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Gargano-Gebirge

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94 Provinz Foggia<br />

<strong>Gargano</strong>-<strong>Gebirge</strong> (Promontorio del <strong>Gargano</strong>)<br />

Das Vorgebirge Apuliens, der Promontorio del <strong>Gargano</strong>, steigt auf eine Höhe<br />

von über 1000 m an. Im Nordwesten zeigt sich der Nationalpark sanft<br />

und bewaldet, im Südwesten fallen die karstigen Rücken steil zur Küste ab.<br />

Der Stiefelsporn ist seit dem frühen Mittelalter ein wichtiges Pilgerziel.<br />

1995 wurde das Gebiet zum Parco Nazionale del <strong>Gargano</strong> erklärt. Rein geologisch<br />

gehört das Massiv nicht mehr zur Apenninen-Halbinsel, es weist eindeutige Übereinstimmungen<br />

mit dem gegenüberliegenden dalmatischen Festland auf. Das wellige<br />

Kalksteinplateau mit den abgeflachten Bergkuppen steckt auch landschaftlich<br />

voller Überraschungen: Teils ist es steinig und zerklüftet, dann tun sich unvermittelt<br />

fruchtbare Becken auf, und mittendrin breitet sich ein kräftiger Mischwald<br />

aus. Höchste Erhebung ist der Monte Calvo bei San Giovanni Rotondo mit 1055 m.<br />

Im Norden fällt der <strong>Gargano</strong> recht flach gegen die beiden salzhaltigen Küstenseen<br />

ab; ertragreiche Haine voller knorriger Olivenbäume bedecken dort die sanften<br />

Hänge. Das Gebiet um den Lago di Lésina und den Lago di Varáno ist von kilometerlangen<br />

Sandstränden gesäumt und dient vorwiegend als Urlaubertransitstrecke<br />

zur <strong>Gargano</strong>-Küste zwischen Rodi Garganico und Vieste.<br />

Vom einstigen Urwald ist nur noch ein letzter Rest übrig geblieben: Die Foresta Umbra<br />

ist ein Hochwald, der sich auf 11.000 ha zwischen Vico del <strong>Gargano</strong> und Mattinata<br />

erstreckt. Der Mischwald steht unter Naturschutz und ist ein ideales Revier für<br />

Mountainbiker. Wer hingegen die berühmten Orchideen erleben möchte, die im<br />

Frühjahr an den Hängen des Monte Sacro(872 m) farbenfroh blühen, muss sich auf<br />

Schusters Rappen fortbewegen. Der Ausflug lohnt auch wegen der Reste des mittelalterlichen<br />

Klosters auf der Spitze des heiligen Gipfels. Auf Wanderungen lernte 1874<br />

auch Ferdinand Gregorovius die Gegend schätzen, deren Bewohner er mit folgenden<br />

Worten beschrieb: „Ein kräftiges Volk von einfachen Sitten bewohnt dieses <strong>Gebirge</strong>.<br />

Termoli Termoli<br />

<strong>Gargano</strong><br />

Provinz Foggia<br />

Marina di Isola di<br />

Lésina Bosco<br />

Lago di Lésina<br />

Lésina<br />

San Severo<br />

Apricena<br />

Sannicandro<br />

A 14<br />

10 km<br />

Torre<br />

Mileto<br />

SSV<br />

SS 89<br />

PPP aaa rrr ccc ooo NNN aaa zzz iii ooo nnn aaa lll eee ddd eee lll GGG aaa rrr ggg aaannnooo<br />

