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Der Rote Turm zu Weinheim - Tauschring Weinheim

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Geschichte<br />

unld Geschichten<br />

Recycelt von Werner Pieper


DER ROTE TURM<br />

<strong>zu</strong> Wein11eim<br />

Geschichte & Geschichten<br />

Recycelt von Werner Pieper


Inhalt<br />

7 Das Steinheim von <strong>Weinheim</strong>: bautechnische Daten<br />

9 Vorwort<br />

12 Zum Namen des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es<br />

14 Kopf runter, Augen auf: eine <strong>Turm</strong>besteigung<br />

17 <strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> im Laufe der Zeit<br />

27 Um den <strong>Turm</strong> herum:<br />

Wachsen und Werden <strong>Weinheim</strong>s, eine Stadtchronik<br />

31 <strong>Weinheim</strong> als Spielball der Mächte<br />

33 <strong>Weinheim</strong>er <strong>Turm</strong>lied<br />

34 Das Leben im <strong>Turm</strong><br />

39 Jonathan Wolrab und der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong>, erzählt von Micky Remann<br />

56 Zur Geschichte der Gerichte<br />

62 Gauner, Gott und Galgen<br />

65 Flora und Fauna im, am und auf dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong><br />

69 Künstler erobern den <strong>Turm</strong><br />

76 Quellen- und Literaturliste<br />

76 Commercials<br />

78 Lesetips


Bilder - und Faksimile Verzeichnis<br />

Stadtarchiv <strong>Weinheim</strong>: Umschlagfoto, S. 17, 19, 22, 35, 59, 68<br />

Manfred Maser, Fotos S. 1, 67 oben<br />

Norika Nienstedt: S. 2, 43 (mit Bertram Jesdinsky), 71 (Marken), 73<br />

<strong>Der</strong> Rodensteiner, S. 6<br />

Oona Leganovic: S. 8<br />

Werner Pieper: S. 11, 13, 15, 16, 37, 67 unten<br />

Paul Müller: S. 20<br />

Merian Stick: S. 27<br />

R. Rippchen Archiv: S. 30, 63<br />

Weiß: 57<br />

Gästebuch Galerie "<strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>": Gedicht S. 71,73,74<br />

örtliche Zeitung (?): S. 72<br />

Unbekannt: S. 75 (Montage W. P.)<br />

Faksimile S. 70 von Lothar Griesbach<br />

Faksimile 71- 75, Archiv "Freundeskreis <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>"<br />

Impressum<br />

DER ROTE TURM<br />

Redaktion: Werner Pieper<br />

Inhaltliche Mithelfer: siehe Vorwort<br />

Satz: Petra Petzo1d, Heidelberg<br />

Gestaltung Umschlag & Inhalt: Petra Petzold & Werner Pieper<br />

Druck: Maro, Augsburg<br />

Verlegt durch:<br />

Werner Pieper's Medienexperimente<br />

Alte Schmiede<br />

D-6941 Lährbach<br />

AUe Rechte bei den jeweiligen Autoren<br />

ISBN 3 -922708 - 11 - 0


Das Steinheim von <strong>Weinheim</strong>:<br />

Bautechnische Daten<br />

Höhe: 30 m<br />

Umfang unten: 22 m<br />

Umfang oben innerhalb der Zinnen: 21 m<br />

Alter des Urturms: ca. 700 Jahre<br />

Grundriß: kreisfönnig<br />

Durchmesser der Stockwerke innen: ca. 3 m<br />

Gänge: ca. 70 cm breit, 1,57- 2.15 m hoch<br />

Baurnaterial: roter Sandstein, wahrscheinlich aus dem Odenwald<br />

Eigenart: die Wendeltreppe führt innerhalb der dicken Mauern nach oben<br />

Neigung: der <strong>Turm</strong> beugt sich ca. 40 cm gen Westen<br />

7


TUrm m il Taube.


Vorwort<br />

Im Andenken an Wilhelm Fabricius<br />

Wer, wie ich, nicht mehr am Ort seiner Kindheit wohnt, tut gut daran,<br />

<strong>zu</strong>r ltneuen Heimat« einen persönlichen Be<strong>zu</strong>g her<strong>zu</strong>stellen. »The sense of<br />

place«, das Gefühl eines Ortes <strong>zu</strong> erspÜIen, kann eine sehr faszinierende<br />

Angelegenheit werden, wenn man sich da<strong>zu</strong> aufrafft, den ver paßten Heimatlcundeunterricht<br />

auf eigene Faust nach<strong>zu</strong>holen.<br />

Mich hat es vor 25 Jahren in die Gegend zwischen Ulfenbach, Neckar<br />

und Weschnitz verschlagen. Aus meinem Interesse für die Heidelberger<br />

Geschichte wuchsen zwei Bücher (siehe Anzeigenteil des Buches). Nun,<br />

<strong>Turm</strong> sei Dank, ergab sich die Möglichkeit, auch im Fluß der <strong>Weinheim</strong>er<br />

Geschichte fischen <strong>zu</strong> gehen.<br />

Norika Nienstedt und Sharon Levinson vom »Freundeskreis <strong>Rote</strong>r<br />

<strong>Turm</strong>« überließen mir temporär den Schlüssel <strong>zu</strong> selbigem <strong>Turm</strong>, damit ich<br />

mich dort als <strong>Turm</strong>schreiber versuchen könne, so wie es sie auch in anderen<br />

vergleichbaren Türmen gibt, oft gar von der jeweiligen Stadt bezahlt.<br />

Wie es Schreiberlingen so eigen ist, griff ich sofort <strong>zu</strong> und fing an <strong>zu</strong><br />

recherchieren. Schnell wurde mir klar, daß man so ein Bauwerk nicht isoliert<br />

von Stadtgeschichte und Umgebung kennenlernen und verstehen<br />

kann. So befragte ich kundige Freunde und Einheimische, schloß mich<br />

einige Zeit im <strong>Turm</strong> ein, stöberte im Stadtarchiv und im Museum, las mich<br />

durch die Heimatbücher und machte mir einen Reim draus. Das Ergebnis<br />

liegt hiermit vor. Alie Texte des Buches, auch der von Micky Remann, sind<br />

im <strong>Turm</strong> entstanden.<br />

Hauptsächlich richtet sich dieses Buch natürlich an <strong>Weinheim</strong>erinnen<br />

und <strong>Weinheim</strong>er, ist es doch ihr <strong>Turm</strong>, ihr »Liebling«, wie es in der einschlägigen<br />

heimatkundlichen Literatur immer wieder <strong>zu</strong> lesen steht.<br />

Aber auch aUSWärtige Besucher sollen mit dieser Schrift angesprochen<br />

werden, daher hier noch ein paar Worte über <strong>Weinheim</strong> als Ort. <strong>Weinheim</strong><br />

an der Bergstraße ist dank der dünnen Erdschicht der Rheinebene (und<br />

der zeitgenössischen AufheizW1g der Ebene durch die Industrie vor allem<br />

in Mannheim und Ludwigshafen) einer der wärmsten Orte Deutschlands.<br />

Lieblich liegt die Stadt »amphitbeatrisch am Busen eines Berges«, notierte<br />

schon ein Heimatforscher vor vielen Jahren. In einer großen Untersuchung<br />

in den 80er Jahren, welche wohl die attraktivste deutsche Stadt zwischen<br />

40 - 100000 Einwohnern sei, belegte <strong>Weinheim</strong> Platz eins. <strong>Der</strong> Name hat<br />

nichts mit Wein <strong>zu</strong> tun, sondern stammt vom Wortstamm »win« = Freund.<br />

9


Im 17. Jahrhundert, als die Stadt das Salzmonopol und die Universität ihr<br />

eigen nannte, schien <strong>Weinheim</strong> auf dem Weg <strong>zu</strong> einer großen Metropole<br />

<strong>zu</strong> sein; niemand würde heute von Heidelberg und Mannheim reden.<br />

Glücklicherweise ging dieser Kelch an uns vor bei.<br />

So verbauen keine Wolkenkratzer den Blick von und auf den <strong>Rote</strong>n<br />

<strong>Turm</strong>, jenen Tower of Power inmitten der Weinheirner Altstadt (die eigentlich<br />

die Neustadt ist, aber da<strong>zu</strong> mehr weiter hinten im Buch).<br />

Altersschät<strong>zu</strong>ngen den <strong>Turm</strong> betreffend schwanken zwischen 750 und<br />

650 Jahren. Vor ca. 250 Jahren wurde er letztmals als Stadtbefestigungsanlage<br />

genutzt, vor genau 150 Jahren wurde er als Kerker geschlossen. Damals<br />

schrieb der <strong>Weinheim</strong>er Heimatforscher A. L. Grimm folgende, auch<br />

heute noch beherzigenswerte Worte über den <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>:<br />

»Möge nur ein guter Geist die städtische Verwaltung leiten, damit die<br />

unserer Zeit eigene Sucht nach temporärem materiellem Gewinne oder<br />

nichtsachtende Gleichgültigkeit nicht auch in dieses schöne Denkmal der<br />

Vorzeit die zerstörende oder entstellende Hand legen. Denn so, wie er ist,<br />

ist dieser <strong>Turm</strong> die schönste Zierde der Gegend, und der Eingang in die<br />

Stadt gewinnt durch ihn seinen eigentümlichen Reiz, was schon manche<br />

Künstler darum auch veranlaßte, ihr Talent daran <strong>zu</strong> versuchen.« (10)<br />

Seit 1970 versuchen immer wieder Künstler, mit dem düsteren Karma<br />

des ehemaligen Kerkers <strong>zu</strong>recht<strong>zu</strong>kommen. Die <strong>Weinheim</strong>er Bevölkerung<br />

hatte in all den Jahrhunderten selten Gelegenheit, den <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong> erklimmen,<br />

ohne Kerkerhaft oder <strong>zu</strong>mindest Kunst ertragen <strong>zu</strong> müssen. Das lag sicherlich<br />

mehr an den fast immer verschlossenen Türen als am guten Willen,<br />

wie es auch 1986 in der »Communale« nachlesbar war:<br />

»Die kommen, wenn die Tür offen steht. Die jungen - und die Alten. Um<br />

den <strong>Turm</strong>, den sie zeitlebens verschlossen vor Augen hatten, jetzt von<br />

innen kennen<strong>zu</strong>lernen. Und welch ein Erlebnis. Notgedrungen wird hier<br />

>Raum< als Wahrnehmungsdimension bewußt. Von außen unübersehbar ein<br />

phallisches Symbol, geht's drinnen in engen, weiß getünchten, leicht gewundenen<br />

Röhren - den Geburtskanal? - rauf und runter. Ein Überblick ist<br />

nicht möglich, die dicken Mauem schirmen fast jedes Geräusch, auch Licht<br />

ab. Sich bis <strong>zu</strong>r nächsten Nische vor tasten, zwischen Neugierde und Platzangst:<br />

spannend. «<br />

Ab sofort wird der Forderung der Bürger und dem Wunsch der Kinder<br />

nachgekommen und der <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong>r Sommerszeit an einigen Wochenenden<br />

<strong>zu</strong>gänglich gemacht. Um den immer wiederkehrenden Fragen aus<strong>zu</strong>weichen,<br />

habe ich nun die Ergebnisse meiner Recherche in Buchform darniedergelegt.<br />

Getreu dem Motto von Theo Pinkus »Grab wo du stehst«<br />

habe ich während der Arbeit an dieser Schrift über die <strong>Weinheim</strong>er Stadtgeschichte,<br />

das Leben und Leiden der Bevölkerung durch die jahrhunderte,<br />

schröcldiche Geschichten über die Rechtsbarkeit und die Kerkerzeit<br />

des <strong>Turm</strong>es und vieles andere gelernt. Möge die Lektüre dieses Buches<br />

einiges davon vermitteln.<br />

Micky Remann, der vor jahren schon einmal bei Veranstaltungen des<br />

10


Zum Namen<br />

des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es<br />

Urkundlich wird der <strong>Turm</strong> erstmals 1504 als »Neuer <strong>Turm</strong>« erwähnt. Nicht<br />

klar allerdings ist, ob mit dem »Alten <strong>Turm</strong>« ein Vorläufer an selber Stelle<br />

oder der Blaue Hut gemeint war.<br />

<strong>Der</strong> Blaue Hut hat seinen Namen nach dem dunklen Schieferdach - das<br />

er mal hatte. Kaum einem <strong>Weinheim</strong>er, den ich darauf ansprach, war bislang<br />

aufgefallen, daß auch dieser <strong>Turm</strong> irgendwann rot gedeckt worden ist.<br />

Da war das Denkmalschutzamt wohl auf Betriebsausflug.<br />

<strong>Der</strong> Volksmund bietet zwei Namenserklärungen <strong>zu</strong>m <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>:<br />

1.: · der <strong>Turm</strong> hatte früher ein rotes Dach (jenes, das 1708 abgedeckt wurde;<br />

2.: der Name bezieht sich auf die roten Sandsteinquader, aus denen der<br />

<strong>Turm</strong> erbaut wurde.<br />

Bemerkenswert eine Parallele <strong>zu</strong> Bensheim, wo es auch einen blauen<br />

und einen roten <strong>Turm</strong> gab:<br />

»Wir gelangen <strong>zu</strong> dem vorhin bereits erwähnten > Bürgerturm< , früher auch<br />

>Rotherturm< genannt. ( ... ) Er befindet sich noch in gutem Zustand. Neben<br />

seinem Verteidigungswert hatte er auch die Aufgabe, Bürger und Bürgerinnen,<br />

die sich gegen das Gesetz vergangen hatten, als Häftlinge in seine<br />

Mauern auf<strong>zu</strong>nehmen. Sie sollten während ihrer <strong>Turm</strong>strafe nicht mit >anderem<br />

Gesindel< <strong>zu</strong>sammenkommen, das anderswo untergebracht war.<br />

Damit ist für die Bezeichnung des 'furrnes eine einwandfreie Erklärung gefunden.«<br />

(4)<br />

Nach allen Unterlagen, die ich einsehen konnte, war die Gefangenenverteilung<br />

in <strong>Weinheim</strong> ebenso: die Bürger in den <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>, »minderes<br />

Volk« in das dumpfe tiefe Loch im Blauen <strong>Turm</strong>.<br />

Da sich nicht mehr eruieren läßt, wann der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> seinen Namen<br />

von wem bekam, müssen wir auf Forschungsergebnisse <strong>zu</strong>rückgreifen, um<br />

einer Wahrheit näher<strong>zu</strong>kommen:<br />

»Wann damit begonnen wurde, Friedhöfe und Gerichtsplätze, aber<br />

auch Spielplätze als >rote Orte< <strong>zu</strong> bezeichnen und durch rote Farbe <strong>zu</strong><br />

kennzeichnen, wissen wir nicht. Die Spuren führen in die vorgeschichtliche<br />

Zeit. Bis <strong>zu</strong>m heutigen Tag wird die rote Farbe mit der RechtsprechWlg in<br />

Zusammenhang gebracht. Ln manchen mittelalterlichen Städten waren Gefängnisse<br />

und Stätten der Gerichtsbarkeit rot bemalt oder wenigstens als<br />

>roter Ort< benannt. In der Schweiz, in Österreich, Bayern und Sachsen gab<br />

es zahlreiche rote Türme oder rote Tore, die mit der Gerichtsbarkeit <strong>zu</strong> tun<br />

hatten." (24)<br />

12


Vormals wurden Gerichtsveranstaltungen im Freien durchgefiihIt, auf<br />

Rothügeln, Rotbergen und in Rotgärten (wortverwandt <strong>zu</strong> »Rosengärten«).<br />

Später, als man in Gerichtsgebäude umzog I übernahmen diese auch den<br />

roten Namen. so z. B. in Wien, wo es noch heute eine <strong>Rote</strong>nturmstraße gibt.<br />

»Im roten <strong>Turm</strong> befand sich auch die Haupt-Mautstelle der Residenzstadt.<br />

Maut und Strafe waren schon immer beisammen. In einem alten<br />

Werk über die historisch bedeutsamen Häuser Wiens lesen wir: ><strong>Der</strong> Rotheturm<br />

hatte etwas Feierliches, weil Roth damals die Farbe der Gerechtigkeit,<br />

<strong>zu</strong>mal der hochnothpeinlichen Straf justiz war.


Kopf runter, Augen auf:<br />

eine <strong>Turm</strong>besteigung<br />

Etwa um 1800 wurde die Tür, durch die man den <strong>Turm</strong> heute ebenerdig<br />

betritt, eingebaut. Vorher war der Eingang rückseitig, also von der Stadtseite<br />

aus, im 1. Stock nur über die Stadtmauer <strong>zu</strong> erreichen. Das Erdgeschoß<br />

war <strong>zu</strong> jener Zeit das Kerkerverlies, in das man nur durch ein Loch<br />

im Boden des 1. Stockwerks am Seil hinunter kam. <strong>Der</strong> alte Eingang ist hinter<br />

dem Hausgiebel der Metzgerei Odenwälder von der Institutsstraße aus<br />

noch sichtbar.<br />

Schon beim Durchschreiten der Eingangstür kann man erkennen, wie<br />

dick die Mauern des <strong>Turm</strong>es sind: 2,30 bis 2,80 m.<br />

Das Erdgeschoß war <strong>zu</strong> Kerkerzeiten wahrscheinlich etwas tiefer ausgehoben.<br />

Licht fiel nur durch eine kleine Schießscharte, die heute mit vier<br />

Glasbausteinen abgedichtet ist, in den Raum. In der Mitte der Gewölbedecke<br />

erkennen wir das ehemalige Einstiegsloch. Eine neunstufige Holztreppe<br />

führt uns in den Wendelgang. Nach weiteren zehn Steinstufen im<br />

Wendelgang erreichen wir den 1. Stock.<br />

Das Fenster im Gang zeigt links nach Norden. Das Zimmer im 1. Stock<br />

ist als einziges im <strong>Turm</strong> kein Durchgangszimmer und hat ein nach Süden<br />

zeigendes Fenster. In eine Wand ist ein Regal eingebaut worden.<br />

Im 22stufigen Gang <strong>zu</strong>m 2. Stock befindet sich ein weiteres Fenster, die<br />

Fenster im Raum selber zeigen nach Westen und nach Osten. Zum weiteren<br />

Aufstieg muß man den Raum durchqueren und kann dabei ein weiteres<br />

ehemaliges Loch in der Decke entdecken. Wo<strong>zu</strong> dieses diente, ist heute<br />

nicht mehr nachvollziehbar.<br />

. Im Aufgang <strong>zu</strong>m 3. Stock wieder eine mit Glasbausteinen <strong>zu</strong>gemauerte<br />

Sichtluke. Auch dieser Abschnitt der Wendeltreppe hat 22 Stufen. Die Fensteranordnung<br />

im 3. Stockwerk ist identisch mit der im 2. Stock, Hier sind<br />

allerdings die Wände seit 1971 mit Holz vertäfelt.<br />

Vor dem Eingang <strong>zu</strong>m Raum befindet sich links der Aborterker, oder im<br />

Volksmund: das Plumpsklo, das man ja auch von außen sehen kann, von wo<br />

es wie ein Schwalbennest an den <strong>Turm</strong> geklatscht erscheint. Nutzbar ist<br />

dieses Klo allerdings nicht mehr, da der früher darunter verlaufende Stadtgraben<br />

<strong>zu</strong>geschüttet wurde und sich der heutige Eingang unter dem Erker<br />

befindet. Im Kloraum befindet sich auch noch ein <strong>zu</strong>zementiertes Ofenrohrloch.<br />

Unklar ist jedoch, wie und von wo aus der <strong>Turm</strong> früher beheizt<br />

wurde.<br />

Auch im Durchgangsraum des 3. Stockwerks können wir drei nachträg-<br />

14


lieh <strong>zu</strong>gemauerte Stellen<br />

erkennen: an der Decke<br />

und rechts vom Eingang<br />

sowohl in der Wand wie<br />

auch am Boden.<br />

Noch zwanzig Stufen,<br />

und man hat den Dachrundgang<br />

erreicht. Man<br />

betritt ihn durch einen<br />

erst im letzten Jahrzehnt<br />

installierten Blechtüraufsatz,<br />

ein potthäßliches<br />

Ding. das einen ungehinderten<br />

Rundgang innerhalb<br />

der Zinnen unmöglich<br />

macht. Zudem setzt<br />

ihm die Taubenscheiße<br />

arg <strong>zu</strong>. Vormals war hier<br />

eine Falltür. Zukünftig bitte<br />

auch wieder, alle<br />

Tunnbesteiger werden<br />

dankbar sein.<br />

OK. Es ist vollbracht.<br />

Wir sind oben angelangt.<br />

und nun eröffnet sich uns<br />

ein wundervoller Rundblick:<br />

von den »neuen Tür­<br />

<strong>Der</strong> Aufgang.<br />

men« (Kirche und Schloßturm)<br />

über die ehrwürdige Libanon-Zeder, dann in die Rheinebene. Unter<br />

uns der Staudengarten Hermannshof und die Altstadt. Dann die nördliche<br />

Bergstraße und schließlich. ungewöhnlich nah erscheinend, Hirschkopf,<br />

Wachenberg und die Windeck. Weiter schweift der Blick ins Gorxheimer<br />

Tal. dahinter der Odenwald. Über den Dächern Wipfel des Exotenwaldes<br />

und schließlich wieder die Türme. Vom Marktplatz hört man geschäftiges<br />

Treiben, vom Minigolfplatz schallt ab und an ein Triumphgeschrei.<br />

Man ist von zwölf Zinnen umgeben. die zwischen 1,70 und 1,80 m hoch<br />

sind. Von den vier Wasserspeiern sind drei erst im 19. Jahrhundert angebaut<br />

worden. auf alten Bildern ist nur der in Richtung Osten <strong>zu</strong> erkennen.<br />

Vor wenigen Jahren wurden zwei der Wasserspeier unerklärlicherweise<br />

<strong>zu</strong>zementiert. Da der Boden uneben ist, stehen nach jedem Regen große<br />

Pfützen auf dem Rundgang, deren Feuchtigkeit auch ins Gemäuer übergreift.<br />

<strong>Der</strong> Zinnenumgang ist außen mit einem Fries geschmückter Spitzbogensteine<br />

gefaßt. Als sich 1952 einige der Steine lösten. erneuerte man<br />

den ganzen Umgang, faßte die Tunnspitze mit einem Eisenreifen und<br />

brachte rundum ein neues Fries an.<br />

16


Oben auf dem <strong>Turm</strong> thront eine sechseckige Spitzpyramide, in der Tauben<br />

hausen. Diese Pyramide trug vor l708 das ehemalige Runddach, das<br />

damals verrottete und nie wieder erneuert wurde. Oben auf der Pyramide<br />

ist noch das Storchennest <strong>zu</strong> erkennen, das aber nun seit 40 Jahren verwaist<br />

ist.<br />

Die meisten Tunnbesteiger atmen erst einmal tief durch, wenn sie des<br />

<strong>Turm</strong>es Spitze erklommen haben. Wobei sich nicht immer sagen läßt, ob<br />

dies der schönen Aussicht oder des rotierenden Kreislaufs wegen geschieht.<br />

So manchem scheinen Zivilisationsmoden wie das Rauchen wie ein<br />

Ballast die ungeübte Beinmuskulatur <strong>zu</strong> lähmen. Die Kinder sind immer als<br />

erste oben. Nicht nur mißmutige Besteiger stoßen sich beim Abstieg häufig<br />

den Kopf: der enge und niedrige Gang zwingt vor allem beim Abstieg <strong>zu</strong><br />

einer demütigen Haltung.<br />

Das Gurren der Tauben, die aus den ehemaligen Schießscharten<br />

Scheißscharten gemacht haben, klingt bei jedem Kopfstoß an die Gangdecke<br />

wie ein höhnisches Gelächter. Angesteckt davon reimte der Poet<br />

Ronald Rabchen, <strong>Weinheim</strong> aus der Taubenperspektive der <strong>Turm</strong>spitze<br />

betrachtend, spontan:<br />

<strong>Der</strong> Mensch<br />

vom <strong>Turm</strong><br />

sieht aus<br />

wie'n Wurm.<br />

Daß der <strong>Turm</strong> nicht immer nur als Inspiration genutzt wurde, davon zeugt<br />

das folgende Kapitel.<br />

16<br />

Blick von der Zinne.


