13.07.2015 Aufrufe

46-Marc Aurel - Meditationen - anova

46-Marc Aurel - Meditationen - anova

46-Marc Aurel - Meditationen - anova

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong><strong>Meditationen</strong>


<strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong>(121 n. Chr. - 180 n. Chr.)Am 26.4.121 wurde <strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong> als <strong>Marc</strong>us AnniusVerus in Rom geboren. Er stammte aus einer vornehmenSenatorenfamilie. Auf Anregung Kaiser Hadrianswurde er mit siebzehn Jahren von seinem Onkel AntoninusPius adoptiert. 145 vermählte er sich mit Faustina,der Tochter seines Adoptivvaters. Seit 161herrschte <strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong> als römischer Kaiser zusammenmit seinem Adoptivbruder Lucius Verus, seit 177dann mit seinem Sohn Commodus.<strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong> war der letzte große Vertreter der stoischenLehre. In seinem Denken ist er vor allem vonEpiktet beeinflußt. Von seinen Schriften ist wenigüberliefert: »Briefe« an seinen Lehrer Fronto in Lateinund Teile der 12 Bücher »Selbstbetrachtungen«in griechischer Sprache. Die Philosophie tritt hier aufals Trost und Beruhigungsmittel. Nur in der Vernunftfindet der Mensch den Sinn, der ihn eine oft qualvolleExistenz ertragen läßt.Andere wichtige Quellen, aus denen die Kenntnis derstoischen Philosophie zu schöpfen ist, sind Cicero,


Sextus Empiricus, Seneca, Antonin, Arrian und DiogenesLaertius.Am 17.3.180 ist <strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong> in Vindobona (heuteWien) gestorben.Lektürehinweis:W. Görlitz, <strong>Marc</strong> <strong>Aurel</strong>. Kaiser und Philosoph, Stuttgart1954.


<strong>Marc</strong>us <strong>Aurel</strong>ius Antoninus Augustus<strong>Meditationen</strong>(Tôn eis heauton biblia)


Erstes Buch1.Von meinem Grossvater Verus weiss ich, was edleSitten sind und was es heisst: frei sein von Zorn.2.Der Ruf und das Andenken, in welchem mein Vatersteht, predigen mir Schamhaftigkeit und männlichesWesen.3.Der Mutter Werk ist es, wenn ich gottesfürchtigund mittheilsam bin; wenn ich nicht nur schlechteHandlungen, sondern auch schlechte Gedanken fliehe;auch dass ich einfach lebe und überhaupt nicht wiereiche Leute.


4.Mein Urgrossvater litt nicht, dass ich die öffentlichenDisputirübungen besuchte, sorgte aber dafür,dass ich zu Hause von tüchtigen Lehrern unterrichtetwurde, und überzeugte mich, dass man zu solchemZweck schon Etwas aufgehen lassen müsse.5.Mein Erzieher gab nicht zu, dass ich mich an denWettfahrten betheiligte, weder in Grün noch in Blau,auch nicht, dass ich Ring- und Fechterkünste trieb. Erlehrte mich Mühen ertragen, Wenig bedürfen, selbstthätigsein, mich wenig kümmern um anderer LeuteAngelegenheiten und einen Widerwillen haben gegenalles Aufschieben.


6.Diognet bewahrte mich vor allen unnützen Beschäftigungen;vor dem Glauben an das, was Wunderthäterund Gaukler von Zauberformeln, vom Geisterbannenu.s.w. lehrten; davor, dass ich Wachtelnhielt, und vor andern solchen Passionen. Er lehrtemich ein freies Wort vertragen; gewöhnte mich anphilosophische Studien, schickte mich zuerst zu Bacchius,dann zu Tandasis und <strong>Marc</strong>ian, liess michschon als Knabe Dialoge verfassen und machte mirLust zu den Ruhebetten und Pelzdecken, wie sie beiden Lehrern der griechischen Schule Mode sind.7.Dem Rusticus verdanke ich, dass es mir einfiel, insittlicher Hinsicht für mich zu sorgen und an meinerVeredlung zu arbeiten; dass ich frei blieb von demEhrgeiz der Sophisten; dass ich nicht Abhandlungenschrieb über abstrakte Dinge, noch Reden hielt zumZweck der Erbauung, noch prunkend mich als einenstreng und wohlgesinnten jungen Mann darstellte, unddass ich von rhetorischen, poetischen und stilistischenStudien abstand; dass ich zu Hause nicht im


Staatskleid einherging oder sonst so Etwas that, unddass die Briefe, die ich schrieb, einfach waren, so einfachund schmucklos wie der seinige an meine Muttervon Sinuessa aus. Ihm habe ich's auch zu danken,wenn ich mit denen, die mich gekränkt oder sonst sichgegen mich vergangen haben, leicht zu versöhnen bin,sobald sie nur selbst schnell bereit sind, wiederzukommen.Auch lehrte er mich, was ich las, genaulesen und mich nicht mit einer oberflächlichen Kenntnissbegnügen, auch nicht gleich beistimmen dem,was oberflächliche Beurtheiler sagen. Endlich war er'sauch, der mich mit den Schriften Epiktets bekanntmachte, die er mir aus freien Stücken mittheilte.8.Appollonius zeigte mir, was Freiheit sei und eineFestigkeit, die dem Spiel des Zufalls Nichts einräumt;dass man auf Nichts ohne Ausnahme so achtenmüsse, als auf die Gebote der Vernunft. Auch wasGleichmuth sei bei heftigen Schmerzen, bei Verlusteines Kindes, in langen Krankheiten, habe ich vonihm lernen können. - Er zeigte mir handgreiflich aneinem lebendigen Beispiele, dass man der ungestümsteund gelassenste Mensch zugleich sein kann, unddass man beim Studium philosophischer Werke die


gute Laune nicht zu verlieren brauche. Er liess micheinen Menschen sehen, der es offenbar für die geringsteseiner guten Eigenschaften hielt, dass er Uebungund Gewandtheit besass, die Grundgesetze der Wissenschaftzu lehren; und bewies mir, wie man vonFreunden sogenannte Gunstbezeugungen aufnehmenmüsse, ohne dadurch in Abhängigkeit von ihnen zugerathen, aber auch ohne gefühllos darüber hinzugehen.9.An Sextus könnt' ich lernen, was Herzensgüte sei.Sein Haus bot das Muster eines väterlichen Regimentesdar, und er gab mir den Begriff eines Lebens, dasder Natur entspricht. Er besass eine ungekünstelteWürde und war stets bemüht, die Wünsche seinerFreunde zu errathen. Duldsam gegen Unwissendehatte er doch keinen Blick für die, die an blossen Vorurtheilenkleben. Sonst wusste er sich mit Allen gutzu stellen, so dass er denselben Menschen, die ihmwegen seines gütigen und milden Wesens nichtschmeicheln konnten, zu gleicher Zeit die grösste Ehrfurchteinflösste. Seine Anleitung, die zum Lebennothwendigen Grundsätze aufzufinden und näher zugestalten, war eine durchaus verständliche. Niemals


zeigte er eine Spur von Zorn oder einer andern Leidenschaft,sondern er war der leidenschaftsloseste undder liebendste Mensch zugleich. Er suchte Lob, aberein geräuschloses; er war hochgelehrt, aber ohne jedeOstentation.10.Von Alexander dem Grammatiker lernte ich, wieman sich jeglicher Scheltworte enthalten und es ohneVorwurf hinnehmen kann, was Einem auf fehlerhafte,rohe oder plumpe Manier vorgebracht wird; ebensoaber auch, wie man sich geschickt nur über das, waszu sagen Noth thut, auszulassen habe, sei's in Formeiner Antwort oder der Bestätigung oder der gemeinschaftlichenUeberlegung über die Sache selbst, nichtüber den Ausdruck, oder durch eine treffende anderweiteBemerkung.


11.Durch Phronto gewann ich die Ueberzeugung, dassder Despotismus Missgunst, Unredlichkeit und Heucheleiin hohem Maasse zu erzeugen pflege, und dassder sogenannte Adel im Allgemeinen ziemlich unedelsei.12.Alexander der Platoniker brachte mir bei, wie ichnur selten und nie ohne Noth zu Jemand mündlichoder schriftlich äussern dürfe: ich hätte keine Zeit;und dass ich nicht so, unter dem Vorwande dringenderGeschäfte, mich beständig weigern sollte, diePflichten zu erfüllen, die uns die Beziehungen zudenen, mit denen wir leben, auferlegen.


13.Catulus rieth mir, dass ich's nicht unberücksichtigtlassen sollte, wenn sich ein Freund bei mir überEtwas beklagte, selbst wenn er keinen Grund dazuhätte, sondern dass ich's versuchen müsste, die Sachein's Reine zu bringen. Wie man von seinen Lehrernheftig eingenommen sein kann, sah ich an ihm; ebensoaber auch, wie lieb man seine Kinder haben müsse.14.An Severus hatte ich häuslichen Sinn, WahrheitsundGerechtigkeitsliebe zu bewundern. Er machtemich mit Thraseas, Helvidius, Cato, Dio und Brutusbekannt und führte mich zu dem Begriff eines Staates,in welchem alle Bürger gleich sind vor dem Gesetz,und einer Regierung, die Nichts so hoch hält als diebürgerliche Freiheit. Ausserdem blieb er, um Andereszu übergehen, in der Achtung vor der Philosophiesich immer gleich; war wohlthätig, ja in hohem Gradefreigebig; hoffte immer das Beste und zweifelte nie ander Liebe seiner Freunde. Hatte er Etwas gegen Jemand,so hielt er damit nicht zurück, und seine Freundehatten niemals nöthig, ihn erst auszuforschen, was


er wollte oder nicht wollte, weil es offen am Tage lag.15.Von Maximus konnte ich lernen, mich selbst beherrschen,nicht hin- und herschwanken, guten Muthessein in misslichen Verhältnissen oder in Krankheiten,auch wie man in seinem Benehmen Weisheitmit Würde verbinden muss, und an ein Werk, dasrasch auszuführen ist, doch nicht unbesonnen gehendarf. Von ihm waren Alle überzeugt, dass er geradeso dachte wie er sprach, und was er that, in guter Absichtthat. Etwas zu bewundern oder sich verblüffenzu lassen, zu eilen oder zu zögern, rathlos zu sein undniedergeschlagen oder ausgelassen in Freude oderZorn oder argwöhnisch - das Alles war seine Sachenicht. Aber wohlthätig zu sein und versöhnlich, hielter für seine Pflicht. Er hasste jede Unwahrheit undmachte so mehr den Eindruck eines geraden als einesfeinen Mannes. Niemals hat sich Einer von ihm verachtetgeglaubt; aber ebensowenig wagte es Jemand,sich für besser zu halten als er war. Auch wusste erauf anmuthige Weise zu scherzen.


16.Mein Vater hatte in seinem Wesen etwas Sanftes,aber zugleich auch eine unerschütterliche Festigkeit indem, was er gründlich erwogen hatte. Er war ohneEhrgeiz hinsichtlich dessen, was man gewöhnlichEhre nennt. Er arbeitete gern und unermüdlich. Wermit Dingen kam, die das gemeine Wohl zu fördernversprachen, den hörte er an und versäumte es nie,einem Jeden die Anerkennung zu zollen, die ihm gebührte.Wo vorwärts zu gehen und wo einzuhaltensei, wusste er. Er war herablassend gegen Jedermann;erliess den Freunden die Pflicht, immer mit ihm zuspeisen oder, wenn er reiste, mit ihm zu gehen; undstets blieb er sich gleich auch gegen die, die er nothgedrungenzu Hause liess. Seine Erörterungen in denRathsversammlungen waren stets von grosser Genauigkeit,und er hielt aus und begnügte sich nicht mitIdeen, die auf der flachen Hand liegen, blos um dieVersammlung für geschlossen zu erklären. Er warsorgsam bemüht, sich seine Freunde zu erhalten,wurde ihrer niemals überdrüssig, verlangte aber auchnicht heftig nach ihnen. Er war sich selbst genug inallen Stücken und immer heiter. Er hatte einen scharfenBlick für das, was kommen würde, und traf für diekleinsten Dinge Vorbereitungen ohne Aufhebens zu


machen, so wie er sich denn überhaupt jedes Beifallrufen und alle Schmeicheleien verbat. Was seiner Regierungnothwendig war, darüber wachte er stets, gingmit den öffentlichen Geldern haushälterisch um, undliess es sich ruhig gefallen, wenn man ihm darüberVorwürfe machte. - Den Göttern gegenüber war erfrei von Aberglauben, und was sein Verhältniss zuden Menschen betrifft, so fiel es ihm nicht ein um dieVolksgunst zu buhlen, dem grossen Haufen sich gefälligzu erzeigen und sich bei ihm einzuschmeicheln,sondern er war in allen Stücken nüchtern, besonnen,taktvoll und ohne Sucht nach Neuerungen. Von denDingen, die zur Annehmlichkeit des Lebens beitragen- und deren bot ihm das Glück eine Menge dar -machte er ohne zu prunken, aber auch ohne sich zuentschuldigen Gebrauch, so dass er, was da war, einfachnahm, was nicht da war, auch nicht entbehrte.Niemand konnte sagen, dass er ein Krittler, oder dasser ein gewöhnlicher Mensch oder ein Pedant sei, sondernman musste ihn einen reifen, vollendeten, überjede Schmeichelei erhabenen Mann nennen, der wohlim Stande sei, sich und Andern vorzustehen. Ausserdem:die ächten Philosophen schätzte er sehr, liessaber auch die Andern unangetastet, obschon er ihnenkeinen Einfluss auf sich verstattete. In seinem Umgangeferner war er höchst liebenswürdig und witzig,ohne darin zu übertreiben. In der Sorge für seinen


Leib wusste er das rechte Mass zu halten, nicht wieein Lebenssüchtiger oder wie Einer, der sich schniegeltoder sich vernachlässigt; sondern er brachte esdurch die eigene Aufmerksamkeit nur dahin, dass erden Arzt fast gar nicht brauchte und weder innerenoch äussere Mittel nöthig hatte. - Vor Allem aberwar ihm eigen, denen, die wirklich Etwas leisteten,sei's in der Beredtsamkeit oder in der Gesetzeskundeoder in der Sittenlehre oder in irgend einer anderenDisciplin, ohne Neid den Vorrang einzuräumen undsie wo er konnte zu unterstützen, damit ein Jeder inseinem Fache auch die nöthige Anerkennung fände.Wie seine Vorfahren regiert, so regierte er auch, ohnejedoch die Meinung hervorrufen zu wollen, als wacheer über dem Althergebrachten. Er war nicht leicht zubewegen oder von Etwas abzubringen, sondern wo ergerade war und wobei, da pflegte er auch gern zu bleiben.Nach den heftigsten Kopfschmerzen sah man ihnfrisch und kräftig zu den gewohnten Geschäften eilen.Geheimnisse pflegte er nur äusserst wenige und nur inseltenen Fällen zu haben und nur um des gemeinenWohles willen. Verständig und mässig im Anordnenvon Schauspielen, von Bauten, von Spenden an dasVolk und dergl. mehr, zeigte er sich als ein Mann, dernur auf seine Pflicht sieht, um den Ruhm aber sichnicht kümmert, den seine Handlungen ihm verschaffenkönnen. - Er badete nur zur gewöhnlichen


Stunde, liebte das Bauen nicht, legte auf das Essenkeinen Werth, auch nicht auf Kleider und deren Stoffeund Farben, noch auf schöne Sklaven. Seine Kleiderliess er sich meist aus Lorium, dem unteren Landgute,oder aus Lanubium kommen und bediente sich dazudes Generalpächters in Tusculum, der ihn um diesenDienst gebeten hatte. - In seiner ganzen Art zu seinwar nichts Unschickliches oder gar Schamloses oderauch nur Gewaltsames oder was man sagt: »bis zurHitze«, sondern Alles war bei ihm wohl überdacht,ruhig, gelassen, wohl geordnet, fest und mit sichselbst im Einklang. Man könnte auf ihn anwenden,was man vom Sokrates gesagt hat, dass er sowohlsich solcher Dinge zu enthalten im Stande war, derensich Viele aus Schwachheit nicht enthalten können,als auch dass er geniessen durfte, was Viele darumnicht dürfen, weil sie sich gehen lassen. Das Einegründlich vertragen, und in dem Andern nüchternsein, das aber ist die Sache eines Mannes von starkem,unbesieglichem Geiste, wie er ihn z.B. auch inder Krankheit des Maximus an den Tag gelegt hat. -


17.Den Göttern habe ich's zu danken, dass ich trefflicheVorfahren, treffliche Eltern, eine treffliche Schwester,treffliche Lehrer, treffliche Diener und fast lautertreffliche Verwandte und Freunde habe, und dass ichgegen keinen von ihnen fehlte, obgleich ich bei meinerNatur leicht hatte dahin kommen können. Es isteine Wohlthat der Götter, dass die Umstände nicht sozusammentrafen, dass ich mir Schande auflud. Siefügten es so, dass ich nicht länger von der Maitressemeines Grossvaters erzogen wurde; dass ich meineJugendfrische mir erhielt und dass ich meinen fürstlichenVater unterthan war, der mir allen Dünkel austreibenund mich überzeugen wollte, man könne beiHofe leben ohne Leibwache, ohne kostbare Kleider,ohne Fackeln, ohne gewisse Bildsäulen und ähnlichenPomp, und dass es sehr wohl anginge, sich soviel alsmöglich bürgerlich einzurichten, wenn man dabei nurnicht zu demüthig und zu sorglos würde in Erfüllungder Pflichten, die der Regent gegen das Ganze hat. -Die Götter haben mir einen Bruder gegeben, dessensittlicher Wandel mich antrieb, auf mich selber Achtzu haben, und dessen Achtung und Liebe gegen michmich glücklich machten. - Sie haben mir Kinder gegeben,die nicht ohne geistige Anlagen sind und von


gesundem Körper. - Den Göttern verdanke ich's, dassich nicht weiter kam in der Redekunst und in derDichtkunst und in den übrigen Studien, welche michvöllig in Beschlag genommen haben würden, wennich gemerkt hätte, dass ich gute Fortschritte machte.Ebenso dass ich meine Erzieher frühzeitig schon so inEhren hielt, wie sie's zu verlangen schienen, undihnen nicht blos Hoffnung machte, ich würde das späterthun, indem sie zu der Zeit ja noch so jung seien.Ferner, dass ich Appollonius, Rusticus und Maximuskennen lernte; dass ich das Bild eines naturgemässenLebens so klar und so oft vor der Seele hatte, dass esnicht an den Göttern und an den Gaben, Hilfen undWinken, die ich von dorther empfing, liegen kann,wenn ich an einem solchen Leben gehindert wordenbin; sondern wenn ich's bisher nicht geführt habe,muss es meine Schuld sein, indem ich die Erinnerungender Götter, ich möchte sagen, ihre ausdrücklichenBelehrungen, nicht beherzigte. Den Göttern verdankeich's, dass mein Körper ein solches Leben so langeausgehalten hat; - dass ich weder die Benedicta nochden Theodot berührt habe, und dass ich später überhauptvon dieser Leidenschaft genas; dass ich in meinemheftigen Unwillen, den ich so oft gegen Rusticusempfand, Nichts weiter that, was ich hätte bereuenmüssen; und dass meine Mutter, der ein früher Todbeschieden war, doch noch ihre letzten Jahre bei mir


leben konnte. Auch fügten sie's, dass ich, so oft icheinen Armen oder sonst Bedürftigen unterstützenwollte, nie hören durfte, es fehle mir an den hierzu erforderlichenMitteln, und dass ich selbst nie in dieNothwendigkeit versetzt wurde, bei einem Andern zuborgen; dann dass ich ein solches Weib besitze: sofolgsam, zärtlich und in ihren Sitten so einfach, unddass ich - meinen Kindern tüchtige Erzieher gebenkonnte. Die Götter gaben mir durch Träume Hilfsmittelan die Hand gegen allerlei Krankheiten, so gegenBlutauswurf und Schwindel. Auch verhüteten sie, alsich das Studium der Philosophie anfing, dass icheinem Sophisten in die Hände fiel oder mit einem solchenSchriftsteller meine Zeit verdarb, oder mit derLösung ihrer Syllogismen mich einliess, oder mit derHimmelskunde mich beschäftigte. Denn zu allen diesenDingen bedarf es der helfenden Götter und desGlückes.18.Man muss sich bei Zeiten sagen: ich werde einemvorwitzigen, einem undankbaren, einem schmähsüchtigen,einem verschlagenen oder neidischen oder unverträglichenMenschen begegnen. Denn solche Eigenschaftenliegen Jedem nahe, der die wahren Güter


und die wahren Uebel nicht kennt. Habe ich aber eingesehen,einmal, dass nur die Tugend ein Gut und nurdas Laster ein Uebel, und dann, dass der, der Bösesthut, mir verwandt ist, nicht sowohl nach Blut undAbstammung, als in der Gesinnung und in dem, wasder Mensch von den Göttern hat, so kann ich wedervon Jemand unter ihnen Schaden leiden - denn ichlasse mich nicht verführen - noch kann ich dem, dermir verwandt ist, zürnen oder mich feindlich von ihmabwenden, da wir ja dazu geboren sind, uns gegenseitigzu unterstützen, wie die Füsse, die Hände, die Augenlider,die Reihen der oberen und unteren Zähneeinander dienen. Also ist es gegen die Natur, einanderzuwider zu leben. Und das thun die doch, die auf einanderzürnen oder sich von einander abwenden.19.Was ich bin, ist ein Dreifaches: Fleisch und Seeleund was das Ganze beherrscht. - Lege bei Seite, wasDich zerstreut, die Bücher und Alles, was hier zuNichts führt; sondern einmal: des Fleischlichen achtegering wie ein Sterbender! Es ist Blut und Knochenund ein Geflecht aus Nerven, Adern und Gefässen gewebt.Dann betrachte Deine Seele, und was sie ist: einHauch; nicht immer dasselbe, sondern fortwährend


ausgegeben und wieder eingesogen. Drittens also das,was die Herrschaft führt! Da sei doch kein Thor, Dubist nicht mehr jung: so lass auch nicht länger geschehen,dass es diene; dass es hingenommen werde voneinem Zuge, der Dich dem Menschlichen entfremdet;dass es dem Verhängniss oder dem gegenwärtigenAugenblicke grolle oder ausweiche dem, was kommensoll!20.Das Göttliche ist vorsehungsvoll, das Zufälligenach Art, Zusammenhang und Verflechtung nicht zutrennen von dem durch die Vorsehung Geordneten.Alles fliesst von hier aus. Daneben das Nothwendigeund was dem ganzen Universum, dessen Theil Dubist, zuträglich ist. Jedem Theile der Natur- aber istdas gut, was seinen Halt an der Natur des Ganzen hatund wovon diese wiederum getragen wird. Die Weltaber wird getragen wie von den Verwandlungen derGrundstoffe so auch von denen der zusammengesetztenDinge. - Das muss Dir genügen und fest stehenfür immer. Nach der Weisheit, wie sie in Büchern zufinden ist, strebe nicht, sondern halte sie Dir fern,damit Du ohne Seufzer, mit wahrer Seelenruhe undden Göttern von Herzen dankbar sterben kannst. -


Immer sei darauf bedacht, wie es einem Manne geziemt,bei Allem was es zu thun giebt eine strengeund ungekünstelte Gewissenhaftigkeit, Liebe, Freimüthigkeitund Gerechtigkeit zu üben, und Dir dabeialle Nebengedanken fern zu halten. Und Du wirst sieDir fern halten, sobald Du jede Deiner Handlungenals die letzte im Leben ansiehst: fern von jeder Unbesonnenheitund der Erregtheit, die Dich taub machtgegen die Stimme der richtenden Vernunft, frei vonZweites Buch1.Erinnere Dich, seit wann Du das nun schon aufschiebst,und wie oft Dir die Götter Zeit und Stundedazu gegeben haben, ohne dass Du sie nutztest. Endlichsolltest Du doch einmal einsehen, was das füreine Welt ist, der Du angehörst, und wie der die Weltregiert, dessen Ausfluss Du bist; und dass Dir die Zeitzugemessen ist, die, wenn Du sie nicht brauchst Dichabzuklären, hin sein wird, wie Du selbst, und dienicht wiederkommt.2.


Verstellung, von Selbstliebe und von Unwillen überdas, was das Schicksal daran hängt. - Du siehst, wieWenig es ist, was man sich aneignen muss, um einglückliches und gottgefälliges Leben zu führen. Dennauch die Götter verlangen von dem, der dies beobachtet,nicht Mehr.3.Fahre nur immer fort, Dir selbst zu schaden, liebeSeele! Dich zu fördern wirst Du kaum noch Zeithaben. Denn das Leben flieht einen Jeglichen. FürDich ist es aber schon so gut als zu Ende, der Duohne Selbstachtung Dein Glück ausser Dich verlegstin die Seelen Anderer.4.Trotz Deines Bestrebens, an Erkenntniss zu wachsenund Dein unstätes Wesen aufzugeben, zerstreuenDich die Aussendinge noch immer? Mag sein, wennDu jenes Streben nur festhältst. Denn das bleibt diegrösste Thorheit, sich müde zu arbeiten ohne ein Ziel,auf das man all sein Dichten und Trachten hinrichtet.


5.Wenn man nicht herausbringen kann, was in desAndern Seele vorgeht, so ist das schwerlich ein Unglück;aber nothwendig unglücklich ist man, wennman über die Regungen der eigenen Seele im Unklarenist.6.Daran musst Du immer denken, was das Wesen derWelt und was das Deinige ist, und wie sich beides zueinander verhält, nämlich was für ein Theil des GanzenDu bist und zu welchem Ganzen Du gehörst, unddass Dich Niemand hindern kann, stets nur das zuthun und zu reden, was dem Ganzen entspricht, dessenTheil Du bist.


7.Theophrast in seiner Vergleichung der menschlichenFehler - wie diese denn allenfalls verglichenwerden können - sagt: schwerer seien die, die aus Begierde,als die, welche aus Zorn begangen werden.Und wirklich erscheint ja der Zornige als ein Mensch,der nur mit ein ein gewissen Schmerze und mit inneremWiderstreben von der Vernunft abgekommen ist,während der aus Begierde Fehlende, weil ihn die Lustüberwältigt, zügelloser erscheint und schwächer inseinen Fehlern. Wenn er nun also behauptet: es zeugevon grösserer Schuld, einen Fehler zu begehen mitFreuden als mit Bedauern, so ist das gewiss richtigund der Philosophie nur angemessen. Man erklärtdann überhaupt den Einen für einen Menschen, dergekränkt worden ist und zu seinem eigenen Leidwesenzum Zorn gezwungen wird, während man bei demAndern, der Etwas aus Begierde thut, die Sache so ansieht,als begehe er das Unrecht aus heiler Haut.