Stignano<br />

San Marco<br />

in Lamis<br />

Rignano<br />

Garganico<br />

Foggia<br />

Foggia<br />

Tremiti-Inseln Tremiti-Inseln<br />

Tremiti-Inseln<br />

Tremiti-Inseln<br />

Grotta<br />

Paglicci<br />

San<br />

Menaio<br />

Foce Isola<br />

Varáno<br />

Lido<br />

Rodi<br />

del Sole<br />

Garganico<br />

Lago di<br />

Varáno<br />

SS 89<br />

Cagnano<br />

Varáno<br />

San<br />

Matteo<br />

San Giovanni<br />

Rotondo Santa Maria<br />

di Pulsano<br />

San Leonardo<br />

di Siponto<br />

SS 89<br />

Foggia<br />

Foggia<br />

Monte<br />

Sant'Angelo<br />

Siponto<br />

Peschici<br />

Spiaggia<br />

Scialmarino<br />

Vico<br />

Vieste<br />

del <strong>Gargano</strong><br />

Lido di<br />

Portonuovo<br />

Foresta<br />

Umbra<br />

Testa del<br />

<strong>Gargano</strong><br />

Mattinata<br />

SS 89<br />

Manfredonia<br />

Pugnochiuso<br />

Grotta<br />

Campana<br />

Baia delle<br />

Zagare<br />

Mattinatella<br />

Golf von<br />

Manfredonia<br />

Provinz<br />

Foggia


San Marco in Lamis 95<br />

Seine Tracht ist eigenartig und malerisch, besonders die der Männer. Sie tragen<br />

einen weiten mantelartigen Rock von brauner Wolle mit Kapuze, welcher meist<br />

noch mit schwarzem Schafpelz gefüttert ist, einen roten Gürtel und eine phrygische<br />

Mütze von blauer Farbe.“ Bereits die Langobarden waren von Rom auf der Via<br />

Sacra Langobardorum zu dieser als geomantisch bedeutsam angesehenen Landmarke<br />

gepilgert, und bis heute reihen sich die Wallfahrtsziele entlang der Straße wie Perlen<br />

an einer Kette: San Marco in Lamis, San Giovanni Rotondo und Monte Sant’Angelo<br />

mit dem Grottenheiligtum des Erzengels Michael, der hier in den Bergen für<br />

tausend Jahre seine Residenz aufgeschlagen haben soll (Infos: www.parcogargano.it).<br />

San Marco in Lamis ca. 15.000 Einwohner<br />

Zur Abwechslung einmal eine Gebirgsstadt, deren Ortskern tiefer liegt als<br />

die Peripherie. Die wichtigsten Sehenswürdigkeiten befinden sich allesamt<br />

außerhalb des Ortskerns.<br />

Die Altstadt hat einen einfachen Grundriss: eine Hauptstraße und rechtwinklig davon<br />

abgehende Nebenstraßen. Die leichten Höhenunterschiede in diesem geometrischen<br />

Straßengeflecht mit den spätmittelalterlichen Reihenhauszeilen werden durch breite<br />

Steintreppen ausgeglichen, denen man ihr Alter wahrlich ansieht. Durch die enge und<br />

kompakte Bebauung wirkt der Ort stellenweise klaustrophobisch dicht besiedelt. Die<br />

Gründungsgeschichte von San Marco in Lamis ist eng verbunden mit dem Kloster<br />

San Matteo. Ebenso wie das populäre Pilgerheiligtum Madonna di Stignano liegt<br />

dieses allerdings nicht im Ortszentrum, sondern in der Umgebung. Die Landschaft<br />

um San Marco in Lamis ist recht karg. Auf kleinen Ackerflächen stehen die charakteristischen<br />

Schutzhütten (pagliari) der Bauern. Sie sind Stein auf Stein in Trockenbauweise<br />

zusammengesetzt und heute größtenteils verwittert; bisweilen sehen sie<br />

aus wie überdimensionale Bienenstöcke. Ab und zu tauchen bizarre Kalksteinfelder<br />

auf, die wirken, als wären Brocken etwa gleicher Größe in die Erde gepflanzt worden.<br />

