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Predigt zu Lukas 18, 9-14, am Sonntag, 23. August ... - GOK-Synode

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Festgottesdienst <strong>zu</strong>r Woche der Diakonie in Wiesbaden<strong>Predigt</strong> <strong>zu</strong> <strong>Lukas</strong> <strong>18</strong>, 9-<strong>14</strong>,<strong>am</strong> <strong>Sonntag</strong>, <strong>23.</strong> <strong>August</strong> 2009in der Ringkirche in WiesbadenDie Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaftdes Heiligen Geistes sei mit Euch allen.Der vorgeschlagene <strong>Predigt</strong>text für den heutigen Festgottesdienst <strong>am</strong> 11. <strong>Sonntag</strong>nach Trinitatis steht im <strong>Lukas</strong>-Evangelium, Kapitel <strong>18</strong>, die Verse 9 bis <strong>14</strong>. Es ist dasGleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner:Er sagte aber <strong>zu</strong> einigen, die sich anmaßten, fromm <strong>zu</strong> sein, undverachteten die anderen, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschenhinauf in den Tempel, um <strong>zu</strong> beten, der eine ein Pharisäer, der andereein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich dankeDir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger,Ehebrecher oder auch wie diese Zöllner. Ich faste zweimal in derWoche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. DerZöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben <strong>zu</strong>mHimmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mirSünder gnädig! Ich sage Euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab insein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigtwerden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.Wir beten: Guter Gott, wir haben nur Dich und wir leben aus Deiner Gnade. DeineWelt soll in uns sein. Solange Du Himmel und Erde vermählst. Und beschützt. Unduns weiterhin gnädig bist. Amen.1


Liebe Gemeinde,nur gemeins<strong>am</strong> können wir leben. Und keiner darf verloren gehen. Das ist die befreiendeBotschaft dieser Geschichte. Das ist die Liebesgeschichte Gottes mit uns. SeineLiebesgeschichte mit Pharisäern und Zöllnern, Priestern und Sündern, Fernenund Nahen. Für Christus sind wir alle Geschwister, auch wenn es schwer fällt und wires nicht recht glauben können. Die einen gibt es nicht ohne die anderen – nur gemeins<strong>am</strong>können sie, können wir leben.Wo die Welt „draußen bleiben“ schreit und Türen <strong>zu</strong>schlägt, sagt er: Komm, tritt ein,ich will Dich stärken und aufrichten. Wo die Welt sortiert zwischen Gut und Böse,drinnen und draußen, schwarz und weiß, arm und reich, schwach und stark, da lässter die Sonne aufgehen über Gute und Böse. Wo die Welt Mauern zieht, baut er Brücken.Ach, wenn doch Du erkennen würdest, was <strong>zu</strong> Deinem Frieden dient – wasEurem Frieden dient! Das ist der tiefe Sinn dieser Geschichte vom Pharisäer undvom Zöllner: Die weltliche Begren<strong>zu</strong>ng der Liebe ist aufgehoben. Nur gemeins<strong>am</strong>können wir leben.Wir alle verdanken uns der Gnade Gottes und nicht uns selbst. Wir leben nicht ausuns selbst und für uns selbst. Wir leben aus Gottes Gerechtigkeit und nicht ausSelbstgerechtigkeit. Das schaffen wir sowieso nicht. Da überheben wir uns. Das genauist der Knackpunkt beim Pharisäer, ansonsten ein verdienstvoller Mann. Wir wollenihn nicht schlecht reden. Er überhebt sich, ja ist überheblich. Denn er meint, erpackt es aus eigener Kraft und eigener Güte. Gewiss, er dankt Gott, er ist stolz aufsich – und vergleicht sich mit den anderen. Da<strong>zu</strong> muss man im Übrigen nicht Pharisäersein. Dieses Göttleinspielen, diese Allmachtssehnsucht, dieses fromme Sich-Emporranken, dieses eitle Sich-Abheben von den anderen – das kann im Zweifelsfallauch die stärkste Volkskirche kaputt machen.Und der andere, der etwas abseits steht, der Zöllner? Der sah, dass er nicht war,was er vor Gott sein soll. Der konnte gestehen: Der Platz, den ich mir gesucht habe,ist nicht der Platz, den Gott für mich bereit hält. Ja, er sehnte sich danach: Ach, Gott,2


