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ainald_<strong>von</strong>_<strong>dassel</strong>:<strong>Layout</strong> 1 26.10.2007 12:14 Uhr Seite 4<br />
Inhalt<br />
Geleitwort der Stadt Dassel 5<br />
Vorwort 7<br />
Topographische, wirtschaftliche und strategische Voraussetzungen<br />
für das Entstehen <strong>von</strong> Stadt und Grafschaft 9<br />
Wohn- und Lebensverhältnisse in Dassel zur Zeit des frühen Mittelalters 13<br />
Genealogie der Grafen <strong>von</strong> Dassel 21<br />
Rainald <strong>von</strong> Dassel, ein Emporkömmling aus dem Dasseler Grafengeschlecht 25<br />
Kindheit und Jugend 25<br />
Der Aufstieg: Vom Dompropst zum Reichskanzler 31<br />
Persönlichkeitsprofile <strong>von</strong> Kaiser und Kanzler<br />
In diplomatischer Mission: Interessenausgleich zwischen<br />
42<br />
Welfen und Babenbergern, zweiter Italienfeldzug 50<br />
Erzbischof <strong>von</strong> Köln und Erzkanzler <strong>von</strong> Italien<br />
Überführung der Reliquien der Heiligen Drei Könige<br />
64<br />
und Heiligsprechung Karls des Großen 74<br />
Vierter Italienfeldzug und die Schlacht bei Tuskulum 83<br />
Rainalds Tod 89
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Geleitwort der Stadt Dassel<br />
Sehr geehrte Leserin, sehr geehrter Leser,<br />
in diesem Buch wird das Leben und Wirken des Rainald <strong>von</strong> Dassel aus der besonderen<br />
Sicht der Stadt und Region Dassel betrachtet. Wie kommt es, dass uns diese Persönlichkeit<br />
über Jahrhunderte hinweg fasziniert?<br />
Bei dem Grafengeschlecht derer „<strong>von</strong> Dassel“ handelt es sich in den Jahren um 1100<br />
um Aufsteiger. Nach den Wirren des Untergangs des Römischen Reiches und der ersten<br />
festen Staatsmacht des fränkischen Reiches unter Karl dem Großen bricht eine<br />
neue Zeit an.<br />
Das Ostfränkische Reich bildete die Basis für das in Europa lange dominierende „Heilige<br />
Römische Reich Deutscher Nation“. Es sind die Gründerjahre für Deutschland.<br />
In diesem Kontext entsteht in Dassel scheinbar aus dem Nichts eine Grafschaft und<br />
der zweite Sohn des ersten – nachweisbaren – Grafen wird Reichskanzler bei einem<br />
der bedeutendsten Kaiser der Deutschen. Dieser Friedrich Barbarossa strahlt durch die<br />
Geschichte und genauso leuchtet sein kluger Ratgeber, Reichskanzler und Erzbischof<br />
<strong>von</strong> Köln.<br />
Es freut mich, dass der Autor ein Buch über diesen bedeutenden „Dasseler Bürger“ geschrieben<br />
und damit einen wichtigen Bereich der Dasseler Historie aufgearbeitet hat.<br />
Gerhard Melching<br />
Bürgermeister Stadt Dassel.<br />
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Vorwort<br />
Die Schulen der Stadt Dassel tragen die Namen höchst berühmter Zeitgenossen. Während<br />
das Gymnasium sich nach dem evangelischen Liederdichter Paul Gerhardt<br />
benannt hat, haben die anderen Schulen mit Wilhelm Busch und Rainald <strong>von</strong> Dassel<br />
Persönlichkeiten gewählt, die Bezug zur Heimatregion haben, aber dennoch <strong>von</strong> überregionaler<br />
Bedeutung sind.<br />
Von dem Namenspatron meiner ehemaligen Schule hatte ich, da mich zunächst<br />
einmal die unterschiedliche Schreibweise und die geringe Kenntnis seiner Person im<br />
