03.12.2012 Aufrufe

Die Geister, die er rief - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Geister, die er rief - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

Die Geister, die er rief - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Preisv<strong>er</strong>leihung<br />

Das politische Buch 2010<br />

Rolf Hosfeld<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />

Eine neue Karl-Marx-Biografi e


Preisv<strong>er</strong>leihung<br />

Das politische Buch 2010<br />

Rolf Hosfeld<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />

Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />

am <strong>Die</strong>nstag,<br />

11. Mai 2010 in B<strong>er</strong>lin


2<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

H<strong>er</strong>ausgeb<strong>er</strong>: <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

Politische Akademie<br />

Hiroshimastraße 17<br />

10785 B<strong>er</strong>lin<br />

© <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

V<strong>er</strong>antwortlich: Tobias Mörschel<br />

Layout: Pellens Kommunikationsdesign, Bonn<br />

Titelillustration: Isabell Klett, Barcelona / Stuttgart (Karl Marx)<br />

Fotos innen: Joachim Liebe


Inhalt<br />

6<br />

9<br />

17<br />

19<br />

21<br />

30<br />

33<br />

35<br />

39<br />

Begrüßung<br />

Anke Fuchs<br />

Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

Festrede<br />

Andrea Nahles<br />

Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong> SPD<br />

Laudatio auf den Preisträg<strong>er</strong><br />

Dr. Klaus Hohlfeld<br />

Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury „Das politische Buch“<br />

Begründung d<strong>er</strong> Jury<br />

<strong>Die</strong> Urkunde<br />

Dankwort des Preisträg<strong>er</strong>s<br />

Rolf Hosfeld<br />

Empfehlungsliste 2010<br />

<strong>Die</strong> Jurymitglied<strong>er</strong><br />

<strong>Die</strong> Preisträg<strong>er</strong> „Das politische Buch“ seit 1982<br />

Informationen zur V<strong>er</strong>gabe des Preises<br />

3<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


4<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

<strong>Die</strong> Einladung / Programm


<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

v<strong>er</strong>leiht am<br />

<strong>Die</strong>nstag, den 11. Mai 2010,<br />

18.00 Uhr<br />

im Haus d<strong>er</strong><br />

<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

Hiroshimastrasse 17,<br />

10785 B<strong>er</strong>lin-Ti<strong>er</strong>garten<br />

den Preis<br />

DAS POLITISCHE BUCH<br />

Als Preisträg<strong>er</strong> 2010 wird<br />

Rolf Hosfeld<br />

ausgezeichnet für sein Buch<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />

Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />

*<br />

Es musizi<strong>er</strong>en <strong>die</strong><br />

B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Cellharmonik<strong>er</strong><br />

David Drost<br />

Alexand<strong>er</strong> Kahl<br />

Andreas Kipp<br />

Rouven Schirm<strong>er</strong><br />

Programm<br />

Rob<strong>er</strong>t Schumann: <strong>Die</strong> beiden Grena<strong>die</strong>re op. 49 No 1<br />

*<br />

Begrüßung<br />

Anke Fuchs<br />

Vorsitzende des Vorstands d<strong>er</strong><br />

<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

*<br />

Festrede<br />

Andrea Nahles<br />

Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong><br />

Sozialdemokratischen Partei Deutschlands<br />

*<br />

Hanns Eisl<strong>er</strong>: Friedenslied<br />

*<br />

Laudatio auf den Preisträg<strong>er</strong><br />

Dr. Klaus Hohlfeld<br />

Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury<br />

*<br />

Üb<strong>er</strong>gabe des Preises an<br />

Rolf Hosfeld<br />

*<br />

Dankwort des Preisträg<strong>er</strong>s<br />

*<br />

David Popp<strong>er</strong>: Polonaise de Conc<strong>er</strong>t Op. 14<br />

5<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


6<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

Begrüßung<br />

Anke Fuchs<br />

Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

Ein Buch üb<strong>er</strong> Karl Marx im Jahr 2010 auszuzeichnen, mag manche üb<strong>er</strong>rascht<br />

haben. Hat sich <strong>die</strong> SPD, d<strong>er</strong> <strong>die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> nahesteht,<br />

nicht mit dem Godesb<strong>er</strong>g<strong>er</strong> Programm 1959 von Marx und seinen Nachfolg<strong>er</strong>n<br />

dau<strong>er</strong>haft v<strong>er</strong>abschiedet?<br />

Das hat <strong>die</strong> Partei und im Anschluss daran <strong>die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> ab<strong>er</strong><br />

nicht davon abgehalten, sein Erbe ganz konkret zu pfl egen. Seit 1968 ist<br />

uns<strong>er</strong>e <strong>Stiftung</strong> Haush<strong>er</strong>rin d<strong>er</strong> von Tausenden aus dem In- und Ausland<br />

besuchten Erinn<strong>er</strong>ungsstätte an Karl Marx in seinem Tri<strong>er</strong><strong>er</strong> Geburtshaus.<br />

<strong>Die</strong> <strong>er</strong>ste von uns betreute Ausstellung <strong>er</strong>öffnete 1968 d<strong>er</strong> Außenminist<strong>er</strong><br />

Willy Brandt als damalig<strong>er</strong> Parteivorsitzend<strong>er</strong> d<strong>er</strong> SPD. Seit 2005 ist dort<br />

eine mod<strong>er</strong>ne, völlig neu konzipi<strong>er</strong>te Präsentation zu sehen.<br />

Als am 10. Mai 1933 auf dem B<strong>er</strong>lin<strong>er</strong> Op<strong>er</strong>nplatz und in vielen and<strong>er</strong>en<br />

Städten Büch<strong>er</strong> v<strong>er</strong>brannt wurden, gehörten <strong>die</strong> Schriften von Karl Marx zu<br />

den <strong>er</strong>sten und v<strong>er</strong>hasstesten. Mit dem b<strong>er</strong>üchtigten Feu<strong>er</strong>spruch „Gegen<br />

Klassenkampf und Mat<strong>er</strong>ialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische<br />

Lebenshaltung! Ich üb<strong>er</strong>gebe den Flammen <strong>die</strong> Schriften von Marx und<br />

Kautsky“ wurden Karl Marx’ und Karl Kautskys Büch<strong>er</strong> in <strong>die</strong> Flammen<br />

geworfen. D<strong>er</strong> nationalsozialistische Hass auf Sozialismus und Sozial demokratie<br />

war grenzenlos.<br />

Nach dem Ende des Dritten Reichs wurde Marx neben Engels und Lenin<br />

zu ein<strong>er</strong> Galionsfi gur d<strong>er</strong> DDR. In d<strong>er</strong> alten Bundesrepublik führte das in den<br />

Zeiten des Kalten Krieges fast zwangsläufi g zu sein<strong>er</strong> V<strong>er</strong>bannung. Marx-<br />

Lektüre – etwa in den Zirkeln d<strong>er</strong> 68<strong>er</strong>-Studentenbewegung – war ein Zei -<br />

chen fundamental<strong>er</strong> Opposition gegen den bundesrepublikanischen Main-


stream. In d<strong>er</strong> DDR dagegen war das Marx-Studium in Schulen und Univ<strong>er</strong>sitäten<br />

Pfl icht. Wir haben alle noch <strong>die</strong> Bild<strong>er</strong> vor Augen, wie nach 1989<br />

große Kräne wuchtige Marx-Denkmäl<strong>er</strong> abräumten. Aus Karl-Marx-Stadt<br />

wurde wied<strong>er</strong> Chemnitz, aus Marxwalde Neuhardenb<strong>er</strong>g.<br />

Marx also nun endgültig all<strong>er</strong>orts und für alle Zeiten ade? Mitnichten.<br />

Heute, hört man, wird <strong>er</strong> wied<strong>er</strong> mehr als früh<strong>er</strong>, g<strong>er</strong>ade auch von jüng<strong>er</strong>en<br />

Leuten, gelesen. Unv<strong>er</strong>krampft<strong>er</strong> als in d<strong>er</strong> alten Bundesrepublik und in d<strong>er</strong><br />

DDR greifen heute viele Les<strong>er</strong>innen und Les<strong>er</strong> wied<strong>er</strong> zu seinen Schriften,<br />

neugi<strong>er</strong>ig, ob <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Denk<strong>er</strong> des 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts hilfreich sein kann ob d<strong>er</strong><br />

zunehmenden Ratlosigkeit im Blick auf den globalen Turbokapitalismus<br />

des 21. Jahrhund<strong>er</strong>ts.<br />

Da kommt das Buch uns<strong>er</strong>es <strong>die</strong>sjährigen Preisträg<strong>er</strong>s uns nun g<strong>er</strong>ade recht.<br />

Es ist H<strong>er</strong>rn Hosfeld gelungen, Lebensbeschreibung, W<strong>er</strong>kanalyse und<br />

Wirkungsbetrachtung so miteinand<strong>er</strong> zu v<strong>er</strong>binden, dass <strong>die</strong> P<strong>er</strong>son Karl<br />

Marx in sein<strong>er</strong> Darstellung Leben und Farbe gewinnt. Er macht ihn ab<strong>er</strong><br />

wed<strong>er</strong> zum Heiligen noch zum Bösewicht, d<strong>er</strong> für <strong>die</strong> Untaten viel<strong>er</strong> sich auf<br />

7<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


8<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

ihn B<strong>er</strong>ufend<strong>er</strong> v<strong>er</strong>antwortlich ist. Er wird gezeigt als ein sehr aktiv<strong>er</strong> und<br />

intelligent<strong>er</strong> Mensch mit vielen klugen Einsichten und manchen zweifelhaften<br />

Schlussfolg<strong>er</strong>ungen. Mit dem Blick auf <strong>die</strong>sen großen Mann malt Hosfeld<br />

zugleich ein Panorama des so facetten- und folgenreichen 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts.<br />

Also eine Lektüre, <strong>die</strong> sich lohnt. Ich beglückwünsche H<strong>er</strong>rn Hosfeld zu <strong>die</strong>sem<br />

Buch und freue mich, dass es 2010 mit uns<strong>er</strong>em Preis „Das politische<br />

Buch“ ausgezeichnet wird.


Festrede<br />

Andrea Nahles<br />

Gen<strong>er</strong>alsekretärin d<strong>er</strong> SPD<br />

<strong>Die</strong> Preisv<strong>er</strong>leihung passt gut in <strong>die</strong> heutige Zeit. <strong>Die</strong> Eurozone ist Angriffen<br />

von Spekulanten ausgesetzt. Nur mit einem unvorstellbar großen Rettungspaket<br />

konnten <strong>die</strong> Finanzmärkte b<strong>er</strong>uhigt w<strong>er</strong>den. D<strong>er</strong> Kapitalismus spielt<br />

v<strong>er</strong>rückt, und wir reden üb<strong>er</strong> Karl Marx. Das passt. In seinem Buch stellt Rolf<br />

Hosfeld dar, dass es eine d<strong>er</strong> größten Errungenschaften von Marx ist, <strong>die</strong><br />

Krisenhaftigkeit des Kapitalismus vorausgesagt zu haben. Und wir stecken<br />

heute mitten drin.<br />

Weil ich Juso-Bundesvorsitzende war, bin ich selb<strong>er</strong> v<strong>er</strong>dächtig, Marxologin<br />

zu sein. Günt<strong>er</strong> Bannas von d<strong>er</strong> „Frankfurt<strong>er</strong> Allgemeinen Zeitung“ schrieb<br />

mal üb<strong>er</strong> mich: „Keine Marxologin.“ Das passte, denn es war <strong>die</strong> Juso-Gen<strong>er</strong>ation<br />

vor mir, <strong>die</strong> sich mit <strong>die</strong>sen Fragen beschäftigt hat. Ich habe auß<strong>er</strong><br />

d<strong>er</strong> „Einleitung zur Hegelschen Rechtsphilosophie“ und dem „Kommunistischen<br />

Manifest“ nichts im Original gelesen. Das ist meine öffentliche<br />

Beichte zu <strong>die</strong>sem Thema. Also: In <strong>die</strong>sem Sinne habe ich viel gel<strong>er</strong>nt aus<br />

d<strong>er</strong> Marxbiographie von Hosfeld. Was mich vor allem beeindruckt hat, ist<br />

das historische Umfeld, das Hosfeld in seinem Buch gezeichnet hat. Ich bin<br />

G<strong>er</strong>manistin und habe jene Epoche bish<strong>er</strong> sehr stark üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> Lit<strong>er</strong>atur<br />

wahrgenommen.<br />

Wir <strong>er</strong>leben g<strong>er</strong>ade, dass Euroland unt<strong>er</strong> den Lasten d<strong>er</strong> Finanzkrise in d<strong>er</strong><br />

