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BERUFLICHEN ZIELEN AUF DER SPUR

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Fotos: Bernd Krug<br />

Schwerpunkt<br />

<strong>BERUFLICHEN</strong> <strong>ZIELEN</strong><br />

UMFRAGE<br />

Was möchten Sie<br />

im Beruf erreichen?<br />

<strong>AUF</strong> <strong>DER</strong> <strong>SPUR</strong><br />

Alexandra Werner<br />

Ich möchte vor allem Spaß im Beruf haben. Ich habe<br />

Angst davor, mich im Berufsleben zu langweilen und<br />

mich zur Arbeit zwingen zu müssen. Ich würde gerne mit<br />

netten Menschen zusammenarbeiten. Natürlich ist auch<br />

Erfolg und Geld wichtig, damit man so leben kann, wie<br />

man will.<br />

Tobias Kober<br />

Für meinen künftigen Beruf<br />

wünsche ich mir, dass er genügend<br />

Vielfalt und Abwechslung<br />

bietet, mich ein Leben<br />

lang zu faszinieren. Außerdem<br />

bringt er mich hoffentlich<br />

mit vielen interessanten<br />

Menschen in Kontakt und<br />

ermöglicht es mir, Dinge zu<br />

verändern. Ich möchte einmal<br />

zurückblicken und sagen können:<br />

„Ja, ich habe ein bisschen<br />

was bewegt.“<br />

Alexandra Bezler<br />

Ich möchte andere Kulturen kennen lernen und plane<br />

deshalb, später im Ausland zu arbeiten und zu leben.<br />

Ich wünsche mir im Beruf ein abwechslungsreiches<br />

und anspruchsvolles Aufgabenfeld sowie viel<br />

Verantwortung.<br />

Daniel Gött<br />

Wichtig ist mir vor<br />

allem, dass mir mein<br />

Beruf Spaß macht. Da<br />

ich später eine Familie<br />

gründen will, ist die Sicherheit<br />

meiner Position<br />

ebenfalls von großer Bedeutung.<br />

Ich möchte allerdings<br />

nicht ständig<br />

Überstunden machen<br />

müssen, da mir viel an<br />

meiner Freundin und an<br />

meinen Hobbys liegt.<br />

Martin Edlauer<br />

Ich möchte später alle<br />

Möglichkeiten haben und nicht<br />

auf eine bestimmte Tätigkeit<br />

festgelegt sein. Finanzielle Unabhängigkeit<br />

ist mir außerdem<br />

wichtig. Ich möchte in meinem<br />

Beruf etwas leisten – am liebsten<br />

in der Forschung.<br />

Zukunftspläne zu schmieden, ist<br />

notwendig und macht Spaß. Ein<br />

wesentlicher Punkt beim Blick in die<br />

eigene Zukunft ist der Beruf. Die<br />

spätere berufliche Tätigkeit und<br />

Position nimmt eine dominierende<br />

Rolle im Leben ein.<br />

Mit der richtigen Berufswahl werden<br />

die Weichen für ein erfülltes und<br />

glückliches Leben gestellt. Doch nur<br />

wer weiß, welche Wertvorstellungen<br />

und beruflichen Ziele ihm wichtig<br />

sind, kann eine ausgewogene<br />

Berufsentscheidung treffen.<br />

Gehen Sie mit abi-Redakteur Peter<br />

Wurz auf Entdeckungsreise und<br />

ergründen Sie Ihr Wertesystem.<br />

1 6<br />

18<br />

20<br />

22<br />

25<br />

26<br />

Spaß im Job<br />

Gute Wahl – schlechte Wahl?<br />

Generation @<br />

Times are changing<br />

Expertenmeinung<br />

Entscheiden Sie salomonisch!<br />

Interactivitys<br />

im Internet<br />

unter<br />

http://www.<br />

abi-magazin.de<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 15


U<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

SPASS IM JOB<br />

Mit der Wahl eines Berufs, der zu meiner Persönlichkeit, zu meinen Neigungen sowie zu meinen individuellen Stärken<br />