eigenen Haus ärgerte, eine Kurzbiographie verfaßt und unter seinem Portrait anbringen<br />
lassen. Es freut mich, dass sie auf die neu gestaltete Internetseite der Rainald<br />
- <strong>von</strong> - Dassel - Schule mit übernommen wurde.<br />
An Rainald <strong>von</strong> Dassel hatte mich eigentlich weniger sein historischer Bezug zu Dassel<br />
interessiert, vielmehr war es sein beispielloser Aufstieg in das politische Machtzentrum<br />
des Heiligen Römischen Reiches. Als Reichskanzler unter Friedrich<br />
Barbarossa gestaltete er gewandt und instinktsicher die Geschicke eines Reiches <strong>von</strong><br />
europäischem Zuschnitt. Das war für mich Grund genug, den ungewöhnlichen<br />
Lebensweg dieser überragenden politischen Persönlichkeit aus dem Mittelalter einmal<br />
mit der Muße des Ruheständlers etwas gründlicher zu betrachten.<br />
Die bekannte Schriftstellerin Richarda Huch nannte ihn einmal den bedeutendsten<br />
Staatsmann seiner Zeit, der die Reichsidee noch einmal mächtig vertrat und verwirklichte.<br />
Und einer der herausragenden Schriftsteller unserer Zeit, der Italiener<br />
Umberto Eco, uns allen bekannt durch seinen Roman „Im Namen der Rose“, hat dem<br />
Emporkömmling aus Dasseler Grafengeschlecht in seinem neuesten Historienroman<br />
„Baudolino“ eine angemessene Rolle zugedacht. Seine Einschätzungen sollen da, wo<br />
sie in einem entsprechenden historischen Kontext stehen, in die vorliegende Bio graphie<br />
mit eingehen, um so die trockenen Daten und Fakten zur Person des großen<br />
Dasselers literarisch aufzulockern.<br />
Hubertus Zummach<br />
7
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8<br />
Dassel, um 1500
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Topographische, wirtschaftliche und strategische<br />
Voraussetzungen für das Entstehen <strong>von</strong> Stadt und Grafschaft<br />
Unser heimisches Weserbergland, das vom Harz bis an die obere Weser reicht, ist in<br />
seiner Topographie gekennzeichnet durch ausgedehnte Bergformen, deren Hochebenen<br />
und zum Teil flach aufgewölbten Senken. In Abgrenzung gegen Talhänge,<br />
Wald bestandene Höhenrücken und umgreifende Bergzüge, ergibt sich eine Vielfalt<br />
<strong>von</strong> kleinen und kleinsten Einzellandschaften.<br />
Die den Dasseler Siedlungsraum prägende Landschaftsform folgt der Leinesenke,<br />
die geformt ist <strong>von</strong> breiten Flußauen und weiten Talhängen. Diese Talsenke findet<br />
ihren nördlichen Abschluß in dem nach Nordwesten gerichteten Ilmebecken. Mit<br />
einer Länge <strong>von</strong> etwa 20 km und einer Breite <strong>von</strong> ungefähr 13 km erstreckt sich das<br />
Ilmebecken als flachwelliges Senkungsfeld vom linken Rand des Leinegrabens gegen<br />
das Hochgebiet des Sollings.<br />
Innerhalb dieses Beckens bilden die Einbeck-Markoldendorfer Mulde und die<br />
sich nach Westen anschließende Dasseler Börde zwei eigenständige Landschaftsformen.<br />
Verglichen mit den wesentlich großräumigeren Bördelandschaften um Hildesheim<br />
und Magdeburg ist die Dasseler Börde mit 5 km Länge und doppelter Breite<br />
eher eine eng begrenzte Mulde in dem Mosaik <strong>von</strong> kleinen Einzellandschaften des<br />
