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Freifahrt in die Hölle - dezennienkrieg.de

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<strong>Freifahrt</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong>Das Universum <strong>de</strong>s Computerspiels Freelancer wur<strong>de</strong> von Microsoft entwickelt. SämtlicheCharaktere und <strong>die</strong> Handlung entspr<strong>in</strong>gen jedoch me<strong>in</strong>er Fantasie.Etwaige Ähnlichkeiten mit realen Personen, Charakteren o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Arbeit an<strong>de</strong>rer Autorens<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>eswegs beabsichtigt und re<strong>in</strong> zufällig.Entstehungsjahr: 2006Copyright © 2006 by Inga Dittrich


ZusammenfassungAls <strong>die</strong> Royal Navy <strong>de</strong>n neunzehnjährigen Offiziersanwärter Patrick Lan<strong>de</strong>r nachbeen<strong>de</strong>ter Ausbildung auf se<strong>in</strong> erstes Schiff Oxford versetzt, ahnt <strong>de</strong>r junge Pastorssohnnicht e<strong>in</strong>mal ansatzweise, was ihn dort erwarten wird.Der alte Wahlspruch, dass <strong>de</strong>r Militär<strong>die</strong>nst niemals leicht sei, f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzstreitkräften <strong>de</strong>s Hauses Bretonia e<strong>in</strong>e nur allzu getreue Erfüllung. Konfrontiert mitSituationen und Vorgesetzten, auf <strong>die</strong> ihn <strong>die</strong> Militäraka<strong>de</strong>mie nicht vorbereitet hat,bemüht er sich trotz<strong>de</strong>m um <strong>die</strong> Erfüllung se<strong>in</strong>er Pflicht. Mehr als genug Ste<strong>in</strong>e wer<strong>de</strong>nihm dabei <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Weg gelegt und lassen ihn an sich selbst sowie an se<strong>in</strong>er Eignung alsOffizier zweifeln.Bei allem lernt er jedoch schnell und hart, dass zur Beurteilung e<strong>in</strong>es Menschen mehrgehört als nur das bloße Zählen <strong>de</strong>r Uniformstreifen und das Zusammenleben auf engemRaum. Im Feuer <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen muss er <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und auch sich selbst beweisen,dass er bei <strong>de</strong>r Royal Navy richtig ist, ohne etwas von <strong>de</strong>r größten Prüfung zu ahnen, <strong>die</strong>ihn nach viel zu kurzer Zeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten erwarten wird. Nicht alles ist so wie esersche<strong>in</strong>en mag. Die schwerste Frage ist immer <strong>die</strong>jenige, wer das wahre Vertrauenver<strong>die</strong>nt und wer e<strong>in</strong> Verräter ist. In <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong> muss er lernen, dass man entwe<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>em Haus <strong>die</strong>nt und sich selbst treu bleibt o<strong>de</strong>r untergeht und nie mehr hochkommt.


Prolog – Die Abkomman<strong>die</strong>rungPatrick Lan<strong>de</strong>r nahm zum ungefähr dutzendsten Mal während <strong>die</strong>ses elendig langenFluges <strong>de</strong>n Umschlag aus se<strong>in</strong>er Uniformtasche und zog das schon recht zerknitterteehemals, weiße Blatt heraus. Damit verbun<strong>de</strong>n war <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an <strong>die</strong> Feier vor nichte<strong>in</strong>mal drei Tagen. Ihm schien, als hätte er <strong>de</strong>n Brief seit<strong>de</strong>m hun<strong>de</strong>rtmal gelesen.Vielleicht sogar noch öfter. Auswendig kannte er <strong>de</strong>n Inhalt schon.Die bei <strong>de</strong>m Gedanken hochkommen<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>r ließen ihn lächeln. Er hatte <strong>die</strong>Vi<strong>de</strong>oaufnahmen se<strong>in</strong>er Eltern oft genug gesehen, da sie das Wochenen<strong>de</strong> damitverbracht hatten, sie allen Bekannten zu zeigen. Genauso wie er <strong>die</strong> Uniform hatteherzeigen müssen. Vor <strong>de</strong>n Nachbar<strong>in</strong>nen, <strong>de</strong>r Teerun<strong>de</strong> se<strong>in</strong>er Mutter und überhaupt vorje<strong>de</strong>rmann. Se<strong>in</strong>e Abschlussfeier lag h<strong>in</strong>ter ihm. Endlich hatte er es geschafft - als Ersterse<strong>in</strong>er gesamten Familie. An <strong>de</strong>n Krach von vor zweie<strong>in</strong>halb Jahren er<strong>in</strong>nerte er sich fastüberhaupt nicht mehr. Nun waren sie nur noch stolz auf ihn.E<strong>in</strong> leiser Gong verriet, dass <strong>die</strong> Passagiere nun <strong>die</strong> Sitzgurte öffnen und aufstehendurften. Man war wie<strong>de</strong>r im Raum. Bald schon wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Flug vorbei se<strong>in</strong>. Eigentlich erst<strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Stun<strong>de</strong>n, aber das machte ihm nichts aus.Er war jetzt Teil e<strong>in</strong>es Ganzen, und <strong>die</strong> Wartezeit gehörte dazu. Er konnte sie mitGrübeleien verbr<strong>in</strong>gen. Und mit se<strong>in</strong>en Er<strong>in</strong>nerungen. An Betty Halmers zum Beispiel. DerAbschied war ihr schwergefallen, das hatte er <strong>de</strong>utlich gespürt. Und das, obwohlzwischen ihnen nie wirklich etwas gewesen war. Es hätte höchstens etwas wer<strong>de</strong>nkönnen, wenn sie es <strong>de</strong>nn gewollt hätte.Anne Lan<strong>de</strong>r hatte heute Morgen um 0430 beim Verlassen <strong>de</strong>r Wohnung gewe<strong>in</strong>t. Sie warnicht mit zum Raumhafen gekommen. Ihr Mann Jeremiah hatte es getan und sich wiestets nicht viel anmerken lassen.‚Pass auf dich auf.’ Lan<strong>de</strong>r hörte <strong>die</strong>se Worte noch, als wäre se<strong>in</strong> Vater hier mit ihm <strong>in</strong><strong>de</strong>r grün angestrichenen Cly<strong>de</strong>sdale <strong>de</strong>r bretonischen Streitkräfte. Es waren unnötigeAbschiedsworte gewesen, <strong>de</strong>nn das wür<strong>de</strong> er ohneh<strong>in</strong> tun. Alle übertrieben jedochmaßlos, was <strong>die</strong> angeblichen Gefahren se<strong>in</strong>es Traumberufs ang<strong>in</strong>g. Selbst se<strong>in</strong> sonststets beherrschter Vater war ihm auf e<strong>in</strong>mal sentimental erschienen, als er soüberflüssige Worte von sich gegeben hatte. Das tat niemals sonst.Das Papier raschelte, als Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Griff unbewusst verstärkte. Er ließ <strong>die</strong> Augenüber <strong>die</strong> wohlbekannten Zeilen wan<strong>de</strong>rn und steckte es dann wie<strong>de</strong>r weg.Zufrie<strong>de</strong>n mit sich selbst und <strong>de</strong>r Welt ließ er sich <strong>in</strong> das abgewetzte Polster se<strong>in</strong>es Sitzeszurückfallen, aber er fand noch immer ke<strong>in</strong>e Ruhe. Lan<strong>de</strong>r war zu aufgedreht.Trotz<strong>de</strong>m musste er wohl im Laufe <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>tönigen Fluges e<strong>in</strong>genickt se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn als erwie<strong>de</strong>r hochschrak, leuchteten <strong>die</strong> Anschnallzeichen und <strong>de</strong>r Frachter war plötzlich so gutwie leer. Er hatte sicherlich <strong>de</strong>n Sprung und <strong>die</strong> nächste Landung verschlafen, dabeihatte er sich doch fest vorgenommen, nichts zu verpassen!Aus e<strong>in</strong>em Reflex heraus tastete er nach <strong>de</strong>m Umschlag <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tasche und zog ihnheraus.„Er ist noch da, Sub und er wird es auch noch se<strong>in</strong>, wenn Sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er halben Stun<strong>de</strong> aus<strong>de</strong>m Frachter herauskommen. Hier bei <strong>de</strong>r Flugbereitschaft stiehlt niemand.“ DerSprecher lachte. „O<strong>de</strong>r sagen wir lieber: Solche Umschläge wie Ihren stiehlt niemand.Was sollen sie auch damit?“Lan<strong>de</strong>r drehte sich nach <strong>de</strong>m Mann um und suchte nach Worten. Er war nie <strong>de</strong>rSchlagfertigste gewesen. Als <strong>de</strong>r Schatten über ihn fiel, zuckte er zunächst zusammen.„Na, schreckhaft?“ Die Stimme klang spöttisch, und <strong>de</strong>r Offizier setzte sich ungebetenneben ihn. Dass er ranghöher se<strong>in</strong> musste als Lan<strong>de</strong>r, hatte <strong>die</strong>ser schon geahnt, <strong>de</strong>nnke<strong>in</strong> Unteroffizier o<strong>de</strong>r Mannschafts<strong>die</strong>nstgrad hätte gewagt, ihn mit <strong>de</strong>r Kurzform se<strong>in</strong>esRanges Sub-Lieutenant anzusprechen. Das blieb potenziellen Vorgesetzten vorbehalten.An<strong>de</strong>rnfalls hätte er <strong>die</strong>sem frechen Kerl schon etwas erzählt, ganz wie man es ihm auf<strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie beigebracht hatte. Die Diszipl<strong>in</strong> war <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Truppe überaus wichtig unddurfte auf ke<strong>in</strong>en Fall geschmälert wer<strong>de</strong>n.„Hier ist doch noch frei, o<strong>de</strong>r?“ In <strong>de</strong>r Tat war es e<strong>in</strong> Vorgesetzter, <strong>de</strong>r sich neben ihmnie<strong>de</strong>rgelassen hatte. E<strong>in</strong> Lieutenant, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m höheren Rang nach schon m<strong>in</strong><strong>de</strong>stenszwei Jahre im aktiven Dienst h<strong>in</strong>ter sich hatte. Eher mehr. E<strong>in</strong>e hochgewachsene, aber


fe<strong>in</strong>gliedrige Statur, pechschwarzes Haar, braune e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche Augen, verhältnismäßigdunkle Haut und e<strong>in</strong> sehr offenes Lächeln, das man jedoch besser nicht für voll nahm,wie Lan<strong>de</strong>r entschied, charakterisierten <strong>die</strong>sen Mann.„Me<strong>in</strong> Gott, haben Sie etwa e<strong>in</strong>en Sprachfehler o<strong>de</strong>r warum starren Sie mich so an, Sub?“Lan<strong>de</strong>r riss sich zusammen und verkrampfte. Er hatte e<strong>in</strong>en Fehler gemacht und wusstees. Nur <strong>die</strong>s war noch alles so neu für ihn und 0300 Aufstehzeit so verdammt früh.„Nun?“„Ver… Verzeihung, Sir“, stammelte Lan<strong>de</strong>r. „Natürlich ist hier frei.“„Sicher ist es das. Wir s<strong>in</strong>d ja auch <strong>die</strong> Letzten hier an Bord. Ich habe nur gefragt, weilSie mich so angestiert haben.“ Wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong>ses zwei<strong>de</strong>utige Lächeln.„Wir s<strong>in</strong>d doch nicht etwa schon wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Rückweg, o<strong>de</strong>r?!“ Lan<strong>de</strong>r wollteaufstehen, wur<strong>de</strong> aber von se<strong>in</strong>em Sitzgurt daran geh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt. Mit e<strong>in</strong>em leisen Fluchnestelte er daran herum, aber e<strong>in</strong>e Hand hielt <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>e plötzlich fest.„Die da vorne mögen es gar nicht, wenn Sie jetzt aufstehen und sie mit Fragen nerven.Der Capta<strong>in</strong> hat schlechte Laune, und <strong>de</strong>r Lieutenant versucht, zu schlafen. Dürfte ihmaber kaum gel<strong>in</strong>gen, obwohl er <strong>die</strong> Run<strong>de</strong> geflogen ist. Ganz im Gegensatz zu gewissenan<strong>de</strong>ren Leuten, <strong>die</strong> sche<strong>in</strong>bar überall und zu je<strong>de</strong>r Zeit schlafen können.“Der wohlkl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Rat hatte sich fast wie e<strong>in</strong> Befehl ausgenommen, also ließ Lan<strong>de</strong>r sichwie<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Polster zurückfallen. „S<strong>in</strong>d wir noch <strong>in</strong> Omega-3?“„Sir“, entgegnete <strong>de</strong>r Lieutenant unbewegt und ignorierte <strong>die</strong> Frage.„Wie bitte, Sir?“„Geht doch, Sub. Sie sollten sich wirklich schnell anpassen. Das hier ist nicht mehr <strong>die</strong>Aka<strong>de</strong>mie.“ Die e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glichen braunen Augen schienen ihn förmlich zu durchbohren,sodass er sich plötzlich nackt und schutzlos vorkam - wie e<strong>in</strong> Baby, was er ja imVergleich zu <strong>die</strong>sem Mann auch war. Die nächste Bemerkung brachte ihn vollends aus<strong>de</strong>m Gleichgewicht:„Insbeson<strong>de</strong>re Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham schätzt das nicht. Er ist ranghöher und möchtestets auch so betitelt wer<strong>de</strong>n.“„Sie s<strong>in</strong>d von <strong>de</strong>r Oxford, Sir?“, würgte Lan<strong>de</strong>r heraus. Das g<strong>in</strong>g ja wirklich gut los!„Wenn Sie genauer h<strong>in</strong>geschaut hätten, wäre Ihnen das gleich aufgefallen.“Erst jetzt fiel se<strong>in</strong> Blick auf <strong>die</strong> Hemdsepauletten und das aufgenähte Schiffsabzeichendaneben, da <strong>de</strong>r Offizier <strong>die</strong> Jacke abgelegt hatte. Ganz im Gegensatz zu Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>rplötzlich bemerkte, dass er schwitzte. Das kam jedoch sicherlich nicht nur von <strong>de</strong>rWärme, <strong>die</strong> ihn plötzlich zu erdrücken schien.Es gab Dutzen<strong>de</strong> Sachen, <strong>die</strong> er gern gefragt hätte, wenn er gewusst hätte, dass sichjemand von se<strong>in</strong>em zukünftigen Schiff an Bord befand, <strong>de</strong>r noch dazu kaum sehr vielälter war als er selbst. Jetzt schien <strong>die</strong> Kluft jedoch unüberbrückbar zu se<strong>in</strong>, und das,obwohl er nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>n Namen jenes Mannes kannte.„Ach, nun schauen Sie doch nicht gleich wie e<strong>in</strong> verschrecktes Mädchen dre<strong>in</strong>, Sub! DerComman<strong>de</strong>r erwartet von Ihnen, dass Sie sich gleich von Anfang an wie e<strong>in</strong> Offizierbenehmen. Ganz gleich, ob Sie von Planet Leeds kommen o<strong>de</strong>r sonst woher.“Obwohl ihm wirklich <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>n nach etwas an<strong>de</strong>rem stand, biss Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Zähne festzusammen. Mit e<strong>in</strong>em Ruck löste er <strong>die</strong> Hand aus <strong>de</strong>m Griff <strong>de</strong>s ranghöheren Kollegenund öffnete <strong>de</strong>n Gurt.Das Klicken klang überlaut <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stille. Nun malte sich erstmals Überraschung auf <strong>de</strong>mwohlgeschnittenen Gesicht ab. Bitter dachte Lan<strong>de</strong>r, dass <strong>die</strong>ser Kerl garantiert sehr vielGlück bei <strong>de</strong>n Frauen hatte. Ganz im Gegensatz zu <strong>de</strong>m, was ihm mit Betty von nebenanpassiert war. Und dann war da noch <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>weis auf se<strong>in</strong>e Herkunft. Comman<strong>de</strong>rK<strong>in</strong>gsham, <strong>de</strong>n er natürlich nur <strong>de</strong>m Namen nach kannte, hatte <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Offizierenmitgeteilt, woher <strong>de</strong>r Neue stammte. Das fand Lan<strong>de</strong>r unfair. Er wusste, dass man sichdarüber lustig gemacht hatte, wie <strong>de</strong>r Lieutenant ja bewies. Genau wie anfangs auf <strong>de</strong>rAka<strong>de</strong>mie.„Das Anschnallzeichen leuchtet erneut, Sub. Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten.“„Ich müsste trotz<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>n Waschraum benutzen, Sir.“Der Unterton ließ <strong>de</strong>n Lieutenant noch überraschter aussehen. Vielleicht war es aber auch<strong>die</strong> Formulierung, <strong>die</strong> bewies, dass Patrick Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r aus e<strong>in</strong>er Arbeiterfamilie <strong>de</strong>srückständigsten und dreckigsten Planeten <strong>in</strong> ganz Bretonia stammte, ke<strong>in</strong> Halbwil<strong>de</strong>r warund durchaus gewisse Umgangsformen beherrschte. Umgangsformen wie sie auf Planet


New London o<strong>de</strong>r Planet Cambridge üblich waren, <strong>de</strong>nn aus e<strong>in</strong>em jener Systemestammte <strong>de</strong>r aufdr<strong>in</strong>gliche, hochnäsige Lackaffe mit Sicherheit. Die an<strong>de</strong>ren Systemehatte <strong>de</strong>r Frachter angeflogen, bevor Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>geschlafen war, und da war <strong>de</strong>rherablassen<strong>de</strong> Lieutenant noch nicht an Bord gewesen.Als er nun <strong>die</strong> Flucht ergriff, um nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en schieren Wutausbruch zu verfallen, war erdankbar dafür, dass er auf <strong>de</strong>r Toilette alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong> konnte.Kurz durchzuckte <strong>de</strong>r Gedanke se<strong>in</strong> Gehirn, dass ausgerechnet jetzt <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellenangreifen könnten, aber das empfand er als Ammenmärchen. So etwas passierte nur imFilm. Auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie hatte man ihnen gesagt, dass es hier draußen weitaus sichererwar als <strong>de</strong>r Volksmund behauptete. Leute wie <strong>de</strong>r Lieutenant fürchteten sich wohl vorihrem eigenen Schatten. Die Admiralität wusste es garantiert besser, und außer<strong>de</strong>mhatte <strong>de</strong>r Mann ihm wohl nur e<strong>in</strong>en Schrecken e<strong>in</strong>jagen wollen. Nichts von <strong>de</strong>m, was ergera<strong>de</strong> gesagt hatte, konnte ernst genommen wer<strong>de</strong>n.Als er sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en Spiegel betrachtete, wünschte Patrick Lan<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>nnoch<strong>in</strong>sgeheim, so zu se<strong>in</strong> wie <strong>de</strong>r Vorgesetzte. Er sah se<strong>in</strong> strähniges blon<strong>de</strong>s Haar, dasgenauso geschnitten war wie das <strong>de</strong>s Lieutenants, aber <strong>de</strong>ssen rebellische schwarzeMähne wirkte e<strong>in</strong>fach besser. Betty Halmers wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>nfalls so <strong>de</strong>nken, und <strong>de</strong>r hätte ergerne besser gefallen.Lan<strong>de</strong>r wusste auf e<strong>in</strong>mal, was <strong>de</strong>r Mann vorh<strong>in</strong> gesehen hatte, und das empfand er wiee<strong>in</strong>en Schlag <strong>in</strong>s Gesicht. Er war noch immer grün um <strong>die</strong> Nase, aber das kam nicht vonetwaiger Flugübelkeit, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r ungesun<strong>de</strong>n Atmosphäre se<strong>in</strong>es Heimatplaneten,wo er <strong>die</strong> knapp drei Tage nach <strong>de</strong>r Abschlussfeier auf Kurzurlaub verbracht hatte. Er sahse<strong>in</strong>e blasse Haut, <strong>die</strong> großflächige Akne auf se<strong>in</strong>en Wangen und wie dünn er <strong>in</strong>sgesamtwirkte. Die vorstehen<strong>de</strong>n Backenknochen verhießen nichts Gutes für <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>sKörpers. Auch se<strong>in</strong>e blassen blauen Augen empfand er als abstoßend. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dassBetty ihn nie wirklich gewollt hatte. Früher hatte er sich nie kritisch im Spiegelbetrachtet, <strong>de</strong>nn auf Planet Leeds sahen fast alle so ähnlich aus wie er, aber nun hatte erendlich <strong>de</strong>n wichtigen Schritt für se<strong>in</strong>e Karriere getan und war Sub-Lieutenant gewor<strong>de</strong>n.Auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie war er, vom ersten Anfang e<strong>in</strong>mal abgesehen, nie Außenseitergewesen, aber hier fühlte er sich plötzlich fast so. Hier wür<strong>de</strong> es an<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong>. Er war nochnicht ganz zwanzig Jahre alt, aber er kam sich wie 35 vor, als er sich mit <strong>de</strong>m älterenLieutenant verglich. Diese Erkenntnis war nie<strong>de</strong>rschmetternd, und er sank entmutigt auf<strong>de</strong>n heruntergeklappten Toiletten<strong>de</strong>ckel.Erst e<strong>in</strong> Klopfen an <strong>de</strong>r Tür ließ ihn aus se<strong>in</strong>en düsteren Gedanken hochfahren. „Alles <strong>in</strong>Ordnung, Sub? Ist Ihnen schlecht? Die Oxford ist bereits <strong>in</strong> Sicht, und wir lan<strong>de</strong>n gleich.Sie müssen sich jetzt h<strong>in</strong>setzen und anschnallen!“„Ja, Sir! Ich komme!“Nun dachte <strong>de</strong>r Lieutenant auch noch, dass er an <strong>de</strong>r Reisekrankheit litt. Es konntewirklich kaum noch schlimmer wer<strong>de</strong>n!Als er se<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>nahm, war <strong>de</strong>r Sitz neben ihm zum Glück leer.Der <strong>die</strong>nstältere Offizier hatte sich wie<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>en eigenen Platz begeben. Lan<strong>de</strong>rempfand <strong>die</strong>s als Glück, aber er wusste, dass sie noch mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r zu tun bekommenwür<strong>de</strong>n. Vermutlich sogar mehr als ihm lieb war.