passt, steigen die Chancen, später Freude an der Arbeit zu haben.<br />

Um eine effektive Handlungsstrategie<br />

bei der Berufswahl zu entwickeln, ist<br />

es wichtig, die eigenen Wertvorstellungen<br />

zu kennen und sich berufsbezogene<br />

Ziele zu stecken. Doch was sind eigentlich<br />

Werte. Um diesen komplexen Begriff verstehen<br />

zu können, lohnt es sich, ein gesellschaftliches<br />

Phänomen einmal näher zu<br />

betrachten:<br />

Ein Thema, das regelmäßig in der<br />

öffentlichen Diskussion auftaucht und das<br />

von den Medien dankbar aufgegriffen und<br />

breitgetreten wird, ist „die Jugend“. Immer<br />

wieder bekommt die junge Generation ein<br />

Etikett verpasst: Nach den skeptischen<br />

Jungen der Aufbaujahre, den Blumenkindern<br />

der 60er, der Null-Bock-Generation der 80er<br />

und der Spaßbewegung der 90er Jahre sind<br />

es zur Jahrtausendwende die „jungen<br />

Milden“, wie der Spiegel im Sommer 1999<br />

titelte.<br />

Durch Umfragen und Gespräche mit<br />

Jugendlichen will das Nachrichtenmagazin<br />

einen neuen Pragmatismus festgestellt<br />

haben. Nicht mehr Freizeit und Spaß oder<br />

gar Revolution und Gleichberechtigung<br />

wurden auf die Frage „Was ist für Sie das<br />

Wichtigste im Leben?“ genannt, sondern<br />

Dinge wie Familie, Gesundheit und Karriere.<br />

Zur gleichen Zeit machte in den<br />

Medien der Begriff „Generation @“ die<br />

Runde. Es war zu lesen, diese Bezeichnung<br />

wäre charakterisierend für eine Altersgruppe,<br />

die den Computer bereits fest in ihr Leben<br />

integriert hat. Einige Jugendforscher<br />

wollten gar eine „Jugend im Infotainmentrausch“<br />

ausgemacht haben.<br />

Auch wenn man solchen pauschalen<br />

Etikettierungen sehr skeptisch gegenübersteht<br />

– „die Jugend“ gibt es schließlich<br />

nicht, denn jeder Mensch ist einzigartig –<br />

ergeben sich doch zwei Fragen: Auf welcher<br />

Grundlage versuchen Meinungsforscher, Sozialwissenschaftler<br />

und die Medien eine Generation<br />

zu charakterisieren? Und: Was<br />

macht den Unterschied zwischen Jugendlichen<br />

verschiedener Jahrzehnte aus?<br />

Unternimmt man den Versuch, das<br />

Stimmungsbild einer neuen Generation<br />

wiederzugeben, ist es nicht nur notwendig,<br />

16 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

möglichst viele Jugendliche im tatsächlichen<br />

Leben zu beobachten und das Verhalten zu<br />

analysieren, sondern es kommt vor allem<br />

darauf an, in Gesprächen zu erfahren, was<br />

sie denken, welche Meinungen, Einstellungen,<br />

Ziele und Werte sie haben. Erst wenn<br />

man diese Aspekte recherchiert und untersucht<br />

hat, kann man versuchen, Menschen<br />

einzuschätzen und ihre Lebenseinstellung<br />

zu verstehen.<br />

Werte und Ziele<br />

Bestimmend für die persönlichen<br />

Interessen, Einstellungen und Ziele sind<br />

Werte. Doch was ist unter dem Begriff<br />

„Wert“ zu verstehen? Jeder hat eine eigene,<br />

meist recht unbestimmte Meinung darüber,<br />

was Werte sind. Nun wollen wir es genauer<br />

wissen:<br />

Schlägt man im Duden, dem deutschen<br />

Universalwörterbuch, nach, erfährt<br />

man, dass ein Wert „eine positive Bedeutung<br />

ist, die jemandem oder einer Sache<br />

zukommt“. Der Begriff stehe außerdem für<br />

„eine an einem (ethischen) Maßstab<br />

gemessene Wichtigkeit“. Weiter ist hier zu<br />

lesen, dass es persönliche und erzieherische<br />

Werte gibt, aber auch geistige,ideelle<br />

oder ewige<br />

Werte.<br />

Illustration: Gerd Huss<br />

Nun sind wir zwar einen Schritt weiter,<br />

aber so ganz befriedigend war die Information<br />

doch noch nicht. Also ziehen wir eine<br />

Enzyklopädie zurate. Im Brockhaus findet<br />

sich zum Schlagwort „Wert“ unter anderem<br />

Folgendes: „Von der Soziologie her gesehen<br />

bezeichnet Wert eine grundlegende, zentrale,<br />

allgemeine Zielvorstellung und Orientierungsleitlinie<br />

für menschliches Handeln und<br />

soziales Zusammenleben innerhalb einer<br />

Kultur.“<br />

Und weiter ist da zu<br />

lesen: „Nach erfahrungswissenschaftlicherAuffassung<br />

sind Werte<br />

geschichtlich<br />

entstanden,<br />

kulturspezifisch,wandelbar<br />

und<br />

somit auch<br />

bewusst gestaltbar.“<br />

Diese<br />

eher


abstrakten und nicht ganz leicht verständlichen<br />

Ausführungen werden in der folgenden<br />

Textpassage deutlicher. Hier steht,<br />

dass Werte eine Hierarchie bilden: Die<br />

obersten Werte, auch Ideal- oder Grundwerte<br />

genannt, sind beispielsweise eine<br />

friedliche Welt, Gleichheit oder ein angenehmes<br />

Leben.<br />

Auf der nächsten Stufe sind die<br />

instrumentellen Werte angesiedelt. Diese<br />

beziehen sich auf die Moral und die Tugend.<br />

Dazu zählen etwa Verantwortungsbewusstsein,<br />

Hilfsbereitschaft, Zielstrebigkeit oder<br />

Fleiß. Eine weitere Kategorie in diesem<br />

hierarchischen Wertesystem bilden die<br />

objektgerichteten Wertschätzungen wie<br />

Gesundheit, Umweltschutz oder Familie.<br />

Ein kurzes Zwischenresümee: Werte<br />

sind also Vorstellungen über das Wünschenswerte<br />

in einer Gesellschaft, die von<br />

der Mehrheit akzeptiert und verinnerlicht<br />

sind. Sie dienen als allgemeine Beurteilungsmaßstäbe<br />

bei Handlungsalternativen<br />

und geben dem Menschen Verhaltenssicherheit<br />

im Alltag.<br />

Und noch etwas ist wichtig: Wertvorstellungen<br />

und ihre Rangfolge werden im<br />

Rahmen der eigenen Sozialisation und<br />

durch eigene Erfahrungen gelernt. Sie<br />

können sich im Verlauf der individuellen<br />

Entwicklung verändern.<br />

Blick in die Zukunft<br />

Wie hängen nun Werte mit den<br />

persönlichen Zielen zusammen?<br />

Unter Zielen lassen sich Zukunftsentwürfe<br />

verstehen, die durch freie<br />

und persönliche Auswahl und Entscheidung<br />

entstanden sind. Ziele<br />

sind in der Regel konkreter als Wertvorstellungen,<br />

werden im Prinzip aber<br />

von diesen bestimmt.<br />

Dazu ein Beispiel: Gerechtigkeit ist<br />

ein Wert. Steht dieser nun in der<br />

Werteskala einer Person ziemlich weit<br />

oben, dann wird<br />

sie auch versuchen,<br />

ihn im<br />

Leben umzu-<br />

setzen – und das geschieht durch Ziele. Ein<br />

auf diesen Wert bezogenes Ziel könnte sein,<br />

Unrecht zu bekämpfen, ein anderes, sich um<br />

bessere gesellschaftliche Bedingungen für<br />

Benachteiligte zu kümmern.<br />

Berufswahl mit Köpfchen<br />

Inzwischen haben Sie sich vielleicht<br />

schon gefragt, was hat das alles mit dem<br />

Thema Berufswahl zu tun. Die Antwort:<br />

ziemlich viel. Denn die Kenntnis der eigenen<br />

Wertvorstellungen und Ziele ist eine zentrale<br />

Voraussetzung für eine systematische und<br />

persönlich befriedigende Entscheidungsfindung<br />

in Sachen Beruf.<br />

Wer sich in der Berufswahlphase<br />

befindet, muss eigene Handlungsstrategien<br />

entwickeln. Dazu ist es notwendig, die eigenen<br />

Ziele möglichst klar zu definieren und<br />

sich seines persönlichen Wertesystems<br />

bewusst zu werden. Nur wer sich selbst<br />

kennt und weiß, was er eigentlich will, kann<br />

eine längerfristige Lebensplanung in Angriff<br />

nehmen.<br />

Zwei Beispiele: Ist mir der Wert<br />

„Sicherheit“ sehr wichtig, dann kommen für<br />

mich nur Berufe infrage, in denen ich erwarten<br />

– oder hoffen – kann, später einen<br />

sicheren, gut dotierten Arbeitsplatz zu<br />

bekommen. Freischaffender Maler oder<br />

Balletttänzer werde ich dann wohl eher nicht<br />

werden wollen.<br />

Nimmt der Wert „Gesundheit“ auf<br />

meiner Werteskala einen oberen Platz ein,<br />

dann wird es sicherlich zu meinen berufsbezogenen<br />

Zielen gehören, später einen<br />

„gesunden“ Arbeitsplatz zu haben und beispielsweise<br />

keinen Schichtdienst leisten zu<br />

müssen – wie etwa als Fluglotse.<br />

Drei Schritte<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Die Berufswahl ist ein Entscheidungsprozess.<br />

Grob lässt er sich in drei<br />

wesentliche Schritte aufteilen:<br />

• Der erster Schritt besteht darin, sich die<br />

eigenen Wertvorstellungen und berufsbezogenen<br />

Ziele bewusst zu machen und diese<br />

für sich persönlich zu gewichten. Eine „Wertepyramide“<br />

kann die persönliche Wertehierarchie<br />

anschaulich machen.<br />

• Im zweiten Schritt ist es wichtig, sich<br />

Informationen über Ausbildungsmöglichkeiten<br />

und Berufe zu beschaffen und diese<br />

gründlich auszuwerten. Hierzu ist im Berufsinformationszentrum<br />

(BIZ) die beste Gelegenheit.<br />

• Der dritte Schritt besteht darin, auf der<br />

Grundlage der neu gewonnenen Kenntnisse<br />

und Einsichten Entscheidungsalternativen<br />

zu finden, zu vergleichen und zu beurteilen.<br />

Hier können ein weiterer Besuch im BIZ<br />

und Beratungsgespräche mit einem Berufsberater<br />

weiterhelfen. (Infos zum Thema<br />

auch in abi 4/99, Schwerpunkt: „Besser<br />

entscheiden“.)<br />

!<br />

UMFRAGEN<br />

Das ist mir wichtig!<br />

Zum Thema Einstellungen, Lebensziele<br />

und Werte werden immer wieder<br />

Untersuchungen durchgeführt.<br />

Durch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen<br />

und Fragestellungen der<br />

Studien ist ein Vergleich der Ergebnisse<br />

allerdings nur bedingt möglich.<br />

Ihre Aufgabe:<br />

Lesen Sie die folgenden drei Texte durch und notieren Sie<br />

sich dabei alle Werte, die genannt werden auf ein Blatt<br />

Papier.<br />

Überlegen Sie danach, welcher der Punkte Ihnen wichtig<br />

ist. Oder legen Sie auf ganz andere Werte wert? Schreiben<br />

Sie Ihre persönlichen Werte auf!<br />

STUDIE 1:<br />

Eine Umfrage unter 2 000 jungen Menschen zwischen 15<br />

und 27 Jahren, die im letzten Jahr in Baden-Württemberg<br />

und Sachsen durchgeführt wurde, ergab in puncto<br />

Werte-Bewusstsein Folgendes: Auf den ersten Plätzen<br />

standen Humor, Aufrichtigkeit, Optimismus, Durchsetzungsvermögen<br />

und Hilfsbereitschaft.<br />

Im Mittelfeld folgten Werte wie Pflichtbewusstsein,<br />

Ehrgeiz, Rücksichtnahme und Fleiß. An letzter Stelle<br />

stand die Tugend der Bescheidenheit.<br />

„Jugend in Baden-Württemberg und Sachsen im Vergleich“, Studie des<br />

Leipziger Instituts für Marktforschung – 1999<br />

STUDIE 2:<br />

Im Rahmen der 12. Shell Jugendstudie wurden 60<br />

ausführliche Interviews mit jungen Menschen im Alter<br />

zwischen 13 und 29 Jahren geführt. Auf der Werteskala<br />

der Befragten ganz oben standen Werte wie Menschlichkeit<br />

und Toleranz, Ehrlichkeit und Offenheit, Gewaltfreiheit<br />

und Pluralität.<br />

Von Politikern forderten die Jugendlichen hauptsächlich,<br />

dass sie Kriege verhindern, etwas gegen Armut und<br />

Elend tun und sinnvoll und überlegt mit der Umwelt<br />

umgehen sollten.<br />

„Jugend ’97“, 12. Shell Jugendstudie des Jugendwerks der Deutschen<br />

Shell – 1997<br />

STUDIE 3:<br />

Eine Studie der Hochschul-Informations-System GmbH<br />

(HIS) ergab, dass Studienanfänger schon sehr genau<br />

wissen, was sie mit ihrer Hochschulausbildung wollen.<br />

Ökonomen und Juristen denken vor allem an die Karriere.<br />

Naturwissenschaftlern ist die fachliche Anerkennung<br />

wichtig und Lehramtsstudierende wollen hauptsächlich<br />

ihre sozialen Ziele verwirklichen.<br />

Auch Studierenden der Sprach- und Kulturwissenschaften<br />

liegen die sozialen Ziele am Herzen, allerdings sind<br />

sie auch einer beruflichen Karriere nicht abgeneigt,<br />

möchten fachlichen Erfolg verzeichnen und sich außerdem<br />

selbst verwirklichen.<br />

Angehenden Künstlern ist vor allem die künstlerische<br />

Anerkennung wichtig. Medizinstudierende legen Wert<br />

auf die Verwirklichung von sozialen Zielen und auf fachliche<br />

Anerkennung.<br />

Umfrage unter 9 100 Studienanfängern im Wintersemester 1996/97 im<br />

Auftrag der Hochschul-Informations-System GmbH (HIS), Hannover<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 17


Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

AUSBILDUNGSWEGE<br />

Gute Wahl –<br />

DALIBOR<br />

Dalibor absolviert eine Ausbildung zum Tischler<br />

bei einer Münchner Schreinerei und steht<br />

kurz vor seiner Gesellenprüfung. „Für mich gibt<br />

es nichts Schöneres, als wenn ich nach den<br />

Wünschen eines Kunden aus Holz einen<br />

Schrank oder eine Kommode baue“, schwärmt<br />

er. Da er schon immer gerne gebastelt und mit<br />

Holz gearbeitet hat, fiel ihm die Berufswahl<br />

leicht.<br />

In der Schreinerei betreut Dalibor einen Auftrag<br />

von A bis Z, das heisst vom Auftragseingang bis<br />

zur Montage. „Ich bespreche zunächst die<br />

Pläne und Zeichnungen – beispielsweise eines<br />

Einbauschranks – mit dem Kunden, mache<br />

dann den Zuschnitt an den Maschinen in<br />

unserer Werkstatt und nehme schließlich vor<br />

Ort die Montage vor“, berichtet der angehende<br />

Tischler. Einen Großteil der Zeit ist er daher auf<br />

Kundenbesuch und auf Montage.<br />

„Wenn beim Einbau zum Schluss alles genau<br />

passt und der Kunde zufrieden mit meiner<br />

Arbeit ist, ist es für mich ein besonderes<br />

Glücksgefühl“, sagt er. Sehr wichtig für ihn im<br />

Berufsalltag ist ein gutes Arbeitsklima. „In<br />

unserem Betrieb herrscht eine sehr lockere<br />

und angenehme Arbeitsatmosphäre“, erzählt<br />

er. „Im Vergleich zu anderen Firmen, wo die<br />

Azubis teilweise nur langweilige und einfache<br />

Arbeiten erledigen dürfen, bekommen wir hier<br />

richtig verantwortungsvolle Aufgaben und<br />

werden gefordert.“<br />

Natürlich hofft Dalibor, nach der Ausbildung<br />

vom Betrieb übernommen zu werden. „Ich<br />

freue mich darauf, dann etwas mehr Geld zu<br />

verdienen “, sagt er. Ein sicherer Arbeitsplatz<br />

ist ihm wichtig, denn er möchte auf einen<br />

gewissen Wohlstand und Lebensqualität später<br />

nicht verzichten. „Meine erste Anschaffung<br />

wird ein eigenes Auto sein.“<br />

NINA<br />

Finanzielle Sicherheit ist auch für Nina aus München<br />

wichtig. Sie studiert im vierten Semester<br />

Betriebswirtschaftslehre an der Universität<br />

München. „Wirtschaftskenntnisse werden<br />

immer gebraucht und mit einem BWL-Studium<br />

hat man auf dem Arbeitsmarkt gute Karten“,<br />

begründet sie ihre Studienwahl.<br />

Nina ist vor allem fasziniert davon, wie viele<br />

18 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

schlechte Wahl?<br />

Dalibor und Nina haben sich bereits vor einiger Zeit für einen Ausbildungsweg entschieden. abi hat sie und weitere Azubis<br />

und Studenten gefragt, wie die Entscheidung zu Stande kam und ob sie ihre Wahl bereuen oder damit zufrieden sind.<br />