Weserberglandes. Aber bereits um 1350 wird sie als „Desselsgen Borde“ urkundlich erwähnt<br />
und noch im 19. Jahrhundert ist der Begriff „Ober-Börde“ für einen selbständigen<br />
Siedlungsraum geläufig.<br />
Umschlossen wird die Dasseler Börde <strong>von</strong> umliegenden Bergzügen, die mit einer<br />
Durchschittshöhe <strong>von</strong> 300 m das Gebiet der Kernstadt um 150 m überragen. Wobei<br />
das geschlossene Waldgebiet des Sollings den Siedlungsraum nach Westen abschließt.<br />
Als Sollingausläufer umgreifen die Amtsberge mit Rothenberg und Bierberg im Norden<br />
und Speer- und Burgberg im Süden den Landschaftsraum zangenförmig nach<br />
Osten hin und begrenzen ihn so gegen die angrenzende Einbeck-Markoldendorfer<br />
9
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Dassel<br />
Mulde. Der Durchbruch der Ilme zwischen Bier- und Burgberg, eine torartige Öffnung<br />
<strong>von</strong> etwa 1 km Breite im Muschelkalkzug beider Berge, bildet die sogenannte<br />
„Dasseler Pforte“.<br />
Was diesen kleinen, in sich geschlossenen Raum als Siedlungsgebiet auszeichnet,<br />
ist der fruchtbare Lößboden, der teilweise eine Mächtigkeit <strong>von</strong> bis zu 8 m erreicht.<br />
Die hervorragenden Bodenverhältnisse werden noch durch die wasserreiche Ilmeniederung<br />
und eine geschützte Hanglage zum Solling hin begünstigt. Zusammen mit<br />
dem Holzreichtum der umliegenden Wälder boten sich hier nahezu ideale Voraussetzungen<br />
für eine frühe Besiedlung. Dies bestätigen entsprechende Funde aus der<br />
Jungsteinzeit.<br />
Obwohl auf Grund dieser Funde da<strong>von</strong> auszugehen ist, dass Dassel zu einer der<br />
ältesten Siedlungen in Südniedersachsen gezählt werden muß, läßt sich eine durchgehende<br />
Besiedlung nicht nachweisen. Für etwa 1000 Jahre, <strong>von</strong> der Bronzezeit bis in<br />
die karolingische Epoche, fehlt bisher jeder Besiedlungsnachweis.<br />
„Dassel ist ein uralt’ Städtchen, und ward im Jahre 447 gebaut.“ Wenn wir dieser Aussage<br />
in der „Sachsenchronik“ des Abel Glauben schenken wollten, hätte Dassel bereits<br />
1947 sein 1500-jähriges Bestehen feiern können. Auch die Behauptung <strong>von</strong><br />
Friedrich Herrnkind, dass Dassel seine Entstehung dem angesehenen Grafengeschlecht<br />
derer <strong>von</strong> Dassel verdankt, das bereits vor der Zeit Karls des Großen (786 –<br />
814) Inhaber der Grafschaft war, kann zumindest urkundlich nicht belegt werden. 1<br />
Vielmehr dürfte die urkundlich nachgewiesene Wiederbesiedlung der Dasseler Börde<br />
im frühen Mittelalter, die hier bis zum 11. Jahrhundert nicht weniger als dreizehn<br />
Ortschaften hervorgebracht hat, die Begehrlichkeiten der vormals edelfreien Emporkömmlinge<br />
geweckt haben.<br />
Sicher ist ihnen dabei auch nicht die besonders günstige strategische Lage dieses<br />
aufblühenden Siedlungsraumes entgangen. Die umliegenden Berge, hier insbesondere<br />
die Amtsberge, luden ein zum Bau einer Höhenburg, <strong>von</strong> der aus sich der Siedlungsraum<br />
bestens kontrollieren und notfalls verteidigen ließ.<br />
Von der Karolingerzeit bis ins Hochmittelalter waren die West-Ost-<br />
Verbindungen <strong>von</strong> besonderer Bedeutung. So etwa der „Hellweg“, der vom Rhein (bei<br />