Krise steckt. Ich bin sehr froh, dass <strong>die</strong> europäischen Länd<strong>er</strong> sich entschlossen<br />

haben, zusammenzuhalten und sich gemeinsam <strong>die</strong>s<strong>er</strong> H<strong>er</strong>ausford<strong>er</strong>ung<br />

zu stellen. <strong>Die</strong> Brandbeschleunig<strong>er</strong> sind Ratingagenturen, Hedgefonds und<br />

Spekulanten. Es ist wichtig, sie mit Namen zu nennen. Denn viele Menschen<br />

9<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


10<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

fragen besorgt: Wird meine Lebensv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ung noch ausgezahlt? Was ist<br />

mein Geld noch w<strong>er</strong>t? Ab<strong>er</strong> sie wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen.<br />

Am 8. Februar 2010 haben sich Donald Morgan, David Einhorn und Aaron<br />

Cowen zum Abendessen getroffen und darüb<strong>er</strong> g<strong>er</strong>edet, dass sie sehr viel<br />

Geld v<strong>er</strong><strong>die</strong>nen können, wenn sie gegen den Euro spekuli<strong>er</strong>en bzw. gegen ein<br />

Euroland: Griechenland. Drei Männ<strong>er</strong>. Ohne Auftrag. Gegen ein Land, mit<br />

Millionen von Menschen. Aus reinem Eigennutz. Sie machen <strong>die</strong> älteste<br />

Demokratie d<strong>er</strong> Welt zum Handelsobjekt. Das üb<strong>er</strong>schreitet definitiv<br />

Grenzen.<br />

Und auch <strong>die</strong> fünf großen Banken, <strong>die</strong> 90 Prozent d<strong>er</strong> Kreditv<strong>er</strong>sich<strong>er</strong>ungsgeschäfte<br />

im Euroraum abwickeln, machen mit. Eine von ihnen ist <strong>die</strong><br />

Deutsche Bank. Fünf Banken. Drei Männ<strong>er</strong>. Es sind nicht g<strong>er</strong>ade <strong>die</strong> Massen,<br />

<strong>die</strong> den Ton angeben. <strong>Die</strong> Jagd nach zweistelligen Rendit<strong>er</strong>aten treibt sie an<br />

wie einen Junkie, d<strong>er</strong> nach d<strong>er</strong> nächsten Spritze sucht. Und dafür tun sie<br />

alles. Selbst Erpressung. Denn <strong>die</strong> Drohung lautet: Steht für das hohe Risiko<br />

uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Wetten auf griechische Staatsanleihen mit steu<strong>er</strong>fi nanzi<strong>er</strong>ten<br />

Geldspritzen ein od<strong>er</strong> wir lassen Griechenland fallen. Man könnte das auch,<br />

um im Bild d<strong>er</strong> Junkies zu bleiben, als Beschaffungskriminalität bezeichnen.<br />

<strong>Die</strong> Regi<strong>er</strong>ungen sind demgegenüb<strong>er</strong> scheinbar machtlos. Sie sind üb<strong>er</strong> <strong>die</strong><br />

eigenen hohen Schulden fest an das Schicksal d<strong>er</strong> wied<strong>er</strong>um von zweistelligen<br />

Rendit<strong>er</strong>aten abhängigen Finanzmärkte gekoppelt. Jedes Mal, wenn<br />

wir Schulden aufnehmen, um <strong>die</strong> Finanzmärkte zu stabilisi<strong>er</strong>en, sind wir<br />

wied<strong>er</strong> stärk<strong>er</strong> davon abhängig, wie sich Zinsen entwickeln, und damit<br />

davon abhängig, wie <strong>die</strong> Staaten <strong>die</strong> Kredite be<strong>die</strong>nen können. Das ist ein<br />

wahr<strong>er</strong> Teufelskreis. Deshalb ist d<strong>er</strong> Rat v<strong>er</strong>meintlich<strong>er</strong> Exp<strong>er</strong>ten, dass jetzt<br />

vor allem <strong>die</strong> Steu<strong>er</strong>zahl<strong>er</strong> alles fi nanzi<strong>er</strong>en sollen, nur kurzfristig plausibel.<br />

Er ist jedenfalls nicht d<strong>er</strong> Ausweg aus d<strong>er</strong> Abhängigkeitsspirale, <strong>die</strong> ich<br />

g<strong>er</strong>ade beschrieben habe.<br />

Hi<strong>er</strong> kommen wir an so etwas wie eine Systemfrage. Denn es kann nicht<br />

sein, dass wir nicht mehr in d<strong>er</strong> Lage sind, als Staaten und Demokratien, das<br />

Heft in d<strong>er</strong> Hand zu halten. Man muss kein Marktradikal<strong>er</strong> od<strong>er</strong> Antieuropä<strong>er</strong>


sein, um zu sagen: Griechenland hat auch Fehl<strong>er</strong> gemacht. Dennoch dürfen<br />

wir Griechenland nicht mit sinnlosen Wuch<strong>er</strong>zinsen im Regen stehen lassen<br />

darf. „<strong>Die</strong> haben Fehl<strong>er</strong> gemacht!“, hat <strong>die</strong> Bild-Zeitung in großen Lett<strong>er</strong>n<br />

geschrieben und manchmal auch Unwahrheiten v<strong>er</strong>breitet. Das lenkt ab<strong>er</strong><br />

davon ab, worum es eigentlich geht: <strong>Die</strong> Abhängigkeit von den Finanzmärkten,<br />

<strong>die</strong> nicht nur ein hausgemachtes Problem eines einzigen Landes ist,<br />

sond<strong>er</strong>n ein Problem von uns allen. Es geht nicht um <strong>die</strong> v<strong>er</strong>meintliche<br />

Mentalität d<strong>er</strong> Südländ<strong>er</strong> – wie es einige Kommentatoren in äuß<strong>er</strong>st fragwürdig<strong>er</strong><br />

Weise nahelegten –, sond<strong>er</strong>n es geht um <strong>die</strong> Demokratie<br />

selbst und um ihre Handlungsfähigkeit.<br />

<strong>Die</strong> Freiheit d<strong>er</strong> Finanzmärkte hat ihr V<strong>er</strong>sprechen eines unbegrenzten und<br />

dynamischen wirtschaftlichen Wachstums nicht eingelöst. In den mehr<br />

als 20 Jahren, in denen ich Politik mache, habe ich imm<strong>er</strong> gehört: Lasst <strong>die</strong><br />

freien Märkte nur machen. Das förd<strong>er</strong>t Produktivität und Wachstum am<br />

besten. W<strong>er</strong> nicht mitmacht, d<strong>er</strong> hält den Laden nur auf und hat <strong>die</strong> Zeit<br />

11<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


12<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

nicht v<strong>er</strong>standen. Ich bin d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> dankbar, dass sie imm<strong>er</strong><br />

v<strong>er</strong>sucht hat, solche Aussagen zu relativi<strong>er</strong>en.<br />

Denn Tatsache ist: Wenn <strong>die</strong> Staaten im letzten Jahr nicht gewaltige Summen<br />

investi<strong>er</strong>t hätten, hätten sich <strong>die</strong> sogenannten monetären W<strong>er</strong>te in Luft<br />

aufgelöst. In Wahrheit handelte es sich um eine Riesenblase, <strong>die</strong> ohne<br />

staatliches Handeln geplatzt wäre. Und trotzdem sind noch viel zu viele<br />

W<strong>er</strong>te v<strong>er</strong>nichtet worden. Es macht mir große Sorge, dass <strong>die</strong> Geldspritzen<br />

und Rettungspakete infl ationär zunehmen. Je wenig<strong>er</strong> <strong>die</strong> Bürg<strong>er</strong>innen und<br />

Bürg<strong>er</strong> den Eindruck haben, dass demokratische Regi<strong>er</strong>ungen sie vor den<br />

Konsequenzen <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Spekulationen schützen können, umso wenig<strong>er</strong> w<strong>er</strong>den<br />

sie ihren Regi<strong>er</strong>ungen v<strong>er</strong>trauen. Insof<strong>er</strong>n förd<strong>er</strong>t <strong>die</strong> Finanzkrise eine<br />

schleichende V<strong>er</strong>trauenskrise gegenüb<strong>er</strong> uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Demokratie. Ab<strong>er</strong> nur<br />

starke Demokratien sind in d<strong>er</strong> Lage, d<strong>er</strong> Macht des großen Geldes etwas<br />

entgegenzusetzen und Auswüchse zu begrenzen.<br />

Es geht auch and<strong>er</strong>s. Freiheit d<strong>er</strong> wirtschaftlichen Betätigung und eine so -<br />

ziale marktwirtschaftliche Demokratie passen zusammen. Wirtschaftliche<br />

Dynamik, eine lebendige Demokratie und soziale G<strong>er</strong>echtigkeit sind für eine<br />

nachhaltige Wirtschaft kein Wid<strong>er</strong>spruch. In d<strong>er</strong> Großen Koalition von<br />

1966 bis 1969 reagi<strong>er</strong>te d<strong>er</strong> sozialdemokratische Wirtschaftsminist<strong>er</strong> Karl<br />

Schill<strong>er</strong> darauf mit ein<strong>er</strong> wirtschaftspolitischen Strategie, <strong>die</strong> zur V<strong>er</strong>abschiedung<br />

des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes führte. Schill<strong>er</strong>s Stra tegie<br />

orienti<strong>er</strong>te sich daran, was „Magisches Vi<strong>er</strong>eck“ getauft wurde: Preisniveaustabilität,<br />

hoh<strong>er</strong> Beschäftigungsstand, außenwirtschaftliches Gleichgewicht<br />

bei angemessenem und stetigem Wirtschaftswachstum. <strong>Die</strong>se<br />

vi<strong>er</strong> Orienti<strong>er</strong>ungspunkte <strong>die</strong>nen dem im Grundgesetz, Art. 109 Abs. 2 v<strong>er</strong>ank<strong>er</strong>ten<br />

Staatsziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Heute<br />

würden wir von einem Modell nachhaltigen Wirtschaftswachstums reden.<br />

Einem Modell, das unausgesprochen b<strong>er</strong>ücksichtigt, dass ein hohes Beschäftigungsniveau,<br />

<strong>die</strong> beste Voraussetzung für G<strong>er</strong>echtigkeit und stabile<br />

Gesellschaften ist.<br />

<strong>Die</strong>se Zeiten sind lange vorbei. Das Modell hat nur funktioni<strong>er</strong>t, weil es<br />

eine politische Gestaltungskraft im nationalen Rahmen gab. <strong>Die</strong>se Kraft hat


abgenommen, ohne dass durch europäische und int<strong>er</strong>nationale politische<br />

Institutionen neue Gestaltungskraft hinzugekommen wäre. Das Fehlen<br />

solch<strong>er</strong> Strukturen ist ab<strong>er</strong> nicht zwangsläufi g. Bei allen Schwi<strong>er</strong>igkeiten,<br />

eine transnationale Demokratie aufzubauen, wurde d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>such aus ideologischen<br />

Gründen nicht einmal gewagt. Vielmehr predigten Wirtschaftslib<strong>er</strong>ale<br />

in den letzten beiden Jahrzehnten, dass wirtschaftliche Entwicklung,<br />

demokratische Entscheidungen und soziale G<strong>er</strong>echtigkeit in einem Spannungsv<strong>er</strong>hältnis<br />

stehen.<br />

Investmentbank<strong>er</strong> fi nden Demokratie zu langsam. <strong>Die</strong> Loblied<strong>er</strong> auf China<br />

beinhalten imm<strong>er</strong> <strong>die</strong> Bewund<strong>er</strong>ung für <strong>die</strong> Schnelligkeit d<strong>er</strong> Entscheidungen,<br />

<strong>die</strong> Erotik d<strong>er</strong> Tat. Wir müssen uns jetzt entscheiden: Wollen wir autokratische<br />

Systeme, <strong>die</strong> gespaltene Gesellschaften produzi<strong>er</strong>en und relativ<br />

wenige Menschen reich machen? Das ist mein<strong>er</strong> Meinung nach das Modell<br />

China. Od<strong>er</strong> wollen wir <strong>die</strong> europäische Dreifaltigkeit v<strong>er</strong>teidigen: hohe<br />

soziale Standards, hohe wirtschaftliche Produktivität und hohe Bildung?<br />

Letzt<strong>er</strong>es wird uns nur gelingen, wenn wir <strong>die</strong> Finanzmärkte zivilisi<strong>er</strong>en.<br />