Illustration: Gerd Huss<br />

Bereiche mit Wirtschaft zu tun haben und<br />

welche weitreichenden Auswirkungen die Vorgänge<br />

in der Wirtschaft haben. „Die Wirtschaft<br />

hält die Welt in Gang“, sagt sie. Nina interesiert<br />

sich sehr für die Börse und für die Entwicklung<br />

von Wertpapieren. „Aktienkurse werden von so<br />

vielen verschiedenen Dingen beeinflusst wie<br />

zum Beispiel Psychologie oder Politik“, erzählt<br />

sie begeistert.<br />

Die BWL-Studentin träumt davon, später einmal


als Bankerin im Investmentbereich zu arbeiten.<br />

Ein Praktikum bei der Deutschen Bank hat sie<br />

bereits hinter sich. Zu ihren persönlichen Zielen<br />

zählt weniger eine steile Karriere in der<br />

Finanzwelt als vielmehr, Unabhängigkeit zu<br />

erlangen.<br />

„Damit meine ich Unabhängigkeit in jeder Hinsicht“,<br />

erklärt sie. „Nicht nur finanziell, sondern<br />

auch in Bezug auf meine Eltern. Mir ist es<br />

wichtig, mich zu emanzipieren und eine starke<br />

Persönlichkeit zu entwickeln.“<br />

Während ihres Studiums, besonders wenn der<br />

Lernstress besonders stark wurde, dachte sie<br />

auch über Alternativen wie etwa ein Sprachstudium<br />

nach. Schließlich kam sie jedoch<br />

immer wieder zu dem Schluss, dass BWL die<br />

richtige Wahl für sie ist.<br />

Ein Praktikum bei einem Consulting-Unternehmen<br />

brachte sie noch zu einer anderen<br />

Erkenntnis: „Ich bekam dort nur einfache,<br />

monotone Arbeiten zugeteilt. Während dieser<br />

Zeit habe ich mir geschworen, später keinesfalls<br />

als Sachbearbeiterin zu arbeiten. Ich<br />

beschloss, etwas für meine Karriere zu tun.“<br />

Zum Workaholic fühlt sich Nina allerdings nicht<br />

geboren: „Ein 14-Stunden-Tag kommt für mich<br />

nicht in Frage“, betont sie. „Ich möchte später<br />

eine Familie haben. Es wäre schön, wenn ich da<br />

die richtige Balance zwischen Beruf und<br />

Familie, zum Beispiel durch einen Halbtagsjob,<br />

halten könnte.“<br />

ALEXAN<strong>DER</strong><br />

Alexander studiert im siebten Semester Umweltschutztechnik<br />

an der Universität Stuttgart.<br />

„Mich interessieren sowohl die technischen<br />

Aspekte eines Ingenieurstudiums als auch das<br />

Thema Umweltschutz“, erklärt er seine Studienentscheidung.<br />

Bisher haben sich seine<br />

Erwartungen an das Studium erfüllt.<br />

Für umweltbewusstes Verhalten ist er schon<br />

seit längerer Zeit sensibilisiert. „Bereits in<br />

früher Jugend sind mir Umweltsünden in<br />

meinem Umfeld aufgefallen“, erinnert er sich.<br />

„Durch strikte Mülltrennung zum Beispiel habe<br />

ich schon damals versucht, meinen Beitrag<br />

zum Umweltschutz zu leisten.“ Nach seinem<br />

Studium würde er am liebsten in einem kleinen<br />

Ingenieurbüro arbeiten und sich mit Umweltplanung<br />

oder Umweltverträglichkeitsprüfungen<br />

beschäftigen.<br />

Durch verschiedene Praktika hat Alexander<br />

eine Eindruck von der Arbeitswelt bekommen<br />

und seine eigenen Schlüsse gezogen: „Ein<br />

angenehmes Betriebsklima und nette Kollegen<br />

halte ich für wesentlich in Bezug auf die<br />

Arbeitszufriedenheit.“<br />

In seinem Beruf möchte Alexander seine Ideen<br />

zum Thema Umweltschutz in die Praxis umsetzen.<br />

Das ökologische Engagement ist sein<br />

Hauptanliegen. Natürlich sollte später auch<br />

das Geld stimmen. „Ich weiß, dass ich gute<br />

Leistungen erbringen kann, und das sollte<br />

entsprechend honoriert werden“, sagt der<br />

angehende Ingenieur.<br />

„Wie die Berufsaussichten in der Branche<br />

aussehen, kann ich momentan schwer sagen,“<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

