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Psychoanalytische Aus - Psychoanalyse Aktuell

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II<br />

<strong>Psychoanalytische</strong><br />

<strong>Aus</strong>bildung<br />

Raum und Zeit geben<br />

und sich nehmen<br />

mend offenere und oft fragmentarische Selbstentwürfe.<br />

Bindungen an Orte und Menschen sowie langfristige Fest-<br />

legungen bestehen immer weniger. Flexibel sein, Allzeit<br />

bereit sein sind die Forderungen, die das Leben auch<br />

schon von Studenten beherrschen. Das Hamsterradrennen<br />

des beschleunigten Lebens mit Turbo-Abitur, Turbo-<br />

Karriere, Turbo-Familiengründung lässt wenig Spielraum.<br />

Wir selbst werden immer mehr zum Zuschauer unseres<br />

Erlebens. Das Selbsterleben droht abhanden zu kommen.<br />

Sich mehrere Jahre mit der eigenen Lebensgeschichte<br />

auseinanderzusetzen und sich in die Verästelungen des<br />

eigenen Seelenlebens zu vertiefen, erscheint unter den<br />

gegenwärtigen Bedingungen vielen Menschen obsolet.<br />

Andere Therapieformen seien geeigneter: Coach statt<br />

Couch ist die Parole.<br />

Doch der reine Appell an die Einsicht nützt nichts. Heilend<br />

wirken nur erlebte Einsichten, die mit starken Emotionen<br />

verbunden sind, und die in der Beziehung zum<br />

Analytiker wieder lebendig werden. Frühe traumatische<br />

Erfahrungen, auch aus der vorsprachlichen Entwicklungszeit,<br />

werden so in der Gegenwart neu erlebt und<br />

können in Worte gefasst und verstanden werden. Es ist<br />

diese erlebte Einsicht, die zu einer Restrukturierung<br />

führt, die Teil des Prozesses psychischer Veränderung<br />

ist. Erst dann können neue Erfahrungen gemacht und<br />

Netzwerke im Gehirn angelegt werden, die alte kranke<br />

Verknüpfungen umgehen – eine Vorstellung, die inzwischen<br />

von vielen Wissenschaftlern geteilt wird. Entscheidend<br />

bleibt, dass sich die <strong>Psychoanalyse</strong> gegen<br />

den Zeitgeist zur Anwältin eines Subjektverständnisses<br />

macht, bei dem der Einzelne die Bedeutsamkeit<br />

seiner Geschichte, seiner frühkindlichen Beziehungen<br />

und Identifizierungen als Möglichkeit begreift, sich in<br />

seinem Gewordensein besser zu verstehen, sich weiter<br />

zu entwickeln und sich damit aus konflikthaften und<br />

krankmachenden Einengungen zu befreien.<br />

In der folgenden Vignette aus einer analytischen Behandlung<br />

möchten wir etwas von diesem analytischen<br />

Denken und Arbeiten vermitteln.<br />

Gegenüber vorherrschenden Tendenzen zur kurzfristi- kontrollierbar ist. Solange der Mensch lebendig ist, befingen<br />

psychotechnischen Beseitigung von Störungen oder det er sich in einem Spannungsverhältnis zwischen seinen<br />

Defekten betont die <strong>Psychoanalyse</strong> die Notwendigkeit Wünschen und Sehnsüchten, dazu gehören auch seine<br />

von äußerem und innerem Raum und Zeit für die <strong>Aus</strong>- Idealvorstellungen und seine immer begrenzte Wirklicheinandersetzung<br />

mit sich selbst, für das Verstehen zerkeit. So besitzt die <strong>Psychoanalyse</strong> neben anderen gesellrissener<br />

lebensgeschichtlicher Zusammenhänge, für die schaftlichen Kräften die Verantwortung, die Achtung der<br />

Analyse unbewusster Sinnzusammenhänge und für die Individualität, der Leiden und Unvollkommenheiten, wie<br />

Fortführung konflikthaft oder traumatisch unterbroche- sie sich in Behinderungen und chronischen Krankheiten<br />

ner Entwicklungsprozesse. Dabei spielen Prozesse der zeigen, und das Bewusstsein ihrer unlösbaren Verknüp-<br />

kritischen Selbstreflexion, der <strong>Aus</strong>einandersetzung mit<br />

Angst, Schmerz, Trauer und Ambivalenz, die Akzeptanz<br />

fung mit der menschlichen Existenz zu bewahren.<br />

unrealisierbarer Wünsche und Illusionen, der Toleranz Die Verflüssigung sozialer Strukturen durch eine rasan-<br />

für Unsicherheit, Krankheit und Leiden eine bedeutende te ökonomische und technische Entwicklung hat auch zu<br />

Rolle. Die <strong>Psychoanalyse</strong> sieht die Möglichkeit dazu nur einer Auflösung bisher identitätsleitender Orientierungs-<br />

in einem längerfristigen, stabilen persönlichen menschschemata geführt, die dem Einzelnen halfen, eine einiger<br />

lichen Begegnungs- und Beziehungsraum, der nur in en- maßen kohärente Identität aufzubauen. Heute treten an<br />

8 gen Grenzen durch Leitlinien und Manuale regulier- und die Stelle sicherheitsgebender Identitätsbildungen zuneh-<br />

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