DAMIT DIE HERDE GE-HORCHT, BRAUCHTMAN EINEN HIRTEN-STAB. URKO ZEIGT ELI-AS, WIE MAN DAMITUMGEHT.DER LETZTE SEINERART: ENRIKES SÖHNEWOLLTEN NICHT WIEER HIRTE WERDEN.SCHAFE ZÄHLEN.WÄRE EINE GUTEIDEE GEWESEN,DENN DIE NACHTAUF DER ALM WARNICHT SO GUT.dDIEDen Wald haben wir hinter uns gelassen,der Weg wird steinig und steil. Die Berge sinkenins Abendlicht, über die Weiden legt sichzartes Rosa. Das Gemecker der Kinder verstummt,die Stimmung hat sie eingefangen.Wir kommen auf eine riesige Alm <strong>unter</strong>halbdes Gipfels. Dort steht eine steinerne Schäferhütte,an einem Felsen, fast wie eine Burgruine.Über der Tür steht in großen Buchstaben:Enrike. Die Tür ist zu, keiner da. „Wo ist derSchäfer?“, fragt Matteo.Dass wir hier sind, am Berg Gorbeia imHinterland von Bilbao, auf der Suche nacheinem Schäfer, genauer gesagt: auf der Suchenach dem Schäfer – an alledem ist Tomi Ungererschuld. Er hat das in seinem Liederbuchso gemalt: Ein Schäfer am Fuß eines Felsens,neben ihm grast seine Herde, wie weiße Wollwölkchenauf einer Wiese. Er trägt einen hohenHut und stützt sich auf einen Stab. Es istNacht, und der Schäfer schaut auf eine Burgruine.In einem der Fenster brennt warmesLicht. Auf dem Bild ist alles gut. Das Liederbucherschien 1975, da war ich so alt wie meineKinder heute. Seitdem habe ich dieses Bildvon Schäferidylle in meinem Kopf.Dieses Bild will ich in echt sehen. Deshalbplane ich mit meinen Söhnen eine Reise: einpaar Tage raus aus der Stadt, Schafe hüten.Elias und Matteo sind neun und sieben Jahrealt, also im besten Hirtenjungenalter. Ob siedarauf Lust haben, frage ich erst gar nicht. Ichkenne die Antwort: Matteo hasst wandern,Elias hasst zelten. Ich muss sie zu ihremGlück zwingen.Aber erstmal muss ich einen Schäfer auftreiben,einen wie bei Tomi Ungerer.Ich suche im Internet, da finde ich SchäferMeinecke aus dem Wendland. Dort sieht manihn mit einem hohen Hut wie der Schäfer aufdem Ungerer-Bild und einem gezwirbeltenBart. Er sagt am Telefon, wir sollten ruhigkommen, er würde uns durch die NemitzerHeide führen und uns allerlei über Gräserund Vögel erzählen. „Denn die größte Herausforderungbeim Schafe hüten ist die Langeweile“,brummt er in den Hörer. Allerdingsbleibe er nicht bei seiner Herde, gemütlichersei es doch daheim im warmen Bett. MeineSöhne strahlen, als sie das hören: Nicht zel-FAMILIENATALY BLEUEL, 44 JAHREIST EIGENTLICH KEIN TIER-TYP – AUSSER, WENN MAN SIE ESSEN KANN.AM LIEBSTEN MAG SIE GEGRILLTE LAMMKOTELETTS MIT VIEL KNOBLAUCH.ELIAS LJUBIC, 9 JAHREKANN KEINE MESSER SEHEN UND SCHON GAR NICHT AN LAMMHAXEN.DAHER LÄSST ER JETZT NUR NOCH SCHAFSKÄSE AUF SEINEN TELLER.MATTEO LJUBIC, 7 JAHREHAT DIE VERBINDUNG ZWISCHEN LAMM UND KOTELETT NOCH NICHTGANZ VERSTANDEN UND TRÄUMT WEITER VON KUSCHELSCHAFEN.ten! Cool! Doch ich hatte mir das nicht sovorgestellt. Ein paar Tage später sagt unsSchäfer Meinecke ab: Bandscheibenvorfall.Ich suche überall – in Deutschland, Irland,Schottland, Skandinavien, Rumänien, Griechenland,Frankreich, in den ganzen Alpen.Aber Wanderschäfer sind schwer zu finden.Überall gibt es fast nur noch Acker- undkaum noch Weideland, es gibt mobile Koppeln,die sich schnell dorthin verschiebenlassen, wo gerade Futter zu finden ist. DiePreise sind zu niedrig, um von Käse, Wolleoder Fleisch leben zu können. Mit <strong>Schafen</strong>über Wiesen zu wandern – das ist heutekaum mehr möglich.Eine Spanienkennerin gibt mir einenTipp, und so landen wir am Gorbeia, imnordwestlichen Baskenland. Hier sind dieBerge mit grünen Matten und Wäldern überzogen,auf den Wiesen blühen Butterblumen,durch die Täler plätschern Bäche. Der Gorbeiaist mit 1480 Metern der höchste Berg inder Gegend. An seinem Fuß lebt Aser AstorganoMartin. 42 Jahre alt, ein kugeliger Mannmit wachen dunklen Augen. Er hat eine Frau,zwei Söhne, drei Hunde und xx Schafe. AsersHof liegt oberhalb des Dorfs Ubide. Ein neumodischerZementkasten mit Stall, Käserei,Wohnküche und Vorhof zum Ballspielen.Aser und seine Familie können allein vomKäse, den sie mit der Schafsmilch machen,nicht leben. Während er am Wochenende aufMärkten den Käse verkauft, kellnert seineFrau in einem Lokal.Wir stehen auf dem Hof, die Sonne brenntauf Asers Halbglatze, es riecht streng nachMolke. Und, wo sind jetzt die Schafe? Aserdeutet Richtung Berg: „Ein paar Minuten mitdem Auto die Straße hoch.“ Mit dem Auto?Wir wollen wandern, mit den <strong>Schafen</strong>! Unterdem baskischen Sternenhimmel schlafen!Aser lacht. „In die Berge gehen nur noch dieAlten“, sagt er, und es klingt wie „die Irren“. Ertreibt seine Schafe morgens auf die Gemeindeweide,abends holt sein fünfjähriger SohnUrko sie zurück. Ich erzähle nichts von meinemUngerer-Schäfer.Der kleine Urko steht braun und breitbeinigvor meinen blassen blonden Söhnen.„Jetzt holen wir meine Schafe!“ Wir fahrenauf dem Pick-up zur Weide, ein Hund darfmit, die beiden anderen bleiben zurück – siewürden sich nur gegenseitig vom Arbeitenablenken. Matteo hat vor fast allen Tieren*HINTENIM BILD:URKO, DERSOHN DESSCHÄFERS.4 5
»Mama, das nächste Malsuchen wir Termiten. Die sindschlauer als Schafe«WIE RÜCKLICHTER: DAMITDIE SCHAFE NICHT VERLO-REN GEHEN, WERDEN SIEMIT FARBE MARKIERT.6 7