meint er. „Das Studium ist aber zum Glück sehr<br />

breit angelegt. Da bin ich sicher, dass ich<br />

irgendwo unterkomme.“ Außerdem findet<br />

Alexander, dass der Beruf nicht alles sei:<br />

„Andere Dinge wie Freizeit und Familie sind mir<br />

mindestens genauso wichtig.“<br />

ASTRID<br />

Für Astrid Sagemüller war das Studium der<br />

Germanistik schon immer ihr großer Traum.<br />

„Ich habe als Kind sehr viel gelesen und<br />

geschrieben“, erinnert sie sich. „Deutschunterricht<br />

war natürlich mein Lieblingsfach.<br />

Mich mit der Sprache zu beschäftigen und<br />

literarische Texte zu interpretieren, das hat mir<br />

sehr viel Spaß gemacht.“ Für sie kam daher<br />

kein anderes Studienfach als Germanistik in<br />

Frage.<br />

Als Schwerpunkt wählte sie allerdings nicht<br />

Literatur-, sondern Sprachwissenschaft. „Ich<br />

denke, dass es in der Sprachwissenschaft<br />

interessantere Zukunftsperspektiven und auch<br />

bessere Berufssaussichten gibt. Hier ist noch<br />

viel zu erforschen.“<br />

Als Nebenfächer belegte sie Geschichte und<br />

Niederlandistik. Auch hier spielten die Berufsaussichten<br />

für sie eine entscheidende Rolle.<br />

„Ich würde nach meinem Studium gern als<br />

Lektorin in einem Verlag arbeiten“, erklärt sie.<br />

„Da die niederländischen Autoren immer<br />

stärker in Mode kommen, glaube ich, dass ich<br />

mit meiner Fächerkombination gute Einstiegschancen<br />

in der Verlagsbranche habe.“<br />

Besonders wichtig für sie ist, dass ihr der Job<br />

später Spaß macht. „Ich wünsche mir einen<br />

Beruf, bei dem ich morgens gern zur Arbeit<br />

gehe und in dem ich meine Interessen verwirklichen<br />

kann“, meint Astrid. Die finanzielle<br />

Sicherheit ist ihr allerdings mindestens genauso<br />

wichtig. „Ideal wäre eine Kombination von<br />

Spaß und Sicherheit“, stellt sie fest.<br />

Während ihres Studiums kamen ihr hin und<br />

wieder Zweifel, ob ihre Entscheidung richtig<br />

war. „Im Studium schreibt man Referate und<br />

Klausuren. Man ist wie auf Watte gebettet und<br />

hat kaum Berührung mit der Berufsrealität.<br />

Das erzeugt ein Gefühl der Unsicherheit.“<br />

Wenn Astrid jedoch Freunden von ihrem<br />

Studium erzählt und sich mit ihnen über<br />

Dichter und deren Werke unterhält, lebt sie<br />

völlig auf. „Meine Freunde sind meistens<br />

beeindruckt von meinem Wissen und meiner<br />

Begeisterung für das Thema. Das gibt mir dann<br />

doch die Bestätigung, dass es ‚mein Ding‘ ist<br />

und dass ich den richtigen Weg gewählt habe.“<br />

Zu ihren Zukunftsplänen zählt auch, eine<br />

Familie zu gründen. „Als freie Lektorin könnte<br />

ich gut von zu Hause aus arbeiten“, sagt die<br />

Studentin. „Wenn ich mich später einmal um<br />

meine Familie kümmere, möchte ich mich auf<br />

jeden Fall nebenbei mit Literatur beschäftigen.<br />

Ich brauche unbedingt Denkanstöße, sonst<br />

habe ich das Gefühl, geistig zu verkümmern.“<br />

PATRICK<br />

Patrick faszinieren weniger literarische Texte,<br />

sondern vielmehr Zahlen. Genauer gesagt ist<br />

es die Finanzwirtschaft, die sein Herz höher<br />

schlagen lässt. Daher entschloss er sich nach<br />

seinem Abitur zu einer Ausbildung zum Bankkaufmann.<br />

Seit einem Jahr arbeitet er nun<br />

schon in einer Filiale der Deutschen Bank im<br />

Münchner Osten. „Themen wie Vermögensanlagen,<br />

Aktienfonds und Kapitalmärkte finde<br />

ich wahnsinnig spannend“, erzählt er.<br />

Seine Kenntnisse auf dem Gebiet möchte er<br />

nach der Ausbildung eventuell durch ein BWL-<br />

Studium vertiefen. Auch in seiner Freizeit<br />

beschäftigt sich Patrick gern mit finanzwirtschaftlichen<br />

Themen und liest Fachzeitschriften<br />

und Fachbücher. „Im Moment zählt für mich<br />

allerdings nur eins: meine Ausbildung so gut<br />

wie möglich durchzuziehen und abzuschließen“,<br />

sagt er. Da nimmt er auch in Kauf, dass er<br />

manchmal Routineaufgaben erledigen muss,<br />

die weniger interessant sind.<br />

„In meinem späteren Berufsleben ist mir<br />

wichtig, dass mir die Arbeit Spaß macht und<br />

dass das Gehalt stimmt“, sagt er. Leistungen,<br />

die er erbringt, müssen seiner Meinung nach<br />

auch entsprechend anerkannt und honoriert<br />

werden. Andernfalls sinke seine Motivation.<br />

Aufstiegs- und Karrieremöglichkeiten möchte<br />

er später unbedingt wahrnehmen. „Wenn ich<br />

mir ein Ziel gesetzt habe, bin ich auch belastbar<br />

und setze alles daran, um es zu erreichen“,<br />

sagt er. Er wäre auch bereit, dafür mehr und<br />

länger zu arbeiten als es verlangt wird. „Ich<br />

würde es in Kauf nehmen, dass für einen<br />

begrenzten Zeitraum andere Dinge wie Familie<br />

und Freizeit in den Hintergrund treten.“<br />

Vor seiner Ausbildung hatte Patrick auch über<br />

ein Journalismus- oder Medizinstudium nachgedacht.<br />

Schließlich interessierte ihn die<br />

Finanzwirtschaft aber doch am meisten. Bisher<br />

hat er seine Entscheidung für die Bank nicht<br />

bereut. „Ich denke, dass ich den richtigen Weg<br />

gewählt habe und dass ich meine persönlichen<br />

und beruflichen Ziele auf die Weise erreichen<br />

kann.“ Yukiko Tanaka<br />

?<br />

TEXTANALYSE<br />

Spielen Sie<br />

Sherlock Holmes!<br />

Jetzt ist Ihr analytisches Denkvermögen<br />

gefragt. Suchen Sie nach beruflichen<br />

Zielen und Wertvorstellungen!<br />

Versuchen Sie, anhand der obigen Berichte die Wertesysteme<br />

der fünf porträtierten Personen zu ergründen.<br />

Welche beruflichen Ziele lassen sich ausmachen und<br />

welche Werte könnten dahinter stehen?<br />

Ein Beispiel gefällig? Wem ein fester Arbeitsplatz und ein<br />

geregeltes Einkommen wichtig sind (berufliche Ziele), für<br />

den spielt vermutlich der Wert „Sicherheit“ eine große Rolle<br />

im Leben.<br />

Schreiben Sie die beruflichen Ziele der fünf Personen heraus<br />

und versuchen Sie sodann, diese allgemeineren Wertvorstellungen<br />

zuzuordnen.<br />

Unser Lösungsbeispiel finden Sie auf Seite 24.<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 19


HIS-STUDIE<br />

g e n e r a t i o n @<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Über die Ergebnisse<br />

einer Studie zum<br />

Struktur- und<br />

Wertewandel bei<br />

Studierenden, die im<br />

Auftrag der Hochschul-Informations-<br />

System GmbH (HIS)<br />

von der Arbeitsgruppe<br />

Interdisziplinäre<br />

Sozialstrukturforschung<br />

(agis) der<br />

Universität Hannover<br />

erstellt wurde, sprach<br />

abi mit dem Sozialwissenschaftler<br />

Jörg<br />

Gapski.<br />

abi: Bitte beschreiben Sie<br />

Ihre Studie. Was wurde untersucht?<br />

Jörg Gapski: Wir haben uns mit<br />

der Frage auseinandergesetzt,<br />

wie sich die Studierendengenerationen<br />

der 80er und<br />

90er Jahre voneinander unterscheiden.<br />

Wir wollten wissen,<br />

welche Veränderungen sich<br />

vollzogen haben und wie sich<br />

die lebensweltlichen Realitäten<br />

der Studierenden verändert<br />

haben.<br />

abi: Heißt „lebensweltlich“ auch, die Werte<br />

und die Lebenseinstellungen der Studierenden<br />

betreffend?<br />

Jörg Gapski: Die Frage, die damit verknüpft<br />

ist, ist die Frage nach der Bedeutung des Studiums<br />

und des Studierens an sich. Man kann<br />

sagen, dass es so etwas wie eine soziale<br />

Konstruktion gibt, was legitimes Studieren ist<br />

und wie man richtig studiert. Und diese Konstruktion<br />

verändert sich natürlich. Und zwar im<br />

Zuge des gesellschaftlichen Wandels.<br />

Hier verändern sich auch gesellschaftliche<br />

Werte, Einstellungen und auch Ideen vom<br />

guten und richtigen Leben. So lassen sich bestimmte<br />

Phänomene beobachten wie beispielsweise<br />

ein Rückgang der Langzeitstudierenden<br />

oder auch im politischen Bereich der<br />

Hochschulen das Verschwinden der linken<br />

Gruppen. Das sind zwei von vielen Indizien für<br />

einen Wertewandel.<br />

abi: Wie haben sich die Wertorientierungen<br />

der Studierenden gewandelt, wenn man die<br />

Ergebnisse der Befragungen von ’86 und ’96<br />

vergleicht?<br />

20 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

Jörg Gapski: Wenn man über den Wandel bei<br />

den Studierenden redet, dann ist der immer vor<br />

der Folie eines gesamtgesellschaftlichen<br />

Wandels zu betrachten. Wir haben ja ein<br />

Milieumodell verwendet, das für die Gesamtgesellschaft<br />

entwickelt wurde.<br />

Ein wichtiges Ergebnis ist sicherlich, dass bei<br />

den Studierenden der 80er Jahre noch eine<br />

ganz deutliche Orientierung am alternativen<br />

Milieu zu finden war. In den 90er Jahren ist<br />

dieses Milieu fast ganz verschwunden. Es ist<br />

aufgesogen worden von anderen Milieus und<br />

mit ihm sind Werte und Einstellungen verloren<br />

gegangen, die für die 80er Jahre typisch waren.<br />

Damals sahen viele Studierende ihr Studium<br />

als Selbstzweck an, als Selbsterfahrung. Oder<br />

auch ein Ansatz war gängig, zu sagen, mit dem<br />

Studium möchte ich die Gesellschaft verändern,<br />

möchte bestimmte Utopien durchsetzen,<br />

auch mit Hilfe der Wissenschaft. Das findet<br />

man in den 90er Jahren so nicht mehr in dieser<br />

ausgeprägten Form. Es definiert nicht mehr<br />

den typischen und hegemonialen Studienstil.<br />

abi: Soweit die 80er Jahre. Woran orientieren<br />

sich die Studierenden zehn Jahre später?<br />

Jörg Gapski: Wir haben festgestellt, dass es so<br />

etwas wie eine Bewegung zur gesellschaftlichen<br />

Mitte hin gegeben hat. Die Studierenden<br />

bilden in den 90er<br />

Jahren sehr<br />

viel stärker <br />

Identifikationen<br />

aus, die mit<br />

Mittelschichtmentalitäten zu vergleichen<br />

sind. Das heißt, die Studierenden haben<br />

nicht mehr den Vorsatz, die Gesellschaft<br />

verändern zu wollen oder eine Idee vom besseren<br />

Leben zu entwickeln, sondern sie wollen<br />

überhaupt erst einmal unterkommen in dieser<br />

Gesellschaft. Das setzt Leistungsorientierung<br />

und einen gewissen Pragmatismus beim<br />

Studieren voraus.<br />

abi: Spielt heute die berufliche Sicherheit in<br />

der Lebensplanung der Studierenden eine<br />

größere Rolle als beispielsweise Selbstverwirklichung?<br />

Jörg Gapski: Das kann man sicherlich sagen,<br />

obwohl natürlich die Studierenden im Vergleich<br />

zu den Gleichaltrigen oder zur Gesamtbevölkerung<br />

immer noch ganz anders dastehen.<br />

Man kann etwa bei den Studierenden auch<br />

heute noch sehen, dass sie die ausgeprägtesten<br />

postmateriellen Einstellungen haben<br />

und auch politisches, soziales und ökologisches<br />

Engagement spielt weiterhin eine<br />

große Rolle in ihrem Wertekanon. Diese Dinge<br />

stehen nur nicht mehr so im Vordergrund.<br />

abi: Gesellschaftskritik ist also nicht mehr<br />

en vogue?<br />

Jörg Gapski:: Wie gesagt sind für die Studierenden<br />

auch heute noch Dinge wie ökologisches<br />

Engagement oder Selbstverwirklichung<br />

im Beruf wichtig. Allerdings hat dies nicht mehr<br />

den kritischen Unterton wie in den 80er Jahren.<br />

Natürlich sind die Mentalitäten heute viel<br />

stärker auf Sicherheit fixiert. Es spielt eine sehr<br />

viel größere Rolle, sich überhaupt erst einmal<br />

zu etablieren in der Gesellschaft, als das in den<br />

80er Jahren der Fall war.<br />

abi: Interessant ist, dass sich Werte und<br />

Lebenseinstellungen abhängig von gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen verändern können.<br />

Werte spielen ja auch bei der<br />

Berufswahl eine große Rolle.<br />

Jörg Gapski: Ja, natürlich. Leute<br />

in der Berufswahlphase sollten<br />

sich deshalb darüber<br />

bewusst sein, dass gesellschaftliche<br />

Normen auch<br />

vergänglich sind und<br />

irgendwann sogar wieder<br />

als falsch gelten<br />

können. So muss das<br />

heute von vielen geforderte<br />

kurze Studium<br />

in fünf Jahren<br />

nicht mehr unbedingt<br />

gut angesehen sein.<br />

Andererseits sind auch<br />

die Versprechungen der<br />

Studienfächer und Ausbildungsgänge<br />

nicht immer<br />

zutreffend, wie etwa die erfahren<br />

mussten, die beispielsweise<br />

in den 80ern mit einem<br />

Chemiestudium an einer ökologischen<br />

Wende mitarbeiten wollten. Heute sind sie<br />

wahrscheinlich in der „konventionellen“<br />

chemischen Industrie – vielleicht verbittert,<br />

vielleicht sogar froh darüber.