Duisburg), über Dortmund, Soest nach Paderborn und weiter über Höxter, Goslar,<br />
Halberstadt nach Magdeburg führte. Diese Straßenverbindungen, die, wenn sie nicht<br />
den soliden Fundamenten alter Römerstraßen folgten, während des gesamten Mittelalter<br />
in einem fürchterlichen Zustand waren, dienten als die wichtigsten „Kom-<br />
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Voraussetzungen für das Entstehen <strong>von</strong> Stadt und Grafschaft<br />
munikationswege“. Sie waren unentbehrlich für die Verwaltung des Reichsgebietes.<br />
An ihnen lagen die Kaiserpfalzen, die den „Wanderkönigen(Kaisern)“ des Mittelalters<br />
als zeitweilige Residenzen dienten. In unserer Region war es die altberühmte<br />
Pfalz zu Goslar, wo sich die Herrscher des Mittelalters bei ihren Inspektionsreisen<br />
durch das Reichsgebiet mit ihrem Hofstaat aufhielten. Aus diesen Pfalzen gingen<br />
dann später die ältesten Reichsstädte hervor. Der Verlauf dieser „Kommunikationswege“<br />
war übrigens meistens so festgelegt, dass durch sie keine Siedlungsflächen<br />
durchschnitten wurden. Auch vermied man grundlose und sumpfige Gebiete. Wo<br />
möglich, führte man die Wege an Berghängen entlang. Aus „Helle“=Hang leitete sich<br />
auch die Bezeichnung dieser Wege ab. Und neben dem bereits beschriebenen großen<br />
„Hellweg“ gab es auch in unserer Region diverse kleinere und kürzere „Hellwege“.<br />
Im Mittelabschnitt des „Großen Hellweges“ <strong>von</strong> Duisburg via Magdeburg, dessen<br />
westlicher Teil bereits <strong>von</strong> den Römern erstellt wurde, befinden sich wenige Kilometer<br />
südlich entlang einer Ost-West-Achse die Städte Holzminden, Dassel und<br />
Einbeck. Sie waren lange Zeit verbunden durch die „Alte Einbecker Straße“, einem<br />
Verkehrs- und Kommunikationsweg <strong>von</strong> überörtlicher Bedeutung. Noch heute wird<br />
die Bezeichnung „Alte Einbecker“ in den Revierkarten des Sollings geführt. Und die<br />
Straßenführung ist etwa im Revierteil Merxhausen noch gut erkennbar.<br />
Unter Auslassung der Orte Bevern, Lobach, Arholzen, Deensen und Heinade<br />
führte sie im Solling über den Sommerberg und die Sonnenköpfe nach Schießhaus.<br />
Von dort gelangte man über Merxhausen nach Mackensen. Von hier aus führte sie<br />
am Fuß des Rothenberges als sogenannter Burgweg nach Dassel, um dann durch die<br />
Dasseler Pforte über den Bollas, einer Verballhornung aus Bohlweg, eines mit senkrecht<br />
in den Boden getriebenen Holzbohlen befestigten Weges, die Einbecker Landstraße<br />
zu erreichen.<br />
Im frühen Mittelalter, noch vor Nutzung der „Alten Einbecker Straße“, war der<br />
„Dasseler Hellweg“ die einzige Straße <strong>von</strong> überregionaler verkehrspolitischer Bedeutung.<br />
Sie führte durch das heutige Dasseler Neubaugebiet (Dichterviertel) vor dem<br />
Solling nordwestwärts in sicherer Höhenlage nach Corvey. Von hier aus ging es weiter<br />
in Richtung Paderborn, wo wieder Anschluß an den „Großen Hellweg“ bestand.<br />
Straßen, <strong>von</strong> überörtlicher Bedeutung wie etwa der „Große Hellweg“ oder die<br />
dann dem Leinetal folgende Einbecker Straße wurden im Mittelalter auch „via regis“<br />
genannt, weil die mit ihrem Hofstaat reisenden Kaiser und Könige sie als Verbindungsstraßen<br />
