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Zur Reichweite individueller strafrechtlicher Verantwortung im ... - ZIS

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<strong>Zur</strong> <strong>Reichweite</strong> <strong>individueller</strong> <strong>strafrechtlicher</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>im</strong> Unternehmen fürFehlverhalten von unterstellten MitarbeiternVon Dr. Kathleen Mittelsdorf, Wiesbaden*I. Einführung/ÜberblickIn wirtschaftsstrafrechtlichen Fallgestaltungen steht die Bestrafungvon Führungskräften regelmäßig <strong>im</strong> Mittelpunkt desInteresses und <strong>im</strong> Fokus der Öffentlichkeit. Fälle, in denen inder jüngsten Vergangenheit gegen Vorstände bzw. AufsichtsräteErmittlungsverfahren eingeleitet wurden, sind zahllos.Die Zuschreibung <strong>strafrechtlicher</strong> <strong>Verantwortung</strong> an Führungskräftefällt dabei relativ leicht, wenn es sich um Tatbeständehandelt, die vornehmlich auf der Führungsebene begangenwerden. Kartellstraftaten sind hierfür typisch. Allerdingsbedingt es die funktionale Arbeitsteilung <strong>im</strong> Unternehmen,dass die Tatausführung selbst häufig nicht durchOrgane oder leitende Angestellte, sondern durch Mitarbeiterunterer Hierarchieebenen erfolgt. Wenn diese selbst vollverantwortlich handeln, stellt die Strafbarkeit der Vorgesetztendas Strafrecht vor große Herausforderungen.Nach der geltenden Strafrechtsdogmatik 1 kann zunächstdahingehend unterschieden werden, ob das Handeln des Organsin einem Tun oder Unterlassen besteht, je nachdem woder Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt. Wo sich beispielsweisekonkrete Handlungsanweisungen feststellen lassen,dürfte <strong>im</strong> Regelfall ein aktives Tun vorliegen. Weiß derVorstand lediglich, dass Mitarbeiter strafrechtliche Handlungenbegehen, und schreitet nicht ein, liegt der Schwerpunkt<strong>im</strong> Unterlassen. Im Bereich der Verwirklichung durch aktivesTun stellt die wohl umstrittenste Frage diejenige der mittelbarenTäterschaft dar. Lässt sich mittelbare Täterschaft nichtbejahen, kann nur auf Teilnahmeformen zurückgegriffenwerden. Im Bereich der Unterlassungsdelikte bildet die Best<strong>im</strong>mungder Garantenpflicht die zentrale Frage, wobei auchhier die Unterscheidung zwischen Täterschaft und Teilnahmenicht vernachlässigt werden darf.Im Kontext der strafrechtlichen <strong>Verantwortung</strong> <strong>im</strong> Unternehmensbereichnehmen die Führungskräfte eine Mittelstellungzwischen dem Unternehmen einerseits und den meistausführenden Mitarbeitern andererseits ein. Aus der Kumulationvon handelnden Personen ergibt sich dabei eine Vielzahlvon strafrechtlichen Problemlagen, die ohne spezifische Betrachtungdes Unternehmens als komplexe Organisationkaum zu bewältigen sind.II. Kernproblem <strong>Verantwortung</strong>sprinzipDas strafrechtliche Kernproblem, das sich in all den Fällenstellt, in denen der Mitarbeiter voll verantwortlich handelt, istder Umgang mit dem sogenannten <strong>Verantwortung</strong>sprinzip.Das <strong>Verantwortung</strong>sprinzip, das häufig <strong>im</strong> Rahmen der objektiven<strong>Zur</strong>echnung des Erfolgs problematisiert wird, sonstaber eher ein strafrechtliches Schattendasein führt, bedeutet,* Die Autorin ist Richterin am Landgericht Wiesbaden.1 Der Ansatz dieser Arbeit ist auf das geltende Strafrechtbegrenzt; inwieweit de lege ferenda Ausweitungen <strong>im</strong> Individual-oder Kollektivstrafrecht (für Unternehmen) angezeigtsind, kann nur <strong>im</strong> Rahmen eines Ausblicks erörtert werden.dass <strong>im</strong> Grundsatz jeder nur für sein eigenes Verhalten strafrechtlichverantwortlich ist, nicht jedoch für das eigenverantwortlicheHandeln Dritter. 