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Der Angriffskrieg als Lesestoff: Der Krieg an der Ostfront in der ...

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<strong>Der</strong> <strong>Angriffskrieg</strong> <strong>als</strong> <strong>Lesestoff</strong>Darstellung und Deutung des Russl<strong>an</strong>dfeldzuges<strong>in</strong> <strong>der</strong> deutsch-deutschen Nachkriegsliteratur(1945-1960)Christ<strong>in</strong>a Mor<strong>in</strong>a (Maryl<strong>an</strong>d, Leipzig) *An die historische Wahrheit kommen eigentlich nur die Dichter her<strong>an</strong>. [...]Dafür f<strong>in</strong>det die Geschichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Poesie e<strong>in</strong>e ihrer allerwichtigsten Quellen und e<strong>in</strong>er ihrerallerre<strong>in</strong>sten und schönsten.Jakob Christoph Burckhardt (1868)E<strong>in</strong>leitungIn <strong>der</strong> kollektiven Wahrnehmung <strong>der</strong> meisten deutschen Zeitgenossen f<strong>an</strong>d <strong>der</strong> ZweiteWeltkrieg wohl <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> statt. Die nation<strong>als</strong>ozialistische Begleitpropag<strong>an</strong>da zumAngriff auf die Sowjetunion und die Stilisierung <strong>der</strong> Schlacht von Stal<strong>in</strong>grad zu dem„Heldenlied <strong>der</strong> deutschen Geschichte“ 1 ließen die <strong>Ostfront</strong> <strong>als</strong> Hauptkriegsschauplatzersche<strong>in</strong>en. Im Rückblick ersche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> „Feldzug Barbarossa“ <strong>an</strong>gesichts des Ausmaßes <strong>an</strong>Leid und Zerstörung neben dem Holocaust <strong>als</strong> das <strong>an</strong><strong>der</strong>e historische Großverbrechen <strong>in</strong> <strong>der</strong>Geschichte des Dritten Reiches. Im Unterschied zu dem Massenmord <strong>an</strong> den europäischenJuden rief <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> <strong>der</strong> Deutschen Wehrmacht <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> großes Interesse und vielMitgefühl <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Bevölkerung hervor, da das dortige massenhafte Sterben deutscherSoldaten kaum e<strong>in</strong>e Familie verschonte: alle<strong>in</strong> zwischen J<strong>an</strong>uar 1943 und Mai 1945 fielenüber vier Millionen deutsche Soldaten, das entspricht 78 Prozent aller deutschen <strong>Krieg</strong>sopfer. 2Die unfassbare Grausamkeit, die die <strong>Ostfront</strong> wie ke<strong>in</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>es Schlachtfeld des ZweitenWeltkrieges charakterisierte, sowie die gleichzeitige Ver<strong>an</strong>twortung für den Beg<strong>in</strong>n diesesVernichtungsfeldzuges war daher nicht nur die Ursache für die Verdrängung und selektiveEr<strong>in</strong>nerung dieses Konfliktes, son<strong>der</strong>n auch e<strong>in</strong> wichtiger Grund für dessen Unvergessenheit.Dieses Paradoxon von selektiver Er<strong>in</strong>nerung – Verdrängung beg<strong>an</strong>gener Verbrechen bzw.zugefügten Leids e<strong>in</strong>erseits und Wachhalten <strong>der</strong> Er<strong>in</strong>nerung <strong>an</strong> das erlittene eigene Leid<strong>an</strong><strong>der</strong>erseits – kennzeichnete die deutschen Er<strong>in</strong>nerungskulturen <strong>der</strong> Nachkriegsjahre. 3 Es istdiese ambivalente Unvergessenheit, die den <strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> im Allgeme<strong>in</strong>en sowie dieSchlacht bei Stal<strong>in</strong>grad im Beson<strong>der</strong>en gleichermaßen zu e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> meist beschriebenen und*Kontakt: Reichardtstieg 1, 07743 Jena, t<strong>in</strong>a1@umd.edu. Me<strong>in</strong> aufrichtiger D<strong>an</strong>k gilt Ute Buwert, BarbaraKönczöl sowie Julia Schmidt-Funke für ihre kritischen und hilfreichen Anregungen.1


meist beschwiegenen historischen Ereignisse machte. Dieser Artikel untersucht den<strong>Angriffskrieg</strong> <strong>als</strong> <strong>Lesestoff</strong>, <strong>als</strong>o den literarischen Stoff „<strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>“ und se<strong>in</strong>eDeutung <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutsch-deutschen Nachkriegsliteratur <strong>der</strong> Jahre 1945 bis 1960. 4Jede historische Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Literatur im (geteilten) Nachkriegsdeutschl<strong>an</strong>dbeg<strong>in</strong>nt mit <strong>der</strong> Frage, was das geschriebene Wort – und Sprache g<strong>an</strong>z allgeme<strong>in</strong>– nach dem „Zivilisationsbruch“ (Arendt) noch ausdrücken k<strong>an</strong>n und will. E<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dvolldeutscher Philosophen, die im <strong>in</strong>neren o<strong>der</strong> realen Exil ausgeharrt hatten, wiesen unmittelbarnach <strong>Krieg</strong>sende auf die verme<strong>in</strong>tliche Unmöglichkeit <strong>der</strong> sprachlichen Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzungmit den unbeschreiblichen Verbrechen unter <strong>der</strong> NS-Diktatur h<strong>in</strong>. Theodor W. Adorno hielt„Poesie“ – und er me<strong>in</strong>te damit die Kunst und Kultur im Allgeme<strong>in</strong>en – nach Auschwitz für„barbarisch“ 5 und beschrieb mit diesem Ged<strong>an</strong>ken auch den <strong>in</strong>tellektuellen Trümmerhaufen,<strong>in</strong> dem sich deutsche Schriftsteller, ja alle Überlebende nach dem 8. Mai 1945 wie<strong>der</strong> f<strong>an</strong>den.Was im L<strong>an</strong>d <strong>der</strong> Dichter und Denker nach <strong>der</strong> „deutschen Katastrophe“ (Me<strong>in</strong>ecke) noch zutun übrig blieb, war die „Reflexion auf das eigene Versagen:“ 6Nach dem Zweiten <strong>Krieg</strong> ist alles, auch die auferst<strong>an</strong>dene Kultur zerstört, ohne es zu wissen; dieMenschheit vegetiert kriechend fort nach Vorgängen, welche eigentlich auch die Überlebenden nichtüberleben können, auf e<strong>in</strong>em Trümmerhaufen, dem es noch die Selbstbes<strong>in</strong>nung auf die eigeneZerschlagenheit verschlagen hat. 7H<strong>an</strong>nah Arendt h<strong>in</strong>gegen erk<strong>an</strong>nte, dass, <strong>an</strong><strong>der</strong>s <strong>als</strong> <strong>der</strong> Erste Weltkrieg, <strong>der</strong> noch zurrom<strong>an</strong>tisierenden Stilisierung von Fronterlebnis und Soldatentod <strong>in</strong>spirierte, <strong>der</strong> ZweiteWeltkrieg die Grundfeste <strong>der</strong> westlichen Mo<strong>der</strong>ne erschütterte und den Menschen <strong>als</strong> e<strong>in</strong>e zuunsagbaren Verbrechen fähige Kreatur offenbarte. 8 Diese Erkenntnis führte sie zu <strong>der</strong>Schlussfolgerung, dass das „Böse“ <strong>an</strong> sich von nun <strong>an</strong> e<strong>in</strong>ziges Thema literarischphilosophischerDiskurse se<strong>in</strong> könne:The reality is that ‚the Nazis are men like ourselves‘; the nightmare is that they have shown, haveproven beyond doubt what m<strong>an</strong> is capable of. [...] The problem of evil will be the fundamentalquestion of postwar <strong>in</strong>tellectual life <strong>in</strong> Europe – as death became the fundamental problem after thelast war. 9E<strong>in</strong> dritter Zeitgenosse, Karl Jaspers, hatte schon 1946 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ebenso berühmten wieüberhörten Vorlesung „Die Schuldfrage“ e<strong>in</strong>e gesellschaftliche Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mitkollektiver Ver<strong>an</strong>twortung und <strong>in</strong>dividueller Schuld e<strong>in</strong>gefor<strong>der</strong>t. Erste Voraussetzung füre<strong>in</strong>e solche Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung sei es, „<strong>in</strong> voller Offenheit und Ehrlichkeit“ mite<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> überdie historischen Tatsachen zu reden, was zugegebenermaßen e<strong>in</strong>em „geistig-politischenWagnis am Abgrund“ gleichkäme. Doch: „Deutschl<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>n nur wie<strong>der</strong> zu sich kommen,wenn wir Deutschen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kommunikation zue<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> f<strong>in</strong>den.“ 10 Im Angesicht <strong>der</strong>Monstrosität <strong>der</strong> Verbrechen sowie <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage fiel diese Aufgabe nicht nur2


Politikern und Philosophen, son<strong>der</strong>n wohl gerade auch den Schriftstellern zu – Menschen, diemit Worten das g<strong>an</strong>ze Spektrum menschlicher Erfahrungen und Emotionen zu erfassensuchen.Waren die Schriftsteller <strong>als</strong>o fähig zu e<strong>in</strong>er Selbstbes<strong>in</strong>nung und wi<strong>der</strong>legen sie damitAdornos radikales Diktum vom Ende <strong>der</strong> „Poesie“? Kamen nur die „Dichter“ imNachkriegsdeutschl<strong>an</strong>d <strong>an</strong> die „eigentliche historische Wahrheit“ her<strong>an</strong>, wie es Burckhardtkühn behauptete? 11 Wie setzten sie sich mit dem <strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>? WelcheFragmente historischer Er<strong>in</strong>nerungen f<strong>an</strong>den E<strong>in</strong>g<strong>an</strong>g <strong>in</strong> Rom<strong>an</strong>e und Erzählungen und waswurde verschwiegen, überg<strong>an</strong>gen, verzerrt? War es überhaupt möglich, <strong>an</strong>gesichts deskatastrophalen Zust<strong>an</strong>ds <strong>der</strong> Deutschen und ihres L<strong>an</strong>des, <strong>an</strong>gesichts <strong>der</strong> „eigenen“ Opfer,Interesse, ja Mitgefühl für die „<strong>an</strong><strong>der</strong>en“ Opfer des deutschen <strong>Angriffskrieg</strong>es zu empf<strong>in</strong>denund zu artikulieren? Und wie stark wehrten sich Schriftsteller gegen e<strong>in</strong>e politischeInstrumentalisierung von Literatur im aufziehenden Kalten <strong>Krieg</strong>, o<strong>der</strong> gaben sie sich und ihreStimmen eifrig e<strong>in</strong>er solchen h<strong>in</strong>? Wenn e<strong>in</strong> würdevolles Leben <strong>als</strong> Überlebende nur <strong>in</strong>Wahrhaftigkeit und kritischer Selbstreflexion möglich war, wie es Jaspers for<strong>der</strong>te, war d<strong>an</strong>nLiteratur über den <strong>Krieg</strong> e<strong>in</strong> möglicher Weg, diese Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung zu versuchen?Literatur und <strong>Krieg</strong>Die Frage von „Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Literatur für die Geschichtswissenschaft“ ist bisheute umstritten. 12 Insbeson<strong>der</strong>e die deutsche Zeitgeschichtsforschung macht nur begrenzt vonLiteratur <strong>als</strong> historischer Quelle Gebrauch. In jüngster Zeit hat sich dennoch e<strong>in</strong> Kreis vonGeisteswissenschaftlern herausgebildet, <strong>der</strong> die deutsche Nachkriegsgeschichte, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>eden Umg<strong>an</strong>g <strong>der</strong> Deutschen mit ihrer Verg<strong>an</strong>genheit, auch im Spiegel zeitgenössischer Werkeuntersucht und damit <strong>der</strong> Nachkriegsliteratur höhere wissenschaftliche Beachtung schenkt. 13Nur selten wird dabei jedoch über die theoretisch-methodischen Herausfor<strong>der</strong>ungen e<strong>in</strong>ersolchen historischen Literaturkritik reflektiert, 14 und auch <strong>an</strong> dieser Stelle sei auf dieseNotwendigkeit nur h<strong>in</strong>gewiesen. Die Mehrzahl historischer Studien über dieAuse<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit Nation<strong>als</strong>ozialismus und Zweitem Weltkrieg <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d nach1945 stützt sich auf die konventionellen Quellen und Methoden <strong>der</strong> Zeitgeschichtsforschung.Dabei wurden die wesentlichen Tendenzen und Aspekte von politischer und gesellschaftlicher„Verg<strong>an</strong>genheitsbewältigung“ beleuchtet. 15 Vere<strong>in</strong>zelt erschienen auch Arbeiten zu3


literarischen, filmischen und künstlerischen Reflexionen über NS-Zeit und Weltkrieg, z. B. <strong>in</strong>Bezug auf „Stal<strong>in</strong>grad“, <strong>Krieg</strong>salltag und Bombenkrieg. 16In diesem Aufsatz wird <strong>der</strong> Ecoschen Unterscheidung 17 folgend, Literatur nicht <strong>als</strong> Text<strong>in</strong>terpretiert, son<strong>der</strong>n <strong>als</strong> Quelle für die Rekonstruktion e<strong>in</strong>es literarischen Diskurses über dieVerg<strong>an</strong>genheit verst<strong>an</strong>den und für die Be<strong>an</strong>twortung <strong>der</strong> Frage her<strong>an</strong>gezogen, wie <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong><strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> und die Schlacht von Stal<strong>in</strong>grad <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutsch-deutschen Nachkriegsliteraturdargestellt, nacherzählt, er<strong>in</strong>nert, <strong>in</strong>terpretiert und gewertet wurden. Die literarischen Textedienen <strong>als</strong>o nicht <strong>der</strong> Rekonstruktion verg<strong>an</strong>gener Ereignisse, son<strong>der</strong>n sie s<strong>in</strong>d Quellen für dieRekonstruktion e<strong>in</strong>es Diskurses über das historische Ereignis <strong>Krieg</strong> gegen die Sowjetunion,über die Realitäten und Legenden des Russl<strong>an</strong>dfeldzuges, se<strong>in</strong>e Folgen und Deutungen. 18Freilich ergeben sich aus dem Wesen literarischer Arbeiten Beschränkungen: e<strong>in</strong> fiktiver Textist ke<strong>in</strong> „Dokument“ im historiographischen S<strong>in</strong>ne, eben weil er Fiktion ist. Dennoch stellt erhier e<strong>in</strong>e authentische Quelle dar, er ist e<strong>in</strong> „Zeitdokument“, e<strong>in</strong> verschriftlichtes Zeugnise<strong>in</strong>er verg<strong>an</strong>genen Zeit. Des Weiteren ist zu beachten, dass sich <strong>der</strong> S<strong>in</strong>n e<strong>in</strong>es literarischenTextes nicht zw<strong>an</strong>gsläufig aus <strong>der</strong> ersten Lektüre erschließt, se<strong>in</strong>e Entstehungsgeschichte isteng mit <strong>der</strong> Biographie des Autors und dem historischen Kontext verwoben und se<strong>in</strong>eAussagen spiegeln we<strong>der</strong> zw<strong>an</strong>gsläufig die Ansichten des Autors noch jene se<strong>in</strong>erZeitgenossen wie<strong>der</strong>, gerade weil Literatur nicht nur Abbild o<strong>der</strong> Gegenbild e<strong>in</strong>ergesellschaftlichen Realität se<strong>in</strong> k<strong>an</strong>n, son<strong>der</strong>n vor allem auch <strong>der</strong>en Ergebnis ist. Sie k<strong>an</strong>n undsollte daher <strong>als</strong> e<strong>in</strong> gesellschaftlicher Prozess verst<strong>an</strong>den werden. 19Die zeitliche E<strong>in</strong>schränkung bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Texte auf die ersten 15 Nachkriegsjahreermöglicht e<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>en konzentrierten Blick auf die literarischen Bemühungen <strong>der</strong>„l<strong>an</strong>gen“, zwischen 1890 und 1930 geborenen <strong>Krieg</strong>sgeneration(en), die traumatischenEreignisse des Russl<strong>an</strong>dfeldzugs zu verarbeiten; <strong>an</strong><strong>der</strong>erseits lässt sich für die Jahre bis zumMauerbau im August 1961 e<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerdeutscher Diskurs über Literatur und <strong>Krieg</strong>rekonstruieren, <strong>der</strong> vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> deutschen Teilung und des Kalten <strong>Krieg</strong>esunweigerlich politisiert wurde und politisierend wirkte. Dass e<strong>in</strong>e solche literarisch-politischeAuse<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung <strong>in</strong> zwei gegensätzlichen politischen Systemen stattf<strong>an</strong>d und dieBed<strong>in</strong>gungen schriftstellerischer Arbeit jeweils fundamental <strong>an</strong><strong>der</strong>e waren, ist dabei vonzentraler Bedeutung. Dennoch sollen hier zum Zwecke <strong>der</strong> möglichst breit gefächertenWerksauswahl auch Texte <strong>der</strong> sog. <strong>an</strong>tifaschistischen Literatur <strong>der</strong> frühen DDR e<strong>in</strong>bezogenwerden, auch wenn diese nicht selten eher parteioffiziellen <strong>als</strong> künstlerischen Motivenentspr<strong>an</strong>g. 204