8.Jegliches thun und bedenken wie Einer, der im Begriffist das Leben zu verlassen, das ist das Richtige.Das Fortgehen von den Menschen aber, wenn es Göttergiebt, ist kein Unglück. Denn das Uebel hört danndoch wohl gerade auf. Giebt es aber keine, oder kümmernsie sich nicht um die menschlichen Dinge, wassoll mir das Leben in einer götterleeren Welt, in einerWelt ohne Vorsehung? Doch sie sind und sie kümmernsich um die menschlichen Dinge. Noch Mehr.Sie haben es, was die Uebel betrifft, und zwar die eigentlichen,ganz in des Menschen Hand gelegt, sichdavor zu bewahren. Ja auch hinsichtlich der sonstigenUebel, kann man sagen, haben sie es so eingerichtet,dass es nur auf uns ankommt, ob sie uns widerfahrenwerden. Denn wobei der Mensch nicht schlimmerwird, wie sollte dies sein Leben verschlimmern?Selbst die blosse Natur - sei es, dass wir sie uns ohneBewusstsein oder mit Bewusstsein begabt vorstellen;gewiss ist, dass sie nicht vermag, dem Uebel vorzubeugenoder es wieder gut zu machen - auch sie hättedergleichen nicht übersehen, hätte nicht in dem Gradegefehlt aus Ohnmacht oder aus Mangel an Anlage,dass sie Gutes und Böses in gleicher Weise guten undbösen Menschen unterschiedslos zu Theil werden


Hesse. Tod aber und Leben, Ruhm und Ruhmlosigkeit,Leid und Freude, Reichthum und Armuth undalles dieses wird den guten wie den bösen Menschenohne Unterschied zu Theil, als Dinge, die weder sittlicheVorzüge noch sittliche Mängel begründen: alsosind sie auch weder gut noch böse (weder ein Glücknoch ein Unglück).9.Wie doch Alles so schnell verbleicht! in der sichtbarenWelt die Leiber, in der Geisterwelt deren Gedächtniss!Was ist doch alles Sinnliche, zumal wasdurch Vergnügen anlockt oder durch Schmerz abschrecktoder in Stolz und Hochmuth sich breitmacht! wie nichtig und verächtlich, wie schmutzig,hinfällig, todt! - Man folge dem Zuge des Geistes;man frage nach denen, die sich durch Werke des Geistesberühmt gemacht haben; man untersuche, was eigentlichsterben heisst (und man wird, wenn man derPhantasie keinen Einfluss auf seine Gedanken verstattet,darin nichts Anderes als ein Werk der Natur erkennen:kindisch aber wäre es doch, vor einem Werkeder Natur, das derselben ohnehin auch noch zuträglichist, sich zu fürchten); man mache sich klar, wie derMensch Gott ergreift und mit welchem Theile seines


Wesens, und wie es mit diesem Theile des Menschenbestellt ist, wenn er Gott ergriffen hat.10.Nichts Elenderes als ein Mensch, der um Alles undJedes sich kümmert, auch um das, woran sonst Niemanddenkt, der nicht aufhört über die Vorgänge inder Seele des Nächsten seine Conjecturen zu machenund nicht begreifen mag, dass es genug ist, für denGott in der eignen Brust zu leben und ihm zu dienen,wie sich's gebührt. Das aber ist sein Dienst: ihn reinzu erhalten von Leidenschaft, von Unbesonnenheitund von Unlust über das, was von Göttern und Menschengeschieht. Denn die Handlungen der Götter zuehren, gebietet die Tugend und mit denen der Menschensich zu befreunden die Gleichheit der Abkunft,obwohl die letzteren allerdings auch zuweilen etwasKlägliches haben, weil so Viele nicht wissen, wasGüter und was Uebel sind, - eine Blindheit, nicht geringerals die, wenn man Schwarz und Weiss nichtunterscheiden kann.


11.Und wenn Du 3000 Jahre leben solltest, ja noch 10Mal mehr, es hat ja doch Niemand ein anderes Lebenzu verlieren, als eben das, was erlebt, so wie Niemandein anderes lebt, als was er einmal verlieren wird.Und so läuft das längste wie das kürzeste auf dasselbehinaus. Denn das Jetzt ist das Gleiche für Alle, wennauch das Vergangene nicht gleich ist, und der Verlastdes Lebens erscheint doch so als ein Jetzt, indem Niemandverlieren kann weder was vergangen noch waszukünftig ist. Oder wie sollte man Einem Etwas abnehmenkönnen, was er nicht besitzt? - An die beidenDinge also müssen wir denken: einmal, dass Allesseiner Idee nach unter sich gleichartig ist und vongleichem Verlauf, und dass es keinen Unterschiedmacht, ob man 100 oder 200 Jahre lang oder ewig Einund Dasselbe sieht. Und dann, dass auch der, der amLängsten gelebt hat, doch nur dasselbe verliert, wieder, der sehr bald stirbt. Denn nur das Jetzt ist es,dessen man beraubt werden kann, weil man nur diesesbesitzt, und Niemand verlieren kann, was er nicht hat.


12.Die Seele des Menschen thut sich selbst dengrössten Schaden, wenn sie sich von der Natur abzusondern,gleichsam aus ihr herauszuwachsen strebt.So, wenn sie unzufrieden ist über irgend Etwas, dassich ereignet. Es ist dies ein entschiedener Abfall vonder Natur, in der ja diese eigenthümliche Verkettungder Umstände begründet ist. Ebenso, wenn sie Jemandverabscheut oder anfeindet oder im Begriff ist,Jemand weh zu thun, wie allemal im Zorn. Ebensowenn sie von Lust oder von Schmerz sich hinnehmenlässt; oder wenn sie heuchelt, heuchlerisch und unwahrEtwas thut oder spricht; oder wenn ihre Handlungenund Triebe keinen Zweck haben, sondern in'sBlaue hinausgehen und über sich selbst völlig im Unklarensind. Denn auch das Kleinste muss in Beziehungzu einem Zweck gesetzt werden. Der Zweckaber aller vernunftbegabten Wesen ist: den Principienund Normen des ältesten Gemeinwesens Folge zu leisten.


13.Das menschliche Leben ist, was seine Dauer betrifft,ein Punkt; des Menschen Wesen flüssig, seinEmpfinden trübe, die Substanz seines Leibes leichtverweslich, seine Seele - einem Kreisel vergleichbar,sein Schicksal schwer zu bestimmen, sein Ruf einezweifelhafte Sache. Kurz, alles Leibliche an ihm istwie ein Strom, und alles Seelische ein Traum, einRauch: sein Leben Krieg und Wanderung, sein Nachruhmdie Vergessenheit. Was ist es nun, das ihn überdas Alles zu erheben vermag? Einzig die Philosophie,sie, die uns lehrt, den göttlichen Funken, den wir inuns tragen, rein und unverletzt zu erhalten, dass erHerr sei über Freude und Leid, dass er Nichts ohneUeberlegung thue, Nichts erlüge und erheuchele undstets unabhängig sei von dem, was Andere thun odernicht thun, dass er Alles, was ihm widerfährt und zugetheiltwird, so aufnehme, als komme es von da, vonwo er selbst gekommen, und dass er endlich den Todmit heiterem Sinn erwarte, als den Moment der Trennungaller der Elemente, aus denen jegliches lebendigeWesen besteht. Denn wenn den Elementen dadurchnichts Schlimmes widerfährt, dass sie fortwährendin einander übergehen, weshalb sollte man sichscheuen vor der Verwandlung und Lösung aller auf


einmal? Vielmehr ist dies das Naturgemässe, und dasNaturgemässe ist niemals vom Uebel.


Wir müssen uns nicht blos sagen, dass das Lebenmit jedem Tage schwindet und ein immer kleinererTheil davon übrig bleibt, sondern auch bedenken,dass es ja ungewiss ist, wenn man ein längeres Lebenvor sich hat, ob sich die Geisteskräfte immer gleichbleibenund zum Verständniss der Dinge, so wie zuall' den Wahrnehmungen und Betrachtungen hinreichenwerden, welche uns auf dem Gebiete des Göttlichenund Menschlichen erfahren machen. Denn wieViele werden im Alter nicht kindisch! und bei wemein solcher Zustand eingetreten ist, dem fehlt es zwarnicht an der Fähigkeit zu athmen, sich zu nähren, sichEtwas vorzustellen und Etwas zu begehren; aber dasVermögen, sich frei zu bestimmen, die Reihe derPflichten, die ihm obliegen, zu überschauen, die Erscheinungensich zu zergliedern und darüber, ob'sZeit zum Sterben sei oder was sonst einer durchausgeweckten Denkkraft bedarf, sich klar zu werden -das ist bei ihm erloschen. Also eilen muss man, nichtblos weil uns der Tod mit jedem Tage näher tritt, sondernauch weil die Fähigkeit, die Dinge zu betrachtenund zu verfolgen, oft vorher aufhört.Drittes Buch1.


mit der Natur und ihren Werken. -3.Hippokrates hat viele Krankheiten geheilt, dann ister selbst an einer Krankheit gestorben. Die Chaldäerweissagten Vielen den Tod, dann hat sie selber dasGeschick ereilt. Alexander, Pompejus, Cäsar - nachdemsie so manche Stadt von Grund aus zerstört undin der Schlacht so viele Tausende ums Leben gebracht,schieden sie selbst aus dem Leben. Heraklit,der über den Weltbrand philosophirt, starb an derWassersucht, den Demokrit brachte das Ungezieferum, den Sokrates - ein Ungeziefer anderer Art. Kurz,zu einem Jeden heisst es einmal: Du bist eingestiegen,gefahren, im Hafen eingelaufen: so steige nun aus!Geht's in ein anderes Leben - gewiss in kein's, dasohne Götter ist. Ist's aber ein Zustand der Unempfindlichkeit- auch gut: wir hören auf von Leid und Freudehingehalten zu werden und verlassen ein Behältnissvon um so schlechterer Art je edler der Eingeschlossene,denn der ist Geist und göttlichen Wesens,jenes aber Staub und Materie.


4.Verschwende Deine Zeit nicht mit Gedanken überdas, was Andere angeht, es sei denn, dass Du. Jemanddamit erspriesslich sein kannst. Du versäumst offenbarnothwendigere Dinge, wenn Dich Nichts weiterbeschäftigt, als was Der und Teuer macht und auswelchem Grunde er so handelt, was er sagt oder willoder anstellt. So Etwas zieht den Geist nur ab von derBeobachtung seiner selbst. Man muss alles Eitle undVergebliche aus der Kette der Gedanken zu entfernensuchen, vorzüglich alle müssige und nichtswürdigeNeugier, und sich nur an solche Gedanken gewöhnen,über die wir sofort, wenn uns Jemand fragt, was wirgerade denken, gern und mit aller Offenheit Rechenschaftgeben können, so dass man gleich sieht: hier istAlles lauter und gut und so wie es einem Gliede dermenschlichen Gesellschaft geziemt, hier wohnt Nichtsvon Genusssucht und Lüsternheit, Nichts von Zankoder Neid oder Misstrauen, Nichts von alle dem,wovon der Mensch nur mit Erröthen gestehen kann,dass es seine Seele beschäftige. Und ein solcherMensch - dem es nun ja auch nicht an dem Strebennach Auszeichnung fehlen kann - ist ein Priester undDiener der Götter, der des Gottes in ihm zu gebrauchenweiss, so dass ihn keine Lust beflecken, kein


Schmerz verwunden, kein Stolz berücken, nichtsBöses überhaupt ihn reizen kann; er ist ein Held injenem grossen Kampfe gegen die Leidenschaft, undeingetaucht in das Wesen der Gerechtigkeit vermag erjegliches Geschick von ganzer Seele zu begrüssen.Ein solcher Mensch aber denkt selten und nur, wennes das allgemeine Beste erfordert, an das was Anderesagen oder thun oder meinen. Sondern die eigenePflicht ist der einzige Gegenstand seines Thuns, sowie was ihm das Schicksal gesponnen im Gewebe desGanzen der Hauptgegenstand seines Nachdenkens.Dort hält er Tugend, hier den guten Glauben. Und inder That ist Jedem zuträglich, was sich mit ihm zuträgtnach dem Willen des Schicksals. Stets ist er eingedenk,dass alle Vernunftwesen einander verwandtsind, und dass es zur menschlichen Natur gehört fürAndere zu sorgen. Nach Ansehen strebt er nur beidenen, die ein naturgemässes Leben führen, da er jaweiss, was die, die nicht so leben, sind, wie sie's zuHause und ausser dem Hause, am Tage und bei Nachtund mit wem sie ihr Wesen treiben. Das Lob dereralso, die nicht sich selber zu genügen wissen, kannihm Nichts sein.


5.Thue Nichts mit Widerwillen, Nichts ohne Rücksichtauf das Gemeinwohl, Nichts ungeprüft, Nichtswobei Du noch ein Bedenken hast. Drücke Deine Gedankenaus ohne Ziererei. Sei kein Schwätzer undkein Vielthuer. Sondern mit einem Worte: der GöttinDir führe das Regiment, welchem Geschlecht, Alter,Beruf, welcher Abkunft und Stellung Du nun auch angehörenmagst, so dass Du immer in der Verfassungbist, wenn Du abgerufen werden solltest, gern undwillig Zufolgen. - Eidschwur und Zeugenschaft musstDu immer entbehren können. - Innerlich aber sei heiter,nicht bedürfend, dass die Hilfe von Aussen Dirkomme, auch nicht des Friedens bedürftig, den Andereuns geben können. - Steh', heisst es, nicht: lasseDich stellen!6.Kannst Du im menschlichen Leben etwas Besseresfinden als Gerechtigkeit, Wahrheit, Mässigung, Tapferkeitoder mit einem Wort: als den Zustand derSeele, wo Du in Allein, was eine Sache der Vernunftund Selbstbestimmung ist, mit Dir selbst, in dem


aber, was ohne Dich geschieht, mit dem Schicksalezufrieden bist; kannst Du, sage ich, Etwas entdecken,was noch besser ist als dies, so wende Dich dem mitganzer Seele zu und freue Dich, dass Du das Besteaufgefunden hast. Sollte es aber in Wahrheit nichtsBesseres geben, als den in Dir wohnenden Gott, derDeine Begierden sich unterthänig zu machen weiss,der die Gedanken prüft, den sinnlichen Empfindungen,wie Sokrates sagt, sich zu entziehen sucht, undder sich selbst - den Göttern unterwirft und für dasWohl der Menschen Sorge trägt: solltest Du finden,dass gegen dieses alles Andere gering ist und verschwindet,so folge nun auch keiner anderen Stimmeund lass in Deine Seele Nichts eindringen, was, wennes Dich einmal angezogen, Dich an der ungetheiltenPflege jenes herrlichen Schatzes, Deines Eigenthums,hindert. Denn diesem Gute, dem höchsten nachWesen und Wirkung, irgend etwas Anderes wie Ehre,Herrschaft, Reichthum, Genuss an die Seite setzen zuwollen, wäre Thorheit, weil uns alles dieses, selbstwenn wir es nur ein Wenig anziehend finden, dannmit einem Male ganz in Beschlag nimmt und verführt.Darum sage ich, man solle einfach und unbedingt dasBessere wählen und ihm anhängen. Das Bessere istaber auch immer zugleich das Zuträgliche, sei es, dasses uns frommt als denkenden oder als empfindendenWesen. Finden, wir nun Etwas, das uns als


Vernunftwesen zu fördern verspricht, so müssen wir'sfesthalten und pflegen. Ist es aber nur für unser Empfindenzuträglich, so haben wir es mit Bescheidenheitund schlichtem Sinn hinzunehmen, und nur dafür zusorgen, dass wir uns unser gesundes Urtheil bewahrenund fortgesetzt die Dinge gehörig prüfen. -7.Bilde Dir nie ein, dass Etwas gut für Dich seinkönnte, was Dich nöthigt, einmal die Treue zu brechen,die Scham hintanzusetzen, Jemand zu hassen,argwöhnisch zu sein, in Verwünschungen auszubrechen,Dich zu verstellen oder Dinge zu begehren, beidenen man Vorhänge und verschlossene Thürenbraucht. Derjenige, welcher die Vernunft, seinen Geniusund deren Kultus jederzeit die erste Rolle spielenlässt, wird nie zu einer Tragödie Anlass geben oderseufzen oder die Einsamkeit oder grosse Gesellschaftsuchen; er wird leben im höchsten Sinne des Wortsund weder auf der Jagd noch auf der Flucht. Ob seineSeele auf lange oder kurze Zeit im Leibe eingeschlossenbleiben soll, kümmert ihn wenig; er würde, auchwenn er bald scheiden müsste, dazu ganz ebenso sichauf den Weg machen, wie wenn es gelte, irgend etwasAnderes mit Anstand und mit edlem Wesen


auszuführen; sondern wofür er durch's ganze LebenSorge trägt, ist nur das, dass seine Seele sich stets ineinem Zustande befinde, der einem auf das Zusammenlebenmit Andern angewiesenen vernünftigenWesen geziemt.8.In der Seele eines Menschen, der in Zucht undSchranken gehalten worden und so gehörig geläutertist, findet man nun auch jene Wunden und Schädennicht mehr, die so häufig unter einer gesunden Oberflächeheimlich fortwuchern. Nichts Knechtisches istin ihm und nichts Geziertes; sein Wesen hat nichtsbesonders Verbindliches, aber auch nichts Abstossendes;ihn drückt keine Schuld und Nichts, was ihn zuHeimlichkeiten nöthigte. Auch hat ein solcherMensch wirklich »vollendet«, wenn ihn das Schicksalereilt, was man von Andern oft nur mit demselbenRechte sagt, wie von dem Helden eines Drama's, dasser ein tragischer sei, noch die das Stück geendet hat.


9.Was die Fähigkeit zu urtheilen und Schlüsse zumachen anbetrifft, so musst Du sie in Ehren halten.Denn es wohnt ihr die Kraft bei, zu verhüten, dasssich in Deiner Seele irgend eine Ansicht festsetze,welche widernatürlich ist oder einem vernunftbegabtenWesen unangemessen. Ihre Bestimmung ist, unsgeistig unabhängig zu machen, den Menschen zugethanund den Göttern gehorsam. -10.Alles Uebrige ist Nebensache. Das Wenige, wasich gesagt habe, reicht völlig hin. Dabei bleibe mansich bewusst, dass Jeder eigentlich nur dem gegenwärtigenAugenblicke lebe. Denn alles Uebrige istentweder durchlebt oder in Dunkel gehüllt. Also einKleines ist's, was Jeder lebt, und ein Kleines, wo erlebt - das Winkelchen Erde, und ein Kleines derRuhm, auch der grösste, den er hinterlässt: damit ersich forterbe in der Kette dieser Menschenkinder, dieso geschwind sterben müssen und die nicht einmalsich selbst begreifen, geschweige den, der längst vorihnen gestorben!


11.Den aufgestellten Maximen ist aber noch eine hinzuzufügen.Von jedem Gegenstande, der sich DeinemNachdenken darbietet, suche Dir stets einen klarenund bestimmten Begriff zu machen, so dass Duweisst, was er an sich und was er nach allen seinenBeziehungen ist, damit Du ihn selbst sowohl wieseine einzelnen Momente nennen und bezeichnenkannst. Denn Nichts erzeugt in dem Grade hohenSinn und edle Denkungsart, als wenn man im Standeist, sich von jeder im Leben gemachten Erfahrung,dem Wesen ihres Gegenstandes und ihrer Vermittlungnach, Rechenschaft zu geben, und alle Begebenheitenso anzusehen, dass man bei sich überlegt, in welchemZusammenhange sie erscheinen und welche Stelle siein demselben einnehmen, welchen Werth sie für dasGanze haben und was sie dem Menschen bedeuten,diesem Bürger eines höchsten Reiches, zu dem sichdie übrigen Reiche wie die einzelnen Häuser zu derganzen Ortschaft verhalten; dass man weiss, was manjedesmal vor sich hat, wo es sich herschreibt und wielange es bestehen wird, und wie sich der Mensch dazuzu verhalten habe, ob milde oder tapfer, zweifelhaftoder vertrauensvoll, hingebend oder auf sich selbstberuhend; so dass man sich von jedem Einzelnen


sagen muss, entweder: es kommt von Gott, oder: esist ein Stück jenes grossen Gewebes, das das Schicksalspinnt, und so und so gefügt, oder endlich: eskommt von einem unsrer Genossen und Brüder, dernicht gewusst hat, was naturgemäss ist. Du aberweisst es, und darum begegnest Du ihm, wie es dasnatürliche Gesetz der Gemeinschaft fordert, mit Liebeund Gerechtigkeit. Und auch in gleichgültigen Dingenzeigst Du ein ihrem Werth entsprechendes Verhalten.12.Wenn Du der gesunden Vernunft folgst und beidem, was Dir zu thun gerade obliegt, mit Eifer, Kraftund Liebe thätig bist, ohne dass Dich ein anderer Gedankedabei leitet, als der, Dein Inneres rein zu erhalten,als solltest Du bald Deinen Geist aufgeben; wennDu Dich auf diese Weise zusammen nimmst unddabei weder zögerst noch eilst, sondern Dir genügenlassest an der Dir von Natur zu Gebote stehendenEnergie und an der Wahrhaftigkeit, die aus jedemDeiner Worte hervorleuchten muss, so wirst Du einglückliches Leben führen. Und ich wüsste nicht, werDich daran hindern sollte. -


13.Wie die Aerzte zu raschen Curen stets ihre Instrumenteund Eisen zur Hand haben, so musst Du Behufsder Erkenntniss göttlicher und menschlicherDinge die Lehren der Philosophie in steter Bereitschafthalten, damit Du in Allem, auch im Kleinsten,immer so handelst wie Einer, der sich des Zusammenhangesbeider bewusst ist. Denn Menschliches lässtsich ebensowenig richtig behandeln ohne Beziehungauf Göttliches als umgekehrt.14.Höre endlich auf, Dich selbst zu verwirren! Es istnicht daran zu denken, dass Du dazu kommst, was DuDir für spätere Zeiten Deines Lebens aufbehalten hattest,Dies und Jenes zu treiben und zu lesen und wiederhervorzusuchen. Darum gieb solche thörichtePläne auf, und wenn Du Dich selber lieb hast, schaffeDir - noch vermagst Du's - eiligst die Hilfe, derenDu bedarfst!


15.In manchem Wort, das unbedeutend scheint, liegtoft ein tieferer Sinn. Wie Mancher sagt: »ich willdoch sehen, was es giebt«, und denkt nicht daran,dass es dazu eines anderen Schauens bedarf, als dasder Augen.16.Leib, Seele, Geist - das war jene Dreiheit: der Leibmit seinen Empfindungen, die Seele mit ihren Begierdenund der Geist mit seinen Erkenntnissen. Aber Bilderund Vorstellungen haben auch unsere Hausthiere;von Begierden in Bewegung gesetzt werden auch diewilden Thiere oder Menschen, die nicht mehr Menschensind, ein Phalaris, ein Nero; in Allem, was vortheilhaftscheint, sich vom Geiste leiten zu lassen, istauch die Sache Solcher, welche das Dasein der Götterleugnen, welche das Vaterland verrathen, welche dieschändlichsten Dinge thun, sobald es nur Niemandsieht. Wenn soweit also Jenes etwas Allen Gemeinsamesist, so bleibt als das dem Guten Eigenthümlichenur übrig, das ihm vom Schicksal Bestimmte willkommenzu heissen, das Heiligthum in seiner Brustnicht zu entweihen, sich nicht durch Gedankenmenge


zu verwirren, sondern im Gleichmass zu verharren,der Stimme des Gottes zu folgen, Nichts zu redenwider die Wahrheit und Nichts zu thun wider die Gerechtigkeit.Und dass man dabei ein einfaches, züchtigesund wohlgemuthes Leben führt, daran sollte eigentlichNiemand zweifeln. Geschähe es aber, wirwürden deshalb doch Keinem zürnen, noch von demWege weichen, der an das Ziel des Lebens führt, beiwelchem wir unbefleckt, gelassen, wohlgerüstet undwillig dem Schicksal gehorchend ankommen müssen.


Viertes Buch1.Wenn der in uns herrschende Geist ist wie er soll,so kann es uns - den Ereignissen gegenüber - nichtschwer fallen, auf jede Möglichkeit vorbereitet zu seinund das Gegebene hinzunehmen. Das Festbestimmte,Abgemachte ist es dann überhaupt nicht, wofür wirInteresse haben, sondern: was uns gut und wünschenswerthscheint, ist doch immer nur mit Vorbehaltein Gegenstand unseres Strebens; was sich unsaber geradezu in den Weg stellt, betrachten wir als einMittel zu unsrer Uebung -: der Flamme gleich, diesich auch solcher Stoffe zu bemächtigen weiss, derenBerührung ein kleineres Licht verlöschen würde, aberein helles Feuer nimmt in sich auf und verzehrt, wasman ihm zuführt, und wird nur grösser dadurch.


2.Bei Allem, was Du thust, gehe besonnen zu Werkeund so, dass Du dabei die höchsten Grundsätze imAuge hast!3.Man liebt es, sich zu Zeiten aufs Land, in's Gebirge,an die See zurückzuziehn. Auch Du sehnst Dichvielleicht dahin. Im Grunde genommen aber steckt dahintereine grosse Beschränktheit. Es steht Dir ja frei,zu jeglicher Stunde Dich in Dich selbst zurückzuziehn,und nirgends finden wir eine so friedliche undungestörte Zuflucht als in der eignen Seele, sobaldwir nur Etwas von dem in uns tragen, was wir nur anzuschauenbrauchen, um uns in eine vollkommen ruhigeund glückliche Stimmung versetzt zu sehn - eineStimmung, die nach meiner Ansicht freilich ein anständiges,sittliches Wesen bedingt. Auf diese Weisealso ziehe Dich beständig zurück, um Dich immerwieder aufzufrischen. Einfach und klar und bestimmtaber seien jene Ideen, deren Vergegenwärtigung ausDeiner Seele so Manches hinwegspülen und Dir eineZuflucht schaffen soll, aus der Du nicht übellaunisch


zurückkehrst. Und was sollte Dich auch alsdann verdriessenkönnen? »Die Schlechtigkeit der Menschen?«Aber wenn Du bedenkst, dass die vernünftigenWesen für einander geboren sind, dass das Ertragendes Unrechts zur Gerechtigkeit gehört, dass dieMenschen unfreiwillig sündigen, und dann - wie vielstreitsüchtige, argwöhnische, gehässige und gewaltthätigeMenschen dahin gemusst haben und nun einRaub der Verwesung sind - wirst Du da Deine Abneigungnicht los werden? »Oder ist es Dein Schicksal?«So erinnere Dich nur jenes Zwiefachen: entwederwir sagen: es giebt eine Vorsehung, oder: wirsehen uns als Theile und Glieder eines Ganzen an,und unserer Betrachtung der Welt liegt die Idee einesReiches zu Grunde. »Oder ist es Dein Leib, der irgendwieafficirt wird?« Aber Du weisst ja, der Geist,wenn er sich selbst begriffen und seine Macht kennengelernt hat, hängt nicht ab von sanfteren oder rauherenLüften; auch weisst Du, wie wir über Schmerzund Freude denken, und bist einverstanden damit.»Oder macht Dir der Ehrgeiz zu schaffen?« Aber wieschnell breitet Vergessenheit über Alles ihren Schleier!wie unablässig drängt Eins das Andere in dieserWelt ohne Anfang und ohne Ende! Wie nichtig istjeder Nachklang unseres Thuns! wie veränderlich undwie urtheilslos jede Meinung die sich über uns bildetund wie eng der Kreis, in dem sie sich bildet! Die


ganze Erde ist ja nur ein Punkt im All, und wie kleinnun wieder der Winkel auf ihr, wo von uns die Redesein kann! Wie Viele können es sein, und was fürwelche, die unsern Ruhm verkünden? In der That alsogilt es sich zurückzuziehen auf eben diesen kleinenRaum, der unser ist, und hier sich weder zerstreuen,noch einspannen zu lassen, sondern sich frei zu bewegenund die Dinge anzusehen wie ein Mensch, wie einGlied der Gesellschaft, wie ein sterbliches Wesen.Unter allen den Wahrheiten aber, die Dir am Geläufigstensind, müssen jedenfalls die beiden sein: dieeine: dass die Aussendinge die Seele nicht, berührendürfen, sondern wirklich Aussendinge sein und bleibenmüssen. Denn Widerwärtigkeiten giebt es nur fürden, der sie dafür hält. Die andere: dass Alles, wasDu siehst, sich bald verwandeln und nicht mehr seinwerde, wie Du selbst schon eine Menge Wandlungendurchgemacht hast. Mit einem Wort: dass die Weltauf dem Wechsel, das Leben auf der Meinung beruhe.


4.Haben wir Alle das Denkvermögen gemein, dannauch die Vernunft; dann auch die Stimme, die unssagt, was wir thun und lassen sollen; dann auch eineGesetzgebung; wir sind also Alle Bürger eines unddesselben Reiches. Und so würde folgen, dass dieWelt ein Reich ist. Denn welches Reich wäre sonstdem menschlichen Geschlecht gemein? - Stammt nunetwa jene Denkkraft, jenes Vernünftige und Gesetzgebendeaus diesem uns Allen gemeinsamen Reicheoder sonst woher? Denn gleichwie die verschiedenenStoffe, jeder seine besondere Quelle hat (denn es istNichts, was aus dem Nichts entstände, so wenig wieEtwas in das Nichts übergeht), so muss auch das Geistigeirgendwoher stammen.5.Mit dem Tode verhält sich's wie mit der Geburt:beides Geheimnisse der Natur. Dieselben Elemente,welche hier sich einigen, werden dort gelöst. Und dasist Nichts, was uns unwürdig vorkommen könnte. Eswiderspricht weder dem vernünftigen Wesen selbst,noch dem Princip seiner Bildung.


