den Geknechteten eigenes Land verheißt. Gott weiht seinen Helden in die<br />

künftigen Mühen ein, und Moses den Herrn auch.<br />

Wird Moses ein Spiegelbild Gottes- vor Jesus schon eine Art Abbild? Was<br />

muss sich Gott mühen, Israel frei zu bekommen; was muss sich Mose mühen,<br />

das störrische Israel auf dem Weg zu halten. Man wird den Eindruck nicht los,<br />

daß die beiden sich nicht um ihren Job reißen- Gott stöhnt oft bei Moses und<br />

Moses beim Herrn- Es wird spannend, zu sehen, wie sie sich gegenseitig<br />

aufrecht halten.<br />

65


Berufene drängeln sich nicht<br />

Erst mal widersteht Moses noch: Ach, mein Herr, ich bin von jeher nicht beredt<br />

gewesen, auch jetzt nicht, seit du mit deinem Knecht redest; ich hab eine grobe<br />

Sprache und eine schwere Zunge.<br />

Gott sprach zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund geschaffen, wenn nicht<br />

ich? So geh jetzt: Ich will mit deinem Munde sein und dich lehren, was du sagen<br />

sollst. Mose aber sprach: Sende, wen du senden willst, aber nicht mich. Da<br />

wurde der Herr zornig.<br />

2.Mose 3,10 –14<br />

Das Widerständige des Moses ist eine Kraftquelle. Wir dürfen mit Gott streiten,<br />

unsere Bedenken haben vor ihm Platz. Wenn uns aber Gott in die Pflicht nimmt,<br />

dann sind nicht unsere Begabungen der Grund sondern Gottes Wille. Weil Gott<br />

den Moses will, taugt der für sein Amt. Das aber kann Moses nicht begreifen,<br />

der sich noch sieht unter den abschätzigen Blicken der Andern. Und wird<br />

h<strong>als</strong>starrig.<br />

Fürsprecher einander<br />

Gott sprach: Dein beredter Bruder Aaron wird mitgehen. Du sollst zu ihm reden<br />

und die Worte in seinen Mund legen. Und ich will mit deinem und seinem<br />

Munde sein und euch lehren, was ihr tun sollt. Und er soll für dich zum Volk<br />

reden; er soll dein Mund sein und du sollst für ihn „Gott“ sein. Und diesen Stab<br />

nimm in deine Hand, mit dem du die Zeichen tun sollst.<br />

2.Mose 3,15-17<br />

Zürnt Gott? Es schmerzt ihn unsere geistlose Schwerfälligkeit. Er weiß doch,<br />

dass wir „Staub„ sind, nur durch seinen Willen eine Handbreit über dem Chaos<br />

gehalten. So stellt Gott dem zaudernden Mose dessen Bruder zur Seite; eine<br />

berühmte Partnerschaft wird begründet: Mose ist Gottes Knecht; Aaron sein<br />

Gehilfe. Das Gefälle zwischen Menschen kommt auch daher, daß Menschen<br />

mehr oder weniger Nähe zu Gott haben. Wir sollen mit unsern verschiedenen<br />

Gaben gemeinsame Sache machen. Spannungen sind programmiert. Aber kein<br />

von Gott Beauftragter geht ungerüstet. Moses erhält einen Stab; ob Hirtenstab,<br />

Marschallstab, Hoheitszeichen- wunderträchtig, machtvoll; er geht nicht mit<br />

leeren Händen.<br />

*<br />

Moses Rückkehr nach Ägypten<br />

Und Gott sprach zu Mose: Zieh wieder nach Ägypten, tritt vor Pharao und<br />

sprich zu ihm: So spricht der Herr: Israel ist mein erstgeborener Sohn; ich<br />

gebiete dir: Lass du meinen Sohn ziehen, dass er mir diene. Wirst du dich<br />

weigern, so will ich deinen erstgeborenen Sohn töten.<br />

66


Mose aber hörte Gott auch sagen: Ich will des Pharaos Herz verstocken, dass er<br />

das Volk nicht ziehen lassen wird.<br />

Aus 2.Mose 4<br />

Hochdramatisch ist Moses Auftrag: Er weiß, daß der Pharao Israel nicht ziehen<br />

lassen will. Und wird es dann doch tun müssen. Zunächst „verstockt“ ihn Gott.<br />

Kann das angehen, daß Gott Menschenherzen versteint? Ja- müssen wir nicht<br />

hoffen, daß letztlich auch die Mörder nicht freien Willens ihre Untaten tun,<br />

sondern auch Hitler „nur“ verstockt war, nur Gottes „Geschirr“ war? Die<br />

Menschheit hat immer gewusst, dass die Leiden der Zeit „verhängt“ sind. Nicht<br />

nur die Schuld Einzelner bildet das Gewicht der Welt sondern wir häufen und<br />

tragen alle am überpersönlichen Schuldberg mit; wenn einer auch unschuldig<br />

sein sollte, schuldlos ist er nicht. Das kommt „ans Licht der Sonnen“ im<br />

größenwahnsinnigen Nation<strong>als</strong>tolz (1.und 2. Weltkrieg), jetzt in<br />

Klimakatastrophe und Hungerelend.<br />

Wir sind Verstockte, das merken wir an unserm „Weiter so“, obwohl wir es<br />

bejammern. So hinfällig wir auch sind, Gott würdigt, schuldig werden zu<br />

können. Doch im allertiefsten Grund sind wir nicht die Verursacher sondern die,<br />

„die nicht wissen , was sie tun“, wie rotzige, imponiersüchtige Jugendliche.<br />

Letztlich haftet Gott- das will wohl die Idee von der Verstocktheit sagen. Und<br />

unsere Schlechtigkeiten haben nicht das letzte Wort – letztlich kommt Rettung,<br />

wenn auch über Tod und Ruinen hin.<br />

Noch härtere Bedrückung Israels<br />

Dann gingen Mose und Aaron hin und sprachen zum Pharao: So spricht der<br />

Herr, der Gott Israels: Lass mein Volk ziehen, dass es mich feiere in der Wüste.<br />

Der Pharao antwortete: Wer ist der Herr, dass ich ihm gehorchen müsse und<br />

Israel ziehen lasse? Ich weiß nichts von deinem Herrn, will auch Israel nicht<br />

ziehen lassen. Geht hin an eure Pflichten!<br />

Und der Pharao befahl am selben Tage den Aufsehern: Ihr sollt dem Volk nicht-<br />

mehr Häcksel geben, dass sie Ziegel machen, wie bisher; lasst sie selbst das<br />

Stroh dafür zusammensuchen. Man drücke die Leute mit Arbeit, dass sie zu<br />

schaffen haben und sich nicht um f<strong>als</strong>che Reden kümmern.<br />

Mose aber kam wieder zu Gott und sprach: Herr, warum tust du so übel an<br />

diesem Volk? Denn seitdem ich hingegangen bin zum Pharao, um mit ihm zu<br />

reden in deinem Namen, hat er das Volk noch härter geplagt, und du hast dein<br />

Volk nicht errettet.<br />

2.Mose 5<br />

Mit großem Mut ausgerüstet, geht Moses zum Pharao und sagt ihm an: „Lass<br />

mein Volk ziehen“. Es ist wohl der stärkste Rettungssruf der Menschheit: „Let<br />

my people go!“ Viele Befreiungsbewegungen berufen sich auf diese Szene des<br />

Mose vor Pharao. Noch meint der ahnungslose Herrscher, den Ruf nach Freiheit<br />

67


wegwischen zu können. Pharao ist Modell für die Taubheit der Mächtigen: Wie<br />

einst Lenin schnippisch fragte: “Wieviel Divisionen hat der Papst?“- so hielt<br />

Pharao das Freiheitsbegehren nur für Einflüsterung, für „f<strong>als</strong>ches Reden“. Und<br />

das Rezept der Tyrannen heißt: Satteln wir Bedrückung drauf, das wird die<br />

Murrenden zur Vernunft bringen.<br />

Aber Pharao wird den Herrn Israels kennenlernen. Das muss auch Moses<br />

glauben- er muss in das zukünftige Wirken Gottes sich hineinhoffen.<br />

Erst mal beschwert er sich, er will die Rettung sofort.<br />

Schlangen <strong>als</strong> Zeugen<br />

Da sprach Gott zu Mose und Aaron: Die Ägypter sollen innewerden, dass ich<br />

der Herr bin- ich werde meine Hand über Ägypten ausstrecken und die Israeliten<br />

aus ihrer Mitte wegführen. Geht hin, mit dem Pharao zu reden. Der Pharao wird<br />

dann verlangen: Weist euch aus durch ein Wunder! Dann sag zu Aaron: Nimm<br />

deinen Stab und wirf ihn hin vor dem Pharao, dass er zur Schlange werde!<br />

Da gingen Mose und Aaron hinein zum Pharao und sie taten, wie ihnen Gott<br />

geboten hatte. Und Aaron warf seinen Stab hin vor dem Pharao und vor seinen<br />

Großen und der wurde zu einer Schlange. Da ließ der Pharao die Weisen und<br />

Zauberer rufen und die ägyptischen warfen auch jeder seinen Stab hin, da<br />

wurden Schlangen daraus; aber Aarons Stab verschlang ihre Stäbe. Doch das<br />

Herz des Pharao blieb verstockt.<br />

2.Mose 7,5- 13<br />

Es blieb im Gemeinschafts- Gedächtnis Israels haften, dass der Pharao nur mit<br />

enormem Kraftaufwand zu überwinden war. Gott musste sich mit aller Macht<br />

ins Zeug legen, um sein Israel in die Freiheit zu führen. Und weil er solche<br />

Mühe mit Pharao hatte, ist die Rettung dann ja auch eine Zweite Schöpfung:<br />

Gott erschafft Israels durch Erhebung aus dem Sklavenstand hinauf zur<br />

Gotteskindschaft. Darum ist auch im Nachhinein die Mühe um die Rettung so<br />

detailliert erzählt; erst ziehen die ägyptischen Zauberer mit Aarons Stabwunder<br />

gleich- dann siegt Gottes Bote doch noch durch eine gesteigerte<br />

Machtdemonstration. Ausgesuchte Qualen mussten auf Pharao gehäuft werden,<br />

ja Gott musste alle Fiesheit aufbieten, um letztlich zu triumphieren.<br />

Erst Jesus Christus hat uns Gott nahegebracht- anders gesagt: er hat uns<br />

offenbart, daß der Zweck die Mittel nicht heiligt, Gott nicht durch Strafen<br />

bekehrt. Andrerseits ist Verstocktheit oft nicht durch Zureden sondern nur durch<br />

Gewalt zu brechen- wie etwa Deutschlands Besessenheit von Hitler nur<br />

ausgetrieben werden konnte durch völlige Entmachtung. Auch Gott hatte hier<br />

kein anderes Mittel parat, <strong>als</strong> mit Gewalt zuzuschlagen.<br />

*<br />

68


Die ägyptischen Plagen<br />

Um die Verstockung zu brechen, kamen große Plagen.<br />

Mose schlug mit seinem Gottesstab aufs Wasser, da verwandelte der Nil sich in<br />

stinkendes Blut, sieben Tage lang. Dann wimmelte der Nil von Fröschen, die bis<br />

in die Backtröge und die Betten krochen. Dann kamen Mücken, setzten sich an<br />

die Menschen und an das Vieh; aller Staub der Erde wurde zu Mücken in ganz<br />

Ägyptenland. Als vierte Plage kamen die Stechfliegen, dann die Viehpest. Dann<br />

kamen die Blattern, dann Hagel, dann führte der Ostwind die Heuschrecken<br />

herbei. Sie fraßen alles, was im Lande wuchs und ließen nichts Grünes übrig an<br />

den Bäumen und auf dem Felde in ganz Ägyptenland. Dann fiel eine so dicke<br />

Finsternis auf das ganze Land drei Tage lang, dass niemand den andern sah<br />

noch weggehen konnte von dem Ort, wo er gerade war. Aber bei allen Israeliten<br />

war es licht in ihren Wohnungen. Da rief der Pharao nach Mose und sprach:<br />

Zieht hin und dient dem Herrn.<br />

Und noch mal mehr verstockte der Herr das Herz des Pharao, dass er sie doch<br />

nicht ziehen lassen wollte. Und Gott sprach zu Mose: Eine zehnte Plage will<br />

ich noch über den Pharao und Ägypten kommen lassen. Dann wird er euch<br />

ziehen lassen, und nicht nur das, sondern er wird euch von hier sogar vertreiben.<br />

Und Mose sagte Pharao an: Um Mitternacht will Gott durch Ägyptenland gehen,<br />

und alle Erstgeburt in Ägyptenland soll sterben, vom ersten Sohn des Pharao an,<br />

der auf seinem Thron sitzt, bis zum ersten Sohn der Magd, die hinter ihrer<br />

Mühle hockt, und alle Erstgeburt unter dem Vieh. Und es wird ein großes<br />

Geschrei sein in ganz Ägyptenland, wie es nie zuvor gewesen ist noch werden<br />

wird; aber gegen ganz Israel soll nicht ein Hund mucken, auf dass ihr erkennt,<br />

dass Gott einen Unterschied macht zwischen Ägypten und Israel.<br />

2.Mose 8-11<br />

Die ägyptischen Plagen sind sprichwörtlich geworden für Naturkatastrophen<br />

zuhauf. Es ist diese Häufung sicherlich erzählerisches Mittel und nicht<br />

historische Abfolge. Auch das Auf und Ab zwischen der himmlischen und der<br />

weltlichen Macht ist dramatische Gestaltung. Pharao ist jedermann. Mitten im<br />

Schrecken gibt Pharao klein bei; sobald das Leid etwas gelockert ist, zieht er<br />

sein Wort zurück, bis eine weitere Plage ihn zum Nachgeben bringt. Doch<br />

sobald der Druck nachlässt, fühlt sich Pharao wieder machtvoll. Braucht es da<br />

viel Verstockung? Ist es nicht unsere banale Sünde, von der Macht, vom<br />

Gewohnten nicht lassen zu wollen. Wieviel Plagen rufen wir hervor? Und lasten<br />

wir uns auf, ehe wir uns ändern? Wann gestehen wir Scheitern? Erst wenn das<br />

Unbehagen ganz und gar gesättigt ist, sind wir wohl zur Umkehr bereit.<br />

Wenn man liest, wieviel Leid über Ägypten kommen soll, damit die Welt<br />

erkenne, wieviel geliebter Israel sei- dann kann einem schon der Atem stocken<br />

angesichts der fortgesetzten Friedlosigkeit in Nahost. Jedenfalls hat die<br />

angebliche Bevorzugung Israels so viel Leid auf Israels Haupt gebracht. Wenn<br />

69


Israel „Gottes erste Liebe“ ist, so ist es eine unglückliche Liebe- die auf Heilung<br />

wartet wie die ganze Menschheit Heilung braucht.<br />

*<br />

Einsetzung des Bundesfestes<br />

Gott aber sprach zu Mose und Aaron in Ägyptenland: Sagt der ganzen<br />

Gemeinde Israel: Am zehnten Tage dieses Monats nehme jeder Hausvater ein<br />

Lamm und schlachte es gegen Abend. Und von seinem Blut sollen sie beide<br />

Pfosten an der Tür und die obere Schwelle bestreichen an den Häusern, in denen<br />

sie’s essen. So sollt ihr’s aber essen: Um eure Lenden sollt ihr gegürtet sein und<br />

eure Schuhe an euren Füßen haben und den Stab in der Hand und sollt es essen<br />

<strong>als</strong> die Hinwegeilenden mit ungesäuertem Brot.<br />

Ihr sollt diesen Tag <strong>als</strong> Gedenktag halten und sollt ihn feiern <strong>als</strong> ein Fest für<br />

mich, den Herrn, ihr und alle eure Nachkommen, in ewiger Ordnung.<br />

Und Mose berief alle Ältesten Israels und sprach zu ihnen: Wenn ihr in das Land<br />

kommt, das euch der Herr geben wird, wie er gesagt hat, so haltet diese<br />

Tradition. Und wenn eure Kinder zu euch sagen werden: Was habt ihr da für<br />

eine Überlieferung?, sollt ihr sagen: Es ist das Passah-Opfer des Herrn, der an<br />

den Israeliten vorüberging in Ägypten, <strong>als</strong> er die Ägypter schlug und unsere<br />

Häuser errettete. Da neigte sich das Volk und betete an.<br />

Und zur Mitternacht schlug der Herr alle Erstgeburt in Ägyptenland vom ersten<br />

Sohn des Pharao an, bis zum ersten Sohn des Gefangenen im Gefängnis und alle<br />

Erstgeburt des Viehs.<br />

Da stand der Pharao auf in derselben Nacht und alle seine Großen und alle<br />

Ägypter, und es ward ein großes Geschrei in Ägypten; denn es war kein Haus, in<br />

dem nicht ein Toter war.<br />

Und er ließ Mose und Aaron rufen in der Nacht und sprach: Macht euch auf und<br />

zieht weg aus meinem Volk, ihr Israeliten. Nehmt auch mit euch Schafe und<br />

Rinder und Schmuck, nehmt was ihr braucht. Und geht hin und bittet auch um<br />

Segen für mich.<br />

Und die Ägypter drängten das Volk und trieben es eilends aus dem Lande; denn<br />

sie sprachen: Sonst sind wir alle des Todes. Also zogen die Israeliten aus von<br />

Ramses nach Sukkot, sechshunderttausend Mann und die Frauen und Kinder.<br />

2.Mose 12<br />

Das wichtigste Fest Israels – das Passa- ist gestiftet in der Rettung Israels aus<br />

Ägypten. Das Blut des geschlachteten Lammes an den Balken ließ den<br />

Todesengel die jüdischen Häuser verschonen. Das ungesäuerte Brot erinnert an<br />

die in Eile Aufgebrochenen, die keine Zeit mehr hatten für ordentlich mit<br />

Sauerteig angesetztes Brot.<br />

Das jährliche Passafest versammelt die jüdische Familie und nächste Freunde zu<br />

gebratenem Lamm und grünen Kräutern und weißem Brot. Kompott wird dazu<br />

gereicht aus Feigen und Trauben, die Symbol sind für die Backsteine, die die<br />

70


Hebräer in der ägyptischen Gefangenschaft herstellen mussten. Das Mahl<br />

beginnt mit einem Becher Wein, über den der Hausvater zwei Segenssprüche<br />

spricht, anschließend wird der Becher weitergereicht. Ein Wasserbecken geht<br />

vorher von Hand zu Hand für die vorgeschriebene Reinigung, Der Älteste der<br />

Familie erklärt dem jüngsten Tischgenossen die verschiedenen Riten, dann<br />

bricht er das Brot, das Mahl beginnt- es wird gerahmt von Lobgesängen aus den<br />

Psalmen.<br />

Auch Jesus hat mit seinen Jüngern das Passamahl gehalten. Die Christen haben<br />

dann das letzte Mahl Jesu zum Abendmahl- (kath: Eucharistie) umgeformt:<br />

Paulus setzt Jesus mit dem Lamm gleich. Brot und Wein geben sich die<br />

Menschen weiter in Vorfreude auf das gemeinsame Fest im Reich Gottes.<br />

*<br />

Die Wolken- und Feuersäule<br />

Als nun der Pharao das Volk hatte ziehen lassen, führte sie Gott nicht den Weg<br />

durch das Land der Philister, der am nächsten war; denn Gott dachte, es könnte<br />

das Volk gereuen, wenn sie Kämpfe vor sich sähen, und sie könnten wieder<br />

nach Ägypten umkehren wollen.<br />

Darum ließ er das Volk einen Umweg machen und führte es durch die Wüste<br />

zum Schilfmeer. Und Gott zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um<br />

sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu<br />

leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niem<strong>als</strong> wich die<br />

Wolkensäule von dem Volk bei Tage noch die Feuersäule bei Nacht.<br />

2.Mose 13, 17,18,20-22<br />

Warum bewahren die Erzähler den Umstand, daß Gott das Volk auf Umwegen<br />

ans rote Meer führte?- Sollte Gott mehr Interesse an der Befreiung Israels gehabt<br />

haben, <strong>als</strong> diese selber. Es ist so menschlich, dass wir das gewohnte Unglück<br />

vorziehen dem Kampf um die ungewohnte Freiheit. Es ist anrührend, wie Gott<br />

sein Völkchen an der Strippe hat, sie keinen Augenblick mit ihren Ängsten<br />

alleine lässt.<br />

Wir dürfen uns auch der Gegenwart Gottes sicher sein in den Alltäglichkeiten<br />

und den dramatischen Zeiten. Wie sich uns Wolken- und Feuersäule gestalten,<br />

dafür bekommen wir keine Schnittmuster im Voraus. Aber im Nachhinein haben<br />

wir die Treue Gottes erfahren, doch sicher.<br />

*<br />

Israels Weg zum Schilfmeer<br />

Als dem Pharao angesagt wurde, dass das Volk geflohen sei, wurde er wieder<br />

verstockt und es reute ihn: Warum haben wir Israel ziehen lassen, sodass sie uns<br />

nicht mehr dienen? Und er spannte seinen Wagen an und nahm sein Kriegsvolk<br />

mit und sechshundert auserlesene Kampfwagen.<br />

71


Die Israeliten waren unter der Macht einer starken Hand ausgezogen. Doch<br />

Pharao war ihnen auf den Fersen. Da schrien sie zu dem Herrn und sprachen zu<br />

Mose: Waren nicht Gräber genug in Ägypten, dass du uns wegführen musstest,<br />

damit wir in der Wüste sterben? Haben wirs dir nicht schon in Ägypten gesagt:<br />

Lass uns in Ruhe, es ist besser, den Ägyptern zu dienen, <strong>als</strong> in der Wüste zu<br />

sterben?<br />

Da sprach Mose zum Volk: Fürchtet euch nicht, steht fest und seht zu, was für<br />

ein Heil der Herr heute an euch tun wird. Denn wie ihr die Ägypter heute seht,<br />

werdet ihr sie niem<strong>als</strong> wieder sehen. Der Herr wird für euch streiten, und ihr<br />

werdet stille sein.<br />

Und Gott sprach zu Mose: Sage den Israeliten, dass sie weiterziehen. Und der<br />

Engel Gottes, der vor dem Heer Israels herzog, kam zwischen das Heer der<br />

Ägypter und das Heer Israels. Dort war die Wolke finster und hier erleuchtete<br />

sie die Nacht, und so kamen die Heere die ganze Nacht einander nicht näher.<br />

2.Mose 14, 5-20<br />

Wieder dies Murren und Schwanken- jetzt fürchten sie, ihnen ständen Gräber in<br />

der Wüste bevor; Da wären sie lieber in Unfreiheit altgeworden. Aber Mose<br />

steht ihnen ein für den rettenden Gott. Der wird für sie streiten.<br />

Wir brauchen auch solche Bürgen, Prediger, Seelsorgende- die uns den Engel<br />

des Herrn geben: Der beleuchtet die Szene, daß uns das Böse nicht fressen kann<br />

und wir uns im Erleuchteten wahrnehmen.<br />

*<br />

Die wunderbare Rettung<br />

Als nun Mose seine Hand über das Meer reckte, ließ es der Herr zurückweichen<br />

durch einen starken Ostwind die ganze Nacht und die Wasser teilten sich,<br />

dazwischen war Trockenes Und die Ägypter folgten und zogen hinein ihnen<br />

nach, alle Rosse des Pharao, seine Wagen und Männer, mitten ins Meer.<br />

Als nun die Zeit der Morgenwache kam, schaute der Herr auf das Heer der<br />

Ägypter aus der Feuersäule und der Wolke und brachte einen Schrecken über ihr<br />

Heer und hemmte die Räder ihrer Wagen und machte, dass sie nur schwer<br />

vorwärts kamen. Da sprachen die Ägypter: Lasst uns fliehen vor Israel; der Herr<br />

streitet für sie gegen Ägypten.<br />

Aber der Herr sprach zu Mose: Recke deine Hand aus über das Meer, dass das<br />

Wasser wiederkomme und herfalle über die Ägypter, über ihre Wagen und<br />

Männer. Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer, und das Meer kam<br />

gegen Morgen wieder in sein Bett, und die Ägypter flohen ihm entgegen. So<br />

stürzte der Herr sie mitten ins Meer, sodass nicht einer von ihnen übrig blieb.<br />

Aber die Israeliten gingen trocken mitten durchs Meer, und das Wasser war<br />

ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.<br />

So errettete der Herr an jenem Tage Israel aus der Ägypter Hand. Und sie sahen<br />

die Ägypter tot am Ufer des Meeres liegen.<br />

72


2.Mose 14, 21-30<br />

Die Nachkommen Jakobs und Leas, Rahels waren in fünf bis zehn Generationen<br />

zu einem Völklein herangewachsen. Sie wurden mehr und mehr versklavt und<br />

beim Pyramidenbau geschunden. Dann riefen sie zu Gott und der führte sie aus<br />

dem „Knechthaus“ Ägypten. Unter Moses Führung gelang ihnen die Flucht<br />

durchs Rote Meer.<br />

Ob das Meer wie in Mauern rechts und links Spalier stand, ist nicht sicher.<br />

Vielleicht ist der historische Kern ein Seenebel, der den Ägyptern die Sicht<br />

versperrte auf eine Furt durchs Wattenmeer. Und <strong>als</strong> sich der Nebel verzog, war<br />

Israel schon am anderen Ufer, während die Streitwagen Ägyptens in der<br />

nahenden Flut untergingen.<br />

Jedenfalls bricht für Israel mit diesem Auszug der Aufbruch ins Gelobte Land<br />

der Verheißung an. Tatsache und Bedeutung- das eine ist das Geschehen, das<br />

andere: Was es mir bedeutet. Der Glaube stützt sich auf Fakten, die dem<br />

Menschen Rettendes bedeuten. Ohne Glauben des Mich-Rettenden sind die<br />

Fakten nur nackte physikalische Sachverhalte.<br />

Der Anfang von Rettung wird immer um so leuchtender dargestellt, je düsterer<br />

die Gegenwart scheint. Und der Anfang, voller Zauber, bürgt dafür, dass das<br />

Gelobte Land auch erreichbar ist- selbst wenn der Weg weit ist.<br />

Der Durchzug durchs Rote Meer ist ähnlich bedeutungsschwanger wie Jesu<br />

Auferweckung von den Toten: Wenn das Rote Meer Grüne Welle hat – so ein<br />

Kirchentagsschlager der siebziger Jahre- und der Tod uns vor Gott hinträgt, ist<br />

der Weg gesegnet, wie mühevoll er auch eben ist.<br />

*<br />

Triumphlied des Moses und der Mirjam<br />

Ich will Gott singen, denn er hat eine herrliche Tat getan;<br />

Ross und Reiter hat er ins Meer gestürzt.<br />

Der Herr ist meine Stärke und mein Heil. Der Herr ist der rechte Kriegsmann,<br />

Des Pharao Wagen und seine Macht warf er ins Meer,<br />

seine auserwählten Streiter versanken im Schilfmeer.<br />

Die Tiefe hat sie bedeckt, sie sanken auf den Grund wie die Steine.<br />

Herr, deine rechte Hand tut große Wunder; Durch dein Schnauben türmten die<br />

Wasser sich auf, die Fluten standen wie ein Wall; die Tiefen erstarrten mitten im<br />

Meer. Herr, wer ist dir gleich unter den Göttern? Wer ist dir gleich, der so<br />

mächtig, heilig, schrecklich, löblich und wundertätig ist?<br />

Und Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm eine Pauke in ihre Hand<br />

und die Frauen folgten ihr mit Pauken im Reigen. Und sie sangen: Lasst uns<br />

dem Herrn jubeln, denn er hat eine herrliche Tat getan; Ross und Mann hat er<br />

ins Meer gestürzt.<br />

2.Mose 15,1-20<br />

73


Gott ist mehr <strong>als</strong> der Gute, Gott ist der Ganze. „Mächtig, heilig, schrecklich,<br />

löblich und wundertätig“ - meint ganz und gar Umfassendes. Aber Gott <strong>als</strong><br />

„Kriegsmann“? Wenn wir gerettet werden aus Krankheit, feiern wir Gott <strong>als</strong><br />

Arzt, wenn wir gesättigt werden, ist er unser aller Mutter. Wenn er uns vor<br />

unsern Feinden in Sicherheit bringt, ist er unser Schirm und Schild. Israel fand<br />

seinen Gott unter Wogen und zertrümmerten Streitwagen.. Fortan feiern sie ihn<br />

<strong>als</strong> den Kriegshelden vom Roten Meer.<br />

Und die Ägyptischen Soldaten liegen geschlagen zuhauf. Eine jüdische Legende<br />

geht so: Gott, voll des Jammers, klagt: Ihr feiert so ausgelassen den Sieg. Und<br />

ich weine über meine erschlagenen ägyptischen Kinder. Das sei uns Warnung:<br />

Wir dürfen Gott nicht auf unsere Fahnen schreiben, er ist kein Vereinsgott.<br />

Unsere Feinde sind auch seine geliebten Menschen.<br />

*<br />

Die Wüste fängt an<br />

Mose ließ Israel ziehen vom Schilfmeer hinaus zu der Wüste Schur. Und sie<br />

wanderten Tage lang in der Wüste und fanden kein Wasser.<br />

Dann kamen sie nach Mara; aber sie konnten das Wasser von Mara nicht<br />

trinken, denn es war s bitter. Da murrte das Volk wider Mose und sprach: Was<br />

sollen wir trinken?<br />

Er schrie zu dem Herrn und der Herr zeigte ihm ein Holz; das warf er ins<br />

Wasser, da wurde es süß. Und Israel vernahm: Wirst du der Stimme des Herrn,<br />

deines Gottes, gehorchen und tun, was recht ist vor ihm, und halten alle seine<br />

Gebote, so will ich dir keine der Krankheiten auferlegen, die ich den Ägyptern<br />

auferlegt habe; denn ich bin der Herr, dein Arzt.<br />

2.Mose 15, 22-26<br />

Schon nach wenigen Tagen geht den wunderbar Geretteten das Wasser aus. Da<br />

murren sie zu Gott wie verwöhnte Kinder. Sie werden noch lernen, daß es nicht<br />

bequem ist, Gottes Lieblingskinder zu sein.<br />

All die Rettungen müssen nicht auf die zauberähnlichen Weisen passiert sein,<br />

wie die Jahrhunderte später entstandenen Texte es sagen. Diese Texte sind<br />

geschrieben, nicht um zu sagen, wie es gewesen ist, sondern um der<br />

gegenwärtigen Gemeinde Vertrauen zu geben in seiner von Gott geführten<br />

alltäglichen Gegenwart: Israel soll wissen: Was dam<strong>als</strong> so groß anfing, das<br />

versickert jetzt nicht im banalen Scheitern. In der Herausführung aus Ägypten,<br />

eingeschlossen die zahlreichen Bewahrungen des Wüstenweges, hat Israel für<br />

alle Zeit die Garantie, dass Gott zu ihm steht.<br />

Besonders für Zeiten der Anfechtung ist diese entfaltete Rettungserzählung<br />

geschrieben- Ursprünglich fand Israel endlich Wasser- begeistertes Erzählen<br />

schmückt dann die Rettung aus zur Stärkung der gegenwärtige Gemeinde<br />

74


Die ausführliche Darstellung der Rettung aus Ägypten wird wohl erarbeitet <strong>als</strong><br />

Israel ein Königtum und einen Tempel hatte mit Priesterschaft und Theologen<br />

und gebildeten Schreibern –lange nach 950 vChr. Da, <strong>als</strong> der Staat gegründet<br />

war, suchte man nach seinen Ursprüngen und fand etwa das Miriamlied und die<br />

Gebote <strong>als</strong> älteste Schrift-Texte vor. Aber zu einem großen Gesamtwerk fand<br />

man erst die Kraft, <strong>als</strong> ein zweiter Auszug bevorstand- nämlich die Rückkehr<br />

Israels aus dem Exil von Babylon und dann die Neuaufrichtung des Tempels.<br />

Also vielleicht tausend Jahre liegen zwischen Auszug aus Ägypten und der<br />

Buchwerdung dieser Geschichte. Die Tendenz ist klar: Der Gott , der soviel<br />

Rettung schon an Israel vollbracht hat, der hat ein neues vor, neue Rettung, neue<br />

Größe.<br />

Auch uns Heutigen können die Rettungsgeschichten Israel noch Mut machen:<br />

Gott ist mit uns unterwegs zu Heil und Frieden. Und er sagt dir: Mittels aller<br />

Medikamente, Mediziner und Helfenden – ich bin der Herr, dein Arzt.<br />

*<br />

Speisung mit Wachteln und Manna<br />

Und einige Zeit später murrte die ganze Gemeinde wieder gegen Mose und<br />

Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: Wären wir doch in Ägypten geblieben<br />

und da dann auch gestorben Wir saßen an den Fleischtöpfen und hatten Brot die<br />

Fülle. Was habt ihr uns herausgeführt in diese Wüste, dass ihr uns hier an<br />

Hunger sterben lasst?<br />

Da sprach der Herr zu Mose: Siehe, ich will euch Brot vom Himmel regnen<br />

lassen, und werde euch am Abend Fleisch in Fülle geben. Und am Abend kamen<br />

Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag es in der Wüste<br />

rund und klein wie Reif auf der Erde und Israel fragt: Man ha? (Was ist das?) So<br />

nannten sie dann das Wüstenbrot „Manna“, es schmeckte nach Semmeln mit<br />

Honig und Koriandersamen.<br />

Und Mose sprach zu ihnen: Sammelt nur, was ihr heute esst. Niemand hebe<br />

etwas auf bis zum nächsten Morgen. Aber etliche ließen doch davon übrig bis<br />

zum nächsten Morgen; da wurde es voller Würmer und stinkend.<br />

Und die Israeliten aßen Manna vierzig Jahre lang, bis sie in bewohntes Land<br />

kamen; bis an die Grenze des Landes Kanaan aßen sie Manna.<br />

2.Mose 16<br />

In diesem Schlusswort ist Wunder und Verzweiflung gebündelt. Die Wüstenzeit<br />

war Plackerei- da hat Israel sich zwischendurch oft zurückgesehnt nach dem<br />

zwar unfreien aber doch versorgten Alltag in Ägypten. Und “Ägypten“ schien,<br />

je weiter es zurücklag, immer weniger drohend.<br />

Beschwerlich wurde der Weg, der sich über Jahrhunderte hinzog- ganze<br />

Generationen hatten die Verheißung nur noch <strong>als</strong> dünnes Gerücht bei sich- aber<br />

dann erinnerte man wieder die großen Geschichten von dem rettenden Gott und<br />

75


man rappelte sich auf und zog weiter, ausgeliefert an die Gnade Gottes, wenn sie<br />

sich denn zeigte.<br />

Erst im Zusammenleben mit Gott und den Zehn Geboten lernte Israel (und damit<br />

die Menschheit) Freiheit und Menschenwürde zu schätzen. Aber der Weg in die<br />

Freiheit war und ist immer noch Mühe und Arbeit.<br />

*<br />

Wie Mose stark blieb<br />

Es kam das Volk Amalek und kämpfte gegen Israel in Refidim. Da sprach Mose<br />

zu Josua: Erwähle uns Männer, zieh aus und kämpfe gegen Amalek. Morgen<br />

will ich oben auf dem Hügel stehen, und euch segnen.<br />

Und Josua tat, wie Mose ihm sagte, und kämpfte gegen Amalek. Mose aber und<br />

Aaron und Hur gingen auf die Höhe des Hügels.<br />

Und wenn Mose seine segnenden Arme emporhielt, siegte Israel; wenn er aber<br />

seine Arme sinken ließ, weil sie ihm schwer wurden, siegte Amalek.<br />

Da nahmen die beiden einen Stein und legten ihn so, dass Mose sitzen konnte.<br />

Aaron aber und Hur stützten ihm die Arme, auf jeder Seite einer. So blieben<br />

seine Arme erhoben, bis die Sonne unterging. Und Mose baute einen Altar und<br />

nannte ihn: Der Herr ist mein Siegeszeichen.<br />

2.Mose 17,8-15<br />

Für uns ist es schwierig, Gott <strong>als</strong> Kriegsherrn zu denken. Wir haben <strong>als</strong><br />

Deutsche viel zu viele Kriege geführt, und die Soldaten „im Namen Gottes“ an<br />

die Waffen geschickt. „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“ hieß die Parole; eine<br />

andere:„Gott strafe England“. Und wir sind umgeben von Fundamentalisten, die<br />

im Namen Allahs den Krieg gegen westliche Freizügigkeit ausrufen und bei uns<br />

die, die meinen, „das Reich des Bösen„ sei zu bekämpfen.<br />

Israel hat aus kleinsten Anfängen sich sein Gelobtes Land erobern müssen, tut es<br />

bis heute noch. Israel sieht sich von seinem Gott angetrieben und befördert.<br />

Israel geht davon aus, daß ihm das Land vom Urbesitzer der Erde versprochen<br />

ist. Völker, die diesem Vorhaben Gottes im Weg stehen, wurden (und werden?)<br />

von Israel beiseite gedrängt. Israel sieht sich kämpfend an der Seite des für<br />

Israel kämpfenden Gottes.<br />

An Jesus geschult, sagen Christen heute: Krieg darf nicht sein. Ob wir aber uns<br />

selbst daran halten? Essen wir nicht mittels unserer Zahlungskraft die Tische<br />

anderer leer? Kaufen wir den Armen nicht ihren Mais weg um Futtermittel für<br />

unser Schlachtvieh zu haben oder Benzin?<br />

Doch, es ist ein starkes Bild, wie Mose mit segnenden Armen seine Krieger<br />

stärkt, und wie ihm Helfer die Schultern darbieten, dass er gestützt, die Arme<br />

weiter zum Himmel heben kann. Der Segen ist eine bittende Gebärde, welche<br />

die Kräfte Gottes auf die Mitmenschen herabfleht. Ob tatsächlich gute Kräfte<br />

auf uns kommen, das bleibt Gott vorbehalten; uns bleibt nur starkes Bitten und<br />

76


Sehnen und Mitdenken in Richtung des Erhofften. Klar ist, nicht Menschen<br />

segnen sondern bitten um Segen.<br />

*<br />

Gott nimmt den Sinai zu seinem Sitz<br />

Sie lagerten in der Wüste am Berg Sinai. Der aber rauchte, der Herr fuhr herab<br />

auf den Berg im Feuer; und der Rauch stieg auf wie der Rauch von einem<br />

Schmelzofen und der ganze Berg bebte sehr. Und der Ton einer Posaune wurde<br />

immer stärker.<br />

Als nun Gott niedergekommen war auf den Berg Sinai, rief er Mose hinauf auf<br />

den Gipfel des Berges und Mose stieg hinauf.<br />

2.Mose 19, 18-20<br />

Die Geschichte Israels hat hier ihre Mitte. All der Kämpfe hatte es bedurft, all<br />

die Mühen und Verzichte waren nötig, auch Gottes Langmut war letztlich nur<br />

gewährt für dies eine Ziel: Die Zehn Gebote. Gott schenkt Israel und durch<br />

Israel der Menschheit die Grundlagen der Humanität. Israel sieht sich <strong>als</strong> Hüter<br />

des Willens Gottes. Dieser gipfelt in den Geboten und dem menschlichen<br />

Vermögen, sich für das Gute zu entscheiden.<br />

Noch viele andere Gebotskataloge bewahrt die Bibel, sie bewahrt<br />

Reinigungsgebote und Essensgebote und Baugebote und Sabbatgebote die Fülle,<br />

daß nur ja nicht die Heiligkeit Gottes beschmutzt werde. Aber die Zehn Gebote,<br />

der Dekalog, ist ethischer Sockel für die ganze abendländische Gesetzgebung.<br />

Majestätisch ist diese Szene. Nicht einfach vom Himmel gefallen sind die<br />

ehernen Worte. Sondern das Volk lagert sich um den Gottesberg. Mose steigt<br />

dem Herrn entgegen, Wolken entziehen ihn dem Blick des Volkes.<br />

Die Zehn Gebote<br />

*<br />

Das erste Gebot<br />

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft,<br />

geführt habe. Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. (Du hast keine<br />

andern Götter neben mir)<br />

2.Mose 20, 2.3<br />

Wer darf das sagen: „Ich bin dein Gott“? Damit steht und fällt doch unser<br />

Selbstbewusstsein, daß kein Mensch sich <strong>als</strong> unser Herr aufwerfen kann. Und<br />

wenn ein Mensch uns zwingt, ihm zu Willen zu sein, dann tut er Unrecht. Und<br />

ich tu Unrecht, wenn ich ihm aus der Hand fresse. Ich darf keinen Menschen<br />

aufblähen und verzerren zu Gottähnlichem.<br />

Gott definiert sich <strong>als</strong> der, „der dich aus der Knechtschaft Ägyptens erlöst hat“.<br />

Das galt zuerst für Israel, aber meint jeden Menschen, gerettet aus der<br />

77


Nichtigkeit, aus dem Nichtvorhandensein. Gott ist der, der dich aus dem<br />

Nichtsein erlöst hat, der dich ins Sein gerufen hat, der dir das Selbstbewusstsein<br />

begründet. Nur der ist es wert, seinem Willen zu folgen. Gemessen an ihm, dem<br />

Erschaffer aller Dinge, ist alles Andere Nichtgott.<br />

Dies erste Gebot sichert allen Menschen die selbe Würde zu, unabhängig Besitz<br />

und Einfluss. Jeder soll sich wichtig nehmen, weil er von Gott gewollt ist.<br />

Keiner soll sich kommandieren lassen, nicht sich abfüllen lassen mit Parolen,<br />

keiner soll verächtlich denken, von sich nicht, von andern nicht, keiner soll eines<br />

andern Herr sein. Wir haben nur einen Herrn, ansonsten sind wir Brüder und<br />

Schwestern. Aus diesem Grundsatz gilt es, auf eine geschwisterliche Menschheit<br />

hin zu leben.<br />

Das zweite Gebot<br />

Du sollst dir kein Bildnis von Gott machen. Du sollst den Namen des Herrn,<br />

deines Gottes, nicht missbrauchen.<br />

2. Mose 20, 4.7<br />

Kein Abbild von Gott, kein Imitat, kein Ideal, keine Vision, keine Definition!<br />

Wir sollen uns Gott nicht vorstellen, da ja alle Vorstellungen aus dem Irdischen<br />

genommen sind und nur ein gesteigertes Irdisches darstellen. Aber auch im<br />

Sandkorn ist die Energie Gottes präsent. Kein Bild kann Gott fassen. Er ist<br />

größer <strong>als</strong> die Welt in ihrem Jetztzustand. Was wir mit Gott meinen ist, „ alles,<br />

was nicht in unserer Macht steht“.<br />

Die Ikone Gottes ist Jesus Christus, mit ihm haben wir Gott vor Augen, wie er<br />

zu uns ist; Und vielleicht hält sich Gott an Jesus Christus, wenn er mal wieder an<br />

den realen Menschen irre zu werden droht.<br />

Keiner darf sich zum Heros oder zur Diva ausrufen lassen, keiner darf<br />

Unterwerfung verlangen oder genießen. Im Überschwang kann der Reporter<br />

schon mal den Schützen des Siegestores einen Fußballgott nennen- aber schnell<br />

werden diese Größen vom Sockel gestoßen- das zeigt den himmelweiten<br />

Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf.<br />

Und eben Irdisches nicht vergotten, vor allem nicht das Geld, den Götzen<br />

Mammon.<br />

*<br />

Bedrohlich, barmherzig<br />

Ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter und<br />

Mütter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich<br />

hassen, aber Barmherzigkeit erweist an tausenden, die mich lieben und meine<br />

Gebote halten.<br />

2.Mose 20, 5.6<br />

78


Gott ist Treiber des Werdens, er betreibt die Geschichte <strong>als</strong> Weg zum Reich<br />

Gottes, „wo Fried und Freude lacht“. Geschichte ist immer noch das<br />

Gegeneinander von Skrupellosen und Wehrlosen, aber mit scharfem Drang zur<br />

Versöhnung. Denn Gott will uns heil machen.<br />

Diesem Ziel dient auch die Bestrafung der Missetaten der Väter und Mütter<br />

noch an den nächsten Generationen. So ist die Verachtung Deutschlands in der<br />

Welt nach Hitler für, zwei, drei Generationen verständlich. Und die<br />

Umweltkatastrophe fordert mit Wucherzinsen über die Generationen hin, was<br />

unser In- Saus- und Brausleben verdirbt.<br />

Diese Heimsuchungen sind nicht willkürlich prasselnde Strafen sondern Folgen<br />

unseres Tuns. Gott setzt uns den Folgen unseres Tuns aus. Dies jedoch mit<br />

unvergleichlich starker Tendenz zum Retten und Zurechtbringen. Ungeheure<br />

Energien von Liebe strahlen in die menschliche Gesellschaft ein; wir werden<br />

doch alle mehr geliebt, <strong>als</strong> wir lieben.<br />

Wir kommen aus dunklen Zeiten. Strafaktionen lagen näher <strong>als</strong> Lob und<br />

Anerkennung. Tief saß der Selbsthass, dass wir böse seien von Jugend auf.<br />

Dabei gilt doch Jesu Mitteilung: Gott liebt dich, Kind; dein ist das Himmelreich<br />

(Matthäus 19,14).<br />

*<br />

Das 3. Gebot<br />

Du sollst den Feiertag heiligen. Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine<br />

Werke tun. Aber am siebenten Tage ist der Tag des Herrn. Da sollst du keine<br />

Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein<br />

Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. In sechs Tagen hat der<br />

Herr Himmel und Erde gemacht und ruhte am siebenten Tage und segnete ihn.<br />

2.Mose 20,8-11<br />

Die Woche zu sieben Tagen ist das älteste Zeitschema. Unveräußerliches<br />

Kennzeichen des Menschlichen ist, daß er einen Rhythmus für Arbeiten und<br />

Ausruhen und gemeinsames Feiern hat. Auch ist es ein Akt des Vertrauens in<br />

die Lebensgrundlagen, daß sechs Tage Arbeit genügen für das Auskommen an<br />

sieben Tagen.<br />

Und der Mensch braucht Zeit für die Seele, für Meditation, Gebet, Feier, Freude,<br />

zweckfreie Gemeinschaft. Es ist ein hohes Gut, daß in unser aller Kalender der<br />

Sonntag (der Sabbat) rot angestrichen und herausgehoben ist. Auch wenn wir<br />

nicht zum Gottesdienst gehen, werden wir wollen, daß Gottesdienst gehalten<br />

wird und das „Vaterunser“ auch für uns mit gesprochen wird.<br />

Und der Ruhe wird ein Freiraum geschaffen. Diese freie Zeit möglichst mit<br />

Vielen teilen, ist ein hohes Gut. Achten wir darauf, mit Dienstlichem nicht in die<br />

private Zeit der Mitmenschen vorzudringen. Achten wir auch uns selbst der<br />

Ruhe wert. Eine Rundumereichbarkeit bieten oder fordern steht uns nicht zu.<br />

Die Tendenz ist stark, die Sonntagsruhe zugunsten von Spaß und einer Allzeit-<br />

79


Bedarfsbefriedigung aufzuheben. Denen, die wirklich notwendigen<br />

Dienstleistungen am Sonntag erbringen, gebührt großzügige Honorierung.<br />

Das 4. Gebot<br />

Du sollst Vater und Mutter ehren<br />

2.Mose 20, 12<br />

Eltern achten, schätzen, ehren <strong>als</strong> die ersten Mitarbeiter Gottes- dies Gebot ist<br />

die Brücke vom Gottwürdigen hin, auch den Nächsten zu achten. Die Eltern<br />

haben uns empfangen, haben uns auf die Welt gebracht und großgezogen. Wir<br />

waren/sind ihnen anvertraut und zugemutet.<br />

Eigenartig, daß schon vor dreitausend Jahren dies Gebot mit ehernen Lettern den<br />

Erwachsenen ins Herz gemeißelt wurde. Anscheinend war es immer nötig, der<br />

im Saft stehenden Generation die Alten fürsorglich ans Herz zu legen. Kinder<br />

müssen ihre Eltern nicht lieben aber sie ehren; Kinder müssen ihre der Fürsorge<br />

bedürftigen Eltern nicht selbst pflegen, aber ihr würdevolles Behüten<br />

sicherstellen, dazu sind sie verpflichtet.<br />

Aber auch die Alten werden noch besser lernen müssen, die Jungen zu ehren.<br />

Vielleicht stehen die rüstigen Rentner auf und lassen in der Vorortsbahn den<br />

Platz der müden Alleinerziehenden oder dem Erschöpften mit dem fahlen<br />

Gesicht. Auch erinnere man sich an den Umgang mit den eigenen Eltern; ist es<br />

nicht so, dass der Dank nicht zurück sondern nach vorn in die nächste<br />

Generation gegeben wird?<br />

Ehren wir die Alten mit ihrer Erfahrung und die Jungen mit dem weiten Raum,<br />

den sie noch zu bestellen haben.<br />

Das 5. Gebot<br />

Du sollst nicht töten.<br />

2.Mose 20,13<br />

So klar, so ganz ohne Einschränkungen steht das Tötungsverbot auf den<br />

Gesetzestafeln der Menschheit. In Indien heißt das Gebot: Du sollst nichts<br />

Lebendigem den Atem nehmen- und meint auch die Tiere.<br />

Schon aus Eigeninteresse muss ich die Verpflichtung hochhalten, niemandem<br />

ans Leben zu gehen. Aber wenn einer sich schon wie tot fühlt, er sich<br />

zombiehaft, seelenlos, verachtet vorkommt, dann wiegt ihm des Andern Leben<br />

auch nicht schwer. Wir müssen einander zum Leben helfen, schon, weil jedes<br />

Leben Gott gehört.<br />

Und der Staat muss darauf beharren, daß es in jedem Fall böse ist, einen<br />

Menschen zu töten; folglich kann der Staat auch keine Menschen töten, um zu<br />

lehren, daß es böses ist, Menschen zu töten.<br />

80


Das 6. Gebot<br />

Liebe! Und schütze Ehen. -Du sollst nicht ehebrechen.<br />

2.Mose 20 ,15<br />

In der frühen Fassung der Gebote ging es nicht um Liebe sondern um Besitz; die<br />

Frau galt <strong>als</strong> Eigentum des Mannes. Inzwischen haben wir von Jesus gelernt und<br />

wissen, daß wir einander nicht gehören. Bestenfalls gehören wir zueinander,<br />

wissen uns einander anvertraut, wollen uns schützen vor Herzeleid. Die Ehe, hat<br />

mal einer gesagt, ist das letzte große Abenteuer: Zwei wollen sich immer wieder<br />

einig werden, wollen die Freuden und Mühen des Lebens –inklusiv Kinder,<br />

wenn sie gewährt sind- gemeinsam zu tragen, und wünschen, gemeinsam alt zu<br />

werden.<br />

Die Liebe ist Gottes Atem, und der weht, wo er will. Wir können bestenfalls<br />

jetzt (im Trauversprechen) sagen: „Ich will dich lieben und ehren bis daß der<br />

Tod uns scheidet.“ Ohne dieses intensive Wollen darf man gar keine Ehe<br />

eingehen. Aber wir können nicht sagen: „Ich werde dich lieben,bis…Können nd<br />

sollen nicht schwören. Ob wir uns bis zum Tode lieben können und dürfen, das<br />

ist offen.<br />

Wieviel Befreundung neben der Ehe möglich ist, muß jeder Mensch, jedes Paar<br />

selbst für sich ausloten. Wichtig ist es, keinen, auch nicht sich selbst, aus seiner<br />

Ehe herauszubrechen, sondern gerade auch des Anderen Bindung zu achten und<br />

zu schützen.<br />

Das siebte bis zehnte Gebot<br />

Du sollst nicht stehlen, lügen, gieren, rauben<br />

2.Mose 20,15- 17<br />

Dem Andern das Seine nicht nehmen sondern „ihm sein Gut und Nahrung<br />

helfen bessern und behüten“, ist uns aufgegeben; nicht belügen sondern<br />

„entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren“ (Martin<br />

Luther). Sein Hab und Gut nicht anrühren, auch seine Ehre nicht- aber es ist ein<br />

dauerndes Ringen um Mein und Dein. Die Liebe der Eltern,der Gefährten, die<br />

Anerkennung der Freunde, die Zuneigung, die Achtung steht immer auf dem<br />

Spiel. Und ob ich erarbeiten kann, was ich nötig zu haben meine, muss in<br />

Konkurrenz zu andern erworben werden. Anerkennung und Zeit und berufliche<br />

Chancen sind knappe Güter, da kann man schon in Versuchung sein, mit rauem<br />

Ton und harten Bandagen das Seine zu beschaffen. Am meisten wegnehmen<br />

lässt sich mit Sprache: Über den Mund fahren, die Früchte der Arbeit für sich<br />

reklamieren, Beziehungen spielen lassen, anschwärzen, Schuld abschieben, den<br />

Vorteil sich zurechtlügen. Wie lassen wir dem Andern Seins, und sind mit dem<br />

Eigenen zufrieden?- Was dir genügt, lass dir genug sein. Das ist eine<br />

Lebensarbeit.<br />

81


Die Gebote zeigen Gottes Handschrift<br />

Und <strong>als</strong> Gott mit Mose zu Ende geredet hatte auf dem Berge Sinai, gab er ihm<br />

die beiden Tafeln des Gesetzes; die waren aus Stein und beschriftet von dem<br />

Finger Gottes.<br />

2.Mose 31,18<br />

Uralt ist die Vorstellung, Gott habe eigenhändig die Gebote in Stein gegraben.<br />

Es ist dies ein starkes Bild für die heilige Urheberschaft: Die Gebote haben<br />

höchste Autorität.<br />

Staat und Gesellschaft schätzen die ethischen Gebote auch ohne Gottesbezug<br />

hoch. Dabei bilden die theologischen Gebote I-III ja den Sockel für alle übrigen.<br />

Aus dem Zugottgehören folgt, daß ich keinen Menschen aus seinem<br />

Gotteszusammenhang reißen darf. Eigentum verpflichtet. Besitz, Ehe und Ehre<br />

sind Gaben, darum ist Stehlen, aus der Ehe Brechen und Ehrabschneiden auch<br />

ein Angriff auf Gott.<br />

Das Recht auf Mundraub ist schon in der Bibel gewährt. Wer erst stehlen muß<br />

um nicht zu verhungern, an dem geschieht Unrecht. Wer lügen muss, um nicht<br />

unterzugehen, der ist näher an der Wahrheit <strong>als</strong> der, der herrisch auf Ehrlichkeit<br />

pocht.<br />

*<br />

Anbetung des goldenen Stieres<br />

Als aber das Volk sah, dass Mose lange nicht vom Berg zurückkam, sprachen<br />

sie zu Aaron: Auf, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe! Denn wir wissen<br />

nicht, was Mose widerfahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat.<br />

Und Aaron gebot: Nehmt ab die goldenen Ohrringe eurer Frauen, Söhne,<br />

Töchter und bringt sie zu mir. Und er nahm das Gold von ihren Händen und<br />

bildete eine Form und goss ein Goldnes Kalb. Und sie sprachen sich zu: Das ist<br />

dein Gott, Israel, der dich aus Ägyptenland geführt hat! Und sie brachten dazu<br />

Dankopfer dar. Dann setzte sich das Volk, um zu essen und zu trinken, und sie<br />

standen auf zu wilden Spielen.<br />

2.Mose 32,1-6<br />

Auch wieder eine Menschheits-Urgeschichte: Der große Führer scheint verloren<br />

gegangen und mit ihm der Garant für die Nähe des Unsichtbaren Gottes. Das<br />

Nichtgreifbare, das Unbegreifliche Gottes auszuhalten, braucht einen starken<br />

Glauben. Gott ist unsichtbar, aber seine Wohltaten sind erkennbar- vor allem,<br />

wenn ein Mittler da ist, der die Gottesgnade im Konkreten benennen kann.<br />

Mose war einer der größten Mittler der Menschheit. In ihm geschah die<br />

Heiligkeit anfaßbar, unter seiner Führung wurde aus dem Herumirren ein Weg<br />

und aus dem Schreien zu Gott die Ahnung von Rettung.<br />

82


Aber sobald das Bild Gottes, seine Ikone bei den Menschen, fehlte, wurden sie<br />

ungeduldig und unsicher und wollten ein Faustpfand für Gott, wollten einen<br />

Gott zum Anfassen. Und so „verwandelten sie die Herrlichkeit Gottes in das<br />

Bild eines Ochsen, der Gras frisst“ (Psalm 106,20).<br />

Besitz und Zeugungsfähigkeit sind des Menschen stärkste Mächte. Besitz gibt<br />

Herrschaft und Sexualität gibt Leben. Der Stier steht für Zeugungskraft, die ins<br />

Leben zwingen kann. Gold steht für Macht und Herrlichkeit. Der „Tanz ums<br />

Goldne Kalb“ ist sprichwörtlich geworden für Anbetung von nackter Gier.<br />

Moses Fürbitte<br />

Als Mose vom Berg herabstieg und das infernalische Spektakel sah, wandte er<br />

sich an Gott. Der sprach: Das Volk vergisst schnell, was ich ihm Gutes tat, ich<br />

zürne über sie.<br />

Mose aber flehte: Ach Gott, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk,<br />

das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? Warum<br />

sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie<br />

umbrächte? Lass dich des Unheils gereuen. Und Gott ließ ab von seinem Zorn.<br />

2.Mose 32,7-14<br />

Dies Rettende hat Israel oft erfahren: Der Grund aller Dinge, obwohl oft<br />

enttäuscht über seine Menschenbrut, kann sie nicht von sich stoßen, er hat<br />

zuviel Herzblut an sie –besonders an Israel- verwandt. Mose spricht diesen<br />

inneren Konflikt in Gott an. Und wahrlich, wir zehren auch von Gottes<br />

Großmut. Er darf die Erde nicht verloren geben, darf uns um seiner Liebe willen<br />

nicht fallen lassen. Das dürfen wir aber nicht ausnutzen. Die Liebe leidet, das<br />

ist ihre Tragik. Wehe, wir wären nur grinsende Zuschauer des Niedergangs der<br />

Erde.<br />

Gestopfte Mäuler<br />

Als Mose aber nahe zum Lager kam und das Gold- Kalb und das wüste Tanzen<br />

sah, entbrannte sein Zorn und er nahm das Kalb, das sie gemacht hatten, und<br />

ließ es im Feuer zerschmelzen und zermalmte es zu Pulver und streute es aufs<br />

Wasser und gab’s den Israeliten zu saufen.<br />

2.Mose 32,19.20<br />

Auch ein Urbild der Menschheit: Den eigenen Mist fressen müssen, den man<br />

angerichtet hat: Das Gold, mit der Asche zu Pulver vermahlen, wird denen, die<br />

Gott vergessen haben, eingetrichtert. Sie müssen an dem ersticken, was sie zu<br />

ihrer Glorie aufrichteten. Es ist eine andere Art des zerbrochenen Babylonischen<br />

Turmes. Turm und Stier sollten Bauwerke sein, die der Menschen Größe<br />

demonstrieren. Aber Größe aus Gottvergessenheit kann nur zu Fall kommen. So<br />

müssen wir unsern eigenen Unrat ausfressen.<br />

83


*<br />

Gott wissen aber nicht sehen<br />

Gott redete mit Mose wie ein Mensch mit seinem Freund redet. Gott sprach zu<br />

ihm: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit<br />

Namen. Und Mose sprach: Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott<br />

sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und<br />

will vor dir kundtun mein Wesen: Gnade und Erbarmen ist mein Wesen. Aber<br />

mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Irdischer kann mein Antlitz<br />

aushalten. Aber meine Nähe sollst du erfahren. Es ist ein Raum bei mir, da sollst<br />

du auf dem Fels stehen. Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich<br />

dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dich halten, bis ich<br />

vorübergegangen bin.<br />

Dann will ich meine Hand von dir tun und du darfst hinter mir her sehen.<br />

2.Mose 33, 11,17-23<br />

Wir können nur Gottes Wohltaten sehen, nicht Ihn von außen. Grandios, wie<br />

Mose das „gesteckt bekommt“ - für uns mit. Obwohl Mose einer der Nächsten<br />

zu Gott ist, zeigt Gott sich ihm nicht. Den Abglanz seines Antlitzes legt er auf<br />

die Gesichter der Säuglinge und der Liebenden, aber er will verborgen bleiben<br />

in allen Gesichtern und Blumen und allem Sonnenleuchten. Es gibt Ereignisse,<br />

da haben wir Gottes Nähe unmittelbar gespürt, da ist uns die Beglückung der<br />

Gegenwart Gottes geschehen- es ist, <strong>als</strong> wären wir in einem Spalt gesessen, den<br />

Gott beim Erscheinen uns verdunkelt hat. Es ist seine Hand, mit der er sich uns<br />

verstellt. Wir können Gott hinterher sehen - wie er uns das Kind in den Arm<br />

gelegt hat oder uns neu geboren hat nach einem Unfall. Das ist doch viel.<br />

Manchmal schon zu viel.<br />

*<br />

Nächstenliebe<br />

Und Gott redete mit Mose und sprach: Rede mit der ganzen Gemeinde der<br />

Israeliten und sprich zu ihnen: Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr,<br />

euer Gott.<br />

Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst; ich bin die Quelle des<br />

Lebendigen. Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr<br />

nicht bedrücken.<br />

Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn<br />

lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.<br />

Das sage ich euch, euer Gott, der ich euch aus Ägyptenland geführt habe.<br />

3.Mose 19.1.2.18b,33.34<br />

84


Viele Gebote und Gesetzessammlungen aus verschiedenen Epochen werden<br />

unter die Autorität des Mose gestellt. Besonders wichtig ist das Gebot der<br />

Nächstenliebe und das der Fremdenfreundlichkeit. Den Nächsten lieben wie<br />

man sich selbst liebt- das rückt den Andern sehr, sehr nahe. Jedenfalls ist es eine<br />

eherne Messlatte: Was wünschst du dir an seiner Stelle? Es bleibt Auftrag, auch<br />

die dir Lästigen zu achten und dem Rivalen fair zu begegnen.<br />

Mitgesetzt mit diesem Gebot ist: Du sollst dich selbst lieben. Du sollst dich<br />

achten <strong>als</strong> Gottes geliebte Schöpfung- <strong>als</strong>o meine es gut mit dir und beschädige<br />

dich nicht selbst.<br />

Als Testfall für die Nächstenliebe wird uns der Fremde aufgegeben. Sein<br />

obdachloses Außenseiterdasein zu wenden, ist Menschenpflicht. Wir waren ja<br />

auch schon Fremde - und wie gut tat da der eine, der uns herwinkte und Platz<br />

anbot und einfädelte in Gesprächsrunde oder Nachbarschaft.<br />

*<br />

Alle siebenmal sieben Jahre<br />

ist die Zeit der sieben Sabbatjahre. Im siebten und im fünfzigsten Jahr sollst du<br />

die Posaune blasen lassen durch euer ganzes Land und ihr sollt das siebte und<br />

das fünfzigste Jahr heiligen. Ihr sollt eine Freilassung ausrufen im Lande für<br />

alle, die darin wohnen; es soll ein Erlassjahr für euch sein. Da soll ein jeder<br />

wieder zu seiner Habe kommen und wenn er sich verkauft hat in<br />

Leibeigenschaft, soll er wieder frei sein.<br />

3.Mose 24, 8-10<br />

Alle sieben und alle fünfzig Jahre war Israel ein Neuanfang verordnet.- Der Ur-<br />

Anfang liegt weit zurück: Als Nachklang der Schöpfung und <strong>als</strong> kreative<br />

Wiederholung ist der Sabbat eingesetzt, Ruhe für alle. Es gelte:„Alles zurück<br />

auf Null“. Jeder Neuanfang ist voll besonderer Würde- einer der stärksten<br />

Anfänge ist der Auszug aus Ägypten: Gott nahm für Israel das Gelobte Land<br />

ein und teilte es an die zwölf Stämme Israels und ihre Familien auf. Aber<br />

immer bleibt Jahwe Herr der Schöpfung und der Besitzer des Landes. Israel und<br />

die ganze Menschheit hat alles nur <strong>als</strong> Leihgabe, es ist uns anvertraut nur auf<br />

Zeit.<br />

Um dies zu erinnern, rief man in Israel jedes siebte Jahr zum Sabbatjahr aus-<br />

der Acker blieb unbestellt und hatte seine Ruhe. Und jedes fünfzigste Jahr galt<br />

<strong>als</strong> Erlassjahr: Alle Schulden wurden den Stammesgeschwistern erlassen, alle<br />

ursprünglichen Besitzstände wurden wieder hergestellt, alle Ungleichheit durch<br />

Verschuldung wurde wieder aufgehoben.<br />

Wie diese Regelung gelebt wurde in Israel, liegt im Dunklen. Aber Sabbat- und<br />

Erlassjahr erinnern, daß uns Zeit, Gesundheit, Kraft, Besitz nur vorübergehend<br />

anvertraut sind. Diese Überzeugung bewirkt im Gläubigen einen<br />

verantwortlichen und großzügigen Umgang mit den Dingen- wenn, ja wenn „der<br />

Geist unserer Schwachheit aufhilft“ (Römer 8,26).<br />

85


Die Schuldenkrise der Gegenwart rückt die Rezepte der Vorfahren wieder in den<br />

Blick: Es muss ein Erlass von Schulden eingeräumt werden, sonst sammelt sich<br />

bei immer weniger Reichen immer mehr. Dabei muss immer mehr Menschen<br />

das Existenzminimum von der Gemeinschaft eingeräumt werden, ein<br />

Grundgehalt unabhängig von der Leistungsfähigkeit- und willigkeit ist nötig-<br />

weil Gott uns das tägliche Brot heute geben will, bedingungslos. Und wir sind<br />

alle zuständig, dass Gottes Wille geschehe je im Rahmen unserer Fähigkeiten.<br />

Christen gehen vorweg, auch , auch indem sie gern Steuern, auch<br />

Erbschaftssteuern bezahlen. Durch „Brot für die Welt“ können wir unmittelbar<br />

den Hunger auf der Erde lindern. Verschenken wir doch mehr.<br />

*<br />

Der große Segen<br />

Gott redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen: So sollt ihr<br />

sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet:<br />

„Der Herr segne dich und behüte dich;<br />

der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig;<br />

der Herr erhebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden.“<br />

Ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.<br />

4.Mose 6,22-27<br />

Segnen fleht die heilenden Kräfte Gottes auf Menschen und Kreaturen herab.<br />

Mit großer Inbrunst spannt der Segenspender die Arme aus, oder berührt mit<br />

beiden Händen seitlich den Kopf des zu Segnenden, er spricht intensive<br />

Behütungsworte <strong>als</strong> Widmung, <strong>als</strong> Weihe, <strong>als</strong> Gebet, <strong>als</strong> Gelübde fast. Und<br />

Christen schlagen zur Bekräftigung das Kreuz über Gemeinde oder Paar oder<br />

dem Einzelnen. Die Bibel sagt es noch genauer: Es gilt, den Namen Gottes<br />

aufzulegen, dass Gott segne. Also nicht Priester oder Eltern segnen, sie bitten<br />

um den Segen, sie stellen unter Gottes Schutz, unter dem der Betroffene ohnehin<br />

steht, aber sie vergewissern, sie benennen noch einmal das Haus aus Segen, das<br />

Gott tagtäglich neu errichtet mit seiner Schöpfungsenergie. Gut, wenn wir beim<br />

Abschied dem geliebten Menschen mehr zu bieten haben <strong>als</strong> die Mahnung:<br />

“Pass auf dich auf.“ Geben wir ihm mit: „Bleib behütet; Du bist „von guten<br />

Mächten wunderbar geborgen.“<br />

Sehnsucht nach dem verheißenen Land<br />

*<br />

Nach vielen Jahren Wüstenzug schickte Mose Kundschafter los in Richtung<br />

Gelobtes Land. Und sie kamen bis an den Bach Eschkol und schnitten dort eine<br />

Weinrebe ab und trugen sie zu zweit auf einer Stange, so groß war sie; dazu<br />

auch Granatäpfel und Feigen. Und nach vierzig Tagen, <strong>als</strong> sie das Land erkundet<br />

86


hatten, kehrten sie um, und brachten Kunde, wie es stand, und sie zeigten die<br />

Früchte des Landes vor und erzählten und sprachen: Wir sind in das Land<br />

gekommen, in das Gott uns schickt; es fließt wirklich Milch und Honig darin<br />

und dies sind seine Früchte.<br />

4. Mose 13, 23,25-27<br />

Durch das Volk Israel hat Gott viel der Menschheit beigebracht: Gott ist ohne<br />

Abbild, darum ist auch die Natur nicht <strong>als</strong> „Double“ Gottes zu ehren, sondern<br />

sie ist dem Menschen zu Nutz freigegeben (und anvertraut). Und die Gebote, das<br />

ethische Grundgesetz der Menschheit ist uns ausgegeben.. Und eine Befreiung<br />

vom Ring der ewigen Wiederkehr hin zu einer Geschichte mit Ziel; die<br />

Menschheit wird ausgerichtet auf die Zukunft und stark mit Hoffnung<br />

imprägniert.<br />

Israel verdanken wir starke Bilder zukünftiger Freude: Etwa das Goldene<br />

Jerusalem, von dem gutes Recht ausgeht. Und die dem Menschen völlig<br />

dienende Natur, abgebildet in der nur von zwei Männern zu tragenden Rebe und<br />

dem Land, darin Milch und Honig fließt. So stark die Bilder auch sind- sie<br />

werden an die Wand der Zukunft geworfen. Sie wollen eingelöst werden in<br />

Befreundung von Gott und Mensch. Sie sind Utopie (ou topos= hat noch kein<br />

Ort), die Verheißungen Gottes gelten jeder Generation und brauchen in jeder<br />

Generation Annäherung, Wegmarken in Richtung Frieden.<br />

*<br />

Das verheißene Land rückt in weite Ferne<br />

Aber die Männer, die nach Kanaan gezogen waren, sprachen: Wir vermögen<br />

nicht hinaufzuziehen gegen dies Volk, denn sie sind uns zu stark. Wir sahen dort<br />

auch Anaks Söhne aus dem Geschlecht der Riesen-im Vergleich mit ihnen<br />

waren wir klein wie Heuschrecken.<br />

Da fuhr die ganze Gemeinde auf und schrie, und das Volk weinte die ganze<br />

Nacht. Und alle Israeliten murrten gegen Mose und Aaron und die ganze<br />

Gemeinde sprach zu ihnen: Ach, wären wir doch in Ägyptenland gestorben<br />

oder stürben noch in dieser Wüste!<br />

Warum führt uns Gott in dies Land, damit wir durchs Schwert umkommen? Ist’s<br />

nicht besser, wir ziehen wieder nach Ägypten?<br />

Und Gott sprach zu Mose: Wie lange lästert mich dies Volk? Und wie lange<br />

wollen sie nicht an mich glauben trotz all der Zeichen, die ich unter ihnen getan<br />

habe? Ich will sie mit der Pest schlagen und sie vertilgen und dich zu einem<br />

größeren und mächtigeren Volk machen <strong>als</strong> dieses.<br />

Mose aber sprach zu Gott: Dann werden’s die Ägypter hören und sagen: Ihr<br />

Gott vermochte es nicht, dies Volk in das Land zu bringen, das er ihnen zu<br />

geben geschworen hatte; darum hat er sie hingeschlachtet in der Wüste. So lass<br />

nun deine Kraft, o Herr, groß werden. Und vergib die Missetat dieses Volks<br />

nach deiner großen Barmherzigkeit. Und Gott sprach: Ich habe vergeben, wie<br />

87


du es erbeten hast. Aber so wahr ich lebe und alle Welt der Herrlichkeit Gottes<br />

voll werden soll: Keiner von denen, die auszogen, soll einziehen in das gelobte<br />

Land. Eure Leiber sollen in dieser Wüste verfallen. Eure Kinder aber, von denen<br />

ihr sagtet, sie werden ein Raub sein, die will ich hineinbringen, dass sie das<br />

Land kennen lernen, das ihr verwerft.<br />

4.Mose 13, 28.30 ; 14,1–31(in Auswahl)<br />

Diese Erzählung ist sechshundert bis tausend Jahre jünger <strong>als</strong> der<br />

Wüstenaufenthalt Israels. Die Priester-Schreiber haben ihre Gegenwart im Blick.<br />

Im Exil wartet Israel <strong>als</strong> verlorener Haufen, wieder kommt die Kriegsgeneration<br />

nicht heim, aber hoffentlich die Enkel, die Urenkel. Wieder kann es nicht sein,<br />

daß Gott sie vergessen hat. Wie würde Er sonst vor den Völkern blamiert<br />

dastehen, daß Er sein Volk an den Wassern Babylons sich totweinen lässt.<br />

Wieder lehren die Propheten wie vorher Mose, daß mangelndes Gottvertrauen<br />

das ganze Schlamassel heraufgeführt hat.<br />

Die Wüstenzeit ist für Israel die Traumzeit, das Ideal der Verlobungszeit des<br />

Volkes mit seinem Gott. Dort lernten sie: „Gott wird für euch streiten und ihr<br />

werdet stille sein“ (2. Mose 14,14). Aber die ferne Wüstenzeit war auch Vorbild<br />

für eine Hoffnung mit bitterem Geschmack. Was nur Übergang sein sollte,<br />

Wegstück vom Auszug aus dem Knechtshaus Ägypten bis zum Einzug nach<br />

Kanaan- wurde Schmerzenszeit, zerdehnte Zeit, bleierne Zeit- man war des<br />

ewigen Anfangs müde geworden (Manes Sperber).<br />

Ganze Generationen lagen wüst, ohne Gottesdienst, ohne Aussicht, Gott und ein<br />

gelobtes Land zu schauen, ohne überhaupt Spuren zu hinterlassen. Aber<br />

irgendwann schlug eine Generation Feuer aus der Asche, ein Heerführer hörte<br />

Gottes Ruf: Jetzt geht’s über den Jordan.<br />

*<br />

Ach Gott,<br />

Du bist das Lebendige in allem Fleisch<br />

4.Mose 16,22<br />

Wohl die grandioseste Bestimmung, wer, was Gott sei! Nah dran ist der<br />

Hinweis: Gott hauchte dem Adam seine Seele ein, <strong>als</strong>o gab von seinem Atem<br />

einen Hauch, gab von seinem Wesen dem Menschen ab (1.Mose2,7). Darum ist<br />

Sterben auch das Zurückgeben der Seele in seine Hände (Lukas 23,46).<br />

*<br />

Heute gibt Gott uns die Gebote<br />

Der Herr, unser Gott, hat einen Bund mit uns geschlossen am Sinai<br />

und hat nicht mit unsern Eltern diesen Bund geschlossen, sondern mit uns, die<br />

wir heute hier sind und jetzt leben. Er hat von Angesicht zu Angesicht mit euch<br />

aus dem Feuer auf dem Berge geredet.<br />

88


5.Mose 5,2-4<br />

Schon früher hatten die Gläubigen das Problem, dass ein „garstig breiter<br />

Graben“ (Gotthold E. Lessing) sich auftut zwischen ursprünglicher<br />

Gottesbegegnung und dem heutigen Zehren davon. Die lange Historie hat die<br />

Kraft der ersten Liebe ausgedörrt. Da muss eine neue Erweckung geschehen.<br />

Und das ist die kühne Weissagung von dam<strong>als</strong>: Die Gegenwärtigen sind<br />

gleichgestellt mit den ersten Zeugen. Jetzt hören wir Heutigen Gottes Stimme in<br />

den Geboten. Und wir leben in Gottes Gegenwart, vor seinem Angesicht. Die<br />

Vorigen waren nicht näher dran. Auch wir sind Kinder Gottes, jetzt.<br />

Den Priestern im 6. Jahrhundert v.Ch. war die aktuelle Gottesbegegnung so<br />

wichtig- jetzt geschieht die wahre Verkündung der Gebote.<br />

Das sei uns Beispiel, heute Gott gegenwärtig zu erfahren. Jetzt ist Sinai, und wir<br />

gehorchen oder nicht.<br />

*<br />

Jetzt mit in Ägypten<br />

Wenn dich nun deine Kinder morgen fragen werden: Was sind das für<br />

Mahnungen, Gebote und Rechte, die euch unser Gott geboten hat? Dann sollst<br />

du sagen: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater, dem Umkommen nahe,<br />

und zog hinab nach Ägypten und war dort ein Fremdling mit wenigen Leuten<br />

und wurde dort ein großes, starkes und zahlreiches Volk. Aber die Ägypter<br />

behandelten uns schlecht und bedrückten uns und legten uns harten Dienst auf.<br />

Da schrien wir zu dem Herrn, dem Gott unserer Väter und Mütter. Und der<br />

erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not und führte<br />

uns aus Ägypten mit mächtiger Hand und ausgerecktem Arm und mit großem<br />

Schrecken, durch Zeichen und Wunder, und brachte uns an diese Stätte und gab<br />

uns dies Land, darin Milch und Honig fließt.<br />

5.Mose 26,5-9<br />

Unseren Glauben schütteln wir uns nicht aus dem Ärmel. Wie man die Stadt<br />

nicht gebaut hat, in der man wohnt, so ist man auch in den Glauben eingezogen,<br />

der einen trägt, an dem man auch weiterbaut, der aber seine Wurzeln, seine<br />

Basis in unsern Vorfahren hat.<br />

Heute mit schnellem Internet und Patchwork- Familien verflüchtigt sich die<br />

Tradition. Wer erbt schon noch einen Jahrhunderte alten Bauernhof mit<br />

eingeschnitztem Stammbaum der Vorfahren. Allein schon das gedankenlose<br />

Aufgeben der Großeltern-Gräber zeigt ein vollkommenes Aufgehen in der<br />

Gegenwart. Jetzt gilt es die Chancen zu ergreifen, jetzt muss man überzeugen,<br />

jetzt flexibel und gewinnend sein, jetzt glücklich. Die einzige Tradition, die<br />

noch zählt, scheint das Geld zu sein.<br />

Und doch sehnen wir uns, zu einem guten Ganzen zu gehören. Aber die<br />

Fußballbegeisterung etwa und Vereinstreue geben nicht genug Halt. Gut, wer<br />

89


seine Familie hat, und weiß, wo er hingehört. Aber auch die Kleinfamilie kann<br />

nicht ewig bleiben.<br />

Gibt es was, was immer hält? Was mich hält und trägt?<br />

Als der Rest des zerschlagenen Israels nach Vertreibung und Exil wieder in<br />

seine alte Heimat kam, war diese verwüstet und leer. Was hatte man da an<br />

innerem Halt? Was konnte einem Kraft für Zukunft geben? Die Priesterschaft<br />

rief den Bau eines neuen Tempels aus und verklärte die Rückkehr aus Babylon<br />

<strong>als</strong> erneuten Auszug aus Ägypten und <strong>als</strong> neue Verkündung des Bundes mit<br />

seinem Gott. Dazu half es, daß Israel sich identifiziert mit den Vätern und<br />

Müttern des Glaubens und dem Volk Israel, das ins gelobte Land Einzug hielt.<br />

Ähnlich sangen sich die schwarzen Sklaven auf den Tabak-Feldern Virginias<br />

ihrer Befreiung entgegen, indem sie sich gleichsetzten mit dem Israel, das vor<br />

Pharao auszog.<br />

Wir sind mit der Kirchengliedschaft auch dieser langen Tradition zugehörig.<br />

Darum ist es so wichtig, daß wir Eltern und Großeltern unsere Kinder und Enkel<br />

einweihen in das Zusammengehören mit Israel und den frühen Christen und den<br />

Generationen, in denen Kirche die Gesellschaft geprägt hat.<br />

*<br />

Der große Mose bleibt zurück<br />

Und Mose stieg aus dem Jordantal auf den Berg Nebo, gegenüber Jericho. Und<br />

Gott zeigte ihm das ganze Land Gilead bis hin nach Dan und das ganze Naftali<br />

und das ganze Land Ephraim und Manasse und das ganze Land Juda bis an das<br />

Meer im Westen und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von<br />

Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar.<br />

Und Gott sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und<br />

Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben. - Du hast es<br />

mit deinen Augen gesehen, aber hinübergehen sollst du nicht.<br />

Mose starb im Land Moab, und Gott begrub seinen Knecht dort. Und niemand<br />

hat sein Grab erfahren bis auf den heutigen Tag.<br />

Mose war hundertundzwanzig Jahre alt, <strong>als</strong> er starb. Seine Augen waren nicht<br />

schwach geworden und seine Kraft war nicht verfallen. Und es stand hinfort<br />

kein Prophet in Israel auf wie Mose, mit dem Gott sprach von Angesicht zu<br />

Angesicht,<br />

5.Mose 34<br />

Mit Wehmut schließt die große Geschichte von Mose. Viel Idealisierung ist im<br />

Laufe der Jahrhunderte an seine Person angewachsen. Doch schon die Urfigur<br />

muss große Kraft gehabt haben. Mose hat Gott mit Geschichte und Recht und<br />

mit Israel verbunden. Mose ist der Architekt des Bündnisses: „Ich will euer Gott<br />

sein und ihr sollt mein Volk sein“(2.Mose 19,5.6). Bei allem Ungehorsam gibt<br />

er Israel und damit der Menschheit ein Existieren vor Gott „auf Augenhöhe“.<br />

90


Gott muss ihn sehr geliebt haben. Dabei hat Mose gemordet, hat gezweifelt und<br />

gehadert. Dem Volk Israel blieb immer im Gedächtnis, daß dieser Große<br />

draußen vor der Tür bleiben musste. Aber Gott hat ihn von eigener Hand<br />

beerdigt- was meinen kann, Gott hat ihn mitgenommen; Mose ist immer bei<br />

ihm.<br />

Josua<br />

* *<br />

Die Landnahme<br />

Nachdem Mose gestorben war, sprach Gott zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses<br />

Diener: Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über<br />

den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich den Israeliten,<br />

zugesagt habe.<br />

Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das<br />

große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hethiter, soll euer<br />

Gebiet sein.<br />

Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen<br />

bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir<br />

weichen. Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass<br />

dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der Herr, dein Gott, ist mit dir in<br />

allem, was du tun wirst.<br />

Josua 1,1-6.9<br />

Josua („Gott ist Retter“) ist die sagenhafte begnadete Figur, mit der Gott seinem<br />

Volk Heimatland beschafft. – Das biblische Buch Josua ist Teil des großen<br />

Geschichtswerkes, das die fünf Bücher Mose, die Bücher Josua, Richter, Samuel<br />

und Könige umfasst- 417 von den 906 Seiten des Alten Testamentes. Es hat die<br />

Zeit vom Schöpfungsanfang bis zum Ende des Reiches Israel zum Thema. Es<br />

wurde geschrieben in der babylonischen Exilgemeinde- nach 587 war ja<br />

Jerusalem und sein Tempel zerstört und die gesamte Oberschicht war nach<br />

Babylon verschleppt worden. Dort hatte die Priesterschaft Zeit, nachzudenken<br />

den Weg Gottes mit seinem störrischen Volk. Und sie wagten eine Prophetie auf<br />

künftige Heimkehr hin und neues Erstarken unter Gottes Führung.<br />

So nahm man die ferne Erinnerung an die Landnahme <strong>als</strong> Hoffnungsmaterial für<br />

den Blick nach vorn. Man wartete auf einen neuen Führer und einen erneuerten<br />

Glauben.<br />

Natürlich haben die Geschichten des Josua einen historischen Kern. Der aber ist<br />

nicht mehr isoliert zu finden. Was geblieben ist, ist das starke Gewebe des<br />

Glaubens an den geschichtsmächtigen Gott, der mit seinem Volk durch Leid zur<br />

Freude geht. Darum sind auch uns die Erfahrungen Israels, sei es aus dem 12.<br />

91


oder 6. Jahrhundert v. Chr., hilfreich. Jeder ist eingeladen, sich in der<br />

wiederholten Geschichte mit eingebettet zu finden. Jeder darf auf sich die<br />

wunderbare Zusage Gottes an Josua beziehen. Etwa zur Konfirmation wird<br />

dieses starke Segenswort weitergesagt in die nächste Generation: „Gott mit dir!“<br />

Du bist nicht allein. Es ist eine starke Energie bei dir. Du kannst beherzt an<br />

deine Sache gehen.<br />

Natürlich ist Gottes Beistand kein Freibrief für Dummheit und Angeberei. „Gott<br />

bei dir“ - das mache dich sanft, klug, barmherzig, es entfeinde dir die Welt; du<br />

provozierst nicht. Aber es braucht eine lange Zeit in der Schule Gottes, ihn<br />

eben nicht <strong>als</strong> Volks-Gott oder deinen Privat-Gott, <strong>als</strong> Garant für deine Vorteile<br />

zu sehen. „Gott mit dir“ macht dich nicht zum Sieger.- Das hat Israel in seiner<br />

langen Geschichte mühsam gelernt, das hat Deutschland gelernt, dessen<br />

Soldaten einst Koppelschlösser mit der Aufschrift „Gott mit uns„ trugen. Und<br />

wird jeder lernen, der meint, auf Erfolg und Gesundheit ein Recht zu haben.<br />

*<br />

Die Kundschafter in Jericho<br />

Josua sandte zwei Kundschafter aus: Geht hin, seht das Land an, auch Jericho.<br />

Sie gingen hin und nahmen Herberge im Haus der Hure Rahab. Das wurde dem<br />

Fürst von Jericho angezeigt. Der verlangte von Rahab, die Männer<br />

herauszugeben, es seien Spione. Aber die Frau verbarg die beiden; Sie hatte sie<br />

aufs Dach steigen lassen und unter Flachsstängeln versteckt.<br />

Und ehe die Männer sich schlafen legten, stieg sie zu ihnen hinauf auf das Dach<br />

und sprach zu ihnen: Ich weiß, dass Gott euch das Land gegeben hat; denn ein<br />

Schrecken vor euch ist über uns gefallen; wir haben gehört, wie Gott das Wasser<br />

im Schilfmeer ausgetrocknet hat für euch. Seitdem ist unser Herz verzagt und es<br />

wagt keiner mehr, vor euch zu atmen; denn euer Gott ist allmächtig.<br />

So schwört mir nun bei Gott, weil ich an euch Barmherzigkeit getan habe, dass<br />

auch ihr an mir Barmherzigkeit tut, und gebt mir ein sicheres Zeichen, dass ihr<br />

leben lasst meinen Vater, meine Mutter, meine Brüder und meine Schwestern<br />

und alles, was sie haben, und uns vom Tode errettet.<br />

Die Männer sprachen zu ihr: Belohnen wir dich nicht, wenn uns Gott das Land<br />

gibt, so wollen wir selbst des Todes sein, sofern du unsere Sache nicht verrätst.<br />

Da ließ Rahab sie an einem Seil durchs Fenster hernieder; denn ihr Haus war an<br />

der Stadtmauer. Die Männer sagten „Lebewohl“ und vesprachen: Wenn wir ins<br />

Land kommen, so sollst du dies rote Seil in das Fenster knüpfen, durch das du<br />

uns herniedergelassen hast, und zu dir ins Haus versammeln deinen Vater, deine<br />

Mutter, deine Brüder und deines Vaters ganzes Haus.<br />

Sie sprach: Es sei, wie ihr sagt!, und ließ sie gehen. Und sie gingen weg. Und sie<br />

knüpfte das rote Seil ins Fenster. Die Männer kamen heil zurück zu Josua und<br />

sprachen: Gott hat uns das ganze Land in unsere Hände gegeben. Das Land steht<br />

offen für uns.<br />

92


Josua 2<br />

Rahab, die „Männerfreundin“ hat im Jüdischen Heiligenkalender einen guten<br />

Namen. Sie hat Gott geholfen, seinem Volk zur Heimat zu verhelfen. Rahab<br />

spiegelt, wie Israel das Heilswerk gerne sieht: So gewaltig ist Gottes Einsatz für<br />

sein Israel, daß die andern Völker nur zittern können, ja, zur Verfügungsmasse<br />

„Heiden“ herabgestuft werden. Die sehen Israels Gott <strong>als</strong> allmächtig- im<br />

Vergleich zu ihren kleinen Lokalgöttern und sagen: „Unser Herz ist verzagt und<br />

es wagt keiner mehr, vor euch zu atmen; denn euer Gott ist allmächtig.“-<br />

So darf es Israel wohl sehen, aber der an Jesus geschulte Glaube weiß, daß Gott<br />

nicht das Glück der einen Kinder mit dem Unglück seiner anderen Kinder<br />

erkauft. Wohl sind die Vorräte an Land, Wasser, Nahrung knapp, und wir<br />

Menschen finden uns in Volks- und Interessenverbänden zusammen –um<br />

unseren Anteil uns zu sichern, auch gegen andere. Aber Gott will nicht Krieg,<br />

will auch nicht vereinnahmt werden <strong>als</strong> „unser“ Gott.<br />

Und doch haben immer Menschen für Siege gedankt und für Niederlagen Buß-<br />

und Bettage ausgerufen. Israels Einzug ins gelobte Land war ein Jahrhunderte<br />

lang dauerndes langsames Einsickern und Sichfestkrallen. Erst im Rückblick<br />

wurde es zum kurzen großen Triumphzug, wobei die Einnahme Jerichos und die<br />

Hilfe Rahabs ein Markstein war.<br />

Eine kleine Kostbarkeit am Rande: Der rote Faden, den wir oft brauchen, hat<br />

hier einen frühen Ort.<br />

*<br />

Die Einnahme Jerichos<br />

Unter Josua waren sie ins Land Kanaan gezogen. Sie hatten den Jordan<br />

durchquert, hatten die Bundeslade mit den Gesetzestafeln mitten im Fluss<br />

abgesetzt, und die Fluten stauten sich, dass sie hindurchziehen konnten. Und sie<br />

kamen zur großen Stadt Jericho.<br />

Jericho aber war verbarrikadiert vor den Israeliten.<br />

Aber Gott sprach zu Josua: Sieh, ich gebe Jericho samt seinem Fürsten und<br />

seinen Kriegsleuten in deine Hand. Lass eure Kriegsmänner rings um die Stadt<br />

herumgehen, einmal sechs Tage lang. Und lass sieben Priester sieben Posaunen<br />

tragen vor der Lade her, und am siebenten Tage zieht siebenmal um die Stadt<br />

und lass die Priester die Posaunen blasen. Und wenn man die Posaune bläst und<br />

es lange tönt, so soll das ganze Kriegsvolk ein großes Kriegsgeschrei erheben,<br />

wenn ihr den Schall der Posaune hört. Dann wird die Stadtmauer einfallen und<br />

das Kriegsvolk soll hinaufsteigen und die Stadt einnehmen. Und so geschah es.<br />

Josua 6,1-5<br />

Die Posaunen, die Jerichos Mauern wanken ließen, sind berühmt. Sie stehen für<br />

die Hand Gottes, die auch das Unmöglichscheinende möglich machen kann.<br />

Wenn sie will. Dürfen wir Gott bitten, zu unserm Vorteil und anderer Nachteil<br />

93


ins Geschehen einzugreifen? Gottes Wesen ist Kraftvergeudung, ist<br />

Verschwenden von Liebe. Gott weiß auch unsere Wünsche zu sortieren. Er tut<br />

nichts Unrechtes. Darum erfüllt er unsere Wünsche mehr, indem er es anders<br />

macht <strong>als</strong> wir erhoffen. Hinterher sehen wir, was richtig war.<br />

Ob die Mauern wankten durch den Hall der Posaunen? Israel erzählt es. Wenn<br />

ein hoher Ton Gläser splittern lassen kann, können auch Posaunen Mauern<br />

eindrücken, warum nicht? Israel erzählt, daß der Einzug ins gelobte Land eine<br />

Kette von Wundern war. Ist mein, dein Leben nicht auch wunderbar?<br />

Die „Posaunen von Jericho“ sind auch ein Bild für Geisteskraft, die siegt. Nicht<br />

nur „Heer oder Macht“ sondern Gottvertrauen und Willen und geistiges Ringen<br />

bewegen die Welt.<br />

Welche Mauern müssen bei dir einstürzen, daß dir neues Leben blüht?<br />

*<br />

Entscheidet euch<br />

Josua sprach zum Volk. Achtet Gott, dienet ihm recht und lasst die f<strong>als</strong>chen<br />

Götter fahren. Gefällt es euch aber nicht, dem einen Gott zu dienen, so wählt<br />

euch heute, wem ihr dienen wollt: Ich aber und mein Haus, wir wollen dem<br />

Herrn dienen.<br />

Josua 21, 13.14<br />

Es muss entschieden sein. Gott dienen- das ist zuerst ein Nein, dem Geld zu<br />

dienen, der Karriere, dem Siegersein, dem kleinen, eigenen Vorteil. Gott dienen<br />

heißt, seiner Schöpfung dienen- Mitmensch, Mitkreatur sein- nicht zertreten<br />

sondern zum Gedeihen helfen, was mutmaßlich der Herr gedeihen lassen will.<br />

Gott dienen- ist auch, sich seiner Wohltaten bedienen, ist Taugen, jenseits von<br />

Leistung; ist Sich schwach zeigen dürfen; neu anfangen können. Täglich gibt es<br />

vielm<strong>als</strong> ein Entweder-Oder. Machen wir es richtig.<br />

*<br />

Josuas letzte Rede<br />

Und nach langer Zeit, <strong>als</strong> Gott Israel Ruhe verschafft hatte vor allen seinen<br />

Feinden ringsumher und Josua nun alt war, rief er ganz Israel zusammen und<br />

redete diese Worte: Ich bin alt, und ihr habt alles gesehen, was euer Gott euch<br />

Gutes getan hat gegen alle diese Völker; euer Gott, hat selber für euch<br />

gestritten.<br />

Die Völker, die noch nicht unterworfen sind ringsum, die teile ich euch durchs<br />

Los zu; einem jeden Stamm sein Erbteil. Und der Herr, euer Gott, wird sie vor<br />

euch vertreiben, und ihr werdet ihr Land einnehmen, wie euch euer Gott,<br />

zugesagt hat.<br />

So haltet nun ganz fest daran, dass ihr alles tut, was geschrieben steht im<br />

Gesetzbuch des Mose, und nicht davon weicht, weder zur Rechten noch zur<br />

94


Linken, damit ihr euch nicht mengt unter diese Völker, die noch übrig sind bei<br />

euch, und nicht anruft und schwört bei dem Namen ihrer Götter noch ihnen dient<br />

noch sie anbetet, sondern dem Herrn, eurem Gott, sollt ihr anhängen, wie ihr bis<br />

auf diesen Tag getan habt.<br />

Der Herr hat vor euch große und mächtige Völker vertrieben, und niemand hat<br />

euch widerstanden bis auf diesen Tag. Einer von euch jagt tausend; denn euer<br />

Gott, streitet für euch, wie er euch zugesagt hat. Darum achtet ernstlich darauf<br />

um euer selbst willen, dass ihr den Herrn, euren Gott, lieb habt.<br />

Josua 23<br />

Israel blickt zurück auf seine glücklichste Zeit: Die Zeit der Landnahme – ging<br />

aber nicht so ideal und schnell vonstatten. Als Israel sesshaft geworden ist unter<br />

seinen Königen ab 1000 vor Chr., da schuf sich Israel seine Ideale Geschichte-<br />

im traumhaften Rückblick war Gott der wunderbare Held gewesen, der den<br />

zwölf Stämmen Israels Heimstatt gab.<br />

Unter dem Namen Josua ist die Jahrhunderte dauernde Landnahme<br />

zusammengezogen, zusammengeschnurrt. Das Land hat Gott für sein Volk<br />

beschafft –ein Leben in Gehorsam wäre die einzige richtige Antwort. Die<br />

Priester des 6. Jahrhunderts schreiben das große Geschichtswerk von der<br />

Schöpfung bis zum Heimatfinden Israels im Gelobten Land.<br />

Die Gegenwart sieht anders aus, sie ist gezeichnet von Armut, Mutlosigkeit,<br />

Ungehorsam und Verweltlichung. Die Propheten müssen Schwerstarbeit leisten,<br />

um Gott noch Gehör zu verschaffen. Ein Wiedererrichten des Tempels steht an.<br />

Da ist es gut zu erinnern, welchen allmächtigen Gott Israel an seiner Seite hat,<br />

auch wenn die goldnen Zeiten innigen Einvernehmens weit zurückliegen.<br />

Richter<br />

* *<br />

Es sollen umkommen, Gott, alle deine Feinde! Die dich aber lieb haben, sollen<br />

sein, wie die Sonne aufgeht in ihrer Pracht!<br />

Richter 5,31<br />

Im Buch Richter sind Geschichten der Eroberung Kanaans durch Israel<br />

versammelt. Immer wieder taucht der Satz auf „und sie konnten nicht<br />

einnehmen“. Doch auch ermutigende Geschichten sind hier überliefert. Groß ist<br />

der Stoßseufzer: „umkommen sollen alle Feinde Gottes!“ Israel sieht sich <strong>als</strong><br />

Streiter für die Ehre des Allmächtigen. Israel hält es für ausgeschlossen, diesem<br />

Gott nicht die Ehre zu geben. Aus Sicht Israels ist es ein Gott zum Lieben, weil<br />

er sich für dieses kleine Volk so müht. Und sie selber sollen strahlen, die Gottes<br />

Namen zum Strahlen bringen. Dass Gott nicht seine Feinde umbringt sondern<br />

sie bekehrt zu sich- ja, dass Gott keine Feinde hat, schlimmstenfalls<br />

Verblendete- das hat Jesus aufgetan.<br />

95


Ruth<br />

* *<br />

Zu der Zeit, <strong>als</strong> Richter richteten, entstand eine Hungersnot im Lande. Und ein<br />

Mann von Bethlehem in Juda zog aus ins Land der Moabiter, um dort <strong>als</strong><br />

Fremdling unterzukommen mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen.<br />

Der hieß Elimelech und seine Frau Noomi und seine beiden Söhne Machlon und<br />

Kiljon; die waren Efratiter aus Bethlehem in Juda. Und <strong>als</strong> sie ins Land der<br />

Moabiter gekommen waren, blieben sie dort. Und Elimelech, Noomis Mann,<br />

starb und sie blieb übrig mit ihren beiden Söhnen. Die nahmen moabitische<br />

Frauen; die eine hieß Orpa, die andere Ruth. Und <strong>als</strong> sie ungefähr zehn Jahre<br />

dort gewohnt hatten, starben auch die beiden, Machlon und Kiljon, sodass die<br />

Frau beide Söhne und ihren Mann überlebte.<br />

Da machte sie sich auf mit ihren beiden Schwiegertöchtern und zog aus dem<br />

Land der Moabiter wieder zurück; denn sie hatte erfahren im Moabiterland, dass<br />

Gott sich seines Volkes angenommen und ihnen Brot gegeben hatte.<br />

Und sie ging aus von dem Ort, wo sie gewesen war, und ihre beiden<br />

Schwiegertöchter mit ihr. Und <strong>als</strong> sie unterwegs waren, um ins Land Juda<br />

zurückzukehren, sprach sie zu ihren beiden Schwiegertöchtern: Kehrt um, eine<br />

jede ins Haus ihrer Mutter! Der Herr tue an euch Barmherzigkeit, wie ihr an den<br />

Toten und an mir getan habt.<br />

Der Herr gebe euch, dass ihr Ruhe findet, eine jede in eines neuen Mannes<br />

Hause! Und sie küsste sie. Da erhoben sie ihre Stimme und weinten. Ruth aber<br />

blieb bei ihr.<br />

Sie aber sprach: Siehe, deine Schwägerin ist umgekehrt zu ihrem Volk und zu<br />

ihrem Gott; kehre auch du um, deiner Schwägerin nach.<br />

Ruth antwortete: Rede mir nicht ein, dass ich dich verlassen und von dir<br />

weggehen soll.<br />

Wo du hingehst, da will ich auch hingehen; wo du bleibst, da bleibe ich auch.<br />

Dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe<br />

ich auch, da will ich auch begraben werden. Nur der Tod wird mich und dich<br />

scheiden.<br />

Später fand sie einen guten Mann namens Boas und gebar noch einen Sohn,<br />

namens Obed, der wurde Vater des Isai, der aber wurde Vater Davids.<br />

Ruth 1,1- 17; 4,13.22<br />

Zu den Helden der Menschheit, die uns das Alte Testament überliefert, gehören<br />

auch die großen Frauen: Sara, Rebecca, Lea, Rael, Mirjam, die Schwester des<br />

Mose und auch Ruth, die Urgroßmutter des David. Ruth singt ein hohes Lied der<br />

Treue, das zwar ihrer Schwiegermutter gilt und doch zum Hochzeitswort erster<br />

Klasse geworden ist: Ein Weg, eine Bleibe, ein Volk, ein Glaube, eine Zukunft,<br />

96


(ein Konto) ein Grab- inniger kann sich Liebe nicht ausdrücken- Über Volk und<br />

Einzelnem steht das Paar, die intensive Befreundung, die nur der Tod zu<br />

scheiden vermag.<br />

1.Samuel<br />

* *<br />

Ein starkes Lied<br />

Hanna und Elkana hatten keine Kinder. Aber nach viel Warten und Beten<br />

wurde Hanna schwanger und gebar Samuel-„ich habe ihn von Gott erbeten“.<br />

Sie jubelte und sprach:<br />

Mein Herz ist fröhlich in Gott, er hat gemacht, daß ich wieder erhobenen<br />

Hauptes dastehe. Niemand ist heilig wie der Herr, außer dir ist keiner, und ist<br />

kein Fels, wie unser Gott ist.<br />

1.Samuel 1.20; 2,1.2<br />

Eine ganz persönliche Not wird gewendet. Und ein jauchzendes Lied findet ins<br />

Freie, ein Triumphlied, in das ein Volk seine Not und Rettung mit einzeichnen<br />

kann. Es ist ein Heilsruf voller Kraft bis heute.<br />

Die Geburt eines Kindes wird <strong>als</strong> Schöpfungswerk erlebt. Hanna sieht ihren<br />

persönlichen Mangel gewendet, sieht sich <strong>als</strong> Mitarbeiterin Gottes, <strong>als</strong><br />

Mitschöpferin. Hat nicht jede Frau, die ein Kind geboren hat, dieses grandiose<br />

Gefühl, den Sohn, die Tochter Gottes zur Welt gebracht zu haben? Hanna<br />

jedenfalls sieht sich erhoben. Und erlebt sich <strong>als</strong> Verkünderin des Glanzes<br />

Gottes.<br />

*<br />

Der das Wechselbad des Lebens anrichtet<br />

Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit<br />

Stärke. Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten,<br />

hungert nicht mehr.<br />

Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin.<br />

1.Samuel 2,4.5<br />

Es ist eine besondere Leidenschaft Gottes, die Erniedrigten aufzuheben. Und die<br />

Hungrigen wieder zu sättigen. Starke sollen nicht stark bleiben, schwache nicht<br />

schwach. Wandel treibt die Geschichte. Die Mächtigen haben keine Garantien;<br />

“ein Wörtlein kann sie fällen“ (Martin Luther).<br />

97


Bonhoeffer schreibt, „dass die prinzipielle Aufhebung der göttlichen Gebote im<br />

vermeintlichen Interesse der Selbsterhaltung gerade dem Interesse der<br />

Selbsterhaltung entgegenwirkt… Es ist so eingerichtet in der Welt, dass die<br />

grundsätzliche Achtung der letzten Gesetze und Rechte des Lebens zugleich der<br />

Selbsterhaltung am dienlichsten ist.“ Wird grundsätzlich gesündigt, kommt man<br />

zu Fall, unerbittlich, es ist nur eine Frage der Zeit.<br />

*<br />

Beides<br />

Der Herr tötet und macht lebendig, er führt hinab zu den Toten und wieder<br />

herauf.<br />

Gott macht arm und macht reich; erniedrigt und erhöht.<br />

Er hebt den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass<br />

er ihn setze unter die Fürsten. Denn die Grundfesten der Welt sind sein.<br />

1.Samuel 2,6-8<br />

Alle Macht, alle Energien gehören Gott. Leben anrichten, es erhalten und dann<br />

auch ausgehen lassen ist seine Sache. Aber er hat keine Freude an Schmerzen,<br />

Jammer, Tränen. Seine Leidenschaft ist Freude, Liebe, Gelingen, Entwickeln.<br />

Doch der Lauf der Natur zerstört auch, und seine geliebten Menschen können zu<br />

Mördern werden. Und es ist seine Natur und es sind seine Menschen.<br />

Gott übernimmt für alles letztlich die Haftung. Der Fluß des Lebens fließt in<br />

ihm, alles Grauen fällt auf Gottes Seele. Darum aber hat aller Jammer Hoffnung<br />

am Horizont, alle Tränen der Nacht warten auf den neuen Morgen. Es ist<br />

Aussicht auf Besserung. Schon werden viele Arme gerettet. Schon ist viel mehr<br />

Freude <strong>als</strong> Hass, sonst wären wir längst untergegangen. Das kommt davon, daß<br />

Gott eine Tendenz zum Guten ins Werden eingesät hat. Diese aufspüren und sie<br />

mehren und sie feiern ist unser Auftrag.<br />

*<br />

König Saul<br />

Der Prophet Samuel sprach zu Saul: Gott hat mich gesandt, dass ich dich zum<br />

König salben soll über sein Volk Israel.<br />

Nach Jahren der Herrschaft Sauls geschah ein anderes Wort Gottes zu Samuel:<br />

Es reut mich, dass ich Saul zum König gemacht habe; denn er hat sich von mir<br />

abgewandt und meine Befehle nicht erfüllt.<br />

Darüber wurde Samuel zornig und schrie zu Gott die ganze Nacht. Dann ging er<br />

zu Saul und richtete ihm Gottes Wort aus: Du hast Gottes Weisung verworfen.<br />

Weil du sein Wort verworfen hast, hat er dich auch verworfen, dass du nicht<br />

mehr König seiest.<br />

Und Samuel wandte sich um zum Weggehen. Da ergriff ihn Saul bei einem<br />

Zipfel seines Rocks; aber der riss ab. Da sprach Samuel zu ihm: Gott hat das<br />

98


Königtum Israels heute von dir gerissen und einem anderen gegeben, der besser<br />

ist <strong>als</strong> du. Und Samuel sah Saul fortan nicht mehr bis an den Tag seines Todes.<br />

Aber doch trug Samuel Leid um Saul, weil es Gott gereut hatte, dass er Saul<br />

zum König über Israel gemacht hatte.<br />

1. Samuel 15,1.11;23,27.28.35<br />

Das Werden des Königtums in Israel liegt im Dunkeln. Aus den Großfamilien<br />

mit ihren Patriarchen wurden Volksstämme mit charismatischen Führern. Etwa<br />

1100- 1000 v.Ch. hatten die Stämme Israels soweit zusammengefunden, dass sie<br />

wie die Ländern ringsum, einen Bund unter einem König wollten.<br />

Der erste König Saul war glücklos. Der Prophet Samuel, der eigentlich im<br />

Königtum einen Abfall vom einzigen König, Gott allein, sah, hatte widerwillig<br />

Saul zum König gesalbt. Als er jetzt diesem die Kündigung überbringen sollte,<br />

war ihm Saul ans Herz gewachsen und er haderte mit Gott, fügte sich dann aber<br />

doch.<br />

Israel hatte ein einzig inniges Verhältnis zu Gott, Israel konnte mit Gott<br />

schimpfen und ihm auch unterjubeln, er sei wankelmütig. Wenn Israel annimmt,<br />

Gott könne auch Fehler machen, dann ist es nur menschlich von Gott gedacht,<br />

dass ihn auch was reuen kann.<br />

Seit Jesus denken wir da anders drüber. Gott weiß, was aus was wird. Und er<br />

will sich nie mehr die Schöpfung des Menschen gereuen lassen. Er steht zu<br />

seinem Werk und wird es vollenden. Bis dahin leidet er die Grausamkeiten<br />

seiner Menschen und das Leid aller Kreatur mit.<br />

*<br />

David wird zum König gesalbt<br />

Gott sprach zu Samuel: Fülle dein Horn mit Öl: Ich will dich senden zu dem<br />

Bethlehemiter Isai; denn unter seinen Söhnen hab ich mir einen zum König<br />

ersehen.<br />

Und Samuel kam nach Bethlehem. Und sprach: Mein Kommen bedeutet Heil.<br />

Kommt mit mir zum Opfer. Und er segnete den Isai und seine Söhne.<br />

Als sie nun kamen, sah er zunächst den Eliab an und dachte: Fürwahr, das ist der<br />

Gesalbte.<br />

Aber Gott sprach zu Samuel: Schau nicht auf sein Aussehen und seinen hohen<br />

Wuchs. Menschen sehen, was vor Augen ist; Gott aber sieht das Herz an.<br />

Da rief Isai den Abinadab und ließ ihn an Samuel vorübergehen, ebenso seine<br />

anderen Söhne. Aber Samuel sprach zu Isai: Gott hat keinen von ihnen erwählt.<br />

Aber sag: Sind das alle Knaben? Er aber sprach: Es ist noch übrig der jüngste;<br />

der hütet die Schafe. Da sprach Samuel zu Isai: Lass ihn holen; Und <strong>als</strong> er kam,<br />

sprach Gott: Auf, salbe ihn, denn der ist’s.<br />

Da nahm Samuel sein Ölhorn und salbte ihn mitten unter seinen Brüdern. Und<br />

der Geist Gottes geriet über David von dem Tag an.<br />

1.Samuel 16, 1-13<br />

99


Eine Geschichte mit Hintergrund: Schon bald entwickelt sich in Israel ein<br />

Königtum der Erbfolge- die Erinnerung entschwand, daß Gott selbst der König<br />

Israels sei und sogar <strong>als</strong> Heerführer dem streitbaren Volk vorausging. Die ersten<br />

beiden Könige werden noch erwählt durch den Propheten. Der weiß, wen Gott<br />

meint. Doch auch er ist bedroht, durch augenscheinliche Begeisterung. Auch er<br />

muss lernen, dass für Gott die inneren Werte zählen.<br />

Hinter der Herde hervorgegriffen wird der später so große David. Es soll<br />

eingeschärft bleiben, daß der Mensch zum Helden wird, indem Gott ihn besetzt<br />

und begeistert.<br />

„Von Jesse kam die Art“ singt das Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“-<br />

Die „Wurzel Jesse“ (Isai) aus Bethlehem weist zurück auf Jesu Vorfahren, die<br />

glaubensstarke Ruth, Jakob und Abraham- den „Vater des Glaubens“. Durch<br />

Jesu Geburt in Bethlehem wird später klargestellt, daß der irdische Vater Jesu,<br />

Josef, „aus dem Hause und Geschlechte Davids“ stammt, <strong>als</strong>o von weit her<br />

gewollt ist.<br />

*<br />

David kommt an Sauls Hof<br />

Der Geist des Herrn aber wich von Saul und ein böser Geist von Gott her<br />

ängstete ihn.<br />

Da sprach Saul zu seinen Leuten: Seht euch um nach Einem, der des<br />

Harfenspiels kundig ist, dass er mir spiele, wenn der böse Geist Gottes über<br />

mich kommt. Einer der Berater Sauls wusste, daß ein Sohn Isais Harfe spielen<br />

konnte. Man rief ihn und so kam David zu Saul und diente ihm. Und Saul<br />

gewann ihn sehr lieb und er wurde sein Waffenträger.<br />

Und sooft der böse Geist von Gott über Saul kam, nahm David die Harfe und<br />

spielte darauf. So wurde es Saul leichter und es ward besser mit ihm und der<br />

böse Geist wich von ihm.<br />

1. Samuel 16,14-23<br />

Bedrückend ist der Verfall, den ein Mensch erleiden muss, sehenden Auges.<br />

Saul weiss um sich. Er fühlt seine guten Kräfte schwinden und dass böse Ängste<br />

ihn besetzen. Ist Gott Urheber aller Macht, ist auch böser Geist aus seinem<br />

