SILS MARIA.prn - Zora del Buono
SILS MARIA.prn - Zora del Buono
SILS MARIA.prn - Zora del Buono
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Reise<br />
derTeil desGanzen, dashier nichtSchulklasse<br />
heißt, sondern Waldhaus.<br />
Und schlagartig ist esvoll. Zimmermädchen<br />
sausen durch die Gänge,<br />
schütteln und klopfen und wischen. Bademäntelmüssen<br />
verteilt werden,Teppiche<br />
gesaugt, Schränke geputzt, Bäder<br />
auf Hochglanz getrimmt werden. Keine<br />
zwei Zimmer sind identisch, jedes hat<br />
seinen eigenen Charakter. Die Glasstäbe<br />
der Art-déco-Deckenlampe klimpern<br />
zart, wenn die Holzböden schwingen.<br />
Aus einem Zimmer erklingen Fernsehgeräusche,ein<br />
jungerMannstellt dieProgramme<br />
ein, zappt durch alle Kanäle, im<br />
Flur scheppern die Fläschchen der Minibars<br />
imServicewagen.<br />
Im Personalraum wird gelacht und<br />
Tischfußball gespielt. Im Schwimmbad<br />
wirddas Wasser eingefüllt, es rauscht und<br />
plätschert. Draußen ziehen die Pferdekutschen<br />
vorbei, das Klingeln der Glöckchen<br />
vermischt sich mit denTönen des Klavierstimmers,<br />
der im Speisesaal, in der Halle<br />
und in der Bar rhythmisch die Töne anschlägt.Nachts<br />
istesnicht mehr gar so still<br />
wie nochvor einpaar Tagen. Ausmanchen<br />
Zimmern erklingen Stimmen, Musik,Fernsehgeräusche.<br />
Rund 50Angestellte wohnen<br />
mit im Haus,hier ein Personalzimmer,<br />
dorteine Einliegerwohnung.Die restlichen<br />
90 Leute leben in den Personalhäusern<br />
um den herrschaftlichen Bau herum.<br />
Felix Dietrich, dritter Waldhaus-Patron<br />
imBunde, begrüßt auf der Terrasse<br />
die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Es<br />
riecht nach Na<strong>del</strong>bäumen,<br />
100<br />
Eichhörnchen springen<br />
durch die Büsche. Die Mitarbeitertrinken<br />
Sekt und es-<br />
fivetonine fünf|2006<br />
sen belegte Brötchen. VomMiteinander<br />
ist die Rede, vom Unterstützen und Helfen:<br />
Die Neuen sollen mit ins Boot genommen<br />
werden,damit sie Teil derFamilie<br />
werden. Das ist alles ernst gemeint,<br />
und die Mitarbeiter wissen es zu schätzen.<br />
Diejunge Berlinerin, dieineinem der<br />
Nobelhotels am Potsdamer Platzgelernt<br />
hat, ist des Lobes voll. So etwas gibt es<br />
nur hier. Herr Dietrich kennt die persönlicheGeschichte<br />
eines jeden Mitarbeiters.<br />
Natürlich istdas Waldhaus auch fürdie<br />
Gäste ein Club derEingeweihten. Stammgäste<br />
sind hier nicht die Ausnahme, sondern<br />
die Regel. Wersich davonüberzeugen<br />
will, geht am besten inden Keller, in<br />
dieKofferkammer. Dort lagert das Gepäck<br />
derÜberseegäste,die zu jeder Saison wiederkommen.<br />
Sorgsam sind dieStückebeschriftet,<br />
sogar kleine Hinweise und Warnungen<br />
fürs Personal stehen auf einem der<br />
Koffer: Dieses Gepäckstück gehört nicht<br />
Mrs.XY! Geben Sie es nichtMrs. XY!Irrtümer<br />
könnten Tragödien auslösen. Inverklebten<br />
Plastiktüten lagern die Lieblingskopfkisseneines<br />
Ehepaares; sie warten auf<br />
ihre Besitzer,damit dieihreHäupter zu Sils<br />
Maria baldwieder in gewohnter Weichheit<br />
betten können. EinganzerFundus an Geschichten<br />
im Bauch des Grand Hotels.<br />
Der vornehme alte Herr ausHamburg<br />
ist auch einer dieser wiederkehrenden<br />
Gäste. Er bleibt gerne bis zum Saisonende.<br />
Und hat sich dieses Jahr einen Herzenswunsch<br />
erfüllt: Einmal zukommen,<br />
bevordie Saison beginnt. Sosteigt eralso<br />
behutsam über Kabel und Staubsauger,<br />
plaudert mit dem Zimmermädchen,<br />
dasdie Glasscheiben am Eingangpoliert<br />
und geht in die Küche, umden Chef zu<br />
Saalchef Nana (l.) orchestriert schon das Defilee der<br />
Stammgäste, derweil die Requisiten im Keller warten<br />
begrüßen.Erist heute Nacht der einzige<br />
Gast in demriesigen Haus,morgen istregulärer<br />
Saisonbeginn. Vielleicht trifft er<br />
um Mitternachtauf Neville Chamberlain.<br />
Dann stellt sich freilich eine weitere<br />
Frage: Können Geister sprechen? Wenn<br />
ja, was für brillante Gespräche würden<br />
hier stattfinden! Dort drüben, in den tiefen<br />
Sesseln, wäre Theodor W. Adorno in<br />
einen Disput mit Theodor Heuss und Albert<br />
Einstein vertieft. Und hinten,amgroßen<br />
Fenster mit Blick auf den Arvenwald<br />
spräche Thomas Mann gerade mit Hermann<br />
Hesse oder vielleicht mit Thomas<br />
Bernhard.Neben demFlügel stündeCarl<br />
Gustav Jung mit Erika Mann auf einem<br />
Teppich, über den er schon zu Lebzeiten<br />
schritt, in der Halle würde Marc Chagall<br />
mit Joseph Beuys plaudern, würde Prinzessin<br />
Alexandra von Griechenland mit<br />
Margarethe Fürstin von Hohenzollern<br />
royale Belange austauschen.<br />
Vielleicht würde auch Nietzsche vorbeischauen,<br />
der Zeit enthoben, im Gespräch<br />
mit allden anderen. Und dernächtlichherumirrende<br />
Chamberlain könnte beruhigt<br />
aufatmen, einsam ist es hier nicht.<br />
Zwischen Mitternacht und ein Uhr nachts<br />
würde er wie gewohnt durch die Gänge<br />
schweben, allein. Denn die meisten Gäste<br />
im Waldhaus schlafenumdieseZeit. Bergluft<br />
macht müde, der sanfte Glanz des<br />
Hauses beruhigt die Gemüter. Esist friedlich<br />
hier. Und still. Sehr still.<br />
ZARA DEL BUONO<br />
Zwischensaison: 22. Oktober bis 14.<br />
Dezember. Die Wintersaison beginnt am<br />
15. Dezember und endet am 15. April<br />
Waldhaus Sils<br />
Tel. 0041/81/8385100<br />
www.waldhaus-sils.ch<br />
Fotos: Stefan Pielow<br />
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