<strong>Die</strong> Welt braucht nicht schnell<strong>er</strong>e Demokratien, sond<strong>er</strong>n geduldig<strong>er</strong>es<br />

Kapital. Wir brauchen eine Entschleunigung d<strong>er</strong> Finanzmärkte statt beschleunigte<br />

Spekulationen. Und nicht <strong>die</strong> Abkürzung von demokratischen<br />

Wegen, wie wir es momentan praktizi<strong>er</strong>en, durch hastig durchgepaukte<br />

Milliardenpakete.<br />

<strong>Die</strong> Welt braucht eine Wirtschaft, in d<strong>er</strong> man mit Investi<strong>er</strong>en mehr v<strong>er</strong><strong>die</strong>nt<br />

als mit Spekuli<strong>er</strong>en. Das geht nur mit g<strong>er</strong>egelten Märkten, weil nur sie<br />

nachhaltiges Wirtschaften und nachhaltiges Wachstum <strong>er</strong>möglichen. Wir<br />

müssen uns deshalb darum kümm<strong>er</strong>n, wie wir durch das V<strong>er</strong>bot von hochspekulativen<br />

Finanzprodukten und <strong>die</strong> Entschleunigung d<strong>er</strong> Spekulationen<br />

globale Gestaltung schaffen. Eine int<strong>er</strong>nationale Finanztransaktionssteu<strong>er</strong><br />

würde nicht nur 14 bis 20 Milliarden Euro zusätzliche Mittel zur Bewältigung<br />

uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Schuldenlasten in Deutschland und in vielen and<strong>er</strong>en Länd<strong>er</strong>n<br />

einbringen. Sond<strong>er</strong>n sie würde auch den <strong>er</strong>sten Schritt von d<strong>er</strong> nationalen<br />

Besteu<strong>er</strong>ung zu ein<strong>er</strong> int<strong>er</strong>nationalen Besteu<strong>er</strong>ung und damit <strong>die</strong> Rückgewinnung<br />

demokratisch<strong>er</strong> Gestaltungsmacht bedeuten. Sollte es uns nicht<br />

13<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


14<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

gelingen, <strong>die</strong> Finanztransaktionssteu<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> jetzigen Krise durchzusetzen,<br />

w<strong>er</strong>den wir als Sozialdemokraten mit and<strong>er</strong>en europäischen Länd<strong>er</strong>n v<strong>er</strong>suchen,<br />

eine europäische Petition auf den Weg zu bringen. Wenn es <strong>die</strong><br />

Regi<strong>er</strong>ungen nicht schaffen, sich den großen Geldanleg<strong>er</strong>n wirklich konsequent<br />

genug entgegenzustellen, muss eine neue Form von Bürg<strong>er</strong>gesellschaft<br />

<strong>er</strong>zwungen w<strong>er</strong>den.<br />

<strong>Die</strong> Welt braucht keine unproduktiven Gewinne. Dass viele Menschen in<br />

Europa den Gürtel eng<strong>er</strong> schnallen müssen, damit einige Pfeff<strong>er</strong>säcke ihr<br />

Geld in d<strong>er</strong> Schweiz parken können, ist einfach ung<strong>er</strong>echt. Ich wäre keine<br />

Sozialdemokratin, wenn ich <strong>die</strong>s nicht als Skandal benennen würde. <strong>Die</strong><br />

Einhegung des Kapitalismus, also das, was wir heute soziale Demokratie<br />

nennen, wäre nie ohne organisi<strong>er</strong>te Int<strong>er</strong>essen d<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong>innen und<br />

Arbeitnehm<strong>er</strong> und ohne politischen Druck d<strong>er</strong> Straße möglich gewesen.


Ein wichtig<strong>er</strong> Punkt ist auch <strong>die</strong> ideologische Befreiung d<strong>er</strong> deutschen Wirtschaftswissenschaften,<br />

<strong>die</strong> sich bis auf wenige Ausnahmen auf d<strong>er</strong> Betriebswirtschaftsebene<br />

bewegen od<strong>er</strong> rein angebotsorienti<strong>er</strong>t argumenti<strong>er</strong>en.<br />

Jedes Mal, wenn ich in den USA od<strong>er</strong> in Großbritannien bin und <strong>die</strong> Wirtschaftsteile<br />

d<strong>er</strong> dortigen Zeitungen lese, bin ich üb<strong>er</strong>rascht, wie viel Pluralität<br />

dort möglich ist. Wenn ich nach Deutschland zurückkomme, habe ich<br />

das Gefühl, dass es nur den Kurs d<strong>er</strong> Angebotsorienti<strong>er</strong>ung gibt. Ich bin<br />

nicht gegen Sparen und Haushaltskonsoli<strong>die</strong>rung, ab<strong>er</strong> wir müssen auch <strong>die</strong><br />

G<strong>er</strong>echtigkeitsfrage stellen und <strong>die</strong> V<strong>er</strong>ursach<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Krise an den Kosten<br />

beteiligen. Dazu gehört auch <strong>die</strong> Sorge, dass Griechenland nicht mehr<br />

richtig auf <strong>die</strong> Beine kommt, wenn das Land alle Aufl agen abarbeiten muss.<br />

Man kann eine Volkswirtschaft auch kaputt sparen. Wir brauchen eine<br />

maßvolle Haushaltskonsoli<strong>die</strong>rung und nicht eine, <strong>die</strong> links und rechts keine<br />

V<strong>er</strong>antwortung sehen will.<br />

Ich schlage vor, dass wir in Deutschland wied<strong>er</strong> zwischen Betriebswirtschaft<br />

und Volkswirtschaft zu unt<strong>er</strong>scheiden l<strong>er</strong>nen. Das will ich an einigen Beispielen<br />

v<strong>er</strong>deutlichen. Rein betriebswirtschaftlich gedacht, wird es imm<strong>er</strong><br />

günstig<strong>er</strong> sein, niedrige Steu<strong>er</strong>n zu zahlen. Ab<strong>er</strong> volkswirtschaftlich gesehen,<br />

zahlt uns<strong>er</strong> Land einen hohen Preis, wenn es zu wenig Steu<strong>er</strong>geld<strong>er</strong> für<br />

Kind<strong>er</strong>gärten, Schulen, Hochschulen od<strong>er</strong> für b<strong>er</strong>ufl iche Bildung und Weit<strong>er</strong>bildung<br />

ausgibt. Denn dann wird <strong>die</strong> Gemeinschaft dau<strong>er</strong>haft für Menschen<br />

aufkommen müssen, <strong>die</strong> schlecht ausgebildet auf den Arbeitsmarkt<br />

kommen. Betriebswirtschaftlich g<strong>er</strong>echnet, sind Ausgaben für Kind<strong>er</strong>betreuung<br />

eine teure Last. Volkswirtschaftlich sparen wir jedoch eine Menge,<br />

wenn Männ<strong>er</strong> und Frauen durch eine gute Kind<strong>er</strong>betreuung im B<strong>er</strong>uf ihre<br />

Frau und ihren Mann stehen können, weil sie ihre Kind<strong>er</strong> gut aufgehoben<br />

wissen. Betriebswirtschaftlich gedacht, mag betriebliche Mitbestimmung<br />

gelegentlich unt<strong>er</strong>nehm<strong>er</strong>ische Entscheidungen bremsen. Gesamtgesellschaftlich<br />

gesehen hat sich dadurch in uns<strong>er</strong>em Land eine beispiellose<br />

Kultur d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>antwortung bei d<strong>er</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong>schaft etabli<strong>er</strong>t, weil sich<br />

<strong>die</strong> Arbeitnehm<strong>er</strong> nicht nur als Befehlsempfäng<strong>er</strong> sehen, sond<strong>er</strong>n als Mitgestalt<strong>er</strong><br />

und Mitentscheid<strong>er</strong>. Das ist ein hohes Gut, wie <strong>die</strong> letzte Krise<br />

15<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


16<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

wied<strong>er</strong> gezeigt hat. Wir müssen deshalb das falsche V<strong>er</strong>ständnis von Marktwirtschaft<br />

bekämpfen, das Demokratie praktisch nur als eine nachgeordnete<br />

Größe behandelt.<br />

Märkte brauchen eine feste Ordnung, weil sonst Konzentration und Monopolbildung<br />

funktioni<strong>er</strong>ende Konkurrenz behind<strong>er</strong>n. <strong>Die</strong>se Ordnung können<br />

nicht Börsenhändl<strong>er</strong> und Investmentbank<strong>er</strong> setzen. Daran muss <strong>die</strong> gesamte<br />

Gesellschaft demokratisch beteiligt sein. Wenn dagegen uns<strong>er</strong> Land imm<strong>er</strong><br />

größ<strong>er</strong>e Summen für <strong>die</strong> Konsequenzen von waghalsigen Anlagestrategien<br />

aufwenden muss, statt in Menschen zu investi<strong>er</strong>en, dann wird das Wirtschaftswachstum<br />

gebremst. Seit dem Jahr 2000 sind <strong>die</strong> Investitionen in<br />

d<strong>er</strong> Realwirtschaft gesunken, während imm<strong>er</strong> waghalsig<strong>er</strong>e Anlagestrategien<br />

unt<strong>er</strong>nommen wurden. Das Geld fl ießt in <strong>die</strong> falsche Richtung – nicht in<br />

uns<strong>er</strong>e Zukunft, sond<strong>er</strong>n ins Zocken. Dah<strong>er</strong> kämpfen wir für eine soziale<br />

Marktwirtschaft, <strong>die</strong> gesamtgesellschaftlich <strong>er</strong>wünschte und nachhaltige<br />

Ziele v<strong>er</strong>folgt.<br />

Ja, ich v<strong>er</strong>teidige hi<strong>er</strong> heute <strong>die</strong> Demokratie, obwohl Marx von ihr nicht viel<br />

gehalten hat. Vielleicht liegt es auch daran, dass <strong>er</strong> sie nicht kannte. Marx<br />

hat ab<strong>er</strong> eine Sache sehr klar gesehen, wie Rolf Hosfeld in seinem Buch schön<br />

h<strong>er</strong>ausgearbeitet hat: Was passi<strong>er</strong>t, wenn Kapital und Arbeit sich imm<strong>er</strong><br />

weit<strong>er</strong> voneinand<strong>er</strong> entf<strong>er</strong>nen bzw. wenn <strong>die</strong> Einkommen aus V<strong>er</strong>mögen<br />

und <strong>die</strong> Einkommen aus Arbeit weit auseinand<strong>er</strong>klaffen. Damit sind wir<br />

mittendrin in d<strong>er</strong> aktuellen Debatte. Dass Marx <strong>die</strong> „Diktatur des Proletariats“<br />

in einem Salon in Frankreich geklaut hat, fi nde ich schön. Das macht sein<br />

Denkmal ein bisschen klein<strong>er</strong>. Er war eben auch nur ein Mensch: hat ein<br />

bisschen geklaut, sich ein bisschen wichtig gemacht, ein bisschen aufgebauscht.<br />

Tatsache ist ab<strong>er</strong>, dass <strong>er</strong> sich als ein<strong>er</strong> von wenigen systematisch<br />

mit den Folgen und Wirkungen des kapitalistischen Systems auseinand<strong>er</strong>gesetzt<br />

hat. Ich behaupte, dass ist in d<strong>er</strong> jetzigen Situation dringend<strong>er</strong><br />

denn je. Eine ob<strong>er</strong>fl ächliche Betrachtung reicht nicht mehr aus. Es genügt<br />

nicht mehr, Pfl ast<strong>er</strong> auf <strong>die</strong> Wunden zu kleben, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Finanzmärkte reißen.<br />

Wir müssen <strong>die</strong> Krisenhaftigkeit des Kapitalismus <strong>er</strong>nst nehmen und dafür<br />

sorgen, dass sie uns nicht auffrisst.