Schatz- und wenn es nur so ist, daß der gute Geist nachlässt und dadurch die<br />

dem Menschen eingegebenen dunklen Instinkte durchbrechen. Wenn alle guten<br />

Kräfte von Gott kommen, ist der Mangel guter Kräfte auch von Gott – er bleibt<br />

zuständig und verantwortlich. Wahrlich schwer ists- Gott zu sein.<br />

Zu den guten Kräften gehört sicher die Musik. Ein guter Gesang wischt die<br />

Angst vom Herzen- schon mitsingen, mitklingen dürfen, verschafft Luft gegen<br />

die Erstickung an sich selbst. Luther sagte: „Die Musik ist aller Bewegung des<br />

Herzens eine Regiererin. Nichts auf Erden ist stärker, die Traurigen fröhlich, die<br />

Fröhlichen nachdenklich, die Verzagten mutig zu machen und die<br />

100


Überheblichen zum Maßhalten zu führen- und Neid und Hass zu lindern <strong>als</strong> die<br />

Musik.“<br />

*<br />

Immer wieder David gegen Goliat<br />

Die Philister sammelten ihr Heer und auch die Männer Israels unter König Saul<br />

rüsteten sich zum Kampf. Da trat aus den Reihen der Philister ein Riesenkerl auf<br />

mit Namen Goliat. Der war mit Helm, Schuppenpanzer und Bein-Schienen<br />

geschützt, er trug einen eisernen Wurfspieß auf seiner Schulter, ein Schildträger<br />

ging ihm voran.<br />

Der Riese baute sich vor Israels Heer auf und rief: Erwählt einen unter euch, der<br />

zu mir herauskommen soll. Kann er mich besiegen, so wollen wir eure Knechte<br />

sein; vermag ich aber über ihn zu siegen, so sollt ihr unsere Knechte sein und<br />

uns dienen. Als Israel diese Rede des Philisters hörte, fürchteten sie sich sehr.<br />

Es gab da aber einen Jüngling namens David, Sohn des Isai aus Bethlehem<br />

Efrata in Juda. Der hütete noch die Schafe der Eltern. Einmal brachte er wieder<br />

seinen Brüdern, die in den Diensten Sauls standen, zu essen. Und <strong>als</strong> er sich<br />

noch mit ihnen unterhielt, da kam der Goliat herauf und redete Hohn und Spott<br />

gegen Israel.<br />

König Saul aber lobte hohe Belohnung aus: Wer ihn erschlägt, den will der<br />

König reich machen und ihm seine Tochter geben und will ihm seines Vaters<br />

Haus frei machen von allen Steuern.<br />

Da sprach David zu den Männern: Bringt mich vor Saul. Und man brachte ihn<br />

zum König.<br />

Und David sprach zu Saul: Wegen dem lasse keiner den Mut sinken; dein<br />

Knecht wird hingehen und mit diesem Philister kämpfen. Ich habe <strong>als</strong> Hirte<br />

Löwen und Bären erschlagen, und der Gott, der mich von Löwen und Bären<br />

errettet hat, der wird mich auch erretten von diesem Philister. Und Saul sprach<br />

zu David: Geh hin, Gott sei mit dir!<br />

Und David nahm seinen Stab in die Hand und wählte glatte Steine aus dem Bach<br />

und tat sie in die Hirtentasche, und nahm die Schleuder in die Hand und ging<br />

dem Philister entgegen.<br />

Der sprach zu David: Bin ich denn ein Hund, dass du mit einem Stecken zu mir<br />

kommst? Und der Philister fluchte dem David bei seinem Gott. David aber<br />

sprach zu dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwert, Lanze und Spieß, ich<br />

aber komme zu dir im Namen des Herrn der himmlischen Heerscharen, den du<br />

verhöhnt hast. Heute wird dich Gott in meine Hand geben.<br />

Und er nahm einen Stein aus der Tasche und schleuderte ihn- er traf den<br />

Philister so, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein<br />

Angesicht.<br />

So überwand David den Philister mit Schleuder und Stein und traf und tötete<br />

ihn. Als aber die Philister sahen, dass ihr Stärkster tot war, flohen sie alle.<br />

1.Samuel 17 in Auswahl<br />

101


David gegen Goliat –das ist bis heute Muster für das ungleiche, feindliche Paar.<br />

Der Riese steht für Macht, der Kleine für Gewitztheit. Der eine für Getöse und<br />

große Reden, der andere für Gottvertrauen. David ist auch der Held für<br />

steinewerfendes Jungvolk gegen Militär und Panzer; der entgegenstürmende<br />

David steht auch für Partisanen, die große Militärmaschinen überrumpeln. Und<br />

David steht für alle, die für eine Überzeugung streiten; ja, die im Namen ihres<br />

Gottes kämpfen.<br />

Fraglich ist, ob David einen oder fünf Steine bei sich hatte- ob er mehrere<br />

Versuche veranschlagt oder alles auf eine Karte setzt. Wenn Gott diesen Krieg<br />

kämpft, reicht einer, könnte man denken. Aber auch der zweite oder dritte<br />

Versuch kann gesegnet sein.<br />

Diese Geschichte ist auch Modell für das Sich nicht unterkriegenlassen in<br />

aussichtslos scheinenden Lagen. Wenn du glaubst, daß Gott für dich kämpft,<br />

dann setz auf Geduld, Vernunft, Entgegenkommen, auf Argumente statt<br />

Waffen. Alle Zukurzgekommenen dürfen immer noch Gott auf ihrer Seite<br />

wissen. Da kann ein Wörtlein die Sache wenden. Im Lutherfilm spielte Peter<br />

Ustinow den Kurfürsten Friedrich, der mit Geschick und List und<br />

Zeitverzögerung dem großen Kaiser Maximilian den Mönch abluchste und in<br />

die Sicherheit der Wartburg verbrachte. Und so wurde die Reformation.<br />

2.Samuel<br />

* *<br />

Gottes Verheißung für David und sein Königtum<br />

König Saul hatte den Krieg gegen die Philister dann aber doch verloren, auch<br />

sein Sohn Jonatan war umgekommen. Da wollte Saul nicht mehr leben und<br />

stürzte sich in sein eigenes Schwert. David aber hielt Trauer um Saul und<br />

Jonatan. Dann wurde er König über Israel und Jerusalem, er wurde groß und<br />

mächtig.<br />

Eines Tages, <strong>als</strong> der König in seinem Hause saß und Gott ihm Ruhe gegeben<br />

hatte vor allen seinen Feinden, sprach er zu dem Propheten Nathan: Das kann<br />

doch nicht angehen: Ich wohne in einem Zedernhause , und die Lade Gottes<br />

102


steht unter Zeltdecken. Ich will dem Herrn ein Haus bauen.<br />

Aber Gott ließ ihm durch Nathan ausrichten: Wenn deine Zeit um ist und du<br />

dich zu deinen Vorfahren schlafen legst, will ich deinem Nachkommen dein<br />

Königtum bestätigen. Der soll meinem Namen ein Haus bauen. Dein Haus und<br />

dein Königtum sollen beständig sein in Ewigkeit vor mir. Ich will sein Vater<br />

sein und er soll mein Sohn sein.<br />

Als Nathan dies dem David gesagt hatte, fiel der König nieder und sprach: Wer,<br />

Gott, bin ich, dass du mich bis hierher gebracht hast? Und was soll ich dir noch<br />

sagen? Du kennst ja deinen Knecht, Herr, mein Gott. Und du hast dir dein Volk<br />

Israel zubereitet, dir zum Volk für ewig, und du bist ihr Gott geworden. Mit<br />

deinem Segen wird deines Knechtes Haus gesegnet sein ewiglich.<br />

Aus 2.Samuel 7<br />

Das ist ein großes Stück Theologie, ein abschließendes Denkstück von der<br />

Vertrautheit Davids mit Gott und dessen weitreichender Verheißung.<br />

Gut möglich, daß David voll überschäumender Dankbarkeit mal Gott ein großes<br />

Haus bauen wollte. Der gute Wille aber wird von Gott selbst vertagt auf den<br />

Nachfolger. Eine entscheidende Korrektur wird festgeschrieben: Nicht Gott<br />

bekommt ein Haus- höchstens der Name bekommt – eine Schatulle? Dies klärt,<br />

daß die Gegenwart Gottes nicht hinter Schloss und Riegel festgesetzt sein kann.<br />

Gott legt sich auch fest auf Israel <strong>als</strong> Sein Volk- und den König <strong>als</strong> Seinen Sohn.<br />

Der König wird zum Sohn Gottes adoptiert- was später ein Denkmuster für die<br />

Gottessohnschaft Jesu abgibt.<br />

*<br />

Davids große Schuld<br />

Eines Abends erging sich David auf dem Dachgarten des Königshauses; da sah<br />

er gegenüber eine Frau sich waschen; und die Frau war von sehr schöner<br />

Gestalt. Und David ließ nach der Frau fragen und man sagte: Das ist Batseba,<br />

die Frau des Hauptmanns Uria.<br />

David ließ sie holen und schlief mit ihr. Und die Frau wurde schwanger und ließ<br />

David das ausrichten. Da schickte David Nachricht an Joab, den Kommandanten<br />

der Truppen, die gegen die Ammoniter im Krieg waren: Gib Uria ein paar Tage<br />

frei, daß er sich um seine Frau kümmere, gib ihm Geschenke mit.<br />

Uria ging zwar nach Jerusalem, aber er legte sich schlafen vor der Tür des<br />

Königshauses, wo andere Kriegsleute seines Herrn auch lagen, und ging nicht<br />

hinab in sein Haus.<br />

Als man das dem David ansagte, ließ er Uria kommen und fragte ihn, warum er<br />

es sich nicht gut gehen lasse bei dem kurzen Heimaturlaub. Uria aber sprach zu<br />

David: Die Kameraden liegen auf freiem Felde, und ich sollte in mein Haus<br />

gehen, um zu essen und zu trinken und bei meiner Frau zu liegen? So wahr Gott<br />

lebt: Ich tue es nicht. David aber lud ihn ein, und machte ihn betrunken. Und<br />

trotzdem ging er nicht hinab in sein Haus.<br />

103


Am andern Morgen schrieb David einen Brief an Joab und sandte ihn durch<br />

Uria. Er schrieb in dem Brief: Stellt Uria an die vorderste Front; dort, wo der<br />

Kampf am härtesten ist, und zieht euch hinter ihm zurück, dass er erschlagen<br />

werde und sterbe.<br />

Als nun Joab die Stadt belagerte, stellte er Uria dorthin, wo er wusste, dass dort<br />

eine Übermacht war. Und Uria starb, wie geplant.<br />

Und <strong>als</strong> Urias Frau hörte, dass ihr Mann Uria tot war, hielt sie Totenklage um<br />

ihren Ehemann. Sobald sie ausgetrauert hatte, sandte David hin und ließ sie in<br />

sein Haus holen, und sie wurde seine Frau und gebar einen Sohn. Aber Gott<br />

missfiel die Tat, die David getan hatte.<br />

Aus 2. Samuel 11<br />

Auch der von Gott Erwählte ist nicht vor Sünden geschützt. Ja, bei den großen<br />

Lichtern des Herrn ist auch viel Schatten. Aber Gott geht mit dem Menschen<br />

und seiner Last. Es bleibt die Frage, warum Gott uns in die Falle von Schuld so<br />

tappen lässt. Das ist wohl des Menschen Glanz und Elend- dass ihm vorgelegt<br />

wird Gut und Böse und er entscheiden muss. Und er kann sein Leben ändern,<br />

kann ein anderes Leben erhalten, wenn er imstande ist, mit seinem ersten Leben<br />

gründlich aufzuräumen. Aber das bekannte Unglück ist einem näher <strong>als</strong> das<br />

unbekannte Glück. Darum bleiben wir meist, die wir sind.<br />

An David zeigt sich die Versuchung der Macht. Er ist gierig, die Frau sich zu<br />

Willens zu machen; die Liebesnacht wird vom Schicksal, von Gott zur Zeugung<br />

genutzt. Der im Krieg weilende Ehemann wird nach Haus beordert, ein Lieben<br />

der Eheleute soll den Seitensprung vertuschen. Der Mann will aber keine<br />

Vorzugsbehandlung, er geht nicht nach Hause- so wird er leider umgebracht-<br />

und transportiert vorher unwissentlich den ihn betreffenden Mordbefehl.<br />

Und der Feldherr kuscht und die Frau kuscht und der König feiert nach der<br />

Schamfrist Hochzeit mit der Witwe des Ermordeten.<br />

Gut, dass Gott weiss. Wäre Gott nicht, wäre alles erlaubt, so Dostojewski. Aber<br />

Gott missfiel… ist die Rettung.<br />

Nathans Strafrede.<br />

Und Gott sandte den Propheten Nathan zu David. Der sprach zu ihm: Höre zu:<br />

Es waren zwei Männer in einer Stadt, der eine reich, der andere arm.<br />

Der Reiche hatte viele Schafe und Rinder; aber der Arme hatte nichts <strong>als</strong> ein<br />

einziges kleines Schäflein. Das nährte er, auf dass es groß würde zugleich mit<br />

seinen Kindern. Es aß von seinem Bissen und trank aus seinem Becher und<br />

schlief in seinem Schoß und er hielt’s wie sein Kind.<br />

Als aber zu dem reichen Mann ein Gast kam, brachte er’s nicht über sich, von<br />

seinen Schafen und Rindern zu nehmen, um dem Gast etwas zuzurichten-<br />

sondern er nahm das Schaf des armen Mannes und richtete es dem Mann zu, der<br />

zu ihm gekommen war.<br />

104


Da geriet David in großen Zorn über den Mann und sprach zu Nathan: So wahr<br />

Gott lebt: Der Mann ist des Todes, der das getan hat!<br />

Da sprach Nathan zu David: Du bist der Mann!<br />

So spricht Gott: Es soll von deinem Hause das Schwert nimmermehr lassen und<br />

auch dir soll die Frau genommen werden. Da sprach David zu Nathan: Ich habe<br />

gesündigt gegen Gott.<br />

Nathan sprach dann zu David: So hat auch Gott deine Sünde weggenommen; du<br />

wirst nicht sterben. Aber weil du die Ungläubigen durch diese Sache zum<br />

Lästern gebracht hast, wird der Sohn, der dir geboren ist, des Todes sterben.<br />

2.Samuel 12,1-14<br />

Grandios ist Nathans Bußpredigt- ein Muster an Entlarvung Der eben noch<br />

meinte, Richter zu sein, erkennt sich <strong>als</strong> Täter. Sein Richtspruch trifft ihn selbst.<br />

David bekennt sich schuldig und bereut. Er übernimmt Strafe.<br />

Das Sterben des Kindes <strong>als</strong> Strafe ist uns nicht nachvollziehbar. Aber die<br />

Früheren billigten dem Kind noch keinen Eigenwert zu. Die Frau war noch<br />

Besitz des Mannes und das Kind Besitz des Vaters. Erst in längerem Umgang<br />

Gottes mit den Menschen wird erkennbar, daß die Würde jedes Menschen<br />

unantastbar ist.<br />

David führte Krieg um Krieg, er gründete das Königreich Israel, mit „seiner“<br />

Stadt Jerusalem <strong>als</strong> Mittelpunkt und Klammer der beiden Reiche Israel und<br />

Juda. Israel hatte eine Ausdehnung die nie mehr überboten wurde, was Grund<br />

war für die später immer wieder aufflammende Sehnsucht nach der Wiederkunft<br />

eines neuen Davids.<br />

Die Söhne Amnon und Absalom starben. Nach langem Zögern in hohem Alter<br />

setzt er seinen Sohn Salomo <strong>als</strong> Nachfolger ein. Dessen heilsames Singen und<br />

Saitenspiel war berühmt, viele Psalmen sollen auf ihn zurückgehen. Von ihm<br />

gilt wohl: Glücklich, wer sich Glücken geschehen lässt.<br />

1.Könige<br />

Salomo hat Gott lieb<br />

* *<br />

105


Und Salomo nahm die Tochter des Pharaos von Ägypten zur Frau und brachte<br />

sie in die Stadt Jerusalem. Aber es brauchte noch viel Zeit, bis er sein Haus und<br />

Gottes Haus und die Mauer um die Stadt gebaut hatte.<br />

Salomo aber liebte Gott. Und Gott erschien Salomo im Traum des Nachts und<br />

sprach: Bitte, was ich dir geben soll! Salomo sprach: Ich bin noch jung und<br />

ahnungslos. Gib du deinem Knecht ein gehorsames Herz, damit er dein Volk<br />

lenken könne und verstehe, was gut und böse ist.<br />

Das gefiel dem Herrn gut. Und Gott sprach zu ihm: Du bittest klug. So gebe ich<br />

dir ein weises Herz Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast,<br />

nämlich Reichtum und Ehre.<br />

Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, <strong>als</strong>o meine Gebote hältst, so<br />

werde ich dir ein langes Leben geben.<br />

Und <strong>als</strong> Salomo erwachte, siehe, da war es ein Traum. Und er kam nach<br />

Jerusalem und trat vor die Lade des Bundes des Herrn und opferte Brandopfer<br />

und Dankopfer und machte ein großes Festmahl.<br />

1.Könige 3, 1-15<br />

König Salomos Regierungszeit von 962-926 war Israels große Zeit. Salomo muß<br />

wohl klug und fromm gewesen sein- eine glückhafter Mischung. Klugheit lehrt,<br />

die Wirklichkeit zu nutzen in den Grenzen des Erlaubten. Die Gebote sind ihm<br />

Leitlinien für gelingendes Leben. Großmut und Dankbarkeit gegen Gott und das<br />

Leben zeichnen ihn aus. Er kann Dienen und Genießen zusammenhalten, kann<br />

leuchten ohne zuviel Schatten zu werfen. Seine Weisheit ist sprichwörtlich<br />

geworden.<br />

*<br />

106


Salomos Urteil<br />

Es kamen zwei Frauen mit einer Klage zu König Salomo. Und die eine sprach:<br />

Ach, mein Herr, ich und diese Frau wohnten in einem Hause und ich gebar dort.<br />

Drei Tage später gebar auch sie. Und der Sohn dieser Frau starb in der Nacht;<br />

sie hatte ihn im Schlaf erdrückt. Sie stand in der Nacht auf und nahm meinen<br />

Sohn von meiner Seite, <strong>als</strong> deine Magd schlief, und legte ihn in ihren Arm, und<br />

ihren toten Sohn legte sie in meinen Arm.<br />

Und <strong>als</strong> ich des Morgens aufstand, um meinen Sohn zu stillen, siehe, da war er<br />

tot. Aber ich sah ihn genau an, und ich erschrak- es war nicht mein Sohn, den<br />

ich geboren hatte.<br />

Die andere Frau sprach: Nein, umgekehrt: mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist<br />

tot. Und jene: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. Und so redeten sie<br />

vor dem König.<br />

Und der König sprach: Diese spricht: Mein Sohn lebt, doch dein Sohn ist tot;<br />

Jene spricht: Nein, dein Sohn ist tot, doch mein Sohn lebt. Holt mir ein Schwert!<br />

Und <strong>als</strong> das Schwert vor den König gebracht wurde, sprach der König: Teilt das<br />

Kind in zwei Teile und gebt dieser die eine Hälfte und jener die andere.<br />

Da sagte die eine Frau: Ach, mein Herr, gebt ihr das Kind und tötet es nicht! Da<br />

antwortete der König und sprach: Nimm das Kind. Du bist seine Mutter.<br />

Und ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie<br />

achteten mit Ehre den König; denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm<br />

war.<br />

1.Könige 3,16-28<br />

Vernunft und gesunder Menschenverstand, Menschenkenntnis und hellsichtige<br />

Wachheit sind Gaben Gottes- König Salomo wurde weise genannt, Seine<br />

Sprüche, seine Sentenzen und diese Geschichte machten ihn weltberühmt.<br />

Zwei Frauen streiten um ein Kind, beide geben sich <strong>als</strong> die Kindsmutter aus. Im<br />

„Kaukasischen Kreidekreis“ (nach Bert Brecht) sollen die Mütter eine<br />

Entscheidung herbei führen, indem sie eigenhändig das Kind zu sich zerren<br />

sollen. Ob Schwert oder Reißen- eine Frau gibt nach: Lieber will sie verzichten<br />

<strong>als</strong> dem Kind Leid zufügen. Und der weise König ernennt sie zur wahren<br />

Mutter.<br />

Damit ist ein Grundsatzurteil zugunsten des Kindes gefällt: Mutter ist, wer<br />

mütterlich mit dem Kind umgeht, nicht unbedingt die, die geboren hat. Nicht<br />

Fleisch und Blut sondern die Liebe macht einander verwandt.<br />

Das ist die zweite Schwächung des Blut- und Bodenrechtes der Urzeit.<br />

Vorangegangen war schon das Verbot des Kindesopfers. Abraham darf den<br />

Sohn Isaak nicht opfern, selbst wenn er den Befehl dazu von seinem Gott<br />

erhalten haben sollte; das ist Gottes Auftrag. Also dürfen die Väter auch nicht<br />

mehr die Söhne in ihren Krieg schicken.<br />

107


Sowohl bei Abraham <strong>als</strong> bei Salomo fängt die Erkenntnis an zu keimen: Die<br />

Eltern sind für die Kinder da, die Gegenwart soll der Zukunft Chancen<br />

einräumen. Ein weites Feld.<br />

*<br />

Salomo baut den Tempel<br />

Salomo war Herr über alle Königreiche vom Euphratstrom bis zum Philisterland<br />

und bis an die Grenze Ägyptens. Er hatte Frieden mit allen seinen Nachbarn<br />

ringsum, Juda und Israel wohnten sicher, jeder unter seinem Weinstock und<br />

unter seinem Feigenbaum, Und Salomo ging daran, dem Namen des Herrn,<br />

seines Gottes, ein Haus zu bauen.<br />

Es wurde sechzig Ellen lang, zwanzig Ellen breit und dreißig Ellen hoch, dazu<br />

eine Vorhalle und Umgang mit Seitengemächern. Salomo überzog das Haus<br />

innen und außen mit reinem Gold.<br />

Auch ließ Salomo alles Gerät machen, das zum Hause Gottes gehörte: den<br />

goldenen Altar, den goldenen Tisch, auf dem die Schaubrote liegen. Zwei<br />

goldene Cherubim spannten ihre Flügel aus von einer Wand zur andern.<br />

Dann versammelte der König die Häupter der Stämme und Obersten der Sippen<br />

in Israel nach Jerusalem, um die Lade des Bundes einzubringen ins<br />

Allerheiligste, unter die Flügel der Cherubim. Und es war nichts in der Lade <strong>als</strong><br />

nur die zwei steinernen Tafeln des Mose, die er hineingelegt hatte am Horeb, die<br />

Tafeln des Bundes, den Gott mit Israel schloss, <strong>als</strong> sie aus Ägyptenland gezogen<br />

waren.<br />

Aus 1.Könige 5-8<br />

Der erste jüdische Tempel war ein Werk edler Baukunst und<br />

ehrfurchtgebietender Ausstrahlung. Er löste die vielen kleinen Kultstätten im<br />

Land ab und gab den zentralen Ort für den blühenden jüdischen Glauben. An<br />

diesem Zentrum wuchs in enger Bindung ans Königshaus eine starke Kaste der<br />

Priesterschaft. Neben Gottesdiensten und Opferhandlungen war die<br />

Rechtsauslegung beim Tempel angesiedelt. Eine wissenschaftliche Elite<br />

erstellte, kopierte, sammelte die Heiligen Schriften und stritt um die Theologie-<br />

das rechte Verständnis von Gottes Geschichte mit den Menschen und um das<br />

rechte Menschsein im Alltäglichen. Später ging es immer mehr um die korrekte<br />

Anwendung der Gebote. Vor allem durch immer genauere Unterscheidung von<br />

rein und unrein hoffte Israel das besondere Rechtsverhältnis mit Gottes sichern<br />

zu können. Die Propheten kämpften bald für einen Herzensgehorsam, jenseits<br />

von opernhaft dargebrachten Opfern.<br />

Wo wohnt Gott<br />

*<br />

108


Bei der Weihe des Tempels erfüllte eine Wolke das Haus des Herrn- die<br />

Herrlichkeit Gottes erfüllte das ganze Haus. Aber Salomo sagte: Die Sonne hat<br />

der Herr an den Himmel gestellt, von sich aber hat er gesagt: (zu Mose im 2.<br />

Buch Mose, 20,21): „Ich will im Dunklen wohnen“.<br />

Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel<br />

Himmel können ihn nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich<br />

gebaut habe. Und zu Gott sprach er: Lass deine Augen offen stehen über diesem<br />

Hause Tag und Nacht.<br />

Sei mit uns, wie du mit unsern Vätern und Müttern gewesen bist. Verlass uns<br />

nicht und ziehe die Hand nicht ab von uns. Neige du unser Herz zu dir, dass wir<br />

wandeln in deinen Wegen und halten deine Gebote. Ungeteilt sei unser Herz bei<br />

dem Herrn.<br />

Aus 1. Könige 8<br />

Christen gehen von der Anwesenheit Gottes speziell in seiner Gemeinde aus, das<br />

Wort Jesu im Sinn: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da<br />

bin ich mitten unter ihnen (Matthäus 18,20). Das nimmt aber nichts weg von der<br />

Allgegenwart Gottes. Die Herrlichkeit Gottes kann bei uns sein und kann<br />

gleichzeitig woanders auch voll da sein. Salomo wehrt mit seiner Mahnung „alle<br />

Himmel können Gott nicht fassen“, die volkstümliche Vorstellung ab, daß der<br />

Tempel die ausschließliche Wohnung des Herrn sei. Wir können die<br />

Anwesenheit Gottes nicht auf einen Ort festlegen, <strong>als</strong> throne er auf der<br />

Bundeslade mit den Zehn Geboten. Er steckt in den Buchstaben der Bibel und in<br />

Brot und Wein und im summenden Bienenkorb. Gott ist in seiner Schöpfung;<br />

das Himmelszelt und die Schönheit der Rose, auch die vergehende, hat was von<br />

Gottes Wesen. Aber für Israel hat der Tempel eine einzigartige Bedeutung: An<br />

der Klagemauer, dem Rest des zweiten zerstörten Tempels, weiß sich jeder Jude,<br />

jede Jüdin nah an Gottes Ohr.<br />

Elia der Große<br />

Prophet Elia verkündete dem König Ahab : Wegen eures Götzendienstes<br />

entzieht euch der wahre, der einzige Gott den Regen, ein ganzes Jahr lang.<br />

Dann floh Elia. Gott hatte ihm geboten, zum Bache Krit zu gehen, der werde<br />

Wasser bereit haben für Elia und Raben würden ihn versorgen.<br />

1.Könige 17,1-3<br />

Es war 100 Jahre nach dem Tempelbau in Jerusalem: Israel ist groß geworden<br />

und hat sich weite Teile von Kanaanäer-Land unterworfen. Dort aber, auf dem<br />

Land, glaubte man noch an Ba<strong>als</strong>götter, die in Zeugen und Gebären ihren<br />

angestammten Offenbarungsort hatten. Elia aber war berufen, den Glauben an<br />

den Gott Israels auszubreiten. Der ist auch Schöpfer, aber vor allem ein<br />

*<br />

109


Fordernder, ein Erziehender: Die Gebote sollen das Volk zu einem Gottesstaat<br />

heranentwickeln.<br />

Elia bleibt Israel im Gedächtnis <strong>als</strong> rigoroser mächtiger Gottesstreiter. Er muss<br />

Gott klar auf seiner Seite gewusst haben, darum hat er für den wahren Glauben<br />

so geberserkert. Drei Geschichten zeigen den Weg der Erkenntnis Elias: Es ist<br />

der Weg vom herrischen zum behutsamen Gott und vom Gewalt- Propheten<br />

zum meditativen Schweiger.<br />

Elia muss fürchterliche Dürre ansagen vom strafenden Gott, wird aber selber<br />

wunderbar erhalten.<br />

*<br />

Dann kam das Wort des Herrn zu ihm:<br />

Mache dich auf und geh nach Zarpat - ich habe dort einer Witwe geboten, dich<br />

zu versorgen. Und er machte sich auf und ging hin. Doch die Witwe sagte: Ich<br />

habe nur eine Hand voll Mehl im Topf und ein wenig Öl im Krug. Ich will ein<br />

letztes Brot backen, das wir essen - und sterben.<br />

Elia sprach zu ihr: Fürchte dich nicht! So spricht der Gott Israels: Das Mehl im<br />

Topf soll nicht ausgehen, und dem Ölkrug soll nichts mangeln bis auf den Tag,<br />

an dem der Herr wieder regnen läßt. Und sie buk. Und der Mehlvorrat wurde<br />

nicht verzehrt, und dem Krug ging das Öl nicht aus – wie Elia es gesagt hatte.<br />

1. Könige 17, 10-13<br />

Gott kann aus nichts was machen- und seinen Getreuen soll die Hoffnung nicht<br />

ausgehen. Es sollen seine Geliebten nicht hungern. Die Wehmut ist groß, wenn<br />

die Hoffnung doch versiegt. Das mobilisiert in Elia Kräfte; er sagt Nahrung zu,<br />

gegen den Augenschein der leeren Töpfe wettet er auf Rettung. Wir müssen<br />

auch bis zum letzten Augenblick auf Rettung setzen und uns in diese Richtung<br />

mühen mit allen Kräften.<br />

*<br />

Versuchen zu heilen<br />

Und der Sohn der Witwe wurde krank, so sehr, dass kein Atem mehr in ihm<br />

blieb. Und sie sprach zu Elia: Was hab ich mit dir zu schaffen, du Mann Gottes?<br />

Er sprach zu ihr: Gib mir deinen Sohn! Und er nahm ihn von ihrem Schoß und<br />

ging hinauf ins Obergemach, wo er wohnte, und legte ihn auf sein Bett und rief<br />

Gott an: Mein Gott, was tust du der Witwe, bei der ich ein Gast bin, so Böses<br />

an?<br />

Und er legte sich auf das Kind drei Mal und rief Gott an und sprach: Lass<br />

Leben in dies Kind zurückkehren! Und Gott erhörte die Stimme Elias und das<br />

Kind wurde wieder lebendig.<br />

1. Könige 17, 17-21<br />

110


Vom Leid überhäuft werden –das kann gerade auch Menschen treffen, die<br />

Gottes nahe Mitarbeiter sind. Und Helfer scheinen ohnmächtig. Elia wird der<br />

Witwe unheimlich. Erst beschafft der die Güte Gottes in Gestalt des nicht<br />

ausgehenden Brotes. Und dann scheint er nichts mehr zu können, oder<br />

schlimmer noch- ist er einer, an dem man sich verbrennt?<br />

Elia verzweifelt über den Tod des Knaben. Er sieht die Willkür eines Gottes, der<br />

mit der einen Hand schenkt, mit der anderen nimmt. Und will dies Gottesbild<br />

nicht mehr. Will nicht mehr Prophet eines gut-bösen, bös-guten<br />

Weltenherrschers sein, er kämpft mit ihm. Er identifiziert sich mit dem Toten,<br />

will ihn wiederbeleben. Tatsächlich kehrt Leben in das Kind zurück. Es ist, <strong>als</strong><br />

wandele sich hiermit das Gottesbild: Es kann nicht sein und wir dürfen es nicht<br />

mehr denken, daß Gott mutwillig ein Kind sterben macht. Gott tut nichts Böses.<br />

Gott lässt die in die Schöpfung gelegten Regeln geschehen, schmerzliche<br />

Komplikationen eingeschlossen. Aber wir sollen bis zum Erweis des Gegenteils<br />

auf Rettung setzen und in diese Richtung wirken.<br />

*<br />

Das Gottesurteil auf dem Karmel<br />

Elia erhielt den Auftrag: Versammle zu mir ganz Israel auf den Berg Karmel<br />

und auch die heidnischen Propheten. Und <strong>als</strong> sie versammelt waren, trat Elia vor<br />

das Volk und sprach: Wie lange hinkt ihr auf beiden Seiten? Was neigt ihr euch<br />

mal Gott zu, mal zu den Götzen. Entscheidet euch. Tut die Götzen und ihre<br />

Diener von euch.<br />

Hilfe zur Entscheidung liefere ein Gottesurteil: Wir wollen zwei Stieropfer<br />

bereiten und wollen sehen, welches Feuer fängt vom Himmel. Und die Priester<br />

Ba<strong>als</strong> schrien vom Morgen bis zum Mittag: Baal, erhöre uns! Aber es war da<br />

nicht Stimme noch Antwort.<br />

Da sprach Elia zu allem Volk: Kommt her zu mir! Und rief Gott an: Du, Gott<br />

Abrahams, Isaaks und Israels, lass heute kundwerden, dass du Gott bist und ich<br />

dein Knecht. Da fiel Feuer des Herrn herab und entzündete das Brandopfer.<br />

Und alle fielen auf ihr Angesicht und sprachen: Der Herr ist Gott, der Herr ist<br />

Gott!<br />

Elia aber sprach zu ihnen: Greift die Propheten Ba<strong>als</strong>, dass keiner von ihnen<br />

entrinne! Und der Himmel wurde schwarz von Wolken und Wind und es kam<br />

ein großer Regen.<br />

Aus 1.Könige 18<br />

Aus weiter Ferne gesehen wird Elia zum grandiosen Gottesstreiter. Aber gerade<br />

seine Machtdemonstrationen haben das alttestamentliche Gottesbild entstellt.<br />

Und haben Zauberei und die heillose Praxis der mittelalterlichen Gottesurteile<br />

befördert. Man sollte diese Geschichte lesen <strong>als</strong> Museumsstück aus der Frühzeit<br />

des Glaubens. Da meinte man, Gott sei versehen mit Machogehabe wie die<br />

111


anderen Götter im Umfeld Israels. Doch im Laufe der Geschichte Israels stellte<br />

Gott sich in anderen Bildern vor. Und ließ erkennen, daß er seine Sache nicht<br />

durch Machtspielchen betreibt.<br />

Das Schlachtfest des Elia am Berg Karmel lebt noch aus dem alten<br />

götzenähnlichen Gottesbild. Schon in der nächsten Geschichte gibt es eine<br />

völlige Abkehr von den alten göttlichen Gewaltpraktiken.<br />

Vermutlich hat Elia einen Gegenzauber angewandt Er entkräftet die<br />

Götzenmacht, er beweist, daß die Macht der Priester hohl ist, beweist, daß er im<br />

Dienst des einzig mächtigen Gottes steht.<br />

Die Bekehrung geschieht in zwei Stufen: Erst wird die böse Magie von der<br />

guten Magie besiegt, etwa im Urteil am Karmel. Man geht dabei aber nur von<br />

einem Raum der Angst in den anderen Raum der Angst, man bleibt magisch<br />

gebannt. Dann aber streicht der Glaube die ganze Furcht vor böser oder guter<br />

Magie durch: Gott ist das einzige rechtmäßige „Objekt“ unserer Ehrfurcht, wir<br />

verlassen uns darauf daß er uns vor jeder Magie abschirmt. –Diese Klärung<br />

musste aber immer neu erkämpft werden. Der Abschied von der (guten) Magie-<br />

etwa verkörpert in der geweihten Hostie- gelang erst im Gefolge der<br />

Reformation. Und immer noch müssen wir uns magischer Praktiken erwehren,<br />

indem wir sie einfach für uns <strong>als</strong> ungültig und taub erklären, weil wir unter<br />

Gottes Schutz uns wissen.<br />

*<br />

Elia am Horeb<br />

Königin Isebel sandte einen Boten zu Elia und ließ ihm sagen: Die Götter sollen<br />

mich vernichten, wenn ich nicht morgen um diese Zeit dir tue, wie du diesen<br />

getan hast!<br />

Da fürchtete er sich, machte sich auf und lief um sein Leben und kam nach<br />

Beerscheba in Juda und ließ seinen Diener dort.<br />

Er aber ging hin in die Wüste eine Tagereise weit und setzte sich unter einen<br />

Wacholder und wünschte sich zu sterben und sprach: Es ist genug, so nimm nun,<br />

Herr meine Seele; ich bin auch nicht besser <strong>als</strong> meine Eltern.<br />

Und er legte sich hin und schlief unter dem Wacholder. Und siehe, ein Engel<br />

rührte ihn an und sprach zu ihm: Steh auf und iss! Und er sah sich um, und<br />

siehe, da lag ein Laib Brot und ein Krug mit Wasser. Und <strong>als</strong> er gegessen und<br />

getrunken hatte, legte er sich wieder schlafen.<br />

Und der Engel des Herrn kam zum zweiten Mal wieder und rührte ihn an und<br />

sprach: Steh auf und iss! Denn du hast einen weiten Weg vor dir. Und er stand<br />

auf und aß und trank und ging durch die Kraft der Speise vierzig Tage und<br />

vierzig Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb.<br />

1.Könige 19,1-8<br />

Elia hat genug von der Spirale der Gewalt. Das soll sicher auch Zeichen sein,<br />

daß auch Gott der Gewalt müde ist. (Wir Heutigen müssen ja dran denken, daß<br />

112


das blutrünstige Gottesbild letztlich durch Jesus Christus abgeschafft wurde-<br />

und doch meinen heute noch Christen, Gott zu dienen, wenn sie die Todesstrafe<br />

verhängen oder Kreuzzüge für den Sieg des Guten ausrufen). Elia will nicht<br />

noch ein Gottesurteil herausfordern. Statt sich mit blanker Brust der Königin ans<br />

Messer zu liefern und dann wohl unter Blitz und Donner Sieger zu bleiben- will<br />

er lieber sterben. Er will nicht mehr der Draufhauer eines Oberdraufhauers<br />

namens „Gott“ sein. Er will auch nicht mehr der Logik folgen, er versichere sich<br />

seiner Reinheit, indem er gegen den Schmutz kämpft; er erschauert vielleicht<br />

auch vor seiner eigenen Gewaltlust. Und wird erschrecken beim Gedanken, daß<br />

seine Gewalt neue Gewalt sät.<br />

Aber Gott braucht ihn genau für die Verwandlung des Gottesbildes hin zum<br />

großherzigen, guten Gott, die in Jesus vollständig wird. Dazu rüstet ihn ein<br />

Engel mit Himmelsbrot. Manchmal braucht man einen zweiten Ruck, um wach<br />

zu werden. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch tragen (Psalm<br />

68,20). Das Mahl, das vierzig Tage Kraft gibt, ist ein Symbol für Gottes Schutz<br />

in allem Schweren.<br />

*<br />

Gott kommt leise<br />

Elia blieb über Nacht in einer Höhle. Und Gott sprach ihn an: Was machst du<br />

hier, Elia?<br />

Er sprach: Ich habe geeifert für dich, den großen, einzigen Gott. Aber Israel hat<br />

deinen Bund verlassen und deine Altäre zerbrochen und deine Propheten mit<br />

dem Schwert getötet und ich bin allein übrig geblieben, und sie trachten auch<br />

mir nach dem Leben.<br />

Der Herr sprach: Geh heraus und tritt hin auf den Berg. Dort will ich dir<br />

erscheinen. Und ein großer, starker Wind, der die Berge zerriss und die Felsen<br />

zerbrach, kam von Gott her. Aber der Herr war nicht im Sturm. Nach dem Sturm<br />

aber kam ein Erdbeben; aber der Herr war nicht im Erdbeben. Und nach dem<br />

Erdbeben kam ein Feuer; aber der Herr war nicht im Feuer. Und nach dem Feuer<br />

kam ein stilles, sanftes Sausen.<br />

Als das Elia vernahm, verhüllte er sein Antlitz mit seinem Mantel und bedachte<br />

das Ganze.<br />

1.Könige 19,9-13<br />

Elia hatte Sturm, Feuer, Erdbeben entfacht, hatte Wasserfluten herabgerufen-<br />

uns sie waren gekommen <strong>als</strong> Boten Gottes. Die Naturmächte galten nicht nur <strong>als</strong><br />

vom Herrn geschickt sondern <strong>als</strong> Äußerungen Gottes, in denen er sich auf sein<br />

Volk stürzte um es zur Vernunft zu bringen. Aber was hat es genützt?<br />

Elia ist der Machtdemonstrationen müde, er hat eigenhändig die Götzendiener<br />

umgebracht, aber statt dies <strong>als</strong> Bevollmächtigung des Propheten zu lesen und <strong>als</strong><br />

Strafgericht des Herrn hinzunehmen, ist Elia jetzt allein und dem Tod<br />

ausgesetzt. Gott hätte dem Müden ein Feuerwerk der Lebensfreude aufführen<br />

113


können. Oder noch mal seine Mächte tanzen lassen. Aber sie erschienen nur mit<br />

Minuszeichen, „hier ist Gott nicht drin“- riefen die Naturgewalten. Gott soll<br />

nicht mehr gesucht sein in Blitz oder Flut oder Freudengeheul. Gott will im<br />

Stillen vernommen werden, im Zarten, im Lächeln des Säuglings, im<br />

Streicheln, im Flüstern, im Auf- und Abblühen, in Sprache. Gott will erlauscht<br />

sein. Das eröffnet ein neues Wissen vom Göttlichen. Das weist auf die<br />

behutsame Klarheit des Jesus hin.<br />

*<br />

Prophetenwechsel<br />

Und Gott gebot ihm: Salbe Elisa aus Abel-Mehola zum Propheten an deiner<br />

statt. Und Elia fand Elisa, den Sohn Schafats, <strong>als</strong> er pflügte. Und Elia ging zu<br />

ihm und warf seinen Mantel über ihn. Der ließ die Rinder zurück und folgte Elia<br />

nach.<br />

Aus 1.Könige 19, 15- 21<br />

Mit uraltem Ritus bestimmt der Prophet seinen Nachfolger: Der derzeitige<br />

Prophet hört von seiner Abberufung durch Offenbarung des Namens des neuen.<br />

Und da gibt es kein Zaudern: Der Prophetenmantel hat die Macht der Wahrheit<br />

an sich- wem er übergeworfen wird, der ist der Würdenträger und Wahrsager,<br />

der ist fortan ummantelt von Gottesgeist. Ein Recht auf Widerspruch ist nicht<br />

vorgesehen. Der Ritus der Einkleidung versinnbildlicht die Idee des Amtes: Das<br />

Amt bekleidet den an sich Unwichtigen mit „Amtsgnade“. Die Volksweisheit<br />

„Kleider machen Leute“ unterstreicht die Verwandelmacht der Erwartung.<br />

Zutrauen verschafft Ansehen, Ansehen Macht.<br />

*<br />

Nabots Weinberg<br />

Ein Mensch mit Namen Nabot hatte einen Weinberg bei dem Palast Ahabs, des<br />

Königs von Samaria. Und Ahab redete mit Nabot und sprach: Gib mir deinen<br />

Weinberg; ich will mir einen Garten daraus machen, weil er so nahe an meinem<br />

Hause liegt.<br />

Aber Nabot sprach zu Ahab: Ich will nicht meiner Väter Erbe zu Geld machen.<br />

Da kam Ahab heim voller Unmut und klagte seiner Frau Isebel: Nabot will mir<br />

seinen Weinberg nicht verkaufen, er lässt nicht mit sich reden. Da sprach seine<br />

Frau Isebel zu ihm: Du bist doch König über Israel! Ich werde dir den Weinberg<br />

Nabots verschaffen.<br />

Und sie schrieb Briefe unter Ahabs Namen und versiegelte sie mit seinem Siegel<br />

und sandte sie zu den Ältesten und Oberen. Und sie schrieb: Schafft uns Nabot<br />

vom H<strong>als</strong>. Und sie taten, wie ihnen Isebel aufgetragen hatte: Sie verklagten<br />

Nabot wegen Königsbeleidigung und steinigten ihn.<br />

114


Als Ahab hörte, dass Nabot tot war, stand er auf, um hinabzugehen zum<br />

Weinberge Nabots, um ihn in Besitz zu nehmen. Da kam das Wort Gottes zu<br />

Elia. Und der tat, wie ihm aufgetragen war: Er ging zum König, sagte ihm auf<br />

den Kopf zu: So spricht Gott: Du und deine Frau haben Unrecht getan vor dem<br />

Herrn. Du hast gemordet, dazu auch fremdes Erbe geraubt! An der Stätte, wo<br />

Hunde das Blut Nabots geleckt haben, sollen Hunde auch euer Blut lecken. Der<br />

Herr hats gesagt.<br />

Aus 1. Könige 21<br />

Eine frühe Brandrede gegen Tyrannenwillkür und die Droge Macht.<br />

Schmerzlich ist die Erfahrung, dass Obrigkeiten immer welche finden, die<br />

willfährig sich die Hände für sie schmutzig machen. Zur Unterwürfigkeit<br />

gelockt wird durch die Aussicht auf Kumpanei und Einfluss. Was retten kann,<br />

ist, für Recht und Gerechtigkeit einzutreten, auch durch Kontrolle von Macht.-<br />

Gottes Gebote sind eine große Heilstat- sie stehen dafür, daß Recht vor Macht<br />

geht.<br />

*<br />

Elia und der feurige Wagen<br />

Elia ging mit Elisa. Sie wussten, daß die Erdenzeit für Elia zu ihrem Ende<br />

kommt.<br />

Und <strong>als</strong> sie noch miteinander redeten, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen<br />

Rossen, die schieden die beiden voneinander. Und Elia fuhr im Sturm gen<br />

Himmel. Elisa aber sah es und schrie: Mein Vater, mein Vater, du Wagen Israels<br />

und seine Reiter- und sah ihn nicht mehr.<br />

Aus 2.Könige 2<br />

In einer Art Himmelfahrt wird Elia von hier entrafft- eine grandiose Ehrung für<br />

diesen Gottesstreiter. Kein Grab, kein Verwesen, sondern von hier nach da in<br />

einem Nu, auffahrend mit Flügeln wie Adler, eingeholt vom Himmel im<br />

Sonnenwagen mit feurigen Rossen- ein leuchtendes Traumbild, wie Gott uns in<br />

sein Reich holt.<br />

Ob wir auch mal so von hier abgeholt werden, so leicht sich unsere Seelen von<br />

hier lösen? Auch wenn unser ausgedienter Körper hier bleibt- unser Ich wird<br />

emporgehoben und verwandelt. Mögen einige derer, die zurückbleiben, uns eine<br />

Träne nachweinen. Es braucht nicht so rauschend sein wie bei Elia, aber einigen<br />

sollen wir wichtig gewesen sein, das wäre schön.<br />

* *<br />

115


Hiob<br />

Leid ist nicht Strafe, nicht Prüfung. Leid ist Mangel<br />

Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, gelobt sei der Name des<br />

Herrn.<br />

Hiob 1,21<br />

Der Dulder Hiob beschließt, sein Leid nicht empört Gott vorzuwerfen, er<br />

willfährt seiner Frau nicht. Diese schmeißt den Glauben von sich nach dem Tod<br />

der Kinder und dem Verlust aller Habe. Als Hiob dazu noch geschlagen wurde<br />

mit Geschwüren von der Fußsohle bis zum Scheitel, da rät sie ihm zu kurzem<br />

Prozess: Was hältst du noch fest an deiner Frömmigkeit? Sag Gott ab und stirb<br />

(2,9).<br />

Hiob aber antwortet: „Haben wir Gutes empfangen von Gott, sollten wir das<br />

Böse nicht auch annehmen?“ (Hiob 2,10). Erst <strong>als</strong> die Freunde dem beladenen<br />

Hiob vorrechnen: Wo Leid ist, da ist Strafe, wo Strafe ist, ist Schuld - da bäumt<br />

sich Hiob auf: Weh euch, die ihr meint, Gott in eurer Faust zu führen! (12,6)<br />

Wohl wahr, in seiner Hand ist die Seele von allem, was lebt (12,10), sein ist die<br />

Kraft und die Einsicht, sein ist der irrt und irreführt (12,16). Aber wenn er mich<br />

strafte, dann hätte er Unrecht (19,6). Ich rufe Gott <strong>als</strong> Anwalt gegen einen<br />

Strafgott.<br />

Hiob erfährt, dass durch Elend hindurch Gott rettet. Wenn man auch durch<br />

finsteres Tal hindurch muss, so ist das Elend nicht verhängt <strong>als</strong> Strafe. Leid -<br />

<strong>als</strong>o Strafe, <strong>als</strong>o Schuld- diese Logik zerbricht an Hiob. Und an Hiob wird<br />

hinfällig auch das zweite Argument: Leid käme über uns <strong>als</strong> Glaubensprüfung.<br />

Den Freunden, die meinen, Gott zu verteidigen, schleudert er entgegen: Wollen<br />

eure leeren Worte denn kein Ende nehmen? Ihr seid mir allzumal leidige Tröster<br />

(Hiob 16,3.2).<br />

Die alte Geschichte geht ja so: Gott testet mittels einer hinterhältigen Figur, ob<br />

Hiob nur an guten Tagen an Gott glaube. Aber Hiob hält das für abgetanen<br />

Theologenmüll: Es ist doch auf der Hand: Was ist der Mensch, dass du ihn groß<br />

achtest, und dich um ihn bekümmerst? (7,17) Habe ich gesündigt, was tue ich<br />

dir damit an, du Menschenhüter? Ich bin mir doch selbst zur Last, lass meine<br />

Schuld dahingehen, denn gar bald fahr ich zur Grube (7,20 f).<br />

Ja, wirklich, was gibt es da groß zu testen? Wir sind doch hinfällig, versuchbar<br />

bis dort hinaus, wenn Gott uns versuchen wollte, wie sollte einer bestehen? -<br />

Wie sollte etwas bleiben, wenn du nicht wolltest? Oder wie könnte sich halten,<br />

was du nicht gerufen hättest? (Weisheit 11,25).<br />

Leid auflegen zur Strafe? Mittels Hiob scheitert diese Theorie. Es ist viel Leid in<br />

der Welt und ist nicht Strafe - meist sind es die Folgen unseres Tuns. Und das<br />

116


Leid ist nicht Materialprüfung. Gott weiß, was für ein Gebilde wir sind. Er weiß,<br />

dass wir vom Staub genommen sind (Psalm 103,14). Aber sein Geist hilft<br />

unserer Schwachheit auf (Römer 8,26).<br />

Hiob ist die Kunstfigur eines begnadeten Dichters. Der von Gott, hilfsweise von<br />

einem Chefteufel, bis aufs Blut geprüfte Mensch, wird wegen seiner<br />

Glaubenstreue zuletzt hoch erhoben. Das ist starke alttestamentliche<br />

Überzeugung.<br />

Tausend Jahre später ereignet sich Jesus Christus. Er sieht sich nicht von Gott<br />

geprüft- sondern seine Passion ist ihm der einzig mögliche Weg, gegen die<br />

Herren der Welt seine Gottesgewissheit zu leben. Allgemein rät Jesus, im<br />

Windschatten von Klugheit und Gnade zu bleiben. „Ich bin nicht zum Richten<br />

sondern zum Retten da“ (Johannes 12,47). Genau so Gott.<br />

Ihn sich vorstellen <strong>als</strong> „Riesin“,(wie im Gedicht : Das Riesenspielzeug“ von<br />

Adalbert v.Chamisso) die mit den Menschen rumfuhrwerkt, Steine in den Weg<br />

legt und schaut, wie sie sich bewähren- das ist Ausfluss einer verängsteten<br />

Seele. Ja, es kann sein, daß ich mich ans Schicksal so ausgeliefert sehe wie ein<br />

Maikäfer, den rohe Jungen zappeln lassen. Es kann sogar sein, daß einen die<br />

Angst so schluckt, daß ich mich für einen auf dem Rücken liegenden Käfer<br />

halte.<br />

Hiob ist der heroisch leidende Mensch, der das f<strong>als</strong>che Gottesbild anklagt- und<br />

eigentlich gerechter, liebevoller, treuer scheint <strong>als</strong> (der alte) Gott selbst, der in<br />

seiner Allmacht wie ein Marionettenspieler die Puppen tanzen lässt. Und von<br />

genau diesem Gottesbild hat sich Jesus losgesagt. Für Jesus ist Gott alle Energie<br />

und alle Liebe- beides, alle Macht- auch die von Menschen missbrauchte und<br />

alle Liebe, auch die von Menschen einander gewährte. Dass letztlich die Liebe<br />

die Macht überwindet, und Gott <strong>als</strong> Erlöser uns aufscheint, hat Jesus uns<br />

vorgewusst.<br />

Die Freunde Hiobs sind noch ganz befangen im „iustaljon“-Rechtssatz, „Wie du<br />

mir, so ich dir“ – und dem dazu passenden Gottesbild: Dem Frommen soll seine<br />

Güte belohnt sein; wem es schlecht geht, der büßt sicher eine Strafe ab. Erst<br />

Jesus treibt uns in ein Wissen vom liebevollen Gott, der noch leidet an und mit<br />

seiner Schöpfung; aber sein Reich lässt er auf alle Fälle kommen. Hiob hat auch<br />

schon einen Schimmer dieser Ahnung. Gegen den strafenden und belohnenden<br />

Richtergott appelliert er an den großmütigen Gott, der ihn letztlich aus dem<br />

Staub erheben wird.<br />

Etwas von dieser Zuversicht brauchen wir alle: Vor uns Heil und Frieden für<br />

unsere wunden Seelen. Und „Licht wird nach und nach über das Ganze<br />

aufgehen“ (Ludwig Wittgenstein). Gott wird alle Schuld auf sich nehmen und<br />

begleichen- das deutet doch der Opfertod Jesu an.<br />

117


Ob das der Fall ist? Jedenfalls kann keiner für sein Lieblossein die Schuld<br />

alleine tragen. Und jetzt schon werden wir mehr geliebt <strong>als</strong> es unsere Gene sich<br />

erwerben.<br />

Bonhoeffer hat gesagt:“ Ich bin lieber in Gottes Hand <strong>als</strong> in den Händen<br />

Hitlers.“ Also letzten Endes ist ihm Hitler nicht so wichtig, der steht nur für das<br />

Schwarze der Nazizeit. Bonhoeffer glaubt sich in Gottes Hand, auch wenn die<br />

schwarz und gewaltsam zuschlägt. Das heißt nicht, annehmen zu müssen, daß<br />

Gott aktiv zerschlägt. Aber es ist Gottes Energie, die auch in Gewalt zur Geltung<br />

kommt, Kain ist Gottes Kain; Hitler ist Gottes Kind, wie kaputt auch immer.<br />

Das möge uns ein Zipfel Trost sein in allem Grauen.<br />

Um Gott zu schützen und ihn zu entlasten, haben Menschen die Idee eines<br />

Gegengottes gedacht. Der aber war immer zweitrangig. Der „gefallener Engel“,<br />

war im Bild gesprochen, Angestellter Gottes, nur Mitglied des Hofstaates. Es ist<br />

wohl so wie Novalis es sagte: „Für Gott gibt es keinen Teufel, aber für uns ist er<br />

ein leider sehr wirksames Hirngespinst.“<br />

*<br />

Untröstlichkeit hat ihre Würde<br />

Als aber Elifas, Bildad und Zofar, die drei Freunde Hiobs, all das Unglück<br />

hörten, das über ihn gekommen war, beschlossen sie, zu ihm hinzugehen, um<br />

ihn zu beklagen und zu trösten.<br />

Und sie erkannten ihn erst nicht und weinten, und ein jeder zerriss sein Kleid<br />

und sie warfen Staub gen Himmel auf ihr Haupt und saßen mit ihm in der Asche<br />

sieben Tage und sieben Nächte und redeten nicht; denn sie sahen, dass der<br />

Schmerz sehr groß war.<br />

Dann tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.<br />

Und schrie: Warum bin ich nicht gestorben bei meiner Geburt? Warum bin ich<br />

nicht umgekommen, <strong>als</strong> ich aus dem Mutterleib kam?<br />

Warum nur gibt Gott das Licht dem Mühseligen und das Leben den betrübten<br />

Herzen - die auf den Tod warten, und er kommt nicht, die sich sehr freuten und<br />

fröhlich wären, wenn sie ein Grab bekämen.<br />

Ich hatte keinen Frieden, keine Rast, keine Ruhe, da kam schon wieder ein<br />

Ungemach!<br />

Hiob 2,11-13;3,1,11,20-22,26<br />

Stark ist das Geleit der Freunde, bevor sie ein Wort sagen. Sie bleiben bei ihm,<br />

sie stehen ihm bei, sitzen bei ihm, verdoppeln seine Untröstlichkeit, fügen ihr<br />

Herzensgewicht dem Schmerz des Hiob hinzu. Das ist anders <strong>als</strong> unser<br />

Beispringen und Gutzureden. Wir wollen gern das Leid verdünnen auch aus<br />

Angst, wir könnten ebenso getroffen sein. Wir wollen durch unsere Anteilnahme<br />

selbst besänftigt werden. Wir ringen nach Worten, daß „der Kältesee im Herzen<br />

des Trauernden zum Abfließen kommt“.<br />

118


Aber erst muss der Leidende seine Sprache finden für das Unermessliche, das<br />

ihn getroffen hat. Und wenn er Gott beschimpfte und verfluchte- Gott hält das<br />

aus. Nichts ist schlimmer, <strong>als</strong> sich zum Verteidiger Gottes aufzuschwingen.<br />

*<br />

Skepsis pur<br />

Wir sind von gestern und wissen nichts; unsere Tage sind ein Schatten auf<br />

Erden.<br />

Hiob 8,9<br />

„Von gestern sein“- eine so selbstverständlich gebrauchte Formulierung. Und sie<br />

ist wie viele andere aus der Bibel vorgedacht auch für uns, schon Jahrtausende<br />

früher. Die Zeitung von gestern ist überholt- heute ist das Leben. Heute müssen<br />

wir den Tag bestehen. Es darf nicht sein, daß wir nichts wissen. Wir müssen<br />

wissen, was brauchbar ist und was sein Preis ist. Sonst zahlen wir zuviel und<br />

schaden uns, oder zuwenig und schaden anderen. Es geht nicht nur um Geld. Es<br />

geht um die Folgen unseres Tuns, wir müssen haften für Taten und Untaten. Wir<br />

sollen uns für Kinder des Lichts halten, nicht für Schattenexistenzen, Kinder<br />

nicht von gestern sondern für morgen.<br />

*<br />

Ich weiß, daß mein Erlöser lebt<br />

Gott hat meinen Weg vermauert, hat Finsternis auf mein Geschick gelegt. Er hat<br />

mir mein Ansehen weggenommen, hat mich zerbrochen, hat meine Hoffnung<br />

ausgerissen wie einen Baum. Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt. Der wird<br />

mich zuletzt aus dem Staub erheben. Wenn auch mein Fleisch von mir abfallen<br />

wird, werde ich doch Gott sehen. Und er wird mir kein Fremder sein. Danach<br />

sehnt sich meine Seele.<br />

Hiob 19, 8-10,25-27<br />

Mitreißend, dieses Trompetensignal der Zuversicht, ein stärkeres ist im Alten<br />

Testament kaum zu finden- das ist Auferstehungshoffnung pur. Damit lässt sich<br />

die Mühsal des Irdischen bestehen. Und ich will mein Maß an Mühen nicht<br />

abwälzen. Ich will sie tragen, weil sie getragen werden müssen um verwandelt<br />

zu werden.<br />

Der große Gott belädt sich mit der Welt, da kann ich auch mittragen, was sein<br />

muss. Hauptsache, ich weiß: Er wird sich <strong>als</strong> Freund erweisen und mich<br />

teilnehmen lassen an seiner geheilten Schöpfung.<br />

*<br />

119


Was hat es mit der Weisheit auf sich?<br />

Der Abgrund und der Tod sprechen: »Wir haben mit unsern Ohren nur ein<br />

Gerücht von ihr gehört.« Und vor den Augen aller Lebendigen ist sie verhüllt.<br />

Gott allein kennt ihre Stätte. Der die Enden der Erde sieht und weiß, was unter<br />

dem Himmel ist, der hat dem Wind sein Gewicht gegeben und dem Wasser sein<br />

Maß gesetzt, hat dem Regen sein Gesetz gegeben hat und dem Blitz und Donner<br />

den Weg.<br />

Der spricht zum Menschen: Gott achten ist Weisheit, und das Böse meiden ist<br />

Einsicht.<br />

Hiob 28,20-28<br />

Im Nichts und im Kern des Nichtigen, dem Tod, steckt die Weisheit nicht.<br />

Gegen Gott achtsam sein, macht weise- <strong>als</strong>o bescheiden, dankbar, barmherzig,<br />

zuversichtlich, vielleicht auch humorvoll.<br />

Jedenfalls Irdisches nicht anbeten, das bewahrt schon vor viel Irrsinn. Und<br />

nichts umsonst empfinden, das macht helle.<br />

*<br />

Er gibt dir Lobgesänge in der Nacht<br />

Siehe, Gott ist mächtig und verwirft niemand; er ist mächtig an Kraft des<br />

Herzens. Den Elenden wird er durch sein Elend erretten und ihm das Ohr öffnen<br />

durch Trübsal.<br />

Er reißt auch dich aus dem Rachen der Angst in einen weiten Raum, wo keine<br />

Bedrängnis mehr ist; und an deinem Tische, voll von allem Guten, wirst du<br />

Ruhe haben.<br />

Hiob 35,10; 36,5; 36,15f<br />

Das Hiobbuch ist ein Schutzschild des Glaubens. Ja, Leiden nutzt die Hoffnung<br />

und den Glauben ab. Stille Verzweiflung ist bei vielen. Doch das Leben ist<br />

schön. Aus den Abgründen bereitet Gott noch einen Lobgesang. Es gibt Lasten,<br />

die tragen denjenigen, der sie trägt. Leid sei uns Türöffner des Herzens- wir<br />

sollen gerettet werden aus dem Rachen der Angst.<br />

Unverzagt und ohne Grauen soll ein Christ, wo er ist, stets sich lassen schauen.<br />

Wollt ihn auch der Tod aufreiben, soll der Mut dennoch gut und fein stille<br />

bleiben (Paul Gerhardt).<br />

* *<br />

120


Die Psalmen<br />

Wie ein Baum<br />

Glücklich dran ist, wer Abstand hält zu denen, die Gott verneinen.<br />

Glücklich, wer vom Sündigen loskommt; und wer Menschen nicht verlacht.<br />

Und nicht abfällig redet vom Leben.<br />

Glücklich dran ist, wer Lust hat am Willen Gottes<br />

und sinnt nach über das was gut ist, Tag und Nacht!<br />

Der ist wie ein Baum, gepflanzt an den Wasserbächen,<br />

der seine Frucht bringt zu seiner Zeit,<br />

und seine Blätter verwelken nicht. Und was er macht, das gerät wohl.<br />

Psalm 1<br />

Bäume sind uns ein Bild für gelingendes Leben. Bäume sind vielleicht Gottes<br />

bestgelungene Schöpfung, da sie nicht schaden, nur nutzen. Nun können die<br />

Bäume selbst für sich wenig tun, wohl aber der Mensch; wir können für uns<br />

sorgen. So können wir, erwachsen geworden, unsern Umgang weitgehend<br />

selbst bestimmen. Meiden sollte man die, die großmäulig sich für Erfolge auf<br />

ihre Schulter klopfen, die ihre Gesundheit für selbstgemacht halten, sich mit<br />

harten Bandagen und lästerlicher Zunge durchsetzen, und die zynisch das Gute<br />

kleinreden.<br />

Glück aber ist bei dem, der sich um Gott müht. Der sich Arbeit macht mit der<br />

Gemeinschaft und das Vorwärtskommen aller mit betreibt.<br />

Der ist gern er selbst. Er steht am richtigen Platz. Und wenn ihm dann noch<br />

gutgestimmte Nerven geschenkt sind und er Talent hat, zu nützen und zu<br />

erfreuen, dann ist er wie ein Baum, der Frucht bringt. Wenn ich einigermaßen<br />

kann, was ich muß und einigermaßen nur will, was ich darf, dann ist mein Leben<br />

im Lot. Dank dir, lieber Gott.<br />

Fast Gott gleich<br />

Gott- wie herrlich ist dein Name in allen Landen.<br />

Du zeigst deine Größe am Himmel!<br />

Und aus dem Munde der Säuglinge richtest du eine Macht dir zu<br />

*<br />

121


gegen deine Verächter.<br />

Wenn ich sehe die Himmel, deiner Finger Werk,<br />

den Mond und die Sterne, die du bereitet hast -<br />

Was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst,<br />

und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?<br />

So hinfällig er ist, hast du ihn doch kaum niedriger<br />

gemacht <strong>als</strong> dich selbst.<br />

Mit Ehre und Herrlichkeit hast du ihn gekrönt.<br />

Du hast ihn zum Herrn gemacht über deiner Hände Werk,<br />

alles hast du unter seine Füße getan.<br />

Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Wesen allüberall!<br />

Psalm 8<br />

Jauchzend ist dieses Lied- aber ist es auch unseres? Auf vielfache Weise wirkt<br />

Gottes Wesen, aber wissen wir es noch, wissen wir es schon?<br />

Doch.<br />

Unter verwirrend vielen Namen rufen wir das Herz des Lebens an.<br />

In farbig vielen Formen zieht Frömmigkeit durch unsere Seelen.<br />

Was uns glücklich stimmt, ist von dir, Gott, ausgestreut.<br />

Ein freudiges Lachen holt uns Sterne vom Himmel.<br />

Leid hat eine Dimension bis hin zu dir,<br />

Kunst hält die Sehnsucht nach dir wach.<br />

Selbst die Wissenschaft blickt tiefer<br />

und ist dem Geheimnis der Welt mittels Zahlen und Kurven auf der Spur.<br />

Das Staunen über die Schöpfung nimmt zu mit jeder Erkenntnis.<br />

Die Wunderbarkeit der Schöpfung ist unermesslich.<br />

Im Großen ist Gott wie im Kleinen. Das Wässerchen des Säuglings und die<br />

Ozeane erzählen von seiner Grandiosität.<br />

Im Grollen der Bomben und in den Stimmchen der Kinder ist er der Grund.<br />

Wir Menschen sind von ihm ins Gespräch gezogen,<br />

sind in sein Wirken eingearbeitet.<br />

Du tust durch uns Deins, Gott; herrlich, du Herz und Hirn und Leib der<br />

Wirklichkeit.<br />

*<br />

Herr, meine Stärke<br />

Herzlich lieb habe ich dich! Mein Fels, meine Burg, mein Erretter;<br />

dem ich traue, mein Schild, mein Heil, mein Schutz!<br />

Der Tod griff nach mir, Fluten des Verderbens erschreckten mich.<br />

Mir war so sehr angst. Da schrie ich zu meinem Gott.<br />

Der erhörte meine Stimme, er streckte seine Hand aus und fasste mich<br />

und zog mich aus großen Wassern.<br />

122


Er errettete mich von meinen starken Feinden.<br />

Er führte mich hinaus ins Weite, er riss mich heraus; denn er hatte Lust zu mir.<br />

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen.<br />

Ich will dir danken und deinem Namen lobsingen.<br />

Aus Psalm 18<br />

Es ist was Starkes und Liebevolles, das mich umgibt wie die Luft;<br />

wie Wasser den Fisch.<br />

Unausforschbar, unmessbar bist Du, mein gültiges Gegenüber-<br />

mein großes Du, das mich anspricht und zum Ich macht.<br />

Namenlose Kräfte zerren an mir, sie schütteln mein Selbst,<br />

sie lassen mich erstarren in Unsinn und Banalem.<br />

Da schreie ich zu dir.<br />

Und du nährst mich wieder mit Vertrauen.<br />

Du gibst mir neue Aufgaben und die nötige Kraft dazu.<br />

Du gibst mir wieder Lust zur Gemeinde, und neigst mich wieder Menschen zu.<br />

So rettest du mich vor meinen Feinden,<br />

von machst die gehässigen Stimmen in meinem Innern verstummen.<br />

Du führst mich ins Weite, ich denk dich wieder großherzig.<br />

Das spannt auch meine Seele aus und macht sie frei zur Güte.<br />

Von Verbohrtem kann ich loskommen.<br />

Ich kann Mauern überspringen, die Menschen trennen,<br />

kann Gräben überbrücken, finde zu Menschen hin, dass wir wieder<br />

Gefühle und Schätze tauschen.<br />

Und du, Gott, solltest Lust haben zu mir?<br />

Das ist ja eine Liebeserklärung. Ich bin glücklich.<br />

Nicht verlassen<br />

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?<br />

Ich schreie, aber Hilfe ist fern.<br />

Psalm 22,2<br />

*<br />

Die Berichte von der Kreuzigung des Jesus sind diesem Psalm nacherzählt.<br />

Szenen von Golgatha sind hier vorgebildet.<br />

Nicht, daß man sich bei Jesu Kreuzigung an Psalm 22 <strong>als</strong> Drehbuch hielt.<br />

Aber der „leidende Gerechte“ ist hier (und in Jesaja 53) <strong>als</strong> Muster vorgegeben.<br />

Und <strong>als</strong> der rettende Tod dann geschehen war und die herrliche Auferstehung-<br />

da fiel es der Urgemeinde, die ja diesen Psalm kannte,<br />

wie Schuppen von den Augen.<br />

Jesus starb sicher nicht mit dem einen erschütternden Wort:<br />

„Mein Gott, warum hast du mich verlassen“.<br />

Er betete sicher den ganzen Psalm,<br />

123


der ja eine große Gebets-Leiter ist zu Gott hin.<br />

Des Tages rufe ich, und des Nachts. Doch du, Gott, antwortest nicht. Du aber<br />

bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.<br />

Unsere Väter und Mütter hofften auf dich; und da sie hofften, halfst du ihnen<br />

heraus.<br />

Psalm 22,3-6<br />

Der Beter hält an dem Gott fest, der verlassen hat und der nicht antwortet.<br />

Sollte der Leidende gerechter sein, der Verlassene treuer?<br />

Der Beter ruft sich zur Ordnung, verbietet sich den Mund.<br />

Die Lobgesänge der Gemeinde halten die Anfragen des Zweiflers kurz.<br />

Und schon ist der Leidende wieder auf Linie,<br />

ist an die Leine genommen durch Erinnerung.<br />

Die Gemeinde, die Heiligen Schriften, das Gelernte von Zuhause<br />

hat den Beter in ein Wissen eingeweiht, das um ein Bündnis kreist.<br />

Gott und Israel, dann auch die Menschheit, sind sich verbunden<br />

in Liebe und Gehorsam.<br />

Im Rückblick, erinnert der Beter, hat Gott immer sich <strong>als</strong> Retter erwiesen- auch<br />

wenn der Weg durch die Hölle ging.<br />

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch, ein Spott der Leute<br />

und verachtet vom Volke. Alle, die mich sehen, verspotten mich,<br />

sperren das Maul auf und schütteln den Kopf: »Er klage es dem Herrn,<br />

der helfe ihm heraus und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.«<br />

Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen;<br />

du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.<br />

Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an,<br />

du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.<br />

Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe; es ist hier kein Helfer.<br />

Ich bin ausgeschüttet wie Wasser, alle meine Knochen haben sich voneinander<br />

gelöst; mein Herz ist in meinem Leibe wie zerschmolzenes Wachs.<br />

Meine Kräfte sind vertrocknet wie eine Scherbe,<br />

und meine Zunge klebt mir am Gaumen,<br />

und du legst mich in des Todes Staub. Aber, Gott, sei nicht ferne;<br />

meine Stärke, eile, mir zu helfen!<br />

Ich will deinen Namen kundtun meinen Geschwistern,<br />

ich will dich rühmen in der Gemeinde.<br />

Psalm 22, 7-12.15.16.20.23<br />

Dem Beter scheint jetzt Höllenzeit:<br />

Er sieht sich allein gelassen, ohne Gefährten.<br />

124


Zum Schaden kommt der Spott. Er hält sich selbst für jämmerlich.<br />

Dann aber findet der Beter in sich einen Schatz:<br />

Er hat sich ja nicht selbst erfunden. Er ist ja Gottes Projekt:<br />

Er erinnert Gott an seine Verantwortung.<br />

Gerade weil der Mensch den Schmerz so erleiden kann und muß,<br />

soll Er zu Hilfe kommen. So denken wir ja auch und bitten<br />

und fordern Hilfe von Oben.<br />

Und fanden wir nicht viel mehr Hilfe, <strong>als</strong> dass wir hilflos blieben?<br />

Eigenartig: Sind wir gerettet, verflattert das Danken schnell.<br />

Sind wir aber in Not, ist die Klage groß.<br />

Und letztlich halten wir immer Gott für schuldig.<br />

Dabei tut Gott Niemandem Leid an- wir sind ja Verkörperungen seiner Ideen.<br />

Vielleicht geschaffen, daß Gott sich fühlt im Spiegel unserer Gefühle, und er<br />

sehnt sich danach, von uns gesegnet zu werden- indem wir ihn rühmen.<br />

Der Herr ist mein Hirte,<br />

mir wird nichts mangeln.<br />

Er weidet mich auf einer grünen Aue<br />

und führet mich zum frischen Wasser.<br />

Er erquicket meine Seele.<br />

Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.<br />

Und ob ich schon wander im finsteren Tal,<br />

fürchte ich kein Unglück;<br />

denn du bist bei mir,<br />

dein Hand und Wort trösten mich.<br />

Du bereitest vor mir einen Tisch<br />

im Angesicht meiner Feinde.<br />

Du salbest mein Haupt mit Heilsöl<br />

und schenkest mir voll ein.<br />

Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen,<br />

ich werde bleiben im Hause Gottes auf immer.<br />

Psalm 23<br />

Der Herr ist mein Hirte, mein Pilot, mein bester Freund,<br />

mein Heiler, mein Trainer, mein Vorbild,<br />

mein Leitstern, mein Code, mein Engel.<br />

Mir wird nichts mangeln,<br />

ich werd nicht verrückt, ich geh nicht verloren,<br />

in allem Mangel wird mir nichts mangeln,<br />

ich bleibe Ich, der Behütete.<br />

Er weidet mich auf einer grünen Aue<br />

*<br />

125


und führt mich zum frischen Wasser. Er hält mich,<br />

er stärkt mein Bewusstsein, er beschafft mir Anerkennung,<br />

er hilft mir zu nötigem Wissen.<br />

Er erquickt meine Seele.<br />

Er richtet mich auf durch Freude,<br />

er flüstert mir Gebete, die die Welt bedeuten;<br />

er macht mich glücklich, hilft, daß ich glücklich mache.<br />

Er führet mich auf rechter Straße.<br />

Er lässt mich richtig gehen, er lockt meine Liebe an die Oberfläche,<br />

er hält mich in Balance. Er lehrt mich ausräumen,<br />

was die Freude am Tag behindert,<br />

er beleuchtet mir meinen Zustand, dass,<br />

wenn die Schatten kommen, sie keine Macht über mich haben.<br />

Um seines Namens willen,<br />

weil er es sich schuldig ist, wird er mich, sein Kind, nicht verkommen lassen.<br />

Er wird die Verderbnis seiner Schöpfung verhindern,<br />

er will mich <strong>als</strong> Retter mitziehen.<br />

Und sein Name ist Heil und Hilfe, Sonne und Schild,<br />

Vatermutter, Lebensgrund. Sein Name werde geheiligt.<br />

Und muß ich auch durch Finsternisse,<br />

so fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir,<br />

dein Hand und Wort trösten mich.<br />

Du hast Menschen zur Hand für mich,<br />

Rettungsdienste, Ärzte, Anwälte, ADAC, Rotes Kreuz, Nachbarn,<br />

die Kirchengemeinde, Nächste und Allernächste,<br />

in deren Hände streckst du dich zu mir hin.<br />

Die Worte der Mütter, der Liebenden, der Dichter,<br />

die Zeichen der Künstler trösten; du bist in ihnen bei mir.<br />

Du bereitest vor mir einen Tisch<br />

im Angesicht meiner Feinde.<br />

Du nimmst mich aus dem Schussfeld, du lenkst die Angriffe von mir ab,<br />

du schickst die rettende Ausrede,<br />

du lässt mich meinen Teil abbekommen.<br />

Du nimmst mich in Schutz auch gegen die feindlichen Gedanken<br />

aus meinem Inneren, du überlässt mich nicht den nächtlichen Gespenstern,<br />

du lädst mich an den Tisch in der Sonne.<br />

Du salbest mein Haupt mit Öl<br />

und schenkest mir voll ein.<br />

Du berufst mich zu deinem Kind<br />

und setzt mich in das Amt deines Mitarbeiters ein.<br />

Du gibst mir dein Zeichen an die Stirn,<br />

ich bleibe gesalbt und gezeichnet von dir und für dich.<br />

Du schenkst mir voll ein an Freude, an Ehre, an Gebrauchtwerden.<br />

Gutes und Barmherzigkeit<br />

126


werden mir folgen, man wird nicht hinter mir herfluchen,<br />

nicht mich wie eine Last beseitigen.<br />

Spuren sollen von mir bleiben, die Zeichen aufstellen für guten Lebensweg.<br />

Ob Bäume gepflanzt oder Kinder erzogen, einen Weg gefahrloser gestaltet<br />

oder tröstende Lied angestimmt oder versöhnende Sprache hinterlassen-<br />

es soll gut sein, hier gewesen zu sein.<br />

Ich werde bleiben im Hause Gottes auf immer.<br />

Ich werde zu Gott gehören, werde ihm nicht entfallen,<br />

werde sein Gefährte sein, wenn die Schöpfung ganz und heil wird<br />

und die Liebe allen Hass verdaut hat.<br />

Und Friede wird sein im All. Das All wird ganz Haus Gottes sein.<br />

„Ich habe in meinem Leben viele kluge und gute Bücher gelesen. Aber ich habe<br />

in ihnen allen nichts gefunden, was mein Herz so still und froh gemacht hätte,<br />

wie die vier Worte aus dem 23. Psalm: „ Du bist bei mir“ (Immanuel Kant).<br />

Die Fanfare<br />

Stemmt die Tore hoch<br />

und die Türen in der Welt reißt auf,<br />

dass der König der Ehren einziehe!<br />

Wer ist der König der Ehren?<br />

Es ist der Herr, stark und mächtig.<br />

Sein ist die Erde und was darinnen ist.<br />

Öffnet Tor und Tür, dass der König der Ehren einziehe!<br />

Psalm 24,7.8.1. 9<br />

*<br />

Die einen fordern freie Bahn für Gott. Die andern zögern:<br />

Gibt es überhaupt einen König der Ehren? Hier die Fanfaren des<br />

Willkommens, da die Skeptiker hinter verschlossenen Türen.<br />

„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit“ ist das Adventslied.<br />

Herr der Herrlichkeit ist der, der die Welt will,<br />

dich will, dich aus der Fülle aller Möglichkeiten gehoben hat<br />

und seitdem mächtig für dich streitet.<br />

Du sollst ihm gelingen, durch dich will Gott in die Welt einziehen,<br />

wie er dam<strong>als</strong> in Jesus zur Welt kam.<br />

Wisse dich „im Auftrag des Herrn“ unterwegs.<br />

Sieh, wo du Bewahrung erlebt hast. Und wofür brauchst du neuen Mut, deine<br />

Fenster zur Welt und die Türen innen aufzureißen?<br />

Advent ist Sprung nach vorn, Aufbruch nach Utopia,<br />

„wo noch keiner war, aber alle hin wollen“.<br />

*<br />

127


Ein Lied zur Rettung aus großer Not<br />

Ich preise dich, Herr;<br />

denn du hast mich aus der Tiefe gezogen<br />

und lässt das Feindliche nicht über mich siegen.<br />

Als ich schrie zu dir, da machtest du mich gesund.<br />

Du hast mich von den Toten heraufgeholt;<br />

du hast mich am Leben erhalten.<br />

Psalm 30,2-4<br />

Wir Menschen sind eine Erfahrungsgemeinschaft.<br />

Es sind in unserm Nervensystem die Schrecknisse und Freuden<br />

all derer vor uns gespeichert und äußern sich <strong>als</strong> unwillkürliche Reflexe.<br />

Unsere Sprache hat viel vermessene Welt in sich.<br />

Lieder und Gedichte sind Schiffe voll Erlebnisfracht.<br />

So besingt das Liedchen „Hänschen klein“ die Mutter-Kind-<br />

Trennungsschmerzen jeder Generation,<br />

das Lied „Die Gedanken sind frei“ sichert trotzig ein Menschenrecht.<br />

Und Psalm 30 besingt wegweisend die Auferstehung aus Abgrundstiefen.<br />

Es ist ein Verantworter aller Realität,<br />

ein Schöpfer des Universums, es ist ein großes Du für alle Ichs dieser Welt.<br />

Der ruft die Ichs in ihr Personsein, der Ganze, du Ganzer, du Ganze,<br />

von der wir die Atome sind; du, die Weltseele, von der wir die Relais sind,<br />

Du die Zeit und wir die Phasen; du das Meer und wir die Tropfen,<br />

wir die Worte, du das Gedicht.<br />

Du hast mich aus dem Nichtsein gezogen. Du lässt mich vorhanden sein.<br />

Du hältst mich im Sein. Weil du mich willst, bin ich.<br />

Und weil du mich <strong>als</strong> genau diesen Menschen willst<br />

mit genau diesen Genen und Wegen, bin ich, der ich bin.<br />

Und werde noch immer mehr deiner, bis ich ganz in dir ruhe.<br />

Ich preise dich, dich.<br />

Dazu braucht es selten Festgottesdienste,<br />

im Ein- und Ausatmen, im Schlagen des Pulses,<br />

im Verwandeln der Nahrung zu Energie, im Spiel der Liebe bist du da,<br />

„das Lebendige in allem Fleisch“ (4. Mose 16,22).<br />

Und doch ist es gut, dich mir zu benennen,<br />

damit Dank und Staunen mich Schwerfälligen leicht machen.<br />

Ich will merken, will wahrnehmen die Wunderbarkeit deiner Wege mit mir.<br />

Allein schon das Überwintern der Knospen und mein Auf- die-Beine-kommen<br />

am Morgen, und wie das Grämliche schmilzt unter Einstrahlung von<br />

Sympathie- Gott, mein Gott, wie rettest du mich stündlich vor dem Nichtigen.<br />

128


Du hast mich aus den Tiefen gezogen, fast wäre ich ertrunken, verblutet,<br />

hätte mich weggeworfen, wäre verstoßen, verarmt, verhärmt.<br />

Doch du hast mich über Wasser gehalten durch einen Menschen,<br />

Du hast Hilfe gebracht, Du hast mich wiederbeatmet mit <strong>Lebensmut</strong>.<br />

Du hast mich zu dir schreien machen.<br />

Du hast mir schluckweise Zuversicht eingespeist,<br />

du hast mir Erstarrtem Wärme von der Hand eines Andern zukommen lassen.<br />

Ich war mir schon tot, mir war die Welt schon vergangen,<br />

da hast du mich wieder berufen zu noch ganz anderem Leben.<br />

Darum kann ich Goethe nach sagen: “Und wäre mir auch was verloren, kann<br />

immer tun wie neu geboren.“<br />

Lobsinget dem Herrn,<br />

Ihr seine Heiligen preiset seinen heiligen Namen!<br />

Denn sein Verdunkeltsein währet einen Augenblick,<br />

lebenslang aber seine Gnade.<br />

Den Abend lang währet das Weinen, aber des Morgens ist Freude.<br />

Psalm 30, 5-6<br />

Und dann braucht man doch Gemeinde, Freunde, Mitfeiernde,<br />

braucht doch beschwingte Gottesdienste- den Chor, der die eigene Stimme<br />

mitträgt. Allein kann man nicht recht haben, nicht auf Dauer.<br />

Darum gib ein Fest zu deiner Rettung, schreib auf dein Erstarken,<br />

erzähl deine Wiederkehr zu den Lebenden, bekenne deine Dankbarkeit.<br />

Ruf es hinaus, wie ganz und gar unselbstverständlich dir deine Genesung ist.<br />

Gott wird so viel verklagt,<br />

meist von außen, nicht von denen, die noch mit Gott ringen und ihn <strong>als</strong><br />

Mitleidenden ahnen. Du hast ihn doch erfahren, dir war er nur eine Strecke<br />

verdunkelt, dir war er nur eine Zeit lang abhanden kommen.<br />

Schlimmst genug war das.<br />

Aber gegen deine Rettung und die dann glückliche Zeit<br />

ist das Dunkel dir nur einen Schrecken lang gewesen.<br />

Lasse das Zagen, verbanne die Klage, maule, mäkel nicht mehr. Mach es gut.<br />

Und auch - wenn du zur Nacht weinst, morgen ist ein neuer Tag seiner Gnade.<br />

Freude wird dir blühen, halt dich bereit.<br />

(Vers 6 heißt im Urtext:“ Sein Zorn währet einen Augenblick“-<br />

Das kann man so verstehen: Da ist einer überglücklich einem Leid entronnen<br />

und fordert seine Sinne und die Menschheit auf, Gott zu loben.<br />

Er hat sein Leid mit eigenem Versagen in Verbindung gebracht,<br />

aber es ist ihm eine Ehre, daß er wahrgenommen ist vom ewiggültigen Gott.<br />

Dieser muß ihm zürnen, wie er ja selbst über sich zürnt.<br />

Zorn ist viel mehr Zuwendung <strong>als</strong> matte Toleranz; Zorn ist Zeichen des<br />

Getroffenseins- wäre Gott der Beter egal, hätte er ihn einfach nur abgetan.<br />

129


Kann zur Liebe auch Zorn gehören- einen Augenblick lang?<br />

Die vor uns meinten, Zorn sei die Kehrseite der Verunehrung, und muss sein.<br />

Jedenfalls sind die Proportionen wunderbar: Ein Nu lang das Dunkel zwischen<br />

Gott und uns, aber lebenslang seine Gnade.<br />

Tränen in der Nacht- manchmal müssen sie sein. Aber des Morgens ist Freude,<br />

auf Gott ist Verlass.<br />

Ich aber, <strong>als</strong> es mir gut ging,<br />

sprach: Ich werde nimmermehr wanken. Denn,<br />

Herr, durch dein Wohlgefallen hattest du mich auf einen hohen Fels gestellt.<br />

Psalm 30,7.8a<br />

Vor dem Fall kommt der Hochmut. Geht’s uns schlecht, sind wir mit Klagen<br />

schnell dabei. Geht’s uns aber gut, werden wir leicht selbstgefällig und<br />

fahrlässig; Meinen sogar, die Gunst des Schicks<strong>als</strong> gepachtet zu haben. Halten<br />

wir uns für Lieblinge des Schicks<strong>als</strong>, sehen uns erhoben „über denen da unten“?<br />

Es gibt eine Arroganz, die Dank benutzt um sich den vermeintlichen Privatgott<br />

zu sichern, nach dem Motto: „Ich danke Gott, dass ich nicht so bin, wie die<br />

andern“(Lukas 18,11).<br />

Aber <strong>als</strong> du dein Antlitz verbargst,<br />

erschrak ich. Dann rief ich wieder zu dir und flehte: Herr, sei du mein Helfer!<br />

Psalm30,8b.9.11<br />

Es ist wohl so: „Des Lebens ungemischte Freude ward keinem Irdischen zuteil“<br />

(Friedrich Schiller). Weil der Hunger und die Sehnsucht groß, aber die<br />

Ressourcen begrenzt sind, und alles seinen Preis hat, und die Welt voll<br />

Doppeldeutigem und Doppelbödigem ist. Und wo viel Licht ist, ist viel<br />

Schatten.<br />

Ein tiefer Fall wird von uns verstanden <strong>als</strong> habe Gott nicht genug auf uns<br />

aufgepasst. Ja, wir unterstellen, Gott ließe uns mutwillig in Fallen tappen,<br />

hänge uns Krankheiten an. Aber Gott ist gut. Was geschieht, geschieht ihm mit.<br />

Es kann sein, dass wir den Blickkontakt zu Gott verlieren,<br />

auch weil wir ihn an f<strong>als</strong>chen Orten, in f<strong>als</strong>chen Kleidern suchen.<br />

Gut, wenn wir dann zurückgehen zu biblischer Erfahrung und etwa an Jesu<br />

Geschichten die wahre Spur aufnehmen zum Gott in den Mühen und im Teilen.<br />

Erstaunlich ist ja immer wieder unsere Selbstgewissheit.<br />

Kaum ist man aus einem Schlamassel raus, da strunzt man wieder: „Mir kann<br />

keener“ ,oder „es is noch immer jod jejange“; „Wanken? Nimmermehr!“.<br />

Hat Gott Wohlgefallen an einem mit so aufgeblasenen Backen,<br />

der sich rühmt, ihn zum Schutzpatron zu haben?<br />

Augenblicklich kann es sein, daß er sein Antlitz verbirgt.<br />

130


Dann durchflutet Kälte die Gedanken, die Wärme der Verlässlichkeit ist dahin.<br />

Man steht allein. Dann, gut für mich, wenn ich durch die Verzweiflung hindurch<br />

flehen kann. Und dann –so bezeugen die Heiligen von alters her- wird er die<br />

Klage verwandeln.<br />

Du hast mir meine Klage verwandelt<br />

in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen<br />

und mich mit Freuden gegürtet, dass ich dir lobsinge und nicht verstumme. Herr,<br />

mein Gott, ich will dir danken in Ewigkeit.<br />

Psalm 30,12.13<br />

Wenn das doch die Beute meines Erdendaseins wäre:<br />

Das Leben, gekennzeichnet <strong>als</strong> Auftakt, <strong>als</strong> Weg zur Heilung, <strong>als</strong> Heimweg;<br />

auch <strong>als</strong> Erziehung zum Frieden- in den Abschnitten und im Ganzes: Von der<br />

Klage zum Reigen, von der Trauer zur Freude.<br />

Die Klage hat ihr Recht- bewahrt sie doch dem Gepeinigten die Würde,<br />

nicht gut finden zu müssen, was ihm abgebrochen und entwunden ist.<br />

Aber Gott <strong>als</strong> letzte Adresse für Klage und Dank fädelt uns wieder ein in den<br />

Reigen der Freude.<br />

Trauerkleider haben ihre Zeit.<br />

Wir Hinterbliebene sind noch auf der Strecke, die von uns Genommenen dürfen<br />

wir wissen wir <strong>als</strong> zu Gott hingegangen.<br />

Und weil der Reigen, den Gott mit seiner Schöpfung vorhat,<br />

noch in Arbeit ist, darum sind wir auch noch mit beteiligt am Bau des Herrn<br />

und legen die Hände noch nicht in den Schoß beim Loben.<br />

Verheißen ist: Du wirst zurückblicken, deine Seele erstarkt,<br />

du bist wie zum Tanz geleitet in glücklicher Runde,<br />

Klagelieder ade! Schamzeit, Schuldzeit - abgetan, Du strahlst vor Freude.<br />

Gott will, dass du es so erlebst.<br />

Gott, auf dich traue ich,<br />

lass mich nimmermehr zuschanden werden,<br />

errette mich durch deine Gerechtigkeit!<br />

Denn du bist mein Fels und meine Burg,<br />

und um deines Namens willen leite und führe mich.<br />

Zieh mich aus dem Netze, Du meine Stärke.<br />

In deine Hände befehle ich meinen Geist.<br />

Du stellst meine Füße auf weiten Raum,<br />

meine Zeit steht in deinen Händen.<br />

Psalm 31,1,3,4,6,9b, 16<br />

*<br />

131


In dem Großen Ganzen will ich mich morgens orten, abends in ihn münden.<br />

Wir brauchen doch Orientierung.<br />

Ein Schiff kann auch nicht Kurs nehmen an seiner Mastleuchte,<br />

es braucht den Leuchtturm, den Peilpunkt von außerhalb.<br />

Auch wir können uns nicht an uns ausrichten.<br />

Mein Gewissen muß sich gebunden wissen an eine letzte Instanz,<br />

Verantwortung ist Antwort, mein Vertrauen sucht das Herz aller Dinge.<br />

„Mein Fels“, „meine Burg“, „meine Stärke“<br />

sind Ankerworte der Menschheit für den Ewiggültigen.<br />

Der errettet mich, weil ich sein bin.<br />

Nicht bin ich seiner besonders würdig, nicht gut und gerecht.<br />

Sondern seine Liebe macht mich ihm recht.<br />

Seine Güte deckt meine Schwächen;<br />

Sein Verzeihen zieht mich aus den Verstrickungen,<br />

mein Geist wird neu verständig durch Sprechen mit ihm.<br />

Du stellst meine Füße auf weiten Raum,<br />

ich kann wieder ausschreiten und sicher gehen.<br />

Meine Zeit nehme ich aus deinen Armen,<br />

meine Wege sind in deine Hände gezeichnet. Ich kann nicht verfallen.<br />

Darum wird der Tag gut, und die Nacht lässt mich sicher ruhen.<br />

Hoffe auf Gott<br />

und tu Gutes, habe deine Lust an Gott;<br />

der wird dir geben, was dein Herz wünscht.<br />

Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn,<br />

er wird’s wohl machen.<br />

Von Gott kommt es, wenn des Menschen Schritte fest werden.<br />

Fällt er, so stürzt er doch nicht; denn Gott hält ihn an der Hand.<br />

Lass ab vom Bösen und tu Gutes.<br />

Bleibe fromm und halte dich recht;<br />

So wird es dir letztlich gut gehen.<br />

Psalm 37,3-5,23,24,27,37<br />

*<br />

Vor Gott meinen Weg bedenken, das ist es.-<br />

Natürlich bin ich verpflichtet, Gutes zu tun, redlich zu handeln<br />

und mich nicht blöde anzustellen.<br />

Aber Lust an Gott haben, ist die größte Kunst.<br />

Die Dinge mit ihm in Beziehung sehen,<br />

mit ihm zu tun haben in allem und jedem, ihn mit betroffen sehen<br />

in Katastrophen, ihn sprießen sehen im Glücken - das ist faszinierend.<br />

132


Warum blühen die Blumen in so prächtigen Farben?<br />

Nicht nur zur besseren Vermehrung sondern weil Gott Farben liebt.<br />

Warum bist du da? Nicht nur, weil die Eltern ein Kind wollten<br />

sondern weil der Weltwille dich will und mit dir was Besonderes ausrichtet.<br />

Den Zusammenhang glauben von allem und jedem mit Gott, dem Ganzen-<br />

das ist gut. Ihm meine Wege anbefehlen,<br />

das meint, ihm mein Schicksal anzuvertrauen:<br />

Also beten um Geleit und Schutz vor allem vor eigenen Verrücktheiten.<br />

Es ist soviel Irrung und Wirrung möglich, unter jedem Dach ein „Ach“ –<br />

doch mindestens eine Mühsal, ein Gebrechen, eine Schwäche, eine Unart.<br />

Und wie damit zurechtkommen? Gott, gib mir Hirn und Mut und Einsicht und<br />

Chancen. Und Balance, Maß, Freude an Harmonie.<br />

Hinfallen, aber noch aufstehen können, und wenn nicht, daß dann Hilfe komme<br />

von Gott, „Schutz und Schirm vor allem Argen“- so weit wie möglich.<br />

Bleib fromm- <strong>als</strong>o vertrauensvoll in Gott. Wisse, daß du mit allem<br />

zurechtkommst, weil und solange du es mit Gott in Beziehung siehst. Gottes<br />

Hand kann drücken, aber es ist seine.<br />

*<br />

Was betrübst du dich, meine Seele?<br />

Und bist so unruhig in mir? Verlass dich auf Gott. Du wirst ihm noch danken,<br />

daß er dich wieder aufrichtet und dein Gott ist.<br />

Psalm 42,6<br />

Darauf setzen- immer wieder wirst du Gutes ernten: Du wirst danken. Lass doch<br />

die Wege steinig sein, sie münden im Guten. Lass die Tränen rinnen, sie werden<br />

von der Sonne weggeküsst. Wenn auch Menschen dich enttäuschen, du wirst<br />

letztlich gerettet und heil werden. Keine Angst. Du wirst hindurchgetragen.<br />

Ich will auf Gott hoffen<br />

und mich nicht fürchten. Was können mir Menschen tun?<br />

Psalm 56,5<br />

*<br />

Menschen können Menschen viel antun, das weißt man von sich selber, man<br />

weißt von seinem Fiesseinkönnen, wenn man gekränkt ist. Doch sag dir das<br />

täglich: Ich will mich nicht fürchten, was können mir Menschen tun? Die um<br />

dich sieh nicht <strong>als</strong> gefährlich an, aber suche auch nicht Gefahren. Räum<br />

Missverständnisse aus. Sieh dich nicht verfolgt, nicht ausgegrenzt, nicht<br />

133


umzingelt. Es ist keine Verschwörung gegen dich im Gange. Genieße<br />

unbefangen deine Welt. Nimm hin, was geschieht, es ist kein Vorwurf an dich,<br />

wohl aber Lockruf, mit zu spielen und das Beste für dich daraus zu machen.<br />

Denn es ist Gottes Geschichte, in der du mittust. Es soll dir gut gehen, das ist<br />

Gottes Projekt.<br />

Gott, du bist mein Gott, den ich suche.<br />

Es dürstet meine Seele nach dir,<br />

mein ganzer Mensch verlangt nach dir.<br />

Ich halte Ausschau nach dir und deinem Heiligtum,<br />

ich wollte so gerne sehen deine Macht und Herrlichkeit.<br />

Denn deine Güte ist besser <strong>als</strong> Leben.<br />

Das ist meines Herzens Freude und Wonne,<br />

wenn ich dich mit fröhlichem Munde loben kann;<br />

wenn ich mich zu Bette lege, so denke ich an dich,<br />

wenn ich wach liege, sinne ich über dich nach.<br />

Denn du bist mein Helfer.<br />

und unter dem Schatten deiner Flügel bin ich glücklich.<br />

Meine Seele hängt an dir; deine rechte Hand hält mich.<br />

Psalm 63, 1-9<br />

*<br />

Daß deine Seele nach Gott dürstet- merkst du an deiner inneren Unducht, deiner<br />

Mißgestimmtheit, deiner Lähmung, deinem wunschlosen Unglück; keine<br />

Gemeinde, kein Trost, keine Freude, kein Ruf. Du fühlst dich leer, unnötig,<br />

verlassen, verarmt, heute jedenfalls.<br />

Aber wenn du noch deinen Mangel merkst, ist Hoffnung. Bitte, entdeck deine<br />

Wünsche wieder. Wenn du dich nach Leuchten und Freude sehnst, hältst du<br />

nach Gott Ausschau.<br />

Du hast ja von Gott gehört. Wenn die Welt sein Haus ist, dann hat er viel zu<br />

bieten. Seine Güte ist ja, daß er Macht und Herrlichkeit teilen will. Er will auch<br />

dich beglücken. Es ist seine Leidenschaft, dich des Lobes voll zu machen.<br />

Darum sinne wieder über ihn nach, sinne dir nach im Gespann mit ihm. Unter<br />

dem Schatten seiner Flügel erspüre dir ein neues Lebensgefühl: Du- gehalten,<br />

getröstet, gebraucht, geliebt.<br />

Freude und Wonne sollst du ausstrahlen, Gott wird nicht ruhen, bis Du soweit<br />

bist. Und wenn er dich erst durchs Sterben fädeln müsste, du wirst ihn finden.<br />

Singet Gott,<br />

*<br />

134


lobsinget seinem Namen! Freuet euch vor ihm!<br />

Er ist Vater der Waisen und Mutter der Witwen; ein Gott, der die Einsamen<br />

nach Hause bringt, der die Gefangenen ins Freie führt.<br />

Als du vor deinem Volk herzogst in der Wüste, da bebte die Erde, und die<br />

Himmel troffen vor Gott - am Sinai. Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt uns<br />

eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft, und den<br />

Herrn, der vom Tode errettet. Immer wieder gibt er den Menschen Macht und<br />

Kraft. Gelobt sei er!<br />

Psalm 68, 5-9, 20, 21,36b<br />

Ein Schatz an Lebenserfahrung in sieben Sätzen: Freude ist unser Auftrag.<br />

Darum hängt Gott vor allem an den Beschädigten und Verlassenen. Die am<br />

meisten entbehren, haben noch am meisten von ihm zu erwarten, damit auch sie<br />

Grund zu Freude und Dank haben.<br />

In jedem Leben soll es Zeiten geben, die von Gott „triefen“, von Glück, Fülle,<br />

Liebe, Verwöhntsein. Jeder Mensch soll zurückblicken können auf Heilszeit.<br />

Also denk nach, wie viel dir schon gelang. Gedenke der Bewahrungen, die dir<br />

geschahen.<br />

Eine Heilszeit der Menschheit war wohl die Zeit Israels in der Wüste, <strong>als</strong> sie auf<br />

dem Weg waren aus der Knechtschaft Ägyptens ins Gelobte Land.- Da am Sinai<br />

troff der Himmel von Gott- Fülle um Fülle fällt uns immer noch zu in den Zehn<br />

Geboten- dem Masterplan für gutes Zusammenleben.<br />

Gott gibt. Er ist der Quell aller Güter, auch der Brunnen aller Güte- Gott betreibt<br />

das Lebenkönnen seiner Schöpfung mit dauernder Ausschüttung guter Gaben<br />

und Kräfte. –Aber es ist auch viel Mangel, Irrtum, Gier, Schuld,<br />

Schaden,Verbrechen. Ich möchte alle Last <strong>als</strong> von Gott auferlegt sehen können,<br />

will sie annehmen <strong>als</strong> nötig.-<br />

In südlichen Gegenden sieht man die Äcker umfriedet mit Mauern aus Steinen.<br />

Diese Steine wurden in Generationen vom Boden gelesen, immer neue schienen<br />

von unten ans Tageslicht zu kommen. Sie mussten weggetragen werden, denn<br />

wo Steine, da keine Erde zum Wachsen. Und jetzt halten die Steinmauern den<br />

Wind auf, dass der die kostbare Ackerkrume nicht wegtrage.- Nicht <strong>als</strong> Strafe<br />

oder Prüfung sind die Steine gegeben, sondern <strong>als</strong> Mühen, die noch abgetragen<br />

sein müssen. So ists auch mit den Strapazen. Und das mir auferlegte Quantum<br />

soll ich übernehmen, weil an diesem Ort zu dieser Zeit ich da bin, und andere<br />

für andere Mühen gebraucht werden; ich aber für dieses, mein Leid.<br />

Schon zu wissen, daß nicht blöder Zufall Spott mit mir treibt, hilft. Und es<br />

stärkt, daß mit der geschulterten Mühe ich Gott beistehe. Er wird mit dem jetzt<br />

Anstehenden fertig werden, auch mittels meines Tuns. In den Mühen wisse,<br />

dass dir Kraft zuströmt von ihm, dem Liebhaber des Lebens.<br />

*<br />

135


Das große Dennoch<br />

Dennoch bleibe ich stets an dir;<br />

denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,<br />

du leitest mich nach deinem Rat<br />

und nimmst mich endlich mit Ehren an.<br />

Psalm 73, 23.24<br />

Allen Katastrophen und Schmerzen begegnet der Beter mit seiner Dennoch-<br />

Posaune. Was auch an Fürchterlichem auf mich niederprasselt- ach könnt ich<br />

doch auch dieses „Dennoch“ anstimmen. Nicht weil ich so stark bin oder stur, so<br />

fromm oder beharrlich. Sondern das große Du hält mich. Auf unbeschreibliche<br />

Weise bin ich geborgen, gehalten, bin gebunden an dich, weil du, Gott, mich<br />

nicht lässt.<br />

Mit dem Rücken zur Wand bleib ich an dich gelehnt, bleib in deine Hände<br />

gepresst, auch wenn sie hart sind, jetzt. Du leitest mich, ohne mir meinen<br />

Freiraum zu nehmen und ohne die Bosheiten des Lebens vor mir wegzuwischen.<br />

Ich gehe im Gehege deines Willens, das ist mir wichtig, auch wenn die Räder<br />

des Schicks<strong>als</strong> und dein Rat für mich auseinanderdriften. Ich sehe mich auf<br />

einem langen Lebensweg, der in dir läuft und bei dir mündet. Tröstlich<br />

wunderbar ist: Du nimmst mich endlich mit Ehren an. Wenn dies das Ziel des<br />

Lebens mit dem Sterben am Ende ist, ist alles gut. Weil alles gut wird.<br />

Etty Hillesum, eine Holländerin, die in Auschwitz ermordet wurde, schrieb:<br />

“Es gibt in mir einen ganz tiefen Brunnen, und darin ist Gott. Manchmal ist er<br />

für mich erreichbar, aber oft liegen Steine und Geröll auf dem Brunnen, dann ist<br />

Gott begraben. Dann muss er wieder ausgegraben werden.”<br />

Wenn ich nur dich habe,<br />

so frage ich nichts nach Himmel und Erde.<br />

Psalm 73,25<br />

So kann ich es nicht sagen, Gott. Zu fest hast du mich an Erde und Stoff und<br />

Menschen gebunden. Aber alles, was ich liebe, ist mir doch Pfand geworden für<br />

dich. Noch habe ich dich nur in den von dir aufgegebenen Pflichten und<br />

Freuden, in den anvertrauten Nächsten, in den Sonnenstrahlen, im<br />

Liebesgeflüster. Gerade weil ich dich habe, und du mich hast, frage ich nach<br />

deinem Himmel und deiner Erde.<br />

Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet,<br />

so bist du doch,<br />

Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.<br />

Psalm 73,26<br />

136


Noch ist mir nicht Leib und Seele verschmachtet, aber ich war auch schon hart<br />

am Rande. Und ich hatte keine Sprache mehr zu dir hin, es wurde leer in mir. Da<br />

schenktest du mir Strahlen von Glaube, dämmernde Hoffnung, Rinnsale von<br />

Geliebtsein, Gedächtnisworte der Vorigen mit dir. Du ängstigtest dich um mich.<br />

Auch wenn ich an dir zweifelte, du hieltest durch, du hieltest mich. Gott, du<br />

meines Herzens Trost, ich bleib mit dir verwickelt, bleibe an dich angedockt,<br />

bleib mit dir im Konvoi- wie Michelangelos Adam mit dir Finger an Finger<br />

schwebt.<br />

Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte<br />

und meine Zuversicht setze auf Gott, dass ich verkündige all dein Tun.<br />

Psalm 73,28<br />

Freude schöpfen aus der Zuversicht auf Gott- sie gibt jedenfalls langen Atem.<br />

Und Menschenbefreundung- wir sind doch einander zur Erfreuung gedacht. Was<br />

zählt da aller Ärger, was soll alles augenlose Aneinandervorbeihasten.<br />

Ich will von dir aufgeweckt sein, will für dich eine gute Empfehlung sein. Dein<br />

Tun verkündigen heißt ja vor allem von deinem Tun eingenommen sein und<br />

dein Tun mittun. Und das ist die reine Freude. Wenn wir das mitdenken, dass<br />

wir dein Tun mittun, mitleiden, mitgenießen, sind wir gerettet, sind wichtig, sind<br />

der Leere entronnen.<br />

*<br />

Wie lieblich<br />

sind mir deine Wohnungen, mein Gott<br />

Meine Seele verlangt nach den Vorhöfen des Herrn;<br />

mein Leib und Seele freuen sich<br />

in dem lebendigen Gott.<br />

Der Vogel hat ein Haus gefunden<br />

und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen -<br />

deine Altäre, mein König und mein Gott sind mein Haus und mein Nest.<br />

Psalm 84,2-5<br />

Das uns Heimat sein lassen: Wir in Gott. Die Welt sein Haus- wir hier nicht<br />

fremd. Aber wir sind auch von Erde, wollen besitzen, wollen zu Einigem sagen<br />

können: „Meins“, „Meins und nicht Deins“. Und dann hängen wir an Haus und<br />

Grund, an Konten und Sachen, wie festgeklebt.- Würden wir doch uns leichter<br />

tun mit dem Irdischen, es nutzen und pflegen, es teilen und dann auch mal lassen<br />

können.<br />

137


Manchmal das Glück, behaust zu sein und Gott Tür an Tür zu wissen. Es gibt<br />

Orte die sind gottvoll; Meere, Berge, Ebenen, Wälder, Kirchen - Vorhöfe des<br />

Herrn. Und deine Hand, die Brot teilt, baut die Wohnung des Herrn mit.<br />

Vielleicht sind die Kirchen und Altäre Zwischenräume- Irdisches, mit einigem<br />

himmlischen Anstrich; ausgegrenzte Orte, an denen sich Gott und Mensch gut<br />

treffen können. Einige Orte geben deiner Seele besonderes Heimatgefühl. Such<br />

sie wieder auf.<br />

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten<br />

und von Herzen dir nachleben!<br />

Wenn sie durchs dürre Tal ziehen,<br />

wird es ihnen zum Quellgrund,<br />

und Frühregen hüllt es in Segen.<br />

Sie gehen von einer Kraft zur andern<br />

und schauen den wahren Gott.<br />

Denn Gott der Herr ist Sonne und Schild.<br />

Psalm 84,6-8,12<br />

Gott für meine Stärke halten- das ist die Kunst. Mein zu Gott Gehören hält<br />

mich. Mein Machen und Können sind Kräfte von seinem Energiestrom, noch im<br />

Dürren kann ich Brunnen bauen, noch im Dunklen Lichter des Mutes entzünden.<br />

Sieh, wie du Kräfte nimmst, <strong>als</strong> gingest du von einer Blüte zur nächsten-<br />

du bist ein Segen für dein Umfeld.<br />

Lass dir Gott Sonne und Schild sein, die Kraft zu allem Guten, Schutz in allem<br />

Schweren. Er ist Sonne- alle Energie: er ist Schild, Schutz, Hilfe. Gott –alle<br />

Energie, alle Liebe- was müssen wir mehr wissen?<br />

*<br />

Gott, du bist unsre Zuflucht für und für.<br />

Ehe denn die Berge wurden und die Erde und die Welt geschaffen wurden,<br />

bist du, Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.<br />

Der du die Menschen lässest leben- und dann auch sterben, sprichst dann:<br />

Kommt wieder, Menschenkinder!<br />

Psalm 90,1-3<br />

Einer der innigsten Namen für Gott ist „ Du Zuflucht“. Du Gott bist mir<br />

Zuflucht, Ziel, Halt, Schutz. Wenn es nicht weiter geht, bist du da; du bist die<br />

Mündung von allem. Wenn mir die Seele ausfließt, fließt sie in dich. Geh ich<br />

mir verloren, rufst du mich heim. Du bist schon immer da, wirst auch nach uns<br />

noch kommen. Du bist. Du bist das Meer, das uns wie Strudel bildet, die eine<br />

Weile bleiben. Dann rufst du uns aus unserer irdischen Gestalt zurück: kommt<br />

wieder, Menschenkinder. Dein Nennen macht uns einmalig; Wir sind deine<br />

138


Kinder. Du rufst uns –<strong>als</strong>o bleiben wir vor Dir. Und bleiben <strong>als</strong>o auch für uns<br />

wer. Wer, was bleiben wir? Wir bleiben Deine.<br />

Tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist und wie eine<br />

Stunde in der Nacht. Du lässt uns dahinfahren wie einen Strom, wir sind wie ein<br />

Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sprosst; das am Morgen blüht und<br />

sprosst und des Abends welkt und verdorrt.<br />

Das macht dein Wille, dass wir kommen, ein Stück bleiben und wieder gehen,<br />

Uns ist es ein Schrecken, wenn wir plötzlich dahinmüssen.<br />

Dann stehen wir vor dir- mit Sünden. Aber stehen im Lichte deines liebenden<br />

Angesichtes.<br />

Psalm 90,4-8<br />

Die Zeitmaße sind verschieden. Schmerz dehnt die Zeit, Glück macht sie<br />

pfeilschnell. Unsere Lebenszeit fließt in Kindheit und Jugend erst mal wie ein<br />

breiter Strom. Dann geht es wie im Schlaf- zügig, hindurchpreschend in Arbeit,<br />

Liebe, Kinder oder auch nicht, Standgewinnen, Hausbau, oder auch nicht. Im Nu<br />

sind wir alt, sind wie ein Gras, das die Kraft verliert. Je älter wir werden, desto<br />

schneller fließt die Zeit ab: dann ist es plötzlich zu spät, dann ist hier Schluss mit<br />

Wandel. Doch wir verfallen nicht. Wir haben Aussicht: Du stellst uns vor dich.<br />