Anfahrt & Verbindungen Mit dem Auto<br />

von der A 14 (Ausfahrt „San Severo“) und<br />

die SS 272 rasch erreichbar, ebenfalls auf<br />

Stille und lichtdurchflutete Atmosphäre<br />

der SS 272 von S. Giovanni Rotondo. SITA-<br />

Busse fahren von und nach Foggia.<br />

Provinz Foggia<br />

San Marco<br />

in Lamis


96 Provinz Foggia<br />

Übernachten/Essen & Trinken **** Parkhotel<br />

Celano, auf diese Wellness-Oase haben<br />

uns Leser hingewiesen. Das Großhotel<br />

unweit des Klosters San Matteo ist von<br />

einem weitläufigen Park umgeben, Restaurant<br />

und Pool. DZ ab 78 €. Via Caduti,<br />

Fraz. Borgo Celano, ¢ 0882/816551, § 0882/<br />

816613, www.parkhotelcelano.it.<br />

Azienda Agrituristica Fiore, der Gutshof<br />

unterhalb von Rignano ist eine Institution<br />

im <strong>Gargano</strong>. Das Ristorante ist wegen der<br />

guten, landestypischen Küche ein beliebtes<br />

Ausflugsziel (Menü ca. 20 €). Einfache, aber<br />

geräumige Zimmer, ein bequemer Wanderweg<br />

führt zur Chiesa Madre aus dem 12.<br />

Jh. DZ 40 €. Contr. Madonna di Cristo 9 (von<br />

der Straße nach Foggia ausgeschildert),<br />

¢ 0882/820882.<br />

Feste & Veranstaltungen Processione<br />

delle Fracchie, am Karfreitag werden lange<br />

Holzbündel (fracchie) auf Eisenräder montiert<br />

und angezündet. Die lodernden Holzstöße<br />

werden zusammen mit der Madonnenstatue<br />

von der Kirche durch die Straßen<br />

der Ortschaft gezogen.<br />

Sehenswertes<br />

Convento di San Matteo: Stattlich wie eine Burg steht das Kloster San Matteo ca.<br />

4 km hinter dem Ortsausgang an der Straße nach San Giovanni Rotondo. Die wuchtige<br />

Abtei klebt förmlich am Felsen. Sie wurde bereits in der langobardischen Epoche<br />

(6. Jh.) von den Benediktinern gegründet. Seine Blütezeit erlebte das Kloster im 11.<br />

und 12. Jh., als Byzantiner und Normannen dem Orden großzügige Landschenkungen<br />

machten. 1578 fiel die Anlage schließlich an den Franziskanerorden, von dem sie<br />

ihren jetzigen Namen erhielt. Heute ist das gepflegte Kloster mit der frühchristlichen<br />

Gebetsgrotte ein beliebtes Ziel des internationalen Pilgertourismus. Die Ordenskirche<br />

ist bescheiden geschmückt, dafür ist das Souvenirangebot im Klostershop umso größer.<br />

Schon am Haupteingang entsteht der Eindruck, einen Laden voller religiöser Kuriositäten<br />

zu betreten. Den Innenhof zieren skurrile Steinfragmente, um die sich<br />

manchmal weiße Tauben scharen. Von Bedeutung ist die Klosterbibliothek mit über<br />

60.000 Bänden, u. a. der größten Bibel- und Landkartensammlung der Capitanata.<br />

Tägl. 7–13 und 15–19 Uhr. ¢ 0882/816713, www.santuariosanmatteo.it.<br />

Grotta Paglicci: Weit unterhalb des 2500 Einwohner zählenden Bergdorfs Rignano<br />

Garganico (s. o.), an den Hängen der großen Geländestufe, befindet sich eine prähistorische<br />

Höhle. Wichtigster Fund ist das Skelett einer jungen Frau aus der Steinzeit,<br />

eingebettet in ein schützendes Bodengrab und bekrönt mit einer Kopfbedeckung<br />

aus durchbohrten Hirschzähnen. Laut Ergebnis einer Radiokarbonuntersuchung<br />

wurde sie vor etwa 23.000 bis 24.000 Jahren hier beerdigt. In der Höhle befanden<br />

sich auch Pfeilspitzen und Faustkeile der jagenden urgeschichtlichen Menschen<br />

sowie kunstvoll verzierte Steine und Tierknochen. Außerdem ist die Grotte<br />

wegen der gut erhaltenen neolithischen Felsmalereien von größtem archäologischem<br />