In einer aktuellen HIS-Studie (siehe<br />

Interview) ging es um den Strukturund<br />

Wertewandel im westdeutschen<br />

Studierendenmilieu.<br />

Dabei wurden verschiedene Dimensionen<br />

des Alltagsbewusstseins erfasst, anhand<br />

derer Wertorientierungen ermittelt<br />

werden können.*<br />

Einige dieser Dimensionen werden Ihnen<br />

hier vorgestellt. Mit welcher Orientierung<br />

können Sie sich identifizieren?<br />

Falls Sie mehrere Einstellungen bejahen:<br />

Wie sieht Ihre Rangliste aus (welcher<br />

Punkt ist Ihnen am wichtigsten, am<br />

zweitwichtigsten und so fort)?<br />

SELBSTEINSCHÄTZUNG<br />

F U N o d e r<br />

Lebensstil-Opposition<br />

Hier geht es um alternative Lebensentwürfe.<br />

Sie können es sich beispielsweise<br />

vorstellen, aus dieser Gesellschaft<br />

auszusteigen, in einem buddhistischen<br />

Kloster zu leben oder als Globetrotter<br />

um die Welt zu reisen. Sie bejahen den<br />

Verzicht auf Sicherheit zu Gunsten der<br />

Selbstverwirklichung. Sie stellen bei<br />

sich die Bereitschaft fest, neue Lebensformen<br />

zu suchen und auszuprobieren.<br />

Cocooning<br />

Die familiale Welt stellt für Sie einen<br />

Hort der Geborgenheit und Sicherheit<br />

dar. Sie würden gerne eine Familie<br />

gründen und Kinder haben. Sie interessieren<br />

sich für Innenarchitektur und<br />

Einrichtungsgegenstände. Sie legen<br />

Wert auf ein gemütliches Zuhause. Sie<br />

sind bereit, für einen entsprechenden<br />

Wohnkomfort eine hohe Miete zu bezahlen<br />

oder einen Teil ihres Einkommens<br />

in einem Bausparvertrag anzulegen.<br />

Hedo-Materialismus<br />

Sie haben Spaß an Computern und anderen elektronischen<br />

Geräten. Sie wären bereit, mehr zu arbeiten,<br />

um sich ein Auto, eine moderne Hifi-Anlage<br />

oder ein schickes Fernsehgerät zu kaufen. Sie<br />

denken positiv und möchten jederzeit die nötigen<br />

Mittel haben, um aktuelle Modetrends mitmachen<br />

zu können. Dafür sind Sie auch gewillt, im Beruf<br />

etwas zu leisten.<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Underdog-Bewusstsein<br />

Was Ihre berufliche Zukunft anbelangt, machen Sie sich keine<br />

Illusionen: Sie rechnen nicht damit, später einen guten Job zu<br />

bekommen. Sie streben kein Wohneigentum an, denn Sie haben<br />

keine Lust, jahrelang auf eine Immobilie zu sparen. Sie<br />

glauben, dass in unserer Gesellschaft die besten Plätze vergeben<br />

sind und dass ein sozialer Aufstieg für Sie so gut wie<br />

ausgeschlossen ist.<br />

Fun-Orientierung<br />

Sie haben großes Verständnis für Leute, die tun, wozu sie<br />

gerade Lust haben. Sie möchten sich gerne das leisten<br />

können, was Ihnen gefällt. Der Sinn des Lebens besteht<br />

für Sie darin, Spaß zu haben. Sie sind offen für alles<br />

Neue. Ein gut bezahlter Job ist für Sie wichtig, damit Sie<br />

Ihre vielseitigen Freizeitaktivitäten finanzieren können.<br />

COCOONING?<br />

Besteht der Sinn des Lebens für Sie darin, Spaß zu haben? Oder<br />

legen Sie eher Wert auf ein gepflegtes Zuhause nach der Devise<br />

„My home is my castle“? Im Folgenden geht es um Ihre Einstellungen<br />

und Orientierungen im Alltag.<br />

Postmaterialismus<br />

Sie haben einen starken politischen und sozialen Anspruch an sich selbst. Sie finden<br />

es wichtig, sich zu engagieren, um Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen.<br />

Sie fühlen sich verantwortlich für die Gesellschaft, in der Sie leben. Berufe, in denen<br />

man ökologisches oder soziales Engagement verwirklichen kann, finden Sie gut.<br />

Immaterielle Werte wie Gerechtigkeit und Menschlichkeit haben für Sie Priorität. Die<br />

Beschäftigung mit Kunst und Kultur ist Ihnen wichtig.<br />

Liberales Menschenbild<br />

Sie streben nach Toleranz, Gleichberechtigung und Partnerschaftlichkeit. Sie sind der<br />

Meinung, dass Männer lernen sollten, die weiblichen Anteile ihrer Persönlichkeit zu<br />

akzeptieren. Sie finden die zunehmende soziale Kälte in unserer Gesellschaft bedrohlich.<br />

Selbstverwirklichung ist Ihnen im Beruf wichtig.<br />

Fortschrittsoptimismus<br />

Sie glauben, dass die Menschheit die Umweltprobleme in den Griff bekommt.<br />

Die technische Modernisierung ist für Sie etwas Positives. Sie akzeptieren<br />

Wissenschaft und Technik. Sie sind froh, dass Sie in einer Industriegesellschaft<br />

leben. Hightechgeräte faszinieren Sie. Der technische<br />

Fortschritt macht für Sie das Leben lebenswert. Im Beruf würden Sie sich<br />

gerne mit neuen Technologien beschäftigen.<br />

* Die Autoren der HIS-Studie verwendeten das Konzept der<br />

Lebenswelt-Forschung des SINUS-Instituts, Heidelberg<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 21


E<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

BERUFSBIOGRAFIEN<br />

TIMES ARE<br />

CHANGING<br />

Ob Goldschmied oder Manager, ob<br />

Artdirector oder Ärztin – berufliche<br />

Zufriedenheit hat viele Fassetten.<br />

Sechs Berufspraktiker geben<br />

Auskunft darüber, ob sie ihre beruflichen<br />

Ziele verwirklichen konnten.<br />

Es kam ganz anders als Björn Broda<br />

dachte. Sein Berufswunsch: Restaurator<br />

am Museum für Vor- und Frühgeschichte<br />

in Mainz. Der Andrang auf die vier<br />

Ausbildungsplätze pro Jahr war enorm: etwa<br />

400 Bewerber.<br />

Um überhaupt eine Chance zu haben, waren<br />

Abitur und eine feinhandwerkliche Ausbildung,<br />

wie beispielsweise Uhrmacher, Zahntechniker<br />

oder Goldschmied, die Voraussetzung.<br />

Für Letzteres hat sich Björn Broda<br />

entschieden. Er bewarb sich über das Arbeitsamt<br />

und erhielt eine Lehrstelle in Meerbusch-Osterath.<br />

Im zweiten Ausbildungsjahr bot der Goldschmiedemeister<br />

seinem Lehrling an, den<br />

Laden zu übernehmen. Björn Broda und<br />

seine Frau überlegten: Der Beruf machte<br />

Spaß, und die Selbstständigkeit war sicherer,<br />

als in Mainz nochmals mit einer Ausbildung<br />

anzufangen. Einzige Schwierigkeit:<br />

Der neue Ladeninhaber brauchte den Meistertitel<br />

und das schnell. Nach seinem<br />

Ausbildungsende und einer anschließenden<br />

zweijährigen Gesellenzeit wurde er mit einer<br />

Sondergenehmigung zur Meisterprüfung<br />

zugelassen.<br />

„Es gibt die Möglichkeit, sich als externer<br />

Prüfling anzumelden, sobald man sich bereit<br />

dazu fühlt und bestimmte Voraussetzungen<br />

erfüllt“, erklärt der 35-jährige Goldschmiedemeister.<br />

„Ich habe mich anhand von Meisterprüfungsunterlagen<br />

vorbereitet, aber zudem<br />

einen Kurs in Buchführung an der Volkshochschule<br />

belegt. Davon hatte ich nämlich<br />

damals keine Ahnung.“ Die Rechnung ging<br />

22 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

Illustration: Gerd Huss


auf: Im Juni 1994 hielt Björn Broda seine<br />

Meisterurkunde in der Hand.<br />

Ein halbes Jahr später war er selbstständiger<br />

Goldschmiedemeister. „Ich habe damals in<br />

einer wirtschaftlich sehr schweren Zeit<br />

angefangen“, berichtet der Unternehmer.<br />

„Und es ging noch weiter bergab. Das ist<br />

eben schwierig bei Schmuck. Es ist das erste,<br />

worauf der Mensch verzichtet, wenn er wenig<br />

Geld hat und es ist das letzte, wo er wieder<br />

investiert.“ Glücklicherweise geht es seit<br />

Ende der 90er Jahre wirtschaftlich bergauf.<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