Das Licht deines Antlitzes wird uns schön machen.<br />

Alle unsre Tage werden durch dich angetrieben. Dein Unwille gegen das Böse<br />

macht dich auch zornig, so müssen wir denken. Wir bringen unsre Jahre<br />

meistens zu wie ein Geschwätz.<br />

Unser Leben, wenns gewährt ist, währet siebzig oder achtzig Jahre,<br />

und wenns hoch kommt, noch etwas mehr. Wenn es köstlich gewesen ist, ist es<br />

auch voll Mühe und Arbeit gewesen. Es fährt schnell dahin, <strong>als</strong> flögen wir<br />

davon.<br />

Psalm 90,9.10<br />

Der Treiber des Lebens ist Gott. Mittels der Zeit tätowiert er uns, wir werden<br />

geprägt vom Geschehen und gestalten dieses mit. Darum ist unser Gehen in der<br />

Zeit so wichtig, der Umgang mit Zeit so dramatisch entscheidend. Ob wir unsere<br />

Tage zubringen in freudloser Eile, geschwätzig- leer oder in hemmungsloser<br />

Zärtlichkeit, liegt an uns. Lasst uns doch gern hier sein, auf dieser schönen<br />

armen Erde. Zuletzt wird uns alles zu kurz gewesen sein. Und wir wünschen uns<br />

davonzufliegen in das ewige Zuhause.<br />

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.<br />

Psalm 90,12<br />

139


Klug werden angesichts des Sterblichseins: Wir sind nur auf Zeit hier. Haben<br />

lauter letzte einmalige, wunderbare, teure, schützenswerte, bitte- gut zu<br />

nutzende Tage. Und Nächte. Also Lachen, Lieben, Beistehen, Nehmen, Geben,<br />

Probleme lösen, Schmerzen und Lasten tragen, Schuldigwerden und Verstehen.<br />

Und „Wenn du weißt, was du willst, musst du machen, daß du hinkommst“ (Die<br />

Mißfits). Und „Man muß die Notwenigkeiten lieben und pflegen lernen, muß<br />

das Starre und Unversöhnliche eben zu erweichen versuchen; und darf sich nie<br />

verstoßen vorkommen“(R. W<strong>als</strong>er). Wir können unsere Zeit nicht vermehren,<br />

können uns aber vervielfachen, indem wir uns ins vielfältige Lebendige und in<br />

seine Seele, Gott, vertiefen. Und ja, bei den Hinterbliebenen dann mal einen<br />

guten Nachgeschmack hinterlassen, das wäre gut.<br />

Fülle uns frühe mit deiner Gnade, so wollen wir rühmen und fröhlich sein unser<br />

Leben lang. Nach Unglück erfreue uns wieder. Zeige uns deine Werke, deine<br />

Herrlichkeit deinen Kindern. Und der Herr, unser Gott, sei uns freundlich und<br />

fördere das Werk unsrer Hände bei uns.<br />

Ja, das Werk unsrer Hände und Gedanken wollest du fördern!<br />

Psalm 90,14-17<br />

Was genau für dich Lebensklugheit ist, musst du selbst erfahren auf deinem<br />

Weg. Sicher hilft es, sich vor Gott auszusprechen und zu bitten: Fülle uns mit<br />

deiner Gnade, <strong>als</strong>o mit Heiligem Geist, mit Begabungen,<br />

Menschenfreundlichkeit, Humor, Staunen, Dankbarkeit.<br />

Freude ist sichtbares Zeichen von Gnade und Fröhlichkeit hilft. Eine starke<br />

Form göttlicher Freundlichkeit sind Hände und Gedanken, die ein Werk<br />

gestalten. Wir alle brauchen die Förderung von oben. Beten wir, daß wir heute<br />

brauchbar sind fürs Leben.<br />

*<br />

Und die Alten<br />

Die gepflanzt sind im Haus des Herrn, blühen auch im Alter noch und bringen<br />

Früchte und sind frisch. Dass sie verkündigen, wie Gott es gut macht.<br />

Psalm 92,15f<br />

Auch aus den Alten bereitet sich Gott ein Lob. Auch sie können noch blühen<br />

und gedeihen, können noch Früchte der Lebensfreude und Schaffenskraft<br />

bringen. Manche Alte scheinen spät erst jung zu werden, manches Glück<br />

passiert ihnen wie zum ersten Mal. Oft ist Liebe das Geheimnis ihre Frischseins.<br />

Es ist wohl so: „Du bist jung wie deine Zuversicht und so alt wie deine Zweifel;<br />

so jung wie dein Selbstvertrauen, so alt wie deine Furcht; so jung wie deine<br />

Hoffnung, so alt wie deine Verzagtheit“ (Albert Schweitzer). -Erst wenn die<br />

Flügel deiner Seele nach unten hängen und das Innere deines Herzens vom<br />

140


Schnee des Pessimismus und vom Eis des Zynismus bedeckt sind, erst „dann<br />

sind die bösen Tage gekommen und die Jahre nahen sich, von denen du sagen<br />

wirst: „Sie gefallen mir nicht“(Prediger 12,1).<br />

Lobe den Herrn, meine Seele,<br />

und was in mir ist, seinen heiligen Namen!<br />

Psalm 103,1<br />

*<br />

Es lobt sich <strong>als</strong>o nicht selbstverständlich. Mein nachdenklicher Geist muss mein<br />

Ich anfeuern, muss meine Person, meine Seele antreiben, sich aufzuschwingen,<br />

Gott zu loben. Vielleicht sind wir ja wie Kinder, die meinen, ein Anrecht zu<br />

haben auf Verwöhntwerden. Sind wir unleidlich, wissen wir schnell uns zu<br />

beschweren- und alles sich Beschweren zielt letztlich auf so was wie Gott. Aber<br />

ihn loben? Ihn anerkennen <strong>als</strong> großen Künstler, ihn bewundern <strong>als</strong> Freund des<br />

Lebens? Ihm Dank sagen? Wir haben kein Recht auf den nächsten Atemzug und<br />

bekommen ihn doch eingeschenkt. Wie überirdisch fühlt sich das Lieben an?<br />

Wie grandios ist der Herrgott, der macht, daß wir bei der Schöpfung mitmachen.<br />

Danken und Loben ist zuerst mal Staunen. Also lasst uns nicht durchs Leben<br />

stolpern wie Klötze sondern merken, wie wunderbar ist, was ist.<br />

Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat und<br />

tun wird:<br />

Psalm103,2<br />

Nimm wahr und merke, was dir Gutes geschieht. Allein ein schlichter Tag birgt<br />

eine Fülle von Glückserlebnissen, von Behagen, Wohlgefallen, Zufriedenheit,<br />

Genuss und Bewahrung, Einfällen, Lachen, Gesprächen. Ein einziger Tag ist in<br />

seiner Wunderbarkeit unausschöpfbar. Ich will von jedem Tag ein, zwei<br />

Eindrücke sichern, am besten schriftlich, auch um das Gute zu behalten. Und der<br />

Rückblick bekommt durch mehr Anhaltspunkte auch mehr Tiefe. Und der Dank<br />

mehr Gestalt.<br />

Der dir alle deine Sünde vergibt und heilet alle deine Gebrechen, der dein Leben<br />

vom Verderben erlöst und dich krönen wird mit Gnade und Barmherzigkeit, der<br />

deinen Mund fröhlich macht und du wieder jung wirst wie ein Adler.<br />

Psalm103,3-5<br />

Sünden vergeben bekommen- das beschafft Zukunft. Schwer lastet Schuld,<br />

begangene und erlittene. Begangene Schuld rumort in mir, bis sie beglichen ist.<br />

141


Erlittenes Unrecht bleibt offene Wunde, bis Gespräch stattfindet, Eingeständnis<br />

gelingt und ein Stück Wiedergutmachung getan ist.<br />

Meine Schuld <strong>als</strong> von Gott vergeben glauben- das ist dramatisch wichtig. Er ist<br />

das Wesentliche aller Wesen. Was jeden trifft, trifft ihn erst recht- er muss alles<br />

aufnehmen und verdauen. Vergibt er, muß ich und kann ich auch vergeben und<br />

kann mir vergeben sein lassen und gutmachen.<br />

Alle Gebrechen, Mühen, Leiden sind Stationen auf dem Weg zur Heilung, gegen<br />

keinen wird er sich entscheiden. Jedes Leben ist auf Fülle, Freude, Erlösung aus.<br />

Vor uns immer Krönung, vor uns Teilhabe an seiner Vollkommenheit. Darum<br />

sterben wir auch nicht ins Leere sondern werden abgekeimt vom Lebendigen,<br />

heimgetragen in Gott. Gegen das allmähliche Einsinken in den Tod will ich dies<br />

Lied singen je älter, je lieber: Gekrönt werden steht bevor. Und das macht<br />

fröhlich und jung, auch quer zu unsern Erfahrungen.<br />

Der Herr schafft Gerechtigkeit und Recht allen, die Unrecht leiden.<br />

Barmherzig und gnädig ist Gott, geduldig und von großer Güte.<br />

Er handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsrer<br />

Missetat. So hoch der Himmel über der Erde ist, lässt er seine Gnade walten<br />

über uns. Wie sich Vater, Mutter über Kinder erbarmen, so erbarmt sich der<br />

Herr über die Seinen.<br />

Psalm 103,6.8.10.13<br />

Gott schafft Recht. Wir ahnen dies, und wissen auch, was er von uns erwartet.<br />

Und seine Barmherzigkeit ist die Energie, die uns anschiebt zu gemeinsamem,<br />

heilsamem Tun. Aber er handelt nicht mit uns Auge um Auge, gleich gegen<br />

gleich, er ist großmütig, er weiß wie brüchig wir sind.<br />

Er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir von<br />

Erdenstaub genommen sind. Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht<br />

wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie verweht,<br />

und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.<br />

Die Gnade Gottes aber währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihm<br />

gehören. Lobe den Herrn, meine Seele!<br />

Psalm 103,14,15,16,17,22<br />

Der wahre Grund für Gottes Güte ist, daß wir ihm gehören und aus seinem<br />

Material genommen sind- Erde klingt nach Gegenteil von Himmel, ist sie aber<br />

nicht; sie ist Materie- „mater“- Mutter, Materie, Gottes feines Stöffchen. Wenn<br />

trotzdem wir auch egoistische, kleinliche, raffige Menschen sind, ist es unsere<br />

einzige Chance, daß Gott zu uns hält. Wir sind vergänglich. Aber unser Loben<br />

hat langen Nachhall. Loben wir, so feiern wir Gottes Großmut. Weil seine<br />

142


Gnade ewig währt, werden wir auch ewig währen; keinen will er missen, jeden<br />

wird er heilen.<br />

*<br />

Gott, mein Gott, du bist so herrlich.<br />

Du bist schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast.<br />

Du breitest den Himmel aus wie ein Zelt; du baust deine Gemächer über den<br />

Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher<br />

auf den Fittichen des Windes. Du machst Winde zu deinen Boten und<br />

Feuerflammen zu deinen Dienern.<br />

Psalm 104,1-4<br />

So von Gott schwärmen: Er der wunderbare Liebhaber von Allem, die<br />

Schöpfung - sein Schmuck, so auch im griechischen Denken: kosmos =Schmuck<br />

Gottes). Licht <strong>als</strong> sein Kleid ist wohl die hintergründigste Bestimmung vom<br />

Wesen des Lichtes. –Eine andere Übersetzung: „Der das Licht sich umschlingt<br />

wie ein Tuch“-. Licht ist Erleuchtung und Wärmung, die Gott in die Welt setzt<br />

mittels all der Gase und Atomsonnen.<br />

Der Himmel <strong>als</strong> Zelt, Wolken <strong>als</strong> Wagen, Winde <strong>als</strong> Flügel des Herrn, <strong>als</strong> Boten;<br />

Feuer <strong>als</strong> Diener- nichts ist mit seiner physikalischen Machart zufrieden.- Alles<br />

ist sein Stoff, ist ihm untertan, steht ihm zur Verfügung- Alle Sachen haben<br />

einen Überschuss, haben Würde und Heiligkeit, nehmen davon ihre Bedeutung.<br />

Es gibt eine Verabredung zwischen Gott und seinem Werk: Alles ist zum Dienst<br />

für alles da, und in diesem Zusammenhang hat jede Sache ihre Selbstständigkeit.<br />

Du hast das Erdreich gegründet auf festen Boden, dass es bleibt immer und<br />

ewiglich. Mit Fluten decktest du es, die Wasser standen bis über die Berge.<br />

Aber vor deinem Machtwort wichen sie. Die Berge hoben sich, die Täler<br />

senkten sich herunter. Du hast den Wassern eine Grenze gesetzt, sie dürfen nicht<br />

wieder das Erdreich bedecken.<br />

Aus Quellen lässt du Bäche fließen, zwischen den Bergen eilen sie dahin,<br />

Sie bieten Trank den Tieren des Feldes und das Lebendige löscht davon seinen<br />

Durst.<br />

Du feuchtest die Berge von oben her, du machst das Land voll Früchte.<br />

Auf den Bäumen sitzen die Vögel des Himmels und singen unter den Zweigen.<br />

Psalm 104,5-13<br />

Das Wasser kann Feind des Lebendigen werden. Aber erst recht erleben wir es<br />

<strong>als</strong> den Urstoff, der Leben erst möglich macht. Welch ein Glück, dass das<br />

Wasser von Gottes Hand gedämmt ist. Wenn wir uns wissend in den<br />

Kenntnissen der Natur bewegen, können wir die Wasser gut nutzen. Aber wie<br />

tollkühn befahren wir die Ozeane und siedeln am äußersten Meer. Dann wegen<br />

143


der Orkane und Überschwemmungen Gott zu beschuldigen, ist nur hilflos. Aber<br />

Gott kann es verkraften.<br />

Du lässt Gras wachsen für das Vieh und Saat zu Nutz den Menschen. Brot<br />

bringst du aus der Erde hervor, daß es des Menschen Herz stärke und mit Wein<br />

erfreust du sein Herz, und sein Antlitz wird schön vom Öl.<br />

Psalm 104,14.15<br />

Wir sind ja geneigt, die Natur zu personifizieren <strong>als</strong> die Macherin des<br />

Natürlichen. Aber die Natur ist das Angerichtete, nicht der Koch; ist Schöpfung<br />

und nicht Schöpfer.. So bringt Gott das Brot aus der Erde hervor mittels des<br />

Samens, der Feuchte, des Bodens, seiner Bauern und Bäcker. Und die<br />

bekommen Lohn. Dank ist höheren Orts abzustatten; warum ja Erntedankfest <strong>als</strong><br />

Markierung wichtig ist. Wein zur Freude, Öl und Kosmetik zur Schönheit-<br />

herrlich, daß wir einen Gott glauben dürfen, der Lust hat, uns zu erfreuen und<br />

schön zu machen.<br />

Du hast den Mond gemacht, das Jahr danach zu teilen; die Sonne weiß ihren<br />

Niedergang. Du machst Finsternis, dass es Nacht wird; da regen sich alle wilden<br />

Tiere, die jungen Löwen, die da brüllen nach Raub und suchen ihre Speise auch<br />

von dir, Gott. Wenn aber die Sonne aufgeht, heben sie sich davon und legen sich<br />

in ihre Höhlen.<br />

Dann geht der Mensch an seine Arbeit und an sein Werk bis an den Abend.<br />

Ach, wie sind deine Werke so groß und viel!<br />

Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter.<br />

Da ist das weite Meer, da wimmelt es von großen und kleinen Tieren.<br />

Dort ziehen Schiffe dahin; da sind große Fische, die du gemacht hast, um mit<br />

ihnen zu spielen.<br />

Psalm 104,19-26<br />

Die Löwen suchen ihre Speise von Gott- ja jeden Morgen wacht der Löwe auf<br />

und macht sich auf die Jagd nach einem Zebra. Jeden morgen wacht das Zebra<br />

auf und muss schneller sein <strong>als</strong> der Löwe. Die meisten Zebras sterben an<br />

Altersschwäche und nicht am Löwen. Aber die Löwen brauchen ihre tägliche<br />

Portion Zebra. Und das ist weise von Gott geordnet. Leben heißt auch, sein<br />

Leben lassen, ob <strong>als</strong> Zebra oder <strong>als</strong> Löwe oder <strong>als</strong> Mensch. Wir müssen uns ans<br />

Leben drangeben, und letztlich den Preis erbringen, müssen von hier gehen und<br />

Beute an Erfahrung mitbringen.<br />

Die Erdenzeit ist lesbar, wir haben einen gemeinsamen Kalender. So können wir<br />

uns verabreden. Zeit messen können, ermöglicht, Arbeitzeit gleich lang zu<br />

messen, Mühe gleichlang zuweisen zu können, was Voraussetzung ist für<br />

Gerechtigkeit.<br />

144


Große Fische sind da, damit Gott was zum Spielen hat? Wer sie sich vergnügen<br />

sieht, die Buckelwale und Delfine, der kann wirklich meinen, daß auch Gott<br />

dran seine Freude hat.<br />

Es warten alle auf dich, Gott,<br />

dass du ihnen Speise gibst zur rechten Zeit. Wenn du deine Hand auftust,<br />

so werden sie mit Gutem gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken<br />

sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie. Sendest du aus deinen Odem,<br />

so werden sie geschaffen, und du machst neu die Gestalt der Erde. Ich will dem<br />

Herrn singen mein Leben lang und meinen Gott loben, solange ich bin.<br />

Psalm 104,27-30,33<br />

Letzten Endes ernährt Gott sie alle. Alle Energie ist sein Atem. Auch unser<br />

Atmen ist eine heilige Handlung. Der Kuss der Liebenden und die Atemspende<br />

hat was vom Himmel. Irgendwann geht uns hier die Luft aus, weil wir nur auf<br />

Zeit hier sind. Aber wir bleiben ausgestreckt, daß die Gestalt der Erde neu<br />

geschaffen wird und wir begeistert bei Gott bleiben. Wir werden es nicht lassen<br />

können, ihn zu feiern.<br />

Ich will Gott loben, solange ich bin, weniger mit schönen Worten <strong>als</strong> mit<br />

Lebenslust, und mit Staunen, daß ich den Forderungen einigermaßen gewachsen<br />

bin.<br />

*<br />

Der treue Menschenhüter<br />

Ich hebe meine Augen, woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem<br />

Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.<br />

Er wird auch deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht.<br />

Gott behütet dich; Er ist dir nah wie dein Schatten neben dir.<br />

Gott behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele.<br />

Er behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit!<br />

Psalm 121<br />

Der dich behütet, schläft nicht- ein magisches Wort der Treue und des Schutzes.<br />

Diese Wachheit und Gegenwärtigkeit, Gottes flirrende geistige Präsenz in Allem<br />

ist glückhaft. Ich will mich darin sicher wissen: Gott behütet mich. Auch wenn<br />

ich stürze, fängt er mich auf. Auch wenn ich sterbe, geh ich ihm nicht verloren<br />

und mir damit auch nicht.<br />

Leid soll vergehen, das ist versprochen. Ja, wir sind zerbrechlich, verletzbar an<br />

Leib und Seele, sind nicht aus Stein, sind aus dem Herzen Gottes entworfen.<br />

Auch Gott leidet. Mit dem hungrigen Löwen und dem zum Fraß werdenden<br />

Zebra, mit dem roh gemachten Prügler und dem stummen Opfer. Glaub ihm,<br />

145


daß er dich behütet. Setz deine Hoffnung ganz auf Schutz von oben und biete du<br />

dem Himmel deine kleine Hand voll Fürsorge an.<br />

*<br />

Die mit Tränen säen<br />

Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die<br />

Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll<br />

Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der Herr hat Großes an<br />

ihnen getan!<br />

Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich.<br />

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Wir gehen hin und weinen und<br />

streuen Samen und kommen mit Freuden und bringen unsre Garben.<br />

Psalm 126<br />

Dies ist zuerst ein Gebet Israels, dann aber auch eins für uns alle. Israel bildet<br />

das Vorbild für alle Sehnsucht, nach Hause zu kommen und für den langen Weg<br />

hin zur Erlösung.<br />

Auch wir werden sein wie Träumende, wenn uns der Himmel sich öffnet. Auch<br />

wir werden mit Gott die Vollendung seiner Schöpfung feiern.- Da wird alles<br />

Weinen in Freude verwandelt und alle Schuld geheilt.<br />

Gefangen sind wir in vielerlei Schlingen. Jeder weiß seinen Mangel und muss<br />

weinen, manchmal auch ohne Tränen. Dies ist schon rettend: Unter Tränen<br />

vollzieht sich auch Saat, Anfang, Wende, Rettung. Das dürfen wir erwarten: Wir<br />

werden mit Freuden ernten. Wie mühsam wir uns auch plagen mussten, das Ziel<br />

unserer Wege wird sein, Gott zu preisen, dass er Großes an uns getan hat.<br />

Träumen wir doch schon von unserm geheilten Ich. Sollen Menschen doch jetzt<br />

schon mal von uns sagen: Du Glückskind, du Gotteskind.<br />

*<br />

An Gottes Segen ist alles gelegen<br />

Wenn der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.<br />

Wenn Gott nicht die Gemeinschaft behütet, so wachen die Verantworter<br />

umsonst. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzt und esst<br />

euer Brot mit Sorgen; denn den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.<br />

Vor allem Kinder sind die Gabe Gottes.<br />

Psalm 127<br />

Nicht wir machen, daß Gott unserer Dasein segnet. Aber sein Segen will mit uns<br />

zusammenwirken, wir müssen die guten Kräfte Gottes wollen, müssen sie<br />

heranbitten, sie freundlich aufnehmen, sie nutzen. Beim Hausbau z.B. ist es<br />

hochwichtig, dass gutes Einvernehmen herrscht zwischen allen Gewerken. Und<br />

146


alle müssen wissen, dass sie einem Werk verpflichtet sind und gerechten Lohn<br />

erhalten. Die Gesellschaft braucht Gottes Segen in Gestalt von Friedenswillen.<br />

Sähe jeder nur auf Seins, gäbe es nur Unordnung.<br />

Schon richtig, daß wir uns mühen. Aber Wachstum und Gedeihen sind auch<br />

Geschenk, auch Gnade. Geschick ist auch Begabung, Erfolg lässt sich nicht<br />

erzwingen. Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf- Also nicht sich zersorgen<br />

sondern gut schlafen, Gott am Abend das Tagwerk in die Hände geben und<br />

Morgens früh aus seinen Händen wieder entgegennehmen, was heute ansteht.<br />

Da findet Segen Gestalt.<br />

Vor allem Kinder sind nur <strong>als</strong> Gabe Gottes zu denken. Wir „machen“ sie nicht,<br />

wir empfangen sie, sie kommen bei uns, mittels unserer zur Welt. Gott erdet sie<br />

durch uns mittelmäßige, hinreichend brauchbare Menschen. Kinder gibt’s<br />

genug, es gibt nicht genug mütterliche, väterliche Menschen- <strong>als</strong>o, lass Kinder<br />

an dich ran, sei ihnen zum Segen.<br />

Nochmal: Den Seinen gibts der Herr im Schlaf -Kannst du das auf dich<br />

beziehen? Weißt du dich geborgen, einfach gut aufgehoben, bist du im Lot mit<br />

dir? Schlag einfach eben mal die Augen nieder, leg die Hände in den Schoß, und<br />

denk, fühl deinen Gedanken nach- du atmest auf, dann langsam aus. Und auf<br />

dem Grund deines Ausgeatmethabens bist du in Ruhe. So kann es bleiben.<br />

Geht es dir so- dann erlebst du, wie Gott dir gibt- einfach so, ohne daß du<br />

strampeln musst. Und was du eben noch besorgtest, wen du in Gedanken oder<br />

Taten umsorgtest- es geht alles seinen Gang. Unermesslich, dein Beschenktsein,<br />

innen alles voll Dank. Und im Schlaf füllt sich dein Kraftreservoir wieder auf.<br />

Du bist nur zuständig im Rahmen deiner Kräfte. Vom Rest denke, Gott wird es<br />

schon richten.<br />

*<br />

Aus tiefer Not<br />

Aus der Tiefe rufe ich, Gott, zu dir. Herr, höre meine Stimme!<br />

Merke auf die Stimme meines Flehens!<br />

Wenn du, Gott, Sünden anrechnetest, Herr, wer würde bestehen?<br />

Bei dir ist die Vergebung, dass man dich liebe.<br />

Ich harre des Herrn, ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn<br />

mehr <strong>als</strong> die Schlaflosen auf den Morgen;<br />

Hoffe auf Gott! Denn bei ihm ist die Gnade und viel Erlösung.<br />

Er wird seine Menschheit erlösen aus allen ihren Sünden.<br />

Psalm130<br />

Manchmal zerreißt es uns aus eigener Schuld. Es zerreißt unsere Seele vor<br />

Scham, wie konnten wir so tief sinken? Dann taten wir etwas, das aller Vernunft<br />

und unserer Überzeugung Hohn spricht, das die Beziehung und die Ehrbarkeit<br />

und das Ansehen auf Jahre zerstört. Und wir schwanken zwischen<br />

147


Todessehnsucht und Lebenswillen, suchen uns vor uns selbst zu entschuldigen,<br />

suchen Ausflüchte für unsere Grausamkeit. Wir spüren die Macht des<br />

Unergründlichen- und beten, daß kein Satanisches uns vollends verschlinge.<br />

Um der Schwärze zu entkommen müssen wir Gott anrufen. Wir haben doch<br />

diesen letzten Grund, der uns Halt gibt vor dem Versinken in Wahn. Wer soll<br />

die reißende Bestie in mir still bekommen, wenn nicht der Schöpfer des<br />

unerschöpfbaren Lichtes.<br />

Also rufe ich, flehe zu ihm, will umkehren, bereuen und Buße tun. Ich will Gott<br />

seine Erlösung glauben und ein besseres Leben erarbeiten.<br />

*<br />

Gott, du kennst mich<br />

Ich sitze oder stehe- du weißt. Du verstehst meine Gedanken von ferne.<br />

Psalm 139,1.2<br />

Das ist das Gegenteil der Drohung: „Der liebe Gott sieht alles“. Gott weiß mich,<br />

dich- das ist Trost und Glück. Der Universale kennt mein Innerstes, weil es Teil<br />

seines Innersten ist. Ich bin seine Filiale, mein Denken geschieht auf seiner<br />

Frequenz. Mein Denken flimmert durch sein Gehirn. Ich habe einen Mitwisser,<br />

so bin ich nicht allein. Gott haftet für mich. Wenn auch ich mich nicht verstehe,<br />

und meine Mitmenschen nur Kopfschütteln für mich übrig hätten, so erschlägt<br />

mich das nicht. Weiß ich, dass Gott weiß, kann ich nicht verloren gehen, auch<br />

mir selbst nicht.<br />

Ich gehe oder liege, so bist du um mich. Du gehst meine Wege mit. Alle Worte,<br />

die mir auf die Zunge kommen, weißt du schon vorher.<br />

Psalm 139,3-4<br />

Gottes Allgegenwart und Allwissen darf ich auf mich persönlich beziehen. Sie<br />

stärken mein Selbstbewusstsein sehr, wüsste und behielt ich’s nur. Ich bliebe<br />

auf leuchtendem Pfad, käme nicht unter die Räder. Wenn ich’s nur behalte, dass<br />

Gott mich behält! Worte des Verrates und der Kränkung müssen im letzten<br />

Augenblick sich bekehren, denn Gott weiß.<br />

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese<br />

Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.<br />

Psalm 139,5.6<br />

Das Bild ist genommen vom Kind im Mutterleib, über das die Mutter noch ihre<br />

schützenden Hände breitet. Du, ich in Gott. Nicht so sehr ist Gott über uns oder<br />

148


in uns- sondern wir in ihm. Die Welt der Leib des Herrn- die Milchstraßen<br />

kreisen in seiner Blutbahn- nicht zu fassen das alles.<br />

Innig ist die Gebärde des Schutzes: In Gottes Hand sein - bildet auch das älteste<br />

christliche Symbol ab: Die rechte Hand Gottes. Sie ist schöpferisch, schützend,<br />

führend- auch strafend? Die bei einer Wahl erhobene rechte Hand ist uns<br />

Menschen Kennzeichen unserer demokratischen Macht.<br />

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist,<br />

und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?<br />

Führe ich gen Himmel, so bist du da;<br />

bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.<br />

Nähme ich Flügel der Morgenröte<br />

und bliebe am äußersten Meer,<br />

so würde auch dort deine Hand mich führen<br />

und deine Rechte mich halten.<br />

Spräche ich sogar: Finsternis möge mich decken<br />

und Nacht statt Licht um mich sein -<br />

so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,<br />

und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist dir wie das Licht.<br />

Psalm 139,7-12<br />

Dass ich in Gott bin, kann ich nicht fassen. Ich kann auch vor ihm nicht fliehen.<br />

Er ist immer schon da. Auch meine Fluchten geschehen in ihm: Wenn ich mich<br />

von Gott abkehre, kehre ich mich von mir ab- Gott aber bleibt immer vor mir,<br />

um mich eben. Selbst Morgenlicht und Todsein geschehen in ihm. Wie tief ich<br />

auch falle, ich bin gehalten. Und was für mich schwarze Nacht ist- ich stehe<br />

doch im Licht seiner Liebe.<br />

Wenn ein Mensch sich ans Leben geht, will er ja nur die Bedingungen hier<br />

verneinen, will aufbrechen, neue Kreatur zu werden in gottnaher Fülle. Und<br />

selbst, wenn er alle Vollendung verneinen sollte und sich nur in Finsternis<br />

einhüllen will, nur nicht mehr sein will- so ist dieser letzte Wille nur vorläufig.<br />

Denn auch das Nichts ist von Gott umhüllt und wird zur leuchtenden Fülle.<br />

Nicht, ob ich an Gott glaube, ist das wichtigste, sondern daß Gott an mich<br />

glaubt. Das lässt mich immer vor Ihm sein.<br />

Denn du hast mir Herz und Nieren bereitet<br />

und hast mich gebildet im Mutterleibe.<br />

Ich danke dir dafür,<br />

dass ich wunderbar gemacht bin;<br />

wunderbar sind deine Werke;<br />

das erkennt meine Seele wohl.<br />

Deine Augen sahen mich,<br />

149


<strong>als</strong> ich noch nicht bereitet war,<br />

und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,<br />

die noch werden sollten und von denen keiner da war.<br />

Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!<br />

Wie ist ihre Summe so groß!<br />

Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr <strong>als</strong> der Sand:<br />

Am Ende bin ich noch immer bei dir.<br />

Psalm 139,13.14.16.17.18<br />

Der Anfang aller Wege zu und mit Gott ist das Staunen, das Einzigartige jeder<br />

Erscheinung, das Wunderbare jedes Wesens! Ach merkte ich doch auf! Die<br />

Vielfalt des Lebendigen lässt erzittern, wenn man sie nur mit erfrischten Augen<br />

wahrnimmt.<br />

Abgründig einzigartig ist man selbst, mittels der Eltern einst ins Sein gehoben;<br />

schon die Daumenkuppe des Säuglings zeigt eine unverwechselbare Riffelung.<br />

Wie viel einzigartiger noch sind die Antlitze der Menschen und ihre Seelen.<br />

Ich bin gewollt, bin ins Sein gerufen von Gott. Alle Tage, alle Chancen sind<br />

schon in Fülle da. Nicht zu fassen, wie viele Gedanken wert wären, bedacht zu<br />

werden- in wachsenden Ringen kreisen sie um den Guten Ganzen Einen.<br />

(Ach Gott, wolltest du doch die Gottlosen töten!<br />

Dass doch die Blutgierigen von mir wichen!<br />

Denn sie reden von dir lästerlich,<br />

und deine Feinde erheben sich mit frechem Mut.<br />

Sollte ich nicht hassen, Gott, die dich hassen,<br />

und verabscheuen, die sich gegen dich erheben?<br />

Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.)<br />

Psalm 139,19-22<br />

Gewaltdarstellungen und blutrünstigen Gebete im Alten Testament sind<br />

allermeist Wunschvorstellungen Ohnmächtiger. Verbale Härte und Grausamkeit<br />

waren die geballte Faust in der Tasche der politisch Überrollten. Sie war<br />

Aufschrei der Machtlosen, die durch Wort und Wunsch ihre Machtlosigkeit<br />

ausgleichen, und überdecken wollten. Um so ihre Gläubigkeit zu bewahren und<br />

ihre Machtlosigkeit zumindest gedanklich zu überwinden und so durchstehen zu<br />

können (Michael Wolffsohn).<br />

Gott, du kennst mich ja, du weißt, wie ich’s meine.<br />

Achte darauf, ob ich auf bösem Wege bin,<br />

und leite mich auf ewigem Wege.<br />

Psalm 139,23f<br />

150


Hier ist Gott ganz nah dem schwierigen Menschen, der von seiner<br />

Kompliziertheit weiß und sich in die Arme des Allwissenden und Allweisen<br />

wirft. Im Kern darf ich mich <strong>als</strong> Gottes Eigenes glauben und mir sagen, daß er<br />

mich besser kennt, <strong>als</strong> ich mich selbst. Das ist Schutz und Schirm für mich. Bin<br />

ich auf bösem Weg, kann es nur Verirrung sein, Schlamassel, Jammer. „Hol<br />

mich da raus“ ist mein Ruf.<br />

Nochmal Psalm 139<br />

Gott, du kennst mich. Ich sitze oder stehe- du weißt. Du verstehst meine<br />

Gedanken von ferne.<br />

Ich gehe oder liege, so bist du um mich. Du gehst meine Wege mit. Alle Worte,<br />

die mir auf die Zunge kommen, weißt du schon vorher.<br />

Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir. Diese<br />

Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.<br />

Wohin soll ich gehen vor deinem Geist?<br />

Wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?<br />

Führe ich gen Himmel, so bist du da;<br />

bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.<br />

Nähme ich Flügel der Morgenröte<br />

und bliebe am äußersten Meer,<br />

so würde auch dort deine Hand mich führen<br />

und deine Rechte mich halten.<br />

Spräche ich sogar: Finsternis möge mich decken<br />

und Nacht statt Licht um mich sein -<br />

so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir,<br />

und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist dir wie das Licht.<br />

Denn du hast mir Herz und Nieren bereitet,<br />

Du hast mich gebildet im Mutterleibe.<br />

Ich danke dir dafür,<br />

dass ich wunderbar gemacht bin;<br />

wunderbar sind deine Werke;<br />

das erkennt meine Seele.<br />

Deine Augen sahen mich,<br />

<strong>als</strong> ich noch nicht bereitet war,<br />

und alle Tage waren in dein Buch geschrieben,<br />

die noch werden sollten und von denen keiner da war.<br />

Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!<br />

Wie ist ihre Summe so groß!<br />

Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr <strong>als</strong> der Sand:<br />

Am Ende bin ich noch immer bei dir.<br />

Gott, du kennst mich ja, du weißt, wie ich’s meine.<br />

151


Achte, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich richtig.<br />

Sprüche Salomos<br />

* *<br />

Die Achtung gegen Gott ist der Anfang der Erkenntnis.<br />

Sprüche 1,7<br />

Keinesfalls sollen wir uns vor Gott ängsten. Er schüchtert nicht ein, straft auch<br />

nicht, er ist nur Segen und Liebe. Früher hieß es: „Die Furcht vor Gott ist der<br />

Anfang der Weisheit“. Gemeint ist Ehrfurcht- sagen wir lieber: Gott will<br />

Achtung, will geliebt werden. Mit Freuden Ihm entsprechen, das schafft eine<br />

leuchtende Existenz.<br />

Der Anfang von Gottes- und Welterkenntnis ist das Staunen, wie wunderbar die<br />

Welt ist. Schon das Kind fühlt sich erhoben- es kann schreien und Mutter naht,<br />

es weint und schon kommt Hilfe. Dieses Geliebtsein ist der Anfang der<br />

Erkenntnis, und darin ist der Grund gelegt fürs Gewolltsein und fürs<br />

Gehaltensein vom Herzen der Welt.<br />

*<br />

Geh hin zur Ameise,<br />

du Fauler, sieh an ihr Tun und lern von ihr. Obwohl sie keinen Herrn über sich<br />

weiss, bereitet sie doch ihr Brot im Sommer und sammelt ihre Speise in der<br />

Ernte. Wie lange liegst du, Fauler! Wann willst du aufstehen von deinem<br />

Schlaf? Steh auf, sonst wird dich die Armut übereilen.<br />

Sieben Dinge sind Gott ein Gräuel:<br />

Stolze Augen, f<strong>als</strong>che Zunge, Hände, die unschuldiges Blut vergießen;<br />

ein Herz, das Ränke schmiedet; Füße, die behände sind, Schaden zu tun;<br />

ein f<strong>als</strong>cher Zeuge, der freche Lügen redet und Hader anrichten zwischen<br />

Geschwistern.<br />

Sprüche Salomo 6<br />

Dauernde Faulheit ist unter unserer Würde. Es gehört zu unserm Wesen, unser<br />

Leben durch eigener Hände und Kopfes Arbeit zu ernähren. Wir missbrauchen<br />

die Gaben des Schöpfers, wenn wir Sünde produzieren; Und damit Gott selbst<br />

reinreißen. Wären wir ameisenmäßig verfasst, täten wir automatisch das<br />

152


Richtige. Aber wir Menschen haben Spielraum für Wille und Erkenntnis und ja-<br />

für Faulheit. Gott leistet sich den hochriskanten, heiklen Menschen.<br />

Liebe deckt Übertretungen zu.<br />

Sprüche Salomo 10,12<br />

*<br />

Liebe hält den geliebten Menschen hoch, traut ihm Besserung und Heilwerden<br />

zu. Liebe sucht zu verstehen, zu entschuldigen. Liebe tritt stellvertretend ein.<br />

Liebe zieht zunächst nicht zur Rechenschaft sondern geht erst mal von einem<br />

Irrtum aus, von „über die Stränge schlagen“. Liebe macht ernst mit Jesu Wort:<br />

„Sie wissen nicht was sie tun“( Lukas 23,34). Liebe ist geduldig, lässt sich nicht<br />

erbittern, deckt auch mal zu. Allerdings sollte Güte auch eine scharfe Kante<br />

haben, damit sie nicht mit Dummheit verwechselt wird.<br />

*<br />

Die bessere Rechenart<br />

Einer teilt reichlich aus und hat immer mehr; ein andrer kargt, und wird doch<br />

ärmer. Und wer Korn zurückhält, dem fluchen die Leute; aber Segen kommt<br />

über den, der es verkauft. Wer reichlich gibt, wird in der Not gelabt.<br />

Sprüche Salomo 11<br />

Geschäfte muss man so machen, daß andere auch gut davon haben. Nützen wir<br />

einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat! Und wer reichlich<br />

empfangen hat, der hat auch reichlich zu verteilen. Wehe, bei ihm stockt der<br />

Wohlstand und die Güter häufen sich bei ihm. Er droht an ihnen zu ersticken;<br />

Letztlich wird er Diebe <strong>als</strong> Befreier feiern.<br />

Es geht darum, die Begabungen und Waren wechselseitig zu nutzen. So gesehen<br />

ist übermäßiges Sparen Entzug von Energie und der wahre Luxus. Besser ist,<br />

was man nicht selber braucht, loszugeben, dass andere damit was anfangen<br />

können. Andern fürs Überleben durch eigener Hände und Kopfarbeit das<br />

Startkapital geben, ist groß. Wer grünen lässt, gedeiht mit.<br />

*<br />

Kostbar das richtige Wort<br />

Trage deine Sache mit deinem Nächsten aus, aber verrate nicht eines andern<br />

Geheimnis.<br />

Ein Wort, geredet zu rechter Zeit, ist wie goldene Äpfel auf silbernen Schalen.<br />

Ein Weiser, der mahnt, und ein Ohr, das auf ihn hört, das ist wie ein goldener<br />

Ring und ein goldenes H<strong>als</strong>band.<br />

153


Sprüche Salomo 25<br />

Wunderbar, daß wir Menschen Sprache haben, um uns differenziert<br />

verständigen zu können. Es können Worte gelingen, „erhaben wie eine<br />

Offenbarung, mächtig wie Donner, warm wie die Liebe, gnädig wie der<br />

Himmel, weit wie die Erde, fruchtbar wie der Acker, süß wie eine süße Frucht“<br />

(Joseph Roth). Manchmal reden wir rau und abfertigend oder hängen fest in<br />

dumpfer Sprachlosigkeit. Aber wie herrlich, wenn Menschen ihren<br />

schmerzerfüllten Seelen Ausdruck verleihen und sie einander freisprechen.<br />

Anderer Menschen Geheimnis verraten, das macht mitverantwortlich für die<br />

Folgen. „Alles zum besten kehren“- rät Martin Luther. Schweigen kann behüten.<br />

Lassen wir einander Privatsphäre, auch durch Wegschauen. Prahlen wir vor<br />

allem nicht mit Wissen, das auszubreiten, andere schmerzt. Nehmen wir unsere<br />

Sensationslust in Zaum.<br />

*<br />

Armut und Reichtum gib mir nicht; Aber mein Teil Speise, das du mir<br />

beschieden hast, lass mir zukommen.<br />

Sprüche Salomo 30,8<br />

Reichtum kann mich des Mitleids entwöhnen, einfach dadurch, daß ich mich vor<br />

Begegnung mit Armut und ihren Forderungen schütze. Ich kann mir Privilegien<br />

beschaffen an Heilmitteln, an Rechtsbeistand, an besseren Konditionen bei der<br />

Bank. Aber auch Armut hat es schwer. Sie kann auf Hunger reduzieren, kann<br />

alle Kräfte binden für ein Dach überm Kopf, kann alle sonstige Phantasie<br />

austreiben.<br />

Eine Mitte aus Zuviel und Zuwenig wäre gut. Aber mit welcher Mitte wäre ich<br />

zufrieden?<br />

Tu deinen Mund auf<br />

für die Stummen und führe die Sache der Verlassenen.<br />

Sprüche 31,8<br />

*<br />

Die Gefahr ist groß, abfällig von Menschen zu denken und zu sprechen. Doch<br />

das Lied ist ja bekannt: “Die Menschen sind schlecht, sie denken an sich. Nur<br />

ich denk an mich.“ Was wir an anderen nicht leiden können, ist auch in uns.<br />

Darum ist Mitgefühl und Hilfsbereitschaft so wichtig. wir waren auch schon<br />

drauf angewiesen und werden es wieder sein. „Wir müssen lernen, die<br />

154


Menschen weniger auf das hin anzusehen, was sie tun und unterlassen, <strong>als</strong> auf<br />

das, was sie erleiden“ Dietrich Bonhoeffer).<br />

Der Prediger Salomo<br />

* *<br />

Alles Irdische sucht nach Sinn<br />

Alles ist auf der Kippe zum Sinnlosen. Was hat der Mensch für Gewinn von all<br />

seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Generationen vergehen, Generationen<br />

kommen. Ja, die Erde ist standhaft. Die Sonne geht auf und geht unter und geht<br />

wieder auf. Der Wind dreht sich. Die Wasser laufen ins Meer, eigenartig- das<br />

Meer wird nicht voller.<br />

Reden ist so mühsam, es kommt nicht zu Ende. Das Auge sieht sich nicht satt,<br />

das Ohr hört sich nicht voll. Was man getan hat, das tut man wieder. Es<br />

geschieht nichts Neues unter der Sonne.<br />

Prediger Salomo 1,1-9<br />

Einer der großen Klagetexte der Menschheit. Sanft klingt die Melancholie, bitter<br />

klagt die Depression. Doch dazwischen leuchten Sätze tiefer Poesie, ähnlich<br />

dem Trostwort der Mascha Kalèko „Die Nacht, in der der Kummer wohnt, hat<br />

auch die Sterne und den Mond.“<br />

Viel ist die Mühe und klein die Beute. Aber die Freude am Gelingen könnte uns<br />

retten, bei aller Wiederholung. Und geschieht wirklich nichts Neues unter der<br />

Sonne? Ist nicht jedes Neugeborene, jeder Tag eine neue Schöpfung?<br />

*<br />

Aus den Augen, aus dem Sinn?<br />

Man gedenkt derer nicht, die früher gewesen sind, und derer, die hernach<br />

kommen- ihrer wird man auch nicht gedenken.<br />

Prediger Salomo 1,11<br />

Ist das so? In den Versen kommt der Prediger doch wieder. In den Genen<br />

aufgehoben sind die Vorfahren, in jedem verfertigten Gegenstand steckt das<br />

Wissen der Generationen seit den ersten Werkzeugen. Sicher vergessen wir die<br />

Vorfahren. Die nach uns kommen, werden uns auch der Zeit überlassen. Aber ist<br />

das schlimm? Wenn wir nur <strong>als</strong> von Nachkommen Erinnerte Zukunft hätten,<br />

stände es schlecht um uns- da hat der Prediger recht. Aber wir hoffen doch weit<br />

hinaus. Gott wird uns denken, <strong>als</strong>o sind wir, immer.<br />

155


*<br />

Auch das Streben nach Weisheit ist eitel<br />

Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und alles ist doch<br />

fragwürdig, ist Haschen nach Wind. Ich richtete mein Herz darauf, dass ich<br />

Weisheit lerne und Torheit erkenne. Aber auch das sichert kein Glück. Denn wo<br />

viel Weisheit ist, da ist viel Grämen, und wer viel lernt, der muss viel leiden.<br />

Aus Prediger Salomo 1,14 –20<br />

Der tiefen Niedergeschlagenheit der Wissenden hält Gottfried Benn entgegen:<br />

„Dumm sein und Arbeit haben- das ist Glück.“ Aber das ist doch auch zynisch.<br />

Muss denn Weisheit und Gram zusammen fallen? Weisheit sollte doch auch<br />

Mitleid bei sich haben, und Geschicktheit. Weisheit hilft, vor Schlimmerem<br />

bewahrt zu werden- das ist doch schon was.<br />

*<br />

Sei lieber guter Dinge<br />

Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele<br />

guter Dinge sei bei seinem Mühen? Auch das kommt doch von Gottes Hand.<br />

Denn wer kann fröhlich essen und genießen ohne ihn?<br />

Prediger Salomo 2,24.25<br />

Fröhlich sein und genießen können – nimm <strong>als</strong> Geschenk des Himmels- sieh<br />

doch, was Er dir Gutes getan hat. Dankbarkeit ist der Kern des Glaubens. Merk<br />

dein Überraschtsein, ja, staune immer neu über das, was dir glückt und dir<br />

beschert ist. Das in sich Reinstopfen von Essen und Eindrücken, das hirnlose<br />

Verbrauchen macht unzufrieden. Aber mit Bewusstheit die schönen<br />

Augenblicke und die Begünstigungen sich gefallen lassen <strong>als</strong> Geschenk, das<br />

erhebt dich. Und: Wer genießt, ist schon mit ihm per Du. Die sich freuen sind<br />

nicht weit weg vom Himmel.<br />

*<br />

Gottes Zeit, alles<br />

Alles hat seine Zeit, und alles Vornehmen unter dem Himmel hat seine Stunde:<br />

geboren werden und sterben; pflanzen und ernten, töten und heilen; abbrechen<br />

und aufbauen; weinen und lachen; klagen und tanzen; Steine sammeln und<br />

Steine zerstreuen; herzen und ferne sein dem Herzen; suchen und verlieren;<br />

behalten und wegwerfen; zerreißen und zunähen, schweigen und reden;<br />

lieben und hassen; Streit und Friede hat seine Zeit. Und Gott gehört die Zeit.<br />

Prediger Salomo 3,1-8<br />

156


Das Leben besteht aus Auf und Ab, Ja und Nein, Voll und Leer, Kommen und<br />

Gehen. Und irgendwas ist immer. Es ist kein Stillstand, auch nicht ein Kreisen.<br />

Leben ist Geschichte mit Rhythmus. Der Rhythmus, die Zeit, ist Gottes Puls.<br />

Alles hat seine Zeit- das ist ein Trost. Leid bleibt nicht Leid, Glück aber auch<br />

nicht das Glück von gestern. Wir gehen. Und der Weg ist voller Möglichkeiten-<br />

Du Glücklicher mit deiner Fülle von Leben!<br />

Ob die Phasen uns portionsweise zugeteilt sind, ist offen.- Eher nicht, denn Gott<br />

macht, daß sich die Dinge selber machen. Doch Hast ist eine geistige Störung.<br />

*<br />

Was uns antreibt<br />

Gott hat alles schön gemacht. Auch hat er die Ewigkeit uns ins Herz gelegt; so<br />

ist es aushaltbar, dass wir nicht ergründen können das Werk, das Gott tut, weder<br />

Anfang noch Ende.<br />

Merk dir das: Es gibt nichts Besseres <strong>als</strong> fröhlich sein und sichs gut sein lassen.<br />

Ein Mensch, der isst und trinkt und ist guten Mutes bei all seinem Mühen- das<br />

ist eine Gabe Gottes. Nichts ist besser, <strong>als</strong> dass ein Mensch fröhlich ist in seiner<br />

Arbeit.<br />

Prediger Salomo 3,11-13,22<br />

Es ist wohl so, daß uns zwei Kräfte antreiben: Das Schöne und das Ewige.<br />

Beides soll mir Wahrheit sein, beides will ich mir wichtige Wirklichkeit sein<br />

lassen: Ich will das Schöne merken, schützen, freilegen. Und will die Sehnsucht,<br />

ewig zu lieben und geliebt zu sein, hegen.<br />

Gut ist es, einen guten Mut zu haben bei aller Mühe ums Tagtägliche. Das<br />

Schöne und das Ewige erden sich in Kunst und in der Liebesumarmung. Und<br />

guten Mut, Essen und Trinken sich Gottesgeschenk sein lassen- auch das ist<br />

Vorgeschmack aufs Ewige. Und ins Gelingen verliebt sein, macht zufrieden in<br />

der Arbeit.<br />

*<br />

Schwarz sehen<br />

Ich hab vor Augen alles Unrecht, das unter der Sonne geschieht, und die Tränen<br />

derer, die Unrecht leiden und keinen Tröster haben. Die ihnen Gewalt antun,<br />

sind zu mächtig.<br />

Ich bin nah dran, die Toten zu preisen, mehr <strong>als</strong> die Lebendigen; Und noch<br />

besser dran ist, wer überhaupt nicht geboren ist. So braucht er des Bösen nicht<br />

inne zu werden, das unter der Sonne geschieht: Es ist doch nur Eifersucht des<br />

einen auf den andern. Besser eine Hand voll mit Ruhe <strong>als</strong> beide Fäuste voll mit<br />

Mühe und Haschen nach Wind.<br />

Prediger Salomo 4, 1-6<br />

157


Dieser schwarze Pessimismus grenzt an Gottesleugnung. Ja, es ist viel Leid.<br />

Um so wichtiger, geboren zu sein zum Helfen und Hinausschreien in die Welt,<br />

daß Rettung organisiert werde. Und es ist nicht nur Eifersucht da, nicht nur<br />

Nickeligkeit. Es ist auch Güte da und die Größe des Kleinen, Sinn für<br />

Gerechtigkeit und Courage und Freudefähigkeit.<br />

*<br />

Lob der Zweisamkeit<br />

Zu zweit ists besser <strong>als</strong> allein; zwei teilen sich den Lohn für ihre Mühe. Wenn<br />

sie fallen, können sie sich aneinander aufrichten; liegen sie beieinander, wärmen<br />

sie sich. Einer allein wird überwältigt, aber zwei können widerstehen und eine<br />

dreifach geflochtene Schnur reißt nicht leicht entzwei.<br />

Prediger 4,9-12<br />

Ein herrlich nüchterner Lobgesang auf das Paar. Wir sind auf Ich-Du angelegt.<br />

Einen nahbei haben, mit dem man eine Weltsicht erarbeitet, einen<br />

Lebensgesprächspartner, eine Schicks<strong>als</strong>partnerin- es muss nicht Ehe sein-<br />

dieses einzigartige Bündnis, sich anzunehmen <strong>als</strong> Gabe und Aufgabe für immer-<br />

wenn es denn gelingt. Zu zweit sein- heißt sich immer wieder einig werden<br />

wollenn- <strong>als</strong>o allein nicht Recht haben können. Aber es ist Gnade, Geschenk,<br />

Wunder, den, die Richtige zu finden. Erreichbar sollte man sich machen, wir<br />

müssen uns auf den Markt begeben, uns anbieten. Wer allein ist, lässt auch<br />

allein.<br />

Aus dem HOHELIED SALOMOS<br />

* *<br />

Meine Freundin, du bist schön; schön bist du. Deine Augen sind wie<br />

Taubenaugen. Wie eine Lilie unter den Dornen, so ist meine Freundin unter den<br />

Mädchen.<br />

Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Freund unter den<br />

Jünglingen. Unter seinem Schatten zu sitzen, begehre ich, und seine Frucht ist<br />

meinem Gaumen süß. Krank bin ich vor Liebe. Ich beschwöre euch, Töchter<br />

von Jerusalem, daß ihr die Liebe nicht aufweckt, bis es ihr selber gefällt.<br />

Mein Freund ist mein und ich bin sein.<br />

Lege mich wie ein Siegel auf dein Herz, wie ein Siegel auf deinen Arm. Denn<br />

Liebe ist stark wie der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie das<br />

Totenreich. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn, sodass auch viele<br />

Wasser die Liebe nicht auslöschen und Ströme sie nicht ertränken können.<br />

158


Hohelied 1,15;2,2.3.5.7; 8,6.7<br />

Acht Kapitel singt dies Liebeslied- eines der schönsten, die es gibt. Weil dies<br />

Gedicht <strong>als</strong> schwärmender Lobgesang der liebenden Seele an Gott verstanden<br />

wurde, fand es in die Bibel. Ihm gebührt ein Ehrenplatz in der Schrift, denn es<br />

birgt die wohl gewaltigste Bestimmung dessen, was die Liebe ist. Sie ist nicht<br />

gemächliche Zuneigung, nicht wohliges Fühlen. Sie ist „Flamme des Herrn“,<br />

<strong>als</strong>o Gottes Lohe, Feuer, das uns verschmilzt. Die Liebe mit ihren rätselhaften<br />

Ansprüchen baut mit Religion, Geld/Arbeit und Tod das Haus des Lebens. Die<br />

Bibel hält das Versprechen Gottes fest: Der Sinn für einander soll den<br />

Liebenden nicht ausgelöscht werden. Den Druck des abwesenden Körpers<br />

gegen den eigenen sollen wir spüren. Anverwandelt werden wir einander ewig.<br />

Wenn es sich fügt.<br />

* *<br />

Jesaja<br />

Schwerter zu Pflugscharen<br />

Dies ists, was Jesaja, der Sohn des Amoz, geschaut hat über Juda und Jerusalem:<br />

Es wird zur letzten Zeit der Berg, da Gottes Haus ist, fest stehen, höher <strong>als</strong> alle<br />

Berge und über alle Hügel erhaben. Und alle Heiden werden herzulaufen, und<br />

viele Völker werden hingehen und sagen: Kommt, lasst uns gehen zum Hause<br />

Gottes, dass er uns lehre seine Wege. Von Zion wird Weisung ausgehen und er<br />

wird richten die Völker.<br />

Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln<br />

machen. Kein Volk wird mehr gegen das andere das Schwert erheben, und sie<br />

werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.<br />

Kommt nun, lasst uns wandeln im Licht Gottes!<br />

Jesaja 2,1-5<br />

Es ist wohl die gewaltigste Prophezeiung, die sich der Menschheit durch den<br />

sonst unbekannten „Jesaja“ auftun. Von Jerusalem aus wird Gott die Völker<br />

zurecht richten und sie leiten. Auch Die Vereinten Nationen beziehen aus dieser<br />

Vorschau ihre Versöhnungskraft. Vor dem UN-Gebäude in New York steht die<br />

Skulptur „ Pflugscharen aus Schwerter“ mit der verknoteten Pistole. Der Auftrag<br />

bleibt, im Licht Gottes friedensstiftend den Lebensweg zu gehen.<br />

*<br />

Der Tag der Tage<br />

Der Tag des Herrn wird kommen über alles Hochmütige und Prominent-sich-<br />

wähnen und über alles Elitäre. Es soll erniedrigt werden. Beugen muss sich alle<br />

Großmannssucht, demütigen müssen sich die stolzen Menschen. Wir erkennen,<br />

daß allein einer groß ist, Gott allein. Darum muss der Tag aller Tage kommen.<br />

159


Jesaja 2,12.17<br />

Vielleicht könnten wir auch ohne Himmel und Jüngsten Tag auskommen,<br />

einfach unser kleines Leben fristen und dann geräuschlos von dieser Erde gehen.<br />

Allein schon hier gewesen sein und einmal ich gewesen sein ist in seiner<br />

Wunderbarkeit grandios. Aber Gott hat Vollkommenheit vor und dazu gehören<br />

auch wir, seine Kinder- darum verfallen wir nicht sondern werden vollendet.<br />

Das wagt Jesaja so noch nicht zu glauben. Aber klargestellt werden muss, wer<br />

Gott ist. Alles sich Aufwerfen der Menschen zu Diktatoren kann nur kurz sein.<br />

Hochmut wird zu Fall kommen. Sünde wird <strong>als</strong> Sünde und Heilstat <strong>als</strong> Heilstat<br />

vor Gottes Antlitz klargestellt.<br />

Am Tag der Tage wird klar: „Daß er uns sündigen ließ, war schon Strafe“<br />

(Gotthold E. Lessing/ Erhard Kestner). Dass soll uns aufgehen in der Fülle der<br />

Freude vor Gott. Jedenfalls erwartet uns im eigenen Tod und in der Weltzukunft<br />

die Vollendung der Schöpfung, wie sie von immer her gemeint ist.<br />

*<br />

Jesajas Berufung zum Propheten<br />

Ich sah Gott sitzen auf einem hohen, leuchtenden Thron und der Saum seines<br />

Mantels füllte den Tempel. Engel standen über ihm; ein jeder hatte sechs Flügel:<br />

Mit zweien deckten sie ihr Antlitz, mit zweien deckten sie ihre Füße und mit<br />

zweien flogen sie. Und einer rief zum andern und sprach: Heilig, heilig, heilig<br />

ist der Gott der himmlischen Heere, alle Lande sind seiner Ehre voll!<br />

Und die Schwellen bebten von der Stimme ihres Rufens.<br />

Da sprach ich: Weh mir, ich vergehe! Denn ich bin unreiner Lippen und wohne<br />

unter einem Volk von unreinen Lippen. Da flog einer der Engel auf mich zu und<br />

hatte eine glühende Kohle mit der Zange vom Altar genommen, und rührte<br />

meinen Mund an und sprach: Deine Schuld ist von dir genommen, deine Sünde<br />

gesühnt, dein Mund ist rein,<br />

Und ich hörte die Stimme Gottes: Wen soll ich senden? Wer will unser Bote<br />

sein? Ich aber sprach: Hier bin ich, sende mich!<br />

Jesaja 6,1-8<br />

Dies ist eine der großen Visionen der Bibel: Der Prophet schaut Gott- aber die<br />

Augen sind gebannt vom Dekor: Allein der Saum des Gewandes füllt den<br />

Tempel; Engel, dreifach paarig mit Flügeln versehen, umwehen Gott und<br />

schützten den Schauenden, dass der Anblick ihn nicht versenge.<br />

Was haben diese Engel mitzuteilen? Heilig, <strong>als</strong>o doppelt heil ist Gott. Alle<br />

Lande seiner Ehre voll- meint: Die Wirklichkeit ist voll Gott, seine Schöpfung<br />

strahlt seine Würde, seine Liebe, seine Energie aus.<br />

Mit glühender Kohle vom Altar wird dem Menschen der Mund gereinigt- ein<br />

starkes Bild dafür, dass der Prophet sich nicht mehr selbst zur Geltung bringt<br />

sondern fortan Gottes Wort aus ihm spricht. Und doch ist er nicht willenloses<br />

160


Sprachrohr. Er wird gefragt, ob er der Berufung Folge leisten will. Und<br />

entscheidet sich für seine Sendung.<br />

Gott kann uns aufleuchten von Innen her. Wir können aber auch belichtet<br />

werden von außen- so was wie Gott begegnet uns. Kennzeichen, dass wir es<br />

nicht uns einbilden sondern bekehrt werden, ist Beauftragung mit Befragung<br />

unseres Willens. Wenn Gott uns anspricht, ruft er uns an die Arbeit, die Welt<br />

mit heil zu machen.<br />

Wir erleben es immer wieder, dass Ereignisse an uns appellieren. Wir müssen<br />

Stellung nehmen, retten, verteidigen, einstehen. Und all unser verkehrtes Wesen<br />

fliegt dann fort- wir tun , was wir müssen, wir stehen in der Pflicht, und sagen<br />

hinterher: Wir hatten keine Wahl. Gut so.<br />

*<br />

Der Friedefürst<br />

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die<br />

da wohnen im finstern Lande, scheint es hell. Du weckst lauten Jubel, du machst<br />

groß die Freude. Vor dir wird man sich freuen, wie man sich freut in der Ernte,<br />

wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.<br />

Denn du hast ihr drückendes Joch, die Jochstange auf ihrer Schulter und den<br />

Knüppel ihres Treibers zerbrochen. Jeder Stiefel, der mit Gedröhn daherkommt,<br />

und jeder Mantel, durch Blut geschleift, wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.<br />

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf<br />

seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.<br />

Seine Herrschaft soll groß werden und der Frieden soll kein Ende nehmen.<br />

Jesaja 9, 1-6<br />

Der Messias, der Sohn Gottes, wird auf Erden ein heiles Reich, eine<br />

vollkommene Gesellschaft errichten. Dann ist kein Diktator mehr da, kein<br />

Treiber, keine Stiefel dröhnen mehr, keine Schergen schießen mehr. Im<br />

Öffentlichen wie im Privaten sind wir geschwisterlich gleichwertig miteinander.<br />

– Ob diese Verheißung unter den Bedingungen knapper Mittel und<br />

gierigbleibender Menschen von Gott verwirklicht werden kann? Es gab<br />

optimistische Zeiten, und Inseln des Glücks gibt es immer wieder. Aber das<br />

Gemenge aus Klimakatastrophe und Hungerelend und vielfältigem Egoismus<br />

schreit nach ungeheurer Fülle von Heiligem Geist. Wo und wie das Reich Gottes<br />

kommt- lassen wir es offen und tun wir hier kleine Schritte zu geteilter Freude<br />

und mehr Gerechtigkeit.<br />

Die Verheißung des Messias setzt einen starke Erwartung in Gang, die in der<br />

Wiederkunft des Christus Erfüllung findet, so sehen wir Christen es und bleiben<br />

mit den Jüdischen Brüdern und Schwestern in Erwartung des Messianischen<br />

Reiches.<br />

*<br />

161


Der Messias und sein Friedensreich<br />

Und es wird ein Zweig hervorgehen aus dem Stamm Isais. Auf ihm wird ruhen<br />

der Geist Gottes, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates<br />

und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Ehrfurcht. Gerechtigkeit wird<br />

der Gurt seiner Lenden sein und Treue der Gurt seiner Hüften.<br />

Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken<br />

lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh<br />

miteinander treiben.<br />

Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen,<br />

und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen<br />

am Loch der Otter, und ein Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der<br />

Natter.<br />

Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge;<br />

denn das Land wird voll Erkenntnis Gottes sein, wie Wasser das Meer bedeckt.<br />

Aus Jesaja 11,1-9<br />

Groß ist dies Gemälde einer befriedeten Natur. Die Wölfe wohnen bei den<br />

Lämmern - das meint auch eine geschwisterliche Welt, in der die Gegensätze<br />

freundschaftlich zueinander passen. Und wir Menschen Frieden machen<br />

miteinander- auch wenn die fleischfressenden Tiere nie zu Grasgenießern<br />

werden. Erkenntnis Gottes, viel wie das Meer, ist uns versprochen.<br />

*<br />

Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein, und der Gerechtigkeit Nutzen wird<br />

ewige Stille und Sicherheit sein.<br />

Jesaja 32,17.<br />

Dass wir Ungerechtigkeit jedenfalls mildern, <strong>als</strong>o wir die Spanne zwischen arm<br />

und reich verringern - wir <strong>als</strong>o per Gesetz Chancengleichheit beschaffen und<br />

inzwischen schon persönlich Not lindern und Lücken füllen- das muss sein.<br />

Dem Nächsten gerecht werden, jedenfalls sein Anliegen versuchsweise aus<br />

seiner Sicht verstehen und ihm helfen, zu seinem Anteil zu kommen, das<br />

beschafft Frieden. Wenn wir den Hunger nach Gerechtigkeit stillen und gestillt<br />

bekommen, dann sind wir voreinander in Sicherheit; aller Jammer und<br />

Schlachtenlärm, alle Schnäppchenjagd ist abgeebbt; Stille- glückliches Ruhen<br />

herrscht.<br />

Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht Gott.<br />

Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr, dass ihre Knechtschaft ein Ende<br />

hat, dass ihre Schuld vergeben ist.<br />

162


Es ruft eine Stimme: In der Wüste bereitet Gott den Weg, macht in der Steppe<br />

ebene Bahn! Täler sollen erhöht werden, Berge erniedrigt. Was uneben ist, soll<br />

gerade werden. Die Herrlichkeit Gottes soll aufgehen allen Menschen.<br />

Jesaja 40, 1-5<br />

Israel war in Babylon im Exil, wurde aber durch Propheten und Priester,<br />

Gottesdienste und Verheißungen zusammengehalten. Nach drei, vier<br />

Generationen zeichnete sich die Aussicht auf Heimkehr ab. Ein uns nicht<br />

namentlich bekannter Prophet trat auf. (In der theologischen Fachsprache spricht<br />

man von Deutero- (Zweiter)-Jesaja.) Er ist der intensive Tröster der Bibel. Er<br />

stellt Gott dar <strong>als</strong> den großen Heiland, dessen Beruf es ist, zu heilen und<br />

zurechtzubringen. Er nimmt teil an den Leiden seiner Menschen, sucht mit ihnen<br />

und für sie Auswege.<br />

Wenn ein ganzes Volk betroffen ist, muss ein politischer Umbruch von langer<br />

Hand vorbereitet werden. Irgendwann hört ein Mensch einen Ruf vom Himmel<br />

her. Und er spricht den Menschen so ins Herz und unter die Haut, dass Fanfaren<br />

des Aufbruchs die Menschen aufschnellen lassen. Lassen wir uns treffen?<br />

Merken wir, daß auch wir gemeint sind?<br />

Die Geschichte hat zwei Seiten. Einmal ist sie Zusammenwirken der Menschen,<br />

gesteuert durch ihre Interessen und Möglichkeiten. Sie ist aber auch geleitet<br />

durch Heiligen Geist, durch einen Sog in die Zukunft, durch Hoffnungen und<br />

Wunschpotenzial aus Träumen und Visionen.<br />

Das ist stärkster Antrieb überhaupt: Aus der Verzweiflung herausgerufen<br />

werden nach vorn. Die Zukunft erscheint <strong>als</strong> neuer Wurf. Jerusalem dam<strong>als</strong> und<br />

wir alle werden freundlich von Gott angesprochen: Die Knechtschaft geht zu<br />

Ende.<br />

Auch unsere Knechtung? Wissen wir überhaupt von ihr? Welchen Zwang<br />

haben wir uns auferlegt, mit welcher Gier sind wir bestraft? Welches Mäuserad<br />

aus Pflichten und Vergünstigungen treten wir immer schneller. Wieviel<br />

belanglose „News“ checken wir täglich, stündlich? Wie erfahren wir den<br />

Freispruch, auch enttäuschen zu dürfen und nein sagen zu können?<br />

Der Prophet forderte das Volk auf, sich zu bekehren und den Weg für Gott<br />

freizumachen. Der wird dann Israel die freie Bahn der Rückkehr beschaffen.<br />

In der Steppe schwieriger Verhältnisse den Weg frei machen für Gott- das ist<br />

unser Auftrag. Was an uns ist- die Ungerechtigkeiten einzuebnen; das brächte<br />

Gott mit uns und zu uns vorwärts.<br />

*<br />

Er gibt dem Müden Kraft<br />

Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der ewige Gott, der die Enden der Erde<br />

geschaffen hat, gibt dem Müden Kraft, und Stärke dem Unvermögenden.<br />

Männer werden müde und matt, Junge straucheln und fallen; Aber die auf den<br />

163


Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass<br />

sie laufen und nicht matt werden, dass sie schreiten und nicht müde werden.<br />

Jesaja 40,27-31<br />

Dir gibt Gott Kraft. Aus Sonnenlicht und Schlaf, aus Liebe von einander, aus<br />

Zugehörwissen, aus Leistungsfähigkeit und Freude, aus Anerkennung und Dank,<br />

aus Überstehen von Mühe und Krankheit, aus jedem Bissen, jedem Trank,<br />

jedem Atemzug gibt er dir Kraft. Kraft kommt aus dem Harren auf Gott, was<br />

geduldiges und sehnendes zu Gott Gehören ist. Ja, wisse, daß Gott mit dir<br />

beschäftigt ist, dir <strong>Lebensmut</strong> zuteilt, dich mit Heiligem Geist anhaucht- auf<br />

dass wir uns nicht aufgeben. Neue Kraft ist dir oft geschenkt worden, unverhofft<br />

und unerklärlich.<br />

*<br />

Beim Namen gerufen<br />

Gott, der dich Israel geschaffen hat, spricht: Fürchte dich nicht, denn ich habe<br />

dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!<br />

Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht<br />

ersäufen; und wenn du durch Feuer gehst, sollst du nicht verbrennen.<br />

Denn ich bin dein Gott, der Heilige Israels, dein Heiland. Du bist in meinen<br />

Augen wert geachtet und auch herrlich. Ich habe dich lieb.<br />

So fürchte dich nun nicht, denn ich bin bei dir. Ich will vom Osten deine Kinder<br />

bringen und dich vom Westen her sammeln, ich will sagen zum Norden: Gib<br />

her!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Und alle Heiden sollen<br />

zusammenkommen und die Völker sich versammeln. Vor ihnen seid ihr meine<br />

Zeugen, spricht der Herr, und mein Knecht, den ich erwählt habe.<br />

Jesaja 43,1-10<br />

Das ist zunächst Israel gesagt, den Verstreuten und Verschleppten im Exil in<br />

Babylon. Teils hatten die sich in der dritten Generation schon an die Fremde<br />

gewöhnt; andere glühten vor Rückkehrsehnsucht. Ihnen sagt der Prophet <strong>als</strong><br />

Gotteswort: Fürchte dich nicht! Ich bin dein Gott, da kannst mir nicht verloren<br />

gehen. Gott verspricht den aus der Heimat Weggesprengten die Rückkehr. Und<br />

noch mehr: Die Völker wird Gott sammeln um den Tempel in Jerusalem.<br />

Von dem wird das Recht ausgehen für die Völkergemeinschaft. Und später wird<br />

dort Gott sich herablassen zu seinen Menschen für die messianische Zeit.<br />

Israel soll vor der Völkergemeinde Zeuge sein für die Bündnistreue Gottes. Und<br />

die Menschheit wird das Erstgeburtsrecht Israels anerkennen und Israel die<br />

Gleichwertigkeit der Menschengeschwister und ihrer Frömmigkeit.<br />

Aber zunächst brauchen die im Exil den Hirten, der den Weg zur Heimkehr<br />

weiss. Gott verspricht sich ihnen. Die Schwachen wird er im Bausch seines<br />

Mantels tragen.<br />

164


Unabhängig von der ersten Widmung an Israel in Babylon sind wir mit gemeint.<br />

Zu Recht ist das „Fürchte dich nicht“ beliebtester Taufspruch der Christenheit:<br />

„Fürchte dich nicht, Menschenkind: Gott hat dich erlöst, hat dich aus dem<br />

Nichtsein erlöst und dich ins Sein gezogen, hat dich bei deinem Namen genannt.<br />

Du bist vor ihm vorhanden und gemeint, einzigartig persönlich bist du Gottes.<br />

Und Gott ist der Deine.<br />

*<br />

Pass auf, vorn passiert es<br />

So spricht Gott: Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige!<br />

Denn siehe, ich will ein Neues schaffen, jetzt wächst es auf, erkennt ihr’s denn<br />

nicht?<br />

Jesaja 43,18.19<br />

Wir hängen am Gewordenen. Mühe, Schweiß und Tränen stecken im<br />

Errungenen. Auch Gott - könnte er nicht schon stolz sein aufs Erreichte, die<br />

Weltwunder, die Weiterentwicklung der Schöpfung, und ließe die Welt langsam<br />

ausklingen? Aber Gott drängt nach vorn, ist mit Werden und Wachsen und<br />

neuen Ideen beschäftigt. Und will uns <strong>als</strong> Copartner, will uns <strong>als</strong><br />

Projektentwickler- es ist noch so Vieles im Argen.<br />

Du dachtest, du könntest dich zurücklehnen? Nichts damit. Der Hunger nach<br />

Gerechtigkeit werde dir drängender, die Lust auf Kunst und Schönheit wachse in<br />

dir. Genau dir ist schon Neues passiert. Warst du nicht fast neugeboren, <strong>als</strong> die<br />

Liebe dich traf oder du wieder gehen konntest? Oder <strong>als</strong> ein Mensch dich für<br />

eine Freude umarmte? Erkennst du es denn nicht, wie Gott mit dir gut zugange<br />

ist und noch so viel vorhat? Wach doch auf, Mensch.<br />

Wir hängen schon arg am Hergebrachten, sichern uns, hüten Vorhandenes und<br />

wollen es mehren, freuen uns an Besitz. Da ist Gottes Verheißung, Neues zu<br />

schaffen, auch brenzlig. Doch wir sehnen uns auch nach mehr Liebe, mehr<br />

Frieden, mehr glückender Gemeinschaft, mehr Reich Gottes eben.<br />

Ob Gott das Neue hinbekommt, mit uns und auch gegen uns, jedenfalls auch für<br />

uns? Erkenne, daß Gottes Schatz in dir aufwächst. Achte darauf, daß dein<br />

Lieben großzügiger wird, du durch Teilen mehr Frieden beschaffst. Glückt<br />

durch dich mehr Gemeinschaft?<br />

Sieh hin, will merken, will es wissen.<br />

*<br />

Arbeit gemacht<br />

Mit deinen Sünden hast du mir Mühe gemacht. Ich, ich tilge deine<br />

Übertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht, spricht Gott.<br />

Jesaja 43,24.25<br />

165


Vergeben- das macht Gott nicht mit links, <strong>als</strong> wäre es sein Metier. Wir sind so<br />

arrogant und so verzweifelt, daß wir ihn anschwärzen, mit dem, was wir<br />

verderben. „Wie kann Gott das zulassen?“ –so kreiden wir ihm unsere Untaten<br />

an. Die Grausamkeiten, die wir andern tun, die muss Gott mitleiden und muss<br />

noch letztlich für sie haften- es ist ja aus seinem Energieschatz genommen; wir<br />

sind seine mörderischen Kinder.<br />

Gott vergibt- er lässt uns nicht stecken im Pech unserer Schuld. Er bekehrt unser<br />

Gewissen, das wir um Vergebung bitten und wieder gut machen wollen,<br />

irgendwie. Er gibt neue Chancen, neue Begegnungen, neue Einsichten. Er hilft<br />

uns, neu anzufangen. Und das um seinetwillen. Nicht weil wir so fromm wären<br />

sondern weil Gott für seine Kinder einsteht.<br />

*<br />

Licht und Finsternis ist des Herrn<br />

Gott spricht- sagt der Prophet- Ich bin der Herr, und sonst keiner mehr; außer<br />

mir ist nichts. Ich mache das Licht und die Finsternis, ich gebe Frieden und<br />

Unheil. Ich bin der Gott, der dies alles tut.<br />

Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert, eine Scherbe unter irdenen<br />

Scherben! Spricht denn der Ton zu seinem Töpfer: Was machst du?, und wirft<br />

sein Werk ihm vor: Du hast keine Hände!<br />

Aus Jesaja 45,6-9<br />

Alle Handlungen in der Welt denken <strong>als</strong> Handlungen des eines Gottes- was kann<br />

das bedeuten? Ich eine Filiale (filia, lat.=Tochter) des Einen, ein Glied an<br />

seinem Leib, ein Sensor seinerselbst. Er gibt mir keine Zahnschmerzen, aber die<br />

von ihm geschenkten Zähne sind nur begrenzt haltbar. Letztlich hat er uns<br />

sterblich gemacht; nein, er hat uns lebendig gemacht, aber diese Art von<br />

Menschenlebendigkeit „geht nur sterblich“.<br />

Das Licht des Lebens geht uns auf. Das ist das Wunder. Und wenn uns das<br />

Licht verlöscht, ist Finsternis da, sie ist Gottes Dunkel- das ist Tiefen-Glück in<br />

allem Unglück. Gut, daß keinem anderen <strong>als</strong> Gott das Leben und die Liebe und<br />

die Zeit gehören- und der Tod und der Hass und das Verfliegen der Zeit eben<br />

auch.<br />

Gottes Sein besteht in Seingeben. Wir, die Kreatur, wir sind nichts anderes <strong>als</strong><br />

Seinnehmende (Tauler). Darum - Gott zu verklagen ist nicht angemessen. Aber<br />

manchmal brauchen wir es, mit ihm zu hadern. Er hält das aus. Er ist ja die<br />

letzte Adresse für Dank und Klage, wer sonst.<br />

Gott ist das dynamische Zentrum des Universums. Gott ist sowohl im<br />

Unendlichen wie im Einzelnen. Er ist der eine Künstler, verteilt auf tausend<br />

Millionen Inkarnationen, „die leise knisternde Macht“ (Hanns.H.Jahnn).<br />

*<br />

166


Der Gottesknecht<br />

Er hatte keine Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen<br />

hätte. Er schien uns der Allerverachtetste und Unwerteste, war voller Schmerzen<br />

und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg;<br />

wir haben ihn verachtet.<br />

Die Wahrheit aber ist: Er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre<br />

Schmerzen. Er ist um unsrer Missetat willen gequält und um unsrer Sünde<br />

willen zerschlagen worden. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,<br />

und durch seine Wunden sind wir geheilt.<br />

Aus Jesaja 53,2-5<br />

Hier steht in Reinkultur die Theorie des Sühnopfers: Gott will ein Opfer haben.<br />

Stellvertretend fürs Volk muss sich einer hinhalten und zur Buße für die Sünden<br />

aller sein Leben geben.<br />

Ja, das stellvertretende Leiden gehört zum Leben. Wie viel Mühen werden<br />

übernommen, wie oft wird für Kollegen eingesprungen, wie viel Gewalt wird<br />

geschluckt, wie viel Unrecht verschmerzt. Wie viel Hunger wird gelitten, wie<br />

viele Leben gehen verloren durch Not, die nicht geteilt wird und durch Hass,<br />

den niemand aufsaugt.<br />

Aber muss Gott ein Opfer haben? Im griechischen Denken stand die Moira<br />

(Schicksal) noch über den Göttern, ein ehernes Gesetz, dem mit Gerechtigkeit<br />

genüge getan sein musste. Aber Liebe ist höher <strong>als</strong> alle Vernunft und<br />

Gerechtigkeit.<br />

Es ist in die Natur eine Tendenz eingebaut, dass viel mehr Gutes <strong>als</strong> Schlechtes<br />

geschieht. Die Natur verdaut Schaden, sie vergilt nicht Böses mit Bösem.<br />

Würde Mord -Auge für Auge, Zahn für Zahn- mit Mord bezahlt, wären wir an<br />

Blutrache längst ausgestorben. Güte hat Kraft zu heilen, und Liebe deckt der<br />

Sünden Menge- das gehört zu den Energien, mit denen Gott die Schöpfung<br />

hoch hält.<br />

In Israel kam der Gedanke auf, daß Gott sich selbst drangibt für seine<br />

Schöpfung, in Gestalt seines Knechtes. Paulus erkannte dann, daß in Jesus Gott<br />

selbst <strong>als</strong> Sohn (noch einmal) zur Welt kam. Und was der Sohn erleidet, trifft<br />

den Vater. So bürgt Gott für seine Menschen, wie Eltern für ihre Kinder<br />

einstehen.<br />

Wir allerdings fragen strotzend vor Blödigkeit: das Leid, das wir produzieren-<br />

wie kann Gott es zulassen. Statt zu helfen und zu lindern, meinen wir, der<br />

Leidende werde bestraft. Und wenden uns ab. Dabei ist alles Leiden und auch<br />

stellvertretend getragen. Keiner ist allein an was schuld.<br />

Wir alle drücken uns gern und lassen gern andere die Lasten tragen. Aber der<br />

Gottesknecht, den Gott in Aussicht stellt durch den Propheten, der nimmt das<br />

Leid auf sich. Die ersten Christen sahen in Jesus den Verheißenen. Und ja,<br />

Jesus nimmt die Last des schwachen Gottesbildes auf sich. Ein schwacher Gott,<br />

der nur vergibt nach Maß der guten Taten- das wäre ein Richter nur, kein Retter.<br />

167


Jesus aber steht für Gott ein, dass seine Liebe unendlich ist. Und darum schluckt<br />

sie auch unsere Sünden. Gott verdaut unsere Schuld- dafür steht Jesus gerade,<br />

dafür gibt er sich hin, um das uns zu zeigen.<br />

Mit der Auferstehung siegelt Gott diesen Jesus <strong>als</strong> seinen Gottesknecht-<br />

unbeschadet der anderen Erwartungen, die Israel noch hegt. Und wir wissen<br />

dem Jesus nach: Übernommenes Leid räumt den Weg frei für Heilung und<br />

Frieden.<br />

*<br />

Gib frei, die du bedrückst<br />

Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend, die ohne Obdach, führe ins<br />

Haus! Wenn du einen ohne Kleidung siehst, so gib ihm anzuziehen, und entzieh<br />

dich nicht deinem Fleisch!<br />

Dann wird dein Licht hervorbrechen wie die Morgenröte, und deine Heilung<br />

wird schnell voranschreiten, und deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen, und<br />

die Herrlichkeit Gottes hinter dir her. Dann wirst du rufen und der Herr wird dir<br />

antworten: Siehe, hier bin ich.<br />

Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann<br />

wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der<br />

helle Mittag.<br />

Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es<br />

nie an Wasser fehlt. Und du sollst heißen: „Du, der die Lücken füllt und die<br />

Wege ebnet.“<br />

Aus Jesaja 58<br />

Gott lieben heißt, den Nächsten lieben; das ist hier klargestellt. Der Bedürftige<br />

ist nicht irgendwer sondern ist Gottes Fleisch <strong>als</strong>o auch „mein Fleisch“.<br />

Weil wir mit der Nächstenliebe uns so schwer tun, haben all unsere Seelen einen<br />

Grauschleier. Wir in unserm Wohlstand haben alle ein schlechtes Gewissen-<br />

oder sind von Sinnen. Wir haben von Natur aus die Anlage mitbekommen,<br />

einander zu ergänzen und zusammenzuwirken. Darum können wir auch Nächste<br />

werden dem, der nicht in barer Münze uns bezahlen kann. Es gibt auch<br />

Herzenswährung, „compassion“, Mitfühlen. Es tut gut, gut zu tun.<br />

Wir werden dann Leuchtende, es wird uns hell im Inneren. Wir könnten dann<br />

und wann überirdische Freude ausstrahlen.<br />

Wir können lernen, dem in Not gut zu sein- ein Stück weit. Es heilt uns, es<br />

macht mich mit mir einverstanden. Beim Geben entspringen für mich selbst<br />

Kräfte. Ich lebe lieber, wenn ich einem helfe, zu überleben. Mein Titel dann:<br />

Überbrücker oder Retter.- Mehr geht nicht, mehr kann man nicht werden.<br />

*<br />

168


Sein Suchen findet uns<br />

Gott spricht: Ich lasse mich suchen von denen, die nicht nach mir fragen, ich<br />

lasse mich finden von denen, die mich nicht suchen. Zu einem Volk, das meinen<br />

Namen nicht anruft, sage ich: Hier bin ich, dein bin ich!<br />

Jesaja 65,1<br />

Viele religiöse Übungen leiten an, Gott zu finden. Askese und gute Werke<br />

sollen auf den richtigen Weg bringen, Kaskaden von Gebeten unsere Seele<br />

erweichen. Aber Gott kennt uns, seine Brut. Er hütet uns zusammen, er geht uns<br />

mütterlich, väterlich nach, er zeigt sich uns. Wenn wir gegen ihn verrammelt<br />

sind, tut er die Schritte auf uns zu. Und manchmal leidet er still mit uns und an<br />

uns. Dann fragen wir: Wo ist Gott? Und er fragt: Mensch, wo bist du?<br />

Gott ist mit uns in einer lieben Berührung, einer unerwarteten Hilfe. Ein<br />

stärkendes Wort kommt angeflogen, ein wahrnehmender Blick, und schon öffnet<br />

sich heiliger Raum vor uns. Wir sind ausgerichtet auf Empfang der schönsten<br />

Würden: Wir taugen doch, sind Gottes Kinder. Und werden ohne unser Zutun<br />

geheilt. Wie von selbst tun wir Gutes, wenn wir uns von Gott geliebt wissen.<br />

Nur, die Reihenfolge ist klar: In allem bleiben wir Empfangende.<br />

*<br />

Verheißung eines neuen Himmels und einer neuen Erde<br />

Gott spricht, sagt der Prophet: Ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde<br />

schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu<br />

Herzen nehmen wird.<br />

Und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man<br />

soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des<br />

Klagens.<br />

Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die<br />

ihre Jahre nicht erfüllen - <strong>als</strong> jung werden Hundertjährige gelten.<br />

(Denn von Zion wird Weisung ausgehen. Und er wird richten die Völker. Da<br />

werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen.<br />

Kein Volk wird mehr gegen ein anderes das Schwert erheben und sie werden<br />

hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu machen (Jesaja 2, 3.4)).<br />

Wenn der Messias kommt, dann werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen,<br />

ein Kind wird Vieh und Bären miteinander weiden. Und Löwen werden Stroh<br />

fressen, ein Säugling wird unbeschadet spielen am Loch der Otter. Man wird<br />

keine Sünde mehr tun, denn das ganze Land wird voll Erkenntnis des Herrn sein<br />

(aus Jesaja 11,1-9)). Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden<br />

Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen. Denn sie sind das Geschlecht der<br />

Gesegneten des Herrn.<br />

(Er wird unter großen Völkern richten und viele Heiden zurechtweisen in fernen<br />

Landen. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln<br />

169


machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie<br />

werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen (Micha 4,3).<br />

Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das<br />

Rind. Die Menschen werden nicht mehr Bosheit noch Schaden tun auf meiner<br />

ganzen heiligen Erde, spricht Gott.<br />

Aus Jesaja 65, 17-25<br />

Hier steht die Utopie einer friedlichen Welt geschrieben. Gott will aus der alten<br />

Menschheit eine neue entwickeln. Auch in der Natur soll nicht mehr Fressen<br />

und Gefressen gelten. Die Menschen werden nicht mehr sündigen. Ja, dann ist<br />

der Himmel auf die Erde gekommen oder die Erde ist im Himmel. Wenn das<br />

Reich Gottes vollkommen bei uns ist, dann ist Friede.<br />

Bis dahin möge der Traum von der Verwandlung uns wenigstens einige Schritte<br />

auf einander hin beibringen. „Dein Reich komme“ zu beten, das bleibt uns<br />

immer noch aufgetragen. Gott ist noch auf dem Weg, seine Schöpfung heil zu<br />

machen. In der Zwischenzeit haben wir viel zu tun, mit Abrüsten und<br />

Befreunden. Schwerter umschmieden zu Pflugscharen- statt Militärhaushalte:<br />

Brot für die Welt. Aus dem Glauben an Gottes Friedensarbeit lasst uns immer<br />

neue Kräfte der Versöhnung schöpfen.<br />

Jeremia<br />

* *<br />

Jeremias Berufung<br />

Und des Herrn Wort geschah zu mir: Ich kannte dich, ehe ich dich im<br />

Mutterleibe bereitete, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.<br />

Ich aber sprach: Ach, Gott, ich tauge nicht zu predigen; ich bin zu jung.<br />

Gott aber sagte zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen,<br />

wohin ich dich sende, und predigen, was ich dir gebiete.“<br />

Und Gott streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu<br />

mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Und fürchte dich nicht, denn<br />

ich bin bei dir.<br />

Jeremia 1,4-9<br />

Erleben wir auch Berufung? Zu einem Auftrag, zur Ehe, zu Kindern, zu einem<br />

Beruf, zu einer bestimmten Verantwortung? Sicher ist der Auftrag zum<br />

Prophetenamt ein besonderer: Er soll Gottes Wort ausrichten. Aber jede Sache,<br />

wenn sie gut werden soll, muss von uns mit Leidenschaft getan werden- in<br />

Begeisterung- aus einer Berufung: Ich bin dazu bestimmt, ich soll das bringen,<br />

ich, genau ich.<br />

Kein Pastor, keine Pastorin, ist immer auf der Höhe ihres Auftrages. Gottes<br />

Wort muss ja durch unsere wenig hellhörigen Ohren, durch die Begriffsmuster<br />

170


unseres Geistes, muss von mir verstanden und angenommen sein <strong>als</strong> (auch) mich<br />

betreffend. Und dann muss es noch in die Sprache von heute finden, muss so<br />

klingen, <strong>als</strong> wäre es genau richtig für dich und dich und dich.<br />

Manches, was von den Kanzeln kommt, ist Wortspreu. Dann hat kein Engel den<br />

Mund des Predigers mit glühender Kohle gereinigt (Jesaja 6,7). Und die Predigt<br />

war keine Brücke vom alten Wort zum neuen Leben. Aber nächsten Sonntag<br />

kann ein Wunder geschehen, und du wirst sein Wort hören und du weißt deine<br />

Berufung wieder.<br />

*<br />

Werben um Glaube<br />

Jeremia, sprich zu ihnen: So spricht Gott: Wo ist jemand, wenn er fällt, der nicht<br />

gern wieder aufstünde? Wo ist jemand, wenn er irregeht, der nicht gern wieder<br />

zurechtkäme?<br />

Und warum will denn dies Volk zu Jerusalem irregehen wieder und wieder? Sie<br />

halten so fest am f<strong>als</strong>chen Gottesdienst, dass sie nicht umkehren wollen.<br />

Ich sehe und höre, dass sie nicht die Wahrheit reden. Es gibt niemanden, dem<br />

seine Bosheit leid wäre und der spräche: Was hab ich doch getan! Sie laufen alle<br />

ihren Lauf wie ein fliehendes Pferd.<br />

Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Kranich und<br />

Schwalbe halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk<br />

will das Recht Gottes nicht wissen.<br />

Jeremia 8, 4-7<br />

Jeremia ist ein begnadeter Gottesflüsterer- aus ihm spricht der liebende und der<br />

um die Zuneigung der Menschen kämpfende Gott. Jeremia predigt denen in<br />

Jerusalem, daß es widernatürlich wäre, von Gott Abstand zu nehmen; es wäre<br />

ein Unding, wie wenn einer gern liegen bliebe nach einem Sturz. Nur Pferde,<br />

wenn sie durchgehen, sind nicht zur Vernunft zu bringen- die andern Tiere<br />

halten ihre Zeiten ein.<br />

Also selbstverständlich muss es sein, daß wir an Gott hängen und unser Leben<br />

geistvoll erleuchtet ist. Aber der Ewige hat uns Raum gelassen, meinen zu<br />

können, auch ohne ihn auszukommen. Doch er lässt uns nicht laufen. Er wirbt<br />

um uns, redet auf uns ein wie auf ein störrisches Kind.<br />

Bitte, Gott behalte dein Interesse an uns, rühre unsere Seele, fülle uns wieder mit<br />

Ahnung von dir. Dass wir uns nicht verloren vorkommen und leer. Fülle uns<br />

wieder mit Geist und Lust am Guten.<br />

Ob dem Jeremia diese Predigt eingegeben war? Wenn Jeremias Predigt uns<br />

anspricht; wenn wir uns von ihr rufen lassen, dann ist sie uns Gottes Wort<br />

geworden.<br />

*<br />

171


Gedanken des Friedens<br />

Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr:<br />

Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe, was ihr<br />

braucht.<br />

Jeremia 29, 11<br />

Bei allen Schwierigkeiten, allem Unrecht und Unglück sollen wir doch wissen,<br />

dass Gott gut zu uns hindenkt. Und welches Leid uns auch trifft, Gott erleidet es<br />

eher mit, <strong>als</strong> daß er es schickt. Geben will er uns, was wir brauchen. Brauchen<br />

wir, was wir jetzt haben? Statt zu klagen will ich nachdenken, wie ich zum<br />

Besten nutzen kann, was ist.- Es soll doch Friede draus werden.<br />

*<br />

Gott kann nicht nicht lieben<br />

Ist nicht Ephraim mein teurer Sohn und mein liebes Kind? Sooft ich ihm auch<br />

drohe, muss ich doch meiner Zusage an ihn gedenken; darum bricht mir mein<br />

Herz, dass ich mich seiner erbarmen muss, spricht Gott.<br />

Jeremia 31,20<br />

Ephraim – ein Stamm Israels, hier für Israel überhaupt - Gottes geliebtes Kind.<br />

Und es bringt Schmerzen, Kinder zu haben: sie bocken und sind undankbar, sie<br />

lügen auch und nutzen die Eltern aus. Ähnliches erfährt Gott mit seinen<br />

Menschen. Er zürnt und kann doch nicht strafen. Zu sehr sind sie ihm ans Herz<br />

gewachsen. Er entzieht sich ihren Blicken nicht, kündigt nicht die Nähe auf.<br />

Aber Hochmut oder Gier verdunkeln uns Gott, wir verdecken ihn uns mit<br />

unserem kleinen Geist.<br />

Hesekiel<br />

* *<br />

Zukunft auch für Bedrohliche<br />

Gott spricht: Ich habe kein Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern will, dass<br />

der Gottlose umkehre von seinem Wege und lebe. So kehrt nun um von euren<br />

bösen Wegen.<br />

Hesekiel 33,11<br />

Wir begrübeln doch, welchen Stand die Gottlosen bei Gott haben, schon weil<br />

wir selbst nicht wissen, wie weit unsere Gotteshaftung hält. Jedenfalls gibt es<br />

keine Verdammten, keine, die Gott von sich abschüttelt und zu Nichts auflöst.<br />

172


Gott hat Interesse an jedem. Wer ihm am fernsten steht, den sehnt er am<br />

meisten heran. Das verpflichtet dazu, keinen aufzugeben. Auch die in Irrsinn<br />

Verstrickten bleiben Menschenbrüder, Menschenschwestern.<br />

Uns gemeinsam auf guten Weg bringen, daran arbeitet Gott. Am heutigen Tag<br />

will er mit mir, mit dir weiterkommen.<br />

*<br />

Ich selbst will meine Schafe weiden. spricht Gott.<br />

Ich will das Verlorene wieder suchen und das Verirrte zurückbringen, das<br />

Verwundete verbinden und das Schwache aufrichten. Und was stark ist, will ich<br />

behüten, indem ich es in die Pflicht nehme. Ich will sie alle weiden, wie es recht<br />

ist.<br />

Hesekiel 34,15.16<br />

Die sich verloren vorkommen, sie werden gefunden. Die sich im Irrgarten der<br />

Moderne verstricken, erfahren Entwirrung; denen dies Wirtschaftsgefüge<br />

Wunden schlug, die sollen wieder kreditwürdig sein. Die nicht mehr können,<br />

denen soll ein neuer Stand beschafft werden. Dazu braucht und nutzt Gott die<br />

Starken.<br />

Geradezu behütet vor Absturz wirst du, indem du auf Notleidende gestoßen<br />

wirst. Wenn du hilfst, tust du es auch dir zur Rettung. Du siehst dich<br />

eingespannt in Gottes Team. Hochmut und Leere weichen von dir. Du wirst<br />

glücklich, du wirst es sehen.<br />

*<br />

Wandel<br />

Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist geben und will das<br />

steinerne Herz aus euch wegnehmen und euch ein fleischernes Herz geben.<br />

(Hesekiel 36,26)<br />

Müssen wir so radikal verwandelt werden? Immerhin sind wir schon seine<br />

Geschöpfe und werden es nicht erst. In welcher Schicht meines Ichs will ich<br />

denn gefühlvoller werden, empfindsamer, hilfsbereiter, angerührter vom<br />

Lebendigen? Will ich denn bereiter für die Anliegen Bedrängter werden? Will<br />

ich denn breitere Schultern für Verantwortung? Ich spüre doch meine Abwehr<br />

wachsen gegen Forderungen. Auch mein Kraftverschleiß nimmt zu. Gottes<br />

Geist, heißt es, ist in den Schwachen mächtig: Also nicht triumphieren, nicht<br />

zwingen und bedrängen- weniger fordernd auftreten. Aber beherzt das<br />

Dringende, das dich Drängende auch tun. Gott verspricht, daß er dich hinkriegt<br />

wie er will. Das lass dein Glück sein.<br />

*<br />

173


Eine gewaltig schreckliche, schöne Vision.<br />

Der Geist Gottes stellte mich auf ein weites Feld. Das lag voller Totengebeine.<br />

Sie waren ganz verdorrt. Und er führte mich hindurch und sprach zu mir: Du<br />

Menschenkind! Weissage über sie: Ihr vertrocknetes Gebein, höret des Herrn<br />

Wort! Ich Schöpfer, will euch beatmen mit meinem Atem, auf dass ihr wieder<br />

lebendig werdet. Ich will euch Sehnen geben und lasse Fleisch über euch<br />

wachsen und überziehe euch mit Haut und will euch Odem geben, dass ihr<br />

aufersteht zu neuem Lebendigsein. Ihr sollt Zeuge sein, daß ich Gott bin.<br />

Und ich weissagte, wie mir befohlen war.<br />

Da rauschte es, und die Gebeine rückten zusammen und fügten sich<br />

zueinander. Und Lebensatem kam herzu von den vier Winden und die Körper<br />

wurden wieder lebendig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes<br />

Heer.<br />

Und Gott sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine stehen für das ganze<br />

Haus Israel. Noch sprecht ihr: Unsere Gebeine sind verdorrt und unsere<br />

Hoffnung ist verloren und es ist aus mit uns. Aber, spricht Gott: Ich will eure<br />

Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe<br />

euch ins Land Israel. Ihr sollt erfahren, dass ich der Herr bin. Ich rede es und tue<br />

es.<br />

Hesekiel 37,1-15<br />

Was erst gesagt ist dem zerstreuten Israel, ist eine der grandiosen Visionen für<br />

die ganze Menschheit. Der Prophet sieht sein Volk so tot wie ein Feld, bedeckt<br />

mit Skeletten. Der Prophet sieht Israel nur noch <strong>als</strong> Ansammlung von Knochen-<br />

ausgelaugt, ohne Körper, ohne Seele. Doch dies Verlorensein ist eine Schmach<br />

für Gott. Er darf sich mit der Vernichtung Israels nicht abfinden, “um seines<br />

Namens willen“. Was sollte sonst die Menschheit sagen?<br />

Die Christen haben mit diesem Bild den Tod neu qualifiziert - letztlich durch<br />

das Sterben Jesu. Wäre dieser wunderbare Mensch, dieser liebevolle, gottvolle<br />

Zeuge für Gott einfach gestorben und begraben und aus und vorbei- hätte Gott<br />

sich doch letztlich <strong>als</strong> Lebensverächter erwiesen und der Tod wäre Sieger, das<br />

Leben wäre immer noch nur Weg zum Tod.<br />

Nach Jesu Auferstehung aber ist der Tod <strong>als</strong> ganzer entmachtet, er ist nur noch<br />

Heimbringer zu Gott. Diese neue Qualität des Todes – nicht mehr Strafe sondern<br />

Heimbringung- wird einzigartig vorausgemalt in der Wiederherstellung der<br />

Leiber, wie sie der Prophet Hesekiel schaut.<br />

Lange hat man eine Auferstehung des Fleisches erwartet, entsprechend der<br />

Vision des Propheten. Darum galt auch die Feuerbestattung lange <strong>als</strong><br />

unchristlich. Aber nicht die Wiederherstellung des alten Körpers brauchen wir<br />

für ein zukünftiges Leben, sondern den Glauben an den Gott, der ewig unser<br />

Gott sein will. Und der uns jetzt schon lebendigst macht in der Liebe.<br />

* *<br />

174


Daniel<br />

Der Traum von den vier Reichen<br />

König Nebukadnezar hatte einen Traum: Der beunruhigte ihn sehr und er bot<br />

alle seine Gelehrten auf- doch keiner konnte den Traum deuten. Daniel, ein<br />

frommer jüdischer Mann am Hof stellte dem König die Deutung seines Traumes<br />

in Aussicht. Und dieser erzählte den Traum. Da sagte Daniel:<br />

Ein großes, hell glänzendes Bild stand vor dir, das war schrecklich anzusehen.<br />

Das Haupt dieses Bildes war von feinem Gold, seine Brust und seine Arme<br />

waren von Silber, sein Bauch und seine Lenden waren von Kupfer, seine<br />

Schenkel waren von Eisen, seine Füße waren teils von Eisen und teils von Ton.<br />

Das sahst du, bis ein Stein herunterkam, ohne Zutun von Menschenhänden; der<br />

traf das Bild an seinen Füßen, die von Eisen und Ton waren, und zermalmte sie.<br />

Da wurden miteinander zermalmt Eisen, Ton, Kupfer, Silber und Gold und<br />

wurden wie Spreu die der Wind verweht. Der Stein aber, der das Bild<br />

zerschlug, wurde zu einem großen Berg, sodass er die ganze Welt füllte.<br />

Das ist der Traum.<br />

Nun wollen wir die Deutung vor dem König sagen.<br />

Dir König, hat der Gott des Himmels Königreich, Macht, Stärke und Ehre<br />

gegeben. Und über alles hat er dir Gewalt verliehen. Du bist das goldene Haupt.<br />

Nach dir wird ein anderes Königreich aufkommen, geringer <strong>als</strong> deines, danach<br />

das dritte Königreich, das aus Kupfer ist. Und das vierte wird hart sein wie<br />

Eisen; ja, wie Eisen alles zerbricht, so wird es auch alles zermalmen und<br />

zerbrechen. Das Reich aber, dessen Füße teils von Eisen und teils von Ton sind,<br />

bedeutet: Zum Teil wird’s ein starkes und zum Teil ein schwaches Reich sein.<br />

Aber zur Zeit dieser Könige wird der Gott des Himmels ein Reich aufrichten,<br />

das nimmermehr zerstört wird -es wird ewig bleiben,<br />

So hat der große Gott dem König kundgetan, was dereinst geschehen wird.<br />

Und der König erhöhte Daniel und gab ihm große und viele Geschenke und<br />

machte ihn zum Fürsten über das ganze Land Babel und setzte ihn zum Obersten<br />

über alle Weisen.<br />

Daniel 2<br />

Ursprünglich ist die Geschichte erzählt zum Trost der jüdischen Gemeinde (im<br />

2. Jahrhundert vor Ch.): Wenn auch jetzt alles durcheinander ist- es ist der<br />

Anfang des Reiches Gottes. Die ganze Weltgeschichte läuft auf diesen Punkt zu:<br />

Erst war es ein goldenes Zeitalter, dann folgte ein silbernes, dann im kupfernen<br />

und eisernen Zeitalter nahm die Gewalt überhand, dann kommt das Reich, das<br />

nur noch „auf tönernen Füßen“ steht- damit kommt der große Fall der<br />

Weltgeschichte. Und dann richtet Gott mit seinem Messias die neue Welt auf. –<br />

Gewaltig war die Wirkung dieser Vision: Bis heute gibt es Denkschulen, die den<br />

Niedergang der Geschichte bis hin zur Verbrennung des Erdballs<br />

175


vorherbestimmt sehen. Und dann sei Schluss, aus, vorbei. Christen glauben, daß<br />

Gott sein Reich kommen lässt. Die Geschichte wird sich wohl nicht gradlinig zu<br />

einer Vollendung entwickeln- dieser Optimismus ist durch Auschwitz und Pol<br />

Pot und Hiroshima vergangen. Aber unsere Zeit ist Gottes Zeit und es wird<br />

einmal sehr gut. Das hoffen wir.<br />

Die Geschichte des Daniel soll zunächst nur den bedrängten Gemeinden dam<strong>als</strong><br />

Mut machen, den Glauben an die Heilung der Welt durch Gott durchzuhalten.<br />

Doch mit Jesu Auferweckung ist der Geschichte eine Tendenz zur Heilung<br />

eingeimpft. „Und wenn die Welt voll Teufel wär“.. so singt es auch Luther:<br />

Was kommt ist der Herr. Darum ist vor uns immer seine Zukunft!<br />

*<br />

Belsazars Mahl<br />

König Belsazar machte ein Festmahl für seine tausend Mächtigen, seine Frauen<br />

und Nebenfrauen und soff sich voll mit ihnen. Und <strong>als</strong> er betrunken war, ließ er<br />

die goldenen und silbernen Gefäße herbringen, die sein Vater Nebukadnezar aus<br />

dem Tempel zu Jerusalem geraubt hatte, und sie tranken daraus und ließen<br />

hochleben die goldenen und steinernen Götter.<br />

Da gingen hervor Finger wie von einer Menschenhand, die schrieben auf die<br />

getünchte Wand in dem königlichen Saal. Und der König erblickte die Hand, die<br />

da schrieb. Da wurde sein Gesicht aschfahl und er erschrak wie von Sinnen. Und<br />

er rief nach den Wahrsagern aber die konnten die Schrift nicht lesen.<br />

Da erinnerte man sich an Daniel. Er konnte die Schrift lesen und deuten und<br />

sprach: Du, Belsazar, obwohl du den Niedergang deines hochmütig gewordenen<br />

Vaters mit ansahst, hast du dein Herz nicht gedemütigt. Du hast dich gegen den<br />

Herrn des Himmels erhoben. Den Gott, der deinen Odem und alle deine Wege in<br />

seiner Hand hat, den hast du verspottet.<br />

Darum wurde von ihm diese Hand gesandt und diese Schrift geschrieben.<br />

Sie lautet: Mene, tekel, u-parsin: Mene, das ist, Gott hat dein Königtum gezählt;<br />

tekel, das ist: man hat dich gewogen und <strong>als</strong> zu leicht befunden; u-parsin: das<br />

ist: Dein Reich ist zerteilt und den Medern und Persern gegeben.<br />

Noch in derselben Nacht wurde Belsazar, der König der Chaldäer, getötet.<br />

Daniel 5<br />

Belsazars Nachtmahl ist eins der großen Bilder der Menschheit von<br />

Größenwahn und Scheitern. Der König lässt sich feiern von seinen Günstlingen.<br />

„Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“- ist die Regel, nach der Warner und<br />

Infragesteller des schändlichen Treibens ausgeschaltet sind. Die Bosheit des<br />

einen wird verstärkt und erst möglich gemacht durch Mitläufer und Nutznießer.<br />

Missbrauch des Heiligen ist ein Mittel, sich aufzublasen. Die Kelche und<br />

Leuchter sind vom Altar gerissen und schmücken das Sauffest des Königs. Was<br />

dem Lobe Gottes galt, muss herhalten zum Dekor für einen Bösewicht.<br />

176


Aber Hochmut und Vermessenheit bringen zu Fall. „Gemessen, gewogen, für zu<br />

leicht befunden“ ist das „Menetekel“, das Alarmzeichen für eine<br />

Großmannssucht, die dem Untergang entgegengeht.<br />

Daniel in der Löwengrube<br />

*<br />

Daniel übertraf alle Fürsten und Statthalter an Geisteskraft. Der König erwog,<br />

ihn zum Kanzler seines Königreiches zu machen. Das wollten die andern<br />

Statthalter nicht und suchten an Daniel etwas zu finden, was gegen das<br />

Königreich gerichtet wäre. Aber sie fanden nichts. Da sprachen die Männer: Es<br />

bleibt nur, ihm aus seinem Gottesglauben einen Strick zu drehen.<br />

Sie veranlassten den König, ein Gebot zu erlassen, dass jeder, der etwas bitten<br />

wird von irgendeinem Gott oder Menschen außer vom König allein, zu den<br />

Löwen in die Grube geworfen werden soll.<br />

Daniel aber betete im Obergemach seines Hauses am offene Fenster in Richtung<br />

Jerusalem; dreimal am Tag fiel er auf seine Knie, lobte und dankte seinem Gott;<br />

wie er es immer zu tun pflegte, so tat er es weiter.<br />

Da zeigten die Männer ihn an und der König bedauerte: Das Gesetz der Meder<br />

und Perser kann niemand aufheben. Und er ließ Daniel vor die Löwen in der<br />

Grube zu werfen, sandte ihm aber den Wunsch nach: Dein Gott, dem du ohne<br />

Unterlass dienst, er helfe dir!<br />

Früh am Morgen des nächsten Tages stand der König auf und ging eilends zur<br />

Löwen-Grube. Und er sah Daniel, lebend und betend. Und Daniel gab Zeugnis:<br />

Gott hat seine Engel gesandt, die den Löwen den Rachen zugehalten haben,<br />

sodass sie mir kein Leid antun konnten; denn vor ihm bin ich unschuldig, und<br />

auch gegen dich, mein König, habe ich nichts Böses getan.<br />

Da wurde der König sehr froh und ließ Daniel aus der Grube herausziehen. Und<br />

gab den Befehl: Künftig ist der Gott Daniels zu ehren, er ist der lebendige Gott.<br />

Daniel 6<br />

Die Erzählung von Daniel in der Löwengrube ist eine der großen<br />

Rettungsgeschichten der Menschheit. Gott kann Bestien den Rachen<br />

verschließen. Wenn auch Menschen einen umbringen wollen, können sie noch<br />

bekehrt werden vom Heiligen Geist. Und es kann auch anders kommen <strong>als</strong> es in<br />

der Natur der Sache liegt. Gewehrkugeln können stecken bleiben in<br />

Schutzwesten, Mutige können vor Schlägern schützen. Unfälle können gelindert<br />

werden mittels Sicherheitsgurten, Löwen können abgelenkt werden durch<br />

interessantere Gaben.<br />

Eigentlich steht hinter der Geschichte viel Verfolgungs- Erfahrung Israels.<br />

Schon dam<strong>als</strong> wurden sie um ihres Glaubens willens vertrieben und oftm<strong>als</strong><br />

177


umgebracht. Da lag die Versuchung nahe, vom Gauben abzufallen. Doch diese<br />

und ähnliche Geschichten erzählen, daß Gott seine Frommen bewahrt.<br />

Aber bete und fahre fort, ans andere Ufer zu rudern! Das heißt: Hilf Gott, daß er<br />

mit dem Bösen fertig wird, bete um Gottes Beistand, aber steh Gott bei mit<br />

deiner Kraft.<br />

Dietrich Bonhoeffer hat uns neu gelehrt, daß wir auch in den Händen von<br />

Schergen und Mördern in Gottes Hand bleiben. Auch Jesus hat sich auf dem<br />

Weg mit Gott gewusst, auch wenn er durch die Hölle musste.<br />

Die zugehaltenen Löwenmäuler sind auch ein Bild dafür, daß die Ängste uns<br />

nicht verschlingen werden.<br />

Joel<br />

* *<br />

Ausgießung des Heiligen Geistes<br />

Gott spricht: Nach diesen Tagen will ich meinen Geist ausgießen über alles<br />

Fleisch, und eure Söhne und Töchter sollen weissagen, eure Jünglinge sollen<br />

Gesichte sehen und eure Alten sollen Träume haben. Und es soll geschehen:<br />

Wer des Herrn Namen anrufen wird, der soll errettet werden.<br />

Aus Joel 3<br />

Die Ausgießung des Heiligen Geistes über alles Fleisch soll geschehen. Also ist<br />

die natürliche Beschaffenheit alles Lebendigen noch nicht so geistvoll, wie Gott<br />

es vorhat. Die Jungen, die doch so beschäftigt sind mit der Gegenwart, sie sollen<br />

auch weise reden vom Zukünftigen. Und die Alten, die so gern dem hinterher<br />

sinnen, was war, die sollen Träume haben und von ihnen mit auf große Fahrt<br />

genommen werden. Nach vorn reißt der Heilige Geist mit: Vor uns<br />

Entwicklung, Wandel, Reife, Frieden, spannende Zeit mit Gott.<br />

* *<br />

Amos<br />

Hunger nach dem Herzenswort<br />

Siehe, es kommt die Zeit, spricht Gott, dass ich einen Hunger ins Land schicken<br />

werde, nicht einen Hunger nach Brot oder Durst nach Wasser, sondern nach dem<br />

