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ANDREAS KALCKHOFFD<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“Ich nehme an, daß S<strong>ie</strong> mit <strong>de</strong>m Autor Johannes von Saaz (auch „Johannes vonTepl“ genannt) und seiner Biograph<strong>ie</strong> ein bißchen vertraut sind. Ich kann h<strong>ie</strong>r ausZeitgrün<strong>de</strong>n nicht näher darauf eingehen, ebenso wenig, w<strong>ie</strong> auf buchgeschichtlicheund literarhistorische Details. S<strong>ie</strong> können sich aber darüber an Hand meines PragerVortrags (2004) inform<strong>ie</strong>ren, <strong>de</strong>r als Kop<strong>ie</strong> ausl<strong>ie</strong>gt.Nur sov<strong>ie</strong>l sei h<strong>ie</strong>r gesagt: Sicher ist, daß <strong>de</strong>r Autor etwa von 1383 bis 1411 inSaaz lebte und neben einigen <strong>de</strong>utschen Gedichten <strong>de</strong>n Libellus Ackerman (das„Ackermann-Büchlein“) schr<strong>ie</strong>b, von <strong>de</strong>m aber nur spätere Abschriften und Druckeerhalten sind, alle in Neuhoch<strong>de</strong>utsch, d<strong>ie</strong> früheste Handschrift von 1449 und nichtaus Böhmen. Da war unser Johannes bereits seit über 30 Jahren tot.Sicher ist allerdings, daß auch das Original <strong>de</strong>utsch abgefasst war, <strong>de</strong>nn Johannesselbst teilt mit: er habe versucht, in einen <strong>de</strong>utschsprachigen Text (ex teutonicolinguagio, wörtlich: Text „aus <strong>de</strong>utschem Sprachmaterial“) sov<strong>ie</strong>l rhetorische Kunstfertigkeitw<strong>ie</strong> möglich zu legen. Für einen Gelehrten seiner Zeit, <strong>de</strong>r mit seinen Kollegensonst nur lateinisch verkehrte, war es nämlich nicht selbstverständlich, in <strong>de</strong>rVolkssprache - in hoc idiomate indocili („in d<strong>ie</strong>sem ungelehrten Dialekt“) – zu schreibenund zu dichten.Aus <strong>de</strong>n Jahren zwischen 1450 und 1550 sind dann allein 16 Handschriften und15 Drucke überl<strong>ie</strong>fert – sicher nur ein Bruchteil <strong>de</strong>r verbreiteten Exemplare. Johannesvon Saaz hatte mit seinem Text offensichtlich einen Nerv <strong>de</strong>r Zeit getroffen, undd<strong>ie</strong> große Verbreitung weist auf d<strong>ie</strong> Anwesenheit eines zwar nicht gelehrten, aberlesekundigen und bildungshungrigen Bürgertums hin. Was aber machte <strong>de</strong>n „Ackermann“so attraktiv?Man ist sich heute weitgehend einig, daß wir es beim Libellus Ackerman mit <strong>de</strong>mfrühesten humanistischen Text in <strong>de</strong>utscher Sprache zu tun haben. D<strong>ie</strong> literarischeForm <strong><strong>de</strong>s</strong> Streitgesprächs – h<strong>ie</strong>r zwischen Ackermann und Tod – kommt zweifellosaus mittelalterlicher Tradition, doch <strong>de</strong>r große Wert, <strong>de</strong>n Johannes auf d<strong>ie</strong> rhetorischeGestaltung legt, weist bereits auf Einflüsse <strong>de</strong>r Frührenaissance hin. Doch auchdas soll heute nicht unser Thema sein. V<strong>ie</strong>lmehr will ich eng am Text das vorstellen,was <strong>de</strong>n Libellus Ackerman so neu machte: ein neues Bild vom <strong>Menschen</strong> in <strong>de</strong>rWelt und vor Gott.Nur ein Wort zur Rhetorik noch: Wir <strong>de</strong>nken bei Rhetorik heute an mehr o<strong>de</strong>rmin<strong>de</strong>r nutzlose sprachliche Verz<strong>ie</strong>rungen, auch an Polemik und betrügerische Verführung.Und tatsächlich kommt uns v<strong>ie</strong>les im „Ackermann“, insbeson<strong>de</strong>re seinelangatmigen Klage- und Schimpfre<strong>de</strong>n, arg übertr<strong>ie</strong>ben, eben „rhetorisch“ vor. D<strong>ie</strong>Renaissance-<strong>Menschen</strong> nahmen das aber an<strong>de</strong>rs wahr: S<strong>ie</strong> verstan<strong>de</strong>n Rhetorik,w<strong>ie</strong> ihre Vorbil<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Antike, als eine ars movendi: d<strong>ie</strong> Kunst, im positiven Sinneseelische Bewegungen hervorzurufen und damit d<strong>ie</strong> Welt selbst in Bewegung zu setzen.Johannes von Saaz hat das folgen<strong>de</strong>rmaßen beschr<strong>ie</strong>ben:"Durch d<strong>ie</strong> Rhetorik wer<strong>de</strong>n nämlich Gottes Wohltaten <strong>de</strong>m Gedächtnis <strong>de</strong>r<strong>Menschen</strong> auf ewig überl<strong>ie</strong>fert, wer<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong> angeleitet, Fein<strong>de</strong> abgeschreckt undunterdrückt, Gesetze gestärkt, Traurige getröstet, Unbarmherzige besänftigt – kurzgesagt: Durch s<strong>ie</strong> wird alles Gute in <strong>de</strong>r Welt machtvoll und heilbringend gestärkt."D<strong>ie</strong> göttlichen Wohltaten ins rechte Licht rücken: Das tut Johannes tatsächlichmit seinem „Ackermann“, und das ist gute mittelalterliche Tradition. Aber an<strong>de</strong>rs alsbisher üblich erkennt er Gottes Wohltaten nicht im himmlischen Parad<strong>ie</strong>s, son<strong>de</strong>rn imLeben auf Er<strong>de</strong>n, im <strong>Menschen</strong> selbst - und das ist Humanismus. Doch nicht soschnell: Verschaffen wir uns erst mal einen kurzen Überblick über d<strong>ie</strong>se „Schmäh-Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }schrift gegen das unvermeidliche Schicksal <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>“ (inveccio contra fatum mortisinevitabile), w<strong>ie</strong> er sein Werk in einem Begleitbr<strong>ie</strong>f nennt.Der Libellus Ackerman schil<strong>de</strong>rt, in Re<strong>de</strong> und Gegenre<strong>de</strong>, d<strong>ie</strong> Klage eines „Akkermanns“gegen <strong>de</strong>n Tod, <strong>de</strong>r ihm seine junge Frau geraubt hat. „Klage“ isth<strong>ie</strong>r, w<strong>ie</strong> im Deutschen heute noch, doppel<strong>de</strong>utig: Anklage und Wehklage. Mantrennte das damals aber nicht so streng w<strong>ie</strong> heute: D<strong>ie</strong> persönliche Verletzung, <strong>de</strong>rerlittene Scha<strong>de</strong> war <strong>de</strong>r Kern je<strong>de</strong>r Anklage, d<strong>ie</strong> noch nicht zwischen Privatrecht undStrafrecht untersch<strong>ie</strong>d:"Auf großes Leid muß große Klage folgen“, heißt es im Ackermann, „Nichtmenschlich tät ich, wenn ich solch löbliche Gottesgabe [er meint seine verstorbeneFrau Margarethe], d<strong>ie</strong> n<strong>ie</strong>mand als Gott allein geben kann, nicht beweinte 1 (…) Erwägtes selber, ob ich nicht mit Recht zürne, wüte und klage: Von euch bin ich freu<strong>de</strong>nreichenLebens beraubt, täglicher guter Lebtage enterbt und um allenwonnebringen<strong>de</strong>n Besitz gebracht. 2 "D<strong>ie</strong> strenge Form von Re<strong>de</strong> und Wechselre<strong>de</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> Libellus Ackerman ist <strong>de</strong>mGerichtsprozeß entlehnt, eine im Mittelalter (und übrigens auch heute noch im amerikanischenKino) bel<strong>ie</strong>bte literarische Form. Der Kläger wen<strong>de</strong>t sich an Gott als <strong>de</strong>nunmittelbaren Herren <strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>, klagt d<strong>ie</strong>sen als Räuber an, for<strong>de</strong>rt von ihm für <strong>de</strong>ngrausamen Raub an seiner Frau Genugtuung und Buße und verlangt quasi seineAmtsenthebung:„Oh Gott, aller betrübten Herzen Tröster, tröste und entschädige mich armen,betrübten, unglücklichen, vereinsamten Mann! Verhänge, Herr, Strafe, übe Vergeltung,geb<strong>ie</strong>te ihm Einhalt und vertilge ihn, <strong>de</strong>n greulichen Tod, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>in und unseraller Feind ist! Wahrlich, Herr, in <strong>de</strong>iner Schöpfung ist nichts Greulicheres, nichtsScheußlicheres, nichts Schädlicheres, (…) nichts Ungerechteres als <strong>de</strong>r Tod! 3 “D<strong>ie</strong>se Sätze aus <strong>de</strong>m 15. Kapitel sind, für mittelalterliches Verständnis, unerhört:H<strong>ie</strong>r wird Gottes Schöpfung drastisch und wortreich kritis<strong>ie</strong>rt! Der Mensch for<strong>de</strong>rt – imRahmen eines Prozesses – nichts Geringeres, als daß Gott <strong>de</strong>n Tod aus <strong>de</strong>r Schöpfungtilgt. Doch nach <strong>de</strong>n Regel <strong><strong>de</strong>s</strong> scholastischen Disputs, <strong>de</strong>r mittelalterlichen Philosoph<strong>ie</strong>geht das durch: D<strong>ie</strong> Rolle <strong><strong>de</strong>s</strong> advocatus diaboli, <strong>de</strong>r gegen Gottes Ordnungdas Böse und Falsche verteidigt, war erlaubt – vorausgesetzt, <strong>de</strong>r Teufelsanwalt verl<strong>ie</strong>rtam En<strong>de</strong>. Es wird also interessant, zu sehen, w<strong>ie</strong> <strong>de</strong>r Prozeß ausgeht!Der Tod hat zunächst keine Mühe, zu par<strong>ie</strong>ren: Er hat alle theologischen, philosophischenund rationalen Argumente auf seiner Seite: Er handle, sagt er, im AuftragGottes, <strong>de</strong>r ihm d<strong>ie</strong> Er<strong>de</strong> zugeteilt habe, „daß wir alles Überflüssige ausro<strong>de</strong>n undausjäten“ 4 . Wenn alles am Leben bl<strong>ie</strong>be, könnte man es bald vor Wölfen und Mückennicht mehr aushalten, und ein Mensch fräße <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Im Übrigen sei <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>ine Folge <strong><strong>de</strong>s</strong> Sün<strong>de</strong>nfalls. Er sei auch kein Räuber, son<strong>de</strong>rn ein rechtlich verfahren<strong>de</strong>rRichter, <strong>de</strong>r alle gleich behandle, we<strong>de</strong>r A<strong>de</strong>l, noch Wissen, noch Schönheit1 Kap. 7: Wann nach grossem lei<strong>de</strong> grosse klage sol folgen: vnmenschlich tet ich, wo ich solch lobelichegotes gabe, d<strong>ie</strong> n<strong>ie</strong>mant dann got allein geben mag, nicht beweinte.2 Kap. 3: Weget es selber, ob ich icht billich zurne, wute vnd klage: von euch bin ich freu<strong>de</strong>nreicheswesens beraubet, tegelicher guter lebetage enterbet vnd aller wunnebringen<strong>de</strong>r rente geeussert.3 Kap. 15: Ei Got, aller betrubten herzen troster, troste mich vnd ergetze mich armen, betrubten, ellen<strong>de</strong>n,selbsitzen<strong>de</strong>n man! Gib, herre, plage, tu wi<strong>de</strong>rwerte, leg an klemnuß vnd vertilge <strong>de</strong>n greulichenTot, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>in vnd aller vnser feint ist! Werlich, herre, in <strong>de</strong>iner wurkung ist nicht greulichers, nichtscheußlichers, nicht sche<strong>de</strong>lichers, nicht herbers, nicht vngerechters dann <strong>de</strong>r Tot!4Kap. 8: wir alle vberflussigkeit ausreuten vnd ausjeten sullen.Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }ihr nicht geschehe w<strong>ie</strong> allen an<strong>de</strong>rn und allen an<strong>de</strong>rn w<strong>ie</strong> ihr? Du selber wirst unsnicht entrinnen, so wenig du auch jetzt dran <strong>de</strong>nkst." 13Dann wird er philosophisch-scholastisch: "Du fragst, was wir sind: Wir sind nichtsund sind doch etwas. Deshalb nichts, weil wir we<strong>de</strong>r Leben noch Sein noch Gestaltnoch Substanz haben, nicht Geist sind, nicht sichtbar sind, nicht greifbar sind. Deshalbetwas, weil wir <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens En<strong>de</strong> sind, <strong><strong>de</strong>s</strong> Seins En<strong>de</strong>, <strong><strong>de</strong>s</strong> Nichtseins Anfang,d<strong>ie</strong> Mitte zwischen d<strong>ie</strong>sen bei<strong>de</strong>n (…) Alle Wesen, d<strong>ie</strong> Leben haben, müssen vonuns verwan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n 14 (…) Des Anfangs Geschwister ist das En<strong>de</strong>. 15 “Außer<strong>de</strong>m sei das Leben gel<strong>ie</strong>hen. „Wer ausgesandt wird, hat d<strong>ie</strong> Pflicht, w<strong>ie</strong><strong>de</strong>rzukommen(…) Was ein Mensch ausleiht, das soll er w<strong>ie</strong><strong>de</strong>rgeben. Als Frem<strong>de</strong>wohnen alle <strong>Menschen</strong> auf Er<strong>de</strong>n. Aus Etwas zu Nichts müssen s<strong>ie</strong> wer<strong>de</strong>n. Aufschnellem Fuß eilt <strong>de</strong>r <strong>Menschen</strong> Leben dahin: jetzt noch lebend, im Handumdrehengestorben. Kurz gesagt: Je<strong>de</strong>r Mensch ist uns ein Sterben schuldig, und es ist ihmangeerbt zu sterben 16 (…) Das Leben ist um <strong><strong>de</strong>s</strong> Sterbens willen geschaffen; wäredas Leben nicht, wären wir nicht, unser Amt wäre nicht; damit wäre auch nicht <strong>de</strong>rWelt Ordnung. 17 "Schl<strong>ie</strong>ßlich b<strong>ie</strong>tet <strong>de</strong>r Tod stoische Lebenshilfe. Der Kläger solle sich doch in dasUnwi<strong>de</strong>rrufliche fügen: "Sobald du etwas verloren hast und es nicht w<strong>ie</strong><strong>de</strong>rbringenkannst, tue, als sei es n<strong>ie</strong> <strong>de</strong>in Eigen gewesen." 18 Er solle sich doch eine neue Frausuchen, aber be<strong>de</strong>nken, daß es keine L<strong>ie</strong>be ohne Leid gebe: "Je mehr dir L<strong>ie</strong>be wird,je mehr wi<strong>de</strong>rfährt dir Leid; hättest du auf L<strong>ie</strong>be verzichtet, so wärest du jetzt ohneLeid (…) Weib, Kind, Vermögen und alles irdische Gut bringt etwas Freu<strong>de</strong> am Anfangund mehr Leid am En<strong>de</strong> (…) Leid ist <strong>de</strong>r L<strong>ie</strong>be En<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r Freu<strong>de</strong> En<strong>de</strong> ist d<strong>ie</strong>Trauer, nach Lust muß Unlust kommen (...) Darauf laufen alle lebendigen Dinge hinaus19 (…) Laß hinfl<strong>ie</strong>ßen L<strong>ie</strong>be, laß hinfl<strong>ie</strong>ßen Leid!“ 2013Kap. 10: Vnd wann nu alle menschgeslechte, d<strong>ie</strong> gewesen sint o<strong>de</strong>r noch wer<strong>de</strong>n, mussen vonwesen zu nichtwesen kumen, wes solte d<strong>ie</strong> gelobte, d<strong>ie</strong> du beweinest, gen<strong>ie</strong>ssen, das ir nicht gescheheals an<strong>de</strong>rn allen vnd allen an<strong>de</strong>rn als ir? Du selber wirst vns nicht entrinnen, w<strong>ie</strong> wenig du <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>ie</strong>zuntgetrawest.14Kap. 16: Du fragest, was wir sein: Wir sein nicht vnd sein doch etwas. Deshalben nicht, wann wirwe<strong>de</strong>r leben we<strong>de</strong>r wesen noch gestalt noch vn<strong>de</strong>rstant haben, nicht geist sein, nicht sichtig sein,nicht greiflich sein; <strong><strong>de</strong>s</strong>halben etwas, wann wir sein <strong><strong>de</strong>s</strong> lebens en<strong>de</strong>, <strong><strong>de</strong>s</strong> wesens en<strong>de</strong>, <strong><strong>de</strong>s</strong> nichtwesensanfang, ein mittel zwischen in bei<strong>de</strong>n (…) Alle wesen, d<strong>ie</strong> leben haben, mussen verwan<strong>de</strong>lt vonvns wer<strong>de</strong>n.15 Kap. 20: Anfanges geswistreit ist das en<strong>de</strong>.16 Kap. 20: Wer ausgesant wirt, <strong>de</strong>r ist pflichtig wi<strong>de</strong>r zu kumen. (…) Was ein mensche entlehent, dassol er wi<strong>de</strong>rgeben. Ellen<strong>de</strong> bawen alle leute auf er<strong>de</strong>n. Von ichte zu nichte mussen s<strong>ie</strong> wer<strong>de</strong>n. Aufsnellem fusse laufet hin <strong>de</strong>r menschen leben: <strong>ie</strong>zunt lebend, in einem hantwen<strong>de</strong>n gestorben. Mitkurzer re<strong>de</strong> beslossen: <strong>ie</strong><strong>de</strong>r mensche ist vns ein sterben schuldig vnd ist in angeerbet zu sterben.17 Kap. 22: Das leben ist durch sterbens