13.07.2015 Aufrufe

Mein fliegender Teppich - denizsoezen

Mein fliegender Teppich - denizsoezen

Mein fliegender Teppich - denizsoezen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Deniz SözenUçanHalım<strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>


Deniz SözenUçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>UçanHalım<strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>2 3Vor AbflugUçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>, Route Gördes (TR)-Basel (CH), googlemaps, 2012Im Juni 2011 luden mich Herbert Manser und Lisa Palak-Otzoupdurch die Vermittlung von Yeliz Palak dazu ein, eine neue Arbeit für dieNische in ihrem Salon zu konzipieren.Im jährlichen Rhythmus werden KünstlerInnen durch das Paareingeladen für diesen teil-öffentlichen Ort eine Arbeit zu realisieren undfür den Zeitraum eines Jahres auszustellen. Das Honorar (inkl. allfälligerProduktionskosten) beträgt 1500 Schweizer Franken. Inhaltlich gibt eskeine Vorgaben. Die Nische – eine kleine Aussparung in einer Wand -befindet sich im Wohnzimmer ihrer Privatwohnung in Basel.Es schien mir eine besondere Herausforderung auf die spezifischenräumlichen Gegebenheiten der Nische künstlerisch zu reagieren. Ichbegab mich also auf die Suche nach Ideen, auf welche Weise ich denKontext des „privaten, teil-öffentlichen Salons“ für meine Arbeit produktivmachen könnte.Ich entschied mich schliesslich für einen sehr persönlichen Zugang:Wie bereits in früheren Arbeiten sollte ein biographisches Dokumentaus meinem privaten Archiv den Ausgangspunkt meiner Arbeitdarstellen.


