Die Geister, die er rief - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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Preisv<strong>er</strong>leihung<br />
Das politische Buch 2010<br />
Rolf Hosfeld<br />
<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />
Eine neue Karl-Marx-Biografi e
Preisv<strong>er</strong>leihung<br />
Das politische Buch 2010<br />
Rolf Hosfeld<br />
<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />
Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />
am <strong>Die</strong>nstag,<br />
11. Mai 2010 in B<strong>er</strong>lin
2<br />
DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong>: <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
Politische Akademie<br />
Hiroshimastraße 17<br />
10785 B<strong>er</strong>lin<br />
© <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
V<strong>er</strong>antwortlich: Tobias Mörschel<br />
Layout: Pellens Kommunikationsdesign, Bonn<br />
Titelillustration: Isabell Klett, Barcelona / Stuttgart (Karl Marx)<br />
Fotos innen: Joachim Liebe
Inhalt<br />
6<br />
9<br />
17<br />
19<br />
21<br />
30<br />
33<br />
35<br />
39<br />
Begrüßung<br />
Anke Fuchs<br />
Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
Festrede<br />
Andrea Nahles<br />
Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong> SPD<br />
Laudatio auf den Preisträg<strong>er</strong><br />
Dr. Klaus Hohlfeld<br />
Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury „Das politische Buch“<br />
Begründung d<strong>er</strong> Jury<br />
<strong>Die</strong> Urkunde<br />
Dankwort des Preisträg<strong>er</strong>s<br />
Rolf Hosfeld<br />
Empfehlungsliste 2010<br />
<strong>Die</strong> Jurymitglied<strong>er</strong><br />
<strong>Die</strong> Preisträg<strong>er</strong> „Das politische Buch“ seit 1982<br />
Informationen zur V<strong>er</strong>gabe des Preises<br />
3<br />
DAS POLITISCHE BUCH 2010
4<br />
DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
<strong>Die</strong> Einladung / Programm
<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
v<strong>er</strong>leiht am<br />
<strong>Die</strong>nstag, den 11. Mai 2010,<br />
18.00 Uhr<br />
im Haus d<strong>er</strong><br />
<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
Hiroshimastrasse 17,<br />
10785 B<strong>er</strong>lin-Ti<strong>er</strong>garten<br />
den Preis<br />
DAS POLITISCHE BUCH<br />
Als Preisträg<strong>er</strong> 2010 wird<br />
Rolf Hosfeld<br />
ausgezeichnet für sein Buch<br />
<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />
Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />
*<br />
Es musizi<strong>er</strong>en <strong>die</strong><br />
B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Cellharmonik<strong>er</strong><br />
David Drost<br />
Alexand<strong>er</strong> Kahl<br />
Andreas Kipp<br />
Rouven Schirm<strong>er</strong><br />
Programm<br />
Rob<strong>er</strong>t Schumann: <strong>Die</strong> beiden Grena<strong>die</strong>re op. 49 No 1<br />
*<br />
Begrüßung<br />
Anke Fuchs<br />
Vorsitzende des Vorstands d<strong>er</strong><br />
<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
*<br />
Festrede<br />
Andrea Nahles<br />
Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong><br />
Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />
*<br />
Hanns Eisl<strong>er</strong>: Friedenslied<br />
*<br />
Laudatio auf den Preisträg<strong>er</strong><br />
Dr. Klaus Hohlfeld<br />
Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury<br />
*<br />
Üb<strong>er</strong>gabe des Preises an<br />
Rolf Hosfeld<br />
*<br />
Dankwort des Preisträg<strong>er</strong>s<br />
*<br />
David Popp<strong>er</strong>: Polonaise de Conc<strong>er</strong>t Op. 14<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
Begrüßung<br />
Anke Fuchs<br />
Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
Ein Buch üb<strong>er</strong> Karl Marx im Jahr 2010 auszuzeichnen, mag manche üb<strong>er</strong>rascht<br />
haben. Hat sich <strong>die</strong> SPD, d<strong>er</strong> <strong>die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> nahesteht,<br />
nicht mit dem Godesb<strong>er</strong>g<strong>er</strong> Programm 1959 von Marx und seinen Nachfolg<strong>er</strong>n<br />
dau<strong>er</strong>haft v<strong>er</strong>abschiedet?<br />
Das hat <strong>die</strong> Partei und im Anschluss daran <strong>die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> ab<strong>er</strong><br />
nicht davon abgehalten, sein Erbe ganz konkret zu pfl egen. Seit 1968 ist<br />
uns<strong>er</strong>e <strong>Stiftung</strong> Haush<strong>er</strong>rin d<strong>er</strong> von Tausenden aus dem In- und Ausland<br />
besuchten Erinn<strong>er</strong>ungsstätte an Karl Marx in seinem Tri<strong>er</strong><strong>er</strong> Geburtshaus.<br />
<strong>Die</strong> <strong>er</strong>ste von uns betreute Ausstellung <strong>er</strong>öffnete 1968 d<strong>er</strong> Außenminist<strong>er</strong><br />
Willy Brandt als damalig<strong>er</strong> Parteivorsitzend<strong>er</strong> d<strong>er</strong> SPD. Seit 2005 ist dort<br />
eine mod<strong>er</strong>ne, völlig neu konzipi<strong>er</strong>te Präsentation zu sehen.<br />
Als am 10. Mai 1933 auf dem B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Op<strong>er</strong>nplatz und in vielen and<strong>er</strong>en<br />
Städten Büch<strong>er</strong> v<strong>er</strong>brannt wurden, gehörten <strong>die</strong> Schriften von Karl Marx zu<br />
den <strong>er</strong>sten und v<strong>er</strong>hasstesten. Mit dem b<strong>er</strong>üchtigten Feu<strong>er</strong>spruch „Gegen<br />
Klassenkampf und Mat<strong>er</strong>ialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische<br />
Lebenshaltung! Ich üb<strong>er</strong>gebe den Flammen <strong>die</strong> Schriften von Marx und<br />
Kautsky“ wurden Karl Marx’ und Karl Kautskys Büch<strong>er</strong> in <strong>die</strong> Flammen<br />
geworfen. D<strong>er</strong> nationalsozialistische Hass auf Sozialismus und Sozial demokratie<br />
war grenzenlos.<br />
Nach dem Ende des Dritten Reichs wurde Marx neben Engels und Lenin<br />
zu ein<strong>er</strong> Galionsfi gur d<strong>er</strong> DDR. In d<strong>er</strong> alten Bundesrepublik führte das in den<br />
Zeiten des Kalten Krieges fast zwangsläufi g zu sein<strong>er</strong> V<strong>er</strong>bannung. Marx-<br />
Lektüre – etwa in den Zirkeln d<strong>er</strong> 68<strong>er</strong>-Studentenbewegung – war ein Zei -<br />
chen fundamental<strong>er</strong> Opposition gegen den bundesrepublikanischen Main-
stream. In d<strong>er</strong> DDR dagegen war das Marx-Studium in Schulen und Univ<strong>er</strong>sitäten<br />
Pfl icht. Wir haben alle noch <strong>die</strong> Bild<strong>er</strong> vor Augen, wie nach 1989<br />
große Kräne wuchtige Marx-Denkmäl<strong>er</strong> abräumten. Aus Karl-Marx-Stadt<br />
wurde wied<strong>er</strong> Chemnitz, aus Marxwalde Neuhardenb<strong>er</strong>g.<br />
Marx also nun endgültig all<strong>er</strong>orts und für alle Zeiten ade? Mitnichten.<br />
Heute, hört man, wird <strong>er</strong> wied<strong>er</strong> mehr als früh<strong>er</strong>, g<strong>er</strong>ade auch von jüng<strong>er</strong>en<br />
Leuten, gelesen. Unv<strong>er</strong>krampft<strong>er</strong> als in d<strong>er</strong> alten Bundesrepublik und in d<strong>er</strong><br />
DDR greifen heute viele Les<strong>er</strong>innen und Les<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> zu seinen Schriften,<br />
neugi<strong>er</strong>ig, ob <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Denk<strong>er</strong> des 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts hilfreich sein kann ob d<strong>er</strong><br />
zunehmenden Ratlosigkeit im Blick auf den globalen Turbokapitalismus<br />
des 21. Jahrhund<strong>er</strong>ts.<br />
Da kommt das Buch uns<strong>er</strong>es <strong>die</strong>sjährigen Preisträg<strong>er</strong>s uns nun g<strong>er</strong>ade recht.<br />
Es ist H<strong>er</strong>rn Hosfeld gelungen, Lebensbeschreibung, W<strong>er</strong>kanalyse und<br />
Wirkungsbetrachtung so miteinand<strong>er</strong> zu v<strong>er</strong>binden, dass <strong>die</strong> P<strong>er</strong>son Karl<br />
Marx in sein<strong>er</strong> Darstellung Leben und Farbe gewinnt. Er macht ihn ab<strong>er</strong><br />
wed<strong>er</strong> zum Heiligen noch zum Bösewicht, d<strong>er</strong> für <strong>die</strong> Untaten viel<strong>er</strong> sich auf<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
ihn B<strong>er</strong>ufend<strong>er</strong> v<strong>er</strong>antwortlich ist. Er wird gezeigt als ein sehr aktiv<strong>er</strong> und<br />
intelligent<strong>er</strong> Mensch mit vielen klugen Einsichten und manchen zweifelhaften<br />
Schlussfolg<strong>er</strong>ungen. Mit dem Blick auf <strong>die</strong>sen großen Mann malt Hosfeld<br />
zugleich ein Panorama des so facetten- und folgenreichen 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts.<br />
Also eine Lektüre, <strong>die</strong> sich lohnt. Ich beglückwünsche H<strong>er</strong>rn Hosfeld zu <strong>die</strong>sem<br />
Buch und freue mich, dass es 2010 mit uns<strong>er</strong>em Preis „Das politische<br />
Buch“ ausgezeichnet wird.