So kann sich sein großer Arbeitsaufwand von<br />

etwa 14 Stunden pro Tag vielleicht doch<br />

einmal rechnen.<br />

Karrierepläne? – „Ich kann nicht mehr als<br />

Qualität und einen kundenfreundlichen<br />

Service anbieten“, sagt der Goldschmied.<br />

Zwar bildet er sich permanent weiter, aber<br />

einen zusätzlichen Abschluss, wie etwa den<br />

Betriebswirt des Handwerks, peilt er nicht<br />

an. „Durch einen weiteren Titel bekomme ich<br />

auch nicht mehr Kunden. Das zahlt sich nicht<br />

aus.“ Für ihn ist es vielmehr wichtig, dass er<br />

Freude an seinem Beruf hat. „Es ist ein<br />

befriedigendes Gefühl, aus einem Stück<br />

Edelmetall ein schönes Schmuckstück zu<br />

fertigen“, erklärt er.<br />

Lehrer am Gymnasium<br />

Hans Sailer hatte Glück. Er konnte Auslandserfahrung<br />

nach seinem Referendariat nachweisen<br />

– mit ein Grund, warum er am Gymnasium<br />

in Grenzach-Wyhlen eine Stelle als Lehrer<br />

bekam. Der 36-Jährige unterrichtete drei<br />

Jahre an einer deutschen Schule in Guadalajara,<br />

der zweitgrößten Stadt Mexikos.<br />

„Ich wollte eigentlich Biologie im Diplomstudiengang<br />

studieren, bekam aber aufgrund<br />

der Zulassungsbeschränkung in diesem Fach<br />

keinen Studienplatz. Deshalb studierte ich<br />

Biologie und Chemie im Lehramtsstudiengang“,<br />

berichtet er.<br />

Nach seinem Studium in Ulm und dem<br />

Referendariat bewarb sich der Gymnasiallehrer<br />

zunächst landesweit, auch an Privatschulen<br />

– ohne Erfolg. Dann bemühte er sich<br />

um eine Stelle im spanisch sprechenden<br />

Ausland. Gute Sprachkenntnisse konnte er<br />

vorweisen, da er während des Studiums ein<br />

Jahr in Costa Rica studiert hatte.<br />

Durch Zufall erfuhr er, dass an einer deutschen<br />

Schule in Mexiko ein Lehrer mit seiner<br />

Fächerkombination gesucht wurde. Er traf<br />

sich mit dem mexikanischen Schuldirektor<br />

am Frankfurter Flughafen zum Vorstellungsgespräch,<br />

bekam die Stelle und ging zwei<br />

Monate später mit seiner Frau und der kleinen<br />

Tochter nach Mexiko.<br />

Schon der Beginn in Mexiko war angenehm.<br />

Ein Kollege holte die Familie am Flughafen<br />

ab, die Verwaltungschefin der Schule kümmerte<br />

sich um ein Apartment und eine Kollegin<br />

hatte zufällig ein Auto zu verkaufen. Auch<br />

für die Ehefrau war der Aufenthalt kein<br />

Problem. Sie war während des Studiums<br />

ebenfalls ein Jahr in Costa Rica gewesen und<br />

sprach fließend Spanisch. „Unangenehm<br />

waren die Skorpione für die herumkrabbelnden<br />

Kinder“, erinnert sich Hans Sailer. „Wir<br />

haben alle Spalten in der Wohnung mit<br />

Silikon abgedichtet.“<br />

Am Gymnasium in Grenzach-Wyhlen<br />

lehrt Hans<br />

Sailer alle Klassen.<br />

Meist macht ihm der<br />

Umgang mit den Schülern<br />

Spaß. „Es kommt<br />

natürlich auch auf die<br />

eigene Tagesform an“, sagt er. „Manchmal<br />

ist es allerdings auch frustrierend. Besonders<br />

schwierig sind die pubertierenden<br />

Schüler der Klassen neun und zehn.“ Was<br />

ihm auffällt: „In Mexiko schaute ich schon<br />

morgens bei Unterrichtsbeginn in lachende<br />

Gesichter. Hier findet man unter den<br />

Schülern eher Frust und eine Null-Bock-<br />

Einstellung.“<br />

Trotzdem ist Hans Sailer froh, wieder in<br />

Deutschland zu sein. „Ich freue mich, hier<br />

eine feste Stelle zu haben. Neben meiner<br />

Arbeit als Pädagoge ist natürlich vor allem<br />

meine Familie wichtig für mich.“ Obwohl er<br />

ab und zu Fernweh hat, denkt der Lehrer<br />

momentan nicht daran, wieder ins Ausland<br />

zu gehen. Langeweile kennt er ohnehin<br />

nicht: Er wird gerade zum vierten Mal Vater.<br />

Fachärztin im Krankenhaus<br />

„Schon als Kind hat mich die Atmosphäre im<br />

Krankenhaus fasziniert“, berichtet Ute<br />

Beckmann, Ärztin an einem Krankenhaus in<br />

Norddeutschland. Sie absolvierte nach dem<br />

Abitur zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester,<br />

merkte aber bald, dass sie<br />

mehr Verantwortung übernehmen wollte,<br />

und schloss deshalb ein Medizinstudium an.<br />

Momentan ist sie kurz vor dem Ende ihrer<br />

Facharztausbildung in Anästhesie.<br />

Nachdem sie den Arztberuf näher kennen<br />

gelernt hat, ist die 37-Jährige etwas desillusioniert:<br />

„Früher war ich davon überzeugt,<br />

Ärzten könne man alles glauben. Dabei<br />

entscheiden sie viel aus dem Bauch heraus,<br />

weil sie zum einen gar nicht alles wissen<br />

können, und zum anderen oftmals noch nicht<br />

genügend Erfahrung haben.“<br />

Ursprünglich wollte Ute Beckmann in die<br />

Innere Medizin gehen, doch heute ist sie<br />

froh, sich für die Anästhesie entschieden zu<br />

haben. Allerdings bedauert sie, nicht so intensiven<br />

Patientenkontakt zu haben. „Am<br />

Anfang hat mich die Arbeit als Ärztin unheimlich<br />

begeistert“, erinnert sich Ute Beckmann<br />

an den Beginn ihres Berufslebens. „Da ist<br />

man total motiviert und freut sich, so viel<br />

Verantwortung tragen zu dürfen. Mit der Zeit<br />

schwächt sich dieses Gefühl schon ab und<br />

vieles wird zur Routine.“<br />

Selbstständiger Wirtschaftsexperte<br />

Mit 19 Jahren startete Dr. Hans-Hendrik<br />

Puvogel eine Umfrage unter deutschen<br />

Personalchefs, deren Unternehmen er aus<br />

einer überregionalen Tageszeitung herausgesucht<br />

hatte – mit dem Tenor: „Ich bin Abiturient<br />

und will etwas Spannendes machen,<br />

was raten Sie mir?“ Das Resümee seiner<br />

Recherche: Am häufigsten wurde ihm ein<br />

möglichst breit angelegtes Studium empfohlen,<br />

das ihn von den Inhalten her interessiert.<br />

Betont wurde auch, wie wichtig eine kurze<br />

Studienzeit wäre.<br />

Der ehrgeizige Abiturient wählte die Fächerkombination<br />

Volkswirtschaftslehre und<br />

Philosophie. Bereits nach dem sechsten<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 23


Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Semester machte er – mit verschiedenen<br />

