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StArfotogrAf tom Lemke im geSpräch AktueLLeS AuS ... - fasanen37

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Wer mit der S-Bahn zwischen Bahnhof Zoo und<br />

Savignyplatz fährt, hat sich vielleicht schon einmal<br />

gefragt, was das für ein Gebäude ist, das dort in der<br />

Grolmanstraße steht, von der Bahn aus gut zu sehen<br />

und mit großen historischen Lettern als „Tattersall<br />

des Westens“ beschriftet ist. Zwei Dinge fragt man<br />

sich: Was ist ein Tattersall? Und wo war der des Ostens<br />

oder Nordens?<br />

Zweites ist schnell erklärt: Es gab mehrere, insbesondere<br />

um den Tiergarten herum. Schiffbauerdamm,<br />

Ecke Luisenstraße ist eine nicht minder prominente<br />

und aus heutiger Sicht verwunderliche Ecke. Aber<br />

was ist nun ein Tattersall?<br />

Tattersall – die ersten „Tankstellen“<br />

„Tattersall bezeichnet ein Unternehmen zur Unterbringung<br />

und Pflege fremder Pferde, auch zum Verleih und Verkauf<br />

von Pferden. Häufig wird der Begriff synonym für Reitbahn<br />

oder Reithalle benutzt.“ So die Definition. Richard<br />

Tattersall (1724–1795, genannt Old Tatt) war ein britischer<br />

Reittrainer, Wettbüro- und Zeitungsbesitzer. In London<br />

unterhielt er Stallungen und eine Reithalle in der Nähe des<br />

Hyde Park. Es gehörten auch Casino- und Gesellschaftsräume<br />

dazu, in denen sowohl gegessen, gefeiert wie<br />

auch gewettet wurde. Hieraus entwickelte sich auch das<br />

gleichnamige Auktionshaus „Tattersalls“, das nicht mehr<br />

in Familienbesitz ist, aber eines der größten Marktplätze<br />

für englische Vollblüter darstellt, dies bis heute ist und <strong>im</strong><br />

