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Selbstgestaltete Rituale in der Gruppenarbeit mit Kindern

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Juliane Kerll & Bernd Wagner<strong>Selbstgestaltete</strong> <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenarbeit</strong> <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n1. Schule im Spannungsfeld von Entritualisierung und <strong>der</strong> Renaissance von OrdnungsritualenRituelle Inszenierungen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> komplexes Phänomen im pädagogischen Alltag. LehrerInnen machen immer wie<strong>der</strong>die Erfahrung, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> rituell geprägte Abläufe e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>n. Gleichzeitig beobachten ethnographisch orientierteStudien, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihren alltäglichen Abläufen <strong>Rituale</strong> entwickeln und gestalten (Wagner-Willi 2005). InteraktiveStrukturen und k<strong>in</strong>dliche Variationen s<strong>in</strong>d wichtige Aspekte von <strong>Rituale</strong>n. Sie spielen darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e wichtigeRolle <strong>in</strong> <strong>der</strong> Selbstrepräsentanz von pädagogischen Institutionen. Die Wechselwirkung von gruppenbezogenen Ritualgestaltungenund <strong>in</strong>stitutionell e<strong>in</strong>geführten <strong>Rituale</strong>n möchten wir <strong>in</strong> diesem Artikel betrachten.Ohne explizite Erwähnung zu f<strong>in</strong>den, haben rituelle Inszenierungen <strong>in</strong> vielen Schulprogrammen E<strong>in</strong>gang gefunden.Die Bedeutung von <strong>Rituale</strong>n für das soziale Lernen wird <strong>in</strong> vielen Schulen hervorgehoben und im Kontext von Aufnahme-bzw. Abschlussfeiern und Schulfesten <strong>in</strong>stitutionell gepflegt. Zu diesen Repräsentationsformen hat die pädagogischeRitualforschung bereits Studien vorgelegt (Althans, Wulf u. a. 2001). Im Rahmen mehrerer DFG-Projekte s<strong>in</strong>dgrößtenteils qualitative Forschungsergebnisse zu <strong>Rituale</strong>n publiziert worden. Die anthropologisch fundierten Untersuchungenbeschäftigen sich <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Bedeutung von <strong>Rituale</strong>n als lebensweltliche Scharniere und differenzbearbeitendeElemente (Wulf 2005). <strong>Rituale</strong>n wird e<strong>in</strong>e rhythmisierende Funktion im Alltag zugesprochen, die lebensweltliche Erfahrungenverb<strong>in</strong>det und bearbeitet. Auch <strong>der</strong> performative Charakter 1 von <strong>Rituale</strong>n wird betont. Dieser handelnde,körperlich agierende Aspekt unterstreicht die Bedeutung von Inszenierung, Aufführung und Rolle bei <strong>der</strong> Durchführungvon <strong>Rituale</strong>n. Geme<strong>in</strong>same Handlungsabläufe können gruppenbildend wirken, <strong>Rituale</strong> Zusammengehörigkeit stärken.Den Umwandlungsriten (rites de marge) kommt <strong>in</strong> <strong>der</strong> anthropologisch orientierten Ritualtheorie, die sich auf VanGennep bezieht, e<strong>in</strong>e Schlüsselfunktion zu. In <strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Umwandlung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> alte Rollenmuster nicht mehr gelten,entsteht e<strong>in</strong> kreativer Übergangszustand, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en gänzlichen o<strong>der</strong> teilweisen Statusverlust sowie e<strong>in</strong>e abrupte Herauslösungaus den gewohnten Bed<strong>in</strong>gungen des sozialen Lebens voraussetzt. Die Qualität e<strong>in</strong>er solchen herausgelöstenLebensphase ist von Turner <strong>mit</strong> dem Begriff lim<strong>in</strong>ality beschrieben worden. Dieser ungeklärte Zustand ermöglicht nichtnur Statusübergange, son<strong>der</strong>n gleichzeitig e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>e Form von Vergeme<strong>in</strong>schaftung und sozialer Kohäsion – vonTurner <strong>mit</strong> <strong>der</strong> dialektischen Denkfigur communitas 2 bezeichnet. Die anthropologischen Ritualtheorien gehen nicht vonfestgelegten Abläufen, son<strong>der</strong>n von Passagen, Übergängen, ungeklärten Momenten, kreativen Gestaltungsräumen undneuen Gruppenbildungen aus.Die bisherigen Forschungsergebnisse zeigen nicht nur, dass <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> Institutionen angewendet werden. Sie weisenauch nach, dass <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong>stitutionelle Vorgehensweisen <strong>in</strong> Individuen und Gruppen repetitiv verankern. Die Autorengehen jedoch von e<strong>in</strong>er Wechselwirkung aus: <strong>Rituale</strong> stützen nicht nur <strong>in</strong>stitutionelle Vorgaben, son<strong>der</strong>n ermöglichenes auch, Institutionen performativ zu öffnen und <strong>in</strong> diesen pädagogische Inhalte zu platzieren. Die bisherigen Forschungsergebnissemachen deutlich, dass die Bedeutung von Alltagsritualen unterschätzt wird. <strong>Rituale</strong> werden nicht nur<strong>in</strong>stitutionell geprägt, son<strong>der</strong>n von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n <strong>in</strong> kreativen, mimetisch geprägten Prozessen erzeugt und spielerisch modifiziert.Im weiteren Verlauf des Artikels möchten wir darüber nachdenken, wie K<strong>in</strong><strong>der</strong> im Schullalltag bei <strong>der</strong> selbsttätigenEntwicklung von <strong>Rituale</strong>n unterstützt werden können. Rituelle Inszenierungen bieten unseres Erachtens für LehrerInnenund K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen Möglichkeiten, eigenverantwortlich das soziale Umfeld zu gestalten, Verb<strong>in</strong>dlichkeiten zusetzen und alltägliche Abläufe zu rhythmisieren.1.1 Auswirkungen von EntritualisierungsbemühungenNachdem wir e<strong>in</strong>leitend mögliche Potenziale ritueller Inszenierungen beschrieben haben, möchten wir auf die im pädagogischenAlltag zu beobachtende, historisch begründete Skepsis gegenüber <strong>Rituale</strong>n e<strong>in</strong>gehen. Nicht umsonst s<strong>in</strong>d<strong>Rituale</strong> kritisiert worden, die e<strong>in</strong>er re<strong>in</strong>en Machtdemonstration gleichkommen, s<strong>in</strong>nentleert und zusammenhangslosexerziert werden müssen. Die 1968 gefor<strong>der</strong>te Entritualisierung von pädagogischen Arbeitsfel<strong>der</strong>n hat das Verhältnis zu<strong>Rituale</strong>n nachhaltig bee<strong>in</strong>flusst. Sicherlich ist die Kritik berechtigt. Dennoch hat sie nicht zu pädagogischen Neuorien-1 „Die Begriffe performance, performativ, Performativität vergegenwärtigen die Relevanz <strong>der</strong> ästhetischen Dimension menschlichen Handelns undden Orientierungscharakter sozialer Darstellungen und Modelle. Sie verdeutlichen, wie wichtig die Formen des Handelns für se<strong>in</strong> Gel<strong>in</strong>gen s<strong>in</strong>d. IhreGestaltung ist e<strong>in</strong> konstitutives Element je<strong>der</strong> sozialen Handlung, <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Handelnde se<strong>in</strong> Tun und sich selbst <strong>in</strong>szeniert. Dabei br<strong>in</strong>gt er sich <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Handlungen zur Ersche<strong>in</strong>ung. Er erzeugt Bil<strong>der</strong> se<strong>in</strong>es Handelns und se<strong>in</strong>er selbst <strong>in</strong> Form s<strong>in</strong>nlich-körperlicher Repräsentation für die Er<strong>in</strong>nerungs-und Vorstellungswelt se<strong>in</strong>er Mitmenschen.“, (Göhlich, Wulf, Zirfas 2001, S. 10/11)2 There is a dialectic here, for the immediacy of communitas gives way to the mediacy of structure, while, <strong>in</strong> rites de passage, men are released fromstructure <strong>in</strong>to communitas only to return to structure revitalized by their experience of communitas. What is certa<strong>in</strong> is no society can function adequatelywithout this dialectic.”, (Turner 1969, S. 129)1Zitationsvorschlag: Kerll, Juliane & Wagner, Bernd: <strong>Selbstgestaltete</strong> <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Gruppenarbeit</strong> <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. In: www.wi<strong>der</strong>streitsachunterricht.de,Nr. 13, Oktober 2009 (10 Seiten)