Sondergenehmigungen des Prüfungsamts –<br />

sein Diplom. Während dieser knapp bemessenen<br />

Studiendauer fand er noch die Zeit,<br />

ein Studienjahr in Paris zu verbringen. Nach<br />

seinem Examen arbeitete er bei einem<br />

Verband als Geschäftsführer und promovierte<br />

gleichzeitig.<br />

Seit Januar dieses Jahres ist Dr. Hans-Hendrik<br />

Puvogel selbstständig: „Zum einen<br />

kümmere ich mich um Werbebeobachtung<br />

im World Wide Web. Zum anderen biete ich<br />

Dienstleistungen für Unternehmen und die<br />

Werbewirtschaft bezogen auf das Internet<br />

an.“<br />

Direkt nach seiner Promotion war er bei<br />

einem großen Verlagsunternehmen in der<br />

Zentralen Unternehmensentwicklung, auch<br />

Inhouse Consulting genannt, tätig. Dort<br />

arbeitete er in den Bereichen Fernsehen und<br />

neue Medien. Nach zwei Jahren wechselte er<br />

zu einer anderen Verlagsgruppe und wurde<br />

dort Leiter der Online-Aktivitäten.<br />

Wichtig für Dr. Hans-Hendrik Puvogel ist es,<br />

etwas bewegen zu können. „Ich bin von der<br />

Mentalität her Unternehmer und Generalist“,<br />

sagt der 33-Jährige. „Ich arbeite außerdem<br />

gerne mit Menschen zusammen und<br />

habe Spaß an Führung.“ Seine Unabhängigkeit<br />

ist ihm wichtig. „Ich möchte keine Anweisungen<br />

von anderen ausführen, sondern<br />

bin lieber mein eigener Chef. Dafür nehme<br />

ich auch finanzielle Einbußen in Kauf.“<br />

Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei<br />

Dr. Johannes Weberling hat Jura und Geschichte<br />

in Gießen, Freiburg und Bonn studiert.<br />

„Meine Fächerkombination bietet die<br />

Möglichkeit, auf möglichst breitem Feld<br />

Kenntnisse zu erwerben. Davon profitiere<br />

ich noch heute bei der Analyse juristischer<br />

Sachverhalte“, sagt er.<br />

Heute arbeitet der 41-jährige Jurist als<br />

Rechtsanwalt für Medienrecht, Arbeitsrecht<br />

und allgemeines Wirtschaftsrecht in seiner<br />

Kanzlei in Berlin. Bevor er sich selbstständig<br />

machte, war er bereits mehrere Jahre nebenher<br />

freiberuflich als Rechtsanwalt tätig.<br />

Nach seinem Examen, dem Referendariat,<br />

das er in Deutschland und Finnland absolvierte,<br />

und seiner Promotion in Geschichte,<br />

arbeitete er zunächst als Assistent des kaufmännischen<br />

Geschäftsführers einer Großforschungseinrichtung<br />

für Umwelt und Gesundheit.<br />

Dann wechselte er zu einer großen<br />

Berliner Zeitung, wo er Leiter der Personalund<br />

Rechtsabteilung wurde. Anschließend<br />

war er Geschäftsführer einer Wochenzeitung.<br />

Seit vier Jahren ist er selbstständig.<br />

Eine Karriere um jeden Preis? „In jeder<br />

beruflichen Biografie gibt es Schwankungen.<br />

Es ist ein ständiges Auf und Ab. Es<br />

bringt nichts, um jeden Preis eine berufliche<br />

Position erreichen zu wollen. Das führt nur<br />

dazu, dass alle Menschen als Konkurrenten<br />

angesehen werden und dass man den Spaß<br />

an der Arbeit verliert.“<br />

24 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

Artdirector in der Werbung<br />

Klaus Meuriße ist Artdirector bei einer großen<br />

Düsseldorfer Werbeagentur. Der 32-Jährige<br />

ist begeistert von seinem Job: „Es macht<br />

unheimlich viel Spaß, einen Film zu planen,<br />

dann zum Dreh zu fahren und das Filmmaterial<br />

anschließend nachzubearbeiten.“<br />

Dass er nicht für einen Schreibtischjob<br />

geschaffen ist, war dem Werbemann bereits<br />

früh klar. Zu seinem Beruf kam er allerdings<br />

erst über Umwege: Nach Realschule und<br />

einer betrieblichen Ausbildung machte er<br />

zunächst sein Fachabitur. Dann studierte er<br />

zwei Semester lang Elektrotechnik an einer<br />

Fachhochschule. Er brach das Studium ab,<br />

weil es ihm nicht gefiel, und zog es vor, vorübergehend<br />

in seinem Ausbildungsberuf zu<br />

arbeiten.<br />

Nach einiger Zeit entschloss er sich, Grafikdesign<br />

zu studieren. Vor allem sein Interesse<br />

für Trickfilme motivierte ihn zu diesem<br />

Schritt. Mit seinem Diplom in der Tasche<br />

bewarb er sich mit Erfolg bei einer Werbeagentur.<br />

Inzwischen ist Klaus Meuriße dort<br />

Artdirector.<br />

Er kümmert sich um die klassische Werbung<br />

in Print und TV. Wenn ein Kunde einen Auf-<br />

TEXTANALYSE<br />

Spielen Sie Sherlock Holmes!<br />

Lösungsbeispiel:<br />

Berufliche<br />

Ziele<br />

Werte<br />

Dalibor<br />

sicherer<br />

Arbeitsplatz<br />

geregeltes<br />

Einkommen<br />

Spaß im Job<br />

Sicherheit<br />

Lebensqualität<br />

Nina<br />

krisensicherer<br />

Job<br />

Selbstverwirklichung<br />

Karriere<br />

machen<br />

Sicherheit<br />

Unabhängigkeit<br />

Familie<br />

Lebensqualität<br />

trag erteilt, dann werden Konzepte entwickelt,<br />

wie das Produkt bei der Zielgruppe<br />

positioniert werden soll. Nach vielen einzelnen<br />

Vorbereitungsschritten kann es endlich<br />

mit Regisseuren ans Drehen eines Werbespots<br />

gehen. Anschließend wird der Spot<br />

nachbearbeitet und dem Kunden vorgestellt.<br />

Hat der Änderungswünsche, muss nochmals<br />

alles bearbeitet werden. Nach durchschnittlich<br />

einem halben Jahr geht der Werbespot<br />

dann auf Sendung.<br />

Heute steht Klaus Meuriße der Werbung<br />

skeptischer gegenüber als früher: „Ich hätte<br />

mir nicht träumen lassen, dass Werbung so<br />

viel Macht hat. Unterschwellig werden ja permanent<br />

Leitbilder vermittelt, die das Denken<br />

und Tun des Einzelnen beeinflussen. Werbung<br />

bestimmt teilweise unser Lebensgefühl<br />

und unsere Einstellungen.“<br />

Alexander<br />

Natur<br />

bewahren<br />

ökologische<br />

Technik<br />

verwirklichen<br />

menschliche<br />

Arbeitsumgebung<br />

gut verdienen<br />

Umwelt<br />

Familie<br />

Lebensqualität<br />

Prestige<br />

Astrid<br />

Interessen<br />

verwirklichen<br />

gute Berufsposition<br />

Spaß haben<br />

geregelte<br />

Finanzen<br />

intellektuelle<br />

Herausforderung<br />

Sicherheit<br />

Familie<br />

Lebensqualität<br />

Prestige<br />

Bettina Furchheim<br />

!<br />

Patrick<br />

interessante<br />

Tätigkeit<br />

Spaß haben<br />

Karriere<br />

machen<br />

guter<br />

Verdienst<br />

Sicherheit<br />

Lebensqualität<br />

Prestige


ENTSCHEIDUNGSTHEORIE<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Expertenmeinung<br />

Mit Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt von der Fachhochschule des Bundes Mannheim sprach abi-Redakteur<br />

Peter Wurz über die Bedeutung von Wertvorstellungen bei der Berufswahl.<br />

abi: Welche Rolle spielen Werte bei der<br />

Berufswahl?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt:<br />

Wenn wir die Berufswahl als einen Problemlösungsprozess<br />

ansehen, dann können<br />

wir davon ausgehen, dass dabei in<br />

der Regel drei Informationsarten miteinander<br />

gekoppelt werden. Das ist erstens<br />

einmal das Wissen über Handlungsalternativen<br />

– wir nennen das faktische Informationen.<br />

Der zweite Bereich ist der<br />

valuative Informationsbereich – hier geht<br />

es um die Kriterien bei der Entscheidungsfindung.<br />

Der dritte ist die Vorgehensweise,<br />

also das prozedurale Wissen<br />

und die Normen, was zusammen den individuellen<br />

Entscheidungsstil ausmacht.<br />

abi: In welchem dieser drei Bereiche spielen<br />

Wertvorstellungen eine Rolle?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Ich<br />

würde die Werte vor allem in den mittleren<br />

Bereich, in den Kriterienbereich,<br />

einordnen. Dort spielen sie eine entscheidende<br />

Rolle, denn sie dienen zur<br />

Auswahl und Gewichtung von Handlungsalternativen.<br />

Werte bestimmen aber auch<br />

die Wahl und die Einordnung von Vorgehensweisen<br />

mit. Insbesondere dann,<br />

wenn es darum geht, welche und wie<br />

viele Helfer, Medien und Informationsquellen<br />

ich in meinen Entscheidungsprozess<br />

einbeziehe.<br />

abi: Wie erlernt ein Mensch die von Ihnen<br />

genannten drei Dimensionen des Problemlösungsprozesses?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Die<br />

drei Faktoren sind in stark unterschiedlichem<br />

Ausmaß sozialisationsabhängig,<br />

das heißt durch die Erziehung und die<br />

äußeren Umstände in den ersten Lebensjahren<br />

bedingt. Hier lernen wir, uns in einer<br />

bestimmten Art und Weise bei Problemen<br />

und in Entscheidungssituationen zu verhalten.<br />

So ist natürlich der dritte Bereich,<br />

der Entscheidungsstil, stark sozialisationsabhängig.<br />

Hier geht es ja im Grunde<br />

um Vorgehensweisen, die auf den normativen<br />

Vorstellungen des Menschen basieren.<br />

Der zweite Bereich, in dem es um die<br />

Kriterien geht, ist ebenfalls durch die Sozialisation<br />

bedingt. Allerdings ändern sich<br />

Bewertungskriterien im Laufe des Lebens.<br />

abi: Wie kommt es zu einer Veränderung<br />

bei der Bewertung von Handlungsalternativen?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Das<br />

hängt mit dem Selbstkonzept des Einzelnen<br />

zusammen. Jeder Mensch hat eine<br />

Meinung von sich und fragt sich von Zeit<br />

zu Zeit: Wer bin ich? Wer möchte ich sein?<br />

Dieses Selbstkonzept wandelt sich im Lebensablauf.<br />

Es ist abhängig von den<br />

Rollen, die der Mensch im jeweiligen<br />

Lebensabschnitt spielt. So möchte beispielsweise<br />

ein Jugendlicher ein guter<br />

Sportler sein und strebt danach, sich körperlich<br />

zu vervollkommnen. Einige Jahre<br />

später ist er dann vielleicht in der Rolle<br />

des Familienvaters und ganz andere Dinge<br />

sind ihm wichtig.<br />

abi: Die Bewertungskriterien können sich<br />

also im Laufe des Lebens ändern. Gibt es<br />

aber dennoch berufsbezogene Einstellungen<br />

und Werte, die das ganze Leben<br />

lang konstant bleiben?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Sicherlich<br />

ja. Durch die permanente Interaktion,<br />

den ständigen Austausch mit der<br />

Umwelt wandeln sich zwar berufliche<br />

Ziele, Interessen sowie Anschauungen<br />

und mit ihnen auch die Bewertungskriterien.<br />

Aber das Wertesystem im Hintergrund<br />

– die Grundprägung der Persönlichkeit<br />

– ist relativ stabil.<br />

abi: Wie entsteht dieses basale individuelle<br />

Wertesystem?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Wertsysteme<br />

sind im wesentlichen dem affektiv-motivationalen<br />

Bereich zuzuordnen,<br />

haben aber auch eine kogitive Seite. Motive<br />

sind ja Kräfte, die mich bewegen. Ich<br />

glaube, dass hier die primäre Sozialisation<br />

in der Familie eine große Rolle spielt.<br />

Natürlich sind auch die Einflüsse des<br />

Umfelds, wie der Nachbarschaft, des Kindergartens,<br />

der Schule und nicht zu<br />

vergessen der Medien zu berücksichtigen.<br />

Was beispielsweise die überdauernde<br />

Leistungsmotivation anbelangt, so<br />

spricht vieles dafür, die höchste Prägsamkeit<br />

in den ersten zwölf Lebensjahren<br />

anzunehmen.<br />

abi: Um auf die Berufswahl zurückzukommen,<br />

wie kann ich als Abiturient<br />

wissen, ob sich meine Wertvorstellungen<br />

später in einem Beruf verwirklichen<br />

lassen?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Diese<br />

Frage spricht ein ernst zu nehmendes<br />

Problem an: Die Bewertungen von<br />

Schülern und Abiturienten für eine ihnen<br />

weitgehend unbekannte Berufswelt<br />

beziehen sich häufig sehr nah auf ein Studium,<br />

dessen Inhalte und inwieweit sie<br />

den eigenen Neigungen und Begabungen<br />

entgegenkommen. Arbeitsmarktbezüge<br />

sind eher allgemein und richten sich oft<br />

auf die Erwartung vielfältiger Einsatzmöglichkeiten<br />

durch das Studium. Materielle<br />

Aspekte treten als Kriterien eher<br />

etwas zurück, was aber durchaus nicht<br />

negativ ist. Im Vordergrund stehen immaterielle<br />

Werte wie beispielsweise umfassende<br />

Bildung, Selbstverwirklichung und<br />

Selbstbestimmung der Arbeit. Die Entscheidung<br />

für einen Ausbildungsweg wird<br />

also mit abstrakten Kriterien begründet,<br />

die später in der Berufsrealität vielleicht<br />

gar nicht eingelöst werden können.<br />

abi: Wie kann man dieses Problem in den<br />

Griff bekommen?<br />

Professor Dr. Bernd-Joachim Ertelt: Kein<br />

Abiturient kann wissen, ob er sich in<br />

einem von ihm in die nähere Wahl gezogenen<br />

Beruf einmal wohl fühlen wird. Wie<br />

ein bestimmtes berufliches Umfeld zu<br />

seiner Persönlichkeit passt und ob er<br />

seine Interessen, Ziele und Wertvorstellungen<br />

hier verwirklichen kann, kann nur<br />

bedingt prognostiziert werden. Die Berufsentscheidung<br />

ist immer eine Entscheidung<br />

unter Informationsunsicherheit.<br />

Hilfreich ist es allerdings, an Bewährungsfeldern,<br />

auf die ich mich hin<br />

orientiere, möglichst oft teilzunehmen.<br />

Mit anderen Worten: Wer sich durch Praktika,<br />

durch Gespräche mit Berufsinhabern,<br />

durch Vergleiche von Studium mit<br />

Formen der Berufsausübung schon einen<br />

Einblick in die Berufsrealität verschafft<br />

hat und weiß, was ihn im Wunschberuf erwartet,<br />

der trifft sicherlich eine besser abgesicherte<br />

Berufsentscheidung.<br />

abi Berufswahl-Magazin 5/2000 25


FALLBEISPIEL<br />

Schwerpunkt: Beruflichen Zielen auf der Spur<br />

Entscheiden Sie salomonisch!<br />

Jutta steht vor einem Dilemma: Soll sie in den Ferien mit einem Freund nach Südfrankreich fahren oder lieber mit den<br />