Wort des Herrn, es zu hören.<br />

Amos 8,11<br />

Ist das nicht jetzt? Hungern wir nicht nach haltbaren Worten, nach klarer<br />

Widmung, nach Weisung wie Hammerschläge eines Zimmermannes- jeder trifft<br />

den Nagel präzise?<br />

178


Der Hunger nach klarer Predigt ist da. Abschälen die f<strong>als</strong>chen Versprechungen<br />

und mit kräftigen, unverzierten Sätzen Leben eröffnen, Gott in heutigem<br />

Deutsch zur Sprache bringen, kurz, direkt und wahr- es muss immer neu<br />

versucht werden. Und Gemeinde berät, ergänzt, widerspricht. Das Wort Gottes<br />

für heute erschließt sich der Gemeinde, es fällt nicht einem einzelnen ein.<br />

Jetzt ist die Zeit da. Wir lauschen doch hinter die Gespräche, die wir so<br />

mitmachen, ob da ein Hauch Trost und Erkenntnis, Freude und Ermutigung<br />

steckt. Wir schauen die Strecke der Filme ab nach einem heiligen Bild, das uns<br />

erreicht. Wir suchen doch in uns Merkstoff für Heil.<br />

Einen ganzen Tag hast du durchfahren und war da ein Krümel Heiliger Geist<br />

drin gewesen? Hast du heute geliebt? Befriedet? Beschenkt? Gott wollte dich<br />

heute treffen. Hast du ihm beigestanden? Hast du sein Wort gehört in der Bitte<br />

eines Nächsten, hast Du sein Wort weitergesagt im freisprechenden Gedanken?<br />

Hast du dich mit einem angelegt für das Wort Gottes, das heute dran ist?<br />

Jona<br />

* *<br />

Gott nicht entkommen - Eine große kurze Geschichte<br />

Gott sprach zu Jona: Geh nach Ninive und predige ihr zugut gegen sie: Ihre<br />

Bosheit ist vor mich gekommen.<br />

Aber Jona floh; er nahm ein Schiff, das in entgegengesetzter Richtung- nach<br />

Tarsis fahren wollte, und hoffte so, dem Herrn aus den Augen zu kommen. Da<br />

ließ Gott einen großen Wind aufs Meer kommen, und es erhob sich ein großes<br />

Ungewitter dass sie meinten, ihr Schiff zerbräche.<br />

Die Schiffsleute fürchteten sich und schrien ein jeder zu seinem Gott. Ladung<br />

warfen sie über Bord, damit das Schiff leichter würde. Jona war derweil hinunter<br />

in das Schiff gestiegen und schlief.<br />

Da trat der Schiffsherr zu ihm und brüllte ihn wach: Was schläfst du? Steh auf,<br />

rufe deinen Gott an! Ob vielleicht dieser Gott unser gedenken will, dass wir<br />

nicht verderben.<br />

Und einer sprach zum andern: Kommt, wir wollen losen, dass wir erfahren, um<br />

wessentwillen es uns so übel geht. Und <strong>als</strong> sie losten, traf es Jona.<br />

Und der sprach er zu den andern im Schiff: Nehmt mich und werft mich ins<br />

Meer, so wird das Meer still werden und von euch ablassen. Denn ich weiß, dass<br />

um meinetwillen dies große Ungewitter über euch gekommen ist.<br />

Jona 1,1-12<br />

Warum Jona sich so sträubte, Ninive die Bußpredigt zu halten, wird nicht<br />

gesagt. Jeder Zuhörer und Leser dieser Geschichte soll sich selbst eintragen und<br />

sich befragen. Warum weiche ich dem Auftrag des Herrn aus, ich weiß doch<br />

was ich aufhabe.<br />

179


Es ist schon eine ausgefallene Berufung, einer Stadt den Untergang anzusagen.<br />

Müssen wir auch unserer Zivilisation den Untergang ansagen? Jedenfalls „die<br />

Augen zu“ und die Zeit verschlafen geht nicht.<br />

Eindrücklich ist, wie die Vorfahren ihr Wohlergehen und ihre Not mit Gott<br />

verbunden sahen. Wir sehen den Zusammenhang von Sturm und persönlicher<br />

Schuld nicht mehr- aber in der Umweltkatastrophe schwant uns doch neu der<br />

Zusammenhang von Lebensart und (Klima-) Schicksal.<br />

Das Los zu werfen, war früher die Methode, den Willen der Götter zu<br />

erforschen. Es war der erste Menschheits-Versuch, nicht blind dem Schicksal<br />

ausgeliefert zu sein. Man hoffte, durch Loswurf die Untat des Einen zu<br />

ermitteln, so konnte man die Strafe auf ihn ableiten. Und hoffte so, die<br />

Schicks<strong>als</strong>mächte gnädig zu stimmen. Jona gab sich zu erkennen <strong>als</strong> der, der<br />

Zorn auf sie alle geladen hat. Er war bereit, die Strafe an sich vollziehen zu<br />

lassen.<br />

Jona weiß<br />

Doch die Leute ruderten, dass sie wieder ans Land kämen; aber sie konnten<br />

nicht, denn das Meer ging immer ungestümer gegen sie an. Da riefen sie zu dem<br />

Herrn und sprachen: Ach, lass uns nicht verderben um des Lebens dieses<br />

Mannes willen und rechne uns nicht unschuldiges Blut zu; Und sie nahmen Jona<br />

und warfen ihn ins Meer. Da wurde das Meer still und ließ ab von seinem<br />

Wüten.<br />

Jona 1,13-20<br />

Bis jetzt ist es eine ganz altertümliche Geschichte: Der Mensch kann Gott, kann<br />

seinem Schicksal nicht entrinnen. Und: Gott lässt sich nicht spotten; man darf<br />

ihn nicht behandeln <strong>als</strong> sei er gütig- vergesslich. Dann lässt er das Meer toben.<br />

Und uns bleibt nur der Untergang- oder Vollzug der verdienten Strafe.<br />

Doch diese Ausgangslage ist ja nur der erste Akt. Gott zeigt sich von seiner<br />

schönsten Seite, wie sie eigentlich erst von Jesus ganz dargestellt wird.<br />

Das Jona- Büchlein ist voll Evangelium. Es fängt an mit einem Wal.<br />

Im Schlund der Verlassenheit<br />

Als sie ihn über Bord geworfen hatten, ließ Gott einen großen Fisch kommen,<br />

Jona zu verschlingen. Und Jona war im Leibe des Fisches drei Tage und drei<br />

Nächte. Und Jona betete zu Gott, im Leibe des Fisches. Und Gott sprach zu dem<br />

Fisch und der spie Jona an Land.<br />

Jona 1,15; 2,1.11<br />

Jona hatte mit seinem Leben abgeschlossen. Vielleicht war er auch all des<br />

Treibens müde, und ihm schien der Geldschein des Lebens zu groß, er hat ihn<br />

nicht wechseln können; vielleicht ging er jetzt gern in den Tod, zumal er damit<br />

andern das Leben retten konnte; wenigstens eine gute Tat zum Schluss- so mag<br />

er gedacht haben.<br />

180


Aber so leicht kommt Jona nicht von hier weg. Ein Wal verschluckt ihn und<br />

spuckt ihn an Land. Jesus hat später diese Unterweltsfahrt <strong>als</strong> Bild genommen<br />

für seine drei Tage Todeserfahrung bis zur Auferstehung (Matthäus 12,39). Der<br />

Tod, das ist wie von einem Untier verschluckt zu sein- aber es geschieht, um<br />

hinübergerettet zu werden ins neue Leben.<br />

Gott setzt nach<br />

Und es geschah das Wort des Herrn zum zweiten Mal zu Jona: Mach dich auf,<br />

geh in die große Stadt Ninive und predige ihr. Da machte sich Jona auf und ging<br />

hin nach Ninive und verkündete: In vierzig Tagen wird Ninive untergehen.<br />

Da glaubten die Leute von Ninive an Gott und ließen ein Fasten ausrufen und<br />

zogen alle, Groß und Klein, den Sack der Buße an. Und der König gebot: Ein<br />

jeder bekehre sich von seinem bösen Wege und vom Frevel seiner Hände! Wer<br />

weiß? Vielleicht lässt Gott es sich gereuen, dass wir nicht verderben.<br />

Jona 3,1-6.9<br />

Ob Jona die „Vernichtung ohne wenn und aber“ <strong>als</strong> Wort des Herrn gehört hat?<br />

Es ist nicht die Art Gottes, keinen Ausweg zu lassen. Sollte Jona das „Wenn ihr<br />

euch nicht bekehrt“ einfach weggelassen haben? Weil er die Stadt für so<br />

verdorben hält, daß sie Gott ein Gräuel sein muß?- So dachte ja El-Kaida beim<br />

Angriff auf die Twin-Towers von New-York auch. Und viele andere<br />

Fundamentalisten bieten sich dem Höchsten <strong>als</strong> scharfe Gerichtsvollzieher an.<br />

Doch Ninive besinnt sich und stellt sich um auf bescheidene und gerechtere<br />

Lebensart; sicher auch, um das angesagte Unheil abzuwenden.<br />

Wir haben Schwierigkeiten mit der Vorstellung, Gott könne etwas gereuen. Es<br />

ist eine menschliche und menschenfreundliche Idee. Sie meint: Im Gespräch mit<br />

seinen Menschen bewegt sich auch innerhalb von Gott etwas. Sicher ist nicht<br />

auszuschließen, daß in Gott auch noch „unerwachte Träume“ (Rainer M. Rilke)<br />

sind. Aber Gott weiß, was wir für eine Mischpoke, was für ein Verein wir sind.<br />

Wir überraschen ihn wohl nicht, Er aber uns.<br />

Jonas Unmut und Gottes Antwort<br />

Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie sich bekehrten von ihrem bösen Wege, reute<br />

ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.<br />

Gottes Güte aber verdross Jona sehr und er wurde zornig und sprach zu Gott:<br />

Das ist’s ja, was ich dachte, <strong>als</strong> ich noch in meinem Lande war, weshalb ich<br />

auch eilends nach Tarsis fliehen wollte; denn ich wusste, dass du gnädig,<br />

barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und stehst nicht zu deinem<br />

Strafwort. So nimm nun, Herr, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot<br />

sein <strong>als</strong> leben. Aber Gott sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst?<br />

Jona 3,10; 4,1-4<br />

181


Wie kann einen die Güte Gottes sauer machen? Es ist eine unserer Unarten, daß<br />

wir den Anderen gern seiner gerechten Strafe überlassen. Wir aber sind dankbar<br />

für Verzeihen. Ja, wir meinen, ein Stück Großmut stehe uns schon zu. Es ist dies<br />

oft eine Untugend der Frommen- sie sind „päpstlicher <strong>als</strong> der Papst“, wollen<br />

Gott nicht gütig sondern streng. Weil sie ja meinen, wegen ihrer Verzichte gut<br />

bei ihm angesehen zu sein. Ja, sie denken oft, daß sich Gehorsam nicht lohne,<br />

wenn er sich nicht im Himmel auszahle. Wenn dann das Strafgericht ausbleibt,<br />

finden sie Gott und das Leben so unfair, daß sie lieber sterben. Ist der<br />

prophezeite Weltuntergangstermin verstrichen, haben so manche glühend<br />

Gläubige sich das Leben genommen.<br />

Die Rettung kommt von Gott, der mit uns das Gespräch fortsetzt.<br />

Jona lernt die Güte<br />

Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte<br />

sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, dass er sähe, was<br />

der Stadt widerfahren würde.<br />

Gott aber ließ eine Staude wachsen; die wuchs über Jona, dass sie Schatten gäbe<br />

seinem Haupt und ihm seinem Unmut vertreibe. Und Jona freute sich sehr über<br />

die Staude.<br />

Aber am Morgen, <strong>als</strong> die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen;<br />

der stach die Staude, dass sie verdorrte. Dann ließ Gott einen heißen Ostwind<br />

kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde.<br />

Da wünschte er sich erst recht den Tod. Doch Gott sprach zu Jona: Meinst du,<br />

dass du mit Recht zürnst um der Staude willen? Dich jammert die Staude, um<br />

die du dich nicht gemüht hast, hast sie auch nicht aufgezogen, die in einer Nacht<br />

wurde und in einer Nacht verdarb, und mich sollte nicht jammern Ninive, eine<br />

so große Stadt, in der mehr <strong>als</strong> hundertundzwanzigtausend Menschen sind, die<br />

nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?<br />

Jona 4, 5-11<br />

Gott erteilt dem Jona eine Lektion: Er beschenkt ihn, dann entzieht er das<br />

Geschenk. Und was ist Jona darüber fuchsig! Dann führt ihn Gott zur Einsicht:<br />

Jona hing an der Staude, weil sie ihm wohl tat. Gott hängt an Ninive, weil er ihr<br />

wohl tat. Jona hat nichts dafür getan, daß die Staude heranwuchs. Aber Ninive<br />

ist Gottes Schöpfung.<br />

Wenn Jona schon um die Pflanze greint, für die er nichts getan hat, um wieviel<br />

mehr hat Gott ein Recht, sich Ninives zu erbarmen, die voll ist von seinen<br />

Menschen und Tieren- jedes eine Gestalt seiner Mühe.<br />

Und die, die nicht wissen, was recht und unrecht ist, die tun recht, nämlich Buße<br />

und bitten um Erbarmen- aber der Prophet pocht auf Recht und Gesetz, <strong>als</strong><br />

brauche er keine Gnade, es ist lächerlich<br />

Dies köstlich kleine Büchlein ist ein Schatz der Menschheit.<br />

182


Micha<br />

* *<br />

Es ist dir gesagt Mensch,<br />

was gut ist und was der Herr von dir will: Halt dich an sein Wort, liebe und sei<br />

einfach vor deinem Gott.<br />

Micha 6,8<br />

Was ist gut? Große ethische Programme erstrahlen, riesige Paragraphenwerke<br />

grenzen das Gute, das Gebotene vom Schlechten ab. Eigentlich reicht: Vertraue<br />

Gott, liebe, sei schlicht.<br />

Weisheit<br />

* * *<br />

Die Weisheit ist strahlend<br />

und unvergänglich und lässt sich gern erkennen von denen, die sie lieb haben,<br />

und lässt sich von denen finden, die sie suchen. Sie kommt denen entgegen, die<br />

sie begehren, und gibt sich ihnen zu erkennen.<br />

Wer sich früh zu ihr aufmacht, braucht nicht viel Mühe; denn er findet sie vor<br />

seiner Tür sitzen. Über sie nachdenken, ist vollkommene Klugheit, und wer<br />

ihretwegen sich wach hält, wird bald ohne Sorge sein. Denn sie geht umher und<br />

sucht, wer ihrer wert ist, und erscheint ihm freundlich auf seinen Wegen.<br />

Die Weisheit hat alles kunstvoll gebildet. Sie ist ein Hauch der göttlichen Kraft<br />

und ein Bild seiner Güte. Sie geht in heilige Seelen ein und macht zu Gottes<br />

Freunden.<br />

Weisheit 6, 13-17, 21.25.27<br />

Nichts macht uns menschlicher, nichts brauchen wir dringender <strong>als</strong> Weisheit.<br />

Sie macht zu Freunden Gottes. Sie ist die Klugheit des Herzens und der Mut des<br />

Glaubens. Sie liegt bereit. Sie lässt sich finden von denen, die sie suchen. Sie ist<br />

in der Gegenwart da, sie zieht auch der Liebe Grenzen, sie ist kristallisierter<br />

Schmerz, schützt vor Hochmut. „Klugheit ist der Jäger der Probleme, Weisheit<br />

der Hirte der Geheimnisse“ (Jörg Zink). Wage, weise zu werden. Und Weisheit<br />

ist kein Kristall, den man in die Tasche steckt, sondern eine unendliche<br />

Flüssigkeit, in die man hineinfällt (nach Robert Musil).<br />

*<br />

183


Die Weisheit ist herrlicher <strong>als</strong> die Sonne<br />

Und sie übertrifft alle Sternbilder. Verglichen mit dem Licht hat sie den<br />

Vorrang. Denn das Licht muss der Nacht weichen, aber die Bosheit kann die<br />

Weisheit nicht überwältigen. Kraftvoll erstreckt sie sich von einem Ende zum<br />

andern und regiert das All vortrefflich.<br />

Gott, gib mir ab von der Weisheit, die bei dir auf deinem Thron sitzt. Schick sie<br />

herab von deinem heiligen Himmel, damit sie mir tätig zur Seite stehe, sodass<br />

ich erkenne, was dir wohlgefällt. Denn die Gedanken der sterblichen Menschen<br />

sind armselig und unsre Vorsätze sind hinfällig.<br />

Weisheit 7,29. 30; 8,1; 9,4.10. 14<br />

An den Rändern des alten Testamentes tut sich eine Kraft auf, die im Neuen<br />

Testament „Heiliger Geist“ heißt. Auch die Weisheit ist eine Erscheinung Gottes<br />

selbst. Sie bescheint die Schöpfung. Sie hilft uns Menschen, das Leben zu<br />

bestehen. Sie lässt sich von unserer Bosheit nicht zermalmen- das ist unsere<br />

Hoffnung. Die Weisheit regiert das All- daran kann unsere Dummheit höchstens<br />

kratzen. Das ist unsere Rettung.<br />

Ist es das?<br />

Womit jemand sündigt, damit wird er auch bestraft.<br />

Weisheit 11,16<br />

*<br />

Wer lügt, muss damit rechnen, selber oft belogen zu werden. Wer seine Eltern<br />

nicht achtet, wird sich hüten, Eltern zu werden. Wer Gewalt sät, wird Gewalt<br />

ernten. Wer allein lässt, bleibt allein. Wer geizt, hat furchtbare Angst, zu<br />

verarmen. Wer nichts abgibt, verstopft und erstickt. Das Leben ist so<br />

eingerichtet, über kurz oder lang schallt es aus dem Wald heraus, wie man<br />

reingerufen hat.<br />

Und was heißt da Vergebung? Es ist eine ungeheure Liebesenergie in der Welt-<br />

die wird ausgeschüttet über Böse und Gute. Allein, wie viel Fahrfelher wurden<br />

“vergeben“ durch Achtsamkeit anderer, durch Plastik-Knautschzonen,<br />

Leitplanken, fehlerfreundliche Technik. Viel Güte ist unter den Menschen, wenn<br />

man nur artig bittet. Gott ist ein Liebhaber des Lebens, wohl wahr.<br />

Das Jüngste Gericht wird noch mal zur Sprache bringen, was wir angerichtet<br />

haben. Ob dann unser Verschulden, Versagen, Versäumen, unser<br />

Weggeschauthaben überwiegt? Das letzte Wort hat nicht unser Tun sondern<br />

Gott, das ist unsere einzige Chance.<br />

*<br />

184


Gott liebt alles, was ist<br />

Gott, Du hast alles nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet. Deine Kraft gewaltig<br />

zu erweisen ist dir allezeit möglich. Die ganze Welt ist vor dir wie ein Stäublein<br />

an der Waage und wie ein Tropfen des Morgentaus, der auf die Erde fällt.<br />

Aber du erbarmst dich über alle; Du kannst alles. Und du übersiehst die Sünden<br />

der Menschen, damit sie sich bessern sollen. Du liebst alles, was ist, und<br />

verabscheust nichts von dem, was du gemacht hast; denn du hast ja nichts<br />

bereitet, gegen das du Hass gehabt hättest. Wie könnte etwas bleiben, wenn du<br />

nicht wolltest? Oder wie könnte erhalten werden, was du nicht gerufen hättest?<br />

Du schonst aber alles; denn es gehört dir, Gott, du Liebhaber des Lebens. Dein<br />

unvergänglicher Geist ist in allem.<br />

Weisheit 11, 21-26; 12,1<br />

Hier unter den „Apokryphen“, dem Anhang des Alten Testamentes, der<br />

traurigerweise in den meisten Bibeln fehlt, hier ist dies Goldstück des Glaubens<br />

versteckt. Kein Text preist den Großmut Gottes schöner. Alle Energie ist Gottes<br />

Energie. Was sind wir dagegen? Ein Hauch, ein Stäublein. Aber groß gemacht<br />

sind wir durch sein Lieben.<br />

Sein Erbarmen lässt uns blühen. Und soviel Heilkraft ist uns mitgegeben, dass<br />

unsere Sünden mit der Zeit schon sich bessern. Sünden <strong>als</strong>o Kinderkrankheiten,<br />

die sich verwachsen? Zu schön denkt Gott von uns. Mancher hat seine Zeit nur<br />

zur „Verbösung“ genutzt. Und dann leidet Gott mit, er saugt den Hass auf in all<br />

den Abeln dieser Erde. Jesus ist wohl der deutlichste Leidträger und<br />

Freudenbote der Menschheit. Von ihm handelt das Neue Testament.<br />

* * *<br />

185


Neues Testament<br />

Die Texte des Neuen Testamentes sind gruppiert um<br />

A Jesus Christus<br />

1 Jesu Geburt und Taufe<br />

2 Jesu Worte und Taten<br />

3 Jesu Passion – Kreuzigung – Auferstehung- Pfingsten<br />

B Apostelgeschichte, Briefe, Offenbarung<br />

A Jesus Christus<br />

Vorspann:<br />

*<br />

In allen vier Evangelien nehmen die Passionsgeschichten breiten Raum ein, das<br />

älteste Evangelium nach Markus nannte man sogar „eine Passionsgeschichte mit<br />

ausführlicher Einleitung“ (Martin Kähler). Im Sterben kommt Jesu Leben <strong>als</strong><br />

Opfergang zum Ziel. Er stand für Gott, den gnädigen Gott ein, bis zum letzten<br />

Atemzug.<br />

Diesen Zeugen und Propheten bestätigte Gott <strong>als</strong> seinen liebsten Menschen. In<br />

ihm sah sich Gott am besten geerdet, Jesus hatte ihn am echtesten verkörpert- in<br />

ihm glaubten viele Gott persönlich am Werk. Mit der Auferstehung, glauben<br />

Christen, ist die Gottesqualität des Jesus besiegelt. Seitdem ist er der „Christus“,<br />

der zum ersten Sohn Gottes Gesalbte und hat teil an Gottes Allmacht.<br />

Die Gottessohnschaft -Energie des Jesus war schon zu Lebzeiten des irdischen<br />

Jesus kraftvoll. Nach überwundenem Tod bekam das Zurückliegende noch<br />

mehr Heiligenschein, der Auferstandene leuchtete im Gedächtnis, die Taten und<br />

Worte glühten auf. Die schlichten historischen Ereignisse wurden in ihrem<br />

Zeichencharakter erkannt und geschmückt und auch ergänzt.<br />

Klar ist, daß die Erfahrung mit dem historischen Jesus schnell verloren zu gehen<br />

drohte, <strong>als</strong> die Jünger und Nächsten sich alle vor Todesschreck zerstreuten.<br />

Hätte der auferstandene Christus sie nicht gesammelt, erleuchtet, geheiligt und<br />

186


losgeschickt, das Leben gottvoll zu bestehen, so wären Jesu Spuren schnell vom<br />

Winde verweht.<br />

Am Anfang der Berichterstattung über Jesus stand die mündliche Überlieferung.<br />

Man erwartete in allernächster Zeit den Weltuntergang mit Aufgang des Reiches<br />

Gottes. Eine Spruchsammlung kann schon kurz nach Jesu Tod und Auferstehen<br />

angefangen worden sein, die später den ersten drei Evangelisten zur Verfügung<br />

stand. Erst <strong>als</strong> die ersten Zeugen des historischen Jesus starben, wuchs die<br />

Angst, das Gedächtnis an Jesu Leben könne verblassen. Markus schrieb die<br />

Passionsgeschichte mit kurzer Auferstehungsfanfare, dazu die wichtigsten Taten<br />

und Worte des Jesus. Die nächsten Evangelisten hatten Sondergut einzubringen<br />

und eigene Theologien, je für ihre Leserschaft. Markus weiß nur von der<br />

Taufe, Lukas und Matthäus dann auch von Geburt und Stammbaum. Wohl 100<br />

Jahre nach Jesu Geburt, wagte man Christus <strong>als</strong> aus Gottes Ratschluß vor aller<br />

Zeit gezeugt zu denken- so der Evangelist Johannes.<br />

Aus allen vier Evangelien werden hier die Sternstunden und<br />

die Goldworte des Jesus Christus aufgeführt.<br />

A 1 Jesu Geburt und Taufe<br />

Die Prophezeiungen<br />

Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind. Gott selbst wird<br />

euch ein Zeichen geben: Eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn<br />

gebären, den wird sie „Immanuel“ nennen- „Gott mit uns“.<br />

Das Volk, das in Finsternis lebt, sieht ein großes Licht, und über denen im<br />

Dunklen scheint es hell.<br />

Du weckst Jubel, du bereitest große Freude, wie man fröhlich ist, wenn man die<br />

Ernte teilt.<br />

Denn du hast die Jochstange auf ihrer Schulter und den Knüppel ihres Treibers<br />

zerbrochen. Jeder Stiefel, der noch mit Gedröhn auftritt, und jeder durch Blut<br />

geschleifte Mantel wird verbrannt.<br />

Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, er ist der Weltenherrscher;<br />

und er heißt Wunder, Großer Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.<br />

Groß soll seine Herrschaft werden auf Davids Thron und der Frieden soll nicht<br />

enden in seinem Königreich. Er stärke es durch Recht und Gerechtigkeit von<br />

nun an bis in Ewigkeit.<br />

Jesaja 8,23; 7,14; 9,1-6<br />

187


Die Zeitenwende, die Christus mit sich bringt, ist lange schon erahnt, erhofft<br />

und prophezeit. Zur Zeit des Propheten Jesaja um 730 v. Chr. ging es Israel<br />

schlecht- es war kurz vor dem Ende des Reiches Israel. Da, mitten im tiefsten<br />

Elend, sagt der Prophet Heilung und Frieden an. Kommen soll der Messias- der<br />

Erwählte, der das Reich Gottes auf Erden aufrichtet. Glück und Gerechtigkeit<br />

werden herrschen für immer.<br />

Als beglaubigendes Zeichen hat Jesaja allerdings nur ein Allerweltsereignis:<br />

Eine junge Frau wird ein Kind gebären und es „Gott mit uns„ nennen.<br />

Erst die junge Christengemeinde las das hebräische Wort für „junge Frau“ <strong>als</strong><br />

„Jungfrau“- vorgeformt war das im griechischen „partenon“ – was beide<br />

Bedeutungen hatte. Damit war die Sensation des auferstanden Christus<br />

gedoppelt: nicht nur geht er in den Himmel sondern ist auch vom Himmel her.<br />

Der Siegeszug des Jesus Christus im griechisch-römischen Denkraum war mit<br />

jungfräulich-göttlicher Herkunft gebahnt.<br />

Uns Heutigen bleibt die ehrwürdige Verheißung ein Hinweis, dass die<br />

Heilsgeschichte Gottes von langer Hand geplant ihren Lauf nimmt.<br />

(Siehe auch Psalm 24 - ein anderer wunderbarer Adventstext )<br />

*<br />

*<br />

Auch ein Adventstext<br />

Halten wir fest am Bekenntnis der Hoffnung und wanken nicht; denn Er ist treu,<br />

der sie verheißen hat. Lasst uns aufeinander Acht geben; locken wir einander zur<br />

Liebe und zu guten Taten. An den Gottesdiensten lasst uns Freude haben.<br />

Wir leben in der letzten Zeit; es ist höchste Zeit. „Der Tag“ naht.<br />

Hebräer 10, 23-25<br />

Advent heißt: Der Sonnenkönig unserer Seele kommt. In uns ist das Leuchtbild<br />

„Krippenkind“. Das erweckt dich, dass du aufblühst in Liebe zu Allem. Advent<br />

ist Ruf zu neuen Ufern der Hoffnung. „Leinen los!“ aus allem Festgefahrenen,<br />

hin zu Mut und Energie und Gemeinschaft. Die Gemeinde hat viel Kraft. Sie<br />

bewahrt das Grundvertrauen der Christenheit. Wir sollten uns an ihr stärken und<br />

wir sollten sie stärken.<br />

„Advent“ hilft auch der Zeit auf die Sprünge- Die Zeit ist kein Brei, keine<br />

ewige Wiederkehr des Gleichen. Sondern die Zeit ist zielgerichtet. Wie unsere<br />

Lebenszeit aufs Sterben zueilt, so eilt die Weltzeit, zum Ziel zu kommen. Der<br />

letzte Tag mündet in Gottes Fülle- „wovon die Sonne nur ein Schatten ist“<br />

(Arthur Schopenhauer).<br />

188


*<br />

Engel sind nötig<br />

Der Engel Gabriel wurde von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt<br />

Nazareth, zu einer jungen Frau, die verlobt war einem Mann mit Namen Josef<br />

vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel sprach zu ihr:<br />

Heil dir, Begnadete! Gott ist mit dir!<br />

Maria erschrak über die Maßen und dachte: Was ist das für ein Gruß!<br />

Der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria, Gott liebt dich und braucht<br />

dich. Du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, und du sollst ihm<br />

den Namen „Jesus“ (Gott rettet) geben. Der wird Sohn des Höchsten genannt<br />

werden und sein Reich wird kein Ende haben.<br />

Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das angehen, kein Mann ist mir nah<br />

gekommen. Der Engel antwortete ihr: Der Heilige Geist wird über dich<br />

kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten. Bei Gott ist kein<br />

Ding unmöglich.<br />

Maria sagte: Ich bin Gottes Dienerin; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der<br />

Engel schied von ihr.<br />

Lukas 1,26-38<br />

Lukas verkündigt die Geburt Jesu <strong>als</strong> das größte Wunder nach der Schöpfung;<br />

ja, die Geburt Christi ist Vervollkommnung der Schöpfung. Gott erdet sich in<br />

diesem Jesus, nimmt irdische Geschichte <strong>als</strong> eigene Biographie an. „So sehr hat<br />

Gott die Welt geliebt, daß er seinen Sohn sandte“ (Johannes 3,16), letztlich,<br />

damit wir uns <strong>als</strong> Mitkinder Gottes wissen können.<br />

Die Auferstehung wurde <strong>als</strong> Gütesiegel auf das Wesen des Jesus verstanden.<br />

Seitdem ist er für den Glauben <strong>als</strong> Sohn Gottes qualifiziert. Seine vorher getanen<br />

Wunder hatten diese Beweiskraft noch nicht.<br />

Die Umstände von Jesu Geburt liegen vollständig im Dunklen. Erst lange nach<br />

Tod und Auferstehen Jesu fragte man nach der Herkunft- und klar: Es müssen<br />

wirklich Engel, <strong>als</strong>o außerordentliche Boten Gottes, überirdische Fanfaren<br />

angesetzt haben. Die aber hörten nur die kleinen Leute. Zum Kommen Gottes in<br />

niedrigen Hüllen würde passen, daß er normal gezeugt und geboren ist.<br />

Aber wenn Jesus durch die Auferstehung <strong>als</strong> Sohn Gottes erwiesen ist, dann-<br />

sagt die gläubige Logik- ist er es auch schon bei der Geburt, wenn bei der<br />

Geburt, dann auch bei der Zeugung. Johannes steigert das dann bis an den<br />

Anfang der Schöpfung: „Am Anfang war das Wort. Und das Wort wurde<br />

Fleisch und wohnte unter uns“ (Johannes 1,1.14).<br />

Natürlich sind Maria und Josef die irdischen Eltern des Jesus, mit noch weiteren<br />

Kindern. Aber es gibt eine Zeugung im höheren Sinn. Wenn schon der Kaiser<br />

von Rom seinen leiblichen Erzeuger verbannte und den Gott Jupiter <strong>als</strong> seinen<br />

Vater ausgab, dann war es nach Meinung des Missionars Lukas klar, daß dem<br />

Jesus das Jungfrauengeburts-Muster auch zustand.<br />

189


Lukas, der für Römer schreibt, hat dieses Symbol auf Jesus übertragen- Und sagt<br />

damit: Die Wahrheit der Jungfrauengeburt ist im Kern: In Jesus kommt Gott<br />

selbst - eben in Gestalt des Sohnes.<br />

Natürlich muss diese Sensation von Engeln verkündet werden: Das Wort<br />

Heiligen Geistes zeugt den Sohn mittels Maria und Josef. Diese sind Dienerin<br />

und Diener Gottes.<br />

Aber sind Eltern je in anderer Rolle gewesen? Unsere Eltern liebten sich, aber<br />

daß wir daraus wurden, ist doch Wille Gottes.<br />

Darum nimm doch das Bild von der Jungfrau Maria nicht <strong>als</strong> biologische<br />

Anormalität sondern <strong>als</strong> Zeichen für Erschaffung durch den Willen Gottes. Und<br />

nimm diese Abstammung auch für dich in Anspruch.<br />

*<br />

Die schönste Geschichte der Menschheit<br />

Es begab sich aber zu der Zeit des Kaisers Augustus, dass er ein Gebot erließ,<br />

alle Menschen im Land zu registrieren. Und diese Erhebung war die allererste<br />

und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und alle gingen,<br />

sich zählen zu lassen, ein jeder in seine Geburtsstadt. Da machte sich auf auch<br />

Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids,<br />

die da heißt Bethlehem- er stammte ja aus dem Hause und Geschlechte Davids-<br />

und ließ sich erfassen mit Maria, seiner Verlobten, die war schwanger.<br />

Lukas 2,1-5<br />

So beginnt die Weihnachtsgeschichte- wohl die am innigsten zu Herzen gehende<br />

Erzählung der Menschheit. Aus der Tiefe des Geschichtsraumes stürzt die Zeit<br />

auf die Geburt Gottes bei den Menschen zu. Es ist wie eine Zoomaufnahme- erst<br />

unendlich langsam, dann immer schneller, dann in einem Nu auf uns Menschen<br />

zu.<br />

Spätere Jahrhunderte wurden im christlichen Raum nicht mehr nach den<br />

Römischen Kaisern gezählt sondern die Geburt Christi nahm man zur<br />

Wendemarke von vorher und nachher.<br />

Es war unter Kaiser Augustus, daß die Menschen im jüdischen Land wegen<br />

einer Volkszählung an ihren Geburtsort mussten. Das brachte Josef mit der<br />

schwangeren Maria in seinen Geburtsort Bethlehem, der auch Geburtsort des<br />

Königs Davids war, seines fernen Vorfahren.<br />

Es ist ja auch von langer Hand vorbereitet, daß Gott in einen Menschen<br />

besonders sich einläßt, um die Erde sich noch mehr anzueignen und sich seiner<br />

Schöpfung anzuverwandeln.<br />

Das Schicksal der Schöpfung ist Gottes Schicksal. Das hat die Menschheit<br />

mittels verschiedener Religionen geahnt, aber dem Volk Israel wurde zuerst der<br />

eine Gute Ganze entdeckt, aufgetan durch Träume und Seher und Propheten. In<br />

Israel war klar, daß der endgültige Retter, der Messias, der Gesalbte <strong>als</strong> neuer<br />

König in Jerusalem einziehen wird, und dann bricht der Himmel auf die Erde,<br />

190


und es wird ewige Freude sein. Und die Völker kommen, anzubeten in<br />

Jerusalem. –<br />

Das fängt für die Christen mit Jesus Kommen an- nur, daß das „Reich Gottes<br />

mitten unter uns (erst) im Anbruch ist“ (Lukas 17,21). Wie fängt das Reich<br />

Gottes unter uns an? Ein Paar macht sich auf den Weg, den Heiland zu gebären<br />

am richtigen Ort.<br />

Obdachlos<br />

Und <strong>als</strong> sie dort waren, kam die Zeit, dass sie gebären sollte.<br />

Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in<br />

eine Futterkrippe in einem Stall; Raum hatten sie nicht in der Herberge.<br />

Lukas 2,6<br />

Stall und Trog - ein karger Anfang für den Herrn über und in Himmel und Erde.<br />

Aber das hat Offenbarungsqualität: Unser Gott kommt zu Fuß, ist Diener aller.<br />

Er nimmt das Mühselige auf sich, er leidet mit das Leid der Welt und heiligt das<br />

Normale. Kein Raum in der Herberge- die Flüchtlinge dieser Erde bitten um<br />

Essen und Dach und Arbeit.<br />

Am Anfang der Stall<br />

In der Nähe waren Hirten auf dem Felde bei ihrer Herde. Und der Engel des<br />

Herrn trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn erleuchtete sie; und sie<br />

fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe,<br />

ich verkündige euch große Freude, die allen Menschen widerfahren wird; euch<br />

ist heute der Heiland geboren, Christus, der Herr in der Stadt Davids.<br />

Und das nehmt zum Zeichen: Ihr werdet finden ein Kind in Windeln gewickelt<br />

und in einer Krippe liegen.<br />

Lukas 2,8-12<br />

Die Hirten, arme Leute merken auf: Ein Kind ist geboren. Das ist Engelmusik:<br />

Es geht weiter, Zukunft liegt vor aller Augen. Die Welt geht noch nicht unter.<br />

Jedes Kind garantiert: Gott ist noch am Schaffen. Jedes Kind ist Bürge: Vor<br />

uns: Nennenswertes. Aber dass dort „das Herz aller Dinge ins Fleisch kriecht“,<br />

muß einem gesagt werden, da müssen uns schon die Ohren des Herzens<br />

aufgetan werden. Nehmt das <strong>als</strong> Zeichen: im Kleinen das Große, Im Stroh das<br />

Gold. Im Jesus-Menschen Gott greifbar.<br />

Frieden<br />

Und <strong>als</strong>bald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die<br />

lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und<br />

ein Wohlgefallen den Menschen aneinander.<br />

Lukas 2, 13.14<br />

191


Das ist die Mitteilung des Jesus Christus: Gott legt seine Ehre ein in den Frieden<br />

auf Erden. Der beginnt damit, daß wir Wohlgefallen aneinander hegen, uns<br />

leiden mögen, auch wenn wir aneinander oftm<strong>als</strong> leiden. Es ist eine<br />

Friedenenergie in der Welt, die kehrt uns zueinander. Allein schon die<br />

Liebesfreude, die uns Menschen eins werden lässt, strahlt Befreundekraft weit<br />

in die Gesellschaft aus. Elternliebe und Kollegialität und Kameradschaft und<br />

Fairness und die Tauschlust machen, daß Schranken und Grenzen schrumpfen -<br />

Gott lässt auf viele Arten Sympathie in das Geschehen strömen. Er wir uns zum<br />

Frieden bringen.<br />

Zeuge sein wollen<br />

Und <strong>als</strong> die Engel von ihnen gen Himmel fuhren, sprachen die Hirten<br />

untereinander: Lasst uns jetzt gehen nach Bethlehem und die Geschichte sehen,<br />

die uns der Herr mitgeteilt hat.<br />

Lukas 2,15<br />

In den Krippenspielen und Weihnachtsoratorien kommt an dieser Stelle<br />

Aufbruch und die Lust zu sehen ins Spiel. Auch will man was mitbringen, wenn<br />

ein Kind begrüßt wird; will dem neuen Erdenbürger ein Herzlich Willkommen<br />

sagen. Eigentlich ist jedes Neugeborene ja Kind Gottes, in dem der Himmel alle<br />

Gaben noch mal neu und einmalig mischt. Jedes Kind ist ein neuer Versuch<br />

Gottes, sich selbst hier unterzubringen.<br />

Nur wer aufbricht, kann finden.<br />

Und sie eilten und fanden beide, Maria und Josef, dazu das Kind in der Krippe.<br />

Dann breiteten sie das Wort aus, das zu ihnen von diesem Kinde gesagt war.<br />

Und alle, die das hörten, wunderten sich über das, was ihnen die Hirten gesagt<br />

hatten.<br />

Lukas 2, 16-18<br />

Gut, über einem Neugeborenen ein Wort zu sagen, das man vom Himmel her<br />

gehört hat. Dem Jesus ist bestimmt, die Liebe Gottes zu leben, allen<br />

Widersprüchen zum trotz. Und letztlich ist es das, was genau jedes<br />

Menschenkind realisieren soll: In den Mühen doch die Perlen des Reiches<br />

Gottes finden, Freundlichkeit leben mit der eigenen kleinen Kraft,<br />

unermüdlich.<br />

Ob uns auch der Heiland geboren ist? Ob wir uns auch aufmachen, die Welt zu<br />

sehen, wie er es tat? Ob uns die Welt <strong>als</strong> christuserfüllt aufgeht? Weihnachten<br />

ist immer, wenn uns der Jesus Christ aufgeht <strong>als</strong> Pfand für die Liebe Gottes.<br />

Wir sind, was uns bewegt<br />

192


Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen. Und die<br />

Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört und<br />

gesehen hatten, wie es zu ihnen gesagt war.<br />

Lukas 2, 19. 20<br />

Die Widmung behalten, die Worte der Zuversicht im Herzen bewegen, das ist<br />

die Weihnachtskunst. Sich selbst <strong>als</strong> lichten Menschen glauben, die<br />

Mitmenschen zum Leuchten bringen, einen Schimmer Gottes auf die Stirnen<br />

legen denen, die dir begegnen. Und wieder an die Arbeit gehen, preisend,<br />

dankbar, mutig, tatkräftig.<br />

*<br />

Die Weisen aus dem Morgenland<br />

Es kamen weise Männer aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:<br />

Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im<br />

Osten und sind gekommen, ihn anzubeten.<br />

Als das der König Herodes hörte, erschrak er und er ließ alle Hohenpriester und<br />

Schriftgelehrten zusammenkommen und erforschte von ihnen, wo der Christus<br />

geboren werden sollte.<br />

Und sie sagten ihm: In Bethlehem - so steht es geschrieben beim Propheten<br />

(Micha 5,1):<br />

»Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den<br />

Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel<br />

weiden soll.«<br />

Da rief Herodes die Weisen zu sich und schickte sie nach Bethlehem und<br />

sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kind; und wenn ihr’s findet, so<br />

sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.<br />

Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie<br />

im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand,<br />

wo das Kindlein war.<br />

Als sie den Stern sahen, wurden sie hocherfreut und gingen in das Haus und<br />

fanden das Kind mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an<br />

und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.<br />

Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und<br />

sie zogen auf einem andern Weg in ihr Land.<br />

Matthäus 2,1-12<br />

Bei Markus, dem ältesten Evangelisten, taucht Jesus wie aus dem Nichts auf bei<br />

Johannes dem Täufer. Matthäus und Lukas schrieben eine Generation später.<br />

Ihre Gemeinden wollten wissen, „wie sich das alles begab“. Beide Evangelisten<br />

setzten Stammbäume vor die Geburt, Matthäus lässt ihn beginnen bei Abraham,<br />

Lukas lässt ihn entspringen bei Gott und Adam. Jedenfalls wurzelt Jesus tief in<br />

der Geschichte der Menschheit und des Volkes Israel.<br />

193


Lukas erzählt die Geburt, wie sie idealerweise hat geschehen können, und<br />

müssen. Matthäus widmet sich der Bedeutung des Neugeborenen: Der ist ein<br />

König -wenn auch der Herzen, nicht des irdischen Regimentes. Repräsentanten<br />

der Völker kommen, die mit Hingabe und Gaben dem künftigen Weltenretter<br />

huldigten.<br />

Im Kontrast zur Weisheit der Heidenwelt steht die Infamie des jüdischen<br />

Königs, der gar nicht anbeten sondern vernichten will. Dem Herodes werden<br />

Züge des Pharaos von einst angedichtet- wie dam<strong>als</strong> in Ägypten die jüdischen<br />

Neugeborenen umgebracht wurden, so ruft jetzt Herodes den Kindermord von<br />

Bethlehem aus. Matthäus unterstreicht so, daß Jesus der neue, der wahre Mose<br />

ist. Auch die Flucht nach Ägypten (Matthäus 2,13-23) ist ein Bild für die<br />

heilsgeschichtliche Doppelung: Wie Mose kommt der Retter aus Ägypten.<br />

Diese Parallelen wurden von den Zeitgenossen sofort verstanden. Matthäus und<br />

Lukas predigen die große Bedeutung des Jesus mit<br />

Bildern der alttestamentlichen Verheißungen.<br />

Die Anbetung der drei Weisen, Magier oder Könige aus dem sagenhaften<br />

“Osten“ ist eines der meistdargestellten Motive der Malerei. In den<br />

Krippenspielen unserer Kindheit waren die Rollen der festlich gekleideten<br />

Männer sehr begehrt. Die Gaben boten Anlass zu tiefgründiger Auslegung: Was<br />

dem Christus dargebracht war, gebührt ihm: Unser Gold, <strong>als</strong>o Geld ist nur<br />

anvertrautes Gut. Weihrauch steht für Anbetung, Myrrhe – das wohlriechende<br />

Öl deutet auf Tod und Auferstehen hin.<br />

*<br />

Das Wort wurde Fleisch<br />

Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.<br />

Dasselbe war im Anfang bei Gott. Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht, und<br />

ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.<br />

Johannes 1,1-3<br />

Das Johannesevangelium bietet keine Geburtsgeschichte des Jesus sondern hoch<br />

konzentrierte Theologie. - Der Ursprung, der Samen von allem, der Keim der<br />

auch im Wachsenden bleibt- ja, das alles Betreibende war und ist „logos“: Das<br />

Wort, der Wille, der Geist, die Weisheit- alle diese Energieformen schwingen<br />

mit im griechischen Wort dieser Stelle. „Logos“, „das Wort“ am Anfang ist so<br />

dramatisch stark, weil damit klargestellt ist: Am Anfang von Allem steht der<br />

Wille Gottes, sich zu äußern und verstanden zu werden.<br />

Der Wille, sich zu äußern und verstanden zu werden, ist Gottes inneres Wesen.<br />

Das „Alles auf Einmal, aus dem wir kommen“ (B. Strauß), die Seinskraft äußert<br />

sich, teilt sich mit in empfänglichem Anderen, erfindet überhaupt erst Leben,<br />

und davor die Materie <strong>als</strong> Träger. Sein Wille, sich zu äußern, schafft die Welt<br />

und ist der Grund aus dem ein Jeder entsteht.<br />

194


Alles, was ist, ist Mitteilung von Gott. Darum ruhte Gott auch nicht, bis er ein<br />

Wesen entwickelt hat, das auf Wort, Geist, Verstehen anspricht.<br />

Auch die Natur hört Gott, sie gehorcht ihm, indem sie alles <strong>als</strong> Material für<br />

weitere Entfaltung zu nutzen sucht. Und Gott ist damit beschäftigt, die<br />

Verständigung zwischen ihm und seiner Schöpfung und seinem Spitzenprojekt<br />

Mensch noch zu verbessern.<br />

In ihm ist das Leben, und das Leben ist das Licht der Menschen.<br />

Johannes 1,4<br />

Gottes Wort und Wille, sich mitzuteilen, ist das Innerste des Lebens. Im<br />

Lebendigen mit Schmerz und Abbrüchen gibt sich Gott aus (Gott ist das<br />

Lebendige in allem Fleisch- 4. Mose 16,22). Alles Lebendige ist provisorisch,<br />

ist Ausriß und auf den Tod zu, aber Gottes Geisteinhauchung macht alles<br />

Bruchstückhafte geistvoll und zueinandergehörig. Die Lebenswollust ist Gottes<br />

Begeisterung, mit Lebenswillen steckt er uns an.<br />

Die Freude zu leben ist das Licht der Menschen. Darum nimm keinem die<br />

Freude an sich und schau mit Freuden, wie auch Natur ihr Wachstum zeigen<br />

will.<br />

Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis begreifts nicht.<br />

Johannes 1,5<br />

Das Licht der Liebe scheint. Das macht, dass wir uns <strong>als</strong> Teile eines Puzzles<br />

erkennen. Wir sind geneigt, zu ergänzen, uns ergänzen zu lassen. Im Licht der<br />

Erkenntnis dämmert uns: Unser Lebenswerk ist Arbeit der Liebe. Gottes Sein<br />

besteht in Seingeben; wir, die aufs Licht der Liebe Angewiesenen, wir sind ganz<br />

Seinnehmen (Johannes Tauler).<br />

Der Herd des Seins befeuert uns, lieben und handeln zu wollen.<br />

Aber es bleibt oftm<strong>als</strong> finster in unsern Seelen. Zwar strahlt uns die Liebe an,<br />

aber wir leuchten nicht oder nur matt von innen. Da muss ein Offenbarer<br />

kommen, der uns innen ganz neu tapeziert. Uns gefrorene Seelen wird der<br />

Leuchtfeuermensch Christus noch einheizen und zum Lieben überreden.<br />

Es war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.<br />

Der kam <strong>als</strong> Fackelträger, um Licht auf den zu werfen, der der Glaubwürdige ist.<br />

Johannes war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht, das alle<br />

Menschen erleuchtet.<br />

Johannes 1, 6-9<br />

Johannes, der Täufer war wohl der letzte Prophet der Zeit des Alten<br />

Testamentes. Er entlarvte den Menschen ihr Sündersein, ängstete vor dem<br />

kommenden Gericht; aber er konnte selbst nicht retten. Er machte hungrig auf<br />

195


den Erlöser der Gewissen. Der erleuchtet alle, erinnert an die ewige<br />

Zugehörigkeit zum GutenGanzen.<br />

Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte<br />

ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.<br />

Johannes 1,10.11<br />

Jesus Christus ist die Hauptgestalt des Wortes und Willens Gottes. – Er war hier<br />

<strong>als</strong> historischer Mensch, <strong>als</strong> wahrer Mensch und insgeheim wahrer Gott. Dass<br />

durch ihn die Welt geschaffen ist, kann heißen: Jesus ist Auftischer und<br />

Vorkoster und Kundschafter und Heilender. Die Welt erkannte ihn nicht,<br />

merkte auch nicht seine Besonderheit neben Gott. Dass er dam<strong>als</strong> anfassbar<br />

irdisch <strong>als</strong> Sohn Gottes hier war, erkannte man erst im nachhinein.<br />

Aber das Grundstürzende ist: Weil er „von Gottes Art“ ist, ist die Welt auch<br />

seine Schöpfung, sein Eigentum. Er ist in der Welt <strong>als</strong> Geistkraft, <strong>als</strong> Denklust,<br />

<strong>als</strong> Verbündefreude, <strong>als</strong> Liebe. Wenn wir meinen, Liebe sei chemische<br />

Reaktion, sozialer Klebstoff, irgendetwas Machbares, dann nehmen wir das<br />

geistige Abenteuer „Christus“ nicht auf.<br />

Die ihn aber aufnehmen, die an seinen Namen glauben, denen gibt er Macht,<br />

sich <strong>als</strong> Gottes Kinder zu erkennen. Die wissen, sie sind nicht von<br />

Menschenwillen sondern von Gott gewollt; und darum sind wir hier.<br />

Johannes 1,12,13<br />

Jesus Christus annehmen, heißt, sich selbst <strong>als</strong> Kind Gottes annehmen. Das<br />

schiebt die Macht irdische Elternschaft nach hinten. Wichtiger ist, daß wir von<br />

Gott gewollt, entworfen, geschaffen sind mittels der Eltern. Auch und erst recht<br />

ist die Zeugung des Jesus gottgewollt, mittels seiner irdischen Eltern. Eltern<br />

sind die Instrumente, die Helfer; Gott ist der Grund eines jeden von uns.<br />

Es ist eine ungeheure Macht, sich <strong>als</strong> Kind Gottes zu erkennen. Es rüstet uns mit<br />

Unverletzbarkeit aus, mit einem Selbstbewusstsein, das nicht von schlechten<br />

Eltern ist.<br />

Das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit,<br />

eine Herrlichkeit des einziggeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und<br />

Wahrheit.<br />

Johannes 1,14<br />

Die Materie hat große Würde. Sie ist nicht nur Pflanzboden für die<br />

Himmelsfrucht. Sondern Gott, Geist, Schöpferwillen. Lebenswort verwandeln<br />

sich in Natur, Leib, Erde. Gott schafft nicht nur und hält dann die Schöpfung<br />

weit von sich. Sondern er zieht sich die Schöpfung an, macht das Leben zu<br />

Seinem. Nicht nur ein schöner Gedanke Gottes blüht auf <strong>als</strong> Mensch. Sondern<br />

im Bild von VaterMutter und Sohn kommt Gott zur Welt und unterzieht sich<br />

196


einem Lebenslauf- letztlich um uns wissen zu lassen, daß er unser aller Leben<br />

mitlebt.<br />

Johannes gibt Zeugnis von ihm und sagt: Dieser war es, von dem ich gesagt<br />

habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher <strong>als</strong> ich.<br />

Das Gesetz ist durch Moses gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus<br />

Christus geworden. Niemand hat Gott je gesehen; der Erstgeborene, der Gott ist<br />

und in des Vaters Schoß ist, hat ihn uns verkündigt.<br />

Johannes 1,15.17.18<br />

Grandios verkündet Johannes die Einzigartigkeit des Christus. Er bezeugt seine<br />

Herkunft aus der Ewigkeit und sein zukünftiges Sein in Ewigkeit. Von Gott, zu<br />

Gott, bei Gott. Weit greifen die Erinnerungen zurück an diesen leuchtenden<br />

irdischen Jesus.<br />

Der Evangelist schreibt aus einem Abstand von mehreren Generationen. Er gibt<br />

sich aus <strong>als</strong> Lieblingsjünger Johannes, er schreibt unter dem Namen des<br />

berühmten Zeugen des historischen Jesus, wahrt literarisch den Schein, dass er<br />

noch immer außer Atem sei.<br />

Als Prediger seiner alexandrinischen Gemeinde weiß er den Christus des<br />

Glaubens gegenwärtig. Er sieht sich nehmen Gnade um Gnade, dam<strong>als</strong> wie<br />

heute: Durch Moses lernen wir das richtige Tun, aber Jesus Christus bringt uns<br />

in das wahre Sein: Wir sind Kinder Gottes, dem Jesus Christus nach, der<br />

Erstgeborener ist. Er ist Gott so nah, daß er Gott selber ist, sitzt aber auch in<br />

seinem (oder ihrem) Schoß, was das Zusammensein Gottes und Christus<br />

abbildet. Es bleibt Geheimnis, wie er Gott selbst ist und gleichzeitig ihm auch<br />

gegenüber ist, so daß er ihn gesehen hat und ihn uns darbietet in Reden und Tun.<br />

Und von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.<br />

Johannes 1,16<br />

Das kann nicht jeder sagen und nicht zu jederzeit. Aber du, ich? Im Lied „Lobe<br />

den Herrn„ heißt es: „Der dich erhält, wie es dir selber gefällt, hast du nicht<br />

dieses verspüret“? Doch; immer wieder und letztlich- du hast erlebt:<br />

Viel Bewahrung, Wunder, Güte, Vergebung, heilsame Fügung; Gut gegangen-<br />

so viele Male. Ja, Gnade um Gnade, „ein volles, gedrücktes, gerütteltes und<br />

überfließendes Maß“ (Lukas 6,38). Nur, unsere kleine Denkkraft kann all die<br />

Fülle von Beschenktsein nicht fassen. Leicht werden wir mürrisch, wir nörgeln,<br />

sind verstimmt. Oft hilft dann schon ein Gang im Freien oder ein Gespräch oder<br />

eine Freundlichkeit; schon ein tiefes, bewusstes Atmen kann einem den Staub<br />

von der Seele nehmen.<br />

197


*<br />

Simeon und Hanna<br />

Sie brachten den Säugling Jesus nach Jerusalem in den Tempel. Ein Mann mit<br />

Namen Simeon, der auf den Messias wartete, hatte die Weisung vom Heiligen<br />

Geist empfangen, er werde erst sterben, wenn er den Herrn Christus gesehen<br />

habe.<br />

Als nun die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun,<br />

wie es Brauch ist, da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:<br />

Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; meine<br />

Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkernein<br />

Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel. Und<br />

sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt<br />

wurde. Und Simeon segnete sie. Es war da auch eine Prophetin Hanna, die war<br />

hochbetagt, die segnete sie auch. Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller<br />

Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.<br />

Aus Lukas 2, 22-40<br />

Jesus war dem jüdischen Gebot zufolge im Tempel beschnitten worden am<br />

siebten Tage; war damit gekennzeichnet <strong>als</strong> Nachkomme Abrahams und Glied<br />

der Gemeinde. -Wie befreiend wirkt später die Ablösung der Beschneidung<br />

durch die Taufe, die ja endlich für beide Geschlechter gleichwertige<br />

Gotteskindschaft besiegelt.<br />

Verheißungen begleiten jedes Neugeborene. Jesus empfängt von den<br />

Repräsentanten der Vergangenheit, Simeon und Hanna Segen und Widmung: Er<br />

werde „Licht, zu erleuchten die Heiden“. Eindrucksvoll die Szene, wie der Alte<br />

meint, nun sterben zu können, da seine Mission erfüllt ist.<br />

*<br />

Der zwölfjährige Jesus im Tempel<br />

Jesu Eltern gingen alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest.<br />

Und <strong>als</strong> er zwölf Jahre alt war, ging er mit.<br />

Als dann die Tage vorüber waren und sie wieder nach Hause gingen, blieb der<br />

Knabe Jesus in Jerusalem und seine Eltern wussten es nicht.<br />

Sie meinten, er wäre mit den Gefährten vorausgegangen. Am Abend aber<br />

suchten sie ihn unter den Verwandten und Bekannten.<br />

Und da sie ihn nicht fanden, kehrten sie wieder um nach Jerusalem und suchten<br />

ihn dort.<br />

Und sie fanden ihn im Tempel sitzen, mitten unter den Schriftgelehrten, wie er<br />

ihnen zuhörte und sie fragte. Und alle, die ihn hörten, verwunderten sich über<br />

seinen Verstand und seine Antworten.<br />

Seine Mutter aber sprach zu ihm: Mein Sohn, warum hast du uns das angetan?<br />

Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.<br />

198


Und er sprach zu ihnen: Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich<br />

sein muss in meines Vaters Haus?<br />

Und sie verstanden das Wort nicht, das er zu ihnen sagte.<br />

Er aber ging mit ihnen nach Hause und war ihnen untertan. Und Jesus nahm zu<br />

an Weisheit, Alter und Gnade bei Gott und den Menschen.<br />

Lukas 2, 41-52<br />

Eine Legende vom jungen Jesus: Ideal und wahr, wenn auch nicht historisch.<br />

Jesus geht mit den Eltern zum Tempel- ein Tage langer Weg von Nazareth. Auf<br />

dem Rückweg bemerken die Eltern: Ihr Sohn ist im Gotteshaus<br />

zurückgeblieben. Es ist so, <strong>als</strong> wenn ein Kind, überfließend vor Musikalität, zum<br />

ersten Mal ein Orchester hört. Und wer religiös so erfüllt ist, der kommt zum<br />

ersten Mal nach Hause, wenn er im Tempel ist. Jesus entdeckt im Lauschen auf<br />

die Schrift seine Muttersprache, Gottes Wort. Jesus ist hingerissen dorthin, wo<br />

der Wille Gottes ausgelegt wird: Vielleicht erlauscht Jesus schon die Stimme,<br />

die nicht in Stein und Papier geschrieben ist, sondern die in ihm Person wird. –<br />

Aber er bleibt den Eltern untertan, bis seine Zeit gekommen war.<br />

Auch Jesus muss die Reise durch Kindheit und Jugend gehen, die Lehrjahre in<br />

Gesetz und Ordnung, bis dann die richtigen Worte zu ihm kamen. Auch Jesus<br />

brauchte Zeit, zu wachsen in Gottes- und Menschenweisheit.<br />

Mit etwa dreißig ist er dann in die Öffentlichkeit getreten. Ein oder drei Jahre<br />

hat er gewirkt und den Himmel uns auf die Erde geholt.<br />

*<br />

Die Taufe Jesu<br />

Jesus kam zu Johannes dem Täufer. Der predigte in der Wüste von Judäa und<br />

sprach: Bereitet dem Herrn den Weg (Jesaja 40,3),<br />

tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!<br />

Johannes hatte ein Kamelfell um, zusammengehalten von einem ledernen<br />

Gürtel; er nährte sich von Früchten des Feldes. Die Menschen strömten zu ihm,<br />

bekannten ihre Sünden und ließen sich taufen im Jordan. Und er herrschte sie<br />

an: Ihr Schlangenbrut, wer hat euch denn gewiss gemacht, dass ihr dem<br />

künftigen Zorn entrinnen werdet?<br />

Matthäus 3,1-7<br />

Johannes war wohl eine verwegene Erscheinung in dramatischer Zeit: Einer der<br />

vielen Bußprediger, die das Jüngste Gericht <strong>als</strong> unmittelbar bevorstehend<br />

ansagten. Er zog die Menschen an, weil er das Heilmittel zu haben schien: Er<br />

zerknirschte die Seelen mit Donnerworten, <strong>als</strong> „ Otterngezücht“ beschimpfte er<br />

sie, zwang sie auf die Knie, daß sie sich <strong>als</strong> schäbig erkannten unter ihrer<br />

Sündenlast. Durch Untertauchen im Jordan sollten sie ihre Sünden<br />

abgewaschen bekommen und das Auftauchen <strong>als</strong> Augenblick der neuen Geburt<br />

nehmen. Aber die Vergebung des Johannes fordert ein andauerndes in die Buße<br />

199


Kriechen. Richtig froh werden wir erst, wenn wir uns <strong>als</strong> Sünder und Gerettete<br />

zugleich wissen, dem Jesus nach.<br />

*<br />

Tut Buße<br />

Und weiter predigte Johannes: Denkt nur nicht, ihr könntet sagen: Wir haben<br />

Abraham zum Vater. Ich sage euch: Gott vermag dem Abraham aus diesen<br />

Steinen Kinder zu erwecken.<br />

Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Jeder Baum, der nicht<br />

gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Ich taufe euch mit<br />

Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker <strong>als</strong> ich- ich bin nicht<br />

wert, ihm die Schuhe zu schnüren; der wird euch mit dem Heiligen Geist und<br />

mit Feuer taufen.<br />

Matthäus 3, 9-11<br />

Der Täufer Johannes schlug den Zeitgenossen ihre frommen Gewissheiten aus<br />

dem Kopf: Es nützt keine Tradition, die ihren blassen Heiligenschein über die<br />

Gegenwart verströmt; Keine Verwandtschaft mit dem Vater Abraham adelt,<br />

keine Volkszugehörigkeit zu Israel oder heute keine Kirchzugehörigkeit macht<br />

uns Liebkind bei Gott. Die Axt am Baum ist ein starkes Bild, dass alles zu<br />

einem Ende kommt und dann gewichtet wird im Gericht.<br />

Johannes ist der letzte Bote des Alten Testamentes. Der Bund, der die Menschen<br />

für das vor Gott Bestehen selbst verantwortlich macht, ist kraftlos geworden.<br />

Letztlich vergeblich sind all die Appelle zu Gehorsam und Buße- jedenfalls darf<br />

man davon nicht das Seelenheil abhängig machen, das ahnt auch schon<br />

Johannes; Er wartet auf den Messias.<br />

Aber welche neue Qualität bringt Christus? Wird seine Taufe mit feurigem Geist<br />

die Menschheit zu neuen Ufern leiten? Wischt er unser schwaches Tun hinweg<br />

und schmückt uns <strong>als</strong> die leuchtenden Kinder Gottes?<br />

*<br />

Jesu Berufung zum Sohn<br />

Jesus kam aus Galiläa an den Jordan zu Johannes, dass er sich von ihm taufen<br />

ließe. Aber Johannes sagte: Ich brauche es, von dir getauft zu werden. Jesus<br />

antwortete: Lass es jetzt geschehen! Es ist gerecht. Da ließ er’s geschehen.<br />

Und <strong>als</strong> Jesus getauft wird, da tut sich ihm der Himmel auf, und er sieht den<br />

Geist Gottes wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Und eine<br />

Stimme vom Himmel herab spricht: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich<br />

Freude habe. Matthäus 3,13-16<br />

Jesus unterzieht sich der Taufe zur Buße durch Johannes. Der zögert erst: Der<br />

Sohn Gottes braucht keine Vergebung und Buße. Aber Jesus will die Taufe, die<br />

200


alle nötig haben. Er weiß sich <strong>als</strong> Kind Gottes, weiß sich erwählt zum Amt des<br />

ersten Sohn Gottes unter vielen Brüdern und Schwerstern. Sein Auftrag wird<br />

sein, uns das Gottgehören beizubringen.<br />

Die Taufe ist uraltes heiliges Symbol - Untertauchen <strong>als</strong> alter Mensch, einen<br />

Augenblick wie tot sein, dann auferweckt, ja, neu geboren werden zum Kind<br />

Gottes. Jesus hört über sich die Widmung, in der die Adoptionsformel für die<br />

Könige Israels mitklingt: „Gott spricht: Du bist mein lieber Sohn, heute habe ich<br />

dich gezeugt“ (Psalm 2,7).<br />

Gut, auch heute unsere Kinder zu taufen, zum Zeichen: Du gehörst nicht nur zu<br />

Vater und Mutter. Sondern du wirst –nimm die Taufe <strong>als</strong> symbolischen<br />

Geburtsvorgang- von Gott aus dem Nichtsein ins Leben gerufen. Du gehörst zu<br />

christlicher Gemeinde, und sie zu dir.<br />

*<br />

Jesu Versuchung<br />

Nach der Taufe wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt. Nach Tagen und<br />

Nächsten des Fastens hungerte ihn. Da trat der Versucher zu ihm und sprach:<br />

Bist du Gottes Sohn, so mach aus diesen Steinen Brot. Da sagte er: Es steht<br />

geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von<br />

Worten von Gott lebt der Mensch.«<br />

Matthäus 4,1-4<br />

Was bedeutet für Jesus die Gottessohnschaft? Mit dieser Geschichte erklärt sich<br />

die urchristliche Gemeinde, daß Jesus sich über seine Bestimmung erst selbst<br />

klar werden musste. Der Sohn Gottes, der Messias, war ja eine klar fixierte<br />

Figur im großen Welttheater der jüdischen Erwartung. Im Volksglauben<br />

erwartete man den wiederkommenden, endgültigen König David. Der wird die<br />

Besatzung aus dem Land werfen und Jerusalem zum Nabel der Welt machen.<br />

Dorthin sollen die Völker ziehen, um ewiges Gebot und Rechtsprechung Gottes<br />

zu empfangen.<br />

Es war anzunehmen, daß der Auserwählte Gottes nicht hungern muss. Doch<br />

Jesus leidet Hunger. Da scheint er angegangen zu sein von einer Idee: Ist das<br />

vielleicht der rechte Messias- Weg, den Hunger der ganzen Welt und auch den<br />

eigenen zu beseitigen durch einfachen Gebetsbefehl?<br />

Aber Jesus ist sich klar, wird sich klar: Ich darf nicht Gottes Kräfte hinter<br />

Gottes Rücken einspannen, darf nicht wider die Natur handeln. Was wären<br />

gewonnene Kalorien bei verlorener Bindung an Gott und Sinn? „Der Mensch<br />

lebt nicht vom Brot allein“- weist uns auf Kultur, Freude, Sehnsucht, Liebe hin-<br />

vor allem aufs Wort Gottes, das mich über den Wassern der Angst hält.<br />

Für abwegige Gedanken bietet sich im Bilderbuch unserer Seele der Teufel, der<br />

Versucher an. Der ist kein Gegengott. Der Geist ist es ja, der Jesus in die Wüste<br />

führt. Der Diabolos, der „Durcheinanderwerfer“ ist ein Souffleur fürs Böse, das<br />

201


an den Rändern unserer Seele immer mitschwingt, uns aber nicht<br />

überschwemmen möge.<br />

Beschaffte Jesus Brot aus dem Nichts, würde er geradezu die Menschen<br />

verführen, ihn anzubeten. Er würde den Menschen ihre Freiheit, an Gott zu<br />

glauben, nehmen. - Jesus hätte uns böse gemacht, das hätte dem Teufel- im Bild<br />

gesprochen- gut gefallen.<br />

Immer wieder lassen wir uns unsere Seele abkaufen für Essen, Wohlstand,<br />

Sicherheit. Jesus blieb stark. Seien wir nicht allzu schwach.<br />

Dann führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die<br />

Zinne des Tempels und spricht zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so spring hinab;<br />

denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln befehlen,<br />

dich auf Händen zu tragen- dein Fuß wird an keinen Stein stoßen.“<br />

Da entgegnete Jesus ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du<br />

sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.«<br />

Matthäus 4,5-7<br />

Dem Volk Wunder vorspielen- kann das einen Augenblick reale Versuchung für<br />

Jesus gewesen sein? Die Menschen wären gezwungen, ihm zu glauben; sie<br />

wären ihm hörig geworden. Auch kann ein Gotteswort missbraucht werden. Im<br />

f<strong>als</strong>chen Geist gebraucht, kann der Beter Gott benutzen und meinen, er verfüge<br />

über göttliche Kräfte. Aber Jesus weist diese Idee ab. Ein einfaches „nein“<br />

genügt in den meisten Fällen gegen Teufelei. Du sollst Gott nicht einspannen zu<br />

deinen Gunsten; fertig.<br />

Darauf führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg. Er zeigte ihm<br />

alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten und sprach zu ihm: Das alles will<br />

ich dir geben. Fall nieder und bete mich an. Da sprach Jesus zu ihm: Fort mit<br />

dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den<br />

Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« Da ließ der Teufel von ihm. Und die<br />

Engel dienten ihm.<br />

Matthäus 4,8-11<br />

Jesus könnte auch versucht gewesen sein, das Böse einzuspannen für gute<br />

Zwecke. Das Böse ausrotten, indem man sich des Bösen bedient? Aber so dient<br />

man doch dem Bösen Versucherisch sind alle Einflüsterungen, daß der Zweck<br />

die Mittel heilige. Da sind wir oft auf der Kippe: Mit einem Machtwort den<br />

Familienfrieden erzwingen; mit kleinem Ideendiebstahl die Stellung festigen;<br />

mit dem Teufel Beelzebub austreiben (Matthäus 12,24)- Doch Jesus bleibt stark.<br />

Er beugt sich nur Gott. Hat sich Jesus einmal durchgerungen, den mühsamen<br />

Weg der ehrlichen Normalität zu gehen, dienen ihm die Engel. Ihm gelingt es,<br />

Gott und die Menschen und die Normalität nicht zu verraten.<br />

202


Daß ihm die Engel dienten, sieht man an den guten Kräften, die ihm zu Gebote<br />

stehen. Auch wir verfügen über heilendes Können, Engel sind bei uns- wir<br />

werden uns keiner Teufelei bedienen.<br />

A2 Jesu Worte und Taten<br />

*<br />

Der Beginn des Wirkens Jesu<br />

Der Prophet Johannes sagte dem König Herodes dessen Sünden auf den Kopf<br />

zu. Da wurde er gefangen gesetzt. Seit der Zeit fing Jesus an zu predigen: Tut<br />

Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!<br />

Matthäus 4,12.17<br />

Dieser Satz bildet die Mitte aller Predigten Jesu: Das Himmelreich ist nahe.<br />

Gott will mit uns innig zusammen sein, will mit uns ein Glück haben; die<br />

Menschheit ist dann eine Familie, die ganze Schöpfung findet ihre Vollendung.<br />

Gleich werden alle Streite beendet, aller Hunger gestillt sein. Alle geschundene<br />

Liebe, die entbehrte, die verratene, die nur achtlos gepflegte, wird geheilt.<br />

Darum sollten wir jetzt schon Großmut walten lassen, sollten mit Freuden teilen,<br />

sollen abkommen von Ichsucht und Geiz. Sehen wir <strong>als</strong>o nicht mehr schwarze<br />

Zukunft vor uns, <strong>als</strong> schaute man in eine Geschützmündung. Mit dem<br />

Feuervogel Jesus soll die neue Zeit herbeikommen. Bei uns soll sich der<br />

Vorhang des Himmelreiches schon heben.<br />

*<br />

Die Berufung der ersten Jünger<br />

Jesus ging am See Genezareth entlang, da sah er zwei Männer, Simon, der später<br />

Petrus genannt wird, und Andreas, seinen Bruder; die warfen ihre Netze aus.<br />

Und er sprach zu ihnen: Kommt mit mir; ich will euch zu Menschenfischern<br />

machen!<br />

Sogleich verließen sie ihre Netze und folgten ihm nach.<br />

Und er sah zwei andere Brüder, Jakobus und Johannes im Boot mit ihrem Vater<br />

Zebedäus die Netze flicken. Und er rief sie. Sogleich verließen sie ihren Vater<br />

und folgten ihm nach.<br />

Matthäus 4,18-22<br />

Die Jünger und Jüngerinnen Jesu sind eine sagenhafte Gruppe; einfache<br />

Menschen, die ganz Ohr für diesen Jesus waren und jedes seiner Worte<br />

aufsaugten. Sie zogen mit ihm von Ort zu Ort und bildeten einen Freundeskreis,<br />

203


der wurde Kern der späteren Urgemeinde. Die „zwölf“ Jünger, sind vielleicht<br />

erst später entsprechend den zwölf Stämmen des Alten Israels stilisiert zu einem<br />

heiligen Gral der Männer-Gefolgschaft.<br />

„Sogleich“ folgten sie dem Ruf Jesu. Sie ließen ab von ihren Geschäften, ließen<br />

ihre Alltagsbindungen fahren und hinter dem Jesus her erfanden sie sich neu.<br />

Die alten Bindungen abbrechen, das schafft noch kein Finden des Jesus. Jesus<br />

finden, das kann geradezu verpflichten, den alten Bindungen neues Leben<br />

einzuflößen.<br />

*<br />

Der mitreißende Jesus<br />

Jesus zog umher in ganz Galiläa, er lehrte in ihren Synagogen und predigte das<br />

Evangelium vom Reich Gottes. Alle hörte seine gute Nachricht. Und sie<br />

brachten zu ihm Kranke, mit Leiden und Plagen behaftet, Besessene,<br />

Mondsüchtige und Gelähmte; und er machte sie gesund. Und es folgte ihm viele<br />

Menschen.<br />

Matthäus 4,23-25<br />

An verschiedenen Stellen in den Evangelien tauchen solche<br />

Zusammenstellungen auf, vielleicht zur Konzentration: Gott schafft schon<br />

immer an seinem Reich- aber jetzt hat er den richtigen Frontmann für sein<br />

Projekt vom ewigen Frieden. Der sagt, was ansteht und tut, was möglich ist.<br />

Besonders nimmt er sich der Kranken an, er will die Leiden aus dem Weg<br />

räumen, sie sind noch Reste des Tohuwabohus vom Anfang.- Krankheiten sollen<br />

nicht sein. Gott hat gegen die Schwärze der Nacht die Gestirne erschaffen und<br />

erschafft noch die richtigen Mittel gegen die Leiden.<br />

Jesus gibt die ersten Kostproben vom Gelingen. Doch Jesus weiß, dass er nur<br />

Mutmacher ist und Schrittmacher- nur Einzelne kann er heilen. Er macht uns<br />

damit aber Druck, unsere Heilkraft auch zu nutzen und auch Wissenschaft zu<br />

betreiben im Wissen, daß dies im Labor des Schöpfers geschieht.<br />

*<br />

Hochzeit zu Kana - Zeichen, nicht Zauber<br />

Jesus und seine Jünger waren zu einer Hochzeit geladen und die Mutter Jesu<br />

auch. Der Wein ging aus. Da wendet sich Maria an Jesus: Du, sie haben keinen<br />

Wein mehr. Da fährt Jesus hoch: Was geht’s dich an, Frau, was ich tue?<br />

Seine Mutter spricht zu den Dienern: Tut, was er euch sagt.<br />

Johannes 2,1-5<br />

Eine herrliche Geschichte, ja ein Glücksfall- denn sie zeigt Jesus <strong>als</strong><br />

„Freudenmeister“ und Gönner und <strong>als</strong> einen, der aus der Patsche hilft. Wenn im<br />

Orient bei einer Hochzeit der Wein ausgeht ist, ist das eine Tragödie: Die Sippe<br />

204


der Braut kann mangelndes Essen und Trinken <strong>als</strong> Beleidigung, ja <strong>als</strong><br />

Kriegserklärung deuten. Aber Jesus hilft.<br />

Was die Einmischung der Mutter dabei zu suchen hat ist unklar. Vielleicht will<br />

Johannes mit einem Seitenhieb die Maria-Partei in der Gemeinde stutzen- die<br />

Herbheit des Sohnes ist nur „politisch“ zu verstehen- sie soll bei der (um 100 n.<br />

Chr,) schon ausufernden Maria-Verehrung die Rangfolge klarstellen.<br />

Es standen aber im Festhaus sechs Wasserkrüge für die Reinigung nach<br />

jüdischer Sitte. Jesus erteilte die Weisung: Füllt die Krüge mit Wasser! Und sie<br />

füllten sie. Und er spricht zu ihnen: Schöpft nun und bringts dem Speisemeister!<br />

Und sie brachten es ihm.<br />

Als aber der Speisemeister den Wein kostete- er wusste nicht, woher er kam-<br />

ruft er den Bräutigam und spricht zu ihm: Jeder bietet zuerst den guten Wein;<br />

und wenn sie trunken werden, den geringeren; du aber hast den guten Wein bis<br />

jetzt zurückbehalten.<br />

Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat und er offenbarte seine Herrlichkeit.<br />

Johannes 2,6-11<br />

Jesus tut der Festgesellschaft gut. Trauen wir dem Jesus doch zu, das<br />

Freudenfeuer der Liebe und der Freude geschürt zu haben- und wenn Wein nötig<br />

war, dann hat der Menschenfreund Jesus Wein besorgt. Wie das funktionierte-<br />

lassen wir es offen.- Wichtig ist doch, daß auch die frühe christliche Gemeinde<br />

Jesu erste herrliche Tat geschehen ließ anlässlich einer Hochzeit, dem schönsten<br />

Fest der Menschheit- das Fest zur Feier zweier Menschen, die sich aus Gottes<br />

Hand immer wieder annehmen wollen, die im Frieden für einander da sein und<br />

miteinander alt werden wollen.<br />

Es hat keinen Sinn auf einer chemischen Verwandlung des Wassers zu bestehen-<br />

Jesus tat nur, was im Grundsatz seine Jünger auch vermögen- auch wir können<br />

das Wasser der Not in Wein der Freude verwandeln.<br />

*<br />

Die Tempelreinigung<br />

Jesus ging in den Tempel. Der Vorhof war voll von Händlern und Käufern. Man<br />

stand nach Opfertieren an, Wechsler hielten die Tempelwährung bereit. Jesus<br />

machte aus Stricken eine Geißel und trieb sie alle zum Tempelbezirk hinaus<br />

samt den Schafen und Rindern und stieß den Wechslern die Tische um und<br />

sprach: Was macht ihr in meines Vaters Haus Geschäfte!<br />

Johannes 2,13-16<br />

Jesus kommt um den Gott der Freude bekannt zu machen. Bisher schien es<br />

ratsam, mit dem Herrn der Himmel rechtlich korrekt zu verkehren: Fürs<br />

Befolgen der Gebote gibt es Zuwendungen des Gelingens. Sollte Buße nötig<br />

205


sein, müssen Opfer erstattet werden.- Israel entwickelte ein ausgeklügeltes<br />

System der Ehrerbietung und Wiedergutmachung.<br />

Es ist Israels religiöse Großtat, wegzukommen vom herrischen, willkürlichen<br />

Himmelsdespoten. Gott bindet sich vertraglich, der Menschen wird zum<br />

Bündnispartner - das erhebt den Menschen fast auf Augenhöhe zu Gott (Psalm<br />

2,8 heißt es vom Menschen: „Wenig niedriger gemacht <strong>als</strong> Gott selbst“).<br />

Opfer bringen war eine Tat der Ehre. Es ging um Wiedergutmachung einer<br />

Kränkung. Das Bereithalten der Opfertiere, gewichtig und teuer je nach<br />

Schwere der Schuld, war eine Dienstleistung und Einnahmequelle des Tempels.<br />

Der Handel war schwunghaft. Und jetzt kommt Jesus und geht einen<br />

entscheidenden Schritt weiter: Gott vergibt ohne Bezahlung. So kippt er ein<br />

ganzes ausgeklügeltes System.<br />

Wie Jesus dem Hochzeitspaar den Wein besorgt, einfach, weil sie in Not sind-<br />

so vergibt Gott, weil wir mit unserm Versagen in Not sind.<br />

Darum auch darf Kirche <strong>als</strong> Vaterhaus keinen Eintritt kosten.<br />

Wie Kirche an das nötige Geld kommt, dafür braucht es viel Phantasie und<br />

Information. Aber glasklar vorbei sind die Zeiten, da Kirchenleute an der<br />

Reichen Tische sitzen und Gutscheine auf die Güte Gottes an die<br />

Zahlungskräftigen ausgeben. Jesus schlägt noch immer auf den Tisch derer, die<br />

an der Vergebung Gottes verdienen.<br />

*<br />

Jesus und Nikodemus<br />

Ein Oberer der Juden kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Meister, wir<br />

wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen<br />

tun, die du tust, es sei denn, Gott ist mit ihm. Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich<br />

sage dir: Nur wer aufs Neue geboren wird, kann in das Reich Gottes kommen.<br />

Aus Wasser und Geist muss er geboren werden.<br />

Wunder dich nicht- der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl;<br />

aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist es mit jedem, der<br />

aus dem Geist geboren ist.<br />

Johannes 3,1-8<br />

Nicht alle Schriftgelehrten verwarfen Jesus. Manche kamen ins Grübeln, weil ja<br />

schon die alten Schriften Schimmer des gnädigen Gottes bewahrten. Nikodemus<br />

ahnt, dass Jesus nah an der Wahrheit von Gott und Welt ist und will Anteil<br />

haben. Jesus sagt, dass dies nicht einfach zu machen sei, sondern dass der Geist<br />

einem zugefügt wird. „Wasser und Geist“ <strong>als</strong>o Taufe und Berufung, kann<br />

meinen: Deinen, bzw. deiner Eltern Beschluß, zu Christus gehören zu wollen,<br />

bringst du ein; ob das formal bleibt oder lebendige Inbrunst dich beatmet- bete<br />

und kämpfe, setz darauf, daß der Geist der Liebe dich treibt. Und du wirst Taten<br />

der Liebe tun, eine glückhafte Lebensart wird sich dir erschließen.<br />

206


Und, so spricht Jesus weiter, wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so<br />

muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das<br />

ewige Leben haben.<br />

Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen erstgeborenen Sohn gab, auf dass<br />

alle , die an ihn glauben , nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.<br />

Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, daß er die Welt richte, sondern<br />

dass durch ihn die Welt gerettet werde. Wer an ihn glaubt, der wird nicht<br />

gerichtet. Wer nicht an ihn glaubt, der ist schon gerichtet.<br />

Johannes 3,14-18<br />

Die Liebe Gottes zeigt sich in der Art, wie Gott sich mit seiner Schöpfung<br />

verwickelt. Er guckt seiner Welt nicht nur zu, sondern nimmt an ihr teil, wird<br />

Mensch, um Freude und Leid mitzuerleben. Jesus ist der erstgeborene, der in<br />

nächster Nähe zu Gott existierende Mensch. Ihm nach dürfen wir uns alle <strong>als</strong><br />

Kinder Gottes wissen, bestimmt dazu, ewig mit Gott zusammen zu sein.<br />

Mose errichtete einst eine goldene Schlange an einem Pfahl über dem Lager der<br />

Kinder Israel. Wer von den zur Strafe geschickten Schlangen gebissen war,<br />

konnte durch Blick auf die Heils-Schlange gerettet werden (4. Mose 21). Dies<br />

Bild gebraucht der Prediger Johannes, um die Kreuzigung des Jesus Christus in<br />

seiner Heilsbedeutung zu klären. Gott lässt zu, dass Jesus den Opfertod stirbt,<br />

damit ein für alle mal wir glauben: Gott straft nicht mehr sondern rettet. Wer<br />

dem Jesus diese Bedeutung nicht abnimmt, der muss an seinem Schuldigwerden<br />

ersticken, und zwar schon zu Lebzeiten.<br />

„Sohn“ steht in alter Zeit für innigste Nähe zweier Personen, fast für Identität.<br />

Wenn der Sohn in die Welt kommt, kommt Gott selbst. Retten, nicht Hinrichten<br />

ist sein Metier; Heilen, nicht Vernichten seine Leidenschaft. Geh davon aus,<br />

dass Gott liebevoll mit dir beschäftigt ist. Denk gut von dir und den<br />

Mitmenschen; meine niem<strong>als</strong>, die Welt habe sich gegen dich verschworen.<br />

Glaub dich in ein gutes Werden verwoben. Wer nur Verfall vor sich sieht,<br />

betreibt den Verfall und ist dem Scheitern ausgeliefert.<br />

*<br />

Jesus und die Samariterin<br />

Jesus kam in die Stadt Sychar. Müde vom Weg, setzte er sich am Brunnen<br />

nieder, der „Jakobs Brunnen“ heißt.<br />

Eine Frau kommt, um Wasser zu schöpfen. Jesus spricht zu ihr: Bitte, gib mir zu<br />

trinken! Da spricht die Frau zu ihm: Was bittest du mich, der du ein Jude bist<br />

und ich eine samaritische Frau? Die Juden haben doch keine Gemeinschaft mit<br />

den Samaritern. -<br />

Jesus sprach zu ihr: Wenn du erkennen würdest, wer der ist, der dich um Wasser<br />

bittet, dann bätest du ihn und er gäbe dir lebendigstes Wasser.<br />

207


Spricht zu ihm die Frau: Herr, du hast nicht mal was zum Schöpfen, und der<br />

Brunnen ist tief; bist du mehr <strong>als</strong> unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen<br />

gegeben hat? Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt,<br />

den wird wieder dürsten; wer aber von dem Wasser trinken wird, das ich ihm<br />

gebe, der ist ewig gestillt. Das Wasser, das ich ihm geben werde, das wird in<br />

ihm eine Quelle des Wassers ewigen Lebens werden. (Von dessen Leib werden<br />

Ströme lebendigen Wassers fließen 7,38) Spricht die Frau zu ihm: Herr, gib mir<br />

solches Wasser!<br />

Jesus spricht zu ihr: Geh, ruf deinen Mann und kommt wieder her!<br />

Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann. Jesus spricht zu<br />

ihr: Fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann;<br />

das hast du recht gesagt.<br />

Die Frau spricht zu ihm: Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist. Sag mir, was<br />

richtig ist: Unsere Väter und Mütter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr<br />

sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll. Jesus spricht zu ihr:<br />

Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, da werden die wahren Beter Gott anbeten<br />

im Geist und in der Wahrheit; wo auch immer.<br />

Und die Frau ließ ihren Krug stehen und ging in die Stadt und spricht zu den<br />

Leuten: Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan<br />

habe, ob er nicht der Christus ist!<br />

Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm und baten ihn, bei ihnen<br />

zu bleiben. Zu der Frau aber sprachen sie: Erst glaubten wir um deiner Rede<br />

willen. Nun aber haben wir selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der<br />

Welt Heiland.<br />

Aus Johannes 3<br />

Eine große Geschichte, Jesus lässt sich gern mit Frauen in Gespräche ein, sie<br />

geben sich mit ihrer Person rein, während Männer eher nur Sachverhalte klären<br />

wollen. Jesus gibt sich der Frau zu erkennen <strong>als</strong> Heilender. Er sagt ihr, daß sie<br />

ihren Durst nach Liebe nicht mit einer Vielzahl von Beziehungen stillen kann.<br />

Nur im Dreieck des Lebens: Geist, Wahrheit, Liebe ist Gott und Friede zu<br />

finden.<br />

Weißt Du dich getränkt von Liebe- das ist Einssein mit Christus- dann wirst du<br />

selbst zum Quell der Liebe.<br />

Die Frau fühlt sich von Jesus verstanden und ernst genommen <strong>als</strong><br />

Gesprächspartnerin. So wird sie erste Zeugin des Christus.<br />

*<br />

Nimm deine Couch und geh!<br />

Jesus kam nach Kapernaum und sagte ihnen das lebendige Wort. Das kleine<br />

Haus war übervoll. Einige trugen einen Gelähmten herbei. Sie kamen nicht ins<br />

Haus. Da deckten sie das Dach auf und ließen das Bett herunter, auf dem der<br />

Gelähmte lag.<br />

208


Als Jesus ihren Glauben sah, sprach er zu dem Gelähmten: Sohn und Bruder,<br />

deine Sünden sind dir vergeben.<br />

Die anwesenden Schriftgelehrten dachten in ihren Herzen: Er lästert Gott!<br />

Keiner kann Sünden vergeben <strong>als</strong> Gott allein.<br />

Jesus erkannte, was sie dachten, und sprach zu ihnen: Damit ihr wisst, dass der<br />

Menschensohn Vollmacht hat, Sünden zu vergeben - sage ich zu dem<br />

Gelähmten: Steh auf, nimm dein Bett und geh heim!<br />

Und der stand auf, nahm sein Bett und ging. Die meisten aber erschraken und<br />

priesen Gott.<br />

Markus 2,1-12<br />

Wegen des Gedränges kamen die Männer mit ihrem gelähmten Freund nicht an<br />

Jesus ran. Da deckten sie das Lehmdach auf- das machte einen großen Staub und<br />

Wirbel- aber Jesus spürte den Einsatz der Freunde.<br />

Beglückend, diese Geschichte vom stellvertretenden Glauben. „Da Jesus ihren<br />

Glauben sah“- heißt doch, er begeisterte sich an der Liebe, die alles auf eine<br />

Karte setzt, dem Nächsten zu Gut; Und er fackelt nicht lange, fragt nicht nach<br />

Glaubensätzen sondern heilt. Allerdings verblüfft er alle, uns eingeschlossen: Er<br />

sieht die Krankheit <strong>als</strong> Sumpfblüte am Stamm der Sünde. Also muss erst die<br />

Seele geheilt werden, dann kommt der Leib schon in Ordnung-<br />

Sicher hat Kirche oft schnell das Kreuz der Vergebung geschlagen ohne den<br />

Sünder in einen Heilprozess mitzunehmen. Jesus macht den Raum frei, daß der<br />

Mensch sich wieder neu findet. Der Mensch springt los, stemmt das Lager<br />

seiner Leiden triumphierend in die Höhe- er wird das Evangelium aufnehmen<br />

wie eine Nahrung, wird Vergebung leben- Jesus vertraut ihm und heilt<br />

vorauseilend.<br />

*<br />

Der Fischzug des Petrus<br />

Jesus predigte der Menge am See. Zwei Boote lagen am Ufer; die Fischer waren<br />

ausgestiegen und wuschen ihre Netze.<br />

Jesus stieg in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom<br />

Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.<br />

Und <strong>als</strong> er mit seiner Rede fertig war, sprach er zu Simon: Fahrt hinaus, wo es<br />

tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!<br />

Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gefischt<br />

und nichts gefangen; aber auf dein Wort wollen wir die Netze noch mal<br />

auswerfen.<br />

Und sie fingen eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. Sie<br />

winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit<br />

ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast<br />

sanken.<br />

209


Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von<br />

mir! Ich bin ein sündiger Mensch.<br />

Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen<br />

fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten<br />

ihm nach.<br />

Lukas 5,1-11<br />

Die ganze Nacht hatten sie nichts gefangen. Aber Jesus schickt sie morgens<br />

noch einmal los. Und sie machen Beute die Fülle. Das war ein Versprechen<br />

erfolgreicher Mission: Soviel Fische ihnen ins Netz gingen, mit soviel<br />

Menschen werdet ihr Kirche bauen. Aber es ist auch ein starkes Bild für uns.<br />

Wir resignieren auch oft. Dann soll uns ein Ruck durchfahren, dass wir noch<br />

einmal loslegen, wieder noch einmal. Und das passt dann.<br />

Petrus nimmt die reiche Beute <strong>als</strong> unverdient. Er ist beschämt. Auch wir haben<br />

Augenblicke, da werden wir umgekrempelt, können das Wunder nicht fassen.<br />

Und können es lassen, Geld oder Ansehen zu sammeln und werden fortan Jesu<br />

Menschenfischer- helfen einfach Menschen zum Glück.<br />

Geh noch einmal raus, mach dir Mühe, trag Schuld oder Schulden ab, geh noch<br />

einmal, biete deine Arbeit noch mal an. Gib nicht auf vor dem Tod. Jesus ist <strong>als</strong><br />

Energiebringer mit dir. Du wirst gebraucht.<br />

*<br />

Die Berufung der Zwölf<br />

Und Jesus ging auf einen Berg und wählte aus Vielen „Die Zwölf“aus.<br />

Er setzte sie <strong>als</strong> Apostel ein, „die zum Predigen Ausgesandten“. Und er gab<br />

ihnen Vollmacht, zu vergeben, zu heilen und böse Geister auszutreiben.<br />

Zu den Zwölfen gehört Simon, den er auch Petrus nannte;<br />

dann: Jakobus und Johannes, Söhne des Zebedäus; Andreas und Philippus,<br />

Bartholomäus und Matthäus, Thomas und Jakobus, den Sohn des Alphäus,<br />

dazu Thaddäus und Simon Kananäus;<br />

und Judas Iskariot, der ihn dann verriet.<br />

Markus 3,13-19<br />

Viel Volks folgte ihm nach, heißt es öfter in den Evangelien. Lukas 10,1<br />

berichtet, Jesus habe Zweiundsiebzig ausgesandt „wie Schafe unter die Wölfe“.<br />

„Die Zwölf „ bilden von früh an eine feste Größe, ergänzt von einigen Frauen,<br />

die Jesus geheilt hatte und „die ihnen dienten mit ihrer Habe“ (Lukas 8,2). Die<br />

heilige Zahl betont auch das neue Volk Gottes, wie ja auch Israel aus zwölf<br />

Stämmen bestand. Außer von Simon Petrus und Judas ist uns nichts<br />

Persönliches bekannt, erst die Heiligenlegenden der späteren Kirche schmückten<br />

die Jünger üppig. Die Jüngerschaft ohne Judas aber mit dem nachgewählten<br />

Matthias und natürlich Paulus und Maria mit einigen Frauen bildeten den Kern<br />

der Urgemeinde.<br />

210


Jünger wird man durch Erwählung, wir müssen uns berufen wissen, den Weg<br />

Jesu jetzt mitzugehen. Er traut uns zu, seine Taten zu tun, seine Wahrheit zu<br />

leben.<br />

*<br />

Die Seligpreisungen<br />

Christus spricht: Selig sind, die geistlich arm sind. Selig sind, die Leid tragen.<br />

Denn sie sollen getröstet werden. Selig die Sanften. Sie werden bestehen.<br />

Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit; Sie sollen satt werden.<br />

Selig sind die Barmherzigen; sie werden Barmherzigkeit erlangen.<br />

Selig die reines Herzens sind; sie werden Gott schauen.<br />

Glückselig die Friedvollen, denn sie werden <strong>als</strong> Kinder Gottes erkannt werden.<br />

*<br />

Christus spricht: Selig sind, die geistlich arm sind.<br />

Matthäus 5,3<br />

Das ist ein Lobgesang auf die bescheidenen Menschen, die mit nichts angeben,<br />

die schlicht und recht sind, die viel lachen und weinen, die sich einfach vor Gott<br />

„da“ wissen und das ist ihnen genug. Die das Gute mit Freuden tun und dankbar<br />

es sich gut sein lassen. Die nicht großspurig sich aufführen, nicht sich ins Licht<br />

stellen und anderen den Schatten lassen; die sich mit den Mitmenschen<br />

ebenbürtig wissen, und darum ohne sich was zu vergeben anderen auch den<br />

Vortritt lassen können. Und die sich bedürftig wissen vor Gott- die <strong>als</strong>o wissen:<br />

alles ist Gnade, alles Gelingen ist Geschenk. Vielleicht meint diese erste<br />

Glückseligpreisung die, die nicht sich vor Gott und Menschen hervortun.<br />

Von den Seligpreisungen gilt besonders, was Peter Handke sagt: „Am klarsten-<br />

unvergleichlich klar- lese ich die Bedingungen, Gesetzlichkeiten, offenbaren<br />

Geheimnisse des Erdendaseins aus den Evangelien.“<br />

Selig sind, die Leid tragen. Denn sie sollen getröstet werden.<br />

Matthäus 5,4<br />

Jesus ermutigt uns zu trauern. Schmerz der Trennung soll gefühlt sein, Abschied<br />

soll ich spüren. Enttäuschung, Wehmut, Leid sollen gelitten sein. Ich soll<br />

merken, was mir angetan wird und genommen wird; auch, was ich anrichte. Ich<br />

soll kein Stein sein.<br />

Aber wüssten wir, daß wir durch die Schmerzen hindurchgetragen werden zu<br />

neuen Ufern, dann könnten wir uns besser der Trauer stellen. Wüssten wir doch,<br />

daß im Schicksal die Fügung verborgen ist! Trau doch Gott, daß er dich in<br />

Arbeit hat. Er hat Heilung, Frieden, leuchtende Augen mit dir vor. Leid ist nie<br />

das Ende sondern ist Station auf dem Weg. Am Ziel wird Freude sein.<br />

211


Gut, mich dreinzuschicken; das Leid, das ich nicht ändern kann, zu tragen und<br />

es nicht auf andere abzuwälzen. Und das Leid von Kränkung loswerden durch<br />

Rache? Jesus nimmt mit auf den anderen Weg.<br />

Selig die Sanften. Sie werden bestehen.<br />

Matthäus 5,5<br />

Das ist Jesu Geistprogramm gegen Darwins Naturprogamm: „Survival of the<br />

Fittest“. In der Natur siegt das Stärkere, das weniger fühlt. Aber sozial begabt zu<br />

sein, ist in menschlicher Gemeinschaft lebenswichtig. Geist dahin tragen, wo<br />

Macht- und Geldinstinkt herrschen, das rettet die Welt. Versteinerung<br />

aufbrechen mit Gespräch, Türen öffnen statt abzuschließen, trauen der<br />

Bereitschaft zur Eigenverantwortung, anständige Ware liefern statt überlistende<br />

Werbung, den Anfänger fördern. Nicht bevormunden, nicht unterwerfen<br />

sondern den andern mitnehmen, ihn einfädeln (auch im Verkehr ihm die Lücke<br />

lassen); ihn sein Gesicht wahren lassen, ihm Chancen einräumen, daß er seine<br />

Begabung zu Markte tragen kann.<br />

Sanftmut ist die Kraft des Handgebens statt der Gewalt des Fingerhakelns.<br />

Sanftmut will keine auf Furcht gegründete Achtung, sie demütigt nicht, sie lernt,<br />

ist auch Großzügigkeit in bar. Sie weiß: „Kein Mensch ist gut genug, um der<br />

Herr eines anderen zu sein“ (Bernard Shaw).<br />

Letztlich ist „ein Geduldiger besser <strong>als</strong> ein Starker“ (Sprüche 16,32). Und lieber<br />

sich selber bücken <strong>als</strong> dass andere sich krumm machen für mich.<br />

Doch Güte braucht auch eine scharfe Kante, damit sie nicht mit Dummheit<br />

verwechselt wird. Auch Sanftheit soll Klarheit bei sich haben. Und soll nicht mit<br />

Resignation paktieren, soll Gewalt nicht durch Weggucken mästen. Jesus sagt<br />

den Sieg der Liebe voraus. „Die im Herzen barfuß“ (Jan Skàcel) sind die<br />

Wegbereiter.<br />

Dazu passt auch Laotses Wort: „Die Welt erobern und behandeln wollen, das<br />

misslingt. Die Welt ist ein geistiges Ding, das man nicht behandeln darf. Wer sie<br />

behandelt, verdirbt sie; wer sie festhalten will, verliert sie. Die Dinge gehen bald<br />

voran, bald folgen sie, bald hauchen sie, bald blasen sie kalt, bald sind sie stark,<br />

bald sind sie dünn, bald schwimmen sie oben, bald stürzen sie ein. Darum<br />

meidet der Berufene das Zusehr, das Zuviel, das Zugroß. Sanftmut sucht<br />

Entscheidung fern von Gewalt.“<br />

Selig sind, die hungert und dürstet nach Gerechtigkeit; sie sollen satt werden<br />

Matthäus 5,6<br />

Es geht um den fairen Anteil, den wir bereitwillig dem Anderen einräumen.<br />

Wohl dem <strong>als</strong>o, der sich stark macht für das Recht des Nächsten. Vor deinem<br />

inneren Gericht weißt du, was du musst- die Ego-Gier in Zaum nehmen, den<br />

212


Mitbewerber im Spiel halten, den Nächsten entschuldigen, Gutes von ihm reden<br />

und alles zum Besten kehren (Martin Luther). Die Schwachheit des Anderen<br />

nicht ausnutzen, stattdessen ihn ergänzen- das ist Nachfolge Jesu, in die Tat<br />

umgesetzt.<br />

Aber der Weltmarkt, dessen Nutznießer ich auch bin, macht, dass ich auf<br />

Kosten der Schwachen Wohlstand genieße. Ich müsste, wenn einer für mich<br />

eine Stunde arbeitet mit seinen Begabungen, für ihn eine Stunde arbeiten mit<br />

meinen Begabungen. Ich müsste auf Privilegien verzichten. Ich weiß es. Denn<br />

wenn Gott auch Verschiedenheit und Ungleichheit will, so keine<br />

Ungerechtigkeit.<br />

Selig sind die Barmherzigen; sie werden Barmherzigkeit erlangen.<br />

Matthäus 5,7<br />

Wie kann ich den Blick dafür gewinnen, daß ich auch Barmherzigkeit brauche?<br />

Ich müsste mein Angewiesensein auf die Güte anderer mir eingestehen.<br />

Stattdessen verdecke ich meine Schwächen. Will gar nicht richtig gewahr<br />

werden, wenn mich einer im Verkehr rettet oder ein Kollege mein<br />

Schnippischsein übergeht oder mein Partner wieder unter meinem<br />

Renommieren zuckt. Es ist so, dass ich das mir angetane Unrecht kaum<br />

vergesse, das von mir getane Unrecht aber sehr. Ich sollte mein Fiessein mir<br />

besser ins Bewusstsein lassen; dann werde ich auch mehr Güte geben, und bitte<br />

auch um Barmherzigkeit. Und werde mit großem Herzen geben. Ich hab noch<br />

Chancen. Erbarmen macht schön, Härte versteinert.<br />

Selig die reines Herzens sind; sie werden Gott schauen.<br />

Matthäus 5,8<br />

Es tut gut, innerlich „clean“ zu sein, festen Sinnes, gut gepolt zwischen Himmel<br />

und Erde. „Reines Herz“ meint: Gern ich selbst sein, eins mit Allem, keinem<br />

Feind, auch nicht mir selber. Gegen nichts aufgebracht sein sondern geduldig<br />

und dankbar mitschwingen mit allem Lebendigen. Dann fühl ich Gott nicht fern<br />

sondern er ist die Atmosphäre, die mich in sich hat. Schaue ich ihn auch (noch)<br />

nicht, sehe ich mich doch von ihm geschaut, gemeint, gewusst.<br />

Ich will aus Gottes Widmung „Du, Kind Gottes“ leben. Das macht mich reines<br />

Herzens. Ich bin dann nah dran, ohne Arg zu sein, „klug und ohne f<strong>als</strong>ch“<br />

(Matth.10,16). Ich will mir zu schade sein für zerstörerische Gedanken. „Und<br />

für den, der reines Herzens ist, wird alles klar wie Wasser sein“ (Henry Miller).<br />

In einem alten Pommerschen Gesangbuch heißt es:„Unser Kerker, da wir saßen<br />

und mit Sorgen ohne Maßen uns das Herze selbst abfraßen, ist entzwei, und wir<br />

sind frei!“<br />

213


Glückselig die Friedvollen, denn sie werden <strong>als</strong> Kinder Gottes erkannt werden.<br />

Matthäus 5,9<br />

Glücklich nicht die Trägen, die Schläfrigen, die nur Gelassenen, deren Toleranz<br />

der Gleichgültigkeit ähnelt. Glücklich die, die mehr <strong>als</strong> friedlich sind, die<br />

nämlich Frieden beschaffen. Sie schätzen auch die Lage realitätsnah ein; lernen<br />

weiter, wie man den Wölfen und Füchsen aus dem Weg geht und wie man das<br />

Böse sich totlaufen lässt. Und sie erarbeiten Frieden, tun versöhnende Schritte;<br />

helfen, miteinander auszukommen. Sie verlangen keine Garantien sondern<br />

gehen unbewaffnet, stecken auch Beleidigung ein, geben Vorschuss an<br />

Verständnis. Sie rechtfertigen sich nicht, sie lassen Gott Zeit. „Der Heilige<br />

findet kein Segen enthaltendes Gefäß außer dem Frieden“ (Talmud).<br />

Die <strong>als</strong>o werden <strong>als</strong> Kinder Gottes empfunden. Wenn sie gegangen sind, ist ein<br />

Windhauch von Engeln durch den Raum geweht, und man redet anders weiter.<br />

Wenn glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst innewerden zu können<br />

(Walter Benjamin), dann sind die Seligpreisungen die Bauformeln für<br />

gelingendes Leben.<br />

*<br />

Salz und Licht<br />

Ihr seid das Salz der Erde. Verdirbt Salz, womit soll man salzen? Ihr seid das<br />

Licht der Welt. Ist das Licht verdeckt, was leuchtet? Ihr- lasset euer Licht<br />

leuchten vor den Leuten. Leuchtende Taten lasst sehen, und sie werden Gott<br />

und euch preisen.<br />

Matthäus 5,13-17<br />

Jesus spricht den Seinen eine hohe Verantwortung für die Gesellschaft zu- sie<br />

sind begabt mit Heiligem Geist, sie machen das Zusammenleben genießbar und<br />

haltbar. Sie leisten friedensstiftende Arbeit. Gegen das Fade und Düstere lassen<br />

sie Freude und Gemeinschaft aufscheinen. Die Suppe der Freude versalzen sie<br />

nicht. Wirklich ein Glück, wenn lebendige Christen da sind. Von ihnen sagt<br />

Martin Luther King: „Christen sind absolut furchtlos, immer in Schwierigkeiten<br />

und unsagbar glücklich“.<br />

Sie sollen auch Sauerteig sein; aber nicht die Bäcker, die anteigen und zuteilen<br />

und bestimmen.<br />

Licht der Welt sind Christen mit ihrem <strong>Lebensmut</strong>, geschöpft aus dem Jesus-<br />

Wissen: Gut ist es, hier zu sein auf dieser schönen Erde.<br />

*<br />

Mehr <strong>als</strong> das Gesetz verlangt<br />

Jesus sprich: Ich aber sage euch: Meint nicht, ich sei gekommen, das Gesetz<br />

aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen. Eine<br />

bessere Gerechtigkeit ist nötig; etwa beim fünften Gebot: Zu den Vorfahren ist<br />

214


gesagt: „Du sollst nicht töten; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig<br />

sein“. Ich aber sage euch: Schon wer mit seinem Geschwister zürnt, ist schuldig.<br />

Matthäus 5,17.21.<br />

Wenn zwei Menschen nur noch juristisch mit einander umgehen, dann herrscht<br />

Krieg zwischen ihnen. Gesetze können zu Waffen werden, zu Fallen. Man kann<br />

kalt behaupten, dass unterlassene Hilfeleistung und Verhungernlassen noch kein<br />

Töten sei. Jesus lockt, von der Liebe her zu denken: Dann ist schon Verachten<br />

ein Töten; schon ein kalter Blick ein Vernichten. Jesu will uns für den Geist des<br />

Gesetzes gewinnen.<br />

Jesus will uns nicht gesetzlos machen sondern einander so liebevoll zueinander<br />

rücken, dass wir mehr für einander tun <strong>als</strong> uns das Gesetz abverlangt. Jesu Wort<br />

ist auch eine Warnung vor Anarchie- <strong>als</strong>o vor Freiheit ohne Recht.<br />

*<br />

Eile zu lieben<br />

Wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst und dort kommt dir in den Sinn, dass<br />

dein Geschwister was gegen dich hat, so lass dort vor dem Altar deine Gabe und<br />

geh zuerst hin und versöhne dich, und dann komm und opfere.<br />

Matthäus 5,23.24<br />

Das geschieht uns ja oft: Man tut gerade was Wichtiges, aber das Wesentliche,<br />

den Streit mit dem Nächsten lässt man schmoren. Du kannst gerade eine<br />

namhafte Stiftung machen, aber mit Bruder, Schwester, Eltern oder Kindern<br />

liegst du im Streit. Und bereinigst es nicht. Jesus sagt: Geh hin, sofort, selbst<br />

wenn gar nicht du sauer bist sondern der andere. Wenn was zwischen euch steht,<br />

ist es deine Sache, hinzugehen, sagt Jesus. Denn du scheinst soziales Gewissen<br />

zu haben. Hilf, den Streit auszuräumen; geh hin, redet endlich. Zeig ihm dein<br />

Interesse an ihm. Und stell dich entgegen all den pessimistischen Behauptungen<br />

wie z. B.: „Außer den Kräften der Ausbeutung und Angst scheinen nur noch die<br />

der Nachlässigkeit und des Desinteresses die Verhältnisse der Menschen<br />

untereinander zu regeln. Und nimmt man den Leuten das tiefe Desinteresse<br />

aneinander, so vermehrt man wohl bloß ihre Angriffslust“ (Botho Strauss).<br />

Das darf nicht wahr sein, nicht wahr werden.<br />

Wir können uns und Gott letztlich nicht auf Kosten des Nächsten erfreuen.<br />

*<br />

Noch auf dem Wege!<br />

Vertrage dich mit deinem Gegner. Und bist du schon mit ihm auf dem Weg zum<br />

Gericht, vertrage dich noch, bevor ihr bei Gericht ankommt.<br />

Matthäus 5,25<br />

215


Jesus rät, gerichtliche Auseinandersetzungen möglichst zu vermeiden. Was<br />

fährst du das Geschütz der Justiz auf? Selbst wenn du haushoch gewinnen<br />

würdest- ein Kompromiss ist besser <strong>als</strong> ein beschämter Gegner, Einvernehmen<br />

besser <strong>als</strong> hier ein Sieger und da ein Verlierer in seiner ohnmächtigen Wut. Man<br />

sieht sich doch immer zweimal. Und wenn du schuld bist, gestehe, bitte um<br />

Verzeihung, biete Ausgleich an. Versuch, an seine Gütefähigkeit zu glauben und<br />

an deine Fähigkeit, zu bereuen. Überhaupt – Streit schaukelt sich schnell hoch.<br />

Du aber hilf zum Frieden.<br />

*<br />

Vom Ehebrechen<br />

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.«<br />

Ich aber sage euch: Wer einen nur lüstern ansieht, hat schon die Ehe gebrochen<br />

in seinem Herzen.<br />

Matthäus 5, 27. 28<br />

Jesus kennzeichnet uns alle <strong>als</strong> „ehebrecherisches Geschlecht“ (Matthäus 16,4),<br />

damit all uns Selbstgerechten der Mund gestopft werde und alle Welt sich vor<br />

Gott seiner Güte bedürftig weiß (so Römerbrief 3,19). Wir sollen solidarisch<br />

werden und großmütig.<br />

Wir bauen doch alle nah an Schuld: Wenn wir Jemanden wollen, überlegen wir<br />

schon, wie wir ihn auf unsere Seite ziehen. Vielleicht sind wir vergleichsweise<br />

unschuldig, schuldlos sind wir nie.<br />

Jesus kennzeichnet die Ehe <strong>als</strong> Bündnis, das gerade die Liebe nicht in Ketten<br />

legt; ja, Ehe <strong>als</strong> Gefängnis gar nicht will. Einander in Freud und Leid nicht zu<br />

verlassen, weil und insofern man sich einander anvertraut und zugemutet glaubt,<br />

das hat eine große Würde. Aber es ist Wunsch und Wille und Hoffnung, es ist<br />

kein Eid. Ehe ist eine Schutzhütte vor Vereinsamung. Auch in der Ehe sind wir<br />

täglich mehrm<strong>als</strong> lieblos und bleiben auf Vergebung angewiesen.<br />

