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Die Stadt kam auf mich zu - bei Rita Torcasso | Journalistin BR | CH ...

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S<strong>CH</strong>WEIZ | porträt<br />

Eine ungewöhnliche Entscheidung: Mit 44 wanderte Kleo Heike<br />

Brunn nach Fès aus. Seit zwei Jahren führt sie in der Medina<br />

der ältesten Königsstadt Marokkos ein prächtiges Gästehaus<br />

Attajalli bedeute im Arabischen Offenbarung,<br />

sagt Kleo Brunn. «Das<br />

Haus hat <strong>mich</strong> gefunden», fügt sie<br />

hin<strong>zu</strong>. Es liegt ganz unscheinbar in einer<br />

Nebengasse. Wer aber durch die Holztüre<br />

mit Beschlägen in Form einer Fatima-<br />

Hand tritt, steht in einem Innenhof wie<br />

aus einem orientalischen Märchen.<br />

«Ich habe mein Leben völlig umgekrempelt»,<br />

sagt die 46-Jährige. <strong>Die</strong> Psychologin<br />

aus Deutschland hatte 14 Jahre in Zürich<br />

gelebt, bevor sie sich 2005 eine zweimonatige<br />

Auszeit nahm, um in Fès Arabisch <strong>zu</strong><br />

lernen. Als Gast in einem Riad, einem typisch<br />

marokkanischen Gästehaus, sei es ihr<br />

dann ergangen wie dem Schweizer Schriftsteller<br />

Titus Burckhardt (1908–1984), der<br />

schrieb: «<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>kam</strong> <strong>auf</strong> <strong>mich</strong> <strong>zu</strong>, und<br />

<strong>zu</strong>gleich taucht sie aus meiner eigenen Seele<br />

<strong>auf</strong>, aus dem Dunkel der Erinnerung.»<br />

In der Schule lernte Kleo Brunn Franzosen<br />

kennen, die einen Riad gek<strong>auf</strong>t hatten.<br />

Sie schaute sich ebenfalls einige Häuser an,<br />

kehrte aber nach Zürich <strong>zu</strong>rück. Doch der<br />

Gedanke liess ihr keine Ruhe – Ende Dezember<br />

besass auch sie ihr Haus in Fès. Das<br />

Dar Attajalli ist ein mehrstöckiges Bürgerhaus:<br />

Alle Zimmer gehen <strong>auf</strong> den Innenhof<br />

mit Brunnen, das garantiert Ruhe und<br />

Kühle im Sommer. Zuoberst bieten mehrere<br />

Terrassen Sicht über die Medina.<br />

10 <strong>BR</strong>IGITTE 19/10<br />

Mit dem K<strong>auf</strong> begann ein Abenteuer. Sie<br />

be<strong>auf</strong>tragte ein Generalunternehmen mit<br />

der Renovation, doch die Kosten frassen<br />

nicht nur ihr Erspartes <strong>auf</strong>, sie musste<br />

sich auch Geld von Freunden leihen. Als<br />

sie merkte, dass die Renovation nicht vom<br />

Fleck <strong>kam</strong>, kündigte sie die Stelle in Zürich<br />

und zog ins Haus, um die Ar<strong>bei</strong>ten selbst<br />

<strong>zu</strong> überwachen.<br />

Um möglichst nahe am Original <strong>zu</strong> bleiben,<br />

suchte sie alte Stuck- und Mosaikteile<br />

<strong>zu</strong>sammen und einen Teil der Möbel liess<br />

sie <strong>bei</strong> Handwerkern im Viertel anfertigen.<br />

Jedes der Zimmer mit Zedernholzdecken,<br />

bemalten Türen und kunstvoll verzierten<br />

Fenstern ist anders eingerichtet. Beim K<strong>auf</strong><br />

erhielt sie eine zehn Meter lange handschriftliche<br />

Urkunde, deren erster Eintrag<br />

150 Jahr alt ist. «Doch das Haus ist wohl<br />

einige hundert Jahre alt, denn es liegt im<br />

ältesten Teil von Fès.»<br />

Fès El Bali wurde 789 gegründet. Hier<br />

liegen die interessantesten Sehenswürdigkeiten:<br />

die Karouyine-Moschee, die Medersen,<br />

wo bekannte Gelehrte ausgebildet<br />

wurden, die Zawia des <strong>Stadt</strong>begründers<br />

Moulay Idriss II. <strong>Die</strong> Gasse vor dem Haus<br />

mündet in die Tala Kebira, an deren Ende<br />

die wichtigsten Suq liegen: das Gerber-<br />

Viertel, der Färber-Suq, jener der Teppichweber<br />

und Kupferschmiede. Vor dem Dar<br />

Links: Blick von einem<br />

Zimmer aus in den Innenhof;<br />

rechts oben: die<br />

orange Suite; rechts:<br />

Gastgeberin Kleo Heike<br />

Brunn <strong>auf</strong> der Terrasse<br />

mit Blick über die<br />

Medina von Fès<br />

«<strong>Die</strong> <strong>Stadt</strong> <strong>kam</strong> <strong>auf</strong> <strong>mich</strong> <strong>zu</strong>»<br />

Attajalli im Durchgang dreht ein junger<br />

Mann Seidenfäden <strong>zu</strong> Kordeln, gegenüber<br />

näht ein Schneider Djellabas für Frauen.<br />

Sie sei zwar mehrmals an ihre Grenzen gestossen,<br />

sagt die Gastgeberin, die laut eines<br />

Kommentars <strong>auf</strong> der Homepage Herz und<br />

Seele des Hauses sei. «Aber ich wollte nicht,<br />

dass ich eines Tages bedauern müsste, etwas<br />

Wichtiges versäumt <strong>zu</strong> haben.» Gäste hat<br />

sie aus aller Welt, oft alleine oder <strong>zu</strong> zweit<br />

reisende Frauen. Allein das Frühstück ist<br />

ein Grund <strong>zu</strong>m Wiederkommen. Es gibt<br />

frische Früchte und marokkanische Spezialitäten<br />

<strong>auf</strong> der Terrasse, zwischen Rosen<br />

und Jasmin, mit Blick <strong>auf</strong> die grosse Moschee<br />

und die Ruinen der Meriniden-Gräber<br />

<strong>auf</strong> dem Hügel. Kleo Brunn jedenfalls<br />

ist «angekommen» in ihrem Leben. Für sie<br />

ist klar: «Ich will hier bleiben.»<br />

INFOS<br />

Der Riad Dar Attajalli hat vier<br />

Gästezimmer mit Bad, à 80–120 €;<br />

den Gästen steht ein grosser Innenhof,<br />

eine Dachterrasse und eine<br />

Bibliothek mit Internet-Anschluss<br />

<strong>zu</strong>r Verfügung. Auf Wunsch werden<br />

<strong>Stadt</strong>führungen organisiert. <strong>Die</strong><br />

Besitzerin Kleo Heike Brunn spricht<br />

Deutsch, Englisch und Französisch.<br />

www.attajalli.com<br />

Fotos: <strong>Rita</strong> <strong>Torcasso</strong> | Kleo Heike Brunn. Text: <strong>Rita</strong> <strong>Torcasso</strong>

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