zu ihren Pfalzen benutzten. Neben den wenigen für die Schiffahrt zu<br />
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Dassel<br />
nutzenden Wasserwegen, waren es vor allen Dingen die Straßen und Wege über die<br />
der gesamte Reiseverkehr, der Fern- und Binnenhandel und die Nachrichtenübermittelung<br />
getätigt wurden.<br />
Dassel lag, und das bestätigt die relativ frühe Verleihung der Stadtrechte, in einer<br />
für das Mittelalter durchaus günstigen landschaftlichen und geostrategischen Ausgangslage.<br />
Um das Jahr 1000 gab es in ganz Mitteleuropa nur 200 bis 300 Städte; wobei<br />
Städte wie zum Beispiel Hamburg mit einer Einwohnerzahl <strong>von</strong> 10 000 zu den Großstädten<br />
gezählt wurden. Dass Dassel in späteren Zeiten aus seiner günstigen Lage kein<br />
Kapital schlagen konnte und über den Status einer Kleinstadt nie hinaus kam, steht<br />
vielleicht auch in einem Zusammenhang mit dem Aufstieg und Ende der Dasseler<br />
Reichsgrafen. Doch bevor wir uns ihnen zuwenden, soll zuvor ein Blick auf das Leben<br />
der Dasseler zur Zeit des Mittelalters geworfen werden.<br />
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Wohn- und Lebensverhältnisse in Dassel zur Zeit<br />
des frühen Mittelalters<br />
Als „villa Dassila“ wird Dassel erstmals 866 n.Chr. urkundlich erwähnt. Es darf aber<br />
da<strong>von</strong> ausgegangen werden, dass eine Ortschaft, wenn sie erstmalig urkundlich benannt<br />
wird, bereits eine ganze Weile bestanden hat. Die schriftlichen Überlieferungen<br />
, die für Dassel in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts einsetzen, sind dann in<br />
der Folge zunächst sehr lückenhaft, lassen aber in der Wandlung des Ortsnamens <strong>von</strong><br />
„Dassila“ über „Daschala (1022), „Dassele“(1157), „Dassela“ (1161) bis hin zu „Dasle“<br />
(1183) eine allmähliche Angleichung an die heutige Schreibweise erkennen.<br />
In der erstmaligen Erwähnung des Ortes weist die Nachsilbe „-ila“ auf die Gruppe<br />
der altdeutschen Flußnamen hin. Dieser Fluß ist in unserem Fall der eher bescheidene<br />
Spüligbach, der aus Mackensen kommend, durch Dassel fließt. Der kleine Wasserlauf<br />
wurde erst in späterer Zeit auf „Spülig“ umbenannt.<br />
Die „villa Dassila“ war im frühen Mittelalter ein Dorf und blieb es auch in der gesamten<br />
Zeit der Reichsgrafenschaft derer <strong>von</strong> Dassel. Man darf wohl da<strong>von</strong> ausgehen,<br />
dass sich bereits im 9. Jahrhundert ein befestigter Adelshof im Kernbereich des<br />
Ortes befunden hat. Wahrscheinlich war es einer der vielen Ritter- und Freiensitze,<br />
die Karl der Große für fränkische Edelgeschlechter im Zuge seiner Eroberungskriege<br />
gegen die Sachsen in deren Stammland anlegen ließ, um seine Herrschaft dauerhaft<br />
zu sichern. Obwohl <strong>von</strong> vielen Historikern unterstellt wird, dass das Dasseler Grafengeschlecht<br />
<strong>von</strong> sächsischem Geblüt gewesen sei, spricht das plötzliche Auftauchen<br />
eines bis dato unbekannten edelfreien Geschlechtes in unserem Raum durchaus auch<br />
dafür, dass es sich um fränkische Abkömmlinge handeln könnte.<br />
Wohnsitze solcher ritterbürtigen, fränkischen Edelfreien hießen <strong>von</strong> alters her „hus“.<br />
