13.07.2015 Aufrufe

Zum Thema: Öffne deine Augen, um zu hören ... - Christine Düwel

Zum Thema: Öffne deine Augen, um zu hören ... - Christine Düwel

Zum Thema: Öffne deine Augen, um zu hören ... - Christine Düwel

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Seite 16Zeitpolitisches Magazin<strong>Z<strong>um</strong></strong> <strong>Thema</strong>: <strong>Öffne</strong> <strong>deine</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>um</strong> <strong>zu</strong> <strong>hören</strong>, was du nicht siehst(frei nach Georges Didi-Huberman) - Marion Fabian im Gespräch mit <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong>Marion Fabian (MF) ist Leiterin der Geschäftsstelle der DGfZP. Daneben hat sie weitere Leben. U.a. veranstaltetsie einen Kultursalon in Berlin, den SalonFrauFabelhaft, der sich für „Zeit für Kunst“ engagiert, undsie macht elektroakustische Musik.Für die erste Ausgabe des Zeitpolitischen Magazins wollte sie für die Rubrik „Who is who“? <strong>Christine</strong><strong>Düwel</strong> (CD), bildende Künstlerin, vorstellen. Es begann ganz harmlos. Nach journalistischer Manier recherchierteFrau Fabian und bereitete einige Fragen <strong>zu</strong>r Arbeit von Frau <strong>Düwel</strong> vor, deren Antworten sie einsammelnund für ein Porträt verwenden wollte. Es entwickelte sich jedoch ein intensives Gespräch, <strong>zu</strong> ausführlichfür ein Kurzportrait. Der daraus entstandene Text war für die Redaktion Anlass, das im Gespräch angeschnittene<strong>Thema</strong> "Zeit für Kultur" z<strong>um</strong> Schwerpunkt dieser Ausgabe <strong>zu</strong> machen.Neben den spannenden inhaltlichen Reflexionen der beiden Künstlerinnen über Zeit für die und in derKunst gibt das Gespräch auch wertvolle Einblicke darüber, wie und war<strong>um</strong> Menschen in ihren professionellenund/oder persönlichen Bezügen von Zeitpolitik angesprochen werden und entscheiden, sich dafür <strong>zu</strong>engagieren.<strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong> lebt und arbeitet als freischaffendeKünstlerin in Berlin. Sie hat das Keramikhandwerkerlernt, Bildhauerei und Grafik studiert, dasDiplom in der Meisterklasse Prof. Alfred Hrdlickaan der Hochschule für angewandte Kunst Wienund ihre Magistra in Philosophie und Kunstgeschichtean der H<strong>um</strong>boldt Universität Berlin erworben.Sie hat mir am 26. Oktober 2002 während derGründungsfeier der deutschen Gesellschaft fürZeitpolitik auch die Einladungskarte für ihre Ausstellung„Zeitsprünge und Tempowechsel“ überreicht.Titel wie Bild haben mich sofort fasziniert,mich neugierig gemacht auf mehr. Inzwischenkonnte ich die Künstlerin in ihrer Atelierwohnungam Pfefferberg besuchen, in ihren großen Mappenvoller Zeichnungen und Grafiken blättern, den Zyklennachspüren, mich in ihre gerahmten Lieblingsbilderin ungewöhnlichen Formaten an denhohen weißen Wänden ihrer Rä<strong>um</strong>e versenken.Mir fällt an den Arbeiten von <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong> besondersdas Zusammenspiel von Schrift und Bildlichkeitauf. Mal stehen theoretische Überlegungenim Vordergrund „Metapher ist Vielförmigkeitmöglichen Wandels.