Kapitel I – Lehrjahre s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e HerrenjahreDass <strong>die</strong> ganze Besatzung zur Begrüßung auf <strong>de</strong>r M<strong>in</strong>iaturausgabe e<strong>in</strong>es Hangar<strong>de</strong>cksantrat, war wirklich nicht zu erwarten gewesen. Trotz<strong>de</strong>m war Lan<strong>de</strong>r sehr enttäuscht, danicht e<strong>in</strong>mal Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham persönlich gekommen war, um se<strong>in</strong>en neuen DrittenOffizier zu begrüßen.Vielleicht hatte <strong>de</strong>r Kapitän aber auch an<strong>de</strong>re D<strong>in</strong>ge zu tun. Das dachte Lan<strong>de</strong>r, um sichwenigstens etwas zu trösten, als er <strong>de</strong>m ranghöheren Lieutenant <strong>de</strong>n Vortritt ließ. E<strong>in</strong>Privileg <strong>de</strong>s Dienstalters, das schweigend und ohne Dank h<strong>in</strong>genommen wur<strong>de</strong>. Lan<strong>de</strong>rhatte auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie stets Danke gesagt, als man ihm als Zimmerältesten <strong>de</strong>n Vortrittgelassen hatte. Hier hatte man das wohl nicht nötig.„Das ist Mister Lan<strong>de</strong>r“, sagte <strong>de</strong>r Ranghöhere gera<strong>de</strong> zu e<strong>in</strong>em gedrungenen Mann mite<strong>in</strong>em breiten Gesicht, das von e<strong>in</strong>er langen, blassen Narbe entstellt wur<strong>de</strong>. „Der Ersatzfür Mister Parry, Sir.“„Ah ja. Danke, Mister Fowley.“ Das völlige Des<strong>in</strong>teresse war e<strong>in</strong> neuerlicher Schock fürLan<strong>de</strong>r. Er starrte <strong>de</strong>n zu ihm h<strong>in</strong>treten<strong>de</strong>n Lieutenant Comman<strong>de</strong>r mit großen Augen an,aber als er <strong>de</strong>n Blick und <strong>die</strong> schwache Geste <strong>de</strong>s Lieutenants bemerkte, <strong>de</strong>r Fowley hieß,fiel ihm sie<strong>de</strong>nd heiß e<strong>in</strong>, was man ihm jahrelang e<strong>in</strong>gedrillt hatte. Er nahm Haltung anund riss <strong>die</strong> Hand zur Mütze. „Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r mel<strong>de</strong>t sich zum Dienst an Bord <strong>de</strong>rOxford, Sir!“Amüsement blitzte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen se<strong>in</strong>es Gegenübers auf. „Da s<strong>in</strong>d Sie bei mir falsch, Sub.Ich b<strong>in</strong> hier nur <strong>de</strong>r Exekutivoffizier. Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven für Sie. Mel<strong>de</strong>n Siesich lieber auf <strong>de</strong>r Brücke und tragen Sie Ihre Litanei <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r vor. Es wirdLionel mit Sicherheit freuen!“ Feixend drehte er sich zu <strong>de</strong>m Lieutenant um undschwenkte dabei e<strong>in</strong>e braune Mappe. „Er ist etwas langsam, aber das wer<strong>de</strong>n wir ihmschon noch austreiben. Normal für jeman<strong>de</strong>n von Planet Leeds. Er sieht ja auch so aus.“„Ja, Sir.“„Wir wer<strong>de</strong>n ihn schon herausfüttern“, entschied <strong>de</strong>r Erste Offizier und wandte sich vonLan<strong>de</strong>r ab. „Mel<strong>de</strong>n Sie sich auf <strong>de</strong>r Brücke zurück und nehmen Sie <strong>de</strong>n Sub gleich mit.Danach zeigen Sie ihm bitte das Schiff, aber erst e<strong>in</strong>mal überwachen Sie bitte dasVerla<strong>de</strong>n von allem, was zurück nach Bretonia geht.“„Verstan<strong>de</strong>n, Sir.“„War’s schlimm auf New London, Lieutenant?“Fowley schlug <strong>die</strong> Augen nie<strong>de</strong>r, und das schien <strong>de</strong>m stellvertreten<strong>de</strong>nKomman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n Antwort genug zu se<strong>in</strong>. Im Gehen berührte er ihn kurz am Arm. Eswar e<strong>in</strong>e flüchtige Geste, aber <strong>de</strong>r jüngere Offizier sah dankbar auf.Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mit vor Zorn und Scham geröteten Wangen dabeistand, wusste das allesnicht so recht zu <strong>de</strong>uten.Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r senkte <strong>die</strong> Stimme: „Hier war es auch nicht besser.Vorgestern hatten wir e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz, und es war nicht angenehm…“ Den Rest verstand<strong>de</strong>r Sub-Lieutenant nicht mehr, wohl aber <strong>de</strong>n Schluss: „… und sagen Sie unserem Sub,dass er das mit <strong>de</strong>m Verla<strong>de</strong>n machen soll.“Anstatt <strong>de</strong>s vorgeschriebenen „Aye, Sir.“ o<strong>de</strong>r etwas Ähnlichem nickte Fowley nur. Erschien von <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Ersten Offiziers sichtlich mitgenommen.„Weitermachen!“ Damit eilte <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r an Bord <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale, wohlum etwas mit <strong>de</strong>n Piloten zu besprechen, das mit <strong>de</strong>r Aktenmappe zu tun hatte. Sieenthielt sicherlich Berichte o<strong>de</strong>r Formulare, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Admiralität bestimmt waren.Unsicher blieb Lan<strong>de</strong>r stehen und sah zu Fowley. Der Lieutenant hatte sich halbabgewandt. Als sich nichts tat und <strong>die</strong> Sekun<strong>de</strong>n verstrichen, sagte er laut undvernehmlich: „Sir?“Auf <strong>de</strong>n verstörten Gesichtsausdruck und <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n braunen Augen glitzern<strong>de</strong>n Tränenwar er nicht gefasst und senkte se<strong>in</strong>erseits rasch <strong>de</strong>n Blick. E<strong>in</strong> hastiges Wischen über <strong>die</strong>Augen und Fowley hatte sich ansche<strong>in</strong>end wie<strong>de</strong>r unter Kontrolle. Er klang je<strong>de</strong>nfalls so.„Sie haben nichts gesehen, Sub!“Stumm nickte Lan<strong>de</strong>r und sah weiter zu Bo<strong>de</strong>n.„Dann kommen Sie endlich! Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven hat uns e<strong>in</strong>en Befehl erteilt,und <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r wartet nicht gern!“


„Ja, Sir!“ Lan<strong>de</strong>r hielt sich stur ans Protokoll und folgte lediglich. Es kamen jedochMänner mit Lasten aus <strong>de</strong>m Zugang <strong>in</strong>s Innere <strong>de</strong>s Schiffes. Fowley trat respektvoll zurSeite und salutierte stumm. Lan<strong>de</strong>r entschied sich, es ihm gleichzutun, obwohl er nichtso recht wusste, wieso. Als er <strong>die</strong> zweite Gruppe passieren ließ, ahnte er jedoch plötzlich,was sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Säcken befand. E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer mit <strong>de</strong>m mediz<strong>in</strong>ischen Abzeichen auf<strong>de</strong>r Uniform hatte wie e<strong>in</strong> Schlachtergeselle ausgesehen.Nach e<strong>in</strong>em Zurückweichen fuhr er herum und starrte ihnen nach. Er bemerkte <strong>de</strong>n ause<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Säcke herunterhängen<strong>de</strong>n Arm und hatte das Gefühl, als zöge man ihm jäh<strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Füßen weg.Diese Crewmitglie<strong>de</strong>r trugen e<strong>in</strong>gewickelte Tote! Das Hangar<strong>de</strong>ck begann sich immerschneller um ihn zu drehen und er hielt sich <strong>die</strong> Hand vor <strong>de</strong>n Mund, als <strong>de</strong>r Mann mit <strong>de</strong>rblutigen Uniform zurückkehrte.Jemand zerrte ihn am Arm, aber bewusst nahm er nichts mehr wahr - bis zu <strong>de</strong>m Punkt,als er sich neben e<strong>in</strong>er Kloschüssel kniend wie<strong>de</strong>rfand und auf se<strong>in</strong> eigenes Frühstückstarrte. Besser gesagt auf <strong>die</strong> halbverdauten Reste davon, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>n Tiefen se<strong>in</strong>esMagens ihren Weg nach oben gefun<strong>de</strong>n hatten.„Oh Gott!“, entfuhr ihm. Erst jetzt begriff er, dass er hier war, weil se<strong>in</strong> Vorgänger auch<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Plastiksack an Bord e<strong>in</strong>er Cly<strong>de</strong>sdale <strong>de</strong>r Flugbereitschaft getragen wor<strong>de</strong>n war.Zwar nicht jetzt, son<strong>de</strong>rn irgendwann <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen, aber was machte dasschon? Irgendwann wür<strong>de</strong> er dort e<strong>in</strong>gewickelt und zum Abtransport verpackt <strong>in</strong> <strong>de</strong>rCly<strong>de</strong>sdale liegen, und se<strong>in</strong>e Eltern wür<strong>de</strong>n Besuch bekommen. Er war zum Dienst <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten abkomman<strong>die</strong>rt wor<strong>de</strong>n, wie man es mit Leuten wie ihm machte.Entbehrlichen Offizieren ohne politische Beziehungen o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e gute Herkunft. Er war vonPlanet Leeds.Etwas Kühles berührte se<strong>in</strong>en Nacken, und e<strong>in</strong>e Hand griff an se<strong>in</strong>em Gesicht vorbei nachoben und betätigte <strong>die</strong> Spülung.„Wischen Sie sich damit das Gesicht ab.“ Ke<strong>in</strong>e Spur von Spott, obwohl es LieutenantFowley war.Das angefeuchtete Toilettenpapier war auf se<strong>in</strong>er erhitzten Haut wie e<strong>in</strong> Schock. Lan<strong>de</strong>rgriff danach und presste es gegen se<strong>in</strong>e Stirn.„Besser?“Als er nicht antwortete, wur<strong>de</strong> se<strong>in</strong> Kopf leicht herumgezogen, bis er zu Fowley aufsah.Was er sah, gefiel <strong>de</strong>m Lieutenant wohl überhaupt nicht, also umfasste er Lan<strong>de</strong>rs Tailleund zerrte ihn hoch. Es war für <strong>de</strong>n größeren Fowley trotz<strong>de</strong>m nicht leicht.Erst als sie <strong>die</strong> Toilette verließen, stammelte Lan<strong>de</strong>r unter neuem Würgereiz: „Sir…“„Sagen Sie e<strong>in</strong>fach gar nichts!“Wie<strong>de</strong>r versuchte Lan<strong>de</strong>r, zu sprechen, aber e<strong>in</strong> barsches „Mitkommen und Mund halten!“verlei<strong>de</strong>te ihm das gründlich.Mitten auf <strong>de</strong>m Weg irgendwoh<strong>in</strong> rief das Intercom sie aus: „Lieutenants Fowley undLan<strong>de</strong>r sofort auf <strong>die</strong> Brücke!“Obwohl er es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Elend nur halb verstand, me<strong>in</strong>te Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> „Jaja!“ gehört zuhaben.Kaum zwei M<strong>in</strong>uten später kam <strong>de</strong>r ihm bereits bekannte Lieutenant Comman<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>terihnen her. „Himmel gottverdammt noch mal! Was machen Sie <strong>de</strong>nn hier? Der Capta<strong>in</strong>sagte…“Den Ersten Offizier e<strong>in</strong>fach unterbrechend, mel<strong>de</strong>te Fowley: „Dem Sub ist schlecht, Sir.Er lei<strong>de</strong>t an <strong>de</strong>r Reisekrankheit.“„Oh Kreuzdonnerwetter verflucht noch mal! Die da oben sollten doch langsam wissen,dass wir hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten ke<strong>in</strong>e untauglichen Offiziere gebrauchen können!“Mit e<strong>in</strong>em schwachen Laut <strong>de</strong>s Protests wollte Lan<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>spruch erheben, aber Fowleyließ ihn halb los, sodass er auf <strong>die</strong> Knie fiel und erst e<strong>in</strong>mal genug mit sich selbst zu tunhatte.„Ich glaube es geht wie<strong>de</strong>r los, Sir. Darf ich ihn auf <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e br<strong>in</strong>gen?“„Ja. Machen Sie, was immer Sie wollen, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Viertelstun<strong>de</strong> steht er unten undbelädt <strong>de</strong>n Frachter!“„Ja, Sir!“„Gut. Ich sage <strong>de</strong>rweil <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r Bescheid. Weitermachen!“


Nach<strong>de</strong>m Raven wie<strong>de</strong>r weg war, erklärte Fowley langsam: „Tut mir leid, aber glaubenSie mir, es ist viel besser, wenn Raven Sie für reisekrank hält, als für e<strong>in</strong>enSchwächl<strong>in</strong>g.“Bis vor e<strong>in</strong>er Viertelstun<strong>de</strong> hatte Lan<strong>de</strong>r sich für nichts von bei<strong>de</strong>m gehalten, aber jetztwar er sich da nicht mehr so sicher. Er sah nur noch <strong>de</strong>n h<strong>in</strong>- und herpen<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Arm<strong>de</strong>s Toten vor sich.Irgendwann, ohne dass er wusste, wie, lag er auf e<strong>in</strong>em schmalen Bett und war alle<strong>in</strong>.E<strong>in</strong>e weitere lange Weile verg<strong>in</strong>g, bevor es ihm e<strong>in</strong>igermaßen besser g<strong>in</strong>g und <strong>die</strong>Übelkeit verschwand. Er er<strong>in</strong>nerte sich an <strong>die</strong> Befehle <strong>de</strong>s Ersten Offiziers und hattetierische Angst davor, mit e<strong>in</strong>em unberechtigten Verweis wegen Untauglichkeit wie<strong>de</strong>rnach Hause geschickt zu wer<strong>de</strong>n.Deshalb stand er schwankend auf. Es war alles so an<strong>de</strong>rs als auf <strong>de</strong>r Norfolk, wo erzuletzt gewesen war, um <strong>de</strong>n Restabschnitt se<strong>in</strong>es Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs und <strong>die</strong> Abschlussprüfung zuabsolvieren. Er hatte es allen gezeigt, wie se<strong>in</strong>e Mutter stolz gesagt hatte. Er hatte essich ver<strong>die</strong>nt, <strong>die</strong> Urkun<strong>de</strong> überreicht zu bekommen und vom Offiziersanwärter zum Sub-Lieutenant beför<strong>de</strong>rt zu wer<strong>de</strong>n. Danach hatte er auch <strong>die</strong> Abkomman<strong>die</strong>rungbekommen. Jenen Umschlag, <strong>de</strong>r ihn hierher auf <strong>die</strong> Oxford schickte. Direkt nachOmega-3. Für ihn war das mittlerweile gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong>! Und <strong>de</strong>nnochdurfte er sich jetzt nicht hängen lassen. Dann wür<strong>de</strong> es mit se<strong>in</strong>er Karriere vorbei se<strong>in</strong>und niemand wür<strong>de</strong> ihn mehr e<strong>in</strong>stellen.Mit 19 war er schon fast zu alt für e<strong>in</strong>e Ausbildung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Fabrik auf Leeds, undniemand wür<strong>de</strong> jeman<strong>de</strong>n wie ihn haben wollen. Davor hatte se<strong>in</strong> Vater ihn vorzweie<strong>in</strong>halb Jahren gewarnt. Die Royal Navy war wie <strong>die</strong> Streitkräfte <strong>in</strong>sgesamt nichtson<strong>de</strong>rlich beliebt <strong>in</strong> Leeds. Es wur<strong>de</strong> behauptet, dass sie ihre Pflichten <strong>de</strong>rGrenzsicherung schlecht erfüllte und e<strong>in</strong> korrupter Vere<strong>in</strong> war. Vor allem aber war PatrickLan<strong>de</strong>r überqualifiziert und konnte <strong>de</strong>shalb auf Planet Leeds ke<strong>in</strong>en Job mehr bekommen,falls <strong>die</strong> Navy ihn aus irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>em Grund entließ.Se<strong>in</strong> Seesack stand vor e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Sp<strong>in</strong><strong>de</strong>. Es war ihm egal, wie das D<strong>in</strong>g hierhergekommen war, aber er konnte sich jetzt wenigstens umziehen. Er musste bereits amersten Tag e<strong>in</strong> weiteres se<strong>in</strong>er wenigen Hem<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> er vorgestern vom knappen Geldse<strong>in</strong>er Eltern hatte kaufen müssen, auspacken. Offiziersanwärter auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>miever<strong>die</strong>nten ja ke<strong>in</strong> eigenes Geld. Im Gegenteil, sie bezahlten alle für <strong>die</strong> Qualifizierung!Nur er hatte nichts für <strong>die</strong> Offiziersausbildung <strong>in</strong> Sandhurst bezahlen müssen, als e<strong>in</strong>er<strong>de</strong>r Wenigen auf <strong>die</strong> das allgeme<strong>in</strong> zutraf.Noch immer konnte er kaum fassen, dass e<strong>in</strong>st <strong>de</strong>r Rekrutierungstrupp <strong>de</strong>r Streitkräfte <strong>in</strong><strong>die</strong> Schule gekommen war. Die Royal Navy hatte damals e<strong>in</strong>en gelangweilten PettyOfficer geschickt, <strong>de</strong>r Leute für <strong>die</strong> Mannschaftslaufbahn anwerben sollte. Lan<strong>de</strong>r hattesich danach erkundigt, und <strong>de</strong>r Unteroffizier hatte se<strong>in</strong> echtes Interesse gespürt. Er hattemit Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> langes Gespräch geführt und ihm danach e<strong>in</strong>e Telefonnummer gegeben.Es war zur großen Überraschung <strong>de</strong>s Schülers <strong>die</strong> Nummer e<strong>in</strong>es Lieutenants auf <strong>de</strong>mSouthampton Yard.Als <strong>de</strong>r Sechzehnjährige se<strong>in</strong>e Geschichte hervorgespru<strong>de</strong>lt hatte, war <strong>die</strong> Frauvermutlich nicht ganz mitgekommen, aber sie hatte nach se<strong>in</strong>en Noten und se<strong>in</strong>emBerufswunsch gefragt. Nur als es ums Geld gegangen war, war Patrick still gewor<strong>de</strong>n.Se<strong>in</strong>e Eltern hatten ke<strong>in</strong> Geld für e<strong>in</strong>en Flug <strong>in</strong>s Nachbarsystem gehabt, aber <strong>de</strong>rLieutenant hatte ihm e<strong>in</strong>en merkwürdigen Test zugeschickt. Über <strong>de</strong>n Fragen hatte er e<strong>in</strong>ganzes Wochenen<strong>de</strong> gebrütet und se<strong>in</strong> letztes Taschengeld <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Shop mitWebanschluss geopfert, damit er auf <strong>die</strong> Universitätsdatenbanken und Ähnliches hattezugreifen können. Dann hatten sie ihn nach New London e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n und ihm <strong>de</strong>n Flugbezahlt. Genau dann war es zum Krach mit se<strong>in</strong>em Vater gekommen, da JeremiahLan<strong>de</strong>r nichts von <strong>de</strong>r fixen I<strong>de</strong>e se<strong>in</strong>es Sohnes gewusst hatte.Den Test auf Southampton hatte er trotz<strong>de</strong>m ebenfalls bestan<strong>de</strong>n und war auf <strong>die</strong>Aka<strong>de</strong>mie gekommen. Ohne Geld und ohne E<strong>in</strong>fluss. Mithilfe e<strong>in</strong>es Stipendiums fürbegabte K<strong>in</strong><strong>de</strong>r aus armen Familien. Das war etwas, das er Leuten wie Fowley niemalserzählen konnte. Vermutlich wussten sie es sowieso schon, <strong>de</strong>nn es stand mit Sicherheitganz oben <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Akte.Er legte das alte Hemd weg. Dabei war er noch immer schwach auf <strong>de</strong>n Be<strong>in</strong>en und dazuangeekelt von <strong>de</strong>m Erbrochenen. Was Fowley jetzt wohl über ihn dachte? Der Lieutenant


hatte <strong>de</strong>n Exekutivoffizier angelogen, obwohl sie sich nahe zu stehen schienen. Ne<strong>in</strong>, esdurfte alles e<strong>in</strong>fach noch nicht vorbei se<strong>in</strong>! Und trotz<strong>de</strong>m wusste er nicht, wie erreagieren wür<strong>de</strong>, wenn man e<strong>in</strong> zweites Mal e<strong>in</strong>en Toten an ihm vorbei trug. Die Stärkeverließ ihn erneut, daher sank er gegen <strong>de</strong>n Sp<strong>in</strong>d und rutschte daran herunter.Dass man bei <strong>de</strong>n Streitkräften sterben konnte, war ihm klar gewesen, aber er hattenicht gedacht, dass es ihm auch passieren konnte. Dass er am ersten Tag bereits e<strong>in</strong>enToten sehen wür<strong>de</strong>. So hatte er es sich wirklich nicht vorgestellt. Er sog schniefend <strong>die</strong>Luft e<strong>in</strong> und wischte sich über <strong>die</strong> Augen. Lan<strong>de</strong>r hatte sich wirklich nicht ausgemalt,dass <strong>de</strong>r Patrouillenkreuzer Oxford <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Es gab doch schon seitEwigkeiten ke<strong>in</strong>en Krieg mehr <strong>in</strong> Sirius!Das Klappern <strong>de</strong>r Zimmertür h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em Rücken ließ ihn zusammenfahren, und erversteifte sich. Diesmal wür<strong>de</strong> Fowley ihn also zu allem Überfluss auch noch we<strong>in</strong>ensehen. Über <strong>de</strong>r Kloschüssel hängend hatte <strong>de</strong>r Lieutenant ihn ja schon beobachtet.H<strong>in</strong>ter ihm g<strong>in</strong>g jemand zum an<strong>de</strong>ren Bett. Es war vermutlich wirklich Fowley. Ke<strong>in</strong>son<strong>de</strong>rlich erheben<strong>de</strong>r Gedanke.Nach langen Sekun<strong>de</strong>n brachen <strong>die</strong> Worte „Sie sollen sich beim Comman<strong>de</strong>r mel<strong>de</strong>n, soschnell es geht.“ <strong>die</strong> Stille. „Also nicht vor morgen. Raven hat dafür gesorgt.“„Ist <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r so wie <strong>de</strong>r Exekutivoffizier?“, brachte Lan<strong>de</strong>r mit erstickter Stimmeheraus.„In etwa.“ war <strong>die</strong> vage Antwort. „Sie können es sehr gut mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r.“„Dann können sie mich bei<strong>de</strong> mal!“ Er empfand nicht e<strong>in</strong>mal mehr Entsetzen über jeneherausgerutschten Worte, <strong>de</strong>nn man wür<strong>de</strong> ihn sowieso von hier wegversetzen. Damitwar Patrick Lan<strong>de</strong>rs kurze Karriere endgültig vorbei.E<strong>in</strong> leises Lachen antwortete ihm, sodass er sich umsah. Der Lieutenant sah auf ihnherab und wandte sich dann <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Tür, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r noch nicht bemerkthatte. Das baldige Rauschen von Wasser verriet, dass es e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Waschraum war.Diese Aussicht hatte etwas Verlocken<strong>de</strong>s, sodass auch er erneut aufstand. Er hatte dasGefühl, Dreck von sich abwaschen zu müssen. Verbalen Dreck, mit <strong>de</strong>m man ihn hier anBord beworfen hatte. Diesmal schwankte er nicht, <strong>de</strong>nn er wusste ja, dass es sowiesovorbei war. Egal, ob Fowley ihn nun verpetzte o<strong>de</strong>r nicht.„Na, komm schon re<strong>in</strong>, Sub!“, rief <strong>de</strong>r Lieutenant.Angesichts <strong>de</strong>s plötzlichen Wechsels <strong>de</strong>r Anre<strong>de</strong> blieb er verwirrt stehen. „Sir?“„Das kannst du draußen vor <strong>de</strong>r Tür lassen. Falls du es noch nicht bemerkt habensolltest, teilen wir uns <strong>die</strong>ses Quartier.“ Fowley war damit beschäftigt, sich <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> undUnterarme zu schrubben. Das Waschbecken war rot gefärbt, aber <strong>die</strong>smal ertrug Lan<strong>de</strong>r<strong>de</strong>n Anblick <strong>de</strong>s Blutes, ohne gleich <strong>die</strong> Nerven zu verlieren.Der Lieutenant musterte ihn im Spiegel, anstatt sich umzudrehen. „Tut mir übrigens leid,was ich im Frachter gesagt habe. Ich war etwas durche<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, da ich von e<strong>in</strong>erBeerdigung auf Planet New London kam.“„Tut mir leid zu hören, Sir.“ Daraus ergaben sich also <strong>die</strong> Nachfrage und vertraulicheGeste <strong>de</strong>s Ersten Offiziers. Es be<strong>de</strong>utete natürlich noch etwas an<strong>de</strong>res. „Sie s<strong>in</strong>d also <strong>de</strong>rZweite Offizier auf <strong>die</strong>sem Schiff?“„Mädchen für alles wür<strong>de</strong> es eher treffen, da K<strong>in</strong>gsham ebenfalls Wache geht. Wir habenzwar e<strong>in</strong> Dreiwachensystem, aber meistens gehen Raven und K<strong>in</strong>gsham zusammen mit<strong>de</strong>r Mannschaft Wache um Wache. Wir unterstützen sie lediglich.“„Das verstehe ich nicht, Sir.“Für e<strong>in</strong>en Moment runzelte Fowley <strong>die</strong> Stirn. „Du kannst mich Daniel nennen. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>sthier, <strong>de</strong>nn da draußen wür<strong>de</strong> ich es dir nicht empfehlen. Trotz<strong>de</strong>m ist unpassend, sich zusiezen, wenn man e<strong>in</strong>e Kab<strong>in</strong>e teilt. Und was das Wachsystem angeht, s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass nur sie selbst das Schiff beherrschen. Ich gehöre zu Ravens Wache,also nehme ich an, dass du wie Keith… e<strong>in</strong>st… ah mit K<strong>in</strong>gsham auf <strong>de</strong>r Brücke stehst.“„Das war me<strong>in</strong> Vorgänger, nicht wahr, Sir?“ Die Frage fiel Lan<strong>de</strong>r unendlich schwer, un<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utete wortlos über se<strong>in</strong>e Schulter zum Bett, wo er gelegen hatte.E<strong>in</strong> Hochziehen <strong>de</strong>r Schultern war zunächst Fowleys e<strong>in</strong>fache Antwort, aber dann griff erzu <strong>de</strong>m Handtuch neben <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en Waschbecken und erwi<strong>de</strong>rte mit betont neutralerStimme: „Ja, Keith Parry war <strong>de</strong><strong>in</strong> Vorgänger und doch auch nicht. Er war Zweiter Offizierund hat <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>em Bett geschlafen, falls du verstehst.“