Diese Rittersitze beförderten zweifellos die dörfliche Ansiedlung. Orte mit Endungen<br />
auf „-husen“, was sich später abgeschliffen und verkürzt hat zu „-sen“, geben Hinweise<br />
auf solche frühen Herrensitze. Bei Ortsnamen wie Relliehausen, Sievershausen, Friedrichshausen,<br />
Hilwartshausen und Dörfern wie Mackensen, Amelsen, Deitersen, Eilensen,<br />
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Dassel<br />
Ellensen oder Hoppensen darf man vom Vorhandensein solch befestigter, ursprünglich<br />
fränkischer Herrensitze ausgehen. Die „villa Dassila“ war zu dieser Zeit gleichfalls nichts<br />
weiter als ein befestigter adliger Herrensitz mit einem darum gelagerten Dorf und damit<br />
ein Ort unter vielen in der Dasseler Börde.<br />
14<br />
Burg Hunnesrück als Amtssitz während der ersten Bischofszeit (1310-1523)
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Wohn- und Lebensverhältnisse zur Zeit des frühen Mittelalters<br />
Wo der ursprüngliche Adelssitz für Dassel zu lokalisieren ist, bleibt strittig.<br />
Schriftliche Überlieferungen wissen wenig über das „Slot to Dasle“ zu berichten.<br />
Auch die Lage der einstigen Stadtburganlage ist umstritten. In seiner 1965 aufgelegten<br />
„Geschichte der Stadt Dassel“ 2 , vermutet Dr. E. Plümer den einstigen Burgplatz<br />
dort, wo Namen wie Oelburg (Oleburg), Burgstraße oder Lilienplan einen konkreten<br />
Hinweis zu geben scheinen. Aber diese Vermutung ist weder durch bauliche Überreste<br />
noch andere Hinweise zu belegen. Auch seine Ableitung „ole Burg“ (alte Burg) aus<br />
Oelburg ist eher irreführend. Bei dem Gebäude in der Mühlenstraße handelte es sich<br />
ursprünglich um eine herrschaftliche Oelmühle.<br />
Wesentlich konkreter ist da die Zuordnung <strong>von</strong> Hans Mirus, dem vormaligen<br />
Konrektor der Rainald <strong>von</strong> Dassel Schule und Archivar der Stadt Dassel, der zu seinen<br />
Lebzeiten u.a. auch eine umfangreiche und detailierte Chronik der Stadtgeschichte<br />
vorgelegt hat. Bei Kanalisationsarbeiten konnte er im Bereich des Rauschenplatschen<br />
Herrenhauses alte Mauerreste freilegen, die sehr stark vermuten lassen, dass hier die<br />
Burganlage und der Siedlungskern der alten „villa Dassila“ zu suchen sind. Hierfür<br />
spricht auch die erhöhte Lage des Kirchplatzes in der unmittelbaren Nähe der vermuteten<br />
Anlage einer Stadtburg. Bereits im ausgehenden 10. Jahrhundert erfolgte<br />
hier die Gründung der St. Laurentius-Kirche, die erste Kirchengründung im Gebiet<br />
der Dasseler Börde überhaupt. Ob sie auf Veranlassung der Dasseler Edelfreien vorgenommen<br />
wurde, ist allerdings nicht belegt. Scheint aber wahrscheinlich, stieg doch<br />
die „villa Dassila“ damit zum Kirchdorf auf und gelangte somit zu überörtlicher Bedeutung.<br />
- Das Verdienst <strong>von</strong> Mirus ist es auch im Verein mit interessierten Schülern<br />
die Vermessung und Freilegung <strong>von</strong> Teilen der alten Höhenburg, dem „Hus to deme<br />
Hundesrucke“ Ende der fünfziger Jahre , vorgenommen zu haben. Auch deren Anfänge<br />
liegen im Dunklen.<br />
Fest steht, dass Dassel sowohl durch die befestigte Anlage in der Stadt, als auch<br />
durch die Höhenburg in den benachbarten Amtsbergen, allmählich zu einem zentralen<br />
