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Uwe Peltz<br />
Der sitzende Hermes aus<br />
Herculaneum – eine Kopie von<br />
Giorgio Sommer<br />
Zugleich mit der Fertigstellung der neuen Eingangshalle am Pergamonmuseum wurde<br />
1983 ebenso der vorgelagerte Ehrenhof neu gestaltet, so dass seither Kopien nach antiken<br />
Bildwerken den Weg zum Eingang säumen. Dem bronzenen Nachguss des »�ermenherrschers«<br />
stand eine Eisenkopie der Dresdner »Kleinen Herkulanerin« gegenüber, die sich<br />
heute an ihrem Entstehungsort, im Kunstguss-Museum Lauchhammer, befindet. Der<br />
»�ermenherrscher« stand sehr wahrscheinlich ursprünglich im Innenhof der Villa von<br />
Hermann Göring in Carinhall¹ und die »Kleine Herkulanerin« war einst Bestandteil eines<br />
Kamins im Berliner Stadtschloss. Beide waren nach dem Zweiten Weltkrieg <strong>als</strong> Bergungsgut<br />
in den Keller des Pergamonmuseums verbracht worden. Neben dem Eingang stellte<br />
man die Nachbildung eines korinthischen Kapitells aus Bronze auf. Neue Untersuchungen<br />
belegen, dass es sich um das Kapitell der Adlersäule, die nördlich vor dem Berliner Stadtschloss<br />
stand, handelt.²<br />
Unmittelbar am Anfang des Ehrenhofes finden wir den auf einem Felsblock ruhenden Hermes<br />
(Abb. 1), den die Burg Giebichenstein Halle 1983 <strong>als</strong> Leihgabe der Antikensammlung<br />
Berlin überließ. Die lebensgroße Bronzekopie des Hermes aus Herculaneum stand dort<br />
seit dem Zweiten Weltkrieg im Hof. Damit war nach einer umfassenden Restaurierung die<br />
weitere Präsentation im Außenbereich möglich. Der in der »Fonderia Artistica Sommer« in<br />
Neapel (Abb. 2) gegossene sitzende Hermes stammt wohl aus jüdischem Besitz und war in<br />
den Kriegswirren im Burghof einfach stehen geblieben.³ Genaueres war bislang über seine<br />
Herkunft nicht in Erfahrung zu bringen. Die kürzlich geäußerte Vermutung, dass es sich<br />
um jene Kopie handelt, die 1936 in der Ausstellung »Sport der Hellenen« im Pergamon-<br />
Museum gezeigt wurde⁴, trifft leider nicht zu. Im Katalog zur Ausstellung wird der Hermes<br />
ohne Abbildung aufgeführt⁵, der aber auf einer Fotografie eines Ausstellungsraumes im<br />
Vordergrund zu sehen ist.⁶ Die Bronze auf der Abbildung unterscheidet sich in Einzelheiten<br />
an der Basis und der Positionierung der Füße vom Hermes im Ehrenhof.<br />
Betrachtet man technische Details der Kopie aus dem Ehrenhof, kann ihre Entstehung<br />
zeitlich eingegrenzt werden.<br />
Der aus Frankfurt am Main stammende Giorgio Sommer absolvierte eine kaufmännische<br />
Lehre, ehe er zur Photographie wechselte. 1856/57 ließ er sich vorerst in Rom nieder. In<br />
Rom arbeitete er mit Edmondo Behles im gemeinsam geführten Fotoatelier. Für ihre Arbeiten<br />
erhielten Sommer und Behles auf internationaler Ebene zahlreiche Auszeichnungen.<br />
Im Mittelpunkt standen unter anderem Fotografien antiker Skulpturen. 1857/58 siedelte<br />
Sommer nach Neapel über und gründete vier eigene Fotoateliers. Hier lichtete er Antiken<br />
in Pompeji und Stadtansichten ab. Sommer unternahm immer wieder Reisen durch Italien<br />
und veröffentlichte Fotoalben⁷ mit Landschaftsaufnahmen und führte ein einträgliches<br />
Geschäft mit dem Verkauf von Bildern und Postkarten. Als weiteres »Standbein« des Geschäftsmannes<br />
Sommer ist die Produktion von Antikenkopien zu verstehen. Er war ebenso<br />
an Archäologie interessiert und bot daher erstm<strong>als</strong> um 1875 kleine Repliken von Antiken<br />
aus Bronze und Ton im Laden in seinem Palazzo am Lago Vittoria an. Ein Werbefoto dieser<br />
Zeit von Sommer soll die Angebotspalette von Antikenkopien zumeist in kleinerem Maß-<br />
1 V. Knopf u. S. Martens, Görings Reich, Berlin,<br />
1999, S. 109. Zwei Abbildungen zeigen einen Abguss<br />
des Thermenherrschers im neuen Innenhof vor dem<br />
Hauptportal der Villa.<br />
2 V. Kästner, Vom Schloss ins Museum, in: EOS, 9,<br />
Berlin, 1999, S. 14-15.<br />
3 Für diese Informationen danke ich Herrn Prof. B.<br />
Göbel und Frau Dr. A. Dolgner, Hochschule für Kunst<br />
und Design Halle, Burg Giebichenstein.<br />
4 S. Lehmann, »Sport der Hellenen« – Die Berliner<br />
Ausstellung von 1936 und der jüdische Archäologe<br />
Alfred Schiff (1863-1939), in: Höfer A., Lämmer M.<br />
u. Lennartz K. (Hrsg.), Stadion XXIX, Sonderband,<br />
Olympische Spiele, St. Augustin, 2003, S. 212, Anm.<br />
10.<br />
5 C. Blümel, Sport der Hellenen, Berlin, 1936, S. 10-<br />
11, Nr. 9.<br />
6 Schirner-Archiv 00920/31, Deutsches Historisches<br />
Museum, Berlin, Bildarchiv.<br />
7 G. Sommer, In Italien. Fotografien 1860-1888, Heidelberg,<br />
1992.<br />
75
stab verdeutlichen.⁸ Erst später gab es einen<br />
illustrierten Katalog.⁹ So wurde der sitzende<br />
Hermes vorerst <strong>als</strong> kleine Terrakotta-Replik<br />
verkauft und im 818 Positionen zählenden<br />
Verkaufskatalog aus dem Todesjahr von Giorgio<br />
Sommer 1914, nun dem Original entsprechend,<br />
in Bronze angeboten.¹⁰<br />
Es ist anzunehmen, dass Sommer jedoch bereits<br />
vor, spätestens aber zu Beginn seiner besonders<br />
aktiven Zeit um 1879 den sitzenden<br />
Hermes auch in originaler Größe in seinem<br />
Repertoire führte. Wie noch gezeigt wird,<br />
waren Reparaturen am Exemplar des Hermes<br />
im Ehrenhof noch mit dem Überfangguss<br />
ausgeführt worden. Die Erfindung der<br />
Autogenschweißtechnik mit dem Azetylen-<br />
Sauerstoff-Gemisch in den ersten Jahren des<br />
20. Jahrhunderts brachte mit sich, dass kurz<br />
darauf auch in Gießereien Reparaturen und<br />
Fügungen mit dem Schweißbrenner hergestellt<br />
wurden.¹¹ Sicher zählte das arbeitserleichternde<br />
Gerät sehr bald zur Ausstattung<br />
der Gießerei Sommer. Die Kopie wird demnach<br />
wohl eher aus der Produktion des letzten<br />
Viertels des 19. Jahrhunderts stammen,<br />
wo derlei Arbeiten noch mit dem mühevollen<br />
Überfangguss ausgeführt wurden.¹² Un-<br />
1 Die Bronzekopie des sitzenden Hermes aus dem Ehrenhof nach der Restaurierung 2004.<br />
klar bleibt freilich, wer bei Giorgio Sommer<br />
bestellte und wie die Kopie in den Burghof<br />
von Giebichenstein gelangte.<br />
Der antike Hermes aus römischer Zeit ist selbst eine Kopie, die auf eine griechische Bronze<br />
zurückgeht. 1758 wurde der Götterbote bei Grabungen im Garten der Villa dei Papiri in<br />
Herculaneum gefunden und kurze Zeit später auf einen modernen Naturstein gesetzt, mit<br />
dem er heute im Nationalmuseum von Neapel ausgestellt ist. Diese beeindruckende antike<br />
Skulptur wirbt in nahezu jedem Reiseführer für das Museum und die Stadt Neapel. Nicht<br />
zuletzt die Vielzahl an öffentlich aufgestellten lebensgroßen Kopien verdeutlicht die herausragende<br />
Stellung dieser Großbronze.¹³<br />
76<br />
2 Die Gießermarke der Fonderia Artistica Sommer<br />
Napoli an der Rückseite der Basis.<br />
Die runde Markierung in der Oberfläche weist auf die<br />
Reparatur mit dem Überfangguss hin.