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009tierungen geführt, son<strong>der</strong>n eher Berührungsängste und e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es Unbehagen gegenüber <strong>Rituale</strong>n h<strong>in</strong>terlassen.E<strong>in</strong>e grundsätzliche, pädagogische Neuausrichtung im Umgang <strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n ist nur <strong>in</strong> Ansätzen geleistet worden. Dennochwerden <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen nach wie vor angewandt. Sie s<strong>in</strong>d aber oft we<strong>der</strong>methodisch <strong>in</strong>tegriert noch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en konzeptionellen Zusammenhang e<strong>in</strong>gebettet. E<strong>in</strong>e bewusste Reflexion f<strong>in</strong>det aufgrunddes zeitlich angespannten Arbeitsumfeldes <strong>in</strong> pädagogischen Berufen selten statt. Die <strong>in</strong> Schulen beobachteten<strong>Rituale</strong> sche<strong>in</strong>en gesetzt, nicht ausreichend h<strong>in</strong>terfragt und partizipativ entwickelt. E<strong>in</strong> nachvollziehbarer Zusammenhang,<strong>der</strong> für die spezielle Schule o<strong>der</strong> die e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe bedeutsam ist, ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel nicht erkennbar. UnsereErfahrungen <strong>mit</strong> zwölf Klassen <strong>in</strong> fünf Grundschulen <strong>in</strong> Lüneburg zeigen, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> an <strong>der</strong> Gestaltung von <strong>Rituale</strong>n<strong>in</strong> Institutionen wenig beteiligt werden. Anhand <strong>der</strong> folgenden Beispiele möchten wir H<strong>in</strong>weise für die E<strong>in</strong>bettungvon <strong>Rituale</strong>n <strong>in</strong> den pädagogischen Alltag <strong>der</strong> Arbeit <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen geben. Wir stützen unsere Argumentation aufErgebnisse <strong>der</strong> Ritualforschung, auf von Studierenden durchgeführte Interviews <strong>mit</strong> Lüneburger Grundschullehrer<strong>in</strong>nenund die Analyse ausgewählter Hamburger Schulprogramme.1.2 <strong>Rituale</strong>, die Ordnungsstrukturen unterstützenLehrerInnen betonen, dass <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule <strong>Rituale</strong> selbstverständlicher und wichtiger Teil des Alltagsgeschäftess<strong>in</strong>d (Kellermann 2008). In heterogenen Arbeitskontexten erhalten rituelle Performances e<strong>in</strong>e zunehmendeBedeutung. Zum e<strong>in</strong>en benötigen lebensalterbezogene Übergänge – z. B. vom K<strong>in</strong><strong>der</strong>garten zur Grundschule –Gestaltungsformen. Zum an<strong>der</strong>en s<strong>in</strong>d methodische Wechsel im Unterricht o<strong>der</strong> die Bildung von Lerngruppen <strong>mit</strong> rituellenPerformances e<strong>in</strong>facher. <strong>Rituale</strong> ermöglichen für wechselnde Anfor<strong>der</strong>ungen und unklare GruppenstrukturenRahmungen (Althans, Wulf u. a. 2001). Trotz ihrer Bedeutung für den Alltag <strong>in</strong> Schulen wird über <strong>Rituale</strong> selten offendiskutiert. Unseres Erachtens ist die geme<strong>in</strong>same Entwicklung von <strong>Rituale</strong>n e<strong>in</strong> wichtiger Beitrag zur Selbstbestimmungvon SchülerInnen (von Hentig 1968). Offiziell haben nur wenige Schulen rituelle Inszenierungen zusammengestelltund veröffentlicht. Dennoch gibt es viele kle<strong>in</strong>e, kreative Ansätze, die wir im Glie<strong>der</strong>ungspunkt 2 ausführlicherbesprechen möchten. Beispiele von <strong>Rituale</strong>n an Schulen, die uns momentan vorliegen, lassen sich häufig im Rahmen<strong>der</strong> Rekapitulation und Ausformulierung <strong>der</strong> jeweiligen Hausordnungen verstehen. Sie heben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel fast ausschließlichauf die Implementierung und Repetition von Ordnungsstrukturen ab, d. h. es werden vorrangig <strong>in</strong>stitutionelleo<strong>der</strong> adm<strong>in</strong>istrative Interessen vertreten. Die folgende Abbildung zeigt die strukturbestätigende Anwendung von<strong>in</strong>stitutionell implementierten <strong>Rituale</strong>n:Zusammenstellung <strong>der</strong> wichtigsten an <strong>der</strong> Helene-Lange Schule praktizierten <strong>Rituale</strong><strong>Rituale</strong>, die Lebenszeit glie<strong>der</strong>n* Aufnahmefeier für den neuen Jahrgang 5* Weihnachtsfeier* Sommerfest* Verabschiedung <strong>der</strong> Klassen 10* Geburtstage<strong>Rituale</strong>, die Arbeit strukturieren* Montag-Morgen-Kreis: Planung <strong>der</strong> Woche: Festlegen des Wochenstundenplans, ...* Freie Texte, Buchvorstellungen, Freie Vorträge: Situationen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>zelne Schüler<strong>in</strong>nen/Schüler sich <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise exponieren und ihreBemühungen <strong>der</strong> Klasse vortragen, s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> feste <strong>Rituale</strong>.* Projektbeg<strong>in</strong>n und Projektende: Anfang und Ende e<strong>in</strong>es Projektes werden <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>er Weise hervorgehoben und e<strong>in</strong>er Öffentlichkeit präsentiert.* Schülertreff/ Flure: Die Wände <strong>in</strong> den Fluren des Schülertreffs s<strong>in</strong>d Ausstellungsflächen, um die Ergebnisse aus dem Fachunterricht den Projekteno<strong>der</strong> den festen Vorhaben <strong>der</strong> Schulöffentlichkeit vorzustellen...* Handzeichen: Die erhobene Hand des Lehrers/ <strong>der</strong> Lehrer<strong>in</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Schülers/ e<strong>in</strong>er Schüler<strong>in</strong> signalisiert, dass alle still werden und sich auf denBeg<strong>in</strong>n des Unterricht o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er neuen Phase im Unterricht konzentrieren sollen.<strong>Rituale</strong>, die das Zusammenleben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule gestalten und Konflikte lösen helfen* Klassenraum: Ausgestaltung als „Schulwohnstube“ und als vorbereitende Lernumgebung.* Klassenraumtür: Geschlossene Tür bedeutet, „wir wollen nicht gestört werden“, offene Tür heißt „Zutritt ist möglich“.* Ämter: Jede Schüler<strong>in</strong>/ je<strong>der</strong> Schüler hat m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong> Amt, für die Klasse o<strong>der</strong> den Jahrgang.* Putzplan: Schülertreffs, Klassenräume und Flure werden von den Schüler<strong>in</strong>nen und Schülern, nach e<strong>in</strong>em zu Beg<strong>in</strong>n des Schuljahres festgelegtenPlan, selbst gere<strong>in</strong>igt.* Klassenrat: Am Ende <strong>der</strong> Woche f<strong>in</strong>det beim Klassenlehrer <strong>der</strong> Klassenrat statt. Alle sitzen im Kreis...* Jahrgangsrat: Vertreter<strong>in</strong>nen und Vertreter <strong>der</strong> vier zum Jahrgang gehörenden Klassen besprechen alle vierzehn Tage Probleme und Wünsche desJahrgangs.Abbildung 1: aus Goeben, A. (Hg.) (2006). <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> Schule und Unterricht. Hamburg. S.25Die Zusammenstellung <strong>der</strong> Helene-Lange Schule listet relativ vorgefertigte, feste Strukturen, die auf die konkretenBedürfnisse e<strong>in</strong>zelner Klassen nur bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>gehen können, auf. Natürlich werden die offiziell geführten <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> dene<strong>in</strong>zelnen Klassen unterschiedlich umgesetzt, Spielräume genutzt, Nuancen h<strong>in</strong>zugefügt o<strong>der</strong> weggelassen. Geradediese Räume für <strong>in</strong>dividuelle Ausgestaltungen, Erfahrungen und Repräsentationen können <strong>in</strong> rituellen Inszenierungengeför<strong>der</strong>t werden. Unseres Erachtens ist es notwendig, dass rituelle Inszenierungen nicht e<strong>in</strong>seitig Institutionen und<strong>der</strong>en Interessen repräsentieren. Die Kreativität <strong>der</strong> Teilnehmenden kann bei rituellen Performances mehr berücksichtigt2


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009werden als formalisierte Bestätigungen von Regeln und Ordnungsstrukturen. SchülerInnen sollten Möglichkeiten gegebenwerden, an <strong>der</strong> E<strong>in</strong>führung und Weiterentwicklung ritueller Inszenierungen <strong>mit</strong>zuwirken. Wenn <strong>Rituale</strong> gezielt <strong>in</strong>pädagogische Arbeit e<strong>in</strong>gebunden werden sollen, s<strong>in</strong>d gruppenbezogene Ausdrucksmöglichkeiten und <strong>in</strong>dividuell geprägteInszenierungen notwendig. <strong>Selbstgestaltete</strong> rituelle Inszenierungen können die Bedürfnisse <strong>der</strong> jeweiligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppenund pädagogischen MitarbeiterInnen berücksichtigen und repräsentieren. Wir denken, dass sich Gruppenund Institutionen durch rituelle Formen darstellen, Festlegungen setzen und gegenüber Nicht-Mitglie<strong>der</strong>n abgrenzen.E<strong>in</strong> Beispiel s<strong>in</strong>d die Feste im Schuljahr, die, <strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n verknüpft, Zeit strukturieren und e<strong>in</strong>em Gruppenerlebnisdienlich s<strong>in</strong>d. Diese s<strong>in</strong>d zum e<strong>in</strong>en von <strong>der</strong> Institution vorgegeben, zum an<strong>der</strong>en werden sie von den e<strong>in</strong>zelnen