willen geschaffen; were leben nicht, wir weren nicht, vnsergeschefte were nicht; damit were auch nicht <strong>de</strong>r werlte or<strong>de</strong>nung.18 Kap. 22: Als bal<strong>de</strong> du icht hast verloren vnd es nicht kanst wi<strong>de</strong>rbringen, tu, als es <strong>de</strong>in n<strong>ie</strong> sei wor<strong>de</strong>n:19 Kap. 12: Ie mere dir l<strong>ie</strong>bes wirt, <strong>ie</strong> mere dir lei<strong><strong>de</strong>s</strong> wi<strong>de</strong>rfert; hestu dich vor l<strong>ie</strong>bes vberhaben, sowerestu nu lei<strong><strong>de</strong>s</strong> entla<strong>de</strong>n (…)Weib, kint, schatz vnd alles irdisch gut muß etwas freu<strong>de</strong>n am anfangvnd mere lei<strong><strong>de</strong>s</strong> am en<strong>de</strong> bringen (…) Leit ist l<strong>ie</strong>bes en<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r freu<strong>de</strong>n en<strong>de</strong> trauren ist, nach lustvnlust muß kumen (…)zu solchem en<strong>de</strong> laufen alle lebendige dinge.20Kap. 24: Laß hin fl<strong>ie</strong>ssen l<strong>ie</strong>b, laß hin fl<strong>ie</strong>ssen leit!Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }Was soll <strong>de</strong>r Ackermann – was sollen wir – dagegen ernstlich einwen<strong>de</strong>n? DerAckermann, <strong>de</strong>r sich eben noch als Gelehrter offenbart hat, gibt sich plötzlichintellektuell beschei<strong>de</strong>n, aber er bleibt hartnäckig bei seinem Thema:„W<strong>ie</strong> unverständig ich auch bin, w<strong>ie</strong> wenig ich kann und w<strong>ie</strong> wenig ich beischarfsinnigen Meistern Weisheit gefressen habe, sov<strong>ie</strong>l weiß ich wohl, daß Ihr meinerEhre Räuber, meiner Freu<strong>de</strong> D<strong>ie</strong>b, meiner guten Lebetage Stehler, meiner WonnenVernichter und all <strong><strong>de</strong>s</strong>sen, was mir ein wonnesames Leben bereitet und verbürgthat, Zerstörer seid (…) Elend, allein und leidvoll bleibe ich ohne Entschädigung vonEuch; W<strong>ie</strong><strong>de</strong>rgutmachung könnte mir ja von euch nach solcher Missetat auch nichtmehr wi<strong>de</strong>rfahren. W<strong>ie</strong> steht's damit, Herr Tod, aller Leute Ehebrecher?“ 21Der Tod als Ehebrecher, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Mann d<strong>ie</strong> Frau st<strong>ie</strong>hlt: ein starkes Bild! V<strong>ie</strong>leMaler haben d<strong>ie</strong>ses Thema unter <strong>de</strong>m Titel Der Tod und das Mädchen bearbeitet.Aber hinter d<strong>ie</strong>sem Bild, d<strong>ie</strong>ser rhetorische Figur steckt mehr als eine hübsche I<strong>de</strong>e:nämlich <strong>de</strong>r Anspruch <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Menschen</strong>, in seinem Lei<strong>de</strong>n ernst genommen zu wer<strong>de</strong>nund sich nicht mit philosophischen Spitzfindigkeiten, auch nicht mit theologischenLehrsätzen abspeisen zu lassen:„Gaukele<strong>ie</strong>n treibt Ihr mit mir, unter Wahrheit mischet Ihr mir Falsches und wolltmir mein ungeheures Sinnenleid, Vernunftleid und Herzeleid aus <strong>de</strong>n Augen, aus<strong>de</strong>n Sinnen und aus <strong>de</strong>m Gemüte schlagen. Ihr schafft es nicht, <strong>de</strong>nn mich bedrücktmein schwerer, arger Verlust, <strong>de</strong>n ich n<strong>ie</strong>mals ersetzen kann.“ 22So geht <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>nn schl<strong>ie</strong>ßlich auf seine Klage ein. Wenn <strong>de</strong>r Ackermann sov<strong>ie</strong>l Aufhebens um <strong>de</strong>n Verlust einer jungen, hübschen Frau mache, müsse er, <strong>de</strong>rTod, doch mal aussprechen, w<strong>ie</strong> es um <strong>de</strong>n <strong>Menschen</strong> in Wirklichkeit bestellt sei:„Du kannst aus einem <strong>Menschen</strong> machen, was du willst, er kann doch nicht mehrsein, als ich dir sagen will (…): Ein Mensch wird in Sün<strong>de</strong>n empfangen, mit unreinem,unaussprechlichen Unflat im mütterlichen Leibe genährt, nackt geboren und istein beschm<strong>ie</strong>rter B<strong>ie</strong>nenstock, ein rechtes Scheusal, (…) ein Kotfaß, eine Wurmspeise,(…) ein faules Aas, (…) ein bo<strong>de</strong>nloser Sack, eine löchrige Tasche (…) ein bemaltesLeichenhaus.“ 23Er z<strong>ie</strong>ht alle Register mittelalterlicher Weltverachtung und Misogyn<strong>ie</strong>, wobei erspez<strong>ie</strong>ll auf Jugend und Schönheit eingeht: „Sobald ein Mensch lebendig wird, sobaldist er alt genug zu sterben. Du meinst v<strong>ie</strong>lleicht, das Alter sei ein edler Schatz?Nein, es ist krank, mühselig, ungestalt, kalt und allen Leuten lästig (…) Beklagst duweiters ihre Schönheit, so tust du kindisch: Eines jeglichen <strong>Menschen</strong> Schönheit wir<strong>de</strong>ntwe<strong>de</strong>r das Alter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Tod vernichten. Alle rosenfarbenen Mündlein müssen21Kap. 13: W<strong>ie</strong> stumpf ich bin, w<strong>ie</strong> wenig ich kan vnd wenig han zu sinnreichen meistern Weisheitgezechet, dannoch weiß ich wol, das ir meiner eren rauber, meiner freu<strong>de</strong>n d<strong>ie</strong>b, meiner gutenlebetage steler, meiner