“ – ein Zitat des Schriftstellersund Philosophen Paul Valéry -, mal eher das Figurative,aber immer ist es die Lebendigkeit, sind esBewegungen, Schwingungen, die ich sehe, diemich anblicken, anspringen. Sichtbar, hörbar, fühlbar.M.F.: Was hat dich an den Themen der Tagung „ZeitGestalten“ im Oktober 2002 besonders interessiert?So sehr, dass du spontan Gründungsmitgliedder Deutschen Gesellschaft für Zeitpolitik gewordenbist?C.D.: Zunächst habe ichmich von der Doppeldeutigkeitdes Titels angezogengefühlt. Im Verlauf der Tagungüberraschte mich dieVielfalt der Themen, dieUnterschiedlichkeit der ReferentInnenund die interdisziplinäreOffenheit, mitder über die verschiedenstensozialen und politischenAspekte <strong>zu</strong>r Zeit referiertwurden. Von besondererRelevanz für mich alsKünstlerin waren die Ausführungenvon Frau Dr.Christiane Müller-Wichmann. Ihre Beobachtungen,dass die berufstätigeBevölkerung nur <strong>zu</strong> einemverschwindend geringemProzentsatz im Theater<strong>zu</strong> sehen ist, führte sieTitel: Zeitsprung 1<strong>zu</strong> der Frage, wie viel Zeitfür ein kulturelles Miteinander in unserer Gesellschaftvorgesehen ist. Ihre Ausführungen decken sich mitmeinen persönliche Erfahrungen als Künstlerin. In ei-


DGfZPSeite 17<strong>Z<strong>um</strong></strong> <strong>Thema</strong>: <strong>Öffne</strong> <strong>deine</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>um</strong> <strong>zu</strong> <strong>hören</strong>, was du nicht siehst Forts.Marion Fabian im Gespräch mit <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong>nem „normalen“ Arbeitsleben ist für Kultur (oderKunst) wenig Platz. Ohne den Begriff der Kultur andieser Stelle diskutieren <strong>zu</strong> können, ist die Fragenach den möglichen Rezipienten von kulturellen Aktivitäten,eine Kardinalfrage für sogenannte Kulturschaffende.Kunstbetrachtung ohne Zeit ist nichtmöglich. Insofern spielt die Zeit eine große Rolle inder Kunstrezeption aber natürlich auch in der Produktion.Während der Tagung wurden mir die politischenZusammenhänge im Umgang mit der Zeit klarer undauch die Notwendigkeit für politische Lobbyarbeit fürZeitthemen. Ich denke mit meiner Mitgliedschaft einenSchritt in die richtige zeitpolitische Richtung gemacht<strong>zu</strong> haben.M.F.: Ja, das gilt auch für mich. Es ist an der Zeit, sicheinz<strong>um</strong>ischen, schließlich ist die Zeitorganisation einerjeden Gesellschaft ein wichtiges Charakteristik<strong>um</strong>,eigentlich gar nicht nachvollziehbar, war<strong>um</strong>nicht längst über die Ressource und das kulturelleMedi<strong>um</strong> Zeit lautstark und öffentlichkeitswirksam diskutiertwurde. Und ist es nicht fabelhaft, dass so vieleder Zeitwissenschaftler/innen in ihren VeröffentlichungenBe<strong>zu</strong>g auf die Kunst nehmen und mehrnoch: selbst künstlerisch arbeiten? Wir befinden unsalso in der DGfZP in mehrfacher Hinsicht in guter Gesellschaft!Aber worin liegt eigentlich die Faszinationfür dich, dich in <strong>deine</strong>r Kunst mit Zeit <strong>zu</strong> beschäftigen?M.F.: Je länger ich mich mit Zeit beschäftige, destoweniger weiß ich, was das ist, die Zeit. Als Studentinwar ich für eine Weile davon überzeugt, ich käme derZeit auf die Schliche, wenn ich sie als wichtiges Strukturelementheranziehe <strong>zu</strong>r Interpretation von Literatur- Erzählzeit, erzählte Zeit, historische Zeit, Zeitsprüngeund so weiter - wenn ich mir über dieKunst das Leben erkläre. Es stellten sich aber rechtbald viel mehr neue Fragen als ich Antworten fand.Seither jedenfalls denke ich über Zeit im Pluralnach, über Zeiten. Ich konnte ein paar Spuren sichern,an die ich immer mal wieder