ZWEI JUNGS UND DIE KUNST DOCUMENTA ... - Blank Magazin
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LifestyLe emil KozaK, majaco fiLm oh boy Reise myanmar<br />
Gesellschaft, Diskurs, Disko<br />
Documenta<br />
Zwei Jungs<br />
und die Kunst<br />
Desaster schröDer,<br />
schramm & Wulff:<br />
was Frauen Für<br />
gute Bücher<br />
schreiBen<br />
herbst / 2012<br />
KiD Kopphausen<br />
BOB dylan<br />
hat‘s KaPutt<br />
geMacht<br />
im intervieW<br />
FritZ<br />
KalKBrenner<br />
Kate, MOhaMMed und der PaPst?<br />
Ohne uns
präsentiert<br />
sind wieder da!<br />
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EDITORIAL<br />
heisser<br />
herbst<br />
von Johannes Finke<br />
Die Sonne bemüht sich. Das gefällt. Der Sommer jedoch wird als durchschnittlich<br />
in Erinnerung bleiben. Der Herbst aber könnte noch heiß werden.<br />
Politisch. Gesellschaftlich. Global und im Kleinen. Richtungsweisend gar?<br />
Was war mit dem arabischen Frühling? Und kommt Schweinsteiger wieder<br />
in Form? Und schafft es Lena an alte Erfolge anzuknüpfen? Bekommt Niels<br />
Ruf endlich eine neue Show im Fernsehen? Und zahlt die Krankenkasse<br />
demnächst verstümmelnde Stigmatisierungen für kleine Jungs? Hach, was<br />
für eine Zeit in der wir leben. Doch die Widersprüchlichkeit der Moderne,<br />
gefangen zwischen religiöser Verblendung, digitaler Verwüstung und<br />
gesellschaftlicher Verrohung, lassen es nun mal zu, dass wir zur Zeit eher<br />
dem Stillstand frönen, als Geschichte zu schreiben. Und das meine ich nicht<br />
im Verhältnis zum Wachstum. Denn ohne Wachstum geht ja gar nichts.<br />
Also wachsen wir mal eben etwas. So lange wir still stehen.
4 I BLANK<br />
BLAnk nR. 10 / hERBsT 2012<br />
TiTelfoTo: Matthias David<br />
6 In TRAnsIT<br />
Fotografien von samira schulz<br />
12 <strong>DIE</strong>sER WEg WIRD kEIn LEIchTER sEIn<br />
12 Jahre nach „Last ressort“, sind sie alle noch da.<br />
Die selbe band, die selben Musiker und die selben Dämonen.<br />
Und mit „the Connection“ haben Papa roach ein<br />
Album vorgelegt, das wieder mehr Kampf als Kunst ist.<br />
18 nIchT nuR DER TOn mAchT <strong>DIE</strong> musIk<br />
Fritz Kalkbrenner – mit beiden beinen knietief im<br />
schweiß der traditionellen Clubszene stehend, streckt er<br />
die Arme aus, um sich festzukrallen an dem,<br />
was so oft missverständlich Mainstream genannt wird.<br />
24 BOB DyLAn hAT‘s kApuTT gEmAchT<br />
Gisbert zu Knyphausen und Nils Koppruch sind<br />
nicht nur wahnsinnig geistreiche Liedermacher,<br />
sondern jetzt auch zusammen Kid Kopphausen.<br />
30 WEnn Es ERsT mAL ROLLT<br />
emil Kozak ist einer der spannendsten<br />
Grafikdesigner unserer Zeit.<br />
34 DER hERBsT kAnn kOmmEn<br />
Die bLANK-Verlosung lässt den tristen sommer<br />
vergessen und leutet für manchen möglicherweise<br />
einen großartigen herbst ein.<br />
38 mEhR mAjAcO<br />
Die bLANK Fashionstrecke<br />
48 jEff kOOns – ThE pAInTER<br />
roman Libbertz besuchte die Ausstellung eines der<br />
größten Künstler unserer Zeit – und lässt euch<br />
daran teilhaben.
60 zWEI jungs unD <strong>DIE</strong> kunsT<br />
Nilz bokelberg hat mit roman Libbertz die<br />
documenta in Kassel besucht – ein resümee.<br />
70 mAgIschEs myAnmAR<br />
boris Guschlbauer fand, es wäre an der Zeit,<br />
Myanmar ein besuch abzustatten und bietet<br />
einen einblick in ein be- und verzauberndes Land.<br />
90 DER ODEm DER LIgA<br />
50 Jahre Fußballbundesliga bedeuten Geschichte und<br />
Geschichten. Manchmal bedingt auch das eine das<br />
andere. ben redelings ist einer der großen biographen<br />
des Fußballs und hat alles aufgeschrieben.<br />
94 kLAssEnTREffEn<br />
bei den hip hop Open 2012 trafen sich in stuttgart<br />
nicht nur die Mitglieder der legendären stuttgarter<br />
Kolchose, um das zwanzigjährige Jubiläum zu feiern.<br />
Auch andere schwergewichte der szene waren anwesend<br />
und stellten sich brav vor eine nicht unbedingt<br />
schöne, aber als hintergrund recht streetig wirkende<br />
Wand und gaben dazu ihren „tag“ ab.<br />
118 TATORT BERLIn<br />
Auf Jan Ole Gerster hat die Deutsche Filmlandschaft<br />
gewartet. sein Debütfilm „Oh boy“ erzählt davon,<br />
sich im Urwald der Großstadt zurecht zu finden,<br />
nicht unterzugehen und in der Abwägung irrsinniger<br />
äußerer einflüsse den eigenen Weg zu gehen.<br />
hEfT zWEI<br />
FrAUeN <strong>UND</strong> büCher teiL 1<br />
von elmar bracht<br />
WeNN AsCheNPUtteL AUF PeitsChe triFFt<br />
von Mirka Uhrmacher<br />
131 ImpREssum<br />
INHALT<br />
BLANK I 5
6 I BLANK<br />
iN<br />
trANsit<br />
FOtOGrAFieN VON sAMirA sChULZ<br />
Samira Schulz, geboren 1980 in Wiesbaden, zog nach mehrmonatigen Aufenthalten in<br />
Südengland und Madrid ins damals noch rohe und kreative Berlin des Prenzlauer Berg.<br />
Es folgte ein Studium an der University of the Arts, London College of Communication<br />
und der erfolgreiche Abschluss 2005. Nach sechs Jahren London zog es die junge Frau<br />
weiter. Sie studierte Art Direction an der Hochschule des SICA (Sindicato de la Industria<br />
Cinematografica Argentina) in Buenos Aires und beschäftigte sich mit der Produktion<br />
verschiedener (audio-)visueller Kunstwerke und deren Ausstellung.<br />
Schulz Hauptaugenmerk gehört der Fotografie, deren vermeintliche, jedoch oft<br />
täuschende Funktion der Dokumentation und die damit verbundene trügerische Beziehung<br />
zur Geschichte und der Erinnerung. Die Bildfolge „In Transit“ zeigt einen Nicht-Ort, einen<br />
Ort, an dem man nie wirklich ist, den man nur auf dem Weg von hier nach dort durchreist,<br />
ohne einen Gedanken oder eine Emotion an ihn zu verschwenden.<br />
Arbeiten von Samira Schulz wurden in zahlreichen Ausstellungen in England, Frankreich,<br />
Deutschland und Argentinien gezeigt. Noch lebt die inzwischen junge Mutter in Buenos<br />
Aires, plant aber schon ihre Weiterreise.<br />
www.samiraschulz.com
BLANK I<br />
7
BLANK I<br />
9
10<br />
I BLANK
BLANK I<br />
11
12<br />
I BLANK
Dieser WeG<br />
WirD KeiN<br />
LeiChter seiN<br />
2012, 12 Jahre nach „Last Ressort“, sind sie alle noch da. Die selbe Band, die selben Musiker und<br />
die selben Dämonen. Und mit „The Connection“ haben Papa Roach ein Album vorgelegt, das wieder<br />
mehr Kampf als Kunst ist. Oder halt Kampfkunst. Und auch deshalb ist es wieder so gut geworden,<br />
vielleicht die beste Scheibe der Kalifornier seit dem 2002er-Release „Lovehatetragedy“.<br />
ein rückblick: Die<br />
Nuller-Jahre beginnen<br />
wütend und<br />
verzweifelt: „Cut<br />
my life into pieces“<br />
knallt es aus den boxen in drei<br />
Millionen haushalten alleine<br />
in den UsA. „this is my last<br />
ressort.“ Und davor eine ganze<br />
Generation Jugendlicher, die<br />
die Wut und die Verzweiflung<br />
aufsaugen, die ihnen diese band<br />
entgegen rotzt. Papa roach<br />
schießen sich mit ihrer hymne<br />
und dem Album „infest“<br />
über Nacht ins bewusstsein der<br />
rocklandschaft. Die texte werden<br />
seziert, die Videos laufen<br />
auf MtV hoch und runter, die<br />
vier Musiker von Desperados zu<br />
Plattenmillionären und spielen<br />
headlinershows auf Festivals<br />
in aller Welt. ein richtig großes<br />
Ding also, vor allem, wenn<br />
du gerade Mitte 20 bist. Das<br />
Problem: Die band ist komplett<br />
FotograFie PERCH (links), TRavis sHinn text Till ERdEnbERgER<br />
authentisch, die Zwänge und die<br />
schwierigkeiten, die sie besingen,<br />
sind die eigenen. Vor allem<br />
sänger Jacoby shaddix (der sich<br />
damals noch Coby Dick nannte)<br />
lief und läuft in jeder hinsicht<br />
extrem hochtourig: Alkohol,<br />
Drogen, selbstmordgedanken.<br />
es ist möglicherweise nicht zuletzt<br />
diese Mischung, die die<br />
band so erfolgreich macht. Denn<br />
shaddix ist ein Freak, aber ein<br />
unsagbar talentierter. er zwingt<br />
seine Dämonen ins 3-Minuten-<br />
Format und bekämpft sie vor<br />
allem live mit einer intensität,<br />
die mehr an einen exorzismus<br />
als an eine Liveshow erinnern.<br />
„Wir sind jetzt seit 15 Jahren am<br />
Start und es würde mich nicht<br />
überraschen, wenn wir uns in<br />
15 Jahren wieder hier treffen,<br />
um über ein neues Album<br />
zu sprechen.“<br />
Jerry horton ist zumindest abseits<br />
der bühne der Gegenpol zu<br />
seinem überdrehten sänger. Nur<br />
zurückhaltend tätowiert, ruhig,<br />
beinahe etwas bedächtig und<br />
sehr leise. Der Gitarrist wünscht<br />
MUSIK<br />
BLANK I 13
sich sushi zum Mittag, aber das<br />
gibt es erst ab 17 Uhr. Ach ja?<br />
Kein Problem, dann irgendetwas<br />
anderes. Wir sind für halb zwei<br />
verabredet, als ich das Aufnahmegerät<br />
anschalte zeigt das Display<br />
„13:32“. Zwei Minuten über<br />
der Zeit. Um Gottes Willen, was<br />
ist nur dem rock‘n‘roll zuge-<br />
stoßen? „ein enger Zeitplan hat<br />
ihm heute den Garaus gemacht“,<br />
lacht der Kalifornier, seit zehn<br />
Jahren glücklich mit einem ex-<br />
Playmate verheiratet. Man merkt<br />
ihm zu jeder sekunde an, dass<br />
er es genießt, über das neue Album<br />
Auskunft zu geben. Ja, das<br />
neue Material fühlt sich gut an<br />
und ja, die band ist noch immer<br />
verdammt hungrig. sich nach<br />
20 Millionen verkauften Alben<br />
langsam mit dem Alterswerk zu<br />
beschäftigen, ist ausgeschlossen.<br />
„Wir sind jetzt seit 15 Jahren am<br />
start und es würde mich nicht<br />
überraschen, wenn wir uns in<br />
15 Jahren wieder hier treffen,<br />
um über ein neues Album zu<br />
sprechen.“ bevor wir das tun,<br />
sprechen wir aber diesmal noch<br />
über „the Connection“. Musikalisch<br />
stellt „die Neue“ tatsächlich<br />
eine Art Verbindung dar.<br />
Der „Missing Link“ zwischen<br />
den wütenden aber melodischen<br />
Anfangstagen und der etwas<br />
14 I BLANK MUSIK<br />
technokratischeren, kühleren<br />
und schon nicht mehr so erfolgreichen<br />
Neuzeit? „Ja, so kann<br />
man das sehen. ein bisschen was<br />
von allem, ein Mittler zwischen<br />
den Welten. Ob wir ein solch<br />
ausgeglichenes Album erst mit<br />
ein bisschen erfahrung machen<br />
konnten? Vielleicht ist das so.“<br />
„Rockmusik ist ein Katalysator,<br />
nicht das Benzin.“<br />
Ob es schon mal Lyrics aus der<br />
Feder des sängers mit den vielen<br />
Dämonen gegeben habe, die<br />
die band abgelehnt hat? „Wenn<br />
überhaupt, dann ein paar wenige<br />
vor langer Zeit. Denn erstens<br />
sind sie meistens verdammt gut,<br />
zweitens braucht Jacoby die texte,<br />
um seine Probleme zu verarbeiten<br />
und drittens arbeitet er ja<br />
in der regel lösungsorientiert.<br />
Das heißt, er versucht meistens,<br />
eine hintertür aufzuzeigen.“<br />
Dass der rock‘n‘roll die Kraft<br />
hat, im Leben der Menschen etwas<br />
zu verändern, die ihre Ohren<br />
und herzen für text und sound<br />
öffnen, davon ist horton überzeugt<br />
– nicht nur, wenn es um<br />
die Katharsis des eigenen texters<br />
geht. „es klingt pathetisch, aber<br />
ich bin überzeugt davon, dass die<br />
Musik, wie wir sie spielen und<br />
hören, eine haltung verfestigen<br />
kann. sie sagt, dass man sich<br />
seinen Problemen stellen muss,<br />
sie verarbeiten. Und dass es Lösungen<br />
gibt. Wir bieten keine<br />
allgemeingültigen Lösungen und<br />
Musik kann aus kranken Menschen<br />
keine gesunden machen.<br />
Aber wenn du das richtige Lied,<br />
die richtige Platte zur richtigen<br />
Zeit hörst, dann kann dir das<br />
tatsächlich helfen und einen neuen<br />
Antrieb verschaffen.“ Ob sie<br />
auch noch virtuelle Gewalt- und<br />
rachephantasien freilegen kann?<br />
„Musik kann aus dir nicht etwas<br />
machen, das du nicht bist. Für<br />
deine taten bist nur du selbst
verantwortlich. Wenn jemand<br />
behauptet, Musik von slipknot<br />
wäre verantwortlich für Amokläufe,<br />
dann ist das polemischer<br />
Unsinn, in der regel verbreitet<br />
von Menschen, die damit ihre eigenen<br />
interessen verdecken oder<br />
transportieren wollen. Noch<br />
mal: rockmusik ist ein Katalysator,<br />
nicht das benzin.“<br />
„the Connection“ ist dann am<br />
ende des tages aber doch mehr<br />
treibstoff, denn mit diesem Album<br />
läuten die Kalifornier un-<br />
bestritten ihr Alterswerk ein.<br />
im besten sinne natürlich. Monatelang<br />
tüftelten die Musiker<br />
zusammen mit den Produzenten<br />
James Michael (sixx:A.M.)<br />
und John Feldmann (Panic At<br />
the Disco u. a.) im bandeigenen<br />
studio – ohne Zeitdruck, ohne<br />
tickende budgetuhren – um am<br />
ende mit 15 neuen stücken wieder<br />
raus zu kommen, die Papa<br />
roach nach durchwachsenen<br />
letzten Platten, Katalogstreitigkeiten<br />
mit dem eigenen Label und<br />
den beschriebenen immerdapro-<br />
blemen eine große Portion Leben<br />
und relevanz einhauchen.<br />
inhaltlich und musikalisch. „Die<br />
Arbeit im eigenen studio ist<br />
Fluch und segen: Keinen Druck<br />
zu haben bedeutet, dass du deine<br />
soli, die breaks und die riffs<br />
bis zum letzten tag optimieren<br />
kannst. Aber irgendwann musst<br />
du loslassen. Verdammt, es ist so<br />
schwer. Aber irgendwann war<br />
tatsächlich der Punkt erreicht,<br />
an dem wir alle gesagt haben:<br />
Jetzt ist es fertig.“ Diesen Moment<br />
gibt es wirklich? „Okay,<br />
MUSIK<br />
BLANK I 15
das Label hatte zwischendrin<br />
auch immer mal wieder leise<br />
angeklopft, wann wir denn zum<br />
ende kommen“, schiebt Jerry lachend<br />
hinterher.<br />
Papa roach sind keine band<br />
für die Verzweifelten mehr, Papa<br />
roach sind eine relevante rockband.<br />
heute noch weit mehr als<br />
damals und damit das so bleibt,<br />
braucht es mehr Alben. Denn<br />
nur die scheinen in der Lage, die<br />
band zu zügeln, die Dämonen<br />
zumindest für Monate miteinander<br />
zu versöhnen. Die erste<br />
single steht dafür buchstäblich<br />
„still swingin‘“ – ein Comebackstatement<br />
und ein Manifest, dass<br />
es unmöglich sei, an ihnen vorbei<br />
zu kommen. trotz aller höhen<br />
und tiefen. Was der texter egoistisch<br />
meint, lässt sich auch auf die<br />
band übertragen. „Wir sind immer<br />
noch da, wir machen einfach<br />
immer weiter. Was soll passieren?<br />
„Wir sind immer noch da,<br />
wir machen einfach immer weiter.<br />
Was soll passieren?“<br />
16 I BLANK MUSIK<br />
Wir denken jedenfalls nicht daran,<br />
etwas anderes zu machen.<br />
Wieso auch?“ Als wir fertig sind,<br />
stiefelt Jacoby an unserem tisch<br />
vorbei und plärrt irgendetwas<br />
in unsere richtung. im spaß.<br />
im August und september sollten<br />
Papa roach eigentlich die<br />
UsA betouren, im Verbund mit<br />
Godsmack, shinedown, staind<br />
und anderen Größen. Jerry<br />
schwärmte schon im Juli davon<br />
und sprach von der großen energie<br />
und der Vorfreude, endlich<br />
wieder neues Material vorstellen<br />
zu können. Nach einer Woche<br />
war die tour für den Vierer wieder<br />
beendet, ihr sänger musste<br />
sich einer stimmbandoperation<br />
unterziehen. Der spaß ist vorbei,<br />
Papa roach müssen weiter den<br />
dornigen Weg bestreiten.<br />
im Dezember kommt der wiedergenesene<br />
shaddix mit seiner<br />
band wieder nach Deutschland.<br />
„the Connection“ im Gepäck,<br />
das Organ geflickt und gerüstet<br />
für den Kampf. es wird großartig<br />
werden.