6.Es liegt freilich in der Natur der Sache, dass gewisseLeute einen solchen Widerspruch darin finden.Aber wer dies nicht will, will nicht, dass die TraubeSaft habe.7.Aendere Deine Ansicht und - Du hörst auf Dich zubeklagen. Beklagst Du Dich nicht mehr, ist auch dasUebel weg.8. 9.Der Begriff des Heilsamen und des Schädlichenschliesst es schon in sich, dass was den Menschennicht verdirbt, auch sein Leben nicht verderben oderverbittern kann weder äusserlich noch innerlich.


10.Alles was geschieht, geschieht mit Recht; einer genauenBeobachtung kann das nicht entgehen. Auchsage ich nicht blos: es ist in der Ordnung, sonder: esist recht, d.h. so, als käme es von Einem, der Allesnach Recht und Würdigkeit austheilt. Setze Deine Beobachtungennur fort, und Du selbst - was Du auchthust, sei gut! gut im eigentlichsten Sinne des Worts!Denke daran bei jeder Deiner Handlungen!11.Wie derjenige denkt, der Dich verletzt, oder wie erwill, dass Du denken sollst, so denke gerade nicht.Sondern sieh die Sache an, wie sie in Wahrheit ist.12.Zu Zweierlei müssen wir stets bereit sein: einmal,zu handeln einzig den Forderungen gemäss, welchedas in uns herrschende Gesetz an uns stellt - und dasheisst immer auch zugleich zum Nutzen der Menschenhandeln. Sodann: auf unserer Meinung nicht zu


eharren, wenn Einer da ist, der sie berichtigen unduns so von ihr abbringen kann. Doch muss jede Sinnesänderungdavon ausgehen, dass die neue Ansichtdie richtige und gute sei, nicht davon, dass sie Annehmlichkeitenund äussere Vortheile verschaffe.13.Wenn Du Vernunft hast, warum gebrauchst Du sienicht? Thut sie das Ihrige, was kannst Du Mehr verlangen?14.Was Du bist, ist doch nicht das Ganze. So wirstDu denn auch einst aufgehen in den, der Dich erzeugte;oder vielmehr, nach geschehener Wandlung wirstDu wieder aufgenommen werden in seine Erzeugernatur.


15.Weihrauch auf dem Altar der Gottheit - das ist desMenschen Leben. Wie Viel davon gestreut schon ist,wie Viel noch nicht, was liegt daran?16.Sobald Du Dich zu den Grundsätzen und demDienst der Vernunft bekehrst, kannst Du denen einGott sein, denen Du jetzt so verächtlich erscheinst.17.Richte Dich nicht ein, als solltest Du Hunderte altwerden. Denn wie nahe vielleicht ist Dein Ende! Aberso lange Du lebst, so lange es in Deiner Macht steht -sei gut!


18.Welch ein Gewinn, wenn man auf anderer LeuteWorte, Angelegenheiten und Gedanken nicht achtet,sondern nur merkt auf das eigene Thun, ob es gerechtund fromm und gut sei,» - das Auge abgewendetvom Pfuhl des Lasters, nur der eignen Bahnnachgehend, grad' und unverrückt.«19.Der Ruhmbegierige bedenkt nicht, dass auch die inaller Kürze nicht mehr sein werden, die seiner gedenken,und dass es sich mit jedem folgenden Geschlechtebenso verhält, bis endlich die Erinnerung, durch Solchefortgepflanzt, die nun erloschen sind, selber erlischt.Aber gesetzt auch, sie wären unsterblich, dieDeinen Namen nennen, und unsterblich dieses NamensGedächtniss: was nutzt Dir's? Dir, der Du bereitsgestorben bist? Aber auch, was nutzt Dir's beiDeinem Leben? Es sei denn, dass Du ökonomischeVortheile dabei hast. Sind also Ruhm und Ehre Dir zuTheil geworden, achte dieser Gabe nicht! sie machtDich eitel und abhängig vom Geist und Wort der


Andern.20.Jegliches Schöne ist schön durch sich selbst und insich vollendet, so dass für ein Lob kein Raum in ihmist. Wird es doch durch Lob weder schlechter nochbesser. Dies gilt auch von dem, was man in der Regelschön nennt, von dem körperlich Schönen und denWerken der Kunst. Das wahrhaft Schöne bedarf desLobes ebenso wenig als das göttliche Gesetz, dieWahrheit, die Güte, die Scham. Oder vermag daranetwa das Lob Etwas zu bessern oder der Tadel Etwaszu verderben? Wird die Schönheit des Edelsteins, desPurpurs, des Goldes, des Elfenbeins, die Schönheiteines Instruments, einer Blüthe, eines Bäumchens geringerdadurch, dass man sie nicht lobt?21.Wenn die Seelen fortdauern, wie vermag sie derLuftraum von Ewigkeit her zu fassen? Aber wie istdenn die Erde im Stande, die todten Leiber so vielerJahrtausende zu fassen? Die Leiber, nachdem sie eineZeit lang gedauert haben, verwandeln sie sich und


lösen sich auf, und so wird andern Leibern Platz gemacht.Ebenso die in den Aether versetzten Seelen.Eine Zeit lang halten sie zusammen, dann verändernsie sich, dehnen sich aus, verbrennen und gehen indas allgemeine Schöpferwesen auf, so dass ein Raumfür neue Bewohner entsteht. So etwa liesse sich dieAnsicht von der Fortdauer der Seelen erklären. Wasaber die Leiber betrifft, so kommt hier nicht blos dieMenge der auf jene Weise untergebrachten, sondernauch die der täglich von uns und von den Thieren verzehrtenLeiber in Betracht. Welch eine Menge verschwindetund wird so gleichsam begraben in denLeibern derer, die sich davon nähren, und immer derselbeRaum ist's, der sie fasst, durch Verwandlung inBlut, in Luft- und Wärmestoffe. Das Princip oder dieSumme aller dieser Erscheinungen ist also: die Auflösungin die Materie und in den Urgrund aller Dinge.22.Stets entschieden, gilt es, zu sein und das Rechteim Auge zuhaben bei jeglichem Streben. Indem Gedankenlebenaber sei das Begreifliche Dein Leitstern.


23.Was Dir harmonisch ist, o Welt, ist's auch fürmich! Nichts kommt zu früh für mich und Nichts zuspät, wenn's bei Dir heisst: »zu guter Stunde.« Einesüsse Frucht ist mir Alles, was Du gezeitigt hast,Natur. Von Dir und in Dir und zu Dir ist Alles. - Alsjener Theben wiedersah, rief er: »du liebe Stadt desCekrops!« und ich, ich sollte mit dem Blick auf Dichnicht sagen: »du liebe Stadt des höchsten Gottes?«24.Nur auf wenig Dinge, heisst es, darf sich DeineThätigkeit erstrecken, wenn Du Dich wohl befindenwillst. Aber wäre es nicht besser, sie auf das Nothwendigezu richten? auf das, was wir als Wesen, dieauf das Leben in Gemeinschaft angewiesen sind, thunsollen? Denn das hiesse nicht blos das Vielerlei, sondernauch das Schlechte vermeiden und müsste unsalso doppelt glücklich machen. Gewiss würden wirruhiger und zufriedener sein, wenn wir das Meistevon dem, was wir zu reden und zu thun pflegen, alsüberflüssig Hessen. Ist es doch durchaus nothwendig,dass wir in jedem einzelnen Falle, ehe wir handeln,


eine Stimme der Warnung vernehmen; und sollte dievon Etwas ausgehen können, das an sich selbst unnöthigist? Zuerst aber befreie Deine Gedanken vonAllem, was unnütz ist, dann' wirst Du auch nichts Unnützesthun.25.Mache den Versuch - vielleicht gelingt Dir's - zuleben wie ein Mensch, der mit seinem Schicksal zufriedenist, und, weil er recht handelt und liebevoll gesinntist, auch den inneren Frieden besitzt.26.Willst Du? so höre noch dies: Rege Dich nichtselbst auf, und bleibe immer bei Dir. Hat sich Jemandan Dir vergangen: an sich selbst hat er sich vergangen.Ist Dir etwas Trauriges widerfahren: es war Dirvon Anfang an bestimmt; was geschieht, ist Alles Fügung.Und in Summa: das Leben ist kurz. Die Gegenwartist's, die wir nutzen sollen, durch rechtschaffenesund überlegtes Handeln, und wenn wir ausruhen wollen,durch ein besonnenes Ausruhen.


27.Wenn der ein Fremdling ist in der Welt, der nichtweiss, was auf ihr ist und geschieht, so nenne ich deneinen Flüchtling, der sich den Ansprüchen des Staatesentzieht; einen Blinden, der das Auge seines Geistesschliesst; einen Bettler, der eines Andern bedarf undnicht in sich alles zum Leben Nöthige trägt; einenAuswuchs des Weltalls, der von dem Grundgesetz derAllnatur abweicht und - hadert mit dem Schicksal!als hätte sie, die Dich hervorgebracht, nicht auch dieseserzeugt; ein abgehauenes Glied der menschlichenGesellschaft, der mit seiner Seele von dem Lebensprincipder einen alle Vernunftwesen umfassendenGemeinde geschieden ist.28.Es giebt Philosophen, die keinen Rock anzuziehenhaben und halbnackt einhergehen. »Nichts zu essen,aber treu der Idee.« Auch für mich ist die Philosophiekein Brotstudium.


29.Liebe immerhin die Kunst, die Du gelernt hast, undruhe Dich aus in ihr. Doch gehe durch's Leben nichtanders wie Einer, der Alles, was er hat von ganzemHerzen den Göttern weiht, Niemandes Tyrann undNiemandes Knecht.30.Betrachten wir die Geschichte, z.B. die Zeiten Vespasians,so finden wir Menschen, die sich freien, Kinderzeugen, krank liegen, sterben, Krieg führen, Festefeiern, Handel treiben, Acker bauen; findenSchmeichler, Freche, Misstrauische, Listige, oder solche,die ihr Ende herbeiwünschen, die sich über dieschlimmen Zeiten beklagen; finden Liebhaber, Geizhälse,Ehrgeizige, Herrschsüchtige. Denn etwas Anderestritt uns doch wahrlich nicht entgegen. Gehenwir über auf die Zeiten des Trajan: Alles ganz ebenso,und auch diese Zeit ging zu Grabe. - So betrachte dieGrabschriften aller Zeiten und Völker, damit Dusiehst, wie Viele, die sich aufschwangen, nach kurzerZeit wieder sanken und vergingen. Namentlich mussman immer wieder an die denken, bei denen wir's mit


eignen Augen gesellen haben, wie sie nach eitlen Dingentrachteten, wie sie nicht thaten, was ihrer Bildungentsprach, daran nicht unablässig fest hielten und sichdaran nicht genügen Hessen. Und fällt uns dann dieRegel ein, dass die Behandlung einer Sache ihrenMassstab in dem Werth der Sache selbst hat, so wollenwir sie doch ja beobachten, damit wir uns vor demEkel bewahren, der die nothwendige Folge davon ist,dass man den Dingen mehr Werth beilegt, als sie verdienen.31.Worte, die ehemals in Gebrauch waren, sind nunveraltet. So sind auch die Namen einst hochberühmterMänner, eines Camill, Scipio, Cato, dann eines Augustus,dann Hadrians, dann Antoninus Pius, spätergleichsam veraltete Worte. Sie verbleichen bald undnehmen das Gewand der Sage an, bald sind sie garversunken in Vergessenheit. Dies gilt von denen, dieehemals so wunderbar geleuchtet haben. Denn vonden Andern, sind sie nur todt, weiss man Nichts mehr,hat man nie Etwas gehört. Also ist Unvergesslichkeitein leeres Wort. Aber was ist es denn nun, wonachsich's lohnt zu streben? Nur das Eine: eine tüchtigeGesinnung, ein Leben zum Besten Anderer, Wahrheit


in jeder Aeusserung, ein Zustand des Gemüths, wonachDir Alles, was geschieht, nothwendig scheintund Dir befreundet, aus einer Quelle fliessend, mit derDu vertraut bist.32.Gieb Dich dem Schicksal willig hin, und erlaubeihm, Dich mit den Dingen zu verflechten, die es Dirirgend zuerkennt.33.Eintagsfliegen sind Beide, der Gedenkende undder, dessen gedacht wird.34.Alles entsteht durch Verwandlung, und die Naturliebt Nichts so sehr, als das Vorhandene umzuschaffenund Neues von ähnlicher Art zu erzeugen. JedesEinzelwesen ist gewissermassen der Same eines zukünftigen,und es wäre eine grosse Beschränktheit,nur das als ein Samenkorn anzusehen, was in die Erde


oder in den Mutterschoss geworfen wird.35.Wie bald wirst Du todt sein, und noch immer bistDu nicht ohne Falsch, nicht ohne Leidenschaft, nichtfrei von dem Vorurtheil, dass Aeusseres dem Menschenschaden könne, nicht sanftmüthig gegen Jedermann,und noch immer nicht überzeugt, dass Gerechtigkeitdie einzig wahre Klugheit sei.36.Sieh sie Dir an diese weisen Männer und wie ihreGeister beschaffen sind, was sie fliehen und was sieverfolgen.37.In der Seele eines Andern sitzt es nicht, was Dichunglücklich macht, auch nicht in der Wendung Deineräusseren Verhältnisse. Wo denn, fragst Du? In DeinemUrtheil! Halte es nicht für ein Unglück, undAlles steht gut. Und wenn, was Dich zunächst


umgiebt, Deine Haut verwundet, geschnitten, gebranntwird, doch muss der Theil Deines Wesens, derüber solche Dinge urtheilt, in Ruhe sein, d.h. er mussdenken, dass das, was ebenso den Guten wie denBösen treffen kann, unser Unglück oder unser Glückunmöglich ausmacht. Denn was bald der erfährt, dergegen die Natur lebt, bald wieder der, der ihrer Stimmefolgt, das kann doch selbst nicht widernatürlichoder natürlich heissen.38.Die Welt ist ein einiges lebendiges Wesen, einWeltstoff und eine Weltseele. In diesesWeltbewusstsein wird Alles absorbirt, so wie aus ihmAlles hervorgeht, so jedoch, dass von den Einzelweseneines des anderen Mitursache ist und auch sonstdie innigste Verknüpfung unter ihnen stattfindet.


39.Nach Epiktet ist der Mensch - eine Seele miteinem Todten auf dem Rücken.40.Was zu dem Wandelungsprozesse gehört, dem wirAlle unterworfen sind, das kann als solches weder gutnoch böse sein.41.Ein Strom des Werdens, wo Eins das Andre jagt,ist diese Welt. Denn ein jegliches Ding - verschlungenist's, kaum da es aufgetaucht. Aber kaum ist dasEine dahin, trägt die Woge schon wieder ein Anderesher.


42.Wie die Rose des Sommers Vertraute und dieFrüchte die Freunde des Herbstes sind, so ist dasSchicksal uns freundlich gesinnt, mag es nun Krankheitoder Tod oder Schimpf und Schande heissen.Denn Kummer machen solche Dinge nur dem Thoren.43.Das Folgende entspricht immer dem Vorangehenden,nicht am' in der Weise des Nacheinander mitblos äusserer Verknüpfung, sondern durch ein inneresgeistiges Band. Denn wie im Reiche des GewordenenAlles harmonisch gefügt ist, so tritt uns auch auf demGebiete des Werdens keine blosse Aufeinanderfolge,sondern eine wunderbare innere Verwandtschaft entgegen.


44.Mag es richtig sein, was Heraklit sagt, dass in derNatur das Eine des Andern Tod sei, der Erde Tod dasWasser, des Wassers die Luft, der Luft das Feuer undumgekehrt; doch hat er nicht gewusst, wohin Allesführt. Aber es lässt sich auch von solchen Leuten lernen,die das Ziel ihres Weges aus dem Gedächtnissverloren haben, auch von solchen, die, je mehr sie mitdem Alles beherrschenden Geiste verkehren, thatsächlichsich desto mehr von ihm entfernen, auch vondenen, welchen gerade das fremd ist, was sie täglichbeschauen, oder die wie im Traume handeln undreden (denn auch das nennt man noch Thätigkeit),oder endlich von solchen, die wie die kleinen KinderAlles nachmachen.45.Wenn Dir ein Gott weissagte, Du werdest morgen,höchstens übermorgen sterben, so könntest Du Dichüber dieses »Uebermorgen« doch nur freuen, wenngar nichts Edles in Dir stecke. Denn was ist's für einAufschub! Ebenso gleichgültig aber müsste es Dirsein, wenn man Dir prophezeite: nicht morgen,


sondern erst nach langen Jahren!<strong>46</strong>.Wie viele Aerzte sind gestorben, nachdem sie anwie vielen Krankenbetten bedenklich den Kopf geschüttelt;wie viele Astrologen, die erst Andern mitgrosser Wichtigkeit den Tod verkündigten; wie vielePhilosophen, nachdem sie über Tod und Unsterblichkeitihre tausenderlei Gedanken ausgekramt; wie vieleKriegshelden mit dem Blute Anderer bespritzt; wieviele Fürsten, die ihres Rechtes über Leben und Todmit grossem Uebermuthe brauchten, als wären sieselbst nicht auch sterbliche Menschen; wie viele Städte- Helion, Pompeji, Herkulanum und unzählige andere- sind, dass ich so sage, gestorben! Dann die Duselbst gekannt hast, Einer nach dem Andern! Derjenen begrub, wurde dann selbst begraben, und dasbinnen Kurzem. Denn alles Menschliche ist nichtigund vorübergehend, das Gestern eine Seifenblase, dasMorgen - erst eine einbalsamirte Leiche, dann einHaufen Asche. Darum nutze das Heute so wie Dusollst, dann scheidet sich's leicht: wie die Frucht,wenn sie reif gewollt abfällt - preisend den Zweig, andem sie hing, dankend dem Baum, der sie hervorgebracht!


47.Wie der Fels im Meere, an dem die Wellen unaufhörlichrütteln - aber er steht, und ringsum legt sichder Brandung Ungestüm: so stehe auch Du! NenneDich nicht unglücklich, wenn Dir ein »Unglück« widerfuhr!Nein, sondern preise Dich glücklich, dass,obwohl es Dir widerfahren ist, der Schmerz Dir dochnichts anhat und weder Gegenwärtiges Dich mürbemachen, noch Zukünftiges Dich ängstigen kann.Jedem könnt' es begegnen, aber nicht Jeder hätte es soertragen. Und warum nennst Du das Eine ein Unglück,das Andere ein Glück? Nennst Du nicht dasein Unglück für den Menschen, was ein Fehlgriff seinerNatur ist? Aber wie sollte das ein Fehlgriff dermenschlichen Natur sein können, was nicht widerihren Willen ist? Und Du kennst doch ihren Willen?Kann Dich denn irgend ein Schicksal hindern, gerechtzu sein, hochherzig, besonnen, klug, selbstständig inDeiner Meinung, wahrhaft in Deinen Reden, sittsamund frei in Deinem Betragen, hindern an dem, waswenn es vorhanden ist so recht dem Zweck der Menschen-Naturentspricht? So oft also etwas SchmerzhaftesDir nahe tritt: denke, es sei kein Unglück; aberein Glück sei's, es mit edlem Muthe zu tragen.


48.Es ist zwar ein lächerliches aber wirksames Hilfsmittel,wenn man den Tod will verachten lernen, sichdie Menschen zu vergegenwärtigen, welche mit allerInbrunst am Leben hingen. Denn was war ihr Loos,als dass sie zu früh starben? Begraben liegen sie Alle,die Fabius, Julianus, Lepidus oder wie sie heissenmögen, die allerdings so manche Andere überlebten,dann aber doch auch an die Reihe mussten. - Wieklein ist dieser ganze Lebensraum, und unter wie vielMühen, mit wie schlechter Gesellschaft, in wie zerbrechlichemKörper wird er zurückgelegt! Es ist nichtder Rede werth. Hinter Dir eine Ewigkeit und vor Direine Ewigkeit: dazwischen - was für ein Unterschied,ob Du 3 Tage oder 3 Jahrhunderte zu leben hast?49.Daher begrenze den Weg, den Du zu gehen hast!Du wirst Dich auf diese Weise von mancher Sorgeund von manchem Ballast befreien. Das Begrenzte istder Natur gemäss, Begrenzung die Gesundheit unseresThuns und Denkens!


Früh, wenn's Dir Leid thut schon aufgewacht zusein, sage Dir gleich, Du seist erwacht Dich menschlichzu bethätigen. Um der Thätigkeit willen bist Dugeboren und in die Welt gekommen, und Du wolltestverdriesslich sein, dass Du an's Werk gehen musst?Oder bist Du bereitet worden, in den Federn liegendDich zu pflegen? Freilich ist dies angenehmer; aberbist Du um des Vergnügens willen da, nicht vielmehrum Etwas zu schaffen und Dich anzustrengen? Siehealle Kreaturen, die Sperlinge, die Ameisen, die Spinnen,die Bienen, wie jedes sein Werk vollbringt undjedes in seiner Weise an der Aufgabe des Universumsarbeitet! Und Du wolltest das Deinige nicht thun?nicht laufen den Weg, den die menschliche Natur Dirvorschreibt? - Man muss doch auch ausruhen, sagstDu. Freilich muss man. Nur in dem Masse eben, dasdie Natur Dir selbst an die Hand giebt, ebenso wie fürdas Essen und Trinken. Darin aber willst Du dieGrenze überschreiten und Mehr thun als nöthig ist,nur in der Thätigkeit dahinten bleiben? Da sieht man,dass Du Dich selbst nicht lieb hast, sonst würdest Dudie menschliche Natur und deren Willen lieb haben.Fünftes Buch1.


Andere, die mit Liebe die Kunst betreiben, die sie gelernthaben, sind oft so versessen darauf, dass sie darübervergessen sich zu waschen oder zu frühstücken.Du aber ehrst die Menschheit in Dir nicht einmal sohoch wie jene ihre Kunst, wie der Drechsler seineDrechselei, der Tänzer seine Sprünge, der Geizhalssein Geld, der Ehrgeizige seinen Ruhm. Denn sobaldsolche Leute ihrem Beruf mit Eifer hingegeben sind,liegt ihnen am Essen und Schlafen weit weniger, alsdaran, dass sie's weiter bringen in dem, was ihresAmtes ist. Und Du bist im Stande, das für AndereThätigsein niedriger zu stellen und eines solchen Eifersnicht für werth zu halten?2.Es ist wahrlich nicht so schwer, jeden beunruhigendenund unziemlichen Gedanken, der sich aufdrängt,wieder loszuwerden und hinwegzutilgen, so dass dievollkommene Stille und Heiterkeit des Gemüthsgleich wieder hergestellt ist.


3.Erkenne, dass Du jeder echt menschlichenAeusserung in Wort und Werk würdig bist, und lassDich von keinem Tadel oder Stichelrede, die AndereDir nachsenden, beschwatzen. Was edel ist zu sagenund zu thun, dessen bist Du niemals unwürdig. Jenehaben ihre eigenen Grundsätze, denen sie folgen, undihren eigenen Sinn. Darauf darfst Du keine Rücksichtnehmen, sondern musst den geraden Weg gehen, denDeine und die allgemein menschliche Natur Dir vorschreibt.Und es ist in der That nur ein Weg, dendiese beiden Dir weisen.4.So lass uns durch's Leben gehen, bis wir verfallenund uns zur Ruhe begeben, den Geist dahin aushauchend,von wo wir ihn tagtäglich eingesogen, dahinzurücksinkend, woher der Keim zu unserm Daseinstammt, woher wir durch so viele Jahre Speise undTrank nahmen, was uns durch's Leben trug undwovon wir oft genug einen schlechten Gebrauch gemachthaben.


5.Dein Scharfsinn ist es nicht, weswegen man Dichbewundern muss. Aber gesetzt auch, er könnte Dirnicht abgesprochen werden, so wirst Du doch gestehenmüssen, dass vieles Andere mehr in Deiner Naturliegt. Und dies ist es nun, was Du vor Allem pflegenund kundgeben musst, z.B. Deine Lauterkeit und DeinenErnst, Deine Standhaftigkeit und Deine Abneigunggegen sinnlichen Genuss, Deine Zufriedenheitmit Deinem Schicksal, Deine Mässigkeit, Güte, Freisinnigkeit,Einfachheit, Dein gesetztes würdevollesWesen. Und fühlst Du nicht, was Du Alles hättestsein können? was Deine Natur und angeborenes Geschickso wohl zugelassen hätten, und bist es dennochschuldig geblichen? Oder war es die MangelhaftigkeitDeiner Naturanlage, was Dich zwang, mürrisch zusein und knickerig und ein Schmeichler, ein Feindoder Sklave Deines eigenen Leibes, ein eitler und ehrgeizigerMensch? Wahrlich, nein. Du könntest laugstvon diesen Fehlern frei sein. Ist es aber wahr, dass Duvon Natur etwas schwerfällig bist und langsam vonBegriffen, so gilt es auch darin sich anzustrengen undzu üben, nicht, diese Schwäche unberücksichtigt zulassen oder gar sich darin zu gefallen.