sei mir Sünder gnädig. Selbsterkenntnis kann entwaffnend und befreiend sein. SeineSelbsterkenntnis wirft ihn in die liebenden Arme unseres Gottes.Und wir selbst? Nachkommende Besserwisser? Nichts mit der sogenannten „Gnadeder späten Geburt“. Wir meinen vielleicht, wir hätten Demut gelernt. Aber in Wahrheitist es das Gegenteil. Sören Kierkegaard entlarvt uns: „Das Christentum lehrte Demut,aber nicht alle lernten Demut. Die Heuchelei lernte nur die Maske ändern. Und bliebdie Gleiche oder ward noch ärger.“ Zwischen Erhöht-Werden und Nachoben-Wollensind bekanntlich Welten. Mit gespielter Demut wird alles nur noch schlimmer.Das ist ja unser Elend, dass wir Gnade wie einen Besitztitel festhalten, dass wir siehäufig für uns behalten wollen – und die Welt nichts davon spürt. Als stünde denendrinnen mehr <strong>zu</strong> als denen draußen. Das ist unser Elend – wir möchten nach obenund in den Himmel, und Jesus geht nach unten und zieht uns nach unten. „...und wersich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.“Was bleibt, ist die Zusage: Du, Mensch, darfst Dich in aller Unvollkommenheit – undgerade dann – fallen lassen in Gottes liebende Hände. Du kannst Dich nicht emporranken durch tolle Leistung, auch nicht durch eine bessere EKHN oder eine stabilereDiakonie. Das alles ist schön und gut, aber nicht heilsrelevant. Will sagen: Vielleichtkommst Du in einen Kirchenvorstand oder gar in die <strong>Synode</strong>, aber deswegen nicht inden Himmel. Und die evangelische Kirche – sie ist kein Gnadenreservat, sondernbestenfalls der Ort, von dem aus Zeichen der Liebe Gottes ausstrahlen.Du verdankst Dich allein der Gnade Gottes und seiner großen Barmherzigkeit – nichtDeinem Erfolg, nicht Deiner Niederlage. Das gilt für den Ironman auf Hawaii und denWohnungslosen in Wiesbaden. Das gilt für mich und Dich – Du kannst nicht tieferfallen als in Gottes liebende Hände.Eigentlich wäre hier die Story <strong>zu</strong> Ende – wenn die Welt anders wäre. Aber sie ist beiLichte besehen eine Welt der Lieblosigkeit, der Besitztitel und des Unrechts. Deswegengibt es Diakonie – und muss es Diakonie geben. Sie ist der Protest, der praktische,leidenschaftliche und hoffentlich liebevolle Protest gegen eine Welt, die trenntzwischen drinnen und draußen. Protest auch gegen ein Christentum, das Gottes3