Festrede<br />
Andrea Nahles<br />
Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong> SPD<br />
<strong>Die</strong> Preisv<strong>er</strong>leihung passt gut in <strong>die</strong> heutige Zeit. <strong>Die</strong> Eurozone ist Angriffen<br />
von Spekulanten ausgesetzt. Nur mit einem unvorstellbar großen Rettungspaket<br />
konnten <strong>die</strong> Finanzmärkte b<strong>er</strong>uhigt w<strong>er</strong>den. D<strong>er</strong> Kapitalismus spielt<br />
v<strong>er</strong>rückt, und wir reden üb<strong>er</strong> Karl Marx. Das passt. In seinem Buch stellt Rolf<br />
Hosfeld dar, dass es eine d<strong>er</strong> größten Errungenschaften von Marx ist, <strong>die</strong><br />
Krisenhaftigkeit des Kapitalismus vorausgesagt zu haben. Und wir stecken<br />
heute mitten drin.<br />
Weil ich Juso-Bundesvorsitzende war, bin ich selb<strong>er</strong> v<strong>er</strong>dächtig, Marxologin<br />
zu sein. Günt<strong>er</strong> Bannas von d<strong>er</strong> „Frankfurt<strong>er</strong> Allgemeinen Zeitung“ schrieb<br />
mal üb<strong>er</strong> mich: „Keine Marxologin.“ Das passte, denn es war <strong>die</strong> Juso-Gen<strong>er</strong>ation<br />
vor mir, <strong>die</strong> sich mit <strong>die</strong>sen Fragen beschäftigt hat. Ich habe auß<strong>er</strong><br />
d<strong>er</strong> „Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie“ und dem „Kommunistischen<br />
Manifest“ nichts im Original gelesen. Das ist meine öffentliche<br />
Beichte zu <strong>die</strong>sem Thema. Also: In <strong>die</strong>sem Sinne habe ich viel gel<strong>er</strong>nt aus<br />
d<strong>er</strong> Marxbiographie von Hosfeld. Was mich vor allem beeindruckt hat, ist<br />
das historische Umfeld, das Hosfeld in seinem Buch gezeichnet hat. Ich bin<br />
G<strong>er</strong>manistin und habe jene Epoche bish<strong>er</strong> sehr stark üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> Lit<strong>er</strong>atur<br />
wahrgenommen.<br />
Wir <strong>er</strong>leben g<strong>er</strong>ade, dass Euroland unt<strong>er</strong> den Lasten d<strong>er</strong> Finanzkrise in d<strong>er</strong><br />
Krise steckt. Ich bin sehr froh, dass <strong>die</strong> europäischen Länd<strong>er</strong> sich entschlossen<br />
haben, zusammenzuhalten und sich gemeinsam <strong>die</strong>s<strong>er</strong> H<strong>er</strong>ausford<strong>er</strong>ung<br />
zu stellen. <strong>Die</strong> Brandbeschleunig<strong>er</strong> sind Ratingagenturen, Hedgefonds und<br />
Spekulanten. Es ist wichtig, sie mit Namen zu nennen. Denn viele Menschen<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
fragen besorgt: Wird meine Lebensv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung noch ausgezahlt? Was ist<br />
mein Geld noch w<strong>er</strong>t? Ab<strong>er</strong> sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen.<br />
Am 8. Februar 2010 haben sich Donald Morgan, David Einhorn und Aaron<br />
Cowen zum Abendessen getroffen und darüb<strong>er</strong> g<strong>er</strong>edet, dass sie sehr viel<br />
Geld v<strong>er</strong><strong>die</strong>nen können, wenn sie gegen den Euro spekuli<strong>er</strong>en bzw. gegen ein<br />
Euroland: Griechenland. Drei Männ<strong>er</strong>. Ohne Auftrag. Gegen ein Land, mit<br />
Millionen von Menschen. Aus reinem Eigennutz. Sie machen <strong>die</strong> älteste<br />
Demokratie d<strong>er</strong> Welt zum Handelsobjekt. Das üb<strong>er</strong>schreitet definitiv<br />
Grenzen.<br />
Und auch <strong>die</strong> fünf großen Banken, <strong>die</strong> 90 Prozent d<strong>er</strong> Kreditv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ungsgeschäfte<br />
im Euroraum abwickeln, machen mit. Eine von ihnen ist <strong>die</strong><br />
Deutsche Bank. Fünf Banken. Drei Männ<strong>er</strong>. Es sind nicht g<strong>er</strong>ade <strong>die</strong> Massen,<br />
<strong>die</strong> den Ton angeben. <strong>Die</strong> Jagd nach zweistelligen Rendit<strong>er</strong>aten treibt sie an<br />
wie einen Junkie, d<strong>er</strong> nach d<strong>er</strong> nächsten Spritze sucht. Und dafür tun sie<br />
alles. Selbst Erpressung. Denn <strong>die</strong> Drohung lautet: Steht für das hohe Risiko<br />
uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Wetten auf griechische Staatsanleihen mit steu<strong>er</strong>fi nanzi<strong>er</strong>ten<br />
Geldspritzen ein od<strong>er</strong> wir lassen Griechenland fallen. Man könnte das auch,<br />
um im Bild d<strong>er</strong> Junkies zu bleiben, als Beschaffungskriminalität bezeichnen.<br />
<strong>Die</strong> Regi<strong>er</strong>ungen sind demgegenüb<strong>er</strong> scheinbar machtlos. Sie sind üb<strong>er</strong> <strong>die</strong><br />
eigenen hohen Schulden fest an das Schicksal d<strong>er</strong> wied<strong>er</strong>um von zweistelligen<br />
Rendit<strong>er</strong>aten abhängigen Finanzmärkte gekoppelt. Jedes Mal, wenn<br />
wir Schulden aufnehmen, um <strong>die</strong> Finanzmärkte zu stabilisi<strong>er</strong>en, sind wir<br />
wied<strong>er</strong> stärk<strong>er</strong> davon abhängig, wie sich Zinsen entwickeln, und damit<br />
davon abhängig, wie <strong>die</strong> Staaten <strong>die</strong> Kredite be<strong>die</strong>nen können. Das ist ein<br />
wahr<strong>er</strong> Teufelskreis. Deshalb ist d<strong>er</strong> Rat v<strong>er</strong>meintlich<strong>er</strong> Exp<strong>er</strong>ten, dass jetzt<br />
vor allem <strong>die</strong> Steu<strong>er</strong>zahl<strong>er</strong> alles fi nanzi<strong>er</strong>en sollen, nur kurzfristig plausibel.<br />
Er ist jedenfalls nicht d<strong>er</strong> Ausweg aus d<strong>er</strong> Abhängigkeitsspirale, <strong>die</strong> ich<br />
g<strong>er</strong>ade beschrieben habe.<br />
Hi<strong>er</strong> kommen wir an so etwas wie eine Systemfrage. Denn es kann nicht<br />
sein, dass wir nicht mehr in d<strong>er</strong> Lage sind, als Staaten und Demokratien, das<br />
Heft in d<strong>er</strong> Hand zu halten. Man muss kein Marktradikal<strong>er</strong> od<strong>er</strong> Antieuropä<strong>er</strong>
sein, um zu sagen: Griechenland hat auch Fehl<strong>er</strong> gemacht. Dennoch dürfen<br />
wir Griechenland nicht mit sinnlosen Wuch<strong>er</strong>zinsen im Regen stehen lassen<br />
darf. „<strong>Die</strong> haben Fehl<strong>er</strong> gemacht!“, hat <strong>die</strong> Bild-Zeitung in großen Lett<strong>er</strong>n<br />
geschrieben und manchmal auch Unwahrheiten v<strong>er</strong>breitet. Das lenkt ab<strong>er</strong><br />
davon ab, worum es eigentlich geht: <strong>Die</strong> Abhängigkeit von den Finanzmärkten,<br />
<strong>die</strong> nicht nur ein hausgemachtes Problem eines einzigen Landes ist,<br />
sond<strong>er</strong>n ein Problem von uns allen. Es geht nicht um <strong>die</strong> v<strong>er</strong>meintliche<br />
Mentalität d<strong>er</strong> Südländ<strong>er</strong> – wie es einige Kommentatoren in äuß<strong>er</strong>st fragwürdig<strong>er</strong><br />
Weise nahelegten –, sond<strong>er</strong>n es geht um <strong>die</strong> Demokratie<br />
selbst und um ihre Handlungsfähigkeit.<br />
<strong>Die</strong> Freiheit d<strong>er</strong> Finanzmärkte hat ihr V<strong>er</strong>sprechen eines unbegrenzten und<br />
dynamischen wirtschaftlichen Wachstums nicht eingelöst. In den mehr<br />
als 20 Jahren, in denen ich Politik mache, habe ich imm<strong>er</strong> gehört: Lasst <strong>die</strong><br />
freien Märkte nur machen. Das förd<strong>er</strong>t Produktivität und Wachstum am<br />
besten. W<strong>er</strong> nicht mitmacht, d<strong>er</strong> hält den Laden nur auf und hat <strong>die</strong> Zeit<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
nicht v<strong>er</strong>standen. Ich bin d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> dankbar, dass sie imm<strong>er</strong><br />
v<strong>er</strong>sucht hat, solche Aussagen zu relativi<strong>er</strong>en.<br />
Denn Tatsache ist: Wenn <strong>die</strong> Staaten im letzten Jahr nicht gewaltige Summen<br />
investi<strong>er</strong>t hätten, hätten sich <strong>die</strong> sogenannten monetären W<strong>er</strong>te in Luft<br />
aufgelöst. In Wahrheit handelte es sich um eine Riesenblase, <strong>die</strong> ohne<br />
staatliches Handeln geplatzt wäre. Und trotzdem sind noch viel zu viele<br />
W<strong>er</strong>te v<strong>er</strong>nichtet worden. Es macht mir große Sorge, dass <strong>die</strong> Geldspritzen<br />
und Rettungspakete infl ationär zunehmen. Je wenig<strong>er</strong> <strong>die</strong> Bürg<strong>er</strong>innen und<br />
Bürg<strong>er</strong> den Eindruck haben, dass demokratische Regi<strong>er</strong>ungen sie vor den<br />
Konsequenzen <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Spekulationen schützen können, umso wenig<strong>er</strong> w<strong>er</strong>den<br />
sie ihren Regi<strong>er</strong>ungen v<strong>er</strong>trauen. Insof<strong>er</strong>n förd<strong>er</strong>t <strong>die</strong> Finanzkrise eine<br />
schleichende V<strong>er</strong>trauenskrise gegenüb<strong>er</strong> uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Demokratie. Ab<strong>er</strong> nur<br />
starke Demokratien sind in d<strong>er</strong> Lage, d<strong>er</strong> Macht des großen Geldes etwas<br />
entgegenzusetzen und Auswüchse zu begrenzen.<br />
Es geht auch and<strong>er</strong>s. Freiheit d<strong>er</strong> wirtschaftlichen Betätigung und eine so -<br />
ziale marktwirtschaftliche Demokratie passen zusammen. Wirtschaftliche<br />
Dynamik, eine lebendige Demokratie und soziale G<strong>er</strong>echtigkeit sind für eine<br />
nachhaltige Wirtschaft kein Wid<strong>er</strong>spruch. In d<strong>er</strong> Großen Koalition von<br />
1966 bis 1969 reagi<strong>er</strong>te d<strong>er</strong> sozialdemokratische Wirtschaftsminist<strong>er</strong> Karl<br />
Schill<strong>er</strong> darauf mit ein<strong>er</strong> wirtschaftspolitischen Strategie, <strong>die</strong> zur V<strong>er</strong>abschiedung<br />
des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes führte. Schill<strong>er</strong>s Stra tegie<br />
orienti<strong>er</strong>te sich daran, was „Magisches Vi<strong>er</strong>eck“ getauft wurde: Preisniveaustabilität,<br />
hoh<strong>er</strong> Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht<br />
bei angemessenem und stetigem Wirtschaftswachstum. <strong>Die</strong>se<br />
vi<strong>er</strong> Orienti<strong>er</strong>ungspunkte <strong>die</strong>nen dem im Grundgesetz, Art. 109 Abs. 2 v<strong>er</strong>ank<strong>er</strong>ten<br />
Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Heute<br />
würden wir von einem Modell nachhaltigen Wirtschaftswachstums reden.<br />
Einem Modell, das unausgesprochen b<strong>er</strong>ücksichtigt, dass ein hohes Beschäftigungsniveau,<br />
<strong>die</strong> beste Voraussetzung für G<strong>er</strong>echtigkeit und stabile<br />
Gesellschaften ist.<br />
<strong>Die</strong>se Zeiten sind lange vorbei. Das Modell hat nur funktioni<strong>er</strong>t, weil es<br />
eine politische Gestaltungskraft im nationalen Rahmen gab. <strong>Die</strong>se Kraft hat
abgenommen, ohne dass durch europäische und int<strong>er</strong>nationale politische<br />
Institutionen neue Gestaltungskraft hinzugekommen wäre. Das Fehlen<br />
solch<strong>er</strong> Strukturen ist ab<strong>er</strong> nicht zwangsläufi g. Bei allen Schwi<strong>er</strong>igkeiten,<br />