Im Folgenden wende ich mich kurz den literarischen und literaturpolitischen Debatten <strong>der</strong>1950er Jahre zu, die jeweils <strong>in</strong> den beiden deutschen Staaten und z. T. auch zwischen ihnenum die Rolle und Aufgaben <strong>der</strong> Literatur nach <strong>der</strong> totalen Nie<strong>der</strong>lage kreisten. 21 Dar<strong>an</strong>schließt sich die eigentliche thematisch geglie<strong>der</strong>te Text<strong>an</strong>alyse <strong>an</strong>.Im März 1950, drei Monate vor Gründung des Deutschen Schriftstellerverb<strong>an</strong>des <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong> räsonierte Arnold Zweig <strong>in</strong> <strong>der</strong> Kulturbund-Zeitschrift Aufbau über die Lehren aus <strong>der</strong>Geschichte und die „wichtigste gesellschaftliche Funktion des Schriftstellers“, die Massen zuerreichen:[…] wenn <strong>in</strong> dem Jahrzehnt <strong>der</strong> Weimarer Republik die gegen den <strong>Krieg</strong> <strong>als</strong> Gesellschaftsprozeßgerichteten Rom<strong>an</strong>e, Dramen und Gedichte zu e<strong>in</strong>em Publikum gekommen wären, <strong>in</strong> dessenSchulbüchern und <strong>Lesestoff</strong> statt <strong>der</strong> jahrhun<strong>der</strong>tealten Verherrlichung des <strong>Krieg</strong>es se<strong>in</strong> wirklichesPorträt zu f<strong>in</strong>den gewesen wäre, des <strong>Angriffskrieg</strong>es nämlich <strong>in</strong> all se<strong>in</strong>er Unbrauchbarkeit auf l<strong>an</strong>geSicht, vergeblichen Grausamkeit und Vernichtungsfunktion – unmöglich hätten sich d<strong>an</strong>nhun<strong>der</strong>ttausende junge Menschen von <strong>der</strong> Parole f<strong>an</strong>gen lassen können: „Nach Ostl<strong>an</strong>d wollen wirreiten?“ 22Hitlers <strong>Angriffskrieg</strong> gegen Europa, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e gegen die Sowjetunion, sollte von denSchriftstellern <strong>als</strong> „<strong>Lesestoff</strong>“ so verarbeitet werden, dass Lehren aus <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheitgezogen werden könnten, um e<strong>in</strong>e erneute Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> Schrecken des <strong>Krieg</strong>es zuverh<strong>in</strong><strong>der</strong>n. Auf <strong>der</strong> 5. Tagung des ZK <strong>der</strong> SED im März 1951 beschloss die Partei den„Kampf gegen Formalismus <strong>in</strong> Kunst und Literatur“ und die H<strong>in</strong>wendung zum„sozialistischen Realismus“, die offiziell auch <strong>der</strong> Schriftstellerverb<strong>an</strong>d vollzog. In dessenStatut bek<strong>an</strong>nten sich die Mitglie<strong>der</strong> zur „Schaffensmethode des sozialistischen Realismus“,akzeptierten die „führende Rolle <strong>der</strong> Arbeiterklasse und ihrer Partei“ und verpflichteten sich,„entschieden gegen alle Formen <strong>der</strong> ideologischen Koexistenz und das E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>genreaktionärer und revisionistischer Auffassungen <strong>in</strong> die Bereiche <strong>der</strong> Literatur“ zu kämpfen.Die Notwendigkeit dieses Kampfes bewies sich für die SED-treuen Schriftsteller durch dieEreignisse des 17. Juni 1953, <strong>in</strong> dessen Folge Anna Seghers nochm<strong>als</strong> <strong>an</strong> ihre Zunftappellierte, sich gegen die „Horde von B<strong>an</strong>diten“ zu stellen, die „unseren friedlichen,demokratischen Aufbau zu stören“ versuchen:Sie [die B<strong>an</strong>diten] dr<strong>in</strong>gen überall da e<strong>in</strong>, wo es Leute gibt, die noch nicht völlig mit uns verbundens<strong>in</strong>d. Sie nutzen dabei jeden M<strong>an</strong>gel aus, jeden Fehler, jedes Versäumnis, jede ungeklärte Frage.Nichts k<strong>an</strong>n den Schriftstellern so deutlich ihre Aufgaben und ihre Ver<strong>an</strong>twortung zeigen. Wir werdennoch fester, noch bewußter <strong>als</strong> bisher, verbunden mit unserer Regierung und unserer Partei, dene<strong>in</strong>geschlagenen Weg fortsetzen […]. 23Vor dem H<strong>in</strong>tergrund <strong>der</strong> Unruhen im Juni 1953, des Ungarnaufst<strong>an</strong>des 1956 und <strong>der</strong>Wie<strong>der</strong>aufrüstungsdebatte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik entwickelte sich seit Mitte <strong>der</strong> FünfzigerJahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> vom Schriftstellerverb<strong>an</strong>d herausgegebenen Monatsschrift neue deutsche literatur5


e<strong>in</strong>e Debatte um die Funktion des Schriftstellers im DDR-Sozialismus sowie um dieliterarische Verarbeitung des Zweiten Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschen Gegenwartsliteratur.<strong>Der</strong> Schriftsteller Ludwig Renn stieß diese Diskussion im Jahre 1956 mit <strong>der</strong> Frage <strong>an</strong>,„Warum ke<strong>in</strong>e Literatur über den <strong>Krieg</strong>?“ und verwies darauf, dass <strong>in</strong> „unsererdemokratischen Literatur das beherrschende Kollektiverlebnis e<strong>in</strong>er g<strong>an</strong>zen Generation, <strong>der</strong>zweite Weltkrieg, zwar gelegentlich <strong>als</strong> historischer H<strong>in</strong>tergrund, aber gar nicht o<strong>der</strong> kaum <strong>als</strong>unmittelbares Element des erzählten Geschehens zu f<strong>in</strong>den ist.“ 24 Renn führte weiter aus, <strong>der</strong><strong>Krieg</strong> werde wenn überhaupt nur durch die Antifaschisten – die „alte Garde“ (Bredel, Becher,We<strong>in</strong>ert, Wolf) – thematisiert; vonnöten sei aber vielmehr die literarische Beschreibung <strong>der</strong>er,die nicht von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong> „auf <strong>der</strong> richtigen Seite“ st<strong>an</strong>den, son<strong>der</strong>n die von „Hitler <strong>an</strong> dieFronten des Zweiten Weltkrieges gelockt o<strong>der</strong> geführt o<strong>der</strong> gepresst“ worden waren und fürdie <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> „Anlaß zu <strong>in</strong>nerer Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung, zur Erkenntnis und Umkehr“ wurde. 25Wenig später griff Rolf Seeliger den Faden wie<strong>der</strong> auf, <strong>in</strong>dem er sich mit <strong>der</strong> verme<strong>in</strong>tlich„schweigenden Generation“ und den wenigen „literarischen Partis<strong>an</strong>en <strong>in</strong> Westdeutschl<strong>an</strong>d“ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzte. 26 Mit Blick auf die Flut von L<strong>an</strong>dserheften und Frontmemoiren, die <strong>in</strong> <strong>der</strong>Bundesrepublik <strong>der</strong> 50er Jahre weite Verbreitung f<strong>an</strong>den, 27 for<strong>der</strong>t Seeliger e<strong>in</strong>e gänzlichnüchterne, wirklichkeitsnahe Darstellung und Bewältigung <strong>der</strong> „erlebten E<strong>in</strong>brüche von<strong>Krieg</strong>, Tod und Katastrophe.“ Nur e<strong>in</strong>e „Radikalisierung <strong>der</strong> Themenstellung“, d.h. dieBeschreibung des „grausam verstümmelten Menschen im Wahnwitz des <strong>Krieg</strong>sgeschehens“dienten <strong>der</strong> Lehre aus <strong>der</strong> Geschichte: Literatur über den <strong>Krieg</strong> dürfe „ke<strong>in</strong>eSchicks<strong>als</strong>deutung“ se<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n „verdoppelte Wirklichkeit: die gespiegelten Blitze <strong>der</strong>Wirklichkeit sollen uns wach peitschen.“ 28 Zu den wenigen „Partis<strong>an</strong>en“ im Westen zähltennach Ansicht Seeligers u. a. Gerd Ledig mit se<strong>in</strong>en Rom<strong>an</strong>en Stal<strong>in</strong>orgel (1955) undVergeltung (1956) sowie Ingeborg Bachm<strong>an</strong>ns Lyrik. 29Dieses ausdrücklich politische und parteiliche Verständnis von <strong>Krieg</strong>sliteratur wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emAufsatz von Herm<strong>an</strong>n K<strong>an</strong>t und Fr<strong>an</strong>k Wagner Ende 1957 nochm<strong>als</strong> diskutiert und <strong>in</strong> klarerAbgrenzung zu Seeligers Auffassung <strong>in</strong>s Zentrum gerückt, denn es müsse <strong>der</strong>Gegenwartsliteratur um die „große Abrechnung“ mit dem („imperialistischen“) <strong>Krieg</strong>e gehen,nicht um e<strong>in</strong>e „naturalistische Reproduktion des Schreckens.“ 30 Im Kern folge diesespolitisierte Verständnis von <strong>Krieg</strong>sliteratur aus dem Motto „sage mir, was Du vomverg<strong>an</strong>genen <strong>Krieg</strong>e denkst, und ich will dir sagen, wie du zu e<strong>in</strong>em kommenden stündest.“ 31Ähnlich wie zuvor schon Renn, for<strong>der</strong>n die Autoren nicht e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit denAusnahmen, <strong>als</strong>o Hitlers Gegnern von Anf<strong>an</strong>g <strong>an</strong>, son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> Regel – den„Verblendeten“:6


Es geht darum, daß die Literatur dem Wesen <strong>der</strong> Sache gerecht werden, daß sie das Typischeaufsuchen und darstellen soll – und all diese zweifelnden, ahnenden o<strong>der</strong> gar wissenden Soldaten [<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>an</strong>tifaschistischen Literatur <strong>der</strong> „alten Garde“] s<strong>in</strong>d eben nicht Abbil<strong>der</strong> jenes Soldaten <strong>der</strong>deutschen Wehrmacht, <strong>der</strong> sich so schmählich von den Faschisten mißbrauchen ließ. 32Hier referieren die Autoren nicht nur das offizielle Geschichtsbild <strong>der</strong> SED, das den e<strong>in</strong>fachenSoldaten <strong>als</strong> passiv-verblendet h<strong>an</strong>delnden Arbeitersohn jeglicher <strong>in</strong>dividuellenVer<strong>an</strong>twortung für die Verbrechen <strong>der</strong> Wehrmacht entzog, son<strong>der</strong>n K<strong>an</strong>t und Wagnerversuchen <strong>in</strong> diesem Essay, g<strong>an</strong>z praktisch die von <strong>der</strong> SED <strong>an</strong>gestrebte Herrschaft über dieVerg<strong>an</strong>genheitsdiskurse <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR-Gesellschaft durchzusetzen. 33 Dementsprechend schließtdie Abh<strong>an</strong>dlung auch mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, „positive Helden“ des <strong>an</strong>tifaschistischenKampfes zu schaffen, die glaubhaft um Erkenntnis und Umkehr r<strong>in</strong>gen, die „gegen alle<strong>in</strong>neren und äußeren Wi<strong>der</strong>stände und Verirrungen zu [ihren] neuen Ansichten vordr<strong>in</strong>gen.“ 34Dies war nicht zuletzt auch e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Wahl des Rom<strong>an</strong>- und <strong>Krieg</strong>sschauplatzes, denn daes e<strong>in</strong>e Tatsache sei, dass[…] die Hauptentscheidung des zweiten Weltkrieges <strong>an</strong> <strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten <strong>Ostfront</strong> fiel, daß diegründliche Umerziehung <strong>der</strong> deutschen Soldaten fast schon zu spät und dennoch nicht zu spät <strong>in</strong>sowjetischer Gef<strong>an</strong>genschaft beg<strong>an</strong>n, da die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen des g<strong>an</strong>zendeutschen Volkes zu den Völkern <strong>der</strong> Sowjetunion e<strong>in</strong>e lebensnotwendige Aufgabe ist, for<strong>der</strong>n wirunsere Schriftsteller auf, sich noch mehr <strong>als</strong> bisher gerade mit dem faschistischen Überfall auf dieSowjetunion ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>zusetzen und diese Hauptfront des militärischen Klassenkampfes ständig –auch <strong>als</strong> H<strong>in</strong>tergrund – im Auge zu behalten. 35Diese oktroyierte Konzentration auf den <strong>Krieg</strong> gegen die Sowjetunion (und die Schlacht vonStal<strong>in</strong>grad <strong>als</strong> die Wende des <strong>Krieg</strong>es) erklärt somit zum<strong>in</strong>dest teilweise, warum sich dieDDR-Literatur im Vergleich zur westdeutschen Literatur mit e<strong>in</strong>er früheren und <strong>in</strong>tensiverenliterarischen Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> hervortat. Auch das unter SED-Strategenund Schriftstellern verbreitete, ausdrücklich politische Verständnis von Literatur sowie ihrStreben nach e<strong>in</strong>er möglichst effektiven Nutzbarmachung <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit für gegenwärtigePolitik und <strong>der</strong>en Legitimation, haben zur stärkeren Konzentration auf Geschichte und Folgendes Russl<strong>an</strong>dfeldzugs <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen DDR-Literatur beigetragen.Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund gelesen, repräsentiert die hier <strong>an</strong>alysierte Auswahl von Rom<strong>an</strong>en undErzählungen das Ergebnis von politik- und ideologiegesteuerter Literatur, <strong>der</strong>en Inhaltejedoch nicht zw<strong>an</strong>gsläufig alle<strong>in</strong> historischer Legendenbildung dienten, son<strong>der</strong>n stets auchhistorische Realitäten – wenngleich auch mit welt<strong>an</strong>schaulicher Färbung – ver- jaaufarbeiteten wollte. Günter de Bruyn hat die Entstehung e<strong>in</strong>er <strong>der</strong>art ambivalenten Literaturmit <strong>der</strong> folgenden rückblickenden Bemerkung nüchtern kommentiert: <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR „über <strong>Krieg</strong>und Nachkrieg zu schreiben, war <strong>in</strong> den fünfziger und sechziger Jahren, wenn m<strong>an</strong> gedrucktwerden wollte, nur mit Verschweigen und Lügen möglich.“ 367


Demgegenüber stellt sich das Bild <strong>der</strong> Literatur <strong>in</strong> <strong>der</strong> frühen Bundesrepublik g<strong>an</strong>z <strong>an</strong><strong>der</strong>s dar.Trotz <strong>der</strong> pluralistischen und freiheitlichen Grundordnung im westlichen Deutschl<strong>an</strong>d, sahensich die meisten Intellektuellen und Schriftsteller während <strong>der</strong> Ära Adenauer „im Abseits.“Geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> wird festgestellt, dass die bitteren Realitäten des Kalten <strong>Krieg</strong>es die Schriftsteller<strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR „zu H<strong>an</strong>dl<strong>an</strong>gern des kommunistischen Regimes“ werden ließen und die Literaten<strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD zu „Außenseitern und ohnmächtigen Kritikern“ e<strong>in</strong>es Wie<strong>der</strong>aufbaus machte, den„sie so nicht gewollt hatten.“ 37 Wie unausweichlich sich die Lage <strong>in</strong> den 1950er Jahren vielenwestdeutschen Intellektuellen darstellte, hat Thomas M<strong>an</strong>n im Herbst 1954 <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Artikelfür die fr<strong>an</strong>zösische Zeitschrift L’Express beschrieben:[…] Kraft e<strong>in</strong>er unseligen und unheildrohenden Weltkonstellation […] sehen wir e<strong>in</strong>e Menschheit,<strong>der</strong>en moralischem Status durch die <strong>Krieg</strong>e von gestern und vorgestern schon schwerer Abbruchgeschehen ist, <strong>in</strong> zwei Lager zerrissen, <strong>der</strong>en furchtbar gesp<strong>an</strong>ntes Verhältnis mit e<strong>in</strong>er Katastrophesolchen Ausmaßes droht, daß sie <strong>der</strong> Zivilisation den Rest geben würde. Daß zwischen den Lagern diewichtigste Grenze quer durch e<strong>in</strong> L<strong>an</strong>d, das unglückliche Deutschl<strong>an</strong>d, verläuft, rückt dieUnhaltbarkeit <strong>der</strong> Gesamtsituation <strong>in</strong> e<strong>in</strong> um so grelleres Licht. 38Was diese „unhaltbare“ Situation nun für die zeitgenössischen Schriftsteller bedeutete, hatH<strong>an</strong>s-Werner Richter, selbst Autor und Mitbegrün<strong>der</strong> des berühmten Nachwuchsschriftstellerzirkels„Gruppe 47“, <strong>an</strong>lässlich <strong>der</strong> Bildung des „Grünwal<strong>der</strong> Kreises“ im März 1956beschrieben. Se<strong>in</strong> Unwohlse<strong>in</strong> zwischen den Fronten <strong>in</strong> Ost- und Westdeutschl<strong>an</strong>d dürfterepräsentativ für die meisten jungen Dichter <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik <strong>der</strong> 50er Jahre se<strong>in</strong> undstellt gleichfalls e<strong>in</strong>e treffende Analyse des lähmenden <strong>in</strong>tellektuellen und künstlerischenKlimas dieser von <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufrüstungsdebatte geprägten Zeit dar:Schreiben Sie hier e<strong>in</strong> Buch gegen den <strong>Krieg</strong>, so werden sie drüben bereits <strong>als</strong> Fellow Traveler<strong>an</strong>gesehen, und hier unter Umständen <strong>als</strong> e<strong>in</strong> M<strong>an</strong>n, <strong>der</strong> Herrn [Bundesverteidigungsm<strong>in</strong>ister] Bl<strong>an</strong>kdie jungen Soldaten „vergiftet“, schreiben sie aber e<strong>in</strong> Buch über das Elend jener Vertriebenen ausdem Osten, so s<strong>in</strong>d sie drüben [<strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR] e<strong>in</strong> von den Amerik<strong>an</strong>ern gekaufter Monopolistenknecht,und rücken hier <strong>in</strong> die Nähe des [US] Sen<strong>der</strong>s Freies Europa. Diese Situation ist zweifellos für diedeutschen Intellektuellen e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>malige, gefährliche und untragbare Situation. […] Sie macht dasE<strong>in</strong>treten für die Wahrheit, für die Gerechtigkeit und für die Freiheit unendlich viel schwieriger undsie lähmt die echte Kritik fast bis zur völligen Erstarrung, denn <strong>der</strong> Grat, auf dem sich e<strong>in</strong>e solcheKritik bewegen muß, ist schmal. 39Folglich wird heute im Rückblick festgestellt, dass zeitgenössische Literatur <strong>in</strong> den 50erJahren nicht apolitisch, aber doch unpolitisch, ja „Privatsache“, war: denn sie war <strong>als</strong>„Institution“ nicht <strong>in</strong> „das sich rasch verfestigende Ordnungsgefüge [<strong>der</strong> jungenBundesrepublik] <strong>in</strong>tegriert.“ 40 Dennoch waren die 1950er Jahre e<strong>in</strong>e Zeit <strong>der</strong> literarischenFruchtbarkeit und Neu<strong>an</strong>fänge; Autoren wie He<strong>in</strong>rich Böll, Günter Grass und Wolfg<strong>an</strong>gKoeppen erlebten <strong>in</strong> diesen Jahren ihre ersten Erfolge. 41 Die literarische Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzungmit dem <strong>Krieg</strong> nahm <strong>an</strong><strong>der</strong>e Formen <strong>an</strong> und setzte <strong>an</strong><strong>der</strong>e Schwerpunkte, <strong>als</strong> das <strong>in</strong> <strong>der</strong>8