wunnen vernichter vnd alles <strong><strong>de</strong>s</strong>, das mir wunnesam leben gemachet vndgelubet hat, zerstorer seit (…) Ellen<strong>de</strong>, allein vnd lei<strong><strong>de</strong>s</strong> vol beleibe ich von euch vnergetzet; besserungkun<strong>de</strong> mir von euch nach grosser missetat noch n<strong>ie</strong> wi<strong>de</strong>rfaren. W<strong>ie</strong> ist <strong>de</strong>m, herre Tot, aller leuteeebrecher?22 Kap. 11: Gaukelweise traget ir mir vor, vn<strong>de</strong>r warheit falsch mischet ir mir ein vnd wellet mir meinvngehewer sinneleit, vernunftleit vnd herzenleit aus <strong>de</strong>n augen, aus <strong>de</strong>n sinnen vnd aus <strong>de</strong>m muteslahen. Ir schaffet nicht, wann mich rewet mein swerige, serige verlust, d<strong>ie</strong> ich nimmer wi<strong>de</strong>rbringenmag.23Kap. 24: Du machest aus einem menschen, was du wilt, es mag nicht mer gesein,dann als ich dir sagen wil (…): Ein mensche wirt in sun<strong>de</strong>n empfangen, mit vnreinem,vngenantem vnflat in muterlichem leibe generet, nacket geboren vnd ist ein besmiretbinstock, ein ganzer vnlust, (…) ein kotfaß, ein wurmspeise, (…) ein faules as, (…)ein bo<strong>de</strong>nloser sack, ein locherete tasche, (…) ein gemalte begrebnuß.Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }aschfarben wer<strong>de</strong>n, alle roten Wänglein müssen bleich wer<strong>de</strong>n, alle lichten Äugleinmüssen dunkel wer<strong>de</strong>n.“ 24Er habe <strong>de</strong>r jungen Frau, als er s<strong>ie</strong> hinwegnahm, nur einen Gefallen getan: "Ihrist nur freundlich und gnädig geschehen: Bei fröhlicher Jugend, bei stolzem Leib, (…)in besten Ehren, (…) mit unbeflecktem Ruf haben wir s<strong>ie</strong> in unsere Gna<strong>de</strong> empfangen.Solches haben gepr<strong>ie</strong>sen, danach haben gestrebt alle Weisen, als s<strong>ie</strong> sprachen:Am besten ist es zu sterben, wenn man am l<strong>ie</strong>bsten lebt.“ 25Auch am Eheleben läßt <strong>de</strong>r Tod kein gutes Haar: „Sobald ein Mann ein Weibnimmt, sobald sind s<strong>ie</strong> zu zweit in unserem Gefängnis. Sogleich hat er Klage undPlage, einen Anhang, einen Handschlitten, ein Joch, (…) eine schwere Last, einenFegeteufel, eine tägliche Rostfeile, d<strong>ie</strong> er auf rechtliche Weise nicht loswird, solangewir ihm nicht unsere Gna<strong>de</strong> erweisen. Ein beweibter Mann hat Donner, Hagel, Füchse,Schlangen alle Tage in seinem Hause. (…) S<strong>ie</strong>ch zur Arbeit, gesund zur Wollust,dazu zahm und wild ist s<strong>ie</strong>, w<strong>ie</strong> s<strong>ie</strong> es braucht. (…) D<strong>ie</strong>s ist ihr zu süß, das ist ihr zusauer; d<strong>ie</strong>s ist zu v<strong>ie</strong>l, das ist zu wenig; nun ist es zu früh, nun ist es zu spät – so wirdalles geta<strong>de</strong>lt (…) Der nächtliche Ärger sei ganz vergessen; unseres Alters wegenschämen wir uns, darüber zu re<strong>de</strong>n.“ 26Damit aber kommt er <strong>de</strong>m Ackermann gera<strong>de</strong> recht! D<strong>ie</strong>ses <strong>Menschen</strong>- und Frauenbildwill er nicht gelten lassen:„Pfui über Euch, böser Schandsack! W<strong>ie</strong> mißachtet, verkleinert und verunehrt Ihr<strong>de</strong>n ehrbaren <strong>Menschen</strong>, Gottes allerl<strong>ie</strong>bstes Geschöpf, womit Ihr auch d<strong>ie</strong> Gottheitbeschimpft! (…) Wärt Ihr im Parad<strong>ie</strong>s entstan<strong>de</strong>n, so wüßtet Ihr, daß Gott <strong>de</strong>n <strong>Menschen</strong>und alle Dinge geschaffen hat, s<strong>ie</strong> alle gut geschaffen hat, <strong>de</strong>n <strong>Menschen</strong> übers<strong>ie</strong> alle gesetzt hat (…) Engel, Teufel, Kobol<strong>de</strong>, Klagegeister: d<strong>ie</strong>se Wesen unterstehenGottes Zwang. Der Mensch aber ist das allerachtbarste, das allergeschickteste,das allerfre<strong>ie</strong>ste Werkstück Gottes. Ihm selber gleich hat es Gott gebil<strong>de</strong>t (…) Allein<strong>de</strong>r Mensch hat Vernunft empfangen, <strong>de</strong>n edlen Schatz. Er allein hat <strong>de</strong>n l<strong>ie</strong>blichenKörper, <strong>de</strong>n n<strong>ie</strong>mand herstellen kann außer Gott (...) Gebt auf, Herr Tod! Ihr seid<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Menschen</strong> Feind: Darum sprecht Ihr nichts Gutes von ihm!“ 2724Kap. 20: Als sch<strong>ie</strong>re ein mensche lebendig wirt, als sch<strong>ie</strong>re ist es alt genug zu sterben. Du meinestleichte, das alter sei ein e<strong>de</strong>l hort? Nein, es ist suchtig, arbeitsam, vngestalt, kalt vnd allen leuten vbelgefallend (…)Klagestu dann ir schone, du tust kintlich: eines <strong>ie</strong>glichen menschen schone muß eintwe<strong>de</strong>rdas alter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r tot vernichten. Alle rosenfarbe mundlein mussen ascherfarb wer<strong>de</strong>n, alle rotewenglein mussen bleich wer<strong>de</strong>n, alle lichte euglein mussen tunkel wer<strong>de</strong>n.25Kap. 14: Ir ist gutlich vnd genediglich geschehen: bei frolicher jugent, bei stolzem leibe, (…) in bestenwir<strong>de</strong>n, (…) mit vngekrenkten eren haben wir