*<br />

Vom Schwören<br />

Es ist gesagt: »Du sollst keinen f<strong>als</strong>chen Eid schwören und sollst dem Herrn<br />

deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt.<br />

Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.<br />

Matthäus 5, 33.34.37<br />

Einzelne Aussagen durch Schwur veredeln, das wertet alles andere Reden ab;<br />

das denunziert alle nicht beeideten Sätze <strong>als</strong> halbe Lügen.<br />

Der Staat benutzt den Schwur, den Diensteid, um Menschen in besondere Weise<br />

an sich zu binden. Viele Morde unter Hitler geschahen aus Dienstverpflichtung.<br />

Man meinte, den Eid, vor Gott gegeben, nicht brechen zu dürfen. Auch die<br />

216


Kirche nimmt den jungen Pastoren ein schwurähnliches Gelübde ab und hält<br />

sich da nicht an das Wort Jesu. Auch nicht mit Ehrenwort sollen wir unserm<br />

Wahrhaftig- sein einen scheinbar festen Grund untermauern. Menschen müssen<br />

einander vertrauen lernen. Dazu hilft ein gesundes Misstrauen gegen sich selbst,<br />

denn wir halten oft für Wahrheit, was uns nützt. Auch ist „den Lügen Glauben<br />

schenken“ mehr in der Wahrheit, <strong>als</strong> mit Ehrlichkeit hinzurichten. „Wo nicht<br />

Liebe ist, ist keine Wahrheit“ (L.Feuerbach).<br />

Der Satz :Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser- sollte sich nur auf Zählbares<br />

und Messbares beziehen, wo Verzählen und Vermessen einfach passieren und<br />

einer nachzählen sollte. Im Ganzen lehrt aber Kontrolle nur, noch geschickter<br />

die Kontrollen zu umgehen.<br />

*<br />

Vom Vergelten<br />

Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 21,24)»Auge um Auge, Zahn um Zahn.«<br />

Matthäus 5,38-42<br />

Gerechtigkeit ist im Alten Testament verlangt, nach dem Maß „wie du mir so<br />

ich dir“.<br />

Aber Jesus hält uns für fähig, großmütig zu sein. Er rät zur Güte, zur Geduld,<br />

zum Stillhalten, noch einen Augenblick. Kann sein, er schlägt nicht zweimal-<br />

kann sein, er braucht wirklich mehr <strong>als</strong> nur den Mantel- was rechnest du, wo du<br />

ihn in Not siehst. Auch Wut und Rache ist Not. Vielleicht kannst du ihn<br />

begütigen, ehe er noch mehr Unrecht auf sich lädt. Und vielleicht steht er so<br />

unter Druck, daß er mehr verlangen muß. Denk kurz nach- kannst du noch was<br />

zusetzen? Kannst du noch einen Schlag einstecken, noch eine Beleidigung<br />

wegstecken, noch dein gutes Gesicht bewahren?<br />

*<br />

Ich sage euch: Liebt eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.<br />

Ihr seid doch Kinder eures Vaters im Himmel. Der lässt seine Sonne scheinen<br />

über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.<br />

Wenn ihr nur liebt, die euch lieben, was tut ihr Besonderes? Das tun doch alle.<br />

Matthäus 5,44-48<br />

Feindesliebe ist unsere höchste Begabung.<br />

Es gibt soviel Anlass zu Streit und Hass, aber du bist zum Befrieden geboren.<br />

Du hast ein Gottes-Gen mitbekommen. Du kannst gut von einem denken, auch<br />

wenn er garstig daherkommt und Worte wie Geschosse loslässt. Du musst nicht<br />

sofort böse werden. Du verstehst, daß es bösgemachte und gutgeliebte<br />

Menschen gibt. Halt mit dem Schwierigen noch einmal aus. Du musst nicht<br />

sofort rot zu sehen. Du kannst dir von Gottes Geduld etwas abgucken. Die<br />

Schwäche der Kraft besteht darin, nur an die Kraft zu glauben (Paul Valéry).<br />

217


Du hast es leichter, ganzheitlich zu denken. Du zerfällst nicht aus Gier und Neid.<br />

Du hast Lust auf Güte, dem Jesus nach. Du hast es auch nicht immer leicht mit<br />

dir. Aber der Andere, er kann es beinah nicht aushalten in seiner Haut. Er ist<br />

auch Kind Gottes, kann es aber nicht glauben. Ihm Ahnung davon zu geben, ist<br />

Jesu Projekt mit dir.<br />

*<br />

Ihr, ihr sollt vollkommen ganz sein, wie euer Vater im Himmel vollkommen<br />

ganz ist.<br />

Matthäus 5,48<br />

Vorangegangen ist Jesu Forderung, auch unsere Feinde zu lieben. Und auch das<br />

an uns zu akzeptieren, was uns mangelhaft scheint. Jesus zieht uns in ein<br />

Projekt, das die feindlichen Linien überwindet und auch mit dem uns<br />

Entgegenstehenden ein Ganzes bildet. Die Power dazu sollen wir nehmen aus<br />

einem Bewusstsein, dass Gott auch umschließt, was ihm widersteht und<br />

Finsternis nicht finster bei ihm bleibt, sondern ihm die Nacht leuchtet wie der<br />

Tag (Psalm 139,12).<br />

So sollen wir auch aufs gute Ganze ausgestreckt sein, sollen uns wissen <strong>als</strong><br />

Kinder dessen, der alle Gegensätze vereint und uns schon <strong>als</strong> versöhnende,<br />

verschwesternde Friedenstiftende braucht. Dass wir unser Quantum Miesheit<br />

hier nicht loswerden, ist wohl so. Aber wir brauchen ja nicht immer wieder das<br />

gleiche Unheil anzetteln.<br />

*<br />

Nichts hermachen mit Frömmigkeit<br />

Habt acht, dass ihr nicht fromm tut vor den Leuten. Auch dein Spenden posaune<br />

nicht aus. Wenn du gibst, gib gern und lass deine linke Hand nicht wissen, was<br />

die rechte tut.<br />

Matthäus 6,1-3<br />

Heute geht man selten zur Kirche und schon gar nicht “wegen de Leut.“ Eher<br />

scheut man sich, <strong>als</strong> kirchlich zu gelten. Mach Deins. Mach nichts, um Eindruck<br />

zu schinden. Vielleicht sollte man bei übertrieben Frommen auf religiöse<br />

Sprache bewußt verzichten; dagegen kann man religionsferne Menschen<br />

neugierig machen durch das Einfließenlassen christlicher Bilder.<br />

Anderen helfen in Not, tut vor allem einem selber gut. Man merkt, daß man<br />

großzügig vom Leben bedacht ist. Die Kollekte ist immer eine neue<br />

Herausforderung, gegen das natürliche Festhalten anzugehen. Zu trostlos, wenn<br />

wir im Portemonnaie rumstochern nach der noch kleineren Münze. Bleib auch in<br />

Sachen Güte nicht unter deinem Niveau.<br />

218


*<br />

Wir brauchen Gott nicht zu informieren Euer Vater<br />

weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet.<br />

(Matthäus 6,8)<br />

Betend atmet unser Innerstes. Wir breiten uns aus vor dem Ganzen, „Gott“<br />

genannt , „Vaterunser“, oder“ Väterlich-mütterlicher Grund“. Er ist „der eine<br />

Künstler, verteilt auf Tausend Millionen Inkarnationen“ ( C. Nooteboom), die<br />

göttliche Mutter der Dinge, „die leise knisternde Macht“(H. H. Jahnn). Wir<br />

beten uns vor Gott hin- er ist der letzte Grund für Dank und Klage.<br />

Seufzen oder Jauchzen ist schon Gebet. Vor „Ihm“ die Sachen bedenken, das<br />

beschafft uns die richtige Einstellung zu den Problemen; in Beziehung zu „Ihm“<br />

wird groß das Große und klein das Kleine. Vor Ihm kommen die Dinge ins Lot,<br />

ich lasse in die rechte Nähe und gehe auf die rechte Distanz. Wichtig ist, dass<br />

ich mich mit meinem Drumrum vor dem, in dem, bei dem wissenden<br />

GutenGanzen weiß.<br />

Betet so<br />

Unser Vater im Himmel!<br />

Matthäus 6,9<br />

Ich spreche dich an; aus deiner Hand will ich hinnehmen was ist, <strong>als</strong> Gabe und<br />

Aufgabe. Vor dir, unserem Glück, will ich mich ins Gebet nehmen. Du bist<br />

wirkmächtig. Darum ist auch mein Sprechen zu dir, mit dir, wirksam. Du, unser<br />

Vater, wir deine Menschheitsfamilie– das tut gut. „Im Himmel“ - ja auch; noch<br />

wichtiger: Wo Du bist, ist Himmel. In den Sinnoasen des Daseins leuchtest du<br />

auf.<br />

Geheiligt werde dein Name<br />

Matthäus 6,9b<br />

Durch mich soll dein Name nicht missbraucht werden. Ich will ihn nicht<br />

vergiften, will ihn nicht meiner Bosheit anheften, will meine Interessen nicht<br />

mit frommen oder moralischen Sprüchen verbrämen. Dein Name ist: „Ich bin<br />

für dich da“, “Ich mit dir“, „Herz aller Dinge“, „Geheimnis der Welt“ -<br />

vielleicht auch „Abba“- „Väterchen“- wie Jesus dich mal nannte ( Markus<br />

14,36) . Ich will dich bei deinem Namen nehmen, „du Freund des Lebens“<br />

(Weisheit 12,1).<br />

Dein Reich komme<br />

Matthäus 6,10<br />

219


Auch durch mich komme dein Wesen zur Welt. Du reichst schon überall hin,<br />

dein Reich ist schon „mitten unter uns im Anbruch“ (Lukas 17,10). - Wüssten<br />

wirs, wir wären glücklich, teilten begeistert, bauten den Frieden. Du hast<br />

Vollendung vor mit deiner Schöpfung, wir sind in einem guten Spiel, nach uns<br />

wird kommen: Nennenswertes. Erweck in uns die Lust, Schrittmacher des<br />

Künftigen zu sein und der „noch nicht erwachten Absichten Gottes“ (Robert<br />

Musil).<br />

Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden.<br />

Matthäus 6,10a<br />

Noch geschieht viel gegen deinen Willen; aber alles mittels deiner Energie.<br />

Keine Kraft ist aus sich selbst, auch die missbrauchende Kraft stammt aus<br />

deinem Haushalt, auch der zum Mord an Abel genutzte Stein ist deiner. Ach,<br />

dass doch immer mehr dein Wille geschehe - auch durch mich! Es ist da eine<br />

Chance, ein Sog: „Wir wären so gern Egoisten und können es doch nicht sein“<br />

(Simone Weil). Auch durch meine Irrungen hindurch geschehe dein Wille, guter<br />

Gott.<br />

Unser tägliches Brot gib uns heute.<br />

Matthäus 6,11<br />

Ein Stück Brot in deiner Hand, und du merkst, dass du im Wesentlichen<br />

Bittender und Empfangender bist. Wir sind auf guten Boden, gute Ernte, fleißige<br />

Bauern, geschickte Bäcker, frühaufstehfreudige Verkäuferinnen angewiesen.<br />

Und brauchen Begabung, Fleiß, Geschicklichkeit, Ausdauer, Chancen,<br />

Gesundheit, Freundschaft, Liebe. Brauchen Zeit und Geld. Nichts ist<br />

selbstverständlich einfach da. Alles ist Gnade, jeder nächste Atemzug ist ein<br />

Geschenk. Und mein „Brot für die Welt“ ist eine Frage der Ehre. Was noch<br />

zum Täglich-Brot gehört, sind getreue Nachbarn (Martin Luther), freie Medien,<br />

Demokratie, Freiheit und Recht, Arbeit, hinreichende Gesundheit. Und dass<br />

einem die Würde des Menschseins erhalten bleibt, auch, wenn man auf fremde<br />

Hilfe angewiesen ist. Und bitte auch die tägliche Portion Freude, ja bitte.<br />

Und vergib uns unsere Schuld,<br />

wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.<br />

Matthäus 6,12<br />

Alles Leid, das wir antun, ist letztlich dem Herzen der Welt, Gott, angetan.<br />

Wenn er uns nicht freispricht, ist es aus mit uns. Wir müssten ersticken an<br />

220


unseren ungeweinten Tränen. So aber, weil Gott weiß, was für kleinmütige,<br />

eigensüchtige Menschlein wir sind, trägt er uns zu neuem Anfang und bekehrt<br />

uns zu einander. Und nicht möge es heißen: “wie wir“. „Auf daß auch wir<br />

vergeben unsern Schuldigern“- hat Jesus sicher gesagt; nie hätte er Gottes Liebe<br />

von unserm Lieben abhängig gemacht.<br />

Und führe uns nicht in Versuchung,<br />

Matthäus 6,13<br />

Was wäre, wenn Eva und Adam nicht versucht worden wären? Und was für ein<br />

Jammer, wenn wir uns Jesus von Versuchung unantastbar vorstellen müssten.<br />

Die zwei zentralen Bilder des Heils zu diesem Thema sind der Sündenfall und<br />

Jesu Versuchung:<br />

Eva lotet die Gottestochterschaft aus: Sie argwöhnt, Gottvater behalte sich<br />

Schätze vor, die er mit seiner geliebten Tochter nicht teilen wolle. Sie ist nicht<br />

geborgen im Ring des Vertrauens, dass das Gebot zu ihren Gunsten gesprochen<br />

ist. Sie will erproben, sie will erfahren. - So lernen die Menschen, was gut und<br />

böse ist. Statt Paradies eröffnet Gott die Geschichte, die Geschichte um Gut und<br />

Böse - und die zieht sich immer noch mit uns dahin.<br />

Und Jesus? Er ermittelt bei sich, <strong>als</strong>o in Zwiesprache mit seinem Schatten die<br />

Möglichkeiten der Gottessohnschaft: Jesus ringt sich durch zu dreimal Nein: Der<br />

Zweck heiligt nicht die Mittel; Gott darf ich nicht herbeizitieren. Die Natur darf<br />

ich nicht zwingen zum Unnatürlichen. Teuflische, gewaltsame Kräfte darf ich<br />

nicht nutzen.<br />

Gut, daß das erste Menschenpaar und Jesus von Gott in Situationen geführt<br />

wurden, in denen sie gefragt wurden, ob sie auf Gottes Wort hören oder nicht.<br />

Wenn es an der Zeit ist, werden wir auch in Situationen geschickt (von wem<br />

denn sonst <strong>als</strong> von Gott?), da müssen wir uns bewähren, da müssen wir uns<br />

kenntlich machen, da erweist sich, wer man ist. Da ruft es in der Situation mich<br />

an: Mensch, mach dich gerade.<br />

Eine Welt ohne Verlockungen wäre ein Totenreich. Rau oder süß kann der<br />

Lockvogel singen. Der Verbrecher sagte, die Vögel des Bösen seien nicht von<br />

ihm ausgegangen (wie der Staatsanwalt es behauptet) sondern wären auf ihn<br />

zugeflogen und hätten von ihm Besitz ergriffen (nach Robert Musil).<br />

Ich danke für die vielen Überredungskünste des Lebendigen, aber danke erst<br />

recht für Geleit in den Versuchungen; danke, daß ich nicht zuviel Chaos<br />

angerichtet habe, in Erziehung, in Ehe, in Befreundung, in der Arbeit. Beten wir<br />

<strong>als</strong>o: Und führe uns in den Versuchungen. Nur in einer Hinsicht bete ich: Führe<br />

mich nicht in Versuchung- an dir irre zu werden, du guter Gott.<br />

Sondern erlöse uns von dem Bösen.<br />

Matthäus 6,13 a<br />

221


Das ist die dringlichste aller sieben Bitten. Sie kennzeichnet mein und unser<br />

aller Böses <strong>als</strong> der Empörung und der Tränen und des Flehens um Erlösung<br />

wert. Das Böse ist Störung, ja Katastrophe der Schöpfung. Und Gott ist letztlich<br />

der dafür Zuständige. Gott liegt mit seiner Schöpfung in den Wehen. Flehen wir<br />

um Heilung bei uns und überhaupt.<br />

Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.<br />

Matthäus 6,13 b<br />

Das beschreibt den Grund, warum wir Gott anrufen, siebenfach und mehr. Sein<br />

ist das Zeit-Reich und das Ziel aller Wege, das Gottesreich. Sein ist alle Energie,<br />

auch die der Liebe. Sein ist die Ehre, der Sinn, das Glücken des Ganzen, ewig.<br />

Amen heißt: So ist es.<br />

*<br />

Vom Fasten<br />

Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen. Wenn du fastest, so mach dich<br />

schön, damit du nicht Eindruck schindest mit deinem Verzicht. Gott weiß. Das<br />

genügt.<br />

Matthäus 6,16-18<br />

Was du tust, das tue ganz, ohne Seitenblick auf etwaiges Publikum. Sei echt in<br />

dem, was du tust. Tu nichts „wegen der Leut“, aber führ sie auch nicht hinters<br />

Licht. Willst du Verzicht üben, tu das. Willst du es nicht, lass es. Aber tu nicht,<br />

<strong>als</strong> ob.<br />

*<br />

Vom Schätzesammeln und Sorgen<br />

Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost<br />

fressen und die Diebe stehlen. Sammelt euch Schätze im Himmel. Denn wo dein<br />

Schatz ist, da ist auch dein Herz. Niemand kann zwei Herren dienen.- Ihr könnt<br />

nicht Gott dienen und dem Mammon.<br />

Matthäus 6,19-21.24<br />

Gegen vernünftige Vorsorge hat Jesus nichts, das geht schon aus dem Lob des<br />

klugen Bauherrn hervor, der auf Fels baut, damit sein Haus Bestand habe<br />

(Matthäus 7,25). Aber Geld horten, um vor der Zukunft sicher zu sein,<br />

verhindert geradezu, dass das Zukünftige seinen Schatz geben kann. Zukunft ist<br />

voller guter Gelegenheiten, die wir von uns fernhalten, wenn wir mit Geld<br />

verhindern wollen, uns einzugeben. Schätze im Himmel sammeln meint nicht,<br />

222


Punkte zu sammeln durch gute Werke. Die Schätze des Himmels sind gemeint,<br />

die wir jetzt zur Welt bringen sollen: Freundschaft, Dank, Mitfühlen. Liebe ist d<br />

e r Himmelsschatz auf Erden. Jesus lockt, Abstand zu nehmen von dem ewigen<br />

Bemühen, aus allem Vorteile ziehen zu wollen. Lasst uns doch Respekt haben<br />

nicht vor dem Geld (Mammon) sondern vor den Mitmenschen. Unser Herz sei<br />

bei den Menschen, nicht bei den Sachen.<br />

Wo dein Schatz, da dein Herz: Worum du dich mühst, da bist du selbst, das ist<br />

dein Selbst. Ein Bild: Ein Mensch putzt seine Wohnung, kein Stäublein, kein<br />

blinder Fleck soll sein- oder sein Auto, sein Oldtimer, wie aus dem Ei gepellt<br />

soll er glänzen und Glanz verbreiten. Oder geschickt vorweg erahnen die<br />

Bewegungen an der Börse und entsprechend Anteile abstoßen oder erwerben,<br />

bevor die Meute Wind bekommt. – Mensch, warum dies Sachenstreicheln,<br />

Wertehäufen- Du mühst dich so- aber macht es dein Herz fröhlich? Mehrt es<br />

dein Selbst? Dann doch lieber einer Bewegung angehören, große Ideen teilen,<br />

der Glaube an die Geschwisterlichkeit der Welt- dann weiß man doch, wozu<br />

man gehört, man ist Glied an einem Leib.<br />

Sammeln wir uns Himmelsschätze, Säen wir Himmel ein hier unter uns.<br />

Vermehren wir Freude, Lebens- Chancen, leben wir Liebe in vielen Variationen.<br />

Untergehende Menschen rette, Vereinsamte lade hinzu. Du vermehrst ihnen ihr<br />

Selbst, sie sind, sie werden wieder gern sie Selbst und du mit.<br />

Schreib hier weiter deine Gedanken. Schwärm mal von Dir.<br />

*<br />

Zersorgt euch nicht<br />

Jesus spricht: Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch<br />

nicht, was ihr anziehen werdet. Seht die Vögel unter dem Himmel: sie säen<br />

nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer<br />

Vater ernährt sie doch. Und schaut die Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen: sie<br />

arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht. Ich sage euch, dass auch Salomo in all<br />

seiner Herrlichkeit nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun<br />

Gott das Gras auf dem Feld so schmückt, das doch heute steht und morgen<br />

vergeht- sollte er das nicht viel mehr für euch auch tun, ihr Kleingläubigen?<br />

Matthäus 6,25.26-28.30<br />

Es ist nicht daran gedacht, daß uns das Nötige zufalle ohne unser Zutun. An den<br />

Fluß setzen mit der Angel ohne Köder und sagen: „Wenn Gott will, wird schon<br />

was anbeißen“, geht nicht. Wir sollen uns mühen. Gott müht sich auch. Gott hat<br />

uns seine Natur anvertraut und einen Werkzugkasten voller Fähigkeiten.-<br />

Wir sollen Brot beschaffen, uns und anderen, sollen uns mühen. Aber nicht<br />

zersorgen. Auch die Vögel picken und jagen den ganzen Tag. Und wenn man<br />

bedenkt, wieviel Gras ein Schaf vom Boden rupfen muss, bis es seine Kalorien<br />

zusammen hat! Und die muss es ja auch erst herausfiltern aus vielen Kilogramm<br />

Zellulose. Noch im Schlaf käuen diese Tiere wieder und die chemische Fabrik<br />

223


ihres vierteiligen Magens arbeitet die ganze Nacht. Und auch die Lilien auf dem<br />

Felde strecken sich nach Licht und Wind. Aber sie ernten nicht, sie spinnen<br />

nicht. Sie sorgen sich nicht um den nächsten Tag. Das allerdings ist uns<br />

aufgegeben. Der Bauer muss von der Ernte das Teil Saatgut zurückhalten, der<br />

Mensch muss fürs Alter mit der Rente vorsorgen. Aber zersorgen, das sollen<br />

wir uns nicht.<br />

Auch Jesus hat hart gearbeitet, Menschen bekehren ist harte Arbeit. Aber uns<br />

verrückt machen für immer Mehr, das sollen wir nicht. Es kommt alles zurecht,<br />

unsere und anderer Menschen Arbeit bringt Frucht.<br />

Und wenn der Ernstfall da ist, grübeln und sorgen wir erst recht nicht mehr<br />

sondern- handeln.<br />

*<br />

First things first<br />

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird<br />

euch alles andere zufallen. Sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird<br />

für das Seine sorgen. Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.<br />

Matthäus 6,33.34<br />

Trachten, drängen nach dem Reich Gottes, heißt scharf sein darauf, mit Gott<br />

Schritt zu halten. Aus Liebe gemacht ist Gottes Gelingen; Also ablassen vom<br />

Raffen und Eindruckmachen, hinkommen zum Teilen. Und mehr auf<br />

Privilegien verzichten, weil sie auf kosten anderer gehen.<br />

Doch wie kommen wir von unserm Zersorgen los? Wie „die kalten Wickel der<br />

Sorge zurücklassen“ (Horaz)? Glaub Gott mit dir beschäftigt, <strong>als</strong> wärst du seine<br />

einzige Sorge. Und die von Gott durchwirkte Wirklichkeit und dein Mühen<br />

bringen das heute Nötige zustande.<br />

*<br />

Was für ein Balken<br />

Mit welchem Maß ihr verurteilt, werdet ihr gerichtet werden. Was <strong>als</strong>o siehst du<br />

den Splitter in deines Bruders Auge und merkst nicht den Balken in deinem<br />

Auge? Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den<br />

Splitter aus deines Bruders Auge entfernst.<br />

Matthäus 7,1-5<br />

Wer richtet, zensiert, beurteilt, teilt Lob und Tadel, Lohn und Strafe zu; er hat zu<br />

sagen. Neutral des andern Tat zu bewerten, das geht kaum. Ich bin in seinen<br />

Schuhen nicht gegangen.<br />

Es ist unterschwellig eine Lust in uns, Punkte zu machen mittels der Fehler<br />

anderer. Jesus lockt, wegzukommen von Kritisierlust und Besserwisserei –lasst<br />

224


uns lieber entschuldigen, Gutes vom Nächsten reden und alles zum Besten<br />

kehren (Martin Luther).<br />

Das Maß „wie du richtest, so wirst du gerichtet“- gilt unter uns Menschen.<br />

Lassen wir Gnade walten, werden wir mehr Gnade erfahren <strong>als</strong> wenn wir den<br />

Harten geben. Bei Gott wird es dann noch mal ganz anders sein.<br />

Bittet, so wird euch gegeben;<br />

suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.<br />

Matthäus 7,7<br />

*<br />

Liebe ist in Fülle da. Die Welt ist ja aus Liebe geschaffen. Wir treffen sie in<br />

verschiedenster Gestalt: <strong>als</strong> Verwandlung von Stickstoff zu Sauerstoff durch<br />

die Bäume, <strong>als</strong> Genießbarkeit des Korns, <strong>als</strong> Gerinnbarkeit des Blutes, <strong>als</strong><br />

Fürsorge der Eltern, <strong>als</strong> wissenschaftliche Begeisterung, neue Medikamente zu<br />

entwickeln, <strong>als</strong> Freude, die wir einander machen, <strong>als</strong> Umarmung, Güte, Geduld.<br />

Wir mühen uns und räumen Chancen ein. Wir tun viel mehr Gutes <strong>als</strong><br />

Schädigendes. Man kann das Sein <strong>als</strong> Gestalt der Liebe sehen.<br />

Gehen wir mit dem Sein freundschaftlich um. Geben wir dem Leben, was es<br />

braucht, dass es uns geben kann, was wir brauchen. Gehen wir davon aus, daß<br />

jeder Mensch der Liebe fähig und bedürftig ist. Und jeder braucht einen, der ihm<br />

die Angst abnimmt, wie man von schwerer Rüstung befreit. Die andern sind<br />

mindestens so anständig, so hilfsbereit, so fair wie du selbst. Aber wir müssen in<br />

Not Wohltaten locker machen. Wie gut, wenn wir nicht für uns sondern für<br />

andere bitten können.<br />

*<br />

Steine statt Brot?<br />

Wer unter euch, wenn sein Kind ihn um Essen bittet, gibt ihm einen Stein?<br />

Oder eine Schlange, wenn es ihn um etwas zu Trinken bittet?<br />

Wenn nun ihr, die ihr doch arg schwierig seid, dennoch euren Kindern gute<br />

Gaben geben könnt, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben<br />

denen, die ihn bitten!<br />

Matthäus 7,9-11<br />

Es kann nicht angehen, daß wir unsere Kinder vergiften. Und doch ist soviel<br />

Wahnsinn in der Welt, daß Kinder geschunden und gequält werden, abgerichtet<br />

werden zu Kindersoldaten und Sexspielzeug. Gott im Himmel, heile deine<br />

bösgemachten Menschen, pump Heiligen Geist in die mit Dumpfheit<br />

geschlagenen Gehirne, stoß uns Fenster auf in eine bessere Welt.<br />

Wir arg Schwierigen können auch Gutes tun. Fast alle haben wir doch<br />

hinreichend gute Eltern gehabt, und sind unsern Kindern ausreichend gute.<br />

225


Es ist dies ein herrlicher Trost des Jesus: Ihr, die ihr doch arg seid, böse, zickig,<br />

ungeduldig, mit ziemlich viel Aggression in den Genen - ihr könnt Gutes geben.<br />

Setzen wir drauf, dass wir brauchbar sind fürs Leben. Und wenn wir schon oft<br />

helfen, um wieviel mehr ist unser Schöpfer hilfreich. Trau dir was zu- Trau<br />

andern was zu. Trau Gott was zu, dem Grundgütigen. Dann kommst du richtig<br />

durchs Leben.<br />

*<br />

Die ganze Ethik in einem Satz<br />

Alles, was euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch! Das ist das ganze<br />

Gesetz.<br />

Matthäus 7,12<br />

Im Zweifel tu das Richtige. Wir wissen doch, was dran ist, was nötig ist, was<br />

fällig ist. Willst du angebrüllt werden? Also lass es auch. Es regnet, einer eilt die<br />

Straße lang. Du im Trockenen, solltest dein Auto anhalten, du weißt es- der<br />

Durchnässte kann ein Stück mitfahren. An der Kasse einer in Not. Du schenkst<br />

ihm den fehlenden Euro. Einer belügt dich. Du siehst es <strong>als</strong> Notwehr an und<br />

bohrst nicht. Du läßt dich täuschen, das ist das hohe Lied der Liebe.<br />

Die Übersetzung: „Was du nicht willst, dass mans dir tu, das füg auch keinem<br />

andern zu“- schwächt ab. Stärker ist die positive Wendung: Gib, was du dir<br />

wünschst. Jesus traut uns zu, den Hunger des Andern zu fühlen. Ihn sättigen tut<br />

letztlich auch mir selber gut.<br />

An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.<br />

Matthäus 7,20<br />

*<br />

Das Ende von Heucheln und Frömmelei ist nahe, wenn nur die Tat zählt. Was<br />

wir zustande bringen, kommt auf die Waage. Also erfreuen wir, stärken wir,<br />

stehen wir bei. Und achten mit Vorsicht und Nachsicht darauf, was bei unsern<br />

Bemühungen raus kommt. Und was daraus werden kann. Ich wollte nur das<br />

Beste- ist nicht genug. Sei ins Gelingen verliebt. Bring gute Frucht.<br />

*<br />

Vom festen Grund<br />

Wer meine Rede hört und tut sie, sagt Jesus, der gleicht einem klugen<br />

Menschen, der sein Haus auf Fels baute. Als nun ein großer Regen fiel und die<br />

Wasser kamen und die Winde stürmten, schlugen sie an das Haus, doch es<br />

stürzte nicht ein; denn es war auf Fels gegründet.<br />

Matthäus 7,24f<br />

226


Wie Leben gelingt- das hat Ähnlichkeit mit einem Hausbau. Die Finanzen, die<br />

Genehmigungen sind wichtig, vor allem das Fundament. Jesu Rede hören und<br />

tun, das beschafft Halt und Sinn und Mut und lehrt uns, vernünftig zu sein.<br />

Auch weiß man, wem man gehört; weiß, was man soll und bekommt Kraft.<br />

Gott gehören, das beschafft große Freiheit, und ihm in die Hände arbeiten, das<br />

macht einen zum Teilhaber seiner Werke. Gut, daß du da bist, du bist, hier<br />

und jetzt. Das macht dich stabil.<br />

*<br />

Der römische Hauptmann<br />

Jesus kam nach Kapernaum, da trat ein römischer Hauptmann auf ihn zu und bat<br />

ihn um Hilfe für seinen Knecht.<br />

Jesus sprach zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen.<br />

Der Hauptmann antwortete: Herr, ich bin nicht wert, dass du unter mein Dach<br />

trittst- sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund.- Du bist Obrigkeit, ich<br />

bin Obrigkeit. Auch ich habe Soldaten unter mir; und wenn ich zu einem sage:<br />

Geh hin!, so geht er; und zu einem andern: Komm her!, so kommt er.<br />

Als das Jesus hörte, wunderte er sich und sprach zu denen, die ihm folgten:<br />

Solchen Glauben habe ich in Israel noch bei keinem gefunden! Ich sage euch:<br />

Viele werden kommen von Osten und von Westen und mit Abraham und Isaak<br />

und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen.<br />

Und Jesus sprach zu dem Hauptmann: Geh hin; dir geschehe, wie du geglaubt<br />

hast. Und sein Knecht wurde gesund.<br />

Matthäus 8,5-11.13<br />

Der römische Hauptmann ist Chef und hält auch Jesus für einen Chef-<br />

für die Autorität im geistlichen Revier. Jesus steht zu der Vollmacht,<br />

die ihm zugetraut wird. Er spricht dem krank daniederliegenden<br />

Knecht aus der Ferne Heilung zu. „Dir geschehe, wie du glaubst“- ist<br />

ein großes Wort über die Kraft unserer inneren Überzeugung. Wir<br />

haben es mit in der Hand, gesund zu werden, gesund zu machen.<br />

Jedenfalls haben wir Spielraum, in gewisser Weise uns die Dinge<br />

zurecht zu glauben, sie uns anzupassen. Welche Bedeutung wir den<br />

Fakten zumessen, das wirkt auch auf die Fakten ein. Also, glaub dich<br />

gut, Mensch; halt viel von dir.<br />

Der junge Mann von Nain<br />

*<br />

227


Jesus kam in eine Stadt mit Namen Nain. Da trug man einen Toten heraus, der<br />

der einzige Sohn seiner Mutter war, und sie war eine Witwe; und eine große<br />

Menge aus der Stadt ging mit ihr.<br />

Und Jesus erfasste Mitleid um sie und er sprach zu ihr: Weine nicht! Er ließ die<br />

Träger anhalten, berührte den Sarg und sprach: Mensch, steh auf. Und der eben<br />

noch Tote richtete sich auf und fing an zu reden, und Jesus führte ihn zu seiner<br />

Mutter.<br />

Furcht ergriff sie alle, und sie priesen Gott und sprachen: Es ist ein großer<br />

Prophet unter uns aufgestanden, Gott hat sein Volk besucht.<br />

Lukas 7,11-17<br />

Mitleid erweckt in Jesus göttliche Kräfte. Jesus <strong>als</strong> die intensivste irdische<br />

Verkörperung Gottes konnte wohl auch von den Toten auferwecken. Wir<br />

können das nicht, aber wir haben ja genug damit zu tun, unser Mitleid<br />

umzumünzen in Taten für Leidende.<br />

Wir waren auch schon so gut wie tot. Wenn wir dann ins Leben zurückfanden,<br />

waren wir voll Sonnenaufgang, waren wie neugeboren, wollten alles besser<br />

machen.<br />

Ja, es ist dir Verwandlung geschehen. Du hast wieder Sprache gefunden, Freude<br />

geht von dir aus. Jesu Auferstehungsenergie leuchtet in dir.<br />

Nimm das Bild vom auferweckten Jungen <strong>als</strong> Versprechen, daß auch du<br />

auferstehen kannst zu neuem Lebendigsein. Auch du bist in deinen besten<br />

Augenblicken mit Energie aufgeladen. Durch dich können Segenskräfte fließen,<br />

die auch zu körperlicher Genesung führen.<br />

*<br />

Stillung des Sturms<br />

Jesus war am See Genezareth mit seinen Jüngern. Sie stiegen in ein Boot um<br />

ans andere Ufer zu fahren. Da erhob sich ein gewaltiger Sturm - das Boot wurde<br />

von den Wellen fast zugedeckt. Er aber schlief.<br />

Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen<br />

um! Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und<br />

er stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille.<br />

Die Jünger erschraken: Was ist das für ein Mensch, dass ihm Wind und Meer<br />

gehorchen?<br />

Matthäus 8, 23-27<br />

Diese Geschichte liefert das Ur-Bild von Kirche: Ein Schiff, das mühsam duch<br />

die Wellen seine Fahrt macht. Aber es hat ja den Herrn an Bord- dann kann dem<br />

Schiff und den Leuten nichts passieren- denn „fahrn wir durch die Höll- wir<br />

sind ja sein Gesell.“<br />

228


Groß ist der Satz: “Aber er schlief.“ Das ist dies herrliche Gottvertrauen des<br />

Jesus: Der Sturm stürmt, das Boot trägt, die Mannschaft müht sich, er kann<br />

schlafen. Gott kommt zurecht mit der Lage.<br />

Aber die Menschen zittern vor Angst. Jesus erbarmt sich. Er spricht<br />

mit dem Wind- da trollt der sich. Jedenfalls haben seine Jünger eine bedrohliche<br />

Sturmfahrt erlebt und haben sie behalten <strong>als</strong> Schutzbild, dass mit Jesus die<br />

Schrecken gut ausgehen. „Gottes sind Wogen und Wind, aber Segel und Steuer,<br />

daß ihr den Hafen gewinnt, sind euer“ (Gorch Fock)!<br />

Es geht auch darum, auf dem Meer der Sehnsucht, das ich in meinem Inneren<br />

befahre, die Stürme und die Flauten bestehe.<br />

*<br />

Die Auferweckung der Tochter des Jaïrus<br />

Es kam ein Synagogen-Vorsteher mit Namen Jaïrus zu Jesus, fiel ihm zu Füßen<br />

und bat ihn: Meine Tochter liegt im Sterben; komm doch und lege ihr die Hände<br />

auf, damit sie gesund werde und lebe.<br />

Und Jesus ging mit ihm. Als sie noch unterwegs waren, kamen einige vom<br />

Hause des Vorstehers gelaufen und sprachen: Deine Tochter ist gestorben;<br />

bemüh den Meister nicht weiter! Jesus aber sprach zu dem Vorsteher: Fürchte<br />

dich nicht, glaube nur!<br />

Markus 5,22-24,35.36<br />

Fürchte dich nicht- vertraue nur. Es gibt nichts Besseres <strong>als</strong> diesen Rat, diese<br />

Weisung. Natürlich sollen wir auch arbeiten, planen, ordnen, bedenken. Aber<br />

wenn all das Handwerkliche des Lebens getan ist, besser: dabei- <strong>als</strong>o während<br />

wir arbeiten -sollen wir beten, sollen vertrauen, dass zurechtkommt, was gerade<br />

uns bewegt.<br />

Jesus macht dem Vater des Jairus Mut, auf Heilung zu setzen. Immer setz auf<br />

Gelingen, auf Besserung, auf Lernfähigkeit. Du bist auf dem Weg, du bist in<br />

einem großen Heilwerdeprozess. Auch wenn der Weg durch Finsternis geht,<br />

fürchte dich nicht; auch wenn du zögerst, bist du doch eingebettet in Gottes<br />

Geschichte, die auf das Reich Gottes zuläuft. Auch was stirbt ist ins Werden<br />

mitgenommen. Das ist dem Jesus abzulesen, der das Mädchen auferstehen lässt.<br />

Wir sollten nicht fragen, wie gestorben das Mädchen wirklich war. Die<br />

Auferweckung ins richtige Leben ist Wunder genug. „Tot in den Sünden“<br />

(Kolosser 2,13) kann auch gemeint sein- und wir werden herausgeschält zu<br />

neuem Sein.<br />

Und sie kamen in das Haus des Vorstehers, und es war ein Getümmel, sie<br />

weinten und heulten. Und Jesus ging hinein und sprach zu ihnen: Was weint ihr?<br />

Das Mädchen ist nicht tot, sondern es schläft.<br />

Und sie verlachten ihn. Er aber trieb sie alle hinaus und nahm mit sich die Eltern<br />

und ging hinein zum Kind. Und er griff das Kind bei der Hand und sprach zu<br />

229


ihm: Talita kumi! - das heißt übersetzt: Mädchen, ich sage dir, steh auf! Und<br />

sogleich stand das Mädchen auf und ging umher; es war aber zwölf Jahre alt.<br />

Und sie entsetzten sich über die Maßen.<br />

Markus 5,38-42<br />

Jesus ruft das Mädchen aus dem Tiefschlaf und stellt es auf die Beine. Der<br />

Hinweis auf das Alter des Mädchens kann auf eine Ohnmachts-Phase der<br />

Pubertät deuten. In dieser Lebensstrecke ist der Mensch oft überfordert, wird<br />

ohnmächtig oder will auch sterben. Es gibt Augenblicke in unserm Leben, da<br />

sind wir so gut wie tot. Wohl uns, wenn wir dann nicht aufgegeben werden,<br />

sondern ein rettender Mensch uns ins Leben zurückholt. Jedenfalls traut uns<br />

Jesus zu, dass wir einander ins Leben ziehen. Irgendwann dürfen wir auch<br />

sterben, aber wir sollen nicht drängeln, erst sollen wir die von Gott in uns<br />

gelegten Energien ausgeben.<br />

*<br />

Die Heilung einer Frau<br />

Es folgte Jesus eine große Menge und sie umdrängten ihn. Da war eine Frau,<br />

die hatte Blutungen seit Jahren und hatte viel erlitten mit vielen Ärzten und all<br />

ihr Geld an sie verloren; und es hatte ihr nichts geholfen, sondern es war nur<br />

schlimmer mit ihr geworden.<br />

Als sie von Jesus hörte, sagte sich: Wenn ich nur seine Kleider berühren könnte,<br />

so würde ich gesund. Und in der Menge trat sie von hinten heran und berührte<br />

sein Gewand. Und sogleich versiegte die Blutung, und sie spürte, dass sie von<br />

ihrer Plage geheilt war.<br />

Markus 5,24-29<br />

Hoffnung auf Heilung steht jedem Kranken zu. Es drängt in uns etwas auf<br />

Wohlbefinden hin. Wir haben einen Trieb, richtig zu ticken und nicht matt zu<br />

sein. Das schickt uns zu Ärzten, die sollen es richten. Jesus war ein<br />

energetisches Kraftfeld, sodass er Kranke aller Art anzog. Sie wussten, seine<br />

Nähe strömt Heilung aus. Es gibt Menschen mit besonderen Gaben. Und Jesus<br />

war ein ganz besonderer Mensch. - Er war mit Gott eines Herzens, konnte<br />

darum auch Menschen an Gott anschließen. Und dann wird es besser mit ihnen.<br />

Auch wir haben Heilkraft. Wenden wir sie zuerst für uns an, indem wir uns nicht<br />

schaden.<br />

Und Jesus spürte, dass Kraft von ihm abgeflossen war, und wandte sich um in<br />

der Menge und sprach: Wer hat mich angefaßt? Und er sah die, die es getan<br />

hatte. Da kam die Frau und fiel vor ihm nieder und sagte ihm ihre Wahrheit. Er<br />

aber sprach zu ihr: Tochter Gottes, dein Glaube hat dich gesund gemacht; geh<br />

hin in Frieden.<br />

Markus 5,32-34<br />

230


Sind wir für einen Menschen intensiv da, dann kostet das Kraft. Es fließt von<br />

uns zu ihm Geist, Wärme, Lebenswille- oder auch Geld- was ja gemünzte<br />

Wirkmächtigkeit ist. Energien der Liebe wollen sprühen. Muttermilch will<br />

nähren. Nützenkönnen ist ein Segen- auch wenn es erschöpft.<br />

Gut zu wissen, dass es auch an Jesus nagte, wenn er heilte. Er wirkte nicht<br />

pauschal. Er wollte den Menschen sehen, der von ihm Kraft nahm.<br />

Erhellend, wie Jesus die Frau stärkt in ihrem Selbstbewusstsein - ja, sie hat gut<br />

daran getan, Gutes sich zu holen. Ihr Glaube, ihr Vertrauen, ihr Wille, ihr Ärgerriskieren,<br />

ihr- soll man sagen- Stehlen, wird von Jesus geadelt. Die Tochter<br />

Gottes hat sich nur genommen, was ihr zusteht. Alle Gaben Gottes gehören uns<br />

<strong>als</strong> Geschwistern zusammen.<br />

*<br />

Die Ernte ist groß<br />

Jesus sah die vielen Menschen in Not. Sie waren müde und erschöpft wie<br />

Schafe, die keinen Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist<br />

groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.<br />

Bittet <strong>als</strong>o den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte sende.<br />

Matthäus 9,36-38<br />

Schafe ohne Hirten- das ist ein trauriges Bild auch für uns Moderne: Viele<br />

kämpfen für sich allein, auch Paare sind bedroht, einen Egoismus zu Zweit zu<br />

leben. Wo ist Zusammenhalt und Füreinandereinstehen? Der Hunger nach<br />

Befreundung ist groß, wo aber ist gelebtes Gott- und Menschenvertrauen<br />

anfassbar? Wo sind die Arbeiter des Friedens? Bitten wir Gott um<br />

nächstenliebende Mitmenschen, bitten wir zugleich um eigene Verwandlung.<br />

Der gute Hirte Jesus will <strong>als</strong> gute Energie durch unsere Wünsche und Hände<br />

gehen.<br />

*<br />

Berufen zu Jüngern<br />

Jesus sandte seine Jünger aus und gebot ihnen: Geht hin zu den verlorenen<br />

Schafen aus dem Hause Israel und sprecht: Das Himmelreich ist nahe<br />

herbeigekommen.<br />

Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse<br />

Geister aus. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es weiter. Ihr sollt kein<br />

Geld bei euch haben, keine Taschen, nicht zwei Hemden, keine zwei Paar<br />

Schuhe, auch keinen Stock. Verlasst euch drauf: ein Arbeiter ist seinen Lohn<br />

wert.<br />

Wenn ihr in ein Haus geht, so grüßt es; und wenn es das Haus verdient, wird<br />

euer Friede auf sie kommen. Wenn euch jemand nicht aufnehmen und eure Rede<br />

231


nicht hören will, so geht weg von diesem Hause oder von dieser Stadt und<br />

schüttelt den Staub von euren Füßen.<br />

Siehe, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Darum seid klug wie<br />

die Schlangen und ohne F<strong>als</strong>ch wie die Tauben.<br />

Matthäus 10,5-16<br />

Ob das Auftrag an alle Christen ist? Jedenfalls fühlte sich die erste Jüngerschaft<br />

zur Wandermission in klarer Armut bestimmt. Die Jünger hatten was zu bieten.<br />

Sie hatten den Stoff der Glückseligkeit zu geben- wenn er denn gefragt war. Sie<br />

lehrten zu leben aus vollem Vertrauen in die Großzügigkeit Gottes. Man sollte<br />

meinen, Boten mit dieser Nachricht seien überall herzlich willkommen. Aber<br />

fast wir alle haben nahe am Misstrauen gebaut und sind skeptisch gegen<br />

Glücksversprechen, außerdem fürchten wir nichts mehr <strong>als</strong> die Armut.<br />

Franz von Assisi, der auch den Vögeln predigte, muss ein durch und durch<br />

argloser, engelhafter Mensch gewesen sein. Er muss sich vorgekommen sein,<br />

wie ein Schaf unter Wölfen. Wir Normalmenschen sind wohl mehr mal Schaf,<br />

mal Wolf. Klug und ohne F<strong>als</strong>ch zu sein, ist schon nah am Glück.<br />

Wenn ihr Rede und Antwort stehen sollt, dann sorgt nicht, was und wie ihr<br />

reden sollt. Gott ist es, der durch euch redet.<br />

Matthäus 10,19.20<br />

Das ist keine Anweisung an Prediger, unvorbereitet von der Kanzel strömen zu<br />

lassen, was eben ihnen einkommt. Gerade, wenn Menschen wissen, dass Gott<br />

sich ihrer bedient, sind sie zu besonderer Achtsamkeit verpflichtet. Auch<br />

Busfahrer fahren im Auftrag des Herrn und gerade darum hellwach. Prediger<br />

sollen „das Leben freischneiden“ (W. Benjamin), statt ausgiebig unsere<br />

Sackgassen zu beleuchten. „Aufgabe des Priesters ist es, daß er die Leute zu<br />

Gott bringe“ (M. Luther), nicht sie erbaulich zu unterhalten.<br />

Nur, wenn wir von innen erleuchtet sind, wir <strong>als</strong>o von Gott bespielt uns wissen,<br />

kann auch aus uns was schallen, das gottvoll ist. Aber Inspiration braucht eine<br />

Menge Transpiration. Dem alten Wort zu neuem Leben verhelfen - das ist aller<br />

Mühe wert.<br />

*<br />

Gott mehr gehorchen<br />

Meint ihr, spricht Christus, ich sei gekommen, Frieden zu bringen auf Erden?<br />

Ich sage euch: Nein, sondern ich bringe Zwietracht. Eltern und Kinder<br />

entzweien sich, Hausgenossen werden einander Feinde.<br />

Wer Vater und Mutter mehr liebt <strong>als</strong> mich, hat mich nicht verstanden. Und wer<br />

nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir nachfolgt, ist meiner nicht wert.<br />

Matthäus 10, 34-39<br />

232


Was alles ist uns wichtig? Erfolg, Wirkung, Aufmerksamkeit, Anerkennung,<br />

Macht, Attraktivsein, Geld? Das alles ist Jesus zweitrangig. Liebe, Freude,<br />

Teilen, Trösten, Einstehen für den Nächsten- das sind die Jesus-Werte. Damit<br />

ist Streit programmiert: In Ehen, wenn einer mehr „Brot für die Welt„ geben<br />

will <strong>als</strong> der andere; in der Politik, ob Flüchtlinge aus Nordafrika aufgenommen<br />

oder abgewiesen werden; in der Familie, wenn die Pflege der alt gewordenen<br />

Eltern nicht in gutem Einvernehmen gelingt. Wer den Eltern, dem Erfolg, der<br />

Karriere, dem Partner mehr gehorcht <strong>als</strong> seinem auf Christus ausgerichtetem<br />

Gewissen, der ist arm dran.<br />

Jeder muss sein Kreuz auf sich nehmen, seinem Wesen entsprechen, seine ihm<br />

zustehende Last tragen und darf sie nicht abschieben. Jeder kommt in seinem<br />

Leben an Kreuzwege, da muss er verzichten, um Verzeihung bitten, eine nicht<br />

gelingen könnende Liebe aufgeben.<br />

Nur Schwache treffen brutale und unvernünftig endgültige Entscheidungen.<br />

Jesus verlangt von keinem, Lebendiges abzuhacken.<br />

„Der Weg der Gottesgefolgschaft sieht häufig so aus, daß man andere Menschen<br />

ernährt, ärztlich versorgt und kleidet, daß man Leid und Tod fernhält und somit<br />

menschliches Gedeihen ermöglicht. Am Leben Christi ist das klar zu<br />

erkennen“(Charles Taylor).<br />

*<br />

Die große Einladung<br />

Christus spricht: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich<br />

will euch erquicken.<br />

Matthäus 11,28<br />

Jesu Ruf gilt besonders dem, der an seine Grenzen gekommen ist. In jungen<br />

Jahren müssen wir kämpfen und Beute machen, müssen Erfolg erwirken und<br />

was Eigenes erobern. Aber irgendwann schwinden unsere Kräfte. Dann offene<br />

Arme wissen, Freundesland, Friedensreich, Aufgerichtetwerden,<br />

Mitgenommenwerden zu neuen Ufern der Freude, der Liebe- das ist das Glück<br />

des Jesus. Er wird dich erquicken. Du wirst wieder angeschlossen an den<br />

Lebensstrom. Wisse dich in seiner Nähe, in seiner Aura, in seinem<br />

Schutzmantel. Du bist bei ihm geborgen, dem Heiland deiner Seele. Er ist dir<br />

nah, auch wenn du ihn abwehren solltest. Er schwingt in deinem Denkgebäude<br />

mit, auch wenn oberflächlich Zahlen und Termine den Gedankenraum füllen.<br />

Such die Menschen, in denen Christus dir sich nähern könnte.<br />

*<br />

233


Christus spricht: Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir, sanft und<br />

demütig zu sein- so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen; mein Joch ist sanft,<br />

und meine Last ist leicht.<br />

Matthäus 11,29.30<br />

Lasten haben wir alle, aber welche sind es wert, sie zu stemmen? Wir sind in<br />

Pflichten gespannt, aber wer hilft zu sortieren? Von Jesus lernen, heißt defensiv<br />

werden, sanft denken, Lücken lassen für die in Druck. Nicht siegen müssen aber<br />

auch nicht den Schluffen geben, nicht Held sein müssen aber auch nicht das<br />

Leben verschlafen. Getrosten Gewissens sein, klug und ohne f<strong>als</strong>ch (Matthäus<br />

10,16), Frieden bei sich haben und ausstrahlen.- Jesus konnte das. Wir müssen<br />

ihn uns <strong>als</strong> glücklichen Menschen vorstellen (Dorothee Sölle).<br />

*<br />

Das Gesetz ist für die Menschen da<br />

Einmal ging Jesus mit den Jüngern am Sabbat durch ein Kornfeld, und seine<br />

Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren zu pflücken und die Körner<br />

auszupulen und sie zu essen. Gesetzestreue sahen das und sprachen zu ihm:<br />

Deine Jünger tun Arbeit am Sabbat. Warum tun sie, was nicht erlaubt ist?<br />

Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist für den Menschen gemacht und nicht der<br />

Mensch für den Sabbat.<br />

Markus 2,23.24.27<br />

Die Sabbatruhe (Sonntagsruhe) wurde und wird bei Gesetzestreuen streng<br />

beachtet. Nichts darf man tun, was entfernt nach Arbeit aussieht. Eigentlich ist<br />

dies Gebot ja ein Freispruch, am siebten Tag der Woche feiern zu dürfen und in<br />

schönen Gedanken mit Gott verknüpft zu sein. Die Feiertagsruhe ist eine der<br />

ersten sozialen Gesetze der Menschheit. Dies Geschenk an die Menschen wurde<br />

aber in der Handhabung durch geistliche Aufseher zum eingezäunten Raum<br />

mit vielen geistlichen Pflichten. Jesus stellte die Verhältnisse vom Kopf wieder<br />

auf die Füße: Der schöne Sabbat und alle anderen Gebote sind für die Menschen<br />

gemacht, nicht der Mensch ist fürs Gehorchen gemacht. „Man darf am Sabbat<br />

Gutes tun“ (Matthäus12,12). Chatwin in „ Traumpfade“ erinnert daran, daß das<br />

Wesen der Gebote rettender Natur ist: „Nomos“- (das griechische Wort für<br />

Gebot) bedeutet auch „Weideland“ im Griechischen. Ein Nomade zieht von<br />

Weideland zu Weideland. Auch der Staat ist dienender Natur- die<br />

Gemeinschaftsmacht hilft hoffentlich zum größtmöglichen Glück der<br />

größtmöglichen Zahl, aber ist nichts von sich aus Heiliges.<br />

Das ganze Evangelium in einer Geschichte<br />

*<br />

234


Ein Gesetzeskundiger hatte Jesus zu Tisch geladen. Es gab aber im Ort eine<br />

Frau, die war <strong>als</strong> Hure verschrien. Sie vernahm, dass er dort war und sie ging<br />

hin mit einem Glas Salböl. Sie trat von hinten zu seinen Füßen, kniete nieder,<br />

weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres<br />

Hauptes zu trocknen und küsste seine Füße und salbte sie mit Öl.<br />

Lukas 7,36-38<br />

Eine Männerrunde- das geistliche Oberhaupt des Städtchens hatte seine Freunde<br />

zum Mahl gerufen. Und den Wanderprediger, der gerade großen Zulauf hat, lädt<br />

er hinzu, höflich, herablassend, neugierig. Eine Frau drängt sich von hinten an<br />

Jesus, der mit den andern wie üblich halb sitzend zu Tische lag. Oft gemalt ist<br />

diese Szene völliger Hellhörigkeit. Jesus ist in zwei Gespräche getaucht: Vorn<br />

ist er mit den Männern beschäftigt in gelehrtem und lautem Reden. Und hinter<br />

seinem Rücken lässt er die Frau gewähren, lässt sie sich ausweinen über seinen<br />

Füßen und ihr Werk der Liebe an ihm tun.<br />

Als das der Hausherr sah, sprach er zu sich selbst: Wenn dieser ein Prophet<br />

wäre, wüsste er, was für eine Frau das ist, die ihn anrührt. Jesus sprach zu ihm:<br />

Simon, ich habe dir etwas zu sagen.<br />

Lukas 7,39.40<br />

Auch an einer dritten Front ist Jesus geistesgegenwärtig: Er hört das innere<br />

Gespräch des Gastgebers mit: Das ist doch ein Skandal, dass Jesus die Frau<br />

nicht abwimmelt. Er müsste doch wissen... Weiss er es, und distanziert sich<br />

nicht, ist sein Ruf <strong>als</strong> Meister der Schrift beschmutzt. Weiss er aber nicht, wer<br />

sie ist, dann hat er sich entlarvt <strong>als</strong> Irrläufer. Und in beiden Fällen würde Simon<br />

blamiert sein, und hätte den Spott, wen er sich da denn eingeladen habe. Jesus<br />

hat wohl auf Simons Stirn dessen Argwohn geschrieben gesehen. Er spricht ihn<br />

direkt an.<br />

Simon, ich will dir was erzählen. Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. einer war<br />

fünfhundert Silberstücke schuldig, der andere fünfzig. Da sie aber nicht<br />

bezahlen konnten, erließ er es beiden. Sag, wer von ihnen wird ihn am meisten<br />

lieben. Simon antwortete: Ich denke der, der am meisten erlassen bekam. Und<br />

Jesus: Recht hast du geurteilt. Und nun:<br />

Sieh diese Frau. Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für<br />

meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen benetzt und mit<br />

ihren Haaren getrocknet. Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit<br />

ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. Du hast mein<br />

Haupt nicht gesalbt; sie aber konnte mit Salben gar nicht aufhören.<br />

Lukas 7, 41-47<br />

Höchst geschickt geht Jesus mit diesem Rechtschaffenen um, er führt ihn zur<br />

Erkenntnis seiner selbst. Simon sieht sich bei Gott und Mitmenschen wohl<br />

235


angesehen, er lebt ordentlich und geachtet. Er zensiert Menschen, sagt ihnen, wo<br />

es langgeht und was sich gehört. Und erhöht sich mit durch deren Herabstufung<br />

oder Belobigung.<br />

Er meint, keinem was schuldig zu bleiben und keinem was schuldig zu sein.<br />

Jeder bekommt, was er verdient- meint Simon; er bekommt ja auch genug<br />

Achtung und Privilegien- und dazu noch das Diplom, er sei im Himmel gut<br />

angeschrieben.<br />

Ganz anders dran ist die Frau. Sie ist bei den Ordentlichen verachtet. Sie wird<br />

ausgenutzt, wird irgendwie auch gebraucht, aber keiner will bei Licht ihre<br />

Gesellschaft. Doch sie spürt, da ist einer, der sie <strong>als</strong> Person wertschätzt. Sie<br />

nimmt Jesus Achtung an <strong>als</strong> Zeichen, dass ihr vergeben ist bei Gott.<br />

Ja, sie liebt Jesus, da hat Simon recht, und im „ehrenwerten Haus“ mag ihre<br />

Zuneigung ungehörig scheinen. Aber Jesus sieht die Bedürftigkeit dieser Frau;<br />

sie hungert nach Würde, sie will <strong>als</strong> Person bejaht sein.<br />

Klar, dass in der Beispielgeschichte der Schuldenerlasser mehr geliebt wird von<br />

dem, dem mehr Schulden erlassen sind. Dann ist es nur ein kurzer, steiler<br />

Erkenntnisschritt für Simon, sich selbst <strong>als</strong> wenig Liebenden zu erkennen.<br />

Simon braucht ja auch wenig Vergebung; er will Gottes Achtung, und ist sich<br />

der Anerkennung seiner Leistungen vor Gott gewiss. Während die Frau die<br />

Achtung <strong>als</strong> Zuschuss, <strong>als</strong> Geschenk braucht. Sie weiß sich vielgeliebt von Gott;<br />

Simon weiß sich geachtet, bestenfalls. Aber das reicht ihm. Simon weiß sich auf<br />

Augenhöhe mit Gott. Die Frau sieht sich <strong>als</strong> geliebte Tochter. Und aus<br />

Dankbarkeit liebt sie viele. Simon misst sich und vergleicht sich, Simon ist<br />

immer im Wettstreit mit anderen, muss immer der Erste sein- er führt ein<br />

anstrengendes Leben; eins, das auf den Herzinfarkt zutreibt. Es sei denn, er lernt<br />

von der Frau.<br />

Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in den Frieden!<br />

Lukas 7,50<br />

Die Frau dieser Geschichte hat keinen Namen. Doch unsere Phantasie wünscht<br />

sie an Jesu Seite. Eine Maria aus Magdala hatte Jesus von Besessenheit geheilt,<br />

die ist auch bei Jesu Tod und Begräbnis anwesend, ihr wird auch die<br />

anrührendste Begegnung mit dem Auferstandenen zugeschrieben ( bist du der<br />

Gärtner? Wo hast du meinen Jesus hingetan? Johannes 19,15). Jedenfalls hat<br />

diese unbekannte Frau den Jesus zärtlich geliebt- und man sollte ihr dankbar<br />

sein bei all dem barschen Umgang, dem Jesus oft ausgesetzt war.<br />

Romane und Filme dichten unserm Jesus eine Liebesgeschichte an, vielleicht<br />

mit heimlicher Ehe und Kind. Aber so gut wie sicher hat Jesus die einzige echte<br />

Alternative zur Ehe gelebt: er war mit vielen befreundet- und Ehe ist nun mal<br />

das exklusive Ja zu einem Menschen, das das Nein zu vielen anderen<br />

einschließt.<br />

In Frieden leben kann, wer liebt. Dazu muß er wissen, daß er geliebt ist, auch<br />

wenn er versagt und schuldig wird. Jesus sagt uns das auf den Kopf zu, massiert<br />

236


es uns in Herz und Sinn: „Du geliebt, gebraucht, geliebt, gebraucht:“ Unser<br />

Lieben ist immer nur Antwort, Echo, Reaktion auf Gottes großes Bejahen. Und<br />

die Frau hat Jesus <strong>als</strong> eine Verkörperung der Liebe Gottes genommen; sie hat<br />

dem Jesus die Vergebung abgeglaubt, sie glaubt sich geliebt, und liebt ihn<br />

zurück.<br />

Gutestun ist Folge und Wirkung von Beschenktsein und Begabtsein. Darum hat<br />

Jesus sicher nicht gesagt: “Ihr ist viel vergeben, weil sie viel geliebt hat“- so<br />

Lukas, der es f<strong>als</strong>ch verstanden haben muß. Jesus hat sicher, entsprechend der<br />

Geschichte von den zwei Schuldnern, es andersrum gesagt: Weil ihr viel<br />

vergeben ist, hat sie viel geliebt- entsprechend dem mehr verschuldeten<br />

Schuldner, der den Gläubiger mehr liebte, weil ihm mehr erlassen war.<br />

Und warum schreibt Lukas diese Geschichte so moralisierend um- oder hat sie<br />

aus der Gemeinde schon so verdreht aufgefangen? Für den Gesetzesglauben,<br />

dass Gott uns nach unsern Werken richten würde, hätte Jesus nicht zu kommen<br />

brauchen. Aber das Evangelium von der Liebe Gottes musste erst erblühen- und<br />

Paulus war der erste, der es auf den Punkt gebracht hat: Gott macht die<br />

Gottlosen gerecht (Römer 4,5).<br />

Doch schon bald schwang auch die Kirche wieder die Keule von Leistung und<br />

Moral, bis Martin Luther die Rechtmachung aus Gnade wiederentdeckte. Und<br />

sie muss immer wieder frisch gesagt werden, weil uns allen die<br />

Selbstgerechtigkeit im Blut liegt.<br />

Auch das kann man fragen: Warum steht der Satz des Lukas, der Jesu Botschaft<br />

auf den Kopf stellt, noch immer so in der Bibel?, Allermeist ohne eine<br />

Bemerkung. Es ist darum, weil das Moralisieren noch kein Ende hat.<br />

*<br />

Die Aussendung der Zwölf<br />

Jesus sandte seine Jünger aus und gebot ihnen: Geht hin zu den verlorenen<br />

Schafen aus dem Hause Israel und predigt: Das Himmelreich ist nahe<br />

herbeigekommen.<br />

Macht Kranke gesund, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt böse<br />

Geister aus, vergebt Sünden. Umsonst habt ihr's empfangen, umsonst gebt es<br />

auch weiter.<br />

Ihr braucht kein Geld unterwegs, keine Taschen. Ein Arbeiter ist seines Lohnes<br />

wert. Wenn ihr aber in ein Haus geht, so grüßt es; und wenn es das Haus wert<br />

ist, wird euer Friede auf sie kommen. Und wenn euch jemand nicht aufnehmen<br />

und eure Rede nicht hören will, so geht heraus aus diesem Hause oder dieser<br />

Stadt und schüttelt den Staub von euren Füßen.<br />

Siehe, ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe. Darum seid klug (wie die<br />

Schlangen) und ohne F<strong>als</strong>ch (wie die Tauben).<br />

Aus Matthäus 10,1-16<br />

Sicher schickte Jesus die Jünger schon mal während seiner irdischen Zeit los.<br />

237


Wahrscheinlich aber ist hier einer der Missionsbefehle des Auferstandenen<br />

wiedergegeben- und zwar ein früher an die Jerusalemer Urgemeinde, der<br />

zunächst nur Israel im Blick hatte. Jedenfalls betraut Jesus die Jünger mit jener<br />

Vollmacht, wie sie ihm auch zu Gebote stand. Und auch wir sollen Segen<br />

ausrichten und heilen, so gut wir können.<br />

Die ersten christlichen Missionare waren tatsächlich arm, doch ihre<br />

Sorgelosigkeit sprach für ihren Glauben. „Klug und ohne F<strong>als</strong>ch“ – ist ein<br />

starkes ethisches Programm; damit ist man voll beschäftigt. Es gibt z.B. auf,<br />

selektiv authentisch zu sein- <strong>als</strong>o echt und wahrhaftig, aber nicht zu jeder Zeit<br />

muss alles auf den Tisch.<br />

Und wenn sie euch vor Gericht ziehen, zersorgt euch nicht, was ihr reden sollt-<br />

eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet.<br />

Matthäus 10,18f<br />

Jesus sieht seine Jünger und uns so innig an Gott angeschlossen, daß wir nicht<br />

alleine sind, wenn wir Rede und Antwort stehen über unsern Glauben. Gott<br />

redet durch uns. Das fordert starke Verantwortung, Wachheit, auch sorgfältige<br />

Vorbereitung (z. B. von Predigern), und im Kern die Zuversicht, daß, wo du<br />

dein Herz zerfetzt, kein leeres Stroh bei rauskommt.<br />

*<br />

Frauen versorgten Jesus<br />

Es gingen mit ihm die Zwölf, dazu einige Frauen, die er gesund gemacht hatte<br />

von bösen Geistern und Krankheiten, und viele andere, die ihnen dienten mit<br />

ihrer Habe.<br />

Lukas 8,1-3<br />

Es gibt eine wehmütige Mitteilung des Jesus: „Die Füchse haben Gruben, aber<br />

der Menschensohn hat nichts Eigenes, wohin er sein Haupt legen könnte“<br />

(Matthäus 8,20). Jesu Heimat ist das Reich-Gottes-Projekt- die befreundete<br />

Menschheit in einer befriedeten Umwelt. Das schließt Riesenreichtum und<br />

nackte Armut aus: Jeder gebe so viel er kann und nehme, soviel er braucht– und<br />

dies aus freien Stücken. Eigenliebe und Nächstenliebe sind die zwei Seiten einer<br />

Medaille. ( Dieser christliche Liebeskommunismus gelang wohl kurze Zeit in<br />

der Urkirche- Apostelgeschichte 2,45 erzählt davon)<br />

Aber noch sichern sich die Stämmigen mehr; die Friedfertigen und Wehrlosen<br />

müssen mit Geringem auskommen. Arm dran sind die, die auf der Straße hausen<br />

müssen - sie sollten nicht verherrlicht werden. Auch Jesus preist die<br />

Mittellosigkeit nicht. Aber er kommt zurecht mit dem, was sich bietet. Er<br />

arbeitet auch und zwar intensiv- Menschen Hoffnung machen und ihnen<br />

Selbstbewusstsein unter die Flügel geben, das ist harte Arbeit. Und die findet<br />

ihren Lohn. Jesus mit seinen zwölf nächsten Freunden - sie müssen nicht darben.<br />

238


Einige wohlhabende Frauen kümmern sich um deren leibliches Wohl. Gut, daß<br />

die junge Kirche dieses Detail verwahrt: Es ehrt die Frauen und wehrt dem Bild<br />

vom großen Verzichtenden. Jesus lebt gern und isst auch gern. Er fordert keine<br />

Askese. Er gönnt von Herzen.<br />

*<br />

Geschlossene Gesellschaft oder offenes Haus?<br />

Christus spricht: Wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich; und wer nicht mit mir<br />

sammelt, der zerstreut.<br />

Matthäus 12,30<br />

An anderer Stelle sagt Christus: Wer nicht gegen uns ist, ist für uns.<br />

Markus 9,40<br />

Hier sind die Überschriften zweier Sorten Kirche: Die exklusive, elitäre,<br />

rigorose, fundamentalistische, dogmatische Sorte, und die einladende,<br />

freundschaftliche, großmütige. Die eine Sorte Kirche schließt viele aus, die<br />

andere lädt viele ein. Die eine macht die Zugehörigkeit abhängig von<br />

Gehorsam, Unterwerfung und Glauben an die besonderen Amtsgnaden der<br />

Kirchen- Hierarchie. Die andere freiheitliche Sorte setzt auf Gottesnähe jeder<br />

Menschenseele, auf Liebenwollen und Eigenverantwortung. Die eine setzt auf<br />

großen Glauben, die andere auf den großen Gott.<br />

Noch ist Kirche durchwachsen. Auch die liebevolle Kirche braucht Grenzen;<br />

auch die Kirche voller Ordnung hat liebenswerte Züge. Hauptsache, beide<br />

Kirchenstränge bleiben zusammen.<br />

*<br />

Wir auch gutes Land<br />

Jesus sprach: Stellt euch einen Sämann vor, der säte.<br />

Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg; da kamen die Vögel und fraßen es.<br />

Einiges fiel auf felsigen Boden, wo es nicht genug Erde hatte und es verdorrte.<br />

Einiges fiel unter die Dornen; und die Dornen erstickten es.<br />

Aber ein Teil fiel auf gutes Land und trug Frucht, einiges dreißigfach; einiges<br />

sechzigfach; einiges hundertfach. Wer Ohren hat, der höre!<br />

Matthäus 13,1-9<br />

Wir selber sind viererlei Acker. Das Saatgut, das in uns Frucht bringen soll, ist<br />

das Wissen: Gott liebt dich und braucht dich. Bleibt es oberflächlich, fressen es<br />

die Sorgenvögel weg. Oder die Unruhe, zu versäumen, verbrennt das Hinfühlen<br />

zu Gott; oder die Dornen der Ichsucht kippen die innere Balance von Geben und<br />

Nehmen.<br />

Aber wenn das Wissen „Gott liebt mich und braucht mich“ in mir aufgeht, dann<br />

wächst ein herrliches Selbstbewusstsein: Gefühlsmäßig kann ich<br />

239


widerstandsfähig werden, ich gewinne bessere Selbstkontrolle und meine<br />

Zuversicht wächst, dass es gut wird, auch durch mich.<br />

Erstaunlich, daß der Sämann (Gott) soviel daneben sät. Aber auch wir<br />

Schwierigen, in denen viel missrät, können uns noch eines Besseren belehren.<br />

Auch die Dornen der Sorge können noch Rosen bringen, Auch durch den<br />

Asphalt kann das Korn des guten Wortes durchbrechen. Und noch die Vögel der<br />

Ichsucht sollen leben; werden sie doch durch die Ichsucht der Konkurrenz in<br />

Schach gehalten.<br />

Gott hat genug gute Nachricht, und sie vervielfältigt sich üppig- auch durch<br />

dich. Im Ganzen gelingt viel mehr Evangelium <strong>als</strong> Horrormeldungen, gelingen<br />

auch wir Menschen Ihm mehr <strong>als</strong> es scheint, im Ganzen gelingt viel mehr Gutes<br />

<strong>als</strong> Schlechtes.<br />

*<br />

Vom Gelingen des Lebens<br />

Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen<br />

aufs Land wirft, und schläft und steht auf und geht seiner Arbeit nach. Unterdes<br />

geht der Same auf und wächst - der Mensch weiß nicht wie. Von selbst bringt<br />

die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen<br />

in der Ähre. Dann ist die Ernte da.<br />

Markus 4,26-29<br />

Der Samen wird zur Frucht und geht den Weg zur Ernte, weil in den Samen die<br />

Fähigkeit, Frucht zu bringen, gelegt ist. Auch unser Leben gelingt, wenn wir nur<br />

das Selbstverständliche, das in uns Gelegte, geschehen lassen: annehmen,<br />

lernen, arbeiten, teilen, geschickt einem Werk dienen. Es gehört zu uns, dass wir<br />

einmal geerntet werden und die Garben, die Beute unseres Ichs, Gott bringen.<br />

Wir tun „von selbst“ das Richtige, wenn wir säen, schlafen, aufstehen und uns<br />

geschehen, uns wachsen lassen. Dabei -das Korn wächst nicht schneller, wenn<br />

man es zupft. „Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein, lässt Gott<br />

sich gar nichts nehmen“ (EG 361,2) - Tu das Nötige und danke Gott für den<br />

Tag, und morgen, wenn dir ein neuer zuwächst, nimm ihn lustvoll an.<br />

*<br />

Bös und gut<br />

Jesu sprach: Das Himmelreich gleicht einem Menschen, der guten Samen auf<br />

seinen Acker säte. Als aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte<br />

Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. Als nun die Saat wuchs und<br />

Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut.<br />

Da traten die Knechte zum Herrn und sprachen: Hast du nicht guten Samen auf<br />

deinen Acker gesät? Woher hat er dann das Unkraut?<br />

240


Er sprach zu ihnen: Das hat ein Feind getan. Da sprachen die Knechte: Willst<br />

du, dass wir es ausjäten? Er sprach: Nein! Damit ihr nicht zugleich den Weizen<br />

mit ausreißt, wartet bis zur Ernte.<br />

Matthäus 13,24-29a.<br />

Dies unscheinbar klingenden Gleichnis stellt Weichen: Gut und Böse sollen jetzt<br />

beieinander bleiben. Wenn wir können, sollen wir Gutes tun und zwar möglichst<br />

viel, um so das Böse einzudämmen. Aber die Übeltäter ausrotten- das geht nicht.<br />

Auch Gefangensetzen ist Gewalt der Mehrheit, ist bittere, hilflose Notwehr<br />

derer, die mehr vom Recht haben <strong>als</strong> die, die es brechen.<br />

Statt das Böse auszugrenzen, sollen wir mit ihm zurechtkommen. Denn wohl<br />

keiner ist gern bös. Und sind nicht alle Bösen bösgemacht? Und brauchen so<br />

viel Liebe. Keiner hat sich selbst erschaffen. Keiner ist fertig, so wie er ist.<br />

In Matthäus 13,28 sagt Jesus: Das hat ein „Feind-Mensch“ getan. Warum schon<br />

Luther das griechische Wort anthropos (Mensch) unübersetzt fortlässt, ist nicht<br />

klar. Vielleicht ließ er in dem geheimnisumwitterten Feind des Hausherrn noch<br />

Platz für die teuflische Phantasiegestalt. Doch Jesus sagt: Das hat ein Feind-<br />

Mensch getan. Gemeint ist doch die böse Kraft im Menschen, die gott- und<br />

lebensfeindlich ist. Die aufspringt, wenn wir nicht wachsam sind und Böses sät,<br />

das erst wie gut aussieht. Wir sind gut- bös, bös-gut, und sollen aufpassen, dass<br />

uns das Böse nicht überflutet, sondern wir es beherrschen (1. Mose 4,7).<br />

Ausrotten können wir es nicht. Das wird einmal Gott selber machen.<br />

*<br />

Aus klein wird groß<br />

Das Himmelreich gleicht einem Senfkorn, das einer auf seinen Acker säte; es ist<br />

das kleinste unter allen Samenkörnern; wenn es aber gewachsen ist, so ist es<br />

größer <strong>als</strong> alle Kräuter und wird ein Baum, sodass die Vögel unter dem Himmel<br />

kommen und wohnen in seinen Zweigen.<br />

Das Himmelreich gleicht einem Sauerteig, den eine Frau nahm und unter das<br />

Mehl mengte, bis es ganz durchsäuert war.<br />

Matthäus 13,31-33<br />

Jesus ging immer wieder gegen den Pessimismus der Mitmenschen an. Schon<br />

wahr: Noch ist nicht genug Glück, Freude, Liebe unter den Menschen. Aber es<br />

ist doch ein Anfang. Und jedes neugeborene Kind ist ein Ruck nach vorn, weil<br />

es so viel Hoffnung mitbringt und mobilisiert. Es kommt auf den Glauben, auf<br />

die Sichtweise an: geht alles den Bach runter oder ist alles im Werden?<br />

Jesus setzt auf eine Werdewelt. Sind die Anfänge noch so brüchig, Gott betreibt<br />

sein Reich. Und weil Gott der Betreiber ist, wird das Werden vollendet. Es ist<br />

wie bei einem Baum- später wird er riesig. Und es ist wie mit dem Mehl. Ein<br />

kleiner Zipfel Sauerteig macht das ganze Brot wunderbar geschmackvoll. Also<br />

setzen wir auf Heilwerden des Lebens und wirken daran mit.<br />

241


*<br />

Alles auf eine Karte<br />

Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch<br />

fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er<br />

hatte, und kaufte den Acker.<br />

Das Himmelreich gleicht einem Kaufmann, der gute Perlen suchte,<br />

und <strong>als</strong> er die kostbare Perle fand, ging er hin und verkaufte alles, was er hatte,<br />

und kaufte sie.<br />

Matthäus 13,44-46<br />

Gott liebt dich und braucht dich- das sei dein Heilswort. Da setz alles drauf. Das<br />

nimm <strong>als</strong> Basis deines Denkens. Dafür lass alles fahren dahin. Dafür geh jede<br />

Wette ein: Du, Himmelreichbauer, du zukunftssüchtiges Glückskind, was auch<br />

geschieht, du in Gottes Hand. Das hilft dir sortieren. Nicht Geldmachen sondern<br />

Freudemachen, nicht Machtvermehrung sondern mehr Verstehen ist dein<br />

Anliegen. Man muss sich den mit dem Schatz, den mit der Perle <strong>als</strong> glücklichen<br />

Menschen vorstellen.<br />

*<br />

Die Heilung eines Kranken am Teich Betesda<br />

In Jerusalem ist ein Teich, der heißt Betesda. Dort liegen in fünf Hallen viele<br />

Kranke, Blinde, Lahme, Ausgezehrte. Und ein Mensch lag schon achtunddreißig<br />

Jahre krank.<br />

Als Jesus ihn sah, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden? Der Kranke<br />

antwortete ihm: Herr, ich habe keinen Menschen, der mich in den Teich bringt,<br />

wenn das Wasser sich bewegt; wenn ich hinkomme, so steigt ein anderer vor mir<br />

hinein.<br />

Jesus spricht zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Und sogleich wurde<br />

der Mensch gesund.<br />

Aus Johannes 5,1-9<br />

Dass man 38 Jahre lang nicht das rettende Wasser erreicht, könnte auch daran<br />

liegen, daß man nicht gierig gesund werden will. Es gibt auch einen<br />

„Krankheitsgewinn“, man kann seine Krankheit auch einsetzen <strong>als</strong> Hebel zur<br />

Macht.<br />

Diesem Kranken mutet Jesus gut was zu: Nimm dein Bett und lauf! Jesus geht<br />

mit dem Kranken um, <strong>als</strong> wäre er schon gesund und <strong>als</strong> hätte er nur zufällig<br />

vergessen, aufzustehen. Der Kranke steht und geht und packt sich sein Bett auf.<br />

Manche Krankheit ist ja auch Ausdrucksmittel für einen seelischen Schaden.<br />

Was mir fehlt, ich muss es finden, damit Kraft und Gesundheit zurückkehren<br />

können.<br />

242


*<br />

Die Speisung der Fünftausend<br />

Viel Volk war Jesus aus den Städten gefolgt. Und er litt mit unter ihren Leiden<br />

und manche konnte er heilen. Am Abend traten seine Jünger zu ihm und sagten:<br />

Die Gegend ist öde und die Nacht bricht herein, schick das Volk nach Hause,<br />

damit sie an Essen kommen.<br />

Aber Jesus sprach zu ihnen: Es ist nicht nötig, dass sie fortgehen; gebt ihr ihnen<br />

zu essen. Sie sprachen zu ihm: Wie das? Wir haben zusammen nichts <strong>als</strong> fünf<br />

Brote und zwei Fische.<br />

Und er sprach: Bringt sie her! Und er ließ das Volk sich lagern und nahm die<br />

fünf Brote und die zwei Fische, sah auf zum Himmel, dankte und brach das Brot<br />

und gab es den Jüngern, und die Jünger gaben das Brot dem Volk. Und sie aßen<br />

alle und wurden satt und sammelten noch körbeweise auf, was übrig blieb. Die<br />

aber gegessen hatten, waren etwa fünftausend Menschen.<br />

Matthäus 14,13-21<br />

Die Speisung der Fünftausend ist ein leuchtendes Bild des<br />

menschenfreundlichen Gottes in Gestalt des Jesus. Gott gibt nicht nur gute<br />

Gedanken sondern auch gutes Materielles in Fülle. Jesus lehnt es zwar ab,<br />

„Brotkönig“ zu werden; er heilt und speist nicht am laufenden Band. Er will vor<br />

allem die göttlichen Kräfte in uns freilegen und anfeuern. Wenn wir<br />

zusammenlegen, ist genug für alle da. Es kommt auf den Herzenswillen an, Gott<br />

beizustehen.<br />

Sicher konnte Jesus auch Brot vermehren. Wenn er schon unser Lieben<br />

vermehren kann, ist doch Brot vervielfältigen, ein Klacks. Ob es so viel auf<br />

einmal war, ist offen. Aber Menschen sollen nicht hungrig bleiben- es kommt<br />

die Zeit der Fülle für alle. Diese Fülle fängt mit Jesu Hiersein schon an. Das<br />

Reich Gottes ist im Kommen- dafür sind Jesu Wunder und unsere heilsamen<br />

Taten Wegmarken.<br />

Die Liebe wird mehr, wenn wir sie teilen. Auch wenn zwei sich lieben, mehrt<br />

das den Energiehaushalt, die beiden werden gütiger und freundlicher, ja auch<br />

frömmer. Hoffentlich erleben wir sie noch, die wunderbare Liebesvermehrung.<br />

*<br />

Jesus geht auf dem Meer<br />

Jesus blieb wieder mal allein auf einem Berg und betete. Am Abend waren die<br />

Jünger schon mit dem Boot vorgefahren, sie waren schon weit von Land. Da,<br />

gegen Morgen, kam Jesus ihnen auf dem See entgegen.<br />

Und <strong>als</strong> ihn die Jünger auf dem See gehen sahen, erschraken sie und riefen: Es<br />

ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. Aber sogleich redete Jesus mit ihnen<br />

und sprach: Seid getrost, ich bins; fürchtet euch nicht!<br />

243


Matthäus 14,22-27<br />

Vom Meer, das Planken hat für Jesus, gibt es viele Legenden. Der Kern ist, dass<br />

nichts uns scheiden kann von der Liebe Gottes, nichts die Jünger scheiden kann<br />

von ihrem Jesus, außer der Angst, sie seien geschieden.<br />

Wenn Gott den Jesus von den Toten auferwecken kann, dann kann er auch eine<br />

Welt erschaffen und kann auch Jesus über Wasser halten- wenn’s denn sein<br />

muß, keine Frage. Dazu braucht er nicht physikalische Gesetze außer Kraft zu<br />

setzen. Darum taugt die Geschichte auch nicht, um Jesu Himmelskräfte zu<br />

beweisen.<br />

Aus dem Erschreckenden heraus spricht Jesus uns an: „Fürchte dich nicht. Ich<br />

bins.“ Das wäre die Rettung- das Grauen <strong>als</strong> Anfang der Erlösung zu sehen. In<br />

die Zukunft sehen, nicht wie in eine Geschützmündung sondern in Jesu Antlitz<br />

sehen- das zieht nach vorn.<br />

Petrus aber antwortete Jesus und sprach: Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir<br />

zu kommen auf dem Wasser. Und er sprach: Komm her! Und Petrus stieg aus<br />

dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu. Als er aber den<br />

starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, hilf mir!<br />

Jesus streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: Du<br />

Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt? Und sie traten in das Boot und der<br />

Wind legte sich.<br />

Matthäus 14,28-32<br />

Petrus hat das leuchtende Antlitz des Christus vor sich. Hol mich zu Dir- sagt<br />

er. Jesus sagt: Komm. Und Petrus tritt aus dem Schiff, dem halbwegs sicheren<br />

Boden, tritt ins Leere, betritt die Angst- wissend: er ist gehalten. Es ist ein<br />

Vertrauenswissen, nicht ein Beweiswissen. Aber <strong>als</strong> er den Blickkontakt mit<br />

dem leuchtenden Christus verliert, weil die Wellen ihn bannen, da trägt der<br />

Glaube nicht mehr.<br />

Die Macht, geschätzt zu werden und gehalten zu sein, muss innen blühen.<br />

Deine Engelskräfte musst du wissen. Du hast es schon erlebt, dass Frieden<br />

dich trug.<br />

*<br />

Von Frauen lernen<br />

Und eine kanaanäische Frau schrie Jesus an: Ach Herr, du Sohn Davids,<br />

erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.<br />

Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm und drängten<br />

ihn: Fertige sie ab, sie schreit uns nur nach.<br />

Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen<br />

des Hauses Israel.<br />

244


Sie aber fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete: Es ist<br />

nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.<br />

Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die von<br />

ihrer Herren Tisch fallen.<br />

Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe,<br />

wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.<br />

Matthäus 15,21-28<br />

Möglich, daß Jesus zunächst exklusiv und eng zugunsten von Israel gedacht hat.<br />

Vielleicht sah er sich erst nur zu Israel gesandt. Die Heilsausstrahlung für die<br />

ganze Menschheit hat wohl erst Paulus erkannt und damit die Menschheit bis<br />

heute erleuchtet. Und doch ist auch Jesu Verständnis von der Liebe Gottes schon<br />

allumfassend. Mag sein, die kanaanäische Frau half ihm auf die Sprünge. Drei<br />

Anläufe, drei Bittanstrengungen bringt sie vor. Jesu barsch klingender Verweis-<br />

das Brot wirft man auch nicht vor die Hunde- nimmt sie hellsichtig und demütig<br />

zugleich auf. „Einige Bröcklein fallen doch ab, Herr… „. Jesus freut sich am<br />

Zutrauen und der Klugheit dieser Frau. Er lernt von ihr und gibt ihr Recht. Das<br />

Bedürftigsein- hier die Seelenkrankheit der Tochter- lässt der Frau ja gar keine<br />

andere Wahl, <strong>als</strong> sich an Gott, bzw. den greifbaren Gotteszeugen zu wenden.<br />

Die Jünger wollten sie nur los sein.<br />

Es sind fast immer Frauen, mit denen Jesus in tiefe Gespräche taucht.<br />

*<br />

Jesus macht lebendig<br />

Jesus Christus spricht: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den<br />

wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.<br />

Johannes 6,35<br />

Für den Bauch sind Kalorien nötig, für den Geist ist Würde nötig. Jesus nährt<br />

uns mit Selbstbewusstsein. Er flößt uns Ichstärke ein. Er verteilt die intensivste<br />

Lebenskraft- sie kommt vom Himmel her: Wir sind Brüder und Schwestern des<br />

Gottessohnes, <strong>als</strong>o auch Gottes Kinder, sind Mit- teilhaber seiner Vollmacht.<br />

Wir sind Mitschöpfer, etwa <strong>als</strong> Eltern; sind Freudenanfacher, etwa <strong>als</strong> Liebende,<br />

sind Freisprecher <strong>als</strong> Vergebende, sind Mitheilende <strong>als</strong> Fürbittende, sind<br />

Versöhnende in Gottes Namen <strong>als</strong> Friedenstiftende, sind Engel <strong>als</strong> Teilende.<br />

Und das alles, weil wir von Jesus Christus Gottesbewusstsein übernehmen und<br />

uns von seinem Gottvertrauen mit tragen lassen.<br />

*<br />

Christus spricht:<br />

Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Wenn ihr mich erkannt habt, so<br />

werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Philippus spricht zu ihm: Zeig uns den<br />

245


Vater. Jesus spricht: Wer mich sieht, der sieht den Vater. Wer an mich glaubt,<br />

der wird die Werke auch tun, die ich tue und noch größere.<br />

Aus Johannes 14,6-12<br />

Wie ist Gott <strong>als</strong> Vater zu erkennen? In Natur und Geschichte begegnet uns eine<br />

gigantische Macht. Die Sonne und die Erdbeben, das Zurweltkommen der<br />

Kreaturen und das Fressen und Gefressenwerden, Kriege und Sterben- sind alles<br />

Wirkungen der Schöpfungsmacht. Aber worin offenbart er sich <strong>als</strong> „Liebhaber<br />

des Lebens“ (Weisheit11,28)? Wie zeigt er sich mir <strong>als</strong> liebevoll, wie erwählt er<br />

mich zu seinem Eigenen, wie geht er mit mir durchs finstere Tal? Christus sagt,<br />

Sieh mich an, glaub dich von mir erwählt, sieh mich an deiner Seite in den<br />

Mühen. Und halt zusammen mit denen, die ihr Leben mir nach leben. Nimm das<br />

Lieben der Mitmenschen <strong>als</strong> meine Wahrheit, nimm auch dein Lieben <strong>als</strong><br />

Mitfühlen des ganzen Schöpfungsleibes. In deiner Barmherzigkeit schaff der<br />

Welt ein kleines Atemschöpfen. Jesus lebt mit dir, in dir, die Gerechtigkeit und<br />

die Unsterblichkeit, die Gott mit der Welt im Ganzen vorhat.<br />

*<br />

Der verdorrte Feigenbaum.<br />

Und es hungerte Jesus. Er sah einen Feigenbaum und schaute, ob er etwas<br />

darauf fände. Er fand aber nichts <strong>als</strong> Blätter; denn es war nicht die Zeit für<br />

Feigen. Da sprach Jesus zu dem Baum zornig: Nie mehr esse auch nur einer von<br />

dir in Ewigkeit! Und seine Jünger hörten das.<br />

Markus 11, 12-15<br />

Eigenartig: Unser Herr im Jähzorn. Das passt gut zu seinem Wort: Niemand ist<br />

gut außer Gott (Markus 10,18). Zum Unbeherrschtsein kommt noch<br />

Unwissenheit hinzu. Einsilbig dann auch der Tadel: Es war keine Erntezeit.<br />

Selbst die Jünger konnten seiner Verfluchung keinen Sinn abgewinnen. Sie<br />

hörten das, kopfschüttelnd wohl. Manches muß man stehen lassen.<br />

Das konnten die Christen der nächsten Generation nicht. Matthäus baut aus der<br />

Geschichte ein Paradebeispiel für Gebet- und Verfluch-Erhörung. Betet, so<br />

geschiehts!<br />

Kann das gehen- ohne den Filter: „Dein Wille geschehe“. Oder das herrliche :<br />

„Zersorgt euch nicht. Gott weiß, was ihr braucht!“ Eigentlich braucht ihr nicht<br />

zu beten. aber macht ruhig (Matthäus 6,8). Jesus wagt so zu sein, wie er gerade<br />

ist. Er weiß: Gott wird damit fertig, er kennt seine(n)…und jetzt setz deinen<br />

Namen ein.<br />

Vom unehrlichen Verwalter<br />

Jesus sagte ihnen ein Gleichnis: Es war ein reicher Mann, der hatte einen<br />

Verwalter. Über ihn wurde dem Herrn hinterbracht, er verschleudere seinen<br />

*<br />

246


Besitz. Der Herr ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Gib Rechenschaft über deine<br />

Verwaltung; deine Tage in meinen Diensten sind gezählt.<br />

Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir<br />

das Amt; graben kann ich nicht, zu betteln schäme ich mich.<br />

Ich muss etwas tun, was sie mir verpflichtet, auch wenn ich das Amt nicht mehr<br />

habe.<br />

Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte<br />

den ersten: Wie viel bist du schuldig? Er sprach: fünfzig Fässer Öl. Und er<br />

sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, und schreib schnell fünfzig. Dann<br />

fragte er den zweiten: Wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack<br />

Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.<br />

Und so ähnlich machte er es mit einer ganzen Reihe von den Schuldnern seines<br />

Herrn.<br />

Und Jesus lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte. Denn,<br />

sagte Jesus, die Kinder dieser Welt sind unter ihres gleichen klüger <strong>als</strong> die<br />

Kinder des Lichts.<br />

Und zu anderer Gelegenheit sagte Jesus: Macht euch Freunde mit dem<br />

ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die<br />

ewige Heimat.<br />

Lukas 16,1-9<br />

Wir sollen Klugheit lernen von den Lebensgeschickten: Sie nutzen die<br />

Gelegenheiten, sie wahren ihre Vorteile. Sie achten auf die Zeit; sie wissen, was<br />

dran ist. Sie können ihre Chancen abmessen. Und wenn sie wissen, das Geschäft<br />

geht den Bach runter, dann buchen sie um, transferieren auf andere Konten,<br />

machen sogar Schulden zugunsten einer sonnigen Zukunft.<br />

Sind wir nicht alle geschickt, und achten darauf, dass was übrig bleibt für uns?<br />

Jesus, beurteilt das nicht- er will uns nur sagen: Um euren Vorteil zu sichern<br />

seid ihr scharfsichtig- und für das Ganze seid ihr so blind. Denkt doch wirklich<br />

mal an eure wahren Interessen. Ihr wollt doch Gott gefallen, wollt mal genug<br />

Gutes getan haben. Euer Hiersein soll sich doch gelohnt haben- <strong>als</strong>o investiert in<br />

eure Zukunft. Legt euer Geld in gute Taten an. Macht euch Freunde mit dem<br />

blöden Geld- es ist zum Glücklichmachen da. Und „ungerecht“ bleibt es immer,<br />

wenn es nicht unterwegs ist, Gutes zu tun. Mit wieviel Leid ist jeder Euro in<br />

meiner Tasche versehen, solang ich ihn für mich behalte.<br />

Jesus lobt nicht den Betrug sondern die Hellsichtigkeit des Gauners.<br />

*<br />

Drängt die Trägen<br />

Er sagte ihnen ein Gleichnis. Es war ein ungerechter Richter, der fürchtete sich<br />

nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.<br />

247


Es kam aber eine Witwe zu ihm und bedrängte ihn: Schaffe mir Recht gegen<br />

meinen Widersacher!<br />

Und er wollte lange nicht. Dann aber dachte er bei sich selbst: Ich will ihr Recht<br />

schaffen, damit sie nicht noch komme und mir ins Gesicht schlage.<br />

Und Jesus weiter: Wenn der ungerechte Richter sich schon belehren läßt, sollte<br />

Gott da nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und<br />

Nacht rufen? Sollte er’s bei ihnen lange hinziehen? Ich sage euch: Er wird euch<br />

Recht schaffen in Kürze.<br />

Lukas 18,1-8<br />

Wenn schon eine resolute alte Dame einen faulen Richter dazu bringen kann,<br />

sich ihres Falles anzunehmen- und wenn er nur den Skandal scheut, daß eine<br />

wütende Frau mit der Handtasche auf ihn einschlägt- <strong>als</strong>o wenn er sie erhört,<br />

nur um bald wieder seine Ruhe zu haben - um wieviel schneller wird Gott euch<br />

erhören; Er, der euch beisteht, weil er euch liebt!<br />

Also betet, nicht um zu bedrängen, sondern um euch im Gespräch mit Gott zu<br />

wissen. Ihr habt ihn <strong>als</strong> euren ständigen Begleiter bei euch. Und nehmt jede<br />

Lage <strong>als</strong> Bitte und Antwort zugleich. Es kann nicht sein, daß Gott schläft oder<br />

sich die Ohren verstopft vor euch Drängenden. Er ist mit euch auf der Höhe<br />

eurer Situation. Und ist schon dabei, die missliche Lage zu wenden, weil er<br />

Heiler aller Gebrechen ist. Aber manches müssen wir dulden, weil Gott es auch<br />

dulden muss und dabei es austrägt.<br />

Jesu Geschichte lehrt auch, daß wir bitten und drängen und auf die Nerven<br />

gehen sollen wenn Not ist. Manch einer muss erst wachgerüttelt werden.“ Um<br />

ihres unverschämten Geilens willen“(Martin Luther) bequemte sich der Richter,<br />

an die Arbeit zu gehen. Wir sollen uns mühen um Gehör, wenn es um unser und<br />

anderer Glück geht. Dies Drängen hilft ja auch Gott, ein Leid zu wenden mit<br />

Hilfe der Helfer. Also Gott bitten und Menschen.<br />

*<br />

Der talentierte junge Mann<br />

Einer trat zu Jesus und fragte: Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige<br />

Leben habe? Er sagte: Was fragst du - halte die Gebote. Der junge Mann darauf:<br />

Die hab ich gehalten von Jugend auf.<br />

Und Jesus: Willst du vollkommen sein, willst du ganz sein, so verkaufe, was du<br />

hast, und gibs den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben; und<br />

komm und folge mir nach!<br />

Als der Mann das hörte, ging er traurig davon; denn er hatte viele Güter.<br />

Matthäus 19,16-22<br />

Hätte der Kerl doch geschwiegen. Die Zehn Gebote halten inklusive „Liebe<br />

deinen Nächsten wie dich“, heißt doch, ein intensives Leben führen in Richtung<br />

ewiges Leben. Da hebt schon mitten im Tun Ewiggütiges an, nicht erst<br />

dermaleinst. Sondern Hiersein ist voller blühender Anfänge.<br />

248


Und man ist völlig damit beschäftigt, sich dem Irdischen zu widmen, ohne<br />

dessen Knecht zu werden; Heiliges nicht missbrauchen und Eltern ehren <strong>als</strong> die<br />

ersten Mitarbeiter Gottes und nicht töten sondern Lebendigkeit fördern und:<br />

Liebe! Und schütze Ehen; und die Ehre eines jeden Wesens fördere und das<br />

Eigene betreibe ohne dem Andern etwas zu entwenden.- Das ist doch<br />

unerschöpflich. Wie kann der Mensch müde abwinken? Als wären die Gebote<br />

nebenbei zu erledigen.<br />

Da aber macht Jesus mächtig Dampf: Willst du ganz mit dir im Reinen sein,<br />

dann lass alles los. Und überlass dich ganz der Gnade und Forderung des<br />

Augenblicks.<br />

Aber so ausgeliefert an den Tag sein- das bringen nur wenige zustande. Viele<br />

sind notgedrungen dicht an dicht mit dem Verzicht. Aber dies freiwillig auf sich<br />

zu nehmen, dazu muss einen der Ruf treffen. Sonst soll man dem Herrn dienen<br />

mit den Gaben, die man empfangen hat. Da hat die Welt meist mehr von, <strong>als</strong><br />

sich arm zu machen.<br />

Jesus spricht: Ich lebe und ihr sollt auch leben.<br />

Johannes 14,19<br />

*<br />

Dies Wort des Jesus Christus rührt ans Herz der Welt. Gott war in diesem Jesus<br />

in Fleisch und Blut. Damit ist uns ein Bild gegeben vom wahren Menschsein:<br />

Wach, liebevoll, lustvoll ausgestreckt nach Glücklichwerden und -machen,<br />

kämpferisch die f<strong>als</strong>chen Bauformeln an Lebensentwürfen bloßlegend und das<br />

gute Gesicht Gottes zeigend- so war er, so sollen wir sein, annähernd.<br />

Wir werden uns dann <strong>als</strong> lebendig erkennen. Das ist versprochen. Manchmal<br />

stehen wir schon zur Auferstehung auf- spüren einen Frühling in unserer Seele,<br />

sind gern wir. Diese Verwandtschaft mit Jesus soll uns oft gelingen. Und nie<br />

bleiben wir tot, höchstens drei Tage. Warum? Weil Gott nicht ohne dich sein<br />

will. Darum wirst du ewig leben. Und es wird Freude sein, Freude sein.<br />

Dass wir noch irdisch sind, lasst uns nutzen- noch ist Zeit zu werden, noch ist<br />

Zeit zu lieben. Hilf, daß ein Mensch aufatmet, wegen dir. Glückliche Tage dir<br />

und durch dich!<br />

*<br />

Liebet!<br />

Christus spricht: Das ist mein Gebot: Ihr sollt einander lieben- wie ich euch auch<br />

liebe. Wer liebt, setzt sein Leben ein für seine Freunde. Ihr seid meine Freunde-<br />

ihr befolgt mein Gebot. Und bedenkt: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich<br />

habe euch erwählt und dazu bestimmt, Frucht zu bringen.<br />

Johannes 15,12-16<br />

249


Liebe, und tu, was du willst! -sagte Kirchenvater Augustin. Gemeint ist wohl: tu,<br />

was du liebend wollen kannst. Mit dem Meinen mich einsetzen für Nächste- das<br />

ist eine Lebensberufung. Es sei mir Dauerauftrag, menschenfreundlich zu<br />

werden. Das ist die Frucht, die wir bringen sollen, wir von der Liebe Erwählten.<br />

*<br />

Eine kluge Frau<br />

Jesus war mit seinen Jüngern auf dem Weg. Da trat eine Frau aus Kanaan auf<br />

ihn zu und rief: Herr erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen<br />

Geist geplagt.<br />

Er antwortete aber: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses<br />

Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir trotzdem!<br />

Er antwortete: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und<br />

werfe es vor die Hunde. Sie sprach: Ja, Herr; und doch fressen die Hunde von<br />

den Krümeln, die von ihrer Herren Tische fallen.<br />

Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau: dein Glaube ist groß. Dir geschehe,<br />

wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.<br />

Matthäus 15,21-28<br />

Unfassbar, daß Jesus die Frau so hart abwies. Aber vielleicht musste auch er<br />

lernen. Er meinte wohl tatsächlich er sei zuerst zu Israel gesandt; und wenn<br />

Israel mit Gott im reinen ist, dann bekehrt Israel die ganze Menschheit. Und<br />

doch geht es nicht, die andern mit Hunden zu vergleichen. Der Glaube der Frau<br />

beschämt ihn dann auch. Sie denkt größer von Gott <strong>als</strong> er.<br />

Er lässt sich von ihr ins Gebet nehmen. Er lässt sich von ihr abverlangen, was<br />

ihm zum Austeilen anvertraut ist. Das Bedürftigsein wiegt mehr <strong>als</strong> Vorrechte<br />

aus alter Zeit. Das lernt Jesus von einer unbekannten weisen Frau.<br />

*<br />

Simon wird Fels<br />

Jesus fragte seine Jünger: Für wen halten mich die Leute?<br />

Sie sprachen: Einige halten dich für den Täufer Johannes, andere für den<br />

Propheten Elia, wieder andere meinen, du seist einer der anderen Propheten.<br />

Dann fragte er: Und was meint ihr, wer ich bin?<br />

Da antwortete Simon Petrus und sprach: Du bist Christus, der Sohn des<br />

lebendigen Gottes!<br />

Da sprach Jesus zu ihm: Selig bist du, Simon, Jonas Sohn; Fleisch und Blut<br />

haben dir das nicht eingegeben, sondern mein Vater im Himmel.<br />

Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die<br />

Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des<br />

Himmelreichs geben: Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im<br />

Himmel gebunden sein, und alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im<br />

Himmel gelöst sein.<br />

250


Matthäus 16,13-19<br />

Sicher besprach sich Jesus oft mit seinen Jüngern über seine Wirkung auf die<br />

Menschen. Die von ihm Begeisterten sahen ihn <strong>als</strong> großen Lehrer, Zeugen,<br />

Propheten; einige hielten ihn auch für den im feurigen Wagen entrückten Elia,<br />

mit dessen Wiederkunft ja der Vorhang aufgehen sollte zum Reich Gottes am<br />

Jüngsten Tag.<br />

Einen Quantensprung weiter machte Petrus. Er fiel vor Jesus nieder, sieht ihn <strong>als</strong><br />

Gott auf Erden; im Bild von dam<strong>als</strong>: <strong>als</strong> Sohn Gottes. Das aber ist nicht<br />

Erkenntnis von Simon sondern ist ihm eingegeben, sagt Jesus: Also keine<br />

Kalkulation bringt uns zum Glauben sondern Heiliger Geist nimmt uns die<br />

Schuppen von den Augen. Dann kann uns aufgehen: Christus ist Gott bei uns.<br />

Dem Simon nachglauben, heißt, mit allen Schwächen dich doch <strong>als</strong> Fels von<br />

Kirche mit wissen, und mit Simon und in seiner Nachfolge Gemeinde bauen, die<br />

schon Anfang und Eingang von Himmelreich ist.<br />

Das sogenannte Petrusbekenntnis ist Schlüsselstelle für ein hochgetrimmtes<br />

Papstverständnis. Aber ganz abgesehen davon, daß auch eine solch großartige<br />

Erhebung des Petrus noch keine grandiose Nachfolge (Succession) begründet-<br />

es ist unwahrscheinlich, daß der historische Jesus eine Kirche, wie sie im Laufe<br />

der Jahrhunderte geworden ist, gegründet hat. Wohl hat er nach der<br />

Auferstehung die Jünger losgesandt, die gute Nachricht vom Reich Gottes<br />

auszustreuen- aber eine „Verbeamtung“ des Simon <strong>als</strong> Grundstein der Kirche<br />

scheint erst nach einem Jahrhundert gewachsener Kirche in Rom nachformuliert.<br />

Erst später ist der (in Rom aufbewahrte) Matthäus-Text um diese Passage<br />

erweitert.<br />

Gar nicht passt es zu Jesus, seine Jünger so zu erheben, dass sie Mitmenschen<br />

ihre Sünden ewig behalten können. Dann wären Menschen auf immer mit ihrer<br />

Schuld verschweißt und auch Gott könnte nicht mehr ihnen vergeben. Mag sein,<br />

daß triumphale Kirchenobere sich solche Vollmacht, solche Schlüsselgewalt<br />

erträumen - im Sinne des grundgütigen Gottes ist sie nicht; und Jesus hat sie<br />

sicher nicht erteilt.<br />

Sein Kreuz auf sich nehmen<br />

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich<br />

selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.<br />

Matthäus 16,24<br />

Den Maßstäben des Jesus nachleben, bringt mich zu mir. Ich komme zu mir,<br />

wenn ich mich liebe und den Nächsten; Ich komme zu mir, wenn ich nicht<br />

kämpferisch auf meinem Recht beharre sondern mit dem Gegenüber<br />

Einvernehmen suche. Ich finde mich, wenn ich mich nicht drücke vor dem, was<br />

mir aufgegeben ist. Dazu gehört Mühsal und Freude – beide soll ich leben.<br />

*<br />

251


Dem Jesus glaube ich nach, daß Gott mich lieb hat und mich braucht. Dazu<br />

muss ich meine kleine aber zähe Ichsucht des Öfteren zurückstellen. Aber ich<br />

muss mich nicht verleugnen, eher ist es doch verheißungsvoll gemeint: Dem<br />

Jesus nach werde ich mehr ich.<br />

*<br />

Mehr Leben ins Leben<br />

Wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; wer aber sein Leben weggibt<br />

um meinetwillen, der wird’s finden.<br />

Matthäus 16,25<br />

Leben muss sich erhalten, dieser Trieb ist allem Lebendigen eingestiftet. Nur der<br />

Mensch kann sich umbringen. Aber er soll doch sein Leben nutzen und gestalten<br />

und dankbar genießen. Versteh Jesu Wort doch so: Wer nur um sich selbst<br />

kreist, muss verrückt werden. Wir können unser Glück nicht direkt ansteuern,<br />

wir müssen das Glücken des Ganzen im Auge behalten. Wer sich selbst genug<br />

ist, verhungert.<br />

Investieren wir uns ins Leben. Bringen wir unsere Begabungen auf den Markt<br />

der Möglichkeiten. Bitte, will nützen. Statt mit dem Leben im Streit zu liegen,<br />

will dem Leben geben, was es braucht, damit es dich mag und weiterhin erhält.<br />

Damit betreiben wir Christi Sache.<br />

Verkauf dich nicht<br />

Was würde es dem Menschen helfen, wenn er die ganze Welt gewönne und<br />

nähme doch Schaden an seiner Seele?<br />

*<br />

Matthäus 16, 26<br />

Gewinnen ohne was zu geben, was hat das für Sinn? Ich lasse andere bluten. Ich<br />

muß mich doch vor mir selber ekeln, wenn (mit nur wenig anderen) mir es<br />

immer besser geht, und die andern, die meisten Mitmenschen darben. Der<br />

Schaden an meinem Ich wäre monströs, ich wäre ein Zombie, nur wert,<br />

bestohlen zu werden. Wenn ich viel mehr habe <strong>als</strong> ich brauche, aber eine<br />

Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser, dann lebe<br />

ich in Sünden und kann nicht glücklich sein. Darum will ich noch mal<br />

nachdenken, was jetzt dran ist für mich.<br />

Die Verklärung Jesu<br />

Jesus nahm Petrus und Jakobus und Johannes mit sich auf einen hohen Berg.<br />

*<br />

252


Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne,<br />

und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. Und es erschienen ihnen Mose<br />

und Elia; die redeten mit ihm.<br />

Petrus aber sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so wollen wir drei<br />

Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine.<br />

Da überschattete sie eine lichte Wolke. Und eine Stimme aus der Wolke sprach:<br />

Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!<br />

Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und erschraken sehr. Jesus<br />

aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht!<br />

Und sie sahen niemand <strong>als</strong> Jesus allein.<br />

Sie stiegen wieder vom Berg hinab zu den anderen.<br />

Matthäus 17,1-9<br />

Die Jünger konnten Jahre mit Jesus durchs Land ziehen, aber daß sie mal den<br />

Himmel offen sahen, war ein seltener Glücksfall. Auch Jesus war wohl nicht<br />

ständig voller Gottes- und Selbsterkenntnis. Die Verklärung auf dem Berg zählt<br />

wohl zu den Sternstunden der Menschheit.<br />

Völlige Stille, nur Sonne, Wind, Felsen. Den Alltag ließen sie unten im Tal. Nur<br />

die drei allernächsten Freunde erleben Jesus mit einem Antlitz, das von einer<br />

glühenden Gotteserfahrung gezeichnet ist. Sie sehen Jesus, ihm zur Seite die<br />

höchsten Gottesgaranten- und wollen diesen Augenblick bannen, wollen ihm<br />

Dauer verleihen, wollen den drei Gottesfreunden Hütten bauen, damit sie im<br />

dauernden Zwiegespräch bleiben können, von der alten Erde ungestört. Und die<br />

drei Jünger würden ihnen zu gerne dienen, dem Üblichen enthoben.<br />

Doch Jesus wischt ihnen übers Gesicht: wir müssen zurück an die Arbeit. Die<br />

anderen brauchen uns. Die uns zustehenden Körnchen Glück liegen im Acker<br />

des Alltags, bergen wir sie, mühen wir uns. Und die Beute der Glückseligkeit<br />

„oben auf dem Berg“ ist: Fürchtet euch nicht.<br />

Kindlich, nicht kindisch<br />

Die Jünger fragten Jesus: Wer ist wohl der Größte im Himmelreich?<br />

Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich,<br />

ich sage euch: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins<br />

Himmelreich kommen. Es läuft darauf hinaus, von neuem geboren zu werden.<br />

Matthäus 18,1-3; Johannes 3,3<br />

Kind bleiben geht nicht. Wir müssen erwachsen werden, Verantwortung<br />

übernehmen, Leben gestalten, Leid tragen. Kinder haben alles noch vor sich.<br />

Erwachsen geworden haben wir unsere Zukunft hier irgendwann gelebt und<br />

müssen sterben. Was das Himmlische am Kindsein ist? Doch zu leben aus<br />

vollem Vertrauen, unverstellt zu bitten, mit Überschwang zu genießen, zu teilen<br />

von Natur aus und zu nehmen ohne Berechnung- dankbar, ohne es extra zu<br />

*<br />

253


sagen. Wieder so werden nach den Zeiten des Vernünftelns und Berechnens- das<br />

wäre Glück. Und auch dies gilt. „Dass sie das Erstmalige <strong>als</strong> Einmaliges zu<br />

bestaunen und zu verherrlichen vermag, ist das große Wunder der Jugend. Dass<br />

sie das Einmalige jeder Wiederholung zu erkennen und zu verehren vermag, ist<br />

das größte Wunder der Reife“ (Ludwig Strauss).<br />

*<br />

Wo ist Christus?<br />

Christus spricht: Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin<br />

ich mitten unter ihnen.<br />

Matthäus 18,20<br />

Sicher ist Christus auch bei dir, wenn du für dich bist. Aber Gemeinde ist<br />

wichtig, um mit andern von und mit Christus zu reden. Lieben, das macht den<br />