6.Es giebt Menschen, die, wenn sie Jemand einenGefallen gethan haben, dies gleich als eine Gunstbezeugungangesehen wissen wollen; ferner solche, diewenn sie auch nicht gerade solche Ansprüche erheben,doch sehr genau wissen wollen, was sie gethanhaben, und den, dem sie wohl gethan, bei sich selbstwenigstens als ihren Schuldner betrachten; endlichsolche, die gewissermassen nicht wissen, was sie thaten- dem Weinstock gleich, der seine Trauben trägtund Nichts weiter will, nachdem er die ihm eigenthümlicheFrucht einmal hervorgebracht hat. DasPferd, das seinen Weg gelaufen ist, der Hund, der dasWild erjagt, und die Biene, die ihren Honig bereitethat, erhebt kein Geschrei, ruft Niemand zu: seht, dashab' ich gethan, sondern geht gleich zu etwas Anderemüber, wie der Baum wieder neue Früchte ansetztzu seiner Zeit. Und so soll's auch beim Menschensein, wenn er ein gutes Werk vollbracht hat. - Alsowirklich, zu denen soll man gehören, die, was siethun, gleichsam auf unbegreifliche Weise thun? Ja;aber dass wir zu ihnen gehören, soll man begreifen!Du sagst: ein Wesen, das zur Gemeinschaft geborenist, müsse doch wissen, wenn es seiner Bestimmunggemäss, d. i. wenn es für Andere handelt, und


wahrlich doch auch wollen, dass dies der Anderemerke. Wohl wahr, aber Du machst davon nicht dierichtige Anwendung, und darum bist Du nun einmalEiner von denen, die ich eben beschrieben habe, dennauch bei jenen ist es der Schein von Wahrheit, der sieirre leitet. Jedenfalls aber würdest Du mich missverstehen,wenn Du aus irgend einem Grunde es unterlassenwolltest, Etwas zum Wohle Anderer zu thun.7.Die Athener beteten: »regne, regne, lieber Zeus, aufdie Aecker und Wiesen der Athener!« Und man beteentweder gar nicht oder nur in dieser Weise, einfältigund geradezu!8.Gerade, wie man sagt, dass Aeskulap dem Einendas Reiten, dem Andern kalte Bäder, dem Dritten barfusszu gehen verordnete, ebenso muss man auchsagen, dass die Natur bald Krankheit, bald Verletzung,bald schmerzliche Verluste zu verordnenpflegt. Dort wendet man den Ausdruck an, um zu bezeichnen,dass er den Menschen jene Mittel als der


Gesundheit entsprechend gegeben habe, und hier giltes ja auch, dass alles das, was Einem widerfährt, ihmals dem allgemeinen Schicksal entsprechend gegebenwird. Ebenso brauchen wir von unsern Schicksalenden Ausdruck »sich fügen«, wie ihn die Baumeisterbrauchen von den Quadern, die bei Mauer- oder Pyramidenbautensich schönstens zusammenordnen. Denndurch Alles geht eine grosse Harmonie, und wie imReiche der Natur die Natur eines Einzelwesens nichtbegriffen werden kann ausser im Zusammenhangealler andern Einzelwesen, so auch auf dem Gebietedes Geschehens kein einzelner Umstand und Grundabgesehen von allen übrigen: was denn auch der Sinnjener vulgären Ausdrucksweise ist, wenn man sagt; es»trug sich zu«, oder, es war ihm »beschieden«. Lassetuns also dergleichen hinnehmen, gleichwie jenenahmen, was Aeskulap ihnen verordnet; denn auchdavon war Manches bitter und wurde süss nur durchdie Hoffnung auf Genesung. Dieselbe Bedeutungaber, welche für Dich Deine Gesundheit hat, mussauch die Erfüllung und Vollendung dessen für Dichhaben, was im Sinne des Universums liegt, und Dumusst Alles, was geschieht, und wäre es auch noch sowenig freundlich, willkommen heissen, weil seineTendenz ja nichts Anderes ist als die Gesundheit derWelt, das Glück und Wohlbefinden des höchsten Gottes.Hätte es sich doch gar nicht zugetragen, wenn es


nicht für das Ganze zuträglich gewesen wäre; hätte esdoch kein Zufall so gefügt, fügte es sich nicht harmonischin die Verwaltung aller Dinge. Also zwei Gründesind, weshalb Dir Dein Schicksal gefallen muss.Der eine; weil es Dein Schicksal ist, weil es Dir verordnetward mit Rücksicht auf Dich - von Oben herin ursächlicher Verkettung mit dem ersten Grunde.Der andere: weil es der Grund des vollkommenenGlückes, ja fürwahr auch des Bestehens dessen ist,der Alles regiert. Denn es ist eine Verletzung desGanzen in seiner Vollständigkeit, wenn Du den geringstenseiner Bestandtheile - - und seine Bestandtheilesind immer auch zugleich Ursachen - aus seinerVerbindung und seinem Zusammenhange reissest.Und - so weit das in Deiner Hand steht, reissest Duwirklich los und trennst das Zusammengehörige, sobaldDu murrst über Dein Schicksal.9.Du darfst nicht unwillig werden, den Muth nichtsinken lassen oder gar verzweifeln, wenn es Dir nichtvollständig gelingt, immer nach richtigen Grundsätzenzu handeln. Bist Du von Deiner Höhe heruntergefallen,erhebe Dich wieder, sei zufrieden, wenn nurwenigstens das Meiste an Dir nach achter Menschen


Art ist, und lass Dich beglücken von dem, was Dirvon Neuem gelang. Meine nicht, dass die Philosophieein Zuchtmeister sei. Greife zu ihr nur so wie die Augenkrankenzum Schwamm oder zum Ei, wie Anderezum Pflaster oder zur Begiessung. Denn Nichts wirdDich zwingen der Vernunft zu gehorchen. Man musssich ihr vielmehr vertrauensvoll hingeben. Du weisstdie Philosophie will nichts Anderes, als was DeineNatur auch will. Du aber hast etwas Anderes gewollt,etwas ihr Widerstreitendes, weil es Dir angenehmerschien. Die Lust macht uns solche Vorspiegelungen.Aber besinne Dich, ob Hochherzigkeit, Freiheit desGeistes, Einfalt, Gleichmuth, Sittenreinheit nicht dochdas Angenehmere sind. Oder was ist angenehmer alsWeisheit, wenn man darunter das nie Anstossende,glatt Hinfliessende der geistigen Kraft versteht?10.Das Wesen und die Bedeutung der Verhältnissedieses Lebens sind im Allgemeinen in ein solchesDunkel gehüllt, dass sie nicht wenig Philosophen undnicht blos den gewöhnlichen als völlig unbegreiflicherscheinen. Auch die Stoiker bekennen, dass sie siekaum verstehen. Dann sind auch unsere Ansichten sohöchst veränderlich. Es giebt ja keinen Menschen, der


sich in seinen Ansichten gleich bliebe. Ferner wasnun die »Güter« dieses Lebens anlangt, wie vergänglichund nichtig sind sie! Können sie doch das Eigenthumjedes Nichtswürdigen werden! Aber nicht minderelend steht es mit dem Geist der Zeit. Selbst diebeste seiner Aeusserungen, welche Mühe hat man siezu ertragen, ja es kostet nicht Wenig, sich selber zuertragen. Bei solcher Taubheit und Verkommenheitder Zustände, bei diesem ewigen Wechsel des Wesensund der Form, bei dieser Unberechenbarkeit der Richtung,die die Dinge nehmen - was da der Liebe unddes Strebens noch werth sein soll, vermag ich nicht zusehen. Im Gegentheil, es ist der einzige Trost, dassman der allgemeinen Auflösung entgegengeht. -Drum trage geduldig die Zeit, die noch dazwischenliegt, und beherzige nur das, dass Nichts Dir widerfahrenkann, was nicht in der Natur des Ganzen begründetliegt, und dann: dass Du die Freiheit hast,Alles zu unterlassen, was wider die Stimme DeinesGenius ist. Denn die zu überhören kann Dich Niemandzwingen.


11.Wozu gebrauchst Du jetzt Deine Seele? So mussman sich bei jeder Gelegenheit fragen. Oder, was gelltjetzt vor in dem Theile Deines Wesens, den man denvornehmsten nennt? Oder was für eine Seele hast Dujetzt, die eines Kindes oder eines Jünglings, einesWeibes, eines Tyrannen, eines zahmen oder eines wildenThieres?12.Wie es im Grunde damit steht, was bei der Mengeals das Gute gilt, kann man auch daraus erkennen,dass jenes Wort eines alten Komikers: »denn für denEdlen ziemt sich Solches nicht« auf alle diese Scheingüter,wie Reichthum, Luxus, Ehre, anwendbar ist(wiewohl die Leute das allerdings nicht gelten lassenwerden), während es auf wahre Güter, wie Klugheit,Mässigkeit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, angewendetvollkommen widersinnig wäre.


13.Woraus wir bestehen, ist Form und Materie. Keinsvon Beiden aber wird in's Nichts verschwinden, sowenig wie es aus dem Nichts hervorgegangen ist.Sondern jeder Theil unseres Wesens wird durch Verwandlungübergeführt in irgend einen Theil des Weltganzen;dieser geht dann wieder in einen andern überund so in's Unendliche. Durch diesen Verwandlungsprozesserhalte ich meine Existenz, durch ihn erhieltensie auch die, die mich erzeugten, und so wiederrückwärts in's Unendliche. Denn »in's Unendliche«darf man wirklich sagen, wenn auch der Weltlaufseine fest begrenzten Zeiträume hat.14.Die Vernunft und ihre Praxis sind Kräfte, die sichselbst genügen und die keinen andern Richter überihre Aeusserungen haben als sich selbst. Sie haben ihrPrincip und ihre Tendenz in sich, und richtig heissenihre Handlungen, weil durch sie der rechte Weg offenbarwird.


15.Nichts ist Sache des Menschen, was ihn als MenschenNichts angeht, was von der menschlichen Naturweder gefordert noch verheissen wird, und was zuihrer Vollendung Nichts beiträgt - was also auch keinZiel menschlichen Strebens sein oder ein Gut d. i. einMittel zu diesem Ziele zu gelangen genannt werdenkann. Wäre dies nicht, so hätten wir Unrecht, es alseine Pflicht des Menschen anzusehen, dergleichenDinge zu verachten und sich ihnen zu widersetzen,und dürften den nicht loben, der ihrer nicht bedarf.Auch könnte, wenn dies Güter wären, der nicht gutsein, der freiwillig dem Genüsse solcher Dinge entsagt.Nun aber sind wir in der That um so viel besser,je mehr wir solcher Dinge uns enthalten, und je leichterwir ihren Mangel ertragen.16.Wie die Gedanken sind, die Du am häufigstendenkst, ganz so ist auch Deine Gesinnung. Denn vonden Gedanken wird die Seele gesättigt. Sättige siealso mit solchen wie die: dass man, wo man auchleben muss, glücklich sein könne; dass Alles um


irgend einer Sache willen gemacht sei, und wozu esgemacht sei, dahin werde es auch getragen, und wohines getragen werde, da liege auch der Zweck seinesDaseins, wo aber dieser, da auch das ihm Zuträglicheund Heilsame. Das den vernünftigen Wesen Heilsameaber ist die Gemeinschaft. Denn zur Gemeinschaftsind wir geboren. Oder liegt es nicht auf der Hand,dass das Geringere um des Besseren willen, die besserenDinge aber für einander da seien? Besser aber alsdas Unbeseelte ist das Beseelte, und besser als diesesdas Vernünftige.17.Nach dem Unmöglichen streben ist wahnsinnig;unmöglich aber, dass der gemeine Mensch nicht Solchestuhn sollte.18.Nichts geschieht uns, was zu ertragen uns nicht natürlichwäre. Bei manchen Schicksalen sind wir freilichnur aus Stumpfsinn oder aus Prahlerei standhaftund unverwundbar. Und das ist eben das Traurige,dass Gefühllosigkeit und Gefallsucht stärker sein


sollen, als die Besinnung!19.Die Umstände sind es nun einmal durchaus nicht,wodurch die Seele berührt wird; sie haben keinen Zugangzu ihr und können sie weder umstimmen, nochirgend bewegen. Die Seele stimmt und bewegt sicheinzig selber, und je nach dem Urtheil und der Auffassung,zu der sie's bringen kann, gestaltet sie dieDinge, die vor ihr liegen.20.Das Gesetz, das uns vorschreibt, den Menschenwohl zu thun und sie zu tragen, macht sie uns zu denbefreundetsten Wesen. Insofern sie uns aber hinderlichwerden können, das uns Gebührende zu thun, Istmir der Mensch etwas ebenso Gleichgültiges wie dieSonne, der Wind, das Thier. Nur dass sich ihrem verderblichenEinflusse ja eben entgegentreten lässt.Man entziehe sich ihnen oder suche sie umzuwandeln,so geschieht unserm Streben und unserer Neigungkein Eintrag. Auf diese Weise verwandelt und bildetdie Seele ein Hinderniss unseres Wirkens um in sein


Gegentheil: was unser Werk aufhalten sollte, gestaltetsich selbst zum guten Werke, und ein Weg eröffnetsich eben da, wo uns der Weg versperrt ward.21.Dem, was das Beste in der Welt ist, dem Wesennämlich, das Alles hat und Alles verwaltet, gebührtunsere Ehrfurcht. Nicht minder aber auch dem, wasdas Beste in uns ist. Es ist jenem verwandt, da ja auchin uns Etwas ist, was alles Andere hat und wovonDein ganzes Leben regiert wird.22.Was dem Staate nicht schadet, schadet auch demBürger nicht. Diese Regel halte fest, so oft Du Direinbildest, dass Dir ein Schaden geschieht. Ist's keinerfür die Gemeinschaft, der Du angehörst, dann auchkeiner für Dich. Und wenn's für jene keiner ist -kannst Du dem Menschen zürnen, der Nichts gethanhat, was dem Ganzen schadet?


23.Denke recht oft daran, wie Alles, was ist und wasgeschieht, so schnell wieder hinweggeführt wird undentschlüpft. Die ganze Materie ist ein ewig bewegterStrom, alles Gewirkte und alles Wirkende ein tausendfacherWechsel, eine Kette ewiger Verwandlungen.Nichts steht fest. Vorwärts und rückwärts eineUnendlichkeit, in der Alles verschwindet. Wie thörichtalso Jeder, der mit irgend Etwas gross thut, odervon irgend einer Sache sich hin- und herreissen lässtoder darüber jammert, als ob der Kummer nicht nurkurze Zeit währte.24.Denke, welch' ein winziges Stück des ganzen WeltwesensDu bist, wie klein und verschwindend derPunkt in der ganzen Ewigkeit, auf den Du gestelltbist, und Dein Schicksal - welch' ein Bruchtheil desgesammten!


25.Hat mich Jemand beleidigt - mag er selbst zusehen.Es ist seine Neigung, seine Art zu handeln, dererfolgte. Ich habe die meinige, so wie die Natur desAlls sie mir gegeben, und ich handle so, wie meineNatur will, dass ich handeln soll.26.Der die Herrschaft führende Theil Deines Wesensbleibe stets ungerührt von den leisen oder heftigenRegungen in Deinem Fleische. Er mische sich nichthinein, beschränke sich auf sein Gebiet und umgrenzejene Reize in den Gliedern. Steigen sie aber auf einemanderen Wege der Mitleidenschaft zur Seele auf, dieja doch immer mit dem Leibe in Verbindung bleibt,dann ist die Empfindung eine naturgemässe, und mandarf ihr nicht entgegen sein, nur dass die Vernunftnicht komme und ihr Urtheil, ob hier etwas Gutesoder Böses, hinzufüge.


27.Lebe mit den Göttern! d.h. zeige ihnen, dass DeineSeele zufrieden sei mit dem, was sie Dir beschieden,dass sie thue, was der Genius will, den uns der höchsteGott als ein Stück von ihm selbst zum Leiter undFührer gegeben hat. Dieser Genius aber ist der Geist,die Vernunft eines Jeden.28.Kannst Du Jemand zürnen, der ein körperlichesGebrechen hat? Er kann Nichts dafür, wenn seineNähe Dir widerwärtig ist. Ebenso betrachte nun auchdie sittlichen Mängel. Allein der Mensch, sagst Du,hat seine Vernunft, und kann erkennen, was ihm fehlt.Sehr richtig. Folglich hast Du Deine Vernunft auchund kannst durch Dein vernünftiges Verhalten DeinenNächsten zur Vernunft bringen, kannst Dich ihm offenbaren,ihn erinnern, und so, wenn er Dich hört, ihnheilen, ohne dass Du nöthig hättest zu zürnen oder zuseufzen oder hoffährtig zu sein.


29.Wie Du beim Abschiede vom Leben über dasLeben denken wirst, so darfst Du schon jetzt darüberdenken und danach leben. Hindert man Dich, dannscheide freiwillig, doch so, als erführst Du dabeinichts Uebles. »Ein Rauch ist Alles; lasst michgehen!« Warum scheint Dir das so schwer? So langemich jedoch Nichts dergleichen wirklich zwingt, dieWelt zu verlassen, will ich auch frei bleiben und michvon Niemand hindern lassen zu thun, was ich will.Denn was ich will, ist entsprechend der Natur einesvernünftigen, für das Leben in der Gemeinschaft bestimmtenWesens.30.Der Geist des Alls ist ein Gemeinschaft bildender.Er hat die Wesen niederer Gattung um der höherenwillen erzeugt und die der höheren zu einander gefügt.Man kann es deutlich sehen, wie all' sein Thun bestehtim Unterordnen und im Beiordnen, wie er einemJeglichen die Stellung gab, die seinem Wesen entspricht,und die Wesen der höchsten Ordnung durchgleichen Sinn einander einte.


31.Prüfe Dich, wie Du bis dahin Dich verhalten hastgegen Götter, Eltern, Brüder, Weib, Kinder, Lehrer,Erzieher, Freunde, Genossen und Diener; ob Du bisdahin keinem unter ihnen auf ungebührliche Weisebegegnet bist mit Wort und Werk. Erinnere Dich, wasDu schon durchgemacht, und was Du im Stande gewesenbist zu tragen. Wie leicht ist's möglich, dassdie Geschichte Deines Lebens bereits vollendet, DeinDienst vollbracht ist; und wie viel Schönes hast Duschon gesehen, wie oft ist's Dir vergönnt gewesen,Freud und Leid gering zu achten, Deinen Ehrgeiz zuunterdrücken, und gegen Unverständige verständig zusein!32.Warum betrüben rohe unerfahrene Gemüther diegebildeten und erfahrenen? Aber welche Seele nennstDu gebildet und erfahren? Die, welche den Ursprungund das Ziel der Dinge und die Vernunft kennt, diedas ganze Universum durchdringt und durch dieganze Ewigkeit in bestimmten Perioden Alles verwaltet.


33.Wie lange noch, und Du bist Staub und Asche! undnur der Name lebt noch, ja nicht einmal der Name;denn was ist er? - ein blosser Schall und Nachklang.Und was im Leben am Meisten geschätzt wird, istnichtig, faul, von grösserer Bedeutung nicht, als wennsich ein Paar Hunde herumbeissen oder ein Paar Kindersich zanken, jetzt lachend und dann wieder weinend.Glaube aber und Ehrfurcht, Gerechtigkeit undWahrheit -- »zum Olymp, der weitstrassigen Erde entflohen!«Was also hält Dich hier noch fest? Alles sinnlichWahrnehmbare ist unbeständig und fort und fort derVerwandlung unterworfen, die Sinne selbst sind trübund leicht zu täuschen, und was man Seele nennt einAufdampfen des Bluts. Ein Berühmtsein in solcherWelt, wie eitel! So bleibt nur übrig, geduldig zu wartenbis wir verlöschen und unsere Stelle wechseln,und bis das geschieht, die Götter zu ehren und zupreisen, den Menschen wohl zu thun, sie zu ertragenoder sich ihnen zu entziehen. Was aber ausserhalb derGrenzen Deines Körper- und Seelenwesens liegt,kann weder Dein werden, noch Dich irgend angehen.


34.Stets kann es Dir gut gehen, wenn Du richtig wandelst,rechtschaffen denkst und thust. Denn von jedemdenkenden Wesen, sei es Gott oder Mensch, gilt diesesZwiefache: einmal, dass es in seinem Laufe voneinem Andern nicht aufgehalten werden kann, undzweitens, dass sein grösstes Gut in der gerechten Sinnes-und Handlungsweise besteht, und sein Strebendarüber nicht hinausgeht.35.Wenn Dies oder Jenes, das sich ereignet, nichtmeine Schlechtigkeit noch die Folge meiner Schlechtigkeitist, noch ein Schaden, der das Ganze trifft, waskann es mir verschlagen? Nur muss man darüber imKlaren sein, in welchem Falle das Ganze betroffenwird.


36.Nie darfst Du Dich mit Deinen Gedanken von denAndern losmachen, sondern musst ihnen helfen nachbesten Kräften und in dem rechten Masse. Sind siefreilich nur in unwesentlichen Dingen heruntergekommen,so dürfen sie das nicht für einen wirklichenSchaden halten. Es ist nur ein böses Ding, wie manzu sagen pflegt. Du für Deine Person mache es alsoimmer wie jener Greis, der beim Weggehen voneinem spielenden Kinde sich dessen Spielzeug gebenliess, obwohl er recht gut wusste, dass es nur einSpielzeug war. Oder wolltest Du, ständest Du vordem Richterstuhl und hörtest die Frage, ob Du nichtwüsstest, was es mit diesen Dingen auf sich habe,antworten: »ja, aber sie schienen doch Dem undJenem so wünschenswerth?« und dann den wohlverdientenSpruch empfangen: »also, darum musstestauch Du ein Narr sein!« - So sei denn endlich einmal,und gerade wenn Du recht verlassen bist, ein glücklicherMensch, d. i. ein Mensch, der sich das Glückselbst zu bereiten weiss, d. i. die guten Regungen derSeele, die guten Vorsätze und die guten Handlungen.


Sechstes Buch1.Der Stoff der Welt ist bildsam und gefügig, aberetwas Böses kann der ihn beherrschende Geist damitaus sich selbst heraus nicht vornehmen, weil Schlechtesin ihm gar keine Statt hat. Durch ihn kann Nichtszu Schaden kommen, und es ist Nichts, was sich nichtihm gemäss gestaltete und vollendete.2.Darauf darf Dir Nichts ankommen, ob Du vorKälte klappernd oder im Schweiss gebadet DeinePflicht thust; ob Du dabei einschläfst oder des Schlafesüberdrüssig wirst; ob Du dadurch in schlechtenoder in guten Ruf kommst; ob Du darunter das Lebeneinbüssest oder sonst Etwas leiden musst. Denn auchdas Sterben ist ja nur eine von den Aufgaben des Lebens.Genug, wenn Du sie glücklich lösest, sobald sieDir vorliegt.


3.Die beste Art, sich an Jemand zu rächen, ist, es ihmnicht gleich zu thun.4.Darin allein suche Deine Freude und Erholung, mitdem Gedanken an Gott von einer Liebesthat zur andernzu schreiten!5.Das nenn' ich die Seele oder das die HerrschaftFührende im Menschen, was ihn weckt und lenkt, wasihn zu dem macht, was er ist und sein will bewirkt,dass Alles, was ihm widerfährt, scheine, wie er's will.


6.Jegliches Ding vollendet sich gemäss der Natur desUniversums, nicht in Gemässheit eines andern Wesens,das etwa die Dinge von Aussen umgebe odereingeschlossen wäre in ihrem Innern oder gar völliggetrennt von ihnen.7.Entweder es ist Alles ein Gebräu des Zufalls, Verflechtungund Zerstreuung, oder es giebt eine Einheit,eine Ordnung, eine Vorsehung. Nehm' ich das Ersterean, wie kann ich wünschen in diesem planlosen Gemisch,in dieser allgemeinen Verwirrung zu bleiben?was könnte mir dann lieber sein, als so bald wie möglichErde zu werden? Denn die Auflösung wartetemeiner, was ich auch anfinge. Ist aber das Andere, sobin ich mit Ehrfurcht erfüllt und heiteren Sinnes, demHerrscher des Alls vertrauend.


8.Wenn in Deiner Umgebung Etwas geschieht, wasDich aufbringen und empören will, so ziehe Dichrasch in Dich selbst zurück, und gieb den Eindrücken,die Deine Haltung aufs Spiel setzen, Dich nicht überGebühr hin. Je öfter wir die harmonische Stimmungder Seele wiederzugewinnen wissen, desto fähigerwerden wir, sie immer zu behaupten.9.Wenn Du eine Stiefmutter und eine rechte Mutterzugleich hättest, so würdest Du zwar jene ehren,Deine Zuflucht aber doch stets bei dieser suchen.Ebenso ist es bei mir mit dem Hofleben und der Philosophie.Hier der Ort, wo ich einkehre, hier meineRuhestätte. Auch ist es die Philosophie, die mir jeneserträglich macht und die mich selbst erträglich machtan meinem Hofe.


10.Es ist gar nicht so unrecht, wenn man sich beimEssen und Trinken sagt: also dies ist der Leichnameines Fisches, dies der Leichnam eines Vogels, einesSchweines u.s.w. und beim Falernerwein: dies hierder ausgedrückte Saft einer Traube, oder beim Anblickeines Purpurkleides: Was Du hier siehst, sindThierhaare in Schneckenblut getaucht - denn solcheVorstellungen geben uns ein Bild der Sache, wie siewirklich ist, und dringen in ihr inneres Wesen ein. -Man mache es nur überhaupt im Leben so, entkleideAlles, was sich uns als des Strebens würdig aufdrängt,seiner Umhüllung, und sehe von dem äusserenGlanze ab, mit dem es wichtig thut. Der Schein ist eingefährlicher Betrüger. Gerade wenn Du glaubst miternsten und hohen Dingen beschäftigt zu sein, übt eram Meisten seine täuschende Gewalt.


11.Die Menge legt den höchsten Werth auf den Besitzrein sinnlicher Dinge. Höher hinauf fängt man an denNutzen einzusehen, den uns die beseelte Natur leistet,und noch eine Stufe höher die Brauchbarkeit der inunserm Dienst stehenden Einzelvernunft. Wer abernichts Edleres und Höheres kennt, als das allgemeineVernunftwesen, dem ist jenes Alles geringfügig undunbedeutend. Er hat kein anderes Interesse, als dassseine Vernunft der allgemeinen Menschenvernunftentspreche und so sich jederzeit bewege, und dass erAndere seines Gleichen eben dahin bringe.12.Hier ist Etwas, das werden, dort Etwas, das gewordensein möchte: und doch ist jedes Werdende zumTheil auch schon vergangen. Dieses Fliessen undWechseln erneuert die Welt fort und fort, wie der ununterbrocheneSchritt der Zeit die Ewigkeit erneuert.Wolltest Du nun auf Etwas, das diesem Strome angehört,der nimmer still steht, einen besondern Werthlegen, so würdest Du einem Menschen gleichen, dereben anfinge, einen vorüberfliegenden Sperling in


sein Herz zu schliessen in dem Moment, wo er seinenBlicken auch schon entschwunden ist. Ist doch dasLeben selbst nichts Anderes als das Verdunsten desBluts und das Einathmen der Luft und sowie Du, wasDu eingezogen hast, im nächstfolgenden Augenblickimmer wieder hingiebst, so wirst Du auch diesesganze Athmungsvermögen, das Du gestern oder vorgesternempfingst, wieder hingeben. -13.Nicht das ist das Wichtige, dass wir ausathmen wiedie Pflanzen, einathmen wie die Thiere, oder dass wirdie Bilder der Dinge in unserer Vorstellung haben,dass wir durch Triebe in Bewegung gesetzt werden,dass wir uns zusammenschaaren, oder dass wir unsnähren - denn dieselbe Bedeutung hat auch das Ausscheidender überflüssigen Nahrung; auch nicht, dasswir beklatscht werden - und die Ehre istgrösstentheils nichts Anderes. Sondern dass man deruns eigenthümlichen Bildung gemäss sich gehen lasseoder an sich halte, worauf ja jedes Studium und jedeKunst gerichtet ist. Denn jede Praxis will nichts Anderesals die Dinge ihrem Zweck gemäss gestalten,wie man am Weingärtner, am Pferdebändiger, amLehrer und Pädagogen sehen kann. In dieser


gestaltenden Thätigkeit liegt der ganze Werth unseresDaseins. Steht es damit gut bei Dir, so brauchst DuDir um andere Dinge keine Sorge zu machen. HörstDu aber nicht auf, auf eine Menge anderer DingeWerth zu legen, so bist Du auch noch kein freier,selbstständiger, leidenschaftsloser Mensch, sondernstets in der Lage neidisch und eifersüchtig und hinterlistigzu sein gegen die, die besitzen, was Du so hochstellst,und argwöhnisch, dass es Dir Einer nehmenmöchte, und in Verzweiflung, wenn es Dir fehlt, undvoll Tadel gegen die Götter. Ist es aber die Gesinnungallein, was Deinen Werth und Deine Würde in DeinenAugen ausmacht, so wirst Du Dich selber achten,Deinen Nebenmenschen gefallen und die Götter lobenund preisen können.14.Aufwärts und niederwärts - ein Kreislauf ist derElemente Bewegung. Auch die Tugend geht ihrenGang, doch ist er ganz anderer Art, mehr so wie derLauf, den das Göttliche nimmt. Mag er auch schwerzu begreifen sein: das sieht man, dass sie vorwärtsschreitet.


15.Was thut man? Die Zeitgenossen mag man nichtrühmen, aber von den Nachkommen, die man nichtkennt noch jemals kennen wird, will man gerühmtwerden. Ist das nicht gerade so, wie wenn's Dichschmerzte, dass Deine Vorfahren Nichts von Dir zurühmen hatten?16.Denke nicht, wenn Dir Etwas schwer ankommt, essei nicht Menschen-möglich. Und was nur irgendeinem Menschen möglich und geziemend, davon seiüberzeugt, dass es auch für Dich erreichbar sein wird.17.Wenn uns in der Fechtschule Jemand geritzt odereinen Schlag versetzt hat, so tragen wir ihm das gewissnicht nach, fühlen uns auch nicht beleidigt unddenken nichts Uebles von dem Menschen; wir nehmenuns wohl vor ihm in Acht, aber nicht als vor einemFeinde, der uns verdächtig sein müsste, sondern nur


so, dass wir ihm ruhig aus dem Wege gehen. Machtenwir es doch im Leben auch so! Liessen wir doch daauch so Manches unbeachtet, was uns von denen widerfährt,mit denen wir ringen. Es steht uns ja immerfrei, den Leuten, wie ich's genannt habe, aus demWege zu gehen, ohne Argwohn und ohne Feindschaft.18.Wenn mich Jemand überzeugen und mir beweisenkann, dass meine Ansicht oder meine Handlungsweisenicht die richtige sei, so will ich sie mit Freuden ändern.Denn ich suche die Wahrheit, sie, die NiemandSchaden zufügt. Wohl aber nimmt der Schaden, derauf seinem Irrthum und seiner Unwissenheit beharrt.19.Ich suche das Meinige zu thun: alles Uebrige,Alles, was leblos oder vernunftlos oder seines Wegesunkundig und verirrt ist, geht mich Nichts an undkann mich nicht irre machen.