s<strong>ie</strong> in vnser gena<strong>de</strong> empfangen. Das haben gelobet,<strong><strong>de</strong>s</strong> haben begeret alle weissagen, wann s<strong>ie</strong> sprachen: am besten zu sterben wann am besten l<strong>ie</strong>betzu leben.26 Kap. 28: Als bal<strong>de</strong> ein man ein weib nimpt, als bal<strong>de</strong> ist er selban<strong>de</strong>r in vnser gefengnuß. Zuhanthat er einen hantslag, einen anhang, einen hantsliten, ein joch (…) einen sweren last, einen fegeteufel,ein tegeliche rostfeile, <strong>de</strong>r er mit rechte nicht enberen mag, d<strong>ie</strong> weile wir mit im nicht tun vnsergena<strong>de</strong>. Ein beweibter man hat doner, schawer, fuchse, slangen alle tage in seinem hause (…) S<strong>ie</strong>chzu arbeit, gesunt zu wollust, darzu zam vnd wil<strong>de</strong> ist s<strong>ie</strong>, wann s<strong>ie</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> bedarf (…) Das ist ir zu susse,das ist ir zu sawer; <strong><strong>de</strong>s</strong> ist ir zu vil, <strong><strong>de</strong>s</strong> ist ir zu wenig; nu ist es zu fru, nu ist es zu spate – also wirt esalles gestrafet (…) Der nacht gebrechen sei aller vergessen; von alters wegen schemen wir vns27 Kap. 25: Pfei euch, boser schan<strong>de</strong>nsack! w<strong>ie</strong> vernichtet, vbel han<strong>de</strong>lt vnd vneret ir <strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>nmenschen, gotes aller l<strong>ie</strong>bste creature, damit ir auch d<strong>ie</strong> gotheit swechet! (…) Weret ir in <strong>de</strong>m paradisegefallen, so wesset ir, das got <strong>de</strong>n menschen vnd alle dinge beschaffen hat, s<strong>ie</strong> allzumale gut beschaffenhat, <strong>de</strong>n menschen vber s<strong>ie</strong> alle gesetzet hat (…) Engel, teufel, schretlein, klagemuter, dassint geiste in gotes twange wesend: <strong>de</strong>r mensche ist das aller achtberst, das aller behen<strong><strong>de</strong>s</strong>t vnd dasaller fre<strong>ie</strong>ste gotes werkstuck. Im selber geleiche hat es got gebil<strong>de</strong>t (…) Allein <strong>de</strong>r mensche istAndreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }Auch d<strong>ie</strong> Eheschelte läßt er nicht unwi<strong>de</strong>rsprochen: „Man kann sagen, was manwill: Wenn Gott jeman<strong>de</strong>n mit einem reinen, züchtigen und schönen Weibe begabt,so heißt d<strong>ie</strong>se Gabe Geschenk und ist wertvoller als alle irdischen äußerlichen Gaben.28 (…) Euer unvernünftiges Frauenlästern (…) gereicht euch wahrlich zurSchan<strong>de</strong> und <strong>de</strong>n Frauen zur Scham. (…) Ein züchtiges, schönes, keusches und inEhren beständiges Weib ist mehr als alle irdische Augenwei<strong>de</strong>. So mannhaften Mannsah ich n<strong>ie</strong>, <strong>de</strong>r sich recht mutig erw<strong>ie</strong>s, ohne daß er mit Frauen Hilfe gelenkt wur<strong>de</strong>(…) Rechte Zucht und Sitte lehren d<strong>ie</strong> ehrbaren Frauen in ihrer Schule; s<strong>ie</strong> erreichen,daß ihnen zu Ehren Anstand und Kurzweil auf Er<strong>de</strong>n gesch<strong>ie</strong>ht. Einer reinen FrauFingerdrohen straft und züchtigt einen braven Mann mehr als alle Waffen. OhneÜbertreibung kurz gesagt: Aller Welt Stütze, Festigung und Fortschritt sind d<strong>ie</strong> ehrbarenFrauen.“ 29Dagegen fällt nun w<strong>ie</strong><strong>de</strong>rum <strong>de</strong>m Tod nichts Rechtes mehr ein: Er z<strong>ie</strong>ht sich seinerseitszurück auf d<strong>ie</strong> Unausweichlichkeit <strong><strong>de</strong>s</strong> Sterbens, gegen das kein Kraut gewachsensei, keine Kunst etwas ausrichte, und ruft Gottes Urteil an.Gottes Sch<strong>ie</strong>dsspruch ist relativ kurz und salomonisch. Bei<strong>de</strong> hätten recht undunrecht zugleich: „Jener beklagt, was ihm nicht gehört, d<strong>ie</strong>ser rühmt sich einerHerrschaft, d<strong>ie</strong> er nicht aus sich selbst hat. Doch <strong>de</strong>r Streit ist nicht ganz ohne Sinn.Ihr habt bei<strong>de</strong> wohl gefochten: Jenen zwingt Leid zum Klagen, d<strong>ie</strong>sen d<strong>ie</strong> Anfechtung<strong><strong>de</strong>s</strong> Klägers, d<strong>ie</strong> Wahrheit zu sagen. Darum, Kläger, dir sei d<strong>ie</strong> Ehre; Tod, habe <strong>de</strong>nS<strong>ie</strong>g! Denn je<strong>de</strong>r Mensch ist pflichtig, <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> das Leben, <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, d<strong>ie</strong>Seele uns zu geben.