Die Restaurierungen<br />
Es bleibt nicht aus, dass ein Kunstwerk wiederholt restauriert werden<br />
muss. Der Hermes aus dem Ehrenhof wurde 2004 zum vierten Mal<br />
von Metallrestauratoren der Museumsinsel umfassend überarbeitet.<br />
Da die Bronze seit annähernd 20 Jahren im Hof zu sehen ist, wurde<br />
sie ungefähr alle 5 Jahre bearbeitet, was für Bronzen, die im Freien<br />
aufgestellt sind, nicht unüblich ist. Anlass für die Maßnahmen war<br />
aber nicht immer die turnusmäßige Pflege, wie sie sonst bei Bildwerken<br />
im Außenbereich üblich ist.<br />
Wie bereits erwähnt, erfolgte die erste Restaurierung unmittelbar vor<br />
der Aufstellung im Ehrenhof. Bei den langwierigen Arbeiten wurden<br />
die sich an Großbronzen im Freien bildende Kruste mechanisch<br />
entfernt, die Patina chemisch stabilisiert und die Oberfläche konserviert.<br />
Unter den dicken Auflagerungen war an vielen Stellen die originale<br />
Oberfläche einer olivgrünen, glatten Patina noch erhalten¹⁴,<br />
die heute nur noch an wenigen Stellen sichtbar ist. Die Arbeiten von<br />
Renate Lehmann wurden seinerzeit von den Medien mit großem Interesse<br />
begleitet (Abb. 3).¹⁵ 1993 waren alle Bronzen aus dem Ehrenhof<br />
– unter ihnen der Hermes – gründlich gereinigt und mit Wachs<br />
konserviert worden. Eine Beschädigung durch Vandalismus machte<br />
die umfassende Restaurierung 1996 notwendig. Bei dem Versuch eines<br />
Unbekannten, die Plastik vom Steinsockel im Ehrenhof zu stehlen,<br />
riss die Befestigung zwischen Figur und Basis auseinander. Diese<br />
Verbindung musste bei der Restaurierung erneuert werden. Nach der<br />
Reinigung erhielt die Oberfläche eine Konservierungs- und eine Antigraffitischicht.¹⁶<br />
Die Ausführung der Arbeiten gewährleistete zwar<br />
den Schutz des Metalls, beeinträchtigten aber den ästhetischen Eindruck<br />
der Bronzeplastik.¹⁷<br />
Nach sechs Jahren waren es 2002 wieder die Folgen von Vandalismus, die eine Restaurierung<br />
erforderlich machten. Dabei wurde die Bronze vom Steinsockel gerissen und einige<br />
Meter auf dem Steinboden gezogen, bis sie liegen blieb. Der Kontakt der Bronzeoberfläche<br />
mit dem Steinboden führte zu Verlusten der Patina, bis hin zur teilweisen Deformation der<br />
Metalloberfläche. Besonders betroffen waren Teile der Basis, das linke Knie und die Haare<br />
über der linken Stirnseite, die zum Teil vollständig bei Abschürfungen verloren gingen<br />
(Abb. 4). Bei der neuen Bearbeitung wurde wieder die Oberfläche gründlich gereinigt. In<br />
diesem Falle war die vollständige Abnahme der 1996 aufgetragenen Schichten mit dem<br />
Hochdruckdampfreiniger erforderlich (Abb. 5). Die Deformationen wurden mit Punzen<br />
zurückgeformt und die Oberflächentextur entsprechend der umliegenden Ziselierung mit<br />
gleichen Werkzeugen nachempfunden. Die nahezu vollständig verlorenen Locken konnten<br />
mit gleichem Werkzeug aus dem hier vorhandenen Material nachgebildet werden. Die<br />
Färbung der metallisch blanken Partien ließ sich anschließend mit chemischen Lösungen<br />
8 B. v. Dewitz, Italien Sehen und Sterben. Photographie<br />
aus der Zeit des Risorgimento, Heidelberg, 1992,<br />
Tafel 247 u. 276, Nr. 195.<br />
9 G. Sommer, Catalogue illustré Bronzes – Marbres.<br />
Die Jahresangabe der im Anhang des Kataloges aufgeführten<br />
Preisliste ist 1914. Handschriftlich ist auf der<br />
Titelseite des vorliegenden Exemplars vermerkt: received<br />
in 1926 as the latest edition.<br />
10 G. Sommer (Anm. 9) ohne Seitenangabe.<br />
11 T. Kautny, Handbuch der autogenen Metallbearbeitung,<br />
Halle,1908, S. 677-678.<br />
12 An der im Hof des Winkelmann-Museum Stendal<br />
ausgestellten lebensgroßen Kopie des Hermes, die<br />
offensichtlich in jüngerer Zeit sicher auch in Neapel<br />
gegossen wurde, waren Reparaturen und Fügungen mit<br />
der Autogenschweißtechnik ausgeführt worden.<br />
13 C. Mattusch, The seated Hermes from the Villa Dei<br />
Papiri at Herculaneum: Ancient and modern lives, in:<br />
A. Drost u. F. Lang (Hrsg.), Mittel und Wege, Berlin,<br />
2004, S. 167-179. Mit weiteren Hinweisen und Literaturangaben<br />
zum Hermes aus Herculaneum.<br />
Weitere, dem Verfasser bekannte lebensgroße Kopien:<br />
Bronze auf Marmorbasis; Hof des Winkelmann-Museums,<br />
Stendal,<br />
Bronze auf Marmorbasis; Garten der Gedenkstätte der<br />
Wannsee-Konferenz, Berlin.<br />
3 Die Titelseite der nur im westlichen Ausland erhältlichen<br />
Zeitschrift DDR-Revue zeigte 1984 Renate Lehmann<br />
bei der Arbeit am Hermes aus dem Ehrenhof.<br />
Kerngalvano auf neuer Steinbasis, Museum für Kommunikation,<br />
Berlin.<br />
14 S. Hradetzky u. R. Lehmann, Restaurierungsbericht<br />
94/84, Berlin, 1984, S. 3.<br />
15 DDR-Revue, Magazin aus der DDR, Heft 3, Berlin,<br />
1984, Abbildung Titelseite.<br />
16 M. Kupfer, Dokumentation der Arbeiten zum Graffitischutz<br />
an vier Statuen des Pergamon-Museums zu<br />
Berlin, Berlin, 1997, S. 5f, Abb. 5 u.6; 15 u. 16.<br />
17 U. Rohnstock, Anmerkung zur Bearbeitung der<br />
Bronzen im Ehrenhof des Pergamon-Museums, Berlin,<br />
1997, Aktennotiz.<br />
77
4 Bei der Beschädigung 2002 gingen durch den Kontakt<br />
mit dem Boden Teile der Locken über der linken<br />
Stirn fast vollständig verloren.<br />
5 rechts Bei der Restaurierung wurde der Hermes von<br />
der Basis gehoben. Reste der alten Konservierungschichten<br />
liegen während der Reinigung <strong>als</strong> graue<br />
Ablagerungen auf.<br />
6 Mit Punzen ließen sich die verlorenen Locken aus<br />
dem noch vorhandenen Metall herausarbeiten und<br />
anschließend chemisch färben.<br />
78<br />
Der Bronzeguss bei Giorgio Sommer, Neapel<br />
herstellen (Abb. 6), die sich bei vergleichbaren<br />
Restaurierungen bereits bewährten.¹⁸<br />
Als Konservierungsmittel für Bronzen im<br />
Außenbereich haben sich in den letzten Jahren<br />
unter anderem mikrokristalline Wachse<br />
durchgesetzt.¹⁹ Darüber hinaus haben<br />
Restauratoren gute Erfahrungen mit der<br />
Wachssuspension AERO 46 sammeln können.²⁰<br />
Die Verarbeitung eines erwärmten<br />
Gemisches der Wachse erhöht das Eindringvermögen<br />
in die Patina deutlich. Abschließend<br />
wurden Winkelelemente angefertigt,<br />
die zukünftig die feste Montage des Hermes<br />
auf dem Steinsockel im Ehrenhof gewährleisten.<br />
Hierfür mussten an drei Positionen<br />
in der Basis Bohrungen eingebracht werden.<br />
Spezielle Schrauben verbinden zukünftig<br />
die Basis mit den Winkelelementen. Diese<br />
Art der Sicherung von Großbronzen des<br />
19. Jahrhunderts im Außenbereich hat sich<br />
bewährt.²¹<br />
Nachdem der Bronzeguss Ende des 17. Jahrhunderts in Frankreich und wenig später europaweit<br />
monumentale Werke hervorgebracht hatte, wurden im späten 18. Jahrhundert<br />
kaum noch große Güsse ausgeführt. In Berlin zum Beispiel endete diese Tradition 1699<br />
mit Schlüters »Großem Kurfürsten«.²² Johann Gottfried Schadows Bemühungen Ende des<br />
18. Jahrhunderts ist es zu danken, dass die Gusstechnik im 19. Jahrhundert eine neue Blüte<br />
erfahren sollte. Noch in den 1820er Jahren bediente man sich in Deutschland der Treibtechnik<br />
in Ermangelung von Erfahrungen im plastischen Bronzeguss bei der Ausführung<br />
monumentaler Bildwerke. So bat Christian Daniel Rauch 1824 Karl Friedrich Schinkel<br />
bei seinem Aufenthalt in Neapel, sich bei Francesco Righetti über dessen Gusstechnik zu<br />
informieren²³, was wohl für den damaligen Ruf der neapolitanischen Gießerkunst spricht.<br />
Offensichtlich wurde hier die gleichfalls im 18. Jahrhundert fast völlig eingeschlafene Tradition<br />
des Bronzegusses größerer Dimension rascher wieder belebt.²⁴ So verwundert es<br />
nicht, dass auch der Gießer Johann Baptist Stiglmaier, der spätere Leiter der berühmten<br />
Münchener Gießerei, 1821/22 nach Neapel reiste, um von Righettis Erfahrungen im monumentalen<br />
Guss zu profitieren.²⁵ Neben Neapel entstanden in Florenz, Rom und Mailand<br />
seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts weitere Gießerzentren von internationalem Ruf, die<br />
zum Teil bis in die Neuzeit tätig geblieben sind.²⁶<br />
Die rasche Entwicklung der Gießerkunst führte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts<br />
verstärkt zur Massenfertigung von Bronzen in diversen Maßstäben auch für das bürgerliche<br />
Heim. Die serielle Produktion der so genannten Ladenbronzen hatte sich durchgesetzt.<br />
Angeboten wurde alles, von Antikenkopien über kommerziell produzierte zeitgenössische<br />
Kunstwerke bis hin zu Geschmacklosigkeiten.²⁷<br />
So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch in der Nähe der antiken Vesuvstädte Gießer<br />