eine transnationale Demokratie aufzubauen, wurde d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>such aus ideologischen<br />
Gründen nicht einmal gewagt. Vielmehr predigten Wirtschaftslib<strong>er</strong>ale<br />
in den letzten beiden Jahrzehnten, dass wirtschaftliche Entwicklung,<br />
demokratische Entscheidungen und soziale G<strong>er</strong>echtigkeit in einem Spannungsv<strong>er</strong>hältnis<br />
stehen.<br />
Investmentbank<strong>er</strong> fi nden Demokratie zu langsam. <strong>Die</strong> Loblied<strong>er</strong> auf China<br />
beinhalten imm<strong>er</strong> <strong>die</strong> Bewund<strong>er</strong>ung für <strong>die</strong> Schnelligkeit d<strong>er</strong> Entscheidungen,<br />
<strong>die</strong> Erotik d<strong>er</strong> Tat. Wir müssen uns jetzt entscheiden: Wollen wir autokratische<br />
Systeme, <strong>die</strong> gespaltene Gesellschaften produzi<strong>er</strong>en und relativ<br />
wenige Menschen reich machen? Das ist mein<strong>er</strong> Meinung nach das Modell<br />
China. Od<strong>er</strong> wollen wir <strong>die</strong> europäische Dreifaltigkeit v<strong>er</strong>teidigen: hohe<br />
soziale Standards, hohe wirtschaftliche Produktivität und hohe Bildung?<br />
Letzt<strong>er</strong>es wird uns nur gelingen, wenn wir <strong>die</strong> Finanzmärkte zivilisi<strong>er</strong>en.<br />
<strong>Die</strong> Welt braucht nicht schnell<strong>er</strong>e Demokratien, sond<strong>er</strong>n geduldig<strong>er</strong>es<br />
Kapital. Wir brauchen eine Entschleunigung d<strong>er</strong> Finanzmärkte statt beschleunigte<br />
Spekulationen. Und nicht <strong>die</strong> Abkürzung von demokratischen<br />
Wegen, wie wir es momentan praktizi<strong>er</strong>en, durch hastig durchgepaukte<br />
Milliardenpakete.<br />
<strong>Die</strong> Welt braucht eine Wirtschaft, in d<strong>er</strong> man mit Investi<strong>er</strong>en mehr v<strong>er</strong><strong>die</strong>nt<br />
als mit Spekuli<strong>er</strong>en. Das geht nur mit g<strong>er</strong>egelten Märkten, weil nur sie<br />
nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltiges Wachstum <strong>er</strong>möglichen. Wir<br />
müssen uns deshalb darum kümm<strong>er</strong>n, wie wir durch das V<strong>er</strong>bot von hochspekulativen<br />
Finanzprodukten und <strong>die</strong> Entschleunigung d<strong>er</strong> Spekulationen<br />
globale Gestaltung schaffen. Eine int<strong>er</strong>nationale Finanztransaktionssteu<strong>er</strong><br />
würde nicht nur 14 bis 20 Milliarden Euro zusätzliche Mittel zur Bewältigung<br />
uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Schuldenlasten in Deutschland und in vielen and<strong>er</strong>en Länd<strong>er</strong>n<br />
einbringen. Sond<strong>er</strong>n sie würde auch den <strong>er</strong>sten Schritt von d<strong>er</strong> nationalen<br />
Besteu<strong>er</strong>ung zu ein<strong>er</strong> int<strong>er</strong>nationalen Besteu<strong>er</strong>ung und damit <strong>die</strong> Rückgewinnung<br />
demokratisch<strong>er</strong> Gestaltungsmacht bedeuten. Sollte es uns nicht<br />
13<br />
DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
gelingen, <strong>die</strong> Finanztransaktionssteu<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> jetzigen Krise durchzusetzen,<br />
w<strong>er</strong>den wir als Sozialdemokraten mit and<strong>er</strong>en europäischen Länd<strong>er</strong>n v<strong>er</strong>suchen,<br />
eine europäische Petition auf den Weg zu bringen. Wenn es <strong>die</strong><br />
Regi<strong>er</strong>ungen nicht schaffen, sich den großen Geldanleg<strong>er</strong>n wirklich konsequent<br />
genug entgegenzustellen, muss eine neue Form von Bürg<strong>er</strong>gesellschaft<br />
<strong>er</strong>zwungen w<strong>er</strong>den.<br />
<strong>Die</strong> Welt braucht keine unproduktiven Gewinne. Dass viele Menschen in<br />
Europa den Gürtel eng<strong>er</strong> schnallen müssen, damit einige Pfeff<strong>er</strong>säcke ihr<br />
Geld in d<strong>er</strong> Schweiz parken können, ist einfach ung<strong>er</strong>echt. Ich wäre keine<br />
Sozialdemokratin, wenn ich <strong>die</strong>s nicht als Skandal benennen würde. <strong>Die</strong><br />
Einhegung des Kapitalismus, also das, was wir heute soziale Demokratie<br />
nennen, wäre nie ohne organisi<strong>er</strong>te Int<strong>er</strong>essen d<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong>innen und<br />
Arbeitnehm<strong>er</strong> und ohne politischen Druck d<strong>er</strong> Straße möglich gewesen.
Ein wichtig<strong>er</strong> Punkt ist auch <strong>die</strong> ideologische Befreiung d<strong>er</strong> deutschen Wirtschaftswissenschaften,<br />
<strong>die</strong> sich bis auf wenige Ausnahmen auf d<strong>er</strong> Betriebswirtschaftsebene<br />
bewegen od<strong>er</strong> rein angebotsorienti<strong>er</strong>t argumenti<strong>er</strong>en.<br />
Jedes Mal, wenn ich in den USA od<strong>er</strong> in Großbritannien bin und <strong>die</strong> Wirtschaftsteile<br />
d<strong>er</strong> dortigen Zeitungen lese, bin ich üb<strong>er</strong>rascht, wie viel Pluralität<br />
dort möglich ist. Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, habe ich<br />
das Gefühl, dass es nur den Kurs d<strong>er</strong> Angebotsorienti<strong>er</strong>ung gibt. Ich bin<br />
nicht gegen Sparen und Haushaltskonsoli<strong>die</strong>rung, ab<strong>er</strong> wir müssen auch <strong>die</strong><br />
G<strong>er</strong>echtigkeitsfrage stellen und <strong>die</strong> V<strong>er</strong>ursach<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Krise an den Kosten<br />
beteiligen. Dazu gehört auch <strong>die</strong> Sorge, dass Griechenland nicht mehr<br />
richtig auf <strong>die</strong> Beine kommt, wenn das Land alle Aufl agen abarbeiten muss.<br />
Man kann eine Volkswirtschaft auch kaputt sparen. Wir brauchen eine<br />
maßvolle Haushaltskonsoli<strong>die</strong>rung und nicht eine, <strong>die</strong> links und rechts keine<br />
V<strong>er</strong>antwortung sehen will.<br />
Ich schlage vor, dass wir in Deutschland wied<strong>er</strong> zwischen Betriebswirtschaft<br />
und Volkswirtschaft zu unt<strong>er</strong>scheiden l<strong>er</strong>nen. Das will ich an einigen Beispielen<br />
v<strong>er</strong>deutlichen. Rein betriebswirtschaftlich gedacht, wird es imm<strong>er</strong><br />
günstig<strong>er</strong> sein, niedrige Steu<strong>er</strong>n zu zahlen. Ab<strong>er</strong> volkswirtschaftlich gesehen,<br />
zahlt uns<strong>er</strong> Land einen hohen Preis, wenn es zu wenig Steu<strong>er</strong>geld<strong>er</strong> für<br />
Kind<strong>er</strong>gärten, Schulen, Hochschulen od<strong>er</strong> für b<strong>er</strong>ufl iche Bildung und Weit<strong>er</strong>bildung<br />
ausgibt. Denn dann wird <strong>die</strong> Gemeinschaft dau<strong>er</strong>haft für Menschen<br />
aufkommen müssen, <strong>die</strong> schlecht ausgebildet auf den Arbeitsmarkt<br />
kommen. Betriebswirtschaftlich g<strong>er</strong>echnet, sind Ausgaben für Kind<strong>er</strong>betreuung<br />
eine teure Last. Volkswirtschaftlich sparen wir jedoch eine Menge,<br />
wenn Männ<strong>er</strong> und Frauen durch eine gute Kind<strong>er</strong>betreuung im B<strong>er</strong>uf ihre<br />
Frau und ihren Mann stehen können, weil sie ihre Kind<strong>er</strong> gut aufgehoben<br />
wissen. Betriebswirtschaftlich gedacht, mag betriebliche Mitbestimmung<br />
gelegentlich unt<strong>er</strong>nehm<strong>er</strong>ische Entscheidungen bremsen. Gesamtgesellschaftlich<br />
gesehen hat sich dadurch in uns<strong>er</strong>em Land eine beispiellose<br />
Kultur d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>antwortung bei d<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong>schaft etabli<strong>er</strong>t, weil sich<br />
<strong>die</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong> nicht nur als Befehlsempfäng<strong>er</strong> sehen, sond<strong>er</strong>n als Mitgestalt<strong>er</strong><br />
und Mitentscheid<strong>er</strong>. Das ist ein hohes Gut, wie <strong>die</strong> letzte Krise<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
wied<strong>er</strong> gezeigt hat. Wir müssen deshalb das falsche V<strong>er</strong>ständnis von Marktwirtschaft<br />
bekämpfen, das Demokratie praktisch nur als eine nachgeordnete<br />
Größe behandelt.<br />
Märkte brauchen eine feste Ordnung, weil sonst Konzentration und Monopolbildung<br />
funktioni<strong>er</strong>ende Konkurrenz behind<strong>er</strong>n. <strong>Die</strong>se Ordnung können<br />
nicht Börsenhändl<strong>er</strong> und Investmentbank<strong>er</strong> setzen. Daran muss <strong>die</strong> gesamte<br />
Gesellschaft demokratisch beteiligt sein. Wenn dagegen uns<strong>er</strong> Land imm<strong>er</strong><br />
größ<strong>er</strong>e Summen für <strong>die</strong> Konsequenzen von waghalsigen Anlagestrategien<br />
aufwenden muss, statt in Menschen zu investi<strong>er</strong>en, dann wird das Wirtschaftswachstum<br />
gebremst. Seit dem Jahr 2000 sind <strong>die</strong> Investitionen in<br />
d<strong>er</strong> Realwirtschaft gesunken, während imm<strong>er</strong> waghalsig<strong>er</strong>e Anlagestrategien<br />
unt<strong>er</strong>nommen wurden. Das Geld fl ießt in <strong>die</strong> falsche Richtung – nicht in<br />
uns<strong>er</strong>e Zukunft, sond<strong>er</strong>n ins Zocken. Dah<strong>er</strong> kämpfen wir für eine soziale<br />
Marktwirtschaft, <strong>die</strong> gesamtgesellschaftlich <strong>er</strong>wünschte und nachhaltige<br />
Ziele v<strong>er</strong>folgt.<br />
Ja, ich v<strong>er</strong>teidige hi<strong>er</strong> heute <strong>die</strong> Demokratie, obwohl Marx von ihr nicht viel<br />
gehalten hat. Vielleicht liegt es auch daran, dass <strong>er</strong> sie nicht kannte. Marx<br />
hat ab<strong>er</strong> eine Sache sehr klar gesehen, wie Rolf Hosfeld in seinem Buch schön<br />
h<strong>er</strong>ausgearbeitet hat: Was passi<strong>er</strong>t, wenn Kapital und Arbeit sich imm<strong>er</strong><br />
weit<strong>er</strong> voneinand<strong>er</strong> entf<strong>er</strong>nen bzw. wenn <strong>die</strong> Einkommen aus V<strong>er</strong>mögen<br />
und <strong>die</strong> Einkommen aus Arbeit weit auseinand<strong>er</strong>klaffen. Damit sind wir<br />
mittendrin in d<strong>er</strong> aktuellen Debatte. Dass Marx <strong>die</strong> „Diktatur des Proletariats“<br />
in einem Salon in Frankreich geklaut hat, fi nde ich schön. Das macht sein<br />
Denkmal ein bisschen klein<strong>er</strong>. Er war eben auch nur ein Mensch: hat ein<br />
bisschen geklaut, sich ein bisschen wichtig gemacht, ein bisschen aufgebauscht.<br />
Tatsache ist ab<strong>er</strong>, dass <strong>er</strong> sich als ein<strong>er</strong> von wenigen systematisch<br />
mit den Folgen und Wirkungen des kapitalistischen Systems auseinand<strong>er</strong>gesetzt<br />
hat. Ich behaupte, dass ist in d<strong>er</strong> jetzigen Situation dringend<strong>er</strong><br />
denn je. Eine ob<strong>er</strong>fl ächliche Betrachtung reicht nicht mehr aus. Es genügt<br />
nicht mehr, Pfl ast<strong>er</strong> auf <strong>die</strong> Wunden zu kleben, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Finanzmärkte reißen.<br />
Wir müssen <strong>die</strong> Krisenhaftigkeit des Kapitalismus <strong>er</strong>nst nehmen und dafür<br />
sorgen, dass sie uns nicht auffrisst.