2 Das <strong>Verantwortung</strong>sprinzipbildet auch einen Grundgedanken der Abgrenzung von Täterschaftund Teilnahme sowie die Basis der mittelbaren Täterschaft.3Pr<strong>im</strong>a facie betrachtet, kann das <strong>Verantwortung</strong>sprinzipnach seiner Definition die Strafbarkeit von Vorständen fürdas Verhalten ihrer Mitarbeiter ausschließen, soweit dieseeigenverantwortlich handeln. Dieser Schluss ist jedoch nichtzwingend. Denn der Ausschluss der Verantwortlichkeit fürdas Verhalten von Mitarbeitern würde voraussetzen, dass –wie <strong>im</strong> Falle eines Erst- und Zweitschädigers – diese beziehungsloshintereinander geschaltet wären. Die Situation ist<strong>im</strong> Unternehmen aber insoweit eine andere, als Führungskräfte,rechtlich gesehen, als Organe die Pflichten des Unternehmenszu erfüllen haben, zu denen auch Pflichten zur Gefahrbeherrschungzählen. Zum anderen kommt ihnen – rein tatsächlich– eine Einflussmöglichkeit in Form der Organisationsmachtsowie der Direktionsbefugnis zu. In diesen Zusammenhängendient das <strong>Verantwortung</strong>sprinzip dazu, Zuständigkeitenbe<strong>im</strong> Handeln mehrerer Personen zu regeln undVerantwortlichkeiten abzugrenzen. Die Umsetzung des <strong>Verantwortung</strong>sprinzips<strong>im</strong> Unternehmen erfolgt dabei dergestalt,dass die pr<strong>im</strong>ären Pflichten durch das Unternehmen zuerfüllen sind und sich davon Pflichten der Organe sowieuntergeordneter Mitarbeiter ableiten. 4 Dies setzt voraus, dassdas Unternehmen selbst als Adressat <strong>strafrechtlicher</strong> Normenanzusehen ist, was grundsätzlich der Fall sein dürfte. 5 DieÜbertragung von Pflichten führt zwar ein Stück weit auch<strong>im</strong>mer zur Haftungsvermeidung be<strong>im</strong> Übertragenden. Dies istaus <strong>strafrechtlicher</strong> Sicht, abgesehen von den verbleibendenKontrollpflichten, jedoch hinzunehmen.Richtigerweise kann man allerdings nicht davon sprechen,dass das Organ „für das Verhalten“ des Mitarbeiters bestraftwird. Vielmehr geht es um eine Verletzung des eigenen <strong>Verantwortung</strong>sbereichs.III. Aktives TunSoweit die Tätigkeit der Führungskraft als aktives Tun einzuordnenist, ist die Begründung <strong>strafrechtlicher</strong> <strong>Verantwortung</strong>vergleichsweise unproblematisch. Lässt sich beispielsweiseein Beschluss des Vorstands feststellen, der die Anweisungzu einer strafrechtlich relevanten Handlung enthält, liegt dort2 Kühl, Strafrecht, Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2008, § 4Rn. 84; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch,Kommentar, 28. Aufl. 2010, Vor § 13 Rn. 101/101a.3 Vgl. dazu Lenckner/Eisele (Fn. 2), § 13 Rn. 101c.4Mittelsdorf, Unternehmensstrafrecht <strong>im</strong> Kontext, 2007,S. 52 ff.5 Vgl. dazu <strong>im</strong> Einzelnen Schroth, Unternehmen als Normadressatenund Sanktionssubjekte, 1993; Mittelsdorf (Fn. 4),S. 52 ff._____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com123