Erst im zweiten Anlauf dämmerte Lan<strong>de</strong>r, dass Fowley se<strong>in</strong>en zweiten Leutnantsstreifennoch nicht son<strong>de</strong>rlich lange haben konnte. Man hatte ihn als nach Parrys Tod zum vollenLieutenant beför<strong>de</strong>rt. Davor hatte Fowley <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>s Dritten <strong>in</strong>negehabt. Se<strong>in</strong>eeigene. Er wollte sprechen, aber <strong>de</strong>r Zweite Offizier kam ihm zuvor: „Ne<strong>in</strong>, sag nichts!Hör damit auf! Ich sehe, woran du <strong>de</strong>nkst, und es ist nicht gut für dich! So lauten eben<strong>die</strong> Spielregeln <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Vere<strong>in</strong>.“„Vielleicht sollte ich lieber e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Kab<strong>in</strong>e beziehen. Ich möchte nicht…“„Vielleicht solltest du es aber auch nicht tun, es sei <strong>de</strong>nn, du hast etwas gegen mich,Patty.“„Das kommt ganz darauf an, Lieutenant.“ Lan<strong>de</strong>r war mit <strong>die</strong>ser Verballhornung se<strong>in</strong>esVornamens nicht e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n.„Worauf?“„Darauf, ob ich Ihnen gleich e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>schlage o<strong>de</strong>r nicht, Sir!“„Bei <strong>die</strong>ser Entscheidung kann ich wirklich nicht helfen. Tätlicher Angriff auf e<strong>in</strong>enVorgesetzten wird <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy jedoch hart bestraft, o<strong>de</strong>r lernt ihr auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mienicht mal mehr, das Flottenhandbuch zu lesen?“„Ich kann <strong>die</strong> wichtigsten Passagen davon sogar auswendig, danke <strong>de</strong>r Nachfrage.“Lan<strong>de</strong>r seufzte. „Aber das wäre ja auch egal, weil man mich morgen sicherlichzurückschicken wird. Dafür haben Sie ja gesorgt.“„Ich wüsste nicht, wie.“ Fowley g<strong>in</strong>g an ihm vorbei und rempelte ihn dabei absichtlich an.„Die e<strong>in</strong>zigen Leute, <strong>die</strong> von <strong>die</strong>sem Schiff wie<strong>de</strong>r herunterkommen, s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Toten.“Nach e<strong>in</strong>em abschätzigen Blick setzte er sanfter h<strong>in</strong>zu: „Und davon reichlich, Mister.Dafür s<strong>in</strong>d wir hier draußen an <strong>de</strong>r Front.“„Sie haben das gewusst und mich darüber im Unklaren gelassen…“ Er begriff, dassFowley es absichtlich getan hatte.Der Vorgesetzte bestritt es sofort: „Ich kann wirklich nicht wissen, was Sie <strong>de</strong>nken, Sub.Ich kann Ihnen nur <strong>die</strong> Fakten nennen. Hier draußen überleben nur wenige Leute. Wirs<strong>in</strong>d Zoll, Grenzwächter und Schutz für <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Sektor leben<strong>de</strong>n Angehörigen <strong>de</strong>rehrenwerten Bevölkerung <strong>de</strong>s Hauses Bretonia. E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Patrouillenkreuzer Se<strong>in</strong>erMajestät gegen <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Sektors mit Ausnahme von Douglas Station. Das Yardsehen wir vielleicht alle paar Monate mal, ansonsten s<strong>in</strong>d wir hier draußen auf unsgestellt - und das mit zwei Cly<strong>de</strong>sdales als Truppentransporter sowie zwei Crusa<strong>de</strong>rs alsAufklärer.“Als Lan<strong>de</strong>rs Gesicht <strong>de</strong>utlich se<strong>in</strong>e Gefühle wi<strong>de</strong>rspiegelte, gr<strong>in</strong>ste Fowley humorlos.„Entwe<strong>de</strong>r Sie schaffen es und glie<strong>de</strong>rn sich e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r Sie schaffen es nicht. DemComman<strong>de</strong>r und Raven ist das mit Sicherheit egal.“„Und Ihnen, Sir?“, wollte Lan<strong>de</strong>r bitter wissen.Die Achseln zuckend wusste Fowley wohl zunächst nicht recht, was er sagen sollte. Als erse<strong>in</strong>en Entschluss jedoch gefasst hatte, klang es weniger barsch: „Mir nicht, Sub. Ichstelle mich jedoch auf <strong>die</strong> Leute e<strong>in</strong>. Das ist wichtig. Sogar überlebenswichtig. Wenn siedir vertrauen, retten sie dir im E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>tern, aber wenn du ihnen gleichgültig bisto<strong>de</strong>r sie dich hassen, lassen sie dich irgendwann bei passen<strong>de</strong>r Gelegenheit e<strong>in</strong>fach ohneDeckung dastehen. Die Krim<strong>in</strong>ellen murksen dich dann ab o<strong>de</strong>r sie machen nochSchlimmeres mit dir.“So geschockt er auch war, er blieb <strong>de</strong>nnoch aufnahmefähig. Er hatte erkannt, dassFowley ihm zum zweiten Mal das Du angeboten hatte. „Und was könnte schlimmer als<strong>de</strong>r Tod se<strong>in</strong>, Daniel?“Fowley nahm <strong>die</strong> Akzeptanz se<strong>in</strong>es Vornamens zur Kenntnis und zeigte erstmalig e<strong>in</strong>Lächeln, das von Herzen zu kommen schien. „Vieles, Patty. Das, wovon man auf <strong>de</strong>rAka<strong>de</strong>mie garantiert nicht spricht. Tagelange Folter zum Beispiel o<strong>de</strong>r…“ Die Stimme <strong>de</strong>sLieutenants verlor sich im Raum.Lan<strong>de</strong>r wartete vergeblich darauf, dass er fortfuhr.„Egal! Sterben müssen wir alle mal. Nur, nenn mich bitte nicht Patty, o<strong>de</strong>r ich nenne dichDandy!“, verkün<strong>de</strong>te er schließlich, aber er vergriff sich dabei im Ton.Diesmal sprach ke<strong>in</strong> Amüsement aus Fowleys Augen. „Die Unschuld <strong>de</strong>r Jugend wirst duschon bald verlieren. Genau wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re vor dir. Hier draußen ist <strong>de</strong>r Krieg nichtsauber wie man es auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie erzählt. Wir führen e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art von Krieg, <strong>de</strong>roffiziell nicht e<strong>in</strong>mal so genannt wird. Sie töten uns und wir sie. Hör auf das, was man dir


ät, und du wirst es schaffen. Außer wenn e<strong>in</strong> Unglück passiert. Dagegen ist ke<strong>in</strong>er vonuns gefeit. Je<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz kann für uns alle <strong>de</strong>r Letzte se<strong>in</strong>. Und als persönlicher Ratschlagvon mir: Halt <strong>die</strong> Klappe, außer wenn du Meldung machen musst o<strong>de</strong>r jemand dich direktanspricht! Wenn du e<strong>in</strong>e Frage hast, wen<strong>de</strong> dich an mich, sobald wir alle<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d.“„Musst du mir das alles so haarkle<strong>in</strong> erzählen?“„Ja, das muss ich. Auf <strong>die</strong>sem Schiff wird als oberste Tugend vor allem Gehorsamverlangt. Deswegen solltest du auch gleich auf <strong>die</strong> Brücke gehen. Du lei<strong>de</strong>st wirklich anReisekrankheit, also sag das <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r. Er wird es wohlwollend aufnehmen, wenndu dich trotz<strong>de</strong>m bei ihm mel<strong>de</strong>st. Wahrsche<strong>in</strong>lich behält er dich gleich für <strong>de</strong>n Restse<strong>in</strong>er Schicht auf <strong>de</strong>r Brücke.“„Heute noch?!“, entfuhr Lan<strong>de</strong>r. Er war bestürzt.„Wann <strong>de</strong>nn sonst? Wie gesagt, wir gehen alle Wache um Wache. Sechs Stun<strong>de</strong>n, abernachts wird alle drei Stun<strong>de</strong>n gewechselt, damit je<strong>de</strong>r mal <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>rschlimmsten Schichten kommt. De<strong>in</strong>e Ankunft wird <strong>die</strong>ses System mit Sicherheit auchnicht än<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>nn es war schon immer so. Schlaf ist bei mehr als zwölf Stun<strong>de</strong>n Arbeitpro Tag Luxus, also hau dich h<strong>in</strong>, wann immer du kannst.“ Fowleys Gesichtsausdruckverhärtete sich. „Ab mit dir, sage ich! Und wenn du mich e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Anwesenheit <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren duzt o<strong>de</strong>r mich auch nur anlächelst, gibt es Ärger!“„Ja, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r nahm <strong>de</strong>n Ausbruch lediglich zur Kenntnis - wie so vieles, das erertragen, aber nicht unbed<strong>in</strong>gt verstehen musste. Bevor er <strong>die</strong> Tür öffnete, fragte erjedoch noch leise: „Wer war es auf New London, Daniel?“Sofort war <strong>de</strong>r Schmerz zurückgekehrt. Fowley verzog das Gesicht, und Lan<strong>de</strong>r bereute<strong>die</strong> Frage. „Me<strong>in</strong>e jüngere Schwester.“„Tut mir leid. Genau wie Lieutenant Parrys Tod. Vermutlich stand er dir nahe, nichtwahr?“„Danke.“ Ke<strong>in</strong>e Antwort, son<strong>de</strong>rn nur <strong>die</strong>ses e<strong>in</strong>e Wort.Trotz<strong>de</strong>m verstand Lan<strong>de</strong>r. „Ne<strong>in</strong>. Ich habe dir zu danken.“„Wofür?“„Für <strong>die</strong> Hilfe und <strong>de</strong>n Rat“, erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant schlicht, setzte se<strong>in</strong>e Mütze aufund g<strong>in</strong>g. Den Weg wür<strong>de</strong> ihm schon jemand zeigen. Er bemerkte natürlich nicht, dassLieutenant Daniel Fowley noch sehr lange mit brennen<strong>de</strong>n Augen auf <strong>die</strong> verschlosseneTür starrte. Zunächst, bevor er e<strong>in</strong> Bild aus se<strong>in</strong>em Sp<strong>in</strong>d holte, zu Lan<strong>de</strong>rs alias ParrysBett g<strong>in</strong>g, sich h<strong>in</strong>setzte und zwei <strong>de</strong>r drei lachen<strong>de</strong>n Gesichter auf <strong>de</strong>m Foto vollerZärtlichkeit berührte.Patrick Lan<strong>de</strong>r wusste nur, dass Fowley trotz <strong>de</strong>s Traumas <strong>de</strong>r Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>erStelle <strong>die</strong> Verladung <strong>de</strong>r Toten <strong>de</strong>s letzten E<strong>in</strong>satzes überwacht und ihm außer<strong>de</strong>m überdas Schlimmste h<strong>in</strong>weggeholfen hatte. Nun ahnte er wenigstens, was ihn erwartete. Dasmachte es irgendwie weniger schlimm.„Kennen Sie sich mit <strong>de</strong>r Navigation e<strong>in</strong>es Schlachtschiffes aus, Lieutenant?“ LionelK<strong>in</strong>gsham war <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige ranghöhere Offizier an Bord, <strong>de</strong>r ihn so nannte.„Ja, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r hielt sich eisern an Fowleys Rat, nichts Überflüssiges zu sagen. Daserschien ihm weise, da er <strong>de</strong>n altge<strong>die</strong>nten Comman<strong>de</strong>r nicht e<strong>in</strong>schätzen konnte.K<strong>in</strong>gsham schien ihm e<strong>in</strong> völlig an<strong>de</strong>rer Mann zu se<strong>in</strong> als Raven. Noch kaltblütiger. Hartgewor<strong>de</strong>n wie Stahl durch <strong>de</strong>n erbarmungslosen monate- o<strong>de</strong>r vielleicht gar jahrelangenDienst hier draußen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten. Vielleicht hatte jener Dienst sogar e<strong>in</strong> Lebenlang gedauert. Vorstellbar war es, <strong>de</strong>nn K<strong>in</strong>gsham war m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens 55, was für e<strong>in</strong>enaktiven Offizier auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Patrouillenkreuzer e<strong>in</strong> relativ hohes Alter war. Undtrotz<strong>de</strong>m war er noch Comman<strong>de</strong>r. Das empfand Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Tagen bereitsan se<strong>in</strong>e hoffentlich bald erfolgen<strong>de</strong> nächste Beför<strong>de</strong>rung zum vollen Lieutenant gedachthatte, als sehr <strong>de</strong>sillusionierend. ‚Vielleicht hat <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r aber auch etwasangestellt und ist bei se<strong>in</strong>en Vorgesetzten <strong>in</strong> Ungna<strong>de</strong> gefallen. Bei dir wird es sicherlichan<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong>, wenn du dir genügend Mühe gibst.’ Dieser Gedanke war viel angenehmer.„Dann übernehmen Sie bitte für Petty Officer Hickers. Stellen Sie sich vor, <strong>die</strong> ersteBrückenmannschaft ist komplett gefallen. Wir bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n uns im E<strong>in</strong>satz. Sie s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r letzteüberleben<strong>de</strong> Offizier an Bord und komman<strong>die</strong>ren <strong>die</strong> zweite Mannschaft.“


Diese eiskalte Dusche war völlig unerwartet gekommen und riss ihn aus <strong>de</strong>n Gedankenan se<strong>in</strong>e Karriere. Alarmiert wandte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> Richtung se<strong>in</strong>es Vorgesetzten. „Sir!“„Ja, Lieutenant?“„Sir, ich…“ Hilflos starrte er <strong>de</strong>n Navigationsoffizier an, <strong>de</strong>r bereits mit ausdruckslosemGesicht se<strong>in</strong>en Platz räumte. Sie flogen doch gera<strong>de</strong> auf e<strong>in</strong> riesiges Eisfeld zu!„Beeilung, Lieutenant!“, schnarrte <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r.„Sir…“„Können Sie nichts an<strong>de</strong>res sagen?“ Die Frage klang gelangweilt, aber <strong>de</strong>r lautstarkeAusbruch folgte abrupt: „H<strong>in</strong>setzen!“Die ersten kle<strong>in</strong>eren Brocken flogen an <strong>de</strong>r Brücke <strong>de</strong>r Oxford vorbei. Entsetzt blickteLan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>aus.„Ihre Vorgesetzten s<strong>in</strong>d im Gefecht gefallen, Lieutenant. Irgendwo h<strong>in</strong>ter Ihnen s<strong>in</strong>ddreißig Jäger <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen, <strong>die</strong> Sie suchen. Br<strong>in</strong>gen Sie uns auf <strong>de</strong>r Stelle <strong>in</strong> dasverdammte Feld!“Zitternd fuhr Lan<strong>de</strong>r herum. Selbst auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie hatten <strong>die</strong> Ausbil<strong>de</strong>r außer beimSportunterricht selten gebrüllt. Das hier war real und <strong>die</strong>s war ke<strong>in</strong>e Laufbahn aus Asche.„Ich… ich kann das nicht, Sir!“„Das ist ke<strong>in</strong>e Antwort, <strong>die</strong> ich auf me<strong>in</strong>em Schiff hören möchte, Lieutenant.“Glaubte Lan<strong>de</strong>r es nur o<strong>de</strong>r hatte tatsächlich Mil<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stimme gelegen? Er sollte esnie herausf<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Moment traf <strong>de</strong>r erste größere Brocken <strong>die</strong> Schil<strong>de</strong> amBug und weitere glitten zischend über <strong>die</strong> Glasstahlfenster <strong>de</strong>r Brücke h<strong>in</strong>weg. Obwohl<strong>die</strong> Hülle ke<strong>in</strong>en Scha<strong>de</strong>n nahm, bebte <strong>de</strong>r Metallbo<strong>de</strong>n unter Lan<strong>de</strong>rs Füßen.Mit e<strong>in</strong>em Aufschrei nahm <strong>de</strong>r Dritte Offizier zur Kenntnis, dass K<strong>in</strong>gsham <strong>die</strong>s geahnthatte - und <strong>de</strong>nnoch hatte <strong>de</strong>r Vorgesetzte nichts unternommen. Der Kapitän spieltewirklich tot!Weitere Brocken schlugen zischend gegen <strong>die</strong> Schil<strong>de</strong> und glitten davon ab.„Sir!“, wagte <strong>de</strong>r Navigationsoffizier zu protestieren, aber K<strong>in</strong>gsham brachte <strong>de</strong>nUnteroffizier mit e<strong>in</strong>er Handbewegung zum Schweigen.Lan<strong>de</strong>r wandte <strong>de</strong>n Blick gewaltsam von <strong>de</strong>r bedrohlichen Szenerie draußen ab undverdrängte <strong>die</strong> sich aufdrängen<strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf mit aller Macht. Er glitt auf <strong>de</strong>nleeren Sitz an <strong>de</strong>r Navigationskonsole und besann sich auf das, was man ihm auf <strong>de</strong>rNotbrücke <strong>de</strong>r Norfolk beigebracht hatte. Auf <strong>die</strong> richtige Brücke hatten sie nur zweimalgruppenweise gedurft, um <strong>de</strong>r Crew nicht zur Last zu fallen. Theoretisch wusste er, waser zu tun hatte, aber er hatte es nie getan. Er hatte noch nie e<strong>in</strong>er erfahrenenSchiffscrew wirkliche Befehle gegeben.‚Der Comman<strong>de</strong>r hat mich doch nur gefragt, ob ich mich mit <strong>de</strong>r Konsole auskenne!’,dachte er panisch.„Sir! Ich <strong>de</strong>nke…“„Warten Sie, Mister Hickers. Der Lieutenant hat es gleich, da b<strong>in</strong> ich mir sicher.“E<strong>in</strong> guter Kommandant verstand sich darauf, Selbstvertrauen schlagartig zu nehmen un<strong>de</strong>s zu geben. Das besagten <strong>die</strong> Kurse <strong>in</strong> Menschenführung. Soweit Lan<strong>de</strong>r feststellte,stimmte es wirklich. Er atmete tief durch und befürchtete fast, dass se<strong>in</strong>e Stimmeversagen wür<strong>de</strong>. Er spürte <strong>die</strong> noch weiterh<strong>in</strong> währen<strong>de</strong>n Erschütterungen, wenn sie mitgröberem Eis kolli<strong>die</strong>rten, er hörte <strong>die</strong> Meldung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nskontrolloffiziers, als <strong>die</strong>ser„67, Sir.“ sagte, und war sich auch bewusst, dass <strong>die</strong>se Meldung <strong>de</strong>r SchildstärkeK<strong>in</strong>gsham galt und nicht ihm.Das Schott öffnete sich, und jemand platzte here<strong>in</strong>, aber Lan<strong>de</strong>r ignorierte es und stießhervor: „Zwei Drittel Reverse! Danach Kursän<strong>de</strong>rung auf Vektor…“ Er konsultierteerstmalig <strong>de</strong>n Navigationsschirm vor sich und stellte ihn um, damit das Gerät ihm <strong>die</strong>Abstän<strong>de</strong> und Größe <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zelnen Eisbrocken besser angab. „037 vertikal. HorizontaleKorrektur auf Vektor 002, ne<strong>in</strong>, unterlassen Sie’s!“Wie<strong>de</strong>r glitt das Schott auf, und er fragte sich, wieso man ihn nicht endlich <strong>in</strong> Ruhe ließ.Die Bestätigungen und endlich auch <strong>de</strong>r Rückschub kamen. Er schaffte es wirklich!Er beobachtete <strong>die</strong> Geschw<strong>in</strong>digkeitsanzeige auf se<strong>in</strong>em Screen, fummelte nervös an <strong>de</strong>nKontrollen herum und befahl schließlich: „E<strong>in</strong> Drittel vorwärts. Langsam kommen lassen!“Und <strong>die</strong> Oxford kam. Sie schwang auf <strong>de</strong>n angegebenen Kurs herum. Wie<strong>de</strong>r verän<strong>de</strong>rteer <strong>die</strong> E<strong>in</strong>stellungen und erschrak. Obwohl er <strong>die</strong> Karte vor sich zum ersten Mal sah, war<strong>die</strong> Patrouillenroute doch klar markiert. Nur eben nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r generellen E<strong>in</strong>stellung! Der


Navigationsoffizier hatte sie ausgeschaltet, um ihn zu testen! Die Markierung führtewirklich mitten durch das Feld. Er hätte sie nur abfliegen müssen und befand sichplötzlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, <strong>die</strong>s nicht getan zu haben. Er hatte e<strong>in</strong>en davon abweichen<strong>de</strong>n Kursbefohlen.‚E<strong>in</strong> Schlachtschiff kann sich se<strong>in</strong>en Weg durch e<strong>in</strong> Teilchenfeld bahnen, sofern <strong>die</strong>Brocken nicht zu groß s<strong>in</strong>d. Geschw<strong>in</strong>digkeit ist hierbei maßgeblich’, rezitierte er imGeiste e<strong>in</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Lehrstun<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>r Notbrücke <strong>de</strong>r Norfolk. Die Tra<strong>in</strong>ees hattendamals beobachtet, wie <strong>die</strong> erfahrene Crew auf <strong>de</strong>r Brücke dasselbe tat, was er jetztauch tun musste.‚E<strong>in</strong>schwenken o<strong>de</strong>r neuen Kurs absetzen?’ Es war e<strong>in</strong>e Entscheidung, <strong>die</strong> er nicht zutreffen wagte. Und <strong>de</strong>nnoch musste er, <strong>de</strong>nn sie flogen jetzt wie<strong>de</strong>r vorwärts, und je<strong>de</strong>Sekun<strong>de</strong> brachte ihn weiter von <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>all<strong>in</strong>ie weg.Hilfesuchend sah er sich um, bemerkte Raven und Fowley, <strong>die</strong> bei<strong>de</strong> am Schott stan<strong>de</strong>n,und richtete <strong>de</strong>n Blick auf K<strong>in</strong>gsham. Er war <strong>de</strong>r Kapitän. Dass <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong>nFührungsoffiziere durch se<strong>in</strong>e späte Kommandoübernahme und <strong>die</strong> davor erfolgtenKollisionen mit diversen Eisbrocken aus ihren Betten geworfen wor<strong>de</strong>n waren, darandachte er lieber nicht.„Comman<strong>de</strong>r, soll ich sie auf <strong>de</strong>n ursprünglichen Kurs zurückbr<strong>in</strong>gen o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en eigenenabstecken?“„Was auch immer Sie für richtig halten, Lieutenant. Wir s<strong>in</strong>d tot, schon vergessen?Treffen Sie <strong>die</strong> Entscheidung.“Noch immer hatte <strong>de</strong>r Komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong> also nicht <strong>die</strong> Absicht, ihn vom Haken zu lassen,obwohl er se<strong>in</strong> Schiff bereits riskiert hatte. Lan<strong>de</strong>r nahm es schau<strong>de</strong>rnd zur Kenntnis. DerSchweiß war ihm längst ausgebrochen. Nervös leckte er sich über <strong>die</strong> trockenen Lippen.„Schil<strong>de</strong>?“„81 %“, bekam er von <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nskontrolle als Antwort. In se<strong>in</strong>em Fall schien nichtnötig zu se<strong>in</strong>, Sir zu sagen. Den Respekt musste man sich hier wirklich hart ver<strong>die</strong>nen!Er beugte sich über <strong>de</strong>n Navigationsschirm, traf se<strong>in</strong>e Entscheidung und steckte e<strong>in</strong>enneuen Kurs ab. „Sofortige Kursän<strong>de</strong>rung auf <strong>de</strong>n angegebenen Vektor!“Der Steuermann warf e<strong>in</strong>en Blick darauf und drehte sich dann halb um. „Sir…“Lan<strong>de</strong>r hörte, wie jemand neben ihn trat. Es war Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven. „6k bisOmega-5, Lionel.“„Was?“, stotterte Lan<strong>de</strong>r. „Aber wo…?“„Ich schlage e<strong>in</strong>e sofortige Kursän<strong>de</strong>rung vor.“Lediglich mit e<strong>in</strong>em Nicken erteilte K<strong>in</strong>gsham se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>verständnis. Zu Lan<strong>de</strong>r gewandtfeuerte er jedoch gera<strong>de</strong>zu e<strong>in</strong>e Breitseite ab: „Soeben haben uns vier Centurionsgesehen, <strong>die</strong> aus <strong>de</strong>m Sprungloch vor uns kamen. Sie haben über Funk <strong>die</strong> gesamteJägerrotte <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen h<strong>in</strong>ter uns verständigt. Genau jetzt sehen Sie sich e<strong>in</strong>er Salvevon vierzig Starkiller Torpedos gegenüber, Lieutenant.“„Was?“, brachte Lan<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> noch heraus.„Treffer, versenkt“, war Ravens Kommentar, während er Lan<strong>de</strong>r vom Sitz zog, damit <strong>de</strong>r<strong>die</strong>nsthaben<strong>de</strong> Navigationsoffizier wie<strong>de</strong>r Platz nehmen konnte.„Sir, ich verstehe immer noch nicht.“E<strong>in</strong> Kopfnicken <strong>de</strong>s Capta<strong>in</strong>s <strong>de</strong>legierte <strong>die</strong> Frage weiter.„Sie hätten <strong>die</strong> E<strong>in</strong>stellungen <strong>de</strong>s Screens auf ‚alles’ setzen müssen. Das Sprunglochwur<strong>de</strong> Ihnen nicht angezeigt.“ Die Stimme <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers war genau wie dasGesicht ausdruckslos. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb fiel <strong>die</strong> Zurechtweisung noch schroffer aus.„Gut, Mister Fowley. Sie haben <strong>die</strong> Situation korrekt erfasst.“„Danke, Sir.”„Ich schlage vor, dass <strong>die</strong> Freiwache wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> ihre Betten kriecht.“„Das dürfte sich für weniger als e<strong>in</strong>e Dreiviertelstun<strong>de</strong> wohl kaum noch lohnen, Lionel.“„Gut, dann kannst du direkt hier weitermachen und mich ablösen.“ K<strong>in</strong>gsham lächelteund erhob sich von se<strong>in</strong>em Sitz. Als er sich abwandte, nickte er Lan<strong>de</strong>r zu. „Wirklich e<strong>in</strong>egute Show, Lieutenant. Sie müssen noch sehr viel lernen.“„Er kommt von Planet Leeds“, er<strong>in</strong>nerte <strong>de</strong>r Exekutivoffizier, <strong>de</strong>r wegen <strong>de</strong>saufgebrummten Extra<strong>die</strong>nstes etwas sauertöpfisch wirkte, <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren.


