Leitfaden
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Fallbeispiel Anton Kolig<br />
Männliche Erotik, sexualisierende Inszenierungen bietet im Gegensatz dazu Anton Kolig mit<br />
seinen Darstellungen junger Männerakte, die den Inszenierungen weiblicher Aktdarstellungen<br />
ähneln. Schlafende oder abgewandte Gesichter ohne Gegenblick, die eine unbeobachtete Betrachtung<br />
erlauben.<br />
Anton Kolig wird kaum als einer der bedeutendsten,<br />
österreichischen Künstler des 20. Jahrhunderts rezipiert.<br />
Der Grund hierfür dürfte einerseits darin liegen,<br />
dass<br />
„...sich Kolig in seinem Œuvre vor allem dem männlichen<br />
Akt widmet, einem Thema, das (...) im 19. und<br />
20. Jahrhundert jedoch durch die Dominanz des<br />
weiblichen Aktes verdrängt wird.“ (Natter/Hollein<br />
2005: 193)<br />
Anton Kolig,<br />
Auf dem Rücken liegender männlicher Akt, Modell<br />
Leutnant Günther Rall, 14. Juni 1939,<br />
Albertina, Wien<br />
und andererseits durch die Assoziation mit homoerotischem Begehren, die diese Bilder wecken.<br />
Ein „künstlerisches Begehren“ (ebd.), das häufig als skandalös tabuisiert wird – damals wie heute.<br />
In Koligs umfassendem Werk finden sich auch Identifikationsangebote für jugendliche Männer<br />
ohne Heldenpathos, wenngleich der Künstler hauptsächlich Männer portraitiert, die dem klassischantiken<br />
Schönheitsideal entsprechen. Die melancholischnachdenklich<br />
oder auch unsicher wirkenden jungen Männer<br />
kommen der Realität der meisten Jugendlichen wohl näher als<br />
die Heldeninszenierungen der Antike und Historienmalerei.<br />
Schöne Beispiele dafür bietet die Sammlung Leopold in Wien<br />
mit dem sitzenden Jünglingsakt „Am Morgen“, 1919 und dem<br />
Gemälde „Jüngling mit Amor“, 1911.<br />
Anton Kolig,<br />
Am Morgen (Sitzender Jünglingsakt), 1919<br />
Sammlung Leopold, Wien<br />
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eigene, selbstbestimmte Sexualität und damit verbunden eigene Lebensentwürfe, wird diesen<br />
Frauen verwehrt. Darstellungen dieser jungen, als „triebhaft“ bezeichneten Frauen werden in<br />
Auftrag gegeben und gut verkauft. Egon Schiele malt wiederholt androgyne, kindlich wirkende,<br />
nackte Frauen. Die Inszenierungen junger Frauen und Mädchen in masturbierenden oder erotisierenden<br />
Positionen an der Grenze der Pornographie sind ein nicht unwesentlicher Bestandteil der<br />
Kunst Egon Schieles.<br />
Egon Schiele stellt die junge Frau kindlich, einerseits<br />
zerbrechlich in ihrer Körperlichkeit, andererseits kokett<br />
in ihrer Haltung dar. Er betont in seinen Aktdarstellungen<br />
häufig die erogenen Zonen der Körper und hebt sie<br />
mit roter Farbe hervor, wohl auch, um die erotisierende<br />
Wirkung dieser Darstellungen zu erhöhen. Lippen,<br />
Brüste und Genital werden durch diese Farbgebung<br />
zum Blickfang. Die Farbe lenkt den Blick. An die<br />
Grenze der Pornographie rückt Egon Schiele nicht nur<br />
mit farblichen Mitteln, sondern auch durch Verzerrung<br />
und Perspektivverschiebungen.<br />
Egon Schiele,<br />
Schwarzhaariger Mädchenakt, stehend, 1910,<br />
Albertina, Wien<br />
In dem Bild „Mädchen mit hochgeschlagenem Rock“ (siehe Seite 18) von 1911 sind die Augen<br />
geschlossen und die dargestellte Frau damit anonymisiert. Durch die verzerrte Perspektive, die<br />
überdimensionale Darstellung des Genitals und die Farbgebung wird der Blick gefesselt. Die Betrachter/innen<br />
können nicht anders als hinsehen.<br />
Voyeurismus und pornographischer Subtext liegen in der anonymen Unverbindlichkeit. Der fehlende<br />
„Gegenblick“ ermöglicht ungestörtes Schauen. Im „Gegenblick“ äußern sich eigene Wünsche<br />
und Aktivität. Die Frau würde dadurch wieder zum Subjekt. Bilder von Frauen mit zurückgeneigtem<br />
Kopf, geschlossenen Augen oder anderen Blickrichtungen lassen die Zuschauer/innen<br />
ungestört. Frei von Schuldgefühlen kann der Betrachtung Raum gegeben werden. Ohne Andeutung<br />
einer Umgebung oder Einbindung in einen Sinneszusammenhang wird die Frau mit dem abgewandten<br />
Blick entpersonalisiert und anonym.<br />
Anonym bleiben auch die Vorbilder dieser Zeichnungen. Modelle werden in der Regel nicht namentlich<br />
genannt. Ihnen wird Persönlichkeit und Bedeutung nicht zugestanden. Nur wenige<br />
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