Laudatio<br />

Dr. Klaus Hohlfeld<br />

Sprech<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury<br />

Karl Marx gehört zu den einfl ussreichsten Ideengeb<strong>er</strong>n für das politische<br />

Denken und Handeln d<strong>er</strong> Mod<strong>er</strong>ne. Das besond<strong>er</strong>e V<strong>er</strong><strong>die</strong>nst d<strong>er</strong> neuen<br />

Karl-Marx-Biographie von Rolf Hosfeld „<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“ liegt darin,<br />

dass sie vor dem Hint<strong>er</strong>grund d<strong>er</strong> neuesten zeitgeschichtlichen Entwicklung<br />

geschrieben wurde. D<strong>er</strong> totalitäre Kommunismus, dessen Ideologie sich auf<br />

<strong>die</strong> Lehren von Marx gründete, brach zusammen, zumindest in Europa. D<strong>er</strong><br />

mod<strong>er</strong>ne Kapitalismus, von Karl Marx b<strong>er</strong>eits im 19. Jahrhund<strong>er</strong>t kritisch<br />

durchleuchtet, entfaltete sich auf hemmungslose Weise und stürzte das<br />

Wirtschafts- und Sozialsystem in eine bedenkliche Krise. Rolf Hosfeld stellt<br />

<strong>die</strong> Entstehung d<strong>er</strong> Lehre von Karl Marx vor. Auf d<strong>er</strong> Grundlage d<strong>er</strong> Philosophie<br />

von Hegel und aus den Erfahrungen d<strong>er</strong> Politik, Wirtschaft und Gesell-<br />

17<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


18<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

schaft sein<strong>er</strong> Zeit entwickelte <strong>er</strong> seine revolutionären Gedanken. D<strong>er</strong> analytische<br />

Zugriff auf <strong>die</strong> Situation ein<strong>er</strong> Zeit setzt auch heute noch Maßstäbe<br />

und schärft das kritische Bewusstsein. Seine geschichtsphilosophische<br />

apokalyptische Prophetie hat sich nicht bestätigt. Sie ist für uns nicht mehr<br />

akzeptabel, zumal sie im Totalitarismus Lenins und Stalins missbraucht und<br />

p<strong>er</strong>v<strong>er</strong>ti<strong>er</strong>t wurde. Auf d<strong>er</strong> and<strong>er</strong>en Seite wurde <strong>die</strong> undogmatische revi sionistische<br />

Weit<strong>er</strong>entwicklung d<strong>er</strong> Marx’schen Gedanken von d<strong>er</strong> Befreiung<br />

und Emanzipation d<strong>er</strong> unt<strong>er</strong>drückten Massen eine Grundlage für <strong>die</strong> Programmatik<br />

d<strong>er</strong> sozialen Demokratie vor allem in d<strong>er</strong> zweiten Hälfte des<br />

20. Jahrhund<strong>er</strong>ts. Rolf Hosfeld will keine Marx-Renaissance, <strong>er</strong> zeigt ab<strong>er</strong><br />

üb<strong>er</strong>zeugend auf, welche Bedeutung <strong>die</strong> Beschäftigung mit Karl Marx<br />

und den „<strong>Geist<strong>er</strong></strong>n, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“, haben kann.


„Das politische Buch“ 2010<br />

Jurybegründung<br />

Rolf Hosfelds glänzend geschriebenes Buch entfaltet <strong>die</strong> Entstehung<br />

und Wirkung d<strong>er</strong> Marxschen Gedankenwelt. Auf d<strong>er</strong> Basis d<strong>er</strong><br />

Hegelschen Philosophie und vor dem Hint<strong>er</strong>grund d<strong>er</strong> gesellschaftlichen,<br />

wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen im 19. Jahrhund<strong>er</strong>t<br />

entwickelte Marx seine revolutionären Theorien. Seine<br />

irrtümliche Schlussfolg<strong>er</strong>ung, <strong>die</strong> Geschichte laufe zwangsläufi g<br />

auf eine klassen lose para<strong>die</strong>sische Gesellschaft zu, hat seine kommunistischen<br />

Nachfolg<strong>er</strong> im 20. Jahrhund<strong>er</strong>t zur Errichtung totalitär<strong>er</strong><br />

Diktaturen v<strong>er</strong>leitet. Weil nach dem Zusammenbruch d<strong>er</strong><br />

kommunistischen Systeme sich weltweit ein entfesselt<strong>er</strong> und ungezügelt<strong>er</strong><br />

Kapitalismus durchgesetzt hat, lohnt sich heute eine<br />

Rückbesinnung auf <strong>die</strong> Wurzeln und Diagnoseansätze d<strong>er</strong> Marxschen<br />

Kapitalismuskritik. Ohne d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>suchung ein<strong>er</strong> neuen Marx-<br />

V<strong>er</strong>ehrung zu <strong>er</strong>liegen, bietet Rolf Hosfelds Buch eine frische und<br />

unv<strong>er</strong>stellte Sicht auf Leben und W<strong>er</strong>k des großen Denk<strong>er</strong>s jenseits<br />

d<strong>er</strong> v<strong>er</strong>fälschenden Int<strong>er</strong>pretationen und unzulässigen Schlussfolg<strong>er</strong>ungen<br />

d<strong>er</strong> vielen sich auf ihn b<strong>er</strong>ufenden „Marxisten“.<br />

19<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


20<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

URKUNDE<br />

<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

v<strong>er</strong>leiht<br />

Rolf Hosfeld<br />

für sein Buch<br />

<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong><br />

Eine neue Karl-Marx-Biografi e<br />

den Preis<br />

DAS POLITISCHE BUCH<br />

Anke Fuchs<br />

Vorsitzende d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

B<strong>er</strong>lin, den 11. Mai 2010<br />

Sprech<strong>er</strong>: Dr. Klaus Hohlfeld (Mannheim)<br />

Horst Baraczewski (Bremen) · Wolfgang Budde-Roth (Bonn) · Jens Hundries<strong>er</strong> (Dinslaken)<br />

Dr. Annette Kasp<strong>er</strong> (Jena) · Barbara Lison (Bremen) · Dr. <strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Schust<strong>er</strong> (Düsseldorf)<br />

W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Stephan (Stuttgart) · Dr. Beate Trög<strong>er</strong> (Münst<strong>er</strong>)


Dankesrede<br />

Rolf Hosfeld<br />

Vielen Dank d<strong>er</strong> ganzen Jury für <strong>die</strong> V<strong>er</strong>leihung des Preises. Ich fühle mich<br />

sehr geehrt und unt<strong>er</strong>w<strong>er</strong>fe mich bescheiden Ihrem Urteil, das mich in eine<br />

Reihe von bish<strong>er</strong>igen Preisträg<strong>er</strong>n stellt, in d<strong>er</strong>en Nachbarschaft man sich<br />

mehr als gut aufgehoben fühlen kann.<br />

Ein Teil d<strong>er</strong> Ehre geht sich<strong>er</strong> in <strong>er</strong>st<strong>er</strong> Linie auf das Konto des Mannes, dem<br />

mein neuestes Buch „<strong>Die</strong> <strong>Geist<strong>er</strong></strong>, <strong>die</strong> <strong>er</strong> <strong>rief</strong>“ gewidmet ist: Karl Marx. Man<br />

spricht wied<strong>er</strong> üb<strong>er</strong> ihn. <strong>Die</strong> nunmehr in ihr drittes Jahr gehende Weltfi nanzkrise<br />

führte, wie Frank Schirrmach<strong>er</strong> von d<strong>er</strong> „Frankfurt<strong>er</strong> Allgemeinen Zeitung“<br />

vor wenigen Monaten schrieb, zu einem „fundamentalen Bruch im Selbstv<strong>er</strong>ständnis<br />

d<strong>er</strong> Sieg<strong>er</strong> von 1989“. Es ist üb<strong>er</strong> 20 Jahre h<strong>er</strong>, dass ein von vornh<strong>er</strong>ein<br />

irreales und gewaltsames Sozialexp<strong>er</strong>iment (d<strong>er</strong> sowjetische Kommunismus)<br />

an seinen eigenen inn<strong>er</strong>en Wid<strong>er</strong>sprüchen und Unzulänglichkeiten<br />

implo<strong>die</strong>rte und durch demokratische Bürg<strong>er</strong>bewegungen sein ultimatives<br />

Ende fand. Zu Recht. Wir haben das alles noch in gut<strong>er</strong> Erinn<strong>er</strong>ung.<br />

Alle Welt redete vom Ende d<strong>er</strong> Geschichte. Doch plötzlich, letztes Jahr auf<br />

dem Höhepunkt d<strong>er</strong> Krise, sprach selbst <strong>die</strong> Bundeskanzl<strong>er</strong>in davon, dass<br />

uns<strong>er</strong>e Gesellschaftsordnung <strong>er</strong>nsthaft in Gefahr g<strong>er</strong>aten könne – eine<br />

Rhetorik, um noch einmal Frank Schirrmach<strong>er</strong> zu ziti<strong>er</strong>en, <strong>die</strong> „früh<strong>er</strong> ausschließlich<br />

militanten, systemfeindlichen Kräften“ vorbehalten war.<br />

Wir <strong>er</strong>leben eine neue Zeit d<strong>er</strong> Nachdenklichkeit. Das hat auch etwas damit<br />

zu tun, dass keines d<strong>er</strong> von Karl Marx in seinem großen Lebensw<strong>er</strong>k thematisi<strong>er</strong>ten<br />

Probleme gelöst worden ist – wed<strong>er</strong> von seinen selbst<strong>er</strong>nannten<br />

Nachfolg<strong>er</strong>n noch von d<strong>er</strong>en und seinen Gegn<strong>er</strong>n. Im Gegenteil: Statt uns<br />

das Ende d<strong>er</strong> Geschichte und eine univ<strong>er</strong>sale lib<strong>er</strong>ale Weltgesellschaft zu<br />

präsenti<strong>er</strong>en, hat d<strong>er</strong> Kollaps des Kommunismus <strong>er</strong>st jene kapitalistische<br />

21<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


22<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

Globalisi<strong>er</strong>ung vollendet, <strong>die</strong> Marx vor 160 Jahren im „Kommunistischen<br />

Manifest“ als unmittelbar bevorstehend prophezeite. D<strong>er</strong>en ung<strong>er</strong>egelt<strong>er</strong><br />

Zustand besch<strong>er</strong>te uns nun jenen Crash d<strong>er</strong> Finanzmärkte, d<strong>er</strong> allem Anschein<br />

nach noch lange nicht d<strong>er</strong> V<strong>er</strong>gangenheit angehört.<br />

D<strong>er</strong> Kapitalismus ist nach wie vor ein problematisches System, was sich<br />

besond<strong>er</strong>s in seinen p<strong>er</strong>iodisch ausbrechenden Krisen zeigt. Krisen gehören<br />

zum Gencode des Kapitalismus. Das meinte auch Marx, und <strong>die</strong>se Einsicht<br />

gehört vielleicht zu seinen wichtigsten Entdeckungen. „<strong>Die</strong> Weltmarktkrisen“,<br />

schrieb <strong>er</strong>, „müssen als <strong>die</strong> reale Zusammenfassung und gewaltsame<br />

Ausgleichung all<strong>er</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche d<strong>er</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Ökonomie gefasst<br />

w<strong>er</strong>den.“ <strong>Die</strong> Gründe für ihren Ausbruch, meinte <strong>er</strong>, haben in d<strong>er</strong> Regel etwas<br />

mit ein<strong>er</strong> allgemeinen Üb<strong>er</strong>produktion gemessen an zahlungsfähig<strong>er</strong> Nachfrage<br />

zu tun, <strong>die</strong> durch eine Ausdehnung des Kredits für eine bestimmte Zeit<br />

üb<strong>er</strong>deckt w<strong>er</strong>den kann. Irgendwann liegt Geld brach, und <strong>die</strong>ses Phänomen<br />

unbeschäftigten Kapitals, so Marx, geht meist den Krisen vorh<strong>er</strong>. Es sucht


sich oft Wege, <strong>die</strong> den Ausbruch d<strong>er</strong> Krise nur noch beschleunigen, beispielsweise<br />

Spekulationsgeschäfte.<br />

Marx beobachtete <strong>die</strong>ses Phänomen zum <strong>er</strong>sten Mal während d<strong>er</strong> Weltmarktkrise<br />

von 1857. Eine neue Konsonanz des Marktes, so seine Schlussfolg<strong>er</strong>ung,<br />

konnte dann, wenn d<strong>er</strong> Extremfall eingetreten war, nur noch<br />

durch Durchlaufen d<strong>er</strong> äuß<strong>er</strong>sten Dissonanzen, also ein<strong>er</strong> P<strong>er</strong>iode destruktiv<strong>er</strong><br />

Instabilität, <strong>er</strong>reicht w<strong>er</strong>den. So ist es noch heute. Zweifellos, Marx<br />

v<strong>er</strong>stand etwas von den Gefährdungen d<strong>er</strong> Marktwirtschaft. Es üb<strong>er</strong>rascht<br />

vielleicht, ab<strong>er</strong> d<strong>er</strong> mod<strong>er</strong>ne Kapitalismus hat trotzdem kaum einen größ<strong>er</strong>en<br />