Klassenausgestaltet. Dieser Gestaltungsspielraum wird im Schulalltag häufig nicht ausgereizt. Beispielsweise s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>zelneKlassenfeste (Drachenfest, Kürbisfest, Herbstlaubfest...usw.) o<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuell gestaltete Geburtstags<strong>in</strong>szenierungendenkbar, die nicht vorgefertigt von dem/<strong>der</strong> KlassenlehrerIn e<strong>in</strong>geführt werden.In diesem Artikel möchten wir für e<strong>in</strong>en reflektierten methodischen Umgang <strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n plädieren, die <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>ngeme<strong>in</strong>sam entwickelt und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en gruppenbezogenen Kontext gestellt werden können. Wir heben die Bedeutung von<strong>Rituale</strong>n für Soziales Lernen hervor, for<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e umfangreichere performative Repräsentation <strong>der</strong> Beteiligten undgeben H<strong>in</strong>weise für Lehrende, die <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen <strong>Rituale</strong> entwickeln und gestalten möchten. Insbeson<strong>der</strong>e werden<strong>Rituale</strong> angesprochen, die zeitliche Rhythmisierungen e<strong>in</strong>führen und Gruppenzugehörigkeiten stärken können. IndemK<strong>in</strong><strong>der</strong> an <strong>der</strong> Erarbeitung <strong>der</strong> rituellen Inszenierungen beteiligt werden, werden gleichzeitig Partizipationsmöglichkeitenausgebaut.2. <strong>Rituale</strong> und Soziales LernenRituelle Performances f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Öffentlichkeitsarbeit von geme<strong>in</strong>wesenorientierten Schulen. Diese benötigenöffentlichkeitswirksame Kommunikationsstrukturen, um ihre Inhalte zu ver<strong>mit</strong>teln und auf die Profile <strong>der</strong> Schulenaufmerksam zu machen. Die abstrakten Inhalte und Schwerpunkte von Schulen – wie z. B. Vielfalt, Toleranz und Solidarität– s<strong>in</strong>d nicht e<strong>in</strong>fach zu ver<strong>mit</strong>teln. Sie werden <strong>in</strong> <strong>in</strong>stitutionellen Abläufen oft schlicht vergessen und nicht weiterberücksichtigt. Rituelle Inszenierungen können geme<strong>in</strong>same Schwerpunkte <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung rufen. Sie ermöglichen Schulenund Schülern öffentlichkeitswirksame Repräsentationen. Dies möchten wir am Beispiel Schulfest verdeutlichen.Feste bieten u. a. die Möglichkeit, offiziell Heterogenität wertzuschätzen. Muttersprachliche Darbietungen von Schülernnichtdeutscher Herkunft s<strong>in</strong>d beispielsweise e<strong>in</strong>e Möglichkeit, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule vorhandene Sprachenvielfalt zurepräsentieren. Auch das Schulumfeld kann <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>bezogen werden, so existiert z. B. e<strong>in</strong> Projekt <strong>der</strong> Stadterkundung anBerl<strong>in</strong>er Grundschulen, während dessen e<strong>in</strong>e Rollergruppe e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>terkulturellen Stadtrundgang konzipiert hat. DieGruppe hat u. a. Politiker und an<strong>der</strong>e Geme<strong>in</strong>devertreter zu Fragen <strong>der</strong> Anerkennung und Wertschätzung von Zuwan<strong>der</strong>Innenbefragt. Sie hat sich durch ihr e<strong>in</strong> geme<strong>in</strong>sames Logo, T-Shirts und die Fortbewegung <strong>mit</strong> dem Roller konstituiert.3 Neben den Vorgaben <strong>der</strong> Institutionen spielen die SchülerInnen und LehrerInnen als Individuen und Klassengeme<strong>in</strong>schafte<strong>in</strong>e entscheidende Rolle bei <strong>der</strong> Entwicklung und Darstellung von <strong>Rituale</strong>n <strong>in</strong> pädagogischen Kontexten.Sie <strong>in</strong>szenieren rituelle Performances <strong>in</strong> Schule und Unterricht, s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage, diese zu verän<strong>der</strong>n und an ihre Bedürfnisseanzupassen. Auch die folgenden Beispiele <strong>der</strong> Verknüpfung von sozialem Lernen <strong>mit</strong> rituellen Inszenierungens<strong>in</strong>d als offene Angebote zu verstehen, die von den beteiligten Gruppen <strong>in</strong>terpretiert werden müssen.2.1 Beispiele für ritualisierte Formen sozialen Lernens aus Hamburger SchulenE<strong>in</strong>ige Beispiele aus Schulprogrammen <strong>in</strong> Hamburg zeigen den Praxisbezug unserer Überlegungen auf:• e<strong>in</strong> PatenschaftsprogrammDas Gymnasium Marienthal hat e<strong>in</strong> für das Willkommenheißen, die erste Kennenlernphase und e<strong>in</strong>e Peer-group- Betreuung<strong>der</strong> 5. Klassen e<strong>in</strong> Patenschaften <strong>mit</strong> SchülerInnen höhere Klassenstufen e<strong>in</strong>geführt. Diese begleiten die 5.KlässlerInnen durch die Orientierungsstufe, nehmen an Klassenaktivitäten teil und stehen als Vertrauenspersonen zurVerfügung. Das Patenschaftsprogramm hat e<strong>in</strong>e vielschichtige Struktur, teils ritualisierte Abläufe, teils persönlicheSchwerpunktsetzungen werden berücksichtigt. Die Paten werden zu Schuljahresbeg<strong>in</strong>n ausgewählt und zur Willkommensfeier<strong>der</strong> 5. Klassen öffentlich vorgestellt. Die Ausgestaltung <strong>der</strong> Patenschaft ist den Beteiligten überlassen. DerRahmen e<strong>in</strong>er festlichen Ernennung und <strong>der</strong> Abschied werden vorstrukturiert und rituell, performativ verdeutlicht. ImRahmen e<strong>in</strong>er Schulfeier, auf <strong>der</strong> die älteren Klassen zuvor e<strong>in</strong> Theaterstück für die Fünftklässler aufführen, stellen sichdie e<strong>in</strong>zelnen Patenschaften vor und formulieren ihre Erwartungen und Hoffnungen an die geme<strong>in</strong>same Zeit. Am Ende<strong>der</strong> 5. Klasse werden die Patenschaften offiziell beendet, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Event, <strong>in</strong> dem die SchülerInnen <strong>der</strong> 5. Klasse sichpersönlich bedanken und e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Geschenk 4 überreichen. Das Patenschaftsprogramm bietet Alternativen zu lehrerzentrierten,<strong>mit</strong> Sanktionierungen verbundenen Konfliktlösungen. SchülerInnen werden aufgefor<strong>der</strong>t, eigenständigProbleme zu bearbeiten und ihr Zusammenleben an <strong>der</strong> Schule zu gestalten. Die feierliche Eröffnung und Beendigungdes Programms drückt auch die Wertschätzung von Lehrer- und Elternseite aus. Mangels e<strong>in</strong>es Bildes des Gymnasiums3 E<strong>in</strong> Projekt <strong>der</strong> kooperativen Schulentwicklung des FiPP e. V. (www.fippev.de).4 Gaben s<strong>in</strong>d essentieller Bestandteil von sozialen Beziehungsgeflechten, worauf <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e Marcel Mauss <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Essay Essai sur le donaufmerksam gemacht hat.3


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009Marienthal, möchten wir e<strong>in</strong> Bild <strong>mit</strong> Paten aus <strong>der</strong> Schule Kroonhorst vorstellen, dass die neu gestalteten Gruppenkonstellationenverdeutlicht.Abbildung 2: Paten <strong>der</strong> Klasse 7a und <strong>der</strong> Klasse 1a <strong>der</strong> Schule Kroonhorst 2008(http://www.schule-kroonhorst.hamburg.de/<strong>in</strong>dex.php/article/detail/7227)• e<strong>in</strong> DeligiertenprogrammAn <strong>der</strong> Grundschule Stockflethweg wird die Verantwortung für alltägliche Aufgaben und schul<strong>in</strong>terne Abläufe im Rahmene<strong>in</strong>er öffentlichen Anhörung verteilt. Zuständigkeiten <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Klasse o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schule werden nicht e<strong>in</strong>fachdurch Ämter geregelt, vielmehr wird diskutiert, welche Schwerpunkte umgesetzt werden können. Der Pflege des Schulgeländesist z. B. e<strong>in</strong> hoher Stellenwert beigemessen worden, was zu verschiedenen Tätigkeitsbereichen geführt hat. DieVerteilung <strong>der</strong> Tätigkeiten und ihre Ausführung werden geme<strong>in</strong>sam <strong>mit</strong> den SchülerInnen diskutiert und sichtbar <strong>in</strong> <strong>der</strong>Klasse o<strong>der</strong> Schule ausgehängt. SchülerInnen übernehmen Verantwortung für Gruppenprozesse <strong>in</strong> ihren Klassen undsichern ihre Mitbestimmung bei Entscheidungen, die den Alltag <strong>der</strong> Schule betreffen. Die Abstimmung über die Verteilung<strong>der</strong> Aufgaben sowie die Dokumentation <strong>der</strong> Ausführung s<strong>in</strong>d ritualisiert. Themen werden im Vorfeld e<strong>in</strong>gebracht,die Debatte <strong>mit</strong> begrenzten Redezeiten geführt, die Diskussionsleitung rotiert. Die rituellen Inszenierungen werden<strong>in</strong>sofern offen gehalten, als sie sich eigendynamisch weiterentwickeln und an die jeweiligen Aufgaben (z. B. Schulhofgestaltung,Fundrais<strong>in</strong>g) anpassen können.