anknüpfe. Amwenigsten interessiert mich die objektive Zeit, dieZeitmessung, die Uhr, wenn ich ihr auch nicht entgehenkann. In der Musik vergesse ich die Zeit,während ich ihr darin <strong>zu</strong>gleich <strong>zu</strong>höre. Musik empfindeich als Zeit. Und in meinen Stücken spiele, experimentiereich mit Zeit, ich raffe sie, ich dehnesie, indem ich die Töne, die Klänge in ihrer Dauerverändere, ich kann mittels Software be- und entschleunigen,Zeiten mixen, Gleichzeitigkeiten her-C.D.: Für mich ist Zeit ein Synonym für Leben, Lebenist die Zeitspanne zwischen Geburt und Tod. DieseZeitspanne ist gestaltbar und wird gestaltet. Die Fragenach der Zeit bedeutet doch immer auch nach demwie leben <strong>zu</strong> fragen. Das Leben ist mit der Zeit verwoben,darin liegt für mich die Faszination. Kunst ist eineForm dem Leben und Erleben Ausdruck <strong>zu</strong> verleihen.Insofern ist es für mich naheliegend, mich künstlerischmit dem <strong>Thema</strong> Zeit <strong>zu</strong> befassen. Du bist dochauch künstlerisch aktiv. Welche Rolle spielt für dichdie Zeit in Deinem komponierenden Denken?Titel: Transparenz der Lebenssicherung


Seite 18Zeitpolitisches Magazin<strong>Z<strong>um</strong></strong> <strong>Thema</strong>: <strong>Öffne</strong> <strong>deine</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>um</strong> <strong>zu</strong> <strong>hören</strong>, was du nicht siehstMarion Fabian im Gespräch mit <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong>Forts.stellen. Es gibt viele Ebenen von Zeit in meiner Arbeit.Eine sehr naheliegende ist natürlich, die Zeit/Zeiten selbst z<strong>um</strong> Inhalt <strong>zu</strong> machen. Skizzen, kleineHörbilder gibt es bereits, aber was ich da<strong>zu</strong>ganz dringend brauche - ist ganz banal - mehr Zeit.Du hast diesen thematischen Schritt längst vollzogen.Dass die Zeit in <strong>deine</strong>r Kunst von zentralerBedeutung ist, ist ja offensichtlich.C.D.: Ja, Zeit bzw. Zeitlichkeit ist für mich immerwieder ein <strong>Thema</strong> unter ganz verschieden Vorzeichen.In meiner letzten Ausstellung z<strong>um</strong> Beispiel,die den Titel „Zeitsprünge und Tempowechsel“ hatte,waren in meinen Arbeiten Kontinuität und zeitlicheBrüche ein <strong>Thema</strong>. Ich habe mit Zitaten ausPeter Paul Rubens Zeichnungen und Gemälden gearbeitet,sie aus dem Kontext des Barock herausgelöstund sie ins Heute geholt; sie aus meinerheutigen Sicht interpretiert. Ein Zeitsprung in dieVergangenheit, <strong>zu</strong> Motiven und Formen des Barock.Ein anderes <strong>Thema</strong> ist die grafische Darstellungvon Intervallmessungen bzw. die Messung von Veränderungüber einen gewissen Zeitra<strong>um</strong> hinweg.Ich arbeite mit diesen fiktiven Messkurven, diesensubjektiven seismographischen Aufzeichnungenseit ein paar Jahren. In der Serie „Frau und Mann I-III im Rhythmus der Zeit“ durchwandern Messkurvendie Figuren, was auch immer sie messen. Mankann diese ausschlagenden Linien als EEGs oderEKGs lesen, sie könnten aber auch Spektogrammeeines inneren Dialogs sein. In der Arbeit Sprachspurenz.B. habe ich fiktive Spektogramme einemsprachlichen Zitat <strong>zu</strong>geordnet. Es gibt da eine interneVerweisstruktur zwischen den Arbeiten. ....M.F.: Das ist sehr augenfällig. Und immer wiederfindet man in <strong>deine</strong>n Bildern Verweise auf dieSchwesterkunst Musik, musikalische Zitate, Noten,graphische