Bewund<strong>er</strong><strong>er</strong> gefunden als Karl Marx. „<strong>Die</strong> Bourgeoisie“, heißt es im<br />

„Kommunistischen Manifest“, „hat bewiesen, was <strong>die</strong> Tätigkeit des Menschen<br />

zustande bringen kann. Sie hat ganz and<strong>er</strong>e Wund<strong>er</strong>w<strong>er</strong>ke vollbracht als<br />

ägyptische Pyramiden, römische Wass<strong>er</strong>leitungen und gotische Kathedralen,<br />

sie hat ganz and<strong>er</strong>e Züge ausgeführt als Völk<strong>er</strong>wand<strong>er</strong>ungen und Kreuzzüge.“<br />

Es war eine Revolution, wie sie <strong>die</strong> Welt noch nie gesehen hatte, und<br />

sie vollzog sich unt<strong>er</strong> den Augen von Zeitgenossen, <strong>die</strong> <strong>er</strong>st wenig zuvor <strong>die</strong><br />

kleinen Nischen und lieblichen Alltagsdinge d<strong>er</strong> häuslichen Bied<strong>er</strong>mei<strong>er</strong>welt<br />

zu kultivi<strong>er</strong>en gel<strong>er</strong>nt hatten und noch im Zeitalt<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Postkutsche aufgewachsen<br />

waren.<br />

Marx ab<strong>er</strong> hielt <strong>die</strong>se plötzliche und g<strong>er</strong>adezu üb<strong>er</strong>pharaonische Gewalt und<br />

Stärke des Kapitalismus für so gebrechlich, dass <strong>er</strong> ihr keine lange Lebensdau<strong>er</strong><br />

zutrauen wollte. „<strong>Die</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Produktions- und V<strong>er</strong>kehrsv<strong>er</strong>hältnisse“,<br />

meinte das „Kommunistische Manifest“, „<strong>die</strong> bürg<strong>er</strong>lichen Eigentumsv<strong>er</strong>hältnisse,<br />

<strong>die</strong> mod<strong>er</strong>ne bürg<strong>er</strong>liche Gesellschaft, <strong>die</strong> so gewaltige<br />

Produktions- und V<strong>er</strong>kehrsmittel h<strong>er</strong>vorgezaub<strong>er</strong>t hat, gleicht dem Hexenmeist<strong>er</strong>,<br />

d<strong>er</strong> <strong>die</strong> unt<strong>er</strong>irdischen Gewalten nicht mehr zu beh<strong>er</strong>rschen v<strong>er</strong>mag,<br />

<strong>die</strong> <strong>er</strong> h<strong>er</strong>aufbeschwor.“<br />

Marx’ Biographie fi el mit d<strong>er</strong> größten Umwälzung zusammen, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Menschheit seit dem Neolithikum <strong>er</strong>lebt hat, und <strong>er</strong> war von dem Ausmaß<br />

und d<strong>er</strong> Geschwindigkeit d<strong>er</strong> industriellen Revolution, <strong>die</strong> in kürzest<strong>er</strong> Zeit<br />

23<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


24<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

eine ganze Welt auf den Kopf stellte, üb<strong>er</strong>wältigt, weit mehr als alle and<strong>er</strong>en<br />

Theoretik<strong>er</strong> vor ihm. Adam Smiths „Wealth of Nations“ <strong>er</strong>schien 1776, noch<br />

vor Beginn d<strong>er</strong> industriellen Revolution, David Ricardos „Principles of Political<br />

Economy and Taxation“ 1817, zur Zeit ihr<strong>er</strong> Kind<strong>er</strong>schuhe. Marx, dessen<br />

„Kapital“ auch eine intensive Auseinand<strong>er</strong>setzung mit den beiden großen<br />

Klassik<strong>er</strong>n d<strong>er</strong> Wirtschaftswissenschaften war, sollte zum eigentlichen Theoretik<strong>er</strong><br />

<strong>die</strong>s<strong>er</strong> säkularen Umwälzung w<strong>er</strong>den, <strong>die</strong> mit d<strong>er</strong> Gewalt ein<strong>er</strong><br />

Zeitmaschine sein Leben begleitete.<br />

Er befand sich, um mit Immanuel Kant zu reden, mitten im Nebel, statt ihn<br />

von außen nücht<strong>er</strong>n beobachten zu können. Grandiose Scharfsichtigkeit<br />

stand dah<strong>er</strong> manchmal fast zwangsläufi g neben irrationalen Heils<strong>er</strong>wartungen.<br />

Sein antinomisches Denken v<strong>er</strong>führte ihn vor allem dazu, Wid<strong>er</strong>sprüche,<br />

<strong>die</strong> sich in einem Prozess des Trial and Error und durch demokratische<br />

Int<strong>er</strong>vention und Gestaltung als aufl ösbar <strong>er</strong>weisen konnten, grundsätzlich<br />

für unaufl ösbar zu <strong>er</strong>klären. Das bedeutet ab<strong>er</strong> nicht, dass <strong>die</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche,<br />

<strong>die</strong> <strong>er</strong> in d<strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen Welt entdeckte, nicht existi<strong>er</strong>ten.<br />

Auch Schwärm<strong>er</strong> können bleibende wissenschaftliche Entdeckungen machen.<br />

Das b<strong>er</strong>ühmteste Beispiel ist vielleicht d<strong>er</strong> H<strong>er</strong>metik<strong>er</strong> Isaac Newton, d<strong>er</strong> sich<br />

neben seinen exakten Stu<strong>die</strong>n imm<strong>er</strong> auf d<strong>er</strong> Suche nach ein<strong>er</strong> alchimistischen<br />

Lehre vom Gesamtzusammenhang befand und den <strong>die</strong> Alchimie nicht selten<br />

zu tragbaren wissenschaftlichen Hypothesen anregte. Gilt Ähnliches auch<br />

für Marx? In den Augen Joseph Schumpet<strong>er</strong>s jedenfalls war <strong>er</strong> ein Ökonom<br />

von Spitzenrang und das philosophische Gewand sein<strong>er</strong> Lehre eine Angelegenheit,<br />

<strong>die</strong> man angesichts sein<strong>er</strong> beachtlichen ökonomischen Detailforschung<br />

getrost v<strong>er</strong>nachlässigen konnte. Thomas Nipp<strong>er</strong>dey meinte,<br />

g<strong>er</strong>ade sein politisch eschatologisch<strong>er</strong> Wille habe ihn für <strong>die</strong> ökonomischen<br />

und sozialen Phänomene d<strong>er</strong> industriellen Welt hellsichtig gemacht wie<br />

keinen and<strong>er</strong>en Zeitgenossen und keinen sein<strong>er</strong> Vorläuf<strong>er</strong>. Vor allem war <strong>er</strong><br />

kein Gleichgewichtstheoretik<strong>er</strong> und Theologe des Marktes – ein V<strong>er</strong><strong>die</strong>nst,<br />

das ihm ausg<strong>er</strong>echnet d<strong>er</strong> Finanzmagnat George Soros hoch anrechnete.


Seine entscheidende wissenschaftliche Entdeckung bestand nach den Worten<br />

Charles Taylors darin, im Kapitalismus <strong>die</strong> innovativste und kreativste<br />

Wirtschaftsordnung d<strong>er</strong> Menschheitsgeschichte zu sehen und zugleich<br />

auch <strong>die</strong> destruktivste. Er hätte es all<strong>er</strong>dings, meint Taylor, bei <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Einsicht<br />

belassen sollen, statt sich in d<strong>er</strong> Hoffnung zu v<strong>er</strong>li<strong>er</strong>en, das komplexe Chaos<br />

in ein<strong>er</strong> neuen Harmonie und Einfachheit aufl ösen zu können.<br />

Vielleicht sind gewisse Probleme auch gar nicht grundsätzlich lösbar. Marx<br />

ab<strong>er</strong> glaubte das, und <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Glaube war v<strong>er</strong>mutlich sein größt<strong>er</strong> Fehl<strong>er</strong>.<br />

Seine Vorstellungen blieben imm<strong>er</strong> sehr vage und philosophisch unbestimmt,<br />

wenn es um eine denkbare Zukunft nach dem Kapitalismus ging. Er war d<strong>er</strong><br />

Meinung, mit d<strong>er</strong> Abschaffung des Marktes auch <strong>die</strong> Krisen und <strong>die</strong> damit<br />

v<strong>er</strong>bundene Unsich<strong>er</strong>heit d<strong>er</strong> Lebensv<strong>er</strong>hältnisse aus d<strong>er</strong> Welt schaffen zu<br />

können. Er hatte eine entwaffnend einfache und unt<strong>er</strong>komplexe Lösung im<br />

Auge, wenn <strong>er</strong> meinte, des Problems H<strong>er</strong>r w<strong>er</strong>den zu können, indem man<br />

das in d<strong>er</strong> Kategorie Geld ausgedrückte Produktionsv<strong>er</strong>hältnis selbst aufhob<br />

und es durch eine durchgeplante Organisation d<strong>er</strong> Arbeit <strong>er</strong>setzte.<br />

Dass solche Modelle zwangsläufi g neue systemische Wid<strong>er</strong>sprüche entwickeln<br />

mussten, scheint ihm 1843 für kurze Zeit durch den Kopf gegangen<br />

zu sein. Jede Bürokratie, meinte <strong>er</strong> damals, neige imm<strong>er</strong> dazu, das Staats -<br />

wesen – und folglich auch <strong>die</strong> staatsanaloge V<strong>er</strong>waltung von Sachen, <strong>die</strong><br />

Marx nach dem „Abst<strong>er</strong>ben des Staats“ als Zukunftsp<strong>er</strong>spektive vorschwebte<br />

– als ihr Privateigentum zu betrachten, und jed<strong>er</strong> Bürokrat sei dah<strong>er</strong> g<strong>er</strong>adezu<br />

gezwungen, jesuitisch mit dem wirklichen Staat zu v<strong>er</strong>fahren. Auf<br />

<strong>die</strong>sen Gedanken ist <strong>er</strong> all<strong>er</strong>dings nie wied<strong>er</strong> zurückgekommen.<br />

Seine Vision ein<strong>er</strong> fl üchtigen, als <strong>er</strong>ruptives Zwischenspiel empfundenen<br />

kapitalistischen Mod<strong>er</strong>ne, v<strong>er</strong>mutet Richard Sennett, hatte auch etwas damit<br />

zu tun, dass <strong>die</strong> H<strong>er</strong>kunft aus ein<strong>er</strong> Welt bied<strong>er</strong>mei<strong>er</strong>lich<strong>er</strong> Beschaulichkeit<br />

und das nostalgische Gefühl für den uralten Rhythmus d<strong>er</strong> Landschaft in<br />

ihm noch lebendig geblieben waren. Er war, wie sein Freund Heinrich<br />

Heine, im Grunde ein entlaufen<strong>er</strong> Romantik<strong>er</strong>. Und das war gewiss seine<br />

25<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


26<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

gefährlichste Seite. Marx unt<strong>er</strong>lag, wie Heinrich August Winkl<strong>er</strong> einmal bem<strong>er</strong>kt<br />

hat, einem historischen Fehlschluss, als <strong>er</strong> <strong>die</strong> Zukunftsgeschichte<br />

des mod<strong>er</strong>nen Proletariats nach dem Modell d<strong>er</strong> Französischen Revolution<br />

von 1789 in d<strong>er</strong> Rolle eines neuen allgemeinen Standes sehen wollte. Das<br />

Proletariat war – entgegen sein<strong>er</strong> durch nichts begründeten und im K<strong>er</strong>n<br />

romantischen Annahme – ein soziologisches Faktum d<strong>er</strong> Mod<strong>er</strong>ne und<br />

keine welthistorische Klasse, mit d<strong>er</strong> sich d<strong>er</strong> Impuls des Sturms auf <strong>die</strong><br />

Bastille auf ein<strong>er</strong> höh<strong>er</strong>en Stufe weit<strong>er</strong>führen ließ.<br />

Es gibt Tatsachen, und w<strong>er</strong> Tatsachen nicht akzepti<strong>er</strong>en will, muss Surrogate<br />

schaffen. Lenin war ein solch<strong>er</strong> Meist<strong>er</strong> des Surrogats. Ohne den Ersten Weltkrieg<br />

und den vollständigen Zusammenbruch Russlands im Jahre 1917 hätte<br />

es keine Geschichte des Kommunismus gegeben. Erst in <strong>die</strong>sem Machtvakuum<br />

konnten Lenins Konzepte wirksam w<strong>er</strong>den, mit denen b<strong>er</strong>ufsrevolutionäre<br />