<strong>Zur</strong> <strong>Reichweite</strong> <strong>individueller</strong> <strong>strafrechtlicher</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>im</strong> Unternehmen_____________________________________________________________________________________dadurch, dass er die Handelsvertreter in gutem Glauben hielt.Hervorzuheben sind zwei Punkte: Zum einen zeigt sich eineAbweichung zur Auffassung von Roxin, der das Konzept nurauf rechtsgelöste Organisationen beschränkt. Solches wirdman bei einem betrügerischen Anlagemodell <strong>im</strong> Regelfallnicht behaupten können. Zum anderen kommt es nach Auffassungdes BGH nicht darauf an, ob der Tatmittler doloshandelt oder gutgläubig, trotzdem wird der Gutgläubigkeitverstärkende Wirkung <strong>im</strong> Hinblick auf die Tatherrschaftzugewiesen. Offen bleibt insoweit, ob der BGH auch ohnedieses Moment zur mittelbaren Täterschaft gelangt wäre.Der 1. Strafsenat hat mit einem Urteil vom 3.7.2003 14mittelbare Täterschaft in einem Fall des unbefugten In-Verkehr-Bringens von Arzne<strong>im</strong>itteln durch einen Tierarztangenommen, der hierzu auch seine angestellten Tierärzteanhielt. Voraussetzung für die Annahme mittelbarer Täterschaftsoll danach lediglich sein, dass der Täter best<strong>im</strong>mteRahmenbedingungen durch Organisationsstrukturen schafft,die regelhafte Abläufe auslösen. Damit hat der BGH dasKriterium der Austauschbarkeit der jeweiligen Tatmittlerpraktisch aufgegeben. Die so begründete Tatherrschaft bestehteinzig darin, dass dem Hintermann ein Direktionsrechtzusteht und Mitarbeiter sich üblicherweise an diese Anweisungenhalten.Insgesamt scheinen die ursprünglich aufgestellten Kriteriendamit deutlich ausgeweitet zu werden, was sicherlich gutals Beleg für die Ausweitung <strong>strafrechtlicher</strong> Kriterien inWirtschaftsunternehmen insgesamt seit der Ledersprayentscheidung15 betrachtet werden kann. Aus unternehmens<strong>strafrechtlicher</strong>Perspektive stellt sich die Frage, ob es sich dabeium eine sinnvolle <strong>Verantwortung</strong>szuschreibung handelt.Bedenkt man, dass bei den genannten BGH-Entscheidungenin der Regel arbeitsteilige Prozesse mit funktioneller Differenzierungzu betrachten sind, scheint mir die Lösung überdie mittelbare Täterschaft und insbesondere die angenommeneTatherrschaft zweifelhaft. Nur soweit die Eigenverantwortlichkeitdes Tatmittlers tatsächlich eingeschränkt ist,sollte vor dem Hintergrund des <strong>Verantwortung</strong>sprinzips mittelbareTäterschaft angenommen werden. Anderenfalls kannman von einer Tatherrschaft des Hintermanns kaum sinnvollsprechen. Mittäterschaft oder Anstiftung scheinen hier bessereLösungen zu bieten.Der 2. Strafsenat des BGH hat in einer Entscheidung ausdem Jahr 2007 16 bekräftigt, dass mittelbare Täterschaft <strong>im</strong>Sinne eines Organisationsdelikts in Betracht komme, wennein Hintermann staatliche, unternehmerische oder geschäftsähnlicheOrganisationsstrukturen ausnutze, innerhalb derersein Tatbeitrag regelhafte Abläufe auslöse. Handle der Hintermannin Kenntnis dieser Umstände, nutze er die unbedingteBereitschaft des unmittelbar Handelnden aus, den Tatbestandzu erfüllen, und wolle er den Erfolg als Ergebnis seinesHandelns, dann habe er die Tatherrschaft inne. Insbesonderekomme mittelbare Täterschaft in Betracht, wenn der räumliche,zeitliche und hierarchische Abstand zwischen der die14 BGH NStZ 2004, 457.15 BGHSt 37, 106.16 BGH NStZ 2008, 89.Befehle verantwortenden Organisationsspitze und den unmittelbarHandelnden gegen arbeitsteilige Mittäterschaft spreche.Im entschiedenen Fall war danach Mittäterschaft