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Wildnis on the rocks (PDF 32 KB)

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Italienische Westalpen<str<strong>on</strong>g>Wildnis</str<strong>on</strong>g> <strong>on</strong> <strong>the</strong> <strong>rocks</strong>Auf der „Grande Traversata delle Alpi“ (GTA) erlebenWeitwanderer eine vergessene Alpenwelt. Komfort gibt es wenig.Abgeschiedenheit, steile Anstiege und wilde Natur umso mehr.V<strong>on</strong> Il<strong>on</strong>a SchäkelDas schmuddelige Schneefeld, das unseren Weg verschluckt, ist mitFlüchen nicht zu beeindrucken. Fast drei Stunden haben wir uns densteilen Pfad hinaufgeschraubt, etliche Kilo Gepäck auf dem Rücken.Vielleicht fünfzehn Minuten trennen uns noch v<strong>on</strong> unserem Nachtlager inder Alpe Baranca. Und jetzt das. Wütend starren wir auf die vereiste,abschüssige Schneedecke, als wäre sie auf diese Weise zum Schmelzenzu bringen. Eines steht fest: Hinüberzugehen verlangt mehr Mut als wirzu bieten haben. In einem Hohlraum unter dem Schnee gurgelt ein Bach.Kalter Wasserdampf schlägt uns entgegen, als hätte jemand die Tür zueinem riesigen Kühlschrank aufgemacht.Es ist der vierte Tag unserer Wanderung in den piem<strong>on</strong>tesischen Alpen.Genauer gesagt, auf der „Grande Traversata delle Alpi“, kurz der „GTA“.In Deutschland ist dieser Weitwanderweg durch die landschaftlichreizvollen italienischen Westalpen bisher nur ausgesprochenen Kennernein Begriff. Er beginnt in der Nähe der grauen Grenzstadt Domodossolaund verläuft in einem sanften Bogen durchs Gebirge über 55 Etappenrund tausend Kilometer bis zum Mittelmeer.Wer die GTA wandern will, muss Höhenmeter lieben. Zwischen 600 bis1500 Meter geht es täglich bergauf - und wieder bergab. Weil dieschmalen Täler hier vom Alpenrand tief ins Alpeninnere einschneiden,kommt kaum eine Etappe ohne steile Anstiege und Pässe aus. Belohntwird die Plackerei mit einsamen, wilden Landschaften, atemberaubendenAusblicken und der Romantik des allmählichen Verfalls. Denn die Routeführt durch ehemaliges Kulturland, vorbei an verlassenenBergbauernhöfen und Kapellen, über bucklige Saum- und Wiesenwege,alte Römerstraßen und ausgediente Mulatterien, Maultierpfade, auf denenin besseren Zeiten Waren und Vieh transportiert wurden.Mit der Industrialisierung und der Modernisierung der Landwirtschaft inder Poebene begann der Niedergang der jahrhundertealten, traditi<strong>on</strong>ellenBergwirtschaft. Weil die Herstellung der Waren aufwändig und derTransport ins Tal teuer waren, wurden die bäuerlichen Familienbetriebemehr und mehr unrentabel. Die Jungen zogen in die Fabriken nachMailand und Turin, die Alten blieben zurück. Mit ihnen gerieten oftmalsKultur und Traditi<strong>on</strong>en der einstigen Alpenbewohner in Vergessenheit.Heute sind viele Weiler menschenleer.Ende der siebziger Jahre entdeckte eine Gruppe Turiner Alpinisten ihrHerz für die Regi<strong>on</strong>. Alte Wege wurden freigeschlagen und markiert, in


