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Irène Wangler-Himmelsbach - IRÈNE und RUDOLF WANGLER ...

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Reinhardt Stumm(Kulturredaktor Basel)<strong>Irène</strong> <strong>Wangler</strong>-<strong>Himmelsbach</strong>1Was macht eigentlich Vergnügen an Kunst? Was muss sie leisten, um Vergnügen zu machen? Ichmeine nicht jenes Vergnügen, das wir zum Beispiel an Kinderzeichnungen haben, das lässt sich jaleicht begründen, ich meine ein anderes Vergnügen, jenes, das ein Betrachter erlebt, wennEnergieströme zwischen ihm <strong>und</strong> dem Kunstwerk zu fliessen beginnen.Dann wird er, ohne sich dessen bewusst sein zu müssen, zum Mitschöpfer. Geordnete Materie –Holzrahmen, Leinwand, Farben – setzt im Betrachter spirituelle Energien frei, die Erfinderluststimulieren. Dann fliessen die Energieströme zurück <strong>und</strong> – eine nur scheinbare Paradoxie - derBetrachter gestaltet das Bild.Ich denke, dass genau dieser Umstand "moderne" Kunst von der sogenannten "klassischen"unterscheidet. War das Kunstwerk bis ins zwanzigste Jahrh<strong>und</strong>ert hinein eindeutig, autark – vonEnergiezufuhr unabhängig, selbstbestimmt -, ist es seitdem gewissermassen symbiotisch zubegreifen. Das Mass der zuführbaren, der spirituell mitgestaltenden Energie, bestimmt das Massseiner Lebendigkeit, der Befriedigung seines Betrachters <strong>und</strong> damit sein Urteil – gut oder nichtgut.Ehedem unverrückbare Qualitätskriterien werden nebensächlich, auch wenn wir immer nochunterscheiden sollten zwischen formalen Kriterien wie Bildaufbau, Komposition, thematischerLogik, Beherrschung der Technik (<strong>und</strong> da muss sich auch zwischen Vertretern gegensätzlichster


2Ansichten Einigkeit erzielen lassen). Stattdessen tritt die „Aussage“ oder wie immer wir dasnennen wollen in den Vordergr<strong>und</strong>, nach meinem Verständnis die aggressiven, herausfordernden,emotionale Reaktionen erzwingenden Elemente.Und dann zeigt sich: Erst die Betrachtung macht ein Werk lebendig. Und je kräftiger dieserAustausch von Energien zwischen Werk <strong>und</strong> Betrachter ist, umso umfassender wird das, was wir,mangels besserer Bezeichnung, Kunsterlebnis nennen. Es setzt die Bereitschaft voraus,mitzuspielen, die vorgegebenen Spielregeln anzunehmen (<strong>und</strong> nicht eigene dagegenzusetzen) <strong>und</strong>die Ergebnisse nicht im Objekt, sondern bei sich selber zu suchen.Gönnen Sie mir das Vergnügen eines kleinen Beispiels. Im Dezember berichtete (Art Basel MiamiBeach – Temptations, Virtue and Vice) der NEW YORKER über die Art Basel Miami. Daraus diesesStückchen:„Gerade mal eine einzige Arbeit forderte die Begeisterungsstürme der Kunstleute heraus, diesich nach Kühnheit sehnen: der New Yorker Händler Gavin Brown liess seine grosseStandfläche praktisch leer. Es gab nichts als ein zerknautschtes Zigarettenpäckchen (Camel,vielleicht um an den Mittleren Osten zu erinnern), das, durch eine Angelschnur mit einemApparat hoch oben verb<strong>und</strong>en, langsam <strong>und</strong> hypnotisierend herumflog oder über den Bodenrutschte. Vom Schweizer Künstler Urs Fischer erf<strong>und</strong>en, war diese Verschwendung teuersterAusstellungsfläche an den Behälter eines süchtig machenden Produktes die denkbarsmarteste Beleidigung des Anlasses, wenn auch eine sehr milde. (Das Stück wurde fürh<strong>und</strong>ertsechzigtausend Dollar verkauft).“