• Gremien, die zur Partizipation anregenAn den meisten Schulen f<strong>in</strong>den sich Klassenräte, Schülerkonferenzen und an<strong>der</strong>e Schülergremien, die Entwicklungenan <strong>der</strong> Schule diskutieren. Diese Gremien bieten SchülerInnen die Möglichkeit, sich gestaltend <strong>in</strong> Entscheidungsprozessee<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen. Diskussionspunkte und verabschiedete Beschlüsse werden öffentlich ausgehängt, <strong>in</strong> den Klassen vorgestelltund <strong>mit</strong> Lehrenden weiter diskutiert. Die regelmäßigen, öffentlichen Zusammenkünfte <strong>der</strong> Schülergremienwerden oft durch <strong>Rituale</strong> e<strong>in</strong>geleitet bzw. strukturiert (z. B. <strong>in</strong> Bezug auf Sitzungseröffnung, Vorstellung <strong>der</strong> Beschlüsse<strong>in</strong> <strong>der</strong> Schulöffentlichkeit, usw.). Wichtig ist unseres Erachtens, dass SchülerInnen nicht nur Entscheidungsprozesse <strong>der</strong>Erwachsenenwelt kopieren, son<strong>der</strong>n demokratische Abläufe so umsetzen, dass sie die Beteiligten zur Mitgestaltunganregen 5 .<strong>Rituale</strong> können soziale Kohäsion (Turner 1995, Wagner 2007) und Gruppenbildungsprozesse (Althans, Wulf 2001)unterstützen, was ihnen e<strong>in</strong>e Bedeutung im Kontext sozialen Lernens verleiht. Soziales Lernen ist e<strong>in</strong> fächerübergreifendesKonzept und wird als wichtiger Faktor <strong>der</strong> Persönlichkeitsför<strong>der</strong>ung und Geme<strong>in</strong>schaftsbildung angeführt. DieKlassenräte, Schülerkonferenzen o<strong>der</strong> das Patenschaftsprogramm werden e<strong>in</strong>gesetzt, um kommunikative Fähigkeitenund die Verantwortungsübernahme von SchülerInnen für die schulische Geme<strong>in</strong>schaft zu för<strong>der</strong>n. Ritualisierte Formenführen dazu, dass regelmäßige Dialoge und Anlässe für Konfliktlösungen, im Schulalltag verankert werden. Sie ermöglichenzeitnahe Entscheidungsf<strong>in</strong>dungen und beziehen sich auf die konkrete Lebenswelt <strong>der</strong> SchülerInnen. Die rituellenInszenierungen dienen konkreten Problemstellungen. Sie beabsichtigen ke<strong>in</strong>e strenge E<strong>in</strong>übung von sozial erwünschten5 Das von Anne Sliwka <strong>in</strong> Deutschland im Kontext von Citizenship Education publik gemachte Service Learn<strong>in</strong>g regt zu Praktika <strong>in</strong> geme<strong>in</strong>nützigenTätigkeitsfel<strong>der</strong>n an und erarbeitete konkrete Verän<strong>der</strong>ungsmöglichkeiten im Alltag. Service Learn<strong>in</strong>g bietet motivierende Ansatzpunkte, die <strong>mit</strong>rituellen Performances gekoppelt werden könnten.4


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009Handlungsmustern. Diese Prozesse können bereits <strong>in</strong> <strong>der</strong> Grundschule angestoßen werden. Der <strong>in</strong>tegrativ angelegteSachunterricht, <strong>der</strong> fächervorbereitend agiert, bietet Möglichkeiten, <strong>Rituale</strong> zu thematisieren. Inhaltliche Ziele, wie z. B.Interdiszipl<strong>in</strong>arität, können <strong>mit</strong>tels ritueller Inszenierungen im Schulalltag verankert werden. Die <strong>in</strong> Großbritanniene<strong>in</strong>geführten Projekttage, <strong>in</strong> denen Themen aus geistes- und naturwissenschaftlicher Sicht erörtert und erarbeitet werden,könnten beispielsweise ausgebaut werden. Rituelle Inszenierungen, die z. B. bei den computergestützten Ergebnispräsentationen6 zum Ausdruck kommen könnten, drücken Wertschätzung für die vielfältigen, fachbezogenen Zugängeaus. Auch <strong>der</strong> Perspektivrahmen <strong>der</strong> GDSU für den Sachunterrichts ist auf Kompetenzen ausgelegt, die soziales Lernenbe<strong>in</strong>halten und för<strong>der</strong>n. Soziales Lernen ist darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong>e Grundvoraussetzung <strong>der</strong> partizipativ orientierten Gestaltungskompetenz(de Haan, Harenberg 1999, de Haan 2008).2.2 Handlungssequenzen als Puzzelste<strong>in</strong>e performativer <strong>Rituale</strong>Die Beispiele zeigen, dass <strong>in</strong>stitutionelle Ritualisierungen <strong>in</strong> Schulen unterschiedlich ausgeprägt s<strong>in</strong>d und e<strong>in</strong>en wichtigenBeitrag zur jeweiligen Schulkultur und Lernatmosphäre leisten. Sie betonen Handlungsverläufe, die e<strong>in</strong>e Verknüpfungvon <strong>Rituale</strong>n <strong>in</strong> Prozesse sozialen Lernens (Althans, Wulf 2007) wi<strong>der</strong>spiegeln. Die anthropologische Ritualtheoriebetont die lim<strong>in</strong>ale Übergangsphase, die e<strong>in</strong>en Handlungsspielraum jenseits <strong>der</strong> bekannten Strukturen und Rollenvorgabeneröffnet und <strong>mit</strong> diesem Potenzial spielt, d. h. die systemverän<strong>der</strong>nden Ansätze werden nicht zwangsläufigumgesetzt. Rituelle Inszenierungen eröffnen e<strong>in</strong>en Handlungsspielraum für SchülerInnen, <strong>der</strong> auf ihrer Eigenaktivitätfußt und nicht primär von Lehrerimpulsen abhängig ist. Dementsprechend ist es kontraproduktiv <strong>Rituale</strong>, die ke<strong>in</strong>eGestaltungsmöglichkeiten lassen, gleichförmig zu wie<strong>der</strong>holen. Rituelle Inszenierungen können SchülerInnen ermöglichen,eigenständig und <strong>in</strong> Absprache <strong>mit</strong> An<strong>der</strong>en Entscheidungen zu fällen und für diese e<strong>in</strong>zustehen. Gängige Didaktikenordnen <strong>der</strong> Handlungsorientierung im Unterricht e<strong>in</strong>en zentralen Stellenwert zu. 7 Der handlungsorientierte Unterrichthat zum Ziel, K<strong>in</strong><strong>der</strong>n e<strong>in</strong>en Wissenserwerb zu ermöglichen, <strong>der</strong> durch eigenes Planen, Umsetzen und Reflektierenvon Aufgaben e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n ergibt. <strong>Rituale</strong> s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> diesen Bildungsprozessen wichtig. Sie können von Seiten <strong>der</strong> SchülerInneneigendynamisch entwickelt und zusammen <strong>mit</strong> LehrerInnen gepflegt werden. Kompetenzen des Sozialen Lernenswerden durch Handlungsorientierung unterstützt und Möglichkeiten geschaffen, Eigenaktivität zu entwickeln.Rituelle Inszenierungen weisen zudem auf die Verknüpfung von Sozialem Lernen <strong>mit</strong> Aspekten <strong>der</strong> Ästhetischen Bildungh<strong>in</strong>. Die E<strong>in</strong>beziehung von differenzierten, s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmungen <strong>in</strong> das Unterrichtsgeschehen wird durchperformative Aktivitäten <strong>der</strong> SchülerInnen gestützt. E<strong>in</strong> Lernen <strong>mit</strong> allen S<strong>in</strong>nen benötigt die Ausbildung von körperlicherMotorik, sensualer Wahrnehmungsfähigkeit und mimetischem Vermögen (Benjam<strong>in</strong> 1991, Wulf 1996). ErfahrendeLernmomente, körperlich-performative Darstellungen helfen SchülerInnen Wahrnehmungsmöglichkeiten zu differenzieren.Sie stärken Aufmerksamkeitsphasen im Unterricht zu stärken und lockern auf. E<strong>in</strong> Beispiel s<strong>in</strong>d Bewegungsmöglichkeitenund Ausdrucksperformances, die die auf Dauer unbequemen Sitzpositionen im schulischen Alltagauflösen. Durch rituelle Inszenierungen e<strong>in</strong>geführten Rhythmisierungen können soziale und ästhetische Lernprozessestärken, <strong>in</strong>dem sie Innovation ermöglichen (Zirfas, Wulf 2004). Nicht nur die Struktur gebenden son<strong>der</strong>n auch dieStruktur auflösenden Potenziale von rituellen Performances lockern das Unterrichtsgeschehen auf und legen die Grundlagenfür dynamische Gruppenbildungen.3. <strong>Rituale</strong> rhythmisieren <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppenTurners Ritualtheorie betont das kreative Potential von <strong>Rituale</strong>n und legt Wert auf die Gestaltung e<strong>in</strong>er lim<strong>in</strong>alen Übergangsphase.Se<strong>in</strong>e anthropologisch geprägten Studien betonen das Aufbrechen und Neuzusammensetzen von sozialenStrukturen 8 <strong>in</strong> rituellen Praktiken. In dem dialektischen Verhältnis von Struktur/Antistruktur s<strong>in</strong>d nach Turner Grundlagenvon Kreativität und das Potenzial sozialer Kohäsion angelegt. Durch die Betonung von Übergängen 9 und e<strong>in</strong>e jeweiligeNeukonstituierung können Gruppen auf Verän<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>gehen und flexibel bleiben. Turners Forschungenweisen darauf h<strong>in</strong>, dass <strong>Rituale</strong> Statuswechsel ermöglichen und durch sie kreative Lösungsmöglichkeiten entwickeltwerden können. Er rückt die Übergangsphase <strong>in</strong> das Zentrum se<strong>in</strong>er