Deniz SözenEinführungDie Sammlung meiner Kinderzeichnungen (Türkei, 1987/ Schuleintritt)werden zwar gegenwärtig noch vereinzelt <strong>Teppich</strong>e geknüpft, meinenbeinhaltet eine kleine Filzstiftzeichnung, welche meinen Bruder undVerwandten war es allerdings nicht möglich, zeitgerecht eine fachlichmich (wir sind beide jeweils mit unseren Namen gekennzeichnet)geeignete Person zu finden.in einem gelben Automobil in einer horizontal gespiegelten buntenDurch Zufall bekam Ülgen, eine Freundin in Istanbul, via meinenWolkenkratzerlandschaft zeigt. Die farbigen Hochhäuser sind flankiertFacebook-Aufruf Wind von der Sache. Ihre Familie betreibt seit Jahrzehntenvon multiperspektivisch aufgeteilten vertikalen Grasstreifen und Verkehrslichternein <strong>Teppich</strong>geschäft am Grossen Bazaar. (Adnan & Hasan)ähnelnden undefinierbaren Gebilden, nebst einem klarDurch Kontakte ihres Vaters, Hasan Semerci, konnte sie mich mit demerkenntlichen Apfelbaum, der Sonne und dem Meer. Auf Grund derHändler Herrn Bedri Yoku in Verbindung bringen. Jener gibt für unterschiedlichegespiegelten symmetrischen Elemente der Komposition und der besonderenKunden aus dem In- und Ausland verschiedenste Knüpf-Farbigkeit hatte ich bereits seit längerer Zeit eine Umsetzungteppiche in der Gegend von Manisa, Türkei in Auftrag. Somit war erdieser Zeichnung in Form einer Tapisserie vor Augen. Im Laufe desder richtige Ansprechpartner für mein besonderes Vorhaben. Es warIdeen findungsprozesses für die Nische gewann diese vage Idee mehrzeitlich schon recht knapp, aber aus langjähriger Freundschaft zu Hasanund mehr an Konturen.Semerci, willigte er ein und nahm den Auftrag entgegen. Ich schickteDie Installation eines Wandteppichs mit dessen vielfältigen Konnotationenihm in der ersten Februarwoche einen digitalen Scan meiner Zeichnung.insbesondere in Bezug auf die Geschichte und Repräsentations-Wir vereinbarten deren Umsetzung als geknüpften Wandteppich in denfunktion des orientalischen <strong>Teppich</strong>s im Kontext des bürgerlichen SalonsMassen 1.35 x 1.90 cm und einigten uns auf einen Preis von umgerechnetin Kombination mit der öffentlichen Präsentation eines autobiograph -580 Schweizer Franken. Ich würde den <strong>Teppich</strong> Mitte März selberischen Artefakts erschien mir als ein reizvolles Experiment mit den raumsoziologischenabholen und im Flugzeug in die Schweiz transportieren. Die Vorlagen für4 Bedingungen der Nische. Der Vorschlag wurde durchdie Knüpferinnen wurden durch eine Graphikerin in Istanbul angefertigt.5Uçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>Herbert Manser und Lisa Palak-Otzoup mit Begeisterung aufgenommen.<strong>Mein</strong>e Idee eine frühere Kinderzeichnung in der Gegenwart als Bildteppichzu re-inszenieren, sollte mich in weiterer Folge auf eine abenteuerlicheRaum-Zeit-Reise in meine eigene Vergangenheit führen: ins Landmeiner Kindheit - die Türkei.Der <strong>Teppich</strong> – die ReiseDadurch dass meine türkische Grossmutter in ihrer Jugend selbst<strong>Teppich</strong>e geknüpft hat welche zum teil als Erbstücke den Wohnzimmerbodenmeiner Familie in Österreich bedecken ist mir die Materialität undabstrakte Symbolsprache von <strong>Teppich</strong>en seit Kindheit vertraut. Zunächstwar es auch mein Wunsch gewesen, eine Knüpferin in Anatolien in derGegend von Konya, Karapınar – dem Ort, an dem mein Vater aufgewachsenist, mit der Herstellung des Bildteppichs zu beauftragen. DieRegion Konya, Karapınar ist ein berühmtes <strong>Teppich</strong>-zentrum der Türkeiund ich dachte, es wäre ein Leichtes durch Kontakte meiner Verwandteneine Knüpferin vor Ort zu finden. Dies sollte sich jedoch als Irrtumherausstellen. In einigen entlegenen Dörfern in der Gegend von KonyaFür ihr Honorar veranschlagte Herr Yoku zzusätzlich etwa 128 SchweizerFranken.Da in der Gegend rund um Konya vorwiegend Schafszucht betriebenwird und der Preis für Schafwolle dementsprechend günstig ist, wurdedie Wolle dort mit natürlichen Farbstoffen aus Pflanzenwurzeln (kökboya), eingefärbt und sollte ehemöglich nach Gördes geliefert werden.Durch starken Schneefall waren jedoch die Strassen blockiert, was denTransport der Wolle sowie der Vorlagen zu den Knüpferinnen im hochgelegenenGördes verunmöglichte. Durch diese widrigen Umständekonnten die Knüpferinnen in Gördes erst Anfang März ihre Arbeit aufnehmen.Es grenzt an ein Wunder, dass sie den Bildteppich zeitgerechtfertigstellen konnten.Ich hatte den <strong>Teppich</strong>händler Herrn Yoku vor meiner Abreise gebeten,die Knüpferinnen zu informieren, dass ich nach Gördes kommenund sie persönlich kennenlernen wollte. Wenn sie einverstanden wären,würde ich den Prozess begleitend eine kurze Reportage mit ihnen drehen.Herr Yoku und die Knüpferinnen, Frau Fatma Arslanta und FrauAy e Yetik gaben mir ihre Zustimmung für dieses Vorhaben.Ich buchte also meinen Flug von Zürich via Istanbul nach Izmir,wo sich der nächstgelegene Flughafen zu Gördes, Manisa befindet.