Laudatio<br />
Dr. Klaus Hohlfeld<br />
Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury<br />
Karl Marx gehört zu den einfl ussreichsten Ideengeb<strong>er</strong>n für das politische<br />
Denken und Handeln d<strong>er</strong> Mod<strong>er</strong>ne. Das besond<strong>er</strong>e V<strong>er</strong><strong>die</strong>nst d<strong>er</strong> neuen<br />
Karl-Marx-Biographie von Rolf Hosfeld „<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“ liegt darin,<br />
dass sie vor dem Hint<strong>er</strong>grund d<strong>er</strong> neuesten zeitgeschichtlichen Entwicklung<br />
geschrieben wurde. D<strong>er</strong> totalitäre Kommunismus, dessen Ideologie sich auf<br />
<strong>die</strong> Lehren von Marx gründete, brach zusammen, zumindest in Europa. D<strong>er</strong><br />
mod<strong>er</strong>ne Kapitalismus, von Karl Marx b<strong>er</strong>eits im 19. Jahrhund<strong>er</strong>t kritisch<br />
durchleuchtet, entfaltete sich auf hemmungslose Weise und stürzte das<br />
Wirtschafts- und Sozialsystem in eine bedenkliche Krise. Rolf Hosfeld stellt<br />
<strong>die</strong> Entstehung d<strong>er</strong> Lehre von Karl Marx vor. Auf d<strong>er</strong> Grundlage d<strong>er</strong> Philosophie<br />
von Hegel und aus den Erfahrungen d<strong>er</strong> Politik, Wirtschaft und Gesell-<br />
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schaft sein<strong>er</strong> Zeit entwickelte <strong>er</strong> seine revolutionären Gedanken. D<strong>er</strong> analytische<br />
Zugriff auf <strong>die</strong> Situation ein<strong>er</strong> Zeit setzt auch heute noch Maßstäbe<br />
und schärft das kritische Bewusstsein. Seine geschichtsphilosophische<br />
apokalyptische Prophetie hat sich nicht bestätigt. Sie ist für uns nicht mehr<br />
akzeptabel, zumal sie im Totalitarismus Lenins und Stalins missbraucht und<br />
p<strong>er</strong>v<strong>er</strong>ti<strong>er</strong>t wurde. Auf d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en Seite wurde <strong>die</strong> undogmatische revi sionistische<br />
Weit<strong>er</strong>entwicklung d<strong>er</strong> Marx’schen Gedanken von d<strong>er</strong> Befreiung<br />
und Emanzipation d<strong>er</strong> unt<strong>er</strong>drückten Massen eine Grundlage für <strong>die</strong> Programmatik<br />
d<strong>er</strong> sozialen Demokratie vor allem in d<strong>er</strong> zweiten Hälfte des<br />
20. Jahrhund<strong>er</strong>ts. Rolf Hosfeld will keine Marx-Renaissance, <strong>er</strong> zeigt ab<strong>er</strong><br />
üb<strong>er</strong>zeugend auf, welche Bedeutung <strong>die</strong> Beschäftigung mit Karl Marx<br />
und den „<strong>Geist<strong>er</strong></strong>n, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“, haben kann.
„Das politische Buch“ 2010<br />
Jurybegründung<br />
Rolf Hosfelds glänzend geschriebenes Buch entfaltet <strong>die</strong> Entstehung<br />
und Wirkung d<strong>er</strong> Marxschen Gedankenwelt. Auf d<strong>er</strong> Basis d<strong>er</strong><br />
Hegelschen Philosophie und vor dem Hint<strong>er</strong>grund d<strong>er</strong> gesellschaftlichen,<br />
wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im 19. Jahrhund<strong>er</strong>t<br />
entwickelte Marx seine revolutionären Theorien. Seine<br />
irrtümliche Schlussfolg<strong>er</strong>ung, <strong>die</strong> Geschichte laufe zwangsläufi g<br />
auf eine klassen lose para<strong>die</strong>sische Gesellschaft zu, hat seine kommunistischen<br />
Nachfolg<strong>er</strong> im 20. Jahrhund<strong>er</strong>t zur Errichtung totalitär<strong>er</strong><br />
Diktaturen v<strong>er</strong>leitet. Weil nach dem Zusammenbruch d<strong>er</strong><br />
kommunistischen Systeme sich weltweit ein entfesselt<strong>er</strong> und ungezügelt<strong>er</strong><br />
Kapitalismus durchgesetzt hat, lohnt sich heute eine<br />
Rückbesinnung auf <strong>die</strong> Wurzeln und Diagnoseansätze d<strong>er</strong> Marxschen<br />
Kapitalismuskritik. Ohne d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>suchung ein<strong>er</strong> neuen Marx-<br />
V<strong>er</strong>ehrung zu <strong>er</strong>liegen, bietet Rolf Hosfelds Buch eine frische und<br />
unv<strong>er</strong>stellte Sicht auf Leben und W<strong>er</strong>k des großen Denk<strong>er</strong>s jenseits<br />
d<strong>er</strong> v<strong>er</strong>fälschenden Int<strong>er</strong>pretationen und unzulässigen Schlussfolg<strong>er</strong>ungen<br />
d<strong>er</strong> vielen sich auf ihn b<strong>er</strong>ufenden „Marxisten“.<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
URKUNDE<br />
<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
v<strong>er</strong>leiht<br />
Rolf Hosfeld<br />
für sein Buch<br />
<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />
Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />
den Preis<br />
DAS POLITISCHE BUCH<br />
Anke Fuchs<br />
Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
B<strong>er</strong>lin, den 11. Mai 2010<br />
Sprech<strong>er</strong>: Dr. Klaus Hohlfeld (Mannheim)<br />
Horst Baraczewski (Bremen) · Wolfgang Budde-Roth (Bonn) · Jens Hundries<strong>er</strong> (Dinslaken)<br />
Dr. Annette Kasp<strong>er</strong> (Jena) · Barbara Lison (Bremen) · Dr. <strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Schust<strong>er</strong> (Düsseldorf)<br />
W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Stephan (Stuttgart) · Dr. Beate Trög<strong>er</strong> (Münst<strong>er</strong>)
Dankesrede<br />
Rolf Hosfeld<br />
Vielen Dank d<strong>er</strong> ganzen Jury für <strong>die</strong> V<strong>er</strong>leihung des Preises. Ich fühle mich<br />
sehr geehrt und unt<strong>er</strong>w<strong>er</strong>fe mich bescheiden Ihrem Urteil, das mich in eine<br />
Reihe von bish<strong>er</strong>igen Preisträg<strong>er</strong>n stellt, in d<strong>er</strong>en Nachbarschaft man sich<br />
mehr als gut aufgehoben fühlen kann.<br />
Ein Teil d<strong>er</strong> Ehre geht sich<strong>er</strong> in <strong>er</strong>st<strong>er</strong> Linie auf das Konto des Mannes, dem<br />
mein neuestes Buch „<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“ gewidmet ist: Karl Marx. Man<br />
spricht wied<strong>er</strong> üb<strong>er</strong> ihn. <strong>Die</strong> nunmehr in ihr drittes Jahr gehende Weltfi nanzkrise<br />
führte, wie Frank Schirrmach<strong>er</strong> von d<strong>er</strong> „Frankfurt<strong>er</strong> Allgemeinen Zeitung“<br />
vor wenigen Monaten schrieb, zu einem „fundamentalen Bruch im Selbstv<strong>er</strong>ständnis<br />
d<strong>er</strong> Sieg<strong>er</strong> von 1989“. Es ist üb<strong>er</strong> 20 Jahre h<strong>er</strong>, dass ein von vornh<strong>er</strong>ein<br />
irreales und gewaltsames Sozialexp<strong>er</strong>iment (d<strong>er</strong> sowjetische Kommunismus)<br />
an seinen eigenen inn<strong>er</strong>en Wid<strong>er</strong>sprüchen und Unzulänglichkeiten<br />
implo<strong>die</strong>rte und durch demokratische Bürg<strong>er</strong>bewegungen sein ultimatives<br />
Ende fand. Zu Recht. Wir haben das alles noch in gut<strong>er</strong> Erinn<strong>er</strong>ung.<br />
Alle Welt redete vom Ende d<strong>er</strong> Geschichte. Doch plötzlich, letztes Jahr auf<br />
dem Höhepunkt d<strong>er</strong> Krise, sprach selbst <strong>die</strong> Bundeskanzl<strong>er</strong>in davon, dass<br />
uns<strong>er</strong>e Gesellschaftsordnung <strong>er</strong>nsthaft in Gefahr g<strong>er</strong>aten könne – eine<br />
Rhetorik, um noch einmal Frank Schirrmach<strong>er</strong> zu ziti<strong>er</strong>en, <strong>die</strong> „früh<strong>er</strong> ausschließlich<br />
militanten, systemfeindlichen Kräften“ vorbehalten war.<br />
Wir <strong>er</strong>leben eine neue Zeit d<strong>er</strong> Nachdenklichkeit. Das hat auch etwas damit<br />
zu tun, dass keines d<strong>er</strong> von Karl Marx in seinem großen Lebensw<strong>er</strong>k thematisi<strong>er</strong>ten<br />
Probleme gelöst worden ist – wed<strong>er</strong> von seinen selbst<strong>er</strong>nannten<br />
Nachfolg<strong>er</strong>n noch von d<strong>er</strong>en und seinen Gegn<strong>er</strong>n. Im Gegenteil: Statt uns<br />
das Ende d<strong>er</strong> Geschichte und eine univ<strong>er</strong>sale lib<strong>er</strong>ale Weltgesellschaft zu<br />
präsenti<strong>er</strong>en, hat d<strong>er</strong> Kollaps des Kommunismus <strong>er</strong>st jene kapitalistische<br />
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Globalisi<strong>er</strong>ung vollendet, <strong>die</strong> Marx vor 160 Jahren im „Kommunistischen<br />
Manifest“ als unmittelbar bevorstehend prophezeite. D<strong>er</strong>en ung<strong>er</strong>egelt<strong>er</strong><br />
Zustand besch<strong>er</strong>te uns nun jenen Crash d<strong>er</strong> Finanzmärkte, d<strong>er</strong> allem Anschein<br />
nach noch lange nicht d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>gangenheit angehört.<br />
D<strong>er</strong> Kapitalismus ist nach wie vor ein problematisches System, was sich<br />
besond<strong>er</strong>s in seinen p<strong>er</strong>iodisch ausbrechenden Krisen zeigt. Krisen gehören<br />
zum Gencode des Kapitalismus. Das meinte auch Marx, und <strong>die</strong>se Einsicht<br />
gehört vielleicht zu seinen wichtigsten Entdeckungen. „<strong>Die</strong> Weltmarktkrisen“,<br />
schrieb <strong>er</strong>, „müssen als <strong>die</strong> reale Zusammenfassung und gewaltsame<br />
Ausgleichung all<strong>er</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche d<strong>er</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Ökonomie gefasst<br />
w<strong>er</strong>den.“ <strong>Die</strong> Gründe für ihren Ausbruch, meinte <strong>er</strong>, haben in d<strong>er</strong> Regel etwas<br />
mit ein<strong>er</strong> allgemeinen Üb<strong>er</strong>produktion gemessen an zahlungsfähig<strong>er</strong> Nachfrage<br />
zu tun, <strong>die</strong> durch eine Ausdehnung des Kredits für eine bestimmte Zeit<br />
üb<strong>er</strong>deckt w<strong>er</strong>den kann. Irgendwann liegt Geld brach, und <strong>die</strong>ses Phänomen<br />
unbeschäftigten Kapitals, so Marx, geht meist den Krisen vorh<strong>er</strong>. Es sucht