Darstellungen von Tönen. Wie ist deinVerhältnis <strong>zu</strong>r Musik, der Zeitkunst per se? Was istdie Triebkraft der Verknüpfung?Titel: Venus & LudwigC.D.: Während meiner Schulzeit befand ich mich indem Dilemma zwischen Kunst oder Musik entscheiden<strong>zu</strong> müssen. Ich konnte nicht beide Fächerals Leistungskurs wählen. Damals entschied ichmich für die Musik und studierte dann später Kunst.Ich freue mich jetzt in meiner künstlerischen Arbeit dieMusik mit einbeziehen <strong>zu</strong> können, finde ich doch in ihrsowohl rä<strong>um</strong>liche als auch grafische Bezüge. In denletzten zwei Jahren habe ich angefangen, den grafischenElementen von Kompositionen Platz in meinenBildern ein<strong>zu</strong>rä<strong>um</strong>en und so mit einem visuellenKlangra<strong>um</strong> <strong>zu</strong> experimentieren.Ursprünglich haben mich die sogenannten wav-Dateienvon Kompositionssoftware <strong>zu</strong>r Musik <strong>zu</strong>rück geführt. Indiesen wav-Dateien werden Klänge, Geräusche, Musikdigital gespeichert. Sie stellen ein Musikstück in seismographischenLinien am Bildschirm dar. Der Weg direkt<strong>zu</strong> Noten, <strong>zu</strong> ihrem grafischen Rhythmus war dannnicht mehr weit. Zur Zeit arbeite ich an Collagen ausNoten, Textfragmenten und Papieren und verbinde siemit Zeichnungen. Das Tempo und der Rhythmus, diescheinbar der Musik vorbehalten sind, haben für michin einem Bild immer wieder große Wichtigkeit.M.F.: Diese verbildlichten auditiven Elemente sprechenmich besonders an. Ich sehe <strong>deine</strong> Bilder, und ich höresie. Unser Erkenntnisinstr<strong>um</strong>ent ist ja vorrangig das Auge;gemeinhin geht es beim Begreifen immer dar<strong>um</strong>,dass gesehen, erschaut werden muss, jemandem die<strong>Augen</strong> öffnen, den Blick <strong>zu</strong> richten, und auch die gesprocheneSprache zielt darauf, den Menschen einsichtig<strong>zu</strong> machen. Die akustische Sensibilität bleibt


DGfZPSeite 19<strong>Z<strong>um</strong></strong> <strong>Thema</strong>: <strong>Öffne</strong> <strong>deine</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>um</strong> <strong>zu</strong> <strong>hören</strong>, was du nicht siehstMarion Fabian im Gespräch mit <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong>Forts.unter dieser Okulartyrannis (Ulrich Sonnemann) oftauf der Stecke. In <strong>deine</strong>n Arbeiten nehme ich abersehr deutlich das Hören wahr. Wenn ein Ding tönt,bewegt es sich, verändert es sich, eröffnet es neueTon-Farben-Spektren ...C.D.: Die Stille beim Sehen kann unter Umständensehr stark tönen. In dem ich den Blick auf Bewegung,Noten oder diese Klanglinien lenke, kommt es fastzwangsläufig <strong>zu</strong> einer Rückkoppelung mit dem Hörsinn.Über das Auge lassen sich im Gehirn Klangsensationenauslösen, wie <strong>um</strong>gekehrt durch Musik oderGeräusche Bilder oder Vorstellungen im Kopf entstehen.Das ist jedenfalls meine Erfahrung. Mich interessiert,wie du das erlebst. Spielst du damit, gedanklicheBilder oder grafische Strukturen durch <strong>deine</strong>Kompositionen hervor<strong>zu</strong>rufen?M.F.: Ich sinne natürlich darüber nach, was es mitder Verschränkung von auditiver und visueller Ebeneauf sich hat, ob es Rangfolgen oder Gleichzeitigkeitgibt, und auch, wie es <strong>um</strong> andere Sinneseindrückebestellt ist, wenn z.B. Schallwellen den Körper vibrierenlassen