Deniz SözenEinführungIch hatte zwei Jahre meiner Kindheit in Izmir verbracht - meine erstenIch verbrachte zwei intensive Tage in Gördes als Gast der Knüpferinnenbewussten Erinnerungen stammen aus dieser Zeit. Es war ein eigenartigesFatma Arslanta und Ay e Yetik und konnte bei dieser Gelegen-Gefühl nach beinahe 25 Jahren an diesen Ort zurückzukehren. Obheit einen tieferen Einblick in ihre Lebens- und Arbeitsweise erhalten.unser altes Haus wohl noch stand?Tagsüber durfte ich sie beim Knüpfen auf Video aufnehmen und lernteOnkel Haluk, ein alter Freund meines Vaters holte mich am 7. Märzzugleich wie man einen Gördes-Knoten 1 knüpft. Drei Knoten in demvom Flughafen ab und beherbergte mich bei seiner Familie in Izmir.<strong>Teppich</strong> stammen aus meiner Hand. Ich hatte einige Mühe beim KnüpfenEr war es auch, der mich mit seinem privaten PKW 160 km bis nachund bewundere die Kunstfertigkeit dieser Frauen seither noch vielGördes fuhr, um den <strong>Teppich</strong> abzuholen. Ab Akhisar mussten wir ca.mehr. Hätte ich diesen <strong>Teppich</strong> selber geknüpft, so wäre ich in einem50 km Serpentinen hochfahren, bis wir endlich die kleine OrtschaftJahr nicht fertiggeworden!Gördes erreichten.Abends, als die Frauen zuhause beim Handarbeiten zusammensassen,Die Knüpferinnen empfingen uns sehr herzlich. Sie arbeiteten in einerbat ich sie vor der Kamera über ihr Leben und ihre Arbeit alswinzigen Kammer, welches ihr Chef, der Händler Herr Yoku gemietetselbstständige Knüpferinnen zu erzählen. Auch Frau Ay e Uçak, Frauhatte. In dem Raum standen zwei grosse Webstühle aus Eisen dichtFatmas Mutter, welche ihr die Knüpfkunst beigebracht hatte, geselltebeieinander. Die Frauen sassen auf Holzbänken davor und knüpften insich dazu. Obwohl ich anfangs einige Mühe hatte ihren regionalenrasender Geschwindigkeit einen Knoten nach dem anderen.Dialekt zu verstehen, erfuhr ich doch so einiges über den Alltag derBei näherer Betrachtung bekam ich jedoch einen leichten Schock:Knüpferinnen.Im Gegensatz zu Herrn Yoku Aussagen dass der <strong>Teppich</strong> am 11. MärzIch freue mich, die Perspektive dieser sonst als Knüpferinnenfertiggestellt sein würde waren die KnüpferInnen erst knapp bei deranonym bleibenden Frauen in Form eines kurzen Videos vorzustellen.6 Hälfte angelangt. Es war der 9. März! Am 17. März ging mein Flug ausSomit hoffe ich den BetrachterInnen des Bildteppichs, einen Einblick in7Uçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>Istanbul nach Zürich. Davor sollte der <strong>Teppich</strong> in Istanbul professionellgewaschen und getrocknet werden. Am 21. März war die Eröffnungder Ausstellung in Basel. Wie sollte der <strong>Teppich</strong> jemals rechtzeitigfertigwerden?Es stellte sich heraus, dass die Knüpferinnen keinerlei Informationüber die Ausstellungseröffnung erhalten hatten. Sie wussten, es eilte,aber sie hatten auf Grund der Vorlage imaginiert, dass der <strong>Teppich</strong> fürdie Dekoration eines Kinderzimmers geplant war. Was spielte es daschon für eine grosse Rolle, wenn der <strong>Teppich</strong> erst eine Woche späterfertig sein würde?Nachdem ich ihnen die Dringlichkeit der Lage geschildert hatte, versprachensie alles dranzusetzen, den <strong>Teppich</strong> rechtzeitig fertigzustellensodass er noch vor meiner Abreise in Istanbul gewaschen werden konnte.Sie baten eine dritte Knüpferin, Frau enay Özen ihnen zu helfen. Damir klar war, dass sie sich ihr im Verhältnis zu der enormen Arbeitsleistungohnehin geringes Honorar nun zu dritt aufteilen mussten und somitweit weniger verdienen würden, gab ich der haupt- verantwortlichenKnüpferin Frau Fatma Arslanta ohne Wissen ihres Chefs zusätzlich 300Türkische Lira ( das entspricht etwa 150 Schweizer Franken) welchediese dankbar entgegennahm.sonst verborgene Aspekte seiner Herstellung und Herkunft, dem damitverbundenen globalen Handel und den Arbeitsbedingungen der Knüpferinnenzu ermöglichen.Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen, die mich bei dem Projektunterstützt haben: Yeliz Palak, Herbert Manser und Lisa Palak-Otzoup,Familie Sözen, Ülgen Semerci (Adnan & Hasan, Istanbul), Bedri Yoku ,Haluk & Gülenay Çagatay, Hayriye Sözen, Atilla Erol.<strong>Mein</strong> besonderer Dank gilt den Knüpferinnen Fatma Arslanta , Ay eYetik und enay Özen für ihre fantastische Arbeit, sowie Frau Ay e Uçakfür die Teilnahme an den Video-aufnahmen.Tausend Dank an Nina Reisinger für Ihre Geduld.Deniz Sözen, März 20121 Der Gördes-knoten wird auch als “türkischer Knoten” bezeichnet: Es handelt sich einen symmetrischen Doppelknoten,der hauptsächlich in der anatolischen Knüpfkunst Anwendung findet. Er beansprucht mehr Zeit, ist jedoch stabiler alsein asymmetrischer Einfachknoten