Interesse. Die wichtigsten Funde sind im kleinen Museo Grotta Paglicci e il Paleolitico<br />

del <strong>Gargano</strong> in Rignano Garganico ausgestellt: Zu sehen gibt es steinzeitliche<br />

Fundstücke sowie Fotos und Rekonstruktionen der Grabstätte und der Felsmalereien.<br />

Di/Do/Sa 15.30–18.30 Uhr. In Rignano Garganico ausgeschildert, ¢ 340-3364762, www.pagli<br />

cci.net.<br />

Santuario della Madonna di Stignano: Auf dem Weg von San Marco in Lamis in<br />

Richtung San Severo begegnet man nicht selten hupenden Autokonvois, denn die einsam<br />

in der Landschaft stehende Konventskirche ist ein weithin beliebter Ort für Trauungen.<br />

Zunächst erkennt man die bunt gekachelte Vierungskuppel. Hinter der rötlich<br />

schimmernden Fassade verbirgt sich ein Innenraum von beeindruckender Renaissancearchitektur.<br />

Die verehrte Madonnenfigur ist ausgesprochen anmutig. Der angrenzende<br />

Kreuzgang mit dem schönen Renaissancebrunnen kann ebenfalls besichtigt werden.<br />

Tägl. 9–12 und 16–18 Uhr.


San Marco in Lamis 97<br />

Ländliche Bar: Lebendes Fossil des Patriarchats<br />

Rignano Garganico – Aussichtsbalkon am Rand des <strong>Gargano</strong><br />

Wer aus Foggia kommt, stößt am Rand des <strong>Gargano</strong>-Massivs, das sich hier wie ein<br />

riesiger Treppenabsatz nach oben stemmt, knapp 7 km vor San Marco in Lamis auf<br />

das hoch oben thronende Rignano. Das kleine verträumte Bergdorf wird zu Recht<br />

als der <strong>Gargano</strong>-Balkon bezeichnet, denn dort oben, in 590 m Höhe, genießt man<br />

einen Ausblick der Superlative: Im Osten zeichnet sich die Küstenlinie des Golfs<br />

von Manfredonia ab und am südwestlichen Horizont, hinter der weiten Tiefebene<br />

erkennt man an klaren Tagen sogar die Umrisse der Apenninausläufer.<br />

Der Ortskern von Rignano offenbart ein überraschend beschauliches Gassenlabyrinth,<br />

in dem die Bescheidenheit des dörflichen Alltags noch authentisch ist. In den<br />

gepflegten, verwinkelten Altstadtgassen hängt die Wäsche vor den weiß getünchten<br />

Fassaden, überall sieht man die Tagesernte (Tomaten, Paprika, Peperoni etc.)<br />

ausgebreitet und daneben trocknet appetitlich die selbst gemachte Pasta. Während<br />

die Dorfältesten vor und in der Piazza-Bar hocken, Karten spielen oder engagiert<br />

diskutieren, versammeln sich die Frauen vor der Kirche und das nicht nur sonntags.<br />

Im Volksmund heißt der Ort auch Paese delle Vedove (Stadt der Witwen), schlicht<br />

und ergreifend deshalb, weil sich früher alle arbeitsfähigen Männer auf den Feldern<br />

des Tavoliere verdingten und der Ort dann allein von den Frauen bewohnt wurde.<br />

Auf den Gesichtern der auffällig zahlreichen Greise liegt ein zufriedenes Lächeln,<br />

das allerdings nicht verrät, warum man in Rignano so alt wird. Vielleicht liegt es an<br />

der frischen Luft – ein wirklicher Genuss, wenn man aus dem Hitzekessel des Tavoliere<br />

aufgestiegen ist. Gedankt sei denjenigen, die verhindert haben, dass aus Rignano<br />

ein modern-mondäner Luftkurort für asthmatische Großstädter geworden ist.<br />

Eine Panoramastraße führt um den alten Ortskern herum. An der kleinen baumbestandenen<br />