Die Erfahrung lehrt uns, dass Kunst nicht eindeutig sein muss, im Gegenteil. Das kritische Spielbei der Beurteilung von Kunstwerken lebt ja gerade von dem, was wir Interpretation nennen –andere nennen es auch Hineinlesen. Man sieht, was gar nicht da ist. Und man könnte tatsächlichfragen, ob es ein Indikator für Qualität ist, wenn sich viel hineinlesen lässt. Dann muss ja einWerk Impulse aussenden, anregend sein, muss es die Phantasie des Betrachters zuEigenleistungen reizen – dann liesse sich das Kunstwerk auch begreifen als eine Art Motor, derStilliegendes in Bewegung setzt. Ein Vorgang, den jeder kennt, dessen Rezeptoren nicht völligabgestumpft sind. Wer sich prüft, erkennt eine Weisheit, die dem alten Faust vertraut war – wienämlich ein Schlag hier tausend Verbindungen dort schlägt.Betrachtetes <strong>und</strong> Betrachter müssen sich aneinander reiben, <strong>und</strong> oft reiben sie sich ohne Erfolg.Da muss sich zeigen, ob es Qualitätsmerkmale gibt, die jenseits der herbeigewünschtenBeziehung Gültigkeit haben <strong>und</strong> die erkennbar sind. Man kann freilich auch an Lichtenbergdenken, der einmal sagte, wenn ein Buch <strong>und</strong> ein Kopf zusammenstossen <strong>und</strong> es tönt hohl, musses nicht allemal das Buch sein. Wenn aber das Spiel funktioniert, macht das Kunstwerk seinenBetrachter zum Mitschöpfer.Das denke ich, wenn ich die Bilder von <strong>Irène</strong> <strong>Wangler</strong>- <strong>Himmelsbach</strong> anschaue. Und ich finde,dass sie noch an etwas anderes denken lassen, nämlich an die heim-lichen Verbindungenzwischen den Kunst-Gattungen. Für <strong>Irène</strong> war das Werk des spanischen Dichters <strong>und</strong> DramatikersFederico Garcia Lorca – der 1936 von den Falangisten ermordet wurde – ein Schlüsselerlebnis derjüngeren Zeit.3


Das hat möglicherweise damit zu tun, dass Lorca – ein Synästhetiker, wie ich glaube - auf eineWeise Farben dachte, wie ich sie bei keinem anderen Dichter erlebt habe. Ich habe ein paarBeispiele aus dem Puppenspiel "Dona Rosita" **) (nicht das Theaterstück!):4Einmal erscheint der Vater grau gekleidet, in einer rosafarbenen Perücke, rosafarben ist auch seinGesicht. Die Bühne denkt sich Lorca als Gitterwerk, das nach oben lichter wird, an den Wändenein leicht rosa überzuckerter Schatten. Dona Rosita trägt ein grosses rosa Brautkleid mit Rüschen,die Hochzeitsgäste tragen Rosenbogen aus buntem Papier, die Berge von Granada habenLichtfüsse <strong>und</strong> Schneehaar.Es gibt eine ganze Reihe von Bildern von <strong>Irène</strong> <strong>Wangler</strong>-<strong>Himmelsbach</strong>, die sich auf Lorcabeziehen,<strong>und</strong> wer jene Texte einmal gelesen hat, findet die Stimmlage sofort wieder. Da sie aber aus dervon Lorca erzählten Geschichte herausgelöst sind, erscheinen sie in einer neuen Dimension, derenImpulse aus der Erlebniswelt kommen, in der <strong>Irène</strong> <strong>Wangler</strong>-<strong>Himmelsbach</strong> arbeitete, bevor sieLorca begegnete.Es ist ganz einfach, Sie können es mühelos selber finden. Ältere Bilder von <strong>Irène</strong> <strong>Wangler</strong>-<strong>Himmelsbach</strong> verstehen sich als Gefüge von Flächen.Dann öffnen sich die Flächen <strong>und</strong> werden zuRäumen. Eine leichte, helle, spielerische Bild-phantasie empfängt die abstrakten Impulse desTextes <strong>und</strong> macht sich – man sagt es ja so – ein Bild daraus! Und wir lesen die Bewegung, vomGeschlossenen ins Offene, vom Festen ins Luftige, von der Aufsicht zur Durchsicht, zurTransparenz.


5Ich habe vor kurzem im Goetheanum-Theater Lessings Minna von Barnhelm gesehen. Währendder Vorstellung fielen mir <strong>Irène</strong>s Bilder ein, da nämlich, wo Minna – übermütig <strong>und</strong> vergnügt – einrotes Seidenkleid, es ist fast dasselbe Rot, das wir hier so oft sehen, aus ihrem Koffer zieht <strong>und</strong> eshoch über sich schwenkt. Es flattert w<strong>und</strong>ervoll, federleicht, verliert alle Stofflichkeit, wirdkraftvoll reine rote vergnügte Heiterkeit.Mich vergnügt die Nähe des einen zum anderen, die Einsicht, dass die Flüchtigkeit des Theaters,dass der Farbklang eines Textes von Lorca, dass die duftigen Farbräume hier aus ein <strong>und</strong>derselben Quelle fliessen. Menschliche Phantasie schafft die Farbbilder, die Bewegungsbilder, dieTextbilder, <strong>und</strong> alle leisten sie dasselbe, sie fassen Wirklichkeit wie ein Juwelier einen Stein fasst -<strong>und</strong> machen sie erkennbar.

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