MUSIK<br />
BLANK I 17
18<br />
I BLANK
NiCht NUr<br />
Der tON<br />
MACht Die<br />
MUsiK<br />
FotograFie ToRbEn ConRad interview Till ERdEnbERgER<br />
Fritz Kalkbrenner ist ein Wanderer zwischen den Welten.<br />
Oder nein, er ist vielmehr ein Mittler. Mit beiden Beinen knietief<br />
im Schweiß der traditionellen Clubszene stehend,<br />
streckt er die Arme aus, um sich festzukrallen an dem,<br />
was so oft missverständlich Mainstream genannt wird.<br />
G<br />
emeint ist die<br />
symbiose aus<br />
trockenen Clubbeats<br />
und organischen,bisweilen<br />
hymnischen Melodieparts.<br />
„in house gegossene Popmusik“<br />
nennt das die Presseinfo und beschreibt<br />
das Werk des berliners<br />
damit passend. es ist fast ein bisschen<br />
grotesk: Denn mehr noch<br />
als bruder Paul, der inzwischen<br />
jährlich in berlin und dem rest<br />
Deutschlands riesige Massenveranstaltungen<br />
zelebriert, steht<br />
Kalkbrenner der Jüngere für das<br />
massenkombatible Moment des<br />
techno, ohne sich in die Gefilde<br />
des trance zu verlaufen. Und<br />
womit der berliner auf seinem gefeierten<br />
2010er-Debüt „here today<br />
Gone tomorrow“ begonnen<br />
hat, das führt er zwei Jahre später<br />
konsequent und noch ambitionierter<br />
fort: Fritz Kalkbrenner ist<br />
weiterhin der große Lyriker unter<br />
den elektroproduzenten. Denn<br />
während die Kollegen aus dem<br />
kommerziellen bereich Gesang<br />
höchstens als Klangfarbe, als weiteres<br />
instrument einsetzen, geht<br />
es Kalkbrenner um weit mehr als<br />
das: Die Worte als eigenständigen<br />
teil seiner Kunst. Ambitioniert<br />
und künstlerisch wertvoll. im<br />
Folgenden über die Musik, die<br />
Wurzeln und was eigentlich wem<br />
gehört und wohin.<br />
BLANK: Techno und Gesang –<br />
auf diesem Feld bist du Pionier,<br />
stehst ja fast alleine da. Glaubst<br />
du, die Technofreunde würden<br />
sich mehr Lyrics wünschen?<br />
FK: Offen gesagt: ich weiß es<br />
nicht. bei mir war das texten<br />
MUSIK<br />
BLANK I 19
„Ich könnte also einem übergroßen<br />
Fokus auf die Lyrics gar nicht<br />
gerecht werden.“<br />
und singen neben dem Produzieren<br />
immer ein integraler bestandteil<br />
meiner Arbeit und ich<br />
habe nie davon gelassen.<br />
BLANK: Und denkst du, dass da<br />
überhaupt etwas hängen bleibt?<br />
FK: Auch hier: ich weiß es nicht.<br />
ich kriege aber oft gutes Feedback<br />
zu den inhalten der Lyrics<br />
und darüber freue ich mich. ich<br />
kann aber auch verstehen, wenn<br />
das einfach an den hörern vorbei<br />
geht, weil die sich auf den<br />
physischen Aspekt der Musik<br />
konzentrieren wollen.<br />
BLANK: Wünschst du dir nicht<br />
manchmal beim Texten, Liedermacher<br />
zu sein? Der weiß,<br />
dass die Leute jedes einzelne<br />
geschriebene Wort aufsaugen<br />
und auswerten?<br />
FK: Nein, absolut nicht. Denn<br />
dafür müsste ich eine ganz wichtige<br />
Komponente der Kunst vernachlässigen<br />
müssen: Das Produzieren.<br />
ich könnte also einem<br />
übergroßen Fokus auf die Lyrics<br />
gar nicht gerecht werden, da ich<br />
ja zwischen den stühlen stehe<br />
und beides bedienen muss und<br />
möchte. Dass man dann hier<br />
und da auch Abstriche machen<br />
muss, lässt sich nicht vermeiden.<br />
Das ist aber auch okay.<br />
20 I BLANK MUSIK<br />
BLANK: Du bist einer der wenigen<br />
ganz großen Namen, die<br />
nicht auf eine beeindruckende<br />
Liste an Remixen blicken können.<br />
Warum?<br />
FK: ich habe nicht nur keine beeindruckende<br />
Liste an remixen,<br />
sondern habe überhaupt noch<br />
keinen gemacht. Dass das so ist,<br />
hat sich über die Zeit entwickelt.<br />
Denn zuerst gab es einfach keine<br />
Anfragen und dann gab es<br />
auf einmal sehr viele. irgendwo<br />
auf diesem Weg habe ich<br />
mich dazu entschlossen, nicht<br />
ohne weiteres remixanfragen<br />
anzunehmen. irgendwann hat<br />
sich diese Ablehnung verselbstständigt<br />
und die Latte, wer da<br />
kommen müsste, wurde ständig<br />
höher gelegt.<br />
BLANK: Wer müsste denn nun<br />
kommen?<br />
FK: ich würde mich gerne an<br />
Motown-einzelspuren wagen<br />
und mich über die her machen.<br />
Das ist aber auch wirklich schon<br />
ganz schön weit hergeholt. Um<br />
ehrlich zu sein: Dieser Gedanke<br />
des remixens spielt bei mir<br />
einfach keine besonders große<br />
rolle in der täglichen Arbeit.<br />
Das selberproduzieren ist mir<br />
wichtiger. Aber wie gesagt:<br />
Wenn Motown kämen und mir<br />
ein paar einzelspuren anbieten<br />
würden, dann würde ich wahrscheinlich<br />
nicht „Nein“ sagen.<br />
BLANK: Gibt es Unterschiede<br />
bei deinen Sets weltweit? Lieben<br />
die Australier eine andere<br />
Dramaturgie als die Südamerikaner?<br />
FK: Die Livesets hängen vor allem<br />
von meiner befindlichkeit<br />
und meiner tagesform ab. Dass<br />
die Dramaturgie sich nach dem<br />
Kontinent, der stadt oder der<br />
Location richtet ist zumindest<br />
bei mir nicht so. ich weiß allerdings<br />
nicht, ob das für oder<br />
gegen irgendetwas spricht, dass<br />
die Menschen auf der ganzen<br />
Welt gleich feiern.<br />
BLANK: Wo siehst du den<br />
Techno denn überhaupt zuhause?<br />
In den Clubs, wo er<br />
her kommt oder doch auf den<br />
großen Open-Air-Veranstaltungen?<br />
Und warum?<br />
FK: eine Frage, über die sich die<br />
traditionalisten und die besonders<br />
der Zukunft Zugewandten<br />
fröhlich die Köpfe einschlagen<br />
„Ich würde mich gerne an<br />
Motown-Einzelspuren wagen und<br />
mich über die her machen.“
könnten. Natürlich kommt der<br />
techno historisch betrachtet<br />
aus den Clubs, aber die Frage,<br />
wo er hingehört greift zu kurz.<br />
Man sollte aber doch weder das<br />
eine noch das andere kritisieren,<br />
sondern sich stattdessen lieber<br />
freuen, dass man die Chance<br />
hat, beides zu genießen. es gibt<br />
ja auch durchaus grundlegende<br />
Unterschiede, denn während die<br />
Festivalsets auf die kurzfristigere<br />
Wahrnehmung setzen, haben die<br />
sets in den Clubs einen längeren<br />
spannungsbogen. Freuen wir uns<br />
unter dem strich einfach, dass es<br />
sowohl die intime, als auch die<br />
großflächige Wahrnehmung gibt.<br />
BLANK: Auf deinem neuen Album<br />
stehen wieder einige orga-<br />
nische, analoge Instrumentenparts.<br />
Wie weit ist der Gedanke<br />
gediehen, mal mit Band ein<br />
Liveset zu spielen?<br />
FK: Den Gedanken gibt es, er<br />
ist allerdings noch nicht sehr<br />
stark ausgeprägt. ich überlege<br />
aber, auf der tour zu „sick<br />
travelin´“ Livegesang in meine<br />
Liveshow einzubinden. Alles mit<br />
einer band live umzusetzen halte<br />
ich aber nicht für den richtigen<br />
Weg bei mir. Das wäre eine zu<br />
starke Abkehr vom originären<br />
Gedanken der Clubmusik wäre,<br />
dem ich ja auch verbunden bin.<br />
es gab das ja auch schon, dass<br />
elektronische Künstler nach ihrer<br />
künstlerischen Wiedergeburt<br />
dann auf einmal mit einer band<br />
auf der bühne standen. Das<br />
würde mir persönlich jetzt einen<br />
schritt zu weit gehen. ich möchte<br />
aber auch nicht kategorisch ausschließen,<br />
dass es so etwas auch<br />
bei mir mal geben könnte. Aber<br />
auf alle Fälle nicht so bald.<br />
BLANK: Wie bist du denn überhaupt<br />
in die Elektroszene rein<br />
gekommen und fühlst du dich<br />
da zu 100% richtig aufgehoben?<br />
FK: in die so genannte szene bin<br />
ich auf eine ganz natürliche Art<br />
rein gekommen: Durch Freunde<br />
und natürlich meinen bruder<br />
schon vor vielen, vielen Jahren.<br />
Die Liebe zur Clubmusik, sei es<br />
nun house oder techno, war<br />
immer gleichberechtigt mit der<br />
zu soul und hip-hop. es war<br />
immer mehr sozusagen eine kon-<br />
MUSIK<br />
BLANK I 21
zeptionelle Frage, wo die Musik<br />
am besten stattfinden kann. in<br />
meinem Fall ist die „szene“ ein<br />
großer Zirkel von Freunden und<br />
Kollegen, die alle etwas ähnliches<br />
machen, wie ich. Und da ist<br />
mir oft aufgefallen, dass die sich<br />
in ihrer Wahrnehmung älteren<br />
sachen gegenüber gar nicht so<br />
sehr davon unterscheiden, wie<br />
ich mich positioniere.<br />
BLANK: Liest man Interviews<br />
mit dir, fallen als Einfluss oder<br />
„Helden“ deutlich öfter die Na-<br />
„Es gab das ja auch schon, dass elektronische Künstler<br />
nach ihrer künstlerischen Wiedergeburt dann auf einmal<br />
mit einer Band auf der Bühne standen.“<br />
men von Soul oder Hip Hop-<br />
Größen als die von Elektrohausnummern.<br />
FK: es ist gar nicht so außergewöhnlich,<br />
elektroproduzent zu<br />
sein und sich daheim den lieben,<br />
langen tag hip-hop- und soulplatten<br />
rein zu pfeifen.<br />
BLANK: In einem älteren Interview<br />
sagtest du, dass du die Deutungshoheit<br />
über deine Kunst<br />
verlierst in dem Moment in dem<br />
du sie veröffentlichst. Bereitet<br />
dir das nicht Bauchschmerzen?<br />
Gerade in dem Bereich, in dem<br />
es um deine Texte geht.<br />
FK: Mit dem Verlust der Deutungshoheit<br />
gehen mir auch alle<br />
Ängste und sorgen, wie mit mei-<br />
22 I BLANK MUSIK<br />
ner Musik und den Lyrics umgegangen<br />
wird, ab. Wenn ich mir<br />
sorgen machen würde, dass die<br />
Wahrnehmung der inhalte in einer<br />
Art und Weise stattfindet,<br />
die mir nicht gefällt, müsste ich<br />
mich entscheiden, die sachen gar<br />
nicht erst zu veröffentlichen. ein<br />
Künstler, der es nicht ertragen<br />
kann, dass seine sachen auch<br />
kritisch besprochen und konsumiert<br />
werden, darf sie nicht veröffentlichen.<br />
so einfach ist das.<br />
Davon, dass Fritz Kalkbrenner<br />
sich gottlob anders entschieden<br />
hat, kann man sich ab dem 19.<br />
Oktober überzeugen. Dann steht<br />
„sick travellin‘“ bereit, um unter<br />
die Lupe genommen und gedreht<br />
und gewendet zu werden. Und eigentlich<br />
muss sich der Friedrichshainer<br />
keine großen Gedanken<br />
machen, dass die rezeption seines<br />
Werkes irgendwie aus dem ruder<br />
laufen könnte. Denn das, was<br />
in den vergangenen Monaten in<br />
den frisch bezogenen suol-studios<br />
entstanden ist, knüpft da an, führt<br />
die idee des Vorgängers mit einer<br />
Konsequenz auf ein neues Level,<br />
dass die Dancefloors schnell zu<br />
eng werden könnten. Kalkbrenner<br />
hat 14 songs geschaffen, die zu<br />
organisch, zu physisch, zu greifbar<br />
elegant sind, dass sie zu schade<br />
sind, immer nur in der selben<br />
szene zu zirkulieren. Ab Januar<br />
stellt Fritz Kalkbrenner sein Album<br />
in den Clubs vor.
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Musik BLANK I 23
24<br />
I BLANK
Ob DyLAN<br />
hAt‘s KAPUtt GeMACht<br />
Es gibt sie noch, die noch Momente, in denen man nervös und vorfreudig und völlig<br />
unprofessionell unsouverän in Gespräche mit Künstlern stolpert,<br />
die dort eigentlich nichts weiteres tun wollen, als ihre Plattenfilmebücher zu promoten.<br />
Die Konstellation<br />
ist eigentlich<br />
klar, Journalist<br />
fragt, Künstler<br />
berichtet und<br />
am ende schüttelt man sich die<br />
hand, weil der eine seine botschaften<br />
in der regel untergebracht<br />
und der andere ein paar<br />
wohlfeile statements auf band<br />
hat. seelenlose Fließbandarbeit<br />
eben, die angelieferten einzelteile<br />
werden dann nur noch verschraubt<br />
und fertig gemacht. Da<br />
ist es dann auch egal, ob man einen<br />
Multiplatinmusiker trifft oder<br />
ob es sich beim Gegenüber um<br />
die Krawallobrüder von Deichkind<br />
handelt, bei denen selbst<br />
interviews zum unterhaltsamen<br />
teil ihrer inszenierung gehören.<br />
Profunde Vorbereitung, rein-raus,<br />
danke-bitte, fertig. Aber die tage,<br />
an denen man mehr als Frager,<br />
mehr als stichwortgeber ist,<br />
sind im Kulturbereich rar. Umso<br />
schöner wird es dann, wenn die<br />
Nerven mal flattern, weil man<br />
jemanden trifft, der emotionen<br />
beim interviewer selbst auslöst.<br />
Durch seine Aura, durch seine<br />
FotograFie dEnnis Williamson interview Till ERdEnbERgER<br />
Kunst, durch das, wofür er steht.<br />
Das hatte ich bisher zweimal und<br />
das letzte Mal war kürzlich, als<br />
ich Gisbert zu Knyphausen und<br />
Nils Koppruch – zusammen Kid<br />
Kopphausen – treffen durfte.<br />
Wir plauderten übers neue Album<br />
(soviel zum standard), ihre<br />
Zusammenarbeit und ganz viel<br />
über Kraft und Anspruch von<br />
Popmusik. Und am ende war das<br />
ergebnis des Gesprächs dann tatsächlich<br />
mehr, als die summe der<br />
einzelnen teile. Da macht sogar<br />
das Abtippen spaß. Warum mir<br />
Gisbert und Nils viel bedeuten<br />
und warum “i” von Kid Kopphausen<br />
auch von euch geliebt<br />
werden darf, kann jeder seit dem<br />
24.08. selbst erfahren.<br />
Denn wenn es um reduzierten<br />
deutschsprachigen Pop mit tiefgang<br />
geht, ist Gisbert zu Knyphausen<br />
so etwas wie der Mann<br />
der stunde. sein letztes soloalbum<br />
stieg in den Albumcharts bis<br />
auf Platz 12. Nils Koppruch war<br />
mit seiner band Fink einer der<br />
ersten großen Kritikerlieblinge einer<br />
jungen und selbstbewussten<br />
deutschen indiebewegung und ist<br />
heute ein umtriebiger solokünstler.<br />
Zwei Männer, zwei künstle-<br />
„Es war nicht die Idee,<br />
etwas völlig Neues zu machen.<br />
Die Idee war, unsere Qualitäten<br />
zusammen zu führen.“ Nils Koppruch<br />
rische Generationen, die eine gemeinsame<br />
Gegenwart verbindet.<br />
Die besteht aus 13 stücken zwischen<br />
anrührender Melancholie<br />
und entrückter Verve – und ganz<br />
viel dazwischen. reduziert und<br />
ideenreich.<br />
MUSIK<br />
BLANK I 25
„Sind die Zeiten politisch,<br />
kann Popmusik was in den<br />
Leuten auslösen.“Gisbert zu Knyphausen<br />
BLANK: Gisbert, Nils, woher<br />
kam das Vertrauen, als Kid<br />
Kopphausen ein gemeinsames<br />
Album zu produzieren.<br />
NiLs: es gibt ja eine Vorgeschichte:<br />
Wir hatten schon ein<br />
paar songs zusammen geschrieben<br />
und waren auch schon gemeinsam<br />
auf tour. Der Gedanke,<br />
etwas zusammen zu machen,<br />
kam also nicht aus dem Nichts.<br />
Dass eine Zusammenarbeit wirklich<br />
für die Länge eines Albums<br />
funktionieren würde, war uns<br />
früh klar. eigentlich schon, als<br />
wir nach vier tagen unsere erste<br />
gemeinsame songwritingphase<br />
beendet hatten. es war auch<br />
klar, dass wir zusammen Musik<br />
machen wollten, nicht nur unsere<br />
eigenen songs auf einem gemeinsamen<br />
Album zu versammeln.<br />
BLANK: Gab es Momente des<br />
Zweifels?<br />
GisBert: ernsthafte Zweifel<br />
gab es nicht. es gibt natürlich<br />
immer tage, an denen nichts zusammen<br />
laufen will und man sich<br />
fragt, was man überhaupt macht.<br />
Aber das waren keine Zweifel am<br />
Funktionieren des Projekts, sondern<br />
die turnusmäßigen künstlerischen<br />
selbstzweifel.<br />
26 I BLANK MUSIK<br />
BLANK: trotzdem ist das ergebnis<br />
dicht an dem, für das ihr<br />
auch als solokünstler steht. Wäre<br />
unter neuem Namen nicht etwas<br />
mehr experimentierfreude angesagt<br />
gewesen?<br />
NiLs: es war nicht die idee, etwas<br />
völlig Neues zu machen. Die idee<br />
war, unsere Qualitäten zusammen<br />
zu führen. Aber wenn wir noch<br />
mal was zusammen machen, fällt<br />
es vielleicht leichter, sich weiter von<br />
unserem gemeinsamen Anfangspunkt<br />
zu entfernen. hier wollten<br />
wir „nur“ dafür sorgen, dass das<br />
ergebnis mehr als die summe der<br />
einzelnen teile wird.<br />
BLANK: Gab es dafür eine<br />
Strategie?<br />
GisBert: Wir haben nichts<br />
analysiert, sondern den Prozess<br />
einfach laufen lassen. Anders<br />
wäre es auch nicht gegangen.<br />
NiLs: es gab auch im Vorfeld<br />
keine tabus und keinen Plan.<br />
Wir haben erst später ein bisschen<br />
konzeptionell gearbeitet<br />
und hier und dort ein bisschen<br />
etwas abgeschliffen.<br />
GisBert: Ganz am Anfang gab<br />
es die idee, eine ganz reduzierte<br />
Platte zu machen. Aber auch<br />
das haben wir schnell verworfen,<br />
weil früh klar war, dass<br />
wir noch weitere Musiker hinzu<br />
holen wollten, die ihren input<br />
abliefern. es waren immer alle<br />
türen offen für überraschungen<br />
und Kurswechsel.<br />
BLANK: Warum heißt das Album<br />
schlicht „I“? Gibt es schon<br />
einen Masterplan für den weiteren<br />
gemeinsamen Weg?<br />
NiLs: Das ist ein Ansporn für<br />
uns, dass es weiter gehen soll.<br />
sonst hätten wir sie auch „Die<br />
Letzte“ nennen können. Aber ich<br />
hatte schon das Gefühl, dass die<br />
Arbeit an diesem Album etwas<br />
ganz besonderes war, einfach,<br />
weil alles so unheimlich stressfrei<br />
war.<br />
„Ich habe zwar natürlich eine<br />
Meinung zu politischen Themen,<br />
verzichte aber darauf,<br />
dazu einen Song zu machen.“<br />
Gisbert zu Knyphausen
GisBert: so lange wir uns gut<br />
verstehen, kann es gerne weiter<br />
gehen.<br />
NiLs: Wobei das „Gutverstehen“<br />
ja noch lange keine gute<br />
Platte macht. Aber solange dieser<br />
Anspruch, den wir an uns selbst<br />
haben, zu erfüllen ist, geht es<br />
weiter.<br />
BLANK: Textlich sind die Stücke<br />
wie man es erwarten durfte:<br />
Poetisch, unerwartete Bilder<br />
und ein gefühlvolles Spiel mit<br />
dem, was die deutsche Sprache<br />
zu bieten hat. Gab es auch Verse,<br />
die ihr euch gegenseitig ausgeredet<br />
habt?<br />
GisBert: es gab schon ein paar<br />
sätze, bei denen Nils sich geweigert<br />
hat, sie zu singen. Die sind<br />
aber dann meistens trotzdem drin<br />
geblieben und ich habe sie übernommen.<br />
es gibt auch reime, die<br />
vielleicht hier und da Allergien<br />
verursachen können, aber die lassen<br />
sich meistens nicht vermeiden.<br />
ich habe keine Angst davor, die<br />
trotzdem zu benutzen.<br />
BLANK: Warum finden sich<br />
auf der Platte keine politischen<br />
Songs? Ist man als Liedermacher<br />
in politischen Zeiten nicht<br />
eigentlich dazu verpflichtet?<br />
GisBert: ich habe mich ganz<br />
einfach nie in der Lage gefühlt,<br />
einen politischen text zu schreiben,<br />
der meinen Ansprüchen<br />
genügt. in drei Minuten ist nun<br />
mal wenig Platz und dann auch<br />
nur für sätze, die man sofort wieder<br />
in Frage stellen kann. hätte<br />
ich mit 17 meine erste Platte gemacht,<br />
hätte ich mich vielleicht<br />
getraut, inhalte auf Parolenlänge<br />
einzudampfen.<br />
NiLs: es ist auch die Frage, ob<br />
man politisch wirken will. Denn<br />
ich will ja Kunst machen, ich will<br />
nicht Agitator sein. ich glaube,<br />
dass Kunst größer ist als tagespolitik.<br />
Du kannst eine haltung<br />
zeigen, ohne explizit auf tagespo-<br />
MUSIK<br />
BLANK I 27
„Denn wenn keine Fragen offen bleiben,<br />
muss man möglicherweise weiter ziehen.“<br />
Nils Koppruch<br />
litische Dinge zu reagieren. Und<br />
das tun wir sicherlich auch. Aber<br />
die Welt ist wahnsinnig komplex<br />
geworden, es gibt dieses klare<br />
Abgrenzen nicht mehr, diese<br />
einfachen botschaften von Gut<br />
und böse. Und wer als Künstler<br />
reflektiert arbeitet, der wird einsehen,<br />
dass er in einem Popsong<br />
kaum mehr leisten, als ein thema<br />
anzureißen.<br />
GisBert: ich will auch nicht<br />
populistisch sein, dabei wäre es<br />
28 I BLANK MUSIK<br />
ja derzeit einfach, zum beispiel<br />
auf die Finanzbranche einzudreschen.<br />
ich hätte aber den Anspruch,<br />
mich auch in interviews<br />
erklären zu können. Dafür müsste<br />
ich aber alles überblicken, aber<br />
das thema ist viel zu komplex.<br />
Und deshalb habe ich zwar natürlich<br />
eine Meinung zu politischen<br />
themen, verzichte aber darauf,<br />
dazu einen song zu machen.<br />
NiLs: ich möchte es auch in einem<br />
Popsong einfach nicht hören,<br />
tut mir Leid. ich möchte als songwriter<br />
etwas möglichst Zeitloses<br />
machen. Natürlich muss meine<br />
Kunst auch die Zeit widerspiegeln,<br />
in der sie entsteht, aber sie<br />
soll nicht davon begrenzt werden.<br />
BLANK: Kann Popmusik tatsächlich<br />
etwas leisten oder ist<br />
das Verklärung?<br />
NiLs: ich glaube schon, dass sie<br />
zumindest mal in der Lage war,<br />
etwas zu leisten.