20.Der unvernünftigen Thiere und aller der vernunftlosenDinge, die Dir, dem Vernunftbegabten zu Gebotestehen, magst Du mit edlem, freiem Sinn gebrauchen.Der Menschen aber, der ebenso vernunftbegabten,brauche so, dass Du auf die Verbindung Rücksichtnimmst, in der Du von Natur mit ihnen stehst. Undbei Allem, was Du thust, rufe die Götter an, ohne DirSorge zu machen um das »Wie oft?« und wenn's nurdreimal geschähe!21.Alexander der Grosse und sein Maulthiertreibersind beide an denselben Ort gegangen. Entweder wurdensie beide in dieselben Kräfte der zu immer neuenSchöpfungen bereiten Welt aufgenommen, oder sielösten sich beide auf gleiche Weise in ihre Atome auf.


22.Bedenke, wie Vielerlei in einem Jeden unter uns ineinem und demselben Augenblick zugleich vorgeht,sei's Leibliches, sei's Geistiges. So kannst Du Dichnicht wundern, wenn so viel Mehr, wenn Alles, wasgeschieht, in dem Einen und Allen, das wir Welt nennen,zugleich vorhanden ist.23.Wenn Jemand Dich fragte, wie der Name Antoningeschrieben wird, würdest Du da nicht jeden Buchstabendeutlich und mit gehaltener Stimme angeben?Warum machst Du's nicht auch so, wenn Jemand mitDir zankt? Warum zankst Du wieder und bringstDeine Worte nicht ruhig und gemessen vor? Auf dieGemessenheit kommt's an bei jeder Pflichterfüllung.Bewahre sie Dir, lass Dich nicht aufbringen, leideden, der Dich nicht leiden kann, und gehe ruhig DeinesWeges fort.


24.Welch' ein Mangel an Bildung, wenn Du den Menschenverbieten willst nach dem zu streben, was ihnengut und nützlich scheint! Und doch thust Du's gewissermassenallemal, wenn Du darüber Klage führst,dass sie unrecht handeln. Denn auch dabei sind siedoch stets um das bemüht, was ihnen gut und nützlichist. Du sagst, es sei nicht so, es sei nicht das wahrhaftNützliche. Darum belehre sie und zeige es ihnen,ohne darüber zu klagen.25.Der Tod ist das Ausruhen von den Widersprüchender sinnlichen Wahrnehmungen, von den Regungenunserer Leidenschaften, von den Entwicklungen unseresGeistes und von dem Dienst des Fleisches.


26.Du begehst eine Schändlichkeit, so oft in DeinemLeben der Leib Dir nicht den Dienst versagt, woDeine Seele Dir ihn längst nicht mehr leisten kann.27.Nimm Dich vor dem Kaiserwerden in Acht, es liegtetwas Ansteckendes in dieser Hofluft. Bewahre DeineEinfalt, Tugend, Reinheit, Würde, Deine Natürlichkeit,Gottesfurcht, Deine Gerechtigkeitsliebe, DeineLiebe und Güte und Deinen Eifer in Erfüllung derPflicht. Ringe danach, dass Du bleibst, wie Dich diePhilosophie haben will. Ehre die Götter und sorge fürdas Heil der Menschen! Das Leben ist kurz. Dass esDir eine Frucht nicht schuldig bleibe: die heilige Gesinnung,aus der die Werke für das Wohl der Andernfliessen! Drum sei in allen Stücken ein Schüler DeinesVorgängers Antonin! so beharrlich und fest wie erim Gehorsam gegen die Gebote der Vernunft, sogleichmüthig in allen afDingen, so ehrwürdig und heiterund warm, auch im Aeusseren, so freundlich, sofern von jeder Ruhmbegier und doch so eifrig Alles zubegreifen und in sich zu verarbeiten! Unterliess er


doch Nichts, wovon er sich nicht zuvor gründlichüberzeugt hatte, dass es unthunlich sei; ertrug er dochgeduldig Alle, die in ungerechter Weise tadelten, ohnesie wieder zu tadeln. Nichtsbetrieb er auf eilfertigeManier, und niemals fanden Verleumdungen bei ihmGehör. Wie selbstständig war sein Urtheil über dieSitten und Handlungen seiner Umgebung! Darum warer auch gänzlich fern von Schmähsucht oder vonAengstlichkeit, von Misstrauen oder von der Sucht,Andere zu meistern. Wie wenig Bedürfnisse er hatte,konnte man sehen an seiner Art zu wohnen, zu schlafen,sich zu kleiden, zu speisen und sich bedienen zulassen. Und wie geduldig war er und langmüthig!Seine freundschaftlichen Verbindungen hielt er fest;er konnte die gut leiden, die seinen Ansichten offenwidersprachen, und sich freuen über Jeden, der ihmdas Bessere zeigte. Dabei hat er die Götter geehrt,ohne in Aberglauben zu verfallen. Und so nimm ihnDir zum steten Vorbild, damit Du so wie er dem Todemit gutem Gewissen entgegen gehen kannst.


28.Besinne Dich, komm' wieder zu Dir. Wie Du beimAufwachen gesehen, dass es Träume waren, was Dichbeunruhigt hat: siehe auch das, was Dir im Wachenbegegnet, nicht anders an!29.Für den Leib des Menschen ist Alles indifferent,d.h. eine unterschiedslose Masse, denn er hat die Fähigkeitzu unterscheiden nicht. Aber auch für dieSeele ist Alles indifferent, was nicht ihre eigene Thätigkeitist. Alles aber, was eine Function der Seele ist,hängt auch lediglich von ihr ab, vorausgesetzt, dasssie sich auf etwas Gegenwärtiges bezieht. Denn wassie zu thun haben wird oder gethan hat, ist auch keinGegenstand für sie.


30.Keine Arbeit für meine Hände oder meine Füsse istwidernatürlich, so lange sie nur in den Bereich dessenfällt, was Hände und Füsse zu thun haben. Ebensogiebt es für den Menschen als solchen keine Anstrengung,die man unnatürlich nennen könnte, sobald derMensch dabei thut, was menschlich ist. Ist sie abernichts Unnatürliches, dann gewiss auch nichts Uebles.31.Was sind's für Freuden, die der Ehebrecher, Räuber,Mörder, der Tyrann empfindet?32.Siehst Du nicht, wie der gewöhnliche Künstler sichzwar dem Geschmack des Publicums zu accommodirenweiss, doch aber an den Vorschriften seinerKunst fest hält und ihren Regeln zu genügen strebt?Und ist es nicht schlimm, wenn Leute wie der Architekt,der Arzt das Gesetz ihrer Kunst besser im Augebehalten, als der Mensch das Gesetz seines Lebens,


das er gemein hat mit den Göttern?!33.Was ist Asien und Europa? ein Paar kleine Stückchender Welt. Was ist das ganze Meer? ein Tropfender Welt. Und der Athos? eine Weltscholle. Alles istklein, veränderlich, verschwindend. Aber Alleskommt und geht hervor oder folgt aus jenem allwaltendenGeiste. Und das Schädliche und Giftige ist nurein Anhängsel des Wohlthätigen und Schönen. Denkenicht, dass es mit dem, was Du verehrst, Nichts zuschaffen habe; sondern siehe bei Allem nur immer aufdie Quelle!34.Wer sieht, was heute geschieht, hat Alles gesehen,was von Ewigkeit war und in Ewigkeit sein wird.Denn es ist Alles von derselben Art und Gestalt.


35.Alle Dinge stehen unter einander in Verbindungund sind in sofern einander befreundet. Eines folgtdem Andern und bildet mit ihm eine Reihe, durch dieGemeinschaft des Orts oder des Wesens vermittelt.36.Schmiege Dich in die Verhältnisse, die Dir gesetztsind, und liebe die Menschen, liebe sie wahrhaft, mitdenen Du verbunden bist.37.Jedes Werkzeug und Gefäss, wenn es thut, wozu esgemacht wurde, ist es gut, wenn auch der, der es verfertigte,längst fort ist. In der Natur aber tragen alleDinge die sie bildende Kraft in sich und behalten sie,so lange sie selber sind. Und um so ehrwürdiger erscheintdiese Kraft, je mehr Du ihrem Bildungstriebefolgst, d.h. je mehr sich Alles in Dir nach dem Geisterichtet. Denn im Universum richtet sich auch Allesnach dem Geiste.


38.So lange Du Etwas, was keine Sache des Vorsatzesund des freien Willens ist, für gut oder böse hältst, solange kannst Du auch nicht umhin, wenn Dich einUnfall betrifft oder das Glück ausbleibt, die Götter zutadeln oder die Menschen zu hassen als die UrheberDeines Unglücks, als die - vermuthlich wenigstens -Schuld sind, dass Du leidest. Und so verführt uns dieserStandpunkt zu mancher Ungerechtigkeit. Wendenwir dagegen die Begriffe Gut und Böse nur bei denDingen an, die in unserer Macht stehen, so fällt jederGrund weg, Gott anzuklagen und uns feindlich zustellen gegen irgend einen Menschen.39.Wir Alle arbeiten an der Vollendung eines Werkes,die Einen mit Bewusstsein und Verstand, die Anderenunbewusst. Sogar die Schlafenden nennt, wenn ichnicht irre, Heraklit Arbeiter, Mitarbeiter an dem, wasin der Welt geschieht. Aber Jeder auf andere Art. Luxusarbeitist die Arbeit des Tadlers, dessen, der denEreignissen entgegenzutreten wagt und das Gescheheneungeschehen machen will. Denn auch solche


Leute braucht das Universum. Und Du musst wissen,zu welchen Du gehörst. Er, der Alles Verwaltendewird sich Deiner schon auf angemessene Weise bedienenund Dich schon aufnehmen in die Zahl der Mitarbeiterund Gehilfen. Du aber sorge dafür, dass Dunicht bist wie ein schlechter Vers im Gedicht.40.Will denn die Sonne leisten, was der Regen leistet?Will Aeskulap Etwas hervorbringen? Will auch nureiner von den Sternen ganz dasselbe, was der anderewill? Und doch fördern sie alle dasselbe Werk.41.Wenn die Götter überhaupt über mich und überdas, was geschehen soll, rathschlagen, dann ist ihrRath auch ein guter. Denn einmal, einen rathlosenGott kann man sich nicht leicht vorstellen. Und dann,aus welchem Grunde sollten sie mir weh thun wollen?Was könnte dabei für sie oder für das Ganze, dem siebesonders vorstehen, herauskommen? Betreffen ihreBerathungen aber nicht meine besonderen Angelegenheiten,so doch gewiss die allgemeinen der Welt, aus


denen dann auch die meinigen sich ergeben, und dieich willkommen heissen und lieben muss. Kümmernsie sich aber um gar Nichts, was wir jedoch nichtglauben dürfen - und was würde dann aus unsern Opfern,unsern Gebeten, unsern Eidschwüren und ausalle Dem, was wir lediglich in der Voraussetzung zuthun pflegen, dass die Götter da sind und dass sie mituns leben? - aber gesetzt, sie kümmerten sich nichtum meine Angelegenheiten, so liegt es doch mir selbstob, mich darum zu kümmern. Denn dazu habe ichmeine Ueberlegung, dass ich weiss, was mir dienlichist.42.Was Du im Theater und an ähnlichen Orten empfindest,wo sich Deinem Auge ein und dasselbeSchauspiel immer wieder darbietet bis zum Ekel, dashast Du im Leben eigentlich fortwährend zu leiden.Denn Alles, was geschieht, von welcher Seite es auchkommen mag, ist doch immer dasselbe. Wie langewird's nur noch dauern?


43.Willst Du Deine Freude haben, so richte DeinenBlick auf die trefflichen Eigenschaften Deiner Zeitgenossenund siehe, wie der Eine ein so hohes Mass vonThatkraft, der Andere von Schamhaftigkeit besitzt,wie freigebig der Dritte u.s.f. Denn Nichts ist so erquicklichals das Bild von Tugenden, die sich in denSitten der mit uns Lebenden offenbaren und reichlichunserm Blick sich darbieten. Darum halte es Dir nunauch beständig vor Augen!44.Aergert's Dich, dass Du nur so viel Pfund wiegstund nicht mehr? So sei auch nicht ärgerlich darüber,dass Dir nicht länger zu leben bestimmt ist. Denn wieJeder zufrieden ist mit seinem Körpergewicht, so solltenwir Alle auch zufrieden sein mit der uns zugemessenenLebensdauer.


45.Komm, wir wollen versuchen sie zu überreden!Wollen sie nicht, wir thun doch, was das Gesetz derGerechtigkeit gebietet. Hindern sie uns mit Gewalt, sobenutzen wir dieses Hemmniss zur Hebung in einerandern Tugend, im Gleichmuth und in der Seelenruhe.Denn Alles, was wir erstreben, erstreben wir ja nurunter gewissen Voraussetzungen. Halten diese nichtStich - wer wird das Unmögliche wollen? Nur dassunser Streben ein edles war! Denn ein solches trägtseinen Lohn in sich selbst - wie Alles, was wir thun,gehorchend unserer Innersten Natur.<strong>46</strong>.Der Ehrgeizige setzt sein Glück in die Thätigkeiteines Andern, der Vergnügungssüchtige in einen Affektseiner Seele, der Vernünftige in seine Handlungsweise.


47.Du hast es gar nicht nöthig, Dir über diese SacheGedanken zu machen und Deine Seele zu beschweren.Denn eine absolute Nöthigung zum Urtheil liegt niemalsin den Dingen.48.Gewöhne Dich, wenn Du Jemand sprechen hörst,so genau als möglich hinzuhören, und Dich in seineSeele zu versetzen.49.Dem Gelbsüchtigen schmeckt der Honig bitter; dervon einem tollen Hunde Gebissene scheut das Wasser;das Kind kennt nichts Schöneres als seinen Ball.Wie kannst Du zürnen? Verlangst Du, dass der Irrthumweniger Einfluss haben soll als eine krankeGalle, als ein dem Körper eingeflösstes Gift?


50.Niemand kann Dich hindern, dem Gesetze Deinereigensten Natur zu folgen. Was Du im Widerspruchmit der allgemeinen Menschennatur thust, wird Dirnicht gelingen. -


Siebentes Buch1.Deine Lebensmaximen werden stete ihre Gültigkeitfür Dich behalten, so lange Dir die ihnen entsprechendenGrundbegriffe nicht abhanden gekommen sind.Das aber kannst Du verhindern, indem Du dieselbenimmer wieder zu neuem Leben in Dir anfachst undüber das, was nothwendig ist, nicht aufhörst nachzudenken-: wobei Dich Nichts zu stören vermag, weilAlles, was Deinem Gedankenleben äusserlich ist, alssolches keinen Einfluss auf dasselbe hat. Halte Dichalso nur so, dass es Dir äusserlich bleibt! Hast Duaber Deine Lebenshaltung einmal eingebüsst: Dukannst sie wieder gewinnen. Siehe die Dinge wiedergerade so an, wie Du sie angesehen hattest! Darin bestehtalles Wiederaufleben.


2.Das Leben ist freilich weiter Nichts als ein eitlesJagen nach Pomp, als ein Bühnenspiel, wo Züge vonLast- und anderem Vieh erscheinen, oder ein Lanzenrennen,ein Herumbeissen junger Hunde um den hingeworfenenKnochen, ein Geschnappe der Fischenach dem Bissen, die Mühen und Strapazen derAmeisen, das Hin- und Herlaufen unruhig gemachterFliegen, oder ein Guckkasten, wo ein Bild nach demandern abschnurrt: aber mitten in diesem Getreibefestzustehen mit ruhigem und freundlichem Sinn, daseben ist unsere Aufgabe.3.Bei einer Rede gilt es Acht zu haben auf die Worte,bei einer Handlung auf das ihr zu Grunde liegendeMotiv. Dort ist die Frage nach der Bedeutung jedesAusdrucks, hier handelt sich's um den Zweck, der verfolgtwird.


4.Die Frage ist, ob meine Einsicht ausreicht, was ichmir vorgenommen, auszuführen oder nicht. Genügtsie, so brauche ich sie als ein Werkzeug, das dieNatur mir an die Hand gegeben. Reicht sie nicht aus,dann überlasse ich entweder das Werk dem, der esbesser im Stande ist zu vollbringen, wofern dies nichtfür mich geradezu unziemlich ist, oder ich handle sogut ich kann mit Zuziehung dessen, der zur Vollendungeines gemeinnützigen Werkes eben meiner Einsichtals Ergänzung bedarf. Denn Alles, was ich thue,mag ich es nun durch meine eigene Kraft oder mitHilfe eines Andern zu Stande bringen - dem Wohldes Ganzen muss es immer dienen.5.Du hast Dich nicht zu schämen, wenn Du Hilfebrauchst. Thu' nur Dein Mögliches! wie bei der Erstürmungeiner Mauer jeder Soldat eben auch nur seinMöglichstes thun muss! Denn wie, wenn Du - gelähmt- die Brustwehr allein nicht erklimmen kannst,mit Hilfe eines Andern es aber wohl im Stande bist?


6.Lass Dich das Zukünftige nicht anfechten! Duwirst, wenn's nöthig ist, schon hinkommen, getragenvon derselben Geisteskraft, die Dich das Gegenwärtigebeherrschen lässt.7.Aus Allem was ist, resultirt doch nur die eine Welt;in Allem, was ist, lebt nur der eine Gott. Es ist nur einStoff und ein Gesetz, in den vernunftbegabten Wesendie eine Vernunft. Nur eine Wahrheit giebt's und fürdie Wesen derselben Gattung auch nur eine Vollkommenheit.8.Für die vernünftigen Wesen ist eine naturgemässeHandlungsweise auch immer zugleich eine vernunftgemässe.


9.Was in dem einzelnen Organismus die Glieder desLeibes, das sind in dem Gesammt-Organismus dieeinzelnen vernunftbegabten Wesen. Auch sie sindzum Zusammenwirken geschaffen. Sagst Du Dir nurrecht oft: Du seist ein Glied in dem grossen Systemder Geister, so kann ein solcher Gedanke nicht andersals Dich aufs Tiefste berühren. Siehst Du Dich abernur als einen Theil dieses Ganzen an, so liebst Du dieMenschen auch noch nicht von Herzen, so macht Dirdas Gutesthun noch nicht an sich selbst Freude, soübst Du es nur als eine Pflicht, so ist es noch keineWohlthat für Dich selber.10.Der Edelstein spricht: was auch Einer thun odersagen mag, ich muss Edelstein sein und meinen Glanzbewahren. So sprech' auch ich: mag Einer thun undsagen, was er will, ich muss die Tugend bewahren.


11.Die Seele beunruhige und erschrecke sich nicht.Kann's ein Anderer, mag er's thun. Sie selbst für sichsei solchen Regungen unzugänglich. Dass aber derLeib Nichts leide, dafür mag er, wenn er kann, selbstsorgen, und wenn er leidet, mag er's sagen. Doch dieSeele, der eigentliche Sitz der Furcht und jederschmerzlichen Empfindung, kann nicht leiden, wennDu ihr nicht die Meinung, dass sie leide, erst beibringst.Denn an und für sich, und wenn sie sich nichtselbst die Bedürfnisse schafft, ist die Seele bedürfnisslosund deshalb auch, wenn sie sich nicht selbstbeunruhigt, unerschütterlich.12.Das Glück beruht auf der Gesinnung. Das Unglückhat in tausend Fällen Dir die Phantasie nur vorgespiegelt.


13.Wäre es möglich, dass Dir der Wechsel, dem Allesunterworfen ist, Furcht einjage? Was könnte denn geschehen,wenn sich die Dinge nicht veränderten? Wasgiebt es Angemesseneres für die Natur als diese Veränderung?Könntest Du Dich denn nähren, wenn dieSpeisen sich nicht verwandelten? Ueberhaupt hängtvon dieser Eigenschaft der Nutzen jedes Dinges ab.Und siehst Du nun nicht, dass die Veränderung, derDu unterworfen bist, von derselben Art und ebensonothwendig ist für's Universum?14.Das Eine liegt mir am Herzen, dass ich Nichtsthue, was dem Willen der menschlichen Natur zuwiderist, oder was sie in dieser Art oder was sie geradejetzt nicht will.


15.Es ist ein dem Menschen eigenthümlicher Vorzug,dass er auch die liebt, die ihm weh gethan haben. Undes gelingt ihm, wenn er bedenkt, dass Menschen Brüdersind, dass sie aus Unverstand und unfreiwilligfehlen, dass Beide, der Beleidigte und der Beleidigernach kurzer Zeit den Todten angehören werden, undvor Allem: dass eigentlich Niemand ihm schaden, d.h.sein Inneres schlechter machen kann als es vorher gewesen.16.Wie man aus Wachs formt, so formt das Universumaus der Materie die verschiedenen Wesen; jetztdas Ross, dann, wenn dieses zerschmolz, den Baum,bald den Menschen, bald etwas Anderes, und ein Jeglichesnur zu kurzem Bestehen. Aber wie es demSchifflein gleichgültig war, dass man's gezimmert, soauch, dass man es nun wieder auseinander nimmt.


17.Wem das Gewissen ausgegangen, hat keine Ursachezu leben.18.Sobald Dir Jemand weh gethan hat, musst Du sogleichuntersuchen, welche Ansicht über Gut undBöse ihn dazu vermochte. Denn sowie Dir dies klargeworden, wirst Du Mitleid fühlen mit ihm und Dichweder wundern noch erzürnen. Entweder nämlich findestDu, dass Du über das Gute gar keine wesentlichandere Ansicht hast als er; und dann musst Du ihmverzeihen. Oder Du siehst den Unterschied; dann aberist's ja nicht so schwer, freundlich zu bleiben dem,der - sich geirrt hat. -


19.Denke nicht so oft an das, was Dir fehlt, als an das,was Du besitzest. Und wenn Dir bewusst wird, wasdavon das Allerbeste sei, musst Du Dir klar machen,wie Du's gewinnen könntest, im Fall Du es nicht besässest.Je zufriedener Dich aber sein Besitz macht,um so mehr musst Du Dich hüten, es mit einem solchenWohlgefallen zu betrachten, dass Dich sein Verlustbeunruhigen könnte.20.Alles, sagt Jemand, geschieht nach bestimmten Gesetzen,ob Götter sind oder ob aus Atomen Alles entsteht,gleichviel. Genug eben, dass Alles gesetzmässigist.


21.Der Tod ist Zerstreuung oder Auflösung oder Entleerung,ein Auslöschen oder ein Versetzen.22.Der Schmerz - ist er unerträglich, führt er auch denTod herbei; ist er anhaltend, so lässt er sich auch ertragen.Wenn nur die Seele dabei an sich hält, bewahrtsie auch ihre Ruhe und leidet keinen Schaden.Die vom Schmerz getroffenen Glieder mögen dann,wenn sie können, sich selbst darüber aussprechen.23.Plato fragt: Wem hoher Sinn und Einsicht in dieZeiten und in das Wesen der Dinge verliehen ward -glaubst Du, dass der das menschliche Leben für etwasGrosses halten kann? und antwortet: Unmöglich kanner's. Nun, und ebenso unmöglich ist's, dass er denTod für etwas Furchtbares hält.


24.Ein Ausspruch des Antisthenes: Herrlich ist's,durch Gutesthun in schlechten Ruf kommen.25.Schändlich ist's, wenn die Seele nur Macht hat überunsere Mienen, nicht über sich selbst, wenn sie nurjene, nicht aber sich selber umzugestalten vermag.26.»Wie kann Dich denn bald Dies, bald Jenes ärgern,das Dich doch Nichts angeht?«27.»Freude den ewigen Göttern! doch uns auch Freudeverleihe!«


28.»Die Früchte sind zum Pflücken, so das Lebenauch! Hier keimt das Leben, dort der Tod.«29.»Wenn von den Göttern ich einmal verlassen bin,Grund ist auch dafür.« -30.»Was recht und gut, trag' ich mit mir herum.«31.»Mit Andern weinen oder jubeln, nicht geziemt's.«


32.Blicke oft zu den Sternen empor - als wandeltestDu mit ihnen. Solche Gedanken reinigen die Seelevon dem Schmutz des Erdenlebens.33.Schön ist, was Plato gesagt hat, dass, wer vomMenschen reden wolle, das Irdische gleichsam voneinem höheren Standpunkt aus betrachten müsse.34.»Zur Erde muss, was von der Erde stammt;Und zu des Himmels Pforte drängtJegliche Art, die seiner Flur entsprossen - «Was nichts Anderes besagt, als dass sich die ineinanderverschlungenen Atome trennen und die fühllosenElemente sich zerstreuen.


35.»Durch Essen, Trinken und durch andres GaukelwerkSind wir bemüht, den Tod uns fern zu halten.Doch müssen wir den Fahrwind, der von Oben her,Sei's auch zu unserm Leid, hinnehmen ohne Weh.«36.Bei einer Wirksamkeit, die sich nach göttlichemund menschlichem Gesetz vollzieht, ist niemals Gefahr.Nichts hast Du zu befürchten, sobald Deine Thätigkeit,ihr Ziel in aller Ruhe verfolgend, sich nur aufeine Deiner Bildung angemessene Art entfaltet.37.Immer steht es bei Dir, das gegenwärtige Geschickzu segnen, mit denen, die Dir grade nahe stehen, nachRecht und Billigkeit zu verfahren, und die Gedanken,die sich Dir eben darbieten, ruhig durchzudenken,ohne Dich an das Unbegreifliche zu kehren.


38.Siehe stets nur auf den Weg, den Dich die Natur zuführen Willens ist, die allgemeine sowohl wie Deinebesondere. Jene offenbart sich Dir durch dieSchickung, die sie Dir zuerkennt, und diese durch dieRichtung, die sie Deiner Thätigkeit zu geben sucht.39.Lebe so, als solltest Du jetzt scheiden und als wäredie Dir noch vergönnte Zeit ein überflüssiges Geschenk.40.Bei Allem, was Dir widerfährt, stelle Dir diejenigenvor Augen, denen dasselbe widerfahren ist, unddie sich dabei widerwillig, voll eitler Verwunderungoder höchst vorwurfsvoll bewiesen haben. Denn wolltestDu diesen wohl gleichen? oder wolltest Du nichtlieber solche ungehörige Eigenschaften Anderen überlassen,selbst aber nur darauf achten, wie Du DeineErfahrungen zu benutzen habest? Und Du wirst sie


aufs Beste benutzen, sie werden Dir einen herrlichenStoff liefern, wenn Du keine andere Absicht hast, alsDich bei Allem, was Du thust, als edler Mensch zuzeigen, dessen eingedenk, dass alles Andere gleichgültigfür Dich ist, nur nicht, wie Du handelst!41.Blicke in Dein Inneres! Da drinnen ist eine Quelledes Guten, die nimmer aufhört zu sprudeln, wenn Dunur nicht aufhörst nachzugraben.42.Auch der Körper muss eine feste Haltung habenund weder in der Bewegung noch in der Ruhe dieseFestigkeit verleugnen. Denn wie Deine Seele auf DeinemGesicht zu lesen ist und eben darum Deine Mienenzu beherrschen und zu formen weiss, so soll auchder ganze Körper ein Ausdruck der Seele sein. Aberwohlgemerkt! ohne jede Affectation!


43.Dieselbe Kunst, wie in den Kampfspielen, wo mangerüstet sein muss auch auf solche Streiche, die unvorhergesehen,plötzlich kommen, gilt es auch imLeben.44.Kenntest Du die Quellen, aus denen bei so VielenUrtheile und Interessen fliessen, Du würdest nach derMenschen Loh und Zeugniss nicht begierig sein.45.Keine Seele, heisst es irgendwo, kommt anders umdie Wahrheit als wider ihren Willen. Nicht andersalso auch um die Gerechtigkeit und Mässigkeit undGüte, um alle diese Tugenden. - Je mehr man das beherzigt,desto milder wird man gegen Alle.


<strong>46</strong>.So Manches ist dem Schmerze eng verwandt, wasnur mehr auf verborgene Weise lästig wird, z.B.Schläfrigkeit, innere Gluth, Appetitlosigkeit. Drumsage Dir, wenn so Etwas Dich trifft, nur geradezu: Dulittest.47.Du darfst gegen Unmenschen nicht so gesinnt sein,wie die Menschen gegen Menschen gesinnt zu seinpflegen.48.Die Natur hat Dich nicht so dem grossen Teige einverleibt,dass Du Dich nicht eingrenzen und das Deinigeallein aus Dir selbst heraus thun könntest. Dukannst fürwahr ein göttlicher Mensch sein, ohne vonirgend einer Seele gekannt zu werden. Und magst Dudaran verzweifeln, in der und jener Wissenschaft oderKunst jemals Dich auszuzeichnen: ein freier, edler,hilfreicher, gottesfürchtiger Mensch kannst Du immerwerden.