den noch bewohnten Dörfern entstanden „Posti Tapa“, einfachePrivatunterkünfte für Wanderer. Das verästelte Wegenetz wuchs zur„Großen Alpendurchquerung“ zusammen. Doch die Pflege undInstandhaltung der Pfade war mühsam. Als die italienischen Gästeausblieben, weil sie ihre Ferien lieber am Meer verbrachten, fiel die GTAzurück in den Dornröschenschlaf. Heute ist es vor allem lokalenInitiativen und einer Handvoll deutschsprachiger Alpenliebhaber zuverdanken, dass viele Wege wieder begehbar sind. Gemeinsam bemühensie sich, einen sozial- und umweltverträglichen Tourismus entlang derGTA zu etablieren – auch um Arbeitsplätze zu sichern und dieAbwanderung zu stoppen.Wir haben einen Abschnitt für Einsteiger gewählt: fünf Etappen v<strong>on</strong>Campello M<strong>on</strong>ti bis Alagna Valsesia, ohne Geröllfelder undGletscherüberquerungen, kein Pass über 2500 Meter. Der bequemsteZugang zur GTA führt über den liebevoll herausgeputzten Ort Forno inknapp zwei Stunden nach Campello M<strong>on</strong>ti. Das uralte Dörfchen gilt alsaufgegeben, nur im Sommer sind einige der wenigen, getünchten Häuser,die sich eng an den Hang des Talendes schmiegen, bewohnt. Wirverbringen die Nacht im Klassenzimmer der ehemaligen Dorfschule, diezur Unterkunft für GTA-Wanderer umfunkti<strong>on</strong>iert wurde. Derwolkenlose Himmel lässt uns in aller Früh aus den wackeligenStockbetten klettern. Es ist Ende Juni und die S<strong>on</strong>ne wird uns spätestensin ein paar Stunden den Aufstieg zur Hölle machen.Kurz hinter der Alpe Sass dal Mür, ein paar hundert Meter westlich v<strong>on</strong>Campello M<strong>on</strong>ti, schwenken wir auf die GTA. Der Pfad mäandert einStück gemächlich über saftige Wiesen und steigt dann steil denTaltrichter hinauf über grasbewachsene Felsen, gesäumt v<strong>on</strong>Glockenblumen, Disteln und leuchtend gelbem Goldregen. Weiter obenblühen rosa Alpenrosen zwischen trockenem Gestrüpp. In der Fernescheppern Kuhglocken. Für die Toten, die man bis zum Jahr 1551 aufdiesem Weg ins benachbarte Rimella transportierte, weil Campello M<strong>on</strong>tibis dato keinen eigenen Friedhof besaß, mag das eine würdige Kulissegewesen sein – beineiden tun wir die damaligen Leichträger nicht. Auchohne Sarg auf den Schultern perlt uns der Schweiß v<strong>on</strong> der Stirn. ZumGlück weht frische Morgenluft vom Fluss herauf, der sich mitohrenbetäubendem Radau ins Tal stürzt.Dass die Bäche um diese Jahreszeit noch so viel Wasser führen, istungewöhnlich. Der letzte Winter war streng, in einigen Gegenden fielensieben bis acht Meter Schnee. Spuren dav<strong>on</strong> sind überall zu sehen: Trotzder sommerlichen Temperaturen kleben Schneefelder hartnäckig in denBergfalten bis weit unterhalb der Gipfel. Brücken sind zerstört, Bäumeentwurzelt, Furten überflutet. Geröll- und Erdabgänge haben den Weg aneinigen Stellen abrutschen lassen. Auch auf den letzten Metern zur„Bocchetta di Rimella“, dem Pass zwischen Str<strong>on</strong>atal und ValMastall<strong>on</strong>e, zwingt uns Restschnee zu einem Umweg durch struppigeMacchia.