“ 30Das klingt beim ersten Hören mittelalterlich-konventionell, und das abschl<strong>ie</strong>ßen<strong>de</strong>Gebet <strong><strong>de</strong>s</strong> Ackermanns für d<strong>ie</strong> Seele seiner Frau paßt zu d<strong>ie</strong>sem Eindruck. Vergegenwärtigtman sich aber angesichts <strong><strong>de</strong>s</strong> Urteils noch einmal d<strong>ie</strong> Hauptargumente<strong>de</strong>r Streiten<strong>de</strong>n, erkennt man plötzlich d<strong>ie</strong> eigentliche Absicht <strong><strong>de</strong>s</strong> Autors:Der Tod vertritt weitgehend Positionen mittelalterlicher Weltverachtung und einesstoischen Skeptizismus hinsichtlich <strong>de</strong>r menschlichen Natur, w<strong>ie</strong> ihn d<strong>ie</strong> Kirche seitalters lehrte, um d<strong>ie</strong> Seele vor <strong>de</strong>n Verführungen <strong>de</strong>r Welt zu bewahren, s<strong>ie</strong> im Leidzu trösten und aufs Jenseits vorzubereiten. Gott spricht ihm in <strong>de</strong>m Streit <strong>de</strong>n S<strong>ie</strong>gzu, aber das Lob ist vergiftet, <strong>de</strong>nn es han<strong>de</strong>lt sich ausdrücklich um einen ehrlosenS<strong>ie</strong>g: quasi um einen „Arbeitss<strong>ie</strong>g“ – <strong>de</strong>r Tod tut halt, was er von Natur aus tun muß!D<strong>ie</strong> Antwort <strong><strong>de</strong>s</strong> Ackermann auf <strong>de</strong>n contemptus mundi, d<strong>ie</strong> mönchische Weltverachtung<strong><strong>de</strong>s</strong> To<strong><strong>de</strong>s</strong>, ist das Lob <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens und <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Menschen</strong> – insbeson<strong>de</strong>reempfahend <strong>de</strong>r vernunft, <strong><strong>de</strong>s</strong> e<strong>de</strong>len hortes. Er ist allein <strong>de</strong>r l<strong>ie</strong>blich kloß, <strong>de</strong>m geleiche n<strong>ie</strong>mant danngot gewurken kann (…) Lat faren, herre Tot! ir seit <strong><strong>de</strong>s</strong> menschen feint: darvmb ir kein gutes von imsprechet!28 Kap. 9: Man re<strong>de</strong>, was man welle: wen got mit einem reinen, zuchtigen vnd schonen weibe begabet,d<strong>ie</strong> gabe heisset gabe vnd ist ein gabe vor aller irdischer auswendiger gabe.29 Kap. 29: Ewer vnuernunftiges frawenschen<strong>de</strong>n (…) ist werlich euch schentlich vnd <strong>de</strong>n frawenschemlich (…) ein zuchtiges, schones, keusches vnd an eren vnuerrucktes weib ist vor aller irdischeraugelwei<strong>de</strong>. So manlichen man gesach ich n<strong>ie</strong>, <strong>de</strong>r rechte mutig wur<strong>de</strong>, er wur<strong>de</strong> dann mit frawentroste gesteuret (…) Rechte zucht vnd ere lernen d<strong>ie</strong> wer<strong>de</strong>n frawen in irer schule. Irdischer freu<strong>de</strong>nsint gewaltig d<strong>ie</strong> frawen; s<strong>ie</strong> schaffen, das in zu eren gesch<strong>ie</strong>ht alle hubscheit vnd kurzweil auf er<strong>de</strong>n.Einer reinen frawen fingerdrowen strafet vnd zuchtiget vur alle waffen einen frumen man. One l<strong>ie</strong>bkosenmit kurzer re<strong>de</strong>: aller werlte aufhaltung, festung vnd merunge sint d<strong>ie</strong> wer<strong>de</strong>n frawen.30 Kap. 33: Der klaget, das nicht sein ist, diser rumet sich herschaft, d<strong>ie</strong> er nicht von im selber hat.Iedoch <strong>de</strong>r kr<strong>ie</strong>g ist nicht gar one sache: ir habet bei<strong>de</strong> wol gefochten; <strong>de</strong>n twinget leit zu klagen, disend<strong>ie</strong> anfechtung <strong><strong>de</strong>s</strong> klagers d<strong>ie</strong> warheit zu sagen. Darvmb, klager, habe ere! Tot, habe sige! seit <strong>ie</strong><strong>de</strong>rmensche <strong>de</strong>m to<strong>de</strong> das leben, <strong>de</strong>n leib <strong>de</strong>r er<strong>de</strong>n, d<strong>ie</strong> sele vns pflichtig ist zu geben.Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }<strong>de</strong>r Frau – als Gotteswerk und Gottesgabe. Er hebt d<strong>ie</strong> Freiheit und Vernuftbegabung<strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Menschen</strong> hervor, d<strong>ie</strong> sonst nicht einmal Engel und Teufel haben. Und erbesteht darauf, daß ein glückliches und sinnvolles Leben schon auf Er<strong>de</strong>n möglichist, insbeson<strong>de</strong>re in Form <strong><strong>de</strong>s</strong> Ehelebens: D<strong>ie</strong> Spitze gegen <strong>de</strong>n ehelosen MönchsundPr<strong>ie</strong>sterstand ist unüberhörbar! Man nannte d<strong>ie</strong>se Haltung später „Humanismus“.Gott aber, so w<strong>ie</strong> Johannes von Saaz ihn urteilen läßt, spricht ihm eben dafür d<strong>ie</strong>Ehre zu.Was Johannes von Saaz will, wird noch <strong>de</strong>utlicher, wenn man darauf schaut,welche traditionellen Argumente und Themen in <strong>de</strong>m Streitgespräch nicht o<strong>de</strong>r nuram Ran<strong>de</strong> vorkommen o<strong>de</strong>r aber vom Ackermann beson<strong>de</strong>rs angegriffen wer<strong>de</strong>n.D<strong>ie</strong> Zeitgenossen waren faszin<strong>ie</strong>rt vom Bild <strong><strong>de</strong>s</strong> „Totentanzes“, auf <strong>de</strong>m Vertreteraller Stän<strong>de</strong> als Totengerippe beim Reigen zu sehen sind. Es war als Memento mori,als Erinnerung und Warnung gedacht, daß <strong>de</strong>r Tod alle, ob arm o<strong>de</strong>r reich, machtloso<strong>de</strong>r mächtig, gleichermaßen ereilt. Johannes erweist d<strong>ie</strong>sem Topos Referenz, wenner <strong>de</strong>n Tod von sich sagen läßt, er sei ein gerechter Mäher. Doch <strong>de</strong>r Ackermannglaubt ihm nicht: "Ihr sagt, Eure Sense haue ohne Wahl. W<strong>ie</strong> kommt es dann, daßs<strong>ie</strong> mehr Disteln als gute Blumen, mehr falsche als