auf die Produktion von Antikenkopien spezialisierten. Eine der wohl erfolgreichsten war<br />
die Kunstgießerei Giorgio Sommer in der Via S. Attanasio 66 in Neapel.²⁸ Nach dem<br />
Tod des Vaters führte ab 1914 der Sohn Edmondo Sommer die Gießerei.²⁹ Unter den vielen<br />
Hundert Nachgüssen muss sich der Hermes in unterschiedlichsten Größen, Farben<br />
und Materialkombinationen gut verkauft haben. In der erwähnten Angebotsliste wird die<br />
Bronze immerhin in sechs verschiedenen Größen angeboten, wobei der geneigte Kunde<br />
wählen konnte, ob die Bronzekopie auf einer Bronze- oder Marmorbasis ruhte.³⁰ Damit<br />
nicht genug, denn die drei verschiedenen Oberflächenfärbungen (vgl. unten) auf gewöhnlicher<br />
und korinthischer Bronze erweiterten das Angebot auf 72 Varianten des ruhenden
Hermes, was nicht zuletzt auf die erwähnte Beliebtheit<br />
des antiken Origin<strong>als</strong> zurückgeführt werden muss. Die<br />
Anfertigung von Modellen des Hermes in fünf kleineren<br />
Varianten (Abb. 7) wurde bei Sommer mit Hilfe einer<br />
mechanischen Apparatur aus Frankreich ausgeführt.³¹<br />
Bei diesem nicht näher erläuterten Apparat wird es sich<br />
um die von Achille Collas erfundene Kopiermaschine<br />
handeln, der auch außerhalb Frankreichs ab der Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts damit hergestellte Verkleinerungen<br />
aus Gips verkaufte.³² Diese Neuentwicklung auf der<br />
Basis der heute noch bekannten Punktiermaschine war<br />
zweifellos bei dem gestiegenen Bedarf an Kopien unterschiedlicher<br />
Größe europaweit bekannt. Am Ende des<br />
19. Jahrhunderts wurde der Verkleinerungsapparat auch<br />
in den großen Galvanischen Anstalten genutzt, um von<br />
einem Modell Gipskopien verschiedener Größe herzustellen.³³<br />
Die serielle Produktion von über 800 Antikenkopien in<br />
diversen Maßstäben lässt eine gute Ausstattung der Gießerei<br />
Sommer mit einem großen und gut ausgebildeten<br />
Mitarbeiterstamm vermuten, der die Technik des Bronzegusses<br />
im Wachsausschmelzverfahren perfekt beherrschte.<br />
Gerade diese qualitätvolle Ausführung der Arbeiten am Wachsmodell, des Gusses selbst<br />
und der Kaltarbeiten beeindrucken am Hermes aus dem Ehrenhof. Somit warb Sommer zu<br />
Recht im erwähnten Katalog damit, dass nur »Künstler« in seiner Gießerei tätig seien. Ihm<br />
war es ebenso wichtig zu erwähnen, dass im Wachsausschmelzverfahren nach Cellini gearbeitet<br />
wurde.³⁴ Die Schilderungen des großen italienischen Goldschmiedes und Bildhauers<br />
Benvenuto Cellini über die Entstehung des Perseus sind in dessen Lebensbeschreibung<br />
erhalten.³⁵ In den »Trattati« gibt er über die einzelnen Arbeitsschritte bis zum vollendeten<br />
Guss detailliert Auskunft.³⁶ Sommer legte Wert darauf, in der Tradition des legendären<br />
Cellini zu arbeiten, nicht nur weil dieser Name werbewirksam war, sondern auch weil das<br />
<strong>als</strong> eine Art Gütesiegel verstanden wurde. Er wollte sich damit von Gießern abgrenzen, die<br />
minderwertige Kopien auf den Markt brachten, wie sie im Sandverfahren leichter herzustellen<br />
waren.<br />
Die Technik des Gusses in Hohlformen aus Sand wurde im 19. Jahrhundert entwickelt<br />
und galt um 1850 <strong>als</strong> das gängigere Verfahren, das beim monumentalen Bronzeguss einzu-<br />
18 F. Lehner u. U. Rohnstock, Restaurierungsdokumentation<br />
zur »Löwin« von August Gaul, Berlin/<br />
St.Gallen, 2000, 10-11. Verwendet wurden: Kupfer(II)nitrat,<br />
Eisen(III)-nitrat, Silbernitrat und Schwefelleber,<br />
gelöst in Wasser, aufgetragen bei verschiedenen Temperaturen.<br />
19 z.B.: K. Brendel, Der Augustusbrunnen in Augsburg<br />
– Maßnahmen an Bronzen im Freien, in: M.<br />
Mach (Hrsg.), Metallrestaurierung, München, 1998,<br />
S.166-168.<br />
20 AERO 46 ist eine Wachssuspension der Firma<br />
wako® GmbH, Radebeul.<br />
21 Für Diskussionen und Anregungen über das Für<br />
und Wider derartiger Eingriffe an Originalen des 19.<br />
Jahrhunderts danke ich den Herrn M. Heimler und P.<br />
Trappen der Firma Haber und Brandner, Metallrestaurierung.<br />
Auf vergleichbare Art wurden z.B. die Denkmäler<br />
von C.P.W. Beuth und K.F. Schinkel am Schinkelplatz<br />
in Berlin-Mitte auf ihren Sockeln befestigt.<br />
22 M. Schmidt, Johann Gottfried Schadow und die<br />
Bronzegusstechnik seiner Zeit – eine vergleichende<br />
Studie mit Briefpassagen, In: Berliner Beiträge zur<br />
Archäometrie, Heft 12, Berlin, 1993, S. 73.<br />
23 B. Maaz, »das war für Bronze gedacht und wirkt <strong>als</strong><br />
solche« Die Entwicklung des Bronzegusses in Deutschland<br />
im 19. Jahrhundert, in: B. Meißner, A. Doktor u.<br />
M. Mach (Hrsg.), Bronze- und Galvanoplastik, Dresden,<br />
2001, S. 28.<br />
24 H. Maertens, Die Deutschen Bildsäulen-Denkmale,<br />
Stuttgart, 1892, S. 27.<br />
25 B. Maaz (Anm. 23) S. 27 u. 35.<br />
26 H. Maertens (Anm. 24) S. 27.<br />
27 B. Maaz (Anm. 23) S. 34; G. Rupp, Gips, Zink und<br />
Bronze – Berliner Vervielfältigungsfirmen im 19. Jahrhundert,<br />
in: P. Bloch, S. Einholz u. J. v. Simson, Ethos<br />
und Pathos, Berlin, 1999, S. 347.<br />
28 B. v. Dewitz (Anm. 8) S. 276.<br />
29 G. Sommer (Anm. 9) ohne Seitenangabe.<br />
7 Bei dieser Bronze handelt es sich um eine 30 cm<br />
große Kopie des Hermes, die vielleicht auch in der Gießerei<br />
Sommer entstand.<br />
30 Z. B.: Eine lebensgroße Kopie mit Marmorbasis ist<br />
im Garten des Winkelmann-Museums Stendal ausgestellt.<br />
Es ist allerdings ungewiss, ob es sich hierbei um<br />
einen Guss Sommers handelt.<br />
31 Der sitzende Hermes war in folgenden Größen<br />
erhältlich: 116, 80, 53, 41, 30 und 18 cm.<br />
G. Sommer (Anm. 9) ohne Seitenangabe.<br />
32 G. Rupp (Anm. 27) S. 338, Abb. 1.<br />
33 A. Doktor, M. Mach u. B. Meißner, Neues zur Galvanoplastik,<br />
in: Restauro, Heft 1, München, 2001, S.<br />
51, Abb. 5.<br />
34 G. Sommer (Anm. 9) ohne Seitenangabe.<br />
35 J.W. v. Goethe, Leben des Benvenuto Cellini, Florentinischen<br />
Goldschmiedes und Bildhauers von ihm<br />
selber geschrieben, S. Seidel (Hrsg.), Berlin, 1979, S.<br />
426-436 u. S. 515-516.<br />
36 B. Cellini, Abhandlung über die Goldschmiedekunst<br />
und die Bildhauerei, Übersetzt von R. und M.<br />
Fröhlich, Basel, 1974, S. 100-109.<br />
79
8 Derartige mit Modellen und Formen gefüllte Regale<br />
sind noch heute in italienischen Gießereien zu finden,<br />
die Antikenkopien auf Anfrage produzieren.<br />
9 Die Laufspuren (Pfeile) weisen auf die Ausbesserung<br />
des Wachsmodells mit flüssigem Wachs am vorderen<br />
Teil der Basis hin.<br />
37 H. Lüer, Technik der Bronzeplastik, Leipzig, ohne<br />
Jahresangabe (um 1904), S. 115-117.<br />
38 E.A. Schott, Die Metallgießerei, Leipzig, 1913, S.<br />
37 u. 224.<br />
39 Wuttig, Die Kunst aus Bronze kolossale Statuen<br />
zu gießen, Berlin, 1814, S. 19-21. Die Bronzebasis entspricht<br />
der Steinbasis am römischen Original, was die<br />
Verwendung einer solchen Form bei Sommer nahe<br />
legt.<br />
40 H. Lüer (Anm. 37) S. 118.<br />
41 Wuttig (Anm. 39) S. 28f.<br />
42 H. Lüer (Anm. 36) S. 119.<br />
80<br />
setzen war. Das Wachsausschmelzverfahren<br />
hingegen wurde lediglich <strong>als</strong> für den Goldschmied<br />
von Bedeutung erachtet. Trotz aller<br />
Bemühungen wurde bald deutlich, dass<br />
der Sandguss nur bedingt beim Guss von<br />
Kunstwerken einsetzbar war.³⁷ Zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts wurden dann mit<br />
dieser Technik verstärkt industrielle Gussstücke<br />
gefertigt und wenig qualitätvoller<br />
»Nippes« in Sand gegossen.³⁸ Demnach<br />
verstand Giorgio Sommer sein Unternehmen<br />
<strong>als</strong> eine Gießerei von Kunstwerken, die<br />
sich – wie am Hermes zu sehen ist – in der<br />
Tat vom »Billigguss« unterschieden.<br />
Das Hilfsnegativ und Wachsmodell<br />
Für die erwähnten Gipsmodelle und Formen besaß sicher auch Giorgio Sommer ein Lager,<br />
wie sie heute noch in Gießereien anzutreffen sind (Abb. 8). Bis in das 19. Jahrhundert<br />
bediente man sich beim Abformen ausschließlich der Stückform aus Gips. 1814 schrieb<br />
Wuttig, dass »z. B. mehrere in Italien vorhandene antike Kunstwerke in Gips abgedruckt<br />
… worden …« seien.³⁹ War eine solche Form abgenutzt, konnten mit Hilfe dieser Modelle<br />
weitere Gipsformen hergestellt werden. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts setzte<br />
sich eine vereinfachte Herstellung des Hilfsnegatives durch. Neben der Stückform gab es<br />
nun die flexible Gelatineform, die ihre Festigkeit durch eine Gipsschale erhielt. Mit diesem<br />
neuen Formmaterial war es möglich, einfache hinterschnittene Bereiche mühelos abzuformen.⁴⁰<br />