Der grauhaarige Comman<strong>de</strong>r bl<strong>in</strong>zelte. „Gut, dass du mich daran er<strong>in</strong>nerst, Erasmus. Fürjeman<strong>de</strong>n von Leeds war es aber doch wirklich gar nicht so schlecht, o<strong>de</strong>r? Immerh<strong>in</strong>leben wir alle noch, und das Schiff hat ke<strong>in</strong>e schwerwiegen<strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>n davongetragen.“Dass selbst Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham <strong>in</strong> <strong>die</strong>selbe Kerbe schlug, war für Patrick Lan<strong>de</strong>r fastunerträglich. Er ballte <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> zu Fäusten und biss sich auf <strong>die</strong> Unterlippe, um zuverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass ihm <strong>die</strong> Tränen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen stiegen. Tränen, weil er das unmöglichSche<strong>in</strong>en<strong>de</strong> nicht geschafft hatte und weil man ihn erneut auf schlimme Weise <strong>de</strong>mütigte.Die gesamte Brückencrew lachte über ihn, während K<strong>in</strong>gsham kichernd <strong>die</strong> Brückeverließ.„Lieutenant Fowley, nehmen Sie sich <strong>die</strong>sen Haufen Elend vor und machen Sie ihm klar,was er falsch gemacht hat. Ich erwarte Sie zu Beg<strong>in</strong>n Ihrer eigentlichen Schicht auf <strong>de</strong>rBrücke. Vor allem sorgen Sie bitte dafür, dass er gut isst und das nötige Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g beimIngenieur bekommt. Sie s<strong>in</strong>d mir dafür verantwortlich, dass unser Kle<strong>in</strong>er nächstenMonat m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens zehn Pfund mehr auf <strong>de</strong>n Rippen hat und wenigstens passabelschießen kann, klar? Ich möchte nicht schon wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Lieutenant verlieren, und wennes bloß e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Sub ist. Das macht immer so viel Papierkram.“„Aye, Sir.“„Er könnte <strong>de</strong>n Sub füttern, Sir“, schlug <strong>de</strong>r Navigationsoffizier unverfroren vor.Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen Wangen schon puterrot waren, sah kurz auf und bemerkte, dass auchFowley leicht errötet war. Zum Glück g<strong>in</strong>g Raven endlich dazwischen: „Er mag ja e<strong>in</strong>Pimpf se<strong>in</strong>, aber er ist immer noch unser Pimpf! Das muss genügen, Jungs!“„Kommen Sie, Sub, o<strong>de</strong>r wollen Sie hier etwa Wurzeln schlagen?!“ Selbst Fowley klangjetzt gereizt und ungeduldig. Er mochte es sicherlich nicht, wenn <strong>die</strong> Witze über se<strong>in</strong>enneuen Zimmergenossen auch ihn trafen.„Wurzeln schlagen nur Pflanzen, Sir. Ich wage zu bezweifeln, dass <strong>de</strong>r Sub so was schone<strong>in</strong>mal gesehen hat! Auf Leeds gibt es das ja nicht. Alles kahl dort. Ich habe gehört, dassauf Geheiß <strong>de</strong>r Regierung mancherorts Laternenmasten grün angemalt wer<strong>de</strong>n, weil <strong>die</strong>ansässige Bevölkerung sie dann für Bäume hält.“Wie<strong>de</strong>r wogte Gelächter auf.Rote Schwa<strong>de</strong>n wogten vor Lan<strong>de</strong>rs Gesicht, als er irgendwie h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Zweiten Offiziervon <strong>de</strong>r Brücke stolperte. Er wäre vor lauter Scham am liebsten im Bo<strong>de</strong>n versunken.Fowley geleitete ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>e Offiziersmesse <strong>de</strong>r Oxford. „Tr<strong>in</strong>ken Sie Tee?“„Kaffee… bitte.“ Lan<strong>de</strong>r war noch zu sehr aus <strong>de</strong>m Gleichgewicht.„Also schwarzen Tee. Ich nehme auch e<strong>in</strong>en.“ Fowley wandte sich ab und raunzte ihnüber <strong>die</strong> Schulter h<strong>in</strong>weg an: „Und wenn Sie nochmals das Sir vergessen, bekommen SieExtra<strong>die</strong>nst aufgebrummt, Sub!“Auch <strong>de</strong>r Zweite Offizier hatte sich nun mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren gegen ihn verschworen.Garantiert wollte er nicht mit e<strong>in</strong>em Versager befreun<strong>de</strong>t se<strong>in</strong>.Ohne e<strong>in</strong> weiteres Wort stand Lan<strong>de</strong>r auf und verließ <strong>die</strong> Messe. Er spielte mit <strong>de</strong>mGedanken, zum Hangar<strong>de</strong>ck zu gehen, aber was hätte ihm das geholfen? DieKapitänswache war bereits fast herum und <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale <strong>de</strong>r Flugbereitschaft bereits vormehr als zwei Stun<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r abgeflogen. Zurück nach Bretonia. Nach Hause. Selberfliegen konnte er nicht, und außer<strong>de</strong>m wäre <strong>die</strong>s se<strong>in</strong>e sichere Entlassung gewesen.Er zog sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e statt<strong>de</strong>ssen <strong>die</strong> Decke über <strong>de</strong>n Kopf und wollte nichts mehrhören o<strong>de</strong>r sehen. Er wünschte sich weit von <strong>de</strong>r Oxford weg, aber genau das blieb ihmverwehrt. E<strong>in</strong> weiteres Mal wür<strong>de</strong> er <strong>die</strong>se Schmach nicht durchstehen, das wusste er.Die Tür zum Quartier klapperte. Fowley war ihm nachgekommen, wie es zu erwartengewesen war. Ravens Befehle und <strong>die</strong> Pflicht diktierten es ihm. Lan<strong>de</strong>r stülpte sich dasKissen auf <strong>de</strong>n Kopf und presste <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Ohren. Er wollte nieman<strong>de</strong>n höreno<strong>de</strong>r sehen. Er wünschte sich nur, dass er niemals Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy gewor<strong>de</strong>nwäre!Fowley sagte irgen<strong>de</strong>twas, aber Lan<strong>de</strong>r rief schrill: „Lassen Sie mich <strong>in</strong> Ruhe, verdammtnoch mal!“Ihm war anzuhören gewesen, dass er be<strong>in</strong>ahe we<strong>in</strong>te. Er wollte es nicht tun, aber für<strong>die</strong>se gesamte Crew <strong>de</strong>r letzte Dreck zu se<strong>in</strong> machte ihn fertig. Er konnte doch nichtsdafür, dass er von Planet Leeds stammte! Er war sogar besser gewesen als viele <strong>de</strong>rbesser betuchten Ka<strong>de</strong>tten, <strong>die</strong> Dutzen<strong>de</strong> Hem<strong>de</strong>n mehr besaßen als er. Patrick Lan<strong>de</strong>rhatte Sandhurst als Drittbester se<strong>in</strong>es Mar<strong>in</strong>ejahrgangs abgeschlossen. Das waren


immerh<strong>in</strong> 740 Mann gewesen, anfänglich sogar viel mehr. Er war besser gewesen als fastalle, aber weil er ke<strong>in</strong>en Admiral zum Verwandten hatte und vom ärmsten Planeten <strong>in</strong>ganz Bretonia stammte, war er hier und nicht auf e<strong>in</strong>em richtigen Schiff <strong>in</strong>nerhalbBretonias gelan<strong>de</strong>t!Die Decke und das Kissen wur<strong>de</strong>n ihm weggezogen. Dabei musste Fowley schon fastrohe Gewalt anwen<strong>de</strong>n.Lan<strong>de</strong>r wandte sich von ihm ab, als <strong>de</strong>r Zweite Offizier es geschafft hatte.„Ich weiß, dass du es nicht hören willst, aber solche D<strong>in</strong>ge passieren. Sie s<strong>in</strong>d mir schonpassiert und Raven auch. Sogar <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r hat früher Fehler gemacht und tut esauch heute manchmal. Das ist e<strong>in</strong>e Sache, wo wir alle durchmüssen.“Die geduldige Stimme <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers und <strong>de</strong>r normal kl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Nachsatz: „De<strong>in</strong>Tee wird kalt.“ brachten Lan<strong>de</strong>r vollends aus <strong>de</strong>r Fassung. Er fuhr herum und schlug ohnenachzu<strong>de</strong>nken zu.Fowley f<strong>in</strong>g se<strong>in</strong>e Hand <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er blitzschnellen Inst<strong>in</strong>ktreaktion vor se<strong>in</strong>em Gesicht ab undumschloss das Gelenk so fest, dass Lan<strong>de</strong>r aufschrie. Dabei verdrehte <strong>de</strong>r Lieutenant <strong>de</strong>nArm brutal.„Tu das nie wie<strong>de</strong>r, Patrick!“, for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Vorgesetzte ihn langsam auf. „Wenn du das imE<strong>in</strong>satz bei e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren machst, br<strong>in</strong>gen sie dich um. Ganz e<strong>in</strong>fach. Schreib dirdas h<strong>in</strong>ter <strong>die</strong> Ohren.“„Warum <strong>de</strong>nn? Es ist doch sowieso, was ihr alle wollt! E<strong>in</strong> Bastard weniger auf <strong>de</strong>r Welt!E<strong>in</strong> Stück Dreck weniger, das <strong>die</strong>ses Schiff verunre<strong>in</strong>igt! Soll ich Ihnen mal etwas sagen,Fowley? Sie können mich mal! Geben Sie mir e<strong>in</strong>e Waffe und ich br<strong>in</strong>ge mich selbst um!Alles ist besser als noch e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong> länger hier auf <strong>de</strong>m <strong>Hölle</strong>nschiff zu bleiben!“„Ich glaube ernsthaft, dass hier e<strong>in</strong> Missverständnis vorliegt.“„Ach ja? Wo?!“ Lan<strong>de</strong>r wollte Fowley <strong>die</strong> Hand entziehen, aber er schaffte es nicht. DerGriff war eisenhart, und je<strong>de</strong> Bewegung <strong>de</strong>s abgew<strong>in</strong>kelten und verdrehten Armes tatweh.„Du hast mir nicht zugehört, Sub. Du hast <strong>de</strong>n Mund auf <strong>de</strong>r Brücke vermutlich etwas zuvoll genommen und dafür <strong>die</strong> Quittung bekommen. Ich hatte dich gewarnt! Es ist dochnichts weiter passiert, aber man hat eben e<strong>in</strong> paar raue Scherze über dich gemacht.Genauso wie ich früher <strong>de</strong>n Spott <strong>de</strong>r Crew ertragen musste, als ich noch <strong>de</strong>r Sub anBord war. Wenn du <strong>de</strong>swegen daran <strong>de</strong>nkst, <strong>de</strong><strong>in</strong> Hirn dort drüben an <strong>die</strong> Wand zuklatschen, kann ich dir nicht helfen. Du hast nie gesehen, wie das ist, und weißt dahergar nicht, wovon du da re<strong>de</strong>st. E<strong>in</strong> Fehler ist hier draußen tödlich! Natürlich tut es weh,aber was du auf <strong>de</strong>r Brücke erfahren hast, ist <strong>die</strong> wirksamste Schule, <strong>die</strong> es gibt.Niemand hier will dich tot sehen. Du bist Mitglied <strong>die</strong>ser Crew und damit gehörst du zumInventar <strong>die</strong>ses Schiffes.“Unbarmherzig sprach <strong>de</strong>r Vorgesetzte weiter:„Du bist e<strong>in</strong> Teil e<strong>in</strong>er Gleichung, <strong>die</strong> von Raven und K<strong>in</strong>gsham täglich neu aufgestelltwird. Sie versuchen, dich auf das vorzubereiten, was dich hier draußen erwartet, unddazu bleibt ihnen nicht viel Zeit. Es bleibt niemals genug Zeit! Wenn du im E<strong>in</strong>satz bist,gibt es nieman<strong>de</strong>n mehr, <strong>de</strong>r Stopp sagt, wenn du e<strong>in</strong>en Fehler machst. Wenn wirzusammen mit <strong>de</strong>n Frachtern rausgehen, hast du zwölf Leute unter <strong>de</strong><strong>in</strong>em Kommando,und ich noch e<strong>in</strong>mal zwölf! Begreifst du das? Wir fliegen regelmäßig nach Freeport 1 o<strong>de</strong>rsonst woh<strong>in</strong> und <strong>in</strong>spizieren neutrale Schiffe. Dort draußen ist auch e<strong>in</strong>e Piratenstation.Je<strong>de</strong> Landung kann <strong>die</strong> Letzte se<strong>in</strong>. Wenn ich vor <strong>de</strong><strong>in</strong>en Augen fallen sollte wie Keith vorme<strong>in</strong>en, dann bist du für über zwanzig Männer verantwortlich! Das hier ist real, Patrick!Ke<strong>in</strong> Spiel und auch ke<strong>in</strong> Platz für Eitelkeiten und Sensibelchen! Falls du doch e<strong>in</strong>es bist,dann hast du sehr wohl e<strong>in</strong>e Möglichkeit, <strong>de</strong>nn du kannst darum bitten, mit <strong>de</strong>m Frachtervon nächster Woche wie<strong>de</strong>r abgeholt zu wer<strong>de</strong>n. Das wäre für dich garantiert dasendgültige En<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy.“„Lassen Sie mich endlich <strong>in</strong> Ruhe! Sie tun mir weh!“„Wie du willst, aber du tust wirklich besser daran, dich wie<strong>de</strong>r zu fangen. Falls nicht, bistdu hier wirklich falsch.“ Endlich ließ <strong>de</strong>r Druck an se<strong>in</strong>em Gelenk nach. Fowley zog <strong>die</strong>Teetasse heran. „Austr<strong>in</strong>ken!“„Sie wollten gehen!“„Nicht bevor Sie nicht <strong>de</strong>n Tee ausgetrunken haben, Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r!“ Auch <strong>de</strong>rZweite Offizier war endgültig wie<strong>de</strong>r beim Sie angekommen.


Wütend griff er nach <strong>de</strong>r Tasse, obwohl se<strong>in</strong> Handgelenk noch immer brannte und se<strong>in</strong>ganzer Arm schmerzte, als wäre er ausgekugelt. Die F<strong>in</strong>ger <strong>de</strong>s Vorgesetzten hattenrötliche Male auf <strong>de</strong>r Haut h<strong>in</strong>terlassen.Der erste Schluck <strong>de</strong>s ungewollten, heißen Getränks versengte Lan<strong>de</strong>r nicht nur <strong>die</strong>Lippen, ne<strong>in</strong>, er brannte sich auch <strong>die</strong> Speiseröhre h<strong>in</strong>unter bis <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Magen.Der husten<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r stellte <strong>die</strong> Tasse zur Seite und kleckerte dabei.„Was zum Teufel ist das?“, würgte er hervor, nach<strong>de</strong>m er endlich wie<strong>de</strong>r sprechenkonnte.„Schnaps, Sub. Recht guter Brandy, soviel ich weiß. Dachte, du könntest es brauchen.”„Du hast mir Alk <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Tee geschüttet?“„Hat doch gewirkt, o<strong>de</strong>r?“ Fowley drückte ihm <strong>die</strong> Tasse <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand. „Austr<strong>in</strong>ken!“„Vergiss es! Ich kann Tee nicht lei<strong>de</strong>n und tr<strong>in</strong>ke schon mal gar ke<strong>in</strong>en Alkohol!“„Ich muss dir doch wirklich nicht erklären, dass du e<strong>in</strong>en Befehl auszuführen hast, wenner dir von e<strong>in</strong>em Vorgesetzten erteilt wird, o<strong>de</strong>r?“„Das ist ke<strong>in</strong> Tee mit Schuss, son<strong>de</strong>rn purer Brandy mit e<strong>in</strong>em Schuss Tee! Du kannstmir außer<strong>de</strong>m nicht befehlen, gegen <strong>die</strong> Vorschriften <strong>de</strong>r Navy zu verstoßen!“„Aye, das kann ich nicht. Trotz<strong>de</strong>m wirst du es jetzt austr<strong>in</strong>ken, Sub. Das ist nämlichetwas an<strong>de</strong>res. Danach wirst du duschen und schlafen. Ich lasse dich nachherausnahmsweise vor Schichtbeg<strong>in</strong>n durch e<strong>in</strong>en Läufer wecken.“ Fowley verschränkte <strong>die</strong>Arme und wies mit <strong>de</strong>m K<strong>in</strong>n auf <strong>die</strong> dampfen<strong>de</strong> Tasse. „Wie haben wir es?“Der fixe Gedanke, dass auch <strong>die</strong>s Teil <strong>de</strong>s ausgeklügelten so genannten Lernsystems hieran Bord war, kam Lan<strong>de</strong>r, während er <strong>die</strong> Tasse wie<strong>de</strong>r an <strong>die</strong> Lippen setzte. Er hatteke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Wahl. Dass er mit se<strong>in</strong>er Vermutung richtig lag, ahnte er, als Fowleydaraufh<strong>in</strong> zur Tür g<strong>in</strong>g. „Geht doch, Sub.“„Aye, Sir.“„Bist weitaus schneller lernfähig als ich dachte. Wenn du jetzt noch brav Männchenmachst, gehe ich auch.“Wütend funkelte Lan<strong>de</strong>r ihn an, aber er sah, wie Fowley <strong>de</strong>n Mund verzog, und wusste,dass es nur e<strong>in</strong> Scherz gewesen war. E<strong>in</strong> Scherz, wie er ihn ertragen lernen musste.„Ne<strong>in</strong>, Daniel. Männchen mache ich hier und jetzt nicht vor dir, aber ich sage nochmalsdanke.“„Das ist noch besser als je<strong>de</strong>r Salut <strong>de</strong>r Welt, auch wenn du es irgendwann lassensolltest. Lass dich bloß nicht unterkriegen!“„Wie me<strong>in</strong>st du das? Warum sollte ich es lassen?“ Lan<strong>de</strong>r war nun vollends verwirrt.„Weil du sonst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n nächsten Wochen nicht mehr damit aufhören wirst, Sub. Ich habewas dagegen, wenn irgendwo <strong>die</strong> Platte hängt. Übrigens hätte ich schon losgelassen,wenn du weiter so herumgezappelt hättest. Sonst wäre <strong>de</strong><strong>in</strong> Arm gera<strong>de</strong> tatsächlich e<strong>in</strong>Fall für unseren Doc gewesen. Und nun bye bye, Patty.“Diesmal war es Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Daniel Fowley lange nachstarrte. Se<strong>in</strong> Zimmergenosseerschien ihm nicht e<strong>in</strong>mal mehr so übel, auch wenn se<strong>in</strong>e Metho<strong>de</strong>n sehr rü<strong>de</strong> waren.‚Um e<strong>in</strong> Haar hätte er mir <strong>de</strong>n Arm gebrochen!’Ne<strong>in</strong>, wenn man ihn gefragt hätte, was er sich unter se<strong>in</strong>em ersten Kommando vorstellte,wäre doch etwas an<strong>de</strong>res dabei herausgekommen als das hier. War nur er alle<strong>in</strong> verrückto<strong>de</strong>r waren es alle an<strong>de</strong>ren um ihn herum?„Gar nicht so schlecht, Pimpf - für das erste Mal.“ Der Chef<strong>in</strong>genieur <strong>de</strong>r Oxford riss dasPapier vom Haken. „Bist eben noch Jungfrau.“Lan<strong>de</strong>r wandte <strong>de</strong>n Blick ab und errötete bis unter <strong>die</strong> Haarwurzeln. Als er Chief PettyOfficer Waylands Gehilfen neben sich gr<strong>in</strong>sen sah, hatte er genug.„Mister Wayland, ich wäre Ihnen wirklich sehr verbun<strong>de</strong>n, wenn Sie mich nicht mehrPimpf nennen wür<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn Sir.“Der Gehilfe lachte daraufh<strong>in</strong> auf, <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re da <strong>de</strong>r gut zwanzig Jahre ältere und e<strong>in</strong>enguten Kopf größere Techniker <strong>de</strong>n Offizier aus absichtlich weit aufgerissenen Augenansah. „Wie soll ich Sie nennen, Sportsfreund?“Lan<strong>de</strong>r holte tief Luft und rang krampfhaft um se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Ruhe. „Me<strong>in</strong>etwegen nennenSie mich Sub o<strong>de</strong>r Mister Lan<strong>de</strong>r - wenn schon nicht Lieutenant, - aber auf ke<strong>in</strong>en Fall


Pimpf, Kle<strong>in</strong>er, Sportsfreund, Jungfrau o<strong>de</strong>r sonst wie!“ Auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie hatte man ihmbeigebracht, sich zu behaupten. Das hatte er jetzt auch vor.„Aber sicher, Freundchen. Hugh, gib mir <strong>die</strong> Ersatzscheibe.“ Wayland befestigte sieseelenruhig am Halter und stieß <strong>de</strong>n Verla<strong>de</strong>kran dann wie<strong>de</strong>r zurück, bis <strong>de</strong>r Haken mite<strong>in</strong>em lauten Peng am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schiene anlangte.Wie schon so oft <strong>in</strong> <strong>de</strong>r letzten halben Stun<strong>de</strong>, als <strong>de</strong>r Ingenieur ihn <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Umgang mitHandfeuerwaffen e<strong>in</strong>gewiesen hatte, ganz so als ob Lan<strong>de</strong>r noch nie e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Handgehabt hätte, waren wie<strong>de</strong>r Crewmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Freiwache aufgetaucht und sahen zu.Trotz <strong>de</strong>r frühen Uhrzeit wollten sie <strong>de</strong>n Spaß haben und <strong>de</strong>m Spektakel beiwohnen. Eswar mittlerweile fünf Uhr morgens, und Lan<strong>de</strong>r hatte das Gefühl, überhaupt nichtgeschlafen zu haben. Vor weniger als e<strong>in</strong>er Stun<strong>de</strong> hatte se<strong>in</strong>e zweite Schicht <strong>de</strong>s erstenTages geen<strong>de</strong>t. Er wusste mittlerweile genau, was Fowley geme<strong>in</strong>t hatte, als er davonsprach, so viel wie möglich zu schlafen. Lei<strong>de</strong>r hatte Lan<strong>de</strong>r es kaum beherzigt, als erzwischendurch nach <strong>de</strong>m Tee freigehabt hatte. Nun wusste er es besser, aber das halfihm jetzt nichts mehr.„So und jetzt das gleiche Verfahren. Ich nehme <strong>die</strong> Zeit, Sie Jungspund.“Erneut wusste Lan<strong>de</strong>r, dass er besser hätte aufpassen sollen. Wayland hatte ihn nichtumsonst mit <strong>de</strong>r ganzen Theorie gelangweilt, aber erst nach<strong>de</strong>m er fertig gewesen war<strong>de</strong>n Grund genannt. Vor je<strong>de</strong>r Run<strong>de</strong> musste <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant <strong>die</strong> Waffeause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rnehmen und dann auf Zeit komplett zusammensetzen. Erst danach durfte erschießen. Das ihm zugestan<strong>de</strong>ne Limit lag bei zwei M<strong>in</strong>uten - <strong>in</strong>klusive <strong>de</strong>s Zielens undTreffens - und war damit e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig zu knapp. Beim ersten Versuch hatte er fast fünfgebraucht, weil es nicht h<strong>in</strong>gehauen hatte. Und dann auch noch <strong>die</strong> Bemerkung danach…„Go!“, komman<strong>die</strong>rte <strong>de</strong>r Ingenieur, noch während <strong>de</strong>r Dritte Offizier darübernachgrübelte, wieso jemand wie Wayland als Techniker überhaupt e<strong>in</strong> guter Schütze war.Wie<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g es los. Er griff zur Waffe, setzte sie zusammen, schraubte zuletzt <strong>de</strong>n kurzenLauf fest, wobei ihm das D<strong>in</strong>g herunterfiel, was e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Zuschauer zum Lachen reizte,konzentrierte sich noch mehr, setzte das Magaz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>, spannte <strong>de</strong>n Hahn und nahm Maß.Als er schon <strong>de</strong>n Zeigef<strong>in</strong>ger gekrümmt hatte, bekam <strong>de</strong>r neben ihm stehen<strong>de</strong> PettyOfficer e<strong>in</strong>en Hustenanfall. Die Schüsse g<strong>in</strong>gen allesamt daneben und trafen <strong>die</strong> an <strong>de</strong>rSchiffswand aufgestapelten leeren Kisten.„Verflucht noch mal!“„263 Sekun<strong>de</strong>n. Besser als letztes Mal, Schätzchen.“„Hören Sie endlich auf damit! Das war <strong>in</strong> hohem Maß unfair!“, explo<strong>die</strong>rte Lan<strong>de</strong>r.Während er sich am Kopf kratzte, betrachtete <strong>de</strong>r Ingenieur ihn. „Tja, Junge. Wenn duerst mal mitgehst…“„… wird niemand fair zu Ihnen se<strong>in</strong>. Dann wer<strong>de</strong>n Sie nicht durch Husten abgelenkt, Sub,son<strong>de</strong>rn durch Projektile, <strong>die</strong> vielleicht knapp neben Ihnen e<strong>in</strong>schlagen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n vorIhnen Gehen<strong>de</strong>n treffen und stürzen lassen. Auch Ihr Ziel wird sich bewegen,höchstwahrsche<strong>in</strong>lich gleichzeitig versuchen, Sie zu treffen, und mehr Erfahrung mit <strong>de</strong>rWaffe haben als Sie! Plus e<strong>in</strong>e höhere Treffsicherheit.“Zu Lan<strong>de</strong>rs Missfallen nahmen <strong>de</strong>r Ingenieur und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren tatsächlich Haltung an.„Mister Fowley, ich dachte Sie wären auf <strong>de</strong>r Brücke?“„Der Exec war so freundlich, mich h<strong>in</strong>unter zu lassen. Ich wollte mir <strong>die</strong> Fortschritteunseres Neuen ansehen.“„Da gibt es lei<strong>de</strong>r noch nicht viel zu sehen, Sir.“ Der Ingenieur legte leichtes Bedauern <strong>in</strong>se<strong>in</strong>e Stimme. „Er ist eben e<strong>in</strong> absoluter Anfänger.“Voller Wut platzte Lan<strong>de</strong>r heraus: „Für so was gibt es ja normalerweise auch <strong>die</strong>Schiffswache!“„Auf <strong>de</strong>r Norfolk vielleicht, Sub. Dies hier ist aber nicht <strong>die</strong> Norfolk! Hier kommt <strong>die</strong> werteArmy nicht h<strong>in</strong>, also müssen wir uns selbst helfen.“ Fowley nahm ihm <strong>die</strong> Waffe aus <strong>de</strong>rverschwitzten Hand, sicherte sie und entfernte dann das Magaz<strong>in</strong>. Lan<strong>de</strong>r konnte kaumzu sprechen ansetzen, als <strong>die</strong> Waffe auch schon komplett zerlegt war. Durch e<strong>in</strong>enMar<strong>in</strong>eoffizier <strong>de</strong>r Royal Navy!„Nehmen Sie bitte me<strong>in</strong>e Zeit, Chief? Ich glaube, hier wird etwas Anschauungsunterrichtbenötigt.“Zum Zuschauer <strong>de</strong>gra<strong>die</strong>rt sah Lan<strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r sauertöpfisch zu, wie se<strong>in</strong>Vorgesetzter nach <strong>de</strong>m Go loslegte und <strong>die</strong> Waffe zusammensetzte, ohne auch nur e<strong>in</strong>en