GisBert: ist das wirklich so?<br />
Das frage ich mich tatsächlich.<br />
War es nicht andersrum, also<br />
dass die politischen Zeiten die<br />
Musik politisiert und mit bedeutung<br />
aufgeladen haben? Aber du<br />
weißt das besser, du bist ja auch<br />
etwas älter.<br />
NiLs: Popmusik wurde in den<br />
sechzigern von Leuten gemacht,<br />
die eine linke Position bezogen<br />
haben, zwanzig Jahre nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Oder Leute<br />
wie Degenhardt, die eine linke<br />
haltung in Worte und Musik gekleidet<br />
haben.<br />
GisBert: Damals war es für<br />
Musiker auch einfacher, sich in<br />
diesen Protestzug einzureihen<br />
oder sich überhaupt in dieser linken,<br />
politisierten Welt einzuordnen.<br />
heute ist alles viel weniger<br />
homogen.<br />
NiLs: hat nicht auch bob Dylan<br />
die idee des linken Liedermachers<br />
zerstört? Der wollte sich damals<br />
nicht als sprachrohr der Amerikanischen<br />
Linken vereinnahmen<br />
lassen, weil er gesagt hatte, das<br />
würde ihn in seiner Kunst viel<br />
zu sehr begrenzen. sagen wir es<br />
so: Popmusik insgesamt hat, wie<br />
alle gesellschaftlichen Phänomene,<br />
den Zeitgeist beeinflusst und<br />
die Gesellschaft beeinflusst.<br />
GisBert: Genau, der Zeitgeist.<br />
ich glaube, dass die Wirkmacht<br />
von Kunst und Musik ganz entscheidend<br />
davon abhängt, was<br />
gerade in der Gesellschaft selbst<br />
schon akut ist. sind die Zeiten<br />
politisch, kann Popmusik was in<br />
den Leuten auslösen.<br />
NiLs: Um also auf den Anfang<br />
der Diskussion zurück zu kommen:<br />
Politische Lieder oder die<br />
Kunst des politischen Lieds, wie<br />
es damals von der Liedermachergeneration<br />
um Wader und Co.<br />
gespielt wurde, lässt sich nicht mit<br />
dem Abstand von 30 Jahren reproduzieren.<br />
Der politische song,<br />
der heute gehört werden würde,<br />
würde auch ganz sicher nicht von<br />
einem Mann mit einer Akustikgitarre<br />
stammen.<br />
GisBert: Vielleicht würden<br />
auch die Medien, die nach Musikern<br />
mit haltung gieren, auf<br />
genau denjenigen einprügeln, der<br />
sich dann tatsächlich hinstellt und<br />
diesen neuen typus Protestsong<br />
spielt. Nach dem Motto „Wie<br />
kannst du es dir anmaßen, hier<br />
zu urteilen, du kleiner Musiker?“<br />
trotzdem würde ich irgendwann<br />
gerne einen song machen, der<br />
explizit eine politische haltung<br />
transportiert. Aber erst, wenn ich<br />
mich dazu in der Lage fühle.<br />
BLANK: Der Opener von „I“<br />
fragt „Wer bin ich?“. Treibt euch<br />
das tatsächlich um?<br />
NiLs: Das ist nicht die Frage, die<br />
ich mir jeden tag stelle, aber es ist<br />
natürlich ein universelles thema:<br />
Auf seinem Lebensweg die Antwort<br />
auf die Frage zu finden „Wer<br />
bin ich oder wer kann ich sein?“<br />
BLANK: Der Lebensweg von<br />
Kid Kopphausen führt euch<br />
auch in Kürze über die Bühnen<br />
der Republik.<br />
GisBert: Ja, wir werden sehr<br />
viel mit der band unterwegs<br />
sein. so lange, wie uns die Leute<br />
hören wollen. Dann werden<br />
wir das irgendwann abkappen<br />
und uns wieder an die Arbeit<br />
für unsere nächsten soloplatten<br />
machen. im Moment hat Kid<br />
Kopphausen aber absolute Priorität<br />
für uns beide.<br />
BLANK: 13 Stücke sind aber<br />
kein abendfüllendes Programm,<br />
oder?<br />
NiLs: Das Grundgerüst werden<br />
natürlich die neuen songs sein.<br />
Aber ich möchte unbedingt auch<br />
Gisbert eines seiner stücke spielen<br />
sehen. Dann noch ein song<br />
von mir und dann mal sehen,<br />
was noch spaß macht.<br />
BLANK: Würde es auch Spaß<br />
machen, euch gegenseitig bei<br />
der Klärung der „Wer bin ich?“-<br />
Frage zu helfen?<br />
NiLs: Wenn man das Gefühl<br />
hat, genau zu wissen, wer der<br />
andere ist, würde möglicherweise<br />
viel uninteressant werden.<br />
Und das wäre möglicherweise<br />
das ende der Zusammenarbeit.<br />
Denn wenn keine Fragen offen<br />
bleiben, muss man möglicherweise<br />
weiter ziehen.<br />
MUSIK<br />
BLANK I 29
30<br />
I BLANK
Von wo ist der Weg in die weite Welt und das Bewusstsein einer styleaffinen Generation wohl am<br />
weitesten? Möglicherweise aus der dänischen Provinz? Emil Kozak muss eine Abkürzung gefunden<br />
haben: Der Däne ist einer der spannendsten Grafikdesigner unserer Zeit.<br />
F<br />
WeNN es erst MAL<br />
rOLLt<br />
FotograFie zooom.aT, UlRiCH gRill / aRTWoRk by Emil kozak, WWW.Emilkozak.Com text Till ERdEnbERgER<br />
ür den kleinen<br />
emil begann alles<br />
in nämlicher Provinz<br />
im Norden<br />
europas. Und zwar<br />
mit einem orangefarbenen Plastikskateboard,<br />
das er zu seinem<br />
7. Geburtstag geschenkt bekam.<br />
stundenlang spielte der heute<br />
31-jährige im Wohnzimmer der<br />
Oma, verfiel dem board immer<br />
mehr und sog alles auf, was mit<br />
der Kultur des boardens zusam-<br />
men hing. Die tage waren gefüllt<br />
mit herumfahren in seiner heimatstadt,<br />
der Lektüre der einschlägigen<br />
<strong>Magazin</strong>e und dem<br />
Anschauen von skatefilmen,<br />
die den style und die Attitude<br />
der kalifornischen szene in die<br />
gute stube der Kozaks transportierten.<br />
„Was mich wirklich<br />
und endgültig mit dem skaten<br />
und der skateszene zusammen<br />
geschweißt hat, war die Kreativität,<br />
die in der szene allgegenwärtig<br />
war. es hat mich schlicht<br />
umgehauen, die typen zu sehen,<br />
wie lässig sie waren. All die Farben,<br />
die Musik, die Designs. Und<br />
natürlich, wie sie ihr equipment<br />
nicht übernommen haben, wie<br />
es aus der Fabrik kam, sondern<br />
„Es hat mich schlicht umgehauen,<br />
die Typen zu sehen, wie lässig<br />
sie waren. All die Farben,<br />
die Musik, die Designs.“<br />
es weiter entwickelt und jedes<br />
board zu einem einzelstück gemacht<br />
haben.“ Fasziniert von<br />
den ausdrucksstarken Designs<br />
der skateboardszene, begann<br />
Kozak eine Ausbildung als Designer<br />
und erlag schnell der An-<br />
ziehungskraft der Kunst. „ich<br />
übernahm jede Arbeit, die ich an<br />
Land ziehen konnte. Alles, was<br />
wenigstens ein bisschen nach Design<br />
roch. ich habe wirklich hart<br />
gearbeitet und nie das Wichtige<br />
aus den Augen verloren.“<br />
seine jahrelange hingabe<br />
zahlte sich bald aus: Der legendäre<br />
skatebekleidungshersteller<br />
VANs klopfte an seine tür –<br />
LIFESTYLE<br />
BLANK I 31
uchstäblich aus dem Nichts.<br />
„ich bin ein VANs-Fan, seit ich<br />
ein Kind war. ich muss gestehen,<br />
ein wenig ausgerastet zu sein,<br />
als sie sich bei mir meldeten. ich<br />
wollte Kunst schaffen, wie ich<br />
es noch nie vorher getan habe,<br />
ich habe also verdammt viel in<br />
diesen Job investiert. es war eine<br />
harte Zeit – aber natürlich im<br />
besten sinne.“<br />
Mit seiner Arbeit für VANs<br />
katapultierte sich emil endlich<br />
auch als Designer in die skatewelt.<br />
eine leidenschaftliche<br />
beziehung war damit endgültig<br />
besiegelt und mit den höchsten<br />
Weihen versehen. emil Kozak<br />
designt für VANs, damit kam<br />
zusammen, was zusammen gehörte.<br />
seine Liebe zum skateboarding<br />
und seine spanische Freundin<br />
haben Kozak dann vor ein paar<br />
Jahren aus seiner heimat nach<br />
barcelona gelockt. Dort, wo der<br />
Designer heute lebt und mittlerweile<br />
ein Designstudio aufgebaut<br />
hat und namenhafte brands aus<br />
32 I BLANK LIFESTYLE<br />
„Die Marken kommen zu mir,<br />
weil sie nach visuell sehr starken<br />
Designs mit Gegensätzen<br />
suchen – dänisches Design<br />
made in Barcelona.“<br />
aller Welt betreut. „Die Marken<br />
kommen zu mir, weil sie nach<br />
visuell sehr starken Designs mit<br />
Gegensätzen suchen – dänisches<br />
Design made in barcelona“, erzählt<br />
der hispano-Däne.<br />
inspiriert sind seine einzigartigen<br />
Arbeiten von skateboards,<br />
Natur, surfen, Fotografie, Popkultur<br />
und allem dazwischen,<br />
zu seinen Vorbildern gehören<br />
Milton Glaser, Man ray, David<br />
Lynch oder herb Lubalin.<br />
entstanden ist sein markanter<br />
stilmix aus typografie, klaren<br />
Linien und lebendigen Farben.<br />
„ich stehe normalerweise sehr<br />
früh auf, um noch ein paar Wellen<br />
zu reiten bevor der rest der<br />
Welt aufwacht und ich tagsüber<br />
Mails bearbeiten und Korrekturen<br />
erledigen muss. Wenn der<br />
tag ausklingt, setze ich mich an<br />
neue entwürfe. ich bin also tagsüber<br />
Grafikdesigner und nachts<br />
Künstler.“ im Moment steckt<br />
emil mitten in der entwicklung<br />
der surf-Marke „Locals Only“.<br />
basieren tut deren Philosophie
auf der idee, dass nicht wir Menschen<br />
das Zentrum des Universums<br />
sind, sondern Mutter Natur<br />
der rechtmäßige inhaber dieser<br />
erde ist. Dass der Junge, der einst<br />
in der dänischen Provinz seine<br />
Karriere begann, inzwischen<br />
eine eigene Marke geworden ist,<br />
manifestiert sich nicht zuletzt in<br />
einer erneuten Kooperation, die<br />
nur auf den ersten blick seltsam<br />
anmutet. emil Kozak ist ein Gesicht<br />
der neuen braun cruZer-<br />
Kampagne und ist damit zum<br />
ersten Mal in seiner Laufbahn<br />
das testimonial einer Weltmarke.<br />
„Okay, auf den ersten blick<br />
wirkt es ungewöhnlich, dass ich<br />
mit ihnen zusammen gekommen<br />
bin, aber dann war es doch irgendwie<br />
eine naheliegende und<br />
gute Kombination: Genau so wie<br />
bei meinen Arbeiten<br />
dreht sich bei ihnen<br />
alles um style.<br />
Und außerdem:<br />
ich bin auch leidenschaftlicher<br />
„Ich hoffe, meine Arbeit<br />
kann uns daran erinnern,<br />
dass Vorstellungskraft die<br />
Erdanziehung überwinden<br />
und die Zeit anhalten kann.“<br />
bartträger und drücke meine<br />
Persönlichkeit gern über meinen<br />
Look aus.“ es scheint, als nehme<br />
alles seine logische, natürliche<br />
entwicklung, im Leben des<br />
Künstlers. Alles kommt zu dem,<br />
der warten kann. Die Zukunft<br />
sieht also rosig aus für emil Kozak.<br />
Und seine positive einstellung<br />
will er durch seine Kunst mit uns<br />
teilen. „ich hoffe, meine Arbeit<br />
kann uns daran erinnern, dass<br />
Vorstellungskraft die erdanziehung<br />
überwinden und die Zeit<br />
anhalten kann. es liegt in unserer<br />
hand, jede sekunde zu genießen,<br />
das kann niemand anderes für<br />
uns übernehmen. habt spaß, esst<br />
süßes, tut, was ihr liebt und liebt,<br />
was ihr tut … Wir könnten schon<br />
morgen von dieser drehenden<br />
Kugel aus flüssigem Kern und<br />
Mantel gekickt werden.“<br />
Mehr infos zu emil als testimonial<br />
für braun cruZer findet<br />
ihr hier.<br />
LIFESTYLE<br />
BLANK I 33
seid nicht traurig, dass der sommer vorbei ist. so toll war er ja auch nicht. oder?<br />
Und so ein richtiger, grauer Herbst hat ja auch sehr viel schönes.<br />
die Preise aus unserem gewinnspiel zum beispiel. Wieder gibt es etwas zum anziehen, etwas zum daddeln<br />
und natürlich etwas für euren style. damit der Herbst am Ende vielleicht sogar noch etwas charmanter wird,<br />
als der sommer es ja eh irgendwie nicht war. Wie ihr euch selber eine Freude machen könnt?<br />
schreibt bis zum 31.10. eine mail mit dem betreff „verlosung“ und euren<br />
drei Traumgewinnen an verlosung@blank-magazin.de.<br />
34 I BLANK MODE & LIFESTYLE<br />
Der<br />
Herbst<br />
Kann Kommen<br />
eastpak rucksack<br />
core series<br />
Wenn der heimische Herbst zu ungemütlich wird, muss man sich<br />
einfach mal auf die Reise machen. Unbürokratisch, ein spontaner<br />
städtetrip und nur mit kleinem gepäck? kleines gepäck kommt<br />
nicht infrage, der Rest aber stimmt schon? dann solltet ihr unbedingt<br />
diesen EasTPak-Rucksack aus der neuen Core-serie<br />
als Reisebegleiter wählen. Ein robustes Raumwunder, das dich<br />
in jeder metropole der Welt glänzen lassen kann.
MarcHé<br />
custoMer card<br />
Ein letztes stückchen Heimat vor dem Urlaub?<br />
Ein schnelles Häppchen auf dem Weg zum geschäftstermin?<br />
delikatessen für die Wartezeit?<br />
marché hält all das bereit. an bahnhöfen und<br />
Flughäfen in ganz deutschland halten die leckereienläden<br />
in grün Frisches und ausgefallenes für<br />
ihre gäste auf der durchreise bereit. Wir halten<br />
sechs gutscheine bereit, damit ihr es euch auch<br />
mal so richtig gut gehen lassen könnt.<br />
braun cruZer<br />
rasierer<br />
man kennt das: Tausend bartideen, irgendwo ein<br />
gutes vorbild entdeckt aber das eigene material<br />
gibt nur vollbart oder gesichtsglatze mit ausgefransten<br />
kanten her. Rettung naht: Wir freuen uns,<br />
dich ab sofort auf deinem Weg zum Trendsetter<br />
mit dem passenden Werkzeug unterstützen zu<br />
können. denn braun stellte uns freundlicherweise<br />
zur verfügung: jeweils einen braun cruzer face,<br />
braun cruzer beard&head und braun cruzer body.<br />
damit gibt es ab sofort nur noch die klare kante<br />
und Hochpräzisionsschnitte für gesicht, kopf und<br />
körper. „Trimming and styling“ mit Equipment, das<br />
hält, was es verspricht.<br />
mehr infos: shaveyourstyle.com<br />
MODE & LIFESTYLE<br />
BLANK I 35
oilily scHal<br />
Es liegt auf der Hand: dieser Preis ist ein „must Have“,<br />
so kurz bevor es wirklich kalt wird. oilily hat uns einen<br />
schal für euch überlassen, der sich wie eine zweite Haut<br />
um den Hals schmiegt. Wohlig warm, edel elegant im<br />
beliebten oilily-orientprint. genau das richtige für einen<br />
Herbst an der frischen luft oder auf gesellschaftlichen<br />
verpflichtungen. dieses Tuch macht aus seinem Träger<br />
auf jedem Parkett einen virtuosen.<br />
36 I BLANK MODE & LIFESTYLE<br />
laufscHuH<br />
saucony kinvara 3<br />
sportlich in den Herbst: mit dem saucony kinvara 3 ist ein<br />
glücklicher gewinner künftig auf ganz schlanken sohlen auf<br />
den spuren gebreselassies unterwegs. denn wenn optik<br />
und Hightechfunktionalität eine symbiose eingehen, dann<br />
wird es eigentlich fast schon professionell. der kinvara 3<br />
wurde aber trotzdem für Hobbysportler designt und konzipiert.<br />
komfort wird großgeschrieben, laufen muss man<br />
aber dennoch immer noch selbst. aber das macht auch<br />
nichts. denn mit dem richtigen material an den Füßen ist<br />
der innere schweinehund schon halb gebändigt.