Waren diese Formen verbraucht, fertigte der Gießer mit Gelatine eine neue Form<br />
vom Gipsmodell an. Stück- und Gelatineformen waren das Hilfsnegativ bei der Herstellung<br />
des Wachsmodells. Auf diese Art war die Produktion von immer wieder gleichen<br />
Bronzen gesichert.<br />
Besonders an der unten offenen Basis des Hermes wird der Arbeitsablauf der Sommerschen<br />
Gießerei deutlich. Die Basis wurde in zwei Stücken gegossen: dem vorderen flachen und<br />
dem hinteren hohen Teil. Die beiden Wachsmodelle entstammen vermutlich aber einem<br />
Hilfsnegativ mit der Form der gesamten Basis. Es ist anzunehmen, dass entsprechend der<br />
Basis auch das Negativ unten offen war. Somit konnte die Form nicht mit Wachs ausgeschwenkt<br />
werden, das entweder flüssig mit dem Pinsel oder in Form von Platten eingebracht<br />
werden musste. Die fehlenden Pinselstriche und die relativ gleichmäßige Wandung<br />
von 5 mm weisen darauf hin, dass im Wasserbad erwärmte Wachsplatten⁴¹ in das Hilfsnegativ<br />
gedrückt wurden. Im weiteren Prozess muss dann aber von einem Hilfsnegativ aus<br />
Gips ausgegangen werden, da beim Eindrücken der Wachsplatten leicht die flexible Gelatine<br />
verformt werden konnte. Diese Arbeitsmethode kann <strong>als</strong> bekannt vorausgesetzt werden,<br />
denn für derartige Formen wurde das Auftragen mit dem Pinsel in diversen Schriften<br />
empfohlen.⁴² Ein wahrscheinlich am flachen Teil der Basis beim Eindrücken der Platte<br />
entstandener Bruch wurde mit flüssigem Wachs repariert (Abb. 9).<br />
Erst nach der Entnahme aus dem Hilfsnegativ erfolgte die Trennung in zwei Teile. Dadurch<br />
war gewährleistet, dass die beiden Stücke nach dem Guss versatzfrei aneinander<br />
passten. Um später die Verbindung herstellen zu können, wurde am Wachsmodell des hinteren<br />
Teils ein 8 cm breiter Streifen <strong>als</strong> Lasche über die gesamte Länge der Fügekante mit<br />
Hilfe von flüssigem Wachs angesetzt (Abb. 10). Jeweils an den Außenkanten und an drei<br />
weiteren Positionen waren an der Lasche zusätzlich quadratische Stücke (6 x 6 cm) angesetzt<br />
worden, deren statische Belastbarkeit durch dreieckige Wachsstücke in den Ecken<br />
erhöht wurde (Abb. 11). Auch hier weisen Tropfen und Laufspuren auf das flüssige Wachs<br />
<strong>als</strong> Verbindungsmaterial hin.<br />
Am Hermes liegen die meisten technologischen Hinweise nicht sichtbar im Inneren verborgen.<br />
Sicher ist, dass in einem Hilfsnegativ ein sehr dünnwandiges Wachsmodell entstand.<br />
Hierfür spricht das geringe Gewicht des Jünglings. Demnach ist auch hier von einer
ca. 5 mm dicken Wandung auszugehen.<br />
Untersuchungen der letzten<br />
Jahre zeigten immer wieder, dass<br />
die Tradition des dünnwandigen<br />
Bronzegusses nach der klassischen<br />
Antike verloren ging. War noch der<br />
römische Gießer um 20 vor Christus<br />
in der Lage, den etwa 1,37 m großen<br />
und ca. 37 kg schweren Jüngling<br />
von Salamis mit einer durchschnittlich<br />
4–5 mm dicken Wandung zu<br />
gießen⁴³, wurde bereits in spätrömischer<br />
Zeit der dickwandige Guss<br />
selbst bei kleineren Stücken bevorzugt⁴⁴.<br />
Beispiele des mittelalterlichen<br />
Bronzegusses verdeutlichen,<br />
dass Hohlgüsse mit mehreren Zenti-<br />
meter dicken Wandungen ausgeführt wurden.⁴⁵ In einer Gussform mit dickerer Wandung<br />
bleibt die Bronze länger flüssig, so dass sich die Schmelze gleichmäßiger verteilen kann,<br />
bevor der Erstarrungsprozess einsetzt. Dagegen kann in einer Form mit einem dünnwandigen<br />
Gussstück die Schmelze schon erstarren, bevor die Form vollständig gefüllt werden<br />
konnte, was sehr oft zu schwerwiegenden Gussfehlern führte.⁴⁶ In der Renaissance begann<br />
sich mit großen Erfolgen eine neue Tradition beim vollplastischen monumentalen Kunstguss<br />
zu entwickeln, die in Italien so bedeutende Werke wie den Merkur von Giambologna<br />
oder den Perseus von Benvenuto Cellini hervorbrachte. Dennoch goss man ganze Bereiche<br />
größerer Statuetten und Teile von Statuen massiv oder aber mit einer Wandung, die um<br />
ein vielfaches dicker war, <strong>als</strong> es aus statischer Sicht notwendig ist.⁴⁷ Die Gießer dieser Zeit<br />
gossen massiv, was in antiken Werkstätten hohl gefertigt wurde. Dafür musste eine viel<br />
größere Bronzemenge geschmolzen werden, was wiederum den Bau großer Schmelzöfen<br />
erforderlich machte und den Energieaufwand enorm erhöhte, um nur einige Voraussetzungen<br />
zu nennen, deren Erfüllung für den Guss von dickwandigen Bronzen unumgänglich<br />
war.⁴⁸ So wiegt die Kopie des Jünglings vom Magdalensberg aus dem 16. Jahrhundert nach<br />
einem verschollenen römischen Original immerhin 327,5 kg.⁴⁹ Dieser Jüngling ist mit seinen<br />
1,83 m fast 50 cm größer <strong>als</strong> der erwähnte von Salamis. Dennoch wären für den Guss<br />
nicht zwangläufig über 250 kg Bronze zusätzlich erforderlich gewesen.<br />
In frühbarocker Zeit hatte sich der Hohlguss monumentaler Werke europaweit durchgesetzt.<br />
Eines der bekanntesten Beispiele ist das Reiterstandbild Ludwig XIV. von François<br />
Girardon, das 1699 in Paris aufgestellt wurde. Der Werkprozess dieser Bronze wurde seinerzeit<br />
sehr detailliert beschrieben.⁵⁰ Noch am Beginn des 19. Jahrhunderts empfahl man<br />
für den Guss von Großbronzen eine Wandung von 1⁄2 - 2 Zoll.⁵¹ Offensichtlich bewirkten<br />
die erwähnten europaweiten Bestrebungen den monumentalen Guss zu befördern auch,<br />
dass material- und damit energiesparende Arbeiten mit dünnen Wandungen am Ende des<br />
19. Jahrhunderts zusehends besser gelangen. Sicher war diese Qualität erst mit der seriellen<br />
43 W.-D. Heilmeyer, Der Jüngling von Salamis, Mainz,<br />
1996, S. 10-11.<br />
44 Hier sei nur ein Bildnis der Kaiserin Ariadne aus<br />
dem 5.Jh.n.Chr. mit einer 11 mm dicken Wandung<br />
genannt. G. Lahusen und E. Formigli, Römische Bildnisse<br />
aus Bronze, München, 2001, S. 331.<br />
45 Als sehr eindrückliches Beispiel sei die um 1022<br />
datierte Säule im Hildesheimer Dom genannt, deren<br />
Wandung 60 – 80 mm dick ist. Siehe: H. Drescher,<br />
Zur Gießtechnik des Braunschweiger Burglöwen, in:<br />
G. Spies, Der Braunschweiger Löwe, Braunschweig,<br />
1985, S. 336.<br />
10 An der Unterseite der Basis ist in der Mitte die Lasche auszumachen.<br />
Sie ermöglichten die Montage der beiden Gussstücke<br />
der Basis miteinander.<br />
46 Reparaturgüsse an Gussstücken aus Formen die<br />
nicht vollständig gefüllt werden konnten wurden wiederholt<br />
in Quellen beschrieben. Siehe u.a.: H. Drescher<br />
(Anm. 45) S. 403, Abb. 40.<br />
47 U. Peltz, »Das Bad des Apoll« – Modell oder Kopie?,<br />
in: Dresdner Kunstblätter, Heft 5, Dresden, 2003, S.<br />
258.<br />
48 Für das angeblich 2500 Pud (2500.0 Pud = 40950.0<br />
kg) schwere Reiterstandbild Ludwig XIV. von Francois<br />
Girardon waren am Ende des 17. Jahrhunderts 40<br />
Stunden erforderlich, um die Bronze zu schmelzen.<br />
Siehe: Wuttig (Anm. 39) S. 48.<br />
11 Zusätzlich zu der Lasche waren die quadratischen<br />
Stücke und die dreieckigen Wachsstücke angesetzt<br />
worden, die nach dem Guss <strong>als</strong> Metallelemente der<br />
Montageverbindung die erforderliche statische Festigkeit<br />
verlieh.<br />
Der Pfeil weist auf den Ansatz eines runden Lüfters<br />
hin. Sie waren nach dem Guss lediglich abgeschlagen<br />
worden.<br />
49 E. Formigli, Zur Form- und Gusstechnik des Jünglings<br />
von Magdalensberg, in: Griechische und römische<br />
Statuetten und Großbronzen, Akten der 9. Internationalen<br />
Tagung über antike Bronzen, Wien, 1988,<br />
S. 35.<br />
50 Boffrand, Description de ce qui à été pratiqué pour<br />
fonder en bronze d’un seul jet la figure équestre de<br />
Louis XIV., 1743, ausführlich beschrieben in: H. Lüer<br />
(Anm. 37).<br />
51 Wuttig (Anm. 39) S. 28.<br />
81
12 Die Reparatur an den Glutäen weist auf eine Öffnung<br />
für die Kerneisen hin.<br />
52 Die Weiterentwicklung und Vervollkommnung der<br />
Gießerkunst könnten Vergleiche der Wandungsdicke<br />
und der Gewichte von Güssen des frühen 19. Jahrhunderts<br />
mit Güssen desselben Werkes vom Anfang des<br />
20. Jahrhunderts verdeutlichen.<br />
In Berlin war man in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts<br />
wieder in der Lage dünnwandig zu gießen. Am<br />
1886 enthüllten weit überlebensgroßen Reiterstandbild<br />
Friedrich Wilhelm IV. an der Nationalgalerie Berlin<br />
ist die Wandung lediglich 7 – 8 mm dick. Siehe: M.<br />
Heimler, Schadenskartierung an Großbronzen, in:<br />
Restauro, Heft 3, München, 1993, S. 173.<br />
53 C. Mattusch (Anm. 13) S. 172, Abb. 3.<br />
54 H. Maertens (Anm. 23) S. 34.<br />
55 Wuttig (Anm. 39) S. 25-33.<br />