Ort in der gleichnamigen Bördelandschaft avancierte. Im Schutz beider Befestigungsanlagen<br />
ließen sich nach und nach Handwerker und Gewerbetreibende nieder.<br />
Während die umliegenden Ortschaften auf der Stufe bäuerlicher Siedlungen stehen<br />
blieben, waren für Dassel die Weichen in Richtung Marktort und der später damit<br />
verbundenen Stadtrechte frühzeitig gegeben. Dennoch: die Lebensverhältnisse für<br />
diesen solchermaßen aufgewerteten Ort, der im Jahre 1022 zwölf bäuerliche Höfe<br />
zählt, dürften sich damit kaum verbessert haben. Dassel blieb noch lange in den Struk-<br />
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Dassel<br />
turen eines mittelalterlichen, <strong>von</strong> der Landwirtschaft geprägten Dorfes verhaftet.<br />
Kümmerlich, hart, entbehrungsreich, und für heutige Zeiten kaum vorstellbar,<br />
war das Leben vor allen Dingen auf dem Lande. Die Dorfanlage dürfte eine Art Haufendorf<br />
mit Gewannflur gewesen sein, das heißt, die einzelnen Abschnitte in der das<br />
Dorf umgebenden Gemarkung waren unter mehreren Besitzern streifenförmig aufgeteilt.<br />
Vergleichsweise wenig Ackerland wurde unter den Hakenpflug genommen<br />
und weiter mit Holzegge und Hacke bearbeitet. Vorherrschend war Wiesenland, das<br />
ursprünglich, wie der gemeinsame Waldbesitz, zur Allmende gehörte, also nach vorheriger<br />
Absprache anteilmäßig genutzt wurde. Zugtiere waren anfänglich Ochsen<br />
oder Kühe. Die Bestellung der Ackerflächen erfolgte nach Art der Dreifelderwirtschaft.<br />
Wobei die Bewirtschaftung der Feldflur im dreijährigen Wechsel vorgenommen<br />
wurde, das heißt auf Winter- und Sommergetreide folgte ein Jahr Brache. Wegen<br />
des im dreijährigen Turnus einzubeziehenden Brachfeldes mußte in der Bewirtschaftung<br />
daher jeweils eine Parzelle weitergerückt werden.<br />
Auch das Brachland wurde umgebrochen oder umgepflügt (nd. brâken=brechen),<br />
nachdem zuvor darüber ziehendes Vieh für eine spärliche Düngung gesorgt hatte. Im<br />
Dasseler Umfeld hat man wohl wegen des Anbaus sogenannter Handelsgewächse wie<br />
16<br />
Ländliche Arbeiten zur Zeit des frühen Mittelalters
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Wohn- und Lebensverhältnisse zur Zeit des frühen Mittelalters<br />
Zeitgenössische Darstellung <strong>von</strong> der Abgabe des Zehnten<br />
Flachs, Hopfen und Wein weitgehend auf die Dreifelderwirtschaft verzichtet. So findet<br />
man zum Beispiel das Wort Brâke = Brache auch in keinem der noch erhaltenen<br />
Flurnamen. 3 Dagegen geben alte, feste Standorte in der einstigen Feldflur wie Weinberg<br />
(bei Mackensen), Weinbleek (Dassel) und Hoppenberg (Dassel) Hinweise auf ein<br />
frühzeitiges Aufgeben der Dreifelderwirtschaft.<br />
Wo sich uns heute um Dassel eine großräumig bewirtschaftete Kulturlandschaft<br />
zeigt, finden wir im frühen Mittelalter um den unmittelbaren Wohnbereich des<br />
Ortes, um Höfe und Gärten, schmale Streifen aufgeteilten Ackerlandes. Um sich eine<br />
Vorstellung <strong>von</strong> der Größe dieser Äcker zu verschaffen, kann man das Wiesenland<br />
am Rothenberg zum Vergleich heranziehen. Etwa 40 solcher schmalen Ackerstreifen,<br />