Deniz SözenHalic - Der Titel ist der Titel8Deniz Sözen: O.T., Türkei/Schuleintritt, 1987, Filzstift auf Papier, ca. 148 mm x 210 mm


Deniz SözenVideostillsUçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>10 11Uçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>, Video-stills, Gördes 2012, Videoaufnahmen mitden Knüpferinnen Fatma Arslanta , Ay e Yetik, Ay e Uçak


Deniz SözenVideostillsUçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>12 13Uçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>, Video-stills, Gördes 2012


Deniz SözenBiografieUçan Halım – <strong>Mein</strong> <strong>fliegender</strong> <strong>Teppich</strong>Deniz Sözen (*1981, A/TR)2008Künstlerin, Kunstvermittlerin studierte Bildende Kunst an der Universität für«Odessa, Odessa». In: Graue Donau, Schwarzes Meer. Hrsg.: Christian Rederangewandte Kunst in Wien und absolvierte als Stipendiatin des Arts andand Erich Klein, Springer Verlag WienHumanities Research Councils ein Postgraduate Studium in «Art Practice» amGoldsmiths College in London (2007-2009). Von 2009-11 war sie Lehrbeauftragteam Institut für zeit-basierte Medien an der Kunstuniversität in Linz.Lectures/ Performances/ Symposien2010 «Home Stories- Public Diary Project. On the train: Westbahnhof, 2010»Als Kunstvermittlerin am Museum Rietberg Zürich arbeitet sie seit Februar 2011performance anlässlich «Home Sweet Home Sick Home», lust gallery, Wienin Kooperation mit dem Institute for Art Education an der Zürcher Hochschuleder Künste an der Entwicklung und Erforschung der Theorie und Praxis einer2010 Co-Organisation und Teilnahme an dem Symposium «Culture and Location:Fantasies of Belonging in Contemporary Art» anlässlich meiner Einzelaus-postkolonial informierten, transkulturellen Kunstvermittlung mit neuen Medien.stellung «be longing» feat. Suzan Dennis, Austrian Cultural Forum, LondonVerschiedene Ausstellungs- und Festival-beteiligungen im In- und Ausland2009 Lecture-performance bei der Präsentation der Bänder KunstvermittlungI & II, NGBK BerlinAusstellungen (Auswahl)«Living Across - Spaces of Migration», group exhibition (cat.), curated by2006 Lecture über meine Diplomarbeit «OdaliskeChristian Kravagna, x:hibit, Vienna (2010), «be longing», solo show feat. Suzanauf Tuchfühlung - eine Schleierfahndung» mit einer damit verbundenen Videopräsentationbeim Filmriss Festival, SalzburgDennis,Visual Arts Platform, ACF, London (2010); «Plattform Junge Kunst» (cat.),Galerie Bäcker strasse 4, Wien (2009); «groupe/grope», group show, Area 10,Peckham, London (2009). Diagonale, Festival of Austrian Film (cat.), Graz (2008und 2006).14 15Publikationen2009«Kilim Filim», «Tour Operator», «Die Gesten der Kunstvermittlung». In KunstvermittlungI, Arbeit mit dem Publikum, Öffnung der Institution. Formate und Methodender Kunstvermittlung auf der documenta 12. DVD-beilage. Publikation desInstitute for Art Education (IAE) der ZHdK Zürich; Berlin: diaphanes«Das Tänzerische in der Kunstvermittlung». In: Kunstvermittlung II, Zwischenkritischer Praxis und Dienstleistung auf der documenta 12. Ergebnisse einesForschungsprojekts . Hrsg. von Carmen Mörsch und dem Forschungsteam derdocumenta 12 Vermittlung. Publikation des Institute for Art Education (IAE) derZHdK Zürich. Berlin: diaphanes


I MPRE SSUMFotos, Videostills: Deniz Sözen, www.<strong>denizsoezen</strong>.netCover front, back: Die Knüpferinnen Fatma Arslanta , Senay Özen und Ay e YetikRights: Deniz Sözen, 2012Layout: Nina Reisinger, www.ninareisinger.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!