56 B. Cellini (Anm. 36) S. 88.<br />
57 Für die Hilfe bei der Untersuchung danke ich Herrn<br />
D. Köcher und Frau H. Jehle, Skulpturensammlung der<br />
Staatlichen Museen zu Berlin.<br />
58 Wuttig (Anm. 39) S. 32-36.<br />
82<br />
13 An den Schulterblättern sind die beiden großen<br />
Reparaturen zu finden (Pfeile), die die Position von<br />
Kerneisen verdeutlichen. Die kleinen runden (rotbraun)<br />
Reparaturen schließen Gussfehler.<br />
Produktion in der wiedererlangten beeindruckenden Perfektion möglich, die uns von den<br />
Gießern der Antike so vertraut ist.⁵²<br />
Am Hermes verrät die Verbindungsnaht in der Mitte des rechten Oberschenkels den getrennten<br />
Guss des Beines. Im Gegensatz zum römischen Original, bei dem Kopf, Gliedmaßen,<br />
Flügel und Geschlecht getrennt vom Torso gegossen wurden⁵³, entstand die Kopie<br />
in zwei Teilen. Noch 150 Jahre zuvor hätte man vielleicht versucht, den Hermes in einem<br />
Stück zu gießen. Hatte man in der Renaissance den Anspruch, monumentale Bildwerke<br />
in einem Stück zu gießen, war diese technische Vorgabe während des 19. Jahrhunderts<br />
vernachlässigt worden.⁵⁴ Wohl auch deshalb, weil man erst jetzt wieder in der Lage war,<br />
getrennte Güsse zur vollsten Zufriedenheit wirklich dauerhaft fest miteinander zu verbinden.<br />
Die Gussform<br />
14 Das runde Gussstück in den Haaren verdeckt die<br />
Öffnung eines Eisens der Kernarmierung.<br />
Die Installation der Kerneisen und das Füllen der hohlen Wachsmodelle mit einem Gusskern<br />
wurden vom bereits erwähnten Hofrat Wuttig detailliert beschrieben.⁵⁵ Nach seiner<br />
Anleitung kann die Form des Hermes auch annähernd 100 Jahre später in der Sommerschen<br />
Gießerei entstanden sein. Dabei wurden zuerst die eisernen Hauptelemente der von<br />
Wuttig <strong>als</strong> »Armatur« bezeichneten Kernarmierung am Boden fest verankert. Mit weiteren<br />
Eisenstücken entstand ein Hauptskelett, um das mit einem Drahtgeflecht annähernd<br />
die Form des Gussstückes hergestellt werden musste. Als nächstes wurde das Hilfsnegativ<br />
gemeinsam mit den Wachsteilen um die Kernarmierung aufgebaut. Die »Armatur« wurde<br />
nach vollendetem Guss entfernt, doch ermöglichen einige größere Reparaturen in der<br />
Oberfläche des Hermes die Lage der großen Kerneisen zu rekonstruieren. Der Gusskern<br />
war an fünf Stellen mit massiven Eisen von ca. 35 mm im Querschnitt mit dem Mantel verbunden:<br />
Eine 81 x 46 mm messende Öffnung ist an den Glutäen (Abb. 12) zu finden. Zwei<br />
weitere sind auf dem rechten (38 x 52 mm) und linken (38 x 44 mm) Schulterblatt in der<br />
Oberfläche auszumachen (Abb. 13). Und weiter oben, in den Locken über der linken Stirn,<br />
war mit einem runden Stück (Ø 39 cm) eine Öffnung für ein Eisen geschlossen worden<br />
(Abb. 14), und schließlich kann <strong>als</strong> weiterer Durchlass für ein Kerneisen der offene rechte<br />
Oberschenkel angenommen werden. Die erwähnte Verankerung mit dem Boden erfolgte<br />
im Bereich der Glutäen mit zwei Eisen, wodurch deutlich wird, dass der Hermes aufrecht<br />
gegossen wurde. Auf gleiche Art wird heute noch bei sitzenden Figuren die Kernarmierung<br />
verankert (Abb. 15). Zusätzlich verbinden beim Hohlguss Kernhalter den Gusskern mit<br />
dem Gussmantel. Reparierte Öffnungen der eisernen Kernhalter sind jedoch am Hermes<br />
nicht von Reparaturen an Gussfehlern zu unterscheiden. Unklar ist vor allem, warum am<br />
frei gearbeiteten rechten Arm und linken Bein keine Reparaturen oder Spuren von Eisenkorrosion<br />
zu finden sind, die direkt oder indirekt auf Kernhalter hinweisen.<br />
Wie bereits von Cellini im 16. Jahrhundert vorgeschlagen⁵⁶, hatte dann im 20. Jahrhundert<br />
Gips mit Zusätzen von Asche und Schamotte <strong>als</strong> Formmasse das keramische Mate-
15 Die Verbindung der Kernarmierung mit dem Boden wurde an diesem Putto in einer<br />
modernen italienischen Gießerei wie am Hermes ausgeführt.<br />
rial vollständig verdrängt. Reste mit eben diesen Zusätzen sind im Hermes und der Basis<br />
zu finden (Abb. 16).⁵⁷ Nachdem der Gusskern eingefüllt und ausgehärtet war, wurde<br />
das Hilfsnegativ entfernt. In dieser Phase war es den Gießern noch einmal möglich, das<br />
Wachsmodell sorgfältig und vorsichtig auszubessern und zu überarbeiten. Dem folgte die<br />
Installation des Anschnittsystems, auf das am Hermes keine Hinweise in der überarbeiteten<br />
Oberfläche zu finden sind. Wuttig weist darauf hin, dass bei der Auswahl der Positionen<br />
am Gussobjekt darauf zu achten ist, die Anschnitte nicht in Bereichen anzubringen,<br />
die nach dem Guss noch einer verfeinerten Bearbeitung unterzogen werden. Außerdem<br />
erwähnt er den Guss mit Steigkanal, von dem ausgehend Anschnitte an das Gussstück ansetzten.⁵⁸<br />
Diese Technik hat sich unverändert bis heute im Kunstguss bewährt (Abb. 17).<br />
Bei den beiden Gussstücken der Basis kann am hinteren das gesamte Anschnittsystem und<br />
damit die Lage des Wachsmodells in der Form rekonstruiert werden. Eine rechteckige Verdickung<br />
(Abb. 18) am hinteren Rand verrät die Lage des Eingusskan<strong>als</strong>. Mit 44 x 15 x 50<br />
mm ist er deutlich größer <strong>als</strong> die neun systematisch an der Unterseite des Gussstückes verteilten<br />
runden 12 mm dicken Lüfter (Abb. 11). An zwei Stellen lassen runde Ansätze von<br />
6 mm vermuten, dass zusätzlich Luftkanäle in dieser Größe verwendet wurden. Am vorderen<br />
Gussstück konnten nur zwei runde Verdickungen mit 6 mm dem Anschnittsystem<br />
zugeordnet werden. Weitere waren vermutlich auf der Kante platziert und nach dem Guss<br />
soweit abgearbeitet worden, dass sie heute nicht mehr in der Oberfläche auszumachen sind.<br />
Mit der Positionierung der Kanäle an der Rückseite erübrigte sich die gründliche Überarbeitung<br />
der Außenoberfläche. Da beide Teile unten offen sind, handelte es sich nicht um<br />
Hohlgüsse. Hier füllte der Gussmantel gleichzeitig den Innenraum der Gussteile. Dem<br />
17 In einer italienischen Gießerei wird am Wachs des sitzenden Puttos<br />
das Anschnittsystem noch so angebracht, wie es sich seit Generationen<br />
bewährt hat.<br />
16: Bei diesem makroskopischen Anschliff einer Probe<br />
des Gusskerns heben sich Anteile der Schamotte (rotbraun)<br />
und der Asche (schwarz) deutlich vom Gips<br />
(weiß) ab. Ebenso sind Lufteinschlüsse zu erkennen,<br />
die den außerordentlich wichtigen Abtransport von<br />
Gassen beim Gussvorgang ermöglichen.<br />
83
Nr. Probestelle Kupfer Zinn Blei Zink Eisen Nickel Silber Antimon Arsen Wismut Kobalt Gold Kadmium<br />
84<br />
Hermes:<br />
1 rechter Fuß 82,93 5,67 3,07 7,545 0,22 0,069 0,043 0,137 0,278 0,036
18 An der Kante des großen hinteren Teils der Basis war der<br />
Einguss angesetzt worden. Das Gussstück lag demnach kopfüber<br />
in der Form.<br />
20 Dieser Gussfehler an der Basis wurde mit einem rechteckigen<br />
Flicken repariert, der mit einer Bleischmelze eingesetzt<br />
worden war.<br />
19 Diese Werkzeug und das Material werden heute in dieser italienischen<br />
Gießerei bei der Reparatur von kleinen Gussfehlern verwendet.<br />
Mit den oben liegenden Schneideisen und dem Schneidbohrer können<br />
die Gewinde in das Gussstück und an die unten in den Feilkloben<br />
eingespannten gegossenen Stangen geschnitten werden. Am<br />
Gussstück sind die Bohrungen bereits eingearbeitet.<br />
fortschreitende Industrialisierung brachte mit sich, dass Gusslegierungen in Deutschland<br />
im zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts standardisiert wurden. Der für den Hermes<br />
verwendete Legierungstyp wurde seitdem nun eindeutig <strong>als</strong> »Rotguss« definiert⁶⁸ und ist<br />
heute in der europaweit geltenden Norm EN1982 erfasst⁶⁹. Dennoch hat sich die Bezeichnung<br />
»Bronze« für Kunstgüsse unabhängig von ihrer tatsächlichen Zusammensetzung bis<br />
heute erhalten.<br />
Wie die Untersuchung der Legierungen an drei Probestellen (Probe 2, 3 und 4) des Hermes<br />
verdeutlichen, gelang der Gießerei Sommer ein relativ homogener Guss, denn die analysierten<br />
Werte variieren so wenig voneinander, dass vom Guss aus demselben Tiegel ausgegangen<br />
werden kann. Das getrennt gegossene rechte Bein entstand aus einer Schmelze mit einem<br />
etwas höheren Bleianteil (Probe 1). Das Metall des hinteren Teils der Basis hat den höchsten<br />
Bleigehalt (Probe 7 u. 8). Die Legierung des vorderen Gussstückes der Basis unterscheidet<br />
sich durch einen ca. 2% höheren Zinkanteil (Probe 10). Insgesamt sind die Unterschiede der<br />
verwendeten Gusslegierungen außerordentlich gering, was nicht zuletzt auf den erlangten<br />