sich oft Wege, <strong>die</strong> den Ausbruch d<strong>er</strong> Krise nur noch beschleunigen, beispielsweise<br />
Spekulationsgeschäfte.<br />
Marx beobachtete <strong>die</strong>ses Phänomen zum <strong>er</strong>sten Mal während d<strong>er</strong> Weltmarktkrise<br />
von 1857. Eine neue Konsonanz des Marktes, so seine Schlussfolg<strong>er</strong>ung,<br />
konnte dann, wenn d<strong>er</strong> Extremfall eingetreten war, nur noch<br />
durch Durchlaufen d<strong>er</strong> äuß<strong>er</strong>sten Dissonanzen, also ein<strong>er</strong> P<strong>er</strong>iode destruktiv<strong>er</strong><br />
Instabilität, <strong>er</strong>reicht w<strong>er</strong>den. So ist es noch heute. Zweifellos, Marx<br />
v<strong>er</strong>stand etwas von den Gefährdungen d<strong>er</strong> Marktwirtschaft. Es üb<strong>er</strong>rascht<br />
vielleicht, ab<strong>er</strong> d<strong>er</strong> mod<strong>er</strong>ne Kapitalismus hat trotzdem kaum einen größ<strong>er</strong>en<br />
Bewund<strong>er</strong><strong>er</strong> gefunden als Karl Marx. „<strong>Die</strong> Bourgeoisie“, heißt es im<br />
„Kommunistischen Manifest“, „hat bewiesen, was <strong>die</strong> Tätigkeit des Menschen<br />
zustande bringen kann. Sie hat ganz and<strong>er</strong>e Wund<strong>er</strong>w<strong>er</strong>ke vollbracht als<br />
ägyptische Pyramiden, römische Wass<strong>er</strong>leitungen und gotische Kathedralen,<br />
sie hat ganz and<strong>er</strong>e Züge ausgeführt als Völk<strong>er</strong>wand<strong>er</strong>ungen und Kreuzzüge.“<br />
Es war eine Revolution, wie sie <strong>die</strong> Welt noch nie gesehen hatte, und<br />
sie vollzog sich unt<strong>er</strong> den Augen von Zeitgenossen, <strong>die</strong> <strong>er</strong>st wenig zuvor <strong>die</strong><br />
kleinen Nischen und lieblichen Alltagsdinge d<strong>er</strong> häuslichen Bied<strong>er</strong>mei<strong>er</strong>welt<br />
zu kultivi<strong>er</strong>en gel<strong>er</strong>nt hatten und noch im Zeitalt<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Postkutsche aufgewachsen<br />
waren.<br />
Marx ab<strong>er</strong> hielt <strong>die</strong>se plötzliche und g<strong>er</strong>adezu üb<strong>er</strong>pharaonische Gewalt und<br />
Stärke des Kapitalismus für so gebrechlich, dass <strong>er</strong> ihr keine lange Lebensdau<strong>er</strong><br />
zutrauen wollte. „<strong>Die</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Produktions- und V<strong>er</strong>kehrsv<strong>er</strong>hältnisse“,<br />
meinte das „Kommunistische Manifest“, „<strong>die</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Eigentumsv<strong>er</strong>hältnisse,<br />
<strong>die</strong> mod<strong>er</strong>ne bürg<strong>er</strong>liche Gesellschaft, <strong>die</strong> so gewaltige<br />
Produktions- und V<strong>er</strong>kehrsmittel h<strong>er</strong>vorgezaub<strong>er</strong>t hat, gleicht dem Hexenmeist<strong>er</strong>,<br />
d<strong>er</strong> <strong>die</strong> unt<strong>er</strong>irdischen Gewalten nicht mehr zu beh<strong>er</strong>rschen v<strong>er</strong>mag,<br />
<strong>die</strong> <strong>er</strong> h<strong>er</strong>aufbeschwor.“<br />
Marx’ Biographie fi el mit d<strong>er</strong> größten Umwälzung zusammen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />
Menschheit seit dem Neolithikum <strong>er</strong>lebt hat, und <strong>er</strong> war von dem Ausmaß<br />
und d<strong>er</strong> Geschwindigkeit d<strong>er</strong> industriellen Revolution, <strong>die</strong> in kürzest<strong>er</strong> Zeit<br />
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eine ganze Welt auf den Kopf stellte, üb<strong>er</strong>wältigt, weit mehr als alle and<strong>er</strong>en<br />
Theoretik<strong>er</strong> vor ihm. Adam Smiths „Wealth of Nations“ <strong>er</strong>schien 1776, noch<br />
vor Beginn d<strong>er</strong> industriellen Revolution, David Ricardos „Principles of Political<br />
Economy and Taxation“ 1817, zur Zeit ihr<strong>er</strong> Kind<strong>er</strong>schuhe. Marx, dessen<br />
„Kapital“ auch eine intensive Auseinand<strong>er</strong>setzung mit den beiden großen<br />
Klassik<strong>er</strong>n d<strong>er</strong> Wirtschaftswissenschaften war, sollte zum eigentlichen Theoretik<strong>er</strong><br />
<strong>die</strong>s<strong>er</strong> säkularen Umwälzung w<strong>er</strong>den, <strong>die</strong> mit d<strong>er</strong> Gewalt ein<strong>er</strong><br />
Zeitmaschine sein Leben begleitete.<br />
Er befand sich, um mit Immanuel Kant zu reden, mitten im Nebel, statt ihn<br />
von außen nücht<strong>er</strong>n beobachten zu können. Grandiose Scharfsichtigkeit<br />
stand dah<strong>er</strong> manchmal fast zwangsläufi g neben irrationalen Heils<strong>er</strong>wartungen.<br />
Sein antinomisches Denken v<strong>er</strong>führte ihn vor allem dazu, Wid<strong>er</strong>sprüche,<br />
<strong>die</strong> sich in einem Prozess des Trial and Error und durch demokratische<br />
Int<strong>er</strong>vention und Gestaltung als aufl ösbar <strong>er</strong>weisen konnten, grundsätzlich<br />
für unaufl ösbar zu <strong>er</strong>klären. Das bedeutet ab<strong>er</strong> nicht, dass <strong>die</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche,<br />
<strong>die</strong> <strong>er</strong> in d<strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen Welt entdeckte, nicht existi<strong>er</strong>ten.<br />
Auch Schwärm<strong>er</strong> können bleibende wissenschaftliche Entdeckungen machen.<br />
Das b<strong>er</strong>ühmteste Beispiel ist vielleicht d<strong>er</strong> H<strong>er</strong>metik<strong>er</strong> Isaac Newton, d<strong>er</strong> sich<br />
neben seinen exakten Stu<strong>die</strong>n imm<strong>er</strong> auf d<strong>er</strong> Suche nach ein<strong>er</strong> alchimistischen<br />
Lehre vom Gesamtzusammenhang befand und den <strong>die</strong> Alchimie nicht selten<br />
zu tragbaren wissenschaftlichen Hypothesen anregte. Gilt Ähnliches auch<br />
für Marx? In den Augen Joseph Schumpet<strong>er</strong>s jedenfalls war <strong>er</strong> ein Ökonom<br />
von Spitzenrang und das philosophische Gewand sein<strong>er</strong> Lehre eine Angelegenheit,<br />
<strong>die</strong> man angesichts sein<strong>er</strong> beachtlichen ökonomischen Detailforschung<br />
getrost v<strong>er</strong>nachlässigen konnte. Thomas Nipp<strong>er</strong>dey meinte,<br />
g<strong>er</strong>ade sein politisch eschatologisch<strong>er</strong> Wille habe ihn für <strong>die</strong> ökonomischen<br />
und sozialen Phänomene d<strong>er</strong> industriellen Welt hellsichtig gemacht wie<br />
keinen and<strong>er</strong>en Zeitgenossen und keinen sein<strong>er</strong> Vorläuf<strong>er</strong>. Vor allem war <strong>er</strong><br />
kein Gleichgewichtstheoretik<strong>er</strong> und Theologe des Marktes – ein V<strong>er</strong><strong>die</strong>nst,<br />
das ihm ausg<strong>er</strong>echnet d<strong>er</strong> Finanzmagnat George Soros hoch anrechnete.
Seine entscheidende wissenschaftliche Entdeckung bestand nach den Worten<br />
Charles Taylors darin, im Kapitalismus <strong>die</strong> innovativste und kreativste<br />
Wirtschaftsordnung d<strong>er</strong> Menschheitsgeschichte zu sehen und zugleich<br />
auch <strong>die</strong> destruktivste. Er hätte es all<strong>er</strong>dings, meint Taylor, bei <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Einsicht<br />
belassen sollen, statt sich in d<strong>er</strong> Hoffnung zu v<strong>er</strong>li<strong>er</strong>en, das komplexe Chaos<br />
in ein<strong>er</strong> neuen Harmonie und Einfachheit aufl ösen zu können.<br />
Vielleicht sind gewisse Probleme auch gar nicht grundsätzlich lösbar. Marx<br />
ab<strong>er</strong> glaubte das, und <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Glaube war v<strong>er</strong>mutlich sein größt<strong>er</strong> Fehl<strong>er</strong>.<br />
Seine Vorstellungen blieben imm<strong>er</strong> sehr vage und philosophisch unbestimmt,<br />
wenn es um eine denkbare Zukunft nach dem Kapitalismus ging. Er war d<strong>er</strong><br />
Meinung, mit d<strong>er</strong> Abschaffung des Marktes auch <strong>die</strong> Krisen und <strong>die</strong> damit<br />
v<strong>er</strong>bundene Unsich<strong>er</strong>heit d<strong>er</strong> Lebensv<strong>er</strong>hältnisse aus d<strong>er</strong> Welt schaffen zu<br />
können. Er hatte eine entwaffnend einfache und unt<strong>er</strong>komplexe Lösung im<br />
Auge, wenn <strong>er</strong> meinte, des Problems H<strong>er</strong>r w<strong>er</strong>den zu können, indem man<br />
das in d<strong>er</strong> Kategorie Geld ausgedrückte Produktionsv<strong>er</strong>hältnis selbst aufhob<br />
und es durch eine durchgeplante Organisation d<strong>er</strong> Arbeit <strong>er</strong>setzte.<br />
Dass solche Modelle zwangsläufi g neue systemische Wid<strong>er</strong>sprüche entwickeln<br />
mussten, scheint ihm 1843 für kurze Zeit durch den Kopf gegangen<br />
zu sein. Jede Bürokratie, meinte <strong>er</strong> damals, neige imm<strong>er</strong> dazu, das Staats -<br />
wesen – und folglich auch <strong>die</strong> staatsanaloge V<strong>er</strong>waltung von Sachen, <strong>die</strong><br />
Marx nach dem „Abst<strong>er</strong>ben des Staats“ als Zukunftsp<strong>er</strong>spektive vorschwebte<br />
– als ihr Privateigentum zu betrachten, und jed<strong>er</strong> Bürokrat sei dah<strong>er</strong> g<strong>er</strong>adezu<br />
gezwungen, jesuitisch mit dem wirklichen Staat zu v<strong>er</strong>fahren. Auf<br />
<strong>die</strong>sen Gedanken ist <strong>er</strong> all<strong>er</strong>dings nie wied<strong>er</strong> zurückgekommen.<br />
Seine Vision ein<strong>er</strong> fl üchtigen, als <strong>er</strong>ruptives Zwischenspiel empfundenen<br />
kapitalistischen Mod<strong>er</strong>ne, v<strong>er</strong>mutet Richard Sennett, hatte auch etwas damit<br />
zu tun, dass <strong>die</strong> H<strong>er</strong>kunft aus ein<strong>er</strong> Welt bied<strong>er</strong>mei<strong>er</strong>lich<strong>er</strong> Beschaulichkeit<br />
und das nostalgische Gefühl für den uralten Rhythmus d<strong>er</strong> Landschaft in<br />
