Buch . Kunst . Balance - Deutsche Nationalbibliothek
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Szenen/Begegnungen<br />
14<br />
Szenen und Begegnungen im „Gleichmaß der Unruhe“<br />
In Vorbereitung auf einen Ausstellungskatalog eines Münchner<br />
Privatsammlers, wurde mir die Frage gestellt: „Warum machst<br />
Du Künstlerbücher?“ – und ich erinnerte mich an die frühe Zeit<br />
meines Literaturstudiums am Leipziger Literaturinstitut, in der<br />
ich der Frage nachging: Warum schreibt man Gedichte? Eine<br />
ambivalente Frage, die ich bis heute nicht beantworten kann,<br />
immer aber in Verbindung zu Rilkes „Briefe an einen jungen<br />
Dichter“ sehe.<br />
Bei der Arbeit an einem neuen Künstlerbuch habe ich weder<br />
Bilder noch Texte im Kopf; das Beziehungsgeflecht an sich –<br />
Schriftsteller, Künstler, <strong>Buch</strong>gestalter, <strong>Buch</strong>binder – ist für mich<br />
reizvoll und die Quelle der produktiven Auseinandersetzung;<br />
seine Umsetzung in das haptische Erlebnis <strong>Buch</strong> sind lediglich<br />
dirigistische, technische und logistische Handlungen eines Herausgebers<br />
und <strong>Buch</strong>gestalters, eingespeist in die lyrische Welt<br />
einer Alltagspoesie, aus deren zufälliger Begegnung mit einer<br />
jungen Lyrikerin während des 18. Schweriner Poetenseminars<br />
1988 sich später die Edition <strong>Balance</strong> entwickeln sollte.<br />
In jenem Köpenicker Sommer des Jahres 1990, der formalen<br />
Gründung der Edition <strong>Balance</strong>, notierte später eine junge Mutter<br />
in ihr Tagebuch: „... und vielleicht hätte es die BALANCE ohne<br />
den Chilenischen Künstler Guillermo Deisler und die alten Kreuzberger<br />
,68er‘ nie gegeben. ZeitenWende im Großen wie im Klei-<br />
nen, wolkennah und höhlentief – wir waren haltlos und untrennbar<br />
verbunden mit der Literatur, miteinander … Kennengelernt<br />
hatten wir uns durch das Schreiben, dann die Entdeckungen der<br />
visuellen Poesie – eine BeWEGung in der DeDeR. Henry stellte<br />
mich seinen Freunden in Halle vor und so lernte ich Laura und<br />
Guillermo Deisler kennen. Kinder, Bücher, <strong>Kunst</strong>, ein Künstlerpaar,<br />
eine Grafikpresse in einer Neubauwohnung, und ich hatte<br />
das Gefühl nach Hause zu kommen oder so könnte es sein und<br />
werden. Während Guillermo zu Henry sagte, wenn du einen<br />
Verlag gründen willst, dann kenne ich jemand, den solltest du<br />
besuchen. So kamen wir zu Alain Jadot, der französischste Franzose,<br />
den ich jemals kennenlernen durfte und wieder ging es<br />
wie von selbst, denn auch Alain kannte jemanden. Wolfgang<br />
Schmidt – Edition Sirene in Kreuzberg. Wolfgang hatte einen<br />
grauen Bart, kluge Augen, eine ganze Druckerei, eine unverkennbare<br />
Liebe zum Rotwein und alle Ideale der 68iger. ,Warum<br />
druckst du nicht einfach selbst, wenn du schon Bücher machen<br />
willst, ich zeig Dir alles.‘ Und während Henry lernte <strong>Buch</strong>staben<br />
zu setzen, lernte ich das Kochen. Und während Henry unser erstes<br />
<strong>Buch</strong> wachsen ließ, wuchs bei mir die erste Tochter, und so war<br />
es immer bei uns, wir taten alles auf einmal und alles verkehrt<br />
herum. Denn wer beginnt einen <strong>Buch</strong>kunstverlag schon mit einer<br />
Künstler-Anthologie?“