Doch die Bocchetta belohnt uns mit einem Platz nahe dem Himmel. V<strong>on</strong>hier oben schweift der Blick an klaren Tagen unverstellt über die WalliserAlpen bis zum 4633 hohen, gletscherbedeckten M<strong>on</strong>te Rosa-Massiv. Wirfühlen uns klein in dieser Welt aus Gipfeln und Graten. Unter uns schlägtdie Landschaft Falten. An den Abhängen und auf den Vorsprüngenkleben verstreut trutzige Häuser aus grauem, grob beschlagenemNaturstein, die meisten dav<strong>on</strong>, wie sich beim Abstieg herausstellt,verfallen, überwuchert v<strong>on</strong> Brennnesseln und dichtem Gestrüpp. Büschewachsen auf den ehemaligen Almwiesen und Ackerterrassen. Stück fürStück holt sich die Natur zurück, was ihr die Bauern über vieleJahrhunderte mühsam abgerungen haben.Auch in Rimella stehen viele Häuser leer. In den 1830er Jahren hatte dasDorf mehr als 1300 Einwohner, heute sind es noch 160, ein paar Dutzendleben ganzjährig hier. Rimella liegt im Herzen des Walsergebiets. Walserwerden die deutschsprachigen Siedler aus dem Oberwallis genannt, diesich im späten Mittelalter in der Regi<strong>on</strong> niederließen. Anders als diepiem<strong>on</strong>tesischen Bergbauern betrieben die Walser kaum Ackerbau,s<strong>on</strong>dern fast ausschließlich Viehwirtschaft. Deshalb k<strong>on</strong>nten sie ihreSiedlungen weit oberhalb v<strong>on</strong> 1000 Metern anlegen, wo sie bis zumBeginn des 20. Jahrhunderts oft völlig isoliert lebten.Die Krise der Bergwirtschaft traf die Walser bes<strong>on</strong>ders hart, vieleHandwerker und Bauern verließen Italien in Richtung Frankreich,Deutschland oder die Schweiz. Trotzdem hat sich bis heute einelebendige Walserkultur erhalten. Nicht nur in Rimella, s<strong>on</strong>dern auch inanderen Dörfern entlang der GTA zwischen Campello M<strong>on</strong>ti und demVal Vogna werden Kleidung, Handwerk, Brauchtum, Architektur undSprache der Vorfahren beinahe trotzig gepflegt. Und so kann espassieren, dass müde Wanderer am Ende eines Tages eher mit einemkantigen „Guten Tag“ als mit einem smarten „Hello“ empfangen werden.Ein paar Brocken Italienisch sind auf der GTA trotzdem nützlich. Dennübernachtet wird durchweg in kleinen, einfachen familiären Unterkünftenin den Tälern, die oft nur in der Sommersais<strong>on</strong> geöffnet sind. Einetouristische Infrastruktur mit großen Hotels, Einkaufszentren undRestaurants gibt es kaum. Vielerorts ist es sogar ratsam, seine Ankunfttelef<strong>on</strong>isch anzukündigen, um sicherzugehen, dass eine Pritsche imSchlafraum frei und genügend Essen im Haus ist. Doch die Mühe lohnt,denn die piem<strong>on</strong>tesische Küche gilt zu recht als eine der besten Italiens.V<strong>on</strong> Rimella führt unsere Wanderung durch dichten Wald weiter über dieAlpe La Res ins Valle Baranca. Unser nächstes Etappenziel, die AlpeBaranca, liegt auf 1566 Metern und wird noch heute traditi<strong>on</strong>ellbewirtschaftet. Im Dachgeschoss über dem Kuhstall können Wanderer,die Landluft nicht scheuen, gemütlich unterkommen; auf der Terrasse v<strong>on</strong>der Alpe gibt es frischen Toma-Käse, hausgemachten Mozzarella,Rotwein aus dem Piem<strong>on</strong>t und reichlich Gelegenheit zum Ausspannenvor dem Aufstieg zum 2239 Meter hohen Colle d’Egua.