ihm noch lebendig geblieben waren. Er war, wie sein Freund Heinrich<br />
Heine, im Grunde ein entlaufen<strong>er</strong> Romantik<strong>er</strong>. Und das war gewiss seine<br />
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gefährlichste Seite. Marx unt<strong>er</strong>lag, wie Heinrich August Winkl<strong>er</strong> einmal bem<strong>er</strong>kt<br />
hat, einem historischen Fehlschluss, als <strong>er</strong> <strong>die</strong> Zukunftsgeschichte<br />
des mod<strong>er</strong>nen Proletariats nach dem Modell d<strong>er</strong> Französischen Revolution<br />
von 1789 in d<strong>er</strong> Rolle eines neuen allgemeinen Standes sehen wollte. Das<br />
Proletariat war – entgegen sein<strong>er</strong> durch nichts begründeten und im K<strong>er</strong>n<br />
romantischen Annahme – ein soziologisches Faktum d<strong>er</strong> Mod<strong>er</strong>ne und<br />
keine welthistorische Klasse, mit d<strong>er</strong> sich d<strong>er</strong> Impuls des Sturms auf <strong>die</strong><br />
Bastille auf ein<strong>er</strong> höh<strong>er</strong>en Stufe weit<strong>er</strong>führen ließ.<br />
Es gibt Tatsachen, und w<strong>er</strong> Tatsachen nicht akzepti<strong>er</strong>en will, muss Surrogate<br />
schaffen. Lenin war ein solch<strong>er</strong> Meist<strong>er</strong> des Surrogats. Ohne den Ersten Weltkrieg<br />
und den vollständigen Zusammenbruch Russlands im Jahre 1917 hätte<br />
es keine Geschichte des Kommunismus gegeben. Erst in <strong>die</strong>sem Machtvakuum<br />
konnten Lenins Konzepte wirksam w<strong>er</strong>den, mit denen b<strong>er</strong>ufsrevolutionäre<br />
Machttechnik<strong>er</strong> den ungeheu<strong>er</strong>lichen V<strong>er</strong>such unt<strong>er</strong>nahmen, Politik<br />
als futuristisches Sozialexp<strong>er</strong>iment auf den Trümm<strong>er</strong>n eines in seine<br />
amorphen Bestandteile z<strong>er</strong>fallenen Reichs zu betreiben. Was <strong>die</strong> Bolschewiki<br />
in <strong>die</strong> Welt setzten, gehört nicht zur Geschichte d<strong>er</strong> europäischen Arbeit<strong>er</strong>bewegung.<br />
<strong>Die</strong> Ergebnisse sind bekannt. <strong>Die</strong> V<strong>er</strong>gewaltigung d<strong>er</strong> russischen<br />
Erde führte zu jen<strong>er</strong> Utopie d<strong>er</strong> Säub<strong>er</strong>ungen, zu jen<strong>er</strong> H<strong>er</strong>rschaft des Surrealen,<br />
<strong>die</strong> sich zeitweilig auf einem Drittel des Globus ausbreiten konnte<br />
und im H<strong>er</strong>bst 1989 lautlos v<strong>er</strong>abschiedete. D<strong>er</strong> damit v<strong>er</strong>bundene Größenwahn<br />
d<strong>er</strong> Machbarkeit von Geschichte ford<strong>er</strong>te all<strong>er</strong>dings Millionen Opf<strong>er</strong>.<br />
Sind sie Marx anzulasten? Ja und nein. Hielt man an sein<strong>er</strong> Üb<strong>er</strong>zeugung<br />
fest, dass d<strong>er</strong> Kommunismus das notwendige Ergebnis d<strong>er</strong> Geschichte war,<br />
musste man ihn gewaltsam h<strong>er</strong>stellen, wenn sich Marx’ Prognosen als unrealistisch<br />
h<strong>er</strong>ausstellen sollten. Od<strong>er</strong> man musste Marx revi<strong>die</strong>ren. „Wenn<br />
d<strong>er</strong> Sieg des Sozialismus eine immanente ökonomische Notwendigkeit sein<br />
soll“, schrieb Eduard B<strong>er</strong>nstein Ende März 1899 im „Vorwärts“, „dann muss<br />
<strong>er</strong> auf dem Nachweis von d<strong>er</strong> Unv<strong>er</strong>meidlichkeit des ökonomischen Zusammenbruchs<br />
d<strong>er</strong> bestehenden Gesellschaft begründet w<strong>er</strong>den. <strong>Die</strong>s<strong>er</strong>
Nachweis ist noch nicht <strong>er</strong>bracht worden und nicht zu <strong>er</strong>bringen.“ Mit<br />
B<strong>er</strong>nsteins sogenanntem Revisionismus beginnt <strong>die</strong> lange Geschichte ein<strong>er</strong><br />
an W<strong>er</strong>ten ausg<strong>er</strong>ichteten und reformorienti<strong>er</strong>ten, mod<strong>er</strong>nen sozialdemokratischen<br />
Politik.<br />
War auch das eine Konsequenz aus Marx? Irgendwie ja, denn <strong>er</strong> hatte,<br />
vor allem als ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong> führenden Köpfe d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>nationalen Arbeit<strong>er</strong>assoziation<br />
– <strong>die</strong> von ihm <strong>er</strong>st <strong>die</strong> h<strong>er</strong>ausragende Bedeutung gew<strong>er</strong>kschaftlich<strong>er</strong><br />
Organisation l<strong>er</strong>nte –, imm<strong>er</strong> konkrete Schritte zur V<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>ung d<strong>er</strong> Lage<br />
d<strong>er</strong> Arbeit<strong>er</strong> geford<strong>er</strong>t und Revolutionen nur im Ausnahmezustand für möglich<br />
gehalten. Blieben <strong>die</strong> ab<strong>er</strong> aus, war <strong>die</strong> Entwicklung zum sozialdemokratischen<br />
Reformismus nur eine an d<strong>er</strong> Realität ausg<strong>er</strong>ichtete notwendige<br />
Korrektur, <strong>die</strong> nicht zufällig mit d<strong>er</strong> neuen Prosp<strong>er</strong>itätsphase des Kapitalismus<br />
Mitte d<strong>er</strong> 1890<strong>er</strong> Jahre einsetzte. And<strong>er</strong>nfalls wäre <strong>die</strong> SPD in den Status<br />
ein<strong>er</strong> politischen Sekte zurückgefallen.<br />
Letzt<strong>er</strong>es galt für Marx stets als d<strong>er</strong> schlimmste all<strong>er</strong> anzunehmenden Fälle.<br />
Er hatte nur den Gang d<strong>er</strong> wirklichen historischen Bewegung, auf <strong>die</strong> <strong>er</strong><br />
imm<strong>er</strong> so großen W<strong>er</strong>t legte, and<strong>er</strong>s und falsch eingeschätzt. Vieles in seinen<br />
spät<strong>er</strong>en Lebensjahren deutet übrigens darauf hin, dass ihm <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Umstand<br />
zunehmend selbst bewusst wurde, ohne dass <strong>er</strong> es wagte, ihn zu Ende zu<br />
denken. Zu sehr war <strong>er</strong> ein Kind jenes Zeitalt<strong>er</strong>s d<strong>er</strong> europäischen Revolutionen,<br />
das 1789 begann und <strong>er</strong>st kurz vor seinem Tod mit dem Paris<strong>er</strong> Kommuneaufstand<br />
zu Ende ging. So od<strong>er</strong> so, Marx war spätestens mit dem<br />
ausgehenden 19. Jahrhund<strong>er</strong>t revisionsbedürftig.<br />
Ab<strong>er</strong> Lenins Bolschewismus stellte im Grunde eine weit größ<strong>er</strong>e, tief<strong>er</strong> gehende<br />
und folgenschw<strong>er</strong><strong>er</strong>e Revision d<strong>er</strong> Lehre von Marx dar als <strong>die</strong> sozialdemokratische<br />
Reformpolitik. Mehr noch. Er entschied sich mit seinem bolschewistischen<br />
Parteikonzept expressis v<strong>er</strong>bis gegen <strong>die</strong> wirkliche Arbeit<strong>er</strong>bewegung<br />
sein<strong>er</strong> Zeit und korrigi<strong>er</strong>te Marx, indem <strong>er</strong> dessen historischem<br />
Mat<strong>er</strong>ialismus den Boden unt<strong>er</strong> den Füßen wegzog. Martin Malia nannte<br />
den Bolschewismus einmal einen mod<strong>er</strong>nen Irrtum des Kolumbus. Mit<br />
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ihm begann eine Irrfahrt, bei d<strong>er</strong> sich <strong>die</strong> Betroffenen plötzlich mit Gewalt<br />
in ein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>kehrten mod<strong>er</strong>nen Welt wied<strong>er</strong>fanden, in d<strong>er</strong> <strong>die</strong> totale H<strong>er</strong>rschaft<br />
eines politisch-ideologischen Ordens das fi ktionale Surrogat ein<strong>er</strong> angeblich<br />
historischen Klasse darstellen sollte. 1989 war ein profanes Jahr, als das<br />
menschliche Int<strong>er</strong>esse üb<strong>er</strong> <strong>die</strong>se seit langem siech und kraftlos gewordene<br />
industrielle Variante von Glauben und Erlösung siegte, indem es von d<strong>er</strong><br />
kommunistischen Staatsmacht v<strong>er</strong>lassene und offen stehende Türen in<br />
ein<strong>er</strong> Sekunde plötzlich möglich geworden<strong>er</strong> Freiheit ohne nennensw<strong>er</strong>ten<br />
Wid<strong>er</strong>stand einrannte.<br />
Marx als Politik<strong>er</strong> und Geschichtsphilosoph ist spätestens seit <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />
ein Thema, das nur noch Historik<strong>er</strong> beschäftigt. Als Theoretik<strong>er</strong> des<br />
Kapitalismus und d<strong>er</strong> historischen Evolution ab<strong>er</strong> lebte <strong>er</strong> lange Zeit in ein<strong>er</strong><br />
babylonischen Gefangenschaft, umstellt von affi rmativen Ideologen und<br />
fanatischen Gegn<strong>er</strong>n, und ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten,<br />
Wid<strong>er</strong>sprüchen und produktiven Fehleinschätzungen <strong>er</strong>st noch<br />
unbefangen zu entdecken. Gescheit<strong>er</strong>te Prophezeiungen, meinte Richard<br />
Rorty einmal, sind oft eine inspiri<strong>er</strong>ende Lektüre. Es wäre am besten, wenn<br />
wir ohne Prophetien und ohne Ansprüche auf ein höh<strong>er</strong>es Wissen um <strong>die</strong><br />
Kräfte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschichte lenken, auskommen könnten. Doch auch wenn<br />
Marx heute in vielem v<strong>er</strong>altet wirke, so Rorty, habe <strong>er</strong> in imm<strong>er</strong> noch bewund<strong>er</strong>nsw<strong>er</strong>t<strong>er</strong><br />
Weise <strong>die</strong> wichtige Lektion formuli<strong>er</strong>t, <strong>die</strong> wir angesichts eines<br />
ungebremsten Kapitalismus gel<strong>er</strong>nt haben, nämlich dass d<strong>er</strong> Sturz autoritär<strong>er</strong><br />
Regi<strong>er</strong>ungen und <strong>die</strong> Schaffung konstitutionell<strong>er</strong> Demokratien zur<br />
Sich<strong>er</strong>ung von Gleichheit und Anstand zwischen den Menschen nicht ausreichen.<br />
Mehr als seine dem unruhigen Zeitgeist des 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts geschuldeten<br />
apokalyptischen Antworten beschäftigen uns heute <strong>die</strong> nach wie vor irriti<strong>er</strong>enden<br />