Etwa 1800 wurde die ebenerdige Tür eingebaut, die bis heute als Eingang<br />

benutzt wird. Wahrscheinlich war der alte Eingang durch den Abbruch<br />

der Stadtmauer un<strong>zu</strong>gänglich geworden. 1m Jahr 1807 durchbrachen<br />

Napoleons Truppen die Stadtmauer am <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>, um Platz für die heutige<br />

»<strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> Straße« <strong>zu</strong> schaffen.<br />

Wurde der <strong>Turm</strong> nun auch nicht mehr <strong>zu</strong>m Schutz gegen den äußeren<br />

Feind benötigt, so diente er doch noch bis <strong>zu</strong>m Jahr 1841 und darüber hinaus<br />

als Gefängnis für die inneren Feinde.<br />

In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> als Gefängnis unmodern<br />

geworden. 1841 war deshalb in unmittelbarer Nachbarschaft das<br />

neue Gefängnis gebaut worden, das die <strong>Weinheim</strong>er, wie das alte, »die<br />

Heck« nannten. Den Namen hatten beide Kerker vom Kerkermeister Heck,<br />

der seinen Dienst in beiden Gefängnissen leistete. <strong>Der</strong> Neubau war bei<br />

den <strong>Weinheim</strong>ern nicht wohl gelitten.<br />

}) Über 50 Jahre lang kämpften <strong>Weinheim</strong>s Bürger gegen den rötlichen<br />

Sandstein-Koloß bei der Einmündung der Grabengasse in die <strong>Rote</strong>-<strong>Turm</strong>­<br />

Straße: Schon 1912 äußerten die Stadtväter in einem Schreiben an das<br />

Großherzogliehe Amtsgericht den Wunsch, daß das Amtsgefängnis, das<br />

mitten in der neu entstehenden Gartenstadt ein Schandfleck sei, >in den<br />

nächsten fünf Jahren beseitigt wirddie Heckdie Heckdie Heck< <strong>zu</strong> kommen, aus der<br />

1927 schon die letzten echten Gefangenen nach Mannheim umgesiedelt<br />

worden waren.« (7)<br />

Zu den »unbequemen Bürgern« gehörte 1945 auch Oberforstmeister<br />

Wilhelm Fabricius, der hier ohne Anklage und ohne Urteil einige Tage und<br />

Nächte verbrachte.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> hingegen wurde vermehrt <strong>zu</strong>m Lieblingsmotiv vieler<br />

Künstler, wie eine kleine Bilderauswahl in diesem Buch und folgende Zeitungsnotiz<br />

aus dem» <strong>Weinheim</strong>er Anzeiger« vom 8.11.1864 beweist:<br />

»November 8. - Wir lesen: Ein Kunstfreund dankt von der ungarischen<br />

Grenze seinen <strong>Weinheim</strong>er Verwandten für die >schönen Kunstprodukte<<br />

die Photographien von W. Den, die sich, lsowohl durch Feinheit der Ausführung<br />

als durch gelungene Wahl der Aufnarunepunkte auszeichnen und<br />

ähnliches in Breslau Angefertigtes in den Hintergrund stellen.< Namentlich<br />

wird die >vielberufene Ansicht des rothen Thurmes< als vollendet bezeichnet.<br />

<strong>Der</strong>selbe schreibt außerdem, daß er die Gesundheit seiner <strong>Weinheim</strong>er<br />

>Leute< dort in Lützelsachsener Rothen, der neben dem Burgunder<br />

18


Gemälde des Heidelberger Malers Philip Fohr. ca. 1820.<br />

servirt wurde, getrunken. habe. Also Pflege auf unseren Rothen verwandt,<br />

beim Bau und der Behandlung!«<br />

Immer wieder mußte die Stadt dafür sorgen, daß die Zähne der Zeit<br />

nicht <strong>zu</strong> arg am <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> nagten:<br />

30. Oktober 1909: <strong>Der</strong> obere Aufbau des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>s wurde renoviert<br />

und neu verputzt. Eventuell sind die drei <strong>zu</strong>sätzlichen Wasserspeier damals<br />

installiert worden. Mit Sicherheit wurden die Holztreppe und die untere<br />

Tür erneuert.<br />

1929: Die Stadt gab nochmals 2.147 Mark für die <strong>Turm</strong>renovierung an<br />

den Gipser Kari Bander aus.<br />

Auch die Denkmalspflege kümmert sich um ihn: 1911 wird von höherer<br />

Stelle um eine Auflistung der Baudenkmäler der Stadt gebeten, unter denen<br />

sich folglich auch der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> befand; 1919 erging die Warnung und<br />

Bitte, auch »in diesen schweren Zeiten« die Baudenkmäler <strong>zu</strong> schützen, <strong>zu</strong><br />

erhalten und nicht etwa die Steine derselben für andere Bauvorhaben alternativ<br />

<strong>zu</strong> benützen.<br />

Aber auch die Bürger trugen Sorge um ihren Liebling. So erregte man<br />

sich schon 1913 über angebrachte Graffitti (»Wände verkritzeln«).<br />

19


Zu Anfang der Nazizeit traf sich die Hitlerjugend im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>, jedoch nur<br />

für kurze Zeit. Wurden sie <strong>zu</strong> zahlreich oder wollten sie nicht als »<strong>Rote</strong><br />

<strong>Turm</strong> Zelle« gelten? Aber auch in der Braunen Zeit hatte der <strong>Turm</strong> seinen<br />

Stellenwert. Hier zwei Dokumente von 1938 und aus dem Kriegsjahr 1943<br />

mit tröstlichen Formulierungen wie: »Seine dicken Mauern dürften auch im<br />

heutigen Krieg noch mancher Bombe standhalten.«<br />

Die unerschütterliche Wehrhaftigkeit wurde entsprechend genutzt:<br />

»Im 2. Weltlaieg hat der leicht schräge <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> die wertvollsten<br />

Stücke des Heimatmuseums beherbergt, vor allem die Fresken aus der<br />

alten Peterskirche: Sie sollten vor den Luftangriffen bewahrt werden.« (7)<br />

Die nächsten Überlieferungen stammen aus dem Jahr 1952:<br />

Mauerabsturz vom <strong>Rote</strong>n Tunn.<br />

Am Mittwoch abend glaubte man im Odenwäldersehen Anwesen unterhalb<br />

des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es nicht anders, es sei eine Bombe in das Nebengebäude<br />

gefallen. Es war etwa 19.30 Uhr, also schon bei Dunkelheit, so daß<br />

der Hof glücklicherweise von Kindern frei war, die sonst dort <strong>zu</strong> spielen<br />

pflegen. Als man der Ursache des plötzlichen schweren Schlages und Gepolters<br />

nachging, stellte man fest, daß vom <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> zentnerschwere<br />

Steinbrocken herabgefallen waren. Die Vermutung lag nahe, daß dies im<br />

Zusammenhang mit der Erneuerung des Storchennestes geschehen sein<br />

könnte. Es war jedoch nicht so. Das Mauerwerk war unterhalb des Kranzes,<br />

bis <strong>zu</strong> dem man hinaufsteigen kann, losgebröckelt und hatte das Dach des<br />

darunterstehenden Speichers von Odenwälder durchschlagen. Auch in<br />

den Hof waren Steinbrocken gefallen. Das <strong>Turm</strong>zimmer war früher einmal<br />

für Jugend<strong>zu</strong>sammenkünfte benutzt worden. Möglicherweise hängt der<br />

Gesteinsabsturz damit <strong>zu</strong>sammen. Die Steine lösten sich unmittelbar über<br />

dem Ofenrohr, das vom genannten Raum aus ins Freie geführt wurde. (12)<br />

<strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong>, einer unserer ältesten »Bewohner«'.<br />

Die alarmierende Nachricht vom Absturz schwerer Mauerbrocken des <strong>Rote</strong>n<br />

<strong>Turm</strong>s wird viele veranlaßt haben, sich einmal die Bescherung <strong>zu</strong> betrachten,<br />

die uns dieser fast älteste »Bewohner« unserer Stadt bereitet hat.<br />

Es ist nicht das erste Mal, daß sich Steine losgelöst haben, und es wird wohl<br />

jetzt ganz energisch gegen die Gefahrenquellen vorgegangen werden<br />

müssen. Vor allem wird <strong>zu</strong> untersuchen sein, ob der Mauerkranz unterhalb<br />

der <strong>Turm</strong>byüstung altersschwach geworden ist. Wenn sich die Blicke der<br />

an dem Vorfall Interessierten über das eiserne Hoftor in der Institutsstraße<br />

nach dem Giebel des beschädigten Hauses richten, nimmt man etwas unterhalb<br />

davon in der <strong>Turm</strong>mauer den oberen Teil eines <strong>zu</strong>gemauerten Törchens<br />

wahr, das in früheren Zeiten einmal eine große Rolle gespielt hat. Es<br />

war, so seltsam es auch klingen mag, bis in das letzte Jahrhundert hinein<br />

der einzige Zugang in den <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> gewesen. Von hier aus führte wie<br />

23


auch auf der Windeck eine Brüstung aus Holz, die auf steinernen Konsolen<br />

ruhte, im Halbkreis, um den der Stadt <strong>zu</strong>gewandten Teil des <strong>Turm</strong>es herum.<br />

Um <strong>zu</strong> diesem Törchen und <strong>zu</strong> der einstigen Brüstung <strong>zu</strong> gelangen,<br />

mußte man <strong>zu</strong>erst auf die Brustwehr hinaufsteigen, die oben auf der alten<br />

Stadtmauer um die ganze Stadt herumführte. In alten Ratsakten ist gelegentlich<br />

von einer Staffel die Rede, auf der in diesem Winkel der Stadt der<br />

Aufstieg <strong>zu</strong>r alten Brustwehr möglich war. Bestimmt konnte man auch beim<br />

Niedertor, das zwischen der Engelapotheke und dem Pflaum'schen Hause<br />

stand, die Brustwehr besteigen, die dann zweifellos um den <strong>Rote</strong>n Tunn<br />

herum auf der Stadtmauer <strong>zu</strong>m alten übertor geführt hat. So konnten in der<br />

»guten alten Zeit« die einstigen Stadtsoldaten auf der Mauer, geschützt<br />

durch die Brustwehr herumpatrollieren und von hier oben aus die Stadt bewachen.<br />

Eines ihrer Wach lokale dürfte sich im ersten Stock des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es<br />

befunden haben, <strong>zu</strong> dem sie ebenen Fußes durch das jetzt <strong>zu</strong>gemauerte<br />

Törchen gelangten. Man könnte annehmen, daß sich der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong><br />

durch seine gewaltsamen Aktionen das vom Giebel des Odenwäldersehen<br />

Hauses verdeckte, einst so wichtige Törchen wieder freikämpfen möchte.<br />

Und es wäre vielleicht <strong>zu</strong> erwägen, ob man dem alten Gesellen den Gefallen<br />

tun und den erneuerungsbedürftigen Giebel etwas vom <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong>rückstellen<br />

und den Blick auf das interessante Tor freigeben sollte. (11)<br />

Erstaunlich, daß selbige Hausbewohner, die Metzgerei Odenwälder, heut<strong>zu</strong>tage<br />

keine Geschichte, keine Anekdote über wen steinernen Nachbarn<br />

<strong>zu</strong> erzählen haben.<br />

Einige Jahre war es ruhig um den <strong>Turm</strong>, bis im Herbst 1969 Hans Albrecht<br />

Pflästerer im Auftrag der Deutsch-evangelischen Jungenschaft beim<br />

damaligen Bürgermeister Engelbrecht nachfragte, ob die Jungen den<br />

<strong>Turm</strong> nicht <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt bekommen könnten. <strong>Der</strong> Bürgermeister<br />

unternahm mit dem Stadtbaumeister Kleefoot eine <strong>Turm</strong>besichtigung und<br />

antwortete am 28.10.1969 wie folgt<br />

»Es liegt mir nunmehr der Bericht des Herrn Stadtbaumeisters vor, wonach<br />

dann, wenn an eine Überlassung der drei übereinander liegenden<br />

Räumlichkeiten, die durch schmale in der Umfassungsmauer liegende steinerne<br />

Treppen verbunden sind, gedacht ist, nachstehende Arbeiten erforderlich<br />

wären:<br />

1. Wandputz erneuern und weißeln.<br />

2. Fensterinstandset<strong>zu</strong>ng.<br />

3. Elektrische Beleuchtung einschl. Verkabelung (Es sind bis jetzt nur<br />

die Treppenaufgänge notdürftig beleuchtet).<br />

4. Elektr. Bezei<strong>zu</strong>ng, da Kohle- oder Kokshei<strong>zu</strong>ng nicht einbebaut werden<br />

kann.<br />

6. Erneuerung der Fußböden in den einzelnen Räumen.<br />

6. Ausbesserung von Treppenstufen aus Sicherheitsgrunden sowie Anbringung,<br />

auch aus Sicherheitsgründen, eines Handlaufs, was jedoch die<br />

engen Verhältnisse auf den Treppen noch verschlechtern würde.<br />

24


Die gesamten Kosten für alle diese Maßnahmen schätzt das Stadtbauamt<br />

auf DM 5 000.-, insbesondere deshalb, weil die für diese Herstellungsarbeiten<br />

erforderlichen Materialien nur von außen her durch Auf<strong>zu</strong>g in das<br />

Gebäude eingebracht werden können.<br />

Zu meinem großen Bedauern konune ich bei dieser Sachlage da<strong>zu</strong>, daß<br />

leider der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> doch nicht als durchaus geeignet für die Unterbringung<br />

einer Jugendgruppe erscheint und auch die entsprechenden Aufwendungen<br />

als <strong>zu</strong> erheblich angesehen werden müssen.<br />

Ich weiß, daß in einer ganzen Anzahl von Städten alte <strong>Turm</strong>- oder Stadtwehr-<br />

und Stadtmauergebäude für solche Zwecke bereitgestellt wurden<br />

und habe auch volles Verständnis für die darin liegende Romantik. Es ist <strong>zu</strong><br />

schade, daß aber unsere beiden noch einigermaßen erhaltenen Türme,<br />

Blauer Hut und <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>, wie die Untersuchung ergibt, sich nicht als geeignet<br />

erweisen.<br />

Ich hoffe, daß Sie und Ihre jungen Freunde Verständnis hierfür zeigen.«<br />

(25)<br />

Die jungen Freunde gaben sich mit des Bürgermeisters Antwort nicht <strong>zu</strong>frieden.<br />

Hans-Albert Pflästerer, heute Chef vom Dienst beim angesehenen<br />

»Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt« da<strong>zu</strong> heute: »Vor dem massiven<br />

Hintergrund dieses historischen Bauwerks sind vier Jahre ja in der Tat<br />

lächerlich. Aber die Akten [des damaligen Briefverkehrs] spiegeln doch<br />

etwas wieder von der Möglichkeit, auch Bürokratie in ihrem Beharrungsvermögen<br />

<strong>zu</strong> erschüttern. wenn man nur dranbleibt.« Er blieb dran. Am<br />

26.1.1961 wurde ein Vertrag geschlossen, in zwei Jahren bauten die jungs<br />

weitgehend mit Eigenmitteln den <strong>Turm</strong> in Hunderten von Arbeitsstunden<br />

gemäß der Erfordernisse und amtlichen Vorgaben um. H. A. Pflästerer in<br />

einem Brief an den Autor:<br />

11 Wir mußten den <strong>Turm</strong> gründlich hernehmen. Die Fenster mußten erneuert<br />

werden, sie fehlten <strong>zu</strong>m Teil. Den Handlauf gab es auch nicht. Es<br />

war keinerlei Elektrizität im <strong>Turm</strong>, wir mußten alle Leitungen neu verlegen.<br />

Die Treppe mußte gefestigt und gesichert werden, ein Handlauf mußte her.<br />

Dann mußte der <strong>Turm</strong> ganz geweißelt werden. die Wände hatten wir teilweise<br />

abriebfest mit Ölfarbe gestrichen. Schließlich war das Dach undicht.<br />

Damals schloß eine Luke den Aufgang ab, ohne diesen häßlichen Aufbau<br />

jetzt. Die Gruppe hat den <strong>Turm</strong> bis . 68 noch beseelt. «<br />

Genutzt wurde der <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong> Gruppenabenden der jungenschaft und gelegentlich<br />

auch als Übernachtungsmöglichkeit, wenn auswärtige Gruppen<br />

nach <strong>Weinheim</strong> kamen. Die Einweihung wurde feierlich im Mai 1963 vorgenommen.<br />

Nachmieter waren dann im jahr 1971 die Künstler der Gruppe »Spirale«.<br />

über die mehr im Kapitel »Kunst im <strong>Turm</strong>« <strong>zu</strong> lesen ist. Sie renovierten den<br />

<strong>Turm</strong> und bauten ihn <strong>zu</strong> einer Galerie um. Lange hielt sich die »Spirale« jedoch<br />

nicht im <strong>Turm</strong>, der nach ein paar ungenutzten Jahren schließlich 1980<br />

einer jüngeren Künstlergeneration <strong>zu</strong>r Verfügung gestellt wird. <strong>Weinheim</strong>s<br />

25


Puppenmacherin Norika Nienstedt veranstaltet einige schillernde Ausstellungen<br />

mit aus- und einheimischen Künstlern. Da sie wegen ihrer künstlerischen<br />

Tätigkeiten viel unterwegs ist, übernimmt ein neu gegründeter<br />

Y>Freundeskreis <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>« die Aufsicht und Organisation der <strong>Turm</strong>-Veranstaltungen.<br />

Mehr über »Kunst im <strong>Turm</strong>« im entsprechenden Kapitel dieses<br />

Buches.<br />

Eine vorerst letzte Renovierung erlebte der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> Mitte der BOer<br />

Jahre.<br />

Im Jahre 1991 durfte der Chronist <strong>zu</strong> seiner großen Freude und Inspiration<br />

die Räumlichkeiten des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es <strong>zu</strong>m Verfassen dieses Buches<br />

nutzen, wie auch Micky Remann seine Geschichte innerhalb des alten Gemäuers<br />

dem Freundeskreis erzählte.<br />

Zum Erscheinen des Buches ist geplant, den <strong>Turm</strong> an einigen Wochenenden<br />

für die Öffentlichkeit begehbar <strong>zu</strong> machen, auch ohne die »Pflicht«,<br />

drei Stockwerke Kunst in Kauf nehmen <strong>zu</strong> müssen, um einmal den Rundblick<br />

von den Zinnen genießen <strong>zu</strong> können.<br />

Und ab 1991 müssen Sie, liebe Leserin und lieber Leser, diese <strong>Turm</strong>chronik<br />

eigenhändig fortführen ...<br />

Natürlich freut sich der Autor über jede ihm neue Geschichte über den<br />

<strong>Turm</strong>, die man ihm einfach unter der <strong>Turm</strong>tür durchschieben oder direkt<br />

an den Verlag senden kann.<br />

Danke.<br />

26


Um den <strong>Turm</strong> herum:<br />

Wachsen und Werden <strong>Weinheim</strong>s<br />

Merian-Slich mit noch erhaltener Windeck.<br />

<strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong>, links, trägt noch sein altes Dach.<br />

2000 v. Z. Erste Funde.<br />

1000 v. Z. Die Gallier in der Gegend.<br />

100 n. Z. Römer genießen die Gegend.<br />

? Das Dorf Winenheim entsteht an der Weschnitz, in der Gegend der<br />

Peterskirche.<br />

755 Erste urkundliche Erwähnung <strong>zu</strong>r Zeit Pippins des Kurzen.<br />

1000 <strong>Weinheim</strong> erhält das Marktrecht, hat 660 Einwohner.<br />

1065 Münzrecht.<br />

1100 Bau der Burg Windeck.<br />

1114 Schleifung derselben, da ohne Baugenehmigung erbaut.<br />

1130 Wiederaufbau der Windeck, Grundstückstausch mit dem Probst von<br />

Michelstadt: Windeck-Gebiet gegen Murnbach.<br />

1228 Erste Erwähnung einer jüdischen Gemeinde, die damals auch eine<br />

eigene Gerichtsbarkeit hatte. <strong>Der</strong> ]udenturm war ihr Gefängnis.<br />

27


1232 Die Region wird von den Äbten von Lorsch an den Erzbischof von<br />

Mainz übereignet. Die Pfälzer protestieren und gründen einen zweiten<br />

Ort mit dem Namen <strong>Weinheim</strong>: die heutige Altstadt, um den<br />

Marktplatz. Zwischen den beiden »<strong>Weinheim</strong>« verläuft der Steinweg,<br />

die heutige Hauptstraße.<br />

Damals wurde der Grundstein für den heutigen Ländergrenzenverlauf<br />

Hessen-Baden gelegt.<br />

1264 Neu-<strong>Weinheim</strong> erhält die Stadtrechte und baut im Anschluß daran<br />

die Stadtbefestigung inklusive dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> aus.<br />

1298 Erste ]udenvertreibung.<br />

1364 Vereinigung beider <strong>Weinheim</strong>s <strong>zu</strong>, ahem, <strong>Weinheim</strong>.<br />

1475 Die erste Schule, neben dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> und dem Kloster.<br />

1504 Erste urkundliche Erwähnung des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>s.<br />

1537 Mit dem Schloßbau wird begonnen.<br />

1547 Die Pest.<br />

1556 Großer Stadtbrand.<br />

1557 Das Kaufhaus und spätere Rathaus am Markt wird gebaut.<br />

1599 Misthaufen vor den Häusern werden verboten.<br />

1600 24 Gerberbetriebe in der Stadt, 2000 Einwohner.<br />

1601 <strong>Der</strong> Stadt wird das Salzmonopol übertragen, das Wirtschaftsleben<br />

steht in voller Blüte.<br />

1620 Merian sticht <strong>Weinheim</strong>.<br />

1622 Tilly erobert <strong>Weinheim</strong>.<br />

1648 Nur noch 1000 Einwohner, der 30jährige Krieg hat die Bevölkerung<br />

halbiert.<br />

1652 Die Stadt wirbt Neubfuger an, es werden Gastarbeiter gesucht, die<br />

mit allen Bürgerrechten geködert werden.<br />

1666 Totale Pest.<br />

1674 Die Franzosen schleifen die Burg Windeck, die tn Aufzeichnungen<br />

aus dem Jahr<br />

1685 als Ruine beschrieben wird.<br />

1719 Betteln wird verstaatlicht. Zwei »Bettelvögte« sammeln -und verteilen<br />

Nahrung für die Armen. Dabei sollen sie aufpassen, daß lIInicht Unwürdige<br />

bedacht« werden.<br />

1748 Einführung der Kartoffel, im Volksmund »Gequollene«.<br />

1760 Das Kaufhaus wird <strong>zu</strong>m Rathaus am Markt.<br />

1775 Goethe schwärmt über <strong>Weinheim</strong>: »Sieh, ein Eckchen, wo sich die<br />

Natur in gedrungener Einfalt uns mit Lieb und Fillie um den Hals<br />

wirft!«<br />

1803 <strong>Weinheim</strong> gehört <strong>zu</strong> Baden.<br />

1806 Durchbruch der Stadtmauer am <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> durch napoleonische<br />

Einheiten. Bau der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> Straße.<br />