Standard dieser Zeit bei der Herstellung von Legierungen zurückzuführen ist.<br />
Die Güsse des vorderen Teils der Basis und des rechten Beines gelangen fast fehlerfrei. Am<br />
hinteren Basisteil und am Hermes selbst weisen einige größere Reparaturen auf Probleme<br />
beim Guss hin. Besonders an den nach oben gerichteten Oberflächenbereichen am Hermes<br />
sind Fehler zu finden. Offensichtlich konnten die aufsteigenden Gase nicht ausreichend in<br />
die Form abgeführt werden, was gleichfalls verdeutlicht, dass der Hermes sitzend in der<br />
Gussform positioniert war.<br />
67 Bischoff, wie Anm. 66, 200.<br />
68 C. Hanfland, Der neuzeitliche Maschinenbau, Bd.<br />
1, 1927, 381.<br />
85
69 Information des Deutschen Kupferinstituts,<br />
www.kupfer-institut.de/front_frame/pdf/DKI-Normung_Tab3_2_tue1102.pdf,<br />
2000, Tab. 3.2.<br />
70 Die Reparaturtechnik wurde wiederholt an Bronzen<br />
bis in die Neuzeit beobachtet. Zu barocken Bronzen:<br />
G. Jendritzki u. U. Rohnstock, Die barocke Laokoon-<br />
Gruppe aus Bronze, in: Restauro, Heft 7, München,<br />
1997, S. 462.<br />
71 E. Formigli., Übernommene und neu entwickelte<br />
Verbindungstechniken im etruskischen Metallhandwerk,<br />
in: Arbeitsblätter für Restauratoren, Heft 1,<br />
Mainz, 1984, S. 139-148,<br />
72 H. Drescher (Anm. 45) z.B. S. 403, Abb. 40.<br />
73 U. Rohnstock, Die Odyssee des Betenden Knaben,<br />
in: Restauro, Heft 3, München, 1998, S. 173-175, Abb.<br />
3, 5 u. 8.<br />
86<br />
Die Kaltarbeit<br />
Nach dem Auspacken der Formen begann die mühevolle Überarbeitung der Rohgüsse.<br />
Zuerst wurden an den Gussstücken des Hermes das Kan<strong>als</strong>ystem abgetrennt und die Anschnitte<br />
gründlich überarbeitet. An der Basis wurden die Kanäle lediglich abgeschlagen<br />
(Abb. 11). Am Hermes galt es, Gussfehler und die Öffnungen für die Kerneisen zu schließen.<br />
Die mit meisterlichem Geschick bei Sommer mit unterschiedlicher Technik ausgeführten<br />
Reparaturen waren unter der Patinierung nicht in der Oberfläche auszumachen<br />
(vgl. unten). An der Basis wurden lediglich die größten Fehler repariert. Hier fallen offene<br />
Gusslunker auf, die sicher den rauen Charakter des Felsens unterstützen sollen.<br />
Der Gießer bohrte am Hermes kleine Fehler auf und schnitt mit dem Schneidbohrer ein Innengewinde<br />
in die Bohrung und auf gegossene runde Metallstangen mit dem Schneideisen<br />
das entsprechende Außengewinde. Nach dem Einschrauben der Stange in das Gegenstück<br />
am Gussteil wurde die Stange abgetrennt und die Reparatur mit Punzen und Schleifmitteln<br />
überarbeitet. Beim Guss der Stangen ersetzte in der Legierung Zink einen geringer Teil<br />
des Zinns (Probe 12). Diese Reparaturtechnik ist den italienischen Gießereien auch heute<br />
noch geläufig (Abb. 19). Am Hermes sind die so ausgebesserten vielen kleinen Gusslunker<br />
heute in der Oberfläche auszumachen (Abb. 13). Ursache hierfür ist das unterschiedliche<br />
Verhalten der Legierungen gegenüber korrosiven Einflüssen der Umwelt.<br />
An der Basis waren in zwei größeren Gussfehlern rechteckige Bronzestücke (35 x 19 mm<br />
und 19 x 14 mm) mit einer Bleischmelze eingesetzt worden, die gleichfalls Fehlstellen zwischen<br />
Wandung und Einsatzstücken schlossen (Abb. 20). Die Verwendung von Blei <strong>als</strong><br />
Reparaturmaterial hatte sich seit der Renaissance durchgesetzt.⁷⁰ Ebenso wurden kleine<br />
Risse mit der Bleischmelze gefüllt. Der Flicken für die Öffnung an den Glutäen war ebenso<br />
mit Blei eingesetzt worden. Zusätzlich fixieren kleine Gewindestifte die Reparatur in<br />
der Wandung. Die Legierung dieses Gussstückes unterscheidet sich im Zinn-, Blei-, Zink-,<br />
Eisen- und Antimongehalt deutlich von allen anderen Ergebnissen (Probe 5). Bei der runden<br />
Reparatur im Haupthaar handelt es sich ganz sicher um ein mit Locken modelliertes<br />
Gussstück (Abb. 14). Seine Befestigung am Kopf ist nicht genau auszumachen, wobei das<br />
Einschlagen ähnlich der antiken Flicktechnik am wahrscheinlichsten ist.<br />
Bereits die Etrusker beherrschten die Technik des Überfanggusses⁷¹, die sich in den nachchristlichen<br />
Jahrhunderten in ganz Europa <strong>als</strong> beliebte Reparaturform von großen Gussfehlern<br />
und der formschlüssigen Verbindung getrennt gegossener Teile durchgesetzt hatte.<br />
So unterscheiden sich die mittelalterlichen Reparaturen am Braunschweiger Löwen⁷² nicht<br />
von den barocken französischen Arbeiten am Betenden Knaben der Berliner Antikensammlung⁷³<br />
und sind gleichfalls analog mit der italienischen Reparatur am Hermes aus<br />
dem 19. Jahrhundert. Mit dieser Technik wurden Fehler an den Oberseiten der linken<br />
Hand (25 mm lang), des rechten Daumens (20 mm lang), am linken Unterarm (110 mm<br />
lang), in zwei Güssen an einer Stelle auf dem linken Oberschenkel (max. 250 mm lang)<br />
sowie die Öffnungen für die Kerneisen in den Schulterblättern (Abb. 13) geschlossen. Die<br />
Fehlstellen waren seinerzeit nach ihrem Schließen mit Wachs, dem Anbringen einer Gussform<br />
aus erwähntem Formmaterial mit Gusskanal und Speiser sowie dem folgenden Ausschmelzen<br />
des Wachses mit flüssigem Metall geschlossen worden. Das erstarrte Metall<br />
verband sich nicht wie bei einer Tiegelschweißung materi<strong>als</strong>chlüssig mit dem Gussstück,<br />
sondern verklammerte sich hier im Sinne einer formschlüssigen Verbindung. Um diese<br />
Wirkung zu erhöhen waren am linken Unterarm zudem Bohrungen (Ø 4 mm) um die<br />
fehlerhafte Öffnung angebracht worden, in denen sich zusätzlich die Reparatur nach dem<br />
Guss verklammerte (Abb. 21). Ebenso war am hinteren Gussstück der Basis der gesamte<br />
Bereich (ca. 450 x 300 mm) erneuert worden, auf dem der Hermes sitzt (Abb. 22). Hier<br />
wurden im Randbereich in regelmäßigen Abständen 13 Löcher (∅ 10 mm) gebohrt (Abb.<br />
2). Vermutlich erhielt bei dieser großen Reparatur das Wachs im Hilfsnegativ seine Form<br />
und war dann - etwas dickwandiger ausgeführt - in die Fehlstelle eingepasst worden. Wieder<br />
ragte das Wachs ebenso bis in die Löcher im Randbereich. Die Legierung unterscheidet<br />
sich kaum von der Schmelze des Gusses (Probe 11).<br />
Mit der gleichen Technik wurde auch das getrennt gegossene Bein montiert. Die Verbindung<br />
ist in zwei Bereichen auszumachen. Der relativ kleine (65 x 15 mm) Montageverguss
21 Am linken Unterarm war der Fehler mit dem Überfangguss<br />
repariert worden. Das eingegossene Metall<br />
klammert sich zusätzlich in die kleinen Bohrungen.<br />
auf der Oberseite ist annähernd schwalbenschwanzförmig, wodurch das eingegossene Material<br />
nach dem Erstarren die Gussstücke miteinander fest verbindet. Ein weiterer Verguss<br />
mit ähnlicher Größe ist auf der Außenseite zu finden. Der beschriebene sichtbare Teil der<br />
Verbindungen würde das ausgestreckte Bein nicht ausreichend statisch sichern. Daher ist<br />
anzunehmen, dass die eingegossene Schmelze im Inneren das Bein zusätzlich mit dem Hermes<br />
verbindet.<br />
Die beiden Gussstücke der Basis wurden auf andere Art miteinander montiert. Vorerst waren<br />
die beiden Teile mit drei Bleivergüssen im Bereich der Lasche verbunden worden, um<br />
dann an 16 Positionen Löcher zu bohren, Gewinde zu schneiden und Gewindestifte (Ø 12<br />
mm) einzusetzen (Abb. 11). Die Legierung der Montagestifte (Probe 9) ist dem Metall der<br />
Güsse sehr ähnlich.<br />
Nicht zuletzt ist das meisterliche Geschick, mit dem die Kaltarbeiten in der Gießerei Sommer<br />
ausgeführt wurden, ebenso an der fein ausgeführten Ziselierung der Haare und besonders<br />
der detaillierten Ausarbeitung mit Punzen der Flügelfedern an den Sandalen zu<br />
erkennen (Abb. 23).<br />
Für die Montage des Hermes auf der Basis wählte man drei Schraubverbindungen, die mit<br />
Eisenbolzen (Ø 12 mm) und Flügelmuttern jeweils an den Glutäen und eine weitere am<br />
linken Ballen positioniert wurden.<br />
Die Patinierung<br />
22 Die Sitzfläche des Hermes an der Basis wurde im<br />
Inneren bei der Reparatur vollständig mit dem Überfanguss<br />
erneuert.<br />
Am Ende des 19. Jahrhunderts waren mit der Art Nouveau, die in Italien »Stile Floreale«<br />
genannt wurde, auch Lampen oder Aschenbecher würdige Objekte, um sie zu »Skulpturen«<br />
aus Bronze zu machen.⁷⁴ Der vermehrte Einsatz des Materi<strong>als</strong> bei Gegenständen des<br />
Alltags brachte ebenso mit sich, dass das Metall mit unterschiedlichen Techniken monochrom<br />
oder polychrom gefärbt wurde. Sicher wird seinerzeit auch die breit geführte Diskussion<br />
über die Polychromie von Kunstwerken der klassischen Antike⁷⁵ die Farbfassung<br />
von Antikenkopien beeinflusst haben. Wie wir heute wissen, besaßen die Kulturen der<br />