Fragen von Marx bezüglich des labilen Zustands und d<strong>er</strong> selbstz<strong>er</strong>stör<strong>er</strong>ischen<br />
Tendenzen uns<strong>er</strong><strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen Welt. Marx wollte eine auf<br />
den Kopf gestellte Welt durch <strong>die</strong> Einebnung von als Entfremdung und V<strong>er</strong>dinglichung<br />
int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>ten Komplexitäten grundsätzlich v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>n, anstatt
sie nur zu int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>en und damit vielleicht in Grenzen beh<strong>er</strong>rschbar und<br />
gestaltbar zu machen. Mit ein<strong>er</strong> richtigen Int<strong>er</strong>pretation d<strong>er</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche<br />
des Kapitalismus wäre all<strong>er</strong>dings schon viel gewonnen. Jede v<strong>er</strong>nünftige<br />
Politik staatlich<strong>er</strong> (und global<strong>er</strong>) Reguli<strong>er</strong>ung ist schließlich darauf angewiesen,<br />
ob und wie weit man das, was reguli<strong>er</strong>t w<strong>er</strong>den soll, richtig<br />
int<strong>er</strong> preti<strong>er</strong>t hat. Das betrifft <strong>die</strong> komplexen Beziehungen von Markt und<br />
Ordnung, Eigeninitiative und G<strong>er</strong>echtigkeit, ab<strong>er</strong> auch <strong>die</strong> Menschenrechte<br />
und eine friedliche Welt int<strong>er</strong>national<strong>er</strong> Beziehungen.<br />
Und da w<strong>er</strong>den Marx’ un<strong>er</strong>bittliche Fragen wied<strong>er</strong> aktuell. Denn aus ihnen<br />
lässt sich, recht v<strong>er</strong>standen und recht sorti<strong>er</strong>t, nicht nur das v<strong>er</strong>fl ossene<br />
Prinzip Erlösung, sond<strong>er</strong>n auch das weit bescheiden<strong>er</strong>e Prinzip V<strong>er</strong>antwortung<br />
h<strong>er</strong>auslesen.<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
Empfehlungsliste 2010<br />
Neben dem Preisbuch empfi ehlt <strong>die</strong> Jury jedes Jahr weit<strong>er</strong>e wichtige politische<br />
Büch<strong>er</strong>:<br />
Holg<strong>er</strong> Kulick / Toralf Staud (Hg.)<br />
Das Buch gegen Nazis. Rechtsextremismus –<br />
Was man wissen muss und wie man sich wehren kann<br />
Köln: Kiepenhau<strong>er</strong> & Witsch V<strong>er</strong>lag, 2009. – 303 S., € 12,95<br />
<strong>Die</strong> Journalisten Holg<strong>er</strong> Kulick und Toralf Staud haben in <strong>die</strong>sem Handbuch<br />
<strong>die</strong> wichtigsten Fragen um das Thema Rechtsextremismus zusammengetragen.<br />
In knappen, üb<strong>er</strong>sichtlichen Texten stehen alltagstaugliche Handlungsund<br />
Entscheidungsvorschläge neben lebendigen und wirklichkeitsnahen<br />
Praxisbeispielen. Es w<strong>er</strong>den M<strong>er</strong>kmale benannt, an denen rechtsextremes<br />
Denken, Auftreten und Handeln zu identifi zi<strong>er</strong>en sind. „Das Buch gegen<br />
Nazis“ geht unmittelbar auf Int<strong>er</strong>netseiten d<strong>er</strong> Wochenzeitung DIE ZEIT und<br />
d<strong>er</strong> Bundeszentrale für politische Bildung zurück und dokumenti<strong>er</strong>t damit <strong>die</strong><br />
<strong>er</strong>folgreiche Arbeit eines Netzw<strong>er</strong>kes, in dem sich Menschen zur gemeinsamen<br />
Bekämpfung des Rechtsextremismus zusammengeschlossen haben. Dem<br />
Buch ist eine breite Les<strong>er</strong>schaft zu wünschen, in <strong>Bibliothek</strong>en und vor allem<br />
in Schulbibliotheken sollte es nicht fehlen.<br />
Liao Yiwu<br />
Fräulein Hallo und d<strong>er</strong> Bau<strong>er</strong>nkais<strong>er</strong><br />
Chinas Gesellschaft von unten<br />
Frankfurt am Main: S. Fisch<strong>er</strong> V<strong>er</strong>lag, 2009. – 539 S., € 22,95<br />
Jed<strong>er</strong> siebte Mensch auf d<strong>er</strong> Welt lebt in China, viele davon existi<strong>er</strong>en am<br />
Rand d<strong>er</strong> Gesellschaft. Liao Yiwu, 1958 in d<strong>er</strong> Provinz Sechuan geboren, und<br />
nach einem bewegten Leben heute Autor, Musik<strong>er</strong> und Journalist, hat es sich
zur Aufgabe gemacht, <strong>die</strong>sen Menschen eine Stimme zu geben. Seine Int<strong>er</strong>views<br />
mit Bau<strong>er</strong>n, Straßenmusik<strong>er</strong>n, Animi<strong>er</strong>mädchen, Menschenhändl<strong>er</strong>n<br />
und -Toilettenmänn<strong>er</strong>n sind in China v<strong>er</strong>boten, seine Ausreise zur Buchmesse<br />
2009 wurde unt<strong>er</strong>sagt, sein Name darf in d<strong>er</strong> chinesischen Presse nicht<br />
genannt w<strong>er</strong>den. In seinem Buch „Fräulein Hallo und d<strong>er</strong> Bau<strong>er</strong>nkais<strong>er</strong>“, ein<strong>er</strong><br />
lit<strong>er</strong>arischen Reportage, gewinnen deutsche Les<strong>er</strong> Einblicke in ungewöhnliche<br />
und fremde Lebenswege. <strong>Die</strong> Lektüre <strong>er</strong>weit<strong>er</strong>t uns<strong>er</strong> Chinabild um<br />
wesentliche Facetten und lädt zur Refl exion üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> eigene Kultur und Gesellschaft<br />
ein.<br />
Rog<strong>er</strong> Richt<strong>er</strong> / Pet<strong>er</strong> Spiegel<br />
The Pow<strong>er</strong> of Dignity –<br />
<strong>Die</strong> Kraft d<strong>er</strong> Würde. The Grameen Family<br />
Bielefeld: J. Kamphausen V<strong>er</strong>lag, 2009. – 224 S., € 39,80<br />
D<strong>er</strong> sehr schön gestaltete Bildband des Autors Pet<strong>er</strong> Spiegel und des Fotografen<br />
Rog<strong>er</strong> Richt<strong>er</strong> zeigt in eindrucksvoll<strong>er</strong> Weise <strong>die</strong> Arbeit eines d<strong>er</strong> hoffnungsreichsten<br />
Projekte gegen <strong>die</strong> Armut uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Zeit: <strong>die</strong> Arbeit d<strong>er</strong> Grameen<br />
Bank in Bangladesh und ihres Gründ<strong>er</strong>s, des Friedensnobelpreisträg<strong>er</strong>s<br />
Muhammad Yunus, d<strong>er</strong> das Vorwort des Buches geschrieben hat. <strong>Die</strong> Grameen<br />
Bank <strong>er</strong>möglicht es Menschen, durch Mikrokredite von 20 bis 30 Euro eine<br />
stabile Existenzgrundlage aufzubauen, und so dem Teufelskreis d<strong>er</strong> Armut<br />
aktiv und selbstbestimmt zu entkommen. Texte und Bild<strong>er</strong> schild<strong>er</strong>n <strong>die</strong>se<br />
Menschen respektvoll vor ihr<strong>er</strong> neuen Lebensgrundlage – zum Beispiel in<br />
Gestalt eines Fisch<strong>er</strong>netzes. Das Buch beschreibt einen neuen Weg, d<strong>er</strong><br />
Spirale aus Armut und V<strong>er</strong>zweifl ung zu entkommen, es zeigt dem Betracht<strong>er</strong><br />
mutige Menschen, <strong>die</strong> ihre Zukunft selbst in <strong>die</strong> Hand nehmen.<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
Nicholas St<strong>er</strong>n<br />
D<strong>er</strong> Global Deal<br />
München: C. H. Beck V<strong>er</strong>lag, 2009. – 287 S., € 19,90<br />
St<strong>er</strong>n sucht nach Wegen, dem Klimawandel wirksam zu begegnen. Wenn <strong>die</strong><br />
Industrieländ<strong>er</strong> so weit<strong>er</strong> wirtschaften, wenn das dringend benötigte Wirtschaftswachstum<br />
d<strong>er</strong> armen Länd<strong>er</strong> – mit mehr als 80 % d<strong>er</strong> Weltbevölk<strong>er</strong>ung<br />
– ähnliche Mengen Schadstoffe emitti<strong>er</strong>t und wenn <strong>die</strong> Tropenwäld<strong>er</strong><br />
weit<strong>er</strong> abholzt w<strong>er</strong>den, w<strong>er</strong>den <strong>die</strong> -Lebensbedingungen weltweit gefährdet<br />
sein. Eine Üb<strong>er</strong>einkunft zwischen allen Staaten üb<strong>er</strong> sparsam<strong>er</strong>es Wirtschaften<br />
ist notwendig. Ohne g<strong>er</strong>echte Vorschläge, ohne Koop<strong>er</strong>ation d<strong>er</strong> Wirtschaft<br />
und ihre B<strong>er</strong>eitschaft, ethische Normen einzuhalten, und ohne neue Techniken<br />
und Methoden des Wirtschaftens ist das Ziel, den Klimawandel zu stoppen,<br />
nicht <strong>er</strong>reichbar. Gelingt <strong>die</strong>s ab<strong>er</strong>, sieht St<strong>er</strong>n auf d<strong>er</strong> Basis solch global<strong>er</strong><br />
Koop<strong>er</strong>ation eine P<strong>er</strong>spektive weltweiten Wohl<strong>er</strong>gehens.<br />
H<strong>er</strong>mann Vinke<br />
<strong>Die</strong> Bundesrepublik<br />
Ravensburg: Ravensburg<strong>er</strong> Buchv<strong>er</strong>lag, 2009. – 224 S., € 19,95<br />
<strong>Die</strong> DDR<br />
Ravensburg: Ravensburg<strong>er</strong> Buchv<strong>er</strong>lag, 2008. – 256 S., € 19,95<br />
H<strong>er</strong>mann Vinke legt zwei (Jugend-) Büch<strong>er</strong> zur jüng<strong>er</strong>en deutschen Geschichte<br />
vor, <strong>die</strong> nach- und nebeneinand<strong>er</strong> gelesen und genutzt w<strong>er</strong>den sollten.<br />
Vinke <strong>er</strong>schließt <strong>die</strong> Geschichte d<strong>er</strong> DDR und d<strong>er</strong> Bundesrepublik üb<strong>er</strong> eine<br />
Fülle von Fakten und Bild<strong>er</strong>n, mit Porträts von Politik<strong>er</strong>n, Regimegegn<strong>er</strong>n,<br />
Künstl<strong>er</strong>n und manchen and<strong>er</strong>en handelnden Menschen. <strong>Die</strong> V<strong>er</strong>quickung<br />
von Politischem und Gesellschaftlichem funktioni<strong>er</strong>t, <strong>die</strong> Texte sind sachlich<br />
und zugleich gut zu lesen. Kenntnisreich und fun<strong>die</strong>rt präsenti<strong>er</strong>t Vinke eine<br />
Dokumentation, <strong>die</strong> kritisch und distanzi<strong>er</strong>t durch <strong>die</strong> deutsche Geschichte<br />
d<strong>er</strong> letzten 65 Jahre führt. Das Layout unt<strong>er</strong>stützt sowohl das systematische<br />
wie das punktuelle Lesen. G<strong>er</strong>ade das „Zeit-Ereignis-Qu<strong>er</strong>-Lesen“ macht<br />
Geschichte neu <strong>er</strong>fahrbar, nicht nur für Jugendliche, sond<strong>er</strong>n auch für<br />
Erwachsene.