Überlegungen und macht deutlich, dass <strong>Rituale</strong>mehr be<strong>in</strong>halten als Auffor<strong>der</strong>ungen, Gesten o<strong>der</strong> Symbole. Sie können als e<strong>in</strong> offenes Experimentierfeld verstandenwerden, <strong>in</strong> dem soziale Gestaltungsfreiräume eröffnet und selbsttätige Gruppenbildungen stattf<strong>in</strong>den. Rituelle Inszenierungenentfalten ihre Wirkung im Durchlaufen e<strong>in</strong>er ungeklärten, experimentellen Übergangsphase. Sie bieten sichauch <strong>in</strong> offeneren Unterrichtskonzeptionen an. E<strong>in</strong>e Unterrichtse<strong>in</strong>heit beispielsweise, die außerschulische Lernorte und6 Auch virtuelle Darstellungsformen und die Formation <strong>der</strong> Internet-Community zeigen Aspekte ritueller Performances (vgl. Bausch, Constanze undJörissen, Benjam<strong>in</strong>: Erspielte <strong>Rituale</strong>. Kampf und Geme<strong>in</strong>schaftsbildung auf LAN-Partys. In Wulf, Althans u. a. 2004, S.303-357).7 Die handlungsorientierte Unterrichtskonzeption wird als leitend für den Sachunterricht angesehen (Kahlert 2002).8 <strong>Rituale</strong> werden von Turner als Wechselspiele zwischen strukturgebenden Momenten und antistrukturellem Aufbrechen verstanden, <strong>in</strong> denen sichdas Selbstverständnis <strong>der</strong> erzeugten Geme<strong>in</strong>schaften wi<strong>der</strong>spiegelt, die e<strong>in</strong>em ritualisierten Antiritualismus (Soeffner 1995, S. 102f) entspr<strong>in</strong>genkönnen. Das lim<strong>in</strong>ale Zwischenstadium als unabhängige Domäne kreativen Handelns (Turner 1995, S. 28f) kennzeichnet den Prozess des Aufbrechensbekannter Strukturen.9 Benjam<strong>in</strong> spricht von e<strong>in</strong>em Schwellenzauber (Benjam<strong>in</strong> 1991, Bd. V;1, S. 283). Der Übergang wird von Benjam<strong>in</strong> topographisch als Türschwelleverortet, h<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> neue Räume verborgen s<strong>in</strong>d. „Es s<strong>in</strong>d nicht nur die Schwellen dieser phantastischen Tore, es s<strong>in</strong>d die Schwellen überhaupt, ausdenen Liebende, Freunde sich Kräfte zu saugen lieben. ...Schwelle ist e<strong>in</strong>e Zone. Wandel, Übergang, Fluten liegen im Worte schwellen und dieseBedeutungen hat die Etymologie nicht zu übersehen.“, (Benjam<strong>in</strong> 1991, Bd. V;1, S. 617, 618)5


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009Lernen an Stationen vorsieht, kann <strong>mit</strong> rituellen Inszenierungen, die selbstgewählte Rahmungen setzen, verknüpft werden.In unserem Beispiel wären dies bestimmte ritualisierte Verfahren für das Durchlaufen <strong>der</strong> selbsttätigen Lernstationen.Rituelle Inszenierungen stützen so<strong>mit</strong> ergebnisoffenere Unterrichtskonzepte, die den <strong>in</strong>dividuellen Zugangsweisenvon K<strong>in</strong><strong>der</strong>n Rechnung tragen sollen. Auch wenn Entscheidungsspielräume durch <strong>in</strong>stitutionelle Sachzwänge begrenztbleiben, werden selbst die bestehenden Entscheidungs- und Handlungsalternativen selten erläutert und zur Abstimmunggestellt. Die E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung ritueller Inszenierungen <strong>in</strong> Unterrichtsabläufe kann e<strong>in</strong>en Ansatzpunkt bieten, <strong>in</strong>stitutionelleVerfahrensweisen, klassenbezogen zu <strong>in</strong>terpretieren und <strong>in</strong>dividuell verantwortlich umzusetzen. Die rituellen Performanceskönnen demokratische Verfahrensweisen verpflichtet se<strong>in</strong>, die zu umsetzbaren Entscheidungen <strong>in</strong> Unterrichtssituationenführen. Auch die Komb<strong>in</strong>ationen und Übergänge von Struktur gebenden und offenen Methoden s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Unterrichtse<strong>in</strong>heiten<strong>mit</strong> Hilfe ritueller Performances kommunizierbar. E<strong>in</strong> Beispiel ist das <strong>in</strong> <strong>der</strong> naturwissenschaftlichenGrundbildung angelegte forschende Experimentieren (Asmussen, Wagner 2009), das erfahrungsoffenen ist und Auswertungsanteileberücksichtigt, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en unterrichtlichen Kontext e<strong>in</strong>gebunden werden könnten. Ohne die Unterrichtskonzeptionenim E<strong>in</strong>zelnen ausformulieren zu können, möchten wir das Beispiel Mühlenprojekt des Spielerf<strong>in</strong>dungszentrumsEidechse <strong>in</strong> Ravenna anführen. Die Museumsbesuch, Lernstationen und Kle<strong>in</strong>gruppenarbeit, die rituelleInszenierungen <strong>in</strong> ihren Auswertungsprozessen aufgreift, bilden Grundlage e<strong>in</strong>er Dynamik zwischen ergebnisoffenerensowie lernziel-geschlosseneren Anteilen <strong>in</strong> <strong>der</strong> didaktischen Konzeption. Die Präsentationen <strong>der</strong> Kle<strong>in</strong>gruppenarbeitwerden z. B. anhand von Experimentierstationen durchgeführt, <strong>in</strong> denen nicht erklärt, son<strong>der</strong>n experimentiert wird. Diejeweilige Arbeitsgruppe begrüßt die Gäste und stellt die Experimentiermodelle zur Verfügung. E<strong>in</strong> formales Auswertungsgespräch,das die (gescheiterten) Experimente nachvollzieht, schließt sich an. Die Gesprächse<strong>in</strong>führung, Abläufe<strong>der</strong> Durchführung und <strong>der</strong> Gesprächsabschluss s<strong>in</strong>d <strong>mit</strong> selbstgewählten Frageformeln und Bewegungs<strong>in</strong>szenierungen<strong>in</strong> <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe vorgegeben.Abbildung 3: Mühlenprojekt (Roberto Papetti, Ravenna)3.1 <strong>Rituale</strong> strukturieren Zeit, dynamisieren Gruppenprozesse<strong>Rituale</strong> wie Morgenkreis, Lesethron, stiller Fuchs o<strong>der</strong> Regenlied werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>nhäufig verwendet. Sie bieten e<strong>in</strong>e Rahmung für die verschiedenen Arbeitsphasen, setzen Anfang und Endpunkte, die<strong>mit</strong> verschiedenen Aktionen, Lie<strong>der</strong>n, Gesten ausgestaltet s<strong>in</strong>d. Rituelle Inszenierungen helfen, K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen anzusprechenund Aufmerksamkeitsphasen e<strong>in</strong>zuführen (Wulf 2004). Im Schulalltag werden <strong>Rituale</strong> nicht selten von KollegInnenübernommen o<strong>der</strong> als Teil <strong>der</strong> Institutionskultur fortgeführt. Zeit, bestehende <strong>Rituale</strong> zu h<strong>in</strong>terfragen und gruppenbezogenzu variieren bleibt häufig nicht. Auch bestehen Befürchtungen, <strong>Rituale</strong> zu verän<strong>der</strong>n, an die sich K<strong>in</strong><strong>der</strong>e<strong>in</strong>mal gewöhnt haben (Audehm 2007). Wenn <strong>Rituale</strong> vorrangig <strong>mit</strong> Stabilität und Verlässlichkeit verbunden werden,werden grundlegende Potentiale ritueller Inszenierungen nicht berücksichtigt. <strong>Selbstgestaltete</strong> <strong>Rituale</strong> können flexibele<strong>in</strong>gesetzt werden und ermöglichen Variationen <strong>in</strong> pädagogischen Alltagssituationen. Rituelle Formen werden <strong>in</strong> absehbarenZeiträumen h<strong>in</strong>terfragt und verän<strong>der</strong>t, sie können gewissermaßen <strong>mit</strong> dem Unterricht und den Schülern <strong>mit</strong>wachsen.Sie ermöglichen es, situativ neue Elemente e<strong>in</strong>zuflechten, die aktuellen Erlebnissen, Erfahrungen und BedürfnisseRechnung tragen. Da<strong>mit</strong> erweisen Sie sich nicht als starrer Rahmen, son<strong>der</strong>n als e<strong>in</strong> selbstverantwortetes Handlungskonzept.Die Auffor<strong>der</strong>ung, <strong>Rituale</strong> als e<strong>in</strong>en offenen Rahmen zu verstehen, heißt jedoch nicht, dass wesentlicheElemente außer Acht gelassen werden können.6