falschen Handgriff zu tun. Es schien unendlich leichte Rout<strong>in</strong>e zu se<strong>in</strong>. Die sieben Schüssebrachen kurz h<strong>in</strong>tere<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Stille auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck.„57 Sekun<strong>de</strong>n, Sir.“„Holt das Blatt her!“, befahl Fowley unbewegt.Patrick Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>gegen stand dumm da. Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal.Die Treffer waren weitaus besser auf <strong>de</strong>m Blatt verteilt als se<strong>in</strong>e es je gewesen waren –egal, ob hier o<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie.„Der wäre jetzt viermal tot, Sir.“„Trotz<strong>de</strong>m waren Sie schon besser, Lieutenant“, mel<strong>de</strong>te sich Lionel K<strong>in</strong>gsham zu Wort.Umgehend nahmen alle Leute auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck erneut Haltung an.„57 Sekun<strong>de</strong>n liegen noch unter <strong>de</strong>m oberen Limit, Comman<strong>de</strong>r“, erhob FowleyE<strong>in</strong>spruch. Lan<strong>de</strong>r verme<strong>in</strong>te, e<strong>in</strong> leichtes Zittern <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stimme zu hören.„Um drei Sekun<strong>de</strong>n, ja. Trotz<strong>de</strong>m sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> Zeit zu Hause <strong>in</strong> Bretonia Ihnen nicht gutgetan zu haben. Sie haben es schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> etwas über e<strong>in</strong>er halben M<strong>in</strong>ute geschafft,Lieutenant. Sie können <strong>de</strong>m Dritten Offizier daher noch weitere an<strong>de</strong>rthalb Stun<strong>de</strong>nUnterricht geben, wo Sie schon dabei s<strong>in</strong>d. Der Chief lässt sich sicherlich gerne ablösen.Üben Sie selbst noch e<strong>in</strong> bisschen, <strong>de</strong>nn nächstes Mal gehen Sie wie<strong>de</strong>r mit raus. Um0630 sollten wir übrigens Douglas Station erreicht haben. Dann können Sie auchaufhören.“E<strong>in</strong> Gr<strong>in</strong>sen, das auf mehreren Gesichtern erschien, gab Lan<strong>de</strong>r Rätsel auf. Er verbarg esjedoch gut, als <strong>de</strong>r Kommandant sich noch e<strong>in</strong>mal umsah, Wayland zunickte und <strong>de</strong>nLeuten „Gute Nacht allerseits!“ wünschte.„Nacht, Skipper!“, rief Wayland zurück und fuhr dann herum. „Wegtreten! Ihr habt fürheute genug gegafft! Pennt lieber aus!“B<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute war das Hangar<strong>de</strong>ck wie leergefegt. Bis auf sie bei<strong>de</strong>.„Douglas Station ist gleich Auspennen, Sir?“„So könnte man es nennen, Sub.“ Fowley, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Waffe gedankenverloren angestarrthatte, atmete tief durch. Erneut me<strong>in</strong>te Lan<strong>de</strong>r, Tränen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s ZweitenOffiziers zu sehen.„Was hat er gera<strong>de</strong> geme<strong>in</strong>t, Sir?“„Womit?“Lan<strong>de</strong>r wusste, dass Fowley genau ahnte, was <strong>die</strong> Nachfrage be<strong>de</strong>utete. „Wenn Sie mirerlauben…“„Ihr Fehler ist, dass Sie zu viel fragen, Sub. Sie sollten das wirklich unterlassen!“ Fowleybefestigte e<strong>in</strong> neues Blatt Papier mit Zielmarkierung an <strong>de</strong>m Deckenhaken und stieß ihndann erneut von sich.„Ich wollte doch nur…“„Lassen Sie es! Ich will Ihre verdammte Hilfe nicht!“ Wutentbrannt rammte Fowley e<strong>in</strong>neues Magaz<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Schusswaffe und feuerte direkt nach <strong>de</strong>m Entsichern. DasMaßnehmen war e<strong>in</strong>fach aus <strong>de</strong>m Handgelenk erfolgt, obwohl das Papier noch flatterte.Auch ohne es direkt vor sich zu haben, hatte Lan<strong>de</strong>r genug gesehen, um zu glauben,dass ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r sieben Schüsse sehr weit von <strong>de</strong>r Markierung <strong>de</strong>s Herzens entferntgewesen war. Diese tödliche Präzision erschreckte ihn, <strong>de</strong>nn Fowley hatte mit Sicherheitschon auf Menschen geschossen.Noch verstörter war er allerd<strong>in</strong>gs über <strong>die</strong> jetzt fließen<strong>de</strong>n Tränen auf Fowleys Wangen.Zögerlich machte er e<strong>in</strong>en langen Schritt und nahm <strong>de</strong>m Vorgesetzten ungeschickt <strong>die</strong>Waffe aus <strong>de</strong>r Hand.„Wenn noch e<strong>in</strong>e Patrone im Magaz<strong>in</strong> gewesen wäre, hätten Sie sich jetzt vermutlichselbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Fuß geschossen, Sub. Ich weiß wirklich nicht, woh<strong>in</strong> das mit Ihnen nochführen soll.“ Es war e<strong>in</strong> kläglicher Versuch, witzig zu se<strong>in</strong>. Sogar Lan<strong>de</strong>r durchschaute ihnspielend. Er fühlte sich angesichts <strong>de</strong>r Tränen hilflos.„Keith…“ Fowley starrte auf <strong>die</strong> Waffe <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Hand. „Ich… ich habe seit<strong>de</strong>m nichtmehr…“„Kommen Sie, Sir. Ich glaube, wir s<strong>in</strong>d hier fertig.“Erstaunlicherweise war das genau <strong>de</strong>r Ton, <strong>de</strong>r anschlug. „Ne<strong>in</strong>!“ Das war so heftiggekommen, dass Lan<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>zu zusammenzuckte.„Daniel, ich halte es wirklich für besser…“


„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, ich entschei<strong>de</strong> hier von uns bei<strong>de</strong>n. Nehmen Sie <strong>die</strong> verdammteWaffe ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r! Wenn Sie noch e<strong>in</strong>mal vergessen, sie zu sichern, bevor Sie etwas mitihr machen, lasse ich Sie das Kapitel <strong>de</strong>s Handbuches zum Thema Schusswaffengebrauchzehnmal auf Papier abschreiben. Wissen Sie, wie viele Seiten das s<strong>in</strong>d?“Mit möglichst neutraler Stimmer erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r auf e<strong>in</strong>en Punkt h<strong>in</strong>ter Fowleystarrte, um <strong>de</strong>ssen verwe<strong>in</strong>tes Gesicht möglichst effektiv zu ignorieren, langsam: „Ne<strong>in</strong>,Sir.“„Es s<strong>in</strong>d elf verdammte eng bedruckte Computerseiten! Wollen Sie mehr als 220 Seitenvon Hand schreiben?“Menschen g<strong>in</strong>gen unterschiedlich mit Stress um. Wie<strong>de</strong>r lernte Patrick Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>ewichtige Lektion. Daniel Fowley wur<strong>de</strong> schnippisch o<strong>de</strong>r ärgerlich, wenn er se<strong>in</strong>e eigeneSchwäche verbergen wollte. „Ne<strong>in</strong>, Sir. Das möchte ich nicht.“„Dann fangen Sie jetzt endlich an! Ich habe Ihnen e<strong>in</strong>en Befehl erteilt!“„Ja, Lieutenant.“So sehr ihm auch <strong>die</strong> Beurteilungsmaßstäbe fehlen mochten, e<strong>in</strong>en Daniel Fowley hattees auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie nicht gegeben. Die dortigen Offiziere waren sicherlich nichtrepräsentativ für das ganze Militär, aber <strong>de</strong>r leicht aus <strong>de</strong>r Fassung geraten<strong>de</strong> ZweiteOffizier <strong>de</strong>r Oxford war e<strong>in</strong>e Klasse für sich. Er war nicht ganz normal.An<strong>de</strong>rerseits hatte er vor etwas mehr als vierundzwanzig Stun<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>e jüngereSchwester begraben. Das konnte jeman<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Bahn werfen. Genau wie <strong>de</strong>r kurzzuvor erlittene Verlust e<strong>in</strong>es guten Freun<strong>de</strong>s.Die genauen Zusammenhänge wur<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r jedoch erst klar, als <strong>de</strong>r Kreuzer sich imOrbit <strong>de</strong>r Station befand und auch sie endlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Genuss <strong>de</strong>r Freizeit kamen. DerZweite Offizier hatte das Schiesstra<strong>in</strong><strong>in</strong>g wie befohlen durchgezogen und war nur e<strong>in</strong>malkurz verschwun<strong>de</strong>n, um sich das Gesicht zu waschen. Als Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Ravennach <strong>de</strong>m Herunterregeln <strong>de</strong>s Antriebes von <strong>de</strong>r Brücke kam, um sie zu erlösen undLan<strong>de</strong>rs Fortschritte zu überprüfen, fand er e<strong>in</strong>en Sub-Lieutenant vor, <strong>de</strong>r immerh<strong>in</strong>schon nur noch drei M<strong>in</strong>uten anstelle von fünf brauchte.Nach<strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>r erneut geduscht hatte, fand er Fowley noch <strong>in</strong> voller Uniform auf <strong>de</strong>mBett vor. Vor ihm auf <strong>de</strong>m Kissen lag e<strong>in</strong> gerahmtes Bild.Als er stumm h<strong>in</strong>zugetreten war, um es anzusehen - nicht genau wissend, ob dasgestattet war o<strong>de</strong>r nicht - hatte Fowley zuerst Anstalten gemacht, es unter <strong>de</strong>m Kissenverschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n zu lassen. Der Vorgesetzte hatte sich jedoch dagegen entschie<strong>de</strong>n undreichte es Lan<strong>de</strong>r zögerlich.Als <strong>de</strong>r junge Dritte Offizier e<strong>in</strong>en Blick darauf warf, verstand er vieles. „Me<strong>in</strong> Gott.“E<strong>in</strong>er auf <strong>de</strong>m Foto war ganz klar Fowley. Es war e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer, lächeln<strong>de</strong>r Fowley <strong>in</strong> Zivil,<strong>de</strong>r zusammen mit e<strong>in</strong>em wenige Jahre älteren, rothaarigen Mann e<strong>in</strong> Mädchen im Armhielt, das sich auf <strong>die</strong> Schultern <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n stützte und ebenfalls <strong>in</strong> ihrem Alter war. DieMänner hätten <strong>de</strong>r Größe nach Brü<strong>de</strong>r se<strong>in</strong> können, aber sie waren es nicht. DasMädchen h<strong>in</strong>gegen war Daniel Fowley wie aus <strong>de</strong>m Gesicht geschnitten. Im H<strong>in</strong>tergrundsah man <strong>de</strong>n Nachbau <strong>de</strong>r berühmten St. Paul’s Cathedral von Terra.Er wusste, wer <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n waren, ohne nachzufragen. In e<strong>in</strong>em Fall sah er es, <strong>in</strong> <strong>de</strong>man<strong>de</strong>ren brauchte er nicht lange zu raten.„Es tut mir so leid, Daniel.“Der zu e<strong>in</strong>er Antwort nicht fähige Fowley nickte und nahm das Bild wie<strong>de</strong>r an sich. Erpresste es kurz an se<strong>in</strong>e Brust und fuhr dann mit <strong>de</strong>m F<strong>in</strong>ger über <strong>die</strong> Gesichter <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren. „Die bei<strong>de</strong>n wollten…“ Das Schluchzen brach explosionsartig hervor. „…heiraten.“„Was ist passiert?“ Lan<strong>de</strong>r befürchtete fast, dass Fowley es ihm nicht sagen wür<strong>de</strong>, aber<strong>de</strong>r Zweite Offizier sprach weiter, ohne ihn zu verstehen:„Sie waren wie füre<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r geschaffen… wir alle waren es. Drei Freun<strong>de</strong>, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>enFreundschaftseid geschworen haben, e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r nie zu verlassen. Esther und Keith warenmit Abstand <strong>die</strong> wichtigsten Menschen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben. Und dann…“ Es schüttelte <strong>de</strong>nLieutenant, und er wischte sich immer wie<strong>de</strong>r über das Gesicht. „… hat es ihn vor me<strong>in</strong>enAugen…“Ke<strong>in</strong> Kurs <strong>de</strong>r Welt bereitete auf solche Situationen vor, aber Lan<strong>de</strong>r tat <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv dasRichtige und nahm Fowleys zittern<strong>de</strong> Hand. „Du musst es nicht aussprechen. Ich weißBescheid. Danke, dass du es mir gezeigt hast.“


„Sie hat es nicht verwun<strong>de</strong>n, Patrick. Vor elf Tagen ist er im E<strong>in</strong>satz gefallen… und e<strong>in</strong>eWoche nach se<strong>in</strong>em Tod hat sie sich selbst umgebracht! Esther hat sich mit e<strong>in</strong>emFamilienerbstück aus <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>rzeit mitten durchs Herz gestochen. Genau dort hat ihn<strong>die</strong> Kugel auch getroffen. Ich kam nach Hause, und im Salon war noch das ganze Blutvon ihr. So wie Keiths auf Freeport 5... und ich b<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Letzte. Sie haben ihren Schwurgebrochen und mich alle<strong>in</strong> gelassen! Bei Keith habe ich versagt, weil ich es nicht kommengesehen habe… und <strong>in</strong> Esthers Fall ebenso. Bei bei<strong>de</strong>n habe ich nichts mehr von ihnengesehen außer ihrem Blut…“Irgendwie war Patrick Lan<strong>de</strong>r dankbar dafür, dass <strong>de</strong>r aufgelöste Fowley endlich schwieg.Er sah <strong>die</strong> zärtliche Geste, mit <strong>de</strong>r se<strong>in</strong> Vorgesetzter erneut <strong>die</strong> Gesichter berührte. Erhatte das Gefühl, zu stören, und bewegte sich <strong>de</strong>shalb zur Tür.Kurz bevor er gehen konnte, rief Fowley ihn jedoch zurück: „Bitte bleib! Ich möchte jetztnicht alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>.“Lan<strong>de</strong>r konnte <strong>die</strong> Bil<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf nicht verdrängen, aber er gab sich Mühe,wenigstens se<strong>in</strong>e Stimme zu kontrollieren, als er versprach: „Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> fünf M<strong>in</strong>utenwie<strong>de</strong>r da, Daniel. Ich hole uns bei<strong>de</strong>n nur Tee, ja? Danach kannst du mir mehr erzähleno<strong>de</strong>r schweigen, ganz wie du willst. Schweigen können wir auf Planet Leeds auch gut.“Der Zweite Offizier g<strong>in</strong>g auf <strong>de</strong>n schlechten Scherz nicht e<strong>in</strong>, aber er nickte schwach.So g<strong>in</strong>g Patrick Lan<strong>de</strong>r zur Offiziersmesse, um Tee mit Schuss aufzubrühen. O<strong>de</strong>r Schussmit Tee. Er war jedoch nicht bei <strong>de</strong>r Sache, <strong>de</strong>nn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf spukten Bil<strong>de</strong>r von e<strong>in</strong>erganz an<strong>de</strong>ren Welt herum. Er war selbst noch nie auf Planet New London gewesen. Washätte er dort auch tun sollen? Er kannte auf jener Welt nieman<strong>de</strong>n. Es war DanielFowleys Welt und <strong>die</strong>jenige von Keith Parry sowie Esther Fowley gewesen. Jener EstherFowley, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Familienwaffe genommen hatte und sich nach Parrys Tod selbstumgebracht hatte. Esther Fowley, Zwill<strong>in</strong>gsschwester von Daniel Fowley.Als er nach e<strong>in</strong>er Viertelstun<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rgekommen war, schlief se<strong>in</strong> Zimmergenosse tiefund fest. Das Bild drohte vom Bett zu rutschen, also hob Lan<strong>de</strong>r es auf und legte es auf<strong>die</strong> Ablage. Dann leerte er <strong>de</strong>n Tee <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ausguss im Bad und schlich auf Zehenspitzenzu se<strong>in</strong>em eigenen Bett zurück. Er hatte das Angebot Fowley zuliebe gemacht, aber da<strong>de</strong>r ja jetzt schlief, konnte Lan<strong>de</strong>r zum Glück auf das grausige Gesöff verzichten.Trotz<strong>de</strong>m fand er lange ke<strong>in</strong>en Schlaf, <strong>de</strong>nn er musste an das junge Mädchen und anParry <strong>de</strong>nken. Fowley hatte ke<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong>, so viel hatte er gera<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>n Zeilenverstan<strong>de</strong>n. Irgendwie wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r neben all se<strong>in</strong>en eigenen Problemen e<strong>in</strong> Auge aufihn haben müssen, <strong>de</strong>nn sonst fürchtete er <strong>in</strong>sgeheim, bald selbst Zweiter Offizier zuse<strong>in</strong>. Er benei<strong>de</strong>te <strong>de</strong>n Mann irgendwie, <strong>de</strong>nn Lan<strong>de</strong>r selbst hatte nie e<strong>in</strong>enFreundschaftseid mit irgendwem geschworen. Vielleicht war das aber auch besser so. Vorallem war er dankbar dafür, dass er ke<strong>in</strong>e Geschwister hatte. So wür<strong>de</strong> sich niemandumbr<strong>in</strong>gen, wenn er fallen sollte. Nur se<strong>in</strong>e Eltern wür<strong>de</strong>n um ihn trauern.Bei <strong>die</strong>sem Gedanken erschrak er doch. Mit 19 Jahren sollte man noch nicht an <strong>de</strong>neigenen Tod <strong>de</strong>nken, wie er sehr genau wusste. Vor allem hatte er gar nicht an <strong>de</strong>n Fallwenn gedacht, son<strong>de</strong>rn eher wann. Etwas mehr als e<strong>in</strong> Tag auf <strong>de</strong>r Oxford hatte gereicht,und alle se<strong>in</strong>e Illusionen waren geschwun<strong>de</strong>n. Sie hatten <strong>de</strong>r knallharten Realität <strong>de</strong>rGrenzwelten nicht standgehalten.Er tröstete sich mit etwas an<strong>de</strong>rem, auch wenn es nur ger<strong>in</strong>g zu bewerten war. Fowleyhatte ihm alles erzählt. Natürlich nur, weil niemand an<strong>de</strong>rs verfügbar gewesen war, abertrotz<strong>de</strong>m fühlte Lan<strong>de</strong>r sich geehrt. Er hatte kurz an e<strong>in</strong>em Leben teilhaben dürfen, von<strong>de</strong>m er nie auch nur geträumt hatte. Dieses geschenkte Vertrauen gab ihm das Gefühl,wenigstens e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben gebraucht wor<strong>de</strong>n und für etwas gut gewesen zuse<strong>in</strong>. Auch wenn es nur jemand wie Daniel Fowley war, <strong>de</strong>r ihn bald fallen lassen wür<strong>de</strong>,wenn es ihm wie<strong>de</strong>r besser g<strong>in</strong>ge. Patrick Lan<strong>de</strong>r gehörte eben nicht zu jener gehobenenGesellschaftsklasse, <strong>die</strong> alle ihre Vorfahren bis zur Besie<strong>de</strong>lungszeit von Sirius unddarüber h<strong>in</strong>aus kannte, und er wusste im direkten Vergleich nur allzu genau um se<strong>in</strong>eM<strong>in</strong><strong>de</strong>rwertigkeit. Und doch war er dankbar, dass Fowley ihm <strong>die</strong>s alles erzählt hatte undnicht etwa se<strong>in</strong>em Vorgesetzten Erasmus Raven. Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r fühlte sichdadurch ab jetzt e<strong>in</strong>en halben Zentimeter größer.


Kapitel II – FeuerprobeMit e<strong>in</strong>em lauten Räuspern betrat Lionel K<strong>in</strong>gsham mit Erasmus Raven im Gefolge <strong>die</strong>Offiziersmesse. „Guten Morgen, <strong>die</strong> Herren.“Erschrocken sprang Patrick Lan<strong>de</strong>r von se<strong>in</strong>em Stuhl auf. Er kaute gera<strong>de</strong> noch an e<strong>in</strong>emStück Toast mit Rührei.Daniel Fowley, <strong>de</strong>r ihm gegenübergesessen hatte und es langsamer angehen ließ, gr<strong>in</strong>steverhalten, als er hörte, wie se<strong>in</strong> jüngerer Kollege mit <strong>de</strong>m Knie gegen <strong>de</strong>n Tisch prallte.Das Geschirr klirrte vernehmlich.„Lassen Sie doch bitte das Mobiliar stehen, Sub“, ta<strong>de</strong>lte Raven <strong>de</strong>n Dritten Offizier.Lan<strong>de</strong>r stand leicht schief und verbiss sich mühsam e<strong>in</strong>en Fluch, während sie <strong>de</strong>nobligatorischen Salut tauschten.„Ist hier noch frei?“ E<strong>in</strong>e überflüssige Frage, <strong>die</strong> jedoch von <strong>de</strong>m angesprochenenZweiten Offizier mit e<strong>in</strong>em obligatorischen „Natürlich, Comman<strong>de</strong>r.“ beantwortet wur<strong>de</strong>.Daniel Fowley war heute Morgen wie<strong>de</strong>r ganz auf <strong>de</strong>r Höhe. Wenn Lan<strong>de</strong>r nicht genaugewusst hätte, dass er es nicht geträumt hatte, wür<strong>de</strong> er es kaum geglaubt haben. DerLieutenant war e<strong>in</strong> Meister im Verbergen se<strong>in</strong>er Gefühle, wie es schien.„Das Übliche, Lionel?“, fragte Raven.„Sicher, Erasmus. Danke.“Die bei<strong>de</strong>n ranghöchsten Offiziere <strong>de</strong>r Oxford waren wohl gute Freun<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r sie kanntensich schon sehr lange, wie Lan<strong>de</strong>r spekulierte.„Setzen Sie sich bitte wie<strong>de</strong>r. Lassen Sie Ihr Ei doch nicht wegen uns kalt wer<strong>de</strong>n.“Als er wie angewiesen wie<strong>de</strong>r saß, begann Lan<strong>de</strong>r umso schneller das BretonianBreakfast <strong>in</strong> sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> zu schaufeln. Sogar von <strong>de</strong>m ihm so verhassten schwarzen Teetrank er e<strong>in</strong>iges.„Machen Sie heute wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Übung mit Mister Lan<strong>de</strong>r, Lieutenant?“, wollte Ravenbeiläufig wissen, als er mit zwei hoch bela<strong>de</strong>nen Tellern an <strong>de</strong>n Tisch zurückkehrte un<strong>de</strong><strong>in</strong>en davon vor se<strong>in</strong>en Vorgesetzten h<strong>in</strong>stellte. K<strong>in</strong>gsham dankte es ihm mit e<strong>in</strong>emLächeln.„Ich hatte es eigentlich vor, Sir“, gab Fowley zur Antwort.„Sehr gut. Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass Sie weitere Fortschritte machen wer<strong>de</strong>n, Sub. Siehaben gleich zwei gute Lehrer.“„Woher hat Chief Petty Officer Wayland se<strong>in</strong>e genauen Kenntnisse auf <strong>die</strong>sem Gebiet,Sir?“, mischte Lan<strong>de</strong>r sich vorsichtig e<strong>in</strong>, aber er empf<strong>in</strong>g sofort e<strong>in</strong>en Blick von Fowley,<strong>de</strong>r ihn ärgerte und <strong>de</strong>n er nicht zu <strong>de</strong>uten wusste. Fast schien es so, als wolle <strong>de</strong>rVorgesetzte ihn daran er<strong>in</strong>nern, dass er sich noch bewähren musste und daher ke<strong>in</strong>Recht hatte, <strong>de</strong>n Senioroffizieren Fragen zu stellen.„Er war früher bei <strong>de</strong>n Royal Mar<strong>in</strong>es, Lieutenant“, klärte <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r ihn auf. Erschien heute sehr gute Laune zu haben. „Me<strong>in</strong> Gott, Sie essen, als hätten Sie seit Tagennichts mehr bekommen!“Genau genommen hatte Lan<strong>de</strong>r ja wirklich seit <strong>de</strong>m Frühstück zu Hause vor mehr alsdreißig Stun<strong>de</strong>n nichts mehr gegessen, aber er hatte auch kaum Hunger verspürt.Gewisse D<strong>in</strong>ge hatten ihm bis heute Morgen <strong>de</strong>n Appetit verdorben.„Umso besser.“ Auch Raven lächelte, genau wie Fowley.„Scha<strong>de</strong>n wird’s ihm sicherlich nicht, Sir.“ Der Zweite Offizier gr<strong>in</strong>ste <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>sErsten.Es war Spott, aber er war nicht böse geme<strong>in</strong>t, wie Lan<strong>de</strong>r jetzt begriff. Trotz<strong>de</strong>m schossihm das Blut <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wangen, und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren lachten darüber.Raven wur<strong>de</strong> als Erster wie<strong>de</strong>r ernst. „Sie nehmen Ihre neuen Ausbildungspflichten sehrernst, aber das habe ich auch nicht an<strong>de</strong>rs erwartet.“Wie e<strong>in</strong> schwarzer Schatten glitt <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung über Fowleys Züge, bis er sich wie<strong>de</strong>rgefangen hatte. „Danke, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.“K<strong>in</strong>gsham wischte sich <strong>de</strong>n Mund mit se<strong>in</strong>er Serviette ab. „Trauen Sie sich zu, wie<strong>de</strong>r mitrauszugehen, wenn <strong>de</strong>r nächste E<strong>in</strong>satz kommt?“„Das ist me<strong>in</strong> Job, Sir.“Es schien nur Lan<strong>de</strong>r so, als ob se<strong>in</strong> Zimmergenosse bei <strong>de</strong>r Antwort e<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong>gezögert hatte.