in der mittelalterlichen Bezeichnung war dies die Größe einer „Wanne“, umfaßte die<br />
dortige Ackerfläche. Hier am Rothenberg findet sich für Dassel übrigens auch den<br />
einzige Hinweis auf eine Dreifelderwirtschaft.<br />
Ringförmig schloß sich an die landwirtschaftlich genutzten Flächen die genossenschaftlich<br />
genutzte Allmende mit Weide- und Waldflächen an. Auch die Flachs-<br />
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Dassel<br />
verarbeitung, die Köhlerei, sowie die Nutzung der Wasserkräfte zum Betrieb <strong>von</strong> Wassermühlen<br />
und zur Bewässerung der Felder wurde gemeinschaftlich betrieben.<br />
Die extensive Nutzung der Ackerflächen war ohnehin schon wenig ertragreich.<br />
Sie wurde zusätzlich gefährdet durch allerlei Wildgetier. Daher umgab man den<br />
Wohnbereich und die in Dorfnähe gelegenen Felder mit Flechtzäunen. In Waldnähe<br />
gelegenes Land wurde in unserer Gegend häufig durch eine Buntsandsteinmauer „eingekampt“,<br />
um Wildschäden zu vermeiden. So weisen etwa die Bezeichnungen „Nahriuskamp“<br />
( mdh. nârlik – nahrhaft ) oder noch direkter „Steinkamp“ für Dassel auf<br />
derartige Einfassungen hin.<br />
Die so geschmälerten Erträge aus Landwirtschaft und Viehhaltung erfuhren<br />
eine zusätzliche Einbuße durch Abgaben an den Grundherren. Ihm waren die<br />
grundhörigen Bauern mit den Liegenschaften „pflichtig,“ die sie <strong>von</strong> den Dasseler<br />
Adelsfamilien zu „Lehen“ bekommen hatten. Diese bäuerlichen Abhängigkeitsverhältnisse<br />
waren während des gesamten Mittelalters nicht nur innerhalb des<br />
Reichsgebietes recht unterschiedlich, sie wurden auch <strong>von</strong> den einzelnen Lehensherren<br />
nicht immer einheitlich gehandhabt. Allgemein üblich war die Abgabe des<br />
„Zehnten“ an Getreide und Vieh. Hinzu kamen Hand- und Spanndienste für den<br />
Grundherren an bestimmten Wochentagen. Starb ein Bauer, mußte das geliehene<br />
Bauerngut an den Lehensherren zurückgegeben werden, oder es konnte durch zusätzliche<br />
Abgaben neu erworben werden. Die Erben hatten dann u.a. aus dem<br />
Nachlaß das sogenannte „Besthaupt“ herzugeben, das beste Pferd, die beste Kuh<br />
oder das beste Schwein. Das war in der Summe mit der ohnehin fälligen Abgabe des<br />
„Blutzehnten“ (jedes zehnte Stück Vieh), des Getreidezehnten, sowie des „Bedemund“<br />
einer Heiratsabgabe, oft soviel, dass es die Existenz vieler bäuerlichen Familien<br />
zu vernichten drohte. Kam noch eine Mißernte dazu, dann konnten die<br />
Bauern nur auf einen gnädigen Grundherren hoffen.<br />
Was die Wohnverhältnisse betrifft, so hausten ganze Familien in primitiven,<br />
meist einstöckigen Holz- und Lehmhäusern nebst Kleinvieh auf engstem Raum<br />
unter einem Dach. Die Dachbedeckung bestand aus Stroh, Ried oder Grassoden.<br />
Die wenigen Fensteröffnungen wurden im Winter mit Stroh zugestopft. Gekocht<br />
wurde über einer offenen Feuerstelle. Was zubereitet wurde, war oft nicht mehr<br />
als ein einfacher Hirsebrei, eine Mehl- oder Kohlsuppe, die man gemeinsam aus<br />
einer Schüssel zu sich nahm, oder in die man seine Scheibe Brot tunkte. An Sonnund<br />
Feiertagen leistete man sich ein Stück Räucher- oder Pökelfleisch. Getrun-<br />
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