offiziellen Literatur <strong>der</strong> DDR geschah. Neben <strong>der</strong> Flut von <strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>heften undMemoiren, bestimmten e<strong>in</strong>ige wichtige Rom<strong>an</strong>e über die Schlachten bei Len<strong>in</strong>grad und beiStal<strong>in</strong>grad die Literatur dieser Zeit. Sie werden daher auch <strong>in</strong> die vorliegende Analysee<strong>in</strong>bezogen. G<strong>an</strong>z allgeme<strong>in</strong> gilt jedoch, dass <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>an</strong>spruchsvollenLiteratur <strong>der</strong> frühen Jahre <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik eher <strong>als</strong> Kulisse o<strong>der</strong> E<strong>in</strong>blendung e<strong>in</strong>e Rollespielte, weniger <strong>als</strong> zentraler Schauplatz o<strong>der</strong> H<strong>an</strong>dlungsrahmen.Dass es trotz <strong>der</strong> deutschen Teilung <strong>in</strong> dieser frühen Phase e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nerdeutscheAuse<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> literarischen Aufarbeitung des <strong>Krieg</strong>es <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>gab, zeigt die – <strong>in</strong> Form und Intensität wohl e<strong>in</strong>malige – Debatte um Gerd Ledigs Rom<strong>an</strong>„Die Stal<strong>in</strong>orgel“, <strong>der</strong> bei Ersche<strong>in</strong>en im Jahre 1955 <strong>als</strong> „bester Rom<strong>an</strong> über den ZweitenWeltkrieg“ gepriesen wurde, d<strong>an</strong>n l<strong>an</strong>ge <strong>in</strong> Vergessenheit geriet und schließlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erNeuauflage im Jahre 2000 erneut Würdigung erfuhr. 42 Ledig, <strong>der</strong> selbst <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>gekämpft hatte, erzählt schnörkellos und mit grausamer Präzision Kampf, Leid und Tod e<strong>in</strong>erGruppe namenloser Soldaten vor Len<strong>in</strong>grad 1942. Tenor des Rom<strong>an</strong>s ist die S<strong>in</strong>nlosigkeit des<strong>Krieg</strong>es, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Angst und Verrohung <strong>an</strong> <strong>der</strong> Tagesordnung s<strong>in</strong>d und <strong>der</strong> Soldat nicht heroischkämpft und stirbt, weil er sich e<strong>in</strong>er Sache verschrieben hat, son<strong>der</strong>n jämmerlich fällt, weil ermuss. <strong>Krieg</strong> ist nicht das Ergebnis von menschlichem H<strong>an</strong>deln, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Art Katastrophe,die über die deutschen und sowjetischen Soldaten here<strong>in</strong>gebrochen ist, und die von unfähigenund ver<strong>an</strong>twortungslosen Generälen auf die Schultern des e<strong>in</strong>fachen L<strong>an</strong>dsers abgewälztwird. 43Ledigs <strong>in</strong> Westdeutschl<strong>an</strong>d weith<strong>in</strong> gelobter Rom<strong>an</strong> – DIE ZEIT würdigte z. B. den„sche<strong>in</strong>bar kühlen Stil“, h<strong>in</strong>ter dem sich die „Leidenschaft e<strong>in</strong>es zerrissenen Herzens und dieLiebe zu den deutschen und russischen Menschen“ 44 verberge – sollte nach dem Willen desAutors auch <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR ersche<strong>in</strong>en. <strong>Der</strong> Claassen-Verlag, <strong>der</strong> das M<strong>an</strong>uskript <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRDveröffentlichte, lehnte dies jedoch mit dem H<strong>in</strong>weis auf die sehr wahrsche<strong>in</strong>liche ideologischeVere<strong>in</strong>nahmung des Werkes durch die SED-Propag<strong>an</strong>da ab. Dennoch kursierte dasM<strong>an</strong>uskript unter ostdeutschen Schriftstellern, und Anna Seghers höchstpersönlich würdigtedas realistische und abschreckende Portrait des <strong>Krieg</strong>es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Referat auf dem IV.Schriftstellerkongress <strong>in</strong> Ost-Berl<strong>in</strong>. Gleichzeitig wurde aber <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rezension des Rom<strong>an</strong>s <strong>in</strong><strong>der</strong> neuen deutschen literatur <strong>der</strong> „nihilistische“ Unterton des Textes kritisiert und bemängelt,dass es Ledig nicht zur klassenkämpferischen E<strong>in</strong>sicht gebracht habe:Es geht Gerd Ledig um den <strong>Krieg</strong> <strong>als</strong> solchen, den Materialkrieg, <strong>als</strong> dessen Charakteristikum er dieStal<strong>in</strong>orgel empf<strong>an</strong>d, weniger geht es ihm um den faschistischen Charakter des <strong>Krieg</strong>es, gar nicht umse<strong>in</strong>e Ursachen. […] Die russischen Soldaten s<strong>in</strong>d bei ihm die gleichen armen Opfer wie diedeutschen, die nicht wissen, worum sie kämpfen, nur Figuren auf dem Schachbrett <strong>der</strong> Generalität.“ 45 9


Diese Kritik reflektiert den Kern des ostdeutschen Verständnisses des Russl<strong>an</strong>dfeldzugs undmacht gleichfalls dessen ideologische Verzerrung deutlich. Mit Recht wird dieundifferenzierte Darstellung deutscher und russischer Soldaten <strong>an</strong>gepr<strong>an</strong>gert, <strong>in</strong> <strong>der</strong> ke<strong>in</strong>eRede ist von Angreifern und Verteidigern. Vielmehr solle herausgearbeitet werden, dass sichdie deutschen Soldaten für die ver<strong>der</strong>bliche Sache des Faschismus missbrauchen ließen,während die Sowjetsoldaten im Namen des historisch überlegenen Kommunismus für die„Befreiung“ nicht nur <strong>der</strong> Sowjetvölker, son<strong>der</strong>n auch Deutschl<strong>an</strong>ds, kämpften. In denkategorischen Worten Anna Seghers hieß das:[…] <strong>in</strong> Wirklichkeit s<strong>in</strong>d die Lebens- und Todes<strong>an</strong>gst nie identisch und vermischbar <strong>in</strong> dem <strong>Krieg</strong>zwischen <strong>der</strong> Sowjetmacht und dem Hitlerfaschsimus. Ebensowenig wie <strong>der</strong> Kampf um Brot undFrieden mit dem Kampf um Macht und Profite. 46<strong>Der</strong> Disput um Ledigs Stal<strong>in</strong>orgel exemplifiziert die Hauptströmungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschdeutschen<strong>Krieg</strong>sliteratur <strong>der</strong> Nachkriegszeit. Die Mehrheit <strong>der</strong> westdeutschen Autoren <strong>der</strong> sogen<strong>an</strong>nten Trümmer- und Kahlschlagliteratur stellten das <strong>in</strong>dividuelle Leiden im <strong>Krieg</strong> unddas Leiden am <strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> den Mittelpunkt ohne sich e<strong>in</strong>er neuen Form von kollektivistischerWelt<strong>an</strong>schauung zu unterwerfen. Die meisten ostdeutschen Autoren f<strong>an</strong>den über die relativdrastische und weitgehend authentische Darstellung des von <strong>der</strong> Wehrmacht verursachtenLeidens <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sowjetunion während des Ostkriegs sowie über die literarische Überhöhungkommunistischer Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>dshelden ihre (kollektivierte) Stimme im DDR-Geschichtsdiskurs.Text<strong>an</strong>alyseDie im Folgenden betrachteten Rom<strong>an</strong>e und Erzählungen von 15 west- und ostdeutschenSchriftstellern repräsentieren e<strong>in</strong>e Auswahl von belletristischen Texten, die sich entwe<strong>der</strong>direkt o<strong>der</strong> <strong>in</strong>direkt mit <strong>der</strong> Geschichte des Russl<strong>an</strong>dfeldzugs ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzen. 47 Diemeistbeschriebene Schlacht dieses <strong>Krieg</strong>es, die Schlacht bei Stal<strong>in</strong>grad, ist Thema vonmehreren Texten, wobei <strong>an</strong> dieser Stelle bei weitem nicht alle dam<strong>als</strong> erschieneneStal<strong>in</strong>gradrom<strong>an</strong>e e<strong>in</strong>bezogen werden können. 48 Bei <strong>der</strong> Auswahl <strong>der</strong> Werke lag <strong>der</strong>Schwerpunkt nicht auf <strong>der</strong> möglichen Zuordnung e<strong>in</strong>es Textes zur Kategorie „<strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>“.Vielmehr wurde e<strong>in</strong> weiter Blick <strong>in</strong> die zeitgenössische Bücherl<strong>an</strong>dschaft geworfen, umsowohl die Bedeutung und Beachtung <strong>als</strong> auch die Unbedeutsamkeit und Missachtung deshistorischen Ereignisses „<strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>“ <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er g<strong>an</strong>zen Vielfalt e<strong>in</strong>zuf<strong>an</strong>gen. Alleauf diese Weise ausgewählten und hier berücksichtigten Autoren waren bei <strong>Krieg</strong>sausbruch1939 erwachsen, etwa e<strong>in</strong> Drittel hatte bereits den I. Weltkrieg bewusst miterlebt. Ebenso hat10


die Mehrheit <strong>der</strong> Autoren den I. und/o<strong>der</strong> II. Weltkrieg selbst <strong>als</strong> Soldat erlebt, acht von ihnenhaben <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> bzw. bei Stal<strong>in</strong>grad gekämpft. 49 Sie repräsentieren <strong>als</strong>o jene Generationvon Deutschen, für die <strong>der</strong> Weltkrieg e<strong>in</strong> prägendes Ereignis <strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen Biographiedarstellte.Es wird <strong>in</strong> <strong>der</strong> Text<strong>an</strong>alyse darauf verzichtet, H<strong>an</strong>dlungen und Hauptfiguren <strong>der</strong> Texteausführlich wie<strong>der</strong>zugeben, vielmehr wird <strong>an</strong>h<strong>an</strong>d e<strong>in</strong>er szenischen Auswahl gezeigt, wie dieAutoren den <strong>Krieg</strong> <strong>als</strong> H<strong>an</strong>dlungsschauplatz darstellen, ihn <strong>als</strong> Referenzpunkt für die Figuren,ihre Ged<strong>an</strong>ken und Gefühle, beschreiben und <strong>in</strong> welchen Worten über Leiden undVerbrechen, Opfer- und Täterse<strong>in</strong> reflektiert wird. Aus <strong>der</strong> Lektüre ergaben sich die dreifolgenden Themenkomplexe, die die Diskussion strukturieren und bündeln: im erstenAbschnitt “Schuld am <strong>Krieg</strong>, Leiden im <strong>Krieg</strong>: <strong>Der</strong> historische Kontext“ geht es um dieDarstellung des historischen Kontextes des <strong>Krieg</strong>es <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> sowie um den „S<strong>in</strong>n“dieses <strong>Krieg</strong>es: wird er <strong>als</strong> Schicks<strong>als</strong>schlag o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Art Naturkatastrophe er<strong>in</strong>nert, spielt die<strong>Krieg</strong>sschuldfrage e<strong>in</strong>e Rolle? Wer kämpft warum, und gegen wen? E<strong>in</strong> zweiter Abschnittwidmet sich unter <strong>der</strong> Überschrift „Gewissen <strong>in</strong> Aufruhr: Legenden <strong>der</strong> Umkehr“ <strong>der</strong>Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit dem Thema Soldatenehre und <strong>der</strong> persönlichen Ver<strong>an</strong>twortung desSoldaten zwischen Gehorsam und Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d. W<strong>an</strong>n wird e<strong>in</strong> Soldat zum Mör<strong>der</strong> und welcheRolle spielt <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e das Erleben <strong>der</strong> Schlacht von Stal<strong>in</strong>grad,<strong>als</strong> kathartisches Erlebnis? Wie werden Verblendung, Umkehr und E<strong>in</strong>sicht <strong>in</strong> eigene Schuldliterarisch verarbeitet? Gibt es e<strong>in</strong>e Literatur des <strong>an</strong>tifaschistischen Helden jenseits <strong>der</strong>kommunistischen Meistererzählung? Schließlich versucht <strong>der</strong> dritte Abschnitt „Szenarien desGrauens: Von Verbrechen und Verbrechern“ den Gebrauch von Sprache für dieRekonstruktion historischer Realitäten zu untersuchen. Gab es so etwas wie die„naturalistische Reproduktion des Grauens“, das Zeitgenossen wie K<strong>an</strong>t und Wagnerkritisierten? Wie wird das „eigene“ Leid und das <strong>der</strong> „<strong>an</strong><strong>der</strong>en“ beschrieben und werden Täterund Opfer dabei zue<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung gesetzt? Diese Auswahl von Fragen reflektiert nure<strong>in</strong>en Bruchteil <strong>der</strong> <strong>in</strong> den Texten verarbeiteten Themen und Motive. Die für den Zweckme<strong>in</strong>er Untersuchung notwendige Beschränkung soll ke<strong>in</strong>esfalls ignorieren, dass die meistenWerke von hoher <strong>in</strong>haltlicher Dichte und Komplexität s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n dient alle<strong>in</strong> <strong>der</strong>Schärfung <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Sicht <strong>der</strong> Historiker<strong>in</strong> gestellten Fragestellung: <strong>in</strong>wieweit diebelletristische Literatur <strong>der</strong> 50er Jahre e<strong>in</strong>en Beitrag zur Er<strong>in</strong>nerung <strong>an</strong> den <strong>Krieg</strong> gegen dieSowjetunion leistete und ob sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> von Opfer- und Befreiungsmotiven bestimmtenöffentlichen Verg<strong>an</strong>genheitsdiskussion vielleicht e<strong>in</strong>en (Aus-)weg zu e<strong>in</strong>em „emphatischenVerständnis von [historischer] Wahrheit“ 50 eröffnete.11


Schuld am <strong>Krieg</strong>, Leiden im <strong>Krieg</strong>: <strong>Der</strong> historische Kontext„<strong>Der</strong> Tod roch <strong>an</strong><strong>der</strong>s <strong>in</strong> Russl<strong>an</strong>d <strong>als</strong> <strong>in</strong> Afrika“ – mit diesem Satz beg<strong>in</strong>nt Erich MariaRemarques bemerkenswerter Rom<strong>an</strong> Zeit zu leben, Zeit zu sterben über den Soldaten ErnstGraeber, <strong>der</strong> den Feldzug gegen die Sowjetunion und den Bombenkrieg <strong>in</strong> <strong>der</strong> Heimatgleichermaßen miterlebt (5). 51 Dieses Buch ist <strong>in</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Literaturl<strong>an</strong>dschaft <strong>der</strong>Nachkriegsjahre was die Klarheit bezüglich <strong>der</strong> Ver<strong>an</strong>twortung für den <strong>Krieg</strong> <strong>an</strong>geht e<strong>in</strong>Ausnahmerom<strong>an</strong>. Wie bereits <strong>in</strong> Im Westen nichts Neues meistert Remarque die Komplexitätdes Leidens, ohne Opfer und Täter – die wie<strong>der</strong>um gleichzeitig Täter und Opfer se<strong>in</strong> können –gleichzumachen. Dass <strong>der</strong> „S<strong>in</strong>n des <strong>Krieg</strong>es“ alle<strong>in</strong> <strong>der</strong> „Massenmord <strong>an</strong> Unschuldigen“(196) war, wurde <strong>in</strong> dieser Deutlichkeit selten formuliert und Remarques Sprache, die frei istvon jedem Pathos und je<strong>der</strong> Ideologie, besticht gerade durch ihre unaufgeregte Umschreibung<strong>in</strong>dividueller Schuld- und Lei<strong>der</strong>fahrung. <strong>Der</strong> historische Kontext ist klar und <strong>der</strong> Leser „fällt“nicht <strong>in</strong> das <strong>Krieg</strong>sgeschehen „irgendwo <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong>“ h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mehrzahl <strong>der</strong>hier vorliegenden Werke westdeutscher Autoren <strong>der</strong> Fall ist. H<strong>an</strong>s-Hellmut Kirst,beispielsweise, beh<strong>an</strong>delt den <strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bestseller Null-Acht-Fünfzehn im <strong>Krieg</strong> <strong>als</strong>h<strong>an</strong>delndes Subjekt, nicht <strong>als</strong> von Menschenh<strong>an</strong>d verursachtes Ereignis. So fällt <strong>der</strong> Leser zuBeg<strong>in</strong>n des Rom<strong>an</strong>s mitten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e „Ruhepause“ des Russl<strong>an</strong>dfeldzuges, mit <strong>der</strong> das<strong>Krieg</strong>serlebnis des Wachtmeisters Asch:<strong>Der</strong> <strong>Krieg</strong> leistete sich e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>terschlaf, und <strong>in</strong> dieser Gegend schien niem<strong>an</strong>d zu existieren, <strong>der</strong>versessen darauf war, ihn dabei zu stören. Aber <strong>der</strong> Frühl<strong>in</strong>g st<strong>an</strong>d bereits vor <strong>der</strong> Tür; und <strong>der</strong> würdeauch dem <strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> die Knochen fahren und wie<strong>der</strong> auf die Be<strong>in</strong>e helfen. Dieser erste russischeW<strong>in</strong>terschlaf war ke<strong>in</strong> Dauerzust<strong>an</strong>d. (5)Für Asch, <strong>der</strong> den desillusionierten, zuweilen frech-ironischen und meist gleichgültigen,arglos kämpfenden, austauschbaren „08/15“-Soldaten personifizieren soll, ist <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> e<strong>in</strong>„unvermeidliches Übel“ (wie je<strong>der</strong> 08/15-<strong>Krieg</strong>), den er nicht begonnen hat, <strong>in</strong> dem er aberkämpfen muss. 52 Hiermit wird g<strong>an</strong>z nebenbei auch impliziert, dass <strong>der</strong> Zweite Weltkrieg e<strong>in</strong><strong>Krieg</strong> wie je<strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e sei. Für Aschs relativ unbekümmerten Vorgesetzten Oberleutn<strong>an</strong>tWedelm<strong>an</strong>n, <strong>der</strong> auf dem Stützpunkt e<strong>in</strong>e Freundschaft zu e<strong>in</strong>er „freiwilligen“ russischenDolmetscher<strong>in</strong> pflegt, stellt sich daher die Frage des „Warum?“ ebenso e<strong>in</strong>fach dar, was <strong>in</strong>folgendem Dialog <strong>der</strong> beiden deutlich wird:„Warum muß <strong>Krieg</strong> se<strong>in</strong>?“ fragte sie.„Ohne den <strong>Krieg</strong> wären wir uns nie begegnet.“„Das sagen Sie so!“ <strong>an</strong>twortete sie heftig und zog ihre H<strong>an</strong>d fort. „Das ist e<strong>in</strong>e bequeme Ausrede unde<strong>in</strong>e schlechte dazu. Wir hätten uns auf e<strong>in</strong>em großen Sportfest begegnen können, auf e<strong>in</strong>erUrlaubsreise, irgendwo im Theater, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Galerie. Muß denn erst immer <strong>Krieg</strong> se<strong>in</strong>, damit zweiMenschen aus verschiedenen Län<strong>der</strong>n e<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong> treffen?“ „Habe ich den <strong>Krieg</strong> gemacht Natascha?“„Ne<strong>in</strong>, das nicht. Aber Sie führen ihn!“ (162f.)12