Machttechnik<strong>er</strong> den ungeheu<strong>er</strong>lichen V<strong>er</strong>such unt<strong>er</strong>nahmen, Politik<br />

als futuristisches Sozialexp<strong>er</strong>iment auf den Trümm<strong>er</strong>n eines in seine<br />

amorphen Bestandteile z<strong>er</strong>fallenen Reichs zu betreiben. Was <strong>die</strong> Bolschewiki<br />

in <strong>die</strong> Welt setzten, gehört nicht zur Geschichte d<strong>er</strong> europäischen Arbeit<strong>er</strong>bewegung.<br />

<strong>Die</strong> Ergebnisse sind bekannt. <strong>Die</strong> V<strong>er</strong>gewaltigung d<strong>er</strong> russischen<br />

Erde führte zu jen<strong>er</strong> Utopie d<strong>er</strong> Säub<strong>er</strong>ungen, zu jen<strong>er</strong> H<strong>er</strong>rschaft des Surrealen,<br />

<strong>die</strong> sich zeitweilig auf einem Drittel des Globus ausbreiten konnte<br />

und im H<strong>er</strong>bst 1989 lautlos v<strong>er</strong>abschiedete. D<strong>er</strong> damit v<strong>er</strong>bundene Größenwahn<br />

d<strong>er</strong> Machbarkeit von Geschichte ford<strong>er</strong>te all<strong>er</strong>dings Millionen Opf<strong>er</strong>.<br />

Sind sie Marx anzulasten? Ja und nein. Hielt man an sein<strong>er</strong> Üb<strong>er</strong>zeugung<br />

fest, dass d<strong>er</strong> Kommunismus das notwendige Ergebnis d<strong>er</strong> Geschichte war,<br />

musste man ihn gewaltsam h<strong>er</strong>stellen, wenn sich Marx’ Prognosen als unrealistisch<br />

h<strong>er</strong>ausstellen sollten. Od<strong>er</strong> man musste Marx revi<strong>die</strong>ren. „Wenn<br />

d<strong>er</strong> Sieg des Sozialismus eine immanente ökonomische Notwendigkeit sein<br />

soll“, schrieb Eduard B<strong>er</strong>nstein Ende März 1899 im „Vorwärts“, „dann muss<br />

<strong>er</strong> auf dem Nachweis von d<strong>er</strong> Unv<strong>er</strong>meidlichkeit des ökonomischen Zusammenbruchs<br />

d<strong>er</strong> bestehenden Gesellschaft begründet w<strong>er</strong>den. <strong>Die</strong>s<strong>er</strong>


Nachweis ist noch nicht <strong>er</strong>bracht worden und nicht zu <strong>er</strong>bringen.“ Mit<br />

B<strong>er</strong>nsteins sogenanntem Revisionismus beginnt <strong>die</strong> lange Geschichte ein<strong>er</strong><br />

an W<strong>er</strong>ten ausg<strong>er</strong>ichteten und reformorienti<strong>er</strong>ten, mod<strong>er</strong>nen sozialdemokratischen<br />

Politik.<br />

War auch das eine Konsequenz aus Marx? Irgendwie ja, denn <strong>er</strong> hatte,<br />

vor allem als ein<strong>er</strong> d<strong>er</strong> führenden Köpfe d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>nationalen Arbeit<strong>er</strong>assoziation<br />

– <strong>die</strong> von ihm <strong>er</strong>st <strong>die</strong> h<strong>er</strong>ausragende Bedeutung gew<strong>er</strong>kschaftlich<strong>er</strong><br />

Organisation l<strong>er</strong>nte –, imm<strong>er</strong> konkrete Schritte zur V<strong>er</strong>bess<strong>er</strong>ung d<strong>er</strong> Lage<br />

d<strong>er</strong> Arbeit<strong>er</strong> geford<strong>er</strong>t und Revolutionen nur im Ausnahmezustand für möglich<br />

gehalten. Blieben <strong>die</strong> ab<strong>er</strong> aus, war <strong>die</strong> Entwicklung zum sozialdemokratischen<br />

Reformismus nur eine an d<strong>er</strong> Realität ausg<strong>er</strong>ichtete notwendige<br />

Korrektur, <strong>die</strong> nicht zufällig mit d<strong>er</strong> neuen Prosp<strong>er</strong>itätsphase des Kapitalismus<br />

Mitte d<strong>er</strong> 1890<strong>er</strong> Jahre einsetzte. And<strong>er</strong>nfalls wäre <strong>die</strong> SPD in den Status<br />

ein<strong>er</strong> politischen Sekte zurückgefallen.<br />

Letzt<strong>er</strong>es galt für Marx stets als d<strong>er</strong> schlimmste all<strong>er</strong> anzunehmenden Fälle.<br />

Er hatte nur den Gang d<strong>er</strong> wirklichen historischen Bewegung, auf <strong>die</strong> <strong>er</strong><br />

imm<strong>er</strong> so großen W<strong>er</strong>t legte, and<strong>er</strong>s und falsch eingeschätzt. Vieles in seinen<br />

spät<strong>er</strong>en Lebensjahren deutet übrigens darauf hin, dass ihm <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Umstand<br />

zunehmend selbst bewusst wurde, ohne dass <strong>er</strong> es wagte, ihn zu Ende zu<br />

denken. Zu sehr war <strong>er</strong> ein Kind jenes Zeitalt<strong>er</strong>s d<strong>er</strong> europäischen Revolutionen,<br />

das 1789 begann und <strong>er</strong>st kurz vor seinem Tod mit dem Paris<strong>er</strong> Kommuneaufstand<br />

zu Ende ging. So od<strong>er</strong> so, Marx war spätestens mit dem<br />

ausgehenden 19. Jahrhund<strong>er</strong>t revisionsbedürftig.<br />

Ab<strong>er</strong> Lenins Bolschewismus stellte im Grunde eine weit größ<strong>er</strong>e, tief<strong>er</strong> gehende<br />

und folgenschw<strong>er</strong><strong>er</strong>e Revision d<strong>er</strong> Lehre von Marx dar als <strong>die</strong> sozialdemokratische<br />

Reformpolitik. Mehr noch. Er entschied sich mit seinem bolschewistischen<br />

Parteikonzept expressis v<strong>er</strong>bis gegen <strong>die</strong> wirkliche Arbeit<strong>er</strong>bewegung<br />

sein<strong>er</strong> Zeit und korrigi<strong>er</strong>te Marx, indem <strong>er</strong> dessen historischem<br />

Mat<strong>er</strong>ialismus den Boden unt<strong>er</strong> den Füßen wegzog. Martin Malia nannte<br />

den Bolschewismus einmal einen mod<strong>er</strong>nen Irrtum des Kolumbus. Mit<br />

27<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


28<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

ihm begann eine Irrfahrt, bei d<strong>er</strong> sich <strong>die</strong> Betroffenen plötzlich mit Gewalt<br />

in ein<strong>er</strong> v<strong>er</strong>kehrten mod<strong>er</strong>nen Welt wied<strong>er</strong>fanden, in d<strong>er</strong> <strong>die</strong> totale H<strong>er</strong>rschaft<br />

eines politisch-ideologischen Ordens das fi ktionale Surrogat ein<strong>er</strong> angeblich<br />

historischen Klasse darstellen sollte. 1989 war ein profanes Jahr, als das<br />

menschliche Int<strong>er</strong>esse üb<strong>er</strong> <strong>die</strong>se seit langem siech und kraftlos gewordene<br />

industrielle Variante von Glauben und Erlösung siegte, indem es von d<strong>er</strong><br />

kommunistischen Staatsmacht v<strong>er</strong>lassene und offen stehende Türen in<br />

ein<strong>er</strong> Sekunde plötzlich möglich geworden<strong>er</strong> Freiheit ohne nennensw<strong>er</strong>ten<br />

Wid<strong>er</strong>stand einrannte.<br />

Marx als Politik<strong>er</strong> und Geschichtsphilosoph ist spätestens seit <strong>die</strong>sem Zeitpunkt<br />

ein Thema, das nur noch Historik<strong>er</strong> beschäftigt. Als Theoretik<strong>er</strong> des<br />

Kapitalismus und d<strong>er</strong> historischen Evolution ab<strong>er</strong> lebte <strong>er</strong> lange Zeit in ein<strong>er</strong><br />

babylonischen Gefangenschaft, umstellt von affi rmativen Ideologen und<br />

fanatischen Gegn<strong>er</strong>n, und ist deshalb mit all seinen fragmentarischen Einsichten,<br />

Wid<strong>er</strong>sprüchen und produktiven Fehleinschätzungen <strong>er</strong>st noch<br />

unbefangen zu entdecken. Gescheit<strong>er</strong>te Prophezeiungen, meinte Richard<br />

Rorty einmal, sind oft eine inspiri<strong>er</strong>ende Lektüre. Es wäre am besten, wenn<br />

wir ohne Prophetien und ohne Ansprüche auf ein höh<strong>er</strong>es Wissen um <strong>die</strong><br />

Kräfte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Geschichte lenken, auskommen könnten. Doch auch wenn<br />

Marx heute in vielem v<strong>er</strong>altet wirke, so Rorty, habe <strong>er</strong> in imm<strong>er</strong> noch bewund<strong>er</strong>nsw<strong>er</strong>t<strong>er</strong><br />

Weise <strong>die</strong> wichtige Lektion formuli<strong>er</strong>t, <strong>die</strong> wir angesichts eines<br />

ungebremsten Kapitalismus gel<strong>er</strong>nt haben, nämlich dass d<strong>er</strong> Sturz autoritär<strong>er</strong><br />

Regi<strong>er</strong>ungen und <strong>die</strong> Schaffung konstitutionell<strong>er</strong> Demokratien zur<br />

Sich<strong>er</strong>ung von Gleichheit und Anstand zwischen den Menschen nicht ausreichen.<br />

Mehr als seine dem unruhigen Zeitgeist des 19. Jahrhund<strong>er</strong>ts geschuldeten<br />

apokalyptischen Antworten beschäftigen uns heute <strong>die</strong> nach wie vor irriti<strong>er</strong>enden<br />

Fragen von Marx bezüglich des labilen Zustands und d<strong>er</strong> selbstz<strong>er</strong>stör<strong>er</strong>ischen<br />

Tendenzen uns<strong>er</strong><strong>er</strong> mod<strong>er</strong>nen Welt. Marx wollte eine auf<br />

den Kopf gestellte Welt durch <strong>die</strong> Einebnung von als Entfremdung und V<strong>er</strong>dinglichung<br />

int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>ten Komplexitäten grundsätzlich v<strong>er</strong>änd<strong>er</strong>n, anstatt


sie nur zu int<strong>er</strong>preti<strong>er</strong>en und damit vielleicht in Grenzen beh<strong>er</strong>rschbar und<br />

gestaltbar zu machen. Mit ein<strong>er</strong> richtigen Int<strong>er</strong>pretation d<strong>er</strong> Wid<strong>er</strong>sprüche<br />

des Kapitalismus wäre all<strong>er</strong>dings schon viel gewonnen. Jede v<strong>er</strong>nünftige<br />

Politik staatlich<strong>er</strong> (und global<strong>er</strong>) Reguli<strong>er</strong>ung ist schließlich darauf angewiesen,<br />

ob und wie weit man das, was reguli<strong>er</strong>t w<strong>er</strong>den soll, richtig<br />

int<strong>er</strong> preti<strong>er</strong>t hat. Das betrifft <strong>die</strong> komplexen Beziehungen von Markt und<br />

Ordnung, Eigeninitiative und G<strong>er</strong>echtigkeit, ab<strong>er</strong> auch <strong>die</strong> Menschenrechte<br />

und eine friedliche Welt int<strong>er</strong>national<strong>er</strong> Beziehungen.<br />

Und da w<strong>er</strong>den Marx’ un<strong>er</strong>bittliche Fragen wied<strong>er</strong> aktuell. Denn aus ihnen<br />

lässt sich, recht v<strong>er</strong>standen und recht sorti<strong>er</strong>t, nicht nur das v<strong>er</strong>fl ossene<br />

Prinzip Erlösung, sond<strong>er</strong>n auch das weit bescheiden<strong>er</strong>e Prinzip V<strong>er</strong>antwortung<br />

h<strong>er</strong>auslesen.<br />

29<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


30<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

Empfehlungsliste 2010<br />

Neben dem Preisbuch empfi ehlt <strong>die</strong> Jury jedes Jahr weit<strong>er</strong>e wichtige politische<br />