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009• <strong>Rituale</strong> machen Zusammenhänge sichtbar. Sie s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e isolierten, symbolisch aufgeladenen Akte. Um <strong>Rituale</strong> imAlltag methodisch e<strong>in</strong>zub<strong>in</strong>den ist es wichtig, dass sie auf geme<strong>in</strong>same Arbeitsschwerpunkte und e<strong>in</strong> Selbstverständnisvon Gruppen verweisen. Wichtig ist es <strong>Rituale</strong> <strong>in</strong> Alltagshandlungen und Arbeitszusammenhänge<strong>mit</strong>e<strong>in</strong>zubauen (z. B. e<strong>in</strong>e ritualisierte E<strong>in</strong>leitung für e<strong>in</strong>e Tobepause im Sachunterricht, <strong>in</strong> <strong>der</strong> gleichzeitig <strong>der</strong> Garten,die Achtung vor <strong>der</strong> Natur und die Rücksichtnahme auf Energiesparen zum Ausdruck kommen könnten).• <strong>Rituale</strong> benötigen e<strong>in</strong>e erlebbare Wirksamkeit. Sie können Übergänge begleiten, von Laut- zu Leisephasen, E<strong>in</strong>zelzu<strong>Gruppenarbeit</strong> o<strong>der</strong> Konzentrations- zu Bewegungselementen. Alle Beteiligten sollten performativ e<strong>in</strong>bezogenwerden. Rituelle Performances können zu konkreten, spürbaren Verän<strong>der</strong>ungen im Alltag führen. S<strong>in</strong>nvoll ist es,wenn Lehrende am Ritual teilnehmen.• <strong>Rituale</strong> repräsentieren Gruppen. Indem <strong>Rituale</strong> geme<strong>in</strong>same Handlungen im Alltag anbieten, helfen sie Gruppen,sich wahrzunehmen und ihr Umfeld zu gestalten. Gruppen können z. B. <strong>mit</strong> rituellen Performances Räume def<strong>in</strong>ierenund e<strong>in</strong>nehmen. In <strong>Rituale</strong>n können Gruppen ihr Selbstverständnis ausdrücken und weiterentwickeln. Sie könnene<strong>in</strong>en <strong>in</strong>klusiven Charakter entfalten, <strong>der</strong> Differenzen nicht über Gebühr betont und Diversität akzeptiert.Diese Elemente berücksichtigen Potentiale von selbstgestalteten <strong>Rituale</strong>n. Sie ermöglichen es, den zeitstrukturierendenund prozessualen Charakter von <strong>Rituale</strong>n (Wulf 2005) <strong>in</strong> <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit zu entfalten. Beson<strong>der</strong>s das Setzenvon Anfangs- und Endpunkten und die Betonung von Übergängen <strong>in</strong> Gruppenprozessen s<strong>in</strong>d Ansatzpunkte für rituellePerformances. Oft zerfallen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>gruppen, Etablierte und Außenseiter. Nicht selten kostet es LehrerInnenviel Kraft und Zeit, Abgrenzungen <strong>in</strong> Gruppen aufzulösen. Gruppen f<strong>in</strong>den sich häufig nur durch ihr unermüdlichesEngagement. <strong>Rituale</strong> bieten die Möglichkeit, Gruppenprozesse nicht nur an die Gruppenleitung zu b<strong>in</strong>den, son<strong>der</strong>nÜbergänge zu thematisieren und zu gestalten. Dies können lebensalterbezogene Übergänge, räumliche Übergänge 10o<strong>der</strong> Übergänge von Arbeits- und Konzentrationsmethoden se<strong>in</strong>. Die bewusste Gestaltung von Übergangsphasen (VanGennep 1999) erlaubt es, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> sich erproben und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe f<strong>in</strong>den können. Gruppenstrukturen werden ausprobiert,neu strukturiert und dargestellt. In diesen Prozessen wird den Teilnehmenden die Gruppe bewusst und e<strong>in</strong>sozialer Zusammenhang hergestellt. Außenseiterkonstellationen können verm<strong>in</strong><strong>der</strong>t und e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Handlungsebenegefunden werden. Der Umgang <strong>mit</strong> rituellen Performances stellt e<strong>in</strong> komplexes, methodisches Element dar, dasnicht nur e<strong>in</strong>zelne Handlungen be<strong>in</strong>haltet. PädagogInnen, die rituelle Inszenierungen anwenden, gestalten aktiv Übergänge<strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen.E<strong>in</strong> Beispiel für e<strong>in</strong>en klassischen Übergang ist <strong>der</strong> Wechsel vom Elementar- zum Primarbereich. <strong>Rituale</strong> helfen,K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule zu begrüßen. Sie greifen Inhalte <strong>der</strong> Elementarbildung auf und gestalten gleichzeitig den neuenRaum Schule. In rituellen Inszenierungen können Schulk<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> ihrem Bedürfnis nach neuen Aufgaben und Herausfor<strong>der</strong>ungenernst genommen und Aspekte e<strong>in</strong>er anschlussfähigen Bildung ermöglicht werden. Flexible Außenrepräsentationenspiegeln adäquat Gruppendynamiken wie<strong>der</strong> (z.B. symbolisiert durch e<strong>in</strong>en Klassennamen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Klassenstofftier,das auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse wohnt). Die zeitstrukturierenden und gruppenbildenden Qualitäten von <strong>Rituale</strong>n ermöglichenverschiedene Unterrichtsphasen, die z. B. von <strong>Gruppenarbeit</strong>, Bewegungselementen o<strong>der</strong> eigenverantwortlichenAktivitäten geprägt s<strong>in</strong>d. Sie glie<strong>der</strong>n Unterrichtse<strong>in</strong>heiten ohne unnötig lange Erklärungen des Lehrenden und grenzenAufmerksamkeits- und Ruhephasen vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> ab. Wir möchten für e<strong>in</strong>e flexible Anwendung von rituellen Performancesplädieren. <strong>Rituale</strong>, die von e<strong>in</strong>er körperlich aktiven zu e<strong>in</strong>er aufmerksamen, nachdenklichen Arbeitsphase überleiten,s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> verschiedensten Ausprägungen vorstellbar. Wichtig ist vorrangig, dass die beiden Arbeitsphasen repräsentiertund e<strong>in</strong> Übergang hergestellt wird. Auch Übergänge zwischen Unterrichtsmethoden können von <strong>Rituale</strong>n gestaltetwerden. Rituelle Inszenierungen helfen Zeit e<strong>in</strong>zusparen, <strong>in</strong>dem Arbeitsabläufe auch kurzfristig festgelegt werdenkönnen.3.2 <strong>Rituale</strong> tragen zur Methodenvielfalt im Unterricht beiIn <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit werden rituelle Inszenierungen als Teil des Lehrerhandelns betrachtet. Sie werden bisweilenstatisch wie<strong>der</strong>holt und als Teil e<strong>in</strong>es persönlichen Lehrstils gesehen. Dementsprechend werden rituelle Inszenierungenlehrerzentriert e<strong>in</strong>geführt und <strong>in</strong>itiiert. Die bisherigen Ergebnisse <strong>der</strong> Berl<strong>in</strong>er Ritualstudien legen nahe, rituelleInszenierungen nicht ausschließlich an den Lehrenden zu b<strong>in</strong>den, son<strong>der</strong>n explorative, entwickelnde und gruppenbezogeneAspekte zu betonen. <strong>Rituale</strong> können zu Methodenwechsel und -vielfalt sowie zu e<strong>in</strong>er s<strong>in</strong>nvollen Rhythmisierungvon Lernformen im Unterricht beitragen. Die Kompetenzen von Lehrenden bei <strong>der</strong> Anwendung von rituellen Inszenierungenim Unterricht drücken sich unseres Erachtens durch e<strong>in</strong> umfangreiches Handlungsrepertoire aus. Die Lehrendensollten den jeweiligen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen e<strong>in</strong>e Vielzahl von rituellen Inszenierungen und performativen Teilakten anbietenkönnen. Die Dramaturgie von zu entwickelnden Alltagsritualen fügt sich <strong>in</strong> Entwürfe e<strong>in</strong>, die Kompetenzen von Lehrendenund dramaturgische, dem Theater naheliegende Inszenierungen <strong>mit</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> verb<strong>in</strong>den (Hoppe 2003). Dasmöchten wir noch e<strong>in</strong>mal am Beispiel Geburtstage und Feste konkretisieren. Viele K<strong>in</strong><strong>der</strong>tagestätten haben für dieseAnlässe bereits eigene Strukturelemente entwickelt. E<strong>in</strong>e 1. Klasse <strong>in</strong> Lüneburg hat <strong>mit</strong> ihrer Lehrer<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e ritualisierte10 Van Gennep verortet <strong>Rituale</strong> anhand e<strong>in</strong>er räumlichen Grenzüberschreitung. Walter Benjam<strong>in</strong> stellt Übergangserfahrungen als rites de passage dar– Schwellenerfahrungen, die Lebensabschnitte rituell konstituieren. Diese Schwellenerfahrung könnte nach Vilém Flusser als kreativer Prozessgestaltet werden. Beson<strong>der</strong>s die prozessualen, sukzessiven Gedanken Van Genneps (1909) und dessen Weiterentwicklung im transformativen RitualbegriffVictor Turners (1969) bieten für die Inszenierung e<strong>in</strong>er Schwellenerfahrung <strong>in</strong> rituellen Performances grundlegende Referenzen7