oder sie gar Schmerzen auslösen. DieFunktionsweise unseres Gehirns ist ja recht gut erforscht.Und ich kann nachlesen, wie und wo Informationenüber welche Nervenbahnen verarbeitetwerden, wie sich vegetative Effekte physiologisch begründenlassen. Das ist wirklich sehr spannend. Aberdas Wissen darüber spielt dann bei meiner Arbeit aneinem Stück gar keine Rolle. Es gibt keine Bilder. Esgibt Geräusche, Töne, Klänge, die ich eingefangen,digitalisiert habe, mit denen ich spiele. Manchmalformt sich über dieses Spiel ein Wort, ein Satz, höreich eine Stimme, nach der suche ich, zeichne sie auf.Besonders gern lote ich die musikalische Qualitätvon "akustischem Müll" aus, von Straßen- und Maschinenlärmim ganz normalen Alltag(Soundrecycling); aber auch von Sprache, die ichnicht nur in ihrem semantischen Gehalt betrachteund belausche. Über ein Publik<strong>um</strong> denke ich seltennach. Geräuschorientierte Elektronik, sound art,KlangKunst, wie immer wir es nennen, ist sowiesonur eine winzige Nische in der Musik. Ich komponierein erster Linie für mich selbst, weil ich süchtig binnach akustischen Phänomenen, weil ich deren Wahrnehmungdauerhaft speichern möchte. Vielleichtsind meine Nervenbahnen doch einer Hierarchie imGehirn unterworfen. Hören, Erkennen, dann erstein Bild davon machen. Wenn ich Partituren schreibenmüsste, würde ich mich allerdings nicht herkömmlicherNoten bedienen, sondern Zeichnungenwählen, ähnlich <strong>deine</strong>r kleinen Menschen, die aufeinem Wav-File (graphische Darstellung von Ton)tanzen/reiten, oder die Grundformen und -farbendes Bauhauses, das gelbe Dreieck, den blauenKreis, das rote Viereck. Oder die Visualisierung kämekubistisch daher. Ich glaube, das würde sichvon selbst aus dem zeitlichen Prozess des Stückesergeben, ob es sich <strong>um</strong> ein Nacheinander oder <strong>um</strong>Gleichzeitigkeit handelt, welche Rollen Harmonie,Melodie, Takt spielen, wie das Verhältnis von einemfließenden Zeitverlauf <strong>zu</strong> zerrissener Zeit ist.Ich würde gern wieder <strong>zu</strong> dir, <strong>zu</strong> <strong>deine</strong>n Werken<strong>zu</strong>rückkehren. Deiner Arbeit FALL-WEISE-EIN-SICHT liegt ja die visuelle Ausarbeitung einesModells der Zeitlichkeit des Gedächtnisses <strong>zu</strong>grunde.Kannst du diese Zeitlichkeit und ihrekomplexe Verweisstruktur kurz benennen?Titel: FALL-WEISE-EINSICHTC.D.: Bei FALL-WEISE-EIN-SICHT handelt es sich <strong>um</strong>neun im Quadrat angeordnete Wachsstelen, an denenkleine anthropomorphe Bronzefiguren hochkletternbzw. herabstürzen. In meinem Katalog hatDirk Setton in seinem Essay „Figuren, Stelen, Blikke“herausgestellt, wie die sichtbare Gegenwartdieser Stelen und Figuren, in eine Beziehung irreversiblerVergangenheit gesetzt sind, dadurch dassdie Originale der Figuren im Ausschmelzverfahren


Seite 20Zeitpolitisches Magazin<strong>Z<strong>um</strong></strong> <strong>Thema</strong>: <strong>Öffne</strong> <strong>deine</strong> <strong>Augen</strong>, <strong>um</strong> <strong>zu</strong> <strong>hören</strong>, was du nicht siehstMarion Fabian im Gespräch mit <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong>Forts.für den Guss verloren gehen. Gleichzeitig wird dieFunktion der Stelen als dauerhafte Erinnerungsträgeruntergraben, indem sie aus dem empfindlichenMaterial Wachs bestehen und auf die verlorenenWachsoriginale der Bronzen be<strong>zu</strong>g nehmen. In