1812 Gründung der <strong>Weinheim</strong>er Lesegesellschaft.<br />

Raubüberfälle und Hinrichtung des Hölzerlips und seiner Bande.<br />

Auch Wölfe machen die Gegend unsicher.<br />

28


1816 Mißernte.<br />

1817 »Böses HWlgerjahr, das denen, die es erlebten, Wlauslöschlich im Gedächtnis<br />

bleibt. « Jean Pau! <strong>zu</strong> Gast.<br />

1818 Zar Alexander aus Rußland <strong>zu</strong> Gast.<br />

1829 Die erste Lederfabrik der Stadt wird gegründet.<br />

1832 Das Fest der »Preßfreiheit« wird gefeiert. »Dem freien Wort« ist die<br />

Devise. Hat <strong>Weinheim</strong> deshalb heute so viele Verlage?<br />

183S SOOO Einwohner, Balzac <strong>zu</strong> Besuch.<br />

1836 Die Buchbinderei und Buchhandlung Schäffner wird eröffnet - am<br />

selben Platz, an dem sie heute noch besteht.<br />

1838 Eisenbahnlinie Frankfurt-Heidelberg mit Bahnhof<strong>Weinheim</strong> eröffnet.<br />

1841 Das neue Gefangnis, die »Heck«, wird erbaut. <strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> wird jedoch<br />

auch weiterhin als Knast genutzt.<br />

1843 Hoffmann von Fallersleben Wld sein Freund, der Revoluzzer Hecker,<br />

<strong>zu</strong> Gast.<br />

1844 Gründung des Weinheirner Frauenvereins.<br />

1846 Gründung der Dürre Schule. Am 28.7. wird die Main-Neckar-Eisenbahn<br />

eingeweiht.<br />

1848/49 Ein Schicksalsjahr. Die Revolution hat in <strong>Weinheim</strong> viele tatkräftige<br />

Heller. Marx und Engels kommen gemeinsam <strong>zu</strong> Besuch. <strong>Der</strong><br />

Mühlenbesitzer Fuchs, Friedrich Diesbach und andere einheimische<br />

Terroristen unternehmen Anschläge auf die Bahnlinie und lösen damit<br />

revolutionäre Kämpfe aus. (In jener Keimzelle des Aufruhrs, der<br />

Fuchs'schen Mühle, haben in den vergangenen Jahren die Bundespräsidenten<br />

Heinemann und Carstens, Willy Brandt, Lothar Späth und<br />

viele andere Prominente ihr Haupt <strong>zu</strong>r Ruh' niedergelegt.)<br />

Zurück in die Revolutionsjahre. Es wird berichtet, daß es »viele Tote«<br />

gab. Danach saßen die Reaktionäre fester irn Sattel als <strong>zu</strong>vor ...<br />

1849 Die Firma Freudenberg wird gegründet.<br />

l8S9 Die Straßenbeleuchtung wird eingeführt.<br />

1860 Freiherr von Berckheim legt den Exotenwald an, der später von Wilhelm<br />

Fabricius weiter gehegt und gepflegt wird.<br />

1863 Gründung der Diesbach Medien.<br />

1884 3-Glocken Nudeln werden erfunden.<br />

1887 Einweihung der OEG nach Mannheim (1890 nach Heidelberg).<br />

1888 Diesterwegschule wird gebaut.<br />

1891 Bau der Kanalisation.<br />

1895 Errichtung des legendären Silos der Hildebrandtschen Mühle im Birkenauer<br />

Tal, dern nun arg zerfallenden Zinnenturrn.<br />

1896 Das Telefonnetz hat 13 Anschlüsse.<br />

1900 11.167 Einwohner.<br />

1907 Erste Volksbücherei.<br />

1907 -1913 Bau der Wachenburg durch vereinigte Studentenbünde (WSC).<br />

Pachtgebühren rnüssen jährlich an der Besitzer des Wachenbergs,<br />

die Gemeinde Leutershausen, gezahlt werden: 500 DM, auf 99 Jahre.<br />

29


1910 Bau der OEG-Brücke am Galgenbuckel.<br />

1913 Theodore Bertolini, Vorfahr des Speiseeis- und Gemüsehandels der<br />

Stadt, kommt aus Italien nach <strong>Weinheim</strong> und verkauft im Winter Maroni<br />

und im Sommer Eis aus seinem mobilen Verkaufsstand am Dürreplatz.<br />

(<strong>Der</strong> erste italienische Mitbürger hieß da Plazzo und wird im<br />

Jahr 1613 registriert.)<br />

1914 Das erste Kino, das heutige »Apollo«, wird eröffnet.<br />

1923 Inflationszeit: ein Kalb kostet 810 Milliarden Mark.<br />

1926 Das »Moderne Theater« wird eröffnet.<br />

1926 Erste Schlägereien von Nazis in der Stadt.<br />

1933 <strong>Weinheim</strong> braun.<br />

1939 - 45 2. Weltkrieg. 1168 <strong>Weinheim</strong>er Krieger sterben, plus 7 Zivilisten.<br />

1942 20.000 Einwohner.<br />

1945 Am 28.3. rücken die Amerikaner ein. Im August besucht Ike Eisenhower<br />

seinen Bruder in <strong>Weinheim</strong> (<strong>zu</strong> jener Zeit auch: »Heidelberg <strong>zu</strong>r<br />

Stunde Null«, siehe Anzeigenanhang!)<br />

1963 Die letzten Störche auf dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>.<br />

1964 9,6% der Bevölkerung sind Flüchtlinge aus dem Osten.<br />

1965 Die »Studenten« kaufen das Wachenburg-Gelände von Leutershausen.<br />

1970 Im Zuge des neuen Autobahnbaus Darmstadt-Heidelberg entsteht<br />

der Waidsee.<br />

1988 Wilhelm Fabricius t.<br />

1990 Bayern München wird im Pokalspiel von <strong>Weinheim</strong> 09 geschlagen.<br />

30<br />

Alte Postkarte.


<strong>Weinheim</strong> als<br />

Spielball der Mächte<br />

War der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> auch als Teil der Befestigungsanlage <strong>Weinheim</strong>s gebaut<br />

worden, so scheint diese ihren Zweck nur selten erfüllt <strong>zu</strong> haben.<br />

Immer wieder gelang es fremden Truppen, die Stadt <strong>zu</strong> erobern und <strong>zu</strong><br />

besetzen.<br />

Ganz extrem waren die Zustände im 17. Jahrhundert, vor allem während<br />

des Dreißigjährigen Krieges. 1621 waren die Pfälzer die Stadtherren, 1622<br />

übernahmen Tilly und die Bayern die Macht, um 1631 von den Schweden<br />

abgelöst <strong>zu</strong> werden. 1632 waren dann die Bayern wieder tonangebend<br />

etc. pp.<br />

Jeder dieser Herrenwechsel bedeutete für die Bevölkerung schwere<br />

Not. Die Besatzer wollten einquartiert und verpflegt werden und sprachen<br />

vor allem dem Wein sehr <strong>zu</strong>. Plünderungen, Vergewaltigungen und ähnliche<br />

Übel waren an der Tagesordnung.<br />

Die Stadt war. wenn der auf uns gekommene Bericht nicht übertreibt, so stark belegt,<br />

daß mancher Bürger eine ganze oder halbe Kompagnie <strong>zu</strong> beherbergen hatte.<br />

Es war Menscherunaterial aus aller Herren Länder; unter allen Truppen sollen aber<br />

Neapolitaner und Kroaten sich mit Gewalttaten jeder An hervorgetan haben. Von<br />

Raub, Brand und Weiberschändung wird uns berichtet. Die Vorräte, die die Einwohnerschaft<br />

vor den Schweden noch <strong>zu</strong> verbergen gewußt, oder seither wieder<br />

eingetan hatte, gingen natürlich in kurzer Zeit auf. Viel wurde auch mutwillig verdorben;<br />

insbesondere Wein, den die Soldaten, wenn sie betrunken waren, im Keller<br />

auslaufen ließen. Leider sind es nur allgemeine Schilderungen, die uns überliefert<br />

sind, und keine Aufzeichnungen über einzelne Fälle, so daß es nicht möglich ist,<br />

über Zahl und Umfang der vorgekommenen Gewalttätigkeiten ein Urteil <strong>zu</strong> gewinnen.<br />

Daß es aber eine sehr schlimme Zeit und alles außer Rand und Band war, ist<br />

auch daraus ersichtlich, daß die ganze Gemeindeverwaltung ins Stocken kam. Das<br />

Ratsprotokoll zeigt eine Lücke vom Spätherbst 1634 bis in den Herbst 1636, und nur<br />

einzelnes aus der fehlenden Zeit ist nachher in Unordnung nachgetragen. ( ... )<br />

Schlimmere Feinde als alle bis jetzt dagewesenen brachte das Jahr 1635. Hunger<br />

und sonstiges Elend aller Art hatten die Bevölkerung aufs äußerste erschöpft und<br />

ihre Widerstandslcraft gebrochen. So konnten sich ansteckende Krankheiten, die<br />

von den Truppen von Ort <strong>zu</strong> Ort geschleppt wurden, überall leicht einnisten, und<br />

auch <strong>Weinheim</strong> entging dem Schicksal nicht. Pest und Ruhr wüteten in der Stadt,<br />

ganze Familien wurden hingerafft; ein großer Teil der Bevölkerung ging <strong>zu</strong>grunde.<br />

Was von der Einwohnerschaft übrig blieb, versank in stumpfe Gleichgültigkeit. Handel<br />

und Wandel stockte, Häuser und Straßen kamen in Verlall. Das Niedertor, das<br />

man einmal <strong>zu</strong>r Abwehr eines Angriffes mit Holz und Mist <strong>zu</strong>gesetzt hatte, ließ man<br />

in diesem Zustande und verzichtete auf seine Benut<strong>zu</strong>ng Jahr und Tag. Man unterließ<br />

31


es, Wächter für die Türme und Tore <strong>zu</strong> bestellen oder sonst etwas für die Sicherheit<br />

von Gut und Leben <strong>zu</strong> tun, denn gegenüber den ab- und <strong>zu</strong>ziehenden feindlichen<br />

Truppen war man ja ohnmächtig, und was sonst Schlimmes <strong>zu</strong> befürchten gewesen<br />

wäre, wog leicht in diesen Zeiten. (1)<br />

Besonders schrecklich waren die Plünderungen der Franzosen unter Turenne<br />

1674. Ab 1676 war Weinheirn wieder pfälzisch, aber 1688 brach<br />

wieder ein für die Bevölkerung verheerender Krieg aus. Die Franzosen<br />

erpreßten große Lieferungen von Wein, Fleisch und Fisch, so daß der Bevölkerung<br />

kaum das »liebe Brot« blieb. Immerhin wurde die Stadt nicht<br />

zerstört, wie all die Ortschaften in der Umgebung. Heidelberg war so abgebrannt<br />

und ausgeblutet, daß 1698 die Universität kurzfristig nach <strong>Weinheim</strong><br />

verlegt wurde.<br />

Zurück <strong>zu</strong> den Franzosen im Jahr 1694, die <strong>zu</strong>r Abwechslung wieder einmal<br />

draußen vor dem Tore standen und Einlaß begehrten.<br />

Sie schickten einen Trompeter vor die Stadt, der den Ab<strong>zu</strong>g der Besat<strong>zu</strong>ng verlangen<br />

sollte, widrigenfalls sie ausgetrieben und die Stadt geplündert werden sollte.<br />

Es war pfälzische Miliz, die derzeit in der Stadt lag, und der Kommandant war ein<br />

Oberst Sandraski. Mit großer Entschiedenheit lehnte dieser das Ansinnen ab und<br />

erklärte, daß er sich bis auf den letzten Mann wehren werde. Bald aber merkte die<br />

Bürgerschaft, daß er seine und seiner Musketiere Bagage heimlich fortschaffen ließ;<br />

sie wurde natürlich unruhig darüber, und manche machten Anstalten <strong>zu</strong>r Flucht.<br />

Sandraski ließ sie festnehmen und verhängte Strafen über sie; <strong>zu</strong>gleich ließ er die<br />

ganze Bürgerschaft auf dem Marktplatz versammeln und forderte sie auf, <strong>zu</strong> den GewehIen<br />

<strong>zu</strong> greifen und sich <strong>zu</strong>r Verteidigung bereit <strong>zu</strong> machen. Jeder, der sich weigere,<br />

werde totgeschossen. Dabei renorrunierte er herzhaft mit den Taten, die er<br />

vorhabe. Aber in der Nacht wich er mit seinen Musketieren heimlich aus der Stadt,<br />

ließ sogar eine Schildwache im Stiche und das Tor, durch das er ausgezogen war,<br />

J>spenweit« offen. Den Schlüssel des Tores fand man im Kaufhause, und der Schlüssel<br />

<strong>zu</strong>r Munition war im Eselsstall einem Esel angehängt. Als man dann nachsah,<br />

fand sich ein reichlicher Vorrat von Granaten, Pechkränzen, Pulver und Kugeln, den<br />

man im ROTEN TURM unterbrachte. Man glaubte, damit hätte die Besat<strong>zu</strong>ng schon<br />

etwas ausrichten können, aber nach ihrer feigen Flucht hielt man einen Widerstand<br />

nicht mehr für möglich. (10)<br />

Kriegsbesatzer kamen <strong>zu</strong>m letzten Mal am 28.3.1945, die US-Armee. Bemerkenswert,<br />

daß <strong>Weinheim</strong> und HeideJberg weitgehend von Bombardierungen<br />

verschont blieben. Verblüffend der Besuch des Chefs der alliierten<br />

Streitkräfte, Ike Eisenhower, in <strong>Weinheim</strong>, wollte er hier doch seinen Bruder<br />

besuchen (der auch bei der US-Armee diente). Warum verblüffend?<br />

Nun, stammten die Eisenhowers doch ursprünglich aus Eiterbach, wo der<br />

Schweinehirt Eisenhauer 1741 seine Siebensachen packte und nach Amerika<br />

auswanderte.<br />

Heut<strong>zu</strong>tage wird die Stadt einmal jährlich von weitgehenst friedlichen<br />

Besatzern beherrscht. Wenn sie am Himmelfahrtstag von ihrer Burg in die<br />

Stadt kommen, gehört diese quasi ihnen. Die Polizeistunde wird aufgehoben,<br />

das Bier wird in männerbündischen Massen verdrückt und so ganz<br />

32


friedlich geht es auch nicht ab, die Polizei vermeldet regelmäßig mehr Keilereien<br />

als sonst. Naja, bei Festen der Einheimischen muß die Polizeistunde<br />

ja auch immer eingehalten werden. Aber das ist ja nichts Neues, schon<br />

früher hatten die Burgherren das Sagen, auch wenn es sich damals noch<br />

um echte Fürsten handelte und nicht um jene fechtbaren Herren mit<br />

Schmiß, farbigem Bändchen und Käppi, die, teils wie im Mittelalter mit<br />

Degen bewaffnet, durch die Stadt gockeln.<br />

<strong>Weinheim</strong>er<br />

<strong>Turm</strong>lied<br />

Aus: »Ein Strauß frischer Heidelberger Liedlein« anno 1624,<br />

verständlicher übertragen von U Freise<br />

<strong>Der</strong> Wächter auf dem <strong>Turm</strong>e saß<br />

Und rief mit heller Stimmen:<br />

»Die Nacht ging voller Fried' fürbaß,<br />

Laßt uns den Tag gewinnen!<br />

Auf Bürgersmann, auf Handwerksknecht,<br />

Die Vöglein tun schon schlagen,<br />

So macht ihrs unserem Herren recht:<br />

Frisch auf und ohn' Verzagen!<br />

Ihr braven Frauen voller Fleiß,<br />

Die Wäsche steht in Kübeln,<br />

Mariens Lächeln ist euch Preis,<br />

Hofart nur ist von Übeln!<br />

<strong>Der</strong> Wingert prangt in vollem Rot,<br />

Laßt uns die Beeren schneiden,<br />

So hat der Winter keine Not:<br />

Wollt nicht im Bette bleiben.<br />

Und wenn die Landsknecht dräuen<br />

Kommt aIl in blanker Wehr,<br />

Wir werden uns nicht beugen,<br />

Sei denn des Kaisers Heer.«<br />

33


Das Leben<br />

im <strong>Turm</strong><br />

Verständlicherweise mangelt es an Berichten über das Leben im <strong>Turm</strong>,<br />

denn <strong>zu</strong> den Zeiten, als er »belebt« war, gab es außerhalb der Kirche und<br />

des Adels kaum des Schreibens und Lesens kundige Menschen - vor allem<br />

nicht unter <strong>Turm</strong>wärtern und Kerkerinsassen. So müssen wir auf Sekundärliteratur<br />

<strong>zu</strong>rückgreifen, um uns aus verschiedenen Puzzleteilchen ein Bild<br />

<strong>zu</strong> machen.<br />

Die Befestigungsanlagen der benachbarten Städte ähnelten sich, so daß<br />

wir davon ausgehen können, daß der folgende Absatz aus der Bensheirner<br />

Geschichte auch für <strong>Weinheim</strong> übertragbar ist:<br />

Die Wächter.<br />

An den Pforten hatten 4 Pförtner das Aus- und Eingehen der Fremden <strong>zu</strong> beobachten,<br />

Bettler ab<strong>zu</strong>weisen und nachts abwechselnd <strong>zu</strong> wachen. Abends, nach dem<br />

Ave-Maria-Läuten, mußten sie die Tore schließen und die Schlüssel beim GemeindebUrgermeister<br />

abliefern, wo sie morgens <strong>zu</strong>m Öffnen der Tore wieder abgeholt<br />

wurden.<br />

Nachts hatten 6, später 8 <strong>Turm</strong>wächter vom Abend- bis <strong>zu</strong>m Frühläuten abwechselnd<br />

die halbe Nacht <strong>zu</strong> wachen, auf ausbrechendes Feuer und in Fehdezeiten auf<br />

anruckende Feinde <strong>zu</strong> achten. Außer dem <strong>Turm</strong>wächtern wachten noch mehrere<br />

Gassenwächter (Nachtwächter). Sie waren durch ihren Eid verpflichtet, jede Nacht<br />

nach dem Ave-Maria-Läuten die Stunden <strong>zu</strong> blasen, den <strong>Turm</strong>wächtern und Pförtnern<br />

<strong>zu</strong><strong>zu</strong>rufen und sie <strong>zu</strong>r Wacht <strong>zu</strong> ermahnen und auf etwa entstehende Feuersbrünste<br />

<strong>zu</strong> achten. Außerdem hatten sie" Junggesellen und andere über gebührende<br />

Zeit auf der Gasse Betroffene heim<strong>zu</strong>weisen«, ebenso in den Wirtshäusern die<br />

Spieler, Trinker und Gotteslästerer und die Widerspenstigen dem Schultheiß oder<br />

BUrgermeister an<strong>zu</strong>zeigen (K. Henkelmann 1920). (4)<br />

Sehr im Vordergrund stund die Sorge für Sicherheit in Stadt und Markung. Jedes<br />

der Tore hatte seinen Pförtner; <strong>zu</strong>r Nachtzeit waren auch Wächter bestellt. Zur Annahme<br />

dieser Dienste, die gleich allen andern jährlich neu besetzt wurden, waren<br />

alle Bürger wechselweise verpflichtet, und wer sich der Annahme entziehen wollte,<br />

mußte sich mit Geld abfmden. Zum Sicherheitsdienst gehörte teilweise auch das<br />

Amt des Glöckners, das mit dem des Pförtners am oberen Tor verbunden war. Denn<br />

der Glöckner hatte bei auftretenden Gefahren, allerdings nur auf Befehl, Sturm <strong>zu</strong><br />

läuten. Auch sollte er die Glocke hüten, daß sie nicht <strong>zu</strong>r Beunruhigung der Bürger<br />

von Unberufenen mißbraucht wurde. Mehr in Anspruch genommen wurde der<br />

Glöckner natürlich durch die sonstigen Zwecke, denen die Glocke diente, und von<br />

denen vielleicht nur das Läuten der "Zeitglocke« und der» Weinglocke« noch ge-<br />

34


Das Gebäude links: die »Heck«, erkennbar noch die Gitter vor dem Fenster.<br />

35


wisse Beziehungen <strong>zu</strong>m Sicherheitsdienst hatte. Die Altstadt hatte, auch nachdem<br />

sie der Neustadt angegliedert war, noch ihren besonderen Glöckner, ebenso wie<br />

ihren besonderen Wachtdienst. Umfangreichere Vorkehrungen als für Friedenszeiten<br />

mußten natürlich für Kriegszeiten getroffen sein. ( ... ) <strong>Der</strong> abwechselnde Wachtdienst<br />

der Bürger wurde Ende des 17. Jahrhunderts abgeschafft, und wir finden von<br />

da ab ständige bezahlte Wächter, <strong>zu</strong> deren Entlohnung die Bürger ein" Wachtgeld«<br />

<strong>zu</strong> entrichten hatten. (1)<br />

An den besonderen Nacht- und Wachdienst in der ehemaligen Altstadt<br />

erinnert heute noch das Nachtwächtergässchen. <strong>Der</strong> <strong>Turm</strong> war vorrangig<br />

Teil der Befestigungsanlage, wobei im Laufe der Zeit aber auch das Verlies<br />

mehr und mehr als Kerker benutzt wurde. Auch wenn es <strong>zu</strong> damaligen<br />

Zeiten eine Freiheitsstrafe wie unter heutigem Recht nicht gab, saßen oftmals<br />

Bürger für Wochen und Monate ein, bis die nächste GerichtsvE:: [handlung<br />

durchgeführt wurde.<br />

Oberhalb des Verliesraums beginnt dann eine in die Außenmauer eingelassene<br />

Wendeltreppe, die die vier Geschosse des <strong>Turm</strong>s miteinander verbindet. In den<br />

