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Volkswirtschafts-Leere - Dieter Schnaas

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Politik&Weltwirtschaft» als das pazifizierende Instrument einer arbeitsteiligen Wirtschaft.Der Gründungsmythos einer Marktwirtschaft freier Kaufleute verstelltden Blick auf die historische Prozesshaftigkeit einer Geld-Welt,die keine Gesetze, Stabilitäten und Gleichgewichte kennt, die niemalsvon Homines oeconomici bevölkert war und in der es zu keinerZeit eine Trennung von Staat und Markt gegeben hat.Ohne eine theoretische Aufwertung des Geldes wird die Ökonomiedaher in der anhaltenden Debatte über die Zukunft des Kapitalismusauf die Rolle eines Zaungastes verwiesen bleiben. DieEinsicht in die real- und ideengeschichtlichen Prozesse, die diekonstitutive Ambivalenz des Geldes als Lebens-Mittel und Lebens-Zweckzum Vorschein bringen (Georg Simmel), der beispielloseAufstieg des Geldes zur Zentralkategorie wirtschaftlichenHandelns, die Würdigung seinerungeheuren Bedeutungsvielfaltals Kapital, Schuld, Zins, Preis, Ertrag,Mehrwert, Eigentum undVermögen – das alles ist in derVolkswirtschaft des 21. Jahrhundertsweitgehend brachliegendesTerrain.Noch immer taucht dasGeld in VWL-Lehrbüchern an verlässlichspäter Stelle auf.Damit ist selbstverständlichnicht gesagt, dass Volkswirtschaftlernicht ihr mathematischesHandwerk beherrschen sollten.Das müssen sie zweifellos. Die„Reform einer Wissenschaft“ abervermag heute nicht mehr, wienoch Carl Menger meinte, „nuraus ihr selbst, nur aus den Tiefenihrer eigenen Ideenkreise hervorzugehen“,im Gegenteil: Sie kannund darf nicht „nur das Werk derin die eigenen Probleme ihrerDisziplin sich vertiefenden Forschersein“.Die Harmonie des Marktes ist eineFiktion. Die Stabilität desKapitalismus hängt davon ab, dasser sich seine Instabilität erhältDER METHODENSTREITDer sogenannte Methodenstreit, den Menger und Gustav Schmoller1883/84 ausfochten, hat sich vor dem Hintergrund einer Kontroverseüber das richtige Menschenbild und die richtige Wirtschaftspolitikabgespielt. Menger erhob den Individualismus zumAusgangspunkt seiner Disziplin und verteidigte ihn gegenSchmollers Verdikt, es gebe keine unveränderlichen Gesetzemenschlichen Handelns. Schmoller zog daraus den Schluss, dassdie Ökonomie vor allem ihre veränderliche Rolle im Kollektiv desStaates und der Gesellschaft in den Blick zu nehmen habe.Natürlich ist die Kontroverse, auch wenn die meisten Ökonomensie für aktuell halten, längst überholt: Schon Émile Durkheimhat 1893 die alles entscheidende Frage gestellt: „Wie geht es zu,dass das Individuum, obgleich es immer autonomer wird, immermehr von der Gesellschaft abhängt?“ Nun, das ist in der Tat dieFrage – und sie blamiert vor allem Menger: Erstens, weil Durkheimdas Individuum nicht als Ichling, sondern im Hinblick auf Zweiteund Dritte, genauer: auf ihre wechselseitige Abhängigkeit in einerarbeitsteiligen Welt hin entwirft. Zweitens, weil er damit zugleichdie Formelhaftigkeit einer Ceteris-Paribus-Ökonomie (veränderteParameter unter ansonsten gleichen Bedingungen) als wissenschaftstheoretischenAutismus demaskiert: „Der Chemiker darfwagen, von den physikalischen Eigenschaften eines chemischenGegenstandes zu abstrahieren, aber, wenn er die atmosphärischeLuft untersuchte und nach dem Grundsatze Menger’scher Isolierungsagte: ich ziehe dabei den Stickstoff in Betracht, weil er vorherrscht,so würde man ihn sofort aus dem Laboratorium werfen.