letzten Jahr rund 10 000 Pferde verkauft hat.<br />

„Tattersall“ ist demnach ein damals ebenso selbstverständlicher<br />

Begriff wie heute „Tempo“ für Papiertaschentücher.<br />

Und Tattersalle – wenn denn der Plural so lautet<br />

– gab es nicht nur in Berlin, sondern in vielen Städten in<br />

Deutschland. In Bochum, Wiesbaden, Bad Kissingen,<br />

Leipzig und Mannhe<strong>im</strong> beispielsweise. Wenn man so<br />

will, waren es die ersten Tankstellen und Raststätten, nur<br />

eben für Pferde.<br />

1896 wird nun der „Tattersall des Westens“ erbaut. Die<br />

gesamte Anlage erstreckt sich von der Grolmanstraße<br />

parallel zur Bahn bis zur Uhlandstraße. Im heute noch<br />

einzigen erhaltenen Gebäude Grolmanstraße 47 befinden<br />

sich die Küche sowie die Gesellschaftsräume. Die<br />

Stallungen lagen in den S-Bahn-Bögen, erstreckten sich<br />

bis zur Uhlandstraße und sind heute nicht mehr erhalten.<br />

Gleiches gilt auch für die Sattlerei, die sich ebenfalls an<br />

der Uhlandstraße befand, und die dazwischen liegende<br />

Reithalle, die 1945 nach einem Bombenangriff abbrannte.<br />

Nach dem Berliner Adressbuch von 1919 konnten rund<br />

300 Pferde in der Anlage untergebracht werden. Beiläufig<br />

erwähnt sei auch der darüber stehende Eintrag zur „Radfahrkunst<br />

mit eigener Radfahrlehrbahn“, ein Berufszweig,<br />

der heute unverständlicherweise in völlige Vergessenheit<br />

geraten ist.<br />

Nun ist der Tattersall bei weitem nicht der einzige Reitstall<br />

<strong>im</strong> Berliner Westen. Es befanden sich ähnliche Betriebe<br />

in der Fasanenstraße, Hardenbergstraße und auch<br />

direkt am Kurfürstendamm (übrigens dort, wo heute das<br />

Ku‘damm-Caree mit dem Theater am Kurfürstendamm<br />

steht). Das Gebäude in der Grolmanstraße ist jedoch das<br />

einzige auch noch heute erhaltene und in seiner ehema-<br />

„Tattersall des Westens“<br />

Von der Reithalle am Savignyplatz zur Spelunke<br />

ligen Funktion erkennbare seiner Art. Zum Tattersall am<br />

Kurfürstendamm gibt es dennoch eine Verbindung, die<br />

sich jedoch erst später zeigt, nachdem der Pferdebetrieb<br />

dort eingestellt und die allseits bekannten Theater an gleicher<br />

Stelle errichtet wurden und den „DIENER“ bis heute<br />

mit Gästen versorgen.<br />

Die Restauration – vom Gesellschaftsraum zum<br />

Künstlerlokal<br />

Schon bald wird das „Restaurant zum Tattersall“ auch<br />

gesellschaftlicher Treffpunkt. Angefangen vom Kaiser Wilhelm<br />

II., der <strong>im</strong> Tattersall Station machte, entwickelt sich<br />

auch der Restaurantbetrieb bereits in den 20er-Jahren<br />

zu einem Treffpunkt der Gesellschaft und der Kunst. Der<br />

Bezug zu Künstlern, Theater- und Filmschaffenden hält<br />

sich bis heute.<br />

In der ehemaligen Küche befindet sich nun der Tresenraum<br />

des Restaurants „DIENER“, die Casino- und Gesellschaftsräume<br />

liegen darüber und waren mit einem noch<br />

heute erhaltenen Speisenaufzug verbunden.<br />

Der Tattersall des Westens zeigt nicht nur, wie sich die<br />

Stadt in den letzten 100 Jahren gewandelt hat – schließlich<br />

sieht man heutzutage äußerst selten Pferde auf dem<br />

ehemaligen Reitweg Kurfürstendamm – , er zeigt auch,<br />

dass sich dennoch Traditionen wie die der Bewirtung<br />

<strong>im</strong> Haus und die Prägung als Künstlertreffpunkt ebenso<br />

lange bewahren und <strong>im</strong>mer wieder fortentwickeln lassen.<br />

Vom „Restaurant des Tattersall“ zum „DIENER“ war der<br />

Weg kürzer als die selbst nunmehr auch schon fast 70<br />

Jahre dauernde Tradition dieses traditionsreichen Treffpunktes<br />

der Kunst und ihrer Künstler. 1954 begann diese<br />

zweite, ebenso interessante Geschichte.<br />

Der „DIENER“<br />

Franz Diener (1901 – 1969) war Boxer. Nicht irgendeiner,<br />

sondern <strong>im</strong>merhin Deutscher Meister <strong>im</strong> Schwergewicht.<br />

Ein Titel, der damals <strong>im</strong> noch deutlich lokaleren Rahmen<br />

wesentlich mehr zählte als es heutzutage in unserer miteinander<br />

verwobenen globaleren Welt der Fall ist. Seine<br />

Karriere-Höhepunkte waren diese Meistertitel. 1926 auf<br />

der Radrennbahn Treptow errang er erstmalig den Titel<br />

und verteidigte ihn auch 1927. Gegen keinen Geringeren<br />

als Max Schmeling verlor er ihn dann 1928. Beide Kämpfe<br />

fanden <strong>im</strong> Sportpalast statt. Weitere Höhepunkte seiner<br />

Karriere dürften die Kämpfe <strong>im</strong> Madison Square Garden<br />

in New York gewesen sein, die er 1926 absolvierte.<br />

Diener versuchte zwar, seinen verlorenen Titel wiederzugewinnen,<br />

verlor diesen Kampf jedoch ebenso wie den<br />

Titelkampf um die europäische Schwergewichtskrone.<br />

Sein letzter Profikampf war dann 1929 in der Royal Albert<br />

Hall in London.<br />

Seine sportlerische Bedeutung und Prominenz kann man<br />

allerdings z. B. auch daran erkennen, dass er für das<br />

Mineralwasser seiner He<strong>im</strong>atstadt Bad Bibra Werbeträger<br />

war, während Max Schmeling z. B. die Vorzüge der Kekse<br />

von Bahlsen lobte.<br />

Was Diener dann genau bis 1954 tat, lässt sich kaum<br />

noch ermitteln. Zumindest übernahm er dann in diesem<br />

Jahr das <strong>im</strong> Krieg unzerstörte „Restaurant <strong>im</strong> Tattersall“<br />