Stockwerken sind einzelne Räume vorhanden, in denen in älteren Zeiten <strong>Turm</strong>wächter<br />

und später ebenfalls Gefangene hausten. Beim Emporsteigen kommt man<br />

auch an einem kleinen Erker vorbei, der aus dem <strong>Turm</strong> hinausragt. Nur wenige wissen,<br />

daß er der <strong>Turm</strong>besat<strong>zu</strong>ng als luftiger Abort gedient hat. Unmittelbar darunter<br />

befand sich früher der Stadtgraben. ( ... ) Die Gefangenen, die <strong>zu</strong>m »<strong>Turm</strong>« verurteilt<br />

wurden, wurden an Stricken von oben heruntergelassen. Hier im Verlies wartete<br />

z. B. im Jahre 1662 fünf Wochen lang ein Pferdedieb auf seine Verurteilung. Er rief<br />

mehreremale seinen Wächtern hinauf, er bekomme nicht genug Luft, da über die<br />

Einfahrtluke ein eiserner Deckel gelegt worden war. Er wurde dann mit anderen<br />

Pferdedieben auf der Gerichtsstätte an der heutigen Eisenbahnüberführung beim<br />

Hauptbahnhof gehenkt, während einem anderen das Bild eines Galgens mit glühend<br />

erhitztem Prägestück auf die Stirn gebrannt wurde. (16)<br />

Die Eingekerterten.<br />

Freiheitsstrafen wurden erst <strong>zu</strong>r Zeit des Dreißigjährigen Krieges eingeführt.<br />

Diese wurden aber <strong>zu</strong>meist in den Gefängnissen in Heidelberg und<br />

Mannheim abgesessen. Aus Heppenheim ist uns folgendes überliefert:<br />

In den Stadttürmen und Toren befanden sich sogenannte »Block- oder Stockhäusera<br />

bei den Wachstuben der Wächter, in denen die Gefangenen im Block oder Stock<br />

gefesselt waren, damit sie nicht entweichen konnten. 1751 wurde ein solches Blockhaus,<br />

ein Bretterverschlag, im »Odenwälder Tor« errichtet. Es war 9 Schuh lang,<br />

8 Schuh breit und B 112 Schuh hoch. Daß man nicht durchsehen konnte, wurden die<br />

eichenen Bohlen übereinander gefalzt. ( ... )<br />

Auf Frauen. die in Haft gehalten wurden, nahm man offensichtlich Rücksicht. Sie wurden<br />

bei Bürgern und Handwerkern inhaftiert. Die Zentkostenrechnung von 1772 überliefert<br />

einen solchen Fall: »Specification deren an die Arrestantin, welche bey hiesigem<br />

Bürger und Schuhmachermeister Georg Johann gesessen, abgegebene Medicamente.«<br />

36


Das obere <strong>Turm</strong>zimmer als Arbeitsplatz für d1eses Buch.<br />

37


Die Gefangenen lagen auf Stroh. Hierfür wurden wöchentlich zwei Gebund geliefert.<br />

Um ein Entweichen <strong>zu</strong> verhindern, waren sie mit "Sprengem" , einer Art HandscheUen,<br />

die aber auch für die Füße und den Hals verwendet wurden, gefesselt. Die<br />

Ketten, an denen diese Sprenger hingen, waren entweder in der Wand befestigt<br />

oder mit Gewichten beschwert.<br />

Die Verpflegung der Eingekerkerten erfolgte meist durch den ZentwUt. Sie bestand<br />

aus Wasser und zwei Pfund Brot im Tag. Eine warme Mahlzeit wurde wöchentlich<br />

zweimal verabreicht.<br />

Mit Arrest belegte Frauen, die Kinder hatten, nahmen diese in die Gefängnisse, ja<br />

sogar in das Zuchthaus nach Mainz mit. (5)<br />

In jener Zeit hießen Gefängnisse »fast regelmäßig« Narrenhäuser, was die<br />

Vermutung nahelegt, daß auch Geisteskranke dort weggeschlossen wurden.<br />

Wer Geldstrafen nicht bezahlen konnte oder wollte, mußte Arbeiten verrichten.<br />

1m 2. Quartal 1835 wurden 33 Personen <strong>zu</strong> Straßenarbeiten herangezogen. Und<br />

wer nicht zwn Abarbeiten der Strafe erschien, wurde ins Gefängnis geworfen. Alle<br />

4 Tage gab es dort warme Kost, sonst nur Wasser und Brot.<br />

Grauenhaft mußte eine Zigeunerin für einen Lebensmitteldiebstahl büßen. Sie wurde<br />

1804 am Galgen in Beerlelden gehenkt, weil sie ein Huhn und zwei Laib Brot<br />

gestohlen hatte. (Speis + Trank im Odenwald)<br />

<strong>Der</strong> Um<strong>zu</strong>g des Knasts vom <strong>Turm</strong> in die neuerbaute »Heck« brachte anscheinend<br />

keine grundlegende Änderung für die Inhaftierten. Ja, es<br />

scheint so, als ob der <strong>Turm</strong> auch noch Jahre danach als Knast gedient hat,<br />

wie aus Aufzeichnungen der Familie Diesbach <strong>zu</strong> entnehmen ist:<br />

Gleiches Ungemach Wa1. Friedrich Diesbach widerfahren. Auch ihm starb die Frau,<br />

während er noch in <strong>Weinheim</strong> im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> in Untersuchungshaft saß. Die »Erinnerungen«<br />

seines Sohnes Wilhelm (geh. 1831) überliefern die unerfreulichen Umstände<br />

dieses Todesfalls und seine Folgen für die Familie; <strong>zu</strong>gleich verraten sie<br />

einiges von der Bitternis, die die Betroffenen angesichts ilu'es doppelten Unglücks<br />

erlüllte.<br />

"Um diese Zeit brach die Revolution aus, wobei mein Vater sich ebenfalls betheiligte;<br />

er mußte in Untersuchungshaft wegen der Eisenbahndemolirung (1848); da<br />

erl:aankle meine liebe Mutter schwer; mein Vater durfte sie mit 4 Mann Wacht besuchen;<br />

es wurden ihm zwei Stunden erlaubt; als diese um waren, wollte man wieder<br />

mit ihm zUlÜck in den >rothen Thurm,; er bat, laßt mich doch hier, bis meine<br />

Frau besser oder bis sie ihrem Leiden erlegen ist; - es half Alles nichts. Befehl. Da<br />

brauste mein Vater auf; er wurde vom Sterbebette meiner lieben Mutter weggerissen;<br />

- eine halbe Stunde später hatte ich keine Mutter mehr! - Es Wa1.en badische<br />

Soldaten, die so grausam handelten; - den Befehl gab ein ebenfalls anwesender Brigadier;<br />

ein Mensch ohne Gefühl, der jedenfalls weiter ging, als die Staatsbehärde<br />

verlangte. ( ... ) Meine Mutter wurde beerdigt; mein Vater konnte von dem oberen<br />

AU8schauloch des rolhen Thurrnes den Leichen<strong>zu</strong>g mit ansehen. - In späteren Jahren<br />

noch, als ich mit ihm allein war, sprach er mir mit gewaltigem Schluchzen und<br />

Seelenschmerz von diesem Tag; - >er war der fürchterlichste in meinem Leben!,« (3)<br />

38


Jonathan Wolrab<br />

und der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong><br />

Eine erstaunliche Geschichte und wie sie ans Licht kam ...<br />

»Ich bin da auf etwas gestoßen, das euch vielleicht interesssieren wird". «<br />

Mit dieser Bemerkung, die sich bald als Understatement herausstellte,<br />

meldete sich Micky Remann beim Freundeskreis <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>, nachdem er<br />

von einer Neuseeland-Reise <strong>zu</strong>rückgekehrt war. Er warnte uns jedoch sogleich,<br />

es handele sich um ein kompliziertes Epos. Am einfachsten wäre<br />

es, sagte er, wenn wir seinen Bericht gleich auf Kassette aufzeichneten, solange<br />

er noch frisch sei. <strong>Der</strong> Bitte kamen wir gerne nach, versammelten<br />

uns aus naheliegenden Gründen im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> selbst und lauschten mit<br />

großen Ohren und laufendem Tonband der Geschichte vom ungewöhnlichen<br />

Schicksal des <strong>Weinheim</strong>ers Jonathan Wolrab.<br />

Was folgt, ist eine Abschrift von Micky Remanns mündlich vorgetragenem<br />

Bericht:<br />

Unlängst bin ich in Neuseeland auf eine Geschichte gestoßen, von der ich<br />

nicht nur den inneren Drang, sondern auch den expliziten Auftrag habe, sie<br />

mit<strong>zu</strong>teilen. Es trifft sich gut, daß ihr gerade Material über den <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong><br />

sanunelt. Ihr werdet die Zusammenhänge im Lauf der Erzählung schon verstehen,<br />

habt nur etwas Geduld. Eigentlich könnte ich aber auch sagen: die<br />

Sache ist ein echter Hammer.<br />

Meine Reisekasse war knapp, und so entschloß ich mich, mir etwas<br />

Geld bei der Kiwiernte <strong>zu</strong> verdienen Auf der Red Tower Plantation bei<br />

Motoueka wurden für den Ernte-Endspurt noch Leute gesucht, bei guter<br />

Bezahlung versteht sich. Also eine Woche tüchtig ranklotzen und anschließend<br />

mit vollem Geldbeutel die Reise fortsetzen, dachte ich.<br />

Wir waren eine Gruppe von sieben Hilfskräften. Nachdem wir in die<br />

Arbeit eingewiesen waren, und ich mein Zelt aufgestellt hatte, fragte ich<br />

den Besitzer, lohn Barlow, nach dem Hintergrund des Namens seiner Red<br />

Tower Plantation. Schließlich war da weit und breit kein <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong> sehen.<br />

Statt einer Antwort fragte er forschend, woher ich denn käme. Ich antwortete:<br />

»Frankfurt, Germany«, wurde dabei aber das Gefühl nicht los, daß ihm<br />

meine Nachfrage irgendwie unangenehm war. Er erzählte mir dann, daß<br />

der Name wohl etwas mit dem Gründer dieser Plantage <strong>zu</strong> tun hätte,<br />

irgend einem europäischen Einwanderer, von dem er aber auch nichts<br />

weiter wisse. Die Plantage sei jetzt seit drei Generationen im Besitz der<br />

39


Barlows. Freundlich aber bestimmt bat er uns dann, an die Arbeit <strong>zu</strong> gehen,<br />

wir seien ja schließlich <strong>zu</strong>m Kiwiernten hier, und damit hatte er zweifellos<br />

recht.<br />

Ich wurde irgendwann in den alten Geräteschuppen geschickt, um<br />

Draht <strong>zu</strong> holen. Ihr wißt, die Kiwis sind solche Windenpflanzen, die wie<br />

Hopfen gezogen werden, und da gab es etwas am Gestänge aus<strong>zu</strong>bessern.<br />

Beim Suchen nach dem Draht bemerkte ich einen verstaubten Koffer, der<br />

fast aus dem Regal <strong>zu</strong> fallen drohte. Als ich ihn näher betrachtete, fiel mir<br />

eine Lederprägung auf dem Kofferdeckel auf: es sah aus wie eine altdeutsche<br />

Stadtansicht mit einem <strong>Turm</strong> im Vordergrund. Das machte mich neugierig<br />

und ich nahm mir die Freiheit, den Koffer <strong>zu</strong> öffnen. Einige Wäschestücke<br />

und Anzüge waren drin, alle schon recht mitgenommen und angeschimmelt,<br />

aber weiter unten stieß ich auf eine Kladde mit handgeschriebenen<br />

Aufzeichnu.ngen. Sie waren in altdeutscher Schrift verfaßt! Glücklicherweise<br />

konnte ich das entziffern, weil mir meine Großmutter so immer<br />

<strong>zu</strong>m Geburtstag gratuliert hat. Ich wollte mich schon in die Lektüre vertiefen,<br />

aber von draußen riefen sie nach dem Draht, also schnell wieder alles<br />

<strong>zu</strong>geklappt und raus an die Arbeit. Mir war aber klar, daß ich da später<br />

nochmal nachforschen würde. Die Gelegenheit da<strong>zu</strong> ergab sich erst<br />

abends. Mir ächzten zwar die Knochen und ich war todmüde von dem harten<br />

Job, aber irgendetwas trieb mich wie von einem Magneten gezogen<br />

wieder in den Schuppen. Das war also meine Lage, als ich, mit einer Taschenlampe<br />

bewaffnet, diese alte Schrift aufschlug. Ich werde euch jetzt<br />

ohne Umschweife und ohne Vorerklärungen einfach vorlesen, was da auf<br />

der ersten Seite stand, denn das habe ich mir abgeschrieben:<br />

Entsetzlicher noch als die körperliche Gefangenschaft sind mir jene Lücken der Sinne<br />

<strong>zu</strong> ertragen, mit welchen ein jeglicher bestraft wird, der in diesem Kerker<br />

schmachtet. In diesen Lücken droht schier alles <strong>zu</strong> verschwinden, was das Leben<br />

als solches kenntlich macht. In ihrem schwarzen Sog verglimmt mein Geist, dem es<br />

doch lieb und gewohnt ist. allseits im Tausch <strong>zu</strong> stehen mit Gottes Natur und den<br />

Menschen. Denn Mensch ist nur. wessen Auge. Ohr. Nase. Zunge und Hände teilhaftig<br />

ist am unendlichen Strom der Empfindungen. aus denen unsere Welt besteht.<br />

Nun lieget dieser Geist brach und lahm, umzingelt von den Lücken, die ein Kerker<br />

innerhalb des Kerkers sind. ein namenloser und unsichtbarer <strong>zu</strong>mal, und daher um<br />

vieles grausamer als der gemauerte.<br />

Diese verzweifelten Zeilen kann ich nur schreiben. da ich mich im alles verschlingenden<br />

Meer der Lücken auf einem seltenen Eiland tummele. Einem Eiland, da mir<br />

die Sinne soweit <strong>zu</strong> Diensten sind. daß ich meine Feder führen und mit meinem<br />

Schreibblock Zoll um Zoll jenem schmalen, mit der Sonne wandernden Lichtschein<br />

folgen kann. der durch die Schießscharte hindurch meine Gruft ein wenig erhellt.<br />

Doch Erbarmen, wenn dieses Eiland wieder versinkt! Wenn die Dunkelheit von<br />

außen sich in mein Inneres gräbt, und eine randlose Schwärze sich gänzlich auf<br />

mich stülpt. Weh mir, es gibt keine Hoffnung auf Entrinnenl <strong>Der</strong> unsichtbaren<br />

Unendlichkeit dieser Lücken bin ich gnadenloser ausgeliefert als jedem weltlichen<br />

Gericht.<br />

Die Torheit meines Bruders. der mich um der Habgier willen, und um in den alleinigen<br />

Genuß des elterlichen Erbes <strong>zu</strong> kommen denunziert hat, diese Torheit offenbart<br />

40


zwaJ. bösen, aber doch menschlichen Charakter<strong>zu</strong>g. Denn so manches wunde Menschenherz<br />

erkennt sich nur in der Grausamkeit gegen andere wieder. Die Lücken<br />

aber, die mich ohne Halt <strong>zu</strong> erwürgen trachten, sind gänzlich unmenschlicher Herkunft<br />

und Natur. Das heillose Gespinst, dem ich <strong>zu</strong>m Opfer fiel - meines Bruders<br />

Niedertracht, die Taubheit der fuchter und das lügnerische Schweigen der Nachbarn<br />

- es kann mich schmerzen, quälen und erzürnen, allein, es zerstört mich nicht.<br />

Zerstören tun mich jene Dämonen, die meine Seele mit ihren namenlosen Lücken<br />

umzingeln, und auch jetzt an mir nagen wollen, da ich meine Pein dem Papier<br />

anvertraue. Schon höre ich ihr bleiernes Wispern: »Bald wird deine Hand wieder<br />

erlahmen", sagen die Dämonen, »bald werden sich deine Gedanken wieder trüben,<br />

bald wird dein Geist wieder nach Eindrücken greifen, die er aus sich selbst nimmer<br />

schaffen kann, bald wird er sich aufgeben müssen und ertrinken in unserem Reich<br />

der sinnes toten Lücke, aus der kein Gott und kein Gebet dich erettet!"<br />

Das schlimmste Entsetzen ist jenes, dessen Form niemand kennt. Mein Gott, hilf mirl<br />

Die schwarze Lücke zwischen allen Formen will sich auf mein letztes Licht, den innigsten<br />

Docht meines Herzens senken. Nun schwinde ich dahin, selbst die fahle<br />

Sonnenuhr hinter der Scharte entzieht mir ihren Schein ... es wird Nacht um mich<br />

her ...<br />

Jetzt müßt ihr euch vorstellen, wie ich völlig überdreht und übermüdet mit<br />

meiner kleinen Taschenlampe in diesem SChuppen sitze und unter großer<br />

Mühe diesen erschütternden Aufschrei lese! Anfangs blickte ich überhaupt<br />

nicht durch über das Wie, Wo, Wer und Was, aber die Sache wurde Blatt<br />

für Blatt immer erstaunlicher. Ich will es Euch jetzt etwas einfacher machen,<br />

als ich es damals hatte, deswegen werde ich Inhalt und Rahmen dieser Geschichte,<br />

so wie ich sie nach und nach begriff, im Überblick erzählen:<br />

<strong>Der</strong> Verfasser dieser Schriften war ein gewisser Jonathan Wolrab, ein<br />

<strong>Weinheim</strong>er Bürger, der im Jahre 1841 als junger Mann im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong><br />

<strong>Weinheim</strong> einsaß. Er war von seinem älteren Bruder, dem Zimmermann<br />

Wilhelm Feter Wolrab beschuldigt worden, dessen zwölf jährige Tochter<br />

Hedwig <strong>zu</strong>r »Blutschande« verführt <strong>zu</strong> haben, was immer damit gemeint<br />

sein soll<br />

Jonathan beteuert im Tagebuch jedoch seine Unschuld und fühlt sich als<br />

Opfer einer Intrige, die ihn als Miterben ausschalten soll. Dieser Jonathan<br />

Wolrab scheint ein feinsinniger Mann gewesen <strong>zu</strong> sein, und obwohl mir, je<br />

später es wurde, die Augen immer schwerer wurden, war ich doch blitzgespannt<br />

auf seine unglückliche Geschichte, und wieso die ausgerechnet hier<br />

in einem Geräteschuppen in Neu Seeland herumlag. Da saß ich also am anderen<br />

Ende der Welt auf der Red Tower Plantation, sollte eigentlich Kiwis<br />

pflücken, und wurde in dieses herzzereißende Schicksal hineingezogen,<br />

von einem, der vor ISO Jahren im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> gesessen hat! Ich kann euch<br />

sagen: Sehr seltsam!<br />

Wolrab hat mit dem Eingesperrtsein schwer <strong>zu</strong> kämpfen, mit den »Lükken<br />

der Sinne«, wie er den Angriff des Nichts auf seine sensible Psyche<br />

nennt.<br />

Allmählich beginnt er aber, sich mit eigener Nahrung <strong>zu</strong> versorgen, er<br />

meditiert, stellt sich Sachen vor, und versucht mit allen möglichen Mitteln,<br />

41


seine Sinne an<strong>zu</strong>regen. Beim Kauen seiner spärlichen Nahrung malt er sich<br />

wahre Festessen aus, Braten und Torten, dann drückt er auf seine Augenlider,<br />

um Visionen <strong>zu</strong> bekommen, USW. Er macht so<strong>zu</strong>sagen das Beste aus<br />

seinen romantischen Anfälligkeiten. Und er entdeckt seine Ohren ganz<br />

neu. Er geht daran, den <strong>Turm</strong>, in dem er eingesperrt ist. regelrecht <strong>zu</strong> erlauschen.<br />

Zoll um Zoll schreitet er das dicke Mauerwerk ab und versucht,<br />

in die Steine hinein<strong>zu</strong>horchen, so wie man in einer Muschel dem Meeresrauschen<br />

<strong>zu</strong>hört. <strong>Der</strong> Kontakt <strong>zu</strong> den Steinen hat eine heilende Wirkung auf<br />

Wo lrab , er erhält ihn am Leben, <strong>zu</strong>mindest aber bei Sinnen.<br />

Das beschreibt er auch alles sehr schön und mit bewegenden Worten,<br />

und es ist wirklich schade, daß ich euch nicht seine Originaltexte zeigen<br />

kann. Ich war eben nur in der Lage, hier und da einen besonders spannenden<br />

Abschnitt in mein Notizbuch <strong>zu</strong> kopieren, den Rest muß ich so gut wie's<br />

eben geht aus der Erinnerung <strong>zu</strong>sammeruaamen.<br />

Wolrab wandelt also Tage und Nächte im Kreis, schärft sein Hörvermögen,<br />

bis jeder Stein des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>s ihm eine andere Geschichte erzählt,<br />

oder vielleicht halluziniert er sie, wie auch immer. Mit der Zeit scheint sich<br />

der ganze Raum um ihn auf<strong>zu</strong>lösen, und dann hört er in dem einen Stein<br />

fremdländische, orientalische Frauengesänge, ein anderer wiederum gibt<br />

ein zartes Klopfen frei, aus einem dritten hört er Urwaldgeräusche.<br />

Eines Tages dann hört er besonders intensiv in einen bestimmten Stein<br />

hinein, der seine Aufmerksamkeit an sich zieht. Dieser Stein enthält einen<br />

neuartigen Unterton, ein Schwingen, das er in dieser Art noch nicht wahrgenommen<br />

hat. Immer wieder kommt er <strong>zu</strong> diesem Stein <strong>zu</strong>rück. Ja, und<br />

dann fällt ihm auf, daß der Stein deswegen so besonders klingt, weil er lokker<br />

sitztl<br />

Nun, auch in Neuseeland sind die Nächte begrenzt. Inzwischen fingen<br />

die altdeutschen Buchstaben vor meinen Augen schon <strong>zu</strong> tanzen an, deshalb<br />

beschloß ich, mich für den kleinen Rest der Nacht schlafen <strong>zu</strong> legen.<br />

<strong>Der</strong> nächste Tag wurde verdammt hart. Während der schweißtreibenden<br />

Arbeit auf den Kiwifeldern mußte ich allerdings immer wieder an die<br />

Schriften in diesem alten Lederkoffer denken, und an Jonathan Wolrabs<br />

Gefangsnisaufenthalt im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>. Nach einem kurzen Imbiss am Abend<br />

war ich völlig durcheinander, aufgeregt, neugierig, aber auf jeden Fall<br />

wieder hundemüde. Ich hätte mich ausruhen sollen, aber ich mußte einfach<br />

<strong>zu</strong>rück in den Schuppen, Die Einladung meiner Pflücker-Kollegen auf einen<br />

gesellig-feuchten Abend im Pub lehnte ich dankend ab. Bald saß ich<br />

also im fahlen Licht dieses Schuppens und ich brauchte nur dieses alte<br />

Tagebuch an<strong>zu</strong>fassen, da war ich wieder eingetaucht in der Welt des eingesperrten<br />

Romantikers Jonathan Wolrab, der sich in seiner Hoffnungslosigkeit<br />

in die Welt der klingenden Steine begeben hatte.<br />

Gut, es gelingt ihm also, diesen lockeren Stein aus der Wand <strong>zu</strong> lösen.<br />

Durch eine kleine Schießscharte in der Mauer fällt etwas Licht, und in diesem<br />