Piazza mit Brunnen rückt der gewaltige Treppenabsatz des <strong>Gargano</strong> am<br />

eindrucksvollsten ins Bild. Angesichts der strategischen Position ist es schon verwunderlich,<br />

dass Rignano in der ereignisreichen Geschichte Nordapuliens fast ganz<br />

ohne Festung und Wehranlagen geblieben ist.<br />

Provinz Foggia


98 Provinz Foggia<br />

San Giovanni Rotondo 26.500 Einwohner<br />

Eine Stadt der Superlative: das populärste Pilgerziel Italiens, der größte<br />

Kuppelbau der Welt und über hundert Übernachtungsquartiere. Der Rummel<br />

der frommen Heilssucher sorgt dafür, dass zum Verschnaufen kaum ein<br />

ruhiges Plätzchen zu finden ist.<br />

Die Kleinstadt am Hang des Monte Calvo (1055 m) ist der Heimatort des weit über<br />

die Grenzen Italiens hinaus verehrten Padre Pio (1887–1968). Popularität erlangte<br />

der charismatische Kapuziner wegen zahlreicher Wunderheilungen und nicht zuletzt<br />

wegen seiner blutenden Wundmale. Aber auch, weil er angeblich in Rom vor<br />

der Kurie erschien, während sein Körper auf dem <strong>Gargano</strong> tief und fest schlief, er<br />

also scheinbar über die Gabe der Bilokation verfügte, d. h. die Fähigkeit, an zwei<br />

verschiedenen Orten gleichzeitig anwesend zu sein. Der Vatikan wollte Padre Pios<br />

Wunder nie so recht anerkennen, schickte gar seine Inspektoren nach San Giovanni<br />

Rotondo und verweigerte lange Zeit die Kanonisation. Erst 1999 gab der Heilige<br />

Stuhl dem Begehren der ständig wachsenden Anhängerschaft nach und sprach Padre<br />

Pio in einer feierlichen Zeremonie selig. Nur drei Jahre später, am 16. Juni 2002,<br />

folgte die Heiligsprechung, an der etwa 40.000 Gläubige in San Giovanni Rotondo<br />

und über 300.000 in Rom teilnahmen. In den besten Zeiten besuchten jährlich<br />

mehr als 7 Mio. Pilger den Wallfahrtsort, ein Grund, warum dieser von allen Richtungen<br />

großzügig ausgeschildert ist. Allerdings sind in jüngster Zeit – wie im kampanischen<br />

Heimatort des Beichtvaters – die Besucherströme stark rückläufig, ein<br />

Beleg dafür, dass sich die auratische Kraft des populären Heiligen abzuschwächen<br />

beginnt. Nur gut, dass heute in San Giovanni Rotondo eines der renommiertesten<br />

Hospitäler Süditaliens steht. Der Bau der Klinik mit dem poetischen Namen Casa<br />

Sollievo della Sofferenza („Haus zur Linderung des Leidens“) wurde 1956 ausschließlich<br />

mit Spendengeldern finanziert (Infos: www.operapadrepio.it).<br />

Sehenswertes<br />

Basilica Santa Maria delle Grazie: Die Pilgerkirche, in der sich das Grab Padre Pios<br />

befindet, ist das religiöse Zentrum der Kapuziner und auch von der baulichen Anlage<br />

das Pendant zur Basilica di San Francesco in Assisi. Kunsthistorisch kann sie<br />

jedoch mit dem umbrischen Zentrum des franziskanischen Ordens nicht mithalten.<br />