Liebenden des Lebens, Christus, gegenwärtig. In seinem Geiste denken und<br />

handeln, macht zu Christi Leib. Liebend lebt er uns, leben wir ihn. Jede<br />

Umarmung, jedes Brotteilen ist Gott, Christus leibhaftig. So ist Lieben nicht<br />

Hobby sondern Welterschaffung.<br />

*<br />

Nächstenliebe beschafft Leben<br />

Ein Schriftgelehrter fragte: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben<br />

ererbe?<br />

Jesus sprach zu ihm: Was sagen die Gebote?<br />

Er antwortete und sprach: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem<br />

Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und<br />

deinen Nächsten wie dich selbst« (5.Mose 6,5; 3.Mose 19,18).<br />

Jesus sprach zu ihm: Du weißt es. Tu es, so wirst du leben.<br />

Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein<br />

Nächster?<br />

Lukas 10,25-29<br />

Wir wissen, was gut ist und was <strong>als</strong>o Gott von uns fordert. Ja, im Gewissen sind<br />

wir zum Guten aufgefordert (das ist fast ein Gottesbeweis: wir wissen uns vor<br />

einer letzten Instanz verantwortlich). Auch die abwehrende Frage, wer denn<br />

mein Nächster sei, spricht nicht frei. Wie auch die Frage: Was ist denn<br />

Wahrheit? (Johannes 18,38) nicht einlädt zum Lügen.<br />

Gott lieben, den Nächsten, dich selbst- der dreifach gezwirnte Faden hält uns<br />

fest. Wer fragt „wer ist denn mein Nächster?“-will nicht helfen. Aber<br />

irgendwann wird er in Not sein und wird darum bitten, daß ihm einer zum<br />

Nächsten wird.<br />

254


*<br />

Der barmherzige Samariter<br />

Jesus erzählt:<br />

Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die<br />

Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn, machten sich davon und ließen ihn<br />

halb tot liegen.<br />

Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und <strong>als</strong> er ihn sah,<br />

ging er vorüber. Desgleichen auch ein Lehrer: Als er zu der Stelle kam und ihn<br />

sah, ging er vorüber.<br />

Ein Samaritaner aber, ein Ausländer, der auf der Reise war, kam auch dahin;<br />

und <strong>als</strong> er ihn sah, erfasste ihn Mitleid. Er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf<br />

seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine<br />

Herberge und pflegte ihn.<br />

Am nächsten Tag gab er dem Wirt zwei Silbermünzen und sprach: Pflege ihn<br />

weiter; und wenn du mehr ausgibst, will ich dirs bezahlen, wenn ich<br />

wiederkomme.<br />

Und Jesus fragt: Wer von diesen dreien, meinst du, ist der Nächste gewesen<br />

dem, der unter die Räuber gefallen war? Er sprach: Der die Barmherzigkeit an<br />

ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tue desgleichen!<br />

Lukas 10,30-37<br />

Wenn uns nur diese Geschichte des Jesus überliefert wäre, hätten wir damit eine<br />

Quelle immer frischen Wassers. Es ist die reine Wahrheit: Wer ist mein<br />

Nächster? Dem ich Nächster werde, wenn er mich braucht.<br />

Typisch, dass der Priester seinen Dienstplan <strong>als</strong> Brett vorm Kopf hat und der<br />

Lehrer muß erst im Beamtenrecht nachschlagen. Beide meinten, sich rituell zu<br />

verunreinigen. Aber der Fremdling, der mit anderer Religion, tut das<br />

Mitmenschliche.<br />

An den aufgezählten Aktionen kann man den ganzen sozialen Dienst<br />

aufschlüsseln: Sehen, <strong>als</strong>o merken, wahrnehmen; hingehen, Wunden säubern<br />

und desinfizieren, verbinden, abtransportieren zu einer Versorgungsstation, bei<br />

ihm bleiben, Pflege sicherstellen, dann Menschen zuständig machen durch<br />

Verpflichtung und Bezahlung.<br />

Heute käme noch Vorsorge dazu, Ausstattung der Straße mit Beleuchtung und<br />

Notrufsäule, vielleicht auch Überwachungskameras? Jedenfalls verbesserte<br />

Sozialarbeit in dieser Gegend. Auch ADAC, Feuerwehr und Rotes Kreuz haben<br />

beim Samariter, bzw. bei Jesus gelernt.<br />

Es mag so scheinen, daß in den Kirchen kein Feuer mehr brennt. Aber sie<br />

heizen das soziale Gewissen an, die Glut unter der Asche, das Evangelium, ist<br />

noch heiß.<br />

*<br />

255


Was wichtiger ist<br />

Jesus kam in ein Dorf und besuchte dort die Schwestern Maria und Marta.<br />

Maria aber setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.<br />

Marta jedoch war ganz davon in Anspruch genommen, für ihn zu sorgen.<br />

Irgendwann ging sie zu Jesus und sagte: Herr, kümmert es dich nicht, dass<br />

meine Schwester die ganze Arbeit mir allein überlässt? Sag ihr doch, sie soll mir<br />

helfen!<br />

Der Herr antwortete: Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen.<br />

Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt, das soll ihr nicht<br />

genommen werden.<br />

Lukas 10,38-42<br />

Immer noch ist Streit zwischen Denken und Handeln, Beten und Arbeiten,<br />

Diakonie und Theologie, Glauben und Lieben.<br />

Jesus ist zu Gast, die eine Schwester führt den Haushalt, bringt feine Sachen auf<br />

den Tisch, die andere Schwester genießt den Jesus, sitzt zu seinen Füßen, hängt<br />

an seinen Lippen. Marta sieht die beiden im Gespräch versunken, sieht auch<br />

Marias glänzende Augen. Und Marta sieht sich in die Küche verbannt.<br />

Wenigstens aufdecken könnte die andere mal eben… Da hält es Marta nicht<br />

mehr aus, sie herrscht den Gast an, er solle Maria mal Beine machen. Da ergreift<br />

Jesus Partei für die Hörende, die ihn Genießende.<br />

Sicher ist Jesus nach dem guten Mahl mit Marta in den Garten gegangen und hat<br />

sie gelobt für alle Mühe und hat ihr Mut gemacht, auch mal zu ruhen. Und <strong>als</strong><br />

sie wieder reinkamen, hatte Maria abgedeckt und die Küche war sauber. Schön<br />

wärs.<br />

*<br />

Der reiche Mann<br />

Jesus sagte: Auf den Feldern eines reichen Mannes stand gute Ernte. Da<br />

überlegte er: Was soll ich tun? Wo soll ich die Ernte unterbringen? Schließlich<br />

wußte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und<br />

größere bauen; dann kann ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte<br />

unterbringen. Und kann zu mir sagen: Liebe Seele, nun hast du einen großen<br />

Vorrat für viele Jahre. Ruh dich aus, iss und trink und freu dich des Lebens!<br />

Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein<br />

Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft<br />

hast?<br />

So geht es jedem, der nur hier Schätze sammelt, aber nicht reich ist bei Gott.<br />

Lukas12,13-21<br />

Der reiche Kornbauer, der rafft und sichert und Vorsorge trifft für viele Jahre,<br />

dann einfach umkippt und nur geschuftet hat für die lachenden Erben- das ist zu<br />

recht ein Horrorbild, dem jeder entgehen will.<br />

256


Vorsorge ist ja für uns Normale geboten. Mit Rentenversicherung und<br />

vernünftigem Sparverhalten beschaffen wir, daß wir nicht der Armenpflege oder<br />

den Kindern anheim fallen müssen.<br />

Doch wir sind im Rahmen unseres Vermögens auch verpflichtet, Hunger und<br />

Leid zu mildern. Ekelhaft, wenn wir zu den wenigen gehören, denen es<br />

finanziell immer besser geht.<br />

Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz<br />

Lukas 12,34<br />

*<br />

Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott, sagt Luther. Wofür du dich<br />

begeisterst, das macht dich aus. Wir müssen geben können, <strong>als</strong>o brauchen wir<br />

Geld. Nicht das Geld ist böse oder gut; es liegt an dem, ders brauchen tut.<br />

*<br />

Das Unglück von Siloah<br />

Jesus sprach: Als der Turm von Siloah umstürzte und achtzehn Menschen<br />

erschlug – meint ihr, die seien schuldiger gewesen <strong>als</strong> all die andern Menschen<br />

ringsum, die überlebten? Ich sage euch: Nein; sondern wenn ihr nicht Buße tut,<br />

werdet ihr alle auch so umkommen.<br />

Lukas 13,4.5<br />

Warum gerade die und nicht andere? Warum andere und nicht ich? Es ist die<br />

ewige Frage, ob Unglück gezielt trifft. Dann müssten die Opfer besonders viel<br />

Schuld auf sich gehäuft haben und wie zu einer Hinrichtung von langer Hand an<br />

diesen Ort zu dieser Zeit geführt worden sein. Dieser Gedanke ist absurd. Gar<br />

nicht auszudenken ist doch, Gott sortiere per Unglück die Bösen aus.<br />

Also keine Erklärung, warum gerade die starben. Und keine Erklärung warum<br />

du, ich, noch am Leben sind. Und auch heiligmäßiges Handeln gibt keine<br />

Sicherheit. Es ist Leid in der Welt und muss getragen werden. „Selig die Leid<br />

tragen“ sagt Jesus (Matthäus 5,4) und hat sich vor seinem Quantum nicht<br />

gedrückt.<br />

Als Jesus bittet: Lass diesen Leidenskelch an mir vorübergehen (Matthäus<br />

26,39), weiß er sich in Gottes Hand, weiß Gott <strong>als</strong> die Geschichtsmacht.<br />

„Warum lässt Gott das Leid in der Welt zu „- wir dürfen es fragen <strong>als</strong> Leidende,<br />

aber nicht <strong>als</strong> Zuschauer die sich vor dem Helfen drücken. Gott ist letzte<br />

Adresse für Dank und Klage - das ist keine Erklärung aber unsere letzte Rettung.<br />

Auf viele Arten können wir unter die Räder kommen, unser Leben vertun,<br />

seelisch verhungern, geistig ersticken. „Tut Buße“ heißt: halt inne, mach Bilanz,<br />

sieh zu, wovon du wegkommen musst, wovon weg du umkehren willst zu einem<br />

257


Menschsein voll heiligem Geist? Wieviel Erschütterung müssen wir zusammen<br />

durchmachen, daß die Erde eine Zukunft hat?<br />

*<br />

Der Feigenbaum<br />

Jesus sagte ihnen dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war<br />

gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand<br />

keine.<br />

Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen<br />

und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab!<br />

Was nimmt er dem Boden die Kraft?<br />

Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, ich will um<br />

ihn graben und ihn düngen; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber<br />

nicht, so hau du ihn dann ab.<br />

Lukas 13, 6-9<br />

Manchmal haben wir die Nase voll von einer Freundschaft, die enttäuscht; von<br />

einem Team, das mobbt. Dann schmeißen wir hin, schmeißen raus. Auch Ehen<br />

können fruchtlos scheinen und wir hauen den Stamm ab. Aber Halt!<br />

Wieviel Gründe hat Gott, dich und mich aufzugeben. Und doch hält er zu uns<br />

Schwierigen. Wieviel ganz Andere könnte er pflanzen und uns Vorhandene<br />

ausrotten. Aber er müht sich noch einmal und wieder noch einmal, beschafft uns<br />

<strong>Lebensmut</strong>, gibt neuen Glauben, wir gehen noch einmal ans Werk.<br />

Herrlich, wenn einer für uns eintritt, uns „entschuldigt, Gutes von uns redet und<br />

alles zum besten kehrt“ (M.Luther), uns einen anderen Standort gibt, eine neue<br />

Chance; wenn sich einer für uns verbürgt und wir noch ein Jahr Zeit bekommen.<br />

*<br />

Gottes Sammelleidenschaft<br />

Gott spricht: Jerusalem, Gemeinde, wie oft habe ich deine Kinder versammeln<br />

wollen wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel, und ihr habt nicht gewollt.<br />

Lukas 13, 34<br />

Jesus schenkt uns den glückhaften Vergleich. So voll Hingabe sorgt sich Gott<br />

um uns wie eine Henne um ihre Kleinen. Sieh dich auch behütet unter dem<br />

Schatten seiner Flügel. Wenn du auch Mühe hast mit dem Leben, gehst du nicht<br />

verloren, auch dir selbst nicht. Es ist eine Schutzmantelenergie um dich, immer.<br />

*<br />

Das große Abendmahl<br />

Jesu saß mit einigen zu Tisch, da rief einer entzückt: Selig ist, der das Brot isst<br />

im Reich Gottes!<br />

258


Da sprach Jesus: Hört mal, es war ein Mensch, der machte ein großes<br />

Abendmahl und lud viele dazu ein. Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde<br />

des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit!<br />

Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach<br />

zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss ihn besehen; ich bitte dich,<br />

entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen<br />

gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu beutachten; ich bitte dich, entschuldige<br />

mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich<br />

nicht kommen.<br />

Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der<br />

Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die<br />

Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und<br />

Lahmen herein.<br />

Bald sprach der Knecht: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber<br />

noch Raum da.<br />

Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die<br />

Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf dass mein Haus voll werde. Denn<br />

ich sage euch, dass keiner derer, die eingeladen waren, noch mitfeiern wird.<br />

Lukas 14,15-24<br />

Der Einstieg ist wichtig: Jesus speist mit einigen und da lobt jemand die<br />

schönen himmlischen Aussichten. Und Jesus sagt, das Fest beginnt jetzt und<br />

hier. Und wer hier nicht mitfeiert, hat da nichts mitzulachen.<br />

Wir lassen uns ja alle gern den Himmel schenken. Aber ihn hier mitzubauen, ihn<br />

hier anfangen lassen, indem wir hier schon zur Christengemeinde gehören und<br />

sie stärken, muss das denn sein? Die Lust am Privaten und Individuellen ist ja<br />

heute stark. Man will sich nicht verpflichten. Man will kommen, wenn’s einem<br />

passt. Auch bei Gott schaut man gern mal rein, wenn einem danach ist. Und<br />

wenn die Geschäfte gemacht sind.<br />

Ob wir wirklich ausgeschlossen werden von der Vollendung, weil wir auf Erden<br />

so egoistisch waren- (es gibt ja auch einen Egoismus zu Zweit)? Das ist nicht<br />

Jesu Wille. Aber das Wichtige sollen wir nicht aufschieben- das Fest der Liebe<br />

und der Freundschaft ist jetzt schon im Gange- es kann nicht auf uns warten.<br />

*<br />

Vom verlorenen Schaf<br />

Es kamen viele Verachteten und Ausgestoßene zu Jesus. Rechtschaffende<br />

murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.<br />

Jesus sagte ihnen:<br />

Welcher Mensch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert,<br />

lässt nicht die neunundneunzig zurück und geht dem verlorenen nach, bis er’s<br />

findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller<br />

Freude und bringt es nach Hause und die im Hause freuen sich mit?<br />

259


Ich sage euch: Genau so wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder,<br />

der Buße tut- mehr <strong>als</strong> über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht<br />

bedürfen.<br />

Lukas 15,1-5.7<br />

„Zöllner und Sünder“ - das ist zu Jesus Zeiten ein stehender Begriff für die<br />

Verachteten, die für unrein Gehaltenen, die die Speise-und Waschgebote nicht<br />

einhielten, ob aus Unwissenheit oder Unvermögen; die Zolleintreiber der<br />

römischen Besatzung und alle anderen mit schlechtem Ruf. Sie waren zum<br />

Ausschuss erklärt von den „Pharisäern und Schriftgelehrten“, den „Mullahs“<br />

von dam<strong>als</strong>. Jesus sucht die Nähe derer mit dem schlechten Ruf. Die öffentlich<br />

<strong>als</strong> Sünder dastehen, die Versager, die Ehrlosen, die, „mit denen man nichts zu<br />

tun haben will“, für die steht Jesus ein, oft isst er mit ihnen, sagt ihnen, zeigt<br />

ihnen: Gott liebt euch auch und braucht euch auch.<br />

Jesus ist der Hirte, der den Verlorenen und Abgeschriebenen wieder Platz<br />

einräumt in der Familie Gottes. Christliche Gemeinde <strong>als</strong> Familie Gottes auf<br />

Erden muss der „Leib Christi“ sein, der den Verachteten ehrerbietig begegnet<br />

und eher Ärgernis riskiert <strong>als</strong> zu verstoßen.<br />

Stellvertretend für Gott hegt Jesus die „Heruntergekommenen“ wie die Bürger<br />

ihren Besitz hegen. Jesus nimmt die Schiefblickenden bei ihrer besten Seite: Ihr<br />

geht doch eurem verlorenen Schaf auch nach, sei es aus Eigennutz oder aus<br />

Mitleid.<br />

Offene Frage<br />

Wird der Christus, wenn er kommt, Glauben finden auf Erden?<br />

Lukas 18,8<br />

*<br />

Findet er dich verliebt in Gott und das Leben? Sieht er dich den Teig der<br />

Umstände kneten? Dass daraus Brot wachse, gerechtere Verhältnisse,<br />

Verstehen? Bist du bereit für den unteren Weg? Willst du dein Opfer bringen,<br />

wenn es sein muss? Sollen Menschen durch dich Mut gewinnen und Freude?<br />

Der Christus kommt ja inkognito- er ist mitten unter uns, sonst hätten wir uns<br />

längst totgeschlagen. In jedem tröstenden, aufbauenden, friedenschaffenden<br />

Wort wirkt er. Christus ist das Heilmittel –in Mutterliebe und Feindesliebe; in<br />

Körperfreude und Gelingelust ist er mitten unter uns. Ob er in uns einen<br />

Kumpan findet? (Cum pane –mit einem das Brot teilen; das Abendmahl bildet<br />

dies Zusammengehören ab).<br />

Vierhundertneunzig mal<br />

*<br />

260


Petrus fragte Jesus: Herr, wie oft muss ich meinem Bruder vergeben? Genügt<br />

siebenmal? Jesus sprach zu ihm: Ich sage dir: nicht siebenmal, sondern siebzig<br />

mal siebenmal.<br />

Matthäus 18,21f<br />

Also einfach endlos vergeben soll ich meinem Nächsten. Warum? Weil uns<br />

nichts scheiden kann von der Liebe Christi (Römer 8,35), und er zu vergeben<br />

und zurechtzubringen nicht aufhört. Darum soll uns auch keine Schuld von<br />

irgendeinem abweisend machen gegen diesen. Je mehr einer gegen uns schuldig<br />

wird, umso mehr braucht er unsere Vergebung. Wie auch wir ja Vergebung<br />

brauchen. –Traurig, wenn wir uns zurückziehen, nichts mehr zu tun haben<br />

wollen, nicht mehr verletzt werden wollen. Wir sollen nicht aufhören, Nähe<br />

anzubieten, egal was einer versäumt hat. Wir haben noch viel zu lernen.<br />

*<br />

Jesus, das Brot<br />

Amen, ich sage euch: Ich bin das Brot des Lebens, das lebendige Brot, das vom<br />

Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit.<br />

Johannes 6, 48.51<br />

Das Lebensmittel überhaupt ist (neben Reis) Brot. Jesus <strong>als</strong> Brot- das meint:<br />

Christus sei dir Geistesnahrung, Lebensenergie, Quelle für Sinn:<br />

Er sei dir Inbild der Bewahrung. So findest du dich ins richtige Verhältnis zu<br />

Gott gesetzt: du Sohn oder Tochter. Alles ist dir anvertraut, du Mitarbeiter,<br />

Mitfeiernder, Mitleidender- alles auch dir zugemutet, alles auf dich hin<br />

erschaffen.<br />

Mit Jesus-Energie gespeist, bestehst du das Leben.<br />

Jesus hat Gottes Nähe beim Menschen und die Gottgehörigkeit des Menschen<br />

mit seinem Leben dokumentiert und mit seinem hoffnungsgetränktem Sterben<br />

verbürgt. Er ist auch das Treibmittel für die Phantasie: Alles ist dir erlaubt, was<br />

aufbaut; es lässt gütiger werden und treibt die Kräfte des Herzens an.<br />

Glaub dem Jesus seinen Gott, dass er dich liebt und braucht, dich ernährt und<br />

von deiner Verzweiflung, deiner Oberflächlichkeit abkehrt.<br />

Er ist das größte Ausstrahlungsereignis der Geistesgeschichte.<br />

*<br />

Jesus und die Ehebrecherin<br />

Jesus lehrte beim Tempel, und alles Volk kam zu ihm. Da brachten<br />

Schriftgelehrte eine Frau, beim Ehebruch ergriffen, zu ihm und stellten sie in die<br />

Mitte und sprachen: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch<br />

ergriffen worden. Mose hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen.<br />

Was sagst du?<br />

261


Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber<br />

Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde.<br />

Dann richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist,<br />

der werfe den ersten Stein auf sie. Als sie das hörten, gingen sie weg, einer nach<br />

dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der<br />

Mitte stand.<br />

Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand<br />

verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich<br />

dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.<br />

Johannes 8,1-11<br />

Eine Urszene: Verdammende Männer. Und der männliche Teil des Ehebruchs<br />

kommt irgendwie davon. Alle wollen sie sich zu Richtern aufwerfen, wollen<br />

sich empören, wollen strafen und damit auf der guten Seite sein.<br />

Jesus ist gefordert, aber er tut <strong>als</strong> hätte er ewig Zeit und auch der Schuldsache<br />

schaffe er Aufschub. Die mit Steinen bewaffneten Kerle sind zum Strafvollzug<br />

bereit, je eher, desto besser- dann ist die Ordnung wieder hergestellt: Und die<br />

Männer können weiter sicher sein, daß ihre Frau ihr Besitz bleibt. Und sie ein<br />

Recht auf Totschlagen haben, wenn die Frau sich einem andern zuwendet. Doch<br />

wer wendet denn Frau von ihrem Gemahl ab? Sind nicht die begehrenden<br />

Männer mindestens zur Hälfte mit schuld?<br />

Jesus sagt den wohl hellsichtigsten Satz der Menschheit, um dessen willen man<br />

diesen leuchtenden Menschen schon lieben müsste von ganzem Herzen. Und<br />

Mann für Mann läßt seinen Stein fallen und hebt sich davon. Sie erkennen ihre<br />

geheime Mitschuld an. Wir Lesende auch?<br />

Die Frau mit Jesus allein- wahrscheinlich hat er sie nicht mehr ermahnt, sie<br />

wusste selbst.<br />

*<br />

Jesus- das Licht<br />

Jesus spricht: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht<br />

wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.<br />

Johannes 8,12<br />

Dem Jesus nach sich und jeden kostbar und geliebt von Gott wissen. Das macht<br />

ein herrliches Bewusstsein von Würde und Ehre. Man geht einen aufrechten<br />

Gang, nicht aus Vielwissen oder aus Zahlungsfähigkeit- das alles sind Gaben, in<br />

denen immer ein anderer noch besser ist. Sich <strong>als</strong> Sohn/Tochter Gottes glauben,<br />

dem Jesus nach- das heißt: das Licht des Lebens und <strong>als</strong>o die Wirklichkeit<br />

erleuchtet sehen.<br />

Wahre Freiheit<br />

*<br />

262


Jesus sprach: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine<br />

Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei<br />

machen.<br />

Johannes 8,31f<br />

In Jesu Wort bleiben macht das Jüngersein aus; es macht die Wahrheit erkennen<br />

und lässt frei werden. Große Worte, weiter Horizont. An, in Jesu Wort bleiben<br />

heißt, ihm nach Söhne, Töchter Gottes zu sein. Die wollen hellsichtig leben,<br />

unzerstreut, gesammelt, strebend nach den richtigen Begriffen von unseren<br />

wesentlichen Bedürfnissen nach dem Guten, dem Schönen, dem Wahren. Liebe<br />

und Wahrheit sollen siegen über Lüge und Gewalt (Vaclav Havel). Und das<br />

müssen wir wissen: „Wer mit einem Scheißdreck rammelt, er gewinne oder<br />

verliere, er geht beschissen davon“ (M. Luther).<br />

*<br />

Jesus- Licht, Tür, Hirte<br />

Jesus spricht: Ich bin das Licht der Welt. (Johannes 8,12)<br />

Ich bin die Tür.(Johannes 10,9)<br />

Ich bin der gute Hirte. (Johannes 10,11)<br />

Die ewigen Bilder für das Erhellende, Öffnende, Behütende von Jesus-Gott.<br />

Wer Jesu Worte hört, dem geht die Welt <strong>als</strong> geliebte Schöpfung auf. Sein Tun<br />

und Sagen öffnet mein Herz für die Schöpfung, für alle Kreatur, den Nächsten<br />

und mich selbst. Alle Verachtung und Verneinung fällt ab. Ich werde offen,<br />

Angst löst sich auf. Der Menschenhirte geht mir zur Seite. Ich kann loslassen<br />

und annehmen, Frieden geben, Liebe nehmen. Dunkel wird hell. Ich werde<br />

brauchbar fürs Leben.<br />

Ehe ist ein Segen<br />

Die Lehrer fragten Jesus: Ist’s erlaubt, dass sich ein Mann von seiner Frau<br />

scheidet?<br />

Jesus antwortete: Habt ihr nicht gelesen: Der im Anfang den Menschen<br />

geschaffen hat, schuf sie <strong>als</strong> Mann und Frau und sprach (1.Mose 2,24): »Darum<br />

wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und an seinem Gefährten hängen,<br />

und die zwei werden ein Fleisch sein«? So sind sie nun nicht mehr zwei,<br />

sondern ein Ganzes. Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch<br />

nicht scheiden!<br />

Da fragten sie: Warum hat dann Mose erlaubt, mit einem Scheidebrief sich<br />

doch trennen zu können? Er sprach zu ihnen: Um eurer Herzenshärte willen hat<br />

er es gesagt; im Grunde ist’s nicht so gemeint.<br />

Und er sagte auch: Die Ehe ist nicht jedes Menschen Sache.<br />

Matthäus 19,2-8.12<br />

*<br />

263


In der Schöpfungsgeschichte klingt es so, dass der Mensch paarweise gedacht<br />

ist. Tatsächlich sind wir von Grund auf aufs Du angelegt. Aber nicht jeder<br />

Mensch ist für eine lebenslange Zweieinigkeit gemacht, nicht für eine gänzliche<br />

soziale Einheit, ein Wohnen, eine Familie, ein Konto, ein Altwerden, eine<br />

Lebensgesprächspartnerschaft.<br />

Auch Jesus war nicht verheiratet, er lebte die wohl einzig echte Alternative zur<br />

Ehe: die Befreundung mit vielen.<br />

Ehe ist das Immer- wieder- einig- werden -Wollen, das „in Freud und Leid sich<br />

nicht verlassen“ -Wollen, das Liebenwollen, bis dass der Tod uns scheidet-<br />

wenn es gewährt ist. Heiratet man, dann müssen die beiden glauben, daß Gott<br />

sie für einander meint für immer. Das ist das Wesentliche der Ehe. Aber es kann<br />

sein, dass sie einmal das Füreinanderbestimmtsein nicht mehr glauben können.<br />

Dann, wenn auch das soziale Füreinander nicht mehr geht, ist Scheidung ein<br />

schmerzlicher Notausgang, voll Wehmut und Verwundung. Und Schuld,<br />

Herzensverhärtung, Jammer ist immer dabei. Aber auch Geschiedene gehen mit<br />

Gott und haben ein Recht auf eine neue Liebe.<br />

Das Trauversprechen „Ich will dich annehmen aus Gottes Hand, dich lieben und<br />

ehren, in Freude und Leid nicht verlassen und die Ehe halten, bis dass der Tod<br />

uns scheidet“- ist kein Eid sondern eine Willensbekundung. Nicht: “Ich werde<br />

dich annehmen bis zum Tod“ sondern: „Ich will dich annehmen“. Ohne diesen<br />

innigen Willen sollte niemand heiraten. Aber Liebe ist Gottes Kraft –von der<br />

gilt, was vom Wind gilt: Er weht, wo er will (Johannes 3,8).<br />

Absurd ist die Meinung, Gott habe uns die geschlechtliche Freude nur gegeben<br />

um Kinder zu zeugen. Aber dass wir Kinder empfangen können, wenn wir uns<br />

aneinander hingeben, dass wir <strong>als</strong> Liebende Mitschaffende werden können, ist<br />

wunderbar.<br />

*<br />

Die wiedergefundenen Söhne<br />

Jesus sprach: Es waren zwei Brüder. Und der jüngere von ihnen sprach zu<br />

seinen Eltern: Gebt mir das Erbteil, das mir zusteht. Und sie teilten das Gut<br />

unter die Beiden. Bald darauf packte der jüngere Sohn seine Sachen und zog in<br />

ein fernes Land; und dort verprasste er sein Geld in kurzer Zeit.<br />

Als er all das Seine durchgebracht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes<br />

Land und er fing an zu darben und hängte sich an einen Großbauern; der<br />

schickte ihn auf seinen Acker, die Säue zu hüten.<br />

Lukas 15,11-16<br />

Hinreißend die Geschichte, die bekannt ist <strong>als</strong> „Das Gleichnis vom verlorenen<br />

Sohn“. Man kann sie lesen <strong>als</strong> Familientragödie, die durch Güte geheilt wird.<br />

Sie kann aber auch Gleichnis für verschiedenen Umgang mit Religion sein. Vor<br />

264


allem aber ist sie eine Geschichte der Liebe Gottes zu seinen sehr verschiedenen<br />

Menschen.<br />

Typisch, die Geschwisterrollen: Der Ältere, der Verlässliche, bleibt in der<br />

elterlichen Ordnung. Der Jüngere, kühner, vielleicht genialer, bricht aus, bricht<br />

auf, will die Welt erobern. Er geht die Eltern ums Erbe an- ziemlich frech<br />

behandelt er sie schon wie tot. Die Eltern sind großmütig, sie geben von dem<br />

Ihren dem Ausreißer viel mit.<br />

Der feiert die Freiheit, macht sich Freunde mit dem Erbe, das sorglos<br />

ausgegeben wird und unter den Händen zerfließt. Dann sind die Freunde weg,<br />

klar, er landet bei den Schweinen.<br />

Das ist auch ein Bild für den modernen Menschen, der die Schätze der Religion<br />

mitnimmt in seine weltliche Welt: Vertrauen, <strong>Lebensmut</strong>, Gestaltungswille, Lust<br />

am Leben. Aber diese Begabungen verwildern, wenn sie die Anbindung an Gott<br />

verlieren; der Junge ist großmannssüchtig und stürzt ab. Bei den Schweinen<br />

sein, heißt „jenseits von Eden“ sein. Er hat sein Zugottgehören vergessen.<br />

Und bei den Schweinen hatte der Junge nichts anderes <strong>als</strong> deren Fraß.<br />

Da ging er in sich und sprach: Wie viele Arbeiter haben bei meinem Vater ihr<br />

gutes Auskommen, und ich verderbe hier im Hunger! Ich will mich aufmachen<br />

und nach Hause gehen.<br />

Lukas 15,16-18<br />

Hat der Zeitgenosse heutzutage noch gute Erinnerung mitbekommen an Gott?<br />

Wir kamen alle zur Welt mit dem Seelenschatz: Ich bin vom Himmel her, bin<br />

Kind Gottes. Der erste Schrei ist doch auch ein Ruf: Hej Leute, da bin ich, ich<br />

soll euch schön grüßen von „Vatermutter- Lebensgrund“; was ist das für ein<br />

Empfang hier, kalt und grell?<br />

Wir kommen mit Segen im Gedächtnis, kommen mit viel Urvertrauen- das<br />

sollte gestärkt und ausgebildet werden durch Elternliebe und dam Freundschaft<br />

und Liebe überhaupt. Doch das Leben ist hart. Und der <strong>Lebensmut</strong> kann<br />

ausgehen. Dann ist Erinnerung wichtig: Du, geliebt, gebraucht, von weit her.<br />

Dein Zuhause geht immer mit dir, nur nimm es wieder Besitz, lass dich nicht<br />

mehr abspeisen mit seichter Unterhaltung und Sätzen aus fünf Wörtern, lass<br />

deine Seele wieder weit werden.<br />

Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn; er<br />

lief und fiel ihm um den H<strong>als</strong> und küsste ihn.<br />

Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und<br />

vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.<br />

Aber der Vater sprach zu seinen Leuten: Bringt schnell das beste Gewand her<br />

und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine<br />

Füße und schlachtet das gemästete Kalb; lasst uns essen und fröhlich sein!<br />

Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden Und sie fingen<br />

an zu feiern.<br />

265


Lukas 15,20-24<br />

Der Vater, <strong>als</strong>o der mütterliche Gott, hält Ausschau nach uns- kommt uns<br />

entgegen, fällt uns um den H<strong>als</strong>. Während wir uns noch gottfern und verloren<br />

vorkommen, sucht Gott uns schon und hilft uns, ihn zu finden. Im Märchen von<br />

Hänsel und Gretel streuen die Kinder im Finsteren Brotkrümel aus, um sich<br />

später an ihnen zurückzutasten. Welche Spuren hat Gott in unserm Leben gelegt,<br />

an denen wir uns heimtasten können? „In wieviel Not hat nicht der gnädige Gott<br />

über dir Flügel gebreitet?“ Übermäßig viel Bewahrung und Befreundung und<br />

stellvertretende Achtsamkeit im Verkehr ist dir schon zuteil geworden.<br />

Uns wird vergeben, das Leben spielt uns neue Chancen zu. Eine neue Liebe oder<br />

ein Auferstehen alten Zugehörens, eine neue Berufung, ein Kredit, das Angebot<br />

einer neuen Beziehung- Manchmal müssen wir tief unten sein, aller Irrsein muss<br />

uns ausgetrieben sein, wir müssen um Verzeihung bitten und wieder gutmachen<br />

wollen. Dann können Gott und Menschen wieder mit uns feiern.<br />

Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und <strong>als</strong> er nahe zum Hause kam, hörte<br />

er Singen und Tanzen und rief einen der Knechte und fragte, was das wäre. Der<br />

aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen und dein Vater hat das gemästete<br />

Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wieder hat.<br />

Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und<br />

bat ihn.<br />

Lukas 15,24-28<br />

Was Ehre ausmacht und verletzter Stolz- das Leben ist voll Achtung und<br />

Verachtung. Vor Freude über die Heimkehr des Jüngsten denken die Eltern erst<br />

mal nicht an den Ältesten. Verständlich, aber bei ihm reißt dies Wunden von<br />

einst auf. Die Ältesten haben allermeist das Empfinden, der Jüngere würde<br />

vorgezogen. Das liegt daran, daß der Ältere miterlebte, wie der Jüngere<br />

beschmust und geschont wurde. Der Älteste wurde früher auch mal so<br />

verwöhnt, er war mal allein das Objekt der elterlichen Liebe. Das weiß er nicht<br />

mehr; wohl aber weiß er, daß er immer eingespannt war, daß dem Jüngsten kein<br />

Leid geschah.<br />

Der Jüngere, vom Bruder längst abgeschrieben , taucht auf einmal wieder auf<br />

und Jahre seines Fleißes und Gehorsams sind wie weggewischt. Verbittert bleibt<br />

er draußen vor der Tür. Da kommt der Vater zu ihm, bittet ihn; befiehlt nicht<br />

sondern demütigt sich.<br />

Der Ältere antwortete aber seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und<br />

habe dein Gebot noch nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben,<br />

dass ich mit meinen Freunden mal hätte feiern können. Nun aber, da dieser dein<br />

Sohn gekommen ist, der dein Gut verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb<br />

geschlachtet.<br />

266


Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein<br />

ist, das ist dein. Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein<br />

Bruder war verloren und ist wiedergefunden.<br />

Lukas 15,29-32<br />

Als hätten die beiden sich auch verloren und suchen sich jetzt mühsam. Der<br />

Sohn hat den Vater für hart und geizig gehalten. Jetzt bekommt es der Vater<br />

um die Ohren: Richtig, wenn der Junge nie mal ein Fest bekam für all die<br />

Verlässlichkeit und Mühe, ist das gemästete Kalb für den Heimkehrer ziemlich<br />

üppig. Aber Junge, sagt der Vater, wie kannst du nur so verquer denken, all die<br />

Jahre. Was mein ist, ist doch dein. Einen Bock nach dem andern hättest du<br />

verfeiern können. Wir habens doch, auch dank deines Fleißes-<br />

Doch der Vater konnte wohl den Älteren, den Pflichtbewussten und Gerechten<br />

nicht auch zur Leichtigkeit gewinnen. Übertragen: Es ist eine dauernde Anfrage,<br />

warum viele Fromme so gesetzlich sind und so unerlöst wirken. Deren Sünde<br />

wiegt schwerer, schmerzt Gott wohl noch mehr <strong>als</strong> die Lässigkeit des<br />

Leichtfußes. Der Jüngere hat die Eltern, hat Gott nur ausgebeutet, der Ältere hat<br />

sie, hat Gott verkannt. –Doch es gibt gute Nachricht für beide- Der Vater führt<br />

die Brüder wieder zueinander. Und die Brüder haben die Chance, daß einer im<br />

andern seine ungelebte Seite erkennt und annimmt.<br />

In der Eremitage in Petersburg hängt ein großes Bild von Rembrand: Die<br />

Heimkehr des verlorenen Sohnes- Da segnet der Vater den Jungen mit zwei<br />

verschieden geformten Händen: eine ist männlich-streng, eine ist mütterlich,<br />

zärtlich. Rembrand gibt zu verstehen: Der väterlich-mütterliche Lebensgrund<br />

heilt uns.- Mit der Strenge der Wirklichkeit- alles hat seinen Preis- ist eine<br />

Scheibe der Realität; Und mit Gnade und Liebe: ..“der dich erhält, wie es dir<br />

selber gefällt“ (Lobe den Herrn, 2. Strophe) ist doch auch dein Lied.<br />

*<br />

Das Gleichnis vom unehrlichen Verwalter<br />

Jesus erzählt: Es war ein reicher Mann. Er hatte einen Verwalter; der bei ihm<br />

beschuldigt wurde, er verschleudere seinen Besitz. Er ließ ihn rufen und sprach<br />

zu ihm: Was höre ich da über dich? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung;<br />

du kannst hinfort nicht mehr Verwalter sein. Der aber sprach bei sich selbst:<br />

Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch<br />

schäme ich mich zu betteln. Ich weiß, was ich tun will, damit sie mir Dank<br />

erweisen, auch wenn ich das Amt verloren habe. Und er rief die Schuldner<br />

seines Herrn zu sich, einen jeden einzeln, und halbierte jedem seine Schulden.<br />

Und Jesus lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt habe. Und<br />

schloss noch den Gedanken an: Die Kinder dieser Welt sind in weltlichen<br />

Dingen klüger <strong>als</strong> die Kinder des Lichts.<br />

Lukas 16,1-8<br />

267


Leicht mißzuverstehen ist da Jesus. Gemeint ist doch dies: In Zwecksachen sind<br />

wir so scharfsichtig, aber fürs Ganze so blind. Weitsichtig für das Ganze werden<br />

und eben auch irdisch geschickt sein, ist wichtig. Da hat einer eben noch Macht,<br />

kann Vorteile einräumen und daran mitverdienen. Etwas von diesem<br />

Geschicktsein müssten wir auch in Himmlischen Angelegenheiten haben. Bald<br />

ist hier unsere Zeit abgelaufen. Und dann? „Wir bauen hier so feste und sind<br />

doch fremde Gäste. Und wo wir sollten ewig sein, da bauen wir so wenig ein,“<br />

heißt ein kluges Wort. Wie halbieren wir unsere Schuld? Wie werden wir<br />

großmütig? Und sollten wir nicht langsam so leben, wie wir mal wünschen<br />

werden, gelebt zu haben?<br />

Jesus billigt sicher nicht den Betrug. Aber er hält uns für so wach, daß wir den<br />

ungetreuen Prokuristen verstehen, wenn er kurz vor Toresschluss noch<br />

Geschäfte macht, die sich für ihn auszahlen, auch wenn er längst gefeuert ist.<br />

Und wir, die wir im Geschäftlichen solche Cleverness verstehen oder sogar<br />

selbst an den Tag legen, wir sollten um so mehr vorbauen für Dermaleinst und<br />

klug werden in den „letzten Dingen“.<br />

Jesus spricht: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon<br />

Lukas 16,9<br />

*<br />

Wenig höflich denkt Jesus vom Geld. Meist hatte er auch keins. Aber er hatte<br />

Freunde und Freundinnen mit Geld. So musste Jesus nicht schuften, um sein<br />

täglich Brot zu erlangen. Er konnte sich ganz dem widmen, was er gern tat.<br />

Wohl dem, der nichts tun muss wegen Geld- weder malochen, um an das Geld<br />

anderer Leute zu kommen; noch, daß man unruhig sein Geld hin und her zappt<br />

von einer günstig scheinenden Anlage zur nächsten.<br />

Arbeiten hat seine Würde. Gerechter Lohn gehört zur Ehre. Hat einer mehr<br />

Geld <strong>als</strong> er seinen Ansprüchen nach zum Leben braucht, soll er es verschenken,<br />

besser noch: er soll Menschen damit in Arbeit bringen. Ungerecht ist alles Geld,<br />

das nicht Hunger stillt und das nur zur eigenen Sicherheit still liegt.<br />

*<br />

Vom reichen Mann und dem armen Lazarus<br />

Es war ein reicher Mann, der kleidete sich in Purpur und kostbares Leinen und<br />

er lebte alle Tage herrlich und in Freuden. Es war aber ein Armer mit Namen<br />

Lazarus, der lag vor seiner Tür voll von Geschwüren und begehrte sich zu<br />

sättigen mit dem, was von des Reichen Tisch fiel; und Hunde und leckten seine<br />

Geschwüre.<br />

Es begab sich aber, dass der Arme starb, und er wurde von den Engeln gen<br />

Himmel getragen. Der Reiche aber starb auch und wurde begraben und kam in<br />

268


die Hölle. Als er nun in der Hölle war, hob er seine Augen auf in seiner Qual<br />

und sah im Himmel Abraham und Lazarus in seinem Schoß.<br />

Und er rief: Vater Abraham, erbarme dich meiner. Abraham aber sprach:<br />

Gedenke, Sohn, dass du dein Gutes empfangen hast in deinem Leben, Lazarus<br />

dagegen hat Böses empfangen; nun wird er hier getröstet und du wirst gepeinigt.<br />

Lukas 16,19-25<br />

Diese Geschichte ist eine jüdische Legende zur Warnung der Reichen. Schon<br />

die pauschale Gleichsetzung von wohlhabend mit gottverhasst und arm mit<br />

gottgeliebt ist Jesu Sache nicht. Jesus glaubt an den liebenden Gott, der nur<br />

Himmel, nur Reich Gottes mit uns allen vor hat.<br />

Von Jesus könnte eher die andere jüdische Legende stammen: Als der<br />

himmlische Tanzsaal zu wenig Platz hatte, ließ Gott die Wände zur Hölle<br />

abbrechen und lud sie alle ein, damit wir alle eins seien.<br />

Trotzdem ist „Hölle“ nicht einfach abgetan. Schon im Leben gibt es Tage, „die<br />

sind die Hölle“, gibt es Anlässe, da gilt: „die Hölle, das sind die anderen“ (J.P.<br />

Satre). Wir sind einander auch Teufel. Höllenfeuer kann in uns brennen, wenn<br />

wir gegen unser Gewissen gehandelt haben, Bilder infamen Unrechts bleiben<br />

uns eingebrannt.<br />

Auch sehnen wir uns nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit, vor allem wenn<br />

wir uns selbst im Unglück sehen. Und der Gott der Liebe hat so viel Kränkung<br />

erfahren, daß er und mit ihm alle Gekränkten dieser Erde, vielleicht auch die<br />

geschundenen Tiere mit- wenigstens Kniefall und Reue von den übelsten<br />

Übeltätern erfahren sollen.<br />

Daß noch mal alles zur Sprache kommt, ist wohl eine Frage der Ehre für Gott<br />

und die Geschundenen. Das ist dann „Hölle“, vor den Opfern der eigenen<br />

Schuld zu stehen und Abbitte tun. Wolle Gott dann die Herzen der<br />

Geschundenen zu den Tätern bekehren. Und die Opfer bitten, Gott möge ihnen<br />

vergeben.<br />

Wer heute noch Hölle predigt, der meint wohl, er hätte den Himmel parat zu<br />

seinen Bedingungen. Alle Alarmglocken sollten läuten, wenn einer meint, er<br />

könne uns freikaufen, er wisse einen irdischen „pontifex“ (Brückenbauer), oder<br />

in seiner Kirche, seiner Gemeinschaft sei man auf der sicheren Seite. Mit<br />

„Hölle“ Angst machen, verdient so was wie Hölle.<br />

Ein Schimmer von Hoffnung ist auch in der harten jüdischen Legende: Abraham<br />

nennt das Höllenopfer: Sohn. So ist auch in dieser harten Geschichte noch nicht<br />

aller Tage Abend.<br />

*<br />

Von der Kraft des Glaubens<br />

Jesus spricht: Wenn ihr Glauben hättet, groß wie ein Senfkorn, dann könntet ihr<br />

zu diesem Maulbeerbaum sagen: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer! Und<br />

er würde euch gehorchen.<br />

269


(Lukas 17,6)<br />

Bärenstark ist deine Zuversicht, wenn sie übereinstimmt mit dem Herzen der<br />

Welt. Du kannst, was du willst, wenn es im Einklang der Dinge ist. Also leb und<br />

schöpfe aus, was dir an Leben zugedacht ist. Und geh nicht schlampig um mit<br />

deinen Begabungen; achte dich, mach dich gerade- in dem Sinne, daß du<br />

aufhörst, dich durchzulavieren. „Und wenn es anders kommt <strong>als</strong> wirs erbitten,<br />

kommt es besser“(Martin Luther).- Die meisten Bäume sollen da stehen, wo sie<br />

stehen und eignen sich nicht für fromme Kraftakte.<br />

*<br />

Die zehn Aussätzigen<br />

Einmal begegneten Jesus zehn aussätzigen Männer; die standen von ferne<br />

und erhoben ihre Stimme und sprachen: Jesus, lieber Meister, erbarme dich<br />

unser!<br />

Und <strong>als</strong> er sie sah, sprach er zu ihnen: Geht und zeigt euch den Priestern! Und es<br />

geschah, <strong>als</strong> sie hin gingen, da wurden sie rein.<br />

Einer aber kehrte um und pries Gott mit lauter Stimme und fiel nieder auf sein<br />

Angesicht zu Jesu Füßen und dankte ihm. Jesus aber sagte: Sind nicht zehn rein<br />

geworden? Wo sind aber die neun? Hat sich sonst keiner gefunden, der wieder<br />

umkehrte, um Gott die Ehre zu geben?<br />

Und er sprach zu ihm: Steh auf, geh hin; dein Glaube hat dir geholfen.<br />

Lukas 17,11-19<br />

Jesus schickt sie zu den Ärzte-Priestern. Und auf dem Weg genesen sie-<br />

während sie gehen, <strong>als</strong>o während sie vertrauen, während sie Gesundung mit<br />

ihren Beinen sich ergehen. Doch nur einer sagt dem Himmel dank vor dem<br />

konkreten Jesus.<br />

In Not bitten wir Gott unbewusst oder wortstark. Geht es dann wieder gut,<br />

führen wir es auf unsern Fleiß zurück oder auf die tüchtigen Ärzte oder auf<br />

unsere Gene. Oder danken ins Blaue ohne Folgen. Einer von zehn Genesenen<br />

kehrt um, dankt bewusst und geht an ein anderes Leben. Dem hat sein Glaube<br />

geholfen.<br />

*<br />

Vom Kommen des Gottesreiches<br />

Jesus wurde von den Pharisäern gefragt: Wann kommt das Reich Gottes? Er<br />

antwortete ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man’s beobachten<br />

kann; man wird nicht sagen: Sieh, hier ist es!, oder: da ist es! Sondern so ist es:<br />

Das Reich Gottes ist mitten unter euch im Anbruch.<br />

Lukas 17,20f<br />

270


Also nicht Ausschau halten nach Zeichen von Weltuntergang und Himmelfahrt<br />

aller Dinge. Sondern hier das Reich Gottes Fuß fassen sehen, hier Frieden<br />

ausbreiten, jetzt Versöhnung anrichten, Armut mindern, auf Privilegien<br />

verzichten. Jetzt ist schon Himmel auf Erden, wenigstens eine Spanne weit,<br />

wenn wir Liebe <strong>als</strong> Himmelsgeschenk genießen uns sie mehren, Schranken<br />

abbauen, Streit schlichten. Jetzt sind schon Jesu Heilkräfte wirkmächtig- oft<br />

unerkannt, und anonym. Engel sind unterwegs, steh ihnen bei.<br />

*<br />

Gut ist nur der Eine<br />

Einer fragte Jesus: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben<br />

erlange? Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, <strong>als</strong><br />

Gott allein.<br />

Markus 10,17f<br />

Hier haben wir es schriftlich: Jesus rückt sich nicht ab von uns. Er hat auch sein<br />

Quantum Sünde, ist menschlich, ist uns nah. Er weiß, wie es uns geht, darum<br />

sind seine Lebensvorschläge so brauchbar. Gott ist gut, ist vollkommen ganz, er<br />

kann nichts Böses tun auch nicht durch Helfershelfer. Er schlägt auch nicht mit<br />

Gewalt das Böses nieder. Er leidet es mit. Vielleicht kann man auch wie mit<br />

Thomas Mann sagen: Gott ist mehr <strong>als</strong> der Gute- er ist der Ganze, Sagen wir<br />

doch: Er ist der GuteGanze.<br />

Er fragte, was richtig gutes Leben wäre. Jesus sagt: Wenn du hinauswillst in das<br />

richtige, gute Leben, dann halte die Gebote: »Du sollst nicht töten; du sollst<br />

nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht lügen; ehre Vater und<br />

Mutter« und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst (3.Mose 19,18)<br />

(Matthäus 19,16-19).<br />

Da sprach der junge Mann zu ihm: Das habe ich alles gehalten von Jugend auf.<br />

Da antwortete Jesus, der ihn liebgewonnen hatte: Willst du vollkommen ganz<br />

sein, so geh hin, verkaufe, was du hast, und gibs den Armen, und komm und<br />

folge mir nach!<br />

Als der Jüngling das hörte, ging er betrübt davon; denn er hatte viele Güter.<br />

Markus 10,19-22<br />

Hätte der junge Mann doch den Mund gehalten. Mit den Geboten wird doch<br />

niemand fertig. Die sind doch Lebensarbeit. (Dazu Goethe: „Schwerer Dienste<br />

tägliche Bewahrung/sonst bedarf es keiner Offenbarung“.) Wie kann er nur<br />

müde abwinken, <strong>als</strong> hätte er die Gebote alles schon vollbrach und abgehakt.<br />

Jesus macht den Härtetest: Wie kann man reich bleiben (im Sinne von immer<br />

mehr haben), wenn man Nächstenliebe wirklich lebt. Wie kann man reich sein<br />

ohne zu stehlen ( im Sinne von: mehr nehmen <strong>als</strong> man braucht, nur weil man<br />

stärker ist und die Konkurrenz schwach)? Wie kann man zu vielen Gütern<br />

kommen, ohne zu lügen( im Sinne von Nachteile verschweigen)? Wie kann man<br />

271


zu vielen Gütern kommen, ohne möglichst wenig zu zahlen und die Arbeitskraft<br />

der andern auszunutzen? Der Reichtum geht immer auf Kosten anderer. Ja, es<br />

kann sein, daß der gemeinsame Kuchen wächst und damit auch die Armen<br />

weniger hungrig bleiben; aber der Reichtum der einen ist mit Armut anderer<br />

bezahlt; die reichen Industrienationen kaufen den armen Ländern ihre Schätze<br />

ab, keine Frage.<br />

Jesus rät zu freiwilliger Armut. Alle „Anhaftungen“ machen unfrei. Je mehr er<br />

hat, desto mehr er will- nie schweigen seine Sorgen still- es ist doch so.<br />

Andrerseits sieht Jesus den Wohlstand auch <strong>als</strong> Begabung an, Jesus lässt sich<br />

Fürsorge gefallen: Auch Frauen folgten ihm nach und dienten den Jüngern mit<br />

ihrer Habe (Lukas 8,3). Gern ließ er sich einladen. Er verpflichtet uns geradezu<br />

dazu, den Besitz <strong>als</strong> anvertrautes Gut verantwortlich zu nutzen (Matthäus<br />

25,15ff).<br />

Jesus möchte, die er lieb hat, freisprechen von dem ewigen Bemühen, zu<br />

rechnen und aus allem für sich Vorteile zu ziehen.<br />

*<br />

Jesus spricht:<br />

Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, <strong>als</strong> dass ein Reicher ins<br />

Reich Gottes komme.<br />

Matthäus 19,24<br />

Auch wenn das „Nadelöhr“ ein schmales Stadttor in Jerusalem war, durch das<br />

sich die Kamele zwängen mussten- die Idee ist klar: Wir Reichen sind gefährdet.<br />

Wir sind vor Bittenmüssen geschützt; wir können uns abgrenzen von der<br />

Außenwelt, können Mühen, Schmutz, Beengtheit, Hunger abwehren und die<br />

Armen von uns fern halten. Statt Freude zu machen, uns und anderen, horten wir<br />

eher. Man sehe nur die oft leuchtenden Gesichter der Armen, dagegen schauen<br />

wir doch oft besorgt und miesepitrig drein. Außerdem kann viel Geld den<br />

Charakter verderben, weil man immer Menschen findet, die sich ein Vergnügen<br />

daraus machen, uns gefällig zu sein. Sie müssen sich zu Markte tragen, während<br />

andere, (wir?) nur Geld springen lassen brauchen. Im Reich Gottes jedenfalls<br />

herrscht geteilte Freude. In dieser Hinsicht sind wir wohl noch Anfänger.<br />

*<br />

Der Lohn der Nachfolge<br />

Als mal vom Lohn für Verzichten die Rede war, sagte Petrus zu Jesus: Wir<br />

haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.<br />

Jesus sprach: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Brüder<br />

oder Schwestern oder Mutter oder Vater oder Kinder oder Äcker verlässt um<br />

meinetwillen und um des Evangeliums willen, der nicht hundertfach empfange:<br />

jetzt in dieser Zeit Häuser und Brüder und Schwestern und Mütter und Kinder<br />

272


und Äcker mitten unter Verfolgungen - und in der zukünftigen Welt das ewige<br />

Leben.<br />

Markus 10,28-30<br />

Stellen wir uns Jesus <strong>als</strong> glücklichen Menschen vor! Und er leitet zum Glück,<br />

an. Verzicht hier für Fülle dermaleinst- ist Jesu Sache nicht. Als Petrus mal in<br />

diese Richtung fragte- vielleicht in Hoffnung auf Zusage bester himmlischer<br />

Plätze- da stellte Jesus den Anbruch von Himmel hier in Aussicht. Wer Friede<br />

und Freude hier betreibt, auch wenn es auf Kosten des Eigenen geht, der<br />

bekommt Vielfaches wieder. Hier bleiben Hände nicht leer, wenn wir viel<br />

verschenken. Wenn aus Gewissensentscheid wir uns lossagen von<br />

angestammten Familienbanden, finden wir Wahlverwandtschaft. Die Erde ist<br />

voller Brüder und Schwestern, wenn wir dem Jesus nach, <strong>als</strong>o brüderlich,<br />

geschwisterlich leben. Ja auch ewiges Leben steht an. Aber Himmel soll uns<br />

hier anfangen, wenn auch mit Schmerzen, hundertfältiges Glück unter Mühen.<br />

Wehe den Siegern<br />

Die Letzten werden die Ersten sein, und Erste die Letzten.<br />

Markus 10,21<br />

*<br />

Die Reihenfolge im Himmelreich wird wohl die irdischen Verhältnisse auf den<br />

Kopf stellen. Wer hier viel Ehre bekam, wird lernen, wie er damit auch andere<br />

in den Schatten stellte – und wird anderen den Vortritt zu lassen. Wer hier viel<br />

bitten musste, wird noch mal viel Dank erfahren. Die hier dienten, denen wird<br />

gedient. Wer hier wenig zu lachen hatte, wird in Freuden sein. Diese<br />

Umkehrung der Verhältnisse lasst uns schon mal in die Wege leiten, den<br />

Wechsel lasst uns schon mal üben. Jetzt Chancen geben, jetzt den<br />

Benachteiligten vorziehen, jetzt dem, dem über den Mund gefahren wird, Gehör<br />

verschaffen.<br />

Jetzt die eigene Werteskala überprüfen- jedenfalls skeptisch werden gegen die<br />

eigenen Vorlieben und Zurückweisungen. Wen achtet man, wen schätzt man<br />

gering?<br />

*<br />

Berühmt: Die Arbeiter im Weinberg des Herrn<br />

Jesus sagt: Das Himmelreich gleicht einem Weinbergbesitzer, der früh am<br />

Morgen ausging, um Arbeiter einzustellen. Er wurde mit ihnen einig über einen<br />

Silbergroschen <strong>als</strong> Tageslohn und sandte sie in seinen Weinberg. Gegen neun<br />

ging er wieder auf den Markt und sah andere tatenlos rumstehen und sprach zu<br />

ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg; ich will euch geben, was recht ist.<br />

Und sie gingen hin.<br />

273


Und er ging wieder hin gegen Mittag und Nachmittag und tat dasselbe. Gegen<br />

fünf Uhr ging er noch einmal aus und fand andere und sprach zu ihnen: Was<br />

steht ihr hier so rum? Sie sprachen zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er<br />

sprach zu ihnen: Geht ihr auch hin in den Weinberg.<br />

Als es nun Abend wurde, sprach der Herr des Weinbergs zu seinem Verwalter:<br />

Ruf die Arbeiter und gib ihnen den Lohn, gib jedem einen Silbergroschen.<br />

Als aber die von Frühmorgens drankamen, meinten sie, sie würden mehr<br />

empfangen; doch auch sie erhielten ein jeder seinen Silbergroschen.<br />

Da murrten die lange gearbeitet hatten gegen den Besitzer und sprachen: Diese<br />

Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, doch du hast sie uns gleichgestellt, die<br />

wir des Tages Last und Hitze getragen haben.<br />

Er sagte zu einem von ihnen: Freund, ich tu euch nicht Unrecht. Wir sind uns<br />

doch einig geworden über einen Silbergroschen. Nimm, was dein ist, und geh!<br />

Ich will aber den Letzten dasselbe geben wie euch. Was bist du neidisch, weil<br />

ich gütig bin?<br />

Matthäus 20,1-16<br />

Natürlich ist es menschlich, daß die Vielarbeiter auch viel einnehmen wollen.<br />

Aber ob viel oder wenig gearbeitet wurde- jeder braucht für sich und seine<br />

Familie den Silbergroschen Tageslohn. Ob viel oder wenig gebetet, ob viel oder<br />

wenig Gutes getan, ob viel oder wenig vergeben- Jeder braucht sein Quantum<br />

Lebensgüte. Und Gott will einem jeden seinen Platz einräumen, seine Würde,<br />

sein Arbeitsfeld, sein Quantum Behütung. Sehen wir uns selbst der Gnade in<br />

vieler Hinsicht bedürftig, könnten wir großzügiger dem anderen sein Glück<br />

gönnen.<br />

Sicher ist das Leben eine Mischkalkulation: Die Fleißigen und die Geschickten,<br />

die Bedächtigen und die Flinken, die Handwerker und die “Mundwerker“, die<br />

Künstler; die Überflieger und die, die ihre Ruhe haben wollen, die Fitten und die<br />

mit Handikap. Wir sollten nicht so viel vergleichen. Jeder kann Seins und daß<br />

jeder Seins ins Ganze einbringen kann, dafür müssen wir sorgen.<br />

*<br />

Die Auferweckung des Lazarus<br />

Es lag aber Lazarus krank, der Bruder von Maria und Marta aus Betanien.<br />

Da ließen sie dem Jesus ausrichten: Herr, der, den du lieb hast, er ist in Not.<br />

Als Jesus das hörte, sprach er: Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zur<br />

Verherrlichung Gottes und seines Sohnes.<br />

Dann war Lazarus gestorben und viele kamen, um die Schwestern zu trösten.<br />

Auch Jesus kam. Da sagte Marta: Wärst du hier gewesen, unser Bruder wäre<br />

nicht gestorben.<br />

Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder wird auferstehen.<br />

Spricht Marta zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird - bei der<br />

Auferstehung am Jüngsten Tage.<br />

274


Spricht Jesus zu ihr: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich<br />

glaubt, der wird leben, auch wenn er stürbe; und wer da lebt und glaubt an<br />

mich, der wird nimmermehr sterben.<br />

Aber sie alle weinten um ihn herum. Da ergrimmte er und sprach: Hebt den<br />

Stein vom Grab! Ich will ihn rufen. Spricht zu ihm Marta: Herr, er stinkt schon;<br />

er ist schon in Verwesung übergegangen.<br />

Spricht Jesus zu Gott: Ich weiß, dass du mich allezeit hörst; aber um des Volkes<br />

willen, das umhersteht, sage ich’s, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.<br />

Und rief mit lauter Stimme: Lazarus, komm heraus!<br />

Und der Verstorbene kam heraus, gebunden mit Grabtüchern an Füßen und<br />

Händen, und sein Gesicht war verhüllt mit einem Schweißtuch. Jesus spricht zu<br />

ihnen: Löst die Binden und lasst ihn gehen! Nun glaubten viele an ihn.<br />

Johannes 11<br />

Eine starke Geschichte. Oft wurde sie <strong>als</strong> Beispiel für die Unglaubwürdigkeit<br />

des Christentums aufgefahren. Dabei ist sie ein hinreißendes Bild für die<br />

Verwandelkraft des Glaubens. Jesus und ihm nach auch wir können<br />

„auferstehen aus Ruinen“. Totgesagte Liebe kann neu erwachen. Was schon<br />

verdorben und verloren scheint, kann wiedererstarken.-<br />

Du mußt nur Gott, Christus bei der Arbeit wissen, zu Gange wissen mit dir.<br />

Drum gib nichts verloren. Alles bleibt im Wandel der Schöpfung mitgenommen.<br />

Jesus weckt unsere toten Geister auf, er haucht uns mit Auferstehungskraft an, er<br />

ruft uns aus den Gräbern der Trägheit und Lieblosigkeit. Allein das Bild des aus<br />

dem Grab Steigenden- und die Binden, die Leichentücher flattern von ihm weg!<br />

Dem Jesus nachglaubend empfangen wir neuen Lebenswillen und neue<br />

Liebeskraft. Wir stehen auf, „mitten am Tag, in unserer atmendenden Haut,<br />

vorweggenommen in ein Haus von Licht“ (nach M.L. Kaschnitz). Wir werden<br />

leben, auch wenn wir zwischendurch sterben- „des Lebensruf an uns wird<br />

niem<strong>als</strong> enden“ (H. Hesse).<br />

„Lazarus, komm heraus“ – ist der Ruf an dich und mich: Leb begeistert, gib<br />

keinen auf, auch dich nicht. Vor dir ist immer Einssein mit Gott.<br />

Warum haben Gläubige zwei, drei Generationen später dem Christus die<br />

biologische Wiederbelebung eines Toten zugeschrieben? Sie erlebten sich <strong>als</strong><br />

Auferweckte, <strong>als</strong> zu neuen Ufern Aufbrechende, erfuhren sich wie neu geboren<br />

in ihrem bekehrten Zustand. Sie sahen sich aus der Zementierung in Zwänge<br />

und Regeln herausgemeißelt, spürten sich <strong>als</strong> von neuem Leben durchflutet.<br />

Die Wiederbelebung des Lazarus ist ein Bild für einen neuen Schöpfungstag, der<br />

uns allen zugesagt ist.<br />

Vom Herrschen und vom Dienen<br />

Jesus sprach: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die<br />

Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer<br />

*<br />

275


unter euch groß sein will, der sei euer Diener; und wer unter euch der Erste sein<br />

will, der sei euer Knecht.<br />

Ich bin auch nicht gekommen, dass ich mir dienen lasse, sondern dass ich diene<br />

und gebe mein Leben zu einer Erlösung für viele.<br />

Matthäus 20,25-28<br />

Dienen ist das Jesus-Prinzip. Das heißt nicht, sich aller Mittel zu entledigen.<br />

Sondern tun, was möglichst allen hilft. Und lieber verachtet sein <strong>als</strong> gefürchtet<br />

(E. Canetti), lieber zuerst grüßen, zuhause den Dreck (mit)wegmachen,<br />

möglichst nicht sich sein Recht erstreiten, nicht protzen, keine<br />

Vorzugsbehandlung sich gefallen lassen.<br />

Jesus hat uns vom Leistungswahn erlöst. Gott liebt uns, weil er uns liebt und<br />

nicht, weil wir hier hoch in Kurs stehen. Das verlangt auch eine bescheidene<br />

Kirche, alles Triumphale ist nicht im Sinne des Herrn.<br />

*<br />

Und Jesus ging nach Jericho hinein.<br />

Da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war<br />

reich. Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen<br />

der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief voraus und stieg auf einen<br />

Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen.<br />

Und <strong>als</strong> Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig<br />

schnell herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.<br />

Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden.<br />

Als sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er<br />

eingekehrt.<br />

(Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von<br />

meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so<br />

gebe ich es vierfach zurück.)<br />

Jesus aber sprach: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist<br />

Abrahams Sohn. Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu<br />

machen, was verloren ist.<br />

Lukas 19,1-10<br />

Die Tempelreinigung<br />

Einmal ging Jesus in den Tempel und trieb die Geschäftemacher und Käufer<br />

hinaus und stieß die Tische der Geldwechsler um und die Stände der Händler<br />

276


mit Opfertieren und sprach zu ihnen: Es steht geschrieben (Jesaja 56,7): »Mein<br />

Haus soll ein Bethaus heißen«; ihr aber macht eine Räuberhöhle daraus.<br />

Matthäus 21,12f<br />

Kirche <strong>als</strong> Bethaus- das setzt die Grenze gegen Geldmacherei und<br />

Remmidemmi, auch gegen Kunstspektakel, die Aufsehen erlangen wollen aus<br />

Tabuverletzung, Es muß heilige Räume geben, wo man nicht seine Augenlust<br />

befriedigt, auch nicht sein Wurstbrot auspackt oder seinen Hund mitnimmt- Orte<br />

der Stille und der Anbetung eben. Diese sakralen Zonen zu erhalten, kostet<br />

Geld. Sie sollten nicht durch Eintrittsgelder finanziert werden müssen. Wieviel<br />

Zuschuss brauchen Opernhäuser, Hallenbäder, Musikschulen auch von denen,<br />

die sie nicht benutzen? Müßten nicht die Orte der Frömmigkeit auch von unserm<br />

Staat mitgetragen werden? Die Kirchensteuer ist auch eine Kultursteuer. Sie<br />

hilft, daß Kirche möglichst wenig tun muss, um an Geld zu kommen sondern sie<br />

kann alle Kraft der Frömmigkeit widmen.<br />

*<br />

Steuern zahlen: Gut, wers kann<br />

Wem viel anvertraut ist, dem wird viel abverlangt.<br />

Lukas 12,48.<br />

Geld oder Geist oder Musikalität oder Geschick oder Hinhörfähigkeit oder<br />

Inarbeitbringenkönnen oder Gastfreundschaft oder, oder. . All das sind<br />

Begabungen, und wir müssen sie ausgeben und anwenden, sonst werden sie<br />

stockig und wir sind ganz unglücklich. Leistungsfähig sein ist Geschenk. Es<br />

braucht natürlich unsern Fleiß, braucht Teamfähigkeit, Lust am Gelingen und<br />

Mühe, Mühe, Mühe. Aber daß wir können, was wir sollen, ist auch schon<br />

Begabung. Das Beklopfen der eigenen Schultern können wir uns sparen.<br />

Alle Fähigkeiten, auch die Zahlungsfähigkeit, sind anvertrautes Gut, anvertraut<br />

und zugemutet. Wir sind zuständig im Rahmen unserer Kräfte und wer viel hat<br />

oder kann, wird viel angegangen. Das ist so. Auch Steuerzahlenkönnen ist<br />

Gnade. Es ist einfach unter Niveau, sich der Gelder zu rühmen, die man am<br />

Fiskus vorbeischummelte.<br />

*<br />

Die große Einladung<br />

Als Jesus mit seinen Jüngern zu Tisch saß, kam einer hinzu, der rief: Selig ist,<br />

der das Brot isst dermaleinst im Reich Gottes!<br />

Jesus aber sagte: Was heißt hier „dermaleinst“? Es war ein Mensch, der machte<br />

ein großes Mahl und lud viele dazu ein. Und sandte seinen Knecht aus zur<br />

Stunde des Mahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, es ist alles bereit! Aber<br />

nacheinander fingen sie alle an, sich zu entschuldigen.<br />

Der erste sagte: Ich habe einen Acker gekauft und muss hingehen und ihn<br />

besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. Und der zweite sprach: Ich habe fünf<br />

Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt, sie anzuschauen; ich bitte dich,<br />

277


entschuldige mich. Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum<br />

kann ich nicht kommen.<br />

Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der zornig<br />

und sprach zu seinem Knecht: Geh hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt,<br />

schnell, und lade ein, wenn du triffst- Arme, Verkrüppelte, Blinde und Lahme-<br />

führe sie alle herein.<br />

Später sprach der Knecht: Herr, es ist geschehen, was du gesagt hast; es ist aber<br />

noch Raum da. Da sprach der Herr zu dem Knecht: Geh hinaus auf die<br />

Landstraßen, an die Hecken und Zäune und nötige sie hereinzukommen, auf<br />

dass mein Haus voll werde.<br />

Und wenn die Erstgeladenen doch noch kommen, werden sie stehen müssen.<br />

Lukas 14,15-24<br />

Das Fest ist jetzt. Jetzt lädt uns Gott schon ein, das Leben festlich zu leben. Jetzt<br />

will er sich schon mit uns freuen. Will Frieden mit uns bauen und hinreißende<br />

Gefühle uns schenken, will uns anstecken mit freudvoller Gemeinschaft. Musik,<br />

die Sonne, die Liebesumarmung, Lachen, Trösten, Teilen sollen uns schon jetzt<br />

den Himmel auf die Erde bringen.<br />

Auch Kaufen und Verkaufen kann mit „gottvollem“ Leben zusammengehen.<br />

Eigentum soll sein, kann sein, Ehe soll sein, kann sein- Wichtig, dass wir das<br />

Eigene nicht gegen das Gemeinsame ausspielen. Wer vor lauter Arbeit und<br />

Sammeln das Fest des Lebens verpasst, wer vor lauter „Egoismus zu Zweit“ die<br />

anderen verrät, ist doch nur ein armer Tropf auf der schönen Erde. Und meinen<br />

wir doch nicht, später sei immer noch Zeit für das richtige Leben.<br />

Das Gleichnis wurde oft gelesen <strong>als</strong> Warnung, es gibt ein „Zuspät“ in<br />

himmlischen- <strong>als</strong>o den allerwichtigsten Angelegenheiten. Aber die Drohung, der<br />

himmlische Freudensaal sei für die Weltkinder für immer zugesperrt, ist von<br />

wohlmeinenden Frommen, nicht von Jesus. Gerade, wer nur rafft und für seine<br />

Familie sorgt, wird unabgefunden in seinen Wünschen und mit Wehmut von<br />

dieser Erde gehen. Gerade wer sich hier das Fest des Lebens nicht gegönnt hat,<br />

braucht doch spätestens dann Erlösung von sich selbst. Und wird sie bekommen.<br />

Aber er wird staunen, wie lange die andern schon fröhlich sind, weil sie in Jesu<br />

Gemeinschaft schon so lange gute Erfahrung haben.<br />

Es gab Zeiten, da hat die Kirche aus diesem Gleichnis die Aufforderung gelesen,<br />

Andersgläubige mit Macht zu Taufe und Kirchzugehörigkeit zu nötigen. Damit<br />

hat sie viel Unrecht getan; sie dachte von sich zu groß (im Sinne von wichtig)<br />

und von Gott zu klein (im Sinne von kleinlich).<br />

*<br />

Von der bittenden Witwe<br />

Er sagte ihnen aber ein Gleichnis darüber, dass sie allezeit beten und nicht<br />

nachlassen sollten, und sprach: Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete<br />

sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen.<br />

278


Es war aber eine Witwe in derselben Stadt, die kam zu ihm und sprach: Schaffe<br />

mir Recht gegen meinen Widersacher! Und er wollte lange nicht. Danach aber<br />

dachte er bei sich selbst: Wenn ich mich schon vor Gott nicht fürchte noch vor<br />

keinem Menschen scheue, will ich doch dieser Witwe, weil sie mir so viel Mühe<br />

macht, Recht schaffen, damit sie nicht zuletzt komme und mir ins Gesicht<br />

schlage.<br />

Da sprach der Herr: Hört, was der ungerechte Richter sagt! Sollte dann Gott<br />

nicht auch Recht schaffen seinen Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht<br />

rufen, und sollte er's bei ihnen lange hinziehen?<br />

Ich sage euch: Er wird ihnen Recht schaffen in Kürze.<br />

Lukas 18,1-8<br />

Eine heikle Geschichte. Wenn schon ein ungerechter Richter der Bittenden<br />

Recht schafft (und sei es aus Berechnung), dann wird doch Gott die Seinen erst<br />

recht und in Bälde erhören.<br />

Und erhört Gott unsere Gebete prompt? Das Weinen und Schreien von<br />

Auschwitz liegt Gott immer noch in den Ohren, ja, es ist Teil von Gottes<br />

Geschichte für immer. Zu seinem Bilde schuf er uns, und was haben wir<br />

aneinander für Verbrechen begangen, haben zu erniedrigten, geknechteten,<br />

verlassenen, verächteten, verhungernden Wesen gemacht. Geschundene rufen<br />

den Himmel um Hilfe an gegen unsereinen. Weil ihre unendliche Sehnsucht die<br />

Mörder nicht sich selbst überlassen kann. Darum können sie das Schreien um<br />

Hilfe nicht lassen, auch wenn ihre Schmerzen ihnen den Himmel leer machen.<br />

Wenn nicht in Gott, in wen sonst können wir uns denn hineinweinen, letzten<br />

Endes? Dass er teilnimmt ist sein Erhören.<br />

*<br />

Pharisäer und Zöllner<br />

Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die<br />

andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu<br />

beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.<br />

Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin<br />

wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser<br />

Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was<br />

ich einnehme.<br />

Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum<br />

Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig!<br />

Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn<br />

wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst<br />

erniedrigt, der wird erhöht werden.<br />

Lukas 18, 9-14<br />

Der Selbstgerechte und der Bittende- in wechselnden Gestalten gehen sie durch<br />

279


uns hindurch. Der Pharisäer ist uns dermaßen zum Schimpfwort geworden, daß<br />

wir gern auf bescheiden machen. Der Kern aber ist, ob wir glauben an das nie<br />

erlöschende Gemeinsame, das uns trägt (Robert W<strong>als</strong>er).<br />

Der Welt Schlüssel heißt Demut; ohne ihn ist alles Klopfen, Horchen, Spähen<br />

umsonst (Christian Morgenstern).<br />

*<br />

Die Segnung der Kinder<br />

Sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühren sollte. Als das aber die Jünger<br />

sahen, fuhren sie die Mütter an: Belästigt den Meister nicht.<br />

Aber Jesus sprach: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht,<br />

denn solchen gehört das Reich Gottes.<br />

Wahrlich, ich sage euch: Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der<br />

wird nicht hineinkommen.<br />

Lukas 18,15-17<br />

Die „Weltneulinge“- mit „Trompeten des Lichtes“ öffnet sich ihnen Alles,<br />

unabsehbar, ungewiss (Peter Sloterdijk). Schließen wir mit ihnen Freundschaft,<br />

wenn wir sie aufziehen.<br />

„Ehre die Eigentümlichkeit und die Willkür deiner Kinder, auf dass es ihnen<br />

wohl gehe und sie kräftig leben auf Erden (Friedrich Schleiermacher). „Ihre<br />

Seele wohnt im Haus von morgen“(Khalil Gibran). Ja, ehren wir gebührend, das<br />

fremde, herübergekommene Wesen, das noch anderen Mächten nachlauscht, die<br />

es zur Welt brachten. Begrüßen wir den plötzlich Eintretenden, den wir nicht<br />

kennen. In uns soll er Engel, Helfer, Gottes Gefährten finden (nach Botho<br />

Strauß).<br />

*<br />

Zachäus<br />

Und er ging nach Jericho hinein, da war ein Mann mit Namen Zachäus, ein<br />

Oberer der Zöllner und reich. Der begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und<br />

konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. Und er lief<br />

voraus und stieg auf einen Maulbeerbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er<br />

durchkommen.<br />

Und <strong>als</strong> Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig<br />

eilend herunter; heute muss ich in dein Haus einkehren. Und der stieg eilend<br />

herunter und nahm ihn auf mit Freuden. Als die Leute das sahen, murrten etliche<br />

und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt.<br />

(v.8 Zachäus aber trat vor den Herrn und sprach: Siehe, Herr, die Hälfte von<br />

meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so<br />

gebe ich es vierfach zurück.)<br />

Jesus aber sprach: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, auch er ist<br />

Abrahams Sohn. Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu<br />

280


machen, was verloren ist.<br />

Lukas 19, 1-10<br />

Eine der beliebtesten Geschichten aus der Kinderkirche: Der kleine reiche Mann<br />

klettert auf den Baum, um den wunderbaren Jesus zu sehen. Und der sieht ihn,<br />

nimmt ihn wahr; beschenkt ich damit, dass er ihn zu Gast haben darf. Die andern<br />

gönnen das dem ungeliebten Geldeintreiber nicht. Jesus sieht die maulenden<br />

ordentlichen Bürger und bittet sie sie von ihrer Hartherzigkeit abzulassen: Wie<br />

ihr nicht aus Verdienst Abrahams und Saras Nachkommen seid -und damit zu<br />

Gottes Volk gehörend-, so schließt er sich auch nicht aus durch seine Fehler.<br />

(darum ist Vers 8 nicht nötig, eher schädlich, und sicher so nicht passiert!) Jesus<br />

kommt, um die Gotteskindschaft aller zu gewährleisten.<br />

Also wenn du zweifelst daran, Sohn/Tochter Gottes zu sein, dann lade welche in<br />

dein Haus, die an der Menschenwürde beschädigt sind. Nimm sie auf mit<br />

Freuden, in ihnen ist Jesus/ Gott bei Dir.<br />

Das Kreuz war gegen Gottes Willen<br />

Jesus erzählte: Es war ein Gutsbesitzer, der hatte einen Weinberg mit Kelter<br />

und Turm. Der Weinberg trug gut. Dann verpachtete er den Weinberg.<br />

Zur Erntezeit schickte er seine Leute zu den Winzern, um seinen Anteil an den<br />

Früchten abzuholen.<br />

Die Winzer aber verprügelten seine Leute; darauf schickte er andere Boten,<br />

mehr <strong>als</strong> das erste Mal; die brachten sie um.<br />

Zuletzt sandte er seinen Sohn zu ihnen; denn er dachte: Vor meinem Sohn<br />

werden sie Respekt haben. Als die Winzer den Sohn sahen, sagten sie<br />

zueinander: Das ist der Erbe. Töten wir ihn, werden wir den Weinberg behalten<br />

können. Und sie packten ihn, warfen ihn aus dem Weinberg hinaus und brachten<br />

ihn um.<br />

Was meint ihr, fragte Jesus die Zuhörer- wenn nun der Besitzer des Weinbergs<br />

selbst kommt: Was wird er mit den Pächtern tun?<br />

Sie sagten zu ihm: Er wird diesen bösen Menschen ein böses Ende bereiten und<br />

den Weinberg an andere Winzer geben.<br />

Matthäus 21, 31-41<br />

Eigentlich einfach zu verstehen: Denen der Weinberg anvertraut war, die<br />

wollten allein für sich die Ernte haben. Der Besitzer schickt Mahner und<br />

Kassierer, die Pächter schaffen die sich vom H<strong>als</strong>, der Besitzer schickt seinen<br />

Sohn, an den werden sie ja wohl zahlen. Auch den bringen sie um in der<br />

f<strong>als</strong>chen Meinung, so Ruhe zu haben. Dann kommt der Besitzer selber, straft<br />

und entzieht und verteilt neu.<br />

Übertragen: Gott hat das Wissen von sich den Gottesgelehrten Israels anvertraut,<br />

die aber haben nicht getan, was sich damit zu tun gehört, nämlich Liebe üben,<br />

281


sondern haben das Gotteswissen zum Eigennutz (zur Selbsterhöhung) gebraucht.<br />

Mahner, Propheten kommen und werden nicht gehört. Dann kommt der Sohn,<br />

der wird ermordet. Sie wollten das Gotteswissen so handhaben, wie sie es<br />

verstanden. Dann aber fängt Gott nochmal das Evangelium von seiner Liebe neu<br />

an.<br />

Mit dieser Geschichte macht sich die Urgemeinde klar, Jesus hat nicht<br />

umgebracht werden sollen. Gott schickte Jesus, um das Evangelium vom<br />

liebenden Gott in Wort und Tat umzusetzen.- Doch sie nahmen den Ruf in den<br />

liebenden, vertrauten Umgang mit Gott nicht an. Sie trauten mehr dem<br />

Gesetzesgott des Mose, wollten lieber aus eigener Leistung Gott recht sein,<br />

wollten auch ihre (durch Gebotegehorsam erworbene) bevorzugte Stellung vor<br />

andern Menschen und Völkern nicht verlieren.<br />

Gott erlebt Rückschläge noch und noch- seine geliebten Menschen tun Böses-<br />

und Gott muss leiden, immer noch. Denn der Liebende kann Liebe nicht<br />

aufzwingen, er kann für seine Liebe nur kämpfen durch Weiterlieben. Darum<br />

muss Liebe leiden, und der Schöpfer aller Liebe muss leiden, bis die Liebe der<br />

Sünden Menge aufgesogen hat. Jesu Auferstehung ist Gottes Versprechen, daß<br />

er durchhält mit seinem Lieben und kein Tod uns von ihm scheidet.<br />

*<br />

Die Frage nach der Steuer (»Der Zinsgroschen«)<br />

Die Schriftgelehrten ließen bei Jesus anfragen: Was meinst du: Ist es recht, dass<br />

man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht?<br />

Jesus ließ sich eine Münze reichen. Und sprach: Wessen Bild und Aufschrift ist<br />

das?<br />

Sie sprachen zu ihm: Des Kaisers. Da sprach er zu ihnen: So gebt dem Kaiser,<br />

was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.<br />

Matthäus 22,17-21<br />

Steuern zahlen tut wohl keiner gern. Auch die Gegner Jesu wollten ihm einen<br />

Strick drehen mit dieser Frage: Rät er zu Steuern, verliert er die Sympathie beim<br />

Volk, ruft er zum Steuerboykott auf, wird er Staatsfeind. Jesus läßt sich eine<br />

Münze reichen- darauf das Bild des Kaisers. Also geht ihr mit des Kaisers Geld<br />

um, dann zahlt ihm auch seinen Anteil. Aber viel wichtiger: Was zeigt denn euer<br />

Gesicht? Ist nicht jedes eine Vision Gottes? Ihr gehört ihm. Also gebt euch ihm.<br />

Gemessen daran sind Geldsachen doch Lappalie.<br />

Wir geben uns Gott ja schon in kleiner Münze. In den vielen Gestalten der<br />

Liebe geben wir uns ab, wir sind nicht glücklich mit Festhalten und Sammeln.<br />

Doch vielleicht können wir auch noch etwas über uns hinauswachsen.<br />

Die Pfennige der Witwe<br />

*<br />

282


Er war am Tempel und sah, wie die Reichen ihre Opfer in den Gotteskasten<br />

einlegten. Und viele legten viel ein. Er sah aber auch eine arme Witwe, die legte<br />

zwei kleine Münzen ein. Und er sprach: Diese Frau hat mehr <strong>als</strong> sie alle<br />

eingelegt. All die haben etwas von ihrem Überfluss eingelegt; sie aber hat<br />

eingelegt, was sie zum Leben hatte.<br />

Lukas 21,1-4<br />

Am Tagesende (oder Jahresende) sich all dessen entledigen, was man noch an<br />

Geld hat und am neuen Tag wieder neu das Nötige kommen lassen - das wäre<br />

ein ins Vertrauen geschmiegtes Leben. Ich kann das nicht. Aber daß ich nicht<br />

mal viel von meinem Überfluß einlege, dessen schäme ich mich. Jesus forderte<br />

seine Jünger auf, ohne Tasche, ohne Geldbeutel loszugehen (Matthäus 10,10).<br />

Sie werden Menschen finden, die genug haben, um ihnen was abzugeben. Es ist<br />

von Jesus <strong>als</strong> Freispruch gedacht, nicht <strong>als</strong> Pflicht. Mit weniger auszukommen<br />

versuchen, wäre wohl Anfang von Freiheit.<br />

*<br />

Von den klugen und törichten Frauen<br />

Mit dem Himmelreich geht es ähnlich wie den Frauen, die ihre Lampen nahmen<br />

und dem Bräutigam entgegen gingen. Fünf von ihnen waren töricht und fünf<br />

waren klug.<br />

Als nämlich der Bräutigam lange ausblieb, schliefen sie alle ein. Um<br />

Mitternacht aber erhob sich lautes Rufen: Siehe, der Bräutigam kommt! Geht<br />

ihm entgegen! Da standen die Frauen alle auf und machten ihre Lampen fertig.<br />

Den törichten aber war ihr Öl zuneige gegangen und sie baten die klugen: Gebt<br />

uns von eurem Öl, denn unsre Lampen verlöschen.<br />

Da antworteten die klugen und sprachen: Nein, sonst würde es weder für uns<br />

noch für euch genug sein.<br />

(Matthäus 25, 1-9)<br />

Es ist wichtig, mit seinen Kräften hauszuhalten. „Wenn du weißt, was du willst,<br />

musst du machen, daß du hinkommst“ sangen die „Mißfits“. Einfach drauf los<br />

leben, ist nicht. Wenn du den Bräutigam/ die Braut treffen willst, musst du<br />

„genug Öl auf der Lampe haben“- musst bei Kräften sein und sie einteilen. Du<br />

musst dein Licht leuchten lassen, wenn es sich lohnt. Mit anderer Leute<br />

Hilfsbereitschaft zu rechnen, ist weder klug noch fair.<br />

Die ausgebrannt waren, wollten noch schnell neuen Stoff besorgen. Doch sie<br />

kamen zu spät zum Fest, die Tür war schon verschlossen. Und soviel sie auch<br />

baten: Herr, Herr, tu uns auf!- sie hörten nur: Ich kenne euch nicht!<br />

Also wachet! Denn ihr wisst weder Tag noch Stunde.<br />

(Matthäus 25,10-14)<br />

283


Einige Frauen verpassen ein Hochzeitsgeleit aus Unachtsamkeit. Dies<br />

Missgeschick diente in der Urgemeinde <strong>als</strong> warnendes Predigt-Beispiel, nur ja<br />

wachsam zu sein in Richtung Jüngster Tag. Richtig, daß wir unsern Jesus<br />

Christus nah wissen und unser Tun gewogen wird daran, ob wir sein Fest mit<br />

vorbereitet haben. Aber unser Christus macht uns nicht gefügig mit Angst.<br />

Wenn wir zu spät (zum Glauben) kommen, hat uns das Leben schon genug<br />

bestraft. Der Herr kennt uns, gerade die Schwierigen.<br />

(Die Geschichte taugt heute nicht mehr- zu sehr sind wir auf Solidarität geeicht.<br />

Zu gut können wir das Bevorraten organisieren (Abwechselnd hält einer das<br />

Feuer wach für die andern mit). Und die ewige Strafe für die Dummheit ist<br />

grotesk überzogen. Jedenfalls darf diese Geschichte nicht kommentarlos –gar<br />

noch <strong>als</strong> „Evangelium des Sonntags“ verlesen werden.<br />

*<br />

Die anvertrauten Pfunde<br />

Mit dem Himmelreich geht es so wie einem Menschen, der in ein fernes Land<br />

zog: Er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen an;<br />

dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei, dem dritten einen-<br />

jedem nach seiner Fähigkeit, und zog fort.<br />

Sogleich ging der hin, der fünf Zentner empfangen hatte, und handelte mit ihnen<br />

und gewann weitere dazu. Ebenso der andere. Und der dritte?<br />

Nach langer Zeit kam der Herr zurück und forderte von den Knechten<br />

Rechenschaft.<br />

Da trat der erste hinzu: Herr, du hast mir fünf Zentner anvertraut; siehe da, ich<br />

habe damit weitere fünf Zentner gewonnen. Da sprach sein Herr zu ihm: Gut so,<br />

du tüchtiger und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will<br />

dich über viel setzen; feier mit das Freudenfest!<br />

Da trat auch der hinzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach: Herr, du<br />

hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit zwei weitere<br />

gewonnen. Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger und treuer Knecht,<br />

du bist über wenigem treu gewesen, ich will dich über viel setzen; geh hinein<br />

zum Freudenfest!<br />

Zuletzt trat auch der hinzu, der einen Zentner empfangen hatte, und sprach:<br />

Herr, ich wusste, dass du ein harter Mann bist: Du erntest, wo du nicht gesät<br />

hast, und sammelst ein, wo du nicht ausgestreut hast; und ich fürchtete mich, ich<br />

ging hin und vergrub deinen Zentner in der Erde. Siehe, da hast du das Deine.<br />

Sein Herr aber antwortete und sprach zu ihm: Du böser und fauler Knecht!<br />

Wusstest du, dass ich ernte, wo ich nicht gesät habe, und einsammle, wo ich<br />

nicht ausgestreut habe? Dann hättest du mein Geld wenigstens zu den<br />

Wechslern bringen sollen, und wenn ich gekommen wäre, hätte ich das Meine<br />

wiederbekommen mit Zinsen.<br />

Darum nehmt ihm den Zentner ab und gebt ihn dem, der zehn Zentner hat.<br />

284


Denn wer da hat, dem wird gegeben werden, und er wird die Fülle haben; wer<br />

aber nicht hat, dem wird auch, was er hat, genommen werden. Und den<br />

unnützen Knecht werft in die Finsternis hinaus; da wird sein Heulen und<br />

Zähneklappern.<br />

Matthäus 25, 15-30<br />

„Wer da hat, dem wird gegeben“- ist wohl ein ursprüngliches Jesuswort. Es ist<br />

später an die Gemeindepredigt von den anvertrauten Talenten angefügt, aber<br />

geht am Sinn der Erzählung vorbei.<br />

Es ist schon so: Wer hat, erhält mehr. Wer seine Fähigkeiten fleißig einsetzt,<br />

wird Erfolge ernten. Wer anderen viel nützt mit seinem Vermögen, der wird viel<br />

erlösen. Wer nichts hat, womit er anderen zu Diensten sein kann, steht leer da.<br />

Und seine Restbegabungen verkümmern auch noch.<br />

Ein Reicher verteilt sein Geld und sagt: Schafft damit für mich und euch. Er<br />

vertraut seinen Mitarbeitern Mittel an, Talente- eine griechische Münzeinheit für<br />

Silber- wovon unser Wort „Talent“ genommen ist. Je nach Tüchtigkeit weist der<br />

Herr- <strong>als</strong>o Gott- die Mittel zu, aber auch die Fähigkeiten sind schon Gaben, sind<br />

schon Anvertrautes.<br />

Und jeder, sagt das Gleichnis, soll sich darauf verlassen, daß er genug<br />

Begabungen hat- ja, daß das Leben genau seine Begabungen nötig hat. Darum<br />

ist es auch so sträflich, seine Gaben zu vergraben, zu verstecken, zu vergeuden.<br />

Und es ist eben auch so, daß die nicht genutzten Fähigkeiten verloren gehen und<br />

man am Ende sich wie verloren vorkommt. Das ist schon zum Heulen. Aber<br />

unser Versagen wird nie das letzte Wort haben, wir enden nicht in Finsternis.<br />

(Darum sollte man den Schlussvers weglassen- wahrscheinlich ist er <strong>als</strong><br />

moralischer Zeigefinger angeklebt).<br />

*<br />

Vom Weltgericht<br />

Christus spricht: Wenn aber der Christus kommen wird in seiner Herrlichkeit<br />

und alle Engel mit ihm, dann wird er sitzen auf dem Thron seiner Herrlichkeit,<br />

und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Da wird dann der König<br />

sagen zu denen zu seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters,<br />

ererbt das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!<br />

Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich bin<br />

durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben. Ich bin ein Fremder<br />

gewesen und ihr habt mich aufgenommen. Ich bin nackt gewesen und ihr habt<br />

mich gekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin im<br />

Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen.<br />

Dann werden ihm die Gerechten antworten und sagen: Herr, wann haben wir<br />

dich hungrig gesehen und haben dir zu essen gegeben, oder durstig und haben<br />

dir zu trinken gegeben? Wann haben wir dich <strong>als</strong> Fremden gesehen und haben<br />

285


dich aufgenommen, oder nackt und haben dich gekleidet? Wann dich krank oder<br />

im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen?<br />

Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch:<br />

Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern und<br />

Schwestern, das habt ihr mir getan. Und was ihr ihnen schuldig bliebt, das<br />

bliebt ihr auch mir schuldig.<br />

Aus Matthäus 25,31-40<br />

So wichtig ist unser Handeln: es hat Folgen bis in die Ewigkeit. Wir haben hier<br />

schon mit Christus, mit Gott persönlich zu tun. In den Menschen, die wir stärken<br />

oder schwächen, ist Gott mit drin, wir tun ihm mit gut oder tun ihm mit weh.<br />

Aber Gott wird uns, auch wenn wir nur schwach geliebt haben, lieben, ergänzen,<br />

heilmachen. Wir verdienen uns den Himmel nicht, er steht uns offen, weil uns<br />

Gottes Herz offen steht- das ist Jesu Offenbarung.<br />

Gibt es <strong>als</strong>o kein Belohnen und Bestrafen mehr bei Gott? Paulus sagt es mal so :<br />

Unsere Taten werden geprüft, ob sie Gold oder Stroh waren- aber wir selbst<br />

werden gerettet werden „<strong>als</strong> wie durch Feuer hindurch“ (1.Korinther 3,15). Die<br />

Lohe des Lebendigen wird uns alle versengt haben- „keiner ist gut, außer Gott<br />

allein“(Markus 10,18). Gutes tun tut einfach gut, und freiwillig ist keiner bös.<br />

Im ausführlichen Bibeltext steht das „doppelte Gericht“; die einen kommen in<br />

den Himmel, die andern in die ewige Verdammnis. Genau spiegelbildlich zu den<br />

Guten werden die Bösen aufgezählt. Aber das kann nicht von Jesus stammen.<br />

Das hat ein judenchristlicher Rabbi so weitergesponnen aus pädagogischen<br />

Gründen. Er wollte warnen vor dem Bösen. Doch der Zweck heiligt die Mittel<br />

nicht. Wenn wir nur aus Angst Böses sein ließen, obwohl wirs uns wünschten,<br />

was wären wir arm dran. Jesus traut uns doch zu, aus freien Stücken gern Gutes<br />

zu tun. Und er traut Gott zu, uns liebesfähig geschaffen zu haben, auch wenn<br />

wir oft versagen. Und er wird uns erlösen, nicht wir uns selbst.<br />

In dem Film „Blow up“ spielen Zwei imaginäres Tennis, <strong>als</strong> hätten sie Schläger<br />

, <strong>als</strong> klackten die Bälle, sie spielen so hingebungsvoll, daß dann Aufschlag,<br />

Netzball, Schmetterball Töne annehmen. Es ist wahres Tennis. So auch die<br />

Wunderkräfte der Liebe leben; Jesu Taten tun, <strong>als</strong> ob in unserm Spiel er real<br />

wird. Und er geschieht.<br />

* *<br />

286


A3 Jesu Passion- Kreuzigung- Auferstehung<br />

Nicht böser Wille brachte Jesus ans Kreuz<br />

Die Hohenpriester und die Pharisäer versammelten den Hohen Rat und<br />

sprachen: Was ist zu tun? Jesus, dieser Mensch, liefert viele Zeichen. Lassen wir<br />

ihn gewähren, dann werden sie alle an ihn glauben, und dann kommen die<br />

Römer und nehmen uns Land und Leute.<br />

Einer aber von ihnen, Kaiphas, der in dem Jahr Hoherpriester war, sprach zu<br />

ihnen: Es ist besser, ein Mensch sterbe für das Volk, <strong>als</strong> daß das ganze Volk<br />

verderbe. Von dem Tage an war es für sie beschlossen, dass sie ihn umbrachten.<br />

Kaiphas hatte das nicht von sich aus gesagt, sondern er weissagte es. Denn<br />

Jesus sollte sterben für das Volk und nicht für das Volk Israel allein, sondern<br />

auch, um die verstreuten Kinder Gottes zusammenzubringen.<br />

Johannes 11, 47-53<br />

Die offiziellen Religionsvertreter hatten sicher recht mit ihrer Einschätzung:<br />

Jesus war weit weg vom jüdischen Gesetzesgehorsam und vom Untertansein<br />

dem Kaiser in Rom. Er verkündigte den Gott der Liebe und betrieb eine<br />

Revolution der Gerechtigkeit und Freiheit. Der Tempel und das Lehramt aber<br />

geboten Ruhe und Ordnung. Um nicht ihre Stellung zu gefährden und sicher<br />

auch, um durchzusetzen, was sie für Gottes Willen hielten, wollten sie Jesus<br />

töten. Damit setzten sie unwissentlich Jesus in die Rolle des Heilsbringers ein.<br />

Die Passionsgeschichte beschreibt die welterschütternste Tragödie. Alle<br />

Leiden und Schmerzen verkörpern sich in diesem Jesus: „Sehet, welch ein<br />

Jammermensch!“ Doch das irdische Ende ist Anfang von Auferstehung, Jesus<br />

gebiert das „Prinzip Hoffnung“. Die Auferstehung von den Toten ist die<br />

„härteste Währung auf dem Markt der Möglichkeiten“ (Wolf Biermann).<br />

*<br />

Die Salbung in Betanien<br />

Jesus war auf dem Weg nach Jerusalem. Er kam durch Betanien, da war er zu<br />

Gast im Hause Simons des Aussätzigen. Und es trat zu ihm eine Frau, die hatte<br />

ein Glas mit kostbarem Salböl und netzte damit sein Haar und Gesicht, <strong>als</strong> er zu<br />

Tisch saß.<br />

Als das die Jünger sahen, wurden sie unwillig und sprachen: Wozu diese<br />

Vergeudung? Es hätte teuer verkauft und das Geld den Armen gegeben werden<br />

können.<br />

Als Jesus das merkte, sprach er zu ihnen: Was betrübt ihr die Frau? Sie hat ein<br />

gutes Werk an mir getan. Arme habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr<br />

nicht allezeit. Dass sie das Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie auf<br />

mein Begräbnis hin getan.<br />

Matthäus 26, 6-12<br />

287


Auch ein Hohes Lied der Liebe: Die Jünger haben keine Ahnung, dass sich alles<br />

zuspitzt auf Leben und Tod. Eine namenlose Frau scheint zu wissen, welch<br />

schweren Weg Jesus vor sich hat. Sie salbt ihn, segnet ihn, rüstet ihn zu für<br />

seinen Kampf, einzustehen für die Liebe Gottes, und nicht seine Freiheitspredigt<br />

zu widerrufen.<br />

Die Männer rechnen nur, sehen Verschwendung und möglichen Nutzen. Aber<br />

Jesus lässt sich die Liebesbezeugung der Frau gefallen- und zieht die tumben<br />

Männer mit ins Einverständnis.<br />

*<br />

Liebesdienst<br />

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker<br />

niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es bei euch nicht<br />

sein; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. Und wer unter<br />

euch der Erste sein will, der sei Knecht aller.<br />

Ich bin auch nicht gekommen, mir dienen zu lassen, sondern dass ich diene und<br />

gebe mein Leben zur Erlösung für viele. Es ist so: Wer sein Leben für sich<br />

behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben drangibt für das Gute,<br />

dem wird es erhalten.<br />

Matthäus 20, 25-28,Markus 8, 35<br />

Kurz, klar, wahr ist das Jesusprojekt: Sich hingeben fürs Gesamte; sich mühen;<br />

dem andern die Last mittragen- das hilft zum Leben. Wer anderer Leute Leben<br />

aussaugt, wird trotzdem keinen Zuwachs an eigenem Wert erlangen. Wer das<br />

Ganze fördert, dessen Selbst wird bleiben, auch wenn er vergeht. Dieses Prinzip<br />

der Mütter, der Helfenden, der nicht aufs Rechhaben Drängenden, der<br />

Freudenstifter kann einen aber auch ins eigene Fleisch schneiden.<br />

Jesus wußte, daß sogar Gott dient. Das aber schien den „von Gottes Gnaden“<br />

Herrschenden ein Abbruch an Würde. Sie wollten nicht Diener eines dienenden<br />

Gottes sondern machtvolle Stellvertreter eines Macht- Gottes sein. Jesus<br />

dagegen steht mit seinem Leben für die liebende Allmacht ein. Damit erlöst er<br />

von dem herrischen Gottesbild und begründet auch das Leuchtbild vom<br />

liebenden Mitmenschen.<br />

Jesus spricht: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.<br />

Johannes 14,6<br />

*<br />

Was den Weg zum Lebendigen ausmacht, was die Wahrheit vom Lebendigen,<br />

ja, was das Lebendige des Leben ausmacht, das ist Christi Wesen. Er bildet die<br />

uns zum Ziel führende Wahrheit des Seins. Er ist uns Hirte des Lebensweges,<br />

mit ihm sein, heißt in Gottes Wahrheit sich aufgehoben wissen. Mit ihm leb ich,<br />

auch wenn ich sterbe. –<br />

288


„Ich und der Vater, wir sind eins“, sagt Jesus einmal (Johannes 10,30) . Das hält<br />

fest: wir sollen Gott und Christus nicht auseinander dividieren. „Wer mich sieht, sieht<br />

den Vater“ (Johannes 14,9).<br />

„Fragst du, wer Gott ist, er heißt Jesus Christ“ (M. Luther). – Einmal kann man Gott<br />

fühlen in Gestalt des Hirten Jesus- ich ihm zur Seite- einmal kann man Gott schauen<br />

<strong>als</strong> Schöpfer, wenn man durchs Mikroskop oder durchs Fernrohr zum Himmel sieht.<br />

An Jesus Christus zeigt uns Gott, wie er zu uns ist, und wie er uns haben will.<br />

Ich lebe und ihr sollt auch leben.<br />

Johannes 14.19<br />

*<br />

Das Herz der Welt- Gott- war leibhaftig in diesem Jesus. Damit ist uns ein Bild<br />

gegeben vom wahren Menschsein: Wach, liebevoll, lustvoll ausgestreckt nach<br />

Glücklichwerden und Glücklichmachen, kämpferisch die f<strong>als</strong>chen Bauformeln<br />

bloßlegend und das gute Gesicht Gottes spiegelnd- so ist er, so sollen wir sein,<br />

annähernd.<br />

Auch wir werden uns dann <strong>als</strong> lebendig erkennen. Das ist versprochen. Und es<br />

ist jetzt erfahrbar. Manchmal stehen wir zur Auferstehung auf- spüren Frühling<br />

in unserer Seele, sind gerne wir. Diese innere Verwandtschaft mit Jesus soll uns<br />

oft gelingen. Und nie bleiben wir tot, höchstens drei Tage. Warum? Weil Gott<br />

nicht ohne dich sein will, darum wirst du ewig leben. Und es wird Freude sein,<br />

Freude sein.<br />

Daß wir noch irdisch sind, lasst uns nutzen- noch ist Werdezeit, noch ist Zeit zu<br />

lieben. Hilf, daß ein Mensch aufatmet wegen dir.<br />

*<br />

Verschiedene Vorbereitungen<br />

Als es auf das Passa zuging, das jährliche Fest der Rettung aus der Knechtschaft<br />

in Ägypten, fragten die Jünger: Jesus, wo sollen wir das Mahl zubereiten? Er<br />

sprach: Geht hin in die Stadt zu einem und sprecht zu ihm: Der Meister lässt dir<br />

sagen: Meine Zeit ist nahe; ich will bei dir das Passa feiern mit meinen Jüngern.<br />

Und die Jünger taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte.<br />

Und einer von den Zwölfen, mit Namen Judas Iskariot, ging hin zu den<br />

Hohenpriestern und sprach: Ich will ihn euch ausliefern. Und sie boten ihm<br />

dreißig Silberlinge.<br />

Als das Mahl bereitet war und alle Jünger versammelt waren, stand Jesus auf,<br />

legte sein Obergewand ab, nahm eine Schürze und umgürtete sich. Dann goß er<br />

Wasser in ein Becken und fing an, den Jüngern die Füße zu waschen und sie<br />

auch abzutrocknen.<br />

Dann sprach zu ihnen: Wisst ihr, was ich euch getan habe? Ihr nennt mich<br />

Meister und Herr und sagt es mit Recht, denn ich bin’s auch. Wenn nun ich, euer<br />

Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, so sollt ihr es euch<br />

289


untereinander auch tun. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, damit ihr tut, wie<br />

ich euch getan habe.<br />

Matthäus 26, 14-19, Johannes 13,4-15<br />

Während die einen das Fest vorbereiten, geht der Andere los und organisiert die<br />

Auslieferung in den Tod. Aber auch ihm wäscht Jesus die Füße. Die Waschung<br />

ist beispielhafte Geste der Demut: Wir sollen, statt auf den eigenen Vorteil zu<br />

achten, einander dienen.<br />

Dann setzten sie sich zu Tisch.<br />

Als sie aber aßen, nahm Jesus das Brot, dankte und brach’s und gab’s seinen<br />

Jüngern und sprach: (1. Korinther 11,23) Nehmet hin und esset; das ist mein<br />

Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. (Lukas 22,20)<br />

Und er nahm den Kelch, dankte, gab ihnen den und sprach: Diese Kelch ist der<br />

neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird zur Vergebung der Sünden.<br />

Und <strong>als</strong> sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.<br />

Matthäus 26,20; 26,30<br />

Das Passamahl erinnert an die Herausführung Israels aus der Knechtschaft.<br />

Dam<strong>als</strong> sollte das Blut eines Lammes sollte an die Türpfosten der Hütten Israels<br />

gestrichen sein, wenn der Todesengel Ägyptens Erstgeburten erwürge; und sie<br />

sollten essen <strong>als</strong> „die Hinwegeilenden“ (2. Mose 12), die keine Zeit mehr hatten,<br />

mit Sauerteig Brot zu backen.<br />

Im Abendmahl setzt sich Jesus Christus <strong>als</strong> das rettende Lamm des neuen<br />

Bundes ein; „Jesu Blut für dich vergossen“ besorgt, bzw. kennzeichnet die<br />

Vergebung der Sünden. Diese „Einsetzungsworte“ spiegeln die Situation und<br />

Theologie der frühen Kirche. Da war das Mahl schon zum Symbol geworden,<br />

zum Pfand für die Rettung im Jüngsten Gericht- zum „Heilmittel gegen den<br />

ewigen Tod“.<br />

Das historische letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern war sicher voller<br />

Abschiedsreden -„esst, trinkt (oft noch) zu meinem Gedächtnis“- und voll<br />

Entsetzen über den bevorstehenden Verrat.<br />

Das Mahl der Gewissheit, dass Christus mitten unter uns ist, stärke uns, den<br />

Alltag zu bestehen <strong>als</strong> die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Christus heute.<br />

In wie weit Brot und Wein verwandelt werden, sollte nicht mehr die<br />

Konfessionen trennen. Wir sind alle ein Leib, denn wir essen von dem einen<br />

gesegneten Laib Brot. Wir viele bilden einen Leib, einen Corpus, eine<br />

Korporation; in uns strömt der geistige Blutkreislauf des Christus. „Einer nährt<br />

den andern.“<br />

Das Sakrament („religiöses Geheimnis“) der Teilhabe am Leib Christi schafft<br />

Mahlgemeinschaft und Mittrage- Genossenschaft, gleich, ob zu „Communio“<br />

(Gemeinschaft) oder „Eucharistie“ (Danksagung) oder „Abendmahl“ oder am<br />

*<br />

290


schönsten zum „Liebesmahl“ mit duftendem Brot geladen wird.<br />

*<br />

Jesus, Gott weiß<br />

Und Jesus sprach zu seinen Jüngern: Ihr werdet alle irre an mir, ihr werdet mich<br />

alle verlassen. Petrus sagte: Aber ich nicht! Und Jesus sprach zu ihm: Ich sage<br />

dir: heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal<br />

verleugnen.<br />

Matthäus 26,31-33<br />

Jesus weiss, wie es wird. Ihm wird der Prozess wegen Gotteslästerung gemacht<br />

und die Jünger werden kopflos sein, sie werden fliehen. Natürlich ist da einer,<br />

der will treu sein, will sich schützend vor ihn stellen, aber Jesus ahnt seine<br />

Instabilität. Er sagt dem Petrus den schon sich anbahnenden Verrat auf den Kopf<br />

zu; vielleicht garnicht, damit er sich eines Besseren besinnt. Sondern damit er<br />

auch im schlimmsten Fall sich nicht für verworfen hält. Gott weiss auch dich,<br />

die Schatten inklusive.<br />

*<br />

Jesus ganz Mensch, uns ganz nah<br />

Und Jesus kam mit ihnen zu einem Garten, der hieß Gethsemane, und sprach zu<br />

den Jüngern: Setzt euch, ich geh ein Stück weiter und bete. Petrus und noch<br />

zwei begleiteten ihn. Er wurde traurig und verzagt und sagte: Meine Seele ist<br />

betrübt bis in Todestiefe; bleibt bei mir!<br />

Matthäus 26,36-38<br />

Ein Garten steht am Menschenanfang und am Wegesende des exemplarischen<br />

Menschen Jesus. Im Paradies-Bild spricht Gott mit seinen Menschen über Gut<br />

und Böse- damit werden sie menschlich, werden abgerückt vom nur Natursein-<br />

werden zu Freude- und Leidpartnern Gottes. Im Garten Gethsemane nun sucht<br />

Jesus, der bestmögliche Mensch, seinen Herrgott; sein Leben spitzt sich zu. Es<br />

könnte ausgehen, wo er doch so gern lebt. Was hat Gott mit ihm vor, soll er<br />

jetzt durch das Nadelöhr Tod? Und wie passt das zu der guten Botschaft, daß<br />

unser Leben hier gelingen soll? Jesus geht, weint und betet sich in Gott hinein.<br />

*<br />

Der Kelch, der bittere<br />

Jesus betete: Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch voll Leid an mir<br />

vorüber. Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!<br />

Matthäus 26,39<br />

Jesus will so gern noch leben, will hier weiterhin die Anbrüche von Reich<br />

Gottes inszenieren und feiern. Doch der Fels, an dem die irdische Zeit zerschellt,<br />

291


ist der Tod. Er will ihn noch nicht. Aber er legt die Entscheidung über sich in<br />

Gottes Hände. Also dürfen wir auch kräftig bitten, daß Leid von uns abgewendet<br />

werden möge. Dürfen und sollen auch für andere bitten. Aber sollen den<br />

Vorbehalt immer wissen: „dein Wille geschehe“.<br />

Weggeschlafen<br />

Dann ging er zu seinen Jüngern. Sie waren eingeschlafen. Er weckte sie: Könnt<br />

ihr denn nicht eine Stunde mit mir wachen? Überhaupt: Wachet, betet, seid<br />

hellwach. Scheitern geht schnell. Der Geist ist willig; aber das Fleisch ist<br />

schwach.<br />

Matthäus 26,40f<br />

Sehr menschlich und sehr tröstlich: Jesus weckt die Schläfer. Er zeigt, dass er<br />

die Freundesnähe braucht. Er verzichtet auf die herrische Geste der stolzen<br />