“Ausgerechnet Friedrich August von Hayek, ein Enkel der vonMenger begründeten „Österreichischen Schule“, springt Schmoller1956 bei. Für Hayek ist klar, dass die „wirklich fruchtbare Forschungstätigkeiteine sehr differenzierte Kombination von verschiedenenArten von Wissen und Kenntnissen“ zur Voraussetzunghat – und dass die Ökonomie vor allem eine Lebenswissenschaftist, die nicht nur mit Formeln operieren darf, sondern sichhermeneutischer (verstehender)Verfahren zu bedienen hat. DieÖkonomie, so Hayek, dürfe denBlick nicht nur nach innen richtenund auf empirisch belastbare Systemimmanenzzielen: Sie musssich auch selbst auslegen, kulturelleinbetten, historisch verorten.Andernfalls sei sie keine Wissenschaftdes Menschen, sondern eineWissenschaft der Zahl, die ihreeigene Grundannahme – methodologischerIndividualismus –desavouiert, indem sie Menschenals Totalquanten und aggregierteDatenbündel beschreibt. Hayek:„Niemand kann ein großer Ökonomsein, der nur Ökonom ist,und ich bin sogar versucht hinzuzufügen,dass der, der ausschließlichÖkonom ist, leicht zum Ärgernis,wenn nicht gar zu einer wirklichenGefahr wird.“KRISE DES FEUILLETONSFreilich, zum Ärgernis, wennnicht gar zu einer wirklichen Gefahr,sind im Verlauf der Krise auch die geworden, die sich als Angehörigeder „kulturellen Fraktion“ über die Händel der Geld-Welterhaben fühlen – und die das Geschäftstreiben vom Hochsitz ihrerverfeinerten Bildung aus mit soziologisch geschulter Distanz undwiderwilliger Faszination zur Kenntnis nehmen. Es gehört offenbarimmer noch zum guten Ton in den Geisteswissenschaften, dieVorzüge der Marktwirtschaft, die zivilisatorischen Errungenschaftendes Fortschritts und das Bewegungsgesetz des Kapitalismus –Kredit, Innovation, Instabilität – möglichst schlecht gelaunt zurKenntnis zu nehmen. Anders jedenfalls ist die Jubelbereitschaft,mit der das Feuilleton das parareligiöse (Tausch-)Paradigma derÖkonomen durch das (Schuld- und Vertrauens-)Paradigma derAnthropologie (David Graeber) ersetzt und zur „neuen“ Geschäftsgrundlagedes Kapitalismus erklärt, nicht zu verstehen – zumaluns der Archäologe Bernhard Laum auf diese Geschäftsgrundlageschon 1924 aufmerksam gemacht hat. Tatsächlich liegtdie Wahrheit, wie immer, in der Mitte – oder besser: mitten in derwachsenden Kluft des Unverständnisses, die zwischen Ökonomenund Kulturwissenschaftlern aufreißt, an den Universitäten, aberauch in den Ressorts der Zeitungen und Magazine.26 Nr. 32 6.8.2012 WirtschaftsWoche© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.


FOTOS: BLOOMBERG NEWS/SCOTT EELLS, LAIF/ HANS CHRISTIAN PLAMBECKDie Fronten stehen sich steiltheoretisch gegenüber. LiberaleÖkonomen denunzieren den Schuldenstaat als Quelle aller Finanzübel,die derselbe Schuldenstaat mit der Rettung großer Bankenzugleich aus der Welt schaffen soll. Und erlösungsbereite Geisteswissenschaftlerbegrüßen die Entheiligung der Märkte, die Unvernunftder Spekulation und die „Entdeckung“ eines referenzlosenGespensterkapitals, das als Binärcode um den Globus vagabundiert(Joseph Vogl) – ganz so, als sei der Finanzmarkt nie derAltarraum gewesen, in dem einst auch seine Kritiker das Opfer ihrerLebensversicherungen (und Vernunft) gebracht hätten. Wasbei diesen rituellen Tänzen um Vorurteile auf der Strecke bleibt, istvor allem zweierlei: das Verständnis für konstitutive Instabilität desKapitalismus – und für die Komplementarität der Sphären „Staat“und „Markt“.DIE UR-URSACHE DER KRISEWeder „mehr Markt“ noch „mehrStaat“ sind angemessene Forderungenin einer Geld-Welt, diesich