Eltern nach Florida?*<br />

Wer eine gute Entscheidung treffen<br />

möchte, sollte sich seine Wertvorstellungen<br />

und Ziele bewusst machen und diese<br />

gewichten. Das ist bei der Berufswahl<br />

so, aber natürlich auch bei allen anderen<br />

Entscheidungen, die wir im täglichen Leben<br />

treffen.<br />

Im Folgenden wird Ihnen die Schülerin<br />

Jutta vorgestellt (Text A). Sie hat ein Entscheidungsproblem:<br />

Ein Freund möchte,<br />

dass sie in den Sommerferien mit ihm<br />

nach Aix-en-Provence fährt; ihre Eltern<br />

würden es hingegen gerne sehen, wenn<br />

sie mit ihnen den Urlaub verbringen würde<br />

(Text B).<br />

Ihre Aufgaben:<br />

• Lesen Sie zunächst Text A und arbeiten<br />

Sie heraus, was Jutta wichtig ist<br />

beziehungsweise welche Wertvorstellungen<br />

sie hat.<br />

• Lesen Sie dann Text B. Versetzen Sie<br />

sich in Juttas Lage und versuchen Sie herauszubekommen,<br />

wie sie sich entscheiden<br />

wird. Begründen Sie Ihre Meinung.<br />

Vorsicht: Lassen Sie sich nicht von Ihren<br />

eigenen Vorstellungen leiten.<br />

Schreiben Sie Ihre Lösungen auf und<br />

lesen Sie erst danach unseren Lösungsvorschlag.<br />

TEXT A<br />

Das ist Jutta: Jutta ist 18 Jahre alt und besucht die Jahrgangsstufe<br />

12. Ihre Leistungskurse sind Französisch und<br />

Kunst. Sie belegt Grundkurse in Mathematik, Wirtschaftsund<br />

Sozialwissenschaften, Englisch, Philosophie und<br />

Sport. Anfang des Jahres ist sie gemeinsam mit ihrer besten<br />

Freundin Julia einer Diskussionsgruppe von acht Mitschülerinnen<br />

beigetreten, die sich intensiv und engagiert<br />

mit Fragen von Ökologie und Ökonomie und der Rolle der<br />

Frau beim Umweltschutz auseinandersetzt. Derzeit planen<br />

sie die Durchführung einer Aktionswoche. Jutta fehlt zwar<br />

häufiger mal im Unterricht, an den Tagen, an denen sich die<br />

Diskussionsrunde trifft, ist sie immer da.<br />

In ihrer Freizeit malt sie, schreibt schon mal Gedichte oder<br />

liest Bücher über mystische Religionen, Esoterik und Philosophie.<br />

Abends besucht sie häufiger Autorenlesungen<br />

und Theateraufführungen, die an der Universität in der<br />

Stadt, in der sie wohnt, veranstaltet werden. Dorthin geht<br />

sie meist mit befreundeten Studentinnen, mit denen sie<br />

nach den Veranstaltungen noch zusammensitzt, um über<br />

die Aufführungen zu diskutieren.<br />

Jutta legt keinen großen Wert auf Kleidung, schminkt sich<br />

grundsätzlich nicht. Ihrer Mutter gefällt das ganz und gar<br />

nicht. Sie ist der Ansicht, Jutta könnte „mehr aus sich machen“.<br />

Als Ehefrau eines erfolgreichen Geschäftsmannes<br />

hat sie andere Vorstellungen als ihre Tochter. Ihr ist es zum<br />

26 abi Berufswahl-Magazin 5/2000<br />

Beispiel unangenehm, wenn Geschäftsfreunde ihres Mannes<br />

ihre Tochter so sehen. Mit ihrem Vater versteht sich<br />

Jutta besser, führt aber häufig mit ihm auch heftige Debatten.<br />

Er möchte, dass sie Betriebswirtschaft studiert, damit<br />

sie später sein Unternehmen, eine Verbandsstofffabrik,<br />

übernehmen kann. Mit Jutta lässt sich allerdings nicht vernünftig<br />

darüber reden.<br />

TEXT B<br />

Kurz vor Beginn der Sommerferien erzählt Jutta ein Freund,<br />

Martin, der bereits studiert und den sie sehr bewundert,<br />

dass er in der ersten Ferienhälfte mit einigen anderen nach<br />

Aix-en-Provence zu einem Theaterworkshop fahren werde.<br />

Er fragt Jutta, ob sie nicht Lust habe mitzukommen, da ihr<br />

doch so viel am Theater liege. Eine echte Chance für Jutta!<br />

Martin macht ihr deutlich, dass ihm Juttas Anwesenheit<br />

sehr wichtig ist.<br />

Natürlich hat Jutta große Lust, nach Aix-en-Provence zu fahren.<br />

Doch ihr fehlt das erforderliche Geld. Sie fragt ihren Vater,<br />

ob er ihr die Reise und den Workshop bezahle. Der Vater<br />

sagt, er gebe ihr das Geld auf Kreditbasis. Sie müsse die<br />

Summe nach ihrer Rückkehr in der zweiten Ferienhälfte in<br />

seinem Unternehmen allerdings „abarbeiten“. Und er<br />

macht deutlich: Wenn sie nach Frankreich fährt, kann Jutta<br />

nicht – wie eigentlich geplant – mit ihren Eltern nach Flo-<br />

Illustration: Gerd Huss<br />

rida fliegen, worauf sie sich schon seit<br />

Monaten gefreut hat.<br />

Juttas Mutter ist strikt gegen eine<br />

„Extratour“ ihrer Tochter. Sie möchte auf<br />

keinen Fall, dass Jutta mit ihrem Bekannten<br />

nach Südfrankreich fährt. Mutter und<br />

Tochter verstehen sich nicht besonders<br />

gut, aber der Mutter ist wichtig, dass<br />

Jutta in der zweiten Ferienhälfte mit nach<br />

Florida fährt. Sie möchte mal wieder einen<br />

richtigen „Familienurlaub“ machen<br />

und Juttas Freundin Julia ist eingeladen.<br />

Julia möchte für ihr Leben gern einmal<br />

nach Florida, könnte aber das Geld nicht<br />

aufbringen. Für sie wäre diese Reise die<br />

Erfüllung ihres Traumes.<br />

Und noch ein Konflikt tut sich auf: Wenn<br />

Jutta in der ersten Ferienhälfte jobben<br />

würde, hätte sie endlich genügend Geld,<br />

um nach den Ferien den schon lange geplanten<br />

Schauspielunterricht zu nehmen.<br />

Und sie könnte zusätzlich mit nach Florida<br />

fahren.<br />

Ihre Freundin Michaela aus der Diskussionsgruppe<br />

würde ihr das Geld leihen.<br />

Aber sie will es bis zu den Herbstferien<br />

zurückhaben. Bis dahin sieht Jutta kaum<br />

eine Möglichkeit, das Geld zu verdienen,<br />

aber vielleicht ergibt sich ja noch etwas ...<br />

Lösung: Entscheiden Sie salomonisch!*<br />

• Das ist Jutta wichtig: Schutz der Natur, Emanzipation der Frau,<br />

Unabhängigkeit, Freiheit des Denkens, Innerlichkeit und Kreativität.<br />

• Dies wäre eine mögliche Entscheidung: Jutta entscheidet sich<br />

für die Floridareise mit ihren Eltern und ihrer Freundin Julia, die sie<br />

nicht enttäuschen möchte. Die Gelegenheit zu einer solchen Reise<br />

wird sich ihr wahrscheinlich nicht mehr bieten, da sie künftig,<br />

wenn sie studiert, wohl kaum noch mit ihren Eltern Urlaub machen<br />

wird. Außerdem hat sie ihr Interesse an Theater und Literatur<br />

fest im Auge und möchte auf jeden Fall Schauspielunterricht nehmen.<br />

Dazu braucht sie Geld, denn der Unterricht ist teuer. Wenn<br />

sie teilnimmt, kann sie testen, ob die Schauspielerei ihr tatsächlich<br />

liegt und sie somit im Hinblick auf die anstehende Ausbildungsentscheidung<br />

(im nächsten Jahr) eventuell schon Weichen<br />

stellen kann. Die Möglichkeit zu einem Theaterworkshop bietet<br />

sich vielleicht ja noch ein anderes Mal.<br />

*Die Lösung ist aus „Entscheiden will gelernt sein!“, Skript zum<br />

Seminar.<br />

* Diese Aufgabe ist eine von vielen, die die Teilnehmer des Seminars<br />

„Entscheiden will gelernt sein!“ zu lösen haben. Das Seminar wird<br />

von der Berufsberatung für Abiturienten und Hochschüler des<br />

Arbeitsamts angeboten und richtet sich an Schülerinnen und<br />

Schüler der Sekundarstufe II.<br />

Falls Sie dieses Seminar gerne besuchen würden, wenden Sie sich<br />

bitte an die Berufsberatung Ihres örtlichen Arbeitsamts oder fragen<br />

Sie im Berufsinformationszentrum (BIZ) danach.

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