Schein erkennt er im Hohlraum hinter dem Stein etwas, das wie ein<br />

Stapel steifer, verkrumpelter Papiere aussieht. Ganz vorsichtig geht er dar-<br />

42


an, den Schatz <strong>zu</strong> heben, der sich ihm offenbart. Die vermeintlichen Papiere<br />

fühlen sich komisch an, beim näheren Hinsehen stellen sie sich als<br />

gegerbte Lederstücke, genauergesagt: Rattenhäute heraus. Jede dieser<br />

Häute ist beschrieben und da wird Wolrab klar, daß er in der <strong>Turm</strong>mauer<br />

auf eine versteckte Bibliothek gestoßen ist!<br />

Die Schriftensammlung ist in lateinisch, griechisch und hebräisch verfaßt<br />

- was Wolrab, der in Heidelberg studiert hatte, glücklicherweise lesen<br />

kann. Er findet bald heraus, daß die »Rattenbibliothek«, wie er sie in seinem<br />

Tagebuch jetzt nennt, offenbar im Jahre 1391 von dem jüdischen Alchimisten<br />

Rabbi Norach angelegt worden war. Dieser Rabbi Norach war viele<br />

Jahre vorher von Kurfürst Ruprecht I. an den Hof geholt worden, und zwar<br />

um <strong>zu</strong> sehen, ob er als »Goldmacher« taugte. <strong>Der</strong> Kurfürst hatte damals den<br />

<strong>zu</strong>vor verfolgten Juden Wohnrecht gewährt, aber jeweils hohe Kautionen<br />

von ihnen gefordert. Er wunderte sich, daß die Juden dies alle zahlen konnten<br />

und vermutete, daß sie im Besitz von heimlichen Künsten waren. Es<br />

kursierten ja so allerhand Gerüchte. Wußten sie, wie man Gold macht? Um<br />

das heraus<strong>zu</strong>finden, richtete er dem gebildeten Rabbi Norach einen Alchimistenkeller<br />

ein, wo er herumlaborieren konnte. Damit das aber bei der<br />

Kirche durchging, mußte sich der Rabbi erst taufen lassen. was er auch der<br />

Form halber tat. Aber es war klar, daß er diese Maske nur aufsetzte, um<br />

ungestört arbeiten <strong>zu</strong> können.<br />

<strong>Der</strong> nächste Kurfürst aber, Ruprecht 11, war wieder ein strikter Judengegner,<br />

er vertrieb die Juden, und den Ex- oder wie auch immer Rabbi Norach,<br />

der ihm persönlich sehr suspekt war, ließ er wegen Scharlatanerie<br />

sang und klanglos im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> verschwinden, nachdem der <strong>zu</strong>vor sein<br />

Labor und alle seine umfangreichen Schriften zerstört hatte. Soweit läßt<br />

sich das jedenfalls anhand der von Wolrab übertragenen Texte Norachs<br />

rekonstruieren, die ich mir in Neu Seeland, wie gesagt hundemüde aber<br />

aufgeregt, nächtens einverleibte.<br />

Dieser Rabbi war, ebenso wie »unser« Jonathan Wolrab, ein sehr reger<br />

Geist. Für ihn waren die »Lücken der Sinne« während der Gefangenschaft<br />

wohl ebenso unerträglich, und auch er schuf sich einen genialen Weg,<br />

ihnen <strong>zu</strong> entfliehen, auch wenn uns der jetzt schon etwas schwarzhumorig<br />

vorkommt. Ich meine, Ihr müßt euch mal ganz konkret diese Frage stellen:<br />

Wenn Du in einem mittelalterlichen Gefängnisturm eine Bibliothek anlegen<br />

willst - wie machst du das? Zuerst einmal mußte sich der Rabbi ja Schreibmaterial<br />

verschaffen, das in die Knäste damals nicht mitgeliefert wurde.<br />

Norach kam <strong>zu</strong>gute, daß er mit seinen <strong>Weinheim</strong>er Glaubensbrüdern aus<br />

dem Gerberviertel bekannt war, die dort ihrem Gerberhandwerk nachgingen.<br />

Denen hatte er er einiges abgeguckt. Er fing sich also eine der im <strong>Rote</strong>n<br />

<strong>Turm</strong> recht zahlreichen Ratten, tötete sie mit bloßen Händen, und zog<br />

ihr die Haut ab. Er wußte, das im Urin bestimmte Substanzen enthalten<br />

sind, die <strong>zu</strong>m Gerben benutzt werden können, also behandelte er die<br />

Rattenhaut, indem er immer wieder draufpinkelte, bis er eine Art Leder­<br />

Pergament gewonnen hatte, auf dem er tatsächlich schreiben konnte. <strong>Der</strong><br />

44


Oberschenkelknochen der Ratte ließ sich als Schreibfeder <strong>zu</strong>spitzen, und<br />

das Rattenblut diente ihm als Tinte. Am Rattenblut schient es ihm nicht gemangelt<br />

<strong>zu</strong> haben, was ein bezeichnendes Licht auf die Zustände im <strong>Turm</strong><br />

wirft. Somit konnte der Rabbi seinen Geist engagieren, und <strong>zu</strong>gleich sein<br />

immenses alchimistisches Wissen aufschreiben. Ungefähr achtzig beidsei -<br />

tig eng beschriebene Rattenhäute kommen so <strong>zu</strong>sammen. Er stellte lange<br />

kabbalistische Formeltafeln auf, auch astrologische Daten und Zeichen,<br />

vermischt mit spirituellen Exkursionen, Zaubersprüchen und magisch-philosophischen<br />

Anleitungen. Er muß sich in seinem Loch sehr sicher gefühlt<br />

haben, denn er verzichtete auf die sonst üblichen Verschlüsselungen, und<br />

schrieb Alchimie im Klartext. Schließlich brauchte er jetzt auf keine weltlichen<br />

Auftraggeber mehr Rücksicht nehmen, die sein Wissen mißverstanden<br />

oder gar nicht haben wollten, stattdessen vertraute er sich einer unbekannten<br />

Zukunft an. Indem er die Rattenbibliothek in der Mauer vorn <strong>Rote</strong>n<br />

<strong>Turm</strong> versteckte, schickte er seine gesammelten Erinnerungen und Forschungen<br />

auf eine lange, lange Zeitreise.<br />

Und Jonathan Wolrab sollte der Empfänger dieser Zeitpost sein. Als er<br />

da im Jahr 1841 mit zitternden Händen die beschriebenen Rattenhäute entdeckt,<br />

kann er nicht gleich alles lesen, geschweige denn verstehen, aber<br />

er spürt instinktiv, daß er einen Jahrhundertfund gemacht hat. Etwas von<br />

dieser Erregung färbte natürlich auch auf mich ab, der ich in diesem neuseeländischen<br />

Schuppen saß und die ganze Geschichte als Überflieger<br />

nacherlebte. Wenn die da ein Fax gehabt hätten, hätte ich euch gerne ein<br />

paar Blätter im Original rübergeschickt, dann hätten wir die brisanten Sachen<br />

später mal in Ruhe untersuchen können. Aber da gab es da zwar jede<br />

Menge Werkzeug, das man als Kiwi-Farmer braucht, aber kein Fax. Und<br />

natürlich auch keine altgriechischen und hebräischen Wörterbücher, so<br />

daß mir viele der verwendeten Begriffe unverständlich blieben. <strong>Der</strong> gebildete<br />

Rabbi beherrschte mehrere Sprachen, was hohe Anforderungen ans<br />

Studium seiner Aufzeichnungen stellt. In Wolrabs Falle kommt noch hin<strong>zu</strong>,<br />

daß es ihm immer nur <strong>zu</strong> bestimmten Tageszeiten möglich ist, <strong>zu</strong> lesen,<br />

dann nämlich, wenn der schmale Lichtstrahl durch die Schießscharte fällt<br />

und den feuchten Raum etwas erhellt. Bei mir war es umgekehrt: ich konnte<br />

nur nachts lesen.<br />

Wann immer es Wolrab irgend möglich ist, saugt er das umfangreiche<br />

Geheimwissen in sich auf, schreibt es ab wie ein Mönch und macht sich<br />

seine Gedanken da<strong>zu</strong>. Es wird sein Lebenselexier, dem er sich mit Haut<br />

und Haaren verschreibt. Das ist schließlich das Einzige, was er in seinem<br />

Loch machen kann. Er will die Rattenbibliothek unter allen Umständen bewahren,<br />

<strong>zu</strong>gleich aber auch schützen. Deswegen verbirgt er seinen Schatz<br />

immer sorgsam vor dem <strong>Turm</strong>wächter Heck, dessen Kontrollroutine er natürlich<br />

kennt.<br />

Und irgendwann, als Wolrab mal wieder knietief in der mittelalterlichen<br />

Alchimie des Rabbi Norach steckt, und er alle Zeit um ihn herum vergessen<br />

hat, kam ich in Neuseeland über seinen Tagebüchern wieder <strong>zu</strong> mir,<br />

45


und merkte, wie spät es war. Ich dachte an Barlow, der kein Pardon kannte,<br />

wenn es um seine Kiwis ging. Es fiel mir natürlich schwer, mich mitten<br />

in der Geschichte von den Wolrab'schen Aufzeichnungen los<strong>zu</strong>reißen,<br />

aber noch schwerer fiel es mir, mich überhaupt wach<strong>zu</strong>halten. Außerdem<br />

hielt ich es erstmal für unverzichtbar, meiner Rolle als Erntehelfer gerecht<br />

<strong>zu</strong> werden. Draußen dämmerte schon der Morgen, und so trottete ich dann<br />

mit brummendem Kopf und schmerzenden Muskeln in mein Zelt, um ein<br />

paar Stunden traumlosen Schlaf <strong>zu</strong> finden.<br />

Tagsüber auf dem Feld war ich natürlich keineswegs der Herkules. Ich<br />

konnte mich nach den zwei aufwühlenden Nächten kaum noch auf den Beinen<br />

halten, und so manche Kiwi glitt mir aus den Händen. Barlow warf mir<br />

gelegentlich Blicke <strong>zu</strong> und ließ einige unpassende Bemerkungen fallen. Ich<br />

war jedoch nicht gewillt, ihm irgendetwas <strong>zu</strong> verraten, sondern entschuldigte<br />

meine Blässe und den mangelnden Mumm bei der Arbeit mit erfundenen<br />

Wehwehchen. Barlow hatte ja schon <strong>zu</strong> Anfang gezeigt, daß er sich<br />

für Historisches nicht interessierte, warum sollte ich ihm dann von dem<br />

Dornröschen-Schatz in seinem Schuppen erzählen? Vermutlich war ich ja<br />

der Erste und Einzige, der diese unglaublichen Aufzeichnungen <strong>zu</strong> Gesicht<br />

bekam, von daher wollte ich den Inhalt nicht verplappern, ehe ich nicht<br />

wußte, wohin der Hase läuft. Ich hatte natürlich, wie ihr jetzt wahrscheinlich<br />

auch, den Kopf voller Fragen, aber igendwie fühlte ich mich verantwortlich<br />

für das Geheimnis der Rattenbibliothek, und wollte damit genauso behutsam<br />

umgehen wie Rabbi Norach und Jonathan Wolrab. Also hielt ich den<br />

Korken auf der Flasche und biß beim Kiwipflücken die Zähne <strong>zu</strong>sammen.<br />

Statt mich nach dem nächsten Arbeitstag mit einer guten durchgeschlafenen<br />

Nacht endlich wieder fit <strong>zu</strong> machen, tauchte ich gleich wieder in die<br />

magische Lektüre ab. Kein Wunder, denkt ihr jetzt, was denn sonst? Aber<br />

Leute, ich schlurfte tatsächlich auf dem Zahnfleisch und war total gerädert<br />

...<br />

O.K. Wie geht es weiter? Wolrab hat mittlerweile die meisten Aufzeichnungen<br />

Norachs gelesen und kopiert, auch die jener Insassen im <strong>Turm</strong>, die<br />

später den Zugang <strong>zu</strong>r Rattenbibliothek gefunden hatten - was übrigens<br />

nur wenigen der über fünf Jahrhunderte hinweg einsitzenden <strong>Turm</strong>häftlinge<br />

gelang. Da<strong>zu</strong> notiert Wolrab, jetzt wieder in seinen eigenen Worten, die<br />

ich abgeschrieben habe, folgendes:<br />

Nicht jedes Geheimnis ist für alle bestimmt. oder es wäre keines. Nur wessen Ohr.<br />

durch die Stille bis <strong>zu</strong>r Übersinnlichkeit geschärft, es unternahm, in jeden Zoll der<br />

Kerkermauer hinein<strong>zu</strong>horchen, bis daß er ihre hohlen Räume singen hörte, konnte<br />

dort jenen Schatz fmden, der mir kostbarer dünkt als alle Juwelen: die von Rabbi<br />

Norach begonnene und von mit ähnlich traurigem Schicksal geschlagenen Leidensgenossen<br />

fortgesetzte Rattenbibliothek. Wie glücklich darf ich mich schätzen, bei<br />

aUer Qual meines Daseins, dieser erlauchten Bruderschaft an<strong>zu</strong>gehören!<br />

Rabbi Norach hatte insofern vorgesorgt, als er seinen Nachfolgern eine detaillierte<br />

Gebrauchsanweisung <strong>zu</strong>r Herstellung von Rattenpergamenten<br />

46


hinterlassen hatte. Aber nicht alle hatten sie sorgfältig befolgt. Einige der<br />

späteren Rattenmanuslaipte zerfielen schon, andere waren verblaßt, so<br />

daß man die Schrift kaum mehr erkennen konnte. So war es dummerweise<br />

auch mit ein paar Bögen geschehen, die pornographische Zeichnungen<br />

enthielten. Leider ist Wolrab in dieser Hinsicht selbst seinem Tagebuch<br />

gegenüber äußerst einsilbig und hat die sicher sehr interessanten Zeichnungen<br />

eines phantasiegeplagten Häftlings aus dem 18. Jahrhundert nicht<br />

mitkopiert, so sehr ich das auch bedauert habe.<br />

In gewisser Weise habe ich euch übrigens erst den Anfang der Geschichte<br />

erzählt, jetzt geht es eigentlich erst richtig los, jetzt kommt die<br />

Action. Daß etwas Dramatisches eingetreten sein muß, merkte ich daran,<br />

daß im Tagebuch plötzlich eine deutliche Zäsur auftrat. Mitten in einer<br />

penibel abgeschriebenen Liste mit kabbalistischen Traumsymbolen des<br />

Rabbi Norach klaffte eine Lücke in Wolrabs Tagebuch. Nach zwei leeren<br />

Blättern ging es mit anderer Feder und Tinte weiter. Was war geschehen?<br />

Mir lief eine Gänsehaut über den Rücken, als ich es in den folgenden Seiten<br />

nach und nach herausfand.<br />

Ich erwähnte bereits, daß Wolrab immer genau die Zeiten des Wärters<br />

Heck beachtet. um einer unliebsamen Entdeckung vor<strong>zu</strong>beugen, Doch er<br />

wiegt sich in falscher Sicherheit: urplötzlich fällt ein greller Lichtschein auf<br />

den Gefangenen. als der gerade über der Rattenbibliothek gebeugt sitzt.<br />

Es ist das Schlimmste eingetreten: sein Geheimnis ist entdecktl An jenem<br />

unglücklichen Tag ist nämlich der Gefängniswärter Heck erkrankt und hat<br />

die Turrnschlüssel vertretungsweise einem Verwandten aus dem Odenwald<br />

ausgehändigt, der eben <strong>zu</strong> Besuch war. <strong>Der</strong> hält sich natürlich nicht<br />

an den Heck'schen Zeitplan und ist auch sonst neugierig genug. in den Gefängnisräurnen<br />

rum<strong>zu</strong>schnüffeln. <strong>Der</strong> völlig überraschte Wolrab bangt um<br />

seinen Schatz, Alles, was ihn in dieser Gruft am Leben gehalten hat, was<br />

ihm wertvoll war, das Erbe der alchimistischen Bruderschaft aus fünf Jahrhunderten,<br />

für das er sich verantwortlich fühlt - all das droht jetzt in die<br />

Hände eines vorwitzigen Odenwälder Bauern <strong>zu</strong> fallen, <strong>Der</strong> laiegt natürlich<br />

auch spitz, daß Wolrab irgendetwas Ungewöhnliches in der Hand hat, und<br />

will nachsehen, was es ist. Er seilt sich also nach unten ins Turrnloch ab.<br />

Wolrab gerät in Panik. Entschlossen, die wertvollen Aufzeichnungen <strong>zu</strong><br />

schützen. macht er etwas, wo<strong>zu</strong> er sonst unter keinen Umständen je fähig<br />

gewesen wäre: Er hebt den Stein, hinter dem die Rattenbibliothek so lange<br />

in der Mauer verborgen war. und erschlägt damit den Bauern, der <strong>zu</strong>r falschen<br />

Zeit an den falschen Ort gekommen war.<br />

Die Passage, in der Wolrab dieses Drama beschreibt, habe ich wieder<br />

wörtlich abgeschrieben, mit flatterndem Kuli. erstens weil ich seine Agonie<br />

nachempfand, zweitens, weil ich ja darauf brannte, <strong>zu</strong> erfahren, wie es<br />

weitergeht. Aber ihr solltet ja schließlich auch etwas im O-Ton mitbekommen,<br />

Folgendes also schreibt Wolrab:<br />

Welch ein Hohnl Welch ein Elend! Ich, der unsChuldig Eingekerkerte ein Mörder?<br />

47


Die Neugier eines Ahnungslosen gereichte diesem <strong>zu</strong>m Verhängnis und verhalf mir<br />

<strong>zu</strong>r Flucht.<br />

<strong>Der</strong> Himmel ist Zeuge, daß ich nicht anders handeln konnte! Jener Gehilfe des alten<br />

Heck betral <strong>zu</strong>r Unzeit die Zelle, er überraschte mich beim Studium meiner Bibliothek,<br />

er ließ sich naseweis hinab, um den kostbaren Schatz an sich <strong>zu</strong> raffen, dessen<br />

Bewahrer <strong>zu</strong> sein das Schicksal mich erwählt hat. Nein, das durfte ich niemals <strong>zu</strong>lassen!<br />

Schrie es in mir. Ich nahm den Stein, der sein Geheimnis a11 die Jahrhunderte so<br />

sicher verwahrt hatte, nahm ihn und schlug von hinten mit aller Kraft auf den Kopf<br />

des Gehülfen ein, schlug, bis er strauchelte und auf dem modrigen Boden fiel.<br />

Mein Herz dröhnte wie eine Kriegstrammel. Als sei ich im Traum, und doch <strong>zu</strong>gleich<br />

mit panisch gereizten Nerven, zog ich dem Leblosen seine Beinkleider, seinen groben<br />

Odenwälder Kittel aus, um sie mir schnell über<strong>zu</strong>ziehen. Mit der einen Hand ergriff<br />

ich die Rattenbibliothek, mit der anderen die Schlüssel des unbedachten Wärters,<br />

dann hangelte ich mich am Seil nach oben dem Loche <strong>zu</strong>, einer plötzlichen und<br />

erschreckenden Freiheit entgegen. Doch weh mir! Halb war ich schon draußen, da<br />

hör te ich den Totgeglaubten unter mir ein weiteres Mal laut ächzen und stöhnen. Erneut<br />

ließ ich mich schaudernd hinab und schlug wie von Sinnen auf den Leib des<br />

Unglückseligen ein, bis er ganz verstummte und nur noch mein rasender Atem die<br />

Stille der Gruft durchschnitt.<br />

War es Nebel draußen oder hatte der Wahnsinn meine Sicht getrübt? leh wußte es<br />

nicht. Ich schloß den <strong>Turm</strong> hinter mir ab. Sollte die arme Leiche des Erschlagenen<br />

auch ein wenig von der Ruhe kosten, die <strong>zu</strong> erleiden ich bald ein Jahr gezwungen<br />

war. Ich torkelte von dannen, durch das einst geliebte <strong>Weinheim</strong>, dessen Häuser<br />

und Bewohner mir jetzt verschwommen waren wie in einem üblen Nachtmahr. Es<br />

mag sein, daß Menschen mich sahen, doch sie erkannten mich nicht. Mein Erscheinen<br />

muß so schreckeinflößend gewesen sein, daß niemand meinen Weg <strong>zu</strong> verstellen<br />

wagte. Den Schlüssel <strong>zu</strong>m <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> warf ich in die Weschnitz. Mit aller Macht<br />

hielt ich nur den alten und geheimen Schatz an mich gedrückt, um dessen Bewahrung<br />

ich <strong>zu</strong>m Mörder werden mußte, und stob wie von Sinnen davon. So glückte mir<br />

die Flucht.<br />

Ich kann mir das immer noch ganz plastisch vorstellen, wie der arme Jonathan<br />

in dieser Schocksituation mit klopfendem Herzen durch <strong>Weinheim</strong> irrt.<br />

Mit der Rattenbibliothek und seinem Tagebuch in der Tasche flieht er dann<br />

über die Pfalz und Flandern nach Ostende, von wo es ihm gelingt, sich nach<br />

England ein<strong>zu</strong>schiffen. Wie er sich bis dahin durchschlägt, ist noch mal eine<br />

Geschichte für sich. Er hat sehr lebendig und blumig beschrieben, wie er<br />

unter die Fahrenden gerät, sich einer Räuberbande anschließt, eine Postkutsche<br />

überfällt und dabei einen Paß ergattert. Von London heuert er auf<br />

einem Frachtschiff nach Amerika an. Dort macht aber die Einwanderungsbehörde<br />

wegen seiner falschen Papiere Probleme. Irgendwie wird er dann<br />

von einem zwielichtigen Schlepper, der die Auswegslosigkeit seiner Lage<br />

ausnutzt, auf ein Walfangschiff verkauft, wo er wie ein Sklave schuften muß.<br />

Wie ihr seht, bietet Wolrabs Story im Grunde Stoff für mehrere Romane,<br />

aber ich will versuchen, mich auf die Hauptlinie <strong>zu</strong> konzentrieren, und die<br />

führt ihn jetzt erstmal nach Australien, wo er sich endlich absetzen kann.<br />

Gut, ich überspringe einige Stationen in Sydney und den Blue Mountains;<br />

entscheidend ist, daß Wolrab in Victoria ein unwahrscheinliches Gespür<br />

an den Tag legt, Gold <strong>zu</strong> finden. Wo immer er schürft und gräbt, ist<br />

48


auch prompt eine Goldader getroffen! Diese bemerkenswerte Fähigkeit, so<br />

schreibt er in seinem Tagebuch, hat er niemand anderem <strong>zu</strong> verdanken als<br />

dem Rabbi Norach und dessen alchimistischen Lehren! Das müßt ihr euch<br />

mal vorstellen, daß da ein entflohener Häftling und Mörder aus <strong>Weinheim</strong><br />

jetzt in Australien <strong>zu</strong>m Glückspilz wird, weil er in einem Geheirnmanuskript<br />

aus dem 14. Jahrhundert etwas über die Zusammenhänge zwischen den<br />

Schätzen der Seele und den Schätzen der Erde erfahren hat, und wie man<br />

sich beide <strong>zu</strong>nutze macht! Es ist schon eine faustdicke Ironie, daß die Vermutung<br />

von Ruprecht 1., jener jüdische Rabbi könne vielleicht Gold machen,<br />

Jahrhunderte später in Australien Wirklichkeit wird. Wolrab, das habe ich<br />

jetzt wieder wörtlich aufgeschrieben, spricht da nämlich ... :<br />

... mit Erdgeistern, Faunen und Elfen, jenen Meistern der Transmutation und Hütern<br />

aller Schätze der Erde. Nun sollte es sich als nützlich erweisen, daß mich der alte<br />