durch eine systemische Verschränkungvon Markt und Staatauszeichnet. Eine Chance zur Lösungder Krise besteht deshalbnicht darin, den Markt zugunstendes Staates auszubremsen, Bankengegen Steuerzahler auszuspielen,Ratingagenturen ihrerKontrollfunktion zu berauben –und schon gar nicht in einer Politisierungdes Geldes, wie sie denNur der Staat kann dafür sorgen,dass der Markt funktioniert:mit scharfer Ordnungspolitik undstrikter SelbstbescheidungOccupy-Bewegten vorschwebt.Vielmehr geht es darum, dieFunktionstüchtigkeit der SphärenStaat und Markt durch klar definierteAufgabenbeschreibungenzu stärken – und sei es vorerst imWege des Ausschlussverfahrens:Der Staat ist nicht dazu da, die globalenWettspiele einer Finanzaristokratiezu lizenzieren, die ihreGewinne einstreicht und ihre Verluste der Allgemeinheit aufbürdet.Und die Finanzmärkte sind nicht dazu da, eine Politik zu finanzieren,die die Illusion von Wachstum nur noch dadurch aufrechterhaltenkann, dass sie der Zukunft mit der Aufnahme immer neuerSchulden ihre Reserven stiehlt.Wenn es eine Ur-Ursache dieser Krise gibt, dann ist es dieWachstumsdelle der Industrienationen in den Sechzigerjahren,die Kreditexplosion nach Aufgabe des Bretton-Woods-Systems1971 und die Entstehung eines finanzmarktliberalen Sozialstaatsschulden-Kapitalismus,dessen Gedeih (und Verderb) auf der infinitenProduktion von Krediten beruht. Seit die westlichen Industrienationennicht mehr im Schwellenland-Tempo wachsen, sindFinanzmärkte und Notenbanken Vehikel ihrer Regierungen geworden,um ein Wachstum aufrechtzuerhalten, das von den Fesselnder Realwirtschaft befreit ist. Die Notenbanken erfüllen ihreAufgabe, indem sie unendlich viel Geld schöpfen – und die Finanzmärkte,indem sie das Kapital nicht mehr um Waren und Güterkreisen lassen, sondern vor allem um sich selbst. Der Unterschiedzwischen Europa und den USA besteht darin, dass man sich denSozialstaat diesseits des Atlantiks mit dem Mittel der Kreditaufschäumungerkaufte, während man ihn sich jenseits des Atlantiksmit zinskeynesianischen Mitteln ersparte – und seine realwirtschaftlichverarmende Bevölkerung stattdessen zu Häuser- undRatenkäufen ermunterte.Die Geldkrisen der Gegenwart sind daher kein Ausdruck vonMarktversagen, keine Krise des Kapitalismus, kein Argument gegendie Gier und die Spekulation, sondern das Ergebnis einesstaatskapitalistischen Systemversagens. Wenn Staaten heute mitSteuergeldern Banken kapitalisieren, handelt es sich dabei umverschuldete Staaten, die zur Erfüllung wohlfahrtsstaatlicher Bürger-Ansprüchevon Banken kapitalisiert werden – und die genaudeshalb angezählt sind, weil die Banken den Staaten bereits viel zuviel Geld für ihre fortgesetzte Wählerbeglückung geliehen haben.Insofern handelt es sich bei dieserKrise nicht um eine Pathologiedes Kapitalismus, sondern umseine Heilung: Die allmählicheRealisierung der Kreditillusionen,auf die wir seit Jahrzehnten unsereZukunft gebaut haben, bringtuns der tatsächlichen Kaufkraftder Gegenwart wieder ein kleinesStückchen näher.SCHLAG NACH BEI RÖPKEWilhelm Röpke, der große Denkerder sozialen Marktwirtschaft, hatbereits 1957 darauf hingewiesen,worauf es heute ankommt: „DenRegierenden die Herrschaft [überdas Geld] zu nehmen und dasGeldwesen von ihrer Willkür, Einsichtslosigkeitoder Schwäche unabhängigzu machen.