anzunehmen,auf die Frage der Ausnutzung einer best<strong>im</strong>mtenOrganisation kam es nicht mehr an. Diesem Urteil ist zuzust<strong>im</strong>men.Für die mittelbare Täterschaft ist von vorne hereinkein Raum, wenn es nicht um die Schaffung oder Aufrechterhaltungvon Organisationen geht, aus denen heraus Straftatenbegangen werden, sondern lediglich zwei Personen an derSpitze eines Unternehmens oder in benachbarten Hierarchieebenenzusammenarbeiten. Damit wäre <strong>im</strong> Übrigen auch derTierarztfall zu lösen gewesen.Abschließend hierzu stellt sich die Frage, ob bei fehlendenVoraussetzungen für Mittäterschaft und mittelbare TäterschaftAnstiftung angenommen werden kann. Auch hier verbietetsich jedoch jeglicher Automatismus. Nicht jede verhindertemittelbare Täterschaft mangels Strafbarkeitsdefizit desMitarbeiters führt zu einer Anstiftung unterer Ebenen. Vielmehrist davon auszugehen, dass mit zunehmender Dezentralisierungund angesichts der Komplexität von Unternehmenkaum noch eine konkrete Anstiftungshandlung einerseits undein Hervorrufen des Tatentschlusses be<strong>im</strong> Haupttäter andererseitsfestzustellen sein wird.Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Führungskräftehäufig dann für strafbares Verhalten von Mitarbeiternbei aktivem Tatbeitrag verantwortlich gemacht werdenkönnen, wenn ein arbeitsteiliges Handeln mit einemMitarbeiter vorliegt oder klare Anweisungsstrukturen zurBestrafung nach Anstiftungskriterien führen. Die Entwicklungder Rechtsfigur der mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaftscheint in der Rechtsprechung noch nichtabgeschlossen.IV. Strafbarkeit durch UnterlassenDen zweiten Schwerpunkt der Thematik <strong>strafrechtlicher</strong>Verantwortlichkeit für das Verhalten von Mitarbeitern bildenFälle, in denen Straftaten von Mitarbeitern zwar nicht aktivgefördert, aber auch nicht verhindert wurden.In den Blickpunkt geraten damit die so genannten unechtenUnterlassungsdelikte, d.h. die Verursachung eines strafrechtlichenErfolges (z.B. in Form einer Körperverletzungoder Vermögensschädigung Dritter) durch Mitarbeiter beiUntätigkeit der Führungskräfte. Dabei können sich bei fastallen Voraussetzungen des unechten Unterlassungsdelikts inGroßunternehmen Probleme ergeben, insbesondere bei derIdentifizierung einer konkreten Gegensteuerungsmaßnahmebei sich langsam entwickelnden Gefahren, der Frage derQuasi-Kausalität des Unterlassens für den eingetretenen Erfolgsowie be<strong>im</strong> Vorsatz. Im Fokus der aktuellen Diskussionsteht jedoch die Frage nach der notwendigen Garantenpflicht<strong>im</strong> Sinne des § 13 StGB.Im Rahmen der Garantenpflichten wird zwischen Pflichten,die auf dem Gedanken des Schutzes best<strong>im</strong>mter Rechtsgütergegen sämtliche Gefahren beruhen, und Pflichten, diedie Sicherung besonderer Gefahrenquellen zum Gegenstand_____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com125


<strong>Zur</strong> <strong>Reichweite</strong> <strong>individueller</strong> <strong>strafrechtlicher</strong> <strong>Verantwortung</strong> <strong>im</strong> Unternehmen_____________________________________________________________________________________gen. Die verantwortliche Anstalt des öffentlichen Rechtsunterhielt eine Projektgruppe, die die Tarife für die Anliegerfestlegte, und deren Vorsitzender der Angeklagte in der Periode1999/2000 war. Er war außerdem Leiter der Innenrevisionsowie Leiter der Rechtsabteilung. In der