Für Gerd Ledigs namenlos kämpfende Soldaten <strong>in</strong> Die Stal<strong>in</strong>orgel stellt sich die Frage des<strong>Krieg</strong>sgrundes überhaupt nicht. <strong>Der</strong> von <strong>der</strong> zeitgenössischen Literaturkritik wegen se<strong>in</strong>erdrastisch-realistischen Detailbeschreibungen von Verwundungen und Tod gepriesene Rom<strong>an</strong>thematisiert die Leidenserfahrung auf beiden Seiten während e<strong>in</strong>es – wie<strong>der</strong>um „s<strong>in</strong>nlosen“ –Kampfes um „Höhe 308“ kurz vor Len<strong>in</strong>grad im W<strong>in</strong>ter 1941/42; die Frage, was dieDeutschen „hier eigentlich wollen“ stellt sich nur e<strong>in</strong> sowjetischer Leutn<strong>an</strong>t und erhält ke<strong>in</strong>eAntwort. Angesichts <strong>der</strong> Aussichtslosigkeit <strong>der</strong> Schlacht s<strong>in</strong>niert <strong>der</strong> M<strong>an</strong>n über die Motivee<strong>in</strong>es deutschen E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gl<strong>in</strong>gs, <strong>der</strong> lieber stirbt, <strong>als</strong> sich zu ergeben:Auch so e<strong>in</strong> Tier, dachte <strong>der</strong> Leutn<strong>an</strong>t. Im Käfig benimmt er sich wie e<strong>in</strong> Mensch, aber wenn er e<strong>in</strong>Gewehr hat, schießt er auf Leichen. Was will er eigentlich hier? Dieses Raubtier mit demSchafsgesicht. Se<strong>in</strong>e Heimat hat genug Höhen wie diese. Ich habe sie gesehen: grüne Bäume. Flüsse,saubere Dörfer. Auf ihren Straßen gibt es we<strong>der</strong> Unrat noch Schlamm. Auf ihren Fel<strong>der</strong>n stehen dieÄhren wie Soldaten. (170)Ebenfalls fragend, <strong>in</strong> <strong>an</strong>klagen<strong>der</strong> Grundhaltung, beh<strong>an</strong>delt Theodor Plievier <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad dieGründe für den Russl<strong>an</strong>dfeldzug. Dieser erste und wohl meistgelesene Stal<strong>in</strong>grad-Rom<strong>an</strong>tr<strong>an</strong>sportiert e<strong>in</strong>e nachdrückliche Verurteilung des <strong>Krieg</strong>es im Osten, vor allem <strong>der</strong> Generäle<strong>als</strong> „Leichen-Liefer<strong>an</strong>ten“ und „Henker <strong>der</strong> eigenen Soldaten“, und schil<strong>der</strong>t ausführlich dieOpfer <strong>der</strong> deutschen und sowjetischen Soldaten. <strong>Der</strong> e<strong>in</strong>fache Soldat weiß wie<strong>der</strong>um nicht,warum und wofür er kämpft, stellt aber zum<strong>in</strong>dest Hitlers <strong>Krieg</strong>sbegründungen <strong>in</strong> Frage:Wofür fallen wir, General? Werden unsere Frauen, unsere K<strong>in</strong><strong>der</strong> ihre Tränen <strong>an</strong> den Fahnen desSieges trocknen o<strong>der</strong> werden sie ohne Ende we<strong>in</strong>en müssen? War dieser <strong>Krieg</strong> notwendig, war dieser<strong>Krieg</strong> uns aufgezwungen und geht es um e<strong>in</strong>e große und heilige Sache, ist dieser <strong>Krieg</strong> gerecht undgeht es um Deutschl<strong>an</strong>d? Verteidigen wir Deutschl<strong>an</strong>d am Njeschegol, am Oskol, am Don, <strong>an</strong> <strong>der</strong>Wolga, General? (28)In He<strong>in</strong>rich Gerlachs Saga über die Verratene Armee im „Schreckensw<strong>in</strong>ter 1942/43irgendwo bei Stal<strong>in</strong>grad“ impliziert bereits <strong>der</strong> Titel, dass <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> von Hitler und se<strong>in</strong>enGefolgsleuten losgetreten worden war und die Wehrmacht <strong>als</strong> Instrument zur verme<strong>in</strong>tlichen„Rettung <strong>der</strong> Welt vor dem Bolschewismus“ (188) missbraucht wurde. Dem Helden desRom<strong>an</strong>s, Arbeitersohn und Gefreiter Lakosch, verkündet e<strong>in</strong> <strong>an</strong>gesichts <strong>der</strong> aussichtslosenLage im Kessel von Stal<strong>in</strong>grad offenherziger Vorgesetzter jedoch, dass dies e<strong>in</strong>„Ammenmärchen“ sei, dass <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> „e<strong>in</strong> Geschäft ist, nichts weiter. Die Industrie und dieWirtschaft haben die Partei ja nicht umsonst f<strong>in</strong><strong>an</strong>ziert, die wollen ja nun endlich Dividendensehen.“ (188)Ke<strong>in</strong>en Zweifel <strong>an</strong> dem Verursacher des <strong>Krieg</strong>es lassen die meisten ostdeutschen Autoren.Willi Bredels Rom<strong>an</strong> Die Enkel aus <strong>der</strong> dreibändigen Familienchronik Verw<strong>an</strong>dte undBek<strong>an</strong>nte, die die von den Kämpfen <strong>der</strong> Arbeiterklasse geprägte Geschichte <strong>der</strong> Hamburger13


Familie Hardekopf vom Kaiserreich bis zum <strong>Krieg</strong>sende 1945 erzählt, spielt sowohl <strong>in</strong> <strong>der</strong>Heimat <strong>als</strong>o auch diesseits und jenseits <strong>der</strong> Frontl<strong>in</strong>ien im Osten. Am 22. Juni 1941, <strong>der</strong> Tag<strong>an</strong> dem die Wehrmacht die Sowjetunion <strong>an</strong>griff, überbr<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong> Freund dem AntifaschistenWalter Hardekopf die Nachricht: „<strong>Krieg</strong> ist! ... Hitler hat die Sowjetunion überfallen!“ (359)Wenige Seiten später beschreibt <strong>der</strong> Autor wie sich <strong>der</strong> „Vernichtungskrieg gleich e<strong>in</strong>emriesigen Wald- o<strong>der</strong> Steppenbr<strong>an</strong>d über Russl<strong>an</strong>d“ ausbreitete (378). Fr<strong>an</strong>z Fühm<strong>an</strong>n, dessenErzählung Kameraden – unter dem Titel Betrogen bis zum jüngsten Tag von <strong>der</strong> DEFAverfilmt 53 – e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich von <strong>der</strong> Verstrickung junger Soldaten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Mord und dessenFolgen berichtet, lässt die drei sehr unterschiedlichen Charaktere Josef, Thomas und Karl denoffiziellen <strong>Krieg</strong>sgrund debattieren und verdeutlicht dadurch den Angriffscharakter desRussl<strong>an</strong>dfeldzuges:„Stillgest<strong>an</strong>den!“ befahl <strong>der</strong> Major. Die Hacken von Hun<strong>der</strong>ten gestiefelten Menschen knalltenzusammen. <strong>Der</strong> Major verlas e<strong>in</strong>en Befehl des Führers <strong>an</strong> die Wehrmacht, e<strong>in</strong>en Befehl, <strong>der</strong> denSoldaten das Blut <strong>in</strong> den A<strong>der</strong>n stocken machte. Es war die Rede von e<strong>in</strong>er durch das Genie desFührers aufgedeckten bolschewistischen Verschwörung, von e<strong>in</strong>em drohenden Angriff aus dem Ostenund von Maßnahmen, die <strong>der</strong> Führer getroffen habe. [...] Alle packten. Josef und Thomas hatten sichum Karl gesammelt. „Es geht los, K<strong>in</strong><strong>der</strong>!“ sagte er. [...] „Alles wird gut. Es geht los!“ „Nun wollenwir <strong>als</strong>o Rußl<strong>an</strong>d besetzen“, sagte leise e<strong>in</strong>e Stimme, „Moskau, den Ural, bis zum Pazifik.“ Seltsam,obwohl diese Stimme leise schw<strong>an</strong>g, übertönte sie allen Lärm, und sie machte alle Mün<strong>der</strong>verstummen. Das Schweigen war e<strong>in</strong>e untragbare Last, auf alle gelegt. „Was denn ...“, sagte Josef, ersprach sehr heiser, „was denn – natürlich geht es gegen die Bolschewiken. Das mußte ja kommen.“ Erbeg<strong>an</strong>n plötzlich zu schreien: „Das mußte ja kommen, besser heute <strong>als</strong> morgen.“ „Besser e<strong>in</strong> Ende mitSchrecken...“, sagte Karl und lachte. „Jetzt kommt alles <strong>in</strong>s Lot, Kle<strong>in</strong>er,“ sagte [Josef zu Thomas],„mit uns dreien, mit Deutschl<strong>an</strong>d und mit <strong>der</strong> g<strong>an</strong>zen Welt.“ (32f.)Dass nicht „alles <strong>in</strong>s Lot kommt“, erfahren <strong>in</strong> den meisten Texten zuerst und fastausschließlich die Soldaten – die Männer, Jungen, Väter, Söhne <strong>in</strong> Uniform. Ihr Opfer wirdnicht zum heroischen Fronterlebnis stilisiert wie nach dem I. Weltkrieg <strong>in</strong> den Rom<strong>an</strong>en e<strong>in</strong>esErnst Jünger, son<strong>der</strong>n ihr Menschse<strong>in</strong> steht im Vor<strong>der</strong>grund. Bei Ledig wird am deutlichstenbeschrieben, dass Angst nicht Feigheit und Am-Leben-Hängen ke<strong>in</strong> L<strong>an</strong>desverrat ist. <strong>Der</strong>Hauptm<strong>an</strong>n ohne Namen, zum Beispiel, „wollte leben, wie sie alle leben wollten. Er hatte dieÜberzeugung gewonnen, es sei besser, ke<strong>in</strong> Held zu se<strong>in</strong> und dafür am Leben zu bleiben“(Stal<strong>in</strong>orgel, 9). Denn „irgendwo warteten Frauen auf ihre Männer, K<strong>in</strong><strong>der</strong> auf ihre Väter.“(87) <strong>Der</strong> namenlose Unteroffizier, <strong>der</strong> den namenlosen Mel<strong>der</strong> während e<strong>in</strong>es Angriffs amWeglaufen h<strong>in</strong><strong>der</strong>te, fragt ihn „Hast du Angst?“ „Ja“ <strong>an</strong>twortet <strong>der</strong> Mel<strong>der</strong>. „<strong>Der</strong> Unteroffiziersagte seelenruhig: ‚Ich auch. Schieß!’“ (64)Gerade die jüngsten <strong>der</strong> Soldaten, wie hier <strong>der</strong> Mel<strong>der</strong>, erhalten größte Aufmerksamkeit,diejenigen, die schon <strong>als</strong> Hitlerjungen unter <strong>der</strong> Überschrift „Wir s<strong>in</strong>d geboren um zu sterben“<strong>in</strong> Lagern ihre Sommerferien verbracht hatten. Wolfg<strong>an</strong>g Borchert und He<strong>in</strong>rich Böll, diejungen Nachkriegsautoren, die dieser „verlorenen Generation“ e<strong>in</strong>e Stimme gaben, haben <strong>in</strong>14


ihren Kurzgeschichten fast ausschließlich das Leid <strong>der</strong> Soldaten, <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genen undHeimkehrer beschrieben, die d<strong>an</strong>n im Nachkriegsdeutschl<strong>an</strong>d <strong>als</strong> traumatisierte W<strong>an</strong><strong>der</strong>ererneut zu Opfern wurden. In <strong>der</strong> Kurzgeschichte Unterwegs n<strong>an</strong>nte Borchert dieseGeneration, zu <strong>der</strong> er sich <strong>als</strong> ehemaliger Soldat und <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>gener selbst zählte,„Generation ohne Abschied“:Wir s<strong>in</strong>d die Generation ohne B<strong>in</strong>dung und ohne Tiefe. Unsere Tiefe ist <strong>der</strong> Abgrund. Wir s<strong>in</strong>d dieGeneration ohne Glück, ohne Heimat und ohne Abschied. Unsere Sonne ist schmal, unsere Liebegrausam und unsere Jugend ist ohne Jugend. Und wir s<strong>in</strong>d die Generation ohne Grenze, ohneHemmung und Behütung – ausgestoßen aus dem Laufgitter des K<strong>in</strong>dse<strong>in</strong>s [...]. (59)Das Erlebnis von <strong>Krieg</strong> und Gef<strong>an</strong>genschaft, <strong>in</strong> Borcherts berühmten Theaterstück Draußenvor <strong>der</strong> Tür „1000 Tage Kälte“ (109) apostrophiert, bleibt abstrakter historischer H<strong>in</strong>tergrund,dessen Schrecken <strong>der</strong> Leser erahnen k<strong>an</strong>n. In Andeutungen taucht das Leiden bei Stal<strong>in</strong>gradauf, wo <strong>der</strong> Ehem<strong>an</strong>n des Mädchens vermisst wird, das den Heimkehrer Beckm<strong>an</strong>n nach demmissglückten Selbstmord <strong>in</strong> <strong>der</strong> Elbe f<strong>in</strong>det:Mädchen (bitter, leise): Verhungert, erfroren, liegengeblieben – was weiß ich. Seit Stal<strong>in</strong>grad ist ervermißt Das war vor drei Jahren.Beckm<strong>an</strong>n (starr): In Stal<strong>in</strong>grad? In Stal<strong>in</strong>grad, ja. Ja, <strong>in</strong> Stal<strong>in</strong>grad, da ist m<strong>an</strong>cher liegengeblieben.Aber e<strong>in</strong>ige kommen auch wie<strong>der</strong>. Und die ziehen d<strong>an</strong>n das Zeug <strong>an</strong> von denen, die nichtwie<strong>der</strong>kommen. (114)Auch <strong>in</strong> He<strong>in</strong>rich Bölls Kurzgeschichte über e<strong>in</strong>en Angriff <strong>der</strong> Roten Armee am westlichenR<strong>an</strong>d <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> <strong>in</strong> den letzten <strong>Krieg</strong>stagen beschränkt sich die Darstellung des<strong>Krieg</strong>szusammenh<strong>an</strong>gs auf die mel<strong>an</strong>cholische Beschreibung <strong>der</strong> „gleichgültigen Starre <strong>der</strong>grauen Gestalten“, die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Erdloch erneut auf das nächste Gemetzel warten: „H<strong>in</strong>terihnen spärliche Büsche, e<strong>in</strong> von P<strong>an</strong>zern zerwühltes Sonnenblumenfeld, und wie<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Wald,e<strong>in</strong> hellerer, grüner Wald; aber es war ja so gleichgültig: Erde blieb Erde, und <strong>Krieg</strong> blieb<strong>Krieg</strong>.“ (32)Doch gerade die Konzentration auf die Soldaten <strong>als</strong> Opfer von Verblendung und <strong>Krieg</strong> erlaubtd<strong>an</strong>n doch die Stilisierung zum Held des Leidens. Diese Stilisierung bezog sich vor allem aufdie (deutschen!) „Stal<strong>in</strong>grad-Soldaten“, <strong>der</strong>en Schicksale ungezählte Male nacherzähltwurden. Aus Plieviers Stal<strong>in</strong>grad sei hier stellvertretend zitiert:<strong>Der</strong> Stal<strong>in</strong>grad-Soldat, se<strong>in</strong>e Genügsamkeit, Anpassungsfähigkeit, Zähigkeit, Ausdauer, se<strong>in</strong>eLeidensfähigkeit, stummes Ertragen von Qualen, se<strong>in</strong>e pünktliche Pflichterfüllung, se<strong>in</strong> Ausharrenund Kämpfen bis zum letzten, welche Höhe <strong>an</strong> unpathetischem und stummbleibenden Kämpfertum!Und schließlich auch se<strong>in</strong> Glaube, se<strong>in</strong> unbed<strong>in</strong>gter Glaube, <strong>der</strong> se<strong>in</strong> Größtes war und se<strong>in</strong>e größteSchuld wurde! Welches Denkmal wollen Sie ihm setzten, me<strong>in</strong>e Herren, welche Inschrift se<strong>in</strong>emGrabmal e<strong>in</strong>meißeln? (301)15