„Sehr gut. Man weiß ja nie, wann <strong>die</strong>se E<strong>in</strong>sätze kommen.“„Lei<strong>de</strong>r kann man es sich selten aussuchen“, stimmte Raven <strong>de</strong>m Kommandanten zu.Auch er legte se<strong>in</strong> Besteck kurz beiseite. „Wie sieht es mit Ihnen aus, Mister Lan<strong>de</strong>r?“Sie sahen ihn alle an. Erstmalig fiel <strong>de</strong>m Leedser auf, wie kle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Offizierskant<strong>in</strong>e dochwar. Nur vier von ihnen, da <strong>die</strong> Unteroffiziere e<strong>in</strong>e eigene größere Messe hatten. In <strong>de</strong>rRoyal Navy blieben <strong>die</strong> Offiziere am liebsten unter sich, das hatte er bereits gelernt.„Mir sche<strong>in</strong>t, dass Sie sich nicht richtig trauen, <strong>in</strong> unserer Gegenwart <strong>de</strong>n Mundaufzumachen, Lieutenant. Ich hoffe, dass Sie Mister Fowley gegenüber offener s<strong>in</strong>d.“„Ich habe ke<strong>in</strong>en Grund zur Klage, Comman<strong>de</strong>r“, sprang <strong>de</strong>r Zweite Offizier prompt e<strong>in</strong>.„Bitte haben Sie Nachsicht mit ihm. Unser Junioroffizier muss sich erst e<strong>in</strong>leben. DerÜbergang von <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Wirklichkeit ist sehr abrupt.“Der Kommandant nickte wohlwollend. Lan<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>r Hunger <strong>in</strong>zwischen wie<strong>de</strong>rvergangen, aber se<strong>in</strong> Teller war sowieso fast leer. Er fühlte sich seltsam befangen, aberer spürte, dass <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren immer noch auf e<strong>in</strong>e Antwort warteten. Insbeson<strong>de</strong>re Raven,<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Blick nicht von ihm wandte.„Ich wer<strong>de</strong> mir Mühe geben, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r wusste nicht, ob er es eher zu Raven o<strong>de</strong>r zuK<strong>in</strong>gsham sagte.„Das erwarten wir auch von Ihnen. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st das.“ Der Erste Offizier schienzufrie<strong>de</strong>ngestellt, aber er ließ <strong>de</strong>nnoch e<strong>in</strong>en Hammer los: „Schließlich müssen Sie <strong>in</strong>wenigen Tagen <strong>die</strong> Planstelle e<strong>in</strong>es erfahreneren Offiziers besetzen.“„Wie bitte, Sir?“, rutschte es ihm heraus, obwohl er <strong>de</strong>utlich sah, dass Fowley <strong>de</strong>n Blicksenkte.„Nun ja, eigentlich hatten wir um e<strong>in</strong>en Lieutenant mit E<strong>in</strong>satzerfahrung gebeten,vorzugsweise <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten. Sofern man <strong>die</strong> Admiralität eben um etwas bittenkann“, übernahm Raven <strong>die</strong> Aufklärung.„Aber… ich… das wusste ich nicht, Sir“, stotterte Lan<strong>de</strong>r.„Je<strong>de</strong>nfalls s<strong>in</strong>d Sie nun hier, Lieutenant. Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass es h<strong>in</strong>hauen wird. Wirhatten schon oft Leute von <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie, weil erfahrene gute Leute immer schwer zubekommen s<strong>in</strong>d.“ K<strong>in</strong>gsham setzte noch nachträglich h<strong>in</strong>zu: „Und junge Leute wie Siehaben immerh<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Vorteil, dass sie sich noch ausbil<strong>de</strong>n lassen und nicht glauben,bereits alles zu wissen. Das kann hier draußen leicht tödlich en<strong>de</strong>n.“In Gedanken ergänzte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Worte <strong>de</strong>s Comman<strong>de</strong>rs dah<strong>in</strong>gehend, dass niemandmit e<strong>in</strong>igem Wissen und genügend E<strong>in</strong>satzerfahrung freiwillig auf e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en,unwichtigen Patrouillenkreuzer <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten g<strong>in</strong>g, wo <strong>de</strong>r Dienst ansche<strong>in</strong>endtäglich lebensgefährlich war. So viel konnte er mittlerweile schlussfolgern.„Ja, und ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass Lieutenant Fowley e<strong>in</strong>ige Fehler <strong>de</strong>r Vergangenheit, <strong>die</strong><strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Ausbildung hier an Bord seitens se<strong>in</strong>es Vorgängers Parry gemacht wur<strong>de</strong>n, nichtwie<strong>de</strong>rholen wird.“Atemlos sah Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Zweiten Offizier an und zählte gedanklich <strong>die</strong> Sekun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rStille, aber Fowley sah Raven schließlich gleichmütig <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. „Ich gebe mir Mühe,Sir. Mehr kann ich nicht tun.“ Es war e<strong>in</strong>e fast wörtliche Wie<strong>de</strong>rholung von Lan<strong>de</strong>rsvorheriger gezwungener Entgegnung.„Das will ich auch hoffen. Schließlich s<strong>in</strong>d Sie selbst noch unerfahren.“„Nun lass mal, Erasmus. Mister Fowley besitzt me<strong>in</strong> vollstes Vertrauen und…“E<strong>in</strong> lautes Knacken ließ Lan<strong>de</strong>r zusammenfahren. Er suchte <strong>die</strong> Quelle <strong>de</strong>s Lautes, aberda begann das bisher so selten gehörte Intercom loszuplärren: „Comman<strong>de</strong>r bitte sofortauf <strong>die</strong> Brücke!“Es war Waylands Stimme. Die Meldung war knapp, aber fast sofort waren K<strong>in</strong>gsham undRaven auf <strong>de</strong>n Be<strong>in</strong>en. Ebenso Fowley.Lan<strong>de</strong>r tat es ihnen nach und stieß sich erneut das Knie am Tisch. Diesmal fluchte er,aber nieman<strong>de</strong>n kümmerte es. Die an<strong>de</strong>ren waren bereits auf <strong>de</strong>m Weg zur Tür. Fowleywar <strong>de</strong>r Langsamste, aber das auch nur, weil er sich nach Lan<strong>de</strong>r umdrehte.„Na los, machen Sie h<strong>in</strong>!“„Was zum Teufel ist <strong>de</strong>nn los?“Das nachfolgen<strong>de</strong> Wort traf ihn wie e<strong>in</strong>e Ohrfeige.„E<strong>in</strong>satz!“, bellte <strong>de</strong>r Zweite Offizier knapp und stürmte h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren her, ohnesich um <strong>de</strong>n h<strong>in</strong>ter ihm herhumpeln<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r zu kümmern.


„Nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Ruhe frühstücken kann man“, vernahm man noch Ravens Fluch, dannwar Stille.Als er kaum e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute später auf <strong>die</strong> Brücke kam, war <strong>de</strong>r Ingenieur schon fort. Gera<strong>de</strong>wur<strong>de</strong> Gefechtsalarm gegeben, da <strong>die</strong> Crew auf <strong>die</strong>se Weise am schnellsten auf Trabkam. K<strong>in</strong>gsham sprach mit Douglas Station, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r jetzt erstmalig wirklich sah. Umdas Schiff und <strong>die</strong> Station herum waren nur Eis- und auch Geste<strong>in</strong>sbrocken. DieNavigation <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem dichten Feld war mit Sicherheit e<strong>in</strong> Kunststück. Er er<strong>in</strong>nerte sichunsanft an <strong>die</strong> ihm gestern erteilte Lektion zu <strong>die</strong>sem heiklen Thema. Da war es zumGlück nur Eis gewesen, aber hier waren Ste<strong>in</strong>e dabei.„Woh<strong>in</strong>?“, hörte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ersten Offizier wie durch e<strong>in</strong>en Nebel fragen. Es war jedochnur das Blut, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ohren rauschte. Dies war se<strong>in</strong> erster E<strong>in</strong>satz - und vermutlichauch gleichzeitig se<strong>in</strong> letzter. E<strong>in</strong> erschrecken<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>nnoch gleichzeitig sehrberuhigen<strong>de</strong>r Gedanke.„Freeport 1, und zwar gestern“, lautete K<strong>in</strong>gshams Befehl.„Mist!“, beschwerte sich <strong>de</strong>r Navigationsoffizier.„Wir nehmen Kurs Alpha.“E<strong>in</strong> hochgereckter Daumen <strong>de</strong>s Comman<strong>de</strong>rs billigte <strong>de</strong>n Befehl <strong>de</strong>s Ersten Offiziers.K<strong>in</strong>gsham fügte lediglich noch h<strong>in</strong>zu: „Passage durch Charly-5 nach Charly-4!“„Aber <strong>de</strong>r Weg durch das Delta-Planquadrat wäre viel schneller.“„Jägereskorte“, war K<strong>in</strong>gshams Zauberwort.Lan<strong>de</strong>r verstand von all<strong>de</strong>m nicht viel, aber er sah sehr wohl <strong>de</strong>n Blick, <strong>de</strong>n Raven undFowley tauschten.E<strong>in</strong> Vibrieren zeugte neben e<strong>in</strong>em ansteigen<strong>de</strong>n Lärmpegel davon, dass <strong>de</strong>r Antriebhochgefahren wur<strong>de</strong>. Auch ohne Befehle wusste <strong>die</strong>se Crew offensichtlich gut Bescheid,obwohl das Verfahren gegen <strong>die</strong> Vorschriften war. Raven, Fowley und <strong>de</strong>n oberstenKomman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n schien das jedoch nicht weiter zu kümmern, also schwieg Lan<strong>de</strong>r. Erwür<strong>de</strong> sich hier überhaupt nicht e<strong>in</strong>mischen.K<strong>in</strong>gsham legte das Headset ab und befahl <strong>de</strong>m Kommunikationsoffizier: „Wir bleiben auf<strong>die</strong>ser Frequenz. Hören Sie sie weiter ab.“ Dann g<strong>in</strong>g er zu se<strong>in</strong>em Sitz und sagte:„Br<strong>in</strong>gen Sie uns durch das Feld, Steuermann. Erasmus, du veranlasst bitte <strong>die</strong> sofortigeStartbereitschaft von Alpha und Bravo. Die Eskorte ist für sie, und <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdalesmüssen raus, sobald wir das Feld h<strong>in</strong>ter uns haben sowie unser Ren<strong>de</strong>zvous erreichen.“K<strong>in</strong>gsham lächelte grimmig. „Notfall auf Freeport 1. Zuerst <strong>die</strong> Frachter, dann wir. VolleMannschaft und volle Ausrüstung für bei<strong>de</strong> Teams, allerd<strong>in</strong>gs ke<strong>in</strong>e Funkgeräte. Diebr<strong>in</strong>gen nichts, da wir noch ke<strong>in</strong>e neuen haben und man unsere Leute mit <strong>de</strong>n altenabhören und orten kann. Alle Mann gehen <strong>de</strong>swegen ohne <strong>de</strong>n Funk zusammen vor, nur<strong>die</strong> übliche Sicherung für <strong>die</strong> Frachter bleibt zurück.“„Wer geht raus?“, wollte Raven ruhig wissen.Lan<strong>de</strong>rs Herz pochte hart gegen se<strong>in</strong>en Brustkorb, obwohl er <strong>die</strong> Antwort im Grun<strong>de</strong>schon kannte.„Du <strong>die</strong>smal nicht. Der Chief geht mit Team Alpha, Lieutenant Fowley übernimmt Bravo.“Das war so unerwartet, dass Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mund offen stand. Er konnte sich Raven wirklichnicht mit e<strong>in</strong>er Waffe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand vorstellen, obwohl er sich <strong>de</strong>nken konnte, dass <strong>de</strong>rspöttische, grobe Exekutivoffizier sich darauf glänzend verstand.„Und <strong>de</strong>r Sub, Lionel?“„Lieutenant Lan<strong>de</strong>r geht mit <strong>de</strong>m Chief. Wird ihm zwar vermutlich schwerfallen, aber erkommt von Leeds. Das wird er sicherlich abkönnen.“ K<strong>in</strong>gsham fixierte ihn eiskalt undurteilte dann: „Er ist noch nicht reif, Erasmus. Trotz<strong>de</strong>m muss er mit. Uns fehlen wegen<strong>de</strong>s E<strong>in</strong>satzes von vorgestern vier Leute. Auf Freeport 1 wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Schießerei mit Totengemel<strong>de</strong>t. E<strong>in</strong> Frachter von Gateway und e<strong>in</strong>er von Republican sollen betroffen se<strong>in</strong>. Wirs<strong>in</strong>d das e<strong>in</strong>zige Schiff <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe, das schnell genug e<strong>in</strong>e bewaffnete E<strong>in</strong>heit losschickenkann.“„Wie immer also.“ Raven wandte sich zu Lan<strong>de</strong>r und Fowley um. „Klartext für <strong>de</strong>n Sub:Re<strong>in</strong>gehen, <strong>die</strong> Verletzten und sonstigen Überleben<strong>de</strong>n bergen, <strong>die</strong> Frachter falls möglichbewachen o<strong>de</strong>r wenn nötig auch aufhalten und wie<strong>de</strong>r raus, wenn <strong>die</strong> Unterstützung ausCambridge da ist. White geht mit Wayland, damit es <strong>in</strong> etwa gleich viele Leute <strong>in</strong> bei<strong>de</strong>nLandungstrupps s<strong>in</strong>d. Verstan<strong>de</strong>n?“„Aye, Sir.“ Fowley wandte sich ab.


„Gut. Kümmern Sie sich um Ihre Abteilung. Benachrichtigst du <strong>de</strong>n Chief, Lionel?“Der Comman<strong>de</strong>r bestätigte <strong>die</strong> Bitte se<strong>in</strong>es Stellvertreters kurz angebun<strong>de</strong>n.Patrick Lan<strong>de</strong>r wollte Fowley h<strong>in</strong>aus folgen, aber Raven komman<strong>die</strong>rte: „Halt! Wir zweis<strong>in</strong>d noch nicht fertig, Sub!“„Sir?“ Lan<strong>de</strong>r versuchte, zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass se<strong>in</strong>e Stimme zitterte.„Mitkommen! Ich sorge dafür, dass Sie Ihre Ausrüstung bekommen. Wenn wir vorherdamit gerechnet hätten, hätte ich das gestern schon erledigt. Ich hoffe nur für Sie, dassSie <strong>die</strong>smal besser schießen und unter zwei M<strong>in</strong>uten bleiben, falls es ganz hart auf hartkommt. Vor allem aber…“ Raven wartete, bis das Brückenschott geschlossen war, undzerrte <strong>de</strong>n Dritten Offizier urplötzlich zu sich heran.„…wer<strong>de</strong>n Sie auf Chief Wayland hören. Das mag etwas unter Ihrer Offizierswür<strong>de</strong> se<strong>in</strong>,aber momentan haben Sie sowieso ke<strong>in</strong>e Wür<strong>de</strong> zu verlieren. Nur Ihr Leben, und daswür<strong>de</strong> ich mir an Ihrer Stelle zweimal überlegen! Der Chief weiß, was er tut, und er wirdIhnen <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>tern retten, falls nötig. Re<strong>de</strong>n Sie ihm nicht re<strong>in</strong>. Der Zweite Offizier hatdas Kommando über <strong>die</strong> Operation, und <strong>de</strong>r Chief ist se<strong>in</strong> Stellvertreter. Danach kommtsehr lange nichts und erst dann irgendwann Sie… nach allen an<strong>de</strong>ren, versteht sich. Ichwür<strong>de</strong> eher e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>gs <strong>die</strong> Leitung anvertrauen als Ihnen. Ke<strong>in</strong>eAlle<strong>in</strong>gänge, ke<strong>in</strong>e Befehle, gar nichts. Nur bitte, wenn Sie schießen, versuchen Sie, <strong>de</strong>nFe<strong>in</strong>d zu treffen und nichts an<strong>de</strong>res. Verstan<strong>de</strong>n?“Der von <strong>de</strong>n ätzen<strong>de</strong>n, herabwürdigen<strong>de</strong>n Worten völlig übermannte Lan<strong>de</strong>r brachte e<strong>in</strong>Nicken zustan<strong>de</strong>. In se<strong>in</strong>em Kopf wie<strong>de</strong>rholte e<strong>in</strong>e unbarmherzige Stimme immer wie<strong>de</strong>rdas Wort „E<strong>in</strong>satz!“, bis es wehtat.Er bemerkte kaum, dass Raven ihn <strong>in</strong> Richtung e<strong>in</strong>es Raumes zerrte, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m sich bereitsan<strong>de</strong>re Männer hastig umzogen.Absur<strong>de</strong>rweise dachte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> jenem Moment darüber nach, was wohl e<strong>in</strong>e Frau jetztmachen wür<strong>de</strong>. Sich mit <strong>de</strong>n Männern zusammen umziehen? Bemerkt hatte er nochke<strong>in</strong>e, aber so viel hatte er vom Schiff und se<strong>in</strong>er Crew ja auch noch nicht gesehen.„Ausziehen!“, herrschte Raven ihn schließlich an und hielt ihm noch dazu e<strong>in</strong>e grüneUniform <strong>in</strong> Tarnfarben h<strong>in</strong>.„Was?“ Erst jetzt lichtete sich <strong>de</strong>r Nebel vor Lan<strong>de</strong>rs Augen.„Nichts was! Wenn du <strong>in</strong> Navyuniform auftauchst, br<strong>in</strong>gen sie dich gleich um, Jungchen.Das ist besser als je<strong>de</strong> Zielscheibe auf <strong>de</strong><strong>in</strong>em H<strong>in</strong>tern“, verkün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Ingenieur, <strong>de</strong>rse<strong>in</strong>e Ausrüstung bereits komplett angelegt hatte. Er sah ganz an<strong>de</strong>rs aus. Fast wie e<strong>in</strong>geborener Killer.„Er gehört Ihnen, Chief. Sie haben das Kommando über Abteilung Alpha. Br<strong>in</strong>gen Sie ihnheil wie<strong>de</strong>r zurück. Ich erwarte nachher e<strong>in</strong>en schriftlichen Bericht von Ihnen, wie er sichbetragen hat.“ Mit e<strong>in</strong>em langen Blick zu Lan<strong>de</strong>r setzte <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>zu:„Für se<strong>in</strong>e Akte.“„Aye.“ Wayland war wie ausgewechselt. Als Lan<strong>de</strong>r sich noch immer nicht gerührt hatte,brüllte <strong>de</strong>r Techniker: „Ausziehen, o<strong>de</strong>r wir erledigen das für dich!“Geschockt legte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Uniform ab. Ihm war, als wür<strong>de</strong> er e<strong>in</strong> Stück von sich selbstverlieren. Es war unwirklich. Er als Navyoffizier g<strong>in</strong>g auf e<strong>in</strong>en Kommandoe<strong>in</strong>satz! Daskam ihm irgendwie falsch vor.Die an<strong>de</strong>ren steckten ihn nach <strong>de</strong>m Anlegen <strong>de</strong>r Uniform noch dazu <strong>in</strong> diverseprojektilsichere Schutzkleidung, <strong>die</strong> jedoch kaum Lan<strong>de</strong>rs Stimmung hob. Er dachte nure<strong>in</strong>es: ‚Jetzt bist du endgültig dran!’Die Tür g<strong>in</strong>g auf, und e<strong>in</strong> Mann kam halb here<strong>in</strong>. Auch er trug <strong>die</strong> volle Kampfmontur.„Empfehlung vom Zweiten Offizier, Sir. Wir haben Startbefehl.“„Wir s<strong>in</strong>d je<strong>de</strong>n Moment fertig. Der Kle<strong>in</strong>e hat uns aufgehalten.“Das Mitglied von Fowleys Truppe verschwand wie<strong>de</strong>r, um <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satzleiter zu<strong>in</strong>formieren.Als e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer ihm noch e<strong>in</strong>en Stahlhelm aufstülpte, fasste Lan<strong>de</strong>r sich endlichwie<strong>de</strong>r halbwegs. „Aber wer steht <strong>de</strong>nn jetzt im Masch<strong>in</strong>enraum?“„Me<strong>in</strong> Stellvertreter. Wenn jemand fällt, ist immer e<strong>in</strong> Stellvertreter da, Söhnchen. Wirstdu auch noch lernen.“„Falls er so lange lebt, Chief!“, warf jemand an<strong>de</strong>rs e<strong>in</strong>.