Abrechnungsperiode1999/2000 wurden die Tarife versehentlich unter Einbeziehungder Kosten anliegerfreier Straßen kalkuliert. Späterwurde der Fehler bemerkt und war dem Angeklagten bekannt.Die nächste Kommission, der der Angeklagte nichtmehr angehörte, aber an deren Sitzungen er gelegentlichteilnahm, best<strong>im</strong>mte auch für die Periode 2001/2002 einenfalschen Tarif unter Fortsetzung des Fehlers und zwar unterAnweisung eines Mitangeklagten.Der BGH hat die Verurteilung zur Beihilfe zum Betrugdurch Unterlassen durch das Landgericht bestätigt. Er hatsich zunächst mit der Frage einer Garantenpflicht aus Ingerenzauseinandergesetzt und insoweit ausgeführt, dass derFehler in der Periode 1999/2000 keine nahe liegende Gefahrfür eine Fortsetzung des Fehlers in der Folgeperiode beinhaltete.Sodann leitet der BGH eine Garantenstellung des Angeklagtenaus der Übernahme einer Pflichtenposition <strong>im</strong> Rahmendes Unternehmens her. Der BGH führt weiter aus: „DieEntstehung […] folgt aus der Überlegung, dass demjenigen,dem Obhutspflichten für eine best<strong>im</strong>mte Gefahrenquelleübertragen sind, dann auch eine Sonderverantwortlichkeit fürdie Integrität des von ihm übernommenen <strong>Verantwortung</strong>sbereichstrifft“.Entscheidend sei der konkrete Pflichtenkreis, den der jeweiligeMitarbeiter übernommen habe. Dabei soll es daraufankommen, ob der Beauftragte Pflichten dergestalt hat, dasser vom Unternehmen ausgehende Rechtsverstöße zu beanstandenund zu verhindern hat und nicht nur dafür zuständigist, unternehmensinterne Prozesse zu opt<strong>im</strong>ieren und gegendas Unternehmen gerichtete Pflichtverstöße zu bekämpfen. InWirtschaftsunternehmen sei dies jedenfalls für die sogenanntenCompliance Officer der Fall. Die bloße Stellung als Leiterder Innenrevision oder Leiter der Rechtsabteilung soll dagegen<strong>im</strong> Allgemeinen nicht genügen. Dies war nur <strong>im</strong> vorliegendenFall anders, weil es sich bei dem Unternehmen umeine Anstalt des öffentlichen Rechts handelte.Bemerkenswert ist zunächst, dass der BGH den Fall eineröffentlich-rechtlichen Anstalt zum Anlass genommen hat, zurGarantenstellung in Wirtschaftsunternehmen Stellung zubeziehen. Dabei mutet es bedenklich an, dass der BGH dieObhuts- und Sicherungspflichten zu vermischen scheint. Inder Tat führt der BGH aus, der Unterscheidung komme keinwesentliches Gewicht zu, weil die Überwachungspflichtgerade dem Schutz von Rechtsgütern Dritter diene. Allerdingsmacht die Unterscheidung durchaus Sinn, denn dieGarantenpflicht folgt nicht aus einer Schutzpflicht für einenunbegrenzten Kreis von Dritten, sondern aus der Beherrschungeiner betrieblichen Gefahrenquelle gegenüber alldenjenigen, die in Kontakt zu dieser Gefahr treten. Nur insoweithat jede Sicherungspflicht auch den Schutz von Rechtsgüternzum Gegenstand, die mit der Gefahr in Berührunggeraten.Auch die Ausführungen zur Übernahme einer Pflichtenpositionscheinen den richtigen Anknüpfungspunkt zu verschleiern.Der BGH begründet die Garantenpflicht aus dertatsächlichen Übernahme eines Pflichtenkreises ohne dieBeantwortung der Frage, von wem diese Pflicht übernommenwerden soll. Letztlich kommt dabei nur das Unternehmenselbst in Betracht, von welchem die Pflichten sodann aufeinzelne Führungskräfte und Mitarbeiter abzuleiten sind.Zum Inhalt der Pflichten hat der BGH darauf abgestellt, obder Zweck der Beauftragung auch darin besteht, vom Unternehmenausgehende Verstöße zu