007 legends<br />
für ps3<br />
Wie, ihr habt die Ps3 über den sommer vernachlässigt?<br />
kann doch gar nicht sein. dann wird<br />
es jetzt aber allerhöchste zeit, das gute stück<br />
wieder zu entmotten. Und wir geben euch den<br />
entscheidenden schubs: mit dem neuen „007<br />
legends“ werdet ihr kaum noch die Controller<br />
aus der Hand legen wollen. sechs bond-klassiker<br />
in einem spiel, denken, Rennen, schießen auf<br />
dem Wasser, an land und im Weltraum. mehr<br />
geht nicht für bond-konsoleros!<br />
duft “freedoM<br />
toMMy Hilfiger“<br />
„kreiert für den mann, der in seinem leben aus dem vollen<br />
schöpft“, „inspiriert durch das offene meer und einen endlosen<br />
Horizont“, „das gefühl von Freiheit in einem Flakon“.<br />
Treffender und verführerischer als die Herstellerinfo können<br />
wir euch diesen gewinn gar nicht – buchstäblich – unter die<br />
nase reiben. „Freedom Tommy Hilfiger“ heißt dieser duft,<br />
den wir zweimal als Eau de Toilette im 50ml-Flakon verteilen<br />
dürfen. nochmal der Hersteller: „der mann, der Tommy Hilfiger<br />
Freedom trägt, ist der vollendete gentleman mit einem<br />
rebellischen geist.“ dem lässt sich nichts mehr hinzufügen.<br />
MODE & LIFESTYLE<br />
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38<br />
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Mehr<br />
MAJACO<br />
FotograFie maTTHias david<br />
Haare & Make-Up RabEa sCHaEFERs<br />
Styling & ClotHing maJaCo<br />
Model nadJa maCiEl<br />
aUSFüHrliCHeS labelportrait von MajaCo deMnäCHSt aUF<br />
WWW.blank-magazin.dE<br />
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text Und FotograFie Roman libbERTz<br />
irgendwann habe ich mich in deinen schwebenden basketball verliebt, vierzehn, so alt<br />
muss ich damals gewesen sein. im anschluss haben wir uns dann einige zeit nicht mehr<br />
gesehen und da mein Faible für michael Jackson, wie du vielleicht noch weißt,<br />
nach der „bad“-Tournee abrupt endete, habe ich diese Porzellanstatue ehrlich gesagt auch<br />
nie so richtig verstehen wollen. Ebenso erging es mir bei den mit deiner Ex-Ehefrau,<br />
dem ehemaligen italo-Pornostar Cicciolina, produzierten pornographischen Photoarbeiten,<br />
wie auch bei der statue von Euch beiden. nichts brachte mein frühpubertäres gefühl zurück.<br />
ich kann dir also auch nicht wirklich sagen, warum ich letzte Woche plötzlich so<br />
unbedingt die fast 400 kilometer nach Frankfurt auf mich nehmen musste,<br />
aber dort habe ich es wieder gefunden, genau das gleich gefühl,<br />
das du mir vor zwanzig Jahren geschenkt hast.<br />
danke schirn, liebieghaus und allen voran danke Herr koons.<br />
Und wie herrlich war es alle anderen besucher auch wieder in einer art Taumel zu erleben.
ZWei<br />
JUNGs<br />
<strong>UND</strong> Die<br />
KUNst<br />
FotograFie Roman libbERTz text nilz bokElbERg<br />
Mein bester Freund Roman und ich haben uns mal ein<br />
Wochenende geleistet. Wir sehen uns so selten im Jahr,<br />
er aus München, ich aus Berlin, dass es durchaus angemessen<br />
scheint, die Male, die wir uns sehen, zu zelebrieren und zu etwas<br />
besonderem zu machen. Deswegen haben wir unser Treffen<br />
auf einen Ort verlegt, den wir beide schon immer mal besuchen<br />
wollten: Die Documenta in Kassel.<br />
i<br />
ch hab schon viel davon<br />
gehört und mich<br />
zumindest beim letzten<br />
Mal wirklich geärgert,<br />
nicht da gewesen zu<br />
sein. Diese Versammlung von<br />
allem, was in zeitgenössischer<br />
Kunst rang und Namen hat,<br />
in einem eher überschaubaren<br />
Örtchen wie „Kassel“, das find<br />
ich vom Konzept her schon ganz<br />
gut. Die ganze stadt wird bespielt,<br />
aber die stadt ist halt nicht<br />
groß. super. Wie im simpsons-<br />
Film, als diese riesige Käseglocke<br />
über springfield gestülpt wird<br />
und nichts raus kann.<br />
in meinen romantischen Vorstellungen<br />
haben inspirationen<br />
an jeder ecke auf mich gewartet:<br />
Nirgends ist man sicher vor einer<br />
eventuellen Performance, bei der<br />
sich eine nackte Frau mit einem<br />
bärtigen Mann auf einem schimmel<br />
sitzend mit rohen eiern bewerfend<br />
duellieren, mitten in der<br />
Fußgängerzone, zwischen Mc-<br />
Donalds und starbucks. Dazu<br />
ausgestellte Künstler, die nicht<br />
alles auf den Kopf stellen wollen,<br />
die aber zwingende ideen haben,<br />
ideen denen man anmerkt, dass<br />
sie aus ihnen raus mussten. Wie<br />
ein Kind, das raus muss, weil<br />
man es nicht länger ernähren<br />
kann im bauch. es ist fertig, es<br />
gehört jetzt auf die Welt. Kunst,<br />
die ich nicht sofort verstehe, vielleicht<br />
auch welche, die ich gar<br />
<strong>KUNST</strong><br />
BLANK I 61
Mein ästhetisches Empfinden,<br />
das eine sehr weit ausgelagerte<br />
Schmerzgrenze hat, will beleidigt<br />
werden. Oder umarmt.<br />
Nur nicht links liegen gelassen.<br />
nicht verstehe. Aber die mich<br />
fordert. Die mit mir ein kleines<br />
Kämpfchen austragen will, eine<br />
rauferei um Assoziationen, ein<br />
schwitzkasten für interpretationen.<br />
Um sich danach lachend<br />
die hand zu geben und zu sagen,<br />
dass man gewonnen hat. Denn<br />
das soll natürlich auch spaß ma-<br />
62 I BLANK <strong>KUNST</strong><br />
chen. ich liebe diese hirn-Kämpfe.<br />
Und Krämpfe, klar, die auch.<br />
Mir kann ja nicht alles gefallen<br />
und das soll es gefälligst auch<br />
nicht. Mein ästhetisches empfinden,<br />
das eine sehr weit ausgelagerte<br />
schmerzgrenze hat, will<br />
beleidigt werden. Oder umarmt.<br />
Nur nicht links liegen gelassen.<br />
ich gebe zu: Das sind hohe erwartungen.<br />
Aber das sind tatsächlich<br />
genau die erwartungen, die<br />
ich für mich persönlich an Kunst<br />
stelle. Alles, was darunter liegt, ist<br />
gefällig. Dabei meine ich keineswegs,<br />
dass Kunst immer die überfrachtete<br />
Message haben muss.<br />
Meinetwegen kann die manchmal<br />
auch einfach nur gut aussehen. ich<br />
will mit meiner Freundin ja auch<br />
nicht immer über die politische<br />
Weltlage diskutieren, manchmal<br />
freu ich mich ja auch einfach nur,<br />
wenn sie mir zum beispiel ihre<br />
brüste zeigt. Das ist dann die Lust<br />
an der Ästhetik, für Kunst (und<br />
beziehungen) eine nicht zu vernachlässigende<br />
Größe.
Dabei meine ich keineswegs, dass Kunst immer die<br />
überfrachtete Message haben muss. Meinetwegen kann<br />
die manchmal auch einfach nur gut aussehen.<br />
Ich will mit meiner Freundin ja auch nicht immer<br />
über die politische Weltlage diskutieren,<br />
manchmal freu ich mich ja auch einfach nur,<br />
wenn sie mir zum Beispiel ihre Brüste zeigt.<br />
ich habe im Vorfeld relativ bewusst<br />
wenig über die Documenta<br />
gelesen, ich wollte das erstmal<br />
vor Ort auf mich wirken lassen.<br />
ich hab zwar mitbekommen,<br />
dass die künstlerische Leiterin<br />
Carolyn Christov-bakargiev hier<br />
und da kritisiert wurde, aber in<br />
meiner erinnerung war das bisher<br />
bei jeder Documenta so und<br />
vielleicht kann das ja auch gar<br />
nicht ausbleiben, wenn man so<br />
eine große schau verantwortet.<br />
irgendwer fühlt sich da ja im-<br />
mer auf den schlips getreten und<br />
irgendwie mag das ja vielleicht<br />
auch der sinn und die Kraft einer<br />
solchen Veranstaltung sein.<br />
ins blaue gemutmaßt.<br />
to cut a long story short:<br />
Nachdem ich nun die Documenta<br />
gesehen habe, würde ich<br />
die Dame auch kritisieren. Klar,<br />
niemand ist alleine für so eine<br />
Geschichte verantwortlich, aber<br />
Part ihres Jobs ist es ja auch,<br />
die Kritik an der schau auf sich<br />
als Person zu bündeln und Kraft<br />
dieses Amtes muss ich ihr bescheinigen,<br />
vielleicht eine sehr<br />
langweilige Person zu sein, die<br />
irgendwie nichts zu sagen hat,<br />
aber denkt, sie müsste dringend<br />
was zu sagen haben, weswegen<br />
sie sich eine botschaft auf den<br />
bauch schnallt und damit durch<br />
Kassel rennt, in der hoffnung,<br />
dass man sie nun als sehr politisch<br />
wahrnimmt. so kam das<br />
bei mir an.<br />
Okay, ich hab nicht alles gesehen.<br />
ich würde gerne wissen,<br />
ob überhaupt irgendjemand alles<br />
gesehen hat. Diese Ausstellung<br />
erschlägt einen mit so einer<br />
Masse an Kunst, auf die ganze<br />
stadt verteilt, dass man gar nicht<br />
weiß, wo man anfangen soll<br />
oder weiter machen oder aufhören.<br />
Man beginnt zu filtern, sich<br />
quasi seine eigene Ausstellung<br />
zusammenzubauen, die natürlich,<br />
man will ja offener Kunstinteressierter<br />
sein, auch sachen<br />
berücksichtigt, die einem erstmal<br />
komisch vorkommen, aber<br />
<strong>KUNST</strong><br />
BLANK I 63
im Großen und Ganzen dann<br />
doch eher das abdeckt, was einen<br />
wirklich interessiert.<br />
ein paar wenige Arbeiten haben<br />
es mir dann aber auch angetan:<br />
Ontem, areias movediças<br />
(Gestern, Flugsand)<br />
von Renata Lucas<br />
Die brasilianische Künstlerin<br />
hat eine Arbeit gemacht, die aus<br />
einem schönen und beeindruckenden<br />
praktischen teil besteht,<br />
der auch das erste war,<br />
was ich davon gesehen hab:<br />
im Keller des Fridericaneums,<br />
des zentralen Ausstellungsortes<br />
der Documenta, sind an den<br />
holzvertäfelten Wänden dieses<br />
64 I BLANK <strong>KUNST</strong><br />
Dieser graue Beton,<br />
das hat auch eine gewisse Macht,<br />
eine bestimmte Kraft.<br />
„klassischen“ Gewölbekellers<br />
(der so deutsch anmutet, dass<br />
man sich vorkommt wie im<br />
„rathaus-Keller“, einer Lokalart,<br />
die es vermutlich in jeder<br />
(west)deutschen Kleinstadt gibt<br />
– oftmals auch nur „ratskeller“<br />
genannt) plötzlich ganz glatte<br />
und schräge betonflächen, die<br />
weit in den raum hineinragen.<br />
Das hat mich beeindruckt, die<br />
sahen toll aus. Dieser graue beton,<br />
das hat auch eine gewisse<br />
Macht, eine bestimmte Kraft.<br />
Vor allem wenn der so in den<br />
raum hineinläuft. Das ist so<br />
brachial. beton kann man auf<br />
alles drauf machen und es wird<br />
sofort auch zu beton. Daran hab<br />
ich totalen spaß gehabt. eine<br />
wirklich tolle Arbeit. Aber vor<br />
allem war es das noch gar nicht.<br />
Abends in unserer schlafstätte<br />
(ein Zimmer in einem studentischen<br />
Öko-Pavillon, erbaut von<br />
Architekturstudenten) hab ich<br />
im Katalog noch gelesen, um<br />
was es Lucas eigentlich ging mit<br />
ihrer Arbeit: Diese betonfundamente<br />
waren noch an zwei anderen<br />
Orten am Friedrichsplatz<br />
zu finden, nämlich im Keller des
örtlichen Kaufhofs und in einem<br />
Privathaus. Zusammen ergeben<br />
sie die ecken des Fundaments<br />
einer Pyramide, die so theoretisch<br />
über dem Platz liegt. Wie<br />
cool! ich hab mich gleich noch<br />
mal so sehr über die Arbeit gefreut,<br />
als ich das gelesen hab.<br />
Viel später hab ich noch gelesen,<br />
dass in den betonkonstrukten<br />
W-Lan-router versteckt waren,<br />
mittels derer man sich auf einem<br />
smartphone oder iPad oder<br />
so bestimmte Videos angucken<br />
konnte, die zeigen wie … ich<br />
hab’s schon wieder vergessen.<br />
Warum muss man die eigene<br />
Arbeit so überfrachten?<br />
d(13)pfad<br />
von Natascha Sadr Haghighian<br />
Zugegeben: bei dem Namen<br />
der installation von haghighian<br />
möchte man gar nicht meinen,<br />
es mit einer kreativen Person zu<br />
tun zu haben, aber ihre Arbeit<br />
für die Documenta war tatsächlich<br />
die spannende Umsetzung<br />
einer guten idee: Die Karlsaue,<br />
diese riesen Grünanlage mitten<br />
in der stadt, liegt tiefer als der<br />
rest der stadt und ist deshalb<br />
nur über lange treppen oder<br />
Wege zu erreichen. Mitten in<br />
die böschung hat die berliner<br />
Künstlerin einen trampelpfad<br />
angelegt, den man von der oberen<br />
strasse aus sogar nur mit<br />
einer Leiter erreicht. Wenn man<br />
diesen trampelpfad entlanggeht,<br />
hört man aus in den Gebüschen<br />
versteckten Lautsprechern allerlei<br />
von Menschen nachgemachte<br />
tiergeräusche, die sich herrlich<br />
bescheuert anhören. Das alleine<br />
Wenn man diesen Trampelpfad<br />
entlanggeht, hört man aus in den<br />
Gebüschen versteckten Lautsprechern<br />
allerlei von Menschen nachgemachte<br />
Tiergeräusche, die sich herrlich<br />
bescheuert anhören.<br />
Das alleine hätte mir schon gereicht.<br />
hätte mir schon gereicht. Ließe<br />
ja zur Not auch genügend interpretationsspielraum<br />
– als Kommentar,<br />
wie der Mensch sich der<br />
Natur aufdrängt zum beispiel.<br />
Aber dahinter steckt noch mehr,<br />
wie ich auch in diesem Fall erst<br />
später nachgelesen hab: Die<br />
Aufnahmen der tiergeräusche<br />
sind „onomatopoetisch“ (geiles<br />
Wort für Galgenmännchen):<br />
Also tierlaute aus verschiedenen<br />
sprachen. Während wir für den<br />
hund „Wau Wau“ sagen, sagen<br />
ja englischsprachige Länder zum<br />
beispiel „Woof Woof“ und so<br />
weiter. in dreißig verschiedenen<br />
sprachen tönt es auf dem Pfad<br />
aus dem Gebüsch, eingesprochen<br />
von Migranten aus Kassel.<br />
Dazu noch die tatsache, dass die<br />
böschung eigentlich auf schutt<br />
aus den Nachkriegsjahren basiert<br />
und die ersten Migranten in<br />
Kassel noch in den ehemaligen<br />
Zwangsarbeiterlagern untergebracht<br />
wurden, während man<br />
auf den trümmern des Krieges<br />
12.000 rosen pflanzte. Mit dem<br />
<strong>KUNST</strong><br />
BLANK I 65
Wissen im hinterkopf, bekommt<br />
der Pfad noch eine spannende<br />
Meta-ebene, mit der man sich<br />
zwar nach der Ausstellung nie<br />
wieder beschäftigen wird, aber<br />
für den Moment reicht das ja<br />
vielleicht auch. schöne Arbeit.<br />
Reflection Room<br />
von Marco Lutyens<br />
Die Künstler, die nicht in einem<br />
der haupthäuser ausstellen,<br />
bekamen in der Karlsaue<br />
hütten gestellt, die sie nach<br />
eigenem empfinden bauen/umbauen<br />
konnten. Wie es ihr Werk<br />
eben verlangte. eine besonders<br />
schöne Fleißarbeit ist dabei<br />
Lutyens gelungen: Die hütte,<br />
die man betritt, ist eher etwas<br />
karg eingerichtet: ein Kamin,<br />
ein hocker, eine hängelampe<br />
und ein getrübtes Fenster. Aber:<br />
Direkt darunter ist der gleiche<br />
raum noch mal, in echt, aber<br />
gespiegelt. Der hat also ein Loch<br />
ausgehoben, auf dem standplatz<br />
seines Pavillons und den exakt<br />
selben raum nach unten noch<br />
mal nachgebaut. super. ein sehr<br />
lustiger Mindtwist, wenn man<br />
davor steht. Allerdings: Man<br />
kann nur von einer brüstung<br />
nach unten gucken und sich den<br />
raum ansehen. Das schadet leider<br />
dem effekt, man wird nur<br />
66 I BLANK <strong>KUNST</strong><br />
noch Zuschauer und die Unechtheit<br />
ist sofort klar, man ist aus<br />
der idee ausgeschlossen, durch<br />
ein Metallgeländer. Das hat mir<br />
den spaß leider ein wenig getrübt.<br />
Aber dennoch: toll, aufwendige<br />
Arbeit. respekt dafür.<br />
Lutyens selbst hielt in dem raum<br />
regelmäßig hypnosesitzungen<br />
ab, was auch dem Werk selber<br />
entspricht: er wollte damit versuchen<br />
das Unbewusste zu visualisieren<br />
und den Zustand während<br />
einer hypnose greifbarer,<br />
erlebbarer machen. Wie gesagt:<br />
Wenn man den raum wirklich<br />
hätte erleben dürfen, hätte das<br />
vielleicht auch geklappt. bleibt<br />
aber auf jeden Fall gut in erinnerung.<br />
The Importance of Telepathy<br />
von Apichatpong<br />
Weerasethakul<br />
eine riesige statue eines Geistes,<br />
der wie aus einem asiatischen<br />
Geisterfilm entsprungen<br />
aussieht. Das war die Arbeit, die<br />
roman unbedingt sehen wollte.<br />
Und nachdem wir ein wenig ziellos<br />
durch die Karlsaue gestolpert<br />
Da war nichts zwingendes dabei,<br />
nichts was mich geschüttelt hätte.<br />
sind, haben wir sie auch endlich<br />
gefunden: Prominent mitten<br />
auf einer Lichtung steht sie,<br />
als hätte sie schon immer dort<br />
gestanden. eingerahmt von gro-<br />
ßen bäumen, von denen einige<br />
auch noch hängematten zum<br />
ausruhen anbieten. schön. Die<br />
statue selbst sieht toll aus. Wie<br />
so asiatische Geisterfiguren eben<br />
immer so aussehen: Man ist sich<br />
nie sicher, ob man sich gruseln<br />
oder amüsieren soll. Und genau<br />
mit dieser Gratwanderung spielen<br />
die Geschichten ja üblicherweise<br />
auch. Die Angst vor der<br />
Metamorphose (des Anderen)<br />
ist ein oft verwendetes stilmittel<br />
in asiatischen erzählungen.<br />
Damit spielen diese Figuren, die<br />
eigentlich wie schrumpelomas<br />
aussehen, die aber immer ein bedrohliches<br />
Moment des „jetzt<br />
werde ich gleich zum Monster“<br />
haben. Die statue in der<br />
Karlsaue funktioniert auch so.<br />
riesengroß, weiß wie ein Gespenst,<br />
taucht sie plötzlich im<br />
blickfeld auf. Alles bedrohliche,<br />
„gruselige“ eigenschaften. Aber<br />
dieses schrumpelige Gesicht mit<br />
einem dicken Auge, davor muss<br />
man doch eigentlich keine Angst<br />
haben! Leichtes, angenehmes<br />
Unwohlsein beschleicht einen.<br />
Und diesen Gegensatz zu spüren,<br />
das ist spannend. Dass der<br />
Geist auch ein Mahnmal für<br />
die Menschenrechtsverletzungen<br />
in thailand sein soll, wirkt<br />
wie draufgesetzt, um dem Werk<br />
noch politische bedeutung zu<br />
verleihen, weil das auf der Documenta<br />
alle haben. Das braucht es<br />
aber gar nicht und kann getrost<br />
ignoriert werden. Ohne so eine<br />
politische interpretationshilfe<br />
funktioniert die viel besser.
