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wirtschafts- und sozialgeographie wirtschaftsinformationen

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lung etablieren. Drittens schließlich war die zeitgenössische<br />

intellektuelle Kommunikation zutiefst von räumlichen<br />

Schemata, wie z. B. der Nationalstaatsdiskussion<br />

<strong>und</strong> der Kolonialismusfrage durchsetzt <strong>und</strong> bot damit<br />

auf der alltagsweltlichen Ebene geeignete Anknüpfungspunkte<br />

für das von Geographen produzierte<br />

raumbezogene Wissen, das nicht zuletzt der Homogenisierung<br />

<strong>und</strong> Stereotypisierung von Subjekten diente<br />

<strong>und</strong> die Aneignung von Welt unter der Perspektive eines<br />

spezifisch deutschen Großmachtstrebens betrieb.<br />

Mit dem Einbau des Landschaftskonzeptes in die<br />

Hochschulgeographie verfestigten sich in der Zwischenkriegszeit<br />

die raumbezogenen Denkfiguren weiter.<br />

Entlang des vorwissenschaftlich-ästhetisch geprägten<br />

Wortumfeldes wurde in zahlreichen methodologischen<br />

Abhandlungen der Begriff „Landschaft" als Zentralbegriff<br />

einer neuen Geographie bestimmt, deren<br />

„höchste Aufgabe", „Endzweck", „Kern" die Regionale<br />

Geographie betrachtet wurde. „Landschaft" galt von<br />

nun an als das „eigentliche" <strong>und</strong> „ureigenste" Forschungsobjekt<br />

der Geographie, das, wie die Zeitgenossen<br />

glaubten, ihre keine andere Wissenschaft streitig<br />

machen konnte. Wie schon in der Geographie des Kaiserreichs<br />

wurden im Denkschema der Landschaftsgeographie<br />

„Räume" in der Regel auch als in „der" Realität<br />

vorgegebene Behälter (container) betrachtet, in denen<br />

bereits alles vorfindbar enthalten war: der Gesteinsuntergr<strong>und</strong>,<br />