Gnade für sich rekl<strong>am</strong>ieren oder konservieren will. Der Gründer der neuzeitlichenDiakonie, Johann Hinrich Wichern, hat in diesem Sinne Mitte des 19. Jahrhundertsdem christlichen Bürgertum in H<strong>am</strong>burg buchstäblich eingeheizt und von der Versuchungeines „hölzernen Christus“ gesprochen, der angebetet wird, von dem aber fürdie Kirche nichts ausgeht. Wenn man heute so predigen würde, wie Wichern es tat,würde man vielleicht disziplinarisch belangt werden. Wichern sagte: „Habt ihr nichtlange genug euren kleinen privaten Frieden mit Gott gemacht? Habt ihr etwa nichtgesehen, wie sich eure Arbeiter mit ihren Weibern und Kindern in Löchern drängen?...habt ihr nicht gemerkt, dass sie nur noch höhnisch lachen, wenn ihr Ihnen mit Gott,Staat, Vaterland und Nächstenliebe daherkommt?“Nenn es Heilsarroganz, Exklusivität oder Besitzchristentum – eine solche Religiositätgeht an Gottes Ziel für unser Leben vorbei. Das haben schon die Jünger Jesu bitterlernen müssen. Gnade als kirchliche Vorratsk<strong>am</strong>mer oder klerikale Schleuderwarefür die Frommen führt in die Irre. Deswegen unterscheidet Dietrich Bonhoeffer zwischenbilliger und teurer Gnade. Teure Gnade konserviert nicht, behält nicht für sich.Teure Gnade sucht die Spuren Jesu in unserem Leben und in dieser Welt. TeureGnade – weil Jesus Christus in die Nachfolge ruft. Teure Gnade – weil er will, dassdie Welt neu wird, ja dass wir nicht die Alten bleiben. Teure Gnade – weil die Menschenspüren wollen, dass Gott Liebe ist, dass Jesus Christus Mensch unter Menschenwird.Martin Niemöller, der erste Kirchenpräsident unserer Kirche, hat unmittelbar nachdem zweiten Weltkrieg Kirche und Diakonie gefragt: „Was bedeutet es für uns, dassdas Kreuz Jesu Christi auf Golgatha mitten in der Welt steht?“ Ich frage aktuell weiter:Was bedeutet es im Angesicht des Kreuzes, dass jedes fünfte Kind in Armut lebtund weit mehr Kinder sehr geringe Bildungschancen haben, ja ganz früh erfahrenmüssen, dass sie nicht mithalten können? Was bedeutet es für uns, dass die Zahlder jungen Wohnungslosen wächst? Was bedeutet es im Angesicht des Kreuzes,dass auch in Wiesbaden viele trotz Arbeit arm sind? Was bedeutet es für uns, dassMenschen ausländischer Herkunft auch nach Jahrzehnten, die sie bei uns leben undarbeiten, immer noch kein kommunales Wahlrecht haben, obwohl dies in den meistenwesteuropäischen Ländern geregelt ist? Was bedeutet es im Angesicht desKreuzes, dass alte Menschen wachsend häufig eine Rente unter dem Existenzmini-4


mum haben, obwohl sie jahrzehntelang gearbeitet haben? Was bedeutet es für uns,dass zehn Prozent der Bevölkerung über fünfzig Prozent des Geldvermögens inDeutschland in der Hand haben? Was bedeutet es schließlich, dass dreißig bis vierzigProzent der Menschen nicht mehr <strong>zu</strong>r Wahl gehen, also vom demokratischen undsozialen Rechtsstaat nichts mehr erwarten?Wir fragen so, ja wir dürfen nicht schweigen, weil Gott schwach ist in der Welt, weil erauf der Seite der Schwachen steht und kraft seiner Schwachheit hilft. Und weil wiraufgerufen sind, Gottes Leiden an der Welt mit<strong>zu</strong>leiden. Wir müssen so fragen, weilGottes Gnade uns alle miteinander meint. Weil wir keine und keinen verloren gebendürfen. Weil wir uns nicht abfinden mit Lieblosigkeit und Ungerechtigkeit. Weil Liebedas Tatwort des Glaubens ist und man nur aus Liebe Glauben haben kann. Deswegenpasst Gottes Gnade in keine Konserve. Sie ist teure Gnade, der Ruf in die Nachfolge,die Leidenschaft für Taten der Liebe – und der Stachel im Fleisch einer selbstgerechtenGesellschaft und einer selbst<strong>zu</strong>friedenen Kirche. Ja, Gott wird uns fragen,ob wir ein Herz haben für seine Menschen, ob wir sie von uns gestoßen oder angenommenhaben.Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsereHerzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.Wolfgang Gern5

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