Es war ein Ausverkauf von<br />
verschiedenen, ähnlichen Haltungen.<br />
Kein Ausbruch, kein Infragestellen.<br />
Das waren die ausstellerischen<br />
highlights. Die Organisation<br />
rund um die Ausstellung ist<br />
großartig, alles hat reibungslos<br />
geklappt. Aber meine erste Documenta<br />
lässt mich mit einem<br />
riesigen Fragezeichen zurück.<br />
Gar kein spannendes, das mir<br />
dabei hilft, Fragen zu finden,<br />
von denen ich gar nicht wusste,<br />
dass ich sie mir stellen könnte.<br />
ich hab auch meinen blick auf<br />
die Welt nicht geändert oder<br />
wenigstens in Frage gestellt,<br />
noch hab ich ihn bestätigt bekommen.<br />
Das wäre alles auch<br />
gar nicht so schlimm, hätte ich<br />
nicht das Gefühl gehabt, das die<br />
Documenta das aber von mir<br />
erwartet. ich finde die Auswahl<br />
der Künstler und Arbeiten war<br />
sehr lahm, sehr zahnlos. Da war<br />
nichts zwingendes dabei, nichts<br />
was mich geschüttelt hätte. es<br />
war eher ein gegenseitiges Versichern,<br />
dass man ja auf der richtigen<br />
seite sei. Dafür brauch ich<br />
aber keine Kunst, das kann man<br />
auch einfach schreiben zum beispiel.<br />
ich hatte bei den meisten<br />
Auftragsarbeiten das Gefühl einer<br />
großen inspirationslosigkeit.<br />
Geradezu einer Leere. Nun mag<br />
Kassel, das wirklich nett war,<br />
auch nicht zu den inspirierendtsten<br />
Orten der Weltgeschichte<br />
gehören, aber dann muss man<br />
einen anderen Weg finden, dort<br />
seine Kunst zu präsentieren. Die<br />
Arbeit von thomas bayrle beispielsweise,<br />
der eine riesige Ausstellungsfläche<br />
in der Documenta-halle<br />
bekommen hat, auf der<br />
er Motorenteile, reliefs aus Plastikbahnen<br />
oder Flugzeugbilder<br />
aus Flugzeugteilen präsentierte,<br />
war so unglaublich langweilig,<br />
dass ich mich kurz fragte, ob<br />
<strong>KUNST</strong><br />
BLANK I 67
ich aus Versehen im technischen<br />
Museum gelandet sei. Da ist es<br />
wieder: Dieses ungute Kunstbetriebsgefühl,<br />
dass sich die Leute<br />
da hauptsächlich gegenseitig auf<br />
die schultern klopfen und jeder<br />
erstmal seine homies unterbringt,<br />
bevor man sich überlegt,<br />
was man eigentlich will.<br />
Noch mal: Grundsätzlich finde<br />
ich es gut, eine solche große Ausstellung<br />
sehr politisch anzugehen<br />
und aufzuladen. ein stück weit ist<br />
das sogar ihre Pflicht, denn nichts<br />
generiert im Feld „Kunst“ mehr<br />
Aufmerksamkeit über Museums-<br />
und Galerie-Mauern hinweg, als<br />
die alle fünf Jahre stattfindende<br />
Documenta. es wäre ein Frevel,<br />
das nicht für eine Message zu verwenden.<br />
Aber ich hab das Gefühl<br />
68 I BLANK <strong>KUNST</strong><br />
Ich bin auf die nächste Documenta<br />
gespannt. Und hoffe, dass sie mich<br />
ärgert, anstatt mir egal zu sein.<br />
gehabt, dass nur die Message die<br />
Message gewesen wäre. es gab<br />
keinen klaren standpunkt in der<br />
Auswahl, zumindest keinen für<br />
mich nachvollziehbaren. es war<br />
ein Ausverkauf von verschiedenen,<br />
ähnlichen haltungen. Kein<br />
Ausbruch, kein infragestellen.<br />
totale Durchschnittlichkeit, denn<br />
wenn sich eh alle einig sind, entsteht<br />
eine sicherheit, die jeden<br />
Zweifel erstickt.<br />
ein paar schöne Arbeiten, neben<br />
den oben genannten, mehr<br />
aber auch nicht. Vielleicht wa-<br />
ren roman und ich blauäugig,<br />
aber da haben wir wirklich<br />
mehr erwartet. ich bin auf die<br />
nächste Documenta gespannt.<br />
Und hoffe, dass sie mich ärgert,<br />
anstatt mir egal zu sein.<br />
immerhin: ich hab ein lustiges<br />
Wochenende mit meinem<br />
besten Freund in einer uns beiden<br />
fremden stadt verbracht.<br />
Das macht irgendwie alles<br />
sinnvoll. Dafür auf jeden Fall<br />
danke, Frau Carolyn Christovbakargiev.<br />
über den rest können<br />
wir gerne streiten.
<strong>KUNST</strong><br />
BLANK I 69
MAGisChes<br />
MyANMAr<br />
text & FotograFie boRis gUsCHlbaUER<br />
Vor Monaten noch war Myanmar ein weißer Fleck auf der Landkarte.<br />
Ein Militärregime erstickte jeglichen Ansatz von Demokratie im Keim.<br />
Der Westen verhängte Sanktionen und es wurde abgeraten, das ehemalige Birma zu bereisen.<br />
Aus Angst vor einer Militärintervention Seitens der USA und auf Anraten eines Astrologen, verließ<br />
der oberste General sogar die ehemalige Hauptstadt Yangon und zog mit dem Regime ins<br />
Landesinneren, um die neue Hauptstadt Naypyidaw aus dem Boden zu stampfen.<br />
Doch Zeiten ändern sich. Die Pressezensur und der Hausarrest der Nobelpreisträgerin<br />
Aung San Suu Kyi wurden aufgehoben und freie Wahlen abgehalten.<br />
Daraufhin lockerte der Westen seine Sanktionen, um die Demokratiebewegung zu unterstützen.<br />
Gründe genug also, Myanmar ein Besuch abzustatten.<br />
Hier ein kleiner Einblick in ein be- und verzauberndes Land.
Die magie der Architektur (yangon)<br />
Die einzige Möglichkeit auf legalem<br />
Weg nach Myanmar einzureisen,<br />
ist mit dem Flugzeug<br />
in die ehemalige Hauptstadt<br />
Yangon zu fliegen. Nach einer<br />
langen Taxifahrt vom Flughafen<br />
in das Stadtzentrum, eröffnet<br />
sich dem Besucher ein architektonisches<br />
Paradies. Die vielen<br />
Bauten aus der britischen Kolonialzeit<br />
wurden über die Jahre<br />
hinweg ihrem Schicksal überlassen<br />
und verstrahlen so einen<br />
morbiden, aber sehr lieblichen<br />
Charme. Auf den ersten Blick<br />
erinnert das Stadtbild eher an<br />
Havanna, als an eine südostasiatische<br />
Großstadt.<br />
Träumend verliert man sich im<br />
Überfluss an Leben und dem<br />
chaotischen Straßenverkehr,<br />
kehrt in eine der zahlreichen<br />
Spelunken ein, trinkt mit Einheimischen<br />
ihr liebstes, frisch<br />
gezapftes Bier, vergisst die stehen<br />
gebliebene Zeit und sucht<br />
sich dann einen Weg durch die<br />
Nacht und über verwaiste Straßen<br />
zurück ins Hotel.
Die magie einer zugfahrt (yangon)<br />
Entweder man steigt in den<br />
komplett überfüllten Bus, um<br />
Distanzen zu überbrücken, oder<br />
aber in den Zug. Wählt man die<br />
ordinary class, findet man ungemütliche<br />
Holzbänke vor und<br />
die Fenster haben kein Glas, was<br />
bei diesen hohen Temperaturen<br />
jedoch nur von Vorteil ist. Der<br />
Zug holpert dann über schlecht<br />
verlegte Schienen, man hat die<br />
berechtigte Angst, dass er in den<br />
nächsten Sekunden aus der Spur<br />
springen wird. Bei einer Geschwindigkeit,<br />
dass selbst drei<br />
Männer auf einem Moped das<br />
Gefährt überholen, rüttelt es alle<br />
Fahrgäste durch, als säßen sie<br />
im Epizentrum eines Erdbebens.<br />
Wie ich feststellen musste, hatte<br />
der Zug immer Verspätung.<br />
Wenn es sich bei der Deutschen<br />
Bahn um Minuten handelt, geht<br />
es hier um Stunden. Doch niemanden<br />
scheint dies sichtlich<br />
zu stören. Geduldig wartet man<br />
im Schatten auf den Schienen<br />
sitzend, oder balanciert darauf,<br />
oder ein anderer läuft seelenruhig<br />
die Strecke ab. Entdeckt man<br />
nämlich den Zug am Horizont,<br />
hat man noch gute 30 Minuten<br />
Zeit, bis er in den Bahnhof eintrudeln<br />
wird.
Die magie von Tempeln und pagoden (Bagan)<br />
Die Stadt Bagan ist mit seinen<br />
4400 Tempel und Pagoden<br />
einer der mystischsten Orte,<br />
den ich erleben durfte. Sollte<br />
sich Myanmar weiterhin dem<br />
Tourismus öffnen, wird diese<br />
Gegend das neue Highlight in<br />
Südostasien und von Touristen<br />
überrannt werden.<br />
Wohin das Auge auch blickt,<br />
entdeckt es die Dächer der Tempel<br />
und Pagoden, die wie Finger<br />
in den Himmel zeigen. Am bes-<br />
ten leiht man sich ein Fahrrad<br />
und radelt über verstaubte Straßen,<br />
Trampelpfade und Felder<br />
von einer Sehenswürdigkeit zu<br />
nächsten. Zwischendurch tankt<br />
man neue Energie im Schatten<br />
eines Baumes, lässt alle fünfe<br />
gerade sein, beobachtet die<br />
Hirten mit ihren Herden und<br />
rollt dann weiter dem Horizont<br />
entgegen, von Pagode zu Pagode,<br />
von Buddha zu Buddha. So<br />
lange, bis man seinen Lieblingstempel<br />
gefunden hat...
Die magie von Buddha (Bagan)<br />
Hat man seinen Lieblingstempel<br />
gewählt, läuft man barfuß durch<br />
seine schattigen Gänge, bewundert<br />
die uralten Zeichnungen an<br />
den Wänden und lässt sich vor<br />
Buddhastatuen auf dem kühlen<br />
Boden nieder. Nun kann man<br />
die absolute Ruhe genießen, ein<br />
Vogel zwitschert, eine Maus<br />
huscht vor Buddha umher, hält<br />
inne, betrachtet dich interessiert,<br />
verschwindet, Mönche passieren<br />
den Raum, huldigen ihrem<br />
Meister, und eine Familie zeigt<br />
ihr Kind vor, es hat jeweils sechs<br />
Finger an jeder Hand und sechs<br />
Zehen an jedem Fuß und bei der<br />
Geburt hatte es zwei Köpfe und<br />
ein Kopf wurde entfernt und<br />
man gab dem Jungen nur ein<br />
paar Wochen zu leben, mittlerweile<br />
ist er neun Jahre alt. Aber<br />
auch sie verschwinden und ich<br />
finde die absolute Stille wieder,<br />
indem ich Buddha in seine in<br />
Meditation versunkenen Augen<br />
blicke.
Die magie der menschen (mandalay)<br />
Es sind vor allem die herzlichen<br />
Menschen mit ihrem Lächeln,<br />
die Myanmar zu einer unvergesslichen<br />
Reise machen. Man<br />
wünscht ihnen noch mehr Freiheiten<br />
und fragt sich, warum sie<br />
jahrelang unter der Knute eines<br />
Militärregimes stehen mussten.<br />
Hier sehen wir einen der vie-<br />
len Eisverkäufer, die tagtäglich<br />
durch die Straßen radeln und<br />
aus einem Lautsprecher an ihrem<br />
Lenker tönt rund um die Uhr<br />
die immer gleiche blecherne Melodie,<br />
die Kinder anlocken soll.<br />
Aber bei diesen herrlichen Temperaturen<br />
ist es eine Leichtigkeit<br />
Menschen mit Eis zu locken.
Die magie des goldes (mandalay)<br />
Nur Männern ist es erlaubt an<br />
die Mahamumi Buddhastatue<br />
vorzutreten, fotografieren ist<br />
verboten. Gläubige bringen<br />
hauchdünne Blättchen Blattgold<br />
mit, um das kostbare Edelmetall<br />
auf der Statue zu verteilen.<br />
Über die Jahre hinweg<br />
wurde Buddha vom Gold so<br />
deformiert, dass der Eindruck<br />
entsteht, der Erleuchtete würde<br />
von extremen Krebsgeschwülsten<br />
geplagt. Es soll Glück bringen,<br />
seine Hände auf die Sta-<br />
tue zu legen und die Stirn an<br />
das Gold zu pressen, was ich<br />
natürlich tat. Kurz darauf betrachtete<br />
ich meine Hände und<br />
sie hatten sich in wahre Goldhände<br />
verwandelt.<br />
Da ich mir natürlich nichts vorschreiben<br />
lasse, vor allem nicht<br />
von religiösen Riten weltweit,<br />
zückte ich geistesgegenwärtig<br />
die Kamera und machte diesen<br />
Schnappschuss von Buddha<br />
und seinen Gläubigen.
Die magie einer Busfahrt (kalaw)<br />
Entweder man besteigt den zu<br />
spät kommenden, kläglich langsamen<br />
Zug oder entscheidet sich<br />
für einen der notorisch überbelegten<br />
Busse. Glück für denjenigen,<br />
der noch ein schattiges,<br />
wenn auch beengtes Plätzchen<br />
im Inneren des Fahrzeugs ergattert.<br />
Das Busdach bietet zwar<br />
grandiose Panoramablicke, aber<br />
die nicht asphaltierten Straßen<br />
haben Schlaglöcher so groß wie<br />
Särge und der Panoramablick<br />
leidet darunter diese Schlaglö-<br />
cher noch vor dem Busfahrer zu<br />
entdecken, um sich rechtzeitig<br />
am Nebenmann festklammern<br />
zu können.<br />
Die starke Sonneneinstrahlung<br />
tut ihr übriges. Ein Sonnenbrand<br />
ist noch das kleinste Übel, aber<br />
zu bemerken, dass man einem<br />
Hitzeschlag erlegen ist und die<br />
Fahrt noch drei Stunden andauert,<br />
macht jede Panoramblick-<br />
Busfahrt zu einem Horrortrip.
Die magie des Wassers (Inle-see)<br />
Der Inle-See ist mit seinen<br />
schwimmenden Dörfern und<br />
Gärten ein beliebtes Ausflugsziel.<br />
In einem Boot kann man<br />
sich über den See schippern<br />
lassen, wird dann aber von einem<br />
Markt zum anderen, von<br />
schwimmenden Shop zu Shop<br />
und von Verkäufer zu Verkäufer<br />
gefahren. Man fühlt sich<br />
eher an eine Butterschifffahrt<br />
als an eine Ausfahrt erinnert.<br />
Am schönsten ist es deshalb<br />
noch ganz früh am Morgen,<br />
wenn der Kiel des Bootes die<br />
ruhige Wasseroberfläche durchschneidet.<br />
Der Morgennebel<br />
verhüllt den Horizont und man<br />
kann kaum das Ende erahnen<br />
und die Fischer wirken auf ihren<br />
Booten wie Fährmänner,<br />
die die Toten über das Meer in<br />
die Unendlichkeit rudern.
Die magie eines straßenfestes (kingpun)<br />
Glück hat derjenige, der in einer<br />
kleinen Stadt aufschlägt und<br />
ein Dorffest ist im vollen Gange.<br />
Ein Wettkochen findet statt. Zu<br />
ohrenbetäubender Musik wird<br />
klebriger Reis in riesigen Töpfen<br />
gekocht und der Reis wird an<br />
die Frauen verteilt und reicht dir<br />
eine Frau etwas Reis, musst du<br />
ihr Ehemann werden. Teams von<br />
drei Männern erklimmen unter<br />
dem Jubel der Menge einen entrindeten<br />
Baumstamm. Bier wird<br />
gereicht und die Musik noch lauter<br />
gestellt. Es wird hemmungslos<br />
getanzt und die Tänzer halten<br />
mich am Arm fest, zwingen<br />
mich zu noch mehr Ekstase, aber<br />
der Schweiß rinnt mir schon in<br />
langen Bahnen von der Stirn und<br />
in die Augen.<br />
Auf diesem Foto sehen wir das<br />
Finale im Tauziehen und ich<br />
kann mich nicht erinnern, wann<br />
ich das letzte Mal einem Tauziehen<br />
beigewohnt habe. Die Masse<br />
war wie elektrisiert, fast so<br />
als handele es sich um das Fußballweltmeisterschaftsendspiel<br />
Deutschland-Holland und man<br />
befindet sich auf der Südtribüne<br />
des Westfalenstadions.