vorchristlichen Jahrhunderte eine umfassende handwerkliche Tradition bei der farbigen<br />
Gestaltung von Bronzen. Mit diversen Metallauflagen, Patinierungstechniken, Farbfassungen,<br />
Einlagen aus Metallen sowie organischen und anorganischen Materialien veränderte<br />
man die Oberfläche von Metallobjekten ein- oder vielfarbig, so dass die Eigenfarbe<br />
des Grundmetalls partiell oder gar vollständig zurücktrat.⁷⁶ Im Laufe der ersten nachchristlichen<br />
Jahrhunderte gingen die Tradition der vielfarbigen Gestaltung und damit die<br />
handwerklichen Fähigkeiten in Italien verloren. So fielen an römischen Großbronzen ab<br />
dem 1. Jahrhundert die beeindruckenden Augeneinlagen weg und das Auge wurde durch<br />
Ziselierung in der Bronze angedeutet.⁷⁷ Bis auf Ausnahmen war wohl erst am Ende des<br />
19. Jahrhunderts wieder die farbige Wirkung von Bronzen nicht nur auf eine monochrome<br />
Patinierung beschränkt.⁷⁸ Vor allem die rasche Entwicklung der chemischen Färberei von<br />
Metallen ermöglichte es, einer Bronzeoberfläche viele Farben zu verleihen. Am Ende des<br />
23 Die Federn der kleinen Flügel an den Sandalen<br />
waren nach dem Guss detailgetreu ziseliert worden.<br />
74 R. Hughes u. M. Rowe, The Coulouring, Bronzing<br />
and Patination of Metal, London, 1993, S. 19.<br />
75 R. Wünsche, Die Farbe kehrt zurück …, in: V.<br />
Brinkmann u. R. Wünsche (Hrsg.), Bunte Götter,<br />
München, 2003, 11-18, mit weiterführenden Literaturangaben.<br />
76 Die Forschung der letzten Jahre belegte an zahlreichen<br />
Beispielen die mono- oder polychrome Färbung<br />
von Bronzen in den antiken Kulturen. Hier nur<br />
eine Auswahl von Publikationen mit weiterführenden<br />
Literaturangaben: K. Anheuser, Im Feuer Vergoldet,<br />
Stuttgart, 1999; A.R. Giumlia-Mair u. P.T. Craddock,<br />
Corinthium aes, Antike Welt, Sondernummer, Mainz,<br />
1993; A.R. Giumlia-Mair, Pyropus, Pinos Graecaniucus<br />
Colos, Surface treatment on copper alloys in roman<br />
times, in: Kölner Jahrbuch, 33, Köln, 2000; W.-D. Heilmeyer<br />
(Anm. 43); S. La Niece and P.T. Craddock, Metal<br />
Plating and Patination, Oxford, 1993; F. Willer, Die<br />
Bonner Restaurierung des Eros von Mahdia, in: Antike<br />
Plastik, Lieferung 26, Berlin, 1998, S. 88.<br />
77 G. Lahusen u. E. Formigli, (Anm. 44) S. 481.<br />
78 Genauere Untersuchungen zur Vielfarbigkeit von<br />
Bronzen sind dem Verfasser nicht bekannt.<br />
87
79 G. Buchner, Die Metallfärbung, Berlin, 1891 (1.<br />
Auflage); darauf aufbauend: H. Krause , Metallfärbung,<br />
München, 1936 (2. Auflage).<br />
80 U. Heithorn, Firnis und Patina, in: Mach M.<br />
(Hrsg.), Metallrestaurierung, 1998, 82.<br />
81 G. Buchner (Anm. 79) S. 125-134 und S. 307-318.<br />
82 U. Heithorn (Anm. 80) S. 82.<br />
83 A. Giumlia-Mair u. P.T. Craddock (Anm. 76); A.<br />
Giumlia-Mair (Anm. 76) S. 595, jeweils mit weiteren<br />
Literaturangaben zur Korinthischen Bronze.<br />
84 G. Buchner (Anm. 79) S. 125-229.<br />
88<br />
19. und am Anfang des 20. Jahrhunderts erschienen zahlreiche Publikationen zum chemischen<br />
Färben von Metallen. Die wohl umfassendsten und damit bekanntesten Rezeptesammlungen<br />
wurden von Georg Buchner und später von Hugo Krause verfasst.⁷⁹<br />
So ist es nicht verwunderlich, dass die Gießerei Sommer ihre Bronzen mit den Oberflächenfärbungen<br />
»Modern«, »Imitation Herculaneum« und »Imitation Pompeji« anbot. Die<br />
Güsse waren mit diesen Patinierungen zusätzlich in korinthischer Bronze erhältlich, wobei<br />
ihre Verkaufspreise deutlich höher waren, <strong>als</strong> die der Rotgüsse. Sommer gibt im Verkaufskatalog<br />
folgende Charakteristik der Patinierung an:<br />
- »Patine Moderne – Braun glänzend poliert.«<br />
- »Patina Herculaneum – Dunkelgrün, etwas glänzend; Die Ausgrabung von Erculaneum<br />
nachmachend.«<br />
- »Patina Pompeji – Bläulich-grün, nicht poliert, roh oxidiert; die Ausgrabung von Pompeji<br />
nachmachend.«<br />
Nach dem Ausbruch des Vesuvs 79.n.Chr. wurde Pompeji vollständig von einem Regen<br />
aus Asche und vulkanischem Gestein bedeckt. Herkulaneum dagegen verschwand unter<br />
einer turbulenten Aschelawine. Die abweichenden Lagerbedingungen bewirkten, dass sich<br />
auf Bronzen an den beiden Orten Korrosionsschichten mit unterschiedlicher Zusammensetzung<br />
bildeten. Neben der an Objekten aus Herculaneum vorherrschenden typischen<br />
grünen Korrosionskruste entstand in Pompeji und dessen Umgebung im Laufe der Jahrhunderte<br />
in vielen Bereichen das leuchtend blaue basische Kupferkarbonat Azurit. Zudem<br />
ist eine verstärkte Bildung von Schichtpocken zu verzeichnen, was eine krustigere Korrosionsschicht<br />
zur Folge hat. Diesem Unterschied entsprechend bot Sommer seine Ware, unabhängig<br />
vom tatsächlichen Fundort der Originale, neben der modernen neutralen Färbung<br />
mit zwei »antiken« Patinierungen an. Zudem war es selbstverständlich, Antikenkopien<br />
ebenso mit der modernen braunen Farbwirkung zu erwerben.<br />
Uwe Heithorn führt an, dass mit der braunen Patinierung dem natürlichen, unter Umständen<br />
ungleichmäßigen Korrosionsprozess vorgegriffen wird. Zudem wird damit die Bronze<br />
zum Leben erweckt, «denn wenn Gold <strong>als</strong> Bildmaterial zu hell und zu strahlend ist … und<br />
im Gegensatz Schwarz zuviel Licht schluckt, um <strong>als</strong> Farbe für eine Bronze geeignet zu sein,<br />
macht dagegen Braun die Bronzeplastik für den Betrachter erst richtig erfassbar«.⁸⁰ Besonders<br />
die braune lasierende Färbung implizierte erst ein Bildwerk aus der edlen Bronze,<br />
so dass derartige Patinierungen an Bronzen und Farbfassungen auf Plastiken aus anderem<br />
Material <strong>als</strong> »Bronzieren« verstanden wurden.⁸¹ Seit dem mit der Renaissance wachsenden<br />
Geschichtsbewusstsein wurde die grüne bis grünblaue Patina bewundert. Die Färbung<br />
versinnbildlicht das Alter eines Werkes⁸² und kann damit auch eine archäologische<br />
Korrosionskruste imitieren. Die Wirkung des Hermes wurde maßgeblich durch die chemische<br />
Färbung der Metalloberfläche geprägt. Das Metall selbst war für den ästhetischen<br />
Eindruck nahezu bedeutungslos, vielmehr beeinflusste das Wissen des Betrachters, dass es<br />
sich um eine »Bronze« handelt, seine Beurteilung des Werkes, auch wenn es sich um eine<br />
moderne Kopie nach einem antiken Original handelt.<br />
Besonders deutlich wird das bei den Patinierungen »Herculaneum« und »Pompeji« auf der<br />
korinthischen Bronze. In der Antike galten korinthische Bronzen <strong>als</strong> kostbare Kennerstücke.<br />
Zahlreiche Quellen beschreiben die Schönheit und die besondere Farbe dieser Bronze,<br />
wobei nicht genau beschrieben wird, wie die Legierung hergestellt wurde. Einig ist man<br />
sich darüber, dass Kupfer und/oder Bronze Silber und Gold zulegiert wurden. Erst mit neuen<br />
Forschungsergebnissen wissen wir um die genauen Legierungsangaben des »corinthium<br />
aes«. Das Besondere an der korinthischen Bronze ist aber die Schönheit der einzigartigen<br />
blau-schwarzen Patina, die sich auf diesen Legierungen mit einfachen chemischen Lösungen<br />
leicht erzeugen ließ.⁸³ Zu Zeiten Sommers wurde mit »corinthium aes« allgemein<br />
Bronze von bester Qualität bezeichnet, die durchaus von den Patinierungen »Herculaneum«<br />
und »Pompeji« vollständig bedeckt werden konnte. Selbst in der glänzenden Färbung<br />
»Modern« wird das Grundmetall nur partiell auszumachen gewesen sein.<br />
Die polierte braune Patinierung entspricht vermutlich den Farbtönen, die uns von Plastiken<br />
dieser Zeit bekannt sind. Buchner listet am Ende des 19. Jahrhunderts eine aus heutiger<br />
Sicht unüberschaubare Menge an interessanten Rezepten für die Braunfärbung der unterschiedlichen<br />
Kupferlegierungen auf.⁸⁴ Hiervon kamen aber nur solche Mittel in betracht,
24 Versuche mit Patinierungsmitteln zeigen, dass sich Blei ebenso grün oder braun<br />
färben lässt, so dass diese Reparaturen an der Basis nach der Patinierung nur<br />
schwer in der Oberfläche auszumachen waren. Kleine Unregelmäßigkeiten unterstrichen<br />
sicher die raue Oberfläche eines Felsens.<br />
die ebenso die Reparaturen am Hermes aus den etwas anderen Kupferlegierungen auf gleiche<br />
Weise färbten. Die silbergrauen Reparaturen mit Blei an der Basis sollten sicher den rauen<br />
Charakter des Felsens unterstreichen, jedoch hätte ihre Farbe ein Kunde <strong>als</strong> ästhetischen<br />
Widerspruch zum perfekt überarbeiteten Hermes wahrgenommen. Diese Bereiche wurden<br />
auch nur deshalb so repariert, weil Sommers Gießer wussten, wie ihre Farbe verändert werden<br />
kann. So konnte zum Beispiel mit einer Anreibeverkupferung das Blei mit einer dünnen<br />