„Aye. Falls er so lange lebt, aber es ist unser Job, dafür zu sorgen.“ Wayland richtete sichauf. „Auf geht’s. Genauere Instruktionen und e<strong>in</strong> Update zur Lage gibt’s wie immer auf<strong>de</strong>m Flug. Abmarsch, Leute! Nehmt das Baby <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mitte!“„Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Baby! Und überhaupt…“ Lan<strong>de</strong>r wies auf se<strong>in</strong> leeres Holster.„Ach ja, das hätte ich fast vergessen, Schätzchen.“ Wayland reichte ihm mit e<strong>in</strong>ergalanten Verbeugung e<strong>in</strong>e Pistole nebst e<strong>in</strong>igen Ersatzmagaz<strong>in</strong>en aus e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>rSchränke, während se<strong>in</strong>e Männer bereits h<strong>in</strong>ausrannten.„Ist das alles, Chief?“, entfuhr Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anflug von Bitterkeit.„Was hast du <strong>de</strong>nn erwartet? E<strong>in</strong>en roten Teppich? E<strong>in</strong> MG ganz für dich alle<strong>in</strong>? Dukannst ja noch nicht mal hiermit anständig schießen! Raus mit dir, o<strong>de</strong>r ich mache dirBe<strong>in</strong>e! Genauso wie ich dich auf <strong>de</strong>m Rückweg übers Knie lege, wenn du me<strong>in</strong>e Befehlenicht befolgst o<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r anfängst, hemmungslos zu brechen, wenn du <strong>de</strong><strong>in</strong>en erstenrichtigen Toten siehst!“ Der Techniker fasste Lan<strong>de</strong>rs Arm und zerrte <strong>de</strong>n Offizier h<strong>in</strong>aus.„Wie bitte?“ Der Subalterne stieß es keuchend hervor. Er traute se<strong>in</strong>en Ohren kaum.„Willkommen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Realität, Sub-Lieutenant! Ich hoffe wenigstens, dass Sie sich <strong>die</strong>smalan Ihr Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g er<strong>in</strong>nern!“„Ruf von <strong>de</strong>r Oxford, Chief“, mel<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Pilot <strong>de</strong>s Frachters nach e<strong>in</strong>em endlosen Wegüber Intercom.Der Chef<strong>in</strong>genieur stand auf und g<strong>in</strong>g nach vorne. Patrick Lan<strong>de</strong>r folgte ihm mit <strong>de</strong>nAugen und fragte sich, ob Daniel Fowley im an<strong>de</strong>ren Frachter gera<strong>de</strong> dasselbe tat wieWayland. Und irgendwann <strong>in</strong> <strong>de</strong>n nächsten Tagen o<strong>de</strong>r Wochen wür<strong>de</strong> er es se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r mit<strong>de</strong>m Schiff sprach. Bevor er das Team <strong>in</strong> <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz leitete. Se<strong>in</strong> Team.Es war e<strong>in</strong>e unwirkliche, beängstigen<strong>de</strong> Vorstellung, an <strong>die</strong> er nicht so recht glaubenkonnte. Eher glaubte er daran, dass es ihn heute erwischen wür<strong>de</strong>. Direkt beim erstenE<strong>in</strong>satz. Untaugliches Offiziersmaterial wür<strong>de</strong> man ihn nennen und jemand an<strong>de</strong>renanfor<strong>de</strong>rn. Jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r es besser können wür<strong>de</strong> und nicht so fehl am Platz wirkte.Genauso kam Lan<strong>de</strong>r sich nämlich vor.„Achtung, Leute! Wir haben Lan<strong>de</strong>freigabe von <strong>de</strong>n Zoners erhalten. Wie üblich mischensie sich nicht <strong>in</strong> unsere Angelegenheiten, aber wenn wir bei unserem kle<strong>in</strong>en Privatkriegetwas kaputt machen, wird es unser Haus viel Geld kosten!“, rief <strong>de</strong>r bullige Techniker,als er zurückkehrte. Wie er da so stand, er<strong>in</strong>nerte er Lan<strong>de</strong>r an e<strong>in</strong>en R<strong>in</strong>ger. Der Chiefwar niemand, mit <strong>de</strong>m er es gerne aufnehmen wür<strong>de</strong>, wenn er e<strong>in</strong> Krim<strong>in</strong>eller wäre.Das Dröhnen <strong>de</strong>r Thruster <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale wur<strong>de</strong> zu e<strong>in</strong>em Röhren, als <strong>de</strong>r Pilot Cruise<strong>de</strong>aktivierte und fast sofort Nachbrenner setzte.„Sperrfeuer!“, brüllte er se<strong>in</strong>en Passagieren zu.„Jetzt geht’s los!“, johlte e<strong>in</strong> Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g. „Schwesterle<strong>in</strong>, komm tanz mit mir!“Wirklich begann <strong>de</strong>r Frachter sofort schlimmer zu wackeln als <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant es sichjemals vorgestellt hätte. Er klammerte sich fest und war dankbar für se<strong>in</strong>en Sitzgurt.Vorher war ihm beim Fliegen nie schlecht gewor<strong>de</strong>n, aber jetzt schon. Er versuchte, es<strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren nicht merken zu lassen, und schloss <strong>die</strong> Augen, <strong>die</strong> Lippen zu e<strong>in</strong>emkrampfhaften Lächeln verziehend. Ihm war bewusst, dass sie genau wussten, wie vielAngst er ausstand. Sie alle wussten es und niemand von ihnen half.Der Frachter wur<strong>de</strong> getroffen. Etwas hämmerte gegen <strong>die</strong> Hülle wie e<strong>in</strong> Hammer aufe<strong>in</strong>en Amboss. Rhythmisch, fast wie e<strong>in</strong> Masch<strong>in</strong>engewehr. Die hatte er damals auf <strong>de</strong>rAka<strong>de</strong>mie gesehen und sogar e<strong>in</strong>mal mit e<strong>in</strong>em schießen dürfen. Nun wur<strong>de</strong>n siebeschossen. Er biss <strong>die</strong> Zähne zusammen und hielt <strong>de</strong>n Atem an.„Chief, <strong>de</strong>r Sub bekommt gleich nen Herzanfall.“„Mach dir nicht <strong>in</strong>s Hemd, Junge. Das ist oftmals so, dass jemand was dagegen hat,wenn wir auf Freeport 1 lan<strong>de</strong>n. Die verdammten Zoners sagen, <strong>die</strong> Regierung wür<strong>de</strong> nurfür unsere Landung zahlen. An<strong>de</strong>rseits brauchen wir <strong>die</strong> aber auch gar nicht, <strong>de</strong>nn wirhaben ja unsere Raumstreitkräfte. Da draußen s<strong>in</strong>d zwanzig wun<strong>de</strong>rbare Crusa<strong>de</strong>rs, <strong>die</strong>sich nur darum kümmern, das schlimmste Feuer von uns abzulenken. Das hier istharmlos und nahezu ungefährlich. Erst wenn du <strong>die</strong> Computermeldung ‚Shield failed’ aus<strong>de</strong>m Cockpit hörst, darfst du anfangen, Schiss zu haben. Nicht vorher.“


E<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren grölten etwas dazu, und Lan<strong>de</strong>r war trotz<strong>de</strong>m dankbar für <strong>die</strong>sewenigen sachlichen Worte <strong>de</strong>s Chiefs, auch wenn sie sicherlich e<strong>in</strong>e Untertreibungdarstellten. Erasmus Raven hatte gesagt, dass sie auf ihn aufpassen sollten. DieseEr<strong>in</strong>nerung gab ihm Halt, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong>e Begleiter waren Profis. Sie wür<strong>de</strong>n ihm sicherlichhelfen.Er öffnete <strong>die</strong> Augen wie<strong>de</strong>r und sah <strong>in</strong> Waylands Gesicht. Endlich hörte <strong>die</strong> Schießereiauf. Die Crusa<strong>de</strong>rs hatten wohl gewonnen. Er verzog <strong>die</strong> Lippen noch mehr und wollteetwas sagen, aber se<strong>in</strong>e Stimme versagte. Das bekam <strong>de</strong>r Techniker jedoch zum Glücknicht mit.„Achtung, Landung!“, brüllte <strong>de</strong>r im Cockpit bef<strong>in</strong>dliche Unteroffizier genau <strong>in</strong> <strong>die</strong>semMoment.Bevor Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Wortes erfasst hatte, klatschte <strong>de</strong>r Frachter auch schonauf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck auf. An<strong>de</strong>rs konnte man <strong>die</strong> Landung trotz <strong>de</strong>s Gravitonfel<strong>de</strong>s <strong>de</strong>rCly<strong>de</strong>sdale wirklich nicht nennen. Sie schlitterten e<strong>in</strong>e endlose Weile durch <strong>die</strong> Gegend,dann stan<strong>de</strong>n sie endlich.„Na, dann wollen wir mal, La<strong>die</strong>s!“Als <strong>die</strong> Männer aufstan<strong>de</strong>n, löste <strong>de</strong>r Chief erst se<strong>in</strong> eigenes und dann Lan<strong>de</strong>rs Gurtzeug.Er gab <strong>de</strong>m Sub-Lieutenant e<strong>in</strong>en Klaps auf <strong>de</strong>n Schenkel. „Los doch, ab dafür! Kneifengilt nicht, Lieutenant!“Kneifen wollte Patrick Lan<strong>de</strong>r eigentlich auch gar nicht, es fiel ihm nur schwer, alles soschnell <strong>in</strong> sich aufzunehmen. Wie gestern auf <strong>de</strong>r Brücke, als er gedacht hatte, dass er esniemals schaffen wür<strong>de</strong>. Es war e<strong>in</strong>fach alles zu viel auf e<strong>in</strong>mal.Er fummelte nach <strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Holster bef<strong>in</strong>dlichen Waffe und folgte Wayland h<strong>in</strong>aus,als <strong>de</strong>r Chief ihm zuw<strong>in</strong>kte. Dabei nahm er unwillkürlich <strong>die</strong>selbe Haltung e<strong>in</strong>. Vorsichtig –be<strong>in</strong>ahe wie auf <strong>de</strong>r Pirsch kam er sich vor, obwohl er von solchen illustrenJagdgesellschaften höchstens gehört hatte. Auf Planet Leeds gab es schon seit ewigenJahrhun<strong>de</strong>rten nichts mehr zu jagen. Außer Ratten und an<strong>de</strong>ren Schädl<strong>in</strong>gen, <strong>de</strong>nn davongab es reichlich.Sie waren tatsächlich alle aus <strong>de</strong>m Frachter herausgekommen, und ihm war noch nicht<strong>de</strong>r Kopf abgerissen wor<strong>de</strong>n. Das überraschte ihn. Der Betrieb auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>runregulierten Station war nur etwas chaotischer, und es war <strong>in</strong>sgesamt viel dreckigersowie heruntergekommener als <strong>in</strong> Bretonia auf <strong>de</strong>m Yard, wo er immer gewesen war.An<strong>de</strong>re Raumstationen kannte er ja nicht. Dieser Freeport stank im Gegensatz dazu nache<strong>in</strong>er charakteristischen Mischung von Unrat und ungewaschenen Körpern. Dazu kamenDutzen<strong>de</strong> exotische Gerüche. Er beschloss, sich alles zu merken und Fowley später zufragen, ob das <strong>in</strong> Grenzwelten überall so war.„Ruhig, Junge!“ E<strong>in</strong>e Hand blockierte se<strong>in</strong>en Weg, als er unachtsamerweise <strong>in</strong> Gedankenfast an se<strong>in</strong>em Teamleiter vorbeigelaufen wäre. Sich arg zusammenreißend murmelteLan<strong>de</strong>r: „Verzeihung!“Bei e<strong>in</strong>em Blick nach l<strong>in</strong>ks fiel ihm auf, dass Fowleys Team genauso ausgeschwärmt warwie sie. Die an<strong>de</strong>re Truppe war nur kle<strong>in</strong>er, da <strong>de</strong>r Frachtersicherungstrupp offensichtlichvon <strong>de</strong>n Leuten <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers gebil<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Und dann waren da noch <strong>die</strong> Toten<strong>de</strong>s letzten E<strong>in</strong>satzes, <strong>die</strong> natürlich fehlten.Sie alle näherten sich zwei Frachtern, <strong>die</strong> <strong>in</strong>mitten sämtlicher Raumschiffe stan<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>Rh<strong>in</strong>o und e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale, wie er aus <strong>de</strong>m Unterricht an <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie wusste. DieVorsicht aller an<strong>de</strong>ren Bretonen machte ihm klar, dass je<strong>de</strong>rzeit etwas passieren konnte.Es wür<strong>de</strong> längst zu spät se<strong>in</strong>, wenn er <strong>de</strong>n Schuss hörte, <strong>de</strong>r ihn fällte.Wayland g<strong>in</strong>g schräg vor ihm und gab immer wie<strong>de</strong>r Zeichen. Er kommunizierte so mit<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und mit Fowley. Manchmal schloss Lan<strong>de</strong>r nur aus <strong>de</strong>m Verhalten <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren, was jene W<strong>in</strong>ke be<strong>de</strong>uteten. Der Griff se<strong>in</strong>er Waffe fühlte sich glitschig an, weiler an <strong>de</strong>n Handflächen so stark schwitzte.Fowleys Trupp ereichte <strong>de</strong>n etwas näher stehen<strong>de</strong>n Rh<strong>in</strong>o, aber <strong>de</strong>r Lieutenant führtese<strong>in</strong>e Leute um <strong>de</strong>n Frachter herum. Vorsichtig sicherten sie das Areal, und <strong>de</strong>r ZweiteOffizier hob schließlich <strong>de</strong>n Arm.„Los!“ Wayland begann zu rennen. Er presste sich an <strong>die</strong> Wand <strong>de</strong>s Rh<strong>in</strong>os und klappteschließlich e<strong>in</strong>e Brille herunter, <strong>die</strong> an se<strong>in</strong>em Helm h<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong> Nachtsichtgerät. Warum <strong>de</strong>rChief nicht e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Taschenlampe nahm, war Lan<strong>de</strong>r schleierhaft. Drei Männer folgtenihm <strong>in</strong>s Innere <strong>de</strong>s Frachters, während <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren draußen Wache stan<strong>de</strong>n - unterstützt


und gesichert durch <strong>de</strong>n zweiten Trupp. Vermutlich hatte <strong>de</strong>r Chief sogar mehr Erfahrungals Fowley und g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>shalb re<strong>in</strong>.Wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren g<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Deckung, wenn auch um e<strong>in</strong>ige Sekun<strong>de</strong>n verspätet. Ersah sich nach Fowley um und bemerkte e<strong>in</strong>en raschen, ihm zugeworfenen Blick. DerLieutenant gab ihm e<strong>in</strong> Zeichen.Nicht verstehend, was se<strong>in</strong> Vorgesetzter von ihm erwartete, sah Lan<strong>de</strong>r sich um. E<strong>in</strong>Mitglied von Waylands Gruppe gab ihm e<strong>in</strong>en leichten Stoß. „Sie sollen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Frachtergehen und Nachricht holen.“Lan<strong>de</strong>r fuhr herum und biss sich auf <strong>die</strong> Lippe. „Was?“„Re<strong>in</strong> da… Sir!“ Der Mann lächelte nicht, son<strong>de</strong>rn er me<strong>in</strong>te es ernst.„Aber…“„Da schießt ke<strong>in</strong>er mehr. Wenn dort jemand wäre, hätte <strong>de</strong>r Chief ihn längst gefun<strong>de</strong>nund erledigt.“Erst jetzt setzte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> Bewegung. Er unterdrückte <strong>de</strong>n Impuls, zu rennen, undbetrat <strong>de</strong>n Frachter seitwärts, <strong>die</strong> Waffe gehoben, entsichert und fest umklammert. Eswar besser, immer mit allem zu rechnen.In <strong>de</strong>m Schiff mit <strong>de</strong>r offenen Luke gab es ke<strong>in</strong> Licht. Lan<strong>de</strong>r hatte nie e<strong>in</strong>en Rh<strong>in</strong>o von<strong>in</strong>nen gesehen, aber er <strong>in</strong>teressierte sich jetzt auch nicht son<strong>de</strong>rlich dafür. Se<strong>in</strong> Herzklopfte noch heftiger als ohneh<strong>in</strong> schon. Wenn jetzt jemand irgendwo aus e<strong>in</strong>er Eckekäme…Er stolperte und rannte gegen e<strong>in</strong>e Kiste. Ihm hatte man ja ke<strong>in</strong> Nachtsichtgerätgegeben.„Wer da?“, rief Wayland.„Sub!“ Nicht ganz passend, aber am kürzesten.„Himmel, was machen Sie für e<strong>in</strong>en Krach, Mister Lan<strong>de</strong>r.“ Wayland stand <strong>de</strong>r Stimmenach zu urteilen nicht weit von ihm. E<strong>in</strong>e Lampe wur<strong>de</strong> erst jetzt e<strong>in</strong>geschaltet und wiesLan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Weg.„Lieutenant Fowley hat mich…“„Zwei Tote. Das Gold ist weg. Wir suchen hier noch alles zusammen, aber er kannweitermachen. Im an<strong>de</strong>ren Frachter dürfte es ebenso ruhig se<strong>in</strong>. Die Vögel s<strong>in</strong>d schonausgeflogen. Sagen Sie ihm das bitte.“Irgendwie hatte Lan<strong>de</strong>r das Gefühl, nicht mehr wissen zu wollen, aber trotz<strong>de</strong>m sah er anWayland h<strong>in</strong>unter. Dort lag e<strong>in</strong> Toter. Seltsamerweise machte <strong>de</strong>r Anblick Lan<strong>de</strong>r vielweniger aus als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s herunterpen<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Armes gestern, obwohl hier sehr viel Blutam Bo<strong>de</strong>n und an <strong>de</strong>n Kisten klebte.„So sieht es aus, Kle<strong>in</strong>er. Ke<strong>in</strong> Heroismus und ke<strong>in</strong>e Glorie. Nur Stricke an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>nund zwei geöffnete Pulsa<strong>de</strong>rn, während <strong>die</strong> Ladung weggeschleppt wird. ‚LangsamenGrenzweltentod’ nennen <strong>die</strong>se W****** das.“ Wayland spuckte aus. „Und wir waren zuspät wie immer.“Irgendwie war Lan<strong>de</strong>r jetzt doch froh, wie<strong>de</strong>r gehen zu können. Diesmal rannte er.Das Neonlicht draußen auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck ließ ihn bl<strong>in</strong>zeln und trieb ihm <strong>die</strong> Tränen <strong>in</strong><strong>die</strong> Augen.Fowley war herangekommen und wartete ungeduldig. „Wie sieht es dr<strong>in</strong>nen aus?“„Zwei Tote, Sir. Das Gold ist weg.“ Nach e<strong>in</strong>er Pause fügte Lan<strong>de</strong>r überflüssigerweiseh<strong>in</strong>zu: „Wir waren zu spät. Der Chief schätzt, es ist auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Frachter sicher,da sie wohl weg s<strong>in</strong>d.“„Verstan<strong>de</strong>n. Wir machen weiter.“ Fowley, ganz <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satzleiter, nahm <strong>die</strong> etwas<strong>in</strong>formelle Meldung zur Kenntnis und wandte sich ab, um se<strong>in</strong>e nächsten Befehle zugeben. Auch er war nun e<strong>in</strong> völlig an<strong>de</strong>rer Mensch, wie es schien.„Was soll ich jetzt tun, Sir?“, hielt Lan<strong>de</strong>r ihn noch e<strong>in</strong>mal zurück.Der Lieutenant sah ihm nur kurz <strong>in</strong>s Gesicht als versuche er, rasch abzuschätzen, wie esum Lan<strong>de</strong>rs Magen beschaffen war. „Sie können mit mir kommen, wenn Sie wollen.“„Aye, Sir.“ Es war wohl e<strong>in</strong> neuer Test.Nach e<strong>in</strong>em W<strong>in</strong>k <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers setzten sich <strong>die</strong> Männer se<strong>in</strong>es eigenen Zuges un<strong>de</strong><strong>in</strong> Teil von Waylands Abteilung <strong>in</strong> Bewegung. Die Cly<strong>de</strong>sdale war nicht weit entfernt,und das Vorgehen blieb dasselbe wie im Fall <strong>de</strong>s Rh<strong>in</strong>os.Lan<strong>de</strong>r hielt sich an Fowleys Seite, bis er das e<strong>in</strong><strong>de</strong>utige Signal erhielt, zurückzubleiben.Fowley g<strong>in</strong>g nicht mit <strong>de</strong>r ersten Gruppe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, son<strong>de</strong>rn er wartete e<strong>in</strong>e halbe M<strong>in</strong>ute.


Se<strong>in</strong>e Haltung war lässig und doch paradoxerweise gleichzeitig angespannt. Schließlichverschwand auch er <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Frachter, se<strong>in</strong>en ranghöchsten Untergebenen mit dreiweiteren Leuten draußen zurücklassend.Nichts passierte. Auch hier waren <strong>die</strong> Täter wohl längst fort. Mittlerweile begriff Lan<strong>de</strong>r,dass es sich hier wohl um gewöhnliche Raub<strong>de</strong>likte gehan<strong>de</strong>lt hatte. Sofern man soetwas überhaupt gewöhnlich nennen konnte.„Der Sub soll kommen!“, dröhnte schließlich e<strong>in</strong>e Stimme aus <strong>de</strong>m Frachter. Der Rufwur<strong>de</strong> weitergegeben, aber Lan<strong>de</strong>r hatte schon gehört. Er schnappte <strong>de</strong>n Sicherungshahn<strong>de</strong>r Pistole <strong>in</strong> <strong>die</strong> gesicherte Position vor und betrat <strong>de</strong>n bretonischen Frachter, <strong>de</strong>n erimmerh<strong>in</strong> schon kannte. Er war etwas größer als <strong>de</strong>r Rh<strong>in</strong>o.Direkt neben <strong>de</strong>r Tür lag e<strong>in</strong> weiterer Toter. Er trug Uniform und war nicht gefesselt, aberihn hatte e<strong>in</strong> Messer <strong>in</strong> <strong>die</strong> Seite getroffen. Die Kl<strong>in</strong>ge war herausgezogen wor<strong>de</strong>n. Lan<strong>de</strong>rg<strong>in</strong>g weiter. Etwas klirrte und knirschte unter se<strong>in</strong>en Füßen - fast wie zerbrochenes Glas.Im h<strong>in</strong>teren Teil <strong>de</strong>s Frachters leuchtete jemand, und Lan<strong>de</strong>r sah im Sche<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lampe,dass dort mehrere Körper lagen. Mehr wollte er gar nicht wahrnehmen. Ihm wur<strong>de</strong> nurmit je<strong>de</strong>m Schritt <strong>de</strong>utlicher bewusst, dass es <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Schiff nahezu bestialisch nachFäkalien und Ur<strong>in</strong> stank. Irgendwann wur<strong>de</strong> es zu viel, sodass er sich <strong>die</strong> Nase zuhielt.Fowley wartete vorn. Er beugte sich über e<strong>in</strong>e nackte und verstümmelte Frau, währendjemand an<strong>de</strong>rs e<strong>in</strong>e Lampe hielt.„Sie ist noch nicht lange tot“, sprach <strong>de</strong>r Lieutenant.„Nützt ihr trotz<strong>de</strong>m reichlich wenig, Sir.“„Natürlich nicht.“ Fowley wandte sich ab und machte e<strong>in</strong>en Schritt <strong>in</strong>s Cockpit.Die Art <strong>de</strong>r Fesselung erregte Lan<strong>de</strong>rs Aufmerksamkeit. Es war an<strong>de</strong>rs als drüben. DieTote trug e<strong>in</strong>e merkwürdige Art Handschellen. Er war jedoch verblüfft, wie kl<strong>in</strong>ischdistanziert er <strong>die</strong>s alles jetzt <strong>in</strong> sich aufnehmen konnte. Das verzerrte Gesicht und dasBlut betrafen ihn irgendwie tatsächlich weniger als <strong>die</strong> Leiche an Bord <strong>de</strong>r Oxford.„Was ist hier passiert?“„Das Übliche. Vergewaltigung und Kugel.“„Aber wieso hat sie so was an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n? Die Männer drüben waren mit Strickengefesselt.“„Was weiß <strong>de</strong>nn ich?“, schnauzte Fowley. „Raus mit Ihnen, Sub, und hören Sie endlichauf, dumme Fragen zu stellen!“Derart rausgeworfen zu wer<strong>de</strong>n, nach<strong>de</strong>m er gera<strong>de</strong> erst hergerufen wor<strong>de</strong>n war, brachteLan<strong>de</strong>r völlig aus <strong>de</strong>m Konzept. Inst<strong>in</strong>ktiv riss er <strong>die</strong> Hand zur Stirn und machte, dass erfortkam. Weg von <strong>de</strong>m bestialischen Gestank, <strong>de</strong>r noch viel schlimmer war als <strong>de</strong>rdraußen.Er lehnte sich mit <strong>de</strong>m Rücken an <strong>de</strong>n Frachter und überdachte, was er gera<strong>de</strong> gesehenhatte. Vor allem auch se<strong>in</strong>e eigene Reaktion darauf. Die Toten taten ihm lediglich leid,aber das Crewmitglied hatte ihn mehr betroffen, weil er es selbst hätte se<strong>in</strong> können. Daswar es!Erst als er sich daraufh<strong>in</strong> wie<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> Wirklichkeit besann, fiel ihm auf, dass er alle<strong>in</strong>war. Die an<strong>de</strong>ren waren weg, aber auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n…Mit e<strong>in</strong>em Aufkeuchen realisierte er, dass da e<strong>in</strong> roter Fleck war… und e<strong>in</strong> Luftzug streiftese<strong>in</strong>en Nacken! Mit e<strong>in</strong>em F<strong>in</strong>ger spannte er <strong>de</strong>n Sicherungshahn erneut und warf sich <strong>in</strong>Richtung <strong>de</strong>r Luke herum.Etwas traf dumpf auf <strong>de</strong>n Rumpf <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale. Ohne nachzu<strong>de</strong>nken hob Patrick Lan<strong>de</strong>r<strong>die</strong> Waffe, macht auf <strong>de</strong>m Absatz kehrt und schoss, genauso wie er es gesehen undgelernt hatte.Er sah <strong>de</strong>n Mann noch fallen, hörte sogar das Klirren <strong>de</strong>s Messers auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n, dannknallte es erneut, und er spürte, wie se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e nachgaben. Er fiel und lag plötzlich auf<strong>de</strong>m dreckigen Bo<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>m grellen Neonlicht, bevor jäh mit aller Heftigkeit <strong>de</strong>rSchmerz e<strong>in</strong>setzte und er sich wimmernd zusammenkrümmte. Es brannte wie Feuer.Se<strong>in</strong>e ganze Brust brannte!Jemand beugte sich über ihn… genüsslich <strong>die</strong> Waffe auf se<strong>in</strong>e Stirn richtend. Lan<strong>de</strong>r sah<strong>de</strong>n schwarzen verfilzten Bart und <strong>die</strong> wil<strong>de</strong>n, gna<strong>de</strong>nlosen Augen, <strong>die</strong> auf ihnherunterblickten. Er tastete nach se<strong>in</strong>er Waffe, aber sie war fort. Er hatte sie verlorenund wusste, dass er Recht gehabt hatte. In <strong>de</strong>n nächsten Sekun<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> er sterben.Elendig verrecken!