echte Kamillen, mehr böse Leuteals gute unversehrt läßt?" 31Ein weiteres großes Anl<strong>ie</strong>gen <strong><strong>de</strong>s</strong> Spätmittelalters war d<strong>ie</strong> Ars mor<strong>ie</strong>ndi, d<strong>ie</strong>„Kunst zu Sterben“: Man verstand darunter d<strong>ie</strong> Organisation <strong><strong>de</strong>s</strong> Lebens als Vorbereitungauf <strong>de</strong>n Tod, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong>rzeit eintreten konnte, als fromme Zurüstung auf dasJenseits, wo einen das wahre Leben erwartete. Johannes ignor<strong>ie</strong>rt d<strong>ie</strong>ses Thema:Sein Tod erwähnt zwar d<strong>ie</strong> Gastrolle <strong><strong>de</strong>s</strong> <strong>Menschen</strong> auf Er<strong>de</strong>n, doch auf d<strong>ie</strong> üblichenVersprechungen vom Leben im Jenseits verzichtet er. Sein Ackermann schwärmt<strong>de</strong>nn auch nur von <strong>de</strong>n Wonnen und <strong>de</strong>r Vollkommenheit <strong><strong>de</strong>s</strong> irdischen Daseins, von<strong>de</strong>n Freu<strong>de</strong>n <strong><strong>de</strong>s</strong> Himmels weiß er nichts.D<strong>ie</strong> Ursün<strong>de</strong> als Ursache für <strong>de</strong>n Tod wird zwar erwähnt, aber ebenfalls nichtweiter thematis<strong>ie</strong>rt. Im Gegenteil, <strong>de</strong>r ständige Hinweis <strong><strong>de</strong>s</strong> Ackermanns auf d<strong>ie</strong> Tugend<strong>de</strong>r Verstorbenen gräbt d<strong>ie</strong>ser theologischen Rechtfertigung <strong><strong>de</strong>s</strong> Sterbenmüssens,an <strong>de</strong>m Eva maßgeblich schuld sei, das Wasser ab. Und daß das früheHinschei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Frau im Kindbett eine gerechte Strafe o<strong>de</strong>r Prüfung für <strong>de</strong>n Ehemannsein könnte, fällt <strong>de</strong>m Tod erst gar nicht ein!Über einen an<strong>de</strong>ren theologischen Zentralbegriff macht sich <strong>de</strong>r Ackermann regelrechtlustig – d<strong>ie</strong> Gna<strong>de</strong>. Gegenüber <strong>de</strong>m „gnädigen Tod“ höhnt er: „Solche Guttat,w<strong>ie</strong> Ihr s<strong>ie</strong> <strong>de</strong>n <strong>Menschen</strong> beweist, solche Gna<strong>de</strong>, w<strong>ie</strong> s<strong>ie</strong> d<strong>ie</strong> <strong>Menschen</strong> voneuch empfangen, (…) schicke euch <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Gewalt über Leben und Tod hat!“ 32 Wasfür ein Paradox: Gott soll <strong>de</strong>n Tod töten! An d<strong>ie</strong>sem Paradox wird aber <strong>de</strong>utlich, w<strong>ie</strong>geschickt <strong>de</strong>r Autor d<strong>ie</strong> mittelalterliche Theolog<strong>ie</strong> in Frage stellt: Er spaltet <strong>de</strong>n Todvon Gott ab und sch<strong>ie</strong>bt ihm all jene Anschauungen unter, d<strong>ie</strong> er kritis<strong>ie</strong>ren möchte.Den <strong>de</strong>rart entlasteten Gott kann er hernach als Schöpfer eines perfekten, fre<strong>ie</strong>n undvernunftbegabten <strong>Menschen</strong> vorstellen, <strong>de</strong>r sich seines Lebens auf Er<strong>de</strong>n freuendarf.Was ist dann aber <strong>de</strong>r Tod in <strong>de</strong>n Augen <strong><strong>de</strong>s</strong> Johannes von Saaz? Sicher keinSün<strong>de</strong>nlohn mehr, keine verd<strong>ie</strong>nte Strafe, keine gnädige Heimholung ins ewigeHimmelreich, überhaupt kein theologisch zu rechtfertigen<strong><strong>de</strong>s</strong> Ereignis, eher im31 Kap. 17: Ir jecht, ewer sense hawe vur sich. W<strong>ie</strong> ist dann <strong>de</strong>m, das s<strong>ie</strong> mer distel dann guter blumen,mer meuse dann kamelen, mer boser leute dann guter vnuerseret lesset beleiben?32Kap. 13: Solche guttat, als ir beweiset an <strong>de</strong>n leuten, solche gena<strong>de</strong>, als d<strong>ie</strong> leute von euch empfahen,(…) schicke euch, <strong>de</strong>r <strong><strong>de</strong>s</strong> to<strong><strong>de</strong>s</strong> vnd lebens gewaltig ist.Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>


D<strong>ie</strong> <strong>Geburt</strong> <strong><strong>de</strong>s</strong> fre<strong>ie</strong>n <strong>Menschen</strong>: „Der Ackermann aus Böhmen“{PAGE }Gegenteil ein Webfehler in <strong>de</strong>r Schöpfung – gleichwohl mit Vernunft zu akzept<strong>ie</strong>ren<strong>de</strong>innerweltliche Wirklichkeit, eine biologische Notwendigkeit. Gott bekommt d<strong>ie</strong>menschliche Seele, <strong>de</strong>ren Schicksal außerhalb <strong>de</strong>r Diskussion bleibt. Leib und Lebenaber sind Er<strong>de</strong> und Tod überantwortet. Mit d<strong>ie</strong>sem humanistischen <strong>Menschen</strong>bildsind auch wir einverstan<strong>de</strong>n. Unser Trost l<strong>ie</strong>gt ebenfalls eher in einem erfüllten Lebenals in einem erhofften Jenseits. Für solch ein menschenwürdiges, vernunftgelenktesLeben, w<strong>ie</strong> es Johannes von Saaz fe<strong>ie</strong>rt, setzen wir uns heute noch ein.Andreas Kalckhoff, Werastraße 105, 70190 Stuttgart, Telefon +49-711-2851980, email@kalckhoff.<strong>de</strong>

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