49.Bei Allem, was Dir geschieht, schäle Dein Verstanddas Wesen der Sache heraus aus dem Scheine,der sie so oft entstellt, und der Gebrauch, den Du vonihr machst, beweise wo möglich, dass Du sie gesucht.Denn Alles muss Dir dienen zum Material derUebung in irgend einer göttlichen und menschlichenKunst.50.Den unsterblichen Göttern ist es keine Last, dieganze Ewigkeit hindurch fortwährend eine solcheMasse Nichtswürdiger zu dulden - vorausgesetzt,dass sie sich um sie kümmern. Und Du - Du wolltestungeduldig werden? und bist vielleicht gar selbstEiner von ihnen?


51.Lächerlich ist es, der Schlechtigkeit Anderer ausdem Wege gehen zu wollen, was unmöglich, aber dereigenen nicht, was doch möglich ist.52.Wenn Du ein gutes Werk gethan und dem Anderenwirklich wohl gethan hast, warum dann so gar thöricht,ein Drittes zu begehren, nämlich den Ruhm obsolcher That oder irgend eine Erwiederung?53.Niemand bekommt es überdrüssig, sich Vortheilezu verschaffen. Vortheil verschaffen aber ist eine Thätigkeit,an die wir von Natur gewiesen sind. Darumwerde nie müde, Dir Vortheile zu verschaffen, indemDu selber Vortheil schaffst.


Mag es immerhin Deinen Ehrgeiz herabdrücken,dass Du nicht allezeit, dass Du zumal in Deiner Jugendnicht wie ein Philosoph gelebt hast, sondern vielenAnderen und Dir selbst auch als ein Mensch erschienenbist, der von der Philosophie weit entferntist, so dass es Dir nicht leicht sein dürfte, Dir nochdas Ansehen eines Philosophen zu verschaffen. Einsolcher Strich durch Deine Rechnung ist nur heilsam.Genügen muss es Dir nun, von jetzt an so zu leben,wie es Deine Natur vorschreibt. Achte also darauf,was sie will, und lass Dich durch Nichts davon abbringen.Da hast so Manches versucht, Dich hierhinund dorthin gewendet, aber nirgends Dein Glück gefunden,nicht im Spekuliren, nicht im Reichthum,nicht in der Ehre, nicht in der Sinnenlust, nirgends.Wo ist es denn nun wirklich? Nur im Thun dessen,was die menschliche Natur begehrt. Und wie gelangtman dazu? Dadurch, dass man die Principien festhält,aus denen ein solches Streuen und Handeln mit Notwendigkeithervorgeht, die Grundsätze, dass demMenschen Nichts gut sei, was ihn nicht gerecht, mässig,standhaft und frei macht, und dass Nichts böseAchtes Buch1.


sei, was nicht das Gegentheil von alle dem hervorbringt.2.Bei jeder Handlung frage Dich: wie steht es eigentlichdamit? wird es Dich auch nicht gereuen? Einekurze Zeit nur noch, und Du bist todt und Alles hataufgehört. Wenn aber das, was Du vorhast, einemWesen geziemt, das Vernunft hat, auf die Gemeinschaftangewiesen ist und nach denselben Gesetzenwie die Götter leben soll, was verlangst Du mehr?3.Was sind Alexander, Cäsar, Pompejus gegen Diogenes,Heraklit und Sokrates? Denn diese hatten dieWelt der Dinge erforscht und kannten den Grund unddie Weise ihres Bestehens, und ihre Seelen bliebensich immer gleich. Bei Jenen aber, welche Furcht vorden Dingen und welche Abhängigkeit von ihnen!


4.- Nur fein ruhig und gelassen: sie werden's thunund wenn Du Dich zerrissest!5.In der gesammten Natur liegt die Tendenz sichwohlzuverhalten. Die Natur der vernunftbegabtenWesen ist aber nur dann in ihrem normalen Zustande,wenn sie, was das Gedankenleben betrifft, weder derUnwahrheit, noch dem Unerkannten beifällt, wenn siedie Strebungen der Seele nur auf gemeinnützigeWerke richtet, unseren Neigungen und Abneigungennur solche Gegenstände giebt, die in unserer Machtstehen, und wenn sie Alles billigt, was die gesammteNatur über uns verhängt. Denn sie ist ein Theil dieserAllnatur, wie die Natur des Blattes ein Theil derBaum-Natur, nur dass diese als fühllose und vernunftlosein ihrem Bestehen gehemmt werden kann, währenddie menschliche Natur ein Theil der ungehinderten,vernünftigen und gerechten Natur ist, vor der diezu ihr gehörigen Einzelwesen gleich sind unter einander,indem sie jedem von Zeit und Stoff und Form undFähigkeit so Viel giebt, als seinem Wesen entspricht,


eine Gleichheit, die wir freilich nicht sehen, wenn wirdie Einzelwesen unter einander vergleichen, sondernnur, wenn wir deren Gesammtheit mit der der andernOrdnung zusammenhalten.6.So Manches geziemt sich nicht zu jeder Zeit. Wohlaber geziemt sich's immer, den Stolz zurückzudrängen,Freud' und Leid gering zu achten, über ehrgeizigeGelüste erhaben zu sein, gefühllosen und undankbarenMenschen nicht zu zürnen, ja vielmehrsich ihrer anzunehmen.7.Niemand höre Dich hinfort an, wenn Du das Lebenam Hofe überhaupt oder wenn Du das Deinige tadelst.


8.Die Reue ist eine Selbstanklage darüber, dass mansich einen Vortheil hat entgehen lassen. Das Gutealler ist nothwendig vortheilhaft und somit auch dieSorge des guten und edlen Menschen. Dagegen hatwohl noch nie der edle Mensch darüber Reue gefühlt,dass er sich ein Vergnügen hat entgehen lassen; worausdenn zu entnehmen, dass die Lust nichts Vortheilhaftesund nichts Gutes ist.9.Jeder Gedanke des Menschen hat eine physiologische,eine pathologische und eine dialektische Seite.10.Sobald Du weisst, was für Ansichten und GrundsätzeEiner hat über Gut und Böse, über Lust undSchmerz und über die Wirkungen beider, über Ehreund Schande, Leben und Sterben, kann Dir nichtwunderbar und fremdartig vorkommen, was er thut;Du weisst alsdann: er ist gezwungen, so zu handeln.


Und ferner wenn sich doch kein Mensch darüber wundert,dass der Feigenbaum Feigen trägt, und der Arztnicht, wenn Jemand das Fieber hat, noch der Steuermann,wenn der Wind entgegen steht warum das befremdlichfinden, dass das Universum hervorbringt,was dem Keime nach in ihm liegt? -11.Seine Meinung zu andern, und dem, der sie berichtigt,Gehör zu schenken ist Nichts, was unsere Selbstständigkeitaufhebt. Es ist ja doch auch dann DeinTrieb und Urtheil, Dein Sinn, aus welchem DeineThätigkeit hervorgeht.12.Lag's an Dir, warum hast Du's gethan? War einAnderer Schuld, wem willst Du Vorwürfe machen?Den Atomen oder den Göttern? Beides ist Unsinn. Duhast Niemand Vorwürfe zu machen. Suche den, derSchuld war, eines Besseren zu belehren, oder wenndies nicht möglich, bessere an der Sache selbst. Aberauch, wenn dieses nicht angeht, wozu sollen die Vorwürfe?Man muss eben Nichts ohne Ueberlegung


thun.13.Was stirbt, kommt darum noch nicht aus der Welt.Aber wenn es auch hier bleibt, verändert es sich dochund löst sich auf in seine Grundstoffe, in die Elementeder Welt und in Deine. Und auch diese andern sich -ohne Murren.14.Es ist mit jedem Dinge, seinem Ende, Ursprungeund Bestehen nach nicht anders wie mit einem Balle,den Jemand wirft. Ist's etwas Gutes, wenn er in dieHöhe steigt, oder etwas Schlimmes, wenn er niederfährtund zur Erde fällt? Was ist's für eine Wohlthatfür die Wasserblase, wenn sie zusammenhält, undwas für ein Leid, wenn sie zerplatzt? Und ebenso dasLicht, wenn es brennt und wenn es verlischt?


15.Was Du thust, setze stets in Beziehung auf derMenschen Wohlfahrt; was Dir widerfährt, nimm hinund beziehe es auf die Götter, als auf die Quelle allerDinge, aus der jegliches Geschehen herfliesst.16.Wir müssen in unser Leben Ordnung und Planmässigkeitbringen, und jede unserer Handlungen mussihren bestimmten Zweck haben. Wenn sie den erreicht,ist es gut; und eigentlich kann sie Niemanddaran hindern. Aeussere Hemmnisse können wenigstensNichts thun, um sie minder gerecht, besonnen,überlegt zu machen, und wenn sie sonst Deiner ThätigkeitEtwas in den Weg legen, so bietet sich wohlgerade durch ein Hinderniss, wenn man's nur gelassenaufnimmt und begierig Acht hat auf das, was zu thunübrig bleibt, ein neuer Gegenstand der Thätigkeit unsdar, dessen Behandlung sich in die Lebensordnungfügen lässt von der wir reden.


17.Sei bescheiden, wenn Du empfangen, und frisch beider Hand, wenn Du Etwas weggeben sollst!18.Solltest Du einmal eine abgehauene Hand, einenFuss, einen Kopf, getrennt vom übrigen Körper zusehen bekommen: siehe, das sind Bilder solcher Menschen,die nicht zufrieden sein wollen mit ihremSchicksal, oder deren Handlungsweise blos ihrem eigenenVortheil dient, ein Bild auch Deines Wesens,wie Du manchmal bist. Doch sieh', es steht Dir frei,Dich wieder mit dem grossen Ganzen zu vereinigen,von dem Du Dich geschieden hast. Anderen Gliederndes Universums verstattet die Gottheit nicht, nachdemsie sich abgelöst haben, wieder zusammenzukommen.Aber dem Menschen hat es ihre Güte gewährt. Sielegte es von Haus aus in des Menschen Hand, in demZusammenhang mit dem Ganzen zu verbleiben undwenn er daraus geschieden war, zurückzukehren, aufsNeue mit ihm zu verwachsen und den alten Platz wiedereinzunehmen.


19.Wie die Natur jegliches Hinderniss als solches zubeseitigen, in ihre Nothwendigkeit hereinzuziehenund zu einem Bestandtheil ihrer selbst zu machenweiss, so kann auch das vernunftbegabte Wesen jedeHemmung in seinen eigenen Stoff verwandeln und siebenutzen zur Verwirklichung seines Strebens, woraufdasselbe auch gerichtet sein möge.20.Wenn Du Dein Leben im Ganzen vor Dir hättest,wenn Du sähest, was Dir Alles bevorsteht, welcheUnruhe müsste Dich ergreifen! Aber wenn Du ruhigwartetest, bis es kommt, und bei jedem Einzelnen,wenn es da ist, Dich fragtest, was denn dabei eigentlichnicht zu ertragen sei - Du müsstest Dich DeinerVerzagtheit schämen. Kümmern sollten wir unsimmer nur um das Gegenwärtige, da uns nur dieses,nicht Zukünftiges und nicht Vergangenes, wirklichlästig werden kann. Und gemindert unfehlbar wirddiese Last, wenn wir das Gegenwärtige rein so nehmen,wie es ist, ihm nichts Fremdes hinzudichten unduns selber widerlegen, wenn wir meinen, auch diesnicht einmal ertragen zu können.


21.Eine Tugend, die der Gerechtigkeit entgegengesetztwäre, habe ich in der Natur eines vernünftigen Wesensnicht auffinden können; wohl aber eine, die derLust entgegensteht, die Enthaltsamkeit nämlich.22.Konntest Du Deine Ansicht über das, was Dich zuschmerzen scheint, andern, so würdest Du vollständigin Sicherheit sein. Du, sage ich, nämlich die Vernunft.Aber ich bin nicht die Vernunft, entgegnest Du. Magsein, wenn sich die Vernunft nur eben nicht betrübt.Alles Uebrige, wenn es sich schlecht befindet, magdenken und fühlen, was es will.23.Jede Hemmung des Empfindungslebens sowohl,wie die eines Triebes ist für die animalische Natur einUebel. Anders die Hemmungen und Uebel in demPflanzenleben. Für die geistbegabten Wesen aberkann nur das ein Uebel sein, was das Geisteslebenstört. Hiervon mache die Anwendung auf Dich selbst.


Leid und Freude berühren nur die Sphäre des Empfindens.Eine Hemmung des Triebes kann allerdingsauch schon für die vernünftige Kreatur ein Uebel sein;allein nur dann, wenn es ein absoluter Trieb ist. Dannaber, wenn Da so nur das Universelle in's Auge fassest,was sollte Dir schaden und was Dich hindernkönnen? Denn in die dem Geiste eigenthümlicheSphäre kann nichts Anderes störend eingreifen, nichtFeuer, nicht Eisen, kein Despot, keine Lästerung,Nichts, was nicht vom Geiste selber herrührt. Solange eine Kugel besteht, so lange bleibt sie eben -rund nach allen Seiten.24.Habe ich noch niemals einen Andern absichtlichbetrübt, so ziemt es mir auch nicht, mich selber zu betrüben.


25.Mögen Andere ihre Freude haben, woran sie wollen;meine Freude ist, wenn ich eine gesunde Seelehabe, ein Herz, das keinem Menschen zürnt, nichtsMenschliches sich fern hält, sondern' Alles mitfreundlichem Blick ansieht und aufnimmt, und Jedembegegnet, wie's ihm gebührt.26.Nimm mich und versetze mich, wohin Du willst!Bringe ich doch überall den Genius mit, der mir günstigist, den Geist, der seine Aufgabe darin erkennt,sich so zu verhalten und so zu wirken, wie es seineBildung verlangt. Und welche äussere Lebensstellungwäre es werth, dass um ihretwillen meine Seele sichschlecht befinde und herabgedrückt oder gewaltsamerregt, gebunden oder bestürzt gemacht ihres Werthesverlustig ginge? Was kannst Du finden, das solcherOpfer werth wäre?


27.Wenn in Deiner Gemüthsverfassung Etwas ist, wasDich bekümmert, wer hindert Dich den leitenden Gedanken,der die Störung verursacht, zu berichtigen?Ebenso wenn es Dir leid ist, das nicht gethan zuhaben, was Dir als das einzig Richtige erscheint,warum thust Du es nicht lieber noch, sondern giebstDich dem Schmerz darüber hin? Du vermagst esnicht, ein Hinderniss, stärker als dass Du's beseitigenkönntest, hält Dich ab? Nun so wehre der Traurigkeitnur um so mehr: der Grund, warum Du's unterliessest,liegt ja dann nicht in Dir! Aber freilich, wenn man sonicht handeln kann, ist's nicht werth zu leben. Unddarum scheide Du aus dem Leben mit frohem Mutheund - da Du ja auch sterben müsstest, wenn Du sogehandelt - freundlichen Sinnes gegen die, die Dichgehindert!


28.Die Seele des Menschen ist unangreifbar, wenn siein sich gesammelt daran sich genügen lässt, dass sieNichts thut, was sie nicht will, auch wenn sie sicheinmal unvernünftiger Weise widersetzen sollte, amMeisten aber wenn sie jederzeit mit Vernunft zuWerke geht. Darum, sage ich, ist die leidenschaftsloseSeele eine wahre Burg und Festung. Denn der Menschhat keine stärkere Schutzwehr. Hat er sich hier geborgen,kann ihn Nichts gefangen nehmen. Wer diesnicht einsieht, ist unverständig; wer es aber einsiehtund dennoch seine Zuflucht dort nicht sucht, unglücklich.29.Zu dem, was Dich ein erster scharfer Blick gelehrt,thue dann weiter Nichts hinzu. Du hast erfahren, Derund Jener rede schlecht von Dir. Nun gut. Aber, dassDu gekränkt seist, das hast Du nicht gehört. Dusiehst, Dein Kind ist krank. Nun gut. Aber dass es inGefahr schwebe, das siehst Du nicht. Und so lasse esimmer bei dem Ersten bewenden, und thue Nichts ausDeinem Innern hinzu, so wird Dir auch Nichts


geschehen. Hast Du aber dennoch Deine weiteren Gedankendabei, so beweise Dich hierin gerade als einMensch, der, was im Leben zu geschehen pflegt,durchschaut hat.30.»Hier diese Gurke ist bitter.« Lege sie weg! »Hierist ein Dornstrauch.« Geh ihm aus dem Wege! Weiterist darüber Nichts zu sagen. Wolltest Du fortfahrenund fragen: aber wozu in aller Welt ist solches Zeug?so würde Dich der Naturforscher gründlich auslachen,ebenso wie Dich der Tischler und der Schuster auslachenwürde, wenn Du's ihnen zum Vorwurf machtest,dass in ihren Werkstätten Späne und Ueberbleibselaller Art herumliegen. Mit dem Unterschiede, dassdiese Leute einen Ort haben, wohin sie diese Dingewerfen, die Natur aber hat Nichts draussen. Sonderndas Bewunderungswürdige ihrer Kunst besteht ebendarin, dass sie, die sich lediglich selber begrenzt,Alles, was in ihr zu verderben, alt und unnütz zu werdendroht, so in sich hinein verwandelt, dass sie darauswieder anderes Neue macht, dass sie keines Stoffesausser ihr bedarf und das faul Gewordene nichthinauszuwerfen braucht. Sie hat an ihrem eigenenRaume, an ihrem eigenen Material und an ihrer


eigenen Kunst völlig genug.31.Hört denn die reine süsse Quelle auf, rein und süsszu quellen, wenn Einer, der dabei steht, sie verwünscht?Und wenn er Schmutz und Schlamm hineinwürfe,würde sie's nicht sofort ausscheiden und hinwegspülen,um rein zu bleiben wie zuvor? Du auchbist im Besitz einer solchen ewig reinen Quelle, wennDu die Seele frei, liebevoll, einfältig, ehrfurchtsvollDir zu bewahren weisst.32.Wer nicht weiss, was die Welt ist, weiss nicht, woer lebt. Aber nur, der da weiss, wozu er da ist, weiss,was die Welt ist.


33.Wie oft strebst Du danach, einem Menschen zu gefallen,der sich selber nicht gefällt? Oder kann sichder gefallen, der fast Alles, was er thut, bereut?34.Hinfort verkehre Du nicht blos mit der Dich umgebendenLuft, sondern ebenso auch mit dem Alles umgebendenGeiste! Denn der Geist ergiesst und vertheiltsich nicht minder überall dahin, wo Jemand ist,der ihn einzusaugen vermag, als die Luft dahin, woman sie athmen kann.35.Im Allgemeinen schadet das Böse der Welt nicht,und im einzelnen Falle schadet es nur dem, dem esvergönnt ist, sich frei davon zu machen, sobald er nurwill.


36.Nach meinem Dafürhalten ist die Ansicht, die meinNächster hat, etwas ebenso Gleichgültiges für michals sein ganzes geistiges und leibliches Wesen. Dennwenn es auch durchaus das Richtige ist, dass wirEiner um des Andern willen da sind, so ist doch jedeunserer Seelen etwas Selbstständiges für sich. Wäredies nicht, so müsste ja auch die Schlechtigkeit meinesNebenmenschen mein Verderben sein, was dochder Gottheit nicht gefallen hat, so einzurichten, damitmein Unglück nicht von Andern abhängig sei.37.Die Sonnenstrahlen scheinen von der Sonne herzufliessen,und wiewohl sie sich überall hin ergiessen,werden sie doch nicht ausgegossen. Denn diesesFliessen und Giessen ist Nichts als Ausdehnung.Recht deutlich kann man sehen, was der Strahl sei,wenn die Sonne durch eine enge Oeffnung in einendunkeln Raum scheint. Ihr Strahl fällt in geraderRichtung und wird, nachdem er die Luft durchschnittenhat, an dem gegenüber stehenden Körper gleichsamgebrochen. Doch bleibt er an ihm haften und


löscht nicht aus. Ebenso müssen nun die Ausstrahlungender Seele sein, kein Ausgiessen, sondern ein sichAusdehnen, kein heftiges und stürmisches Aufprallenauf die sich entgegenstellenden Objecte, aber auchkein Herabgleiten von ihnen, sondern ein Beharrenund Erleuchten alles dessen, was ihrer Strömung begegnet,und so, als beraube jegliches Ding sich selbstihres Glanzes, wenn es ihn nicht empfängt.38.Wer sich vor dem Tode fürchtet, fürchtet sich entwedervor dem Erlöschen jeglicher Empfindung, odervor einem Wechsel des Empfindens. Aber wenn mangar Nichts mehr fühlt, ist auch ein Schmerz nichtmehr möglich. Erhalten wir aber ein anderes Fühlen,so werden wir andere Wesen, hören also auch nichtauf zu leben.


39.Die Menschen sind für einander geboren. So lehreoder dulde, die's nicht wissen.40.Anders ist der Flug des Geschosses und anders der,den der Geist nimmt. Und doch bewegt sich der Geist,wenn er Bedacht nimmt, oder wenn er überlegt, nichtweniger in grader Richtung und dem Ziel entgegen.41.Suche einzudringen in jedes Menschen Inneres,aber verstatte es auch Jedermann in Deine Seele einzudringen!


Wer unrecht handelt, handelt gottlos. Denn dieNatur hat die vernünftigen Wesen für einander geschaffen,nicht dass sie einander schaden, sondernnach Würdigkeit einander nützen sollen. Wer ihrGebot übertritt, frevelt demnach offenbar wider dieälteste der Gottheiten. Auch der mit Lügen umgeht,ist gottlos. Denn die Natur ist das Reich des Seienden.Alles aber, was ist, stimmt als solches übereinmit seinem Grunde. Und diese Uebereinstimmungnennt man Wahrheit. Auf ihr basirt Alles, was manwahr nennt im einzelnen Falle. Der Lügner also handeltgottlos, weil, ist er's absichtlich, er Andere betrügtund somit unrecht handelt; ist er's unwillkürlich,weil er nicht mit der Natur im Einklang ist, weil er dieOrdnung stört, indem er ankämpft gegen das Ganze.Denn im Kampf ist Jeder, der sich wider die Wahrheitbestimmt, weil er von Natur für sie bestimmt ward.Wer aber dies ausser Acht lässt, ist schon so weit,Wahrheit und Lüge nicht unterscheiden zu können.Endlich handelt auch der gottlos, der dem Vergnügennachgeht als einem Gute und vor dem Schmerz alseinem Uebel flieht, da ein Solcher nothwendig oft inNeuntes Buch1.


den Fall kommt, die Natur zu tadeln, als theile sie denGuten und den Schlechten ihre Gaben nicht nach verdienstaus. Denn wie oft gemessen böse MenschenGlück und Freude, und haben, was ihnen Freudeschaffen kann, während die Guten dem Leid anheimfallenund dem, was Leiden schafft. Ferner wird, wersich vor dem Schmerze fürchtet, auch nicht ohneFurcht in die Zukunft blicken können, was schon gottlosist, während der, der nach Lust strebt, sich kaumdes Unrechts wird enthalten können, was offenbargottlos ist. Und jedenfalls muss doch wer in Uebereinstimmungmit der Natur leben und ihr folgen will,gleichgültig gegen das sein, wogegen sich die Naturgleichgültig verhält, das aber thut sie gegen Lust undSchmerz, gegen Tod und Leben, Ehre und Schande.Wer also alles dies nicht gleichgültig ansieht, ist offenbargottlos.2.Besser wär's, wenn man die Welt verlassen könnte,ehe man all' die Lüge und Heuchelei, den Prunk undStolz geschmeckt. Hat man nun aber diese Dinge einmalschmecken müssen, so ist's doch wohl der günstigereFall, dann bald die Seele auszuhauchen, als mittenin dem Elend sitzen zu bleiben? Oder hat Dich die


Erfahrung nicht gelehrt, die Pest zu fliehen? und welchePest ist schlimmer, die Verdorbenheit der uns umgebendenLuft, die Pest, die nur die animalische Naturals solche trifft, oder die Verderbniss der Seele, dieeigentliche Menschenpest?3.Denke nicht gering vom Sterben, sondern lass esDir Wohlgefallen wie eines der Dinge, in denen sichder Wille der Natur ausspricht. Denn von derselbenArt wie das Kindsein und das Altsein, das Wachsenund Mannbar-werden oder das Zahnen und bärtigwerden und graues Haar bekommen oder das Zeugenund Gebären und alle diese Thätigkeiten der Natur,wie sie die verschiedenen Zeiten des Lebens mit sichbringen, ist auch das Sterben. Daher ist es die Sacheeines verständigen Menschen, weder mit Gleichgültigkeitnoch mit heftiger Gemüthsbewegung noch inübermüthiger Weise an den Tod zu denken, sondernauf ihn zu blicken eben wie auf eine jener Naturfunktionen.Und wie Du des Augenblickes harrst, wo dasKindlein der Mutter Schooss verlassen haben wird, soerwarte auch die Stunde, da Deine Seele dieser Hülleentweichen wird. - Eindringlich ist auch jene gewöhnlicheRegel, die man giebt, um Jemand zur


Zufriedenheit mit dem Loose der Sterblichkeit zustimmen: einmal, sieh Dir die Dinge genau an, vondenen Du Dich trennen musst, und dann in ethischerBeziehung, welch' ein Elend, womit Du einst nichtmehr verflochten sein wirst! Zwar ist es keineswegsnöthig, sich daran zu stossen, Pflicht ist es vielmehres zu lindern oder ruhig zu ertragen, allein man darfdoch daran denken, dass es nicht eine Trennung giltvon gleichgesinnten Menschen. Denn dies wäre dasEinzige, was uns rückwärts ziehen und an das Lebenfesseln könnte, wenn es uns vergönnt wäre, mit Menschenzusammen zu leben, die von denselben Grundsätzenund Ideen beseelt sind wie wir. Nun aberweisst Du ja, welches Leiden der Zwiespalt ist, derunter den Menschen herrscht, und kannst nicht andersals den Tod anflehen, dass er eilig kommen möge,damit Du nicht auch noch mit Dir selbst in Zwiespaltgerathest.Wer unrecht handelt, schadet sich selbst.4.


5.Oft thut auch der Unrecht, der Nichts thut, nichtblos, der Etwas thut.6.Wenn Du gesundes Urtheil hast, und die Gewohnheitfür Andere zu handeln, und ein Gemüth, das mitden äusseren Verhältnissen zufrieden ist, so hast Dugenug.7.Wie es nur eine Erde giebt für alles Irdische, einLicht für Alles, was sehen, und eine Luft für Alles,was athmen kann, so ist es auch nur ein Geist, derunter sämmtliche Vernunftwesen vertheilt ist.


8.Alle Dinge von derselben Art streben zu einanderals zu dem Gleichartigen hin. Alles, was von Erde ist,gleitet zur Erde, alles Flüssige läuft zusammen, undso auch das Luftige, so dass es der Gewalt bedarf, umsolche Dinge auseinander zu halten. Das Feuer hatzwar seinen Zug nach Oben, vermöge des Elementarfeuers,aber auch da erfasst es alles ihm Aehnlicheund bringt die trockeneren Stoffe zum Brennen, ebenweil diesen weniger von dem beigemischt ist, wasdem Entflammen hinderlich. Ebenso nun und nochmehr strebt auch Alles, was der vernünftigen Naturangehört, zu einander hin. Denn je edler es ist als dasUebrige, um so bereiter ist es auch, sich dem Verwandtenzu einen und mit ihm zusammenzugehen.Schon auf der Stufe der vernunftlosen Wesen findensich Schaaren und Heerden, findet sich das Auffütternder Jungen, eine Art von Liebe. Denn schon hier istSeele und jener Gemeinschaftstrieb in höherer Weise,als er in der Pflanzenwelt und im Gestein sich findet.Bei den Vernunftbegabten nun kommt es zu Staaten,Freundschaften, Familien, Genossenschaften, und inden Kriegen selbst zu Bündnissen und Waffenstillständen.Und wenn wir zu den noch höheren Wesenfortschreiten, mögen sie auch um Unendlichkeiten


auseinander sein: auch da ist Einheit, wie bei denSternen; so dass, je höher wir kommen, desto entschiedenerdie Sympathie sich auch auf die Entferntestenerstreckt. Aber was geschieht? Die vernünftigenWesen allein sind es, die dieses Zu-einander-strebens,dieses Zusammenhaltens nicht eingedenk bleiben, undhier allein vermag man jenes Zusammenfliessen nichtwahrzunehmen! Und dennoch -: mögen sie sich immerhinfliehen, sie umschliessen sich doch. Die Naturzwingt sie. Man sehe nur genau! Eher findest Du Irdenes,das an nichts Irdenem hängt, als einen Menschenvom Menschen abgelöst.9.Frucht bringen Mensch und Gott und Welt, einJegliches zu seiner Zeit, in anderer Weise freilich alsder Weinstock und dergl. Auch die Vernunft hat ihreFrucht, von allgemeiner und von individueller Art.Und was aus ihr hervorgeht, ist eben immer wieder -Vernunft.