<strong>Die</strong> Jurymitglied<strong>er</strong><br />
Horst Baraczewski<br />
Jahrgang 1954. Abitur, Buchhändl<strong>er</strong>-Lehre. Seit 1993 Geschäftsführ<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />
Buchhandlung Arthur Geist GmbH, Bremen. Mitglied im Vorstand d<strong>er</strong> Bre -<br />
m<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>aturstiftung seit 1994. Mitglied d<strong>er</strong> Jury seit 1997.<br />
Wolfgang Budde-Roth<br />
Jahrgang 1939. Studium d<strong>er</strong> Philosophie und Theologie, Geschichte und<br />
Politikwissenschaften, daneben Latein und Soziologie. <strong>Bibliothek</strong>ar a. D. in<br />
d<strong>er</strong> <strong>Bibliothek</strong> d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong>. Mitglied d<strong>er</strong> Jury seit 1983.<br />
Dr. Klaus Hohlfeld<br />
Jahrgang 1939. 1959 bis 1964 Studium, vor allem Geschichte und G<strong>er</strong>manistik.<br />
Promotion mit einem zeitgeschichtlichen Thema. 1967 bis 1973 Fach -<br />
ref<strong>er</strong>ent für Geschichte und Sozialwissenschaften bei den Hamburg<strong>er</strong><br />
Öffentlichen Büch<strong>er</strong>hallen. Seit 1973 an d<strong>er</strong> Stadtbüch<strong>er</strong>ei Mannheim, von<br />
1976 bis 2002 als d<strong>er</strong>en Direktor. Fachv<strong>er</strong>öffentlichungen zur <strong>Bibliothek</strong>spolitik<br />
und -geschichte. Mitarbeit<strong>er</strong> des bibliothekarischen Besprechungs<strong>die</strong>nstes<br />
d<strong>er</strong> Fachzeitschrift „Buch und <strong>Bibliothek</strong>“ in den Gebieten Politik,<br />
Zeitgeschich te und Theat<strong>er</strong>. Von Anfang an (1982) Mitglied d<strong>er</strong> Jury „Das<br />
politische Buch“, seit 1990 d<strong>er</strong>en Sprech<strong>er</strong>.<br />
Jens Hundries<strong>er</strong><br />
Jahrgang 1940. Geboren in Danzig. Studium zum Dipl. <strong>Bibliothek</strong>ar in<br />
Göttingen. Dozent zur Ausbildung von Büch<strong>er</strong>eiassistenten im Kirchlichen<br />
<strong>Die</strong>nst beim Deutschen V<strong>er</strong>band evangelisch<strong>er</strong> Büch<strong>er</strong>eien, Göttingen. Von<br />
1977 bis Ende 2005 Leit<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Stadtbibliothek in Dinslaken.<br />
Dr. Annette Kasp<strong>er</strong><br />
Jahrgang 1953. Studium in Jena (Deutsch, Geschichte, Pädagogik), anschließend<br />
Forschungsstudium und Promotion, bis Februar 1994 wissenschaft -<br />
liche Assistentin an d<strong>er</strong> Sektion Lit<strong>er</strong>atur- und Kunstwissenschaft d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong>sität<br />
Jena, ab März 1994 Arbeit in d<strong>er</strong> Kulturabteilung des Zeisskombinates,<br />
seit Septemb<strong>er</strong> 1995 Leitung d<strong>er</strong> Ernst-Abbe-Büch<strong>er</strong>ei Jena.<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
Barbara Lison<br />
Jahrgang 1956. Studium d<strong>er</strong> Slawistik, Geschichte, Erziehungswissenschaften,<br />
danach mehr<strong>er</strong>e leitende Positionen im <strong>Bibliothek</strong>swesen, seit 1992<br />
Direktorin d<strong>er</strong> Stadtbibliothek Bremen. B<strong>er</strong>at<strong>er</strong>tätigkeiten für <strong>Bibliothek</strong>en<br />
im In- und Ausland. Geschäftsführ<strong>er</strong>in und Jurymitglied d<strong>er</strong> Rudolf-<br />
Alexand<strong>er</strong>-Schröd<strong>er</strong>-<strong>Stiftung</strong> zur V<strong>er</strong>leihung des Brem<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>aturpreises.<br />
Dr. <strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Schust<strong>er</strong><br />
Jahrgang 1927. Studium d<strong>er</strong> Geschichte, G<strong>er</strong>manistik und Philosophie in<br />
Bonn. 1958 Promotion. 1960-1965 Mitarbeit<strong>er</strong> am Int<strong>er</strong>nationalen Institut<br />
für Sozialgeschichte in Amst<strong>er</strong>dam. 1966-1992 Leit<strong>er</strong> des Archivs, d<strong>er</strong> <strong>Bibliothek</strong><br />
und d<strong>er</strong> Dokumentation beim Bundesvorstand des DGB. Mehr<strong>er</strong>e<br />
Publika tionen zur Geschichte d<strong>er</strong> SPD und zur Geschichte d<strong>er</strong> Gew<strong>er</strong>kschaften.<br />
W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Stephan<br />
Jahrgang 1947. Studium des Bauingenieurwesen und d<strong>er</strong> Geowissenschaften.<br />
<strong>Bibliothek</strong>ar seit 1979 zunächst in Darmstadt, spät<strong>er</strong> bei d<strong>er</strong><br />
Deutschen <strong>Bibliothek</strong> in Frankfurt am Main als Direktor für <strong>Die</strong>nstleistungen<br />
und Benut zung. In <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Funktion wesentlich beteiligt am Neubau d<strong>er</strong><br />
Deutschen <strong>Bibliothek</strong>/Frankfurt. Seit Anfang 1998 Direktor d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong> sitätsbibliothek<br />
Stuttgart. Aktive Mitarbeit in d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>national Fed<strong>er</strong>ation of<br />
Library Asso ciations (IFLA) und in d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>national Standard Organisation,<br />
in d<strong>er</strong> Deutschen UNESCO-Kommission und als von d<strong>er</strong> EU bestellt<strong>er</strong><br />
Gutacht<strong>er</strong>.<br />
Dr. Beate Trög<strong>er</strong><br />
Jahrgang 1961. Studium d<strong>er</strong> Philosophie, Erziehungswissenschaften, G<strong>er</strong>manistik<br />
und Kunstgeschichte, anschließend Promotion im Jahr 1993.<br />
Danach mehr<strong>er</strong>e leitende Positionen im <strong>Bibliothek</strong>swesen, seit Mai 2004<br />
Direktorin d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong>sitäts- und Landesbibliothek Münst<strong>er</strong>. Vorstandsmitglied<br />
von DINI (Deutsche Initiative für Netzw<strong>er</strong>kinformation).
<strong>Die</strong> Preisträg<strong>er</strong> „Das politische Buch“ seit 1982<br />
1982 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Horst Brehm<br />
G<strong>er</strong>d Pohl<br />
Ingeborg Bay<strong>er</strong><br />
Alwin Mey<strong>er</strong><br />
Karl-Klaus Rabe<br />
Festrede: Björn Engholm<br />
1983 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Christian Schaff<strong>er</strong>nicht<br />
<strong>Die</strong>trich Güstrow<br />
Festrede: Axel Eggebrecht<br />
1984 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Andrew Wilson<br />
Johano Strass<strong>er</strong>/Klaus Traube,<br />
August Rathmann<br />
Festrede: Dr. Hans-Jochen Vogel<br />
1985 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Tomi Ung<strong>er</strong><strong>er</strong><br />
<strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Bänsch,<br />
Büch<strong>er</strong>gilde Gutenb<strong>er</strong>g<br />
Festrede: Monika Wulf-Mathies<br />
1986 Bonn, 14. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Wolfgang Apitzsch/Thomas Klebe/Manfred Schumann<br />
Lisa Fittko<br />
Regina Beck<strong>er</strong>-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp/<br />
Beate Schmidt<br />
Festrede: Johannes Rau<br />
1987 Bonn, 21. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Günt<strong>er</strong> Gaus<br />
Angela Joschko/Hanne Huntemann<br />
Ruhrfestspiele Recklinghausen<br />
Festrede: Holg<strong>er</strong> Börn<strong>er</strong><br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
1988 Bonn, 18. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Michail Gorbatschow<br />
Gordon A. Craig<br />
Festrede: Pet<strong>er</strong> Glotz<br />
1989 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Helmut Schmidt<br />
Gioconda Belli<br />
Walt<strong>er</strong> Michl<strong>er</strong><br />
1990 Prag, 26. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Václav Havel<br />
Walt<strong>er</strong> Janka<br />
1991 Leipzig, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Timothy Garton Ash<br />
Reinhard Bohse<br />
1992 Bonn, 4. Juni<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Klaus Kordon<br />
Wolfgang Benz<br />
Festrede: Renate Schmidt<br />
1993 Bonn, 12. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Hans Magnus Enzensb<strong>er</strong>g<strong>er</strong>,<br />
Regina Griebel/Marlies Coburg<strong>er</strong>/Heinrich Scheel<br />
Festrede: Hans-Ulrich Klose<br />
1994 Leipzig, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Martin und Sylvia Greiffenhagen<br />
Wolfgang Sofsky<br />
Festrede: Günt<strong>er</strong> Wich<strong>er</strong>t<br />
1995 Bonn, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Norb<strong>er</strong>to Bobbio<br />
<strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Nohlen/Franz Nuschel<strong>er</strong><br />
Festrede: Erhard Eppl<strong>er</strong>
1996 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Pet<strong>er</strong> M<strong>er</strong>seburg<strong>er</strong><br />
Ernst Ulrich von Weizsäck<strong>er</strong>/<br />
Am<strong>er</strong>y B. & L. Hunt<strong>er</strong> Lovins<br />
Festrede: Manfred Stolpe<br />
1997 Bonn, 14. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Noa Ben Artzi-Pelossof<br />
Ulrich H<strong>er</strong>b<strong>er</strong>t<br />
Festrede: Reinhard Höppn<strong>er</strong><br />
1998 Bremen, 19. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Markus Tiedemann<br />
Swetlana Alexijewitsch<br />
Festrede: Henning Sch<strong>er</strong>f<br />
1999 Bonn, 18. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Richard Sennett<br />
Frank Böckelmann<br />
Festrede: Anke Fuchs<br />
2000 B<strong>er</strong>lin, 9. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Wolfgang Engl<strong>er</strong><br />
Festrede: Wolfgang Thi<strong>er</strong>se<br />
2001 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Heinrich August Winkl<strong>er</strong><br />
Festrede: Julian Nida-Rümelin<br />
2002 B<strong>er</strong>lin, 7. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Michael Howard<br />
Festrede: Erhard Eppl<strong>er</strong><br />
2003 B<strong>er</strong>lin, 14. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Gunt<strong>er</strong> Hofmann<br />
Festrede: Pet<strong>er</strong> Glotz<br />
2004 B<strong>er</strong>lin, 13. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Michael Mann<br />
Festrede: Jürgen Kocka<br />
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DAS POLITISCHE BUCH 2010
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DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />
2005 B<strong>er</strong>lin, 12. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Carolin Emcke<br />
Festrede: Heidemarie Wieczorek-Zeul<br />
2006 B<strong>er</strong>lin, 9. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Erhard Eppl<strong>er</strong><br />
Festrede: Hub<strong>er</strong>tus Heil<br />
2007 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Nadja Kling<strong>er</strong> und Jens König<br />
Festrede: Matthias Platzeck<br />
2008 B<strong>er</strong>lin, 6. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Pet<strong>er</strong> Schaar<br />
Festrede: Ehrhart Körting<br />
2009 B<strong>er</strong>lin, 12. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Christian Grefe und Harald Schumann<br />
Festrede: Wolfgang Thi<strong>er</strong>se<br />
2010 B<strong>er</strong>lin, 11. Mai<br />
Preisträg<strong>er</strong>: Rolf Hosfeld<br />
Festrede: Andrea Nahles
Informationen zur V<strong>er</strong>gabe des Preises<br />
„Das politische Buch“<br />
<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> v<strong>er</strong>leiht jährlich den Preis „Das politische Buch“.<br />
In mahnend<strong>er</strong> Erinn<strong>er</strong>ung an <strong>die</strong> nationalsozialistische Büch<strong>er</strong> v<strong>er</strong>brennung<br />
im Jahr 1933 fi ndet <strong>die</strong> Preisv<strong>er</strong>leihung am 10. Mai od<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> Nähe <strong>die</strong>ses<br />
Gedenktages statt.<br />
Ziel des Preises ist <strong>die</strong> Förd<strong>er</strong>ung wichtig<strong>er</strong> politisch<strong>er</strong> Büch<strong>er</strong>.<br />
<strong>Die</strong> Entscheidung üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> V<strong>er</strong>gabe des mit 10.000 € doti<strong>er</strong>ten Preises trifft<br />
eine unabhängige Jury.<br />
Auß<strong>er</strong>dem stellt <strong>die</strong> Jury eine Liste mit weit<strong>er</strong>en empfehlensw<strong>er</strong>ten politischen<br />
Büch<strong>er</strong>n zusammen.<br />
Jed<strong>er</strong> hat das Recht, Vorschläge einzureichen. Bei ausländischen Autoren muss<br />
das vorgeschlagene Buch in deutsch<strong>er</strong> Üb<strong>er</strong>setzung auf dem Buchmarkt sein.<br />
Einsendeschluss für <strong>die</strong> Buchvorschläge ist jeweils d<strong>er</strong> 15. Oktob<strong>er</strong> für den<br />
Preis des Folgejahres.<br />
Geschäftsführ<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury: Sekretariat d<strong>er</strong> Jury:<br />
<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />
Politische Akademie Kurt-Schumach<strong>er</strong>-Akademie<br />
Dr. Tobias Mörschel Agnes G<strong>er</strong>gely<br />
Hiroshimastraße 17 Willy-Brandt-Straße 19<br />
10785 B<strong>er</strong>lin 53902 Bad Münst<strong>er</strong>eifel<br />
Telefon: 030 2 69 35-71 43 Telefon: 022 53 92 12 18<br />
Telefax: 030 2 69 35-92 45 Telefax: 022 53 8091<br />
E-Mail: Tobias.Mo<strong>er</strong>schel@fes.de E-Mail: Agnes.G<strong>er</strong>gely@fes.de<br />
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