Rabbi so gewissenhaft in der Anrufung jener Geister unterwiesen hatte, gleichwohl<br />

er nicht ahnen konnte, daß diese auch in einem Kontinente heimisch sind, von dessen<br />

Existenz ihm jede Kenntnis fehlte. Allein, ich befolge die Anleitungen seiner<br />

märchenhaften Wissenschaft und sehe mich mit ihren Früchten reichlich belohnt.<br />

Wie Ihr an diesem Schreibstil seht, bleibt Wolrab im Grunde immer noch<br />

der zarte, etwas knotige Romantiker, der er schon in <strong>Weinheim</strong> war. Das<br />

Dumme ist, daß er sich als solcher in der rauben Gesellschaft der australisehen<br />

Goldgräber nicht behaupten kann. Seine unglaubliche Findigkeit auf<br />

den Goldfeldern erregt mehr Aufsehen, als er verkraften kann. Irgendwann<br />

wird er überfallen, halbtot geprügelt, alles Gold wird ihm abgenommen.<br />

Wieder steht er mit nichts da als dem nackten Leben und der Rattenbibliothek<br />

Die wird ihm von den Räubern - es sind Analphabeten - tröstlicherweise<br />

gelassen.<br />

Danach notiert Wolrab über die eigenartige Symbiose, die er mit seinem<br />

Schatz eingegangen ist:<br />

Das Leben des seltenen Manuskripts aus dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> und mein eigenes scheinen<br />

eine schicksalhafte Bindung eingegangen <strong>zu</strong> sein: das eine rettet sich Dm, indem<br />

es das andere dmch alle Fährnisse bewahrt, in die beide verstrickt sind. Ohne<br />

den Trost und die geheimen Ratschläge jener alten Weisheit wäre mein Dasein an<br />

seiner blanken Noth längst zerbrochen - und ohne meine Noth läge die Rattenbibliothek<br />

noch immer in jenem dunklen Kerker verborgen, der uns einst gemeinsam<br />

beherbergte, und dem wir nur gemeinsam entkommen durften.<br />

Nachdem seine Wunden verheilt sind, setzt er sich auf die Südinsel Neu<br />

Seelands ab, wo neue Goldfunde gemeldet werden.<br />

Wie gesagt, auch das ist alles erst der Anfang. Ich bin längst noch nicht<br />

durch mit der Nacherzählung, obwohl ich vieles der Einfachheit halber<br />

übersprungen habe. Allerdings war ich in meinem alchimistischen Geräteschuppen<br />

jetzt wieder an einem Punkt der Müdigkeit angelangt, der mir<br />

schon krankenhausreif vorkam. In Wolrabs Text ging es immer spannender<br />

<strong>zu</strong>, aber draußen auf der Red Tower Plantation wurde es bereits hell, und<br />

außerdem warteten noch jede Menge Kiwis darauf, gepflückt <strong>zu</strong> werden.<br />

49


die höhere Schule der Alchimie, die das Metall Gold ja als Symbol nimmt,<br />

um den Prozeß der feinstofflichen Vergoldung der Seele <strong>zu</strong> beschreiben.<br />

Aber wie gesagt, je weiter Wolrab in die Bereiche der esoterischen Transmutationen<br />

vordringt, und das hat er offensichtlich getan, desto schweigsamer<br />

wird er auch. Unter den gegebenen Umständen konnte ich auch<br />

nicht all<strong>zu</strong> sehr in die Feinheiten gehen, erstmal mußte ich mir ja einen<br />

Überblick verschaffen.<br />

Am 11. Mai 1863 jedenfalls schreibt Wolrab <strong>zu</strong>m letzten Mal etwas in<br />

sein Tagebuch. Er rekapituliert noch einmal sein Leben und verweist auf<br />

seine noch immer offenen seelischen Wunden. Ich habe diesen letzten Abschnitt<br />

wieder wörtlich abgeschrieben:<br />

Die Schmach, die ich in der Heimat erfuhr, ist nicht getilgt, aber doch gemildert<br />

durch die Schönheit der blühenden Gärten und den Wohlstand, den mir mein krauses<br />

Schicksal <strong>zu</strong> guter Letzt beschert hat. Gleichwohl die Umstände, unter denen ich<br />

<strong>zu</strong>m Siegelbewahrer der Rattenbibliothek wmde, schwer auf meiner Seele lasten,<br />

sehe ich in ihr den kostbarsten aller Schätze. Diese Bibliothek hat mir in den<br />

schwersten Zeiten das Leben gerettet, indem sie meinen Geist, der sonst schier<br />

verhungert und irre geworden wäre, mit steter Nahrung versorgt hat. Nahrung, die<br />

mich aus der tiefsten Kerkergruft heraus mit der Weisheit des Himmels versorgt hat,<br />

sowie mit dem Gold der Erde, welches jener entspringt, und welches nach dem<br />

göttlichen Plan einst alle Menschen durchdringen wird. Diesen Schatz in mehrfacher<br />

Hinsicht durfte ich nicht in die Hände der Häscher fallen lassen, auf daß sie<br />

sich eine billige Belohnung holen bei den Engherzigen und den Bösartigen. Nur daduzch,<br />

daß ich um des Geheimnisses dieser Kostbarkeit willen <strong>zu</strong>m Mörder wurde,<br />

fand meine unschuldig erlittene Kerkerzeit ein Ende. Gebe Gott, daß die Zeit kommen<br />

mag, wo auch die Rattenbibliothek unbesorgt an den Tag korrunen darf, damit<br />

die große und goldene Kunde meines unsichtbaren Freundes Rabbi Norach so munter<br />

wachsen kann wie meine Apfelbäume.<br />

Allein ich spüre, daß diese Zeit nicht die meine sein wird. Wohin kann ich meinen<br />

schweren Schatz betten? Mein Gemüt ist voller Pein und es sehnt sich nach mildem<br />

Zuspruch und Zärtlichkeit. Ich bin alt und ratlos, jede Freude scheint mir so fern wie<br />

das <strong>Weinheim</strong> meiner arglosen jugend. Kann ich <strong>zu</strong> Lebzeiten je vor einem menschlichen<br />

Wesen den Schleier lüften, mit dem eine grausame Vergangenheit meine<br />

Seele verhüllt?<br />

Meine Nachbarn und Gehilfen, in ihrer freundlichen Ahnungslosigkeit, ermuntern<br />

mich, heute <strong>zu</strong>m Tanz nach Motueka <strong>zu</strong> gehen. Es ist mir der Gedanke schwer, den<br />

Unbekümmerten Gesellschaft <strong>zu</strong> leisten. Aber schwerer noch ist mir der Gedanke,<br />

bis ans Ende meiner Tage Gefangener meines Kummers <strong>zu</strong> bleiben ...<br />

Tja, das ist nun eigentlich kein Schlußwort, aber danach gab es nur noch<br />

weiße Seiten in Wolrabs Tagebuch. Was nun? Meine Begleitung von Wolrabs<br />

Abenteuern, meine nächtliche Reise über die Horizonte der Vergangenheit<br />

war <strong>zu</strong> einem Abschluß gekommen, der kein richtiges Ende war.<br />

Obendrein war die Kiwiernte fast vollständig eingebracht und mit Ablauf<br />

des nächsten Tages würde es keinen Grund mehr geben, länger auf der<br />

Red Tower Plantation <strong>zu</strong> bleiben. Eigentlich hätte ich mich freuen sollen,<br />

denn ich konnte nun meine Fahrt durch Neu Seeland mit aufgebesserter<br />

Reisekasse fortsetzen und ich wußte, daß noch einige schöne Plätze auf<br />

51


mich warteten. Aber wie ich da mit roten Augen über der letzten Seite des<br />

Tagebuchs im Schuppen saß, kam <strong>zu</strong> meiner notorischen Übermüdung<br />

noch ein Gefühl von ... ich möchte sagen: von Unvollständigkeit. Ich wußte<br />

nun Einiges, und zwar Erstaunliches über Jonathan Wolrab, aber es fehlten<br />

doch ein paar Glieder in der Kette. Was geschah mit Wolrab nach diesem<br />

letzten Eintrag? Außerdem gab es viele Details in seiner Geschichte, die<br />

ich mir gern genauer angeschaut hätte, als es mir während dieser klandestinen<br />

Eil-Lektüre möglich war. Soviel stand fest: Dieser Schatz, den ich<br />

mittlerweile schon als meinen Schatz betrachtete. sollte nicht in diesem<br />

Geräteschuppen neben allerlei Unrat vermodern. Gesagt, getan. Trotzdem<br />

wurde mir reichlich flau im Magen, als ich die Kladde mit Wolrabs Schriften<br />

an mich nahm, den Lederkoffer aufs Regal <strong>zu</strong>rückstellte, und mich dann<br />

mit dem heißen Fund unterm Arm auf den Weg <strong>zu</strong> meinem Zelt machte. Ich<br />

fühlte mich inzwischen ganz als Mitglied dieser verschworenen Bruderschaft<br />

von Rabbi Noarch, Jonathan Wolrab und den anderen Teilnehmern<br />

an dieser erstaunlichen Bibliothek. Sie alle waren meine geistigen Komplizen,<br />

meine Begleiter. davon war ich überzeugt.<br />

Peng! In dem Moment ging die Tür auf. John Barlow versperrte mir den<br />

Weg! Au verdammt, dachte ich, jetzt ist alles aus. Nachts um vier, am letzten<br />

Tag vor der Abreise, mit offensichtlichem Diebesgut in der Hand angetroffen<br />

<strong>zu</strong> werden, macht nicht nur auf der Red Tower Plantation einen verdammt<br />

schlechten Eindruck. Ich blickte wild um mich und wußte nicht wohin<br />

mit mir. Überraschenderweise fragte Barlow nur ganz kurz und trokken:<br />

»So what did you find?« Was hast du gefunden? Es war mir in der Situation<br />

unmöglich, ihm irgend eine glaubhafte Lüge auf<strong>zu</strong>tischen. also entschloß<br />

ich mich kurzerhand, mein Heil in der Wahrheit <strong>zu</strong> suchen. Das<br />

heißt, ich mußte ihn um Geduld bitten. damit er sich die ganze, lange, krause<br />

Geschichte anhörte. Und dann holte ich tief Luft und erzählte 'lohn Barlow<br />

ungefcihr dasselbe, was ich euch eben erzählt habe. Er hörte sich auch<br />

alles aufmerksam an und schaute mir nur ab und <strong>zu</strong> prüfend in die Augen.<br />

Wie es nun weitergehen würde, wußte ich natürlich nicht, aber nachdem<br />

ich die Geschichte das erste Mal mit einem anderen Menschen geteilt<br />

hatte, fühlte ich eine tiefe Erleichterung, obwohl ich gerade mehr oder weniger<br />

als Dieb entlarvt worden war. John Barlow stand dann auf und bat<br />

mich <strong>zu</strong> warten. Hmm. Was sollte das nun wieder heißen? Er kam kurze<br />

Zeit später mit einer Holzschachtel unterm Arm wieder, setzte sich mir gegenüber<br />

auf einen Schemel und sagte: »So, ich glaube. jetzt hab ich dir etwas<br />

<strong>zu</strong> erzählen« . - Rhetorische Pause. in der der nur der neuseeländische<br />

Nachtwind über dem Schuppen <strong>zu</strong> hören war, - bis er dann sagte: »Ich bin<br />

der Urenkel von Jonathan Wolrab - und in dieser Kiste ist die Original-Rattenbibliothek<br />

aus dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>. «<br />

Mein Staunen war grenzenlos. Jetzt verstand ich überhaupt nichts mehr.<br />

Wie sollte das noch <strong>zu</strong>sammenhängen? Geistig streckte ich alle Viere von<br />

mir. Aber jetzt war Barlow mit dem Erzählen dran. Er sagte. daß er vom ersten<br />

Tag an wußte, womit ich meine nächtliche Freizeit verbrachte. Nach-<br />

52


dem er erfahren hatte, daß ich Deutscher war, hatte er alles so eingerichtet,<br />

daß es mir unmöglich war, den Koffer nicht <strong>zu</strong> finden. Und sobald er<br />

merkte, daß ich angebissen hatte, ließ er mich einfach still gewähren. Die<br />

ganze Zeit, während ich meine erschütternden Forschungen machte, stand<br />

ich gewissermaßen unter Observierung. Und warum hatte er erst jede Verbindung<br />

<strong>zu</strong>r Grundergeschichte der Red Tower Plantation abgestritten?<br />

Barlow wollte schlicht und ergreifend wissen, was in dieser Kladde stand,<br />

die ihm ein Geheimnis war, und deren altdeutsche Schriftzüge er nicht entziffern<br />

konnte. Er wußte, daß es sich bei dem Kofferinhalt um ein brisantes<br />

Familiendokurnent handelte, aber er wußte nicht, wie er seinen Inhalt<br />

gleichzeitig kennenJernen und geheim halten konnte. Deswegen hielt er es<br />

für taktisch klüger, ganz im Hintergrund <strong>zu</strong> bleiben und war froh, daß ich<br />

prompt in die Falle tappte, mich unbeobachtet fühlte und mich schließlich<br />

noch in eine Situation manövrierte, wo ich völlig in seiner Hand lag. »So<br />

konnte ich sicher sein, daß du mich nicht verkohlst.« Das sagte er alles<br />

ganz offen und freundlich, und daß er dankbar sei, daß alles so gut geklappt<br />

hatte. Er schien überhaupt nicht sauer.<br />

Es war völlig verrückt: eben noch dachte ich, Barlow würde mich in<br />

Neu Seeland hinter Gitter bringen, und jetzt saßen wir wie zwei Komplicen<br />

über einem Abenteuer, das wir gemeinsam bestanden hatten. Allmählich<br />

klingelte es bei mir und ich erwachte soweit aus meiner Käferstarre, daß<br />

ich mich schon wieder traute, Fragen <strong>zu</strong> stellen. Zum Beispiel, warum er<br />

denn Barlow heißt, wenn er doch der Urenkel von Wolrab ist, und warum<br />

er diese Verbindung erst abgestritten hatte?<br />

»Das ist einfach«, sagte er mit einem Grinsen, »mein Großvater ließ sich<br />

umbenennen. Und zwar wörtlich: Er buchstabierte den Namen Wolrab einfach<br />

rückwärts und heraus kam Barlow, was sehr englisch klingt. Gleichzeitig<br />

mit dieser Namensänderung verhängte mein Großvater eine Art Tabu<br />

über die Vorgeschichte der Familie, die ihm als Erbe eines Obstbauem in<br />

Neu Seeland offensichtlich nicht ganz geheuer war. Niemand sollte über<br />

seine Vorfahren das Geringste wissen, schon danach <strong>zu</strong> fragen war uns<br />

strengstens verboten. Mein Vater hielt sich auch daran, aber mich hat es<br />

doch nach und nach gereizt, heraus<strong>zu</strong>laiegen, was hinter dem Familientabu<br />

verborgen ist. Dank deiner heimlichen Lektüre weiß ich es jetzt. Thanks!<br />

Übrigens, mit dem wenigen, was ich über den Vater meines Großvaters<br />

weiß, kann ich dir sagen, wie es mit Jonathan Wolrabs Leben nach seiner<br />

letzten Tagebucheintragung weiterging: <strong>Der</strong> alte Jonathan hat sich damals<br />

tatsächlich aufgerafft, <strong>zu</strong>m Tanz <strong>zu</strong> gehen und hat da seine <strong>zu</strong>künftige Frau<br />

gefunden, eine Maorifrau, die ihm den ersehnten »milden Zuspruch und<br />

Zärtlichkeit« gegeben hatte, meine Urgroßmutter. Er muß sehr glücklich<br />

mit ihr gewesen sein, deswegen hat er wohl einen Schlußstrich unter seine<br />

Vergangenheit gezogen und auch das Tagebuch nie mehr angerührt. In<br />

welchem Maße mein Großvater, also Wolrabs Sohn, in die ganzen Geheimnisse<br />

eingeweiht war, kann ich nicht sagen. Aber wieviel er auch wußte, er<br />

sorgte dafür, daß alle Erinnerungen unter striktem Verschluß blieben.<br />

64


Aber jetzt, nach aB den Jahren, wo ich endlich etwas über das wirkliche<br />

Leben meines Urgroßvaters, über seine Herkunft, sein Schicksal weiß,<br />

kann ich sagen: ich bin stolz, ein Barlow-Wolrab <strong>zu</strong> sein!«<br />

Sprachs, und schlug mir anerkennend auf die Schulter.<br />

Ihr könnt euch denken, in welchem Wechselbad der Gefühle ich mich<br />

befand. Aber dann fiel mein Blick doch auf das Holzkästchen neben John.<br />

Meine brennende Neugier war erwacht, die mittelalterliche Rattenbibliothek<br />

nun endlich im Original <strong>zu</strong> sehen. John bemerkte meine Blicke. Ohne<br />

ein Wort <strong>zu</strong> sagen, nahm er die Kiste und klappte sie auf. Sie war leer! Bis<br />

auf ein paar kleine Krümel in den Ecken, die allerdings nach einer sehr<br />

merkwürdigen Art von Leder rochen. »Maden, eine verdammte Plage!«<br />

sagte John, und fuhr fort: »Als ich nach dem Tode meines Vaters vor einem<br />

Jahr die alten Truhen öffnete und auch in diese Kiste schaute, war schon<br />

alles zerstört. Bis jetzt wußte ich nicht, was die Maden da weggefressen<br />

haben. Unsere Schaffelle behandeln wir natürlich alle dagegen, aber wer<br />

hätte ahnen können, daß altdeutsche Rattenhäute für neuseeländische Maden<br />

so ein Leckerbissen sein würde?«<br />

Barlow holte dann den Koffer vom Regal, öffnete ihn und legte die leere<br />

Holzkiste <strong>zu</strong> den alten Klamotten. Dann sagte er »Darf ich?« und streckte<br />

seine Hände in meine Richtung aus. Wortlos reichte ich ihm das Tagebuch<br />

Jonathan Wolrabs, das ich bis dahin fest umklammert gehalten hatte, ohne<br />

es <strong>zu</strong> merken. Augenzwinkernd legte Barlow es in den Koffer <strong>zu</strong>rück,<br />

klappte ihn <strong>zu</strong>, stand er auf und ging mit dem Koffer in der Hand <strong>zu</strong>r Tür.<br />

Beim Rausgehen sagte er noch, ich brauchte heute keine Kiwis pflücken<br />

und sollte mich mal richtig ausschlafen. Überflüssig <strong>zu</strong> eIWähnen, daß ich<br />

die Aufforderung befolgte; den halben Tag hab ich geratzt wie ein Stein.<br />

Am Nachmittag sollten die Erntehelfer mit einem Pickup-Truck <strong>zu</strong>r Hauptstraße<br />

nach Motueka gefahren werden. Ich sammelte meine Siebensachen<br />

<strong>zu</strong>sammen, immer noch leicht benommen. Als es losging, nahm mich John<br />

Barlow nochmal kurz kurz <strong>zu</strong>r Seite: »Wir müssen rauslaiegen, wo der alte<br />

Wolrab sein Gold vergraben hat. Mir ist da eine Idee gekommen, für die<br />

ich deine Hilfe brauche. Hast du Lust?« - »Ähm, ähm, ja!« Stammelte ich.<br />

»Gut, dann komm in einem Jahr wieder«, sagte er. Ich war natürlich wieder<br />

voller Fragen, aber mit mehr wollte Barlow nicht herausrücken. Keine<br />

Ahnung, wie der alte Fuchs das gemeint hat. War das nun die endgültige<br />

Finte, um mich von dem Tagebuch weg<strong>zu</strong>kriegen? Hat er bei meiner Geschichte<br />

irgend einen Hinweis kombiniert, der mir entgangen ist? Vielleicht<br />

hat er auch ganz einfach die Wahrheit gesagt und er sitzt über einem<br />

Geheimnis mit einjähriger Karenzzeit. Wie auch immer, ilu könnt sicher<br />

sein, daß ich nächstes Jahr wieder runterfahre.<br />

Als wir dann auf dem Truck saßen und losfuhren, winkte mir Barlow<br />

nochmal nach und rief: » Wenn du nach <strong>Weinheim</strong> kommst, grüß mir den<br />

<strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>. - Und wenn du daheim in eine Kiwi beißt, denk an die Red<br />

Tower Plantation!«<br />

55


Zur Geschichte<br />

der Gerichte<br />

»Die zjvilisiertesten Völker sind für das Gift<br />

der Barbarei so anfällig wie das blanke Eisen<br />

für den Rost. Völker und Stahl, beide<br />

glänzen nur an der Oberfläche.« (Riv8rol)<br />

Rechtssprechung war immer eine Auslegungssache der Obrigkeit. Und sie<br />

war bis vor relativ kurzer Zeit immer vom »reinen Rachegedanken« beseelt.<br />

Merkwürdig der alte Name für »Galgen«: Hochgericht. <strong>Der</strong> <strong>Weinheim</strong>er<br />

Galgen stand außerhalb der Stadtmauern und war ein gemiedener<br />

Platz. Nur <strong>zu</strong> Hinrichtungen strömten die Leute aus den umliegenden Ortschaften.<br />

um sich das schaurige Schauspiel nicht entgehen <strong>zu</strong> lassen. Aber<br />

schließlich hatten sie ja auch noch keine Bild-Zeitung und kein TV.<br />

Sehr eigenartig jedoch dünkt es mir, daß jener ehemals verrufene Platz<br />

heute jener Ort in <strong>Weinheim</strong> ist, der nie <strong>zu</strong>r Ruhe kommt. Täglich fluchen<br />

Weinheirner und Durchreisende hier. als ob sie von den unruhigen Geistern<br />

ehemals Erhängter verfolgt würden.<br />

Wo dieser Platz ist? Bitte weiterlesen ...<br />

Das von König Ruprecht im Jahre 1404 der Stadt verliehene Recht, »daß die <strong>Weinheim</strong>er<br />

vor kein Landgericht oder königliches Hofgericht, noch vor irgend ein anderes<br />

Gericht geladen werden, sondern nur vor Bürgermeister und Rat ihrer Stadt <strong>zu</strong><br />

Gericht stehen sollen«, ging im Laufe der Jahrhunderte nach und nach verloren. (. .. )<br />

Als im Jahre 1561 entschieden wurde, daß in allen" Jurisdictionalibus et Judicialibus«<br />

nichts ohne Mitwirkung des landesherrlichen Beamten (des Stadtschultheißen) unternommen<br />

werden dÜIfe, WaI dem Stadtrat das einst verliehene Recht völlig aus<br />

der Hand genommen. Das Stadtgericht war <strong>zu</strong>r Rolle eines Untergerichts herabgesunken;<br />

nur kleinliche Beleidungssachen und Besitzstreiligkeiten blieben ihm übrig.<br />