Schicht Kupfer bedeckt werden, die sich dann chemisch patinieren ließ.⁸⁵ Buchner gibt für<br />
die direkte Färbung von Zinn-Blei-Legierungen mit einem warmen braunen Ton Platinchlorid<br />
an.⁸⁶ Versuche zeigen, dass ebenso mit Kupfer- und Eisennitratlösungen Blei braun und<br />
auch grün gefärbt werden kann (Abb. 24). Kleine Unregelmäßigkeiten in der Färbung unterstrichen<br />
die Oberflächenwirkung des Felsens. Es ist gut möglich, dass mit den Nitraten bei<br />
höheren Temperaturen und wiederholter Anwendung eine nuancierte braune Patina auf der<br />
gesamten Oberfläche erzeugt wurde, die sich hervorragend anpolieren ließ.<br />
Der Vorteil der Nitrate ist, dass sie ebenso zur Grünfärbung verwendet werden können.<br />
Buchner und Krause verwiesen neben weiteren Rezepten auf kupfernitrathaltige Lösungen<br />
<strong>als</strong> bestes Mittel zur Erzeugung der »Antikpatina«.⁸⁷ Vorerst sollte wie gezeigt eine braune<br />
Untergrundfärbung erfolgen. Bei geringerer Arbeitstemperatur färbt die Nitratlösung Kupferlegierungen<br />
grün. Um eine ungleichmäßige Färbung zu erzielen, muss die Lösung entsprechend<br />
wiederholt aufgetragen werden, bis die gewünschte Patinierung erreicht ist. Mit<br />
dieser chemischen Lösung wurde in der Gießerei Gladenbeck bei Berlin, die sich bereits<br />
sehr früh im Laufe des 19. Jahrhundert auf die Produktion von Ladenbronzen spezialisierte⁸⁸,<br />
die »antike Patina« erzeugt.⁸⁹ Mit Wolllappen und ähnlichem ließ sich diese Patinierung<br />
polieren, bis sie der von Sommer angegebenen »Patina Herkulaneum« entsprach.<br />
Unterschiedliche Applikationstechniken erzeugten zudem krustige und unregelmäßige<br />
Patinierungen, was für die Herstellung der »Patina Pompeji« von Bedeutung ist. Hierbei<br />
kann vorerst mit Kupfernitrat bei hoher Temperatur braun und bei niedriger grün patiniert<br />
werden. Wird zusätzlich Ammoniumkarbonat appliziert, erlangt man eine blaugrüne Färbung.<br />
Krause empfiehlt des Weiteren dem Kupfernitrat Ammoniumchlorid, Kalium- und<br />
Kupfertartrat, Natriumchlorid und Essigsäure auf bestimmte Art zuzugeben, womit nach<br />
schwieriger Anwendung ein »malachitartiges Blaugrün« hergestellt werden kann.⁹⁰ Buchner<br />
beschränkt sich noch auf die allgemeine Anmerkung, dass blaugrüne Färbungen mit<br />
ammoniakhaltigen Lösungen zu erzeugen sind und führt einige Rezepte zur Herstellung<br />
der »echten Patina« an⁹¹, die gleichfalls so oder abgewandelt verwendet worden sein können.<br />
25 Bei den Bereichen mit der dunklen Patina handelt es sich um die originale<br />
intentionelle Patinierung von Giorgio Sommer.<br />
85 G. Buchner (Anm. 79) S. 60; H. Krause (Anm. 79)<br />
S. 145.<br />
86 G. Buchner (Anm. 79) S. 112.<br />
87 G. Buchner (Anm. 79) S. 229-235; H. Krause (Anm.<br />
79) S. 91 u. 96.<br />
88 B. Maaz (Anm. 23) S. 34.<br />
89 H. Krause (Anm. 79) S. 94-95.<br />
90 H. Krause (Anm. 79) S. 95.<br />
91 G. Buchner (Anm. 79) S. 229-235.<br />
89
K. Anheuser, Im Feuer vergoldet, Stuttgart,<br />
1999<br />
F. Bewer, Del formare e del getto, in: V. Krahn<br />
(Hrsg.), Von allen Seiten schön, Berlin, 1996<br />
C. Bischoff, Das Kupfer und seine Legierungen,<br />
Berlin, 1865<br />
C. Blümel, Sport der Hellenen, Berlin, 1936<br />
K. Brendel, Der Augustusbrunnen in Augsburg<br />
– Maßnahmen an Bronzen im Freien, in: M.<br />
Mach (Hrsg.), Metallrestaurierung, München,<br />
1998<br />
Buchner, Die Metallfärbung, Berlin, 1891 (1.<br />
Auflage)<br />
B. Cellini, Abhandlung über die Goldschmiedekunst<br />
und die Bildhauerei, Übersetzt<br />
von R. und M. Fröhlich, Basel, 1974<br />
B. v. Dewitz, Italien Sehen und Sterben. Photographie<br />
aus der Zeit des Risorgimento, Heidelberg,<br />
1992<br />
DDR-Revue, Magazin aus der DDR, Heft 3,<br />
Berlin, 1984<br />
90<br />
Die Frage, welche der angegebenen Patinierungen der Hermes aus dem Ehrenhof in der<br />
Gießerei Sommer erhielt, ist mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht mehr zu klären.<br />
1983 konnte bei der Restaurierung von Renate Lehmann nach Abnahme der krustigen<br />
Auflagen eine olivgrüne glänzende Patina freigelegt werden. Diese Färbung der Oberfläche<br />
war gewiss die originale intentionelle Patina, die heute fast vollständig verloren ist. Demnach<br />
wurde bei der Fonderia Artistica Sommer aus den 72 angebotenen Varianten die lebensgroße<br />
Kopie aus gewöhnlicher Bronze bestellt, die mit der »Antikpatina« entsprechend<br />
des Fundortes Herculaneum gefärbt, Neapel Richtung Deutschland verließ.<br />
Danksagung<br />
Zusätzlich zu den im <strong>Text</strong> genannten Personen,<br />
die mir bei meiner Arbeit behilflich waren,<br />
möchte ich mich bei folgenden Kolleginnen und<br />
Kollegen für Anregung und Hilfe bedanken:<br />
Elke Fleckenstein, Alessandra Giumlia-Mair,<br />
Wolf-Dieter Heilmeyer, Gert Jendritzki, Bertold<br />
Just, Ursula Kästner, Volker Kästner, Maria<br />
Kielholz, Max Kunze, Johannes Laurentius, Felix<br />
Lehner, Bernhard Maaz, Gertrud Platz-Horster,<br />
Andreas Scholl, Jurek Stanislawski und Arite<br />
Stanislawski. Mein besonderer Dank gilt meiner<br />
»Meisterin«, der Diplomrestauratorin Renate<br />
Lehmann. Ihre Kritik und ihr Rat sind noch<br />
immer außerordentlich wichtige Anregung für<br />
meine Arbeit.<br />
Literaturverzeichnis<br />
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Galvanoplastik, in: Restauro, Heft 1, München,<br />
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Jünglings von Magdalensberg, in: Griechische<br />
und römische Statuetten und Großbronzen,<br />
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2000<br />
J. W. v. Goethe, Leben des Benvenuto Cellini,<br />
Florentinischen Goldschmiedes und Bildhauers<br />
Abstract<br />
The sitting Hermes from Herculaneum – a reproduction<br />
by Giorgio Sommer<br />
During the restoration of a bronze statue reproduced<br />
according to the Hermes from the Villa<br />
dei Papiri in Herculaneum, indications about<br />
the method of production were documented.<br />
�e foundry mark «Fonderia Artistica Sommer,<br />
Napoli« is informing about the place of production.<br />
�e results of examination are explaining<br />
the high quality of manufacturing process in<br />
the foundry Sommer. Giorgio Sommer opened<br />
his foundry in 1975, where he produced bronzes<br />
in serial manufacture. �e Hermes statue<br />
was produced in 78 variations. �e observations<br />
informed about the high technology standards<br />
in the Italian founders in the end of 19. century.<br />
von ihm selber geschrieben, S. Seidel (Hrsg.),<br />
Berlin, 1979<br />
C. Hanfland, Der neuzeitliche Maschinenbau,<br />
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ohne Jahresangabe (um 1904)<br />
Abbildungsnachweis<br />
Johannes Laurentius: Abb. 1<br />
DDR-Revue: Abb. 3<br />
Dieter Köcher: Abb. 16<br />
Uwe Peltz: alle übrigen Abbildungen<br />
B. Maaz, »das war für Bronze gedacht und<br />
wirkt <strong>als</strong> solche« Die Entwicklung des Bronzegusses<br />
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C. Mattusch, �e seated Hermes from the Villa<br />
Dei Papiri at Herculaneum: Ancient and modern<br />
lives, in: A. Drost u. F. Lang (Hrsg.), Mittel<br />
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U. Peltz, »Das Bad des Apoll« – Modell oder<br />
Kopie?, in: Dresdner Kunstblätter, Heft 5,<br />
Dresden, 2003<br />
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U. Rohnstock, Die Odyssee des Betenden Knaben,<br />
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G. Rupp, Gips, Zink und Bronze – Berliner<br />
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P. Bloch, S. Einholz u. J. v. Simson, Ethos und<br />
Pathos, Berlin, 1999<br />
M. Schmidt, Johann Gottfried Schadow und<br />
die Bronzegusstechnik seiner Zeit – eine vergleichende<br />
Studie mit Briefpassagen, In: Berliner<br />
Beiträge zur Archäometrie, Heft 12, Berlin,<br />
1993<br />
E. A. Schott, Die Metallgießerei, Leipzig, 1913<br />
G. Sommer, In Italien. Fotografien 1860-1888,<br />
Heidelberg, 1992<br />
G. Sommer, Catalogue illustré Bronzes – Marbres.<br />
Die Jahresangabe der im Anhang des<br />
Kataloges aufgeführten Preisliste ist 1914.<br />
Handschriftlich ist auf der Titelseite des vorliegenden<br />
Exemplars vermerkt: received in 1926<br />
as the latest edition.<br />
Willer, Die Bonner Restaurierung des Eros von<br />
Mahdia, in: Antike Plastik, Lieferung 26, Berlin,<br />
1998<br />
R. Wünsche, Die Farbe kehrt zurück …, in: V.<br />
Brinkmann u. R. Wünsche (Hrsg.), Bunte Götter,<br />
München, 2003<br />
Wuttig, Die Kunst aus Bronze kolossale Statuen<br />
zu gießen, Berlin, 1814<br />
91