“ Für Röpkewar die Verletzung der „Unantastbarkeitdes Geldes“ eines „derernstesten Anzeichen für die äußersteGefahr, in der sich Gesellschaftund Staat befinden“. Ahnungsvollfürchtete er das Heraufzieheneines „Fiskalsozialismus“, der die Fata Morgana finanziellerGroßspielräume durch die Schöpfung von Kreditgeld für bareMünze nimmt.Natürlich, Röpke wendet sich damals, gegen Ende des erstenWirtschaftswunder-Jahrzehnts mit einem durchschnittlichenWachstum des Bruttoinlandsprodukts von 8,2 Prozent, noch nichtgegen den Schuldenstaat, sondern gegen eine antideflationäreWirtschaftspolitik, die auf Kosten der Geldstabilität das Ziel derVollbeschäftigung verfolgt. Eines aber ist ihm schon damals mitbeängstigender Hellsichtigkeit klar: dass die Regierenden dieschleichende Geldentwertung nicht mit der Erhöhung ihrer Sparanstrengungenbeantworten werden, sondern mit der Ausweitungder Geldmenge – bis zuletzt die Notenbanken in die politischePflicht genommen werden: „Nachdem die Goldwährung gefallenist, war als letztes Gegengewicht gegen die unbeschränkte Herrschaftder Regierungen über das Geld noch ein gewisses Maß anUnabhängigkeit der Zentralnotenbanken übrig geblieben. Aberauch dieser Damm ist… geborsten… Auch die unabhängigen Zentralbankenscheinen zu den Bastillen zu gehören, die dem Jakobinismusunserer Zeit keine Ruhe lassen, bis sie geschleift sind.“ »WirtschaftsWoche 6.8.2012 Nr. 32 27© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.


Politik&WeltwirtschaftDie Gesellschaft ist keine Summevon Individuen. Man kann ihrMiteinander nicht berechnen – nurversuchen, es zu verstehen» Und was lernen wir daraus? Vom Markt, der „kein Herz und keinGehirn hat“, wie Paul Samuelson sich einmal treffend ausdrückte,der einfach „tut, was er tut“, ist keine Antwort auf die Krise zu erwarten.Die Börsen sind Kapitalumschlagplätze und Kreditvermehrungsmaschinen;hier arbeiten Herdentiere der Konjunktur,Lemminge der Liquidität, Profiteure der Geldflut. Es gehört zur Berufsbeschreibungvon Spekulanten, dass sie einem Geldismus frönen,der Aktionäre zulasten der Mitarbeiter privilegiert, derschnelles Wachstum statt langfristiges Gedeihen belohnt und jedewirtschaftspolitische Rahmensetzung als Freiheitsberaubungempfindet.Allein der Staat kann daher eine Ordnung durchsetzen, die vonder Freiheit, die er den Finanzmärkten gewährt, nicht zugrundegerichtet wird: mit ordnungspolitischerSchärfe und Selbstbescheidung,mit Verboten realwirtschaftlichrelevanzloser Glücksspieleund mit der entschlossenen Abkehrvon einem kreditexpansivenWirtschaftsmodell, das sich von„kreativen Finanzprodukten“ abhängigmacht. Eine Entpolitisierungdes Geldes hat daher zur Bedingungund zum Ziel, die systemischeVerklammerung vonMarkt und Staat zu lockern, umbeide Sphären funktionell zu stärken.Ohne eine Rehabilitation desStaates als recht- und rahmensetzendeGewalt (durch die Revisionseines Selbstverständnisses alsDeregulierungsagentur zur Förderungder Finanzoligarchie) werdensich die allerorts erhobenenWünsche nach einem Stabilitätsplusdes Kapitalismus nicht erfüllen.Und ohne eine Rehabilitationdes Marktes als Preisfindungsinstitut(durch die Revision seinesDaseinszwecks als internationalesWettbüro und Kreditbroker für klamme Staaten) auch nicht.Mag sein, dass es sich hierbei um den einzigen Gedanken handelt,den Markt- und Staatsverächter von sich weisen. Und dochspricht alles für die Diagnose, dass es sich bei der gegenwärtigen„Krise des Kapitalismus“ weniger um eine Folge der Instabilitätdes Marktgeschehens handelt, vielmehr um das Ergebnis von Bemühungen,vermeintliche Instabilitäten politisch zu stabilisieren.Klärt uns nicht jeder weitere Tag, an dem die Euro-Krise