Einsamkeit. Er zieht sich nicht gekränkt zurück, sondern weckt sie. Er<br />

entschuldigt sie sogar; er will nicht, dass sie sich schämen müssen- er ist ein<br />

wahrer Freund.<br />

Noch ein Anlauf, sich ins Leid zu finden<br />

Zum zweiten Mal ging er, betete und sprach: Mein Vater, führt kein Weg am<br />

Leid vorbei, so geschehe dein Wille!<br />

Matthäus 26,42<br />

So geschehe wenigstens damit dein Wille- kann das gemeint sein? Muss ich ans<br />

Kreuz, so mach was draus, Gott! Lass es wenigstens nicht umsonst sein, nicht<br />

banal und aus Versehen; lass mich nicht ein weiteres Opfer sein, das keiner<br />

braucht und keinem nützt, Gott. Nicht, dass sie alle fragen: Wie kann Gott das<br />

zulassen? Du musst das jetzt wollen, weil du es brauchst, um was ein für allemal<br />

zu klären- Auch wenn ich jetzt nicht den Sinn weiß, lass mich wissen, dass du,<br />

„der Gott der Liebe“ (2. Korinther 13,11) das Geschehen brauchst. Wenn es<br />

nicht sinnlos ist bei dir, dann kann ich getrost an mein Verhängnis gehen.<br />

Die Stunde ist da<br />

Und er kam zu ihnen- und sie schliefen wieder, schliefen tief. Da ließ er sie und<br />

ging ein drittes Mal hin und betete noch mal. Dann kam er zu seinen Jüngern,<br />

weckte sie und sprach: Die Stunde ist da, dass die Sünder Hand an mich legen.<br />

Kommt, wir gehen! Er ist da, der mich ausliefert.<br />

Matthäus 26, 43-46<br />

Ein drittes Mal geht er zur Seite, redet mit dem „Herz aller Dinge“. Die Jünger<br />

schlafen derweil wieder ein. Grausam, wie weit weg uns das Leid anderer sein<br />

292


kann. Wir rutschen einfach aus der Not in eine Traumzeit, wollen nicht Zeuge<br />

sein. Jesus versteht seine schwachen Freunde, er kehrt ihnen nicht den Rücken.<br />

Zuletzt gehen alle mit, erst mal.<br />

*<br />

Ein f<strong>als</strong>cher Kuß, ein verlorenes Ohr<br />

Dann kam Judas mit einer bewaffneten Schar der Hohenpriester und Ältesten. Er<br />

hatte ihnen gesagt: Welchen ich küssen werde, der ist’s. Er trat zu Jesus und<br />

sprach: Sei gegrüßt, Rabbi! und küßte ihn. Jesus aber sprach zu ihm: Mein<br />

Freund, was machst du? Und sie ergriffen Jesus und führten ihn ab.<br />

Einer der mitgekommen war, hatte ein Schwert bei sich, er zog es und schlug<br />

nach dem Knecht des Hohenpriesters. Er hieb ihm ein Ohr ab. (Da sprach Jesus:<br />

Lass ab, nicht weiter! Und er rührte sein Ohr an und heilte ihn (Lukas 22,51)).<br />

Und Jesus sprach: Stecke dein Schwert weg! Wer das Schwert nimmt, wird<br />

durchs Schwert umkommen. Ginge es um Gewalt, könnte ich meinen Vater<br />

bitten- mehr <strong>als</strong> zwölf Legionen Engel schickte er sofort. So aber kann der<br />

Wille Gottes nicht geschehen. Da verließen ihn alle Jünger und flohen.<br />

Matthäus 26, 47-54<br />

Judas verrät Jesus mit dem Symbol der Liebe. Seitdem ist der Judaskuss<br />

Zeichen für F<strong>als</strong>chheit. Doch es kann sein, dass der Jünger tatsächlich meint,<br />

dem Jesus einen Liebesdienst zu erweisen: Durch die Auslieferung an die<br />

Staatsmacht will er seinen Herrn zwingen, sich <strong>als</strong> Held zu offenbaren:<br />

Vielleicht wirft Jesus endlich alle Sanftmut ab und zeigt sich <strong>als</strong> Gottes<br />

strahlender Sohn.<br />

In diese Richtung hat wohl auch der Schwertträger gedacht: Er will erster der<br />

siegreichen Engels-Kämpfer sein, die Gott- das ist zu erwarten- jetzt in die<br />

Schlacht schickt.<br />

Aber Jesus weiß, dass Gewalt nicht Frieden schafft. In der Natur gilt: Das<br />

Stärkste überlebt. Doch die Wahrheit der Liebe ist umfassender: Gottes Liebe<br />

gilt uns, weil wir sie brauchen, nicht weil wir so liebenswert sind. Darum nennt<br />

Jesus den Verräter “Freund“ und setzt dem Verletzten noch eben das Ohr an.<br />

*<br />

Jesus bietet die Stirn<br />

Sie führten Jesus ab ins Haus des Hohenpriesters (Matthäus 26, 57) Der<br />

Hohepriester befragte Jesus über seine Jünger und über seine Lehre. Jesus<br />

antwortete ihm: Ich habe frei und offen vor aller Welt geredet. Was fragst du<br />

mich? Frage die, die gehört haben, was ich zu ihnen geredet habe. Da schlug<br />

einer von den Knechten Jesus ins Gesicht und sprach: Sollst du dem<br />

Hohenpriester so antworten? Jesus antwortete: Habe ich Übel geredet, so<br />

beweise, daß es böse ist; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?<br />

Johannes 18, 19-23<br />

293


Jesus entlarvt die Machthaber der Wahrheit. Sie selbst lassen die Wahrheit nicht<br />

an sich ran, sie weichen aus ins Formale, fordern artiges Benehmen. Schneidend<br />

klärt Jesus: Der Ankläger muß das Recht der Anklage beweisen, sonst- was übt<br />

ihr Gewalt?<br />

*<br />

Er hält sich hin, hält sich nicht raus<br />

Der Hohepriester sprach weiter zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen<br />

Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes.<br />

Jesus sprach zu ihm: Du sagst es. Und ich sage euch: Von nun an werdet ihr<br />

sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft und kommen auf den<br />

Wolken des Himmels.<br />

Da zerriss der Hohepriester sein Gewand und sprach: Er hat Gott gelästert! Was<br />

bedürfen wir weiterer Zeugen? Was ist euer Urteil? Sie antworteten und<br />

sprachen: Er ist des Todes schuldig. Da spuckten sie ihn an. Einige aber<br />

schlugen ihn ins Gesicht und höhnten: Weissage uns, Christus, wer ist’s, der<br />

dich schlug?<br />

Matthäus 26, 63-68<br />

Offensichtlich hat Jesus die gottvollen Taten getan, die zu wirken dem Messias<br />

vorbehalten waren. Auch sein: „Zu den Alten war gesagt...Ich aber sage euch“<br />

(Matthäus 5,33) wies auf eine Autorität höherer Art hin. Und doch konnten oder<br />

wollten, konnten und wollten sie Jesus nicht glauben. Zu sehr waren sie in ihr<br />

Messias-Bild vom neuen David verliebt, vom Revolutionär und Heidenfresser,<br />

der die Römer aus dem Land wirft und den Himmel auf die Erde bringt. Das<br />

konnte der nicht sein, der da so menschlich vor ihnen stand. Sie verhöhnten ihn,<br />

wollten so ihre Angst besiegen vor dem edlen Antlitz. Messias kann doch nicht<br />

sein, wer sich von Kerlen aus dem Feld drängen läßt, denen gerade danach ist,<br />

unangenehm zu werden- das meinten sie.<br />

Immer wieder verwechseln auch wir Gewalt mit Wahrheit und Schwachheit gilt<br />

uns <strong>als</strong> unwürdig. Darum sind wir auch erst am Anfang, Jesus nachzuglauben.<br />

*<br />

Verrat geht schnell<br />

Petrus war ihnen von ferne gefolgt, dann setzte er sich zu den Knechten im<br />

Innenhof ans Feuer. Da trat eine Magd zu ihm und sagte: Du warst doch auch<br />

mit dem Jesus aus Galiläa.<br />

Er leugnete aber und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst. Und ging hinaus in<br />

die Torhalle- da sah ihn eine andere und sprach zu denen, die da standen: Dieser<br />

war auch mit dem Jesus von Nazareth.<br />

Und er leugnete aberm<strong>als</strong> und schwor dazu: Ich kenne den Menschen nicht.<br />

Später traten andere hinzu, und sprachen zu Petrus: Auf jeden Fall gehörst du<br />

zu ihm, deine Sprache verrät dich.<br />

294


Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen<br />

nicht. Und <strong>als</strong>bald krähte der Hahn. (Lukas 22,61) Und der Herr wandte sich um<br />

und sah Petrus an.<br />

Da dachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn<br />

kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte<br />

bitterlich.<br />

Matthäus 26, 57, 69-75<br />

Das Drama fängt gerade erst an, da fürchtet Petrus schon um sein Leben. Jesus<br />

wird drinnen scharf verhört, da lockt draußen ein Feuer- es verheißt gefahrloses<br />

Dazugehören. Eine Magd redet daher, vielleicht nur leichthin, neckend. Doch er<br />

macht dicht und läuft weg. Ein zweites Mal wird er zur Rede gestellt.- Nur ein<br />

kleines Einstehen wäre fällig gewesen, vielleicht hätte man ihn vom Hof gejagt,<br />

mehr wohl nicht. Aber er leugnet und beeidet sogar, ihn nie gekannt zu haben.<br />

Beim dritten Mal, verflucht er ihn und sich selber. „Ich kenne den Menschen<br />

nicht“- kenne meinen Jesus nicht mehr und mich auch nicht. Durch Verleugnung<br />

machen wir uns selbst unkenntlich für uns selbst.<br />

Aber ein Glück: Ihm krähte ein Hahn, „der kleine Prophet auf dem Mist“. Er<br />

sieht zu Jesus, fängt seinen Blick auf, der soviel sagt wie: Gott kennt seinen<br />

Simon. Das ist die Rettung: Bitterlich weinen und wissen: Gott weiss.<br />

*<br />

Gute Nachricht für Judas<br />

Am Morgen aber faßten alle Hohenpriester und die Ältesten des Volkes den<br />

Beschluß, Jesus zu töten. Und sie führten ihn ab und übergaben ihn dem<br />

Statthalter Pilatus.<br />

Als Judas, der ihn ausgeliefert hatte, sah, dass es für Jesus auf den Tod<br />

hinauslief, reute es ihn. Er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern<br />

zurück und sprach: Ich habe Unrecht getan, daß ich unschuldiges Blut verraten<br />

habe. Sie aber sprachen: Was geht das uns an? Komm du damit zurecht! Da<br />

warf er die Silberlinge in den Tempel, ging hin und erhängte sich.<br />

Matthäus 27, 1-5<br />

Judas, der verratende Jünger, wurde Vorlage für das Zerrbild vom hässlichen<br />

Juden. Die Christenheit hat unendliches Unrecht an Israel getan. Sie gab vor,<br />

den Heiland zu rächen und tobte doch nur Habgier und Mordlust aus.<br />

Wir können nur für die Schuld unserer Eltern und Vorfahren um Vergebung<br />

bitten und uns fortan zu mühen um die gebotene Nächstenliebe gegen Israel.<br />

Dazu gehört auch eine Wiedergutmachung für Judas. Er scheint Kämpfer für ein<br />

irdisches messianisches Reich gewesen zu sein. Dies Reich sah er mit Jesus<br />

anbrechen, jetzt sollte er auch sein Werk vollenden. Dass er verraten habe aus<br />

Geldgier ist nur üble Nachrede - auf daß die übrigen Jünger und die Urkirche<br />

umso leuchtender strahlen.<br />

295


Dem Judas krähte kein Hahn nach, er konnte keinen Blick von Jesus auffangen.<br />

Er war mit seiner Schuld allein.<br />

Aber es gibt gute Nachricht auch für Judas: In der Kathedrale von Vézelay in<br />

Burgund zeigt eine Säulenplastik einen Jesus, der sich den toten Judas auf die<br />

Schulter lädt und den verlorenen Sohn heimträgt in seines Vaters Haus.<br />

*<br />

In der Welt, nicht von der Welt<br />

Nach dem Beschluß, Jesus zu töten, überstellten sie ihn dem Stadthalter Pontius<br />

Pilatus (Matthäus 27,2). Pilatus fragte ihn: Was hast du getan? Was werfen sie<br />

dir vor? Bist du ein König? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser<br />

Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden kämpfen; nun<br />

aber ist mein Reich nicht von dieser Welt. Darauf Pilatus: Und bist dennoch ein<br />

König? Jesus antwortete: Du sagst es, ich bin ein König. Ich bin dazu geboren<br />

und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der<br />

Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit?<br />

Johannes 18, 35-38<br />

Todesstrafen hatte sich die römische Besatzungsmacht vorbehalten. Das kam<br />

den Schriftgelehrten recht, ihrerseits die Schuld weiterzureichen. Pilatus widmet<br />

sich dem Fall. Ein König- das roch nach Umsturz. Aber nicht von dieser Welt?<br />

Also nur fürs Reich der Träume? Nein, schon in dieser Welt!- aber nicht von<br />

dieser Welt genommen sind die Maßstäbe- eben nicht Herodes, nicht Rom,<br />

sondern Sanftmut, innerer Friede, bereit für den unteren Weg. Er will „König<br />

der Wahrheit“ sein. Das scheint dem Machtmenschen Pilatus nicht riskant; für<br />

ihn gibt es nur viele Wahrheiten und die klaren Befehle der Waffen.<br />

Ob wir wenigstens jetzt erkennen, dass da das größte Ausstrahlungsereignis der<br />

Geistesgeschichte geschah? Wollen wir lieber mit diesem Jesus unrecht haben<br />

<strong>als</strong> ohne ihn recht? Also lieber mit ihm, nach seinen Maßstäben, erfolglos, <strong>als</strong> im<br />

Widerspruch zu ihm siegreich? Also lieber verachtet <strong>als</strong> gefürchtet? Unser<br />

Inneres weiß, was wahr ist. Aber man kann sich auch durchs Leben schwindeln<br />

und winden.<br />

*<br />

Wasser wäscht Blut nicht ab<br />

Als Pilatus noch zu Gericht saß, schickte seine Frau einen Boten zu ihm und ließ<br />

ihm sagen: Habe nichts zu schaffen mit diesem Gerechten; denn ich habe heute<br />

viel durchgemacht im Traum um seinetwillen. Da ließ er sich eine Schüssel<br />

Wasser bringen und wusch seine Hände in Unschuld.<br />

Matthäus 27, 19.24a<br />

Sicher spüren Frauen eher, was im Grunde los ist, sie träumen wohl auch<br />

inniger. Träume schärfen unsere Sinne, vergrößern Geschehen, spielen<br />

Möglichkeiten durch. Frau Pilatus hat Jesus tiefer erkannt, ihn von ferne<br />

296


vielleicht geliebt, hat sein Leid am eigenen Leib mitgefühlt, möglicherweise. Sie<br />

warnt ihren Mann. Er soll sich nicht die Hände an ihm schmutzig machen. Da<br />

ließ er Wasser kommen, tat die Geste des Saubermanns, wusch seine Hände zum<br />

Zeichen für das Volk, daß er, wenn Blut fließe, unschuldig sei. Aber Jesus<br />

freizusprechen, fand er den Mut nicht.<br />

*<br />

Barrabas, der erste durch Jesu Tod Freigekommene<br />

Pilatus fasste zusammen: Ich finde keine Schuld an ihm. Und gedachte sich aus<br />

der Affäre zu ziehen, indem er das Volk entscheiden ließ: Es gibt doch bei euch<br />

ein Gewohnheitsrecht, dass ein Verbrecher zum Passafest loskommt; wollt ihr<br />

nun, daß ich euch den Mörder Barrabas losgebe oder diesen König der Juden?<br />

Da schrien sie Barabbas! Barabbas!<br />

Johannes 18,39-40<br />

Man muß sich vor Augen halten, daß die Geschichten über den leidenden Jesus<br />

keine historischen Protokolle sind sondern Verkündigungstexte. Sie sind so<br />

verfasst, dass in der (damaligen )Gegenwart die christliche Gemeinde sich an<br />

den Geschichten wärmen und stärken konnten. Auch meinte man,<br />

missionarische Vorteile zu erzielen, wenn man dem Judentum die Schuld an<br />

Jesu Tod auflud. Auch wollte man Rom schonen, oder besser: Man wollte den<br />

Römer Pilatus <strong>als</strong> leisen Symphatisanten schildern, um Rom duldsam zu<br />

stimmen für die (vorerst) kleine Christengemeinde. Sicher hat nicht „das Volk“<br />

den Mörder Barrabas vorgezogen. Die Szene ist infam erfunden, um die<br />

jüdische Schuld am Kreuzestod zweifelsfrei zu machen. Barrabas oder Christus-<br />

das ist die Frage auch an uns. Wir rufen „Barrabas“, wenn wir etwa den<br />

Schwachen verstoßen, oder die Despoten eines rohstoffreichen Landes hofieren.<br />

*<br />

Krone aus Schmerz<br />

Da ließ Pilatus Jesus auspeitschen. Die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen<br />

und drückten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an, schlugen<br />

ihm ins Gesicht und feixten: Sei gegrüßt, du Judenkönig! Pilatus sagte nur: Seht,<br />

welch ein Mensch!<br />

Johannes 19, 1-5<br />

Den Gefolterten dieser Erde soll die Menschenwürde ausgeprügelt werden- die<br />

Folterknechte versuchen, ihrer Gewissensbisse Herr zu werden durch<br />

Verhöhnung. Pilatus sieht die Heiligkeit in dem Antlitz des Geschundenen noch.<br />

Warum gebietet er nicht Einhalt? Doch was fragen wir, warum nicht er?- Wir<br />

sind die Gefragten. Warum lassen wir zu, dass Menschen entehrt werden,<br />

nebenan?<br />

297


*<br />

Sie meinten, er habe sich die Würde angemaßt<br />

Pilatus spricht zur Priesterschaft: Ihr fordert, ich soll ihn kreuzigen. Nehmt ihn,<br />

kreuzigt ihr ihn, ich finde keine Schuld an ihm. Die Priester antworteten: Wir<br />

haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz muss er sterben, denn er hat sich selbst<br />

zu Gottes Sohn gemacht.<br />

Pilatus wendet sich wieder an Jesus: Woher kommst du, wer bist du? Doch Jesus<br />

gab ihm keine Antwort.<br />

Johannes 19, 6-9<br />

Pilatus spürt Jesu Überirdischsein, will sich aber nicht vertiefen. Er will sich mit<br />

den jüdischen Tempelgeistlichen auch nicht anlegen, so wichtig ist ihm „der<br />

Heilige da“ auch nicht. Die Geistlichkeit muss die Kreuzigung fordern, weil sie<br />

Jesu Anspruch für gotteslästerlich hält. Pilatus will noch mal nachfragen, es<br />

wird ihm jetzt doch heikel. Sein Kaiser gilt auch <strong>als</strong> Sohn Gottes (Jupiters).<br />

Sollte da ein weiterer Gottessohn die Erde betreten? Und er, Pilatus hätte es<br />

überhört. So fragt er Jesus nach seiner Herkunft. Der aber schweigt. An anderer<br />

Stelle (Matthäus 11,4) hat Jesus auf seine Worte und Taten hingewiesen-<br />

sprechen die nicht eine göttliche Sprache? Auch Jesus wartet auf eine<br />

Verwandlung, die seine Gottessohnschaft beglaubigt. Darum wohl schweigt er.<br />

*<br />

Alle Macht ist geliehen<br />

Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, dass ich<br />

Macht habe, dich freizulassen, und Macht habe, dich zu kreuzigen? Jesus<br />

antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben her<br />

gegeben wäre.<br />

Johannes 19,10.11<br />

Diese Situation passiert uns auch, in kleinerer Münze: Einer ist frech oder<br />

unhöflich und wir werden kalt gegen ihn. Muss ich mir das gefallen lassen? Ich<br />

hab doch Mittel, dem andern Respekt einzuflößen. Ich kann ihn kalt abfahren<br />

lassen, kann das Trinkgeld verweigern, kann ihm die Freundschaft kündigen,<br />

kann ihn anzeigen. Und wenn dann eine Stimme in mir sagt: Was fuchtelst du<br />

mit deinen Druckmitteln? Hat Gott dir darum die Position gegeben, die<br />

Geldmittel, die Liebe- dass du „die Puppen tanzen lassen“ kannst? Begabungen<br />

und Mittel sind anvertrautes Gut- nicht, um mich durchzusetzen sondern um<br />

gute Frucht zu bringen fürs Gesamte.<br />

Pilatus lässt sich berühren; er bemerkt sich <strong>als</strong> Diener Gottes.<br />

Freisein ist riskant<br />

*<br />

298


Von da an trachtete Pilatus danach, ihn freizulassen. Die Schriftgelehrten aber<br />

schrien: „Lässt du diesen frei, so bist du nicht mehr Freund des Kaisers.“ Da<br />

befahl er die Kreuzigung.<br />

Johannes 19, 12-16<br />

Pilatus erbleichte. Er bekam es mit der Angst. Wenn dem Kaiser in Rom zu<br />

Ohren käme, daß er Nerven zeigte bei einem unbekannten Sektenprediger- hätte<br />

er sich doch lächerlich gemacht und seine Karriere wäre zu Ende.<br />

Wieviel Verrat haben auch wir schon begangen, weil wir das Gesicht wahren<br />

wollten, und nicht aufstanden unter Protest. Wir stimmten so manches Mal ein<br />

ins Gelächter, ergreifen nicht das Wort für den Bloßgestellten.<br />

*<br />

Er trug sein Kreuz.<br />

Und sie zogen vor die Stadt zur Hinrichtungsstätte, auf hebräisch Golgatha.<br />

Johannes 19, 17<br />

Jesu Kreuz ist das Marterholz, er muss es selbst schleppen. Es ist so ähnlich wie<br />

es den Menschen jüdischen Glaubens erging. Die wurden von den Nazischergen<br />

gezwungen, die Gräber erst auszuheben, in die sie, erschossen, dann stürzten.<br />

Jesus am Kreuz zwingt zusammen das Zerissenwerden im Leid und das Bleiben<br />

bei Gott.<br />

Was ist dein, was mein Kreuz? Was musst du tragen, ertragen? Was muß von dir<br />

ein Stück Wegs geschleppt werden, damit es ein Weiter gibt?<br />

*<br />

Zwischendurch Last tragen<br />

Auf dem Wege zwangen sie einen mit Namen Simon von Kyrene, der eben vom<br />

Feld kam, dass er ihm das Kreuz ein Stück weit trage, und er tat es.<br />

Matthäus 27,32<br />

In die Weltgeschichte ist dieser Simon eingegangen, weil er zur richtigen Zeit<br />

am richtigen Ort war und sich greifen ließ von der Situation. Ein Stück weit dem<br />

andern die Last mittragen, eine Quantum Zeit und Kraft abgeben- lass dein<br />

natürliches Gutsein wirken, hab nicht soviel Bedenken. Aber du darfst dich auch<br />

wieder lösen und das Deine tun.<br />

*<br />

Es ist zum Heulen<br />

Es folgte ihm aber eine große Volksmenge, auch viele Frauen, die klagten und<br />

ihn beweinten. Jesus aber wandte sich um zu ihnen und sprach: Ihr Töchter von<br />

Jerusalem, weint nicht über mich, sondern weint über euch und eure Kinder.<br />

Lukas 23, 27-28<br />

299


Weinen wir, weil Menschenantlitze zerschlagen werden, ohne daß wir zur Hilfe<br />

kommen? An jedem Tag kreuzigen Menschen Menschen und wir wollen nicht<br />

Zeuge sein, gehen nicht dazwischen, werden uns wieder nicht empören. Doch,<br />

in hellsichtigen Augenblicken finden wir das Elend in der Welt furchtbar und<br />

schämen uns über unsern Geiz und unser Wohlleben. Wir sind schon nah dran,<br />

zu weinen über uns und unsere Kinder.<br />

*<br />

Die Kreuzigung<br />

Sie nahmen ihn und schlugen ihn ans Kreuz, mit ihm zwei andere zu beiden<br />

Seiten. Pilatus aber ließ eine Aufschrift anfertigen und sie oben ans Kreuz<br />

nageln :“Jesus von Nazareth, der König der Juden“. Da sprachen die<br />

Hohenpriester zu Pilatus: Schreib nicht: „ König der Juden“, sondern nur dass er<br />

gesagt hat: „Ich bin der König der Juden“. Pilatus antwortete: Was ich<br />

geschrieben habe, das habe ich geschrieben.<br />

Johannes 19,17-22<br />

Die Aufschrift gab den Grund für das Todesurteil an: Er gab sich aus <strong>als</strong> König<br />

der Juden- das wäre Rebellion. Oder ist es anders: Pilatus meint es zynisch-<br />

verächtlich: Da! Euer König-lächerlich das Ganze! Oder war es doch<br />

Weissagung: Dieser ist der König. Pilatus herrisch: Es bleibt dabei.<br />

Doch wer ist er uns? Ein Idealist? Ein Narr? Lassen wir ihn uns Gottes Zeuge<br />

sein?<br />

*<br />

Das Gewand <strong>als</strong> Bild<br />

Die Soldaten kreuzigten Jesus. Dann nahmen sie seine Sachen und teilten sie<br />

unter sich auf. Das Obergewand war aber gewebt in einem Stück. Da sprachen<br />

sie untereinander: Lasst uns das nicht zerteilen, sondern losen wir, wem es<br />

gehören soll. So sollte die Schrift erfüllt werden, die sagt (Psalm 22,19): »Sie<br />

haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über mein Gewand das Los<br />

geworfen.«<br />

Johannes 19 23-24<br />

Ein starkes Bild: Das ungeteilte Gewand des Herrn. Es symbolisiert die Einheit<br />

der Kirche- natürlich wähnt sich Rom im Besitz des heiligen Textils. Doch es<br />

geht nicht um ein Souvenir des Herrn sondern den immer neuen Auftrag, die<br />

eine Kirche in dem Verschiedenem zu glauben und zu gestalten.<br />

Alles Rechthaben höre unter dem Kreuz auf, alles Zusammengehören fange<br />

unterm Kreuz an.<br />

An einander gewiesen<br />

*<br />

300


Es standen aber bei dem Kreuz seine Mutter und ihre Schwester und Maria von<br />

Magdala und der Jünger, den er lieb hatte. Jesus sah seine Mutter an und den<br />

Jünger und spricht zu seiner Mutter: Frau, siehe, das ist dein Sohn! Und zu dem<br />

Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und der Jünger nahm sie zu sich.<br />

Johannes 19, 25-27<br />

Ein wunderbares Bild für die Kirche, die Jesus will: Dass wir uns einander<br />

anvertraut wissen. Nicht erst Blutsbande oder standesamtliche Besiegelungen<br />

machen uns zu Nächsten. Sondern wir werden einander zugewendet. Der ist<br />

dein Nächster, der dich braucht. Jesus sagt mal glasklar: Der den Willen meines<br />

Vaters im Himmel tut, der ist mir Bruder und Mutter (Matthäus 12,50). Das hebt<br />

das Einstehen in Ehe und Elternschaft nicht auf, aber sollte uns abhalten von<br />

Egoismus zu Zweit und von Familie <strong>als</strong> einer Burg gegen den Rest der Welt.<br />

*<br />

Der Himmel ist nebenan<br />

Zwei Mörder wurden mit ihm gekreuzigt, einer schrie: Bist du nicht<br />

der Christus? Hilf dir und uns! Der andere schrie: Gedenke an mich,<br />

wenn du in dein Reich kommst!<br />

Und Jesus sprach: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im<br />

Paradiese sein.<br />

Lukas 23,39-43<br />

Die Evangelisten waren ja auch Lehrer, und Lehrer malen auch schon mal<br />

schwarzweiß. Der eine fordert Hilfe, und zwar sofort und hier, aber doch für sie<br />

beide. Der Andere macht einen reuevollen Eindruck ,doch allein zu seinen<br />

Gunsten. Sicher hat Jesus beide mitgenommen in den Himmel. Der Gnade sind<br />

beide bedürftig.<br />

Diese Szene lässt sich auch lesen <strong>als</strong> Verheißung, daß wir nicht erst am Jüngsten<br />

Tag mit Christus eins sind sondern daß wir hin sterben in Gottes Arme.<br />

*<br />

Jesus hält fest am verdunkelten Gott<br />

Die aber vorübergingen, schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Andern hat er<br />

geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige<br />

er vom Kreuz, dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse<br />

ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat. Er hat doch gesagt, er sei Gottes Sohn.<br />

Von Mittag bis Nachmittag fiel eine Finsternis auf das ganze Land. Und Jesus<br />

schrie laut Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast<br />

du mich verlassen?<br />

Matthäus 27, 39-43<br />

301


Das ganze Grauen des Karfreitag steht hier offen: Er hat tatsächlich anderen<br />

vom Tod zum Leben geholfen. Er hat geliebt bis zum bitteren Ende. Er war zu<br />

gut für diese Welt- zu geradlinig hat er die Liebe <strong>als</strong> Gottes Wesen bezeichnet<br />

und vorgelebt. Das war den Gotteswisser nicht geheuer. Und sie überließen es<br />

Gott, soll er sagen, ob er so sich seinen Ersten Sohn vorstellt. Dann wird er vom<br />

Himmel ja dazwischenfahren. Auch Jesus versteht Gott nicht mehr, aber er hält<br />

zu ihm, sagt bis zuletzt: „Mein Gott“. Jesus gebraucht damit einen Gebets-<br />

Schrei aus Psalm 22. Der Psalm schließt zum Glück: „Sie werden kommen und<br />

seine Gerechtigkeit predigen dem Volk, das geboren wird. Denn er hat es<br />

bestanden.“<br />

Er hat sich <strong>als</strong> gerecht, <strong>als</strong> Gott recht, erwiesen am Kreuz, indem er für Gott vor<br />

den Menschen einstand: Gott ist Liebe, die eher sich kreuzigen lässt <strong>als</strong> mit<br />

Gewalt ihre Herrschaft zu erweisen. Das Leid der Welt wird von Gott nicht<br />

verhängt sondern erlitten. Gott ist ja das Zentralbewusstsein der Welt, ihm<br />

geschieht alles Geschehen. Alle Freuden, alle Leiden geschehen an seinem Leib.<br />

Auch wenn sich Menschen von Gott verlassen sehen, geschieht das in Gott – ob<br />

dies Einsein auch durch den Tod hindurch reicht, erprobt Jesus.<br />

Jedenfalls ist die Sühnopfertheorie nicht mehr brauchbar, um das Heilswerk<br />

Christi zu deuten. Gott opfert nicht seinen (ersten) Sohn für unsere Sünden. Will<br />

man das Wort „Opfer“ bewahren, dann nicht mehr im Sinne von Opfergabe<br />

(sacrifice), sondern im Sinne von Verkehrsopfer (victim).<br />

*<br />

Gottesfinsternis<br />

Und es kam eine Finsternis über das ganze Land und die Sonne verlor ihren<br />

Schein, und die Erde bebte und der Vorhang des Tempels zerriss in zwei Stücke<br />

von oben an bis unten aus (Matthäus 26,51). Und Jesus rief laut: Vater, ich<br />

befehle meinen Geist in deine Hände!<br />

Lukas 23, 44-46<br />

Ungeheuerliches stand in Jesu Tod auf dem Spiel, das bilden die Naturereignisse<br />

ab. Das Ungeheuerliche zeigt sich auch im Tempel: Der Vorhang, der imTempel<br />

das Allerheiligste vom Volk trennt ,und abbildet, dass Gott getrennt ist von der<br />

Welt, der zerreißt. Und zwar von oben an, vom Himmel her, was zeigt: Das<br />

Verborgensein Gottes hat ein Ende. Mit Jesus ist die Heiligkeit zur Welt<br />

gekommen, ist weltlich geworden, nichts trennt mehr Heiliges und Profanes.<br />

Gott hat sich in Jesus geerdet, hat Menschenschicksal und Sterben selber<br />

angezogen.<br />

Mit Jesu Wort: „In deine Hände schick ich meinen Geist“ wollen wir alle<br />

sterben. Dass diese Bitte gehört und erhört wird, dafür steht Jesus ein.<br />

Er musste den Glauben wagen ohne Vorbild. Wir dürfen ihm nachleben und<br />

auch nachsterben im Vertrauen: wir bleiben in Gottes Hand.<br />

*<br />

302


Gut, wenn alles vollbracht ist<br />

Danach spricht Jesus: „Mich dürstet“. Es stand da ein Gefäß voll Essig. Sie<br />

füllten einen Schwamm mit Essig und steckten ihn auf ein Rohr und hielten es<br />

ihm an den Mund. Und zuletzt sprach er: Es ist vollbracht! und neigte sein<br />

Haupt und verschied.<br />

Johannes 19,28-30<br />

Der Evangelist Johannes gestaltet die Sterbeszene dem Psalm 22 nach; da ist<br />

das Würfeln um die Kleider und der fürchterliche Durst vorabgebildet. Es ist ja<br />

tiefe Christen-Überzeugung, dass die Verheißung des kommenden Christus<br />

schon in den Schriften des Volkes Israel bewahrt sind. „Vollbracht“ ist der<br />

Lebenslauf des Menschen Jesus, in dem sich Gottes Güte und des Menschen<br />

Gotteskindschaft verband.<br />

*<br />

An die eigene Brust schlagen<br />

Und <strong>als</strong> die Leute sahen, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und<br />

gingen weg. Der Hauptmann, <strong>als</strong> er sah, was da geschah, sprach: Wohl wahr,<br />

dieser ist Gottes Sohn gewesen (Markus 15,39). Von ferne standen Frauen, die<br />

ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und ihm gedient hatten, und sahen das alles,<br />

unter ihnen Maria von Magdala und Maria, die Mutter Jakobus’ und Salome.<br />

Lukas 23, 48.49<br />

Wir sind auch unter den Zuschauern. Jeden Abend zeigt uns die Tagesschau<br />

ausgewählte Leidende des Tages. Und wir wissen nicht, was wir denken sollen.<br />

Die Zeugen des Todes Jesu schlugen sich auf die Brust und kehrten heim- ja,<br />

schon betroffen, Mitschuld ahnend, froh, dass sie davongekommen sind. Frauen,<br />

einige mit Namen, blieben am längsten bei ihm, sie weinten um den Menschen,<br />

der ihnen ihre Würde neu entdeckt hatte. Dem römischen Hauptmann legten die<br />

Christen das erste Gottessohnbekenntnis in den Mund, auch zum Zeichen, dass<br />

die Untreue der geflohenen Jünger ein dauernder Schmerz bleibt.<br />

*<br />

Totenstille<br />

Es gab da einen Menschen mit Namen Josef, ein Ratsherr aus Arimathia, der<br />

wartete auf das Reich Gottes. Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu und<br />

nahm ihn ab vom Kreuz, wickelte ihn in ein Leinentuch und legte ihn in sein<br />

Grab, das war in einen Felsen gehauen, und wälzte einen Stein vor des Grabes<br />

Tür. Und es war Rüsttag, und der Sabbat brach an.<br />

Lukas 23, 50-54<br />

Alles schien aus und vorbei, die Freuden mit dem wunderbaren Jesus und dann<br />

seine Todesqualen. Die Menschen waren nach Hause gegangen, wollten nichts<br />

mehr sehen, konnten nichts mehr denken. Was zurückblieb waren ausgezehrte<br />

303


Leichname. Dann erbarmte sich einer. Er bat um Freigabe und brachte Jesu<br />

Leichnam zu Grabe- sicher auch die der beiden Mitgestorbenen. Dann ließ er<br />

einen Riesenschlußstein vor die Grabkammer wälzen. –Vielleicht, dass jetzt<br />

Ruhe sei, auch Ruhe einkehre in die Seelen- man war viel schuldig geblieben<br />

diesem leuchtenden Menschen.<br />

Eine liebevolle Beerdigung hat auch was von Friedenmachen. Der für das<br />

Begräbnis sorgte, wartete, so heißt es, auf das Reich Gottes. Sah er in Jesus den<br />

Anfänger und Aufreißer des kommenden Reiches. War er gespannt? Jedenfalls<br />

war er wohl offen in der Erwartung nach vorn.<br />

*<br />

Fanfaren des Lichtes<br />

Und <strong>als</strong> der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die<br />

Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen, den<br />

Leichnam zu salben. Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr<br />

früh, <strong>als</strong> die Sonne aufging. Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den<br />

Stein von des Grabes Tür?<br />

Als sie aber hinsahen erschraken sie: Der Stein war weggewälzt. Sie gingen<br />

hinein in das Grab und sahen rechts ein engelhaftes Wesen in weißen Kleidern<br />

sitzen. Und sie entsetzten sich. Er aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Ihr<br />

sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht<br />

hier. Geht und sagt seinen Jüngern, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa;<br />

dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.<br />

Markus 16, 1-6<br />

Die Frauen trauern tätig. Sie wollen salben und schöne Düfte versprühen und<br />

reden, reden miteinander, wie es alles war mit dem geliebten Menschen und wie<br />

allein sie jetzt sind. Da fährt ein Blitz der Erkenntnis in sie. Sie werden nach<br />

vorn gerissen in ihrem Denken. Der ist nicht tot, den ihr liebt, er ist<br />

mitgenommen in den Schwall der Gegenwart Gottes! Er ist noch viel mehr bei<br />

euch <strong>als</strong> vorher, will euch treffen, schicken, senden. Ihr werdet sehen. Und sagt<br />

es weiter: Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden.<br />

*<br />

Sie meint, es sei der Gärtner<br />

Maria weinte am Grab, dann ging sie hinein. Da sieht sie zwei Engel in weiß,<br />

die sprachen zu ihr: Frau, was weinst du? Sie spricht zu ihnen: Sie haben meinen<br />

Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingetan haben.<br />

Als sie das sagte, wandte sie sich um und sieht Jesus stehen und weiß nicht, dass<br />

es Jesus ist. Spricht Jesus zu ihr: Frau, was weinst du? Wen suchst du? Sie<br />

meint, es sei der Gärtner, und spricht zu ihm: Herr, hast du ihn weggetragen, so<br />

sage mir, wo du ihn hingelegt hast. Spricht Jesus zu ihr: Maria! Da wandte sie<br />

sich um und spricht zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Mein lieber Meister!<br />

304


Spricht Jesus zu ihr: Halt mich nicht fest! Denn ich muss und will auffahren zum<br />

Vater. Du aber geh hin zu den Brüdern und sage ihnen: Ich fahre auf zu meinem<br />

Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.<br />

Maria von Magdala geht und verkündigt den Jüngern: Ich habe den Herrn<br />

gesehen, und das hat er zu mir gesagt.<br />

Johannes 20,11-18<br />

Maria von Magdala will den Toten in ihrer Liebe lebendig halten. Tot sind nur<br />

die Vergessenen, sagt sie, hilflos, trotzig. Durch den Kraftakt ihres Gedenkens<br />

will Magdalena ihn bei sich gegenwärtig haben. Aber Jesus ist im Leben, weil ja<br />

Gott im Leben ist und Jesus bei Gott ist; Nicht wir bilden uns seine Präsens ein.<br />

Sondern Christi Präsens bildet sich uns ein.<br />

Leibhaftig ist Christus nicht mehr zu haben. Und doch flirrt die Luft von ihm.<br />

Die Gegenwart ist voll Christus, so real wie der Gärtner- nur: Wir müssen seine<br />

Stimme hören. Er spricht uns an- das erhebt uns auf das Niveau des<br />

Auferstandenen.<br />

Du, hör dich angesprochen von ihm: Du, fürchte dich nicht; ich, der Engel<br />

Gottes bei den Menschen, ich, Christus gehe mit dir. Und fährst du durch die<br />

Höll, ich bin doch dein Gesell- spricht Christus zu dir. Du mit mir im Konvoi-<br />

ich hab alles durchstanden, jetzt durchsteh ich Deins auch mit dir. Und ziehe<br />

dich in Freude, Himmel, Ganzwerden, zersorg dich nicht. Sag es weiter. Du bist<br />

in leuchtender Gemeinschaft, bist im Werden vor Gott. Der führt dich auf dem<br />

Weg zu werden, der du gemeint bist.<br />

Zweien gehen die Augen auf<br />

Und zwei von ihnen gingen in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei<br />

Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander<br />

von allen diesen Geschichten.<br />

Und es geschah, <strong>als</strong> sie so redeten und sich miteinander besprachen, da gesellte<br />

sich jemand zu ihnen und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten,<br />

dass sie nicht merkten, wer da mit ihnen ging.<br />

Und der Fremde sprach zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander<br />

verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen<br />

Kleopas, sprach zu ihm: Bist du der Einzige in Jerusalem, der nicht weiß, was in<br />

diesen Tagen dort geschehen ist?<br />

Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von<br />

Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem<br />

Volk; und unsre Hohenpriester haben ihn gekreuzigt. Wir aber hofften, er sei es,<br />

der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies<br />

geschehen ist.<br />

Auch haben uns einige Frauen aus unserer Mitte erschreckt, die sind früh bei<br />

dem Grab gewesen, haben seinen Leichnam nicht gefunden, kommen und sagen,<br />

*<br />

305


sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die verkündeten, er lebe. Und<br />

einige von uns gingen hin zum Grab und fanden es so, wie die Frauen sagten;<br />

aber ihn sahen sie nicht.<br />

Er aber sprach zu ihnen: Eure Herzens sind nicht hellhörig- musste nicht<br />

Christus dies erleiden um in seine Herrlichkeit einzugehen?<br />

Und er öffnete ihnen die Schrift von Mose bis zu den Propheten –wie das alles<br />

auf ihn hindeutete und hinauslief.<br />

Und sie kamen nahe an das Dorf. Und er tat so, <strong>als</strong> wollte er weitergehen.<br />

Sie aber baten und drängten ihn: Herr, bleib in unserer Nähe. Und er blieb.<br />

Und es geschah, <strong>als</strong> er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brachs<br />

und gabs ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn.<br />

Dann aber war die Erscheinung zu Ende. Sie konnten es nicht fassen, sie<br />

erinnerten sich nur: Brannte nicht unser Herz in uns, <strong>als</strong> er mit uns redete auf<br />

dem Wege und uns die Schrift öffnete?<br />

Zurück in Jerusalem fanden sie die Elf versammelt. Die überschlugen sich,<br />

ihnen mitzuteilen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.<br />

Und sie erzählten ihnen, was ihnen auf dem Wege geschehen war und wie er<br />

von ihnen erkannt wurde am Brotbrechen.<br />

Lukas 24, 13-35<br />

Ob von Mose bis zu den Propheten alles auf Christus hindeutet, ist<br />

Auslegungssache. Aber dass der Christus selbst den Schriftbeweis darlegte, ist<br />

für die Urkirche hochwichtig. Dann ist sie nicht eine jüdische Sekte sondern<br />

Avantgarde der neuen Menschheit: Sie- die beginnende Kirche- hat Gottes<br />

Retter, den Jesus Christus <strong>als</strong> erste verstanden und angemessen aufgenommen.<br />

Aus Sicht der Kirche gelten die Jünger <strong>als</strong> die ersten wahren Zeugen des<br />

Messias. Sie leben aus der Gewissheit: wo andere noch auf sein Kommen<br />

warten, haben wir Christen ihn schon zur Seite.<br />

Aber auch für Christen ist der Messias noch im Kommen. Wir haben ihn jetzt<br />

erst unter den Zeichen von Brot und Wein, wie die beiden Jünger, denen zwar<br />

das Herz brannte, die aber trotzdem noch erst auf dem Weg zur Erkenntnis sind.<br />

Glauben wir doch, dass wir mit Christus am Heilwerden sind. Auch wenn unsere<br />

Augen „noch gehalten sind“, steht unser Herz für die Liebe <strong>als</strong> die Gottesenergie<br />

offen und wir haben Mut zu dienen.<br />

*<br />

Auferstehung jetzt<br />

Eines Abends waren die Jünger beisammen, die Türen waren verschlossen aus<br />

Furcht. Da kam Jesus, trat mitten unter sie, sein Auferstehungsleib trug noch die<br />

Wundmale. Die Jünger wurden froh. Er spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!<br />

Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und <strong>als</strong> er das gesagt hatte,<br />

blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den Heiligen Geist! Und gebt<br />

ihn weiter.<br />

Johannes 20, 19-23<br />

306


Ostern ist das größte Ausstrahlungsereignis der Geistesgeschichte. Verwandelt<br />

werden die Anhänger Jesu zu Christen. Zuerst stirbt der Mensch Jesus und<br />

wird zum Christus verwandelt. Der trägt weiter mit sich die Leidensspuren<br />

seines Erdenlebens, aber statt aus Erdenfleisch ist er jetzt aus Gottesmaterie. Er<br />

ist Teil der Allmacht Gottes, er ist Friedensenergie. Und haucht Seins den<br />

Seinen ein.<br />

Diese heilige Christus-Energie macht froh und wendet uns der Zukunft zu; sie<br />

lässt uns nicht stecken im Vergänglichen, Verpfuschten, sondern verwandelt uns<br />

zu Friedensmachern.<br />

Geh nur davon aus, dass du ein vom Geist angehauchter Mensch bist. Du denkst<br />

bestmöglich ab jetzt für dich und alle. Von dir geht Friede aus. Du bist ein<br />

Gesandter des Herrn, <strong>als</strong>o geschickt, die Umstände zu entwirren auf Frieden hin.<br />

*<br />

Petrus - erster Hirte<br />

Jesus spricht zu Simon Petrus: Simon hast du mich lieber, <strong>als</strong> mich die andern<br />

haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht<br />

Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! Er spricht ein zweites Mal zu ihm: Simon,<br />

hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe.<br />

Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! Und er spricht zum dritten Mal:<br />

Simon, hast du mich lieb? Petrus sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du<br />

weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!<br />

Und ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du<br />

hin wolltest; einmal alt geworden, wirst du deine Hände ausstrecken und ein<br />

anderer wird dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst. Also: Folge mir<br />

nach!<br />

Johannes 21,15-19<br />

Sicher ist diese Geschichte auch Zeichen, dass die sonst dem Apostel Paulus<br />

näherstehende Johannesgemeinde (in Alexandrien) die beginnende Priorität<br />

Roms zu achten bereit ist.<br />

Das ist kein wörtliches Protokoll. Wohl drei Generationen nach Jesus<br />

Erdenleben verdichtet Johannes die entscheidende Glaubensfrage zu dieser<br />

„ideale Szene“. Dreifach die eindringliche Frage, dreifach gezwirnt der Auftrag.<br />

Die Gemeinde und auch wir Heutigen, stehen vor der Frage des Christus: Liebst<br />

Du mich?<br />

Doch wie ihn lieben? Wir sind von ihm zu Durchdrungenen gemacht, nicht zu<br />

Durchschauern. Weiß dich geliebt von dem leuchtenden Gottmensch,<br />

Menschengott- der immer noch mitgeht im Alltag und dich, mich aufrecht gehen<br />

und handeln lehrt. Und der uns zu Hirten macht für einander.<br />

Wir alle, alt geworden, werden uns beugen; und werden geführt- letztlich, wohin<br />

es für uns gut ist. Auch Jesus sah sich geführt, wohin er nicht wollte. Auch auf<br />

den Märtyrertod des Petrus schaut Johannes zurück. Und nimmt daraus die<br />

307


Ansage: Christus nachfolgen heißt sich auf dem Heimweg wissen, auch durch<br />

Wirren und Verzichte und Tod hindurch.<br />

*<br />

Aber der Tröster<br />

Christus spricht: Jetzt gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat. Euer Herz ist<br />

voll Trauer. Aber ich sage: Es ist gut für euch, dass ich gehe. Kommen wird Der<br />

Tröster. Den werde ich euch senden vom Vater. Der Geist der Wahrheit, der<br />

vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Der wird euch in alle<br />

Wahrheit leiten.<br />

Ihr habt nun Traurigkeit; aber ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich<br />

freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen. An dem Tag werdet ihr<br />

mich nichts fragen.<br />

Johannes 16,5.7; 15,26; 16,12.20-23<br />

Der Evangelist Johannes hat vor die Passionsgeschichte lange Abschiedsreden<br />

des Jesus Christus gesetzt. Der irdische Jesus hat sicher kerniger gesprochen,<br />

mit Worten wie Nägel die ein Zimmermann einschlägt, jeden genau richtig.<br />

Die Abschiedsreden, die der Evangelist Johannes komponiert hat, sind nicht<br />

historisch. Und doch sind sie echt, in dem Sinne, dass sie aus dem Geist Christi<br />

geredet sind.<br />

Ähnliche Nähe braucht eine Predigt. Sie soll im Geist und aus dem Geist Christi<br />

sprechen. „Tröster“ ist ein herrlicher Begriff für den heiligen Geist, der kein<br />

Ersatz ist für den zum Himmel gefahrenen Jesus sondern er ist der “Christus<br />

noch einmal“, ist die Christusenergie, die uns hoffentlich antreibt. Sie leitet in<br />

alle Wahrheit: der letzte Grund von allem ist Liebe. Liebst du, kannst du nichts<br />

ganz f<strong>als</strong>ch machen, liebend ist auch im F<strong>als</strong>chen noch Richtiges. In Aussicht<br />

steht Vollendetwerden und das Ende aller Fragen.<br />

*<br />

Bei euch alle Tage<br />

Und Jesus sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf<br />

Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den<br />

Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten<br />

alles, was ich euch sage. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt<br />

Ende.<br />

Matthäus 28,18-20<br />

Ob es eine förmliche Aussendung gab, ist fraglich. Aber nicht fraglich ist, daß<br />

sich die Jünger und ersten Mitchristen gesandt wussten. Paulus ist ja „aus dem<br />

Stand“ ins Apostelamt katapultiert. Und ging sofort los, das Evangelium von der<br />

rettenden Liebe auszustreuen, unter Menschen, Städte, Völker. Paulus sieht die<br />

308


Jünger und sich <strong>als</strong> Spätberufenen ausgesandt, um - im letzten Augenblick- kurz<br />

vor Einbruch des Himmels auf die Erde die Menschen zum Glauben zu rufen.<br />

Man sagt: Statt des Reiches Gottes kam die Kirche“ (A. Loisy).<br />

Der Missionsbefehl des Christus weist die ersten Christen in die Geschichte:<br />

Wir sollen sie nicht meiden sondern gestalten, wissend: Alle Gewalt, alle<br />

Dynamik, alle Energie ist Liebe- und unter wie viel Tragik auch verborgen, soll<br />

sie der Liebe dienen. Jünger Jesus sind eben die, die die Liebe <strong>als</strong> Herzschlag<br />

Gottes und der Geschichte glauben. Sich taufen lassen, heißt, im Sinne des Jesus<br />

zu leben und sich gesandt wissen an die Arbeit für eine gerechtere Welt.<br />

Nur hier in der Bibel taucht die dreifache Gottesformel auf: Gott ist Schöpfer<br />

und in Christus Retter und <strong>als</strong> Heiliger Geist ist er Begeisterer,<br />

Zueinanderwender. Die „trinitarische Formel“ entfaltet Gott in seinen drei<br />

wesentlichen Dimensionen: Schöpfungsmacht, Liebe, Geist. Man sagt für das<br />

Wichtigste, Endgültige auch: „Es ist Matthäi am Letzten“: Zuletzt gilt Jesu<br />

Zusage: Ich bin bei euch bis an der Welt Ende.<br />

Christus ist bei uns <strong>als</strong> Energiestrom, der uns belebt, sodaß wir gewiss sein<br />

können:“Und wäre dir auch was verloren, kannst immer tun wie neugeboren“<br />

(J.W Goethe).<br />

Ein anderes Schlusswort: Christi Himmelfahrt<br />

Christus sprach zu ihnen: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen,<br />

der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und bis<br />

an das Ende der Erde. Und <strong>als</strong> er das gesagt hatte, wurde er erhoben, und eine<br />

Wolke nahm ihn weg vor ihren Augen.<br />

Und <strong>als</strong> sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen<br />

zwei Männer in weißen Gewändern. Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was<br />

steht ihr da und starrt nach oben? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel<br />

aufgenommen wurde, wird wiederkommen. Jetzt geht los; geht an die Arbeit,<br />

seine Zeugen zu sein.<br />

Apostelgeschichte 1, 7-11<br />

Es ist dies eine Zeitkonstruktion späterer Generationen: Vierzig Tage nach<br />

Ostern: Himmelfahrt; zehn Tage später Pfingsten. Sicher ist: Nach Jesu Tod<br />

haben ungeahnte Ereignisse den Jüngern klargemacht, dass ihr Christus lebt.<br />

Diese Ereignisse sind nicht isoliert und objektiviert zu haben. Jedenfalls<br />

erschien Jesus ihnen; von außen drangen Begegnungen mit Christus auf sie ein.<br />

Die machten die ersten Zeugen zu seinen Boten und nahezu alle zu Märtyrern.<br />

Hinter den Glauben der Jünger können wir nicht zurück. Wir müssen ihnen den<br />

Auferstandenen nachglauben.<br />

Nach einer kurzen Spanne hörten die sichtbaren Vergegenwärtigungen des<br />

Christus auf. Eine „Abschiedsgala“ ist unwahrscheinlich, aber für so was wie<br />

Himmelfahrt stand im Alten Tesament Elia`Erhebung im feurigen Wagen-<br />

*<br />

309


(2.Könige 2) bereit. Schon früh setzte sich das Bild der Erhebung in den<br />

Himmel bei den Christen fest; und die ging einher mit der Forderung: jetzt glotzt<br />

nicht gen Himmel sondern geht an die Arbeit; Es gibt viel zu tun im Namen des<br />

Herrn.<br />

*<br />

Das Pfingstwunder<br />

Und <strong>als</strong> das „Fest der fünfzig Tage nach Passah“ gekommen war, waren sie alle<br />

an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel<br />

wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen.<br />

Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und sie setzten sich auf<br />

einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und<br />

fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab, es<br />

auszusprechen.<br />

Apostelgeschichte 2,1-4<br />

Auskommen ohne den „Jesus- leibhaftig“ und doch von seiner Gegenwart<br />

überzeugt sein- das ist der Geburtstag der Kirche. Das Wesen von Kirche ist:<br />

„Ich, Christus, bin bei euch –seid ihr darum hoffnungsvoll, liebevoll und<br />

tatkräftig!“<br />

Es gab in der Jüngergemeinde ein Ereignis, das verband sie. Sie erlebten sich <strong>als</strong><br />

eine Familie, die vom Geist Christi verschmolzen war zu einem Leib. Sie<br />

erlebten sich zugehörig zu einem Ganzen- und verstanden einander, auch wenn<br />

die Herkunftssprache verschieden war. Wir nennen dies himmlische<br />

Dolmetscherfest „Pfingsten“- vom griechischen: “pentekoste“-fünfzig Tage<br />

(nach Ostern).<br />

Das Gegenstück zu Babylon<br />

Es wohnten in Jerusalem Juden aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun<br />

dieses Brausen vom Himmel geschah, lief viel Volk zusammen und sie gerieten<br />

außer sich; ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie fragten: Sind<br />

nicht diese alle aus Galiläa? Was hören wir jeder seine eigene Muttersprache?<br />

Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und<br />

Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien,<br />

Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom,<br />

Juden und Judengenossen, Kreter und Pleter- wir hören sie in unsern Sprachen<br />

die großen Taten Gottes reden.<br />

Und die einen entsetzten sich: Was will das werden? Andere aber hatten ihren<br />

Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.<br />

Apostelgeschichte 2,5-13<br />

Die Gegengeschichte zur Sprachverwirrung von Babel (1. Mose 10) ist die<br />

Ausschüttung des Heiligen Geistes. Den ersten Christen geschah<br />

überschwängliches Glück. Sie, die sich noch scheu verkrochen, weil ihnen ihr<br />

310


Herr abhanden kam- sie wurden durch einzelne Begegnungen mit dem<br />

Auferstandenen zusammengeführt zu einer neuen Christus- Geschwisterschaft.<br />

Die wurde der Kern der weltumspannenden Kirche, beseelt von Liebesfeuer und<br />

Geist.<br />

Ein Ereignis soll fünfhundert Brüder und Schwestern auf einmal (1. Korinther<br />

15,6) getroffen haben- es muß mit dem Pfingstereignis identisch sein. Sie haben<br />

ihr „coming out“- sie gestehen einander ihr ZuChristusgehören. Es ist in<br />

höchstem Maße ein Sprachereignis: Christus macht, dass man sich und die<br />

andern versteht. Und die andern reden einem aus dem Herzen, wenn sie die<br />

großen Taten Gottes – aus der langen Heilsgeschichte und dem persönlichen<br />

Erleben- begeistert ausbreiten. Kirche erbaut sich aus den lebendigen Steinen<br />

der vom Heiligen Geist berufenen, gesammelten, erleuchteten und geheiligten<br />

Menschen.<br />

Pfingsten- auf Dauer<br />

Hinter den menschlichen Worten, wenn sie nicht zerstörend benutzt werden,<br />

schimmert unsere Gottesherkunft. Wir sind einander <strong>als</strong> verwandt erdacht, dazu<br />

soll uns das Mitteilen und Benennen mittels der Worte dienen. Mit Sprache<br />

begabt geben wir nicht nur Laut sondern uns, können uns einander vertraut<br />

machen, so ein Glück. Heiliger Geist nun ist die Energie der Kommunikation; er<br />

begeistert uns füreinander, stellt Zusammenhänge her, verknüpft, vernetzt uns.<br />

Freundlichkeit durchflutet uns, Müdigkeit wird ausgekehrt, Erbarmen ruft zur<br />

Tat, Eros neigt uns zueinander, Gerechtigkeitssinn nimmt in Dienst.<br />

Wie Wildgänse in Flugstimmung geraten- so durchfährt uns Menschen Wissen<br />

von Einssein und hebt uns zueinander. Diese Durchflutung mit Einsseinwissen<br />

ist Jesu Geist. In allen Formen von befreundender Begeisterung regnet Gott den<br />

Jesus-Geist über uns aus- auch das Kirchenfeld soll blühen.<br />

* *<br />

B Apostelgeschichte, Briefe, Offenbarung<br />

Apostelgeschichte<br />

Ein Blick auf die Anfänge der Kirche<br />

Die nun sein Wort annahmen, ließen sich taufen;. Sie blieben beständig in der<br />

Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Gottesdienst und im Gebet.<br />

Alle Dinge hatten sie gemeinsam. Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie<br />

aus unter alle, je nachdem wie nötig es einer hatte. Und sie waren täglich<br />

einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den<br />

Häusern, teilten die Mahlzeiten mit Freude, sie lobten Gott und waren<br />

wohlgelitten beim ganzen Volk. Der Herr aber fügte täglich Neue zur Gemeinde<br />

311


hinzu, die gerettet wurden- an einem Tage wurden hinzugefügt etwa dreitausend<br />

Menschen<br />

Apostelgeschichte 2,41-47<br />

Der Arzt Lukas, der auch das Lukas-Evangelium geschrieben hat, wagt <strong>als</strong> erster<br />

den großen Wurf einer ersten kurzen Kirchengeschichte. Er schreibt für Rom.<br />

Dort im Zentrum des Reiches – Petrus und Paulus waren schon wohl zwanzig<br />

Jahre vorher <strong>als</strong> Märtyrer umgebracht worden- sollte die Gemeinde gestärkt<br />

werden. Eine Urkunde ihrer erstaunlichen Ursprünge sollte den Ruf der neuen<br />

Gottesgemeinschaft stärken.<br />

Am Anfang, so Lukas, stand ein urchristlicher Liebeskommunismus. Paulus war<br />

mit der Gemeinde in Korinth, wohl 30 Jahre vorher-hart ins Gericht gegangen.<br />

Die waren beim Abendmahl so egoistisch, dass, wer genug hatte, sich<br />

mitbrachte und erst mal sich selber satt aß. Und wie Paulus sich mühte, für die<br />

mangelleidenden Christen in Jerusalem eine Kollekte zusammen zu bringen- das<br />

zeugt vom „Menscheln“ auch in der Urgemeinde.<br />

Und doch ist die Idee umstürzend: Jeder gibt, was er hat und nimmt (nur), was<br />

er braucht; der verzichtet auf privaten Besitz zugunsten eines Gemeinsamen<br />

Lebens. Ob die Ersten Christen tatsächlich vom Geld lassen konnten oder nicht-<br />

jedenfalls Einzelne führten überzeugende Leben, einige Gemeinden mühten<br />

sich, dem Jesus ähnlich zu werden, der nicht wußte, wo er zur Nacht sein Haupt<br />

hinlegen würde (Lukas 9,58). Die ersten idealisierten Christen, wurden<br />

Vorbilder für christlichen Enthusiasmus und ein asketisches Mönchstum und<br />

auch für die kommunistische Utopie einer geschwisterlichen Welt.<br />

*<br />

Aus Saulus wird Paulus<br />

Saulus war ein scharfer Christenverfolger. Auf dem Wege nach Damaskus<br />

umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; er stürzte zur Erde und hörte<br />

eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?<br />

Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.<br />

Als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Man nahm ihn bei der Hand und<br />

führten ihn nach Damaskus zu einem Hananias!<br />

Der legte ihm die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr<br />

Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, hat mich gesandt, dir zu<br />

sagen: Du sollst wieder neu sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.<br />

Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder<br />

sehend; und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte<br />

sich. Und bald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn<br />

sei.<br />

Aus Apostelgeschichte 9<br />

312


Eine umstürzende Bekehrung nennt man auch ein „Damaskuserlebnis“.<br />

Geschieht einem eine dramatische Wesens-verwandlung, dann sagt man auch,<br />

aus einem Saulus sei ein Paulus geworden. Dem jüdischen Schriftgelehrten<br />

Saulus aus Tarsus, (mit römischer Staatsbürgerschaft!) fällt es tatsächlich wie<br />

Schuppen von den Augen, daß die Gotteskindschaft uns zuwächst durch den<br />

Glauben an Jesus Christus.( Man muss immer dazusagen: mittels des Glaubens,<br />

nicht wegen des Glaubens.) Nicht mehr die Zugehörigkeit zum Volk Israel ist<br />

zwingend, auch nicht Gehorsam gegen ein Gesetzbuch. Paulus wird der<br />

Theoretiker des Christentums, er erkennt die Internationalität der Kirche, ihre<br />

Katholizität ( von kat olos, den ganzen Erdkreis umfassend). Und dass die Liebe<br />

das Größte ist. Statt weiter die Christen zu verfolgen, wird er der glühendste<br />

Christus-Jünger. Er weiß sich durch eine ganz persönliche Vision zum Apostel<br />

(neben den Jüngern) berufen.<br />

Engel sind um uns<br />

Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie<br />

zu misshandeln. Jakobus, den Bruder des Johannes, ließ er töten mit dem<br />

Schwert.<br />

Und er nahm auch Petrus gefangen, warf ihn ins Gefängnis und überantwortete<br />

ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn<br />

vor Gericht zu stellen.<br />

Wachen auch vor der Tür bewachten das Gefängnis. Doch der Engel des Herrn<br />

kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite<br />

und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von<br />

seinen Händen. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!<br />

Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig<br />

geschehe durch den Engel, sondern meinte, nur eine Erscheinung zu sehen.<br />

Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen<br />

Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus<br />

und gingen eine Straße weit, und <strong>als</strong>bald verließ ihn der Engel.<br />

Apostelgeschichte 12, 1-10<br />

Auch Petrus stellt nicht klar, woran man den Engel erkennen kann. Es muss<br />

einer gewesen sein, das ist ihm klar- wenn das Unmögliche wunderbarerweise<br />

doch geschieht, dann war Gottes geballte Energie am Werk. Gotteskraft,<br />

Engelskraft , wie auch immer verpackt, sie geschieht uns.<br />

Und manchmal sind wir Handlanger der Engel. Wenn uns dann jemand<br />

anspricht, den wir gerade vor dem heranbrausenden Auto zurückgerissen haben<br />

oder dem wir sein eben aus der Tasche gefallenes Portemonnaie zurückgeben,<br />

*<br />

313


dann sagt er: “Sie Engel“. Und du sagst: “Ich tat nur meine Pflicht, ist nicht der<br />

Rede wert“. Und du hast das Gefühl, Überirdische zwinkert dir zu.<br />

Paulus in Athen<br />

Paulus zog rastlos durch Kleinasien um zu missionieren. Er kam auch nach<br />

Athen, das geistige Zentrum der damaligen Welt. Als er die Stadt voller<br />

Götzenbilder sah, ergrimmte sein Geist. Leuchtend und lodernd predigte er<br />

dagegen das Evangelium von Jesus und seiner Auferstehung.<br />

Einige Philosophen legten sich mit ihm an und sprachen: Was will uns dieser<br />

Schwätzer sagen? Andere aber sprachen: Er will uns wohl fremde Götter<br />

verkündigen. Lasst ihn reden- wir Athener hören ja gern Neues. Und sie zogen<br />

mit ihm auf den Areopag, den zentralen Denk- und Redeort der Stadt.<br />

Und er sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen<br />

Stücken sehr verehrt. Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer<br />

angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: „Dem unbekannten<br />

Gott.“ Nun verkündige ich euch, wen ihr unwissend verehrt.<br />

Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist; Er, der doch selber<br />

jedem Leben und Odem und alles gibt; Er hat das ganze Menschengeschlecht<br />

gemacht, damit wir Gott suchen sollen, und wahrlich: Er ist nicht ferne von<br />

einem jeden unter uns. Denn in ihm leben, wirken und sind wir; wie auch einige<br />

Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.<br />

Aus Apostelgeschichte 17, 16- 28<br />

Ob dies ein originales Predigtstück des Paulus ist? Großzügig wie die Griechen<br />

selbst –die noch dem unbekannten Gott einen Altar errichteten und Opferdienst<br />

halten- spricht Paulus vom Christengott: Nah einem jedem ist er. Wir leben in<br />

ihm, wirken in ihm, sind in ihm. Näher, identischer geht es nicht. Und keine<br />

Riten, keine Zeremonien, keine Urkunden sind dazu notwendig. Mit Geburt sind<br />

wir Kinder Gottes, alle Religionen und Kirchen können dieses Grundrecht nur<br />

feiern aber nicht durch Pflichtbekenntnisse oder Mitgliedschaften einengen.<br />

Auch wer sich für „gottlos“ erklärt, meint der nicht eher „kirchenfern“ oder<br />

„bekenntnisneutral“ ? Erklärten wir Gott <strong>als</strong> unwichtig für uns- wie klein<br />

müssen wir von ihm denken. In ihm leben, wie der Fisch im Wasser- es kann<br />

höchstens sein, daß wirs nicht wissen. Aber das hebt unser Existieren in Gott<br />

nicht auf.<br />

*<br />

Der Römerbrief<br />

314


Spuren Gottes in der Natur<br />

Gottes unsichtbares Wesen, seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit Schöpfung<br />

der Welt aus seinen Werken ersichtlich. Man muss sie nur wahrnehmen. Die<br />

Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes aus der Natur nicht erahnen- dafür gibt<br />

es keine Entschuldigung.<br />

Römerbrief 1,20<br />

Wenigstens erahnen können wir Gottes Existenz. Sonnenglanz und<br />

Feuersbrunst, Wogenschwall und Spinnennetz- sie sind doch Wunder über<br />

Wunder. Materie ist doch eine der Sprachen Gottes. Daß wir gewollt sind vom<br />

Urgrund des Seins- wenigstens wünschen muß man es doch. Wie sollte man aus<br />

bloßem, nacktem Zufall vorhanden sein wollen? Es muß doch Gott geben- muss<br />

geben den, der geschehen lässt, auch mich. Alles Sein ist Zusammensein mit<br />

Gott- dies nicht wenigstens wünschen, würde doch unser Denken enthaupten.<br />

*<br />

Das Evangelium <strong>als</strong> Kraft Gottes<br />

Ich schäme mich des Evangeliums nicht; es ist eine Kraft Gottes, die selig macht<br />

alle, die daran glauben. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor<br />

Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben. Das sagt auch das Alte<br />

Testament: „Abraham hat Gott geglaubt und das ist ihm zur Gerechtigkeit<br />

gerechnet worden« (1.Mose 15,6). Kein Mensch kann durch Gehorsam gegen<br />

die Gebote sich vor Gott gut machen. Die Gebote sind nur da zur Erkenntnis<br />

der Sünde.<br />

Gott Rechtsein erwächst aus Glauben an Jesus Christus. Ohne eigene<br />

Verdienste sind wir Gott recht, aus Gnade- eben durch die Erlösung, die durch<br />

Christus Jesus geschehen ist.<br />

Wer aus eigenem Guttun vor Gott gut dastehen will, dem wird Lohn zuteil nach<br />

seinem Verdienst. Dem aber, der sich nicht auf seine guten Werke verläßt,<br />

glaubt aber an den, der die Gottlosen gerecht macht, dem wird sein Glaube<br />

gerechnet zur Gerechtigkeit.<br />

Römerbrief 1,16f ;3,20f; 4,3-5<br />

Das ist der Kern des Evangeliums. Wir brauchen uns nicht mehr vor Gott<br />

abschuften. Nicht mit Verzichten und Askese, nicht durch Aufopferung und<br />

Gehorsam sollen wir vor dem Jüngsten Gericht bestehen. Sondern die<br />

Zuversicht soll uns retten, daß Gott uns liebt und braucht. Dabei rettet uns nicht<br />

der Glaube <strong>als</strong> intellektuelle Leistung. Nicht wegen unseres Glaubens sondern<br />

mittels des Glaubens werden wir Gott recht. Wir beziehen mittels Glauben die<br />

Güte Gottes auf uns. Wir lassen uns sagen: Auch für dich ist Christus gestorben-<br />

315


du, glaub ihm sein Gottvertrauen nach, nimm ihn <strong>als</strong> deinen Kundschafter an für<br />

richtiges Leben: Wohl viel Gutes tun- aber nicht zwecks Punktemachen im<br />

Himmel sondern aus Freude am Guten, aus Lust, Jesu Mitarbeiter hier und heute<br />

zu sein.<br />

So ist auch die Kirchengliedschaft nicht Bedingung für den richtigen Glauben,<br />

Kirche ist bestenfalls ein Dolmetscher des Herrn. Die Reformation hat die gute<br />

Nachricht von der Freiheit eines Christenmenschen wesentlich aus diesem<br />

Freispruch des Paulus im Römerbrief geschöpft.<br />

*<br />

Basistext der Reformation<br />

Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, gibt es ohne Zutun des Gesetzes. Sie kommt<br />

durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Die Unterschiede<br />

zwischen den Gläubigkeiten der Menschen sind letztlich belanglos- allesamt<br />

sind wir Sünder und ermangeln des Glanzes, den wir bei Gott haben sollten. Wir<br />

werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch<br />

Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt <strong>als</strong> Sühne<br />

in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit.<br />

Wo bleibt dann noch Grund für Eigenlob? Es ist ausgeschlossen durch das<br />

Gesetz des Glaubens: Der Mensch wird nicht Gott recht durch Gehorsam gegen<br />

die Gebote, sondern allein durch den Glauben, daß wir Gott recht sind. Daraus<br />

folgt dann das richtige Tun.<br />

Römer 3,21-28<br />

Noch einmal, weil es so wichtig ist: Nicht unser Tun sondern Gottes Lieben<br />

macht uns ihm recht. „Es liegt nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen,<br />

sondern an Gottes Erbarmen“ (Römer 9,16). Er weiß was für ein Verein wir<br />

sind; er weiß, daß wir vom Staub genommen sind (Psalm 103,14). Aber wir aus<br />

Erde Berufene, in uns hat der Staub Feuer gefangen. Wir sind „Schilfrohr, aber<br />

denkendes“ (B.Pascal), wir sind Gottes geliebte, schwierige Geschöpfe.<br />

Uns heilig, <strong>als</strong>o gottgehörig machen, das können und brauchen wir nicht. Wir<br />

sind Heilige, sind Kinder Gottes. Das allerdings müssen wir annehmen, müssen<br />

es über uns gelten lassen. Wir können es gelten lassen, wenn wir in<br />

Sommerlaune am Strand im Sand liegen und einfach da sind sorglos „ in uns<br />

selbst vergnügt“ sind .Wenn wir das Geliebtsein nicht über uns gelten lassen, ist<br />

es hart, ein Mensch zu sein. Darum ja, sind „die Atheisten Gottes liebste<br />

Kinder“ (M.Luther), seine Sorgenkinder, die es so schwer haben, weil sie sich<br />

selbst ihre Würde erringen müssen. Wir aber dürfen uns stärken aus dem Schatz:<br />

„Gott liebt dich und Gott braucht dich, darum lebst du“.<br />

„Allein aus Glauben“- <strong>als</strong>o auch nicht wegen des Glaubens, nur mittels des<br />

Glaubens. Nicht wird uns der Glaube <strong>als</strong> Verdienst angerechnet, <strong>als</strong> wäre er eine<br />

Leistung. Gott vertrauen, wegen diesem wunderbaren Jesus- das ist alles, was<br />

316


nötig ist, damit Liebe und Freiheit –Gottes Flügel- sich bei dir entfalten können.<br />

Und der Himmel geht dir auf. Und du gehst von selbst den rechten Weg.<br />

Also kein Ablass, <strong>als</strong> müßte und könnte ich mich von Schuld freikaufen. Keine<br />

Notwendigkeit von Taufe, Kirchzugehörigkeit, Gottesdienstbesuchen.- Gut und<br />

hilfreich ist das alles, weil sie meiner Person Halt in Gemeinschaft geben. Aber<br />

von nichts macht Gott seine Liebe abhängig. Keine Todsünde, nichts kann mich<br />

trennen von Gott. Nur er sich von mir; das aber hat er versprochen, nie zu tun.<br />

Ungeheuer ist die Freiheit des Glaubens: Keine Ämter, kein Klerus, keine<br />

Unfehlbarkeit, keine „richtige“ Form der Anbetung. Keine verpflichtenden<br />

Glaubenssätze: „Prüfet alles, aber das Gute bewahret“, so Paulus (1.<br />

Thessalonicher 5,21)- wie es dir in deinem Gewissen einleuchtet. Und deine<br />

Liebe lass tätig sein.<br />

Also glauben müssen? Ja, in dem Sinne, wie Kinder auch der Lehrerin glauben<br />

müssen, daß die sie lieb hat, auch wenn sie mal böse guckt. –Aber sie halten die<br />

Lehrerin ja nicht blind für gut. Sie wissen aus der Erfahrung.<br />

Und was hast du von Gott, mit Gott erfahren? Versteh doch dein nacktes<br />

Existieren schon <strong>als</strong> ungeheure Zuwendung und Bejahung. Und staune doch<br />

über dein Zurechtkommen durch Katastrophen hindurch.<br />

Dafür ist Jesus ein Trainer in Vertrauen. Er wusste, daß ihn nichts aus Gottes<br />

Hand reißt, darum lebte er mutig, befreundet, großzügig. Er tat Gutes, nicht<br />

damit, sondern weil Gott und das Leben ihn liebt.<br />

*<br />

Frieden mit Gott<br />

Wir sind Gott recht durch den Glauben. Wir haben Frieden mit Gott durch<br />

unsern Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir den Zugang im Glauben zu<br />

dieser Gnade, in der wir stehen. Und wir feiern die Hoffnung der zukünftigen<br />

Herrlichkeit, die Gott geben wird.<br />

Nicht allein aber das, sondern wir rühmen uns auch der Bedrängnisse, weil wir<br />

wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung<br />

aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden. Die Liebe Gottes<br />

ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.<br />

Römerbrief 5,1-5<br />

Glaube ist nicht Nichtwissen sondern ist gewissestes Herzenswissen. Fragt uns<br />

jemand nach der Uhrzeit und wir sagen: „I7 Uhr, glaub ich“, so ist das ein<br />

(schlechtes) Wort für „na so ungefähr“. Aber an Gott glauben, das kommt vom<br />

Wort „geloben“; für etwas mit dem Innersten einstehen- etwa so, wenn ein<br />

Liebender sagt: „Ich glaube an Dich“.<br />

Also Gott recht sein durch den Glauben, meint: Ich gehöre zu ihm mittels der<br />

innersten Gewissheit: Gott ist mein, ich bin sein. Durch Christus und andere<br />

heilsame Menschen ist mir dies Vertrauen zugewachsen. Jesu Leben, Sterben,<br />

Auferstehen, und sein Beimirsein im Heiligen Geist machen mich mit anderen<br />

zu einem Familienglied Gottes.<br />

317


*<br />

Komm, Heiliger Geist<br />

Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten auferweckt hat, in euch wohnt,<br />

so wird er, der Christus von den Toten auferweckt hat, auch eure sterblichen<br />

Leiber lebendig machen. Gottes Kinder treibt der Heilige Geist. Ihr habt nicht<br />

einen sklavischen Geist empfangen, dass ihr euch aberm<strong>als</strong> fürchten müsstet;<br />

sondern ihr habt einen kindhaften Geist empfangen, durch den rufen wir: Abba,<br />

lieber Vater!<br />

Römerbrief 8,11.14.15<br />

Der aus dem Nichtsein ins Leben ruft, der wird auch uns, die wir schon<br />

vorhanden sind, überschäumend lebendig machen, uns mit Geist und Hirn und<br />

gefühlvollem Leib versehen. Vom Heiligen Geist getrieben, gelingt waches,<br />

dankbares, kreatives Hiersein. Müsste dazu mein Ich ausgetauscht werden?<br />

Nein, denn der Heilige Geist bringt mich richtig zu mir, lässt mein<br />

eigensinniges, träges Ego abschmelzen, löst die Zwangsgeister auf, denen ich<br />

mich verfallen wähne. Ich muß nur merken, daß der freie Geist an mir rüttelt<br />

und zwar zwischen mir und dem Nächsten.<br />

Im Dazwischen von Ich und Du ist die Spannung vom Ungeist der Feindschaft<br />

oder eben von Lust auf Gemeinsames, von Freude und Tatendurst. Das ist der<br />

Heilige Geist, der Gottes- Geist, der die Gestirne betreibt und die Fremdheit<br />

nimmt, Würde und Verstehen verleiht. Mit jedem in seiner Sprache reden,<br />

freimütig, das ist uns verheißen; müh dich drum.<br />

Das Größte kommt doch erst<br />

Ich bin überzeugt, dass die Leiden jetzt nicht ins Gewicht fallen gemessen an<br />

der Herrlichkeit, die auf uns zukommen soll. Auch die übrige Schöpfung mit<br />

ihrem ängstlichen Harren wartet darauf, dass die Kinder Gottes erstehen in<br />

Glanz und Herrlichkeit.<br />

Noch ist ja die Schöpfung unterworfen der Vergänglichkeit - doch auf<br />

Hoffnung! Die ganze Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der<br />

Vergänglichkeit zur herrlichen Freiheit der Kindschaft Gottes.<br />

Römerbrief 8,18-21<br />

Dieser Posaunenstoß der Zuversicht reißt mit. Vor uns das ganz Große. Vor uns<br />

die Fülle an Freude und Freiheit. Ja, noch sind wir Kinder Gottes auch mürrisch<br />

und unfair, nachtragend und träge- aber das sind die Schleifspuren der<br />

Vergänglichkeit- in unsern Schwächen bahnt sich unser Sterbenmüssen an. Wir<br />

werden vielm<strong>als</strong> schuldig, wir sind auch zerstörerisch. Wir dienen dem Tod.<br />

Müdigkeit und Geiz schnüren uns ein. Die Schöpfung insgesamt ist noch<br />

*<br />

318


sterblich. Aber das soll nicht so bleiben. Die Leiden dieser Zeit behalten nicht<br />

die Oberhand. Vor uns ist Zukunft und Heilung und Vollendung. Darum sollen<br />

wir uns nicht der Hinfälligkeit hingeben. Sogar das Sterben wird Hingang in die<br />

herrliche Freiheit.<br />

Die seufzende Schöpfung<br />

Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt<br />

und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist<br />

<strong>als</strong> Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der<br />

Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Wir sind zwar gerettet, doch erst auf<br />

Hoffnung.<br />

Römer 8, 22-24<br />

Die Natur ist der Notwendigkeit unterworfen, zu fressen und gefressen zu<br />

werden. Und da hat es der Löwe nicht leichter <strong>als</strong> das Zebra: Um zu überleben,<br />

muß das Zebra schneller sein <strong>als</strong> der Löwe. Um zu überleben, muß der Löwe<br />

schneller sein <strong>als</strong> das Zebra. Beide sind voll Angst zu verhungern oder gefressen<br />

zu werden. Auch die Menschen kämpfen ums Überleben. Es gibt nicht genug für<br />

alle und wir handeln nicht fair. Es bleibt noch Jammer und Seufzen und der<br />

Kampf ums Dasein. Doch das soll nicht das letzte Wort Gottes sein. Wir gehen<br />

noch aufs Reich Gottes zu- oder anders: das Reich Gottes kommt auf uns zu.<br />

*<br />

Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf. Wissen wir nicht, was wir beten sollen,<br />

so vertritt uns der Geist mit unaussprechlichem Seufzen.<br />

Römer 8,26<br />

Gottes Geist-Energie treibt uns an. Schlaf, Nahrung, Liebe, Phantasie, Gelingen,<br />

Lust, Freude, Schönheitssinn, Gerechtigkeitswille sind die Botenstoffe des<br />

Himmels. Auch das wortlose Aufatmen und das Seufzen aus tiefer Seele ist<br />

Verbundensein mit Gott. Wir müssen nicht in passenden Worten uns vor Gott<br />

ausbreiten. Wir geschehen in ihm, sein Geist beatmet uns, mal mit Jubel, mal<br />

mit Heulen.<br />

Komm Geist, hilf unserer Schwachheit auf! Du unerschöpfliche Lohe, Du Geist<br />

–Dynamik, heb unsern Blick, befeure unser Denken und Lieben!<br />

Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen.<br />

Römer 8,28<br />

*<br />

*<br />

319


Das zu wissen, es aus Glauben wissen, ist das Höchste. Und dann soll ich mir<br />

zum Besten dienen lassen, was ist. Auch meinen Charakter mir recht sein lassen.<br />

Luther sagt es knapp: Wenn es anders kommt <strong>als</strong> wirs erbitten, kommt es besser.<br />

Also nichts auf Biegen und Brechen erzwingen. Sieh daraufhin mal dein Leben<br />

an- lief es sich nicht zurecht? Obwohl du viele Warnungen in den Wind<br />

geschlagen und genügend Gewissensmahnungen wegargumentiert hast? Hat dir<br />

zum Besten gedient, was dir geschah? Und jetzt „dig the day“! Bearbeite deinen<br />

Tag: pflüge, säe, ernte, teile.<br />

Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?<br />

Der auch seinen ersten Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle<br />

dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?<br />

Römer 8,31f<br />

Ist Gott für uns, kann auch der Weg steinig sein. Wir sind einfach in die Mühen<br />

des Lebendigen einverleibt. Gottes Liebe schließt nicht aus, dass Diebe uns<br />

bestehlen oder wir uns die Beine brechen können. Aber vor uns steht, daß er uns<br />

alles schenkt- das All schenkt. Er hat mit uns ewig Freude vor. Das schwört er<br />

uns mit dem Schicksal des Jesus. Der hat sich ja von den widrigen Umständen<br />

martern lassen, um uns beizubringen, daß wir nicht aus Gottes Händen fallen,<br />

egal was kommt. Gerade weil er sich für Gottes Sohn hielt, drückte er sich nicht<br />

weg sondern bot die Stirn denen, die ihn aus der Zugehörigkeit zu Gott ausixen,<br />

herauskreuzigen wollten.<br />

*<br />

Nichts kann uns scheiden<br />

Wer will uns scheiden von der Liebe Gottes? Trübsal oder Angst oder<br />

Verfolgung oder Hunger oder Not oder Gefahr oder Gewalt? Ich bin gewiss,<br />

dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder<br />

Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine<br />

andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus<br />

offenbart ist, unserm Herrn.<br />

Aus Römer 8,35-39<br />

Wir meinen oft, wenn Gott uns lieb hat, hat es uns gut zu gehen. Aber alles<br />

Kreatürliche, alles Natürliche kann auch Schmerz leiden, und unsere Macht<br />

kann zu Gewalt ausarten. Doch nichts kann uns von Gott wegreißen. Auch der<br />

Tod ist kreatürlich, ist keine Gottheit, auch die Zukunft ist Gottes Wirksamkeit.<br />

Und die ist Liebe, durch wieviel Mühen auch hindurch.<br />

Wenn<br />

*<br />

*<br />

320


Wenn du bekennst: „Herr ist Jesus“ und in deinem Herzen glaubst: „Gott hat ihn<br />

von den Toten erweckt“, dann empfängst du das Heil.<br />

Römer 10,9<br />

Glutnehmen von diesem leuchtenden Christus sei dein Verlangen. Glaub dich<br />

einverleibt in das kosmische Heilwerden aller Dinge. Wenn wir aus Jesu Leben<br />

Maß nehmen für Gut und Böse und aus seiner Auferweckung die Dynamik für<br />

unser Hoffen schöpfen, dann sind wir auf Empfang in Sachen Heil und Glück.<br />

O welch eine Tiefe des Reichtums,<br />

beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine<br />

Gerichte und unerforschlich seine Wege! Von ihm und durch ihn und zu ihm<br />

sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.<br />

Römer 11, 33.36<br />

*<br />

Ein großer Seufzer-Jauchzer entringt sich da der Brust des Paulus. Er ist stolz<br />

auf seine Denkkraft. Er hat eben ein schmerzensreiches Kapitel abgeschlossen:<br />

Er ist erschüttert, dass sein Volk Israel, Gottes „erste Liebe“, Jesus Christus<br />

schmählich übersehen hat. Es bleibt dabei, daß die Christenheit in den Ur-<br />

Stamm Israel eingepfropft ist. Und Israel wird gesegnet bleiben- wie, das ist<br />

Gottes Geheimnis.<br />

Grandios ist die dreifache Formel, Gott betreffend. Es könnten die drei<br />

Zeitebenen gemeint sein: von ihm her, durch ihn jetzt, auf ihn zu – Auch: Alles<br />

ist von Gott her, geschieht durch ihn und zielt auf ihn, kommt in ihm zur Ruhe.<br />

Dies auf dich beziehen: Du von ihm geschaffen, durch ihn erhalten, zu ihm auf<br />

dem Weg.<br />

*<br />

Das Leben <strong>als</strong> Gottesdienst<br />

Gebt eure Leiber hin <strong>als</strong> Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig ist.<br />

Das sei euer vernünftiger Gottesdienst.<br />

Römerbrief 12,1<br />

„Tu es mit dem Leib oder lass es bleiben“ (Harold Brodkey). So meint es auch<br />

Paulus: Nicht reden und grübeln, sondern tun, anfassen, Hand anlegen;<br />

leibhaftig dasein. Nicht dem Geist ein Vorrecht gegen den Körper einräumen,<br />

Keine Arroganz der Kopfarbeiter gegen die Handwerker!<br />

Die Kirche hat lange leibfeindlich gepredigt- alt ist der Verrat, daß die Seele im<br />

Körper stecke <strong>als</strong> einem Gefängnis und nur danach strebe, ihn los zu werden.<br />

Dagegen sollen wir mit dem Leib Gott dienen. Köperarbeit <strong>als</strong> Gottesdienst- so<br />

hat Arbeit und die Liebesumarmung viel mit Lob und Dank zu tun. Und der<br />

Gottesdienst am Sonntag hat dem Gottesdienst im Alltag zu dienen.<br />

321


*<br />

Jeder denke maßvoll von sich.<br />

Wie wir an einem Leib viele Glieder haben, die Glieder aber alle verschiedene<br />

Aufgaben -so sind wir viele ein Leib in Christus, aber untereinander sind wir<br />

Glieder mit verschiedenen Gaben, aus Gnade an uns ausgeteilt. Jeder übe seine<br />

Gaben aus dem Glauben gemäß.<br />

Aus Römerbrief 12,3-6<br />

Gewöhnlich halten wir uns ja jeder für seine „eigene kleine Lustfabrik“ (R.<br />

Musil). Aber einig ist mehr <strong>als</strong> eins. Wir gehören viel mehr zusammen <strong>als</strong> wir<br />

wissen. In Notzeiten entdecken wir, wie verwandt wir sind. Paulus lockt uns,<br />

auch im Normalen uns zugehörig zu wissen, und das Verbindende zu pflegen.<br />

Es gibt viele Beziehungsinvaliden. Aber beieinander ist doch mehr <strong>als</strong><br />

nebeneinander - stärken wir uns doch durch Teilen unserer Gaben. Laden wir<br />

den andern ein, halten ihm einen Platz frei, sprechen ihn an, meinen ihn. Und es<br />

wächst ein Wir. „Man versteht nicht, was man nicht mit einem andern teilt“<br />

(Christa Wolf).<br />

Glaub dich <strong>als</strong> Glied eines Leibes, Stück eines Netzes, das letztlich Christus, die<br />

Liebe, darstellt. Durch dich strömen die Kräfte des Alls. Du gehörst zu einem<br />

höheren Ganzen.<br />

Hängt dem Guten an.<br />

*<br />

Liebt euch herzlich. Ehrt einander. Seid nicht träge, seid brennend im Geist.<br />

Dient dem Herrn. Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Mühen, fest im Gebet.<br />

Römerbrief 12,9-12<br />

Fröhlich aus Hoffnung- Hoffnung ist das große Versprechen. Tania Blixen hat<br />

es so gesagt: „Bis zu diesem Tage hat noch niemand gesehen, daß die Zugvögel<br />

ihren Weg nehmen nach wärmeren Gegenden, die es gar nicht gäbe, oder daß<br />

die Flüsse ihren Lauf durch Felsen und Ebenen bahnen und einem Meer<br />

entgegenströmen, das gar nicht vorhanden wäre. Gott hat gewiß keine Sehnsucht<br />

oder Hoffnung erschaffen, ohne auch die Wirklichkeit zur Hand zu haben, die<br />

<strong>als</strong> Erfüllung dazugehört. Unsere Sehnsucht ist unser Pfand, und selig sind, die<br />

Heimweh haben, denn sie sollen nach Hause kommen“.<br />

Fröhlich aus Hoffnung, geduldig in den Mühen, fest im Gebet, wach im Geist,<br />

herzlich in der Liebe- das sollen, können, wollen wir sein. Diese intensive<br />

Lebendigkeit ist schon ein Vorgeschmack auf Himmel. Und die Freude am<br />

Gelingen und am Gutsein ist uns mitgegeben. Darum ist moralisches Handeln<br />

eigentlich keine Mühe. Aber wir sind leicht träge. Der Heilige Geist bringe uns<br />

auf Touren!<br />

322


Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit<br />

Gutem.<br />

Römerbrief 12,21<br />

*<br />

Jeder hat auch Unverantwortliches getan. Schon ein einigermaßen angenehmes<br />

Leben schließt das Schweigen zu so viel Unrecht mit ein. Auch politisches<br />

Uninteressiertsein ist ein Weg in die Schuld.<br />

Ob etwas vorteilhaft scheint, ob einer <strong>als</strong> geschickt oder attraktiv oder „very<br />

important“ gilt- das alles sind angesehene Werte. Gültig aber für unser<br />

Entscheiden soll sein, was gut ist. Lasst uns doch wieder und wieder Geschmack<br />

daran finden: „Das wirklich Gute ist immer neu, wunderbar, berauschend“<br />

(Simone Weil). Und das Böse- denk es, wie es in dir ist, stell dich ihm, und<br />

transformiere es. „Wünsch dir nicht, daß irgendeine deiner Erbärmlichkeiten<br />

einfach verschwände, sondern erbitte die Gnade, die sie verwandelt“ (S. Weil).<br />

Wir sind bei Gott in Arbeit, dass er uns vom Bösen erlöse. Steuern wir nicht<br />

direkt an, das Gute zu wollen. Lasst uns etwas in Güte wollen.<br />

*<br />

Fächer der Güte<br />

Nehmt euch der Nöte der Mitmenschen an. Übt Gastfreundschaft. Segnet, die<br />

euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. Freut euch mit den Fröhlichen und<br />

weint mit den Weinenden.<br />

Seid eines Sinnes untereinander. Verzichtet auf Imponiergehabe, wollt keine<br />

Privilegien. Haltet euch nicht selbst für klug. Vergeltet niemandem Böses mit<br />

Bösem. Seid auf Gutes bedacht jedem Menschen gegenüber. Ist’s möglich,<br />

soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.<br />

Aus Römerbrief 12,13-18<br />

In knappen Worten ist hier eine intakte Persönlichkeit entworfen: Die will sich<br />

nicht hervortun und freut sich am Vorwärtskommen aller. Sie hat auch Kraft,<br />

Böses aufzusaugen, Beleidigungen zu überhören, einige Fouls einzustecken,<br />

kann Mürrisches mit Freundlichkeit aufweichen.<br />

Bringen wir den guten Willen auf, alles in Güte zu tun. Frieden halten, soweit es<br />

an uns liegt, das ist schon mühsam genug. Es kann sein, daß der neben dir<br />

andere Maßstäbe hat. Aber auch er will seine Taten rechtfertigen- das ist die<br />

Chance von Verhandlungen; nutzen wir sie.<br />

Römer 13<br />

*<br />

323


Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine<br />

Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist die von Gott angeordnet.<br />

Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes; so wirst du<br />

Lob von ihr erhalten. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an<br />

dem, der Böses tut.<br />

So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll,<br />

dem der Zoll gebührt; Gehorsam; dem Gehorsam gebührt; Ehre, dem Ehre<br />

gebührt.<br />

Aus Römerbrief 13,1-7<br />

Das berühmte Kapitel „Römer 13“ hat viel Unheil gebracht. Paulus hält jede<br />

Regierung für von Gott eingesetzt, <strong>als</strong>o mit Autorität vom Himmel her<br />

ausgestattet. Der fürchterliche Gehorsam gegen Hitler speiste sich auch aus<br />

diesen Quellen. Nationale Gewalttätigkeit wurde unterstützt, ja begrüßt durch<br />

quasitheologische Behauptungen, etwa Gott wolle ein siegreiches Deutschland.<br />

Aber auch die Herrschenden haben dem Guten zu dienen; auch sie, gerade<br />

sie werden an den Geboten sich messen lassen müssen. Paulus setzt den guten<br />

Handlangerdienst der Oberen für Gott einfach voraus. Er behauptet: Die da oben<br />

loben das Gute derer da unten. Aber die Regierenden sind doch auch<br />

interessengeleitet und sind nicht automatisch davor geschützt, für gut zu halten,<br />

was ihnen nützt. Darum darf Obrigkeit kein Recht auf blinden Gehorsam haben.<br />

Sicher wollte Paulus die Christen auch <strong>als</strong> treue Untertanen zeigen und hatte<br />

auch Angst vor Aufruhr und Chaos (wie Luther später). Er hat Demokratie noch<br />

nicht <strong>als</strong> angewandte Nächstenliebe gedacht.<br />

Auch unter Berufung auf Römer 13 fordern konservative Christen den starken<br />

Staat, der die individuellen Gelüste der Bürger in Schach halten kann. Sie trauen<br />

dem Bürger nicht; sie meinen, wir alle brauchen „Druck von oben“ und Eliten,<br />

die sagen, wo es lang geht. Dabei hat Paulus dem einzelnen zugetraut, in<br />

Freiheit zu bestehen. Und hat trotz dieses Gehorsamsgebotes den Grundstein für<br />

das Recht auf Gewissensfreiheit gelegt.<br />

*<br />

Erkennt die Zeit<br />

nämlich dass die Stunde da ist, aufzustehen vom Schlaf, denn unser Heil ist jetzt<br />

näher <strong>als</strong> zu der Zeit, da wir gläubig wurden. Die Nacht ist vorgerückt, der Tag<br />

aber nahe herbeigekommen. So lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und<br />

anlegen die Waffen des Lichts. Zieht an den Herrn Jesus Christus.<br />

Aus Römerbrief 13,11-14<br />

Ein Ruck soll durch uns fahren, so geht es doch nicht weiter, Schlafmützen.<br />

“Wach auf du verrotteter Christ! Geh an dein sündiges Leben“ (Bert Brecht)! In<br />

der Geschichte erklang schon oft die Fanfare des Aufbruchs. Revolution sollte<br />

die schlechten Verhältnisse umkrempeln. Und wohl wahr, ein Umdenken in<br />

324


Sachen Klimaschutz und Mindestlohn und Bildungsgerechtigkeit ist bitter nötig.<br />

Wir sind doch erweckt zu Mittätern des Herrn Christus.<br />

Einige Nächstenliebe gelingt uns doch schon, wir sind weitergekommen in der<br />

Entfeindung. Wir kommen doch aus dunklen Zeiten! Wir haben die Waffen des<br />

Lichtes schätzen gelernt, wollen Vernunft walten lassen und wach sein vor<br />

Geist.<br />

Doch das Warten auf Massenbekehrung hat keinen Zweck. Jeder steht für sich<br />

vor Gott. Mach Deins, steh du auf zu einer Veränderung in deinem Leben.<br />

*<br />

Freiheit und Rücksicht<br />

Der eine glaubt, er dürfe alles essen; der andere verzichtet auf Fleisch. Streitet<br />

nicht, was besser sei. Wer isst, der verachte den nicht, der nicht isst; und wer<br />

verzichtet, der richte den nicht, der isst; denn Gott hat jeden angenommen. Wer<br />

bist du, dass du richtest? Ein jeder steht oder fällt Gott, seinem Herrn. Er wird<br />

aber stehen bleiben; denn der Herr kann ihn aufrecht halten.<br />

Ein anderer Fall: Der eine hält einen Tag für heiliger <strong>als</strong> den andern; der andere<br />

aber hält alle Tage für gleich. Ein jeder sei in seiner Meinung gewiss.<br />

Wer besondere Tage, besondere Essensvorschriften achtet, der tue es in<br />

Verantwortung vor Gott; wer keine Besonderheiten achtet, der tue es auch vor<br />

Gott.<br />

Keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber. Leben wir, so leben wir<br />

dem Herrn; sterben wir, so sterben wir zu dem Herrn. Darum: wir leben oder<br />

sterben, so sind wir des Herrn. Denn dazu ist Christus gestorben und<br />

auferstanden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.<br />

Jeder von uns wird für sich selbst Gott Rechenschaft geben. Mühen wir uns<br />

doch, dass niemand einem andern Ärgernis bereite. Ich weiß und bin gewiss in<br />

dem Herrn Jesus, dass nichts unrein ist an sich selbst; nur für den, der es für<br />

unrein hält, ist es unrein.<br />

Wenn aber dein Nächster an deiner besonderen Art der Speise oder der<br />

Feiertage, Anstoß nimmt, musst du dann deine Freiheit ausleben? Wäre das in<br />

Liebe getan? Bringe nicht durch deine Vorliebe den in Gewissensqualen, für den<br />

Christus doch auch gestorben ist.<br />

Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede<br />

und Freude im Heiligen Geist.<br />

Den Glauben, den du hast, behalte bei dir selbst vor Gott. Selig ist, der sich<br />

selbst nicht zu verurteilen braucht, wenn er sich prüft. Wer aber dabei zweifelt<br />

und dennoch isst, der ist gerichtet, denn es kommt nicht aus dem Glauben.<br />

Was aber nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde.<br />

Aus Römerbrief 14<br />

Hier steht eine hochwichtige Klarstellung: Nichts ist unrein, böse, verderbt an<br />

und für sich. Alles Geschaffene ist rein, echt, gut von Gott her. Nur der Mensch<br />

325


kann es verderben und missbrauchen. Nur der Mensch kann es zum Schaden<br />

oder zum Nutzen einsetzen, kann es für gut oder schlecht halten. Dein<br />

Einschätzen, dein Bewerten macht es dir gut oder böse. Und deine<br />

Selbstgefälligkeit macht dir deine Freiheit zur Rutschbahn in die Pleite.<br />

Um die große Wirklichkeit etwas übersichtlich zu machen, klassifiziert der<br />

Mensch die Natur und ordnet sie sich zu. Auch unser Verhalten regeln wir<br />

miteinander, damit wir nicht dauernd in Streit geraten. Um Nähe und Ferne,<br />

Fremde und Heimat zu klären, gibt man sich Abzeichen, kleidete sich besonders,<br />

erklärt Speisen für widerlich, für „out“, zum Beispiel Schweinefleisch- weil es<br />

mal dem Fleisch des Wildebers nahekam, dem heiligen Tier der bedrohlichen<br />

Götzen.<br />

Der Islam feiert den Freitag, Israel den Sabbat-Sonnabend, die Christen den<br />

Sonntag. Jede Religion hat ihre hochheiligen Tage- feiern wir sie doch mit,<br />

wenn wir eingeladen werden, laden wir zu Gast bei unsern Festen, aber bieten<br />

nicht gerade nur Spanferkel an. Lernen wir einander achten mit unsern<br />

verschiedenen Herkünften und Traditionen.<br />

*<br />

Gott und Vater<br />

Was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch<br />

Geduld und Trost der Schrift Hoffnung haben. Der Gott aber der Geduld und des<br />

Trostes gebe euch, dass ihr einverstanden seid miteinander, Christus Jesus<br />

gemäß. Lobt Gott und den Vater unseres Herrn Jesus Christus.<br />

Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob,<br />

Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im<br />

Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des<br />

Heiligen Geistes.<br />

Römerbrief 15,4-7,13<br />

Das sind die Schlussworte des Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Rom.<br />

Mächtig hat er sich ins Zeug gelegt, ein Grundgerüst christlicher Theologie<br />

darzulegen. Ein Grundstein dazu ist das „Gott und Vater Jesu Christi“ –Gott, das<br />

ist die Schöpferische Potenz, der Herr der Geschichte, der Gebote -Geber und<br />

Richter, der Herr über Leben und Tod, Der Herr Zebaoth (Herr der Heerscharen)<br />

Israels. Als Vater Jesu Christi bekommt er Jesu Antlitz, kommt uns nah <strong>als</strong> der,<br />

der unser Leben mitlebt, und auf dem Grund des Leids <strong>als</strong> Heilender uns<br />

aufnimmt. Ich kann dem Jesus seinen Gott nicht abschlagen (D. Sölle). Der<br />

Jesus hat den dunklen und mächtigen Gott „Vater „ genannt, er hat ihn uns <strong>als</strong><br />

Gott der Geduld und des Trostes vorgestellt. Mit ihm kann man es wagen: Dir<br />

Geduld, für dich Trost und hoffnungsvolle Projekte.<br />

* *<br />

326


1.Korintherbrief<br />

Mitarbeiter Gottes<br />

Wer ist Apollos? Wer ist Paulus? Diener sind sie, durch die ihr gläubig<br />

geworden seid, und dies, wie es der Herr einem jeden gegeben hat: Einer hat<br />

gepflanzt, andere begießen, aber Gott lässt wachsen, lässt geschehen. So ist nun<br />

weder der pflanzt noch der begießt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt.<br />

Wer gibt dir einen Vorrang? Was hast du, das du nicht empfangen hast? Wenn<br />

du es aber empfangen hast, was rühmst du dich dann, <strong>als</strong> hättest du es nicht<br />

empfangen?<br />

1.Korinther 1,5-7; 4,7<br />

Die beiden Briefe des Paulus an die Gemeinde in Korinth spiegeln die Probleme<br />

der Urchristenheit wider. Die Gemeindegrößen rivalisieren gegeneinander.<br />

Paulus müht sich zu schlichten: Ruhm und Ehre gelten Gott; wir Menschen tun<br />

doch nur, was uns aufgegeben ist. Und sollen froh sein, wenn wir ohne Schmach<br />

durchkommen. Was sind denn die Verdienste der einzelnen, gemessen an der<br />

Wirkkraft des Herrn. Immer sind wir höchstens Verwandler, Finder, Entdecker,<br />

Eltern, nicht Schöpfer. Auch untereinander sind die Abstufungen an<br />

Wichtigkeit belanglos, gemessen an der Urkraft des Einen. Wir zeugen, gebären,<br />

versorgen erziehen, Gott aber schafft. Darum sollten wir bescheiden miteinander<br />

sein, wir, „die Ungrossartigen“ (DeLillo).<br />

*<br />

Als wie durch Feuer<br />

Wenn aber jemand auf Gottes Grund baut Gold, Silber, Edelsteine, Holz, Heu,<br />

Stroh- das Werk eines jeden wird offenbar werden; der Tag des Gerichts wird’s<br />

klarmachen. Von welcher Art eines jeden Werk ist, wird das Feuer erweisen.<br />

Wird jemandes Werk bleiben, das er darauf gebaut hat, so wird er Lohn<br />

empfangen.<br />

Wird aber jemandes Werk verbrennen, so wird er Schaden leiden; er selbst aber<br />

wird gerettet werden <strong>als</strong> wie durch Feuer hindurch.<br />

1.Korinther 3, 12-15<br />

Das ist die deutlichste Äußerung über das Jüngste Gericht, alle weitergehenden<br />

Höllenvorstellungen sind nicht christlich. Unsere Taten werden alle noch einmal<br />

zur Sprache kommen. Und sie werden gewogen, sie werden geprüft. Und wir<br />

stehen damit in der Prüfung der Geister. Ein Trost: Wie schwach auch unsere<br />

Taten waren, mögen sie auch brennen wie Zunder- wir selbst werden gerettet<br />

werden, sicher versengt, sicher gezeichnet, aber wir werden gerettet- weil eben<br />

nicht wir uns das Bleiben bei Gott erwerben sondern es geschenkt bekommen.<br />

327


*<br />

Heiligsprechung des Leibes<br />

Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?<br />

Verderbt nicht den Tempel Gottes. Denn der Tempel Gottes ist heilig; der seid<br />

ihr. Ja, eure Leiber sind Glieder Christi, ihr gehöret nicht euch selbst. Kostbar<br />

seid ihr. Preiset Gott mit eurem Leibe.<br />

1.Korinther 3,16.17; 6,15.20<br />

Es gibt religiöse Überzeugungen, auch in der Kirche, die halten den Leib für ein<br />

Gefängnis der Seele, halten ihn nur für Staub, für einen Klumpen Gier, ein<br />

Stück Fleisch, dem Geist entgegengesetzt. Doch liebevoll spricht die Bibel vom<br />

Schöpfer, der den Leib formte und ihm seinen Atem einhauchte; „Entzieh dich<br />

nicht deinem Fleisch und Blut“ mahnt Jesaja 58,7. Im Hohen Lied der Liebe<br />

wird zärtlich-schön vom Menschenleib gesprochen. Und wie viele Menschen<br />

mit Gebrechen hat Jesus wieder hergestellt.<br />

Paulus nun singt ein inniges Lied auf den Leib. Tempel Gottes ist er, <strong>als</strong>o<br />

Gottes Heimat, ein Ort seiner Offenbarung. Streicheln wir einen, berühren wir<br />

auch Gott; verletzen wir eines Menschen Leib, tun wir Gott darin weh.<br />

Nachdenklich macht auch, daß wir miteinander den Leib Christi bilden. Wir<br />

sind uns nicht selbst genug.<br />

*<br />

Alles ist euer<br />

Welt oder Leben oder Tod, Gegenwärtiges oder Zukünftiges, alles ist euer,<br />

ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes.<br />

1.Korinther 3,21-23<br />

Wieder die Fanfare der Freiheit: Alles Euer, alles Euch anvertraut, dass wir<br />

damit glücklich werden und glücklich machen. Eins nicht ohne das andere.<br />

Denn wir sind nicht Besitzer unserer selbst. Wir sind Gottes Mitarbeiter,<br />

Handlanger, Wegbereiter. Sind Christi „Heilsarmee“, sein Freuden-Corps, sein<br />

Erste-Hilfe-Team.<br />

Wichtig auch: Wir gehören nicht dem Tod, sind nicht definiert durch Tod. –Das<br />

muss man mal durchdenken; dann wird die endlose Sterbeliteratur echt<br />

überflüssig und das eigene Sterben ist nicht des langen Redens wert.<br />

Kein Recht zum Richten<br />

Jeder halte uns für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse.<br />

*<br />

328


Vertrauenswürdig lasst uns sein. Und wenn ihr mich beschuldigt- es ist nicht<br />

tragisch, von Menschen gerichtet zu werden.<br />

Auch soll ich mich selbst nicht richten. Selbst wenn ich mir keiner Schuld<br />

bewusst wäre, rechtfertigt das mich nicht. Der Herr ist’s, der mich richtet.<br />

Darum richtet nicht vor der Zeit. Wenn der Herr kommt, stellt er alles in sein<br />

Licht.<br />

1.Korinther 4,1-5<br />

Das beschafft uns Freiheit: Wissen, dass Gott uns richtet und zwar herrichtet,<br />

nicht hinrichtet. Da sind die Verurteilungen von Menschen, weil vorläufig,<br />

vernachlässigbar und auch die eigenen Selbstbeschuldigungen sind für die Katz.<br />

„Liebe, und tu, was du willst !“- das Wort des Kirchenvaters Augustin eröffnet<br />

einen weiten Horizont.<br />

´Treue Haushalter an Gottes Geheimnissen- das ist ein scharfer Auftrag<br />

besonders für Menschen, die mit Theologie beschäftigt sind. Sie sind in<br />

Versuchung „ Gedanken mit ungeheuren Stelzschritten zu machen, die<br />

Erfahrung nur mit winzigen Sohlen berühren“ (R.Musil). Treu sei damit<br />

beschäftigt, das Geheimnis „Gott liebt dich und braucht dich“ zu wechseln in die<br />

Münze des Alltäglichen.<br />

*<br />

Und das unter Brüdern<br />

Wie kann jemand von euch, wenn er einen Streit hat mit einem andern, sein<br />

Recht suchen vor weltlichen Gerichten statt in der Gemeinde?<br />

Wenn ihr rechtet, nehmt solche, die in der Gemeinde nichts gelten, und setzt sie<br />

zu Richtern.<br />

Überhaupt: Es ist schon schlimm genug, dass ihr miteinander zankt. Warum<br />

lasst ihr euch nicht lieber Unrecht tun? Warum lasst ihr euch nicht lieber<br />

übervorteilen? Statt dessen tut ihr Unrecht und übervorteilt, und das unter<br />

Brüdern!<br />

Aus 1.Korinther 6,1-8<br />

Paulus lockt, sich lieber übervorteilen zu lassen <strong>als</strong> vor Gericht zu ziehen. Aber<br />

wir haben zu gern recht. Und recht behalten, schriftlich mit Brief und Siegel, das<br />

hebt und beruhigt. Doch mit einem Gegner Frieden zu schließen, auch wenn das<br />

teuer kommt, bringt viel mehr Lebensqualität <strong>als</strong> ihn vor Gericht<br />

niederzuringen- und er sinnt weiter auf Genugtuung und Rache, legt weiter<br />

Steine in den Weg. Das Anliegen des andern verstehen, damit fängt die Umkehr<br />

zum Frieden an. Dazu Rat holen bei denen, die nichts zu sagen haben, das hilft<br />

zu einem Blick „von unten“. Aber christliche Gemeinde- wo ist sie anfassbar,<br />

einladend, überzeugend?<br />

*<br />

329


Alles ist mir erlaubt.<br />

Aber nicht alles baut auf. Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll gefangen<br />

nehmen. Jeder hat seine eigene Gabe von Gott, der eine so, der andere so.<br />

1.Korinther 6,12;7,7<br />

Paulus intoniert hier die große Freiheit. Als Sohn, Tochter Gottes ist dir alles<br />

erlaubt, was nicht schadet. „Schutz vor der Überredungskunst der Begierde“ (R.<br />

Musil) aber ist der Wink, daß wir <strong>als</strong> Bauleute Gottes gefälligst förderlich zu<br />

sein haben. Ja, wir sind freigesprochen, Glück zu suchen, wo wir wollen, wenn<br />

es nicht auf Kosten unseres Nächsten und der Schöpfung geht.<br />

Sieh zu, was du dir schuldig bist. Nichts soll dich gefangen nehmen, heißt:<br />

Werde keines Menschen, keiner Sache Knecht. Sieh zu, daß deine<br />

Entscheidungen dir und anderen Raum schaffen, nicht Einengung.<br />

Weil jeder seine Gaben hat, sind gemeinsame Sittengesetze so schwierig- Paulus<br />

gibt die dam<strong>als</strong> üblichen Umgangsregeln <strong>als</strong> Christenpflicht aus und nimmt<br />

damit von der Freiheit viel zurück. Wir müssen unsere Regeln für heute finden.<br />