und benannte es nach sich. Das „DIENER“ war geboren.<br />

- 6 -<br />

Bald stellten sich zahlreiche Berühmtheiten <strong>im</strong> Lokal ein<br />

und kamen als Stammgäste <strong>im</strong>mer wieder. Georg Grosz,<br />

Hans Albers und Ernst Deutsch ließen sich ebenso regelmäßig<br />

blicken wie z. B. Robert Biberti von den Comedian<br />

Harmonists, der in Spuckweite über den Savignyplatz<br />

in der Carmerstraße wohnte. Die Mitglieder der Stachelschweine<br />

waren ebenso Stammgäste.<br />

Die „üble Spelunke“<br />

1969 starb Franz Diener. Sein Lokal wurde dennoch und<br />

unverändert fortgeführt. Lilo Wirthwein und Rolf Honold<br />

übernahmen den „DIENER”, ein halbes Jahr nach seinem<br />

Tod. Am Konzept änderte sich nichts, und ebenso wie<br />

die Geschichte des „Tattersall des Westens“ in ursprünglicher<br />

Form kürzer war als die des „DIENER“, ist auch die<br />

Bewirtschaftung durch Franz Diener deutlich kürzer als<br />

die, die Lilo Wirthwein und Rolf Honold den „DIENER”<br />

betrieben.<br />

Dass der Vater von Rolf Honold nicht nur die Geschichte<br />

des Raumschiffes Orion schrieb, sondern auch mit O.E.<br />

Hasse an seinem Stammtisch knobelte, führte dann zu<br />

der Mitübernahme des Lokals durch seinen Sohn, ohne,<br />

dass dieser Franz Diener noch erlebt hatte.<br />

Dennoch scheinen beide die Atmosphäre so sehr verinnerlicht<br />

zu haben, dass sie fast 40 Jahre den „DIENER“ in<br />

bewährter Manier fortführten. Neben dem schon erwähnten<br />

O.E. Hasse zog es nun auch z. B. Maria Schell und<br />

Harald Juhnke regelmäßig hierher. Und in heutiger Zeit<br />

schlägt manchmal Max Raabe den Bogen zurück in die<br />

20er- und 30er-Jahre.<br />

Wer sich für viele andere ein- und mehrmalige Besucher<br />

interessiert, kann sich gerne einmal die <strong>im</strong>posante Wandgestaltung<br />

mit geschätzten 500 Fotos seiner Besucher<br />

anschauen. Für regelmäßige Getränke- und Essenszufuhr<br />

ist dabei unverändert gesorgt. Schließlich hat sich inzwischen<br />

einer der „Böcke“, der Schauspieler Heinz Werner<br />

Krähkamp mit seiner Frau Beate selbst zum Gärtner<br />

gemacht und den „DIENER“ übernommen.<br />

Neu ist dann doch noch eine Kleinigkeit: Uwe Hamacher<br />

ist am Jahresbeginn in den „DIENER“ mit eingestiegen<br />

und belebt die Küche über das traditionelle Maß hinaus,<br />

hat allerdings durch seine Lebenspartnerin Katharina<br />

Thalbach auch gleich den Bezugspunkt in die richtige<br />

Szene mitgebracht.<br />

Restaurant Diener <strong>im</strong> Tattersall<br />

Grolmanstraße 47<br />

10623 Berlin - Charlottenburg<br />

Tel. / Fax: 030 - 8815329<br />

täglich geöffnet ab 18 Uhr<br />

Unser Autor:<br />

Christian Lüder, 43, Inhaber der Immobilien-<br />

Firma „Dr. Walter Huth Immobilien“ arbeitet<br />

und lebt in Wilmersdorf. Neben dem Immobilien-Management<br />

sind Kunst und Kultur seine<br />

Leidenschaft. Insbesondere die Fotografie.<br />

Als Fotograf für Portraits, Beauty und Fashion ist er auch<br />

selbst aktiv. „Neue Projekte in der City-West machen den<br />

Reiz neben dem Gewachsenen aus. Dieses Magazin gehört<br />

ebenso dazu und soll auch neue Impulse setzen.“<br />

Foto: Christian Lüder

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