90<br />
I BLANK
„Mach et, Otze“, der Bundesliga-Skandal, Effenbergs Frisuren, die Sache mit dem Einwurftor –<br />
alles inzwischen Kulturgut. Der Boulevard hat den Fußball entdeckt, die Politik und die Wirtschaft.<br />
Aber eigentlich ist es ja was ganz anderes, das den Laden zusammen hält.<br />
1963 – das Jahr des Urknalls<br />
für den Profifußball in Deutschland.<br />
Am 24. August bewundern<br />
290.000 Zuschauer den ersten<br />
spieltag der neu gegründeten<br />
bundesliga und können erstmals<br />
die besten Mannschaften des<br />
Landes in einer gemeinsamen<br />
runde bestaunen. Die Langeweile<br />
der mehrgleisigen Oberliga,<br />
in der die topteams erst nach<br />
langen touren über Dörfer und<br />
zweitklassige Gegner in einer<br />
gemeinsamen endrunde vereint<br />
wurden, sind vorbei. Dieses Jahr<br />
geht die Liga also in ihre Jubiläumssaison<br />
und ist inzwischen<br />
viel mehr als ein sammelbecken<br />
von topsportlern und sportverrückten.<br />
Nein, die bundesliga ist<br />
Der ODeM<br />
Der LiGA<br />
FotograFie sasCHa kREklaU interview Till ERdEnbERgER<br />
eine erfolgsgeschichte – sportlich<br />
und auch wirtschaftlich. Fußball<br />
ist ein eigener industriezweig, die<br />
18 Mannschaften erwirtschaften<br />
jedes Jahr rund zwei Milliarden<br />
euro, gemeinsam mit der 2. Liga<br />
bietet sie knapp 35.000 Arbeitsplätze<br />
und allein in der vergangenen<br />
saison strömten 14 Millionen<br />
Menschen in die stadien. Kurz:<br />
Die bundesliga ist ein gewaltiger<br />
Wirtschaftsfaktor. Dabei weiß<br />
jeder, dass der Fußball an sich<br />
„Unfreiwillig sind solche Charaktere<br />
wie Kevin Großkreutz und Marko<br />
Arnautovic schon ziemlich lustig.“<br />
weit mehr ist. Und zwar – das<br />
zeigt der stammtisch, das zeigt<br />
die Literatur und nicht zuletzt<br />
das eigene empfinden – ist er die<br />
summe seiner Anekdoten, der<br />
Diskussionen, des archaischen<br />
Ambientes und natürlich nicht<br />
zuletzt der Unwägbarkeiten des<br />
spiels und seiner Protagonisten.<br />
ben redelings, handlungsreisender<br />
in Fußballdingen und das<br />
gute Gewissen all derer, für die<br />
der sport mehr ist, als 90 Minuten<br />
schnittchen im ViP-bereich,<br />
hat der Liga ein Geschenk zum<br />
50. gemacht und alle dürfen sich<br />
darüber mitfreuen: Zweieinhalb<br />
Jahre recherche haben in „50<br />
Jahre bundesliga – Das Jubiläumsalbum“<br />
383 seiten Geschichten,<br />
Zitate, allerlei skurillitäten und<br />
eine bilderflut zutage gefördert,<br />
die dem heute technokratisch<br />
und durchkommerzialisiert wirkenden<br />
„Produkt bundesliga“ jenen<br />
speziellen Odem einhauchen.<br />
BLANK: Ben Redelings, gibt es<br />
eine Lieblingsanekdote aus 50<br />
Jahren Bundesliga?<br />
Br: ich sage immer, dass ich die<br />
nicht nennen möchte, weil ich<br />
sonst ein schlechtes Gewissen<br />
gegenüber all den anderen Geschichten<br />
hätte, die nicht erwäh-<br />
LITERATUR<br />
BLANK I 91
ne. ist tatsächlich was Wahres<br />
dran. Aber sich vorzustellen, wie<br />
Kopfball-Ungeheuer horst hrubesch<br />
bei der Meisterfeier seines<br />
hsV auf einem Doppeldeckerbus<br />
ein ei – von Punks geschmissen –<br />
vor die stirn bekommt und seine<br />
Kollegen nur die häupter schütteln<br />
und meinen, »Alles musst<br />
du auch nicht mit dem Kopf nehmen,<br />
horst!«, ist schon ziemlich<br />
komisch.<br />
BLANK: Woher rührt Ihre Vorliebe,<br />
ständig nach neuen und<br />
alten Bonmots rund um den<br />
Fußball und seine Protagonisten<br />
zu forschen?<br />
Br: es ist schlicht und ergreifend<br />
die Liebe zum Fußball und den<br />
vielen schönen Geschichten, die<br />
es dort zu entdecken und zu erzählen<br />
gibt. Umso schöner, dass<br />
das mittlerweile ein teil meines<br />
berufes geworden ist.<br />
BLANK: Wo findet man immer<br />
noch Zitate, Geschichten oder<br />
Skurilles, das man noch nirgendwo<br />
gelesen hat?<br />
Br: tatsächlich sammle ich unbewusst<br />
seit meiner Kindheit.<br />
92 I BLANK LITERATUR<br />
in alten brAVO-heften und<br />
Fußballmagazinen aus meiner<br />
Jugend stehen häufig die wundersamsten<br />
Geschichten. Dinge,<br />
die man früher einfach überlesen<br />
hat oder die damals noch nicht<br />
interessant waren. heute entwickeln<br />
die ihren besonderen reiz,<br />
weil man den Fortgang der Geschichte<br />
kennt und sich daraus<br />
eine gewisse Komik entwickelt.<br />
solche storys kann man auch<br />
immer mal wieder in vergilbten<br />
Ausgaben des »kicker« finden.<br />
BLANK: „Vergilbte Ausgaben“<br />
ist ein Stichwort: Produzieren<br />
Liga und Protagonisten heutzutage<br />
überhaupt noch Unterhaltsames?<br />
Br: Unfreiwillig sind solche<br />
Charaktere wie Kevin Großkreutz<br />
und Marko Arnautovic<br />
schon ziemlich lustig. Jürgen<br />
Klopp hingegen kann seinen<br />
humor bewusst einsetzen und<br />
damit auch punkten.<br />
BLANK: Gibt es heutzutage<br />
noch so etwas wie Selbstironie<br />
in der Liga?<br />
Br: Der Fußball ist kritikresistent<br />
geworden, das muss man<br />
erst mal vorweg feststellen. „König<br />
Fußball“ ist endgültig die<br />
absolute Nummer 1 im staate<br />
geworden und er weiß das auch.<br />
Das macht die sache nicht immer<br />
ganz einfach. ich vermute,<br />
auch wenn das immer alle bestreiten,<br />
dass die Kohle die sache<br />
an sich zu sehr dominiert. Wo es<br />
um Geld geht, regiert die ernst-<br />
„Ich muss mal feststellen,<br />
dass wir in 49 Jahren Bundesliga<br />
genauso häufig Deutscher Meister<br />
geworden sind, wie der große<br />
FC Schalke 04.“<br />
haftigkeit. spaß, Freude und die<br />
ironische brechung werden da<br />
zwangsläufig immer seltener.<br />
BLANK: Sehen Sie in den Kadern<br />
der Liga noch echte Entertainer?<br />
Oder liegen alle Kicker<br />
inzwischen an den kurzen Leinen<br />
ihrer Pressestellen?<br />
Br: es gibt sicher Kabinen-entertainer,<br />
die wir nicht kennen.<br />
Aber Leute, die bewusst so sind,<br />
wie sie sind, gibt es immer weniger.<br />
es ist komplett die Nähe,<br />
das Direkte, die unverfälschte<br />
Kommunikation, das Natürliche<br />
verloren gegangen - und<br />
damit auch ein stück Menschlichkeit.<br />
es ist doch bezeich-
„Das Schönste ist immer noch,<br />
mit den Fans nach den hitzigen<br />
90 Minuten auf dem Platz,<br />
hinterher ein kühles Bier zu zischen.“<br />
nend, wenn immer noch Mario<br />
basler, Lothar Matthäus, stefan<br />
effenberg oder auch ein Mehmet<br />
scholl für die schlagzeilen<br />
sorgen. ich bin ehrlich: Auch<br />
wenn da häufig viel Quatsch dabei<br />
ist – es ist und bleibt nah an<br />
den Personen dran. Die spielen<br />
keine rolle.<br />
BLANK: sind Sie wirklich im<br />
Herzen Fan des VfL Bochum,<br />
jener inzwischen zweitklassigen<br />
Inkarnation einer Grauen<br />
Maus? Oder haben Sie sich diesen<br />
Verein aus Imagegründen<br />
verpasst? Es fällt außerhalb des<br />
Ruhrgebiets schwer zu glauben,<br />
dass man bei dieser reichhaltigen<br />
Auswahl an attraktiven Topvereinen<br />
sein Herz ausgerechnet an<br />
den VfL verliert.<br />
Br: Moment, ich hatte doch keine<br />
Auswahl. ich bin hier geboren<br />
– im schatten des ruhrstadions,<br />
wie ich nicht müde werde, zu<br />
betonen – und komme aus einer<br />
VfL-Familie. Der Verein hat sich<br />
mich geschnappt und ich bin ihm<br />
deshalb nicht böse. Außerdem<br />
muss ich mal feststellen, dass<br />
wir in 49 Jahren bundesliga genauso<br />
häufig Deutscher Meister<br />
geworden sind wie der große FC<br />
schalke 04.<br />
BLANK: Wer sind Ihre uneingeschränktenLieblingsspieler<br />
– auf und neben dem<br />
Platz? Kann man eine All Star-<br />
Mannschaft zusammen stellen<br />
aus den 11 besten Anekdotenlieferanten<br />
der Bundesligageschichte?<br />
Br: im tor toni schumacher,<br />
Uli borowka, stefan effenberg,<br />
thorsten Legat, Michael<br />
schulz »Du sau«, Franz beckenbauer,<br />
Lothar Matthäus,<br />
Mehmet scholl, Ansgar brinkmann,<br />
horst hrubesch, Willi<br />
Lippens. trainer: Uwe Klimaschefski,<br />
schiedsrichter: Wolf-<br />
Dieter Ahlenfelder, Manager:<br />
reiner Calmund.<br />
BLANK: Am Ende bleibt nur<br />
noch eine Frage: Nimmt man<br />
den Fußball zu ernst oder<br />
nicht ernst genug?<br />
Br: „Fußball ist nicht das<br />
Wichtigste im Leben – es ist<br />
das einzige“. Wer den satz<br />
richtig einordnen kann, der<br />
weiß, wie ich die Dinge sehe.<br />
Das schönste ist immer noch<br />
mit den Fans, egal welchen<br />
Vereins auch immer, nach den<br />
hitzigen 90 Minuten auf dem<br />
Platz, hinterher ein kühles bier<br />
zu zischen.<br />
verlag die werkstatt<br />
Mehr als<br />
ein Spiel …<br />
272 S., Paperback<br />
ISBN 978-3-89533-847-2, € 14,90<br />
Eine differenzierte Betrachtung der Ultra-<br />
Bewegung aus Sicht von Fans, Journalisten,<br />
Wissenschaftlern – und der Ultras selbst.<br />
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„Ein immens wichtiges Buch.“ (11Freunde)<br />
160 S., Paperback<br />
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„Buch des Monats.“ (11Freunde)<br />
BLANK I 93<br />
www.werkstatt-verlag.de
94 I BLANK<br />
KLAsseNtreFFeN<br />
FotograFie maTTHias david<br />
bei den Hip Hop open 2012 trafen sich in stuttgart nicht nur die mitglieder der legendären<br />
stuttgarter kolchose, um das zwanzigjährige Jubiläum zu feiern, auch andere schwergewichte<br />
der szene waren anwesend, traten auf und stellten sich brav vor eine nicht unbedingt schöne,<br />
aber als Hintergrund recht streetig wirkende Wand und gaben dazu ihren „Tag“ ab.<br />
so sieht er aus, der erwachsen gewordene Hip Hop, die stars der ersten generation.
Kool Savas<br />
BLANK I 95
96 I BLANK<br />
WASI
Roberto Di Gioia<br />
BLANK I 97
98 I BLANK<br />
Sékou
Ju<br />
BLANK I 99
100 I BLANK<br />
Max Herre
DJ Friction<br />
BLANK I 101
102 I BLANK<br />
Schowi
Chefket<br />
BLANK I 103
104 I BLANK<br />
Marteria
Samon Kawamuka<br />
BLANK I 105
106 I BLANK<br />
Fetsum
Tua<br />
BLANK I 107
108 I BLANK<br />
KD Supier
Megaloh<br />
BLANK I 109
110 I BLANK<br />
DJ 5ter Ton
Harris<br />
BLANK I 111
112 I BLANK<br />
MC Rene
DJ Bombastico<br />
BLANK I 113
114 I BLANK<br />
Scotty 76
Trooper Da Don<br />
BLANK I 115
116 I BLANK<br />
Stephan Riese
Afrob<br />
BLANK I 117
118<br />
I BLANK
BLANK: „Oh boy“ wurde auf<br />
dem Münchner Filmfest mit<br />
dem Förderpreis Drehbuch ausgezeichnet,<br />
inwiefern hat dich<br />
die Auszeichnung überrascht?<br />
JOG: Wir haben bis zur letzten<br />
sekunde am Film gearbeitet und<br />
sind mehr oder weniger direkt<br />
vom Mischstudio zum Filmfest<br />
gefahren. bis dahin hatten den<br />
Film nur wenige Leute gesehen.<br />
ich war zu dem Zeitpunkt einigermaßen<br />
betriebsblind, da<br />
ich den Film in der endphase<br />
fast ein- bis zweimal täglich<br />
gesehen habe. ich hatte nicht<br />
die geringste Ahnung wie das<br />
Publikum und die Jury reagieren<br />
würden. Daher sind<br />
wir unsere Festival-tour sehr<br />
olympisch angegangen – dabei<br />
sein ist alles. Und tatsächlich<br />
haben wir nicht mit einem Preis<br />
gerechnet, schon gar nicht mit<br />
einem Drehbuchpreis, da die<br />
tAtOrt<br />
berLiN<br />
interview Roman libbERTz FotograFie PHiliPP kiRsamER (links), X vERlEiH<br />
Auf Jan Ole Gerster, (1978 in Hagen geboren) hat die Deutsche Filmlandschaft gewartet.<br />
Sein Debütfilm erzählt davon, sich im Urwald der Großstadt zurecht zu finden,<br />
nicht unterzugehen und in der Abwägung irrsinniger äußerer Einflüsse den eigenen Weg<br />
zu gehen. „Oh boy“ gelingt es eindrucksvoll, neue Richtungen zu beschreiten, ganz ohne dabei<br />
zu dramatisieren. Dem Film gelingt es zu fesseln, ohne es darauf anlegen zu müssen.<br />
Und man kann sich schlichtweg nicht erwehren, sich in diesem Niko bei seinen<br />
Versuchen, nicht unter die Räder zu gelangen, wiederzufinden.<br />
Jan Ole Gerster hat viel probiert und ihm ist alles gelungen.<br />
Geschichte ja eher unkonventionell<br />
strukturiert ist. so gesehen<br />
war ich schon überrascht,<br />
aber vor allem glücklich, als<br />
wir eine Auszeichnung bekommen<br />
haben.<br />
BLANK: Wie lange existierte<br />
die Idee zu „Oh Boy“ bereits?<br />
JOG: Kann ich gar nicht genau<br />
sagen. Die idee entstand eher so<br />
nach und nach. ich hatte mich<br />
zu dem Zeitpunkt in anderen<br />
Drehbüchern verrannt, die mir<br />
alle etwas ausgedacht und unempfunden<br />
erschienen. Mit der<br />
erkenntnis, dass der nächste<br />
stoff persönlicher und somit<br />
auch authentischer sein sollte.<br />
irgendwann habe ich dann angefangen,<br />
alltäglich situationen<br />
und begegnungen aufzuschreiben.<br />
Da ich schon immer eine<br />
Vorliebe für stille, passive Figuren<br />
hatte, erschien es mir dann<br />
sehr reizvoll, eine solche Figur<br />
über die begegnungen mit anderen<br />
zu portraitieren.<br />
„Da ich schon immer eine Vorliebe<br />
für stille, passive Figuren hatte,<br />
erschien es mir sehr reizvoll, eine<br />
solche Figur über die Begegnungen<br />
mit anderen zu portraitieren.“<br />
FILM<br />
BLANK I 119
„Glücklicherweise hat die<br />
Finanzierung länger gedauert<br />
und Tom konnte in der<br />
Zwischenzeit ein bisschen altern.<br />
Ich hätte mir keinen besseren<br />
Hauptdarsteller wünschen können.“<br />
BLANK: Wieso hat es so lange<br />
bis zur Realisierung gedauert?<br />
JOG: es hat ein Weilchen gedauert<br />
bis ich das Drehbuch einigen<br />
Freuden und Dozenten zu lesen<br />
gab. Da die resonanz recht gut<br />
war, habe ich mich dann schließlich<br />
auf die suche nach einem<br />
120 I BLANK FILM<br />
Produzenten gemacht und bin<br />
dann irgendwann Marcos Kantis<br />
über den Weg gelaufen, den<br />
ich noch aus meiner Zeit bei X-<br />
Filme kannte. Gemeinsam sind<br />
wir dann los gezogen und haben<br />
nach und nach redakteure und<br />
Förderer überzeugen können. es<br />
hat zwar ein bisschen Zeit in Anspruch<br />
genommen, aber als die<br />
Finanzierung stand ging, plötzlich<br />
alles ganz schnell.<br />
BLANK: War Niko immer<br />
schon Tom Schilling?<br />
JOG: ehrlich gesagt nicht, obwohl<br />
ich großer Fan seiner Arbeit<br />
bin und wir wirklich eng<br />
befreundet sind. Aber als ich das<br />
Drehbuch schrieb, wirkte tom<br />
noch sehr jung, eher wie Anfang<br />
zwanzig. Mir war es aber wichtig,<br />
dass die Figur ende zwanzig<br />
ist. eine Verlorenheit, ein abgebrochenes<br />
studium und eine<br />
finanzielle Abhängigkeit vom<br />
Vater haben mit ende zwanzig<br />
eine andere brisanz als mit An-
fang zwanzig. tom war einer der<br />
ersten, denen ich das Drehbuch<br />
zu lesen gab und er wollte die<br />
rolle unbedingt spielen. Glücklicherweise<br />
hat die Finanzierung<br />
länger gedauert und tom konnte<br />
in der Zwischenzeit ein bisschen<br />
altern. ich hätte mir keinen besseren<br />
hauptdarsteller wünschen<br />
können.<br />
BLANK: Warum gerade Berlin?<br />
JOG: Na ja, es ist die stadt, in<br />
der ich lebe und ich liebe berlin<br />
wirklich sehr. es kam also keine<br />
andere stadt in Frage. Aber<br />
in erster Linie wollte ich einen<br />
Großstadtfilm drehen und nicht<br />
unbedingt einen „berlinfilm“.<br />
in den Vorbereitungen habe<br />
ich sogar tunlichst den begriff<br />
„berlinfilm“ vermieden, weil da<br />
seit ein paar Jahren immer diese<br />
behauptete hipster-Attitüde<br />
mitschwingt. Vielleicht ist das<br />
aber auch nur meine persönliche<br />
Wahrnehmung. im Grunde freue<br />
ich mich sogar wenn der Film als<br />
„berlinfilm“ bezeichnet wird.<br />
BLANK: Gab es auch Überlegungen<br />
einen anderen Titel zu<br />
wählen?<br />
JOG: Die gab es, aber erst ganz<br />
zum schluss. beim scheiben habe<br />
ich ständig die beatles gehört,<br />
da ich ihre Fähigkeit, alltägliche<br />
situationen in Posie zu verwandeln,<br />
sehr inspirierend fand.<br />
songs wie elenor rigby, Penny<br />
Lane oder A Day in the Life,<br />
welcher mit der Zeile „i read the<br />
news today, oh boy“ beginnt.<br />
Dieser stoßseufzer wurde dann<br />
kurzerhand mein Arbeitstitel und<br />
hat sich bis zum schluss auch<br />
gegen deutsche titelvorschläge<br />
durchgesetzt. Aus heutiger sicht<br />
vielleicht ein bisschen anmaßend,<br />