derArbeit geht es <strong>um</strong> Anwesenheit und Abwesenheit,<strong>um</strong> den Kreislauf des Vergänglichen der letztendlichder Zeitlichkeit unterliegt.Dieses <strong>Thema</strong> (Anwesenheit/Abwesenheit - derKreislauf von Vergänglichkeit und Zukunft) greife ichauch in meiner Installation „Transparenz der Lebenssicherung“auf, allerdings mit eindeutiger Be<strong>zu</strong>gnahmeauf Texte. Ich arbeite mit Zitaten ...M.F.: Dirk Setton hat in diesem Essay auch abgehobenauf Spuren <strong>deine</strong>r Heidegger-Lektüre, und ernennt <strong>deine</strong> Stelen bildliche Entwürfe vom In-der-Welt-sein über Nicht-mehr-in-der-Welt-sein z<strong>um</strong> Ausder-Welt-gehen....C.D.: Mir hat die visuelle Prägnanz HeideggerscheTerminologie in die Hände gespielt - die vielen Bindestrichein seiner Begriffsbildung. Diese Bindestrichelassen die Wortgebilde <strong>zu</strong> Eisenbahnzügen werden,mit unterschiedlichen Waggonlängen, wobei dieLokomotive dieser Wortzüge nie am Anfang oder Endesteht, sondern meist an vorletzter Stelle. AberSchriftsprache hat ja nicht nur eine visuelle Erscheinung.Sie ist immer auch mit Bedeutung beladen,steht im Kontext, löst Assoziationen, Gedanken, Erinnerungenoder Vorstellungen beim Leser aus.C.D.: In dieser Installation „Transparenz der Lebenssicherung“,ging es mir auch dar<strong>um</strong>, die Verbindungvon Leben und Tod, wie sie in unserer Gesellschaftpräsent ist, sichtbar <strong>zu</strong> machen. Die versicherungskulturelleErfindung, den sicheren Tod mit einer Versicherungsprämiefür die Überlebenden ab<strong>zu</strong>sichernfinde ich bemerkenswert. Sie zeigt auch etwas überden Umgang mit Zeit. Es ist ein Gebot, in die Zukunft<strong>zu</strong> denken und <strong>zu</strong> versuchen, auf sie Einfluss <strong>zu</strong>nehmen. Ich möchte nicht infrage stellen, dass einegewisse Lebensplanung sinnvoll ist. Allerdings ist inden sogenannten entwickelten, zivilisierten Gesellschaftenin vielen Lebensbereichen vor lauter Planungdie Gegenwart abhanden gekommen. MitWellness-Wochenenden und Zen-Meditation für Managersoll sie wieder eingeholt werden. Ziel meinerkünstlerischen Interventionen ist auch, den <strong>Augen</strong>blick,die Gegenwart wahrnehmbar werden <strong>zu</strong> lassen.Momentan arbeite ich an Collagen, in denen ichLudwig Wittgenstein zitiere, diese Zitate mit Bildzitatenvon Tizian, Veronese u.a. verknüpfe und in dieGegenwart hole. Für mich sind verschiedene philosophischeTexte immer wieder hoch interessant, vorallem im Zusammenhang mit einer künstlerischenAuslegung.M.F.: Ich hoffe, du kannst sehr bald <strong>deine</strong> neuenBilder in einer Ausstellung zeigen. Gern würdeich auch unser Gespräch fortführen, es gibt soviele Aspekte, die wir nur gestreift haben, dieaber gerade<strong>zu</strong> danach schreien, vertieft <strong>zu</strong> werden– dann ohne Publik<strong>um</strong>. Vorerst vielen Dank.Die Auswahl der z<strong>um</strong> Abdruck freigegebenen Bilderhat <strong>Christine</strong> <strong>Düwel</strong> selbst getroffen. Mehr über dieKünstlerin und ihre Arbeit ist <strong>zu</strong> erfahren unterwww.wpb.de/thegallery/duewel/index.htm.Ein Atelierbesuch kann vereinbart werden unter derTelefonn<strong>um</strong>mer 030 / 443 17 474.M.F.: Die Eisenbahnzüge gefallen mir. Ich höre sierollen und rauschen, ein hörsinnliches In-der-Welt-Sein.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!