„Gewissen <strong>in</strong> Aufruhr“: Legenden <strong>der</strong> UmkehrDie Formulierung „Gewissen <strong>in</strong> Aufruhr“ ist dem Titel <strong>der</strong> Autobiographie e<strong>in</strong>es ehemaligenWehrmachtoffiziers entnommen, <strong>der</strong> sich <strong>in</strong> sowjetischer <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genschaft zumAntifaschisten gew<strong>an</strong>delt hatte. 54 In <strong>der</strong> DDR-Literatur dom<strong>in</strong>ierten Figuren, für die <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong>neres Umkehrerlebnis auslöste, die entwe<strong>der</strong> zur Roten Armee überliefen, imWi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d kämpften o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> sowjetischen <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genschaft zu Antifaschistenumerzogen wurden. Für Bodo Uhse waren dies die wahren Patrioten, e<strong>in</strong> neues „Geschlechtsorgenfreier, starker, furchtloser Menschen“ (10) nach dem Vorbild <strong>der</strong> Sowjetmenschen.Uhses Rom<strong>an</strong> über den Kampf deutscher Kommunisten, die vom Moskauer Exil aus gegendie deutschen Truppen kämpften, gilt <strong>als</strong> literarisches Pend<strong>an</strong>t zur SED-Meisternarrative überdie Befreiung des deutschen Volkes durch die Rote Armee und e<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dvoll aufrichtiger,„guter Deutscher, deutscher Kommunisten“– die wahren Patrioten, denn „<strong>in</strong> <strong>der</strong> Stunde <strong>der</strong>Gefahr sich zu e<strong>in</strong>er Sache bekennen, ist nicht so schwer, wie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Stunde <strong>der</strong> Scham undErniedrigung zu ihr zu stehen.“ (12)Die meisten Soldaten gehörten nicht zum deutschen Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d, son<strong>der</strong>n kämpften <strong>als</strong>„Soldaten Hitlers“ (42) bis zum bitteren Ende <strong>in</strong> <strong>der</strong> faschistischen Wehrmacht. Nach dem<strong>Krieg</strong> stellte sich <strong>in</strong> beiden Teilen Deutschl<strong>an</strong>ds die Frage nach dem Erbe <strong>der</strong> Wehrmacht undnach dem Wesen des Soldatense<strong>in</strong>s auf verschiedene Weise. In <strong>der</strong> hier untersuchten Literaturf<strong>in</strong>den sich g<strong>an</strong>z unterschiedliche Charaktere des Soldaten, oft wird <strong>der</strong> Konflikt vonGehorsam und Gewissen thematisiert bzw. reflektiert, dass <strong>der</strong> „e<strong>in</strong>fache M<strong>an</strong>n“ <strong>in</strong> Uniformnicht Herr se<strong>in</strong>es Willens war, ja aufhörte Mensch zu se<strong>in</strong> und so mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong>selbstverschuldet zum Mitwisser und Mittäter im verbrecherischen Feldzug gegen dieSowjetunion wurde. Nur selten durchzieht e<strong>in</strong>en Rom<strong>an</strong> o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Kurzgeschichte das Bild<strong>der</strong> „sauberen Wehrmacht“, vielmehr werden Charaktere e<strong>in</strong>geführt, die jeweils den Typf<strong>an</strong>atischer Nazi, Aufsteiger im System, überzeugter Anti-Nazi o<strong>der</strong> gew<strong>an</strong>delter Mitläuferverkörpern. In den Werken ostdeutscher Autoren dom<strong>in</strong>ieren kommunistische Helden, denenoft e<strong>in</strong> überzeugter faschistischer Soldat gegenübergestellt wird.In Harry Thürks e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichem Rom<strong>an</strong> Die Stunde <strong>der</strong> toten Augen, <strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDRGegenst<strong>an</strong>d heftiger Diskussionen war 55 , wird die Verrohung und Brutalisierung <strong>der</strong> Soldatenthematisiert; <strong>der</strong> Soldat <strong>als</strong> Individuum ersche<strong>in</strong>t so <strong>in</strong> letzter Inst<strong>an</strong>z nicht ver<strong>an</strong>twortlich fürse<strong>in</strong>e Taten, da er <strong>als</strong> Mord<strong>in</strong>strument funktionierte und zu funktionieren hatte. <strong>Der</strong> jungenahkampferfahrene Soldat Thomas B<strong>in</strong>dig blickt nach e<strong>in</strong>em Jahr bei <strong>der</strong> Komp<strong>an</strong>ie <strong>an</strong> <strong>der</strong><strong>Ostfront</strong> (1944) zurück:[Er hatte] gelernt, was es hieß, Soldat zu se<strong>in</strong>. Es hieß, daß m<strong>an</strong> <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Gattung Mensch e<strong>in</strong>enbeson<strong>der</strong>en, untergeordneten Platz e<strong>in</strong>nahm. Daß m<strong>an</strong> über se<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dlungen nicht nachzudenken16


hatte und auch nicht über die Zukunft und die Verg<strong>an</strong>genheit. Wenn m<strong>an</strong> das fertig brachte, fehltee<strong>in</strong>em nichts. (16f.)[...] Tadellose Soldaten hat Deutschl<strong>an</strong>d hervorgebracht. Sie beißen sich nicht e<strong>in</strong>mal auf die Lippen,wenn sie töten. Jung und kalt. Sie töten wie die Schlächter. (21)Die nation<strong>als</strong>ozialistische Indoktr<strong>in</strong>ation war, <strong>in</strong> dieser Lesart, höchst erfolgreich und hatteaus <strong>der</strong> Jugend im Dritten Reich zuverlässige Schergen des Regimes gemacht. NietzschesZarathustra lesend, rechtfertigt Fühm<strong>an</strong>ns w<strong>an</strong>ken<strong>der</strong> Held Josef se<strong>in</strong>en Beruf <strong>als</strong> „Mör<strong>der</strong>“und f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> den Worten des großen Philosophen se<strong>in</strong>e Gewissensberuhigung:Er las sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Welt, die kalt war, eisig und leer, bevölkert nur von dem E<strong>in</strong>en, das war er;und um diesen E<strong>in</strong>en war etwas, das wimmelte, ununterscheidbar, e<strong>in</strong>e Masse, Gewese von Lebenden,tief unter ihm: Menschen. [...] Und Zarathustra sprach: „Du hast aus <strong>der</strong> Gefahr de<strong>in</strong>en Beruf gemacht,dar<strong>an</strong> ist nichts zu verachten. Nun gehst du <strong>an</strong> de<strong>in</strong>em Beruf zugrunde: dafür will ich dich mit me<strong>in</strong>enHänden begraben.“ Also sprach Zarathustra. Josef f<strong>an</strong>d se<strong>in</strong>e geheimsten Ged<strong>an</strong>ken bestätigt. Erdachte: Zarathustra versteht den Mythus <strong>der</strong> Gefahr, den Mythus des Todes, Zarathustra versteht dendeutschen Soldaten. Aus <strong>der</strong> Gefahr e<strong>in</strong>en Beruf machen, nur um <strong>der</strong> Gefahr willen, das ist groß, dasist deutsch! Die Nibelungen zogen <strong>in</strong> ihren sicheren Unterg<strong>an</strong>g, und sie wußten es, aber sie zogendennoch <strong>in</strong>s Hunnenl<strong>an</strong>d; sie g<strong>in</strong>gen unter, und ihre Erfüllung war ihr Tod. Und sie haben auch e<strong>in</strong>unschuldiges K<strong>in</strong>d geköpft, und dennoch, ne<strong>in</strong>, darum waren sie Helden: Es braucht auch e<strong>in</strong>esHeldentums, unschuldige K<strong>in</strong><strong>der</strong> zu köpfen! (34f.)Das wi<strong>der</strong>willige Soldatse<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sgeneration ist auch e<strong>in</strong> Leitmotiv Borcherts, dessentragischer, lebensmü<strong>der</strong> Held, Heimkehrer Beckm<strong>an</strong>n, lakonisch feststellt, dass er niewirklich Soldat war. Se<strong>in</strong>en ehemaligen Vorgesetzten mit se<strong>in</strong>en ihm den Schlaf raubendenSchuldgefühlen (über den Tod elf se<strong>in</strong>er Kameraden) konfrontierend, ermahnt ihn <strong>der</strong> Oberst:„Na na na na! Reden Sie mal nicht so unmännliches Zeug. Waren doch Soldat wie?“Beckm<strong>an</strong>n verne<strong>in</strong>t dies und <strong>als</strong> m<strong>an</strong> ihm erwi<strong>der</strong>t „Wieso ne<strong>in</strong>? Sie haben doch Uniform <strong>an</strong>“,erwi<strong>der</strong>t Beckm<strong>an</strong>n e<strong>in</strong>tönig: „Ja sechs Jahre. Aber ich dachte immer, wenn ich zehn Jahrel<strong>an</strong>g die Uniform e<strong>in</strong>es Briefträgers <strong>an</strong>habe, deswegen b<strong>in</strong> ich noch l<strong>an</strong>ge ke<strong>in</strong> Briefträger.“(Draußen vor <strong>der</strong> Tür, 119). Doch immer wie<strong>der</strong> werden auch jene Soldaten porträtiert, dieim Soldatentum aufgehen, jene verme<strong>in</strong>tlichen Überzeugungstäter, die das selbständigeDenken aufgegeben haben und sich für jeden <strong>Krieg</strong> h<strong>in</strong>geben. Kirsts ironisch-abgeklärterProtagonist Wachtmeister Asch verhöhnt nicht nur se<strong>in</strong>e Vorgesetzten, son<strong>der</strong>n verachtet som<strong>an</strong>chen se<strong>in</strong>er Kameraden, denn: „Soldaten werden nicht nach ihrer Me<strong>in</strong>ung gefragt.E<strong>in</strong>igen gefällt das sogar. Sie lassen sich lieber das Blut abzapfen, ehe sie ihr Hirn <strong>in</strong> Tätigkeitsetzten.“ (9f.) Doch letztlich s<strong>in</strong>d dies alles „arme Schwe<strong>in</strong>e. Und du bist auch e<strong>in</strong> armesSchwe<strong>in</strong>“, s<strong>in</strong>niert Asch e<strong>in</strong> paar Tage später, „Viele arme Schwe<strong>in</strong>e auf <strong>der</strong> Welt!“ (127)Szenarien des Grauens: Von Verbrechen und VerbrechernDas Leid <strong>der</strong> „<strong>an</strong><strong>der</strong>en“, <strong>als</strong>o das <strong>der</strong> Zivilbevölkerung, Juden, sowjetischen<strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genen und „Partis<strong>an</strong>en“, die während des <strong>Krieg</strong>s <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> umkamen, erhielt17


über l<strong>an</strong>ge Jahre h<strong>in</strong>weg we<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> politisch-gesellschaftlichen noch <strong>in</strong> <strong>der</strong> literarischenVerg<strong>an</strong>genheitsdiskussion das gebührende Maß <strong>an</strong> emphatischer Aufmerksamkeit. Dennochf<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Literatur Darstellungen dieses Leids, und zwar sowohl sehr „kl<strong>in</strong>ische“,nebelhafte Andeutungen von Verbrechen <strong>als</strong> auch drastisch beschriebene Szenarien vonGewalt, Folter und Tod.Joh<strong>an</strong>nes R. Bechers Stück W<strong>in</strong>terschlacht, das die Geschichte des „unbek<strong>an</strong>nten Soldatendes 2. Weltkrieges“ Joh<strong>an</strong>nes Hör<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Schlacht von Moskau erzählt, kreist um dieW<strong>an</strong>dlung und <strong>in</strong>nere Umkehr des Helden und deutet nur schemenhaft <strong>an</strong>, welchenVerbrechen sich die deutsche Wehrmacht <strong>in</strong> den von ihr besetzten Gebieten Osteuropasschuldig gemacht hat. Als Joh<strong>an</strong>nes auf Fronturlaub die Tochter se<strong>in</strong>es Vorgesetzten besucht,um ihr von dessen Überlaufen zur Roten Armee zu berichten, schil<strong>der</strong>t er se<strong>in</strong>e Reise:Durch Polen b<strong>in</strong> ich gefahren. Haß sah ich, nichts <strong>als</strong> Haß. Da sah ich d e n Haß... Und <strong>in</strong> Russl<strong>an</strong>dsah ich, dort hab ich gesehen...Ja, ich b<strong>in</strong> von e<strong>in</strong>er l<strong>an</strong>gen, weiten Reise über<strong>an</strong>strengt. Es strengt <strong>an</strong>,Anna, solch e<strong>in</strong> Sehen...(123)Auch <strong>in</strong> Steph<strong>an</strong> Herml<strong>in</strong>s kurzer Erzählung Leutn<strong>an</strong>t Yorck von Wartenburg führtbeispielgebend <strong>der</strong> Anblick von Verbrechen zum Umdenken bei dem jungen Leutn<strong>an</strong>t Yorck,e<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Verschwörer des 20. Juli, <strong>der</strong> von se<strong>in</strong>er Befreiung vor <strong>der</strong> H<strong>in</strong>richtung und demnationalen Aufst<strong>an</strong>d gegen Hitler träumt. Doch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Realität fehlt <strong>der</strong> Aufst<strong>an</strong>d und das „neudenken“, „Umdenken“ <strong>in</strong> dieser Diktatur, die „er <strong>der</strong> neuen Erkenntnisse wegen hasste“:„Und wir? Unser SS-Pöbel erschießt die K<strong>in</strong><strong>der</strong> <strong>in</strong> Charkow“, bemerkt Yorck fast beiläufig;„im Blut müssen wir waten bis <strong>an</strong> die Knöchel, um mit dem Denken zu beg<strong>in</strong>nen.“ (29)Herml<strong>in</strong>s klare Botschaft, die er selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Nachwort 1953 nochm<strong>als</strong> unterstreicht ist,dass <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d des 20. Juli 1944 fehlschlug, da ihm die proletarische Basis fehlte. Die <strong>in</strong><strong>der</strong> Geschichte erfundene Verbrü<strong>der</strong>ung des militärischen, bürgerlichen und kommunistischenWi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>des mit <strong>der</strong> Roten Armee gegen Hitler ist <strong>der</strong> verzweifelte Traum, <strong>der</strong> „letzteLebensaugenblick e<strong>in</strong>es Sterbenden.“ Herml<strong>in</strong> erzählt „nicht von deutscher Geschichte,son<strong>der</strong>n von e<strong>in</strong>er deutschen Möglichkeit.“ (51) Die Überw<strong>in</strong>dung des historischen Versagens<strong>der</strong> Deutschen k<strong>an</strong>n nur <strong>in</strong> dem vollständigen Bruch mit <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit erfolgen, so wie er<strong>in</strong> Herml<strong>in</strong>s sozialistischem Deutschl<strong>an</strong>d d<strong>an</strong>n auch betrieben wurde: „Entr<strong>in</strong>nen und wie<strong>der</strong>entr<strong>in</strong>nen – nur das ist die Zukunft: Verw<strong>an</strong>dlung und Vergessen.“ (37)Wie hier, f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den meisten Texten Szenen des Grauens, Leiden <strong>der</strong>Zivilbevölkerung, Zerstörung und Br<strong>an</strong>dschatzung <strong>als</strong> e<strong>in</strong>gestreute Sequenzen, selten giltihnen über mehr <strong>als</strong> zwei Seiten die volle Aufmerksamkeit. Anna Seghers’ Die Toten bleibenjung enthält Beschreibungen von Vertreibungen <strong>der</strong> sowjetischen Bevölkerungen, vonzerstörten Dörfern und Ermordeten <strong>an</strong> Galgen am Wegesr<strong>an</strong>d (485, 469, 492); bei Plievier18