Alles Wichtigere, insbesondere, wenn es um Leib und Leben ging, wurde nach Heidelberg<br />

weitergegeben.<br />

Als einzige Erinnerung an den einst der Stadt <strong>zu</strong>stehenden Blutbann blieb der Galgen<br />

stehen, der außer halb der Stadt nach der Ebene errichtet war. Das Gewann, auf<br />

dem der Galgen stand, heißt heute noch das Hochgericht und wird im Volksmund<br />

der Galgenbuckel genannt. Dabei lag das sogenannte Freigeding, d. h. Gerichtsplatz.<br />

Die heutige Gewannbezeichnung Freitag (Freidig) deutet noch darauf hin.<br />

Daß es an diesem Platz nicht geheuer war, konnte man vor wenigen Jahren noch<br />

hören. Einmal sah man einen Soldaten ohne Kopf dort wandeln, ein andermal war es<br />

ein Reiter, der auf einem Schimmel mit langer Mähne und Schwanz sich tummelte.<br />

Auch will man bis Milte des vorigen Jahrhunderts dort nachts zwischen 11 und<br />

12 Uhr öfters den Ruf gehört haben: »Ach Gott, ach Gott, hili.o: (9)<br />

56


<strong>Der</strong> Galgen bestand, wie heute an einem ähnlichen Bauwerk in Beerfelden<br />

noch <strong>zu</strong> sehen ist, aus drei steinernen Säulen, die etwa vier bis fünf Meter<br />

hoch auf einem dreieckigen Fundament aufgemauert waren. Diese Säulen<br />

waren mit dicken Holzbalken belegt, an denen Eisenketten befestigt waren.<br />

Über die Benüt<strong>zu</strong>ng des Galgens, der als Wahrzeichen des alten Rechts immer<br />

wieder von der Stadt aufgerichtet wurde, haben wir aus der früheren Zeit keine<br />

Nachricht. Auch über Hexenprozesse ist uns keine Nachricht überliefert. Aber wie<br />

überall, so dürften auch vor dem 17. Jahrhundert hier Hexen abgeurteilt und hingerichtet<br />

oder verbrannt worden sein. <strong>Der</strong> Hexenturm ist ein Zeuge jener dunklen<br />

Zeit. Stark benutzt wurde der Galgen in späterer Zeit nicht, höchstens wohl durch<br />

die hier fast ohne Unterbrechung vorbeiziehenden und einquartierten Truppen.<br />

Auch dürfte gelegentlich ein Todesurteil durch die Landesherrschaft hier vollstreckt<br />

worden sein. (9)<br />

Es ist auch nicht bekannt, wo genau die vielen <strong>Weinheim</strong>er Bürger, die einstens <strong>zu</strong>r<br />

»Turrnstrafe« verurteilt worden waren, ihre Strafe verbüßt haben. Im allgemeinen<br />

wurde der Name des <strong>Turm</strong>s bei Bekanntgabe der Strafe nicht genannt; wenn er<br />

aber genannt wurde, handelte es sich um den ROTEN TURM oder den Blauen Hut.<br />

Nur in einem einzigen Falle wurde im Jahre 1634 ein <strong>Weinheim</strong>er Bürger wegen Beleidigung<br />

eines Bürgermeisters und wegen übler Nachrede in den »Diebsturrn« gesetzt.<br />

(10)<br />

Nach dem Dreißigjährigen Krieg wurden erhebliche Bemühungen unternommen,<br />

wieder Ruhe, Sitte und Ordnung im Lande her<strong>zu</strong>stellen.<br />

Man darf wohl sagen, daß die Bevölkerung <strong>zu</strong>m erstenmale eine nachdrücklich gehandhabte<br />

Polizei kennen lernte. ( .. . ) Die Bierglocke sollte des Abends schon 8 Uhr<br />

geläutet werden, das Saitenspiel in den Wirtshäusern wurde verboten, Prasserei<br />

bei Hochzeiten und sonstigen Festlichkeiten wurden durch strenge Vorschriften<br />

bekämpft, namentlich aber wurden geschlechtliche Vergehungen mit überaus<br />

schweren Strafen bedroht. Es konnte nicht ausbleiben, daß da ein widerliches<br />

Hexenturm<br />

13 m<br />

Blauer<br />

Hut<br />

27 m<br />

Rathausturm<br />

39 m<br />

67<br />

Wlndedt<br />

2B m<br />

WadIenburg<br />

32 rn<br />

<strong>Rote</strong>r<br />

<strong>Turm</strong><br />

30m


Denunziantentum sich breit machte, und man hat gelegentlich auch den Eindruck,<br />

daß die langatmigen Protokolle, die man über einen Spinnstubenunfug oder über<br />

den Fehlhitt einer Bauernmagd aufnahm, ihren Gegenstand mit einem gewissen Behagen<br />

behandeln, so daß man billig zweifeln mag, ob die berufenen Sittenwächter<br />

und Sittenrichter im Grunde viel besser waren, als die armen Sünder, die ihnen unter<br />

die Hände kamen. Trotz alledem ist nicht <strong>zu</strong> zweifeln, daß die Strenge, mit der<br />

man der Sittenlosigkeit der Bevölkerung entgegentrat, im ganzen eine bessernde<br />

Wirkung doch allmählich ausübte. (1)<br />

Über im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> inhaftierte Missetäter berichten uns die drei nun folgenden<br />

Zeitungsberichte: über die verfolgten Straftaten, die Rechts-Zustände,<br />

die Strafen und die legendären Hinrichtungen aus dem Jahr 1662:<br />

Dunkle jagdgeschichten. - Die Ausübung der Jagd im Hemsbacher Bann war im<br />

16. und 17. Jahrhundert ein ständiges Streitobjekt. Im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> wurde manche<br />

Wilddieberei verhandelt. Niemand respektierte die Grenzen, die damals zwischen<br />

Pfalz, Mainz und Worms gezogen waren. Als ein Jäger von jenseits der Grenze einer<br />

Vorladung vor den Kadi in <strong>Weinheim</strong> nicht Folge leistete, erging von Heidelberg<br />

der Befehl, ihn »beim Kopf« <strong>zu</strong> nehmen. Als der Wormser Oberjäger Hans Schäfer<br />

auf <strong>Weinheim</strong>er Jagd ertappt wurde, ließ ihn der <strong>Weinheim</strong>er Keller Reineck durch<br />

vier Mann nach dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> bringen und hielt ihn 14 Tage in Gewalusam. Er<br />

mußte 20 Gulden Strafe zahlen, eine Kaution stellen und sein Schießgewehr <strong>zu</strong>rücklassen.<br />

Als Vergeltung wurde ein anderesmal der Hofbauer Hans Kraus aus Oberlaudenbach<br />

als ]agdhüter des <strong>Weinheim</strong>er Kellers vierzehn Tage in Heppenheim in<br />

den <strong>Turm</strong> gesetzt und mußte sein Pferd und Schießprügel <strong>zu</strong>rücklassen. (13)<br />

Ein dickköpfiger Nachbar. - Unweit des <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>es hatte im 17. Jahrhundert der<br />

Junker von Schmidtberg, ein hochfahrender Adliger, seinen Herrschaftssitz. Nach<br />

einem <strong>Weinheim</strong>er Ratsprotokoll vom Jahre 1654 hatte sich folgendes <strong>zu</strong>getragen.<br />

Am 1. März 1664 lag vor dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> ein »verreckter« Bock, der nach den Aussagen<br />

der »Fischersgret« aus dem Schmidtbergschen Anwesen geworfen wurde.<br />

Da sich der Adlige weigerte, das Aas <strong>zu</strong> entfernen, wurde der Rat der Stadt beauftragt,<br />

mit dem Junker gütlich <strong>zu</strong> verhandeln, da er als grober und aufurausender<br />

Mensch bekannt war. Führer der Delegation war der damalige Apotheker der<br />

Engelapotheke, Jost Christof Heinemann, der ab 1652 Ratsherr und ab 1655 Ratsbürgermeister<br />

war. Es gab lange Verhandlungen wegen dem toten Bock, aber beseitigen<br />

mußte ihn die Stadt. (13)<br />

Doch ist weiteres nicht unternommen worden. <strong>Der</strong> Vater des Junkers, der schon um<br />

1618 auf dem Hof beim <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> saß, war nach Aussage von Zeugen ein unruhiger,<br />

gottloser Mann und ließ oft mehr Vieh, als gestattet war, auf die Gemeindeweide<br />

treiben. Die, mit denen er <strong>zu</strong> tun hatte, besonders das Gesinde, das Lohn forderte,<br />

tractierte er mit einem Knobelspieß. Damals wurde von der Obrigkeit den<br />

Bürgern gestaltet, sich gegen ihn <strong>zu</strong> wehren und Hand an ihn <strong>zu</strong> legen, werm er den<br />

einen oder anderen schlage. (<strong>Der</strong> Rodensleiner 17/1950)<br />

Von der Hinrichtung direkt ist uns nichts überliefert. Im Jahr darauf mißlang<br />

ein Fluchtversuch aus dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>:<br />

58


Vom <strong>Turm</strong>e aus versuchte z, B. im jahre 1663 ein festgenommener <strong>Weinheim</strong>er Dieb<br />

und Ehebrecher, mit Hilfe eines langen Strohseiles in den Stadtgraben <strong>zu</strong> entkommen.<br />

Im letzten Augenblick konnte er aber von der Wache an der Flucht gehindert<br />

werden. Er bekam als Strafe ein halbes Jahr Zwangsarbeit in der Festung Mannheim.<br />

(16)<br />

Diese Geschichte war wohl auch die Grundlage jener netten Legende, die<br />

<strong>zu</strong> unserer Zeit in der <strong>Weinheim</strong>er Zeitung nach<strong>zu</strong>lesen war:<br />

Aus dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> ragt ein kleines steinernes Gebilde, das sicherlich manches<br />

aus der <strong>Turm</strong>geschichte erzählen könnte. Es war allerdings nicht der Platz, von dem<br />

aus auf Angreifer siedendes Pech gegossen wurde, sondern ganz einfach das Aborthäuschen<br />

der <strong>Turm</strong>wächter und der im <strong>Turm</strong> Eingesperrten. Wer im <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong><br />

seine Strafe abbüßte, hatte sich schon Schweres <strong>zu</strong>schulden kommen lassen. Das<br />

Alt-<strong>Weinheim</strong>er Protokollbuch berichtet. daß im 17. Jahrhundert ein der Blutschande<br />

angeklagter Bürger saß, ehe er ins Mannheimer Gefcingnis gebracht wurde. Als<br />

er eines Tages in dem kleinen <strong>Turm</strong>anbau verweilte, um einem eben auch für Gefangene<br />

menschlichen Drängen nach<strong>zu</strong>geben, ging unten auf der Straße ein Musikant<br />

vorbei. Seine Lieder gingen dem Häftling so <strong>zu</strong> Herzen, daß er schnell ein Seil<br />

aus Stroh knüpfte, sich durch die Abortlücke zwängte und schon halb im Freien war,<br />

als er entdeckt und in den <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong>rückgezogen wurde. (17)<br />

Pranger, Geige und Schnappkorb. - Die alten Ratsprotokolle berichten indessen<br />

auch von zahlreichen anderen Strafen als dem Tod am Galgen, der im 17. Jahrhundert<br />

in <strong>Weinheim</strong> mehrfach vollstreckt wurde. Als die Kurfürsten für ihre Bauten Arbeitskräfte<br />

brauchten, wurde die Todesstrafe meist in Zwangsarbeit verwandelt.<br />

Zum Zeichen dafür, daß ein Verbrecher gerade noch dem Henker entgangen war,<br />

wurde ihm das Henkersmal auf den Körper gebrannt. 1662 traf in <strong>Weinheim</strong> einen<br />

Dieb diese Strafe, aber es war kein geeignetes Galgen-Klischee <strong>zu</strong>r Hand: Ein<br />

Schlosser mußte es erst fertigen. Frevler, Diebe und Verleumder wurden »mit den<br />

Ruten ausgehauen« oder »gesteupt«, am Lästerstein, wie er in Birkenau und Schriesheim<br />

noch <strong>zu</strong> sehen ist, wurden Diebstahl, üble Nachrede und Vergehen gegen die<br />

Sittlichkeit mit stundenlangem Anketten gebüßt. Wegen .. greulicher Schmähworte<br />

gegen den Landesherrn .. wurde ein junges Mädchen mit Kopf und Händen in die<br />

Geige, ein eigenartiges Brett, eingespannt. Die Strafe des Schnappkorbs wurde vor<br />

allem am Stauwehr beim Hexenturm vollzogen, während die Daumenschraube und<br />

die Anwesenheit des Scharfrichters Geständnisse herbeiführen sollten. Die häufigste<br />

Strafe war Gefängnis in einem der Türme der Stadtmauer, Hier wurden allerdings<br />

nur Männer eingesperrt: Verurteilte Frauen kamen in die Betzenkammer im<br />

ersten Rathaus am oberen Marktplatz. Das Wort Betzen- oder Bötzenkammer kommt<br />

von der Dialektform Bötze und das bedeutete Hexe. Man darf annehmen, daß, wie in<br />

Mannheim, auch in der <strong>Weinheim</strong>er Betzen- oder Hexenkammer die in der Zeit der<br />

Hexenprozesse gebräuchlichen Folterinstnunente untergebracht waren. Besonders<br />

schwere Strafen waren die Landesverweisung oder auch nur die Ausweisung aus<br />

der Stadt. (<strong>Weinheim</strong>er Nachrichten)<br />

Um so länger mußten die» UntersuchungshäfUinge« im <strong>Turm</strong> ausharren.<br />

Inzwischen stand immer noch das Hochgericht als Wahrzeichen der Stadt einst<br />

wirklich <strong>zu</strong>gestandenen, dem Namen nach ihr immer noch <strong>zu</strong>stehenden Blutbannes.<br />

Ein einquartiertes Regiment erbat sich einmal im Jahre [712 den Galgen <strong>zu</strong>m<br />

60


Hängen zweier Deserteure. <strong>Der</strong> Rat wagte nicht, auf eigene Verantwortung <strong>zu</strong> verfügen,<br />

und fragte beim Oberamt um Erlaubnis: dem Regimentskommandeur aber<br />

war das <strong>zu</strong> langweilig, und er hängte die zwei Leute an einen beliebigen Pfahl, wo<br />

er sie beim Abmarsch hängen ließ. Nun beschwerte sich der Rat beim Oberarnt, indem<br />

er meinte, die Hunde würden die Leichen anfressen und toll davon werden.<br />

Was weiter daraus wurde, ist nicht ersichtlich. Vermutlich wußte auch das Oberamt<br />

keinen andem Rat, als die armen Sünder herunter<strong>zu</strong>nehmen und <strong>zu</strong> begraben.<br />

Aus dem Jahre 1787 stammt die erste und <strong>zu</strong>gleich auch die letzte Nachricht einer<br />

Hinrichtung an diesem Galgen. Im März wurde eine Maria Eva Paul(in) exekutiert.<br />

Was dieselbe verbrochen hatte, ist aus den vorliegenden Aufzeichnungen nicht ersichtlich.<br />

Wir sehen nur aus einern späteren Eintrag, daß diese Hinrichtung eine<br />

große Zahl Neugierige angezogen hatte, die in den angrenzenden Weinbergen großen<br />

Schaden verursachten. Einem der Eigentümer, dem Landwirt Peter Müller, bewilligte<br />

der Rat 12 Gulden als Entschädigung, eine für die damalige Zeit ansehnliche<br />

Summe, die auf den angerichteten Schaden und weiter auf das große Gedränge<br />

während der Hinrichtung schließen läßt. Was wir später über diesen Galgen hören.<br />

bezieht sich auf gelegentliche Wiederherstellung und auf Reparaturen an demselben.<br />

Meistens scheint er durch Mutwillen vorbeiziehender Truppen beschädigt<br />

worden <strong>zu</strong> sein. Die Einwohner hielten sich von dem verrufenen Platz fern. (00')<br />

Außer diesem, außerhalb der Stadt gelegenen Galgen wurde von Fall <strong>zu</strong> Fall, insbesondere<br />

in Kriegszeiten. ein zweiter in der Stadt errichtet und zwar aus Holz. <strong>Der</strong>selbe<br />

stand unten am Marktplatz beim Marktbrunnen. (I)<br />

Die letzte Hinrichtung arn Marktplatz war wohl die Enthauptung der Verbrecherin<br />

Anna Maria Günther im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts.<br />

Bis <strong>zu</strong> seinem Abbruch im Jahre 1807 wurde der Galgen notdürftig unterhalten.<br />

Dann wünschte das badische Amt <strong>Weinheim</strong>, daß der Platz, auf dem Ddie dem jetzigen<br />

Zeitgeist nicht mehr angemessenen Säulen eines Galgens« stehen. "in eine andere<br />

Gestalt gebracht werden möge." (WN)<br />

In der Tat fand man eine dem heutigen Zeitgeist angemessene Nut<strong>zu</strong>ng für<br />

den ehemaligen Standplatz des Hochgerichts - um auf die anfangs gestellte<br />

Frage <strong>zu</strong>rück <strong>zu</strong> kommen.<br />

Er stand an der höchsten Stelle der Straßenkreu<strong>zu</strong>ng B 3/Mannhei.mer<br />

Straße, an der OEG-Brücke. Dort, wo tägliche Staus Autofahrern die Zornesfalten<br />

auf der Stirn tiefer furchen. Dort, wo Bremsen quietschen, Gaspedale<br />

durchgedrückt und Punkte für Flensburg gesammelt werden.<br />

Vielleicht beruhigt es Autofahrer im Stau und vor der roten Ampel <strong>zu</strong><br />

wissen, daß ihre Situation, wo es doch meist nur um Minuten geht, ungleich<br />

besser ist als die jener Menschen damals, die dort Kopf & Kragen ließen.<br />

Merkwürdig sind diese städtebaulichen Methoden der Karma-Aufarbeitung<br />

allemal.<br />

61


Gauner, Gott und Galgen<br />

Beispiele christlicher Rechtssprechung aus drei Jahrhunderten<br />

»Wir sind nOlhwendig. Gott gibt uns das Dasein,<br />

schickt uns in die Weil, auf daß wir die Geizigen,<br />

die ungerechten Reichen bestrafen: wir gestalten<br />

uns <strong>zu</strong> einer von Gott ausgehenden Plage. Wo<strong>zu</strong><br />

soUten auch die Richter dienen, wenn wir nicht<br />

wären? (Damian Hesse1, ein 1809 verurteilter<br />

Ri!luber, im Gespräch mit dem lnsfructionsrichler)<br />

Die folgenden Urteile und Strafen stammen aus der Zeit zwischen 1500 und<br />

1800, also der Zeit, in der der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> als Kerker diente. Diese Urteile<br />

sind <strong>zu</strong>m größten Teil aus Reichelsbach und Heppenheim, da ich entsprechende<br />

Unterlagen <strong>zu</strong>r <strong>Weinheim</strong>er Gerichtsbarkeit nicht finden konnte.<br />

1569: Dietterich Weyrich von Neckar-Wimmersbach, früher <strong>zu</strong>m Landesverweis<br />

verurteilt, wm:de in Hambach aufgegrüfen. Er entschuldigte sich, daß er nicht gewußt<br />

habe, daß Hambach pfalzisch sei. Zur Strafe wurden ihm wegen seines Eidbruchs<br />

die beiden »vorderen Finger der rechten Hand" (die Schwurfinger) abgehauen.<br />

1571: Valtin Bauß von Ellrich, angeklagt des Siegeldiebstahls und der Fälschung,<br />

wurde <strong>zu</strong>r Strafe das rechte Auge ausgestochen. Da<strong>zu</strong> erhielt er obendrein Landesverweis.<br />

1573: Jacob Mewrer, Bürger <strong>zu</strong> Heppenheim, angeklagt der Not<strong>zu</strong>cht an einigen<br />

jungen »Mägdlein«, wurde geköpft.<br />

1574: Hanß Metzler von Heiligkreuzsteinach, angeklagt des Diebstahls von acht<br />

Gulden und einiger geringer Sachen, erhielt beide Ohren ganz abgeschnitten und<br />

wurde des Landes und der Bistümer Wonns und Speyer verwiesen.<br />

1594: Ungenannte Täter (der Prozeß ist nicht ganz überliefert) wurden, weil sie <strong>zu</strong>viel<br />

Unrecht wider die göttlichen Gebote und die Gesetze begangen hatten, streng<br />

bestraft. Sie sollten auf der Richtstätte lebendig in vier Teile geteilt werden. Auf ihre<br />

Bitten wurde das Urteil gemildert. Sie wm:den mit dem Schwert enthauptet und<br />

dann gevierteilt und die Leiber auf vier Straßen <strong>zu</strong>m abschreckenden Beispiel aufgehängt.<br />

(5)<br />

Die Urteile wurden zwar im Namen Gottes gefällt, aber die Ausführenden<br />

gehörten selbst in der Kirche beim Gottesdienst lIin die Eck«.<br />

Die Scharfrichter zählten an erster Stelle <strong>zu</strong> den unehrlichen Leuten. Die Grunde<br />

hierfür mögen darin liegen, daß dieses Amt urspIiinglich von Unfreien ausgeübt<br />

wm:de. Dann aber war mit diesem Amt die verhaßte Folter verbunden, und endlich<br />

waren sie <strong>zu</strong>gleich auch Abdecker und Schinder.<br />

So waren die Scharfrichter weitgehend von dem Verkehr mit der Bevölkerung abgeschnitten.<br />

Jede Berührung mit ihnen galt als schimpflich. Sie trugen daher auch<br />

62


esondere Kleidung und selbst in der Kirche hatten sie einen besonders abgelegenen<br />

Platz inne. Selbst das Abendmahl genossen sie allein und <strong>zu</strong>letzt. So auf ihresgleichen<br />

angewiesen, bildeten sich Scharfrichterfamilien oder SchelmenzÜIlfte, die<br />

über ein größeres Gebiet verbreitet waren. Seine frau nahm ein Scharfrichter nur<br />

aus einer Scharfrichterfamilie, die Söhne heirateten Töchter von Scharfrichtern<br />

oder, wenn es möglich war, noch lieber eine Scharfrichterswitwe, um so wieder in<br />

eine Scharfrichterei hinein<strong>zu</strong>korrunen. (S)<br />

Auch der Scharfrichter war rot gekleidet. Ursprünglich war er ein "Opfernder«,<br />

Stellvertreter einer Gottheit, die ein solches Opfer verlangt. Daher trug der Scharfrichter<br />

wie viele andere Darsteller von Göttergestalten eine Maske. In roter Maske<br />

war er ein »anderer«. Erst in später Zeit war Henker <strong>zu</strong> sein ein verabscheUlmgswürdiger<br />

Beruf. Besonders sinnwidrig ist die Deutung, der Henker habe eine Maske<br />

getragen, damit er »unerkannt bleibe«. Dies wäre in sehr großen Städten möglich<br />

gewesen, von denen es im Mittelalter nur wenige gab. In kleineren Orten blieben<br />

sehr oft die Namen der Scharfrichter bekannt bis auf den heutigen Tag. Es gab<br />

sogar ganze Geschlechter, die diesen schaurigen Beruf ausübten. Es war im Mittelalter<br />

allgemeine Anschauung, daß der Scharfrichter nicht als einfacher Bürger den<br />