Büch<strong>er</strong>:<br />

Holg<strong>er</strong> Kulick / Toralf Staud (Hg.)<br />

Das Buch gegen Nazis. Rechtsextremismus –<br />

Was man wissen muss und wie man sich wehren kann<br />

Köln: Kiepenhau<strong>er</strong> & Witsch V<strong>er</strong>lag, 2009. – 303 S., € 12,95<br />

<strong>Die</strong> Journalisten Holg<strong>er</strong> Kulick und Toralf Staud haben in <strong>die</strong>sem Handbuch<br />

<strong>die</strong> wichtigsten Fragen um das Thema Rechtsextremismus zusammengetragen.<br />

In knappen, üb<strong>er</strong>sichtlichen Texten stehen alltagstaugliche Handlungsund<br />

Entscheidungsvorschläge neben lebendigen und wirklichkeitsnahen<br />

Praxisbeispielen. Es w<strong>er</strong>den M<strong>er</strong>kmale benannt, an denen rechtsextremes<br />

Denken, Auftreten und Handeln zu identifi zi<strong>er</strong>en sind. „Das Buch gegen<br />

Nazis“ geht unmittelbar auf Int<strong>er</strong>netseiten d<strong>er</strong> Wochenzeitung DIE ZEIT und<br />

d<strong>er</strong> Bundeszentrale für politische Bildung zurück und dokumenti<strong>er</strong>t damit <strong>die</strong><br />

<strong>er</strong>folgreiche Arbeit eines Netzw<strong>er</strong>kes, in dem sich Menschen zur gemeinsamen<br />

Bekämpfung des Rechtsextremismus zusammengeschlossen haben. Dem<br />

Buch ist eine breite Les<strong>er</strong>schaft zu wünschen, in <strong>Bibliothek</strong>en und vor allem<br />

in Schulbibliotheken sollte es nicht fehlen.<br />

Liao Yiwu<br />

Fräulein Hallo und d<strong>er</strong> Bau<strong>er</strong>nkais<strong>er</strong><br />

Chinas Gesellschaft von unten<br />

Frankfurt am Main: S. Fisch<strong>er</strong> V<strong>er</strong>lag, 2009. – 539 S., € 22,95<br />

Jed<strong>er</strong> siebte Mensch auf d<strong>er</strong> Welt lebt in China, viele davon existi<strong>er</strong>en am<br />

Rand d<strong>er</strong> Gesellschaft. Liao Yiwu, 1958 in d<strong>er</strong> Provinz Sechuan geboren, und<br />

nach einem bewegten Leben heute Autor, Musik<strong>er</strong> und Journalist, hat es sich


zur Aufgabe gemacht, <strong>die</strong>sen Menschen eine Stimme zu geben. Seine Int<strong>er</strong>views<br />

mit Bau<strong>er</strong>n, Straßenmusik<strong>er</strong>n, Animi<strong>er</strong>mädchen, Menschenhändl<strong>er</strong>n<br />

und -Toilettenmänn<strong>er</strong>n sind in China v<strong>er</strong>boten, seine Ausreise zur Buchmesse<br />

2009 wurde unt<strong>er</strong>sagt, sein Name darf in d<strong>er</strong> chinesischen Presse nicht<br />

genannt w<strong>er</strong>den. In seinem Buch „Fräulein Hallo und d<strong>er</strong> Bau<strong>er</strong>nkais<strong>er</strong>“, ein<strong>er</strong><br />

lit<strong>er</strong>arischen Reportage, gewinnen deutsche Les<strong>er</strong> Einblicke in ungewöhnliche<br />

und fremde Lebenswege. <strong>Die</strong> Lektüre <strong>er</strong>weit<strong>er</strong>t uns<strong>er</strong> Chinabild um<br />

wesentliche Facetten und lädt zur Refl exion üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> eigene Kultur und Gesellschaft<br />

ein.<br />

Rog<strong>er</strong> Richt<strong>er</strong> / Pet<strong>er</strong> Spiegel<br />

The Pow<strong>er</strong> of Dignity –<br />

<strong>Die</strong> Kraft d<strong>er</strong> Würde. The Grameen Family<br />

Bielefeld: J. Kamphausen V<strong>er</strong>lag, 2009. – 224 S., € 39,80<br />

D<strong>er</strong> sehr schön gestaltete Bildband des Autors Pet<strong>er</strong> Spiegel und des Fotografen<br />

Rog<strong>er</strong> Richt<strong>er</strong> zeigt in eindrucksvoll<strong>er</strong> Weise <strong>die</strong> Arbeit eines d<strong>er</strong> hoffnungsreichsten<br />

Projekte gegen <strong>die</strong> Armut uns<strong>er</strong><strong>er</strong> Zeit: <strong>die</strong> Arbeit d<strong>er</strong> Grameen<br />

Bank in Bangladesh und ihres Gründ<strong>er</strong>s, des Friedensnobelpreisträg<strong>er</strong>s<br />

Muhammad Yunus, d<strong>er</strong> das Vorwort des Buches geschrieben hat. <strong>Die</strong> Grameen<br />

Bank <strong>er</strong>möglicht es Menschen, durch Mikrokredite von 20 bis 30 Euro eine<br />

stabile Existenzgrundlage aufzubauen, und so dem Teufelskreis d<strong>er</strong> Armut<br />

aktiv und selbstbestimmt zu entkommen. Texte und Bild<strong>er</strong> schild<strong>er</strong>n <strong>die</strong>se<br />

Menschen respektvoll vor ihr<strong>er</strong> neuen Lebensgrundlage – zum Beispiel in<br />

Gestalt eines Fisch<strong>er</strong>netzes. Das Buch beschreibt einen neuen Weg, d<strong>er</strong><br />

Spirale aus Armut und V<strong>er</strong>zweifl ung zu entkommen, es zeigt dem Betracht<strong>er</strong><br />

mutige Menschen, <strong>die</strong> ihre Zukunft selbst in <strong>die</strong> Hand nehmen.<br />

31<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


32<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

Nicholas St<strong>er</strong>n<br />

D<strong>er</strong> Global Deal<br />

München: C. H. Beck V<strong>er</strong>lag, 2009. – 287 S., € 19,90<br />

St<strong>er</strong>n sucht nach Wegen, dem Klimawandel wirksam zu begegnen. Wenn <strong>die</strong><br />

Industrieländ<strong>er</strong> so weit<strong>er</strong> wirtschaften, wenn das dringend benötigte Wirtschaftswachstum<br />

d<strong>er</strong> armen Länd<strong>er</strong> – mit mehr als 80 % d<strong>er</strong> Weltbevölk<strong>er</strong>ung<br />

– ähnliche Mengen Schadstoffe emitti<strong>er</strong>t und wenn <strong>die</strong> Tropenwäld<strong>er</strong><br />

weit<strong>er</strong> abholzt w<strong>er</strong>den, w<strong>er</strong>den <strong>die</strong> -Lebensbedingungen weltweit gefährdet<br />

sein. Eine Üb<strong>er</strong>einkunft zwischen allen Staaten üb<strong>er</strong> sparsam<strong>er</strong>es Wirtschaften<br />

ist notwendig. Ohne g<strong>er</strong>echte Vorschläge, ohne Koop<strong>er</strong>ation d<strong>er</strong> Wirtschaft<br />

und ihre B<strong>er</strong>eitschaft, ethische Normen einzuhalten, und ohne neue Techniken<br />

und Methoden des Wirtschaftens ist das Ziel, den Klimawandel zu stoppen,<br />

nicht <strong>er</strong>reichbar. Gelingt <strong>die</strong>s ab<strong>er</strong>, sieht St<strong>er</strong>n auf d<strong>er</strong> Basis solch global<strong>er</strong><br />

Koop<strong>er</strong>ation eine P<strong>er</strong>spektive weltweiten Wohl<strong>er</strong>gehens.<br />

H<strong>er</strong>mann Vinke<br />

<strong>Die</strong> Bundesrepublik<br />

Ravensburg: Ravensburg<strong>er</strong> Buchv<strong>er</strong>lag, 2009. – 224 S., € 19,95<br />

<strong>Die</strong> DDR<br />

Ravensburg: Ravensburg<strong>er</strong> Buchv<strong>er</strong>lag, 2008. – 256 S., € 19,95<br />

H<strong>er</strong>mann Vinke legt zwei (Jugend-) Büch<strong>er</strong> zur jüng<strong>er</strong>en deutschen Geschichte<br />

vor, <strong>die</strong> nach- und nebeneinand<strong>er</strong> gelesen und genutzt w<strong>er</strong>den sollten.<br />

Vinke <strong>er</strong>schließt <strong>die</strong> Geschichte d<strong>er</strong> DDR und d<strong>er</strong> Bundesrepublik üb<strong>er</strong> eine<br />

Fülle von Fakten und Bild<strong>er</strong>n, mit Porträts von Politik<strong>er</strong>n, Regimegegn<strong>er</strong>n,<br />

Künstl<strong>er</strong>n und manchen and<strong>er</strong>en handelnden Menschen. <strong>Die</strong> V<strong>er</strong>quickung<br />

von Politischem und Gesellschaftlichem funktioni<strong>er</strong>t, <strong>die</strong> Texte sind sachlich<br />

und zugleich gut zu lesen. Kenntnisreich und fun<strong>die</strong>rt präsenti<strong>er</strong>t Vinke eine<br />

Dokumentation, <strong>die</strong> kritisch und distanzi<strong>er</strong>t durch <strong>die</strong> deutsche Geschichte<br />

d<strong>er</strong> letzten 65 Jahre führt. Das Layout unt<strong>er</strong>stützt sowohl das systematische<br />

wie das punktuelle Lesen. G<strong>er</strong>ade das „Zeit-Ereignis-Qu<strong>er</strong>-Lesen“ macht<br />

Geschichte neu <strong>er</strong>fahrbar, nicht nur für Jugendliche, sond<strong>er</strong>n auch für<br />

Erwachsene.


<strong>Die</strong> Jurymitglied<strong>er</strong><br />

Horst Baraczewski<br />

Jahrgang 1954. Abitur, Buchhändl<strong>er</strong>-Lehre. Seit 1993 Geschäftsführ<strong>er</strong> d<strong>er</strong><br />

Buchhandlung Arthur Geist GmbH, Bremen. Mitglied im Vorstand d<strong>er</strong> Bre -<br />

m<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>aturstiftung seit 1994. Mitglied d<strong>er</strong> Jury seit 1997.<br />

Wolfgang Budde-Roth<br />

Jahrgang 1939. Studium d<strong>er</strong> Philosophie und Theologie, Geschichte und<br />

Politikwissenschaften, daneben Latein und Soziologie. <strong>Bibliothek</strong>ar a. D. in<br />

d<strong>er</strong> <strong>Bibliothek</strong> d<strong>er</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong>. Mitglied d<strong>er</strong> Jury seit 1983.<br />

Dr. Klaus Hohlfeld<br />

Jahrgang 1939. 1959 bis 1964 Studium, vor allem Geschichte und G<strong>er</strong>manistik.<br />

Promotion mit einem zeitgeschichtlichen Thema. 1967 bis 1973 Fach -<br />

ref<strong>er</strong>ent für Geschichte und Sozialwissenschaften bei den Hamburg<strong>er</strong><br />

Öffentlichen Büch<strong>er</strong>hallen. Seit 1973 an d<strong>er</strong> Stadtbüch<strong>er</strong>ei Mannheim, von<br />

1976 bis 2002 als d<strong>er</strong>en Direktor. Fachv<strong>er</strong>öffentlichungen zur <strong>Bibliothek</strong>spolitik<br />

und -geschichte. Mitarbeit<strong>er</strong> des bibliothekarischen Besprechungs<strong>die</strong>nstes<br />

d<strong>er</strong> Fachzeitschrift „Buch und <strong>Bibliothek</strong>“ in den Gebieten Politik,<br />

Zeitgeschich te und Theat<strong>er</strong>. Von Anfang an (1982) Mitglied d<strong>er</strong> Jury „Das<br />

politische Buch“, seit 1990 d<strong>er</strong>en Sprech<strong>er</strong>.<br />

Jens Hundries<strong>er</strong><br />

Jahrgang 1940. Geboren in Danzig. Studium zum Dipl. <strong>Bibliothek</strong>ar in<br />

Göttingen. Dozent zur Ausbildung von Büch<strong>er</strong>eiassistenten im Kirchlichen<br />