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009Geburtstags<strong>in</strong>szenierung entwickelt. Das Geburtstagsk<strong>in</strong>d bekommt nicht nur e<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Platz und wird vonSchülern <strong>in</strong> die Luft gehoben. Dem Geburtstagk<strong>in</strong>d werden, sofern es das möchte, Sternchen <strong>in</strong> die Haare gewuschelt,die bisweilen erst nach mehreren Tagen abfallen. Die Gruppe er<strong>in</strong>nert sich durch diese rituelle Performance länger anden Geburtstag. Spielarten von Inszenierungen s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gen<strong>der</strong>perspektive feststellbar. Rituelle Formen werden,wie studentische, narrative Interviews <strong>in</strong> Lüneburg nahelegen, von Männern und Frauen <strong>in</strong> den Lehrendenrollenunterschiedlich <strong>in</strong>terpretiert und angewendet. Grundschullehrer – so die von Studierenden erhobene Auswertung vonnarrativen Interviews <strong>in</strong> fünf Lüneburger Grundschulen – verzichten häufig auf e<strong>in</strong>e umfangreichere rituelle Inszenierungund setzen ihre Geschlechterrolle als Autoritätsmerkmal e<strong>in</strong>. Die bisher befragten Grundschullehrer<strong>in</strong>nen skizzierene<strong>in</strong>en persönlich geprägten pädagogischen Lehrstil <strong>mit</strong> vielfältigen rituellen Arrangements. Sie heben hervor, dassdie E<strong>in</strong>beziehung von <strong>Rituale</strong>n <strong>in</strong> die pädagogische Alltagsarbeit ermöglicht, K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen gezielter anzusprechenund verb<strong>in</strong>dliche Verabredungen zu treffen.4. <strong>Rituale</strong> def<strong>in</strong>ieren RäumeNicht nur Arbeitsphasen und methodische Wechsel, son<strong>der</strong>n auch räumliche Übergänge können durch rituelle Inszenierungenstrukturiert werden. Diese def<strong>in</strong>ieren Räume, legen räumliche Ruhe- und Aktivitätszonen fest. E<strong>in</strong> Beispiel s<strong>in</strong>dÜbergänge von Arbeitsphasen, z. B. Tobe- o<strong>der</strong> Ruhephasen <strong>in</strong> Unterrichts- o<strong>der</strong> Nebenräumen. Der Übergang vonTobebereichen zu ruhigeren Arbeitsbereichen ist <strong>in</strong> Klassenräumen bereits beson<strong>der</strong>s gestaltet. Bau- o<strong>der</strong> Schmuckornamenteführen zu e<strong>in</strong>er Art Slalomlauf, die Geschw<strong>in</strong>digkeit verr<strong>in</strong>gern möchte. Um diesen Übergang zu betonen,können K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen <strong>mit</strong> LehrerInnen den Weg zu dem Ruhebereich gestalten (<strong>mit</strong> Blumenampeln, ruhiger Musiko<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Farbgebung). Die Gruppe entwickelt rituelle Formen, die den Raum betonen, ihn entstehen lassen und legtfest, wie man sich diesem Raum nähern möchte. Vielleicht entdeckt die Gruppe e<strong>in</strong>e langsame Art des Gehens, e<strong>in</strong>bestimmtes ruhiges Tonzeichen o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gymnastikübung. Diese eher verlangsamenden und meditativen Momentekönnen als angemessene E<strong>in</strong>leitungsformen für den E<strong>in</strong>tritt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en ruhigeren Arbeits- und Gestaltungsbereichdienen. Sie müssen nicht statisch festgelegt werden, son<strong>der</strong>n können den Bedürfnissen <strong>der</strong> Gruppe angepasst werden.4.1 Rituellen Performances können über e<strong>in</strong>e eigene Dramaturgie verfügenWenn <strong>Rituale</strong> als e<strong>in</strong>e performative Inszenierung verstanden werden, die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe, selbstgewählte Inhalte, dieInstitution und den Lehrkörper repräsentiert, so s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>fache Gesten nicht ausreichend. <strong>Rituale</strong> können als e<strong>in</strong>ePatchwork<strong>in</strong>szenierung von performativen Akten verstanden werden. Puzzleartige Komb<strong>in</strong>ation von Gesten, Inhaltenund Repräsentationsformen können zu rituellen Inszenierungen führen. <strong>Selbstgestaltete</strong> <strong>Rituale</strong> grenzen sich von rigiden,<strong>in</strong>stitutionell geprägten Ordnungsvorgaben ab. Rituelle Performances geben nach unserem Verständnis Schülerndie Möglichkeit, sich zu <strong>in</strong>szenieren und als eigenverantwortliche Akteure <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Aktionsbereich tätig zu werden.K<strong>in</strong><strong>der</strong> durchleben <strong>Rituale</strong> nicht nur son<strong>der</strong>n entwickeln sie, motiviert von den Lehrkräften, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gruppenprozessweiter. Die Kreativität <strong>der</strong> lim<strong>in</strong>alen Phase kann bewusster ausgeschöpft werden, Formen des Übergangs erprobt undrepräsentiert werden. Beispiel ist die Studie von Monika Wagner-Willi zur Pausengestaltung <strong>in</strong> Schulen. Wagner-Willispricht von e<strong>in</strong>er Vor- und H<strong>in</strong>terbühne, auf denen <strong>Rituale</strong> im Pausengeschehen <strong>in</strong>szeniert werden.„... So werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schwellenphase weitere Dimensionen <strong>der</strong> rituellen Differenzbearbeitung erkennbar, die sich auf habituelle Differenzenbeziehen, welche <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Peergroupkultur von Bedeutung s<strong>in</strong>d. Es s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>em Maße die Dimensionen des Geschlechts und <strong>der</strong>Adoleszenz, die <strong>in</strong> konjunktiv-rituellen Praxen <strong>der</strong> lim<strong>in</strong>alen Phase bearbeitet werden, woh<strong>in</strong>gegen die Dimension des kulturellen (z. B. migrationsgeprägten)Herkunftsmilieus lediglich ansatzweise erkennbar ist.“ (Wagner-Willi, 2005, S. 290)Innerhalb <strong>der</strong> Pause als rituell angelegter <strong>in</strong>stitutioneller Zeitstruktur, entwickeln K<strong>in</strong><strong>der</strong> vielfältige eigene rituelle Inszenierungen.Diese selbst evozierten <strong>Rituale</strong> dienen <strong>der</strong> Dynamik <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> jeweiligen Peergroup. Sie üben Rollene<strong>in</strong>, symbolisieren Zugehörigkeiten. Die selbsttätige Entwicklung von rituellen Performances kann <strong>in</strong> Unterrichtssituationenaufgegriffen werden.4.2 <strong>Rituale</strong> ermöglichen K<strong>in</strong><strong>der</strong>n, partizipativ ihren Lebensraum zu gestaltenIn <strong>der</strong> pädagogischen Arbeit stellt sich oft die Frage, wie Verabredungen geme<strong>in</strong>sam getroffen und nicht bloß direktivverordnet werden. Verabredungen müssen komplexe Inhalte berücksichtigen und eigenverantwortlich gewählt werdenkönnen. E<strong>in</strong>e Vielzahl von diesen Verabredungen ist im pädagogischen Alltag nötig. Geme<strong>in</strong>same Planungen werdenkommuniziert, allgeme<strong>in</strong>e Inhalte verb<strong>in</strong>dlich abgesprochen, e<strong>in</strong> Umgang <strong>mit</strong> Konflikten e<strong>in</strong>geübt. K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppenthematisieren Fragen des Umgangs <strong>mit</strong> Differenz 11 im pädagogischen Alltag. Rituelle Inszenierungen unterstützenK<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen, selbst verantwortliche Festlegungen zu entwickeln. Sie för<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e demokratische, partizipative Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<strong>mit</strong> Inhalten (vgl. <strong>Rituale</strong> <strong>der</strong> Hamburger Schulen). An e<strong>in</strong>em weiteren Beispiel möchten wir unsereÜberlegungen verdeutlichen. Im Rahmen <strong>der</strong> Bildung für Nachhaltige Entwicklung werden normative E<strong>in</strong>sichten geför<strong>der</strong>t,z. B. <strong>der</strong> E<strong>in</strong>satz für e<strong>in</strong>en schonenden Verbrauch von Energieressourcen. Konkrete Handlungen, die Energiespa-11 Ich übernehme den Begriff <strong>der</strong> Differenz von Annedore Prengel und Werner Schiffauer, die ihn an Heterogenität b<strong>in</strong>den und von b<strong>in</strong>ären Strukturenabkoppeln. E<strong>in</strong> kluger Umgang <strong>mit</strong> Differenz (Schiffauer 2002, S. 74f) be<strong>in</strong>haltet Unvorhergesehenes und Inkommensurables (Prengel 1993,S. 87f). Der kluge Umgang <strong>mit</strong> Differenz kann <strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n unterstützt werden, denn diese s<strong>in</strong>d differenzbearbeitend (Zirfas, Wulf 2004, S. 23).8


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009ren unterstützen, können durch spielerische <strong>Rituale</strong> e<strong>in</strong>geübt werden. Die K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppe hat die Möglichkeit, nicht nurabstrakt zu lernen. Wissen kann direkt angewandt werden, Festlegungen umgesetzt und Energie gespart werden. Durchdie Partizipation an <strong>der</strong> Entwicklung von <strong>Rituale</strong>n nehmen K<strong>in</strong><strong>der</strong> die Schule als e<strong>in</strong>en gestaltbaren Lebensraum wahr.Wenn Schule als partizipativer Raum erlebt wird, kann sie K<strong>in</strong><strong>der</strong> zur Mitgestaltung <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Lebensbereichen anregen.Hier ist e<strong>in</strong> Anknüpfungspunkt zur räumlichen Perspektive des Sachunterrichts gegeben. Diese hebt die Stärkungvon Kompetenzen hervor, die auf aktive Mitgestaltung natürlicher und sozialer Lebensräume durch K<strong>in</strong><strong>der</strong> abzielen(GDSU 2008). Partizipation ist e<strong>in</strong> Schlüsselthema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrativ verstandenen Sachunterricht. Die Repräsentationvon selbstgewählten Inhalten, das Schaffen von Entscheidungsmöglichkeiten s<strong>in</strong>d Aspekte von Selbstbestimmung, diebei <strong>der</strong> Entwicklung von Rituellen Inszenierungen aktiviert werden können. <strong>Rituale</strong> können zudem Festlegungen treffen,die verän<strong>der</strong>bar s<strong>in</strong>d (Turner 1969). Die