unterbinden, oder der Mitarbeiterlediglich – wie beispielsweise die Innenrevision –den Schutz der Unternehmensrechtsgüter zu verantwortenhat. Die Pflicht des Mitarbeiters muss also, um von einerÜbertragung der Garantenstellung ausgehen zu können, Außenwirkunghaben. Ob dies <strong>im</strong> Einzelfall für den ComplianceOfficer der Fall ist, sollte allerdings einer Einzelfallprüfungvorbehalten bleiben. Denn aufgrund der Vielgestaltigkeit vonCompliance-Abteilungen erscheinen diese nicht per se vergleichbarmit Garanten, die beispielsweise kraft Gesetzes(wie als Beauftragter für den Gewässerschutz nach demWHG) einen best<strong>im</strong>mten Pflichtenkreis übernommen haben.V. Weitere SanktionsmöglichkeitenAußerhalb der erörterten Strafbarkeitsmöglichkeiten ist vorallem an Fahrlässigkeitsdelikte zu denken. Voraussetzungeneiner Fahrlässigkeitstat sind, verkürzt dargestellt, die Sorgfaltspflichtverletzungdes Organs und die Voraussehbarkeitdes Erfolgs, z.B. einer Körperverletzung durch Produktgefahrenoder illegale Abfallbeseitigungsmaßnahmen. Die Bedeutungder Fahrlässigkeitsdelikte liegt vor allem dort, wo derVorsatz von Führungskräften nicht nachweisbar ist. Aberauch soweit man die Sorgfaltspflichtverletzung in einer unzureichendenOrganisation selbst sieht, ist ein weites Feld fürmögliche Strafbarkeiten eröffnet. Auch hier darf jedoch dasPrinzip der Eigenverantwortung nicht außer Acht gelassenwerden. Außerdem ist <strong>im</strong> Rahmen der Kausalität kritisch zuprüfen, ob ohne die Sorgfaltspflichtverletzung eine Rechtsgutsverletzungnicht entstanden wäre.Für Führungskräfte kommt schließlich eine Bebußungnach § 130 OWiG in Frage. Diese Haftung knüpft nicht andem vom Mitarbeiter geschaffenen Unrecht, sondern an dieGefährlichkeit der unzureichenden Organisation selbst an.Die Tat des Mitarbeiters ist bloße objektive Bedingung derStrafbarkeit. Praktischer Vorteil der Best<strong>im</strong>mung ist der Verzichtauf einen Kausalzusammenhang zwischen unzureichenderOrganisation und der begangenen Tat. Es genügt, dass dieZuwiderhandlung bei gehöriger Organisation wesentlicherschwert worden wäre. Wie die Organisation <strong>im</strong> Einzelnenauszusehen hat, kann hier jedoch nicht vertieft werden.VI. ZusammenfassungOrgane und leitende Angestellte setzen sich einem erheblichenStrafverfolgungsrisiko aus, wenn sie rechtswidrigesVerhalten ihrer unterstellten Mitarbeiter fördern oder nurdulden. In der Praxis sind einer Bestrafung <strong>im</strong> Einzelfalldennoch häufig Grenzen gezogen, wobei die Haftungsvermeidungdurch Delegierung der <strong>Verantwortung</strong>, Probleme_____________________________________________________________________________________Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik – www.zis-online.com127


Kathleen Mittelsdorf_____________________________________________________________________________________be<strong>im</strong> Vorsatz oder schlicht die Defizite bei der Ermittlungund Durchführung des Strafverfahrens <strong>im</strong> Unternehmen zunennen sind. Daher ändert dieser Befund nichts daran, dassman auch weiterhin von organisierter Unverantwortlichkeit<strong>im</strong> Unternehmen sprechen kann und ein Unternehmensstrafrecht<strong>im</strong> Sinne einer Bestrafung von Unternehmen diskutiertwerden muss._____________________________________________________________________________________128<strong>ZIS</strong> 3/2011

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