f<strong>in</strong>det die unmenschliche Beh<strong>an</strong>dlung <strong>der</strong> russischen <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genen durch die Deutschenvere<strong>in</strong>zelt E<strong>in</strong>g<strong>an</strong>g <strong>in</strong> die Erzählung (30, 136). Fühm<strong>an</strong>ns Kameraden werden am EndeZeugen <strong>der</strong> kaltblütigen H<strong>in</strong>richtung unschuldiger Russen für den (ihren!) Mord <strong>an</strong> <strong>der</strong>Majorstochter (42-46). Die <strong>in</strong>dividuelle Verwicklung des Soldaten <strong>in</strong> denVernichtungsfeldzug ist nirgends so e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich beschrieben, wie <strong>in</strong> Remarque erstemKapitel <strong>in</strong> Zeit zu leben, Zeit zu sterben. Die Beteiligung des jungen Rom<strong>an</strong>helden ErnstGraeber, e<strong>in</strong>er literarischen Figur voller Komplexität und Wi<strong>der</strong>sprüche, <strong>an</strong> e<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>richtungrussischer „Partis<strong>an</strong>en“ schil<strong>der</strong>t Remarque <strong>in</strong> so durchdr<strong>in</strong>gen<strong>der</strong> Weise, dass deutlich wird,was Literatur leisten k<strong>an</strong>n: das g<strong>an</strong>ze Spektrum menschlichen H<strong>an</strong>delns und Fühlens greifbar,ja fast erfahrbar zu machen. Die Szene sei hier wegen ihrer Intensität und auch wegen ihresAusnahmecharakters wie<strong>der</strong>gegeben.Graeber hielt se<strong>in</strong> Gewehr lose <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>an</strong>d. <strong>Der</strong> Stahl war sehr kalt. Er zog se<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dschuhe <strong>an</strong>.„<strong>Der</strong> SD ist weiter h<strong>in</strong>ten beschäftigt.“ Die <strong>an</strong><strong>der</strong>en kamen her<strong>an</strong>. Ste<strong>in</strong>brenner war <strong>als</strong> e<strong>in</strong>ziger völligwach und ausgeschlafen. Se<strong>in</strong>e Haut schimmerte rosig wie die e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des. „Hört zu“, sagte er, „daist doch die Kuh dabei, laßt die für mich.“ „Wieso für dich?“ fragte Sauer, „du hast ke<strong>in</strong>e Zeit mehr,sie zu schwängern. Das hättest du früher versuchen sollen.“ „Hat er ja“, sagte Immerm<strong>an</strong>n.Ste<strong>in</strong>brenner drehte sich ärgerlich um. „Woher weißt du das?“ „Und sie hat ihn nicht r<strong>an</strong>gelassen.“„Du bist mächtig schlau, was? Wenn ich die rote Kuh hätte haben wollen, hätte ich sie gehabt.“ „O<strong>der</strong>nicht.“ „Laß doch den Quatsch.“ Sauer biß e<strong>in</strong> Stück Prim ab. „Wenn er me<strong>in</strong>t, daß er sie abknallenwill, für sich alle<strong>in</strong>, von mir aus k<strong>an</strong>n er das gern. Ich reiße mich nicht darum.“ „Ich auch nicht“,erklärte Graeber. Die <strong>an</strong><strong>der</strong>en sagten nichts.Es wurde heller. Ste<strong>in</strong>brenner spuckte aus: „Erschießen – viel zu gut für die B<strong>an</strong>de! Munition dafür zuverschwenden! Aufhängen sollte m<strong>an</strong> sie!“ „Wo,“ Sauer sah sich um. „Siehst du irgendwo e<strong>in</strong>enBaum? O<strong>der</strong> wollen wir erst noch e<strong>in</strong>en Galgen zimmern? Und woraus?“ „Da s<strong>in</strong>d sie“, sagte Graeber.Mücke erschien mit den vier Russen. Die zwei Soldaten g<strong>in</strong>gen vor und h<strong>in</strong>ter ihnen. <strong>Der</strong> alte Russewar <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>ste; nach ihm kam die Frau, und d<strong>an</strong>n kamen zwei jüngere Männer. Die vier stelltensich ohne Befehl <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe vor dem Graben auf. Die Frau blickte h<strong>in</strong>ab, bevor sie sich umdrehte.Sie trug e<strong>in</strong>en roten wollenen Rock.Leutn<strong>an</strong>t Müller vom ersten Zug kam aus dem Hause des Komp<strong>an</strong>ieführers. Er vertrat Rahe bei <strong>der</strong>Exekution. Es war lächerlich, aber die Formen wurden oft noch <strong>in</strong>negehalten. Je<strong>der</strong> wußte, daß dievier Russen vielleicht Partis<strong>an</strong>en waren, vielleicht auch nicht – aber sie waren <strong>in</strong> aller Form verhörtund verurteilt worden. Ohne je e<strong>in</strong>e wirkliche Ch<strong>an</strong>ce gehabt zu haben. Was war auch schonfestzustellen gewesen? Sie hatten <strong>an</strong>geblich Waffen gehabt. Jetzt wurden sie <strong>in</strong> aller Form, unterBeise<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Offiziers erschossen. Als ob ihnen das nicht g<strong>an</strong>z egal gewesen wäre. (18f.][...] Die Gruppe Soldaten st<strong>an</strong>d still. Graeber fühlte se<strong>in</strong> Gewehr. Er hatte se<strong>in</strong>e H<strong>an</strong>dschuhe wie<strong>der</strong>ausgezogen. <strong>Der</strong> Stahl saugte sich kalt gegen Daumen und Zeigef<strong>in</strong>ger. Neben ihm st<strong>an</strong>d Hirschm<strong>an</strong>n.Er war gelb, aber er st<strong>an</strong>d regungslos. Graeber beschloß, auf den Russen am weitesten l<strong>in</strong>ks zuschießen. Im [sic] Anf<strong>an</strong>g hatte er <strong>in</strong> die Luft geschossen, wenn er zu e<strong>in</strong>er Exekution komm<strong>an</strong>diertworden war, aber das war vorbei. M<strong>an</strong> tat denen, die erschossen wurden, ke<strong>in</strong>en Gefallen damit.An<strong>der</strong>e hatten ebenso gedacht wie er; und es war vorgekommen, dass fast alle absichtlichvorbeigeschossen hatten. Die Erschießung hatte wie<strong>der</strong>holt werden müssen. Und die Gef<strong>an</strong>genenwurden so zweimal exekutiert. (21)[...] „Feuer!“ kam das Komm<strong>an</strong>do. <strong>Der</strong> Russe schien sich zu heben und Graeber entgegenzukommen.Es war, <strong>als</strong> wölbe er sich, wie Personen <strong>in</strong> Juxbuden auf dem Jahrmarkt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em konvexen Spiegel. Erwölbte sich und fiel zurück. [...] Die <strong>an</strong><strong>der</strong>en beiden waren zusammengesunken, wo sie st<strong>an</strong>den. <strong>Der</strong>ohne Stiefel hatte im letzten Moment se<strong>in</strong>e Hände hochgerissen, um se<strong>in</strong> Gesicht zu schützen. E<strong>in</strong>eH<strong>an</strong>d h<strong>in</strong>g wie e<strong>in</strong> Lappen <strong>an</strong> den Sehnen. Ke<strong>in</strong>em <strong>der</strong> Russen waren die Hände gefesselt und dieAugen verbunden worden. M<strong>an</strong> hatte es vergessen. Die Frau war nach vorn gefallen. Sie war nicht tot.Sie stützte sich auf die H<strong>an</strong>d und starrte, das Gesicht erhoben, die Gruppe Soldaten <strong>an</strong>. Ste<strong>in</strong>brenner19


machte e<strong>in</strong> zufriedenes Gesicht. Niem<strong>an</strong>d außer ihm hatte auf sie gezielt. [...] Sie lag da, die Armeaufgestützt, wie e<strong>in</strong> großer bunter Frosch, <strong>der</strong> nichts mehr weiter konnte, und zischte, ohne die Augene<strong>in</strong>en Moment abzuwenden. Sie schien kaum zu sehen, dass Mücke verdrossen von <strong>der</strong> Seiteher<strong>an</strong>kam. Sie zischte und zischte, und erst im letzten Augenblick sah sie den Revolver. Sie riß denKopf beiseite und biß <strong>in</strong> Mückes H<strong>an</strong>d. Mücke fluchte und schlug ihr mit <strong>der</strong> l<strong>in</strong>ken H<strong>an</strong>d von obenden Unterkiefer los. Als die Zähne nachgaben, schoß er sie <strong>in</strong> den Nacken. (22f.)Die <strong>in</strong> dieser Szene <strong>an</strong>gedeutete Vielfalt von H<strong>an</strong>dlungsoptionen zwischen Brutalität,Machtlosigkeit, Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d und Töten wurde selten so beschrieben. Remarques Rom<strong>an</strong>beg<strong>in</strong>nt mit dieser Szene, und alles nachfolgende Leid, das Graeber <strong>an</strong> <strong>der</strong> Front und später <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er von Bomben<strong>an</strong>griffen zerstörten Heimatstadt schil<strong>der</strong>t, steht unter diesem E<strong>in</strong>druck desvon deutschen Soldaten verübten Verbrechens. In den meisten <strong>an</strong><strong>der</strong>en Texten s<strong>in</strong>d dieProtagonisten beistehende Zeugen solcher Verbrechen, nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen wenigen Fällen nehmensie selbst teil, o<strong>der</strong> ha<strong>der</strong>n mit dem Verweigern und <strong>der</strong> Gewissenslast. Die dabeitr<strong>an</strong>sportierten Tätermotivationen reichen von faschistischer Verblendung, bestialischerVerrohung und Rassenhass, Angst vor Bestrafung bei Befehlsverweigerung bis h<strong>in</strong> zupflichtgemäßem Gehorsam und rout<strong>in</strong>ierter Vernichtung e<strong>in</strong>es ebenso tötungswilligenFe<strong>in</strong>des.Noch seltener <strong>als</strong> <strong>der</strong>artiges Reflektieren s<strong>in</strong>d Bezüge zum Holocaust. <strong>Der</strong> Massenmord <strong>an</strong>den europäischen Juden hätte ohne den <strong>Krieg</strong> gegen die Sowjetunion nicht so stattgefunden.Ohne die Wehrmacht <strong>in</strong> den besetzten Territorien wäre er auch nicht ausführbar gewesen.Dennoch spielen das jüdische Schicksal, Antisemitismus und Rassenhass <strong>in</strong> <strong>der</strong> untersuchtenLiteratur nur e<strong>in</strong>e marg<strong>in</strong>ale Rolle. Bei Bredel f<strong>in</strong>den die „Konzentrations- undVernichtungslager“ Erwähnung, <strong>in</strong> denen „Millionen Menschen ohne die ger<strong>in</strong>gste Schuld,nur weil sie rassisch o<strong>der</strong> politisch unerwünscht waren, vergast und verbr<strong>an</strong>nt“ werden (DieEnkel, 587). Anna Seghers beschreibt <strong>an</strong> e<strong>in</strong>er Stelle e<strong>in</strong>en Judentr<strong>an</strong>sport, <strong>der</strong> unter denAugen <strong>der</strong> nichtjüdischen Bürger von Berl<strong>in</strong> nach Polen abfährt (Die Toten bleiben jung, 520,525f.). Die Berührung von Wehrmachtsoldaten mit den SS/SD-Erschießungskomm<strong>an</strong>dosh<strong>in</strong>ter <strong>der</strong> Front war historisch gesehen <strong>an</strong> <strong>der</strong> Tagesordnung. In den zahlreichenSchlachtbeschreibungen <strong>der</strong> Nachkriegsliteratur kommt sie so gut wie nicht vor. Ausnahmeist e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche Szene <strong>in</strong> He<strong>in</strong>rich Gerlachs Die verratene Armee: Soldat Lakosch trifftauf e<strong>in</strong>e Gruppe „fremdländischer, schwärzlicher Gestalten“, die von e<strong>in</strong>er Gruppe L<strong>an</strong>dsernzur Exekution zusammen getrieben werden. Auf die „törichte Frage“ Lakoschs, warum m<strong>an</strong>sie erschieße, <strong>an</strong>twortet e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Männer: „Warum? Geschossen sollen sie haben! –Außerdem s<strong>in</strong>d sie schuld <strong>an</strong> allem.“ (183) Vom „Blutrausch“ <strong>an</strong>gestachelt will sich Lakosch<strong>an</strong> <strong>der</strong> Exekution beteiligen, obwohl er kurz zuvor noch festgestellt hatte, dass er „ke<strong>in</strong>enrechten Zusammenh<strong>an</strong>g zwischen diesen zerlumpten Kerlen und den ‚jüdischen Drahtziehern20


von Wallstreet und Kreml’, gegen die Goebbels wetterte“, erkennen konnte. Nur das beherzteE<strong>in</strong>greifen e<strong>in</strong>es Offiziers, <strong>der</strong> nach dem Befehl für diese Exekution verl<strong>an</strong>gte, verh<strong>in</strong><strong>der</strong>te dieErmordung <strong>der</strong> Juden. Später w<strong>an</strong><strong>der</strong>n die Ged<strong>an</strong>ken Lakoschs zu dieser Szene zurück undGewissensbisse plagen:Er sah die grässliche Todes<strong>an</strong>gst <strong>in</strong> dem Blick <strong>der</strong> jüdischen Männer, sah den aus Urtiefenkommenden Haß e<strong>in</strong>es Volkes, das Jahrtausende h<strong>in</strong>durch nur getreten und geschunden worden war.[...] Und er sah sich selbst, das Gewehr <strong>in</strong> <strong>der</strong> H<strong>an</strong>d - - Und Ekel blieb und Scham und <strong>der</strong> brennendeWunsch, das Geschehene auslöschen zu können o<strong>der</strong> wenigstens die Er<strong>in</strong>nerung dar<strong>an</strong>. Ne<strong>in</strong>, dachteLakosch, das ist ke<strong>in</strong> <strong>Krieg</strong> mehr, das ist ... Er f<strong>an</strong>d ke<strong>in</strong>e Worte für das was ihn bewegte. (186f.)Gerlachs Rom<strong>an</strong> endet <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong>sgef<strong>an</strong>genschaft und mit <strong>der</strong> E<strong>in</strong>sicht, dass nur dieVerblendung aus Soldaten Verbrechern gemacht hatte, <strong>als</strong>o letztlich die persönliche Schuldrelativiert ist. Warum Männer e<strong>in</strong>en <strong>Krieg</strong> kämpften, von dem die meisten wussten, dass erverbrecherisch war, ist e<strong>in</strong> Hauptmotiv <strong>der</strong> meisten Texte. Die literarische Antwort auf diebeg<strong>an</strong>genen Verbrechen und <strong>der</strong>en Aufarbeitung war <strong>als</strong>o nicht <strong>der</strong>en Verschweigen, son<strong>der</strong>nihre rechtfertigende Erklärung, etwas im Glauben <strong>an</strong> e<strong>in</strong>e verme<strong>in</strong>tlich gute Sache get<strong>an</strong> zuhaben. Stellvertretend dafür stehe hier Gerlachs „<strong>Krieg</strong>sende“:„Kameraden!“, sagt [<strong>der</strong> Hauptm<strong>an</strong>n zu se<strong>in</strong>en Soldaten kurz bevor sie sich <strong>in</strong> die Gef<strong>an</strong>genschaftbegeben]. „Wir s<strong>in</strong>d am Ende. Und dieses Ende ist hart. Wir haben dieses alles nicht gewollt. Aber wirhaben geschwiegen und gehorcht im Glauben, e<strong>in</strong>er guten Sache zu dienen. Daß das Kleid, das wirtragen, heute ke<strong>in</strong> Ehrenkleid mehr ist, das ist nicht unsere Schuld. [...] Wir waren Soldaten desFührers ... Wir wollen es lernen, wie<strong>der</strong> Menschen zu se<strong>in</strong>!“ (556)Das Wissen um Verbrechen, die Gleichzeitigkeit von Täter- und Opfererlebnissen sowie dasBedürfnis zu trauern und zu vergessen waren wohl die entscheidenden menschlichenErfahrungen und Sehnsüchte am Ende des totalen <strong>Krieg</strong>s, und zwar nicht nur für dieehemaligen Wehrmachtsoldaten son<strong>der</strong>n auch für viele Deutsche <strong>an</strong> <strong>der</strong> „Heimatfront.“ Dasssich <strong>in</strong> beiden Teilen Deutschl<strong>an</strong>ds nach 1945 alle Kräfte auf die Zukunft und den materiellenWie<strong>der</strong>aufbau konzentrierten, war nicht nur e<strong>in</strong>e Frage <strong>der</strong> Existenzsicherung, son<strong>der</strong>n auchAusdruck des sehr menschlichen Bedürfnisses, irgendwie die Verg<strong>an</strong>genheit zu „bewältigen“,mit ihr „abzuschließen.“ Dieses Bedürfnis verkörpert die Figur des Ernst Graeber, <strong>der</strong> amEnde des <strong>Krieg</strong>es durch von ihm selbst befreite russische Partis<strong>an</strong>en erschossen wird und dieNachkriegszeit nicht mehr erlebt. Am Ende se<strong>in</strong>es Fronturlaubs besucht er se<strong>in</strong>en ehemaligenReligionslehrer Pohlm<strong>an</strong>n und f<strong>in</strong>det auf se<strong>in</strong>e Fragen letztlich doch ke<strong>in</strong>e Antwort:„[...] Ich möchte wissen, wie weit ich <strong>an</strong> den Verbrechen <strong>der</strong> letzten zehn Jahre beteiligt war“, sagte er.„Und ich möchte wissen was ich tun soll.“ [...] „Ich habe e<strong>in</strong>iges gesehen“, sagte Graeber. „Und vielesgehört. Ich weiß auch, daß <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> verloren ist. Und ich weiß, dass wir nur noch weiterkämpfen,damit die Regierung, die Partei und die Leute, die alles das verursacht haben, noch e<strong>in</strong>ige Zeit länger<strong>an</strong> <strong>der</strong> Macht bleiben, um noch mehr Elend <strong>an</strong>richten zu können.“ „Sie wissen das alles?“ fragte[Pohlm<strong>an</strong>n]. „Ich weiß es jetzt. Ich wußte es nicht immer.“ „Und Sie müssen wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>aus?“ „Ja.“„Das ist furchtbar.“ „Es ist noch furchtbarer, wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>aus zu müssen und es zu wissen, und dadurchvielleicht zum Mitschuldigen zu werden. Werde ich das?“ Pohlm<strong>an</strong>n schwieg. „Wie me<strong>in</strong>en Sie das“,21


fragte er nach e<strong>in</strong>er Weile flüsternd. „Sie wissen, wie ich es me<strong>in</strong>e. [...] Wie weit werde ich zumMitschuldigen, wenn ich weiß, dass <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> nicht nur verloren ist, son<strong>der</strong>n auch, dass wir ihnverlieren müssen, damit Sklaverei und Mord, Konzentrationslager, SS und SD, Massenausrottung undUnmenschlichkeit aufhören – wenn ich das weiß und <strong>in</strong> zwei Wochen wie<strong>der</strong> h<strong>in</strong>ausgehe, um weiterdafür zu kämpfen?“ [...] „W<strong>an</strong>n wird zum Mord, was m<strong>an</strong> sonst Heldentum nennt? Wenn m<strong>an</strong> nichtmehr <strong>an</strong> se<strong>in</strong>e Gründe glaubt? O<strong>der</strong> <strong>an</strong> se<strong>in</strong>en Zweck? Wo ist die Grenze?“ (195-197)FazitDiese Reflektionstiefe wird so authentisch selten erreicht, Reflektion <strong>an</strong> sich ist aber auchnicht die Ausnahme. Die hohe Literatur hat für den, <strong>der</strong> es wollte, <strong>an</strong><strong>der</strong>s <strong>als</strong> die von e<strong>in</strong>erSchlussstrichmentalität geleitete Politik <strong>in</strong> beiden Teilen Deutschl<strong>an</strong>ds <strong>der</strong> 1950er Jahre,F<strong>an</strong>tasieräume für das <strong>in</strong>dividuelle Nachdenken über die eigene Geschichte, die eigenenVerwicklungen, Gefühle und <strong>in</strong>neren Konflikte geschaffen. Diese E<strong>in</strong>sicht ersche<strong>in</strong>t dochplausibel, wenn m<strong>an</strong> sich vergegenwärtigt, dass für die Deutschen dieser Jahre die<strong>Krieg</strong>ser<strong>in</strong>nerung(en) untrennbar zur eigenen Lebenswelt gehörte; diese Er<strong>in</strong>nerungen warenlebendig und for<strong>der</strong>ten Be- und Aufarbeitung – welcher Art auch immer. Die zeitgenössischeLiteratur jenseits <strong>der</strong> massenhaft verbreiteten Gener<strong>als</strong>memoiren und <strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>hefte botvielfältige Erklärungsmuster und Identifikationsfiguren, die g<strong>an</strong>z unzeitgemäß durchaus e<strong>in</strong>endifferenzierten und kritischen Umg<strong>an</strong>g mit <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit e<strong>in</strong>for<strong>der</strong>ten.Angaben zur Autor<strong>in</strong>:Christ<strong>in</strong>a Mor<strong>in</strong>a, geb. 1976 <strong>in</strong> Fr<strong>an</strong>kfurt/O, studierte Geschichte, Politik und Journalistik <strong>in</strong> Leipzig,Ohio und Maryl<strong>an</strong>d. In ihrer Magisterarbeit beschäftigte sie sich mit <strong>der</strong> Re<strong>in</strong>tegration vonRussl<strong>an</strong>dheimkehrern <strong>in</strong> die DDR, 1945-1956. Seit 2002 ist sie PhD-Student<strong>in</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> University ofMaryl<strong>an</strong>d und hat sich dort auf die Schwerpunkte europäische Geistesgeschichte sowie deutscheNachkriegsgeschichte spezialisiert. Ihre Dissertation zum Thema „Vermächtnis und GedächtnisStal<strong>in</strong>grad: Er<strong>in</strong>nerung, Aufarbeitung und Darstellung des <strong>Krieg</strong>es <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Ostfront</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> politischenKultur <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d, 1943-2003“ wird seit J<strong>an</strong>uar 2005 von <strong>der</strong> Stiftung zur Aufarbeitung <strong>der</strong> SED-Diktatur geför<strong>der</strong>t. Sie lebt und arbeitet <strong>in</strong>zwischen <strong>in</strong> Jena.Anmerkungen:1 So die Formulierung <strong>in</strong> <strong>der</strong> geheimen Presse<strong>an</strong>weisung des Reichspressechefs Otto Dietrich am Tag nach <strong>der</strong>Kapitulation <strong>der</strong> 6. Armee bei Stal<strong>in</strong>grad vom 3. Februar 1943. Zit. nach Peter Jahn (Hg.), Stal<strong>in</strong>grad Er<strong>in</strong>nern.Stal<strong>in</strong>grad im deutschen und russischen Gedächtnis, Berl<strong>in</strong> 2003, S. 44.2 Vgl. Rüdiger Overm<strong>an</strong>s, Deutsche Militärische Verluste im Zweiten Weltkrieg, München 2000.3 Aleida Assm<strong>an</strong>n hat diesen Wi<strong>der</strong>spruch <strong>in</strong> Bezug auf das Verhältnis von politisch öffentlichem Er<strong>in</strong>nerungsdiskursund privatem wie gesellschaftlichen Schweigen über bestimmte Aspekte <strong>der</strong> persönlichen Verg<strong>an</strong>genheitmit dem Begriffspaar „Geschichtsvergessenheit und Geschichtsversessenheit“ beschrieben und gezeigt, dass dase<strong>in</strong>e das <strong>an</strong><strong>der</strong>e nicht ausschließt, son<strong>der</strong>n sie sich sogar gegenseitig verstärken können. Aleida Assm<strong>an</strong>n/Ute22