aber als ich neulich vor unserem<br />
Poster stand, fand ich den titel in<br />
Kombination mit toms Portrait<br />
eigentlich sehr stimmig.<br />
BLANK: Es muss doch schwer<br />
gewesen sein, so ein namhaftes<br />
Ensemble für den Film zu gewinnen,<br />
oder?<br />
JOG: einige der schauspieler<br />
kannte ich bereits. Arnd Klawitter<br />
(der Nazi-Darsteller) und<br />
Andreas schröders (der MPU-<br />
Psychologe) kenne ich schon<br />
einige Jahre, genau wie Marc<br />
hosemann und Justus von<br />
Dohnanyi. Für die besetzung der<br />
restlichen rollen habe ich dann<br />
eine Wunschliste geschrieben,<br />
die ich zunächst für utopisch<br />
hielt. Doch tom hat immer gesagt:<br />
„Frag sie doch an, mehr als<br />
absagen können sie nicht.“ ich<br />
glaube, für viele Darsteller war<br />
„Zum Glück habe ich das<br />
Drehbuch erst begonnen,<br />
als ich in der Lage war,<br />
meinen Alltag mit Selbstironie<br />
zu betrachten.“<br />
FILM<br />
BLANK I 121
es reizvoll mit wenigen, oft sogar<br />
nur einem Drehtag, dennoch<br />
ein markante rolle im Film zu<br />
übernehmen. reich werden<br />
konnte man bei unserem Dreh<br />
jedenfalls nicht.<br />
BLANK: Gab es noch jemanden,<br />
den Du gerne als Schauspieler<br />
im Boot gehabt hättest?<br />
JOG: Nein, wunschlos glücklich!<br />
BLANK: Inwieweit enthält der<br />
Film autobiographische Züge?<br />
JOG: ein wenig autobiografisch<br />
ist er schon. Zum Glück habe ich<br />
das Drehbuch erst begonnen, als<br />
ich in der Lage war, meinen Alltag<br />
mit selbstironie zu betrachten.<br />
Dadurch kam der komödiantische<br />
Aspekt in den Film, der<br />
122 I BLANK FILM<br />
zwar sehr persönlich, aber eben<br />
nicht privat sein sollte. ich bin<br />
der überzeugung, dass die besten<br />
Filme immer einen persönlichen<br />
Ansatz haben – besonders<br />
erstlingsfilme.<br />
BLANK: Wie schafft man es,<br />
dass jeder noch so kleine Dialog<br />
sitzt?<br />
JOG: Das schreiben der Dialoge<br />
gehört mit zu meinen liebsten<br />
Aufgaben im entstehungsprozess.<br />
Grundvoraussetzung<br />
dafür ist, dass man Freude an<br />
seinen Figuren hat, denke ich.<br />
Das die Dialoge dann sitzen,<br />
hat aber in erster Linie mit dem<br />
großartigen timing der schauspieler<br />
zu tun.<br />
„Schwarzweißfilme bringen immer<br />
ein Gefühl von Zeitlosigkeit mit<br />
sich. Zudem war mir eine gewisse<br />
Abstraktion wichtig. So konnten wir<br />
die Stadt mit neuen Augen sehen.“
BLANK: Inwiefern war dir die<br />
musikalische Untermalung wichtig?<br />
JOG: Für diesen Film war die<br />
Musik immer ein großes thema.<br />
Ähnlich wie berlin als Kulisse,<br />
sollte auch die Musik eine besondere,<br />
homogene rolle übernehmen.<br />
Mir war schon sehr früh<br />
klar, dass ich bei diesem Projekt<br />
eher mit Musikern als mit klassischen<br />
Filmkomponisten arbeiten<br />
möchte. Und tatsächlich haben<br />
die Musiker, die den soundtrack<br />
komponiert haben, nie zuvor<br />
Filmmusik gemacht. Der soundtrack<br />
hatte zwei große Anforderungen.<br />
Zum einen sollte er die<br />
stimmung und Gemütslage der<br />
hauptfigur unterstreichen. Cherilyn<br />
MacNeil hat dafür die reinen<br />
Klavier tracks komponiert. Die<br />
Jazz-Musik, die den ironischen<br />
blick auf das großstädtische treiben<br />
deutlich macht, wurde von<br />
vier jungen Jazz-Musikern (the<br />
Major Minors) der UdK komponiert.<br />
berlin wird heute ja oft mit<br />
elektronischer Musik assoziiert.<br />
irgendwie kam das aber nie für<br />
mich in Frage.<br />
BLANK: Wie traut man sich, an<br />
Berlin ganz anders ranzugehen<br />
und es in solcher Breite (besonders<br />
in Form der vielen Standbilder)<br />
abzubilden?<br />
JOG: Mut braucht es dafür nicht.<br />
ich habe den Film mit vielen<br />
Freunden gedreht. Den Kameramann<br />
Philipp Kirsamer kenn ich<br />
schon seit über zehn Jahren und<br />
wir hatten eine ähnliche Vorstel-<br />
MUTIG. NEUGIERIG. KREATIV.<br />
www.stuermer-draenger.de<br />
BLANK I 123
„Als ich die notwendige Balance aus<br />
Naivität und Ehrfurcht gefunden hatte,<br />
habe ich angefangen zu drehen.“<br />
lung davon, wie wir die stadt darstellen<br />
wollten.<br />
BLANK: Warum schwarz-weiß?<br />
JOG: Der Film sollte nicht wie<br />
ein Generationsportrait wirken.<br />
Nach dem Motto: so fühlt sich<br />
eine endzwanziger in berlin im<br />
Jahr 2012. schwarzweißfilme<br />
bringen immer ein Gefühl von<br />
Zeitlosigkeit mit sich. ein sehr<br />
einfaches, aber eben auch effektives<br />
stilmittel. Zudem war mir<br />
eine gewisse Abstraktion wichtig.<br />
so konnten wir die stadt mit neuen<br />
Augen sehen.<br />
BLANK: Hattet ihr beim Dreh<br />
auch mit Problemen zu kämpfen?<br />
JOG: eigentlich nicht, bis auf<br />
dass parallel zum Dreh ein großes<br />
Fussballtunier lief und einige<br />
Drehtage mit Anpfiff beendet<br />
werden mussten.<br />
BLANK: Hast du besondere Vorbilder,<br />
die Du hier nennen willst?<br />
JOG: ich bewundere viele regisseure<br />
der Nouvelle Vague für die<br />
unverwechselbare sinnlichkeit<br />
und den stil ihrer Filme. so etwas<br />
sieht man heute nur noch selten.<br />
es gibt so viele tolle und unterschiedliche<br />
regisseure. haneke,<br />
P.t. Anderson und von trier sind<br />
die aktuellen helden, für die ich<br />
gleich am starttag ins Kino renne.<br />
124 I BLANK FILM<br />
BLANK: Gibt es einen besonderen<br />
Moment, der dich dazu<br />
brachte, Regisseur werden zu<br />
wollen?<br />
JOG: Nein. Das war eher ein<br />
schleichender Prozess. ich<br />
hab als Kind schon gerne Filme<br />
gesehen, wusste aber nicht<br />
wirklich was ein regisseur eigentlich<br />
macht. später hat mir<br />
meine Mutter dann mein erstes<br />
Filmbuch geschenkt – „Film<br />
verstehen“ von James Monaco.<br />
Als ich dann die notwendige<br />
balance aus Naivität und ehrfurcht<br />
gefunden hatte, habe ich<br />
angefangen zu drehen.<br />
BLANK: Bedeutet Film für Dich<br />
Arbeit?<br />
JOG: Absolut. Aber es ist gleichzeitig<br />
auch ein riesengroßes<br />
Abendteuer mit allen höhen und<br />
tiefen. es gibt definitiv stressfreiere<br />
Jobs.<br />
BLANK: Was kommt als<br />
nächstes?<br />
JOG: Momentan sortiere ich<br />
einen großen Zettelhaufen mit<br />
ideen der vergangen Monate.<br />
Danach werde ich mich wieder<br />
an den schreibtisch begeben um<br />
mit dem nächsten Drehbuch zu<br />
beginnen. Zwischendurch bin<br />
ich immer mal wieder auf Festivals<br />
mit dem Film.<br />
BLANK: „Das Boot“, „Lola<br />
rennt“ oder „Rossini“?<br />
JOG: „Lola rennt“, da ich eine<br />
persönliche Verbindung zu dem<br />
Film habe. Nachdem ich ihn im<br />
Kino gesehen hatt,e habe ich<br />
viele interviews mit tom tykwer<br />
gelesen und bin so auf seine<br />
Firma X-Filme Creative Pool<br />
aufmerksam geworden, für die<br />
ich dann später gearbeitet habe.<br />
Das waren wirklich aufregende<br />
Jahre.<br />
BLANK: Berlin, Hamburg oder<br />
München?<br />
JOG: berlin mit einer spree so<br />
klar wie die isar, bayrischer Küche,<br />
dem hamburger Fischmarkt<br />
und hanseatischem humor. Fehlt<br />
eigentlich nur noch die skyline<br />
von Frankfurt und der bVb.<br />
BLANK: Was treibt dich an?<br />
JOG: Der Gedanke daran, dass<br />
Lebenszeit begrenzt ist und es<br />
noch so viel zu tun, erleben und<br />
entdecken gibt.<br />
BLANK: Was bedeutet für dich<br />
Glück?<br />
JOG: Die Frage stellen sich jeden<br />
tag Millionen von Menschen.<br />
ich glaube, es sind Dinge wie Liebe,<br />
Freundschaft, Gesundheit...<br />
und wenn’s gut läuft noch sechs<br />
richtige im Lotto.<br />
BLANK: Jan Ole Gerster ist in<br />
zehn Jahren …<br />
JOG: … seit mindestens neun<br />
Jahren Nichtraucher – für immer.
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
Frauen und Bücher Teil 1<br />
Elmar Bracht<br />
Wenn Aschenputtel auf Peitsche trifft<br />
von Mirka Uhrmacher<br />
BLANK I 125
126 I BLANK<br />
Frauen und Bücher Teil 1<br />
Elmar Bracht<br />
Vielleicht ist es ein etwas verzerrtes Bild, was uns da<br />
hohl anlächelt. Vielleicht ist es auch einfach nur Business.<br />
Auf jeden Fall wird es dem nicht gerecht, was im<br />
Allgemeinen und speziell im Besonderen so gedacht<br />
wird. Egal ob die Familienministerin ein verquertes<br />
Weltbild beschreibend versucht Politik für Frauen<br />
zu machen. Oder die ehemalige First Lady die eigene<br />
und die unbedarfte Gier ihres Göttergatten ausschlachtet.<br />
Oder Julia Schramm der Unwichtigkeit<br />
die Krone aufsetzt und sich selbst zu etwas stilisiert,<br />
was es gar nicht gibt. Es tut einfach nur weh. Und<br />
wahrscheinlich wird es so weitergehen, denn Verlage<br />
scheißen zur Zeit so ziemlich jede junge Frau mit<br />
einem Buchvertrag zu, die es halbwegs unverletzt bis<br />
hier hin geschafft hat. Zum Wunden lecken lässt man<br />
sie dann jedoch meist alleine. Doch um das Bild zu<br />
entzerren stellen wir in dieser und den nächsten Ausgaben<br />
Bücher vor, die dem, was wir als progressiv betrachten,<br />
etwas Nahrung geben. Bücher, die einladen<br />
und nicht abschrecken. Bücher, die es tatsächlich wagen<br />
oder gewagt haben, die Welt neu zu beschreiben.<br />
Angela McRobbie<br />
„Top Girls Feminismus und der Aufstieg des<br />
neoliberalen Geschlechterregimes“,<br />
(VS Verlag)<br />
Angela McRobbie ist Professorin für Kommunikationswissenschaften<br />
in London und beschreibt in ihrer<br />
lesenswerten Studie popkulturelle Spannungsverhältnisse,<br />
denen Frauen ausgesetzt sind und die feministisch<br />
degradierend Abhängigkeiten aufbauen, die in<br />
ihrem Erscheinungsbild so komplex sind, dass sie als<br />
diskriminierende Faktoren nur schwer zu erkennen<br />
sind. Unterhaltsam und lehrreich werden hier Filme<br />
und Ikonen zerpflückt, ohne all zu oft den Sinn für<br />
Konsum- und Alltagsrealitäten zu verlieren.<br />
Laurie Penny<br />
„Fleischmarkt – Weibliche Körper im<br />
Kapitalismus“ (Nautilus, 2012)<br />
Die Autorin des populären Blogs „Penny Red“ beschäftigt<br />
sich in diesem schmalen aber wichtigen Buch<br />
mit den Mechanismen, die dafür sorgen, dass Frauen<br />
sich einem medial und marktwirtschaftlich entwor-<br />
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
II<br />
fenen Ideal unterwerfen, ohne sich den Folgen dessen<br />
überhaupt bewusst zu sein. Penny seziert und entlarvt<br />
den kapitalistischen Geist der Bevormundung als Instrument<br />
der Machterhaltung und der Unterdrückung.<br />
Katja Kullmann<br />
„Echtleben“ (Eichborn, 2011)<br />
Katja Kullmann beschreibt und inszeniert sich in diesem<br />
erfrischend lakonisch erzählten Buch als Frau<br />
im Strudel der Empfindsamkeiten im Leben der über<br />
30jährigen, die vom Individualismus getrieben eine<br />
neue Dimension von Wertigkeiten entdeckt, die Bestehendes<br />
ergänzen, notfalls substituieren und wie<br />
der persönlichen Ausweg aus der Konformität nicht<br />
zwangweise in einer Sackgasse enden muss. Wir nennen<br />
das hier mal angewandte Theorie und empfehlen<br />
diese Buch dringendst Falls das jemanden zum Kaufentscheid<br />
bewegt: Es ist zuweilen sehr witzig. Stichwort<br />
‚Emotionaler Klimawandel‘.<br />
Simone De Beauvoir<br />
„Das andere Gechlecht“ (Rowohlt, 1951)<br />
Hipster-Grundlage und feministische Pflichtlektüre,<br />
zeitlos, intelligent, unnahbar. Simone De Beauvoir<br />
findet Worte und Sprache, von denen Feminismus<br />
noch lange zehren wird. Ihre Beziehung zu Sartre gilt<br />
als Musterbeispiel einer intellektuellen Ehe, radikal<br />
und idealisiert bis ins Letzte.<br />
Testcard Nr.8<br />
„Gender – Geschlechterverhältnisse im Pop“<br />
(Ventil Verlag, 2000)<br />
Der in Popkultur verhaftete, aber immer wieder bieder<br />
wirkende Ventil Verlag aus dem provinziellen<br />
Mainz, hat immer wieder versucht Momente der<br />
Popkultur theoretisch aufzubereiten und zu analysieren.<br />
Mit am Besten gelungen ist es in der mehr oder<br />
weniger halbjährigen Buchmagazin-Reihe Testcard,<br />
speziell in der achten Ausgabe, die vor nun mehr als<br />
einem Jahrzehnt die interessantesten Diskursansätze<br />
in sich vereinte und zuweilen dem Ganzen den Hauch<br />
einer neuen Sprache zu geben schien. Hier schwankt<br />
man zwischen Tradition und Moderne und doch sind<br />
Texte über und mit Überschriften wie „Nur scharfe<br />
Girlies und knackige Boys? - Traditionelle und innovative<br />
Geschlechterbilder in Musikvideos“, „Harte
Mädchen weinen nicht - Zum Umgang von Musikerinnen<br />
mit weiblichen Klischees“, „Nicht schlecht für<br />
eine Frau -Frauen als Produzentinnen von elektronischer<br />
Musik“ oder „Geschlechterverhältnisse und<br />
Gender-Debatte im Pop“ Pflichtlektüre für den Hipsternerdmetromacho<br />
von Heute.<br />
Hannelore Schlaffer<br />
„Die Intellektuelle Ehe –<br />
Der Plan vom Leben als Paar“<br />
(Carl Hanser Verlag, 2011)<br />
Liebe sorgt zuweilen für eine Gleichberechtigung der<br />
Geschlechter, die gesellschaftliche Normen umgeht<br />
und bestenfalls ergänzend verändern lässt. Elisabeth<br />
Schlaffer zeigt auf und an wie es gehen könnte, sucht<br />
und findet historische Beispiele, gelungene, gescheiterte,<br />
meist Ansätze, die Unzulänglichkeiten offenbaren und<br />
dennoch demonstrieren, dass Partnerschaft in unserer<br />
heutigen Zeit mehr bedeuten kann, als die monogame<br />
Ehe zwischen Mann und Frau . Ein Buch zwischen historischer<br />
Suche und gegenwärtlicher Betrachtung.<br />
Diane Di Prima<br />
„Revolutionäre Briefe“ (Eco Verlag 1981<br />
(Originalausgabe), aktuell erhältlich bei edition 8)<br />
1971 erschien Diane Di Prima lyrische Anklage der<br />
amerikanischen Regierung und Gesellschaft bei City<br />
Light in San Francisco. Zu diesem Zeitpunkt war Di<br />
Prima, die in den 50er jahren in Beatnik-Kreisen um<br />
Kerouac und Ginsberg ihre Erweckung und kritisches<br />
Bewusstsein fand und in den 60ern in Timothy Learys<br />
LSD-Kommune lebte, bereits eine der meistgehörten<br />
Stimmen der Hippie-Bewegung. Di Prima hat<br />
fünf Kinder von vier Männern und ist Pflichtlektüre<br />
für den lyrisch-emotionalen Ruck.<br />
Eva Illouz<br />
„Warum Liebe weh tut“ (Suhrkamp, 2012)<br />
Illouz untersucht die Liebe als soziologisches Phänomen<br />
wie Marx einst die Ware im Kapitalismus. Dabei<br />
verliert sie jedoch weder den Menschen als individualisierte<br />
Funktionseinheit aus dem Blick, noch die<br />
Kraft der Romantik. Illouz beschreibt den modernen<br />
Menschen, ohne Allüren, ohne Besserwisserei.<br />
(Teil 2 folgt in der nächsten Ausgabe)<br />
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
III<br />
Wenn Aschenputtel auf Peitsche trifft<br />
Auch unsere Autorin Mirka Uhrmacher hat sich durch<br />
den Buch-Hit der Saison gequält. Und vielleicht ist das<br />
der Beginn einer wunderbareren Karriere als Fetisch-<br />
Fotografin. Ansonsten hat „Shades Of Grey“ nicht viel<br />
zu bieten. Hatten wir irgendwie erwartet. Und feministisch<br />
ist das Ganze auch nicht unbedingt.<br />
Fifty Shades of Grey oder auch Shades of Grey – Geheimes<br />
Verlangen, wie es in der deutschen Übersetzung in<br />
guter Groschenromanmanier heißt, führt neben dem offiziellen<br />
Titel noch den Beinamen „Das Buch“. Ob aus<br />
literarischer Sicht zu Recht oder nicht sei einmal dahingestellt,<br />
diese Kategorie ist hier sowieso eher nebensächlich.<br />
Was tatsächlich zur Beschäftigung mit E.L. James<br />
Megabestseller herausfordert, ist der erstaunliche und<br />
bisweilen auch erschreckend anmutende Erfolg eines<br />
Skandalromans, der völlig ohne nennenswert skandalöse<br />
Inhalte und ebenfalls ohne interessante Story auskommt.<br />
Dass man die 600 Seiten trotzdem durchhält, ist<br />
ein Phänomen. Und so ist eigentlich auch vor allem die<br />
Frage spannend, wie ein dermaßen schlecht und eintönig<br />
geschriebener Schund einen solchen Hype auslösen<br />
kann. Die Autorin – ein großer Fan der Twilight-„Saga“<br />
– schreibt so originell und variantenreich wie ein automatisches<br />
Textgenerierungsprogramm. Alle drei Zeilen<br />
errötet das graue Mäuschen von Protagonistin, während<br />
sie die Fassung verliert, es nicht glauben kann, vor Erregung<br />
und Verlangen weder ein noch aus weiß, mit ihrem<br />