Der äußerst rege Pilgerbetrieb und die zu manchen Zeiten langen Schlangen<br />

der Gläubigen lohnen jedoch ein längeres Verweilen. Rechter Hand zieht sich ein<br />

moderner Kreuzweg den Hang hinauf, der Schatten und einige ruhige Orte für ein<br />

erholsames Picknick bietet.<br />

Chiesa Nuovo: Als sich die alte Kirche (s. o.) dem Pilgeransturm nicht mehr gewachsen<br />

zeigte, wurde ein neues Gotteshaus mit wahrhaft titanischen Ausmaßen<br />

geplant (→ Foto, S. 68/69). Nach den Plänen des renommierten Architekten Renzo<br />

Piano entstand eine futuristische Wallfahrtskirche mit der größten Kuppel der<br />

Welt. Auch der Innenraum ist Guinnessbuch-verdächtig: Er bietet mehr als 7000<br />

Gläubigen Platz (nur der Petersdom ist größer); und wenn die gläserne Fassade<br />

zum Vorplatz geöffnet wird, können sogar rund 30.000 Menschen am Gottesdienst<br />

teilhaben. Trotz der gewaltigen Ausmaße duckt sich der neue Sakralbau bescheiden<br />

unterhalb der eigentlichen Wallfahrtskirche. Er könnte leicht übersehen werden,<br />

wäre da nicht das 40 m hohe Steinkreuz am Rand des Vorplatzes. Beeindruckend ist<br />

die Architektur mit dem weit auskragenden, grünen Kuppeldach, das einer über-


San Giovanni Rotondo 99<br />

dimensionalen Muschel gleicht. Der Eindruck ist vom Stararchitekten aus Genua<br />

durchaus so vorgesehen, denn Renzo Piano betrachte die (Jakobs-)Muschel als<br />

Symbol für Einkehr und Kontemplation. Das Innere betritt man von der Seite<br />

durch so genannte Luftscharten, die gleichzeitig für ein angenehmes Raumklima<br />

sorgen. Liebhaber zeitgenössischer Kunst finden in der neuen Kirche eine Apokalypse<br />

von Robert Rauschenberg, ein Abendmahl von Roy Lichtenstein und einen<br />

Altar samt Kreuz von Arnaldo Pomodoro. Im Untergrund der Kirche befindet sich,<br />

den Blicken der Pilger verborgen, ein weitläufiges Labyrinth aus Gängen, Krypten<br />

und Versammlungsräumen. Casa Sollievo della Sofferenza: Das „Haus zur Linderung<br />

des Leidens“ ist der zweite große Anziehungspunkt des Orts. Das moderne Hospital,<br />

das auf Initiative Padre Pios 1956 errichtet wurde, zählt zu den allerbesten Kliniken<br />

Italiens. Hier werden jährlich 60.000 Patienten stationär und 400.000 ambulant behandelt.<br />

Um den großen Klinikkomplex mit der klassizistischen Hauptfassade ist<br />

eine Infrastruktur gewachsen, die mit einem Mega-Skiort vergleichbar ist.<br />

Historischer Ortskern: Am Ende der Durchgangsstraße, an der Piazza del Carmine,<br />

steht die einzige touristische Sehenswürdigkeit, der namengebende Rundtempel<br />

San Giovanni Battista, kurz La Rotonda genannt. Es handelt sich dabei um einen<br />

Nachbau des antiken Janustempels, der 996 Johannes dem Täufer geweiht wurde.<br />

Die etwa 100 örtlichen Hotels sind selbstverständlich keine touristischen Einrichtungen,<br />

sie beherbergen weit gereiste Padre-Pio-Pilger und Kranke aus ganz Italien,<br />

die eventuelle Wartezeiten zu überbrücken haben. Autoschlangen, Reisebusse, Familienverbände<br />

und Besuchergruppen – insgesamt ein unüberschaubares Treiben,<br />

dagegen wirkt der altehrwürdige Wallfahrtsort Monte Sant’Angelo geradezu harmlos.<br />