Frevert, Geschichtsvergessenheit, Geschichtsversessenheit. Vom Umg<strong>an</strong>g mit deutschen Verg<strong>an</strong>genheiten nach1945, Stuttgart 1999, S. 75-96, hier: S. 78f. Sehr <strong>an</strong>schaulich werden diese Zusammenhänge z. B. bei Robert W.Moeller, War Stories. The Search for a Usable Past <strong>in</strong> the Fe<strong>der</strong>al Republic of Germ<strong>an</strong>y, Berkeley 2001.4 In <strong>der</strong> Literaturwissenschaft versteht m<strong>an</strong> unter Stoff geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> das fiktive o<strong>der</strong> realistische Material, dasdurch e<strong>in</strong>en Autor gestaltet wird. I. d. R. besteht er aus vier Elementen: H<strong>an</strong>dlung, Schauplätze, Zeit, Figuren.Vgl. Brockhaus Literatur, M<strong>an</strong>nheim, Leipzig 2004 2 , S. 808.5 Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften. Bd. 10/1: Kulturkritik und Gesellschaft I. Hg. von RolfTiedem<strong>an</strong>n, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 1996, S. 30. Diese Aussage ist oft missverst<strong>an</strong>den worden. Adorno gebrauchte dasSchreiben von Gedichten <strong>in</strong> diesem Zusammenh<strong>an</strong>g synekdochisch für Kunst und Kultur <strong>als</strong> G<strong>an</strong>zes. Erpostulierte damit auch nicht das Ende <strong>der</strong> Lyrik, son<strong>der</strong>n beharrte lediglich darauf, dass „Gedichte zu schreibenvor und nach Auschwitz durch e<strong>in</strong>e nicht überbrückbare Kluft geschieden sei.“ Siehe dazu die Ausführung RolfTiedem<strong>an</strong>ns, „’Nicht die erste Philosophie son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e letzte.’ Anmerkungen zum Denken Adornos“, <strong>in</strong>:Theodor W. Adorno, ‘Ob Nach Auschwitz sich noch leben lasse’. E<strong>in</strong> philosophisches Lesebuch, Hg. von RolfTiedem<strong>an</strong>n, Leipzig, 1997, S. 12.6 Adorno, Gesammelte Schriften, Bd. 10/1 (Anm. 4), S. 27.7 Theodor W. Adorno, “Versuch, das Endspiel zu verstehen”, <strong>in</strong> Adorno, ‘Ob Nach Auschwitz sich noch lebenlasse’ (Anm. 4), S. 311.8 Zum Vergleich <strong>der</strong> literarischen „Antworten“ auf den I. und II. Weltkrieg siehe v.a. George L. Mosse, „TwoWorld Wars <strong>an</strong>d the Myth of the War Experience“, <strong>in</strong>: Journal of Contemporary History 21 (4), 1986, S. 491-513. Sowie George L. Mosse, Fallen Soldiers. Reshap<strong>in</strong>g the Memories of the World Wars, New York/Oxford1990 (dar<strong>in</strong> <strong>in</strong>sb. Kapitel 10).9 H<strong>an</strong>nah Arendt, “Nightmare <strong>an</strong>d Flight”, <strong>in</strong>: Dies., Essays <strong>in</strong> Un<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d<strong>in</strong>g, 1930-1954, Hg. von JeromeKohn, New York 1993, S. 134.10 Karl Jaspers, Die Schuldfrage. Von <strong>der</strong> politischen Haftung Deutschl<strong>an</strong>ds, München 1987 [1946], S. 10, 13f.11 „Die Poesie leistet mehr für die Erkenntnis des Wesens <strong>der</strong> Menschheit [...], weil das Vermögen, welches <strong>der</strong>Poesie zugrunde liegt, <strong>an</strong> sich e<strong>in</strong> viel höheres <strong>als</strong> das des größten Historikers und auch die Wirkung, wozu siebestimmt ist, e<strong>in</strong>e viel höhere <strong>als</strong> die <strong>der</strong> Geschichte ist. Dafür f<strong>in</strong>det die Geschichte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Poesie e<strong>in</strong>e ihrerallerwichtigsten Quellen und e<strong>in</strong>er ihrer allerre<strong>in</strong>sten und schönsten.“ Jakob Christoph Burckhardt, „Über dasStudium <strong>der</strong> Geschichte“, <strong>in</strong> Weltgeschichtliche Betrachtungen, Stuttgart 1978, S. 69.12 Gary D. Stark, „Vom Nutzen und Nachteil <strong>der</strong> Literatur für die Geschichtswissenschaft: A Histori<strong>an</strong>’s View“,<strong>in</strong>: The Germ<strong>an</strong> Quarterly 63 (1), 1990, S. 19-31.13 Rolf Düsterberg, Soldat und <strong>Krieg</strong>sliteratur. Deutsche militärische Er<strong>in</strong>nerungsliteratur (1945-1961) zumZweiten Weltkrieg - Motive, Begriffe, Wertungen, Tüb<strong>in</strong>gen 2000. Peter Fritzsche, „Volkstümliche Er<strong>in</strong>nerungund deutsche Identität nach dem 2. Weltkrieg“, <strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong> Sabrow/Konrad Jarausch, Verletztes Gedächtnis.Er<strong>in</strong>nerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 2002, S. 75-97. Wolfg<strong>an</strong>g Hardtwig, „FiktiveZeitgeschichte? Literarische Erzählung, Geschichtswissenschaft und Er<strong>in</strong>nerungskultur <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d“, <strong>in</strong>:Ibid., S. 99-123. Ursula Heukenkamp (Hg.), Deutsche Er<strong>in</strong>nerung. Berl<strong>in</strong>er Beiträge zur Prosa <strong>der</strong> Nachkriegsjahre(1945-1960), Berl<strong>in</strong> 2000. Elizabeth Sny<strong>der</strong> Hook, “Awaken<strong>in</strong>g from War: History, Trauma <strong>an</strong>dTestimony <strong>in</strong> He<strong>in</strong>rich Böll”, <strong>in</strong>: Alon Conf<strong>in</strong>o/Peter Fritzsche (Hg.), The Work of Memory: New Directions forthe Study of Germ<strong>an</strong> Society <strong>an</strong>d Culture, Urb<strong>an</strong>a 2002.14 Dass diese <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>äre Aufgabe noch e<strong>in</strong> weites Feld ist, zeigt <strong>der</strong> aufschlussreiche KonferenzberichtMart<strong>in</strong>a W<strong>in</strong>klers „Literatur und Geschichte - Interdiszipl<strong>in</strong>äre Ansätze zwischen Fakt und Fiktion.“ (Oktober2004). URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berl<strong>in</strong>.de/tagungsberichte/id=583.15 Beispielhaft seien gen<strong>an</strong>nt Norbert Frei, Verg<strong>an</strong>genheitspolitik. Die Anfänge <strong>der</strong> Bundesrepublik und die NSVerg<strong>an</strong>genheit, München 1997. Jeffrey Herf, Divided Memory. The Nazi Past <strong>in</strong> the two Germ<strong>an</strong>ys,Cambridge1997. Robert G. Moeller, War Stories (Anm. 3). Peter Reichel, Verg<strong>an</strong>genheitsbewältigung <strong>in</strong>Deutschl<strong>an</strong>d: Die Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001. Jürgen D<strong>an</strong>yel(Hg.), Die geteilte Verg<strong>an</strong>genheit. Zum Umg<strong>an</strong>g mit Nation<strong>als</strong>ozialismus und Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d <strong>in</strong> den beidendeutschen Staaten, Berl<strong>in</strong> 1995. Peter Reichel, Verg<strong>an</strong>genheitsbewältigung <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d: Die Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzungmit <strong>der</strong> NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001. Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik <strong>in</strong> <strong>der</strong>Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d: <strong>der</strong> Weg zur bundesrepublik<strong>an</strong>ischen Er<strong>in</strong>nerung,1948-1999, Darmstadt 1999.16Vgl. z.B. Wolfg<strong>an</strong>g Becker, Norbert Schöll, In jenen Tagen ...Wie <strong>der</strong> deutsche Nachkriegsfilm dieVerg<strong>an</strong>genheit bewältigte, Opladen 1995. Jörg Bernig, E<strong>in</strong>gekesselt: die Schlacht von Stal<strong>in</strong>grad <strong>in</strong>deutschsprachigen Rom<strong>an</strong>en nach 1945, New York 1997. Christoph Classen, Bil<strong>der</strong> <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit.Nation<strong>als</strong>ozialismus im Fernsehen <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d 1955-1965, Köln 1999. Rolf Düsterberg,Soldat und <strong>Krieg</strong>sliteratur (Anm. 12). Thomas Heim<strong>an</strong>n, „Er<strong>in</strong>nerung <strong>als</strong> W<strong>an</strong>dlung: <strong>Krieg</strong>sbil<strong>der</strong> im frühenDDR-Film“, <strong>in</strong>: Mart<strong>in</strong> Sabrow (Hg.), Geschichte <strong>als</strong> Herrschaftsdiskurs. <strong>Der</strong> Umg<strong>an</strong>g mit <strong>der</strong> Verg<strong>an</strong>genheit <strong>in</strong><strong>der</strong> DDR, Köln 2000, S. 39-85. Leonore Krenzl<strong>in</strong>, „<strong>Der</strong> ‚Ostkrieg‘ <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR-Belletristik“, <strong>in</strong>: BabetteQu<strong>in</strong>kert (Hg.), „Wir s<strong>in</strong>d die Herren dieses L<strong>an</strong>des.“ Ursachen, Verlauf und Folgen des deutschen Überfalls aufdie Sowjetunion, Hamburg 2002, S. 207-222. Olaf L<strong>an</strong>ge, „W<strong>an</strong>dlung o<strong>der</strong> Tod: <strong>Der</strong> Zweite Weltkrieg <strong>in</strong> <strong>der</strong>23


Prosa <strong>der</strong> DDR 1949-1960“, <strong>in</strong> Ursula Heukenkamp (Hg.), Unerwünschte Erfahrung. <strong>Krieg</strong>sliteratur und Zensur<strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR, Berl<strong>in</strong> 1990, S. 100-134. Peter Reichel, Erfundene Er<strong>in</strong>nerung. Weltkrieg und Judenmord <strong>in</strong> Filmund Theater, München 2004. Rolf Günter Renner, „Hirn und Herz. Stal<strong>in</strong>grad <strong>als</strong> Gegenst<strong>an</strong>d ideologischer undliterarischer Diskurse,“ <strong>in</strong>: Jürgen Förster (Hg.), Stal<strong>in</strong>grad. Ereignis, Wirkung, Symbol, München 1992, S. 472-492. Eric L. S<strong>an</strong>tner, Str<strong>an</strong>ded Objects. Mourn<strong>in</strong>g, Memory <strong>an</strong>d Film <strong>in</strong> Postwar Germ<strong>an</strong>y, Ithaca 1990.17 Vgl. Umberto Eco, Lector <strong>in</strong> Fabula. Die Mitarbeit <strong>der</strong> Interpretation <strong>in</strong> erzählenden Texten, München 1987,S. 72f. Und <strong>Der</strong>s., Die Grenzen <strong>der</strong> Interpretation, München 1992, S. 47f.18 Es geht mir dabei ausdrücklich nicht um die Rezeption dieses Diskurses <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bevölkerung, was ohneh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>sehr schwieriges Unterf<strong>an</strong>gen wäre. Dennoch verweise ich, wo verfügbar, auf Auflagenzahl und -stärkee<strong>in</strong>zelner Werke, um zum<strong>in</strong>dest auf die potentielle öffentliche Wirkung e<strong>in</strong>es Rom<strong>an</strong>s o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Kurzgeschichteh<strong>in</strong>zuweisen.19 Vgl. Gary D. Stark, “Vom Nutzen und Nachteil” (Anm. 11), S. 25.20 Vgl. dazu u. a. Wolfg<strong>an</strong>g Emmerich, Kle<strong>in</strong>e Literaturgeschichte <strong>der</strong> DDR, Leipzig, 1996f. Ursula Heukenkamp,Hg., Unerwünschte Erfahrung (Anm. 15). Werner Mittenzwei, Die Intellektuellen, Literatur und Politik <strong>in</strong>Ostdeutschl<strong>an</strong>d, 1945-2000, Leipzig 2001. Zum Zusammenh<strong>an</strong>g von Remilitarisierung und literarischerEr<strong>in</strong>nerung <strong>an</strong> die Wehrmacht <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR („Geläutertenliteratur“ <strong>als</strong> „Begleitmusik für den NVA-Aufbau“)siehe Karen Hartewig, „Militarismus und Antifaschismus. Die Wehrmacht im kollektiven Gedächtnis <strong>der</strong> DDR“,<strong>in</strong> Michael Th. Greven/Oliver von Wrochem (Hg.), <strong>Der</strong> <strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nachkriegszeit. <strong>Der</strong> Zweite Weltkrieg <strong>in</strong>Politik und Gesellschaft <strong>der</strong> Bundesrepublik, Opladen 2000, S. 237-254.21 Dabei konzentriere ich mich auf die Zeit nach 1949, die unmittelbare Nachkriegszeit wurde bereits ausführlichbeschrieben. Siehe z.B. für die Sowjetische Besatzungszone Wolfg<strong>an</strong>g Emmerich, „Ke<strong>in</strong> ‚Nullpunkt’: Traditionund Neubeg<strong>in</strong>n im Zeichen des Antifaschismus (1945-1949)“, <strong>in</strong> <strong>Der</strong>s., Kle<strong>in</strong>e Literaturgeschichte (Anm. 18), S.70-112. Für die unmittelbare Nachkriegszeit <strong>in</strong> den westlichen Zonen Jost Herm<strong>an</strong>d u. a. (Hg.), Nachkriegsliteratur<strong>in</strong> Westdeutschl<strong>an</strong>d 1945-1949, Berl<strong>in</strong> 1982. H<strong>an</strong>s-Gerd W<strong>in</strong>ter (Hg.), „Uns selbst mussten wirmisstrauen“. Die „junge Generation“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, München 2002. E<strong>in</strong>ehervorragende zonenübergreifende Sammlung von Orig<strong>in</strong>alquellen zu den (literatur-)politischen Debattenzwischen 1945 und 1950 bietet Gerhard Hay u. a. (Hg.), „Als <strong>der</strong> <strong>Krieg</strong> zu Ende war“. Literarisch-politischePublizistik 1945-1950, Stuttgart 1986.22 Zit. nach Klaus Wagenbach u. a. (Hg.), Vaterl<strong>an</strong>d, Muttersprache. Deutsche Schriftsteller und ihr Staat seit1945. Berl<strong>in</strong>, 2004, S. 95.23 Anna Seghers, Über Kunstwerk und Wirklichkeit, Bd. III „Für den Frieden <strong>der</strong> Welt“, Berl<strong>in</strong> 1971, S. 105, Zit.nach Klaus Wagenbach (Hg.), Vaterl<strong>an</strong>d, Muttersprache (Anm. 20), S. 122.24 Ludwig Renn, “Weshalb ke<strong>in</strong>e Literatur über den <strong>Krieg</strong>?“, <strong>in</strong>: neue deutsche literatur 4. Jg., 1, 1956, S. 126f.25 Ibid., S. 127-129. Als Beispiel für e<strong>in</strong>e solche Umkehrliteratur führt Renn die Erzählung “Kameraden” (1955)von Fr<strong>an</strong>z Fühm<strong>an</strong>n <strong>an</strong>, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gruppe nation<strong>als</strong>ozialistisch e<strong>in</strong>gestellter Wehrmachtsoldaten geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>enMord <strong>an</strong> <strong>der</strong> Tochter ihres Vorgesetzten begeht und am Ende russische Zivilisten für dieses Verbrechen gehängtwerden.26 Rolf Seeliger, „Schweigende Generation? Literarisches Partis<strong>an</strong>entum <strong>in</strong> Westdeutschl<strong>an</strong>d“, <strong>in</strong>: neue deutscheliteratur 5. Jg., 1, 1957, S. 127-131.27 Klaus F. Geiger, <strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>hefte <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD. Inhalte und Funktionen, Tüb<strong>in</strong>gen 1974. FriedrichGerstenberger, „Strategische Er<strong>in</strong>nerungen. Die Memoiren <strong>der</strong> deutschen Offiziere“, <strong>in</strong>: H<strong>an</strong>nes Heer/KlausNaum<strong>an</strong>n (Hg.), Vernichtungskrieg: Verbrechen <strong>der</strong> Wehrmacht 1941 bis 1944, Hamburg 1995, S. 620-633.Michael Schornstheimer, Die leuchtenden Augen <strong>der</strong> Frontsoldaten. Nation<strong>als</strong>ozialismus und <strong>Krieg</strong> <strong>in</strong> denIllustriertenrom<strong>an</strong>en <strong>der</strong> fünfziger Jahre, Berl<strong>in</strong> 1995.28 Ibid., S. 128.29 Literarischen “Partis<strong>an</strong>en” seien d<strong>an</strong>ach nur jene Autoren, welche die se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach notwendigeVerb<strong>in</strong>dung von literarischer Verarbeitung des <strong>Krieg</strong>es und Gegenwartsfragen <strong>an</strong>strebten und im Ergebnis zue<strong>in</strong>er Kritik <strong>an</strong> <strong>der</strong> „restaurativen Entwicklung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik“ und <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufrüstung f<strong>in</strong>den. Um e<strong>in</strong>Beispiel aus <strong>der</strong> Lyrik zu zitieren (die <strong>in</strong> diesem Aufsatz <strong>an</strong>sonsten ausgeklammert bleibt): Seeliger lobtIngeborg Bachm<strong>an</strong>n, die „auf <strong>der</strong> Klaviatur <strong>der</strong> Illusionslosigkeit e<strong>in</strong>en lyrischen Plakatstil“ hämmere, <strong>der</strong> die„Zeitersche<strong>in</strong>ungen unmittelbar <strong>an</strong>spricht“ und zitiert e<strong>in</strong>es ihrer Gedichte (Siehe Ibid., 128):<strong>Der</strong> <strong>Krieg</strong> wird nicht mehr erklärt,son<strong>der</strong>n fortgesetzt. Das Unerhörteist alltäglich geworden. <strong>Der</strong> Heldbleibt den Kämpfen fern. <strong>Der</strong> Schwacheist <strong>in</strong> die Feuerzone gerückt.Die Uniform des Tages ist die Geduld,die Auszeichnung <strong>der</strong> armselige Stern<strong>der</strong> Hoffnung über dem Herzen.24