Spruch des Gerichtes vollzog, sondern als ein besonderes, über persönliches Wesen<br />

handelte, das den Delinquenten <strong>zu</strong> »opfern« hatte, damit der Gerechtigkeit Genüge<br />

geschah.<br />

Bis in die Zeit der Aufklärung war der »rote Henker« ein Mensch »jenseits von Gut<br />

und Böse«. Er blieb furchterregend, ehrfurchtgebietend und verabscheuungswürdig<br />

<strong>zu</strong>gleich.<br />

Wir sollten nicht vergessen, daß z. B. bei den Germanen Priester opferten und Wodan<br />

der Gott der Gehenkten war. Jungmännerbünde trafen sich oft unter dem Galgen.<br />

Noch im 20. Jahrhundert wurde für den Strick des Gehenkten eine hohe Summe geboten;<br />

das Todesrequisit sollte Glück bringen. (24)<br />

Eine Vierteill1I1g im 16. Jahrhundert.<br />

63


Aus Bensheim ist uns eine Beschreibung der Aufgaben des Wasenmeisters<br />

aus dem Jahr 1746 überliefert:<br />

»Er hat demnach bei Examinierung der MaliflZpersonen nach denen gradibus mit<br />

Binden, Daumeisen und Beinschrauben, auch wirklichen Foltern unparteiisch <strong>zu</strong> torpuieren,<br />

und was er bei solchen Fragen oder mündlichen SChreckungen hören und<br />

erfahren wird, bei sich geheim <strong>zu</strong> halten und niemand etwas davon <strong>zu</strong> offenbaren,<br />

noch den Seinigen solches <strong>zu</strong> gestatten. Ferner soll er nach gefälltem Urteil die Malefizpersonen<br />

seinem Amt und Nachrichtendienst gemäß mit Ruten ausstäupen, mit<br />

dem Schwert hinrichten, henken, rädern, vierteilen, verbrennen, mit glühenden<br />

Zangen zwicken, und wie dergleichen Urteile gefaUtet werden möchten, dabei aber<br />

niemand verkürzen, sondern sein Amt verrichten, als sich gebühret.«<br />

"Als Belohnung fUr die Nachrichterdienste soll er vom Zentschultheiß erhalten:<br />

1. von dem Daumenstock an<strong>zu</strong>legen 111. (= Gulden) 30 kr(euzer); 2. die Beinschrauben<br />

an den Fuß <strong>zu</strong> legen 3 0.; 3. vom Zug 3 0.; 4. wann er die peinlichen Instrumente<br />

mu vorlegt und damit terriert 1 fl. 30 kr.; 6. wann der Delinquent <strong>zu</strong>gleich gezwickt<br />

und gebrannt wird 3 fl; 6. von einem an das Halseisen oder den Pranger mit der Ruten<br />

in der Hand <strong>zu</strong> stellen I 11. 30 kr.; 7. mit Ruten aus<strong>zu</strong>stäupen oder das Zeichen<br />

auf<strong>zu</strong>brennen 3 11; 8. <strong>zu</strong> köpfen oder <strong>zu</strong> erhenken 611.; 9. auf das Rad <strong>zu</strong> legen und<br />

<strong>zu</strong> rädern 3 fl.; 10. für einen, der sich selbst ums Leben gebracht, 5 11.; 1 1. von einem<br />

<strong>zu</strong> verbrennen 5 11.; 12. vom Strangulieren S fl.; 13. von einem Justifizierten wieder<br />

vom Gericht ab<strong>zu</strong>nehmen 6 0.; 14. einem Nase oder Ohren ab<strong>zu</strong>schneiden 3 fl.;<br />

15. einem die Hand ab<strong>zu</strong>hauen 3 11.; annehst er aber, wann er dergleichen Exekution,<br />

absonderlich zwn Tod, verrichten tut, für sich und diejenigen, so ilun helfen,<br />

die freie Zehrung <strong>zu</strong> empfangen hat.«<br />

»Im Domhof« <strong>zu</strong> Heppenheim »war in neueren Zeiten noch eine Folterkammer mit<br />

der Jungfrau <strong>zu</strong> sehen.« Hier wurde auch noch ein altes »Frevel-Protokoll« gefunden.<br />

Wer die oben angeführten, gerade<strong>zu</strong> unmenschlichen Arten der Tortur, Bestrafung<br />

und Hinrichtung liest, fühlt sich unmittelbar vom finsteren Mittelalter wngeben. Dabei<br />

fanden gerade Hinrichtungen gewöhnlich unter großem Andrang des Volkes<br />

statt. Berichtet doch das Bensheimer Kirchenbuch, daß im Oktober 1682 bei der<br />

Hinrichtung eines Ehepaares aus Auerbach, das Straßenraub getrieben hatte, ein<br />

junger Mann aus Bensheim im Gedränge totgedliickt wurde. (5)<br />

Natürlich gab es auch eine Palette leichterer Strafen. Sehr beliebt war der<br />

Landesverweis. Sollten doch die Nachbarn mit den Missetätern fertig werden.<br />

Im 19, Jahrhundert Willde manche lebenslange Haftstrafe umgewandelt:<br />

bei guter Führung wurde der Häftling mit der Bedingung entlassen,<br />

nach Amerika aus<strong>zu</strong>wandern. Für die Heimatgemeinde war so eine Ausweisung<br />

das billigste; man sparte Gefängnisse und Personal und brauchte<br />

keine Angst vor Wiederholungstaten <strong>zu</strong> haben. Dies führte allerdings im<br />

19. Jahrhundert <strong>zu</strong> diplomatischen Verwicklungen zwischen Hessen und<br />

Amerika.<br />

64


Flora und Fauna im, am<br />

und auf dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong><br />

Im 18. Jahrhundert war der Stadtmauer am <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> ein Zwinger vorgelagert,<br />

in dem seltene Tiere wie Bären und Wölfe gehalten wurden. So bot<br />

man der WelIlhelmer Jugend eine Art Zoo, den man von der Stadtmauer<br />

aus einsehen konnte. Daher heißt der dem <strong>Turm</strong> vorgelagerte Platz auch<br />

heute noch im Volksmund »Bärenzwinger«.<br />

Bald nach der »Entvölkerung« des ehemaligen Kerkers ließ die Stadt<br />

auf <strong>Turm</strong>es Spitze ein Storchennest bauen, das für fast 100 Jahre gerne von<br />

Familie Adebar genutzt wurde. Auf 300 Jahre alten Bildern können wir erkennen,<br />

daß es schon vorher ein Storchennest auf einem Nachbarhaus gab.<br />

Als vor vielen Jahren das Nest leer blieb, untersuchte man es, fand eine<br />

Mäusefamilie darinnen und siedelte diese um. Worauf die Störche wieder<br />

<strong>zu</strong>rückkehrten. 1946 kamen sie <strong>zu</strong>rück, ohne das Nest <strong>zu</strong> beziehen (14).<br />

Im Jahr darauf, <strong>zu</strong>m ersten Nachkriegs-Sommer<strong>zu</strong>g, beglückten sie<br />

dann alle <strong>Weinheim</strong>er: pünktlich <strong>zu</strong>m Frühlingsfest-Um<strong>zu</strong>g nisteten sie sich<br />

nach einer Ehrenrunde über die Stadt wieder ein. Das Storchenglück<br />

währte jedoch nur noch fünf weitere Jahre, danach mieden sie das Nest auf<br />

dem <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> und die Umgebung; sie fanden wegen der <strong>zu</strong>nehmenden<br />

Landerschließung nicht mehr genug <strong>zu</strong> fressen. Wohin sie wohl emigriert<br />

sind? Sie waren die Botschafter <strong>Weinheim</strong>s, die alljährlich nach Kleinasien,<br />

über den Nil bis nach Afrika reisten.<br />

Auf Veranlassung Wilhelm Fabricius' hin wurde das Storchennest 1952<br />

inspiziert und erneuert. So berichtet der »Rodensteiner« 1/1953:<br />

»<strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> 'TUrm hat in der letzten Zeit viel von sich reden gemacht. Zuerst<br />

wurde allgemein bekannt, daß sich kein Storch mehr da<strong>zu</strong> entschließen<br />

wollte, auf seiner Spitze sein Quartier auf<strong>zu</strong>schlagen. Infolge davon<br />

mußte man, wohl oder übel. das alte und sehr änderungsbedürftige Nest<br />

herunternehmen und den reichlichen >Inhalt< wegschaffen. Ferner hat man<br />

den gar <strong>zu</strong> üppig ins Kraut geschossenen Hollunderbaum, der auf der Höhe<br />

gewachsen war, absägen müssen, damit seine Wurzeln das Mauerwerk<br />

nicht auseinander sprengten.«<br />

Auch die Tagespresse berichtete interessiert:<br />

»Die in der letzten Zeit durchgeführte Erneuerung des Storchennestes<br />

ist übrigens <strong>zu</strong> Ende geführt. Ein ganzer Wagen voll Dreck mußte aus dem<br />

Nest entfernt und fortgebracht werden. Die <strong>Turm</strong>fläche vom Kranz bis <strong>zu</strong>m<br />

Nest, immerhin noch nahe<strong>zu</strong> zehn Meter, wurde glatt zementiert, so daß<br />

das Nest also auch nicht von Ungeziefer erreicht werden kann. Bekanntlich<br />

66


wurde das Nest in den letzten Jahren von Störchen nicht mehr angenommen.<br />

Hoffen wir, daß darin nach der gründlichen Reinigung eine Änderung<br />

eintritt und daß Freund Adebar im kommenden Frühjahr das Nest wieder<br />

bezieht.« (12)<br />

Am 9. März 1969 bemühte sich die Freiwillige Feuerwehr <strong>Weinheim</strong><br />

noch einmal mit der Erneuerung des Storchennestes, wie ein Foto aus ihrer<br />

Jubiläumsschrift dokumentiert. Aber die Störche blieben fern.<br />

Was geblieben ist, sind die Tauben, im Volksmund auch »Fliegende<br />

Ratten« genannt. Schon 1829 wurde behördlich angeordnet, diese ab<strong>zu</strong>schießen,<br />

aber bis auf den heutigen Tag sind sie die wahren Beherrscher<br />

des <strong>Turm</strong>es. So war es dem Chronisten vergönnt, fünf Müllsäcke mit Taubenkot<br />

aus dem oberen Turrnbereich <strong>zu</strong> schaufeln, der sich durch die<br />

defekte Tür im Laufe von Monaten angesammelt hatte, bevor er mit dem<br />

Schreiben anfangen konnte.<br />

Dafür gibt es aber keine Ratten & Mäuse mehr, wie <strong>zu</strong> Kerkerzeiten. Im<br />

<strong>Turm</strong> spinnen ein paar Spinnen und in jedem Stockwerk scheinen ein Dutzend<br />

schwarzer Käfer <strong>zu</strong> hausen.<br />

Selten ergänzt sich rot/grün so harmonisch wie der wilde wuchernde<br />

Wein an der Südseite des <strong>Turm</strong>s. Das Grün rankt sich sommertags inzwischen<br />

bis <strong>zu</strong>m Klohäuschen empor.<br />

66


<strong>Der</strong> WeinWllchs am <strong>Turm</strong>, von l1Ilten und von oben (durchs Kloloch).<br />

67


Künstler erobern<br />

den <strong>Turm</strong><br />

Entledigt seiner Aufgaben als Befestigungsanlage und Kerker, stand der<br />

<strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> lange Jahre ungenutzt und leer. In der Tat ist es nicht einfach,<br />

solch ein dickmauriges Gebäude mit steilen, engen Treppen und ohne<br />

Wasseranschluß & Toilette mit Leben <strong>zu</strong> erfüllen.<br />

Was liegt da näher, als Künstler mit der Beseelung solch eines Ortes <strong>zu</strong><br />

beauftragen?<br />

Im Laufe von zwanzig Jahren haben nun viele Künstler ihre Werke im<br />

<strong>Turm</strong> ausgestellt, mit unterschiedlichem Erfolg. Manche haben bleibende<br />

Spuren hinterlassen, für andere war es nur eine Sprosse auf der Erfolgsleiter.<br />

Aus der .A.rchivkiste hier nun einige Zeitungsmeinungen <strong>zu</strong>r Kunst im<br />

<strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>. Angefangen bei der Künstlergruppe »Spirale« im Jahr 1971,<br />

über die Reaktivierung des <strong>Turm</strong>s durch Norika Nienstedt hin bis <strong>zu</strong> den<br />

Aktivitäten des »Freundeslaeises <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>«, auf galeristischer Ebene<br />

vertreten durch Sharon Levinson und Elgin Holtey.<br />

Ein großer Wurf gelang 1987 Norika Nienstedt mit ihrer Ausstellung<br />

»BLAU«, Im Jahr <strong>zu</strong>vor war ihre Ausstellung mit Bertram Jesdinsky schon<br />

bemerkenswert gewesen, nicht nur wegen der <strong>Turm</strong>-Briefmarken und -<br />

Stempel sowie dem bemerkenswerten Bild vom <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong>. Die Ausstellung<br />

»BLAU« zog jedoch solche Kreise, daß die Stadt Heidelberg sich davon<br />

zwei Jahre später für eine eigene Großschau »BLAU« inspirieren ließohne<br />

Frau Nienstedt da<strong>zu</strong> offiziell ein<strong>zu</strong>laden. Aber so is1's wohl leider meistens,<br />

wenn die Großen von den Kleinen abkupfern.<br />

Weiterhin noch herausragend multimediale Ereignisse wie im Jahr 1987<br />

Susanne KlippeIs Ausstellung von Zeichnungen und Objekten mit dem Titel<br />

"Zion Fire«, <strong>zu</strong> der im Modernen Theater ihr Film »Die Reise des Pilgrim<br />

No. 1« Welturaufführung hatte. Es geht dabei um eine Voodoo-Initiation in<br />

Grenada.<br />

Die Künstler hatten jedoch nicht nur Erfolgserlebnisse im <strong>Turm</strong>. Michel<br />

Meyer erzählte dem Chronisten, wie es ihm bei seiner Ausstellung erging.<br />

»Erst fand ich das ja ganz toll, daß so viele Leute <strong>zu</strong>r Ausstellung kamen.<br />

Aber dann stellte ich fest, daß die meisten an meinen Bildern gar nicht interessiert<br />

waren, sondern einfach mal den Twm besteigen wollten.« <strong>Der</strong><br />

Frust der jungen Jahre.<br />

69


WEINHEIM<br />

Rundblick über die Altstadt wieder möglich:<br />

Kunst gab <strong>Weinheim</strong>em ihren <strong>Turm</strong> <strong>zu</strong>rück<br />

Neue Galerie öffnete im reXJovierten <strong>Rote</strong>n <strong>Turm</strong> Ihre Pforten<br />

Freundeskreis <strong>Rote</strong>r <strong>Turm</strong>: Gästebuch der Galerie; 1/1980-88.<br />

74


Hauptstraße 6/<br />

6940 WemfleIm<br />

1it 0620 { /52 155<br />

Alfred<br />

BUCHHANDLUNG<br />

<strong>Weinheim</strong>· Fußgängerzone<br />

Tel. 06201/12207<br />

77


Lieferbare Bücher<br />

von Werner Pieper<br />

Heidelberg <strong>zu</strong>r Stunde Null<br />

Dokumente, Fotos und Augenzeugenberichte über eine unzerstörte Stadt 1945<br />

Warum wurde Heidelberg nicht bombardiert? Warum wurden die Headquarters der<br />

US-Streitkräfte nach Heidelberg verlegt? Stammen Eisenhowers Vorfahren wirklich aus<br />

dem Odenwald? Wie verlief das tägliche Leben 1945?<br />

Auf 140 Seiten ist Herausgeber Wemer Pieper diesen und anderen Fragen nachgegangen.<br />

Ein lokaler Bestseller. 15,80 DM<br />

Mark Twain . Ein Amerikaner in Heidelberg<br />

Twain's Bummel durch Deutschland 1878.<br />

Mit Dokumenten, Kommentaren und Illustrationen versehen von Werner Pieper.<br />

DER GRÜNE ZWErG lO2<br />

Mark Twain verbrachte mehrere Jahre in Europa, besuchte Berlin, München, Frankfurt<br />

und lebte mehrere Monate in Heidelberg (wo er am »Huckleberry Finn« arbeitete).<br />

Hier finden sich erstmals (fast) alle Texte, die er über seinen Deutschlandaufenthalt<br />

geschrieben hat. Die berühmte »Floßfahrt auf dem Neckar« ebenso wie seine brillante<br />

Abhandlung über die deutsche Sprache, seine Beobachtungen von »schlagenden Verbindungen«<br />

ebenso wie einen Bierabend beim Kaiser. Das ganze reichhaltig mit erklärenden<br />

Randbemerkungen und einer Vieizahl Illustrationen versehen. Im Anhang<br />

finden sich Beiträge von Helen Keller und Karl Kraus über Twain. »Eine hervorragend<br />

editierte Ausgabe ... für all die Leute, die witzige Bemerkungen über unser Volk schätzen«<br />

(Hologramm). "So viel Witz und Lust und Laune wie Werner Pieper bringen Herausgeber<br />

für ein Buch selten auf ... « (RNZ). 220 stark illustrierte Seiten 24 DM/SFR<br />

Das Stempel Buch Von der Demokratisierung eines Mediums.<br />

Ernährung & Bewußtsein <strong>Der</strong> Naturkost Klassiker.<br />

WeitBeat Über zeitgenössische Klänge aus aller Welt.<br />

Widersteh' Dlchl Das Buch der Handlungen.<br />

Das Scheiss Buch Entstehung, Nut<strong>zu</strong>ng & Entsorgung von Fäkalien.<br />

Brain Tech Über Mind Machines & Bewußtsein.<br />

Helen Keller Blind, taub und optimistisch.<br />

Ene Mene Mopel - die Nase & der Popel Das Nasenbohrerbuch - u. a. m.<br />

Diese und weitere Bücher, Motivstempel & Cassetten findet<br />

man im kostenlosen )j Wundertüten-Katalog«, <strong>zu</strong> beziehen durch<br />

Medienexperimente . Alte Schmiede· 6943 Löhrbach<br />

Telefon (06201) 2 12 78 . Fax (06201) 2 25 85<br />

78


Lieferbare Bücher<br />

von Wilhelm Fabricius:<br />

Wilhelm Fabricius . Die Liebe Gottes<br />

Vom Träger der <strong>Weinheim</strong>er Bürgermedaille, Ober-Forstmeister<br />

Wilhelm Fabricius: Schwierige Stellen des Neuen Testaments, durch<br />

Überset<strong>zu</strong>ng des griechischen Urtextes einleuchtend.<br />

DER GRÜNE ZWEIG 96<br />

Bislang war das Neue Testament nur wörtlich übersetzt worden, hier wird nun auch die<br />

Symbolik mit entschlüsselt, und plötzlich schwindet der »göttliche Druck« - Mitverantwortung<br />

statt Strafe.<br />

»Ein alter Förster liest auf seine Weise die Bibel. Viele Theologen können da manches<br />

für ihre Predigten lernen. Theologen haben aber meist schon früh ausgelernt. Andere<br />

lernen nie aus. Für diese Sorte Mensch ist das Bändchen. « (Erde + Kosmos)<br />

ISBN 3-922708-96-X 80 Seiten 9,80DMlSFR<br />

Wilhelm Fabricius . Geister und Abergeister<br />

Eine PSYChologie der Einheit des Lebens,<br />

des fröhlichen Miterlebens und der Mitverantwortung.<br />

DER GRÜNE ZWEIG 58<br />

Die Einheit allen Lebens, die Rückbesinnung und Wachrüttelung des Menschen auf seinen<br />

Ursprung, mH dem Ziel, eine höhere Evolutions- und Bewußtseinsslufe <strong>zu</strong> erreichen,<br />

daran ist dem Forstmeister Fabricius in der Tat gelegen. Das religiös-magische Weltbild<br />

alter Völker mit ihren Naturgeistwesen aus den vier Elementen Luft, Wasser. Feuer<br />

und Erde wird ebenso lebendig wie phantastische TIergestalten als uralte Bilder<br />

menschlicher Denkweise. Mit 10 Holzritzbildern des Autors.<br />

ISBN 3-922708-58-7 156 Seiten 17.50 DM/SFR<br />

Wilhelm Fabrlclus . Die Rappenreiter<br />

Erzählungen von berühmten Pferden und ihren Reitern aus Sage und Geschichte.<br />

"<strong>Der</strong> passionierte Forstmann blieb hier seinem Metier treu und bietet ein Paradestück<br />

seiner Fahulierkunst. Mit sechs Erzählungen von berühmten Pferden und ihren Reitern<br />

filhrt er den Leser in eine wundersame Welt. Pegasos, Bukephalas und Alexander. der<br />

Rappe des Arm in ius, Weg1am, das Botenroß zwischen Altertum und Mittelalter. Bajart<br />

und die Haimonssöhne. die abenteuerliche Bußfahrt des Herrn von Zollern.<br />

Jeder Erdverhaftete fühlt sich in höhere Sphären versetzt, wenn so gekonnt wie hier der<br />

Phantasie Schwingen verliehen werden." (<strong>Weinheim</strong>er Nachrichten)<br />

Restauflage, Hardcover. 144 Seiten 20 DMlSFR<br />

Medienexperimente . Alte Schmiede· 6943 Löhrbach<br />

Telefon (06201) 2 1278· Fax (06221) 2 25 85<br />

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Bel uns wird niemand<br />

im Regen fotografiert.<br />

Wir haben Immer Sonne<br />

im Studio.


»<strong>Der</strong> <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> - die schönste<br />

Zierde der Gegend. «<br />

Heimatforscher A L. Grimm<br />

Seit gut 700 Jahren wacht der <strong>Rote</strong> <strong>Turm</strong> über die Stadt, aber<br />

nur wenige Bürger wissen Näheres über seine Geschichte,<br />

sein Inneres und seine Insassen im Laufe der Jahrhunderte:<br />

• Wie erfolgreich war der <strong>Turm</strong> als Stadtbefestigung?<br />

• Wer wurde im dortigen Kerker inhaftiert?<br />

• Wie sieht es heute im <strong>Turm</strong> aus?<br />

• Woher kommt der Name?<br />

• Wer war Jonathan Wolrab?<br />

• Wie lange wohnten Störche auf dem <strong>Turm</strong>?<br />

• Was trieben die Hitlerjugend, die ev. Jungenschaft<br />

und die Künstler im <strong>Turm</strong>?<br />

Antworten auf diese und andere Fragen finden sich in diesem<br />

Buch. Außerdem eine Stadtchronik über das "Wachsen<br />

und Werden <strong>Weinheim</strong>s« , ein Kapitel über "Götter, Gauner<br />

& Galgen« (wo stand der <strong>Weinheim</strong>er Galgen?); viele Dokumente,<br />

über 30 Abbildungen u. v. a. m.<br />

»So viel Witz und Lust und Laune wie Werner Pieper<br />

bringen Herausgeber für ein Buch selten auf . . «<br />

ISBN 3-922708-11-0<br />

Rhein-Neckar-Zeitung<br />

10DM

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