Achten wir darauf, die Gaben blühen zu lassen und keinem zu schaden.<br />

*<br />

Stellvertretung<br />

Der ungläubige Mann ist geheiligt durch die Frau und die ungläubige Frau ist<br />

geheiligt durch den gläubigen Mann.<br />

1.Korinther 7,15<br />

Wunderbar, diese großzügige Stellvertretung- einer wird heil durch den andern.<br />

Einer lernt vom andern, wird friedlich durch den andern. Wir müssen nicht<br />

gleich sein, im Gegenteil: Laßt uns die Gaben auch dem andern zugut haben.<br />

Und der andere braucht auch nicht die christliche Konfession anzunehmen. Du<br />

kannst deinen Partner anders sein lassen, auch er ist von Gott geliebt.<br />

*<br />

Die Zeit ist kurz<br />

Habt ihr einen Gefährten, so seid, <strong>als</strong> hättet ihr keinen; und die weinen, seien, <strong>als</strong><br />

weinten sie nicht; und die sich freuen, seien, <strong>als</strong> freuten sie sich nicht; und die<br />

kaufen, seien, <strong>als</strong> behielten sie es nicht; und die diese Welt gebrauchen,<br />

verbraucht sie nicht.<br />

1.Korinther 7,29-31<br />

Paulus meint, im Blick auf die Kürze der Erdenzeit ist nur das Leben aus<br />

Glauben wichtig, am Wichtigsten das Weitersagen des Glaubens. Alle rundum<br />

müssen noch die Chance haben, sich zu bekehren, denn gleich ist Weltuntergang<br />

330


und der Himmel steht vor der Tür.- Da, ist Verheiratetsein oder nicht, allein sein<br />

oder zu zweit sein, unwichtig, Weinen oder Lachen –nicht entscheidend, wichtig<br />

nur ist: Glaube, Liebe, Hoffnung.<br />

Das Reich Gottes fängt mitten unter uns an im Tun des Nötigen. Ja , wir dürfen<br />

auch feiern, genießen, Freude haben aneinander. Aber nimm aus deinem<br />

Besitzen nicht deine Würde. Und Weinen und Lachen hat seine Zeit, halte nichts<br />

fest. Einen lieben ist nicht alles, mit dem Geliebten Wichtiges betreiben ist gut.<br />

Hetz nicht, dich nicht, andre nicht, sondern sei dankbar hier auf dieser schönen,<br />

armen Erde. Mach Geschäfte aber übervorteile nicht, nutz die Welt aber nicht<br />

verhunze sie nicht - denn im Angesicht der Ewigkeit ist aller Egoismus verrückt<br />

und alles Versinken in der jeweiligen Befindlichkeit ist Zeitverschwendung.<br />

Paulus ruft uns in eine messianische Lebensweise: glücklich machen ist Glück,<br />

setz keinen Eigentumsanspruch durch. Verhandle, berate dich, such<br />

Kompromisse. Und freu dich aus ganzem Herzen, wenn Freude dir vergönnt ist.<br />

Jesus hat sich oft gefreut.<br />

*<br />

Wie der Andere werden, ihm zugut<br />

Ich bin frei von jedermann und jedermanns Knecht. Denen unter dem Gesetz,<br />

bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – denen ohne Gesetz bin ich wie<br />

gesetzlos geworden. Den Schwachen bin ich ein Schwacher, den Starken ein<br />

Starker geworden, damit ich sie alle gewinne. Ich bin allen alles geworden,<br />

damit ich auf viele Weisen einige rette.<br />

1.Korinther 9,19-22<br />

Dies zeichnet den geistig gesunden Menschen aus. Er lebt in Gesellschaft, ist<br />

aber nicht ihr Gefangener. Er kann abwägen, was dem Andern Sitte, Anstand,<br />

Regeln, Ordnung, Manieren bedeuten. Er kann <strong>als</strong> Gast das an in diesem Haus<br />

Übliche tun, läßt aber seinen Gästen ihr Gewohntes, läßt ihnen ihren Spieltraum,<br />

es bricht ihm keinen Zacken aus der Krone, wenn er ihnen ihren Gebetsritus<br />

lässt auch in seinem Hause. Er bedenkt, was etwas bedeutet. Er macht nicht sein<br />

Wissen zum Maß aller Dinge, gibt nicht in gleicher Münze zurück. Er kann<br />

Wichtiges vom Unwichtigen unterscheiden, er muß sich seine Unabhängigkeit<br />

nicht dauernd beweisen. Mit sich im Reinen kann er vieles zulassen, Er lässt<br />

jedem seine Ehre, stößt wenig vor den Kopf.<br />

Nicht zwingen, nicht imponieren wollen, ist große Kunst.<br />

*<br />

Stadion und Kirche<br />

Alles tue ich für den Glauben, ich will ihn wirklich leben. Die Sportler sind mir<br />

ein Vorbild, sie kämpfen unermüdlich, beherrschen sich, schinden sich,<br />

verzichten. Alle rennen sich die Kehle aus dem H<strong>als</strong>, obwohl nur einer gewinnt,<br />

331


und der Siegespreis ist sehr vergänglich. Dagegen wir – wir erringen doch einen<br />

ewig gültigen Siegeskranz. Da können wir uns doch wirklich für das<br />

Evangelium ins Zeug legen.<br />

1.Korinther 9, 24f<br />

Paulus bewundert die Leistungssportler; ja, er sieht sich auch <strong>als</strong> getrieben und<br />

will hoch hinaus, er will ein guter Zeuge des Jesus Christus sein. Andere sollen<br />

an ihm Mut fassen, das Leben zum Besten zu kehren. Sehend, wie sich die<br />

Sportler zusammennehmen und auf so vieles verzichten, will er auch die Zähne<br />

zusammenbeißen- will lieber vergeben <strong>als</strong> verfluchen, lieber teilen <strong>als</strong> raffen,<br />

will lieber dienen <strong>als</strong> sich bedienen zu lassen.<br />

Paulus sieht <strong>als</strong> Teilhaber des Jesus ein großes Glück voraus, was zählen da die<br />

Mühen heute, fragt er.<br />

Da muss ich mich doch fragen: Wo ist mein Kampfplatz heute, wo ist mein<br />

mich Selbstbesiegen nötig?<br />

*<br />

Gewissensfreiheit, hurra<br />

Sollte ich etwa das Gewissen eines andern über meine Freiheit urteilen lassen?<br />

Wenn ich’s mit Danksagung genieße- was soll ich mich anschwärzen lassen,<br />

wofür ich danke? Ob ihr nun esst oder trinkt oder was ihr auch tut, das tut alles<br />

zu Gottes Ehre. Aber wichtig auch: Erregt möglichst keinen Anstoß.<br />

1.Korinther 10,29-31<br />

Hier ist die Freiheit eines Christenmenschen herrlich herausposaunt: Wenn ich<br />

für etwas Gott danke, nehme ich es <strong>als</strong> Geschenk, <strong>als</strong> Anlass zur Freude. Wenn<br />

ich mit ganzem Gewissen mich mit Gott eins weiß, muß ich mich nicht schuldig<br />

machen lassen von einem, dessen Gewissen anders „tickt“. Aber ich soll auch<br />

kein Aufsehen erregen, ich darf nicht protzen mit meiner Freizügigkeit. Gott<br />

zum Mitwisser haben, das drängt mich auch, behutsam zu sein. Frage ist, ob ich<br />

lügen darf um keinen Anstoß zu erregen.<br />

Kann es sein, daß der Schöpfer selbst dem Menschen die Fähigkeit zu lügen<br />

verliehen hat „damit er in schweren Momenten seelischer Spannung das<br />

Geheimnis des eigenen Nestes hüte, so wie es die Wildente und der Fuchs tun.“<br />

(Anton Tschechow)?<br />

*<br />

Viele Gaben - ein Geist<br />

Es sind verschiedene Gaben; aber es ist ein Geist.<br />

Und es sind verschiedene Ämter; aber es ist ein Herr.<br />

Und es sind verschiedene Kräfte; aber es ist ein Gott, der da wirkt alles in allen.<br />

1.Korinther 12,4-6<br />

332


Wir sind verschieden. Wir haben verschiedene Gaben, Interessen, Freuden,<br />

Biorhythmen, wir verkraften verschieden, wir wollen und können<br />

Verschiedenes, ein jeder auf seine Weise. Aber darin treibt ein Geist sein<br />

Wesen, ein Heiliges ist in uns allen am Werk. Darum fließt Einvernehmen <strong>als</strong><br />

Strom in uns allen. Lasst uns diesen leichten Sog immer bedenken.<br />

Und es sind verschiedene Ämter, Berufe, Ebenen, aber es ist ein Dirigent, ein<br />

Treiber, der sein Werk in uns spielt. Darum lasst uns aufeinander hören,<br />

einander zuarbeiten, einander fördern und nicht in den Schatten stellen.<br />

Und es ist ein Streben in uns allen, das wir wirken lassen sollen entgegen allem<br />

kleingeistigem Egoismus. Die Triebkraft in uns ist letztlich Gottes Wirken in<br />

uns- das zu wissen bremse uns vor Schlechtigkeiten. Spannend, das alles.<br />

*<br />

Die Gemeinde: Viele Glieder - ein Leib<br />

Ein Leib hat viele Glieder. So auch Christus und wir. Wir sind durch Christi<br />

Geist alle zu einem Leib getauft, sind alle mit einem Geist getränkt. Wir sind<br />

viele Glieder, aber der Leib ist einer. Und kein Glied kann zum andern sagen:<br />

Dich braucht der Leib nicht. Wie das Auge nicht sagen kann zur Hand: Ich<br />

brauche dich nicht; oder auch das Haupt zu den Füßen: Ich brauche euch nicht.<br />

Glieder sorgen füreinander: Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder<br />

mit. Und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit.<br />

Wir, christliche Gemeinde, sind der Leib Christi und jeder von uns ist ein<br />

Glied, jeder mit eigenen Gaben.<br />

Aus 1.Korinther 12,12-27<br />

Wir sollen uns gegenseitig ehren und achten. Wir sind alle dem Leib wichtig,<br />

nötig, unersetzlich. Christus hat Kirche und die ganze Menschheitsgesellschaft<br />

<strong>als</strong> Leib. Kirche und Menschheitsgesellschaft haben verschiedene Ämter und<br />

verschiedene Autoritäten, verschiedene Berufe und Verantwortlichkeiten. Sie<br />

sollen alle ihre Arbeit tun und ihren Lohn empfangen.<br />

Eigentlich sollen wir gern für den Leib arbeiten und vom Leib genug zum<br />

Leben bekommen -aber in einer Welt der knappen Vorräte und des begrenzten<br />

Fleißes und der verschiedenen Leistungsfähigkeiten muss nachgedacht werden,<br />

wie man fürs Ganze die Fähigkeiten locker macht und seine Begabungen zu<br />

Markte trägt.<br />

Für viele Gaben und Fähigkeiten ist Geld ein zweckmäßiger Wechselstoff.<br />

Unter Brüdern und Schwestern sollte Hilfe in der Not nicht eine Frage des<br />

Geldes sein. Doch wer etwa die Eltern fürsorglich begleitet- dem soll es von den<br />

Geschwistern auch vergütet sein.<br />

Menschengemeinde zum Reich Gottes wird, werden wir uns zu bescheiden<br />

lernen. Dann nehmen wir nur, was wir brauchen- und arbeiten mit, wie wir Lust<br />

und Liebe und Kraft haben. Und wenn wir nur nehmen, was wir brauchen, wird<br />

genügend bleiben auch für die, die weniger Leistung beisteuern können.<br />

333


Christliche Gemeinde sollte Modell und Schrittmacher für die große<br />

Gemeinschaft werden. Ob die eigene Kirchengemeinde einen Hauch von<br />

gemeinsamem Leben hat, hängt wesentlich an geistvollen Gottesdiensten, die<br />

den Leib Christi auferbauen.<br />

*<br />

Das Hohelied der Liebe<br />

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht,<br />

so wäre ich ein mißtönender Gong oder nur eine klirrende Glocke.<br />

1.Korinther 13,1<br />

Die bewußt mitfühlende Seele sieht schmerzlich sich getrennt von den anderen<br />

Lebewesen; die Liebe macht den Versuch, das Getrennte zu verbinden. Also ist<br />

alle Poesie- und auch dieses begnadete Gebet des Paulus- hinfällig, ist nur<br />

Gerede, wenn sie nicht zum Menschlichsein erhebt. Viele Predigten klirren,<br />

viele gutgemeinten Worte sind nur eitel. Viele Politikerreden strotzen vor<br />

Selbstgefälligkeit. Aber Worte aus Liebe machen den Hörenden schön. Ohne<br />

Liebe ist die Wahrheit ein Untier; Sprache soll verbinden, ohne Liebe fertigt sie<br />

nur ab.<br />

Erkenntnis ist zu wenig<br />

Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle<br />

Erkenntnis und hätte allen Glauben, sodass ich Berge versetzen könnte, und<br />

hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.<br />

1.Korinther 13,2<br />

Erkenntnisse aus der Zukunft, aus der Tiefe- alles Weltwissen- schön und gut.<br />

Auch Glaube, der Wirklichkeit bezwingen kann- schön und gut. Aber ohne<br />

Liebe ist all das nicht der Rede wert. Was nützt mir Wissen, wenn es nur<br />

durchschaut und nicht Flügel macht? Leben verstehen kann nur die Liebe, weil<br />

sie hinübersetzt zum anderen. Aufhören, jemand zu lieben, das verneint,<br />

verneint auch mich selbst. Kein Wissen, kein Haben- nur Lieben rettet vor dem<br />

Nichtsein.<br />

Verzicht reicht nicht<br />

Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib <strong>als</strong><br />

Fackel brennen und hätte die Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze.<br />

1.Korinther 13,3<br />

Verzicht kann Andern viel bringen. Aber ist es nicht aus Liebe getan, ist es mir<br />

vergeblich. Anderen kann meine Mildtätigkeit das Leben retten. Aber ist es<br />

nicht getan aus Seelenverwandtschaft, aus dem Spüren: der Hunger leidet, der<br />

bin ich selber - dann mag ich soviel nützen, daß ich den Friedensnobelpreis<br />

bekomme- ich selber gehe ohne Liebe leer aus.<br />

334


Langmütig, freundlich<br />

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe neidet nicht, die Liebe prahlt<br />

nicht, sie bläht sich nicht auf.<br />

1.Korinther 13,4<br />

Ja, so wollen wir geliebt sein. Und wissen auch, was andere brauchen. Lieben<br />

heißt ja trotzdem lieben, nicht wegen etwas. Dass einen eine Art Zärtlichkeit<br />

überfällt für diesen Menschen gerade vor mir, mit seinem erschöpften Gesicht.<br />

Und daß ein Mensch da ist, ohne den man nicht leben möchte.<br />

Dies Übergreifende, dies Zusammengehören fördern durch Gönnenkönnen!<br />

Andere im Spiel halten, sie nicht in den Schatten stellen, nicht aufrechnen,<br />

immer noch einmal Frieden machen- Lebensarbeit eben. Und immer wieder<br />

vorerst nur Momente gelungener Nähe.<br />

Liebe ist ausdauernd<br />

Die Liebe verhält sich nicht verrückt, sie sucht nicht das Eigene, sie lässt sich<br />

nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu.<br />

1.Korinther 13,5<br />

Das Größte, was das Leben bietet, sind Liebesmöglichkeiten. Also nicht zu<br />

verletzen, diskret, höflich, klug das Seine tun; Und mich dem andern<br />

aufschließen und er sich mir. Liebe macht Egoismus wenigstens bewusst, sie<br />

müht sich um Fairness, gesteht im guten Fall dem andern mehr Recht zu <strong>als</strong> man<br />

sich selbst nimmt. Sie lässt sich nicht bitter machen, Kränkungen kann sie ein<br />

Stückweit wegstecken, sie versteht, hält zugute, entschuldigt, kehrt zum Besten.<br />

Sie gibt am liebsten so, „ dass die Gabe aussieht, <strong>als</strong> sei sie des Empfängers<br />

Eigentum“ (Kierkegaard). Sie verhilft dem andern, er selbst zu werden. Und sie<br />

hält sich nicht für eine Leistung, sie geschieht und das genügt ihr.<br />

Sie freut sich<br />

Die Liebe freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der<br />

Wahrheit;<br />

1.Korinther 13,6<br />

Liebe lässt frei, sie zwingt nicht. Sie nutzt die Not des andern nicht aus. Von<br />

Natur aus streben wir nach Macht - den besten Brocken selber zu essen;<br />

Ungerechtigkeit ist das Ursprüngliche; Liebe das Heilende.<br />

Die Wirklichkeit mit Augen der Liebe sehen, das vermag der Glaube. – Er kann<br />

auch Geheimnisse hüten, auf verfängliche Fragen verzichten, entschuldigen und<br />

in die Wahrheit leiten. Die Wahrheit einer Ehe, einer Freundschaft, einer Gruppe<br />

mus sich erst einfinden auf langem Weg. Dazu hilft auch, die Tragweite des<br />

Wortes auf der Zunge noch mal prüfend zu schmecken, ehe es entschlüpft.<br />

Sie trägt Alles,<br />

sie glaubt in Allem, sie hofft für Alle, sie duldet Alles, dem Nächsten zu gut.<br />

1.Korinther 13, 7<br />

335


Unser kleines Lieben vermag das alles nicht, wir kommen schnell an unsere<br />

Grenzen. Aber Gottes Lieben erschafft die Welt und befeuert uns mit Elan.<br />

Wenn ich auch schwächle in Sachen Liebe, will ich doch Gott meine Hände,<br />

Geist und Körper leihen, will Zusammengehören leben.<br />

Das Hohelied auf die Liebe ist auch ein Abgesang aufs Siegenmüssen. Das<br />

Gesetz dieser Welt lautet: For winners only. Christus aber erringt den Sieg<br />

übers Siegenmüssen. Dienen, lieben ist der Weg in die Wahrheit und zum<br />

Leben.<br />

Die Liebe hört niem<strong>als</strong> auf,<br />

wo doch das prophetische Reden aufhören wird und unser Können ein Ende<br />

nimmt und Erkenntnis vergeht. Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser<br />

Können Bruchstück. Das Stückwerk wird aufhören. Das Vollkommene wird<br />

kommen.<br />

1.Korinther 13,8-10<br />

Es ist eine erotische, zu einander drängende, aneinander hängende magnetische<br />

Energie, die die Welt im Innersten zusammenhält. Alles endet, alles<br />

hochgeschätzte Vermögen ist nur vorübergehend wichtig. Das Vollkommene<br />

aber wird das Stückwerk aufnehmen und ins Ganze einpassen. Alles wird an<br />

seinen Platz finden durch die Liebe.<br />

Bruchstückweise<br />

Wir sehen jetzt wie durch einen beschlagenen Spiegel ein dunkles Bild; dann<br />

aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde<br />

ich erkennen, wie ich von immer her gemeint bin.<br />

1.Korinther 13,11.12<br />

Jetzt ist alles vorläufig, ist Übung, Ouvertüre, Ahnung, Entwurf. Jetzt schimmert<br />

uns nur eine Idee von Vollkommenheit. Dann aber, ja dann... Dann schauen wir<br />

Gott Auge in Auge. Dann sehen wir sein Angesicht leuchten und sein Strahlen<br />

macht uns hell. Dann werden ich erkennen, wie ich von Anfang an gemeint bin;<br />

wie ich schon immer belichtet war- jetzt ist es entwickelt von der Liebe: Nach<br />

all dem irdischen Gewese werde ich mich erkennen <strong>als</strong> Kind Gottes ganz und<br />

gar.<br />

Nun aber<br />

bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter<br />

ihnen.<br />

1.Korinther 13,13<br />

Glauben ist das Vertrauenswissen, zu Gott zu gehören. Hoffnung ist der Elan,<br />

dass morgen weniger geweint und gelitten wird. Beides bringt mein<br />

Lebensschiff durch die Zeit. Aber dass wir einander nähren können, einander<br />

ergänzen können, einander Auferstehung vom Sogutwietotsein beschaffen<br />

können, das ist das Größte- zusammen zu gehören in Verschiedenheit. Wir<br />

werden nicht ins Private versinken, zufrieden, für unsere Person das Schlechte<br />

336


zu meiden. Wir werden uns bemühen, dass auch in der Politik Liebe das Größte<br />

ist- wir wollen mit den Menschen ringsum in gutem Einvernehmen, in<br />

Sympathie, in Frieden zu leben. Das Reich Christi ist Glaube, Liebe, Hoffnung<br />

in Aktion.<br />

Wie die Trinität der Kardinaltugenden zusammengehört? Der Glaube neigt uns<br />

einander zu, macht uns verantwortlich füreinander. Gott will uns füreinander,<br />

das schenkt und fordert uns ab die unantastbare Menschenwürde. Deren Krone<br />

ist die Liebe. Sie ist immer voll Hoffnung für den Nächsten. Und das Größte ist<br />

die Liebe, weil sie Gottes Energie selber ist, die „feurige Flamme des Herrn“<br />

(Hohelied Salomos 8,6).<br />

Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens.<br />

1. Korinther 14,44<br />

*<br />

Unordnung im Verkehr, im Haushalt, im Kopf, ist gefährlich und anstrengend<br />

und lebensfeindlich. Herrlich, daß wir auf Strukturen geeicht sind, die<br />

Zusammenleben organisieren. Wir alle halten uns lieber in einer aufgeräumten<br />

Küche auf <strong>als</strong> in einer verdreckten. Uns ist eine schwache Magnetisierung auf<br />

Frieden hin mitgegeben. So können wir Unordnung außen und Chaos in uns<br />

bändigen. Freuen wir uns des sanften Druckes in Richtung Fairness und<br />

Teamgeist. Weil uns dieser Geist zusammenhält, zerstieben wir nicht.<br />

*<br />

Die älteste Nachricht von Jesus Auferstehung<br />

Ich erinnere euch an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe, das ihr<br />

auch angenommen habt, in dem ihr auch fest steht, durch das ihr auch selig<br />

werdet, wenn ihr’s nur festhaltet.<br />

Als Erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass<br />

Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift; und dass er begraben<br />

worden ist und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift und<br />

dass er gesehen worden ist von Petrus, danach von den Zwölfen.<br />

Danach ist er gesehen worden von mehr <strong>als</strong> fünfhundert Brüdern auf einmal,<br />

von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.<br />

1.Korinther 15,1-7<br />

Das ist die weitest zurück in die Geschichte reichende Urkunde christlichen<br />

Glaubens. Der 1.Korintherbrief ist wohl um 60 nach Christi Geburt<br />

geschrieben, <strong>als</strong>o 30 Jahre nach Jesu Tod. Paulus hat schon in gestanzter<br />

Sprache („nach der Schrift“) die Mitteilung des Todes überliefert bekommen.<br />

Dieser Text ist <strong>als</strong>o noch nah am Geschehen.<br />

Die Tatsache von Jesu Sterben scheint immer schon zusammengeschweißt<br />

zu sein mit Glauben von seiner Bedeutsamkeit. Aber Paulus war der erste<br />

337


Wort- und Sinnfinder für die Dramatik der Kreuzigung Christi, doch auch er<br />

sieht sich schon in einer Kette von Gläubigen. Er sagt, er habe das Credo, den<br />

Glaubensinhalt, empfangen. Wir sind <strong>als</strong>o bei diesem Text historisch ganz nah<br />

an der Quelle des christlichen Glaubens.<br />

Auferstanden ist Jesus „nach der Schrift“, <strong>als</strong>o entsprechend den<br />

Weissagungen, etwa: „Deine Toten werden leben“ (Jeaja 26,19) oder „Du Gott<br />

hast mich von den Toten heraufgeholt“ (Psalm 30,4); und „Mein Erlöser lebt, er<br />

wird mich über den Staub erheben“ (Hiob 19,25). Jesus hat „das Zeichen des<br />

Jona“ (Matthäus 16,4) auf sich hingedeutet- die drei Tage im Bauch des Fisches<br />

kann man lesen <strong>als</strong> verschlungen im Bauch des Todes, bis er wieder ausgespuckt<br />

wurde.<br />

Hochwichtig ist: „Er ist ihnen erschienen.“ Das ist mehr, <strong>als</strong> nur: „sie sahen<br />

ihn“, was <strong>als</strong> Vision in Richtung Halluzination abgetan werden könnte.<br />

Auferweckung ist ein Geschehen, das Jesus passiert ist, ihm angetan wurde.<br />

Auch die Begegnung mit dem Auferstandenen ist „angetan“ worden den<br />

Zeugen, die noch namentlich bekannt sind.<br />

Es scheint keine neutralen Berichterstatter dieses Geschehens gegeben zu haben.<br />

Was darauf hindeutet, dass diese Begegnung keinen neutral ließ. Im Akt der<br />

Erfahrung des Auferstandenen wurden die Jünger zu Aposteln berufen, die<br />

andern Zeugen wurden zur Urgemeinde umgeschmolzen. Auch wenn keine<br />

objektive Berichterstattung vorliegt, können und dürfen wir die Auferstehung<br />

Jesu <strong>als</strong> passiert und <strong>als</strong> historisches Faktum wissen. Viele gingen in den<br />

Märtyrertod -für eine aus der Luft gegriffene Idee tut man das wohl nicht.<br />

Die Begegnung mit 500 Menschen ist wohl identisch mit dem Pfingstereignis<br />

(Apostelgeschichte 2). Paulus legt wert auf nachweisbares Passiertsein; etliche<br />

Zeugen des Auferstandenen leben noch und sind befragbar.<br />

Der Nachzügler wird zum Frontmann<br />

Zuletzt von allen –wie eine Nachgeburt ist Christus auch mir (Paulus)<br />

erschienen. Ich bin der geringste unter den Aposteln- ich bin nicht wert, dass ich<br />

ein Apostel heiße- ich habe doch die Gemeinde Gottes verfolgt.<br />

Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Und seine Gnade an mir ist nicht<br />

vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet <strong>als</strong> sie alle; nicht aber<br />

ich habe das bewirkt, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.<br />

1.Korinther 15,8-10<br />

Paulus hat eine ihm allein geschehene Begegnung mit Christus ( Apostelgeschichte<br />

9). Die hat sein Ich umgekrempelt. Zwar bleibt der Makel, daß er die<br />

Urchristengemeinde verfolgt hat. Aber diese vormalige Blindheit will er wieder<br />

gutmachen mit übermenschlichem Missionsfleiß. Rührend, wie Paulus jedes<br />

Verdienst von sich weist und alles Erkennen und Fleißigsein <strong>als</strong> Gnade<br />

kennzeichnet.- Dann aber rühmt er sich doch wieder seines unermüdlichen<br />

Einsatzes wegen.<br />

338


Paulus muss um Anerkennung kämpfen. Es herrscht harte Konkurrenz in der<br />

Urkirche: Wer hat das wahre Evangelium? Und da haben Petrus und die andern<br />

Jünger mit der Glorie des alten Jüngerkreises um Jesus große Strahlkraft.- Aber<br />

Paulus hat die besseren Argumente für die Einzigartigkeit des Christus. Er zieht<br />

die Christen aus dem Schattendasein einer jüdischen Sekte - er nennt sie „Die<br />

Gemeinde Gottes“. Und er zielt von Anfang an nach Rom- <strong>als</strong>o auf Weltkirche.<br />

Christus muss auferstanden sein<br />

Wie können einige von euch sagen: Es gibt keine Auferstehung der Toten? Gibt<br />

es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist<br />

aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer<br />

Glaube vergeblich. Und wir sind noch in Sünden. Hoffen wir allein in diesem<br />

Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.<br />

Aus 1.Korinther 15,12-19<br />

Die Auferstehung der Menschheit, ja, aller Kreatur, vollendet die Schöpfung.<br />

Darum muss sie geschehen, Gottes Vollkommenheit hängt daran. Darum wäre<br />

ein christusgemäßes Leben allein hier in irdischer Existenz nur Bruchstück und<br />

Jammer. Mit der Auferstehung Jesu Christi fängt Gott seine Vollendung an.<br />

Jesus ist der Brückenmensch von dem Ufer Jetztzeit zum andern Ufer der<br />

freudenvollen Ewigkeit.<br />

Durchbrecher des Todes<br />

Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten <strong>als</strong> Erstling derer, die<br />

gestorben sind. Ihm folgen wir alle. Wie mit dem ersten Menschen der Tod in<br />

die Welt gekommen ist, so kommt durch den Leuchtfeuermensch Jesus die<br />

Auferstehung der Toten. Als Adams und Evas Kinder sterben wir alle, <strong>als</strong><br />

Christi Geschwister werden wir alle lebendig gemacht werden.<br />

Dann, wenn auch der letzte Feind, der Tod, vernichtet sein wird, und alles<br />

Widerstehende durch Christus unterworfen ist, dann wird Gott sein alles in<br />

allem.<br />

Aus 1.Korinther 15,20-28<br />

Paulus stellt sich die Rettung <strong>als</strong> Erlösungsprozession vor. Jesus hat dem Tod<br />

die Macht genommen, und führt den Auferstehungszug aus den Gräbern an. Als<br />

Endlosgirlande stehen wir alle auf, wenn eine Riesen-Posaune den Jüngsten Tag<br />

anstimmt. Dann erstehen die Toten- erst werden die eben noch Lebenden mit in<br />

die Höhe gerissen, dann die aus den Gräbern. Und alle werden zum heilenden<br />

Gericht vor Gott versammelt.<br />

Uns ist dieses Weltbild abhanden gekommen. Was uns bleiben könnte, ist der<br />

Triumph Gottes, die Schöpfung zu vollenden. Und dann hat auch der Tod<br />

ausgedient <strong>als</strong> Taktschläger der Generationen. Dann wird Gott alles sein, mit<br />

339


uns dabei. Aber dafür fehlen uns die Worte und die Bilder. Denkbar, dass dann<br />

Gott nicht mehr nur „da“ ist, sondern alles Dasein ist dann Gott.<br />

Gott wird sein alles in allem<br />

1.Korintherbrief 15,28<br />

Das meint wohl, Gott wird alles durchfluten. Alles wird Zelle am Baum Gottes<br />

sein. Alles, was noch jetzt sich gegen Gott stellt, wird er dann in sich einverleibt<br />

haben, alles Böse wird verdaut sein, alles Isolierte wird heimfinden. Im<br />

Weltbild der Physik ausgedrückt: Wie einmal von einem Urpunkt die ganze<br />

Schöpfung sich entfaltete, so wird sie am Ende der Zeit wieder eingeatmet. Mit<br />

aller Ernte der Erfahrung holt Gott seine Kreaturen wieder zurück in sich. – Wie<br />

das gehen soll, wissen wir nicht, wir werden sein wie „die Träumenden. Mund<br />

voll Lachens“ (Psalm 126)- das dürfen wir wissen.<br />

Leben aus der Auferstehung<br />

Wenn die Toten nicht auferstehen, dann „lasst uns essen und trinken; denn<br />

morgen sind wir tot!“<br />

1.Korinther 15, 33<br />

Knallhart behauptet Paulus, das Leben ohne Auferstehungshoffnung sei sinnlos.<br />

Dabei haben viele atheistisch Gesonnene <strong>als</strong> Kommunisten z.B. heldenhaft<br />

gegen Hitler und später auch gegen Stalin gekämpft; sie sahen Sinnfülle genug<br />

darin, die Menschenrechte vorwärts zu bringen, „und im Menschheitsgedächtnis<br />

eingeschreint zu sein“ (E. Bloch). Kann man nicht Gutes tun,<br />

einfach weil es gut ist, Gutes zu tun? Hat es nicht seine Belohnung in sich?<br />

Aber Paulus spricht eine Ahnung aus: Wichtiges, das wir tun, hat einen weiten<br />

Horizont. Jedes Lieben hat doch den Schein von ewig Gültigem bei sich, all<br />

unser Tun ist Anfang von Etwas. „Und alle Lust will Ewigkeit“ (Goethe). Unser<br />

Wünschen scheint auf eine geheime undenkbare Hoffnung hinzudeuten, dass wir<br />

in ein anderes Leben fliegen, befreit an Geist und Leib und Seele mit einer<br />

vollendeten Schöpfung. Wie sollte der, der uns solches Wünschen mitgegeben<br />

hat, zuletzt unseine lange Nase drehen?<br />

Der neue Leib bei der Auferstehung<br />

Es gibt himmlische Körper und irdische Körper; jeder mit eigener Herrlichkeit.<br />

Einen eigenen Glanz hat die Sonne, einen andern Glanz hat der Mond, einen<br />

andern Glanz hat das irdische, einen andern Glanz hat das himmlische Leben.<br />

Ein natürlicher Leib geht dahin und auferstehen wird ein geistlicher Leib. Der<br />

erste Mensch, der alte Adam, die alte Eva- sie wurden zu lebendigen-<br />

340


sterblichen Wesen und der neue Mensch Christus bringt den Geist, der aus<br />

sterblich lebendig macht.<br />

Wie wir noch das Bild des irdischen Adams in uns tragen, so ist uns auch<br />

eingeprägt das Bild des himmlischen Menschen Christus.<br />

Aus 1.Korinther 15,40-49<br />

Genaues weiß Paulus auch nicht, nur dies: Wir sterblichen Kinder Adams und<br />

Evas sind auch Geschwister des Christus, und <strong>als</strong> solche unsterblich mit ihm.<br />

Wir tragen schon auf unsern irdischen Antlitzen das Strahlen aus dem Himmel.<br />

Dass wir von Gott erwartet werden, das wird uns auch einen neuen Leib<br />

bescheren. Unser Geist, wenn er Gehirn und Fleisch hier zurücklässt, wird<br />

verwandelt und neu eingekleidet werden. Wie, das weiß Paulus auch nicht. Und<br />

dann müssen wir es wohl auch nicht so genau wissen.<br />

Dem Tod ist sein Stachel gezogen<br />

Wenn aber das Verwesliche anziehen wird das Unverwesliche und das<br />

Sterbliche anziehen wird die Unsterblichkeit, dann ist der Tod verschlungen<br />

vom Sieg. Dem Tod ist sein Stachel, der von der Sünde kam, gezogen.<br />

Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gibt durch unsern Herrn Jesus Christus!<br />

Aus 1.Korinther 15,54-57<br />

Der Tod ist ja für sich genommen ein Knecht Gottes. Er ist ja das Mittel der<br />

Schöpfung, dass Generationen sich ablösen können und so neue Mischungen<br />

von Genen und Erfahrungen gelingen. Was den Tod giftig macht ist, wenn er<br />

der Schluss für uns mit allem wäre.<br />

Und das ist das Gift der Sünde, dass sie nach Verneinung, Lieblosigkeit,<br />

Vernichtung, Tod schmeckt. Weil wir so viel Zeit und Chancen vertan haben<br />

werden, werden wir schuldbeladen von der Erde gehen und dann nichts mehr<br />

gutmachen können. Das macht das Sterben bitter. Aber all diese Todesschatten<br />

sind mit verschlungen in den Sieg des Lebens. Christus ist die Leuchtschrift in<br />

jeder Seele: Gott wirft unsere Schuld hinter sich und wird allen Opfern das<br />

Verlorene erstatten in Fülle.<br />

Maranata<br />

Unser Herr kommt. Ja, komm bald, Herr.<br />

1.Korinther 16,22b<br />

Der alte aramäische Gebetsruf in der Sprache der Jerusalemer Urchristen:<br />

“Maranata“ strahlt Sehnsucht und Gewissheit aus. Es steckt in uns allen wohl<br />

ein Ausschauhalten nach Fülle und Vollendung, nach immerwährendem<br />

Geliebt- und Umfangensein.<br />

*<br />

341


Eine Verkörperung des Sehnsuchtszieles ist die Lichtgestalt Christus. Gläubige<br />

sehen ihn schon auf sich zukommen. Das Kinderspiel „Wer kommt in meine<br />

Arme“ hat etwas vom Heimlaufen in ein großes Rettendes. Wir haben wohl<br />

diesen Ruf nach Hause lebenslang bei uns.<br />

2. Korintherbrief<br />

* *<br />

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus<br />

Christus! Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater<br />

der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes.<br />

2.Korinther 1,2.3<br />

Gott ist uns väterlich-mütterlicher Lebensgrund, er ist uns die Lebenskraft. Das<br />

wissen wir durch Jesus Christus, der ihn zuerst Vater, ja “lieber Vater“ (Markus<br />

14,36) nannte. Dem Jesus nach dürfen auch wir Gott „Vater“ nennen.<br />

Abgesehen von Christus ist er jedenfalls „Gott“, Schöpfer, Richter, Vollender,<br />

auch Geleiter der Seinen. Aber von Jesu wissen wir, dass Gott unser aller<br />

Vatermutter ist - Liebe, Trost, Barmherzigkeit sein Wesen ausmacht.<br />

Gnade und Friede erbitten von dem Gott, den Jesus Christus uns nahe gebracht<br />

hat, ist das tägliche Brot des Glaubens.<br />

*<br />

Allen Pfarrern ins Stammbuch<br />

Nicht dass wir Herren wären über euren Glauben, sondern wir sind Gehilfen<br />

eurer Freude; ihr steht im Glauben.<br />

2.Korinther 1,24<br />

Gehilfen der Freude einander- das sei die umfassende Zielangabe für alles<br />

aufeinander Einwirken. Handeln wir <strong>als</strong>o mannschaftsdienlich,<br />

menschheitsdienlich.- Machen wir, dass Freude wächst. Eltern, Lehrer;<br />

Politiker, Seelsorgende- all diese Berufungen sind gefährdet, ihren Glanz zu<br />

verderben durch herrisches Gebaren, durch Eitelkeit und Missbrauch der<br />

Anvertrauten. Traurig, dass gerade Menschen, die viele heilige Wahrheiten auf<br />

den Lippen haben, gern das große Wort führen, eigene Schwächen verschleiern<br />

und Lust haben, andere in den Schatten zu stellen. Gehilfen der Freude sein<br />

342


einander- das ist das Jesus-Projekt. Die Ehrenplätze den Verachteten und<br />

Beladenen! Teilnehmen an den Leiden! Autorität hat nur noch die Gruppe.<br />

Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.<br />

2.Korinther 3,6<br />

Wir sind gewarnt vor Gesetzlichkeit und Einpferchen in Befehle. Wenn wir den<br />

anderen verhören, ist kein Gespräch mehr möglich. Wenden wir Wort und<br />

Buchstabe um und um, dann sind wir bei Anwälten und vor Gerichten. Der<br />

Geist der Liebe aber klärt und heilt und verknüpft. Geh hin zum Nachbarn, red<br />

mit dem Bruder, bahne besseres Verstehen an. Gib was zu, gib ein Stück nach,<br />

eröffne Spielraum- du bekommst alles mit Zinsen zurück.<br />

Und meine doch nicht, Gott schiebe Verträge und Gebote zwischen sich und<br />

uns. Er ist uns doch haut-nah, redet mit uns in der Muttersprache. Wir brauchen<br />

keine gewieften Dolmetscher. Horch nach innen. Da bist du direkt verbunden.<br />

Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.<br />

2.Korinther 3,17<br />

*<br />

*<br />

Also wo Zwang und Druck herrscht, kann man sich nicht auf den Geist Gottes<br />

berufen. Gott stellt deinen Fuß auf weiten Raum (Psalm 31,9). So können wir<br />

immer auch anders, sind nicht festgenagelt, müssen nicht schematisch<br />

entscheiden.<br />

Wir sagen viel zu oft „Ich muß, ich muß“- dabei können wir nein sagen, können<br />

ja sagen- wie wir es von innen her wissen. Ist der Geist bei uns, dann macht er<br />

uns auch frei von dem immerwährenden Kampf um Rechtschaffenheit und frei<br />

von der Jagd nach Bedeutung und der blöden Gier, im Recht zu sein.<br />

Durch uns Erleuchtung<br />

Der Gott, der das Licht aus der Finsternis hervorleuchten lässt, der hat einen<br />

hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns Erleuchtung entstehe.<br />

2.Korinther 4,6<br />

*<br />

Wie sollen uns gegenseitig erleuchten, sollen dem Andern Glanz in seine Seele<br />

und auf sein Gesicht zaubern. Dazu gibt uns Gott hellen Schein in unsere<br />

Herzen- es ist die Inbrunst, sich verwandt mit dem andern zu wissen. Es ist ein<br />

Magnetisiertsein aus Lust am Anden und auch aus Erbarmen in uns. Man kann<br />

343


es auch die Christusenergie nennen. Die Erleuchtung bewirkt die Freude,<br />

miteinander zu sein. der Geist erweckt Freiheit, die Freiheit erschafft die Liebe.<br />

*<br />

Wir haben diesen Schatz in zerbrechlichen Gefäßen.<br />

Wir sollten uns bewusst sein: Überschwängliche Freude und Kraft ist von Gott<br />

und nicht selbstgemacht. Wir sind doch von allen Seiten bedrängt, aber wir<br />

ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden<br />

Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir<br />

kommen nicht um. Wir tragen das Leiden unseres Herrn mit, wie wir auch das<br />

ewige Leben unseres Herrn mitfeiern werden. Darum werden wir nicht müde.<br />

2.Korinther 4,7-10,16a<br />

Den Gewissheitsschatz haben wir nicht sicher. Die Zuversicht zerrinnt uns oft.<br />

Unser Bewusstsein ist wetterwendisch, auf uns ist kein Verlass. Wenn einer<br />

sagt, er glaube nur an sich, weiss er nicht, auf welch dünnem Eis er tanzt. Wer<br />

nicht an Gott glaubt, muss an viele Götter glauben. Wir setzen da besser ganz<br />

auf das Geliebtsein von dem einen Gutenganzen. Da kann uns all Morgen ganz<br />

frisch und neu das nötige Quantum <strong>Lebensmut</strong> aufkeimen. Ich kann sagen: “Und<br />

wäre mir auch was verloren, kann immer tun, wie neugeboren“ (Goethe).<br />

Darum können wir uns auch ins Getümmel der Freuden und Aufgaben stürzen.<br />

Dabei unterlaufen uns Fehler. Aber auch mit ihnen macht Gott aus uns was. Da<br />

passt der alte Satz: Gott schreibt auch auf krummen Linien gerade. Und die<br />

Mühen und Schläge werden uns weh tun aber nicht auslöschen. Denn vor uns<br />

liegt Freundesland.<br />

*<br />

Guten Mutes altern<br />

Wenn auch unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere Mensch Tag<br />

für Tag erneuert. Sind wir bedrückt, ist das letztlich nicht von Gewicht- Gott<br />

schafft eine über alle Maßen gewichtige, ewige Herrlichkeit. Wir haben einen<br />

Bau, von Gott erbaut im Himmel. Hier aber sind wir auf Abbruch.<br />

Darum - seufzen wir auch viel und die Beschwernisse werden mehr, so ist es<br />

doch auf Hoffnung: Wir werden neu behaust und das Sterbliche wird vom<br />

Leben verschlungen.<br />

Solange wir im Körper sind, sind wir fern vom Herrn. Erst wenn wir den<br />

Erdenleib verlassen, kommen wir richtig Nachhause zum Herrn. Bis dahin<br />

haben wir <strong>als</strong> Pfand und Proviant den Heiligen Geist.<br />

2.Korinther 4,16-18; 5,1-8<br />

344


Das könnte den Nutzen des Alterns beschreiben: Körperlich werden wir<br />

schwächer; aber geistig werden wir mehr wir selber. „Der innere Mensch“ soll<br />

wachsen. Also werden wir dankbar, visionär für die Enkel, großmütiger,<br />

wiedergutmachend, von Privilegien und Besitz uns lösend, weniger Platz<br />

einnehmend, weniger fordernd, weniger auf Rechte pochen, demütig werden -<br />

auch bereit, mal gern zu gehen. Also mehr leben vom und für den Geist <strong>als</strong> von<br />

Zerstreuung und Fitness. Und mehr Gedanken wenden ans himmlische Zuhause,<br />

wie das auch immer werden mag. Mal sich auf den Grabstein schreiben lassen:<br />

Der Anfang ist gemacht.<br />

*<br />

Energie vom Himmel<br />

Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen; Neues<br />

ist im Werden. Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selber und<br />

rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von<br />

der Versöhnung. So sind wir nun Botschafter an Christi statt, wir bitten in<br />

seinem Namen: Lasst euch versöhnen mit Gott!<br />

2.Korinther 5,17-20<br />

Geh davon aus, daß Christus bei dir ist, ja- du geschiehst in ihm. Natürlich<br />

funktionierst du auch <strong>als</strong> Teil der Schöpfung, aber dein Gegenüber ist nicht die<br />

Natur sondern das Ebenbild Gottes, der Christus. Das macht zur neuen Kreatur:<br />

: nicht der Kreislauf von Werden und Vergehen ist dein Wesen sondern die<br />

ewige Ansprache Gottes an Dich, das Gespräch in Christus macht dich<br />

unsterblich zu Gottes Kind. Deine Seele ist „vom Himmel her“, die naturhafte<br />

Maserung läuft nur biologisch mit- gültig und leuchtend prägt dich Christus. Du<br />

bist versöhnt mit Gott, mit dir, mit deinen Nächsten.<br />

Paulus bittet drängend: Jetzt steh auf aus deinen Argwohnsbanden, den<br />

Depressionszwängen, gib dem Christus recht, der dich zu deiner wahren Größe<br />

emporhebt: Du Tochter/Sohn Gottes. Ein neues Einssein ordne dich neu: Nicht<br />

ist das deine erste Definition: Partner, Vater/Mutter/Kind, Mitglied dieses<br />

Vereins, dieser Firma, dieser Clique- sondern wesentlich für dein Ich sei dir: Du<br />

mit und in Christus;<br />

Du offen für ein neue Art, von dir zu denken: Du erschüttert durch eine neue<br />

Art zu sein: Du bekennst dich zu dem Leuchtfeuermensch Christus und seinem<br />

völligen Verzicht auf Gewalt.<br />

Klassisch ist auch der Satz: Gott war in Christus. Also hat Gott selbst Frieden<br />

gemacht mit uns. Nicht Gott musste versöhnt werden durch ein Opfer, sondern<br />

Gott brachte die Gottesbilder zurecht, er lehrte uns den liebenden Gott sehen.<br />

Aus der Angst- Ärger-Trauer- Raupe soll der Schmetterling der Zuversicht<br />

aufsteigen. Das ist auch Mühe. Aber Sonne geht nach und nach über dem<br />

Ganzen auf.<br />

345


Christsein praktisch<br />

Mögen wir uns <strong>als</strong> gute Mitarbeiter Gottes erweisen: in großer Geduld, in Nöten,<br />

in Schlägen, in Freundlichkeit, in Erkenntnis, im Heiligen Geist, in ungefärbter<br />

Liebe - <strong>als</strong> die Sterbenden, und siehe, wir leben; <strong>als</strong> die Geschundenen und doch<br />

nicht getötet; <strong>als</strong> die Traurigen, aber allezeit fröhlich; <strong>als</strong> die Armen, aber die<br />

doch viele reich machen; <strong>als</strong> die nichts besitzen und doch alles haben.<br />

Aus 2.Korinther 6,1-10<br />

Christ ist man nicht sondern wird man, es ist kein Sein sondern ein Werden, wir<br />

sind kein Fertiges sondern auf dem Weg (nach M. Luther). Martin Luther King<br />

hat es so gesagt: „ Ein Christ ist absolut furchtlos, immer in Schwierigkeiten und<br />

unsagbar glücklich.“ Es braucht Kraft, ganz bescheiden zu sein, Erkenntnis muß<br />

festgehalten, gesichert, befragt und ins Tun überführt werden; es braucht<br />

schöpferische Geduld, nach den Mühen der Berge die Mühen der Ebenen zu<br />

bestehen (nach B.Brecht).<br />

Wichtig, uns <strong>als</strong> Diener Gottes zu wissen, <strong>als</strong> seine Mitarbeitende, seine<br />

Ausführenden, seine Mundstücke und verlängerte Arme, seine Geschickten und<br />

Gesandten. Und in Schwachsein und Starksein, in Gelingen und Scheitern<br />

bleiben wir die Seinen. „Einer fällt in die Grube aber immer auf die Füße; oft<br />

jemandem in die Hände, aber nie einem zur Last; oft auf die Nase, nie auf die<br />

Knie, allen in die Rede, keinem auf die Nerven; gern mit der Tür ins Haus;<br />

immer wieder aus allen Wolken, immer wieder in Gottes Schoß“ (M.L.<br />

Kaschnitz).<br />

Wer kärglich sät, der wird auch kärglich ernten<br />

Und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. Ein jeder handhabe<br />

Tun und Lassen, wie es ihm aus dem Herzen kommt, nicht mit Unwillen oder<br />

aus Zwang. Ein fröhlicher Geber kommt Gott am nächsten.<br />

Gott kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen<br />

Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu vielen guten Taten.<br />

2.Korinther 9,6-8<br />

*<br />

Mit nichts kamen wir zur Welt, nichts werden wir mitnehmen können.<br />

Dazwischen ist uns eine Spanne Zeit eingeräumt zum Annehmen und Abgeben,<br />

zum Festhalten und Loslassen, zum Verwandeln und Verbrauchen, Essen und<br />

Nähren, Hingabe und Genießen, Bebauen und Ernten, Bitten und Danken.<br />

Das Leben ist ein Kunstwerk aus Einatmen und Ausatmen, Lernen und Lehren,<br />

Guttun und Versäumen. Enorm ist der Umsatz an Energie, Geschick, Liebe,<br />

Mühe, Ruhen, Handeln. Wir sind Investitionen Gottes. In uns Geschöpfe<br />

verkörpert der Schöpfer seine Kräfte.<br />

*<br />

346


Dich selbst zu erhalten, ist dir mitgegeben <strong>als</strong> Motor. Aber du bist nicht der<br />

Sinn. In mir und dir betreibt das Leben seine Filialen zum gemeinsamen<br />

Nutzen. Andere müssen was davon haben, dass wir sind. Geizt du mit dir? Lässt<br />

du es nicht strömen sondern hältst an dich? Warum das? Aus Angst, daß nichts<br />

nachkommt? Reichlich soll auch bei dir die Gnade wirken. Übergenug sollst du<br />

haben für dich und noch für andere. Setzen wir uns den Begnadungen und den<br />

Zumutungen des Lebens aus. Und helfen wir den Überforderten. Und lassen wir<br />

es, in fast religiöser Inbrunst behalten und mehren zu wollen.<br />

*<br />

Alles relativ<br />

Gott hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist<br />

in den Schwachen mächtig. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit; denn<br />

wenn ich schwach bin, so bin ich stark, sagt Paulus<br />

2.Korinther 12,9.10<br />

Schwer zu verstehen, das, weil wir so gern stark und überzeugend sein wollen.<br />

Ist es so gemeint?: Unser Entbehren macht uns groß, nicht unser Haben; unser<br />

Hoffen, nicht unser Wohlleben? Schon das Bedürftigsein ist voller Gnade- alles<br />

ist Anfang von Gottes Werdewelt. An dieser Anteil haben- mehr geht nicht. An<br />

ihr hat der Sehnende mehr Anteil <strong>als</strong> der Satte. Der mit Defizit, Handicap,<br />

Behinderung, Einschränkung weiss mehr vom Leid der Welt, und ist manchmal<br />

energiegeladener und willensstärker, er schafft Barrieren weg, welche die von<br />

Normalität geschlagenen gar nicht merken. „Die mit Tränen säen, werden mit<br />

Freuden ernten“ (Psalm 126,5).<br />

Wir sollten schon die kleine Flamme Freude wahrnehmen. Auch das kleine<br />

Können bringt vorwärts; deine kleine Erkenntnis, wenn sie dankbar macht, ebnet<br />

den Weg zur Fülle. Und der Schwache kann den Starken mitleidvoll und sogar<br />

zart machen.<br />

Und Stolz- ist oft eine letzte Zuflucht. Doch wir sollten aus unserm Stolz<br />

heraustreten, der ja ein Gitter ist. Wir sollten mit dem Geringsten sprechen und<br />

uns so erlösen (R. W<strong>als</strong>er).<br />

Ach könnt ichs mir von Gott sagen lassen: Meine Gnade genügt dir. Verlass<br />

dich drauf- wie würden alles andere zweitrangig.<br />

Ein Segen<br />

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die<br />

Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!<br />

2.Korinther 13,13<br />

*<br />

347


Mehr geht nicht. Eingehüllt in diesen Schutz gelingen wir dem Leben. Weiss<br />

dich gesegnet.<br />

* *<br />

DER BRIEF DES PAULUS AN DIE GALATER<br />

Paulus –Apostel der Heiden<br />

Ich sage euch: Das Evangelium, das von mir gepredigt ist, ist nicht menschliche<br />

Erfindung sondern eine Offenbarung des Christus an mich. Ich habe ja in<br />

meinem früheren Leben <strong>als</strong> jüdischer Lehrer über die Maßen die Christen-<br />

Gemeinde verfolgt und wollte sie zurückholen in das Gehege des Gesetzes. Gott<br />

aber hat mich durch seine Gnade berufen, er hat mir seinen Sohn offenbart,<br />

damit ich ihn <strong>als</strong> Evangelium verkündigen sollte unter den Heiden.<br />

Ich besprach mich nicht erst mit Autoritäten aus der Gemeinde, sondern zog<br />

nach Arabien und kehrte dann wieder zurück nach Damaskus. Drei Jahre später<br />

kam ich nach Jerusalem, um Petrus kennen zu lernen und Jakobus, den Bruder<br />

des Herrn. Dann missionierte ich in Syrien. Vierzehn Jahre später zog ich<br />

aufgrund einer Offenbarung aberm<strong>als</strong> hinauf nach Jerusalem. Da besprach ich<br />

mich mit den andern Aposteln über das Evangelium.<br />

Wir bewahrten unsere Freiheit und unterwarfen uns nicht, damit die Wahrheit<br />

des Evangeliums bestehen bliebe. Selbst Titus, der bei mir war, ein Grieche,<br />

wurde nicht gezwungen, sich dem Ritus der Beschneidung zu unterziehen.<br />

Die andern Apostel anerkannten die Gnade, die mir gegeben war. Jakobus und<br />

Petrus und Johannes, die <strong>als</strong> Säulen angesehen werden, gaben mir und Barnabas<br />

die rechte Hand und wurden mit uns einig, dass wir unter den Heiden, sie aber<br />

unter den Juden predigen sollten.<br />

Aus Galater 1-2.9<br />

Ein tiefer Blick in die Anfänge der Christenheit: In und um Jerusalem und auch<br />

in Galiläa war man jüdischen Glaubens. Und die Jünger und die Anhängerinnen<br />

und Freunde des Jesus blieben es auch. Vielleicht mit mehr Inbrunst, mehr<br />

jesuanischer Frömmigkeit- aber sie blieben Teil der Tempelgemeinde, das<br />

biblische Gesetz blieb verpflichtend, inklusiv Beschneidung der männlichen<br />

Gemeindeglieder.<br />

Erst dem Paulus ging der grundstürzende Unterschied auf zwischen dem<br />

Glauben wie Jesus und dem Glauben an Jesus Christus. Dem Paulus geschieht<br />

die Erleuchtung, daß Christus uns den unmittelbaren Zugang zu Gott im<br />

Glauben eröffnet, statt des Gehorsams gegen das Gesetz. Natürlich bleibt Liebe<br />

geboten aber nicht <strong>als</strong> Schlüssel zu Gott sondern <strong>als</strong> Antwort auf Gottes<br />

unbedingtes Ja zu uns. Darum ist auch nicht mehr die Zugehörigkeit zum Volk<br />

348


Israel heilsentscheidend; das hat Paulus mit den „Säulen“ der Jerusalemer<br />

Urgemeinde, den Autoritäten, durchgepaukt. In Galatien könnte man sagen,<br />

wurde die Hohe Schule der christlichen Freiheit zum ersten Mal exerziert. Dank<br />

der grandiosen theologischen Argumentation des Paulus und der<br />

Wiederneuerfindung durch Martin Luther können auch wir „in der Freiheit<br />

bestehen, zu der uns Christus befreit hat.“<br />

Paulus setzt ganz auf die Gnade<br />

Einmal kam Petrus nach Antiochia. Dort gab es Grund zur Klage gegen ihn. Erst<br />

aß er mit den Heiden; <strong>als</strong> aber der strenge Jakobus kam, drückte er sich<br />

heuchlerisch weg. Ich stellte ihn zur Rede: Wenn du, der du ein Jude bist,<br />

heidnisch lebst und nicht jüdisch, warum zwingst du dann die Heiden, jüdisch zu<br />

leben?<br />

Durch Werke des Gesetzes wird kein Mensch gerecht. Wir hoffen, durch<br />

Christus gerecht zu werden. Auf die Spitze getrieben sage ich: Ich lebe, doch<br />

nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir.<br />

Aus Galater 2, 11-20<br />

Ein Elend der Christen heißt Heuchelei. Sie ist besonders verwerflich bei<br />

Priestern und Pastoren; man predigt Wasser aber trinkt Wein; wirbt feurig für<br />

die Kollekte und bleibt das Eigene schuldig, schwingt von der Kanzel die<br />

Moralkeule, zieht sich aber im Internet die schlimmen Sachen rein, predigt die<br />

Vergebung der Sünden aber will zu eigenem Versagen nicht stehen; beruft sich<br />

gar noch auf das Max-Scheler-Wort: ein Wegweiser laufe auch nicht in die<br />

Richtung, in die er zeige.<br />

Petrus ließ es sich gut gehen bei einem Mahl, zu dem er von einem Nichtjuden<br />

eingeladen war, und genoss, was fromme Juden sich versagen. Dann kam<br />

überraschend der Jakobus hinzu und Petrus drückte sich weg, Das kam Paulus<br />

sehr gelegen, der für die Freiheit der Christen von den jüdischen Gesetzen (nicht<br />

von den Zehn Geboten) eintrat. Petrus hatte sich Heuchelei zu schulden kommen<br />

lassen- was diesem klar machte, dass auch er der Gnade bedürftig ist.<br />

Paulus setzt völlig auf die Liebe Gottes- auch wenn Paulus bei anderer<br />

Gelegenheit sich seines Fleißes und Verzichtens rühmt.<br />

Hier wagt er sogar von sich zu sagen, daß er kein eigenes Ich mehr habe,<br />

sondern Christus sein besseres Ich sei. Das festzustellen steht uns wohl nicht zu.<br />

*<br />

Alle eins<br />

Wir sind alle Gottes Kinder- wir wissen es durch den Glauben an Gottes<br />

Vatersein. Auch sind wir ja Geschwister Christi und der Heilige Geist formt uns<br />

zu einer Lerngemeinschaft. Es zählt nicht mehr Jude- oder Grieche sein , nicht<br />

*<br />

349


Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau; wir sind allesamt einer in Christus<br />

Jesus und Abrahams Kinder und damit der Verheißung gemäß Erben des<br />

Reiches Gottes.<br />

Galater 3,26.28f<br />

Wir bleiben unterschiedlich aber gleich wert, bleiben verschieden aber jeder<br />

einzigartig- wunderbar. Wenn wir es nur wüssten und es einander beglaubigten!<br />

Wir sind einander <strong>als</strong> Kinder Gottes anvertraut und zugemutet; wir sollen uns<br />

ergänzen und fördern.<br />

Eins in Christus!- Das ist das Programm der wahren Globalisierung: Statt an<br />

Waffen und Geld an den gekreuzigten Christus glauben; ihm nach wissen: Das<br />

Ende der Herrschaft des Gesetzes <strong>als</strong> Weg zu Gott ist ausgerufen.<br />

Nicht mehr Beschneidung oder Taufe oder Bildung oder Nationalität schaffen<br />

das Bürgerrecht im Reich Gottes, sondern der Glaube, zu Christus zu gehören.<br />

Noch sind die Nahrungsmittel und Naturschätze, das Trinkwasser und die<br />

Medikamente begrenzt- noch ist Streit und keine gerechte Verteilung. Aber es<br />

sollen gesegnet sein alle Menschen auf Erden. Gott ist noch dabei, diese<br />

Verheißung an „Vater“ Abraham (1. Mose 12,3) zu erfüllen. Helfen wir ihm,<br />

indem wir nicht benachteiligen wegen Geschlecht oder Religion oder Hautfarbe<br />

oder sexueller Prägung; lernen wir, auf Privilegien zu verzichten.<br />

*<br />

Als aber die Zeit erfüllt war,<br />

sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau ins irdisch Normale. Wir sind<br />

Kinder Gott und er hat den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen. Der<br />

ruft in uns: Abba, lieber Vater!<br />

Galater 4,4-6<br />

Das ist auch so ein Traumsatz, der uns den Himmel öffnet. Irgendwann war die<br />

Zeit reif, daß sich Gott in einem Menschen zu erkennen gab.- Lange schon war<br />

Gott in Sonne und Korn, Geburt und Sterben, in Religionen und Sprachen mit<br />

den Menschen zugange. Aber <strong>als</strong> für Gott die Zeit der indirekten Mitteilungen<br />

erfüllt war, kam er selbst in Gestalt des Jesus, und steht ein exemplarisches<br />

Menschenleben durch.<br />

Wie Jesus zu den Mitmenschen war- geschwisterlich eben- das hat unsern<br />

Status geklärt- eben Geschwister des Jesus und <strong>als</strong>o auch Kinder Gottes zu sein.<br />

Wir können den kindhaften Geist in uns merken, es ruft in uns ja: lieber, lieber<br />

Gott- jedenfalls, wenn wir sehr dankbar oder sehr in Not sind.<br />

Der Schatz des Christus<br />

*<br />

350


Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So besteht nun in Freiheit und begebt euch<br />

nie wieder in Knechtschaft. Gehorsam macht den Hund aus, uns aber der<br />

Glaube, der durch die Liebe tätig ist. Nicht ausgeliefert an das Zick-zack der<br />

Instinkte sind wir sondern zur Freiheit berufen. Beißt euch nicht, zerfetzt euch<br />

nicht. Durch die Liebe diene einer dem andern.<br />

Galater 5,1.6.15.13<br />

Dem Christus nach ist Freiheit nicht Willkür. Was gemeint ist, kann man ahnen,<br />

wenn man <strong>als</strong> Gegenteil von Unfreiheit nicht Freiheit sondern „Verbundenheit“<br />

einsetzt. Was uns kleben lässt an Ideen und Menschen, ist die Angst, allein zu<br />

sein und nichts zu gelten, wenn wir nicht mit der Mehrheit im Gleichschritt sind.<br />

Dem Christus nach gehört man zum Freundeskreis Gottes- da ist man <strong>als</strong> starkes<br />

Ich erwählt, ist nicht allein, tritt hin <strong>als</strong> Freier zu Brüdern und Schwestern. Mit<br />

Fühllust will man dem Nächsten gut sein, will die Liebe mehren, will eigentlich<br />

nicht nur in Ruhe gelassen werden oder für sich Punkte machen sondern will<br />

einem gemeinsamen Glück dienen, auch wenn es jetzt eben erst nur aufglüht.<br />

*<br />

Lebt im Geist,<br />

die Frucht aber des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit,<br />

Güte, Treue, Sanftmut. Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht<br />

herausfordern und beneiden. Wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt<br />

wird, so helft ihm wieder, klar zu kommen.<br />

Einer trage des andern Last mit, so werdet ihr den Willen Christi erfüllen.<br />

Irrt euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Dazu gehört auch: Was der Mensch<br />

sät, das wird er ernten.<br />

Galater 5,16.22.26; 6,1.2.7<br />

Also der Heilige Geist bringt uns Niveau bei. Seine Gaben machen nicht klein<br />

und verhuscht, sondern erfinderisch, neugierig, hellwach, tatkräftig, „sie<br />

entlarven Wunschlosigkeit <strong>als</strong> Armut“ (D. Bonhoeffer). Also lasst uns den Geist<br />

wichtig nehmen. Der will in uns Frieden schaffen und lässt uns Blicke schicken,<br />

die lauter Lieben auf den ersten Blick sind.<br />

Gott hat der Menschheit eine Balance mitgegeben, dass einigermaßen wir<br />

ernten, was wir säen. Und wo diese Balance mit Füßen getreten wird , wo sie<br />

systematisch vernichtet wird, wie im Dritten Reich etwa- da muß diese<br />

Zerstörkraft besiegt werden. Das Leben blüht- nach Abstürzen hat sich die<br />

Balance immer wieder eingependelt - oder fromm gesagt: Wurde von Guten<br />

Mächten eingependelt.<br />

Epheserbrief<br />

* *<br />

351


Gott gebe uns<br />

erleuchtete Augen des Herzens, damit wir erkennen, zu welcher Hoffnung wir<br />

berufen sind.<br />

Epheser 1,18<br />

Erleuchtete Augen des Herzens haben das tiefe Verwandtschaftswissen, das<br />

innige Mitfühlen, die Phantasie des Einssein auch bei allem Fremdem. Dann<br />

erinnern wir uns: Niemand hat sich selbst geschaffen Wir sehen den Nächsten<br />

an, wie Gott ihn meint, sehen den Goldstaub an ihm. Und werden erweckt zu<br />

Helfern des Herrn. Machen wir uns an die Arbeit, eine Hoffnung Gottes in die<br />

Tat umzusetzen.<br />

Getrenntheit ist der Sündenfall<br />

Christus ist unser Friede: Aus zweien hat er eines gemacht. Er hat die<br />

Feindschaft aufgelöst, den Zaun abgebrochen zwischen uns.<br />

Er hat im Evangelium Frieden verkündigt den Fernen und den Nahen.<br />

Denn durch ihn haben wir alle in einem Geist den Zugang zum Vater.<br />

So seid ihr ehemaligen Heiden nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern<br />

Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen,<br />

Epheser 2,14.17-19<br />

*<br />

Feindschaft, Hass, Grenzen, Mauern, Mein- Dein, Ich- Du; Trennungen laufen<br />

durch Gesellschaft, Familie, sogar durch einen selbst. Christus nun versöhnt das<br />

Zerrissene. Er holt die Fernen heran, lädt die Abgedrängten an einen Tisch, Er<br />

entpanzert uns Krustentiere, ruft Frieden aus, so daß wir was anderes tun können<br />

<strong>als</strong> ständig auf Angriff oder Verteidigung zu lauern. Statt endloser Wachsamkeit<br />

des versiegelten Bewusstseins wünsch dir Phantasie, Freude, Wonne,<br />

gemeinsame Projekte. In einem Haus mit Gott und allen- da gibt es auch<br />

Rückzugsräume, wir müssen nicht alle zur selben Zeit aus einem Topf essen.<br />

Die Richtung aber heißt: Entfeindung.<br />

*<br />

Gegen das Auseinanderfallen<br />

Seid darauf bedacht, die Einigkeit im Geist zu wahren durch das Band des<br />

Friedens: Ein Leib und ein Geist, wie ihr auch berufen seid zu einer Hoffnung;<br />

ein Herr, ein Glaube, eine Taufe; ein Gott und Vater aller, der da ist über allen<br />

und durch alle und in allen.<br />

Epheser 4,3-6<br />

Wir sind gefährdet durch Ichanbetung und Vereinsamung. Dann kreisen wir nur<br />

noch um uns selbst, sind uns der einzige Zweck. Und fragen nur, was bringt mir<br />

352


das. Das atomisiert die ganze Gesellschaft und zerbröselt auch die Kirchen.<br />

Dagegen hilft nur das Band des Friedens, das uns aneinander knüpft. Genießen<br />

wir Freude an einem gemeinsamen Werk. Wir sind viele Glieder, aber uns<br />

stärkt der Zusammenhalt wie der des einen Leibes. In uns regen sich viele<br />

Widersprüche, aber lasst es zu, daß der Sog des einen Heiligen Geistes das<br />

Widerstrebende einarbeitet.<br />

„Gott über, in, durch alles, von ihm alles her, auf ihn alles zu“.- Gott- der, die,<br />

das All, das Alles inklusiv allem Werdendem. Stellen wir es, ihn uns vor (im<br />

Namen Jesu Christi) <strong>als</strong> Liebe. Die kommt einmal von Gott, das andere Mal ist<br />

sie Gott selbst; Gott- Liebe, „der Schoß der Welt, der sanfte Schoß des sich<br />

selbst nicht begreifenden Geschehens, Meer der Liebe (R. Musil).<br />

Zürnt ihr, so sündigt nicht;<br />

Lasst die Sonne nicht über eurem Zorn untergehen.Wer gestohlen hat, der stehle<br />

nicht mehr, sondern arbeite und schaffe mit eigenen Händen das Nötige, damit<br />

er auch dem Bedürftigen abgeben kann.<br />

Epheser 4,26.28<br />

Zorn ist die Gemütsbewegung, die gern uns was zerreißen läßt. Wir leiden an<br />

schreiender Ungerechtigkeit, Verachtung, Ohnmacht. Wir wollen<br />

Wiedergutmachung und lassen uns dabei leicht hinreißen zu anderem Unrecht.<br />

Aber Rache, so süß sie im Augenblick scheint, rückt nur mit dem Täter auf die<br />

gleiche Unrechtsstufe. Hass zerfrisst- auch unabhängig davon, ob er im Recht<br />

ist. Darum sollten Vergewaltigungsopfer mit ihren Tätern reden können. KZ-<br />

Überlebende berichten, daß ihr Leben ruhiger wurde, <strong>als</strong> sie ihren Peinigern<br />

vergeben konnten. So berechtigt unser Zorn ist, wir müssen miteinander reden,<br />

möglichst vor Sonnenuntergang.<br />

Stärkend ist der Hinweis, daß die Würde von Arbeit in einem Doppelten liegt,<br />

einmal, daß man sich selbst ernähren kann und auch noch nächste Bedürftige.<br />

Ihr seid Licht<br />

Lebt <strong>als</strong> Kinder des Lichts; strahlt Güte, Gerechtigkeit und Wahrheit aus.<br />

Und wach auf, der du schläft, steh auf von den Toten, so wird dich Christus<br />

erleuchten.<br />

Nutzt die Zeit. Kauft sie aus; die Zeit ist heikel.<br />

Epheser 5,8.14.16<br />

Denk nicht schwach von dir, nicht funzelig, tranig. Du bist ein Schatz aus dem<br />

Energiehaushalt des Herrn. Du bist ein leuchtendes Kind Gottes. Also steh auf<br />

*<br />

*<br />

353


zur Tat. Du kannst dich nicht schlafend, nicht tot stellen. Du bist nötig. Wo du<br />

bist, wird es hell, hoffnungsvoll, ehrlicher, fairer. Das ist unbequem, du machst<br />

auch Ärger, bekommst auch Ärger. Die Zeit ist nicht gemütlich, sondern<br />

Kampffeld. Und Gott, mittendrin, setzt auf dich.<br />

Der Philipperbrief<br />

* *<br />

Lasst uns denken und handeln, wie es Christus Jesus entspricht.<br />

Er war in göttlicher Gestalt, beutete es aber nicht aus,<br />

Gott gleich zu sein,<br />

sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an,<br />

wurde den Menschen gleich.<br />

Er erniedrigte sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tode,<br />

ja bis zum Tode am Kreuz.<br />

Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben,<br />

der über alle Namen ist,<br />

dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie,<br />

die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind,<br />

und alle Zungen bekennen sollen,<br />

dass Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters.<br />

Philipper 2,5-11<br />

Paulus hat diesen urchristlichen Hymnus schon vorgefunden und in seinen Brief<br />

übernommen, den er um 55.n.Chr an die Gemeinde in Philippi schrieb. Es ist<br />

ein Triumph- und Bekenntnislied, es wurde wohl bei Taufen gesprochen.<br />

Beschrieben ist das Wesen des Christus: Der bei Gott war; ja Gott selbst war,<br />

jedenfalls Anteil an Gott hatte, der beutete seine Allmacht nicht aus für sich. Er<br />

hielt nicht selbstsüchtig fest am Gleichsein mit Gott, sondern unterzog sich dem<br />

Schicksal, ein Mensch zu sein. Ja, er ist sogar bereit, der schlimmstmöglich<br />

Leidende zu sein. Und das will er tun im Gehorsam zu Gott, dem die Menschen<br />

vorwerfen, er lasse die Menschheit leiden. Aber in Gestalt seines Sohnes leidet<br />

Gott das Leid der Welt mit, das offenbart Christus. Und so können wir fortan<br />

den liebenden Gottes glauben. Der produziert nicht Leid sondern trägt mit an<br />

den Widersprüchen und Unzulänglichkeiten seiner Schöpfung. Indem sich Gott<br />

mit Jesus identifiziert, läßt er das Unvollkommene, ja, Sünde und Tod nah an<br />

sich heran, ja, verleibt sie sich ein.<br />

“Gesalbter Gottes („Christus“), „Sohn Gottes“ ist stärkstes Bild für Einssein.<br />

Die Menschheit wird sich verbeugen und ihn anbeten <strong>als</strong> mit Gott gut und ganz,<br />

und wir werden alle seine Gefolgsleute.<br />

*<br />

354


Schaffet, denn Gott schaffts<br />

Schaffet, dass ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern. Denn Gott ist’s, der in<br />

euch wirkt, beides- das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.<br />

Philipper 2,12f<br />

Dies sollen die beiden Klammern für unser Denken sein: Schaffet, <strong>als</strong> gäbe es<br />

keine Gnade, nur nackte Abrechnung nach Leistung. Und Gott ist es, der euer<br />

Können und Wünschen bewirkt, ihr könnt <strong>als</strong>o gar nichts f<strong>als</strong>ch machen. Ihr seid<br />

die Handlanger des Herrn. Ein Widerspruch?<br />

Paulus begründet eins mit dem andern: Schuftet- denn Gott machts. Also lasst<br />

uns arbeiten, <strong>als</strong> hülfe kein Beten; und beten wir, <strong>als</strong> hülfe kein Arbeiten. Es ist<br />

für dich gesorgt, drum müh dich.<br />

*<br />

Freuet euch an Gott.<br />

Ja, freut euch! Eurer Menschenfreundlichkeit lasst freien Lauf gegen alle<br />

Menschen! Der Herr ist nahe! Zersorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen<br />

lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kommen! Singt<br />

und spielt Gott in euren Herzen!<br />

Philipper 4,4-6 ; Epheser 5,19<br />

Dass wir uns an Gott freuen sollen ist unser Sinn. Lasst uns <strong>als</strong>o Lust haben am<br />

Leben und uns und anderen Lebensfreude bereiten. Jedenfalls lsst uns möglichst<br />

wenig Verdruss machen, keine Angst, keine bösen Träume, wenig Schaden!<br />

Wenn einer durch dich freudlos wird, bestiehlst du Gott um die Freude, die er<br />

doch bei diesem Menschen zu ernten hofft. Jedes Grämen ist ein Armutszeugnis<br />

für den Herrn. Haben wir Grund zu Bitten, lasst uns bitten. Haben wir Anlass<br />

zum Dank, lasst uns danken.<br />

Menschen, die vor Gott singen und spielen – mehr können wir nicht werden.<br />

*<br />

Ich habe gelernt, mir genügen zu lassen, wie es kommt.<br />

Ich kann niedrig sein und kann hoch sein; mir ist alles und jedes vertraut: Beides<br />

kann ich: satt sein und hungern, Überfluss haben und Mangel; ich vermag alles<br />

durch Gott, der mich mächtig macht.<br />

Philipper 4,11-13<br />

Diese starke Gelassenheit ist große Kunst. Eben nicht: Alles egal. Sondern mit<br />

allem zurechtkommen, in allem eine Würde bewahren, alles <strong>als</strong> Lernstoff<br />

nehmen, den Wechsel der Gezeiten im Auge haben. „Und fahr ich durch die<br />

355


Höll, ist Christus mein Gesell“, heißt es in einem Kirchenlied. Das Leben voller<br />

Verheißung wissen.<br />

Wir müssen die Welt nicht verstehen, wir müssen sie nur bestehen. Wir kommen<br />

durch. Wir kommen beim Herrn an. Halten wir uns <strong>als</strong>o wacker.<br />

Kolosserbrief<br />

* *<br />

Als die Auserwählten Gottes,<br />

<strong>als</strong> die Heiligen und Geliebten, zieht nun an, herzliches Erbarmen,<br />

Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und<br />

vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der<br />

Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr!<br />

Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.<br />

Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des<br />

Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.<br />

Kolosser 3,12-14,17<br />

Ziehen wir an all die guten Eigenschaften, ja, wie eine Dienstkleidung, einfach,<br />

weil es nötig ist. Einer den andern ertragen- einen Augenblick noch sich die<br />

harte Reaktion verkneifen, noch einen entlastenden Gedanken einfädeln,<br />

vielleicht eine entspannende Bemerkung beisteuern, augenzwinkernd vom<br />

eigenen Missgeschick sprechen, dem andern den Rückzug erleichtern, ihn nicht<br />

entblößen sondern einen Ausweg ihm auftun- das wärs. Und dran denken,<br />

niemand hat sich selbst geschaffen. Und es ist wohl schwierig, der zu sein, der<br />

gerade meint, sich so aufblasen zu müssen, aus Angst, hinweggewischt zu<br />

werden.<br />

1. Brief an die Thessalonicher<br />

* *<br />

Wir bitten euch<br />

liebe Geschwister, haltet Frieden untereinander. Weist die Unordentlichen<br />

zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig, jagt<br />

allezeit dem Guten nach untereinander und gegen jedermann.<br />

356


Seid allezeit fröhlich, betet immer wieder, seid dankbar in allen Dingen. Den<br />

Geist dämpft nicht.<br />

Meidet das Böse in jeder Gestalt. Prüft alles und das Gute behaltet.<br />

1.Thessalonicher 5,12-22<br />

Den Geist nicht dämpfen sondern ihn wirken lassen, wir sollen mit Hilfe des<br />

Heiligen Geistes verknüpfen, befreunden, entspannen von f<strong>als</strong>chen<br />

Kompliziertheiten. Verstehendes Sehen mögen wir ersehnen, dem Guten zum<br />

Durchbruch verhelfen, aus Gottes Behütung Mut ziehen. Das Böse meiden- ein<br />

frühzeitiges klares „Nein“ versetzt Berge. Setz dem Unrechten und Mulmigen<br />

Deins entgegen.<br />

1.Brief an Timotheus<br />

* *<br />

Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut, und nichts ist verwerflich, was mit<br />

Danksagung empfangen wird.<br />

1.Timotheus 4,4<br />

Alles ist gut geschaffen; nur- wir können es auch missbrauchen <strong>als</strong> Waffe, <strong>als</strong><br />

Droge, <strong>als</strong> Götzen. Dagegen hilft Danken- in Verbindung bringen mit dem<br />

Schöpfer und Geber. Bedenke, bevor du denkst: Kannst du für dein Vorhaben<br />

Gott <strong>als</strong> Teilnehmer denken, kannst du, was du tust, unter seinen Augen tun?<br />

Nur dann tu es, Handfest und ernsthaft und fröhlich.<br />

2. Brief an Timotheus<br />

* *<br />

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern den der Kraft und der<br />

Liebe und der Besonnenheit.<br />

2.Timotheus 1,7<br />

Menschen können ausgezogen und nackt gemacht werden (H.Domin). Wir sind<br />

doch sehr verletzbar, ängsten uns vor einem Leidensweg. Bangigkeit kann uns<br />

den Atem verschlagen vor der übermächtigen Wirklichkeit. Und doch haben wir<br />

ein gutes Quantum Geistes-Kraft mitbekommen, und das Zutrauen der Liebe<br />

und Abwägenkönnen zwischen frechem und bedachtem Mut. Die Angst klopfte<br />

an der Tür, der Glaube antwortete, niemand trat ein (M. Luther King).<br />

Alle Schrift, von Gott eingegeben,<br />

*<br />

357


ist nütze zur Lehre, zur Zurechtweisung, zur Besserung, zur Erziehung in der<br />

Gerechtigkeit, dass Gottes Mensch vollkommen sei, zu allem guten Werk<br />

geschickt.<br />

2.Timotheus 3,16<br />

Alle Texte die zu heiligen Schriften taugen, sind von Gott vorgesagt, sind vom<br />

Heiligen Geist eingegeben. Aber nicht alle Texte, die Menschen zu Heiligen<br />

Schriften erklärt haben, sind göttlichen Ursprungs. Vor allem sind sie nicht ewig<br />

gültig, alles was mit Menschen zu tun hat, hat seine Verfallszeit und wird durch<br />

neues Wort Gottes überholt. Was Wort Gottes ist, erweist sich an seiner<br />

Geisteskraft, Leuchtkraft, Heilkraft, seiner friedensstiftenden<br />

Überzeugungskraft, auch an seiner Sprengkraft, die Wahrheit ja bei sich hat.<br />

Wenn Gott geschehen läßt, was sein Wort sagt, war es sein Wort. Wenn es seine<br />

Früchte bei uns bringt, war es gutes Saat.<br />

Wir können Gott nicht festlegen auf einen Wortbestand namens „Heilige<br />

Schrift“ – <strong>als</strong> hätte er nur Worte für die 1200 Seiten Bibel gehabt, und wäre<br />

seitdem sprachlos.<br />

Brief an Titus<br />

* *<br />

Die Menschenliebe Gottes,<br />

unseres Heilands, sie erschien,<br />

sie machte uns selig durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im<br />

Heiligen Geist. Den hat er über uns reichlich ausgegossen durch Jesus Christus,<br />

unsern Heiland, damit wir Erben des ewigen Lebens würden.<br />

Titus 3,4-6<br />

Gott ist voll Menschenliebe. Liebende in ihrer Begeisterung für einander spüren<br />

diese Menschenliebe hautnah, wir können gemeinsame Sache machen, uns<br />

verstehen, uns fördern. Wir können Leben empfangen und es in Gestalt eines<br />

neuen Menschleins weitergeben - es ist wunderbar zu leben, mit soviel Gründen<br />

zur Freude und zum Mitmachen am Guten.<br />

Gott hat den Jesus-Christus gesandt, dass er uns in der Gotteskindschaft<br />

trainiert. Manchmal müssen wir hart rangenommen werden, noch einmal neu<br />

das Glauben und Vertrauen lernen, müssen klein werden wie ein Neugeborenes<br />

und allen Selbstruhm fahren lassen. Heiliger Geist macht uns dann schön durch<br />

Dankbarsein. Er lässt uns wie neugeboren das Leben noch einmal erfahren <strong>als</strong><br />

köstlich und schutzwürdig. Und wir werden wissen, daß Gott ewig was mit uns<br />

vor hat.<br />

* *<br />

358


DER ERSTE BRIEF DES PETRUS<br />

Ihr seid das auserwählte Geschlecht, die königliche Priesterschaft, das heilige<br />

Volk, das Volk des Eigentums. Ihr sollt verkündigen die Wohltaten dessen, der<br />

euch berufen hat von der Finsternis zu seinem wunderbaren Licht.<br />

1.Petrus 2,9<br />

Herrlich- diese klare Zueignung höchster Menschlichkeit an die Leser dieses<br />

Briefes: Wer dies liest oder hört ist auserwählt, ist königlich, priesterlich, heilig,<br />

gotteigen. Und ist berufen, die Güte Gottes weit auszustreuen. Keiner soll sich<br />

mehr abartig und abgelehnt vorkommen. Du, der du das liest, bist berufen vom<br />

Dunklen hin zu seinem wunderbaren Licht der Liebe.<br />

Das ist der Wille Gottes,<br />

dass ihr mit guten Taten törichten Menschen das Maul stopft- <strong>als</strong> die Freien und<br />

nicht <strong>als</strong> nähmt ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit. Ehret jeden<br />

Menschen.<br />

1.Petrus 2,15-17a<br />

Krass gesagt. Manchmal muss man mit Gutem mutig verblüffen. Unerwartete<br />

Güte überzeugt mehr <strong>als</strong> Gegengewalt. Dem Hass den Wind aus den Segeln<br />

nehmen, Streithähne mit Humor von einander abbringen- schön wärs. Jedenfalls<br />

ist Freiheit kein Freispruch zum Weggucken und Abtauchen. Jeden ehren <strong>als</strong><br />

unter Gottes Schutz stehend- da wird man wach und springt ein und hilft dem<br />

lieben Gott, daß er nicht <strong>als</strong> Enttäuscher dasteht.<br />

*<br />

Dient einander<br />

habt untereinander beständige Liebe; denkt dran: »Die Liebe deckt auch der<br />

Sünden Menge« (Sprüche 10,12). Seid gastfrei untereinander ohne Murren. Und<br />

dient einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat, <strong>als</strong> die guten<br />

Haushalter der mancherlei Gnade Gottes.<br />

1. Petrus 4, 9.10<br />

Christen sind nötig, sie liefern den Schmierstoff für Gemeinschaft: Miteinander<br />

wirken und einstehen für einander, die Begabungen einbringen für eine bessere<br />

Zukunft. Dir soll es gut gehen und dem Andern auch. Lasst uns Vergebung<br />

trainieren und Gastfreiheit und das Entfalten gegenseitiger Chancen.<br />

*<br />

359


*<br />

Seid hellwach<br />

Denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und<br />

sucht, welchen er verschlinge. Dem widersteht fest im Glauben. Alle eure Sorge<br />

werft auf Christus; denn er sorgt für euch.<br />

1.Petrus 4,8.9.7<br />

Es ist kein Gegengott, der uns dem Guten Gott abspenstig machen will. Dies<br />

Bild vom Teufel drängt sich aber auf. Kräfte ziehen uns vom Guten weg wie mit<br />

Krallen, und unser Gewissen wird von irrem Gebrüll der Gier übertönt. Doch<br />

wir können widerstehen. Wir können nein sagen, auch wenn wir dann plötzlich<br />

allein da stehen. Verzicht schmerzt im Augenblick. Doch lebenslang währt die<br />

Freude, nicht zum „miesen Typen“ verkommen zu sein. Einfach das Gute tun,<br />

und alles Wenn und Ach Gott überlassen- das ist Lernstoff, lebenslang.<br />

Alle Sorge<br />

werfet auf Gott, denn er sorget für euch<br />

Petrus 5,7<br />

Wir könnten ohne Gottvertrauen gar nicht morgens aus dem Bett. Wenn wir<br />

nicht glaubten, dass wir heil durch den Tag gebracht werden, könnten wir ihn<br />

gar nicht anfangen.<br />

Im Gebet zur Nacht die Sorge abgeben, im Morgengebet um Kraft bitten und<br />

sich die Besorgung des Tages wieder auflegen lassen- das wärs.<br />

Mich in Gottes Hand wissen- und damit entlastet sein von der Sorge um mich<br />

selbst; mir die Fürsorge um andere angelegen sein lassen und das Lebendürfen<br />

feiern- so will ich’s machen.<br />

*<br />

Jede Situation ist gut für Weiteres, gut für Weiteres aus dem Schatz Gottes. An<br />

Abraham und Jakob und Jesus kann man ablesen, dass Gottes Hände, die uns<br />

führen, oft rau sind. Auch in unserm Leben gab es Augenblicke, wo Gott uns<br />

wie einen Handschuh packte und ganz langsam über seine Finger umstülpte<br />

(Robert Musil). Wir sagten gedankenlos „Zukunft“, aber auf einmal ging uns<br />

auf: Es ist doch Zugriff, was uns geschieht. Wir sind in Arbeit bei ihm, er hat<br />

uns in der Mangel, er sorgt für uns.<br />

Und wie sorgt er für uns?<br />

Gott sorgt für uns, indem er uns Zeit einräumt, uns Menschen zufügt, mit<br />

Begabungen betraut, mit Sehnsucht nach Freude ausrüstet, uns<br />

gemeinschaftsfähig erzieht, so dass wir uns zu anderen nicht <strong>als</strong> Zuschauer<br />

verhalten sondern <strong>als</strong> Mitliebende, Mitleidende, Mitschuldige. Er sorgt für uns,<br />

indem er uns lebenstüchtig macht und mit Gespür für einander versieht.<br />

360


Er sorgt auch für uns, die wir jetzt hier sind, durch ein Geflecht von Leistungen<br />

und Schätzen und Gemeinnutz- Und statt zu klagen, dass wir nicht alles haben,<br />

was wir wollen, sollten wir lieber dankbar sein, dass wir nicht alles bekommen,<br />

was wir verdienen (Dieter Hildebrandt).<br />

Sieh zurück- Du bist auch eingespannt in Gottes Sorgen: Gattensorge,<br />

Elternsorge, Kindersorge, Nächstensorge- da sind wir doch in seinen Diensten.<br />

Er wirft auch seine Mühen auf uns, dass wir ihm helfen, Last zu tragen.<br />

Und sieh nach vorn: Er sorgt für uns. In den Sinnoasen des Daseins schimmert<br />

der freundliche Gott.<br />

DER ERSTE BRIEF DES JOHANNES<br />

* *<br />

Das Leben selbst<br />

Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir gesehen haben mit<br />

unsern Augen und was unsre Hände betastet haben- das Wort des Lebens, ja, das<br />

Leben selbst- ist erschienen. Und das verkündigen wir auch euch, damit auch ihr<br />

mit uns Gemeinschaft habt- die Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem<br />

Sohn Jesus Christus.<br />

Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen:<br />

Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. Also lasst uns im Licht wandeln.<br />

Nach 1.Johannesbrief 1.1-7<br />

Der Schreiber dieses Briefes ist auch der Verfasser des Johannesevangeliums-<br />

beide Texte beginnen rauschhaft mit der Schöpfung. Das Wesentliche des<br />

Schöpfungs- Uranfangs, das Leben pur, ist auch in Christus und erstreckt sich in<br />

die Gemeinschaft der Gemeinde. Licht ist dessen Charakter. Darum ist es so<br />

nötig, lichtvoll und erleuchtet zu leben.<br />

Herrlich zu wissen, daß Gott nur gut ist und ohne Flecken. Das Böse in der Welt<br />

ist Mangel an Liebe, ist Mangel an Gott, ist Sehnsucht nach ihm.<br />

*<br />

Die Finsternis vergeht<br />

Das wahre Licht scheint schon jetzt. Wer sagt, er sei im Licht, und hasst seinen<br />

Bruder, der ist noch in der Finsternis.<br />

1.Johannes 2,8b.9<br />

Die Menschheitsgeschichte kommt an ein Ziel in Gott. Mehr wissen wir noch<br />

nicht. Aber Licht geht nach und nach über das Ganze auf. Der<br />

361


Leuchtfeuermensch Jesus hat Erhellung und Güte zu uns gebracht. Das macht<br />

Freude am Guten. Wir mögen es nicht mehr, zu hassen. Es ist gegen unsere<br />

Ehre. Wir wollen Frieden mit den Mitmenschen. Erleuchtung geschehe uns.<br />

Die Welt vergeht mit ihrer Lust;<br />

Wer aber den Willen Gottes tut, der bleibt in Ewigkeit.<br />

1.Johannes 2,17<br />

*<br />

Sinneslust, Körperlust, Genuss standen früher in schlechtem Ruf. Man dachte,<br />

Lebenslust brächte ab von den wahren Werten, von Demut, Fleiß und<br />

Barmherzigkeit. Aber eigentlich ist die Lust an der Freude doch Gottes liebste<br />

Erfindung. Zwar hat alles seine Zeit; auch Verzicht, Fleiß und Sparsamkeit,<br />

Weinen, eben aber auch Lachen und Lieben. Auch Lachen und Lieben ist<br />

Gottes Wille. Was wir mit Dank annehmen, ist in seinem Sinn.<br />

Die Herrlichkeit, Kind Gottes zu sein<br />

Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder<br />

heißen sollen - und wir sind es auch! Doch es ist noch nicht offenbar geworden,<br />

was wir sein werden. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird, werden wir ihm<br />

gleich sein; wir werden ihn sehen, wie er ist.<br />

1.Johannesbrief 3,1<br />

*<br />

Das ist großes Glück, Kind Gottes zu sein, ein Stück von ihm, nicht Erde und<br />

Dreck, nicht Masse. Kinder Gottes, wir alle, erhoben und gewollt und berufen<br />

und geadelt und verbunden mit dem Herzen der Welt. Wie sich das gestaltet, das<br />

ist noch offen. Wir werden aber von ihm gesehen und wir werden ihn schauen.<br />

Von ihm wahrgenommen sein ist ewiges Leben. ( „Mit wem Gott geredet hat, in<br />

Zorn oder Gnade, der ist gewiss unsterblich“ , hat Luther gesagt.) Stärken wir<br />

einander jetzt schon durch Beachten und Wahrnehmen.<br />

*<br />

Wer nicht liebt, der bleibt im Tod<br />

Wir wissen, dass wir aus dem Tod in das Leben gekommen sind; denn wir<br />

lieben die Mitmenschen.<br />

1.Johannes 3,14<br />

362


Leben ist nicht nur Vorhandensein- das ist noch nahe am Todsein. Leben ist<br />

Lieben. Wer liebt, der erhebt und fördert und schmückt das Geliebte, lässt es<br />

aufblühen. Der sieht sich beteiligt an der Schöpfung, der hilft zu werden.<br />

Frieden innen<br />

*<br />

Damit können wir unser Herz vor Gott zum Schweigen bringen, dass, wenn uns<br />

unser Herz verdammt, Gott größer ist <strong>als</strong> unser Herz und erkennt alle Dinge.<br />

Haben wir Zuversicht zu Gott, verdammt uns unser Herz nicht.<br />

1.Johannes 3,19f<br />

Wir haben viel Grund, uns in Grund und Boden zu schämen- denn wir bleiben<br />

viel schuldig. Aber Gott kennt uns. Er weiß, wie es uns oft innen zerreißt, wie<br />

Pflicht und Lust im Streit liegen und Gutseinwollen oft nicht zur Tat wird. Doch<br />

verdamm dich nicht, bleibe einigermaßen in Richtung Richtiges. Gott kennt<br />

dich, er hat dich ja erfunden.<br />

Gott ist die Liebe;<br />

und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.<br />

1.Johannesbrief 4,16<br />

*<br />

Gott ist ein glühender Backofen voll Liebe, hat Luther mal gesagt. Alle Energie<br />

will zusammenfinden, alle Liebe ist Zusammenfindekraft. Gott ist alle Energie<br />

und ist Bindekraft, ist Zusammenhütewillen, ist Befreundung, ist Willen zum<br />

Du, Gott treibt uns hin zum Du, in welchem wir uns wieder finden, mit dem wir<br />

uns neu erfinden.<br />

Aber wir Menschen sind die einzige Schöpfung, die sich der Liebe verweigern<br />

kann; wir können Feindschaft und Gewaltherrschaft wollen statt Liebe und<br />

Zusammenhalten. Wir können Gott zuwider handeln. Aber wir bleiben<br />

beschädigt, bis uns die Liebe heimholt- spätestens durch den Tod hindurch.<br />

So spür dich <strong>als</strong> Mitarbeiter der Liebe, teile, heile, vertrag dich, du leuchtender<br />

Mensch.<br />

Furcht ist nicht in der Liebe,<br />

sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus.<br />

1. Johannes 4,18<br />

Die Durchschlagskraft der Furcht ist die Angst vor einem unbekannten<br />

Verlorensein. Zu keinem zu gehören, allein und ausgeliefert, bedroht und<br />

*<br />

363


ohnmächtig zu sein, ist fürchterlich.- Aber du darfst und sollst dich umfangen<br />

wissen von der vollkommenen Liebe. Liebe treibt die Furcht aus- das ist stark.<br />

Man muss es sich immer wieder ins Bewusstsein rufen. Und muss an die<br />

Ansprechbarkeit aller Menschen glauben.<br />

DER BRIEF AN DIE HEBRÄER<br />

* *<br />

Nachdem Gott vorzeiten<br />

vielfach und auf vielerlei Weise geredet hat zu den Vorfahren durch die<br />

Propheten, hat er in diesen letzten Tagen zu uns geredet durch den Sohn. Den<br />

hat er eingesetzt hat zum Erben über alles, durch ihn hat er auch die Welt<br />

gemacht.<br />

Er ist der Abglanz seiner Herrlichkeit und das Ebenbild seines Wesens und trägt<br />

alle Dinge mit seinem kräftigen Wort und hat vollbracht die Reinigung von den<br />

Sünden und hat sich gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe und ist so viel<br />

höher geworden <strong>als</strong> die Engel.<br />

So haben wir einen großen Hohenpriester, der die Himmel durchschritten hat,<br />

der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. Darum lasst uns<br />

hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit<br />

empfangen, wenn wir Hilfe nötig haben.<br />

Hebräer 1,1-4; 4,14-16<br />

Die wenigen Sätze lassen die Großartigkeit des Christus leuchten. Nach den<br />

Vorworten durch die Propheten hat Gott das endgültige Wort eingesetzt. Dies<br />

war schon im Schöpfungswerk mit da und hat unsere Kärglichkeit beseitigt, hat<br />

uns die ewige Werthaltigkeit beigelegt, an die nicht mal die Engel heranreichen.<br />

“Sitzend zur Rechten Gottes“ meint, dass Christus das Ebenbild Gottes ist,<br />

wesensgleich mit ihm - und zieht uns nach auf sein Niveau. Nie dürfen wir mehr<br />

abfällig von einem Menschen denken, denn jeder gehört mit Christus zu Gott.<br />

Der altertümliche Titel „Hoherprister“ erinnert noch an den ferngedachten<br />

Gott, zu dem Mittler die Verbindung schlagen mussten. Doch jetzt haben wir<br />

direkten Zutritt zum Thron der Gnade und empfangen Zuversicht, wenn wir sie<br />

nötig brauchen.<br />

*<br />

Freier Zugang<br />

Weil wir denn nun durch Jesu die Freiheit haben zum Eingang in das Heiligtum,<br />

so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben,<br />

los von dem bösen Gewissen und gewaschen mit dem Wasser der Reinheit.<br />

364


Lasst uns festhalten an dem Bekenntnis der Hoffnung und nicht wanken; denn er<br />

ist treu, der sie verheißen hat; und lasst uns aufeinander Acht haben und uns<br />

anreizen zur Liebe und zu guten Werken.<br />

Und werft euer Vertrauen nicht weg, welches eine große Belohnung hat.<br />

Hebräer 10,19.22-24.35<br />

Jesus beschafft uns den Adel der Gotteskindschaft; jeder einzelne hat Zugang zu<br />

Gott, nur böses Gewissen könnte ihn uns entfremden. Doch wir sind mit dem<br />

Wasser der Taufe besprengt- das besiegelt uns die Zugehörigkeit zu Gott. Was<br />

uns zu tun bleibt, ist, die Hoffnung festzuhalten in den Taten des Alltags. Sind<br />

wir <strong>als</strong>o achtsam miteinander, immer bereit zu Werken der Liebe.<br />

Vertrauen wir, auf immer in den guten Händen Gottes zu bleiben. Das beschafft<br />

eine große Lebensenergie: Wir werden uns glücken, auch wenn unter Mühen.<br />

Es ist aber der Glaube<br />

eine feste Zuversicht, ein Hoffen, ein Nichtzweifeln ohne Sehen.<br />

Wir haben „eine Wolke von Zeugen“ um uns. So lasst uns ablegen alles, was<br />

uns beschwert, auch die Sünde, die uns ständig umstrickt, und lasst uns laufen<br />

mit Geduld in dem Kampf, der uns bestimmt ist, und aufsehen zu Jesus, dem<br />

Anfänger und Vollender des Glaubens<br />

Hebräer 11,1;12,1.2<br />

„An wen glauben“ kommt von „geloben“: Gott steht zu dir, er gehört zu dir,<br />

gelobt sich dir an- daraus schöpfe Zukunft. Auch das Nichtgeschaute ist seins<br />

und darum nicht gegen dich- du kommst durch an seiner Hand. Dafür gibt es<br />

eine “Wolke von Zeugen“, ein Heer derer, die mit ihm “durchs Feuer“ gegangen<br />

sind und erlebt haben, wie sie hindurch getragen wurden. Leben ist immer<br />

Kampf, auch gegen die eigene Schwäche. Das Vorbild des Christus und einiger<br />

starker Mitmenschen gebe uns Mut, auch durchzuhalten.<br />

*<br />

Selig die Heimatlosen,<br />

sie werden nach Hause kommen. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern<br />

die zukünftige suchen wir.<br />

Hebräer 13,14<br />

Wir sind hier nur Vorübergehende, sind auf Abruf und Abbruch hier. Hier ist<br />

Übung, Anfang, Ouvertüre. Die Freuden hier sind Vorgeschmack, die Mühen<br />

kommen von dem steinigen Zeit-Weg, den Gott selbst noch geht, die Schöpfung<br />

zu vollenden. Darum ja: “Du sollst an keinem wie an einer Heimat hängen, der<br />

Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf um Stufe<br />

heben...weiten“ (H.Hesse).<br />

*<br />

365


* *<br />

DIE OFFENBARUNG DES JOHANNES<br />

Gnade sei mit euch<br />

und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.<br />

Offenbarung 1,4<br />

Ein herrliches Anfangs- und Schlusswort für Tun und Lassen des Tages, des<br />

Lebens. Mit diesem Segenswunsch sehen wir uns zugehörig dem Einen-Guten-<br />

Ganzen, der sich nach allen Richtungen erstreckt und in dem alle Gegenden und<br />

Zeiten geschehen. Von ihm Gnade und Frieden haben- mehr geht nicht.<br />

Sei getreu bis an den Tod,<br />

so will ich dir die Krone des Lebens geben. Siehe, ich komme bald.<br />

Halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!<br />

Offenbarung 2,10;3,11<br />

*<br />

Mit diesem Leuchtsatz von der Krone ausgerüstet, sind in den Weltkriegen<br />

Millionen Menschen in den Tod marschiert, weil fahrlässig das Irdische zum<br />

Ewigen erklärt wurde. Und fälschlich ist unser Tun zur Bedingung für Gottes<br />

Güte gemacht worden. Sicher sollen wir unsere Zuversicht behalten in den<br />

Versuchungen der Zeit. Aber die Krone, die Gotteskindschaft, verleiht<br />

ausschließlich Gott allein und wenn wir sie auch verlieren, passt Christus sie uns<br />

wieder und wieder an.<br />

*<br />

Das sagt der Heilige:<br />

Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan- du mit deiner kleinen Kraft hast mein<br />

Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.<br />

Ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand mir die Tür auftut, bei dem<br />

werde ich einkehren und das Fest mit ihm feiern und er mit mir.<br />

Offenbarung 3,8.20<br />

Das Entscheidende geht nicht von uns aus sondern kommt auf uns zu, fliegt uns<br />

zu. Türen werden uns aufgetan, dass uns das Leben gelinge. Immer wieder<br />

werden uns Chancen vorgelegt, wir werden an Kreuzungen geführt, werden in<br />

Aufgaben eingewiesen, die wir schaffen oder an denen wir versagen. Wichtig<br />

dabei, dass wir ins Gelingen verliebt sind; ja, dass wir Gott, dem Grundgütigen,<br />

gelingen wollen. Sein Wort bewahren, heißt: Uns in seinem Wort bewahrt<br />

366


wissen- nicht uns verloren vorkommen, keinesfalls. Dies Zugehörigwissen zu<br />

Gott ist tatsächlich die Krone.<br />

Also sammle und verschenke im Alltag die Perlen der Gotteskindschaft. Komm<br />

dir nie verloren vor. Halte dich an dein Getauftsein. Du gehörst Gott, nichts<br />

kann dich aus ihm herausbrechen. Was auch kommt, darin kommt Gott auf dich<br />

zu.- Nimm ihn an in all den Gestalten, in denen dir Leben begegnet. Er geht mit<br />

dir hin zum Fest der Fülle und der Freude. Keine Angst wegen der Stolpersteine<br />

unterwegs. Nichts soll dich von Ihm trennen.<br />

Und noch eins ist zu lernen von Jesus: Er will anklopfen an die Tür und nicht sie<br />

einschmeißen. So sollen auch wir mit einander sanft umgehen und tolerant das<br />

Verschiedene annehmen oder wenigstens zulassen.<br />

*<br />

Schalen des Zorns<br />

Und ich hörte eine große Stimme aus dem Tempel, die sprach zu den sieben<br />

Engeln: Geht hin und gießt aus die sieben Schalen des Zornes Gottes auf die<br />

Erde. Und der zweite Engel goss aus seine Schale ins Meer; und es wurde zu<br />

Blut wie von einem Toten, und alle lebendigen Wesen starben. Und der dritte<br />

Engel goss aus seine Schale in die Wasserströme und die Quellen und sie<br />

wurden zu Blut.<br />

Und der siebente Engel goss aus seine Schale in die Luft. Und es geschahen<br />

Stimmen, Blitze und Donner und ein Erdbeben, groß, wie keines noch gewesen<br />

ist. Und alle Inseln verschwanden und die Berge wurden nicht mehr gefunden.<br />

Und Hagel wie Zentnergewichte fiel vom Himmel auf die Menschen…<br />

Offenbarung 16, 1.3.4.17.20.21<br />

Zuerst waren diese Schauer-Prophezeiungen gesagt, um die christliche<br />

Gemeinde zu trösten.- Die erlebte schlimme Verfolgungen unter dem<br />

römischen Kaiser Diokletian. Vernichtet sollte die „Hure Babylon“ – Rom –<br />

werden, damit dann die Christen in Frieden leben können.<br />

Aber die apokalyptischen Schreckensvisionen wurden auch vernommen <strong>als</strong><br />

Drohungen mit dem kommenden Weltenende. Schon oft in den Jahrhunderten<br />

ist der Weltuntergang <strong>als</strong> Strafe für die Sünden angesagt worden.<br />

Heute ist die Vernichtung der Menschheit und die Zerstörung der Erde machbar.<br />

Um so dramatischer hängt der Erhalt des Lebens von Gottes Segen ab und<br />

unserer Bereitschaft, abzulassen von Ausbeutung. Kehren wir um, und<br />

bewahren die Schöpfung.<br />

Neue Erde<br />

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; der erste Himmel und die<br />

erste Erde sind vergangen und das Meer ist nicht mehr. Und ich sah die heilige<br />

Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet<br />

wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.<br />

367


Und die zwölf Tore waren zwölf Perlen, ein jedes Tor war aus einer einzigen<br />

Perle, und der Marktplatz der Stadt war aus reinem Gold und wie<br />

durchscheinendes Glas.<br />

Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr<br />

Tempel, er und das Lamm.<br />

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die<br />

Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden<br />

sein Volk sein und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein.<br />

Offenbarung 21,1-3<br />

Diese Vision hat das Geschichtsbild der Menschheit stark geprägt: Die<br />

Verwandlung aller Dinge ist im Gange und sie wird grundstürzend sein. Ob eine<br />

neue Schöpfung bereit steht, die herabgelassen wird wie aus dem Schnürboden<br />

eines Welttheaters? Eher nicht. Aber wichtig am Neuen, dann Letztgültigen ist<br />

die soziale „Bauweise“ des ewigen Lebens. Wir gehen wohl alle auf ein<br />

Zusammenleben zu, das noch was mit Wohnen in Hütten zu tun hat und mit<br />

Handeln auf einem Marktplatz- und auch noch Bäume und Tiere hat. Jedenfalls<br />

wird Gott mit uns zusammensein- das ist wohl das, was bleibt. Er hat keinen<br />

Raum extra für sich. Gott ist unser Raum und unsere Zeit.<br />

*<br />

Das Alpha und das Omega<br />

Und Gott wird abwischen alle Tränen von unsern Augen, und der Tod wird nicht<br />

mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das<br />

Erste ist vergangen.<br />

Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu!<br />

Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen<br />

geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.<br />

Offenbarung 21,4-6<br />

Die Erdenzeit ist auch Tränenzeit und fährt gegen die Wand- den Tod. Alle<br />

Angst ist Angst vor dem Tod in großen und kleinen Dosen: Unter Schmerzen<br />

allein und hilflos sein. Aber unsere Tränen sind aus Heimweh geweint- wir sind<br />

voll Ahnung, daß das Erste vergeht. Der uns umfängt <strong>als</strong> Schutzmantel der Welt,<br />

der wird weiter reichen <strong>als</strong> alle Beendigungen und Tode. Gott ist Anfang und<br />

Ziel- einst wird der Tod ausgedient haben und unser Durst nach dem<br />

Lebendigen wird für immer, immer gestillt sein.<br />

Der letzte Tag hat keinen Abend<br />

*<br />

368


Und der Geist führte mich hin auf einen hohen Berg und zeigte mir die heilige<br />

Stadt Jerusalem herniederkommen aus dem Himmel von Gott, ihr Licht war<br />

gleich dem alleredelsten Stein, einem Jaspis, klar wie Kristall; sie hatte eine<br />

hohe Mauer mit zwölf Toren, Die Mauern waren aus Edelsteinen und die Tore<br />

aus Perlen und der Marktplatz der Stadt war aus reinem Gold wie<br />

durchscheinendes Glas.<br />

Und ich sah keinen Tempel darin; denn der Herr, der allmächtige Gott, ist ihr<br />

Tempel.<br />

Und die Stadt bedarf keiner Sonne noch des Mondes, denn die Herrlichkeit<br />

Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm. Und die Völker und<br />

Könige werden ihre Herrlichkeit in sie bringen. Und er zeigte mir einen Strom<br />

lebendigen Wassers, klar wie Kristall, der ausgeht von dem Thron Gottes und<br />

des Lammes; Und es wird nichts Verfluchtes mehr sein. Gottes Name wird an<br />

den Stirnen der Heiligen sein. Und es wird keine Nacht mehr sein, und sie<br />

bedürfen keiner Leuchte und nicht des Lichts der Sonne; denn Gott der Herr<br />

wird sie erleuchten, und sie werden regieren von Ewigkeit zu Ewigkeit.<br />

Es spricht, der dies bezeugt: Ja, ich komme bald. - Amen, ja, komm, Herr Jesus!<br />

Aus Offenbarung 21,10ff ; 22,1-5; 22,20<br />

Das ist das biblische Schlussbild; das Siegel, welches der Unbegreifliche uns<br />

einprägt. Wir bleiben die Tiefgeliebten von immer Größerem (R.M.Rilke).<br />

Unserm Denken drängen sich Hölle, Inferno, Vernichtung <strong>als</strong> Ende auf. Aber<br />

der Gott, der alle Tränen abwischt, der hat Himmel und Vollendung vor. Wie<br />

das Vollendete aussieht, ist offen. Ein starkes Bild ist genommen aus<br />

menschlichem Zusammenleben: Die Stadt ist ja unser intensives soziales<br />

Geflecht. Also soll auch für den Himmel eine gottvolle Art von<br />

Zusammenleben erwarten werden. Mauern schmücken dann nur, sie wehren<br />

nicht ab, Die Tore stehen offen, ein Markt ist noch da- wir tauschen miteinander<br />

Glück und Gaben. Aber kein Tempel, keine Kirche wird mehr sein, kein<br />

besonderer Raum der Gottesbegegnung wird mehr nötig sein. Wir wohnen in<br />

Gott, nichts Verfluchtes ist mehr, kein „Jenseits von Eden“ mehr. Uns bleibt nur,<br />

zu bitten: Du, der Du uns Himmel zusagst, komm bald. Und der letzte Satz der<br />

Bibel lautet: (Offenbarung 22,21) Die Gnade des Herrn Jesus sei mit uns allen.<br />

* * *<br />

Die Bibel weiterscheiben<br />

Irgendwann um 200 n Chr. hatte sich in Rom ein Kanon von kirchlichen<br />

Schriften zusammengerüttelt. Als Richtschnur für die Aufnahme in das „Neue<br />

Testament“ galt die Urheberschaft durch die vier Evangelisten und die Apostel,<br />

die bis auf Paulus, alle zum Jüngerkreis Jesu gehört hatten. Aber nur wenige<br />

Schriften, und zwar die von Paulus, sind so alt, dass sie Anschluss haben an Jesu<br />

369


irdische Lebenszeit. Alle anderen Schriften sind eine oder mehrere Generationen<br />

nach Jesus geschrieben worden und behaupten nur, von Petrus oder Paulus zu<br />

stammen- um sich ihre Autorität zunutze zu machen. Sie sind Arbeitspapiere<br />

der jungen Kirche um das Jahr 200 und später. Man kann auch sagen: Das Neue<br />

Testament ist der erste Predigtband der Kirche.<br />

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