Verän<strong>der</strong>barkeit auch noch im Moment <strong>der</strong> Ritualdurchführung ist e<strong>in</strong>wesentlicher Faktor, <strong>der</strong> dazu beiträgt, <strong>Rituale</strong> nicht zu unbewussten Macht<strong>in</strong>strumenten zu missbrauchen.5. <strong>Selbstgestaltete</strong> <strong>Rituale</strong> im Sachunterricht: Zusammenfassende ÜberlegungenRituelle Inszenierungen haben <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e für offene Unterrichtskonzepte Bedeutung. Sie ermöglichen es, Akzente zusetzen und Inhalte zu repräsentieren. Anhand von 3 Punkten möchten wir abschließend die Bedeutung von selbstgestalteten<strong>Rituale</strong>n im Sachunterricht hervorheben:a) Rhythmisierung von Unterrichtse<strong>in</strong>heiten: wie<strong>der</strong>holende und unbekannte ElementeWenn K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu prägenden Erlebnissen aus dem Sachunterricht befragt werden, nennen sie neben <strong>in</strong>haltlichen AspektenMethoden, die ihnen beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung geblieben s<strong>in</strong>d. Rausgehen, Basteln o<strong>der</strong> Experimentieren s<strong>in</strong>d häufigerwähnte Beispiele. Die Gründe dafür s<strong>in</strong>d sicherlich vielfältig. Es liegt nahe, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> sowohl außergewöhnliche alsauch regelmäßig durchgeführte Handlungsabläufe im Gedächtnis speichern. Die Arbeit <strong>in</strong> beson<strong>der</strong>en, Rout<strong>in</strong>e aufbrechendenSett<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>erseits und <strong>der</strong> häufige E<strong>in</strong>satz bestimmter unterrichtlicher Inszenierungen und Lehr-Lernabläufean<strong>der</strong>erseits werden von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n als ritualisierte Lernformen wahrgenommen. Durch ihre pädagogisch und <strong>in</strong>stitutionellstark vorbestimmte Lernumgebung tendiert die Schule dazu, den wie<strong>der</strong>holenden, Rout<strong>in</strong>e verschaffenden Charaktervon <strong>Rituale</strong>n zu beför<strong>der</strong>n. Der Sachunterricht hat <strong>mit</strong> se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>tegrativen Anspruch die Möglichkeit, diese Lernumgebungneu zu def<strong>in</strong>ieren und zu nutzen, <strong>in</strong>dem er lebensweltliche Bezüge von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n zu e<strong>in</strong>em entscheidendenAusgangspunkt des Unterrichts macht. Im Sachunterricht kann <strong>der</strong> von uns gefor<strong>der</strong>te partizipative und bildungsrelevanteE<strong>in</strong>satz von <strong>Rituale</strong>n unterstützt werden.b) E<strong>in</strong> Beitrag zu schülerorientierter Partizipation<strong>Rituale</strong> ermöglichen e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Blick auf die Aneignungs- und Lernformen. Sie stärken eigenaktives und selbstreflexivesHandeln von SchülerInnen, <strong>in</strong>dem sie von SchülerInnen und LehrerInnen genutzt werden, um Gruppenbildungsprozessezu ermöglichen. Auch thematische und methodische Unterrichtsübergänge können <strong>mit</strong> rituellen Performancesim Sachunterricht markiert werden. Entscheidungen darüber, wie z. B. das Ende e<strong>in</strong>er Unterrichtsphase o<strong>der</strong>e<strong>in</strong>es Themas gestaltet wird, können LehrerInnen und SchülerInnen geme<strong>in</strong>sam treffen.<strong>Rituale</strong> eignen sich, um Unterrichtskonzepte, die Handlungsorientierung aufgreifen, zu realisieren und entstehendeArbeitsphasen zu rhythmisieren. Abläufe <strong>in</strong> offeneren Unterrichtssituationen werden oft, entgegen ihrer Konzeption,von Lehrern stark vorstrukturiert. Nicht selten werden sie <strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n begleitet, die im Unterricht als Ordnungsmaßnahmedienen (z. B. <strong>der</strong> Leisefuchs). Die Anb<strong>in</strong>dung von rituellen Inszenierungen an Unterrichtsmethoden und Bedürfnisse<strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> führt dazu, dass Unterrichtsformen, <strong>in</strong> denen die selbstständige Aneignung e<strong>in</strong>es Themas propagiertwird, ihrem Anspruch gerecht werden.c) Die heterogene Lebenswelt wertschätzenIm problemorientiert arbeitenden Sachunterricht können <strong>Rituale</strong> die Kommunikation unter K<strong>in</strong><strong>der</strong>n anregen (wie z. B.Sitzkreise <strong>in</strong> <strong>der</strong> Klasse, Schülerkonferenzen). Die von rituellen Inszenierungen gestützten Kommunikationsräume könnenzum Austausch über aktuelle Themen genutzt und von LehrerInnen zum Ausgangspunkt für <strong>in</strong>haltliche Unterrichtsüberlegungengemacht werden. Diese Herangehensweise för<strong>der</strong>t den E<strong>in</strong>bezug von lebensweltlich orientiertemWissen (Richter 2005) als Zugang zu Inhalten des Sachunterrichts. Auch e<strong>in</strong>e explizite, <strong>in</strong>haltliche Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung<strong>mit</strong> <strong>Rituale</strong>n im Unterricht ist anstrebenswert.<strong>Rituale</strong>, die lebenszeitliche Statusübergänge und gesellschaftlich traditionalisierte Feste, Zeremonien usw. <strong>in</strong>szenieren,s<strong>in</strong>d den SchülerInnen bekannt. Wie sie entstanden s<strong>in</strong>d, welche Funktion sie haben und wie sich <strong>Rituale</strong> im gesellschaftlichenWandel verän<strong>der</strong>n, s<strong>in</strong>d relevante Fragen für den Sachunterricht. Durch öffentliche Repräsentationen o<strong>der</strong>E<strong>in</strong>b<strong>in</strong>dung <strong>in</strong> den familiären Alltag werden von <strong>Rituale</strong>n gesellschaftliche Deutungen transportiert. Diese Diskursebee<strong>in</strong>flussen den <strong>in</strong>dividuellen Alltag von K<strong>in</strong><strong>der</strong>n und werden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schule nur selten aufgegriffen. So orientiert sichdas schulische Feste-Feiern meist an christlichen Feiertagen, was z. B. <strong>in</strong> <strong>der</strong> Beschäftigung <strong>mit</strong> Weihnachten im Sachunterrichtdeutlich wird. Gesellschaftlichen Normen und Wertvorstellungen, die diesen Praktiken zugrunde liegen,werden im Sachunterricht unzureichend thematisiert. Kulturelle Diversität und die Pluralität von Wertorientierungenkönnen <strong>mit</strong> rituellen Inszenierungen im Sachunterricht entdeckt und reflektiert werden. Die heterogenen Bauste<strong>in</strong>e vonSelbsgestalteten <strong>Rituale</strong>n bieten e<strong>in</strong> Reflexionsfeld für <strong>in</strong>terkulturelle Blickw<strong>in</strong>kel im Unterricht.Mit Bezug auf die pädagogische Ritualforschung plädieren wir für die E<strong>in</strong>beziehung von selbstgestalteten <strong>Rituale</strong>n <strong>in</strong><strong>der</strong> pädagogischen Arbeit <strong>mit</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Diese sollten e<strong>in</strong>e Übergangsphase gestalten und K<strong>in</strong><strong>der</strong>n die Möglichkeit ge-9


www.wi<strong>der</strong>streit-sachuntericht.de/Ausgabe Nr. 13/Oktober 2009ben, an <strong>der</strong> Gruppendynamik und Außenrepräsentation ihrer Schulklassen <strong>mit</strong>zuwirken. <strong>Rituale</strong> können weit mehr alsOrdnungen festlegen. In diesem Artikel wurde ihre Bedeutung für Rhythmisierungen, die Stabilisierung von Gruppenund geme<strong>in</strong>same Festlegungen betont. <strong>Rituale</strong> leisten <strong>in</strong> heterogenen K<strong>in</strong><strong>der</strong>gruppen e<strong>in</strong>en Beitrag zur sozialen Kohäsion.Sie helfen Lerngruppen zu bilden und können Inklusion beför<strong>der</strong>n, <strong>in</strong>dem feste, ausgrenzende Gruppenstrukturendurchlässiger gestaltet und neu zusammengefügt werden.Die E<strong>in</strong>beziehung von <strong>Selbstgestaltete</strong>r <strong>Rituale</strong> im Unterricht trägt dazu bei, dass K<strong>in</strong><strong>der</strong> Gestaltungsspielraum <strong>in</strong>Institutionen erhalten. Schulklassen haben die Möglichkeit Motive, Themen und Schwerpunkte, die evtl. <strong>in</strong> Schulprogrammeno<strong>der</strong> Leitl<strong>in</strong>ien formuliert worden s<strong>in</strong>d, auf ihre Gruppensituation zu beziehen und eigenständig auszuformulierenbzw. ausgewählte Aspekte weiterzuentwickeln. In offenen Unterrichtssituationen wird die Gestaltungskompetenzvon SchülerInnen durch rituelle Performances gestärkt. Die Kompetenz Lehren<strong>der</strong> wird von uns vorrangig auf demGebiet verortet, Entscheidungssituationen herzustellen und e<strong>in</strong> Repertoire an Inszenierungsmöglichkeiten anzubieten.Partizipation von SchülerInnen wird oft erst möglich, wenn konkrete Entscheidungsalternativen aufgezeigt werden.LiteraturAgamben, Giorgio (2002): Homo Sacer. Die souveräne Macht und das nackte Leben. 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