Der Schuss krachte, aber <strong>die</strong>smal tat es nicht weh. Wie <strong>in</strong> Zeitlupe kippte <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>elleum. Noch während er das machte, fielen weitere Schüsse, <strong>die</strong>smal sogar aus <strong>de</strong>rCly<strong>de</strong>sdale kommend, und <strong>de</strong>r Kopf <strong>de</strong>s Mannes explo<strong>die</strong>rte.Als er endlich lag, spürte Lan<strong>de</strong>r noch <strong>die</strong> letzten Zuckungen <strong>de</strong>s Körpers auf se<strong>in</strong>emeigenen. Er ertrug <strong>de</strong>n neuen, damit verbun<strong>de</strong>nen Schmerz nicht mehr und schrie.Trotz<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong> er nicht bewusstlos. Nicht e<strong>in</strong>mal das gönnte se<strong>in</strong> Körper ihm.„Patrick!“ Der Schrei kam von Nahem, und er sah Fowley plötzlich über ihm stehen und<strong>de</strong>n Toten von ihm wegzerren.E<strong>in</strong> Projektil schlug neben ihm gegen <strong>die</strong> Hülle <strong>de</strong>s Frachters. Lan<strong>de</strong>r wollte ihm sagen,dass er da weggehen solle, weil er selbst laut se<strong>in</strong>er Ahnung sowieso sterben wür<strong>de</strong>, aberselbst das g<strong>in</strong>g nicht mehr. Er bekam <strong>die</strong> Worte nicht heraus.Es war Fowley mithilfe e<strong>in</strong>es weiteren Mannes endlich gelungen, ihn zu befreien. DerDritte Offizier empfand mehr Sorge um se<strong>in</strong>en Zimmergenossen als um sich selbst. Erwar sowieso erledigt. Neben <strong>de</strong>m Lieutenant feuerten Leute aus Fowleys Gruppeweiterh<strong>in</strong> auf etwas, das Lan<strong>de</strong>r nicht sehen konnte.Sie zerrten ihn zur Luke, aber Lan<strong>de</strong>r hörte, wie <strong>de</strong>r Mann l<strong>in</strong>ks von ihm plötzlich schrie.Etwas explo<strong>die</strong>rte, und schließlich, nach fast unmenschlichen neuen Schmerzen fand ersich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s Frachters wie<strong>de</strong>r. Selbst am Bo<strong>de</strong>n stank es nach Ur<strong>in</strong>.Der Tote, neben <strong>de</strong>n man ihn gelegt hatte, stank danach.Draußen knatterten <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>engewehrsalven <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Teams mit <strong>de</strong>n Waffen <strong>de</strong>rGrenzweltler um <strong>die</strong> Wette, während Fowley hektisch Lan<strong>de</strong>rs schusssichere Weste, <strong>die</strong>ihren Dienst nicht erfüllt hatte, auszog und <strong>de</strong>n Kampfanzug herunterzerrte.Zu se<strong>in</strong>er persönlichen Überraschung sah Lan<strong>de</strong>r, wie <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lieutenantszitterten, als er <strong>die</strong> Schusswun<strong>de</strong> notdürftig verband. Fowley versuchte, zu lächeln, aberer konnte es nicht.„Wir br<strong>in</strong>gen dich gleich zum Schiff, Patrick. Du schaffst das schon. Wenn du jetzt stirbst,bekomme ich dich wegen Befehlsverweigerung dran, hörst du?!“„Me<strong>in</strong> Gott, Sir. Er ist ja wirklich noch e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d!“„Kümmern Sie sich um <strong>de</strong>n Lieutenant, Petty Officer. Ich hole e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Frachter. Wennwir doch bloß Funk hätten, verdammt!“ Fowley war nach <strong>die</strong>sen Worten weg, und Lan<strong>de</strong>rschloss <strong>die</strong> Augen. Die Schmerzen ließen jetzt endlich nach, und er konnte wegdämmern.Fast sofort klatschte ihm jemand gegen <strong>die</strong> Wangen. E<strong>in</strong> Unteroffizier aus WaylandsAbteilung. Er war nicht alt genug, um Lan<strong>de</strong>rs Vater zu se<strong>in</strong>, aber fast.„Nicht e<strong>in</strong>schlafen, Sir. Sie müssen doch wach se<strong>in</strong>, wenn Sie e<strong>in</strong>e Medaille erhalten.Ohne Sie wären wir alle hier dr<strong>in</strong> draufgegangen. Ihre Eltern und Ihre Freund<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>nganz auf Sie se<strong>in</strong>. Genau wie ich. Ich komme auch von Leeds, und Sie s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r ersteOffizier von Planet Leeds, <strong>de</strong>n ich kenne. Wollen Sie mir nicht von zu Hause erzählen? Ichwohne mittlerweile im Manchester-System, aber ich komme wirklich von Leeds und warewig nicht mehr dort.“Der Druck <strong>de</strong>r Hand an Lan<strong>de</strong>rs war fest, während <strong>de</strong>r sche<strong>in</strong>bar s<strong>in</strong>nlos re<strong>de</strong>n<strong>de</strong> PettyOfficer <strong>die</strong> schmerzstillen<strong>de</strong> Spritze weglegte, <strong>die</strong> er <strong>de</strong>m jungen Dritten Offizier gera<strong>de</strong>gegeben hatte. Dafür drückte er jetzt <strong>de</strong>n Verband fest.Die Zeit verg<strong>in</strong>g endlos langsam, als Lan<strong>de</strong>r versuchte, wie aufgefor<strong>de</strong>rt mit <strong>de</strong>m Mannzu sprechen, <strong>de</strong>ssen Namen er nicht e<strong>in</strong>mal wusste und <strong>de</strong>r jetzt auf se<strong>in</strong>e Brust drückte,um das Blut zu stoppen.Jemand <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe schrie. Lan<strong>de</strong>r wollte sehen, wer, aber <strong>de</strong>r Tote lag im Weg. DerErmor<strong>de</strong>te schien zu gr<strong>in</strong>sen. Plötzlich hatte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant doch erbärmliche Angstvor <strong>de</strong>m Sterben. Er wollte nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Plastiksack von <strong>de</strong>r Oxford transportiertwer<strong>de</strong>n wie e<strong>in</strong> Stück Abfall, während womöglich se<strong>in</strong> Arm herunterh<strong>in</strong>g, um se<strong>in</strong>enahnungslosen Nachfolger zu erschrecken. Ohne sich <strong>de</strong>ssen bewusst zu se<strong>in</strong>, begann erzu we<strong>in</strong>en. Ihm war so schrecklich kalt, dass er krampfhaft zu zittern begann. Von <strong>de</strong>rTo<strong>de</strong>skälte hatte er bereits <strong>in</strong> Büchern gelesen. Nun fühlte er sie.E<strong>in</strong> lautes Brausen breitete sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Ohren aus, das wie e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong>anmutete. Der Teufel wetzte wohl schon <strong>die</strong> Messer, um ihn willkommen zu heißen.Wenige Sekun<strong>de</strong>n, nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> von Fowley herangewunkene e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale <strong>de</strong>sSchiffes <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Meisterleistung <strong>de</strong>s Piloten neben <strong>de</strong>m Frachter von Gateway Shipp<strong>in</strong>gaufgesetzt hatte, verlor er endgültig das Bewusstse<strong>in</strong>. Zu genau <strong>die</strong>sem Zeitpunkt hörteendlich auch <strong>die</strong> Schießerei auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck von Freeport 1 auf.


Kapitel III – Akzeptanz und Zweifel„Herrje, das halbe Kilo, das Sie hier an Bord vielleicht schon zugenommen hatten, habenSie aber zehnmal wie<strong>de</strong>r verloren, Sir. Sie sehen sogar noch verhungerter aus als letztesMal!“„Vielen Dank, Chief. Ich freue mich wirklich, wie<strong>de</strong>r zurück zu se<strong>in</strong>“, entgegnete PatrickLan<strong>de</strong>r mit e<strong>in</strong>em Lächeln und stieg ganz aus <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale.„Das liegt alles an <strong>de</strong>m Krankenhausfraß auf Southampton“, behauptete Daniel Fowley.„Das Zeug taugt e<strong>in</strong>fach nichts.“ Er nahm Lan<strong>de</strong>rs Tasche an, <strong>die</strong> von e<strong>in</strong>em hilfsbereitenFlight Lieutenant heruntergereicht wur<strong>de</strong>. „Noch schlimmer als <strong>de</strong>r Bordfraß.“„Aye, Sir“, bestätigte <strong>de</strong>r Cheftechniker, obwohl das Essen auf <strong>de</strong>m Patrouillenkreuzernun wirklich nicht schlecht war.„Was ist das <strong>de</strong>nn für e<strong>in</strong>en Menschenauflauf?“, schnitt Erasmus Ravens Stimme durchdas erregte Geplapper <strong>de</strong>r Crew.„Nichts, Sir. Die Flugbereitschaft hat uns nur unseren Sub wie<strong>de</strong>rgebracht.“„Ah ja. Das war auch so angekündigt. Wenn’s nur das ist, schlage ich vor, dass Sie alleweitermachen.“Niemand murrte als Reaktion auf <strong>die</strong>se Anweisung <strong>de</strong>s Ersten Offiziers, aber Fowleybl<strong>in</strong>zelte ihm zu, als er Lan<strong>de</strong>rs Tasche schulterte.„Auf e<strong>in</strong> Wort <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e, Mister Lan<strong>de</strong>r?“Sich nach <strong>de</strong>m warmen Empfang durch <strong>die</strong> Crew zusammenreißend nickte Lan<strong>de</strong>r. „Ja,Sir. Natürlich.“Es tat beim Gehen noch etwas weh, aber ansonsten war von <strong>de</strong>r schlimmenSchusswun<strong>de</strong> neben e<strong>in</strong>er grässlichen Narbe nicht viel übrig geblieben. Nur <strong>die</strong>Er<strong>in</strong>nerung und e<strong>in</strong> gelegentlicher Schmerz.Raven ließ ihm <strong>de</strong>n Vortritt, und Lan<strong>de</strong>r sah, dass das Schiff sich während se<strong>in</strong>erdreiwöchigen Abwesenheit überhaupt nicht verän<strong>de</strong>rt hatte. Nichts hatte sich verän<strong>de</strong>rtaußer ihm selbst. Selbst Raven mit se<strong>in</strong>er ganz speziellen Art konnte ihn jetzt nicht mehrerschrecken und schon gar nicht ärgern.„Setzen Sie sich, Lieutenant.“ Es schien verwun<strong>de</strong>rlich, dass Raven nicht mehr e<strong>in</strong>fachSub sagte.Kaum dass er sich vor Ravens Schreibtisch auf <strong>de</strong>m Stuhl nie<strong>de</strong>rgelassen hatte, begann<strong>de</strong>r Erste Offizier: „Der Comman<strong>de</strong>r möchte Ihnen e<strong>in</strong>en Or<strong>de</strong>n verleihen. Dem wur<strong>de</strong>auch seitens <strong>de</strong>r Admiralität entsprochen.“ Der Ton sagte <strong>de</strong>utlich aus, was Raven davonhielt.„Ich habe nur getan, was ich für richtig hielt, Sir. Es war nicht son<strong>de</strong>rlich viel.“„Exakt <strong>de</strong>rselben Me<strong>in</strong>ung b<strong>in</strong> ich auch. Sie hatten Glück. Glück, weil Sie <strong>de</strong>n erstenGegner sogar getroffen haben, als sich <strong>de</strong>r Schuss aus Ihrer Waffe gelöst hat, und nochmehr Glück, weil Lieutenant Fowley für Sie <strong>de</strong>n Hel<strong>de</strong>n gespielt hat. Sie sollten sichnichts darauf e<strong>in</strong>bil<strong>de</strong>n.“„Ich bil<strong>de</strong> mir nichts e<strong>in</strong>, Sir.“ Es kostete Lan<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Mühe, ruhig zu bleiben.„Umso besser. Wenn Sie wie<strong>de</strong>r rausgehen, stehen Sie weiterh<strong>in</strong> unter Chief WaylandsKommando. Sie haben sich nicht gera<strong>de</strong> als fähig erwiesen, auf sich selbst aufzupassen.“„Verzeihen Sie, Sir, aber nichts davon war me<strong>in</strong>e Schuld.“„Natürlich nicht.“ Raven setzte e<strong>in</strong> ironisches Lächeln auf. „Es war ja auch LieutenantFowley, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Pflichten vernachlässigt hat. Ich habe das natürlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Aktee<strong>in</strong>getragen.“ Das Lächeln verschwand, und <strong>die</strong> Augen blitzten. „Ich dul<strong>de</strong> ke<strong>in</strong>eNachlässigkeit im Dienst, Mister Lan<strong>de</strong>r. Mir wur<strong>de</strong> zugetragen, dass Sie nach <strong>de</strong>mVerlassen <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale mehr als e<strong>in</strong>e halbe M<strong>in</strong>ute lang Ihren Träumen nachgehangenhaben. Anstatt <strong>in</strong> Deckung zu gehen und zu bemerken, dass drei Männer anstatt aufihrem Posten zu stehen längst tot waren, weil ihnen e<strong>in</strong> paar Krim<strong>in</strong>elle <strong>die</strong> Kehlendurchgeschnitten haben. Wenn das alles ist, was Sie können, dann wäre vielleicht bessergewesen, wenn es Ihnen passiert wäre. Statt<strong>de</strong>ssen starb noch Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g Jackson,als er Lieutenant Fowley dabei half, Sie zu bergen. Für ihn kam je<strong>de</strong> Hilfe zu spät.Denken Sie mal darüber nach. Mir persönlich wäre lieber gewesen, wenn er überlebthätte. Statt<strong>de</strong>ssen s<strong>in</strong>d Sie unnützer Grünschnabel wie<strong>de</strong>r hier und er nicht.“


Nun war es doch genug. Patrick Lan<strong>de</strong>r stand schwankend auf. „Sie mögen ranghöherse<strong>in</strong> als ich, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Gehorsam, Höflichkeit und Loyalität Ihnengegenüber s<strong>in</strong>d daher me<strong>in</strong>e Pflicht. Trotz<strong>de</strong>m haben Sie ke<strong>in</strong> Recht mich zu beleidigen,Sir.“„Setzen Sie sich wie<strong>de</strong>r, Lieutenant. Sie wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Militär nicht son<strong>de</strong>rlich weitkommen, wenn Sie nicht fähig s<strong>in</strong>d, Kritik e<strong>in</strong>zustecken.“„Ich kann me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach durchaus Kritik verarbeiten, Sir. Ihre Äußerungenstellten jedoch ke<strong>in</strong>e Kritik mehr dar, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige persönliche Beleidigung!“,entfuhr Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen Augen blitzten.„HINSETZEN, Lieutenant! Ich nehme mir das Recht heraus, Ihnen zu sagen, was mirpasst, sofern ich es für för<strong>de</strong>rlich und nötig erachte. Aufgeblasene Idioten ohne Hirn imSchä<strong>de</strong>l gibt es <strong>in</strong> unserem Militär bereits genug! Leute verlassen sich auf Sie undwer<strong>de</strong>n ihr Leben verlieren, wenn Sie Fehler machen!“ Raven errötete vor Wut undbrüllte <strong>die</strong> Worte fast heraus.Eigentlich wollte Lan<strong>de</strong>r sagen, dass Fowley ihn damals <strong>in</strong> <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale gerufen hatte,anstatt ihn draußen stehen zu lassen, aber er unterließ es. Wenn Fowley bereits e<strong>in</strong>enVerweis bekommen hatte, wür<strong>de</strong>n solche Äußerungen es nur noch schlimmer machen.Davon abgesehen hatte ihm genau das ja das Leben gerettet. Wenn Lan<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>nan<strong>de</strong>ren draußen Wache gestan<strong>de</strong>n hätte, wäre auch er jetzt sicherlich tot. Deshalb sagteer: „Mich trifft ke<strong>in</strong>e Schuld am Tod <strong>de</strong>r drei an<strong>de</strong>ren Besatzungsmitglie<strong>de</strong>r, und daswissen Sie.“„Wie schön, dass Sie Jackson vergessen haben. Ich habe ihn jedoch nicht vergessen!“„Ich habe ihm nicht befohlen, sich wegen mir erschießen zu lassen!“„Ne<strong>in</strong>, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat. Das hat Mister Fowley getan, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er e<strong>in</strong> schlechtes Vorbild abgab,anstatt sich erst e<strong>in</strong>mal um se<strong>in</strong>e Pflichten als komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>r Offizier zu kümmern.“Raven schüttelte <strong>de</strong>n Kopf. „Wenn ich noch e<strong>in</strong>mal sehe o<strong>de</strong>r höre, dass Sie IhrePflichten sträflich vernachlässigen, wer<strong>de</strong>n Sie mich kennenlernen, Lieutenant. Daranwird auch ke<strong>in</strong> Or<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Welt etwas än<strong>de</strong>rn.“ Raven war hochrot und atmete schwer,bevor er weiter hervorstieß: „Wenn Sie auch nur e<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong> länger geschlafen hätten,wäre das gesamte Landungskommando mit Ihnen draufgegangen! Es hätte völlig genügt,e<strong>in</strong> paar Handgranaten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Frachter zu werfen, nach<strong>de</strong>m Sie sich fahrlässigerweise fast<strong>die</strong> Kehle haben durchschnei<strong>de</strong>n lassen. Auch Krim<strong>in</strong>elle haben nämlich Granaten, <strong>die</strong>meistens auch noch mit Nägeln und Metallstücken gefüllt s<strong>in</strong>d. Deshalb reiße ich Ihnenpersönlich <strong>de</strong>n Arsch auf, wenn Sie noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en solchen Fehler machen! War <strong>die</strong>seIhrem Niveau entsprechen<strong>de</strong> Sprache <strong>de</strong>utlich genug?“„Wissen Sie was, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r? Ich hätte das sogar verstan<strong>de</strong>n, wenn Sie esmir höflich gesagt hätten. Auf Planet Leeds sprechen wir ebenfalls Englisch, genau wieSie es auch tun. In me<strong>in</strong>er Familie sogar auf relativ hohem Niveau, ganz im Gegensatz zu<strong>de</strong>n ungehörigen Worten, <strong>die</strong> Sie gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Mund genommen haben.“ Lan<strong>de</strong>r schafftees, se<strong>in</strong>e Stimme gleichmäßig zu halten. Es kostete ihn e<strong>in</strong>ige Beherrschung. „Ich fragemich allerd<strong>in</strong>gs, ob Ihr Verhalten <strong>die</strong> Billigung aller Ihrer Vorgesetzten hätte. Sie werfenmir vor, ich hätte me<strong>in</strong>e Pflichten vernachlässigt, nach<strong>de</strong>m Sie mich zu Beg<strong>in</strong>n von allenPflichten <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem E<strong>in</strong>satz entbun<strong>de</strong>n haben.“ Lan<strong>de</strong>r betrachtete aufmerksam se<strong>in</strong>eHän<strong>de</strong> und sprach langsam sowie <strong>de</strong>utlich weiter:„Sie wissen genau, dass <strong>die</strong>ser Vorwurf unhaltbar ist, da ich zu jenem Zeitpunkt erst seitetwas mehr als e<strong>in</strong>em Tag auf <strong>de</strong>m Schiff war und noch immer frisch von <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>miekomme. Me<strong>in</strong>e Ausbildung ist zwar offiziell abgeschlossen, aber je<strong>de</strong>r Offizier <strong>de</strong>r RoyalNavy wür<strong>de</strong> e<strong>in</strong>sehen, dass man so etwas dar<strong>in</strong> nicht lernt. Das haben Sie selbstbestätigt, <strong>in</strong><strong>de</strong>m Sie Chief Petty Officer Wayland <strong>die</strong> Leitung von Gruppe Alphaübertrugen. Wie können Sie mir also jetzt etwas anlasten, was ich gar nicht richtigwissen konnte?“„S<strong>in</strong>d Sie fertig, Sie W<strong>in</strong>keladvokat?“Erst jetzt hob Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Blick und sah Raven genau <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. „Ja, Sir.“„Dann können Sie wegtreten. Beim nächsten E<strong>in</strong>satz gehen Sie wie<strong>de</strong>r mit raus. FürPassagiere haben wir hier ke<strong>in</strong>e Verwendung, und Sie wer<strong>de</strong>n ja schließlich dafür bezahlt.Heimaturlaub haben Sie lange genug gehabt. Ich wer<strong>de</strong> dafür sorgen, dass Sie jetztendlich auf Trab kommen.“


Überrascht, dass <strong>de</strong>r erwartete Ausbruch abgesehen von <strong>die</strong>ser vagen Drohung fastkomplett ausgeblieben war, salutierte Lan<strong>de</strong>r beflissentlich und zog sich zurück. Erkochte <strong>in</strong>nerlich vor Wut, aber er war sich auch gleichzeitig bewusst, dass er sich e<strong>in</strong>enmächtigen Fe<strong>in</strong>d geschaffen hatte. Vielleicht war Raven auch sogar schon se<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>dgewesen, bevor er überhaupt <strong>die</strong>ses Schiff betreten hatte.In ihrer Kab<strong>in</strong>e stand <strong>die</strong> Reisetasche, und <strong>die</strong> Sachen lagen bereits halb ausgepackt auf<strong>de</strong>m Bett. Dort betätigte sich Daniel Fowley. Nur um etwas zu sagen, erklärte <strong>de</strong>rLieutenant: „Ich dachte, du wolltest <strong>de</strong>n Sp<strong>in</strong>d lieber alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>räumen, aber...“„Danke für alles, Daniel!“, platzte Lan<strong>de</strong>r heraus.„Ne<strong>in</strong>, mir tut leid, was geschehen ist.“ Nervös wan<strong>de</strong>rten <strong>die</strong> Augen <strong>de</strong>s ZweitenOffiziers <strong>in</strong> Richtung Tür. „Sowohl gera<strong>de</strong> als auch vor drei Wochen. Ich hätte dich nichtalle<strong>in</strong> gehen lassen dürfen. Vor allem habe ich sehr bedauert, dass ich dich so angefahrenhabe.“„Ach du liebe Güte, vergiss es e<strong>in</strong>fach.“ Lan<strong>de</strong>r verdrehte <strong>die</strong> Augen. „Es ist passiert undzum Glück gut gegangen. Ich hätte nicht im Frachter se<strong>in</strong> mögen, wenn <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fach sohere<strong>in</strong>gekommen wären, um uns alle zu erledigen o<strong>de</strong>r gar e<strong>in</strong>e Nagelgranate geworfenhätten. Und was <strong>de</strong>n Lieutenant Comman<strong>de</strong>r angeht, kann man wohl nicht son<strong>de</strong>rlich vielvon e<strong>in</strong>em Mann erwarten, <strong>de</strong>r mit Vornamen Erasmus heißt. Vermutlich hatte er schonKomplexe, bevor er zehn Jahre alt war.“Fowley verzog <strong>die</strong> Lippen zu e<strong>in</strong>em für ihn typischen halbehrlichen Lächeln und nickte.„Gut möglich.“„Hilfst du mir beim E<strong>in</strong>räumen? Diesmal packe ich ganz aus und hoffe darauf, etwaslänger hierzubleiben als letztes Mal.“„Natürlich helfe ich dir, Sub. Erstens, damit du <strong>de</strong><strong>in</strong>e Pflichten nicht vernachlässigst,zweitens, damit es schneller geht, und drittens, weil ich wissen will, was <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Doseda ist.“„Du hast me<strong>in</strong> Gespräch mit <strong>de</strong>m Exec belauscht?“„Was dachtest du <strong>de</strong>nn?“ Fowley zog e<strong>in</strong>e Grimasse. „Mich hat er auchzusammengestaucht. Pflichtvernachlässigung und so weiter. Ich musste wissen, was erzu dir sagen wür<strong>de</strong>. Du hattest völlig Recht, ihm Paroli zu bieten. Respekt. Es ist langeher, dass ihn jemand <strong>de</strong>rmaßen auf <strong>die</strong> Palme gebracht hat.“„Tut mir leid. Wenn du an jenem Tag nicht…“ Unfähig, weiterzusprechen, sah er se<strong>in</strong>enVorgesetzten an.„Aye. Und wenn du gezögert sowie uns alle nicht durch <strong>de</strong>n Schuss alarmiert hättest,wären wir alle nicht zurückgekommen. Je<strong>de</strong>r von uns wusste das. Das ganze Schiff iststolz auf dich. Praktisch alle außer unserem lieben Exec.“„Wie viele Tote hatten wir?“„Sechs. Dazu außer dir noch drei weitere Verletzte. Der Chief hat sich geirrt. Erstmalig,seit ich ihn kenne. Es waren m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong> Dutzend Angreifer. Sie waren wohl nochnicht mit <strong>de</strong>m Plün<strong>de</strong>rn fertig, als wir kamen. Daher wollten sie uns erledigen, umanschließend weitermachen zu können. E<strong>in</strong>e sehr irreguläre Vorgehensweise.“ DerLieutenant wandte <strong>de</strong>n Blick ab. „Was haben <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern gesagt?“„Sie waren etwas besorgt.“„Vermutlich bestan<strong>de</strong>n sie darauf, dass du <strong>die</strong> Navy verlässt. Kaum zwei Tage im aktivenE<strong>in</strong>satz und schon schwer verletzt im Krankenhaus.“„So <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Art.“ Lan<strong>de</strong>r dachte an se<strong>in</strong>e Mutter. Sie war auf Southampton <strong>in</strong> New Londongewesen, als er aufgewacht war. Ihr verwe<strong>in</strong>tes Gesicht war schrecklich anzusehengewesen. Den ganzen Rückflug <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er umgebauten Cly<strong>de</strong>sdale plus vollem Ärzteteamhatte er im künstlichen Koma verschlafen. „Und wie geht es dir?“Der Zweite Offizier