ihrenLauf nimmt, darüber auf, dass die wirtschafts-, finanz- undgeldpolitischen Interventionen der „souveränen“ Staaten und ihrerNotenbanken die Lage zugleich stabilisieren und destabilisieren?Wer diese Frage bejaht, kann nicht anders als einverstandensein mit der Forderung, dass die Politik ihre Abhängigkeit vonden Märkten reduzieren muss, um ihre eigene Handlungsfähigkeitzu stärken – und die Märkte sich gegen staatliche Inanspruchnahmeverwahren müssen, um sich ihre Funktionstüchtigkeitzu erhalten.Der Streit, ob es sich beim Markt mit seinen himmlischen Harmoniegesetzenum die beste aller möglichen Wirtschaftsweltenhandelt (Grundannahme der Ökonomie) oder nur um eine wirkmächtigeFiktion mit quasitheologischem Gehalt (Grundannahmeder Geisteswissenschaftler), ist daher vor allem irrelevant. Erstensist keine größere Fiktion denkbar als die, die Politik könnedas Marktgeschehen besser organisieren – „sichtbare Hände“können einer von ihr gelenkten Wirtschaft schon per definitionemnicht den Weg in eine ungewisse Zukunft weisen. Zweitens könnendie (Finanz-)Märkte ihre Funktion als Informationslieferantgar nicht nachweisen, solange sie von der Realwirtschaft entkoppeltund mit der Finanzierung von Schuldenstaaten beauftragtsind. Drittens ist die These von der Selbstregulierungskraft desMarktes nicht dadurch entkräftet, dass Staaten Banken rettenmüssen, weil Banken zugleich Staaten finanzieren müssen – unddie Marktkrise daher gar nicht ihre Funktion erfüllen kann, das eineoder andere Institut oder Landseiner überfälligen Insolvenz auszuliefern.Vor allem aber ist stabilisierterKapitalismus ein Widerspruch insich. Kapitalismus ist Veränderung.Sein Tempus ist nicht Gegenwart,sondern Zukunft. SeineModi sind nicht Kreislauf undWiederkehr, sondern Expansionund Wandel. Sein Geld ist nichtakkumuliertes Vermögen (Kapital),sondern geschöpftes Versprechen(Kredit). Entsprechendhätte sich auch die Wissenschaftvom Kapitalismus als offener Erkenntniswegund interdisziplinäreSchnittstelle zu verstehen: alsandauernder Versuch, analytischeGebäude in nimmer endenderFolge aufzubauen, auszubauenund niederzureißen –ganz so wie Joseph Schumpeteres immer gepredigt hat. Nicht dieeine Spiel-, Angebots-, Konjunktur-oder Grenznutzentheorieweist uns den Weg in die Zukunft,sondern der kapitalistische Imperativ: Denke immer dasNeue ins Offene!DEN MARKT ERKLÄREN? DIE WIRTSCHAFT VERSTEHEN!Kurzum: Schumpeter macht den widersprüchlichen Gedankenstark, dass sich die Stabilität der modernen Wirtschaftsordnungvor allem dadurch auszeichnet, dass sie sich ihre Instabilität erhält.Es wird höchste Zeit, dass sich die VWL der Erforschungdieser stabilen Instabilität zuwendet. Dabei fällt ihr nicht dieAufgabe zu, das kapitalistische Paradox aufzulösen. Sie muss nurden unendlichen Versuch unternehmen, es immer wieder neuzu begreifen. Ohne Abschied von Marktharmonielehre, überzeitlichenGesetzmäßigkeiten und methodologischem Individualismus,ohne einen kulturhistorisch erweiterten Geldbegriff,ohne die Integration der Staatssphäre in die Marktanalyse undohne ein runderneuertes Selbstverständnis der Branche als Sozialwissenschaftwird es nicht gehen. Die Ökonomen haben dieWahl: Sie können weiter versuchen, einen Markt zu erklären,den es nicht gibt. Oder sie fangen endlich an, die Wirtschaft zuverstehen.nFOTO: MAURITIUS IMAGES28 Nr. 32 6.8.2012 WirtschaftsWoche© Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an nutzungsrechte@vhb.de.

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