Unterbewusstsein (äh…) und ihrer inneren Göttin (was<br />
zum…?!) zu kommunizieren versucht und nervtötende<br />
‚Oh’s oder ‚Wow’s in die leere Luft ihres Kopfes blubbert.<br />
Anastasia Steel ist so unfassbar naiv, dass man sich fragen<br />
muss, wie sie es bis ins hohe Alter von 21 Jahren –<br />
wohlgemerkt ohne jemals dabei über oder gar auf einen<br />
Mann gestolpert zu sein – geschafft hat. Christian Grey<br />
dagegen, atemberaubend schön und reich und attraktiv<br />
und smart und gutaussehend und geheimnisvoll und, ja,<br />
schön halt – schon gehen einem die Synonyme aus! – ,<br />
weiß alles, kann alles, ist die Souveränität in Person und<br />
wird nur, ach wie romantisch, bei der tollpatschigen kleinen<br />
Literaturstudentin schwach, die zufällig in sein Büro<br />
purzelt. Aschenputtel lässt grüßen. Er bringt daraufhin<br />
erwartungskonform ihre Welt total durcheinander und<br />
sie die seine. Doch ein dunkles Geheimnis, welches den<br />
Astralkörper des Christian Grey aurengleich umflattert,<br />
macht die ganze Sache natürlich reichlich kompliziert.<br />
Der ‚schwarze Prinz‘, als welcher er stilisiert wird, hatte<br />
BLANK I 127
128 I BLANK<br />
eine schwere Kindheit (schnief) und ist seitdem ziemlich<br />
verkorkst. Aber von Ana kann er die Finger nicht lassen<br />
und sie praktischerweise ihre auch nicht von ihm und so<br />
konfrontiert er sie mit seinen ungewöhnlichen Leidenschaften:<br />
einem vor Klischees triefenden Spielzimmer, in<br />
dem es alle landläufig assoziierten BDSM-Utensilien gibt.<br />
Dass dieser Raum eher an wenig kreative, dafür aber mit<br />
einem ordentlichen Mengenrabatt für roten Samt ausgestattete<br />
Bordelle erinnert, ist innerhalb der sterilen und<br />
hypermodernen Penthousewohnung des Multimillionärs<br />
Christian Grey sicherlich nicht gewollt, aber unvermeidbar<br />
und extrem störend. Jungfrau Ana ist jedenfalls erst<br />
einmal angemessen schockiert, lässt sich daraufhin aber<br />
prompt von diesem ‚perversen Schwein‘ entjungfern,<br />
verliert vor lauter Orgasmen dabei fast das Bewusstsein<br />
und entschließt sich, aufgrund ihrer pubertär überzogenen<br />
Gefühle, die eher an die Verehrung einer Boyband<br />
oder eines Filmstars erinnern, seine kleinen Spielchen<br />
mitzumachen. Sie kriegt den Po versohlt und Reitgerten<br />
eingeführt, windet sich stets brav unter den ekstatischen<br />
Zuckungen ihrer unzähligen Orgasmen, bekommt Mac-<br />
Books, Smartphones, Autos und Klamotten geschenkt<br />
und weint manchmal, weil das dann doch alles irgendwie<br />
ein bisschen viel für sie ist. Christian bleibt ihr – das<br />
ist ja auch seine Aufgabe – ein riesiges Geheimnis, klar<br />
ist nur, dass sie ihn retten will und muss. Vor sich selbst<br />
und seiner bösen dunklen Seite. Denn sie will ‚Mehr‘, und<br />
um dieses kleine magische Wörtchen entspinnt sich eine<br />
belanglose Geschichte, in der abgesehen von den äußerst<br />
sparsam zum Einsatz gebrachten Spielzeugen kaum ‚härter<br />
gefickt‘ wird, als bei den meisten Paaren zu Beginn<br />
ihrer Beziehung, in der nur ganz selten mal jemand haut<br />
und in der Ana maximal gefesselt und zu vierzigstimmigen<br />
Kirchenchören sanft mit einer Peitsche in bis dato völlig<br />
unbekannten Sphären der Lust vor sich hin dümpelt.<br />
An dem Punkt, wo Mr. Grey endlich mal richtig zulangt,<br />
schreit sie ihn an, wünscht ihn zum Teufel, verlässt ihn<br />
und sein Megahyperluxuspenthouse – und das Buch ist<br />
zu Ende. Meine Güte. Irritierender als der haarsträubende<br />
Schreibstil und die nichtssagende Story ist letzten Endes<br />
nur der Kontext, in dem dieses Werk seinen Anfang<br />
nahm. Geboren als einfallslose Fanfiction und ursprünglich<br />
den beiden Twilight-Dummdöseln auf den Leib geschrieben,<br />
ist die Tatsache, dass da eine verheiratete Frau<br />
Mitte 40 einen Jugendroman vergöttert und passioniert<br />
weiterschreibt der wirklich verstörende Fakt. Es wäre sicherlich<br />
spannend zu erfahren, was sie zu dem jüngsten<br />
Skandal um Vampirella Kristen Stewart zu sagen hat, die<br />
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
IV<br />
den armen Robert Grey… äh, Pattinson betrogen hat. Bei<br />
Youtube gibt es hierzu Videos von Fans, die weinen und<br />
schreien und zetern und… das ist wirklich alles hochgradig<br />
gruselig. Was bringt erwachsene Frauen, von denen<br />
man annehmen sollte, dass sie mitten im Leben stehen,<br />
bloß zu einem dermaßen fragwürdigen Verhalten? Was<br />
treibt sowohl Autorin wie Leserinnenschaft an? Sexuelle<br />
Revolution? Ein (antifeministischer) Backclash? Oder<br />
doch ein noch viel weitreichenderer Wunsch, nämlich der<br />
nach himmlischer Infantilität? Der Umstand aber, dass<br />
dieses Meisterwerk an Stumpfsinn so erfolgreich ist, wirft<br />
offensichtlich Fragen auf. Was um alles in der Welt ist da<br />
los? Seichte Lektüre mit kleinen erotischen Einsprengseln<br />
sei jedem zugestanden und ist wirklich etwas Schönes.<br />
Wenn aber öfter ‚postkoitales Haar‘ gekämmt und irgendwas<br />
gegessen wird, als dass es mal richtig zur Sache<br />
geht (denn hey, das erwarte ich nun mal von so einem<br />
Roman!), der geschilderte Sex reichlich kurz ausfällt, da<br />
Ana schon kommt, ehe sich der durch das Lesen ausgelöste<br />
sexuelle Reiz bis zum Gehirn des Lesers – oder eher:<br />
der Leserin – vorgekämpft hat, dann macht das reichlich<br />
wenig Sinn.<br />
Was also feiern Millionen von Frauen an diesen 600<br />
Seiten Eintönigkeit? Tatsächlich eine sexuelle Revolution,<br />
durch die endlich eine tabufreie Thematisierung des<br />
SM-Bereichs ermöglicht wird? Na, wohl mitnichten!<br />
Ganz im Gegenteil wird diese sexuelle Vorliebe hier nicht<br />
salonfähig gemacht, sondern als Entartung, Perversion<br />
und Krankheit gebrandmarkt. Immerhin steht ja genau<br />
das zwischen Ana und Christian, steht ihrer tiefen Liebe<br />
(hach ja) im Weg, macht alles kompliziert, gehört therapiert.<br />
Ausgelöst durch seine traumatische Kindheit (hach<br />
ja) ist Mr. Grey nicht dazu in der Lage, eine andere Art<br />
von Nähe zuzulassen. Auch wenn er heftig dementiert,<br />
als Kind missbraucht worden zu sein, Ana erzählt diese<br />
Geschichte aus der Ich-Perspektive (hach ja), es gibt keinen<br />
Erzähler, der für eine objektive Ansicht zurate gezogen<br />
werden könnte. Und in Anas Augen ist der gute Mr.<br />
Grey ein gutaussehendes, reiches, missbrauchtes und perverses<br />
Schwein, das es zu retten gilt. Wenn so ‚salonfähig‘<br />
aussieht… Irgendwie kann es das also nicht sein.<br />
Also doch der Wunsch nach alten Rollenverhältnissen?<br />
Aber Feministinnen sollten nicht aufschreien, weil sich<br />
hier eine Frau freiwillig einem Mann unterordnen würde.<br />
Das will Ana ja gar nicht! Das störrische kleine pubertäre<br />
Gör versteht den Sinn dieser ganzen Sache nämlich<br />
überhaupt nicht. Zudem wäre die Unterwerfung eines
dermaßen leicht zu manipulierenden Mädchens auch<br />
nicht überaus attraktiv. Was mich selbst – unabhängig<br />
nun von allem Gender-Gerede – echt auf die Palme gebracht<br />
hat ist, dass Ana fröhlich auch auf den Gebrauch<br />
ihrer letzten noch verbleibenden dreieinhalb Gehirnzellen<br />
verzichtet und dieser Umstand bei Frauen rund um den<br />
Globus scheinbar feuchte Höschen hervorruft. Ja Sakrament,<br />
ist das die Vorstellung einer erfüllten Sexualität im<br />
21. Jahrhundert? Eine Jungfrau trifft auf einen Experten<br />
und wird von da an von Orgasmen nur so überschüttet,<br />
ohne auch nur den Hauch einer Ahnung von ihrem eigenen<br />
Körper zu haben? Es ist eine alte und überaus faule<br />
Ausrede, schlechten Sex immer nur auf die Unfähigkeit<br />
des Mannes zu schieben.<br />
Eine Frau, die schlechten Sex hat, ist in den allermeisten<br />
Fällen selbst daran schuld. Und folglich ist auch guter Sex<br />
nicht das Ergebnis von Hexerei oder glücklichen Zufällen,<br />
sondern logische Konsequenz aus einem offenen Verhältnis<br />
zum Partner, zu sich selbst und den Bedürfnissen<br />
des eigenen Körpers. Aber nein, Ana lebt einen anderen<br />
Traum vor: man muss nichts wissen, nichts können, keinerlei<br />
Erfahrungen haben oder machen und am allerwenigsten<br />
muss man selbst wissen, was man will. Man<br />
muss nur den 6er im Lotto fi nden, den Kerl, der alles<br />
wie durch Zauberhand weiß und kann und durch seine<br />
übersinnlichen Fähigkeiten schon Brustwarzenzupfen in<br />
Orgasmuswellen konvertiert. Jubilieren da die frustrierten<br />
Hausfrauen, die sich der Sache nicht selbst annehmen<br />
wollen? Weil ihnen hier die Verantwortung für ihre eigene<br />
Sexualität abgenommen wird, da es eben eines Christian<br />
Greys bedürfe, damit auch in ihrem Unterstübchen<br />
mal Ozeane branden? Das scheint bitter, aber nicht abwegig.<br />
Die Darstellung einer unmündigen Sexualität ist<br />
aber nur der Gipfel des Simplifi zierungs-Eisbergs. Denn<br />
in Shades of Grey wird alles so stark vereinfacht und in<br />
solch abgedroschene Kategorisierungen gestopft, dass die<br />
Erwähnung der Farbe ‚Grau‘ im Titel schon an ein Meisterwerk<br />
unbeabsichtigter Komik grenzt. Statt Facetten<br />
gibt es nur das Schwarz und Weiß einer Welt, die so eindimensional<br />
ist, dass keinerlei Mitdenken mehr erforderlich<br />
ist, weder auf Seiten der Protagonisten noch auf Seiten<br />
der Rezipienten. Wieder Teenie sein, aber Erwachsenenspielchen<br />
spielen, das scheint Trumpf. In den Worten von<br />
Christian Grey ist angelegt, was eigentlich tatsächlich für<br />
immer mehr Frauen reizvoll wird: „All die Entscheidungen,<br />
die ermüdenden Überlegungen und Grübeleien, die<br />
damit verbunden sind. Diese Frage, ob es auch wirklich<br />
das Richtige ist. Ob es wirklich jetzt passieren soll. Und<br />
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
V<br />
„Roman schreibt<br />
aufrichtige, persönliche<br />
Gedichte, voller Mut,<br />
Gefühl und Schönheit.<br />
Zeilen, die einem direkt<br />
ins Herz springen.“<br />
simon verhoeven<br />
Roman Libbertz<br />
63 x Liebe<br />
GEDICHTE<br />
So vieles würde ich, wenn ich könnte.<br />
Für dich kann ich alles.<br />
Erscheint bei dotbooks<br />
im November 2012<br />
ISBN: 978-3-95520-030-5<br />
www.dotbooks.de<br />
db_anz_libbertz.indd 5 26.09.12 20:29<br />
BLANK I 129
130 I BLANK<br />
hier. Über all das müsstest du dir keine Gedanken mehr<br />
machen“. Das Pendant zum Manager, der sich ab und<br />
an mal durchpeitschen lässt, Verantwortung ablegt, mal<br />
nicht die Anweisungen gibt, sondern einfach mit sich machen<br />
lässt. Eine moderne, emanzipierte und erfolgreiche<br />
Frau zu sein, das ist anstrengend und manchmal möchte<br />
man einfach nur einen richtigen Kerl an der Seite haben,<br />
der das Denken unterbindet und sagt, was Sache ist. ‚Ficken‘<br />
eben. Doch so eine Frau ist Anastasia Steel nicht. Es<br />
sind keine kurzzeitigen Fluchten aus der anstrengenden<br />
Realität, die sie mit Christian Grey unternimmt, denn<br />
ihre Realität ist nicht im Geringsten anstrengend. Und<br />
Christian Grey wiederum ist nicht der psychisch gefestigte<br />
Charakter, dessen Überlegenheit man sich gern einmal<br />
temporär unterwerfen möchte. Es geht nicht um die<br />
positiven Aspekte von Dominanzverhältnissen und auch<br />
nicht um die lustvolle Dimension des Schmerzes. Anastasia<br />
bringt es auf den Punkt: „Vor mir steht ein Mann, der<br />
dringend Hilfe braucht. Was aus ihm spricht, ist die nackte<br />
Angst, doch er ist verloren… irgendwo in der Dunkelheit,<br />
die in seinem Innersten herrscht. Er sieht mich aus<br />
weit aufgerissenen Augen an, in denen die blanke Qual<br />
steht. Aber kann ich ihm helfen, kann ich zu ihm hinabsteigen,<br />
in seine Dunkelheit, und ihn ins Licht holen?“<br />
Das irgendwo aufgeschnappte Konzept wird verworfen<br />
zugunsten eines unreifen Helfersyndroms unter Aufgabe<br />
nicht etwa der anstrengenden Alltagsverantwortung,<br />
sondern der Verantwortung generell, nicht zuletzt auch<br />
der wundervollen Verantwortung der eigenen Sexualität<br />
gegenüber, die sehr wohl emanzipiert ist, auch wenn ein<br />
Teil von ihr sich nach Unterwerfung sehnt. Salonfähig<br />
machen, hm?<br />
In Shades of Grey geht es nicht darum, ein unzeitgemäßes<br />
Tabu zu brechen, um endlich über etwas sprechen zu können,<br />
das nicht krankhaft und nicht falsch ist. Es geht darum,<br />
das „Ausmaß [der] Verderbtheit“ zu schildern und<br />
sich insgeheim erregt an Selbiger zu reiben, eben weil das<br />
Tabu unangetastet bestehen bleibt. Hierzu wird das Ideal<br />
einer sexuell völlig unerfahrenen jungen Frau stilisiert, die<br />
nicht nur sich, sondern auch ihre Sexualität dem Manne<br />
unterwirft und deren Unmündigkeit (immerhin kriegt sie<br />
‚im Mündlichen‘ die Note 1 von ihm) nicht im Geringsten<br />
problematisch erscheint. Das, meine Damen und Herren,<br />
ist traurig. Die sexuelle Unterwerfung ist eine hohe Kunst,<br />
zu deren Ausübung es zweier äußerst willensstarker Partner<br />
bedarf, denn der Sinn liegt nicht darin, einer schwachen<br />
Frau den eigenen Willen aufzuzwingen, sondern<br />
eine starke Frau dazu zu bringen, schwach sein zu wollen.<br />
HEFT <strong>ZWEI</strong><br />
VI<br />
Das Problem liegt also nicht im Thema – darf sich eine<br />
Frau in Zeiten der Emanzipation gern unterwerfen? –,<br />
sondern in der falschen Darstellung. Dass die Leserinnen<br />
hierin kein Problem sehen, ist nicht darauf zurückzuführen,<br />
dass sie in feministischer Sicht bereits jenseits<br />
von Gut und Böse sind, sondern deutet darauf hin, dass<br />
hier nicht maßgeblich der Wunsch nach sadomasochistischen<br />
Praktiken im Vordergrund steht. Das ist nur die<br />
kleine Prise Würze und Tabu, die das Gefühl vermittelt,<br />
etwas Unanständiges zu tun. Hätten wir es mit mental erwachsenen<br />
und sexuell selbstbestimmten Frauen zu tun,<br />
könnte dieses Gefühl jedoch gar nicht erst aufkommen.<br />
Weder Tabubruch noch Backclash können also als Erklärungsmodelle<br />
für den Erfolg dieses Romans herhalten.<br />
Was Millionen von Frauen dazu treibt, nur durch sexuelle<br />
Implikationen von Teenieromanen zu unterscheidende<br />
Bücher und Filme zu verschlingen, ist ein tiefsitzender<br />
Wunsch nach Vereinfachung, danach, nicht schuld zu<br />
sein und keine Verantwortung übernehmen zu müssen,<br />
im Endeffekt nach unschuldiger Kindlichkeit. Nur die<br />
Sache mit dem Sex wird als scheinbar einzige lohnenswerte<br />
Errungenschaft des Erwachsenendaseins noch mit<br />
hinübergerettet, aber bitte erst nach einer umfassenden<br />
Säuberung von allen realistischen und damit unangenehmen<br />
Zügen. Nicht der Feminismus ist diesen Frauen zu<br />
kompliziert, sondern die gesamte Welt ist es. Sie sehnen<br />
sich zurück in die Zeit einfacher Kategorisierungen und<br />
abgedroschener Romantikvorstellungen, fernab der ernüchternden<br />
Enttäuschungen, die das Leben jenseits der<br />
Pubertät bestimmen. Erotik ist hier nur eine Spielart, das<br />
tatsächliche Anliegen heißt Flucht. Wie schon erwähnt,<br />
ist eine temporäre Flucht etwas Herrliches, und Literatur<br />
ist letztendlich nichts anderes. Schwierig wird das Ganze<br />
erst, wenn nicht in die Passion geflüchtet, sondern die<br />
Flucht zur Passion wird. Positiv hervorzuheben bleibt,<br />
dass sich Fifty Shades of Grey in rasantem Tempo lesen<br />
lässt. Die große Zahl der Fließband-Leserinnen kann hier<br />
die gewohnt raschen Fortschritte verbuchen. Ansonsten<br />
haben wir es mit einem alles andere als vielseitigen<br />
Roman zu tun. Es gibt keine facettenreiche Story und<br />
am wenigsten gibt es fünfzig verschiedene Facetten des<br />
Christian Grey. Er ist schlicht das Abziehbild eines – übrigens<br />
klassisch von Frauen imaginierten! – Stereotyps,<br />
ergänzt um exakt nur eine einzige Facette: seinen Hang<br />
zur Dominanz. Anastasia Steel fehlt es schließlich sogar<br />
an dieser Einen. Um abschließend die wundervolle Verballhornung<br />
zu zitieren, die das TITANIC-<strong>Magazin</strong> in<br />
einem völlig anderen Kontext verwendet hat: Extrem lau<br />
und unglaublich blah. Aber doch besorgniserregend.
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