Das haben auch wir vor. Wäre da nicht dieses Schneefeld, das uns denWeg zur Alpe versperrt. Wir haben weder Seile noch Steighilfen imGepäck – v<strong>on</strong> Erfahrung mit solchen Passagen ganz zu schweigen. Ratlossuchen wir die Böschung nach einer Möglichkeit ab, den eisigen Kolossbergabwärts zu umrunden. Beinahe wollen wir aufgegeben, als uns eineitalienische Bergsteigerfamilie mit Ratschlägen und Ausrüstung zu Hilfekommt. Eine Viertelstunde später lassen wir uns mit weichen Knien vorder Alpe Baranca zwischen Eseln, Ziegen und Kühen ins unwirklichgrüne Gras fallen.V<strong>on</strong> den Bauern erfahren wir, dass die Pässe hinüber zum Egua-Tal undbis nach Alagna noch dick mit Schnee bedeckt sind. Der taut zwar unterder Junis<strong>on</strong>ne im Rekordtempo, doch gerade das macht ihn gefährlich.Denn der aufgeheizte Fels lässt die verdichteten Schneemassen v<strong>on</strong> untenabschmelzen, die Brücken über Feldspalten und Flussläufe werden dünnund porös. Jedes Jahr verunglücken selbst erfahrene Bergsteiger in denAlpen, weil sie unerwartet einbrechen und abrutschen.Nach der unbeholfenen Figur, die wir bei unserer letzten Kletterpartieabgegeben haben, entschließen wir uns zur Rückkehr ins Tal. Amnächsten Morgen ist das Schneefeld unterhalb der Alpe kräftiggeschrumpft - diesmal schaffen wir den Abstieg ohne Flüche und fremdeHilfe. Bevor wir in den Minibus umsteigen, der uns auf halsbrecherischenSerpentinenkursen in die benachbarten Täler bringen wird, machen wir inFobello Stati<strong>on</strong>, einem Dorf an der Hauptstraße nach Varallo Sesia,dessen verwitterten Villen einen Hauch v<strong>on</strong> Belle Époque verströmen.Der kleine Ort erweist sich als perfekter Standort für Wanderungen in dieunteren Regi<strong>on</strong>en des „Parco Naturale Alta Valsesia“.Die höher gelegenen Abschnitte der GTA bekommen wir auf dieser Tournur noch durch das Fernglas zu sehen. Doch auch ohne spektakuläreGipfelstürme bleibt die Faszinati<strong>on</strong> für dieses vergessene Fleckchen Erde,v<strong>on</strong> dem es bis heute keine verlässlichen Karten gibt und das sich eineWildheit bewahrt hat, die anderswo in den Alpen selten geworden ist.Eines Tages werden wir - wie viele, die einmal auf der GTA gewandertsind - hierher zurückkehren. Nicht nur um die Pässe schneefrei zuerleben.(10.776 Zeichen inklusive Leerzeichen)


ReiseinfosAnreiseMit dem Zug: V<strong>on</strong> Berlin über Bern/Brig/Domodossola nach Omegna,v<strong>on</strong> dort mit dem Bus nach Forno (Einstieg zur GTA)Mit dem Flugzeug: V<strong>on</strong> Berlin nach Mailand oder Turin, v<strong>on</strong> dort mitdem Zug über Novara nach Omegna, mit dem Bus nach FornoReisezeitWegen der Höhenlage nur im Zeitraum v<strong>on</strong> etwa Mitte Juni bis EndeSeptember begehbarUnterkünfteÜberwiegend einfache Herbergen, „Posti tappa“; wildes Zelten ist inItalien verboten und wird insbes<strong>on</strong>dere in den Nati<strong>on</strong>alparks kaumgeduldetGeführte WanderungenInitiative Pro Rimella: Wanderungen in Kleingruppen sowie individuelleTouren v<strong>on</strong> Jörg Klingenfuß, ab Rimella und Varallo Sesia(www.gtaweb.de)Tra Cultura e Natura: Wechselnde Wanderungen in Kleingruppen(www.tcen.de)Literatur/KartenW. Bätzing, Grande Traversata delle Alpi Teil 1: Der Norden (5.,überarbeitete, aktualisierte Auflage 2006)Eberhard Neubr<strong>on</strong>ner, Der Weg vom M<strong>on</strong>te Rosa zum Mittelmeer(Bildband).Istituto Geografico Centrale (IGC), Nr. 10 (M<strong>on</strong>te Rosa, Alagna eMacugnaga), 1:50000Istituto Geografico Centrale (IGC), Nr. 109 (M<strong>on</strong>te Rosa, Alagna,Macugnaga, Gress<strong>on</strong>ey), 1:25000Linkswww.valsesia.it (offizielles Portal des Valsesia)www.gtaweb.de (detaillierte Informati<strong>on</strong>en rund um die GTA v<strong>on</strong> JörgKlingenfuß)www.michael-kleider.de (Video zur GTA)www.wanderweb.ch (Aktuelle Routeninformati<strong>on</strong>en)

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