die Oberflächenformen <strong>und</strong> Böden, das Klima,<br />

die Gewässer, die Pflanzen <strong>und</strong> Tiere sowie der<br />

Mensch selbst einschließlich seiner Siedlungen, Verkehrswege,<br />

Wirtschaftsflächen etc. Jeder einzelne dieser<br />

Räume bildete für den Landschaftsgeographen eine<br />

real existierende Ganzheit, wobei ihm die Aufgabe zufiel,<br />

diese Ganzheit in ihrer unverwechselbaren Einmaligkeit<br />

zu beschreiben <strong>und</strong> zu erklären.<br />

3. Der Prozess der Ablösung vom Denken<br />

in „Container-Räumen":<br />

die Raumstrukturforschung<br />

Das für die Geographie überaus erfolgreiche, in der<br />

Zwischenkriegszeit dem intellektuellen zeitgenössischen<br />

Milieu in höchstem Maße angepasste Landschaftskonzept,<br />

geriet vor dem Hintergr<strong>und</strong> eines ständig<br />

wachsenden Krisen- <strong>und</strong> Veränderungsbewusstseins<br />

schon im Laufe der 1950er <strong>und</strong> 1960er Jahre zusehends<br />

unter Beschuss, weil festgestellt werden musste,<br />

dass die Landschaftsgeographie weder den Anforderungen<br />

der internationalen Geographie <strong>und</strong> internationalen<br />

Wissenschaft genügte, noch zeitgemäße Antworten<br />

auf die sich in der Nachkriegszeit rasch modernisierende<br />

Welt finden konnte. Im Gefolge der auf dem<br />

Kieler Geographentag geäußerten Kritik, die bei der<br />

etablierten Geographenschaft vor dem Hintergr<strong>und</strong> der<br />

Studentenunruhen wie eine Bombe einschlug, wurden<br />

die bislang durch das container-Konzept definierten<br />

disziplinären Außengrenzen des Faches zugunsten einer<br />

nun immer stärker werdenden Rezeption von Ansätzen<br />

gelockert, die entweder aus den Nachbarwissenschaften<br />

stammten <strong>und</strong> / oder in der zeitgenössischen<br />

angloamerikanischen Geographie intensiv diskutiert<br />

wurden. Unter Umgehung des mit der Landschaftsgeographie<br />

verb<strong>und</strong>enen Begriffsarsenals wie z. B. Schau,<br />

Ganzheit, Integration, Komplex, entwickelte sich in der<br />

deutschsprachigen Hochschulgeographie unter dem<br />

Einfluss des spatial approach seit den 1970er Jahren die<br />

„Raumstrukturforschung" (vgl. hierzu Arnreiter/Weichhart<br />

1998, S. 65). Sie nahm mit ihren statistisch gestützten<br />

Regionalisierungsbemühungen die im spatial approach<br />

verwendeten neuen Methoden zwar auf <strong>und</strong><br />

thematisierte insofern „Räume" als Systeme von Lagebeziehungen<br />

materieller Objekte, wobei sie den Akzent<br />

der Fragestellung besonders auf die Bedeutung von<br />

Standorten, Lage-Relationen <strong>und</strong> Distanzen für die<br />

Schaffung gesellschaftlicher Wirklichkeit legte. Sie<br />

suchte jedoch nicht - wie der spatial approach - als nomologisches<br />

Forschungsprogramm nach' Raumgesetzen,<br />

sondern tendierte immer wieder dazu, die ausgegrenzten<br />

Raumeinheiten zu hypostasieren <strong>und</strong> sie, wie<br />

das in der Landschaftsgeographie üblich gewesen war,<br />

als in der Realität vorkommende Raumganzheiten zu<br />

behandeln. Dennoch stieß die „Raumstrukturforschung"<br />

seit den 1970er Jahren eine neue Differenzierung<br />

an, die spätestens seit den 1980er Jahren dann als<br />

die Differenz von „realistischen" versus „konstruktivistischen"<br />

Ansätzen diskutiert wurde.<br />

9 •<br />

4. Die allmähliche Ablösung<br />

von realistischen Forschungskonzepten<br />

in den 1980er Jahren<br />

Innerhalb der traditionellen Geographie wurde in<br />

der Regel ein realistisches Forschungsprogramm vertreten.<br />

Die Mehrheit der Hochschulgeographen teilte die<br />

Auffassung, dass es ihre Aufgabe sei, die in der Realität<br />

vorgegebene Kammerung der Erde mittels regionalgeographischer<br />

Forschung erklären zu können. Bei entsprechend<br />

„wahren" Forschungsergebnissen, so glaubte<br />

man ganz im naturwissenschaftlichen Positivismus<br />

befangen, könnte die Geographie eines Tages eine absolute<br />

Regionalisierung der Erde aufstellen, auf deren<br />

Basis dann nur noch, quasi wie auf einer Registrierplatte,<br />

die aktuell stattfindenden Veränderungsprozesse zu<br />

erklären seien. Mit dieser Denkfigur war ein wahrscheinlich<br />

aus der frühmodernen Kartographie stammender<br />

horror vacui verb<strong>und</strong>en: kein Gebiet der Erde,<br />

<strong>und</strong> sei es noch so winzig, durfte aus der Regionalisierung<br />

herausfallen. Andererseits sollten Grenzen aber<br />

möglichst als Linien ausgebildet sein, so dass keine<br />

Überlappungen zustande kamen, die womöglich ein<br />

Gebiet als zu zwei Raumeinheiten gehörig definiert<br />

hätten.<br />

Aufgr<strong>und</strong> der empirischen Forschungsergebnisse<br />

wurde schon im Laufe des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts deutlich,<br />

dass an diesem Absolutheitsmodell nicht festgehalten<br />

werden konnte. Das veranlasste z. B. Alfred Hettner zu<br />

der Auffassung, dass Regionalisierungen immer in Relation<br />

zu den Kriterien der Regionalisierung betrachtet<br />

werden sollten <strong>und</strong> deshalb niemals „wahr" oder<br />

„falsch", sondern nur „zweckmäßig" oder „unzweckmäßig"<br />

sein konnten (vgl. Hettner 1927 <strong>und</strong> Wardenga<br />

1995). In der Landschaftsgeographie dagegen schienen<br />

derartige Überlegungen als hypertrophe Spielereien eines<br />

in die Fachmethodologie verliebten Dogmatikers,<br />

weil in der Semantik des Landschaftsbegriffs die Begrenztheit<br />

des individuellen Erdraums bereits aufgehoben<br />

war, so dass die Problematik der Regionalisierung<br />

<strong>und</strong> die in ihr notwendig implizierte Tendenz der Kritik<br />

Wissenschaftliche Nachrichten Nr. 120 • November/Dezember 2002 49

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