30 Herm<strong>an</strong>n K<strong>an</strong>t, Fr<strong>an</strong>k Wagner, „Die große Abrechnung. Probleme <strong>der</strong> Darstellung des <strong>Krieg</strong>es <strong>in</strong> <strong>der</strong>deutschen Gegenwartsliteratur“, neue deutsche literatur, 5. Jg., 12, 1957, S. 124-139, hier: S. 129.31 Ibid., S. 126.32 Ibid., S. 128.33 Diese Mech<strong>an</strong>ismen <strong>der</strong> Diskursbeherrschung hat Mart<strong>in</strong> Sabrow für den Bereich <strong>der</strong> DDR-Geschichtswissenschaftmit den Begriffen „Herrschaftsdiskurs und Diskursherrschaft“ umschrieben. Dabei bezieht sich„Herrschaftsdiskurs“ auf die „mit verb<strong>in</strong>dlichen Denkmustern, Deutungskonzepten und Ausgrenzungenbesetzten Verständigungsebenen über die Verg<strong>an</strong>genheit <strong>in</strong> <strong>der</strong> DDR, die vor allem von den ideologischenNormen und politischen Ansprüchen <strong>der</strong> sozialistischen Diktatur bestimmt war.“ Siehe Mart<strong>in</strong> Sabrow,„E<strong>in</strong>leitung: Geschichtsdiskurs und Doktr<strong>in</strong>gesellschaft“ <strong>in</strong> <strong>Der</strong>s. (Hg.), Geschichte <strong>als</strong> Herrschaftsdiskurs(Anm. 15), S. 9-35, hier: S.19. Sabrows theoretischen Überlegungen zur vieldeutigen Wirkung dieser Macht aufund zwischen Herrschern und Beherrschten – wobei die am Diskurs beteiligten Akteure nicht nur <strong>als</strong> Herrschaftsempfängerson<strong>der</strong>n ausdrücklich auch <strong>als</strong> Herrschaftsgestalter gesehen werden – ließe sich eventuell auchauf den Literaturbetrieb <strong>der</strong> DDR <strong>an</strong>wenden, auch wenn die <strong>in</strong>stitutionalisierte Geschichtswissenschaft <strong>in</strong> <strong>der</strong>DDR e<strong>in</strong>em viel direkteren Zugriff <strong>der</strong> SED unterlag <strong>als</strong> die mehr o<strong>der</strong> m<strong>in</strong><strong>der</strong> freischaffenden Schriftsteller.34 K<strong>an</strong>t/Wagner, „Die große Abrechnung“ (Anm. 28), S. 136.35 Ibid., S. 138.36 Zit. nach Herfried Münkler, „Das kollektive Gedächtnis <strong>der</strong> DDR“, <strong>in</strong>: Dieter Vorsteher (Hg.), Parteiauftrag:E<strong>in</strong> neues Deutschl<strong>an</strong>d. Bil<strong>der</strong>, Rituale und Symbole <strong>der</strong> frühen DDR, München 1997, S. 466.37 So Kurt Sontheimers zugespitzte Formulierung <strong>in</strong> Die Adenauer-Ära. Grundlegung <strong>der</strong> Bundesrepublik,München 2003 3 , S. 160. Das Schlagwort von den „Intellektuellen im Abseits“ hat neben Sontheimer auchM<strong>an</strong>fred Görtemaker verwendet. Siehe se<strong>in</strong>e Geschichte <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschl<strong>an</strong>d. Von <strong>der</strong> Gründungbis zur Gegenwart, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 2004, S. 260.38 Zit. nach Klaus Wagenbach (Hg.), Vaterl<strong>an</strong>d, Muttersprache (Anm. 20), S. 122. Noch drastischer hatteTheodor W. Adorno bereits 1950 <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schrift „Auferstehung <strong>der</strong> Kultur <strong>in</strong> Deutschl<strong>an</strong>d?“ diese durch den„deutschen Faschismus“ verursachte „Weltkonstellation“ beschrieben, <strong>in</strong> <strong>der</strong> auch er die Ursache für die„Lähmung <strong>der</strong> geistigen Produktivität“ sah: „Die Gesellschaft spaltet sich <strong>in</strong> starre Blöcke. Was geschieht,empf<strong>in</strong>den die Menschen <strong>als</strong> ihnen <strong>an</strong>get<strong>an</strong>, nicht <strong>als</strong> Anliegen ihrer eigenen Spont<strong>an</strong>eität. Darum ist dieNeigung des Geistes, schattenhaft mit sich selbst zu spielen, die ihn verkümmern lässt, ke<strong>in</strong>eswegs bloß auf se<strong>in</strong>eigenes Schuldkonto zu setzen. Sie entspr<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>er objektiven Notwendigkeit, die sol<strong>an</strong>ge übermächtig bleibt,<strong>als</strong> nicht das Bewusstse<strong>in</strong> sie <strong>in</strong> sich selbst aufnimmt und damit über sie h<strong>in</strong>ausgeht. Die Welt ist aufgeteilt <strong>in</strong>unmäßige und übermächtige Kraftfel<strong>der</strong>. <strong>Der</strong> Geist sieht sich vor dem Zw<strong>an</strong>g, entwe<strong>der</strong> sich <strong>an</strong>zupassen, o<strong>der</strong>sich zur Isolierung, zur Ohnmacht, zur Donquichotterie verurteilt zu sehen.“ Vgl. Theodor W. Adorno, Kritik.Kle<strong>in</strong>e Schriften zur Gesellschaft, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 1971, S. 20-33, hier: S. 29f.39 Zit. nach Klaus Wagenbach (Hg.), Vaterl<strong>an</strong>d, Muttersprache (Anm. 20), S. 134f. <strong>Der</strong> „Grünwal<strong>der</strong> Kreis“bildete sich im März 1956 und war e<strong>in</strong>e lose Verb<strong>in</strong>dung von Schriftstellern und Publizisten gegen Remilitarisierungund Neonazismus-Tendenzen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik.40 He<strong>in</strong>z Forster, Paul Riegel, Deutsche Literaturgeschichte, B<strong>an</strong>d 11: Nachkriegszeit 1945-1968, München2002 3 , S. 42.41 Diese Überg<strong>an</strong>gs- und Aufbruchphase vom “noch” zum “schon” <strong>in</strong> <strong>der</strong> westdeutschen Nachkriegsliteratur iste<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich beschrieben bei Ulrich Ott/Friedrich Pfäffl<strong>in</strong> (Hg.), Konstellationen. Literatur um 1955 (=Marbacher Ausstellungskatalog Nr. 48), Marbach 1995, S. 15-18.42 Erschienen bei Suhrkamp, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 2000. Zitat im Umschlagtext <strong>der</strong> ersten Taschenbuchauflage 2003.43 Damit erklärte Ledig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er später verfassten autobiographischen Abh<strong>an</strong>dlung se<strong>in</strong>e Anti-<strong>Krieg</strong>shaltung:„Nachdem aber das Unglück des <strong>Krieg</strong>es nun e<strong>in</strong>mal über uns here<strong>in</strong>gebrochen war, konnte m<strong>an</strong> wenigstenserwarten, daß dieser so geführt wurde, wie die Gegebenheiten es verl<strong>an</strong>gten. Trotzdem reihte sich Fehler <strong>an</strong>Fehler. Aus diesen Betrachtungen heraus entwickelte sich bei mir, während me<strong>in</strong>er Militärzeit, e<strong>in</strong>e Art passiverOpposition.“ Zit. im Nachwort zu Die Stal<strong>in</strong>orgel von Flori<strong>an</strong> Radv<strong>an</strong> <strong>in</strong> ibid., S. 218.44 Zit. nach ibid., S. 207.45 Günther Deicke, „Drei neue westdeutsche <strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>e“, <strong>in</strong>: neue deutsche literatur, 3. Jg., 6, 1955, S. 139.46 Anna Seghers, „<strong>Der</strong> Anteil <strong>der</strong> Literatur <strong>an</strong> <strong>der</strong> Bewußtse<strong>in</strong>sbildung des Volkes“, <strong>in</strong>: Deutscher Schriftstellerverb<strong>an</strong>d(Hg.), IV. Schriftstellerkongreß. Erster Teil, Br<strong>an</strong>denburg, 1956, S. 66f. Zit. nach Radv<strong>an</strong>, Nachwort(Anm. 41), S. 212.47 Dies s<strong>in</strong>d von westdeutschen Autoren (<strong>in</strong> Klammern nach dem Titel das Jahr <strong>der</strong> Entstehung): He<strong>in</strong>rich Böll,<strong>Der</strong> Angriff, <strong>in</strong>: <strong>Der</strong> Geschmack des Brotes. Erzählungen, Berl<strong>in</strong> 1990. Wolfg<strong>an</strong>g Borchert, Draußen vor <strong>der</strong> Tür(1947) und Generation ohne Abschied (1946), <strong>in</strong>: Gesamtwerk, Hamburg 1998. He<strong>in</strong>rich Gerlach, Die verrateneArmee (1957), München 1959. H<strong>an</strong>s-Hellmut Kirst, Null-Acht-Fünfzehn im <strong>Krieg</strong> (1954), München 1979 11 .Gerd Ledig, Die Stal<strong>in</strong>orgel (1955), Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 2003. Theodor Plievier, Stal<strong>in</strong>grad (1945), Berl<strong>in</strong> 1946(Aufl. 30,000). Erich Maria Remarque, Zeit zu leben, Zeit zu sterben, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 1954.25


Von ostdeutschen Autoren: Joh<strong>an</strong>nes R. Becher, W<strong>in</strong>terschlacht (1953), Berl<strong>in</strong> (Ost) 1961. Willi Bredel, DieEnkel, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1954. Fr<strong>an</strong>z Fühm<strong>an</strong>n, Kameraden (1955), <strong>in</strong>: „Den Katzenartigen wollten wir verbrennen.“E<strong>in</strong> Lesebuch, München 1988. Steph<strong>an</strong> Herml<strong>in</strong>, Leutn<strong>an</strong>t Yorck von Wartenburg (1946), Leipzig 1977. HerbertOtto, Die Lüge (1956), Berl<strong>in</strong> (Ost) 1960 (Aufl. 61,000). Harry Thürk, Die Stunde <strong>der</strong> toten Augen (1957),Berl<strong>in</strong> (Ost) 1957. Anna Seghers, Die Toten bleiben jung (1949), Berl<strong>in</strong> (Ost) 1969 11 . Bodo Uhse, Die Patrioten(1954), Berl<strong>in</strong> (Ost) 1975. Ebenfalls für diesen Aufsatz gelesen, jedoch aus Platzgründen nicht <strong>in</strong> die hiervorliegende Text<strong>an</strong>alyse e<strong>in</strong>bezogen, wurden: He<strong>in</strong>rich Böll, <strong>Der</strong> Zug war pünktlich (1949). Günter Grass, DieBlechtrommel (1959). Ernst von Salomon, <strong>Der</strong> Fragebogen (1951), Hamburg 1952 8 (Aufl. 206,000).Wolfdietrich Schnurre, Die Tat, <strong>in</strong>: Erzählungen. Olten 1966. Carl Zuckmayer, Des Teufels General (1946),Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 1981 11 (Aufl. 325,000). Willi Bredel, Die Frühl<strong>in</strong>gssonate, <strong>in</strong>: Fr<strong>an</strong>z Fühm<strong>an</strong>n (Hg.), Menschenim <strong>Krieg</strong>. Erzählungen über den zweiten Weltkrieg von Autoren <strong>der</strong> Deutschen Demokratischen Republik und<strong>der</strong> Sowjetunion, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1975, S. 452-465. He<strong>in</strong>er Müller, Schlacht (1951), <strong>in</strong>: ‚Lohndrücker’, ‚Philoktet’,‚Die Schlacht’ mit Materialien, Stuttgart 2004. Dieter Noll, Die Abenteuer des Werner Holt. Rom<strong>an</strong> e<strong>in</strong>erJugend (1960). Friedrich Wolf, Siebzehn Brote, <strong>in</strong>: Fr<strong>an</strong>z Fühm<strong>an</strong>n (Hg.), Menschen im <strong>Krieg</strong>, S. 178-184.48 Siehe dazu ausführlich Ulrich Baron, „Stal<strong>in</strong>grad <strong>als</strong> Thema <strong>der</strong> deutschsprachigen Literatur“, <strong>in</strong>: WolframWette/Gerd R. Überschär (Hg.), Stal<strong>in</strong>grad. Mythos und Wirklichkeit e<strong>in</strong>er Schlacht, Fr<strong>an</strong>kfurt/Ma<strong>in</strong> 1992, S.222-232. Jörg Bernig, E<strong>in</strong>gekesselt (Anm. 22). Und Rolf Günter Renner, „Hirn und Herz. Stal<strong>in</strong>grad <strong>als</strong>Gegenst<strong>an</strong>d ideologischer und literarischer Diskurse“, <strong>in</strong>: Jürgen Förster (Hg.), Stal<strong>in</strong>grad (Anm. 15), S. 472-492. Ebenso f<strong>in</strong>den die zahlreichen autobiographischen Texte <strong>der</strong> Memoirenliteratur sowie L<strong>an</strong>dserhefte hierke<strong>in</strong>e Berücksichtigung. Diesen Genres k<strong>an</strong>n unterstellt werden, dass ihre erste Funktion nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> (kritischen)Ause<strong>in</strong><strong>an</strong><strong>der</strong>setzung mit dem <strong>Angriffskrieg</strong> lag, son<strong>der</strong>n <strong>in</strong> dessen Ästhetisierung und Popularisierung. Siehedazu Klaus F. Geiger, <strong>Krieg</strong>srom<strong>an</strong>hefte <strong>in</strong> <strong>der</strong> BRD (Anm. 25). Und Friedrich Gerstenberger, „StrategischeEr<strong>in</strong>nerungen“ (Anm. 25), S. 620-633.49 West: Salomon; Ost: Bredel (<strong>der</strong> jedoch im Sp<strong>an</strong>ischen Bürgerkrieg Kampferfahrung machte), Becher,Seghers, Wolf.50 So Dirk v<strong>an</strong> Laaks schöne Formulierung im Zusammenh<strong>an</strong>g mit <strong>der</strong> sich w<strong>an</strong>delnden E<strong>in</strong>stellung zu denOpfern <strong>der</strong> deutschen Verbrechen und <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Notwendigkeit des „Aussprechens von historischerWahrheit“ <strong>als</strong> wesentlicher Voraussetzung für „Vergebung und sozialen Frieden“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik seit den1970er Jahren. Siehe se<strong>in</strong>en Aufsatz „Wi<strong>der</strong>st<strong>an</strong>d gegen die Geschichtsgewalt. Zur Kritik <strong>an</strong> <strong>der</strong> „Verg<strong>an</strong>genheitsbewältigung“,<strong>in</strong>: Norbert Frei/Dirk v<strong>an</strong> Laak/Michael Stolleis (Hg.), Geschichte vor Gericht. Historiker,Richter und die Suche nach Gerechtigkeit, München 2000, S. 11-28, hier: S. 22.51 Im folgenden gebe ich den Zitiernachweis <strong>in</strong> Klammern im Text <strong>an</strong>; die Seiten<strong>an</strong>gaben beziehen sich auf die<strong>in</strong> Fußnote 45 <strong>an</strong>gegebenen Ausgaben <strong>der</strong> jeweiligen Rom<strong>an</strong>e und Erzählungen.52 Die Bezeichnung 08/15 – ursprünglich <strong>der</strong> Name e<strong>in</strong>es Gewehrs – wurde durch Kirsts Rom<strong>an</strong> <strong>in</strong> denallgeme<strong>in</strong>en Sprachgebrauch popularisiert und bedeutet seither soviel wie s<strong>in</strong>nlos, nutzlos, beliebig, irrelev<strong>an</strong>t.53 Vgl. die Ausführungen bei Thomas Heim<strong>an</strong>n, „Er<strong>in</strong>nerung <strong>als</strong> W<strong>an</strong>dlung“ (Anm. 15), S. 50-60.54 Rudolf Petershagen, Gewissen <strong>in</strong> Aufruhr, Berl<strong>in</strong> (Ost) 1957.55 Vgl. Thomas Heim<strong>an</strong>n, „Er<strong>in</strong>nerung <strong>als</strong> W<strong>an</strong>dlung“ (Anm. 15), S. 60-75.26

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