Schwerpunktthema: Von HandDer Handarbeitsunterricht auf der Unterstufe ist nicht einfach ein Überbleibselaus fernen Zeiten, sondern – dies zeigt auch die aktuelle neurologische Forschung –hoch wirksame Wahrnehmungsförderung.Die Hand <strong>als</strong> Werkzeug der SeeleDie Pflege der Musik sei die Ausbildung der inneren Harmonie, soll Konfuziusgesagt haben. Doch dass gerade das Üben eines Instruments nicht immer ganzharmonisch abläuft, diese Erfahrung haben wohl die meisten schon gemacht ...Vom Herzen zu den FingernHandarbeit heute – ist dies nicht ein nostalgisches Relikt? Inunserer Zeit, in der alles billig und in grösster Auswahl gekauft werdenkann! Die vielseitigen Erforschungen der Entwicklung des zentralenNervensystems in den letzten Jahren zeigen immer deutlicher auf, dassdie Betätigung der Hände, die Sinneserfahrungen, die dadurch gemachtwerden, in einem grossen Zusammenhang mit der Gehirnentwicklungstehen.Die Hand ist das „höchst differenzierte Bewegungsorgan, dasüberhaupt existiert“ (Debrunner: Orthopädie;1983). Mit keinem anderenOrgan können so vielfältige Bewegungen ausgeführt werden. Beivielen Bewegungen sind auch die Arme mit beteiligt. Die freie Beweglichkeitder Hände und Arme steht in grosser Beziehung zur vertikalenHaltung des Menschen.Wer lernt, seine Hände geschickt zu machen, bildet einen gutenBoden für die Ausbildung der Urteilsfähigkeit und des logischen Denkensim späteren Leben. Selbst in unserer Sprache drückt sich dies aus:„an etwas anknüpfen“, „den Faden verlieren“, „der Geduldsfaden reisst“,„Gedanken spinnen“, jemand hat einen (gedanklichen) „Knoten“ etc.Mit dem Ertasten von verschiedenen Materialien, dem präzisenund koordinierten Bewegen der – anfangs noch wenig geübten - Händewird das Kind stark gefördert, wahrzunehmen. Gut gelingt dies, wennes sich innerlich mit seiner Handarbeit verbinden kann. Bewegungskontrolleund Bewegungssinn sind die Voraussetzungen für das Erlerneneiner Geschicklichkeit. Mit dem Tastsinn muss empfunden werden, obman einen Gegenstand genügend im Griff hat. Hätten wir in den Fingern,in den Händen keine Wahrnehmung von unseren Bewegungen,könnten wir sie nicht bewusst lenken. Alle feinmotorischen Fertigkeitenin der Handarbeit, vor allem das Stricken und Häkeln, regen die Arealevon Hand und Fingern im Gehirn dazu an, grösser zu werden. BeimStricken z. B. entsteht ein zusammenhängendes Gewebe. Die Fingermüssen so gelenkt werden, dass die nächste Masche an die vorangehendeangefügt wird, in dem die neue Masche durch die vorhergehendedurchgezogen wird. Wenn das Verstehen dieser Vorgänge in das Gehirnhineinwirkt, wird das Denken so angeregt, dass jeder Schritt aus demZusammenhang mit dem vorhergehenden zu tun hat. Es wird zu einemErfahrungsschatz, der im Inneren eingeordnet wird. Die Fähigkeit derHände, geschickt etwas „anzupacken“, wird ja auch die Intelligenz derHände genannt.Durch das Wahrnehmen über die Sinne nimmt das Kind das Erlebte– die Aussenwelt – in sich hinein, in seine innere, persönlicheWelt. Besonders eindrücklich ist dies bei den 1. und 2. Klässlern zubeobachten. Wenn es ihnen gelingt, mit vollem Herzen bei der Sachezu sein, so sind nicht nur die Hände bei der Arbeit, sondern der ganzeMensch. Je jünger ein Kind ist, um so intensiver erlebt es über dieBewegung und über das Ertasten. Berühren erzeugt berührt sein, auchim Seelischen. Ermöglichen wir den Kindern und heranwachsendenMenschen, sich handwerklich und schöpferisch zu betätigen, leistenwir einen grossen Beitrag, dass sie die Welt begreifen und lieben lernen.Ursula FröningWo wohnt die Musik im Menschen?Wohnt sie nicht überall? Wenn sich kleine Kinder - die nochnicht von Erwachsenen geformt wurden - zu Musik bewegen, tanztalles mit, vom kleinen Finger bis zur grossen Zehe. Die Augen leuchten,die Backen glühen - und wer weiss, was sie alles fühlen und denkendabei? Sie sind nicht aufgeteilt in Kopf und Füsse und Hände, es istalles eins.Wenn wir Musik <strong>als</strong> einen Gesamtausdruck des Menschen sehen,können wir umgekehrt über das Ganzheitliche zum beglückenden Spieleines Instrumentes führen. Es ist viel mehr eine seelische <strong>als</strong> eine mechanischeAufgabe.Braucht es flinke Finger, um schöne Musik zu machen?Wenn wir uns erinnern, welche Musik uns in unserem Lebenschon tief berührt hat: War es immer virtuose Musik? Oder war es nichtmanchmal eine ganz einfache, kleine Melodie, die uns direkt ins Herztraf? Schöne Musik hat ihren Ursprung nicht in den Fingern, sondern imHerzen. Spielen „mit Leib und Seele“ ist das Geheimnis. Das heisst, wirmüssen ganz dabei sein bei der Musik, die wir spielen.Wenn wir ganz präsent sind, ganz offen undverbunden mit der Musik, werden unsere Finger vonselber wach und spürend.Sie können dann vielleicht noch keine komplexe Musik spielen,vielleicht nur ein paar Töne, aber die können wunderschön sein. An dieserPräsenz zu arbeiten, die uns das ganze Leben so viel reicher macht,ist ein grosse Chance im Musikunterricht.Wo liegen die Herausforderungen beim Erlernen eines Instrumentes?Die Einheit immer wieder zu finden ist eine grosse Herausforderungim Musikunterricht. Weil wir uns mit den technischen Herausforderungeneines Instruments abmühen, laufen wir Gefahr, uns nur aufdie Hände oder Arme, im besten Fall noch auf den Atem zu konzentrieren.Damit verlieren wir unsere Einheit und es kann keine Musik mehrentstehen.Wenn wir zu früh und zu abstrakt mit dem Kopf Noten begreifen,mit den Händen richtige Töne erzeugen und dazu wenn möglich nochden Takt zählen müssen und wir das Ganze nicht empfinden können,hat das mit Musik nichts zu tun. Wie viele von uns haben jahrelang einInstrument gespielt und nicht viel Freude dabei empfunden? Das ist soschade und muss nicht sein.Im Musikunterricht geht es darum, Wege zu finden – so vieleWege, wie es Menschen gibt – Musik erlebbar zu machen von Anfangan. Wenn ich eine Musik nicht empfinde, kann ich sie auch mit dengeschicktesten Fingern nicht innig und berührend spielen.Einfach bleiben ist dabei ganz wichtig. Nur so viel auf einmallernen, wie es leicht und spielerisch geht. Von verschiedenen Seiten herkommen. Ein Mensch erlebt Musik übers Singen, ein anderer mehr überBewegung und Rhythmus, ein dritter findet den Zugang über Geschichtenund Bilder. Genauso, wie der Wortschatz eines Menschen nicht nurmit der Zeit, sondern auch mit dem Erleben wächst, so wachsen inder Auseinandersetzung mit einem Instrument die musikalischen Ausdrucksmöglichkeitennicht nur mit technischer Fertigkeit, sondern mitmusikalischen Erlebnissen.Die Improvisation ist dabei eine ganz wunderbare Lehrerin. Wieklingt Wasser? Oder ein Eichhörnchen? Wie bewegt es sich? Kann ichdiese Bewegung irgendwie auf mein Instrument übertragen? Was erklingtdabei? Damit werden musikalische Vorstellungen geweckt undverfeinert, die später helfen können, technische Schwierigkeiten zuüberwinden und Musik lebendig und beglückend werden zu lassen. Undes macht Spass!Was soll täglich geübt werden?Üben ist keine Mühsal, wenn es dabei nicht in erster Linie umrichtige oder f<strong>als</strong>che Töne geht und wenn ich gelernt habe, mit Neugierdeund Entdeckergeist ans Werk zu gehen. Wenn ich Klänge undMelodien auch einmal selber erfinden darf und ihre Wirkung immerwieder neu erlebe. Wenn ich bald fähig bin, eine Stimmung auszudrücken– vielleicht mit ganz einfachen Tönen – dann kann das Üben zurFreude werden und auch sehr heilsam sein. Es ist wichtig, das Üben bewusstin den Alltag einzubeziehen und sich möglichst jeden Tag etwasmit seinem Instrument zu beschäftigen, wie mit einem Haustier odereinem guten Freund. Die Eltern können dabei ganz viel helfen, indemsie dem Kind ihr Interesse und ihre Freude an seiner Musik zeigen. Singenvon Geburt an ist Gold wert und kann die Kinder bewahren vor derallzeit präsenten akustischen Berieselung, die ihre Sinne stumpf macht.Claudia Caviezel, befragt von Maja Dal Cero45