10.Heut, sprichst Du, bin ich aller meiner Plage entronnen.Sag lieber; heut hab' ich all' meine Plage abgeworfen.Denn in Dir, in Deiner Vorstellung war sie,nicht ausser Dir.11.Gut und Böse, Tugend und Laster ruhen bei vernunftbegabtenWesen nicht auf einem Zustande, sondernauf einer Thätigkeit.12.Das Aufhören der Thätigkeit, Stillstehen der Triebeund der Vorstellungen - der Tod - ist kein Uebel.Denn wie ist es mit den verschiedenen Stufen des Lebens,mit der Kindheit, der Jugend, dem Mannes- undGreisenalter? ist nicht ihr Wechsel - Tod? und ist dasetwas Schlimmes? Nicht anders der Wechsel der Zeiten.Die Zeiten der Vorväter hören auf mit dem Zeitalterder Väter u.s.f. Ist bei allen diesen Veränderungenetwas Schlimmes? So denn auch nicht, wenn Dein


Leben wechselt, still steht und aufhört.13.So wie Deine ganze Persönlichkeit der integrirendeTheil eines politischen Organismus ist, so soll auchjede Deiner Handlungen das gemeinschaftliche Handelndieses Organismus ergänzen. Thut sie dies nicht,ist sie mehr oder weniger dieser Tendenz fern, so zerstückeltsie Dein Leben, hindert seine Harmonie, istaufrührerisch wie ein Mensch, der im Volke seinePartei dem. Zusammenwirken mit den andern entfremdet.14.Du hast unendlich gelitten lediglich deshalb, weilDeine Seele sich nicht begnügte zu thun, wozu sie gemachtist.


15.Wenn Jemand Dich tadelt oder hasst oder Schlechtesvon Dir redet, so gehe heran an seine Seele, dringeein, und siehe, was es eigentlich für ein Mensch sei.Du wirst finden, dass Du Dich nicht zu beunruhigenbrauchst, was er auch von Dir denken mag. Du musstihm jedenfalls wohlgesinnt bleiben, da er von NaturDein Freund ist, und da ihm sicherlich auch die Götterhelfen, wie Dir, in all' den Dingen, um die sieSorge tragen.16.Alles in der Welt dreht sich im Kreise, von Obennach Unten, von Ewigkeit zu Ewigkeit. Und dochauch in jedes Einzelwesen dringt die Seele des Alls.Ist dies, so nimm, was sie hervortreibt, mag sie nuneinmal nur sich schöpferisch bewiesen haben, so dassnun Eins aus dem Andern mit Nothwendigkeit folgtund Alles eigentlich nur Eines ist, oder mag Alles atomengleichentstehen und bestehen. Gleichviel. Denngiebt es einen Gott, so stellt Alles gut; ist aber Allesnur von Ungefähr, darfst Du doch nicht von Ungefährsein!


17.Einem reissenden Strome gleicht die Welt: Allesführt sie dahin. Wie nichtig die Thaten des Menschen,die er politisch oder philosophisch nennt, wie eitelSchaum! Aber was nun, lieber Mensch? Thue, wasdie Natur gerade jetzt von Dir fordert. Strebe, wennDir ein Gegenstand des Strebens gegeben wird, undblicke nicht um Dich ob's Einer sieht. Auch bilde Dirden Platonischen. Staat nicht ein, sondern sei zufrieden,wenn es nur ein klein Wenig vorwärts geht undhalte solchen kleinen Fortschritt nicht gering. Dennwer wird ihre Gesinnung andern? Ohne eine solcheAenderung der Gesinnung aber, was würde Anderesdaraus entstehen, als ein Knechtsdienst unter Seufzen,ein Gehorsam Solcher, die sich stellen, als wären sieüberzeugt. Die Alexander, Philippus, Demetrius Phalereusmögen zusehen, ob sie erkannt, was die Naturwill, und ob sie sich selbst in Zucht gehalten haben.Waren es aber Schauspieler, wird mich doch Niemanddazu verdammen, sie nachzuahmen. Einfalt undWürde kennzeichnen das Geschäft der Philosophie.Verführe Du mich nicht zur Aufgeblasenheit!


18.Ein unerschütterliches Herz den Dingen gegenüber,die von Aussen kommen, ein rechtschaffenes indenen, die von Dir abhängen!19.Wie ihr Inneres beschaffen, welche Interessen sieverfolgen, um welcher Dinge willen sie Lieb' undAchtung zollen, das suche zu erforschen, mit einemWort: die nackten Seelen! - Wenn man glaubt durchTadel Schaden und durch Lob Nutzen zu stiften,welch' ein Glaube!20.Verlust ist nichts Anderes als Veränderung, die dieNatur so liebt, wie wir wissen, - sie, die doch Allesrichtig macht. Oder wolltest Du sagen, Alles, was geschehensei oder geschehen werde, sei schlecht? Abersollte sich dann unter so vielen Göttern nicht wenigstenseine Macht finden, die es wieder zurecht brächte?und die Welt sollte verdammt sein, in den Banden


unaufhörlicher Uebel zu liegen?21.Entweder die Götter vermögen Nichts, oder siehaben Macht. Können sie Nichts, was betest Du?Haben sie aber Macht, warum bittest Du sie nicht lieberdarum, dass sie Dir geben, Nichte zu fürchten,Nichts zu begehren, Dich über Nichts zu betrüben, alsdarum, dass sie Dich vor solchen Dingen, die Dufürchtest, bewahren oder solche, die Du möchtest, Dirgewähren? Denn wenn sie den Menschen überhaupthelfen können, so können sie ihnen doch auch dazuverhelfen. Aber vielleicht entgegnest Du, das hättendie Götter in Deine Macht gestellt. Nun, ist es dennda nicht besser, was in unserer Macht steht, mit Freiheitzu gebrauchen, als mit knechtischem gemeinemSinn dahin zu langen, was nicht in unserer Machtsteht? Wer aber hat Dir gesagt, dass die Götter uns inden Dingen, die in unserer Hand liegen, nicht beistehen?Fange nur an, um solche Dinge zu bitten, dannwirst Du ja sehen! Der bittet, wie er möchte frei werdenvon einer Last; Du bitte, wie Du's nicht nöthighaben möchtest, davon befreit zu werden. Jener, dassihm sein Kind erhalten werden möge; Du, dass Dunicht fürchten mögest, es zu verlieren u.s.f. Mit einem


Wort, gieb allen Deinen Gebeten eine solche Richtung,und siehe, was geschehen wird.22.Epikur erzählt: in meinen Krankheiten erinnere ichmich nie eines Gesprächs über die Leiden des Menschen;nie sprach ich mit denen, die mich besuchten,über dieses Thema. Sondern ich arbeitete weiter, übernaturhistorische Gegenstände im Allgemeinen und besondersdarüber nachdenkend, wie die Seele, trotzdem,dass sie an den Bewegungen im. Körper Theilhat, ruhig bleiben und das ihr eigenthümliche Gut bewahrenmöge. Auch gab ich den Aerzten niemals Gelegenheit,sich meinetwegen zu rühmen, als hätten sieEtwas ausgerichtet, sondern lebte nachher nicht angenehmerund besser wie vorher. So halte es auch Du, inKrankheiten nicht blos, sondern in jeder Widerwärtigkeit.Den Grundsatz haben alle Philosophenschulen,gerade unter misslichen Verhältnissen der Philosophiesich treu zu zeigen, mit Leuten, die dem wissenschaftlichenDenken fern stehen, lieber nicht zu schwatzenund seine Gedanken lediglich auf das jedesmal zuThuende und auf die Mittel zur Ausführung dessen,was uns obliegt, zu richten.


23.So oft Dir Jemand mit seiner Unverschämtheit zunahe tritt, lege Dir die Frage vor, ob es nicht Unverschämtein der Welt geben müsse? Denn das Unmöglichewirst Du doch nicht verlangen. Und dieses istnun eben einer von den Unverschämten, die in derWelt existiren müssen. Dasselbe gilt von den Schlauköpfen,von den Treulosen, von jedem Lasterhaften.Und sobald Dir dieser Gedanke geläufig wird, dass esunmöglich ist, dass solche Leute nicht existiren,siehst Du Dich auch sofort freundlicher gegen sie gestimmt.Ebenso frommt es, daran zu denken, welcheTugend die Natur jeder dieser bösen Richtungen gegenüberdem Menschen verliehen hat. So gab sie z.B.der Lieblosigkeit gegenüber, gleichsam als Gegengiftdie Sanftmuth. Ueberhaupt aber steht Dir frei, den Irrendeneines Bessere? zu überführen. Und ein Irrenderist jeder Böse: er führt sich durch sein Unrecht selbstvom vorgesteckten Ziele ab. Was aber schadet Dir's?Kann er Etwas wider Deine Seele? - Und was istdenn Uebles oder Fremdartiges dran, wenn ein zuchtloserMensch thut, was eben eines solchen Menschenist? Eher hättest Du Dir selbst darüber Vorwürfe zumachen,dass Du nicht erwartet hast, er werde Solchesthun. Deine Vernunft giebt Dir doch Anlass genug zu


dem Gedanken, dass es wahrscheinlich sei, er werdesich auf diese Weise vergehen, und nun, weil Du nichthörst auf das, was sie Dir sagt, wunderst Du Dich,dass er sich vergangen hat! Jedesmal also, wenn DuJemand der Treulosigkeit oder der Undankbarkeit beschuldigst,richte den Blick in Dein eigenes Innere.Denn offenbar ist es doch Dein Fehler, wenn Dueinem Menschen von solchem Charakter Dein Vertrauenschenktest oder wenn Du ihm eine Wohlthaterwiesest mit allerlei Nebenabsichten und ohne denLohn Deiner Handlungsweise nur in ihr selbst zu suchen.Was willst Du denn noch weiter, wenn Dueinem Menschen wohlgethan? Ist's nicht genug, dassDu Deiner Natur entsprechend gehandelt? strebst Dunach einer besonderen Belohnung? Als ob das AugeBezahlung forderte dafür, dass es sieht, und die Füssedafür, dass sie schreiten! Und wie Aug' und Fuss dazugeschaffen sind, dass sie das Ihrige haben in der Erfüllungihrer natürlichen Functionen, so hat auch derMensch, zum Wohlthun geschaffen, so oft er ein gutesWerk gethan und Anderen irgendwie ausserlich beistand,eben nur gethan, wozu er bestimmt ist, und hatdarin das Seinige.


Wirst Du denn, liebe Seele, wohl einmal gut undlauter und einig mit Dir selbst und ohne fremde Umhüllungund durchsichtiger sein, als der Dich umgebendeLeib? Theilhaftig werden eines liebenswürdigenund liebenden Charakters? Wirst Du einmal befriedigtund bedürfnisslos sein, nach Nichts Dich sehnend,Nichts begehrend, weder Geistiges noch Ungeistiges,um daran eben nur Genuss zu haben? wederMehr an Zeit, noch Mehr an Raum oder Gelegenheit,um den Genuss weiter auszudehnen? weder eine günstigereTemperatur der Luft, noch eine ansprechenderein Deiner menschlichen Umgebung? vielmehr zufriedensein mit eben der Lage, in der Du Dich befindest,Dich überhaupt des Vorhandenen erfreuen und Dichüberzeugen, dass Dir Alles zu Gebote steht, dass sichAlles wohl verhält, und dass es von den Götternkommt, sich also wohlverhalten muss, sofern es ihnenselbst wohlgefällig ist und sofern sie's ja nur gebenmit Rücksicht auf die Seligkeit des vollkommenstenWesens, des guten und gerechten, und schönen, jenesWesens, das alles Dasjenige erzeugt und zusammenhältund umgiebt und in sich fasst, was, wenn es sichZehntes Buch1.


auflöst, der Grund zur Entstehung eines Anderen vonähnlicher Beschaffenheit wird? Wirst Du mit einemWorte wohl einmal eine solche sein, die mit Götternund Menschen so verkehrt, dass Du weder an ihnenEtwas auszusetzen hast, noch dass sie Dich beschuldigenkönnen? -2.Nachdem Du erforscht, was Deine Natur fordert,was rein nur ihrem Gebot entspricht, so führe dasselbenun auch aus oder lass es zu, sofern dadurch dasAnimalische an Dir nicht schlechter wird. Dann frageDich, was eben dieser Seite Deines Wesens entsprichtund vergönne es Dir, sofern dadurch das Vernünftigean Dir nicht leidet - das Vernünftige, das immer zugleichauch ein Geselliges ist. Und wenn Du diesenGrundsätzen folgst, bedarf es keines anderen Bestrebens.


3.Wenn Dir begegnet, was zu ertragen nicht DeineBestimmung ist - sei auch darüber nicht unwillig.Was Dich zu Gründe richtet, wird auch zu Grundegehen. Jedoch vergiss auch nicht, dass Du bestimmtbist, Alles zu ertragen, was erträglich und leidlich zumachen Deine Vorstellung die Macht hat, durch denGedanken nämlich, dass es Dir heilsam oder dass esDeine Pflicht sei.4.Alles, was Dir geschieht, ist Dir von Ewigkeit hervoraus bestimmt. Jener grosse Zusammenhang vonUrsache und Wirkung hat Beides, Dein Dasein unddieses Dein Geschick, von Ewigkeit aufs Innigste verwoben.


5.Sämmtliche Wesen haben das mit einander gemein,dass sie von keinem ihnen äusserlichen Umstande gezwungenwerden können, Etwas hervorzubringen,was ihnen selbst schädlich wäre. Und dasselbe giltnatürlich auch von der ganzen Welt. Was aber demGanzen nützt, kann dem Theile nicht schädlich sein,d.h. ich darf nicht klagen über das, was von dem Allmir zugetheilt wird.6.Lächerlich ist es zu sagen: ja, alles Natürliche istbestimmt sich zu verändern, und dann, wenn irgendwo eine solche Veränderung vor sich geht, sich darüberzu verwundern oder zu betrüben.


7.Hast Du die Namen: gut, ehrfürchtig, wahrhaft,verständig, gleichmüthig, hochsinnig Dir beigelegt, sosorge dafür, dass Du sie nie verlierst oder immer baldwieder erwirbst. Aber bedenke auch, was sie besagen!Verstand - ein sorgsam erworbenes, gründlichesWissen um Einzelnes; Gleichmuth - ein bereitwilligesAufnehmen des von der Natur uns Zuerkannten;Hochsinn - ein Erhabensein des Geistes über jedeleise oder laute Regung im Fleisch, über das, wasman Ehre nennt, auch über den Tod und alles dieses.Vermagst Du nun, Dich diesen Namen zu erhalten,ohne doch gerade danach zu streben, dass AndereDich bei ihnen nennen, so wirst Du ein andererMensch sein und ein anderes Leben anfangen. BleibstDu aber noch ferner, wie Du bisher warst, fährst fortin einer Lebensweise, die Dich befleckt und aufreibt,so bist Du ein gewissenloser Mensch, ein Mensch, dereben Nichts als leben will, und gleichst jenen Halbmenschen,die man mit wilden Thieren kämpfen lässt,die nämlich, wenn sie mit Wunden bedeckt und mitBlut besudelt sind, inständigst bitten, man möchte siedoch bis auf den folgenden Tag aufheben, um - wiedervorgeworfen zu werden denselben Krallen unddenselben Zähnen. Also tauche Dein Wesen in jene


wenigen Namen, und wenn Du es nur irgend ermöglichenkannst, halte bei ihnen aus, wie Einer, der aufden Inseln der Seligen gelandet. Merkst Du aber, dassman Dich heraustreiben will und dass Du nicht obsiegenwirst, so ziehe Dich eilig in einen Winkel zurück,wo Du Dich wahren kannst; oder - verlasse dasLeben! - Um jener Namen eingedenk zu bleiben, istes kein schlechtes Hilfsmittel, sich die Götter vorzuhalten,die nicht sowohl begehren, dass man sieschmeichelnd verehre, als dass alle vernunftbegabtenWesen ihnen ähnlich werden, und dass der Menschthue, was des Menschen ist.8.Hast Du jene hohen und heiligen Ideen Dir ohneselbstständiges Forschen eben nur eingebildet, sowerden sie Dir auch wieder abhanden kommen, sokönnen Nachahmung, Anfeindung, Furcht, Schrecken,Knechtschaft sie Dir täglich entreissen. Es gilt abersich eine solche Anschauungs- und Lebensweise anzueignen,dass man das Vorliegende sofort abzuthunjederzeit bereit ist und doch dabei weder die intellektuelleAusbildung ausser Acht lässt, noch das Vertrauenverleugnet, womit uns jede tiefere Erkenntnissder Dinge erfüllt, das zwar an sich ein innerliches ist,


doch aber nicht verborgen bleiben kann.9.Was für ein Bedenken hält Dich ab, vor Allem zusehen, was der Augenblick zu thun gebietet? Freilichmusst Du's völlig erwogen haben, ehe Du getrost undunbeirrt daran gehen kannst. Ist Dir also noch irgendEtwas daran unklar, so halte an und ziehe die Bestenzu Rathe. Sonst aber, tritt auch ein Hinderniss Dir inden Weg, schreite nur besonnen vorwärts, den einmalempfundenen Antrieben folgend und treu Dich haltendan Das, was Dir als das Rechte erschienen ist.Denn dies zu verfolgen bleibt immer das Beste. Ihmuntreu werden heisst von seiner eigenen Natur abfallen.Darum sage ich, dass wer in allen Stücken derVernunft gehorcht, ruhig und leicht bewegt, heiter undernst zugleich zu sein vermag.


10.Frage Dich, sobald Du des Morgens aufgestandenbist: geht es Dich Etwas an, ob ein Anderer das Guteund Rechte thut? Nichts geht's Dich an. Hast Du vergessen,was das für Leute sind, die ewig nur zu lobenoder zu tadeln wissen? wie sie's treiben auf ihremLager, bei Tafel, überall, was es für Diebe und Räubersind, nicht äusserlich mit Händen und Füssen,sondern innerlich an dem kostbarsten Theile ihresWesens, mit dem sie sich doch, wenn sie wollten,Glauben, Ehrfurcht, Wahrheit, Sitte, den guten Geniuszu eigen machen könnten.11.Der wohlgesittete und ehrfurchtsvolle Mensch sagtzur Natur, der Alles spendenden und wieder nehmenden:gieb, was Du willst, und nimm, was Du willst.Er spricht's nicht etwa zu besonderem Muth sich aufraffend,sondern aus reiner Folgsamkeit und Liebe.


12.Du hast nur noch Wenig zu leben. Lebe wie aufeinem Berge! Gleichviel wo in der Welt Du lebst,denn die Welt ist ein Menschenverein. Und die Menschensollen eben den wahren Menschen, den derNatur gemäss lebenden schauen und beschauen.Mögen sie ihn immerhin aus dem Wege räumen,wenn sie ihn nicht vertragen können.13.Nun gilt es nicht mehr zu untersuchen, was eintüchtiger Mensch sei, sondern einer zu sein.14.Der Gedanke an die Ewigkeit und an das Weltallsei Dir stets nahe: verglichen mit dem All wird Dirdann Alles als ein Körnlein und mit der Ewigkeit verglichenwie ein Handumdrehen erscheinen.


15.Was sind denn die Esser und Trinker und Schläferund Erzeuger und was sie sonst machen? was sind sie,die sich aufblähen und so hoch drein schauen, die sozornig sind und so von Oben her aburtheilen? VorKurzem - wem haben sie gedient und um welchenPreis? Und wieder eine kleine Weile - wo sind siedann?16.Nicht blos, was die Natur dem Menschen schickt,ist ihm zuträglich, sondern es ist ihm auch geradedann von Nutzen, wann sie's schickt.17.Der Regen - ein Liebling der Erde; doch auch desblauen Himmels Liebling. Das Universum liebt zuthun (sagt man nicht: »liebt, zu thun?«) Alles, waseben geschehen soll. Ich also sage zu ihm: DeineLiebe ist auch meine.


18.Entweder Du lebst hier, wie Du gewohnt bist, oderDu kommst anderswohin, wie Du am Ende auch gewollt,oder Du stirbst und hast ausgedient. Das istAlles. Drum sei guten Muths!19.Vergiss nicht, dass Du da, wo Du lebst, ganz dasselbehast, was Du im Gebirge oder an der See odersonstwo, wohin Du Dich sehnst, haben würdest. DemHirten, sagt Plato, der so bei seiner Hürde auf demBerge weidet, ist's nicht anders zu Muthe, wie dem,den eine Stadtmauer umgiebt.20.Wer seinem Herrn entläuft, ist ein Ausreisser. DerHerr ist das Gesetz; wer also der Befolgung des Gesetzessich entzieht, ist ein Ausreisser. Nicht minderaber verdient diesen schimpflichen Namen auch der,der sich erzürnt oder betrübt oder fürchtet. Denn erwill nicht, dass geschehen wäre oder geschehe oder


geschehen solle, was der Alles Verwaltende, der AllenGesetz ist, bestimmt.21.Ein Mensch, der seinem Unwillen über irgendEtwas Luft macht und sich beklagt, unterscheidet sichim Grunde genommen gar nicht von - einem StückVieh, das beim Schlachten mit allen Vieren um sichstösst und dazu schreit. Und anders ist auch nicht einmalder, der auf seinem Lager hingestreckt stillschweigendseufzt, wenn man ihm den Verband anlegt.Denn dem vernunftbegabten Wesen ist es dochgegeben - und das ist seine Auszeichnung, bereitwilligzu folgen dem, was ihm geschieht. Zu folgen wenigstensist nothwendig für Alle.22.Bei jeglichem Dinge, womit Du beschäftigt bist,frage Dich, ob der Tod darum, weil er Dich seiner beraubt,etwas so Schreckliches ist.


23.So oft Du unter dem Fehler eines Anderen zu leidenhast, frage Dich, ob Du nicht auch in ähnlicherWeise gefehlt, ob Du z.B. nicht auch schon das Geld,das Vergnügen, den Ruhm und Aehnliches für einGut gehalten hast. Dann wirst Du Deinen Zorn baldlassen, zumal wenn Dir dazu noch einfällt, dass er gezwungenwar. Denn was kann er thun? Aber wenn esmöglich wäre, befreie ihn von jenem Zwange!24.Warum genügt es Dir nicht, diese kurze SpanneZeit mit Anstand hinter Dich zu bringen? Was fürschwierige Dinge und Aufgaben sind es denn, denenDu aus dem Wege gehen möchtest? Aber was ist denndies Alles anders als Exercitien für den Geist, dass erdie Dinge des Lebens immer tiefer und wahrer erschauenlerne? Also verweile nur bei jeglichem Gegenstandeso lange, bis Du ihn Dir völlig zu eigen gemachthast, wie ein starker Magen sich Alles zu eigenmacht, oder wie ein helles Feuer, was Du hineinwerfenmagst, in Glanz und Flamme verwandelt.


25.Ruhe nicht eher, als bis Du es so weit gebrachthast, dass ein der menschlichen Bestimmung entsprechendesHandeln in jedem einzelnen Falle Dir ganzdasselbe ist, was ein Leben in Herrlichkeit und Freudefür die Genusssüchtigen. Denn eben als einen Genussmusst Du es auffassen, wenn Dir vergönnt ist,Deiner Natur gemäss zu leben. Und dies ist Dirimmer vergönnt. Nicht so den Dingen der unbeseeltenNatur: der Walze ist es oft verwehrt sich in der ihr natürlichenWeise zu bewegen und ebenso dem Wasserund dem Feuer u.s.f. Denn hier sind mannichfacheHindernisse. Geist aber und Vernunft vermögen Kraftihrer natürlichen Beschaffenheit und in Kraft ihresWillens alle Hindernisse zu überwinden. Drum gilt esNichts so lebendig vor Augen zu haben, als dieseLeichtigkeit, mit der die Vernunft sich durchzusetzenvermag, mit der sie sich, wie das Feuer nach Oben,der Stein nach Unten, der Cylinder um seine Achse,durch Alles hindurch bewegt. Was es auch für sie anHindernissen giebt, das gehört entweder dem todtenLeibe an, oder es kann sie, ohne Beihilfe des Gedankensund wenn sie nicht selbst die Erlaubniss dazugiebt, nicht verwunden, ihr überhaupt nichts Bösesthun. Sonst müsste sie ja dadurch nothwendig


schlechter werden, wie man dies bei anderen Schöpfungensieht, dass, wenn ihnen etwas Uebles widerfährt,sie wirklich darunter leiden, d.h. dadurchschlechter werden. Beim Menschen aber muss manvielmehr sagen, wenn er den Hemmungen, auf die erstösst, richtig begegnet, wird er besser dadurch undpreiswürdiger. -26.Für den, den wahre Philosophie erfüllt, ist die Erinnerungan jene Verse:»Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibtdannWieder der knospende Wald, wenn neu auflebet derFrühling. -So der Menschen Geschlecht.« -hinreichend, um Traurigkeit und Furcht ihm zu verscheuchen.Blätter sind auch Deine Kindlein. BlätterAlles, was so laut schreit, um sich Glauben zu verschaffen,was so hohes Lob zu spenden oder so zuverfluchen oder nur so in's Geheim zu tadeln oder zuspotten liebt; Blätter auch, die Deinen Ruhm verkündensollen. Denn um die Frühlingszeit keimt Alles


hervor. Dann kommt der Herbstwind und wirft wiederAlles zu Boden, damit Anderes an seine Stelle trete.Das Momentane ist der Charakter aller Dinge. Duaber fliehst und verfolgst Alles, als sollte es ewig dauern.27.Ein gesundes Auge muss jeden Anblick ertragenkönnen und darf nicht immer blos Grünes sehen wollen.Ein gesundes Ohr, eine gesunde Nase ist aufjeden Schall und jeden Geruch gefasst. Ein gesunderMagen verhält sich gegen jede Speise gleich, wie dieMühle eben Alles mahlt, was zu mahlen geht. Ebensonun muss auch eine gesunde Seele auf jedes Schicksalgefasst sein. Die aber spricht: meine Kinder müssenam Leben bleiben, oder: die Leute müssen stets billigen,was ich thue, die gleicht dem Auge, welches dasGrüne, oder den Zähnen, die nur Weiches haben wollen.


28.Niemand ist so glücklich, dass nicht einst an seinemSterbelager Einige stehen sollten, die diesen Fallwillkommen heissen. Ist's auch ein trefflicher undweiser Mensch, so findet sich am Ende doch immerJemand, der aufathmend von ihm sagt: nun werde ichvon diesem Zuchtmeister erlöst; er war zwar Keinemvon uns lästig, aber ich hatte immer das Gefühl alsverdamme er uns stillschweigend Alle miteinander.Und das ist beim Tode eines Trefflichen! Wie Vielesmag unser Einer also an sich haben, um deswillen soMancher wünscht, von uns befreit zu werden. Darandenke in Deiner Sterbestunde! Denke, Du sollst eineWelt verlassen, aus der Dich Deine Genossen, aus derDich die, für welche Du so Vieles aufgestanden, soViel gebetet und gesorgt hast, nun hinwegwünschen,indem sie aus Deinem Scheiden so manche Hoffnungschöpfen. Was könnte Dich also noch länger hier festhalten!Und doch darfst Du deshalb mit nicht geringeremWohlwollen von ihnen scheiden, sondern musstum Deiner selbst willen ihnen Freund bleiben undfreundlich, sanft von ihnen Abschied nehmen, ebensosanft, wie sich die Seele dessen vom Körper trennt,dem ein seliges Sterben beschieden ist. Denn dieNatur hatte Dich auch so mit Deinen Freunden


verbunden. Und wenn sie Dich jetzt von ihnen ablöst,so geschieht dies eben als von Deinen Freunden, undnicht so, dass Du von ihnen fortgerissen würdest, sondernsanft von ihnen scheidest. Es ist dies wenigstensauch eine von den Forderungen der Natur.29.Bei Allem, was von Anderen geschieht, suche herauszubringen,welchen Zweck sie verfolgen. Aberfange damit bei Dir selbst an, erforsche zuerst immerDich selbst!30.Das, was Dich bewegt, was Dich mit unsichtbarenFäden hierhin und dorthin zieht, das ist in Deinem Innern.Hier schlummert das beredte Wort, hier wurzeltdas Leben, hier ist der eigentliche Mensch. Nieschreibe diese Bedeutung dem Gefässe zu, das diesesDein Inneres umgiebt, oder den Organen, die ihm angebildetsind. Ohne die sie bewegende Kraft sind sienicht mehr, als ein Weberschiff ohne Weber, eineFeder ohne Schreiber, eine Peitsche ohne Wagenlenker.