<strong>Die</strong>nst beim Deutschen V<strong>er</strong>band evangelisch<strong>er</strong> Büch<strong>er</strong>eien, Göttingen. Von<br />

1977 bis Ende 2005 Leit<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Stadtbibliothek in Dinslaken.<br />

Dr. Annette Kasp<strong>er</strong><br />

Jahrgang 1953. Studium in Jena (Deutsch, Geschichte, Pädagogik), anschließend<br />

Forschungsstudium und Promotion, bis Februar 1994 wissenschaft -<br />

liche Assistentin an d<strong>er</strong> Sektion Lit<strong>er</strong>atur- und Kunstwissenschaft d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong>sität<br />

Jena, ab März 1994 Arbeit in d<strong>er</strong> Kulturabteilung des Zeisskombinates,<br />

seit Septemb<strong>er</strong> 1995 Leitung d<strong>er</strong> Ernst-Abbe-Büch<strong>er</strong>ei Jena.<br />

33<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


34<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

Barbara Lison<br />

Jahrgang 1956. Studium d<strong>er</strong> Slawistik, Geschichte, Erziehungswissenschaften,<br />

danach mehr<strong>er</strong>e leitende Positionen im <strong>Bibliothek</strong>swesen, seit 1992<br />

Direktorin d<strong>er</strong> Stadtbibliothek Bremen. B<strong>er</strong>at<strong>er</strong>tätigkeiten für <strong>Bibliothek</strong>en<br />

im In- und Ausland. Geschäftsführ<strong>er</strong>in und Jurymitglied d<strong>er</strong> Rudolf-<br />

Alexand<strong>er</strong>-Schröd<strong>er</strong>-<strong>Stiftung</strong> zur V<strong>er</strong>leihung des Brem<strong>er</strong> Lit<strong>er</strong>aturpreises.<br />

Dr. <strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Schust<strong>er</strong><br />

Jahrgang 1927. Studium d<strong>er</strong> Geschichte, G<strong>er</strong>manistik und Philosophie in<br />

Bonn. 1958 Promotion. 1960-1965 Mitarbeit<strong>er</strong> am Int<strong>er</strong>nationalen Institut<br />

für Sozialgeschichte in Amst<strong>er</strong>dam. 1966-1992 Leit<strong>er</strong> des Archivs, d<strong>er</strong> <strong>Bibliothek</strong><br />

und d<strong>er</strong> Dokumentation beim Bundesvorstand des DGB. Mehr<strong>er</strong>e<br />

Publika tionen zur Geschichte d<strong>er</strong> SPD und zur Geschichte d<strong>er</strong> Gew<strong>er</strong>kschaften.<br />

W<strong>er</strong>n<strong>er</strong> Stephan<br />

Jahrgang 1947. Studium des Bauingenieurwesen und d<strong>er</strong> Geowissenschaften.<br />

<strong>Bibliothek</strong>ar seit 1979 zunächst in Darmstadt, spät<strong>er</strong> bei d<strong>er</strong><br />

Deutschen <strong>Bibliothek</strong> in Frankfurt am Main als Direktor für <strong>Die</strong>nstleistungen<br />

und Benut zung. In <strong>die</strong>s<strong>er</strong> Funktion wesentlich beteiligt am Neubau d<strong>er</strong><br />

Deutschen <strong>Bibliothek</strong>/Frankfurt. Seit Anfang 1998 Direktor d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong> sitätsbibliothek<br />

Stuttgart. Aktive Mitarbeit in d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>national Fed<strong>er</strong>ation of<br />

Library Asso ciations (IFLA) und in d<strong>er</strong> Int<strong>er</strong>national Standard Organisation,<br />

in d<strong>er</strong> Deutschen UNESCO-Kommission und als von d<strong>er</strong> EU bestellt<strong>er</strong><br />

Gutacht<strong>er</strong>.<br />

Dr. Beate Trög<strong>er</strong><br />

Jahrgang 1961. Studium d<strong>er</strong> Philosophie, Erziehungswissenschaften, G<strong>er</strong>manistik<br />

und Kunstgeschichte, anschließend Promotion im Jahr 1993.<br />

Danach mehr<strong>er</strong>e leitende Positionen im <strong>Bibliothek</strong>swesen, seit Mai 2004<br />

Direktorin d<strong>er</strong> Univ<strong>er</strong>sitäts- und Landesbibliothek Münst<strong>er</strong>. Vorstandsmitglied<br />

von DINI (Deutsche Initiative für Netzw<strong>er</strong>kinformation).


<strong>Die</strong> Preisträg<strong>er</strong> „Das politische Buch“ seit 1982<br />

1982 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Horst Brehm<br />

G<strong>er</strong>d Pohl<br />

Ingeborg Bay<strong>er</strong><br />

Alwin Mey<strong>er</strong><br />

Karl-Klaus Rabe<br />

Festrede: Björn Engholm<br />

1983 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Christian Schaff<strong>er</strong>nicht<br />

<strong>Die</strong>trich Güstrow<br />

Festrede: Axel Eggebrecht<br />

1984 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Andrew Wilson<br />

Johano Strass<strong>er</strong>/Klaus Traube,<br />

August Rathmann<br />

Festrede: Dr. Hans-Jochen Vogel<br />

1985 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Tomi Ung<strong>er</strong><strong>er</strong><br />

<strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Bänsch,<br />

Büch<strong>er</strong>gilde Gutenb<strong>er</strong>g<br />

Festrede: Monika Wulf-Mathies<br />

1986 Bonn, 14. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Wolfgang Apitzsch/Thomas Klebe/Manfred Schumann<br />

Lisa Fittko<br />

Regina Beck<strong>er</strong>-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp/<br />

Beate Schmidt<br />

Festrede: Johannes Rau<br />

1987 Bonn, 21. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Günt<strong>er</strong> Gaus<br />

Angela Joschko/Hanne Huntemann<br />

Ruhrfestspiele Recklinghausen<br />

Festrede: Holg<strong>er</strong> Börn<strong>er</strong><br />

35<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


36<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

1988 Bonn, 18. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Michail Gorbatschow<br />

Gordon A. Craig<br />

Festrede: Pet<strong>er</strong> Glotz<br />

1989 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Helmut Schmidt<br />

Gioconda Belli<br />

Walt<strong>er</strong> Michl<strong>er</strong><br />

1990 Prag, 26. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Václav Havel<br />

Walt<strong>er</strong> Janka<br />

1991 Leipzig, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Timothy Garton Ash<br />

Reinhard Bohse<br />

1992 Bonn, 4. Juni<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Klaus Kordon<br />

Wolfgang Benz<br />

Festrede: Renate Schmidt<br />

1993 Bonn, 12. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Hans Magnus Enzensb<strong>er</strong>g<strong>er</strong>,<br />

Regina Griebel/Marlies Coburg<strong>er</strong>/Heinrich Scheel<br />

Festrede: Hans-Ulrich Klose<br />

1994 Leipzig, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Martin und Sylvia Greiffenhagen<br />

Wolfgang Sofsky<br />

Festrede: Günt<strong>er</strong> Wich<strong>er</strong>t<br />

1995 Bonn, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Norb<strong>er</strong>to Bobbio<br />

<strong>Die</strong>t<strong>er</strong> Nohlen/Franz Nuschel<strong>er</strong><br />

Festrede: Erhard Eppl<strong>er</strong>


1996 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Pet<strong>er</strong> M<strong>er</strong>seburg<strong>er</strong><br />

Ernst Ulrich von Weizsäck<strong>er</strong>/<br />

Am<strong>er</strong>y B. & L. Hunt<strong>er</strong> Lovins<br />

Festrede: Manfred Stolpe<br />

1997 Bonn, 14. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Noa Ben Artzi-Pelossof<br />

Ulrich H<strong>er</strong>b<strong>er</strong>t<br />

Festrede: Reinhard Höppn<strong>er</strong><br />

1998 Bremen, 19. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Markus Tiedemann<br />

Swetlana Alexijewitsch<br />

Festrede: Henning Sch<strong>er</strong>f<br />

1999 Bonn, 18. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Richard Sennett<br />

Frank Böckelmann<br />

Festrede: Anke Fuchs<br />

2000 B<strong>er</strong>lin, 9. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Wolfgang Engl<strong>er</strong><br />

Festrede: Wolfgang Thi<strong>er</strong>se<br />

2001 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Heinrich August Winkl<strong>er</strong><br />

Festrede: Julian Nida-Rümelin<br />

2002 B<strong>er</strong>lin, 7. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Michael Howard<br />

Festrede: Erhard Eppl<strong>er</strong><br />

2003 B<strong>er</strong>lin, 14. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Gunt<strong>er</strong> Hofmann<br />

Festrede: Pet<strong>er</strong> Glotz<br />

2004 B<strong>er</strong>lin, 13. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Michael Mann<br />

Festrede: Jürgen Kocka<br />

37<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


38<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010<br />

2005 B<strong>er</strong>lin, 12. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Carolin Emcke<br />

Festrede: Heidemarie Wieczorek-Zeul<br />

2006 B<strong>er</strong>lin, 9. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Erhard Eppl<strong>er</strong><br />

Festrede: Hub<strong>er</strong>tus Heil<br />

2007 B<strong>er</strong>lin, 10. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Nadja Kling<strong>er</strong> und Jens König<br />

Festrede: Matthias Platzeck<br />

2008 B<strong>er</strong>lin, 6. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Pet<strong>er</strong> Schaar<br />

Festrede: Ehrhart Körting<br />

2009 B<strong>er</strong>lin, 12. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Christian Grefe und Harald Schumann<br />

Festrede: Wolfgang Thi<strong>er</strong>se<br />

2010 B<strong>er</strong>lin, 11. Mai<br />

Preisträg<strong>er</strong>: Rolf Hosfeld<br />

Festrede: Andrea Nahles


Informationen zur V<strong>er</strong>gabe des Preises<br />

„Das politische Buch“<br />

<strong>Die</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> v<strong>er</strong>leiht jährlich den Preis „Das politische Buch“.<br />

In mahnend<strong>er</strong> Erinn<strong>er</strong>ung an <strong>die</strong> nationalsozialistische Büch<strong>er</strong> v<strong>er</strong>brennung<br />

im Jahr 1933 fi ndet <strong>die</strong> Preisv<strong>er</strong>leihung am 10. Mai od<strong>er</strong> in d<strong>er</strong> Nähe <strong>die</strong>ses<br />

Gedenktages statt.<br />

Ziel des Preises ist <strong>die</strong> Förd<strong>er</strong>ung wichtig<strong>er</strong> politisch<strong>er</strong> Büch<strong>er</strong>.<br />

<strong>Die</strong> Entscheidung üb<strong>er</strong> <strong>die</strong> V<strong>er</strong>gabe des mit 10.000 € doti<strong>er</strong>ten Preises trifft<br />

eine unabhängige Jury.<br />

Auß<strong>er</strong>dem stellt <strong>die</strong> Jury eine Liste mit weit<strong>er</strong>en empfehlensw<strong>er</strong>ten politischen<br />

Büch<strong>er</strong>n zusammen.<br />

Jed<strong>er</strong> hat das Recht, Vorschläge einzureichen. Bei ausländischen Autoren muss<br />

das vorgeschlagene Buch in deutsch<strong>er</strong> Üb<strong>er</strong>setzung auf dem Buchmarkt sein.<br />

Einsendeschluss für <strong>die</strong> Buchvorschläge ist jeweils d<strong>er</strong> 15. Oktob<strong>er</strong> für den<br />

Preis des Folgejahres.<br />

Geschäftsführ<strong>er</strong> d<strong>er</strong> Jury: Sekretariat d<strong>er</strong> Jury:<br />

<strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong> <strong>Friedrich</strong>-Eb<strong>er</strong>t-<strong>Stiftung</strong><br />

Politische Akademie Kurt-Schumach<strong>er</strong>-Akademie<br />

Dr. Tobias Mörschel Agnes G<strong>er</strong>gely<br />

Hiroshimastraße 17 Willy-Brandt-Straße 19<br />

10785 B<strong>er</strong>lin 53902 Bad Münst<strong>er</strong>eifel<br />

Telefon: 030 2 69 35-71 43 Telefon: 022 53 92 12 18<br />

Telefax: 030 2 69 35-92 45 Telefax: 022 53 8091<br />

E-Mail: Tobias.Mo<strong>er</strong>schel@fes.de E-Mail: Agnes.G<strong>er</strong>gely@fes.de<br />

39<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


41<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010


42<br />

DAS POLITISCHE BUCH 2010

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!