Anfahrt & Verbindungen Von San Marco<br />

in Lamis 6 km mit dem Auto auf der<br />

SS 272. Die beiden Pilgerkirchen und das<br />

Krankenhaus befinden sich am westlichen<br />

Einsamer Pilger vor überdimensionaler Lichtgestalt<br />

Ortsrand und sind ausgeschildert. Eine<br />

neue Umgehungsstraße endet hinter der<br />

Basilica Santa Maria delle Grazie (Parkplätze).<br />

SITA-Busse von Foggia und Manfredonia.<br />

Provinz Foggia<br />

San<br />

Giovanni<br />

Rotondo


100 Provinz Foggia<br />

Wanzen im Beichtstuhl – Geschichte eines wundertätigen Heiligen<br />

In der Tat gehört Padre Pio heute zu den wichtigsten Heiligen Süditaliens. Kaum<br />

eine Stadt oder ein Dorf, in der nicht eine Figur des Kapuzinermönchs steht. Geboren<br />

wurde er unter dem Namen Francesco Forgione in Pietrelcina bei Benevento<br />

(Kampanien). Bereits als 16-Jähriger schloss er sich den Kapuzinermönchen an.<br />

Als Kongregation gehören die Kapuziner der franziskanischen Glaubensfamilie an.<br />

Mit Franz von Assisi verbinden den Beichtvater die Stigmata, die sich im Jahr 1918<br />

plötzlich gebildet haben sollen. Fast ein halbes Jahrhundert lang bluteten die<br />

Wundmale, um sich am Vorabend seines Todes ebenso geheimnisvoll wieder zu<br />

schließen. Nach übereinstimmenden Zeugenaussagen eiterten die Wunden nie, sondern<br />

verströmten vielmehr den Duft von Veilchen. Die Verbände mussten regelmäßig<br />

erneuert werden, nur sehr selten zeigte<br />

Padre Pio seine Wundmale in der Öffentlichkeit.<br />

Die römische Kurie reagierte,<br />

wie fast immer in solchen Fällen, sehr<br />

zurückhaltend auf diesen Sachverhalt.<br />

Der päpstliche Hof schickte Kontrolleure<br />

zum <strong>Gargano</strong>, wo der immer populärer<br />

werdende Beichtvater sich<br />

Allgegenwärtig: Padre Pio<br />

mittlerweile niedergelassen hatte. Sie<br />

spionierten und versuchten dem Gottesmann,<br />

der mittlerweile fernab von<br />

Rom ein pulsierendes Pilgerzentrum<br />

begründet hatte, ein ungebührliches<br />

Betragen gegenüber Nonnen nachzuweisen.<br />

Zu diesem Zweck verwanzten<br />

sie sogar seinen Beichtstuhl. Der Papst<br />

verbot Padre Pio zudem zwischen 1922<br />

und 1934 das Lesen der Messe. Trotz<br />

aller Maßnahmen pilgerten die Massen<br />

weiter zum wundertätigen Kapuziner.<br />

Dass er dennoch postum heilig gesprochen<br />

wurde, mag mit einem Erlebnis<br />

im Jahr 1947 zu tun haben, als der<br />

polnische Bischof Karol Wojtyła den<br />

Charismatiker vom <strong>Gargano</strong> aufsuchte:<br />

Padre Pio weissagte ihm, er würde später<br />

einmal Papst werden, hätte aber auch ein schweres Attentat zu überstehen.<br />

Bekanntlich traf beides ein, und so war es denn auch Papst Johannes Paul II., der<br />

den Kapuzinermönch vollständig rehabilitierte und schließlich heilig sprach.<br />

Im März 2008 wurde die sterbliche Hülle des Heiligen in einer Geheimaktion<br />

unter Aufsicht einiger Ärzte und im Beisein des Erzbischofs von Manfredonia,<br />

Domenico d’Ambrosio, exhumiert. Der Grund: Am 23. September 2008 wurde<br />

anlässlich des 40. Todestages der Körper des Beichtvaters in der Krypta der<br />

Pilgerkathedrale den Gläubigen präsentiert. Nach Aussagen des Erzbischofs sei<br />

die Leiche des so ungemein populären Kapuzinerpaters kaum verwest gewesen.

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