Wir betrachten noch einmal die Eigenthümlichkeitder vernünftigen Seele. Also: sie sieht sich selbst, siesetzt sich selbst auseinander, die Frucht, die sie hervorbringt,erntet sie auch selbst (nicht wie bei denFrüchten, die die Pflanzen- oder Thiernatur hervorbringen,welche Andere ernten). Ferner, sie erreichtihr Ziel, wann immer das Leben zu Ende sein mag;anders als bei den Tanzstücken, und bei jedem Schauspiel,wo die ganze Handlung zum blossen Stückwerkwird, wenn Etwas dazwischen kommt. Denn sie führt,was sie sich vorgesetzt, vollständig und makellos zuEnde, an welchem Theile der Handlung und wo überhauptsie auch betroffen werden mag, so dass siesagen kann: »ich habe das Meinige beisammen.« Unddann nun, sie umfasst die ganze Welt sammt dem sieumgebenden Raume, und vermag sich ein Bild vonihr zu machen; sie dringt in die Unendlichkeit derZeit, nimmt wahr die periodisch stattfindende Wiedergeburtaller Dinge, betrachtet sie und erkennt, dassdie nach uns kommen nichts Anderes sehen werden,so wie auch unsere Vorfahren nichts Anderes sahen,sondern dass der, der etwa vierzig Jahre alt geworden,Elftes Buch1.


wofern er nur Geist hat, Alles was gewesen und wassein wird, gesehen hat. Endlich ist es der vernünftigenSeele auch eigen, den Nächsten zu lieben, wahr zusein, Ehrfurcht zu haben und Nichts höher zu achtenals sich selbst. Und in dem Allen stimmt sie mit denForderungen des allgemeinen Weltgesetzes überein,so dass zwischen der gesunden Vernunft und demWesen der Gerechtigkeit kein Unterschied ist.2.Ein schöner Gesang, ein schöner Tanz, ein schönesSpiel ist nur so lange schön, so lange man das Ganzeanschaut. Zerlegt man aber jenen in seine einzelnenTöne, diese in ihre einzelnen Bewegungen, und hältdieselben für sich fest, so verlieren sie ihren Reiz. Nurdie Tugend und was von ihr ausgeht, ist und bleibtimmer schön. Daher übe nur bei allem Andern jeneZergliederung, auch bei der Anschauung des Lebens.Wenn ist die Seele wahrhaft bereit, sich von demLeibe zu trennen und so entweder zu verlöschen oderzu zerstieben, oder mit ihm fortzudauern? Wenn dieseBereitheit aus dem eigenen Urtheil hervorgeht; wennes nicht blos aus Hartnäckigkeit geschieht, wie beiden Christen, sondern mit Ueberlegung und Würdeund ohne Declamation so dass auch Andere dem


Eindrucke sich nicht entziehen können.4.Hast Du Etwas gethan zum Wohle Anderer? Dannhast Du auch Dein eigenes gefördert. Das kann mangar nicht oft genug sich selber sagen.5.Zuerst entstanden die Tragödien, die uns erinnern,dass Alles, was geschieht, gerade so geschehenmüsse. Und dann wollen wir doch, was uns auf derBühne ergötzt, uns nicht zum Anstoss gereichen lassen,wenn's auf der grösseren Bühne uns entgegentritt.Auf die Tragödie folgte die alte Komödie. Ihre Freimüthigkeitwar pädagogisch. Wir wurden durch ihroffenherziges Wesen gemahnt, Prunk und Stolz hinauszuthun.Daher sogar ein Diogenes nicht selten ausihr citirte. Dann kam die Komödie der mittleren Zeitund dann die neueste. Sie artete bald in ein künstlichesWesen der Nachahmung aus. Und wenn wir auchnicht verkennen, dass sie so manches Treffliche enthält,so frage ich doch: welchen Zweck denn eigentlichdiese ganze dramatische Poesie verfolge?


6.Wie weit bist Du in der Erkenntniss, dass keine andereLebensweise zum Philosophiren so geeignet sei,als die, die Du jetzt gerade führst?7.Ein Zweig von seinem Nachbarzweige losgehauen,ist damit nothwendig zugleich auch vom ganzenBaume abgehauen. So auch der Mensch: hat er sichnur mit einem Einzigen zerspalten, so ist er von derganzen menschlichen Gesellschaft abgefallen. DenZweig nun haut ein Anderer ab, der Mensch abertrennt durch seinen Hass und seine Feindschaft sichselbst von seinem Nächsten, freilich, ohne es zu wissen,dass er sich damit auch vom Ganzen losgerissen.Doch ist es ein Geschenk des Gottes, der die menschlicheGesellschaft gründete, dass es uns frei steht, mitdem, woran wir früher hielten, wiederum zusammenzuwachsenund so zur Vollendung des Ganzen wiederbeizutragen, nur dass, je öfter eine solche Lostrennunggeschieht, die Einigung und Wiederherstellungdesto schwieriger wird, und dass ein Zweig, der vonAnfang an im Zusammenhange mit dem Stamme war


und blieb, mit ihm verwachsen stets dasselbe ein- undaushauchend, doch ein ganz ander Ding ist, als derZweig, der erst getrennt, dann wieder eingepfropftworden. Denn was auch die Gärtner sagen mögen: erwächst wohl an, doch nicht zu jener vollen Lebenseinheit.8.Wer Dich auch hindern möchte in der Befolgungrein vernünftiger Maximen - , wie es ihm nicht gelingensoll, Dich Deiner gesunden Praxis wirklich abwendigzu machen, so soll er noch viel weniger DeinemHerzen die freundliche Gesinnung gegen ihn entreissen.Verräth es doch dieselbe Schwäche, wennman solchen Leuten gram wird, wie wenn man seinemVorsatz untreu wird, sich niederschlagen lässt undvom Platze weicht. Den Deserteuren gleichen beide,der sowohl, der aus Furcht zurücktritt, wie der mitseinem natürlichen Freund und Bruder verfeindet ist.


9.Kein Naturprodukt steht einem Erzeugnisse derKunst nach, denn die Künste sind Nachahmer derNatur. Darum dürfte denn wohl dem vollkommenstenund umfassendsten Naturwesen die künstlerische Geschicklichkeitnicht fehlen. Und wie die Künste dasGeringere nur leisten um des Besseren willen - darindem Universum selber ähnlich -: so auch derMensch, wofern Gerechtigkeit entstehen soll, aus derdann weiter alle übrigen Tugenden sich entwickeln.Denn wollten wir uns nur mit sittlich indifferentenDingen zu thun machen, wollten wir leichtgläubig,voreilig, wetterwendisch sein, so stände es schlechtum die Gerechtigkeit.10.Nicht kommen die Dinge, die Du mit Leidenschaftsuchst oder fliehst, zu Dir, nicht sie drängen sich Dirauf, sondern Du drängst Dich ihnen auf. Kannst Dudas Nachdenken über sie nur lassen, so bleiben sieauch ruhig wo sie sind, und man wird Dich alsdannnicht ihnen nachlaufen oder auf der Flucht vor ihnensehen.


11.Die Seele gleicht einer vollkommenen Kugel, insofernsie sich weder nach Etwas hin dehnt, noch nachInnen einläuft, weder zerstreut wird, noch zusammenschmilzt,und wird von einem Licht erleuchtet, beidem sie die allgemeine Wahrheit und die eigene erkennenkann.12.Wenn ich bereit bin, einem Irrenden das Rechte zuzeigen, so soll ich das nicht etwa thun aus Begierde,ihn bloszustellen, auch nicht, um mit meiner Langmuthzu prahlen, sondern in Liebe und Aufrichtigkeit,wie die Geschichte von Phocion erzählt, wofern dieserMann nicht etwa wieder mit seiner Aufrichtigkeit geprahlthat. Es muss ein innerliches Thun sein, dieGötter müssen einen Menschen sehen, der Nichts mitAerger aufnimmt, niemals sich beklagt.


13.Die einander verachten, das sind gerade die, dieeinander zu gefallen streben; und die sich unter einanderhervorthun wollen, gerade die, die sich vor einanderbücken.14.Wie zweideutig und schmutzig ist Jeder, der zueinem Andern sagt: sprich, meine ich's nicht wirklichgut zu Dir? So Etwas zu sagen! Es muss von selberklar werden. Auf Deiner Stirn muss es geschriebenstehen: so ist's; aus den Augen muss es hervorleuchten,wie des Liebenden Blick die Liebe gleich verräth.Eine studirte Aufrichtigkeit ist wie ein Dolch. Nichtshässlicher als Wolfsfreundschaft.


15.Wahrhaft gut zu leben - das ist eine Kraft und Fertigkeitder Seele; und sie wohnt ihr bei, wenn siegegen das, was gleichgültig ist, sich wirklich auchgleichgültig verhält. Diese Gleichgültigkeit aber beruhtwieder darauf, dass man die Dinge sich genauund von allen Seiten ansieht. Denn wir sind es selbst,die ihnen die uns ängstigende Bedeutung unterlegenund sie uns so ausmalen, während es doch in unsererMacht steht, sie nicht so auszumalen, oder wenn sichein solches Bild einmal unvermerkt in unsere Seelegeschlichen hat, es sofort wieder auszulöschen. Auchbraucht es solcher Vorsicht ja nur kurze Zeit! dasLeben geht zu Ende! -16.Das Wichtigste ist immer zu wissen, in welchemVerhältnisse ich zu Anderen stehe, nämlich, dass wirAlle, Einer um des Anderen willen da sind (wobeisich das Verhältniss näher auch so gestalten kann,dass Einer der Vorgesetzte der Andern ist, wie derWidder der Schaafheerde, der Stier der Rinderheerde).Dann, dass man die Menschen beobachtet, wie sie's


daheim oder sonstwo zu treiben pflegen, und welcheGrundsätze als treibende Kraft in ihnen liegen. Drittens,dass man bedenkt, dass Alle, die unvernünftighandeln, unfreiwillig und unwissend so handeln - undSchmerz genug für sie liegt schon darin, dass sie ebenUngerechte, Undankbare, Geizige oder mit einemWorte Uebelthäter heissen. Ferner, dass auch Du somanchen Fehler hast und von derselben Art bist wiesie; dass, wenn Du Dich von gewissen Vergnügungenfern gehalten hast - vielleicht war's Feigheit oderEhrgeiz oder etwas dem Aehnliches, was Dich fernhielt - Du doch auch den Charakter hast, aus demjene Vergehungen entspringen. Ferner, dass es garnicht immer so fest steht, ob sie gefehlt haben, wennes Dir auch so scheint. Denn Vieles geschieht auseiner weisen Berechnung der Umstände, die uns verborgensein können. Man muss überhaupt erst soManches gelernt haben, ehe man über die Handlungsweiseeines Anderen richtig urtheilen kann. Danndenke man doch immer wieder an die Kürze desmenschlichen Lebens, zumal wenn man so recht aufgelegtist unwillig zu werden und aufzubrausen. Undweiter, dass es ja eben nicht jene Handlungen sind,die uns Beschwerde machen, sondern unsere Vorstellungen,die wir uns über sie machen. Schicke dieheim, und Dein Zorn wird sich legen. Aber wie?Durch die Erwägung, dass, was Dir durch jene


widerfährt, in Wahrheit nichts Schlechtes sei. Wäre esschlecht, dann wärst Du ja nothwendig selber dadurchschlecht geworden. - Und weiter, dass Zorn und Unwilleüber solche Dinge uns doch viel mehr beschweren,als die Dinge, über die Du Dich erzürnst. Undendlich, dass ein liebevolles Gemüth, wenn seineLiebe wirklich echt und ungeheuchelt ist, durchNichts kann überwunden werden. Auch Dein allerärgsterFeind kann Dir Nichts anhaben, wenn Du aufDeiner Liebe zu ihm beharrst, wenn Du bei Gelegenheitihn ermahnst und gerade, wenn er im Begriff istDir wehzuthun, ihm freundlich zusprichst: nicht doch,Lieber, wir sind zu etwas Anderem geboren; mir schadestDu ja nicht, Du schadest Dir selber, Kind! wennDu ihm so in sanfter Weise und Alles wohlerwogenzeigst, dass sich dies so verhalte, und dass nicht einmaldie Thiere so verfahren, die in Heerden beisammenleben. Freilich muss dies ohne alle Ironie geschehen,nicht mit dem versteckten Wunsche ihn zu demüthigen,sondern aus reiner Liebe und ohne das Gefühlerlittener Kränkung, auch nicht im Schulmeistertonoder im Beisein eines Andern, sondern mit ihmallein, selbst wenn Andere gegenwärtig wären. -Diese neun Punkte also erwäge fleissig, lass sie Eingangbei Dir finden, als wären es eben so viele Gabender Musen und fange einmal an ein Mensch zu sein,so lange Du noch lebst. Sanftmuth und Milde - das


ist das echt Menschliche und Männliche; hierin liegtKraft und Tapferkeit und Stärke, nicht im Zorn und indem indignirten Wesen. Denn je näher Etwas an dievöllige Leidenschaftslosigkeit grenzt, desto näherkommt es wirklicher Macht. Und wie die Traurigkeitein Zeichen der Schwäche, so auch der Zorn. In beidensind wir verwundete, geschlagene Leute. Aberfreilich vor Kriecherei muss man sich ebenso sehrhüten, wie vor dem Zorn, da sie ebenso gegen dasPrincip der Gemeinschaft ist und ebenso verderblichwirkt. - Willst Du, so nimm vom Musagaten noch einZehntes: Wahnsinnig ist's zu fordern, dass schlechteMenschen nicht fehlen sollen, unbillig aber und willkürlich,zu verstatten, dass sie sich gegen Andere vergehen,nicht aber, dass sie Dich verwunden.17.Viererlei Verirrungen des Geistes giebt es, vordenen man sich stets in Acht zu nehmen hat, unddenen man, sobald sie ausgespürt sind, ausbiegenmuss, indem man sich bewusst wird: dies ist ein Gedanke,zu dem Dich Nichts zwingt; dies ist Etwas,wodurch die menschliche Gesellschaft aufgelöst wird;dies redest Du nicht von Dir selbst (und es giebtnichts Absurderes, als nicht aus sich selbst heraus zu


sprechen). Endlich, eine Schmach ist es, die Du Dirselber zufügst, so oft das göttlichere Theil an Dir erniedrigtund herabgewürdigt ist von dem geringerenund sterblichen und dessen groben Lüsten.18.Alles Luftige und Feurige, was Deinem Organismusbeigemischt ist, obwohl es von Natur nach Obenstrebt, gehorcht es doch der Anordnung des Alls undbleibt hier ruhig in der gesammten Masse. Ebensoalles Erdige und Feuchte, das nach Unten strebt, wirddoch fortwährend gehoben und behauptet den seinerNatur nicht zukommenden Ort. So gehorchen dieStoffe dem Universum, wenn sie gewaltsam irgendwohingestellt sind, und verweilen hier, bis das Zeichenzu ihrer Auflösung gegeben ist. Ist es nun nichtschlimm, wenn die Vernunft allein nicht will gehorsamsein und die ihr zugewiesene Stelle mit Unwillenbetrachtet? Und das, wiewohl ihr nirgend Zwang auferlegtwird, sondern nur was ihrer Natur entspricht?Denn jede ihrer Bewegungen nach dem Unrecht odernach dem Sinnenreiz, nach dem Zorn, nach demSchmerz und nach der Furcht ist nichts Anderes, alsein solches Fortstreben von dem ihr zugewiesenenOrte, als ein Abfall von der Natur.


19.Wer nicht im Leben einen und denselben Zweckverfolgt, der ist auch eigentlich nicht ein und derselbeMensch. Doch kommt es vor Allem darauf an, vonwelcher Art dieser Zweck ist. Es hängt dies genau mitdem Begriff der Güter zusammen, der schwankendund unbestimmt bleibt, so lange es sich darum handelt,was jedem Einzelnen gut ist, und der zur Klarheitund Bestimmtheit nur gebracht werden kann,wenn man das Ganze, die Gemeinschaft Aller in'sAuge fasst. Und so muss auch der Zweck des Lebenseines Jeden sich nach dem Ganzen richten, ein mitdem Zwecke der Gemeinschaft, der man angehört,harmonirender sein. Wer nun alle seine besonderenTendenzen diesem Zweck unterordnet und ihm gemässgestaltet, der wird dadurch auch Consequenz inseine Handlungsweise bringen und so immer derselbeMensch sein.


20.Das menschliche Leben giebt mir oft Nichts weiter,als das Bild einer Haus- oder Feldmaus, die erschrockenhin und her läuft.21.Als Sokrates sich bei Perdikkas entschuldigte,warum er seine Einladung nicht angenommen habe,sagte er: damit ich nicht vor Schimpf und Schande zuvergehen brauchte als Einer, der Wohlthat empfängt,ohne sie mit Wohlthat vergelten zu gönnen.22.Die Pythagoräer sagen, man müsse früh zum Himmelaufblicken, damit wir derer gedenken, die immerEines und dasselbe, und die ihr Werk stets auf dieselbeWeise treiben, damit wir ihrer Ordnung, ihrerReinheit, ihres unverhüllten Wesens gedenken. Denndie Gestirne haben keine Hülle.


23.»Der Sklavenseele ziemt es mitzusprechen nicht.«24.»Lass sie die Tugend schmähen, mit was für Wortensie wollen« -» - Und es lachte das Herz mir im Busen.«25.Nach Epiktet soll Jeder, der sein Kind küsst, beisich denken: morgen vielleicht ist es todt. Das klingtwie eine Lästerung. Aber, sagt er, kann das eine Lästerunggenannt werden, womit ich etwas rein Natürlichesbezeichne? wenn ich z.B. sage: die Aehren werdenabgemäht?


26.Einen Räuber des Willens giebt es nicht, sagt derselbe.27.Sokrates sagte: Was wollt Ihr? wollt Ihr Seelenvernünftiger oder unvernünftiger Wesen? Vernünftiger.Welcher Vernünftigen? Gesunder oder verderbter?Gesunder. Nun, warum sucht Ihr sie nicht auf?Suchen? weil wir sie haben! Also warum zankt undstreitet Ihr Euch?


Alles, was Du jetzt auf Umwegen zu erreichenwünschest, könntest Du schon besitzen, wenn Dunicht missgünstig gegen Dich selber wärest. Es wäreDein, sobald Du im Stande wärst, was hinter Dir liegtauf sich beruhen zu lassen, was vor Dir, der Vorsehunganheimzustellen, und nur das Gegenwärtige derFrömmigkeit und Gerechtigkeit gemäss zu gestalten;der Frömmigkeit, indem Du Dich Deines Schicksalesfreust, der Gerechtigkeit, indem Du freimüthig undohne Umschweif die Wahrheit redest und thust, wasdas Gesetz und was der Werth jeder Sache erfordern,unbeirrt von Anderer Schlechtigkeit, von irgend welchenübelangebrachten Vorstellungen, von dem GeredeAnderer und von den Empfindungen Deinerfleischlichen Hülle. Denn wenn Du so Deinem Lebensendeentgegengehst, alles Andere mit Gleichgültigkeitbetrachtest, nur das Göttliche in Dir, den herrschendenGenius verehrend, und nicht sowohl dasAufhören des Lebens als vielmehr das Nicht-Beginnen eines naturgemässen Lebens fürchtest,dann darfst Du auch ein Mensch heissen, der würdigist der Welt, die ihn hervorgebracht, und wirstZwölftes Buch1.


aufhören ein Fremdling zu sein in Deinem Vaterlande.2.Als nackt und von dem Gefäss, der Schaale, demSchmutz des Körpers entblösst sieht Gott die Seelean. Denn die eigentliche Berührung zwischen ihm undseinen Werken findet nur vermittelst seines Geistesstatt. Thue es ihm nach und Du befreist Dich von somancher Last und Sorge. Denn wer erst absehen gelernthat von seinem Leibe, der ihm das Nächste ist,der achtet dann gewiss auch nicht mehr auf Kleidung,Häuslichkeit, Ansehen bei den Leuten und all' dergleichenAeusserlichkeiten.3.Leib und Seele sind Dein nur soweit es DeinePflicht ist für sie zu sorgen. Der Geist aber ist ganzeigentlich Dein. Doch nur, wenn Du ihn frei zu machenweisst von allen Einflüssen der Aussenwelt, deseigenen Leibes und der dem Leibe eingepflanztenSeele, so dass er ein Leben aus sich und für sich selberführt, vollbringend was die Gerechtigkeit gebietet,


wollend was das Schicksal auferlegt und wahr in seinenReden, nur dann kannst Du die noch übrige Zeitruhig und heiter leben und wirst treu bleiben DeinemGenius.4.Ich wundere mich oft darüber, wie derselbeMensch, der sich mehr liebt als alle Anderen, dennochmehr Gewicht auf das Urtheil Anderer über ihn, alsauf das eigene legen kann. Bedenkt man freilich, dasskein noch so bedeutender Lehrer, ja dass kein Gott esauch nur einen Tag lang von uns erreichen würde,gleich zu sagen, was wir denken, so wie wir den Gedankennur gefasst, so ist's auch wiederum natürlich,dass wir eine weit grössere Scheu vor dem haben, wasAndere von uns denken, als vor unserer eigenen Meinung.


5.Wie mag es nur kommen, dass die Götter, die dochAlles so schön und menschenfreundlich eingerichtethaben, das Eine übersehen konnten, dass selbst diewenigen trefflichen Menschen, die mit dem Göttlichenaufs Innigste verkehrten und sich ihm durch frommeWerke und heiligen Dienst zu besonderen Freundengemacht haben, wenn sie einmal todt sind, nicht wiederkommen,sondern ganz und gar verschwundensind? Allein, wenn sich die Sache wirklich so verhält,so wisse, dass, wenn es anders hätte sein sollen, sie'sauch anders gemacht hätten. Wäre es gut gewesen,hätte es auch gewiss geschehen können; wäre es natürlich,so würde es die Natur auch einrichten. Darausalso, dass es nicht so ist, wofern es nämlich nicht soist, erkennst Du, dass es nicht so sein darf. Und -würdest Du denn überhaupt auf diese Weise mit denGöttern rechten, wenn nicht die stillschweigende Voraussetzungwäre, dass sie die besten und gerechtestensind? Und daraus folgt ja schon von selbst, dass sie inihren Anordnungen nicht ungerecht und gegen dieVernunft verfahren konnten.


6.Auch daran kann man sich gewöhnen, was EinemAnfangs verzweifelt scheint. Die linke Hand, die zuso vielen Dingen unbrauchbar ist aus Mangel an Gewöhnung,ist doch z.B. zur Führung des Zügels weitgeschickter, als die rechte. Weil sie's gewohnt ist.7.Bei der Anwendung unserer Grundsätze aufs Lebengilt es mehr dem Ringer, als dem Fechter ähnlich zusein. Der nämlich ist verloren, sobald ihm dasSchwert abhanden kommt. Jenem aber steht die Faustimmer zu Gebote; er braucht sie eben nur zu ballen.8.Welche Gewalt hat doch der Mensch, der Nichtsthut, als was Gott loben kann, und der Alles hinnimmt,was Gott ihm sendet!


9.Ist Alles eine unabänderliche Notwendigkeit, wiekannst Du widerstreben? Giebt's aber eine Vorsehung,die sich versöhnen lässt, so mache Dich desgöttlichen Beistandes würdig! Ist aber auch diesesnicht das Richtige, ist vielmehr Alles nur die principlosesteVerwirrung, so sei Du froh, dass Du selbstdoch mitten in diesem Wirrwarr an Deinem Geiste einsolches leitendes Princip besitzest. Wohin Dich nunauch jene Strömung treiben mag - mag sie den Leib,die Seele, Alles mit hinwegführen, den Geist wird sienicht mit sich fortführen!10.Das Licht der Lampe scheint, bis man es auslöscht;nicht eher giebt es seinen Strahl ab. Soll denn dieWahrheit, die Gerechtigkeit und Besonnenheit in Direher verlöschen?


11.Wenn Jemand Dir die Meinung beigebracht, erhabe sich vergangen, weisst Du auch gewiss, ob esein Vergehen ist? und wenn er sich wirklich vergangenhat, ist er selber auch der Meinung? Oder glicheer dann nicht einem Menschen, der sich selbst dasAuge auskratzt?12.Was sich nicht ziemt, das thue auch nicht, und wasnicht wahr ist, sage nicht. Dein Hauptbestreben seijederzeit, das Ganze im Auge zu haben.13.Merkst Du endlich, dass etwas Besseres und Göttlicheresin Dir ist, als das, was die Leidenschaftenhervorruft und was Dich bald hierhin, bald dorthinzieht?


14.Binde Dich an keinen Ort, an Nichts von dem, wasDu jetzt siehst, an Keinen derer, die jetzt leben. Denndas Alles ist wandelbar und wird vergehen, um AnderenPlatz zu machen.15.Des Menschen Geist ist göttlichen Geschlechts undvon Gott ausgeflossen, und Nichts ist irgend einesMenschen Eigenthum.16.Der Allerunerträglichste ist der, der sich mit seinerDemuth brüstet.


17.Die Dich etwa fragen möchten, wo Du denn eigentlichdie Götter gesehen, und woraus Du entnommenhabest, dass sie sind, so dass Du sie verehren magst,denen gieb zur Antwort: Einmal, sie sind wirklich mitAugen zu sehen. Dann, auch meine Seele habe ich janoch nie gesehen, und halte sie doch in Ehren. Daraus,dass ich ihre Macht immer gespürt, habe ich entnommen,dass die Götter sind, und darum verehre ichsie.18.Eine gute That der andern so anreihen, dass auchnicht der kleinste Zwischenraum bleibt, was heisstdas anders, als das Leben geniessen?


19.Ein Sonnenlicht, obwohl gebrochen durch Mauern,Berge, tausend Anderes. Ein gemeinsamer Stoff, obwohlhindurchgehend durch tausend eigenthümlicheBildungen. Ein Leben, obwohl vertheilt auf unzähligeWesen, deren jedes seine Besonderheit hat. Eine Vernunft,obwohl auch sie zertheilt erscheint. AllesUebrige, die Welt der Objecte, der empfindungslosen,ist ohne Zusammenhang in sich, obgleich auch hierder Geist waltet und Alles in seine Wagschaale fällt,nur das Menschenherz hat seinen ihm eigenthümlichenZug nach dem, was ihm verwandt ist, und lässtsich diesen Gemeinschafts-Trieb nicht nehmen.20.So hast Du denn Dein Bürgerrecht gehabt, oMensch, in diesem grossen Reiche. Wie lange es gedauert,darauf kommt's nicht an. Was den Gesetzengemäss ist, ist auch Jedem billig. Was also wäreSchlimmes daran, wenn Du entlassen wirst? entlassenja nicht von einem Despoten oder ungerechten Richter,sondern von der Natur, derselben, die Dich eingeführt.So darf ja wohl der Intendant, der einen


Schauspieler angestellt, ihm wieder kündigen. Aber,sagst Du, von fünf Akten sind ja erst drei abgespielt!Sehr gut. Doch sind im Leben auch drei Akte dasganze Stück. Der ehemals die Stoffe zusammenfügteund der jetzt sie wieder löst, der hat das Ende zu bestimmen.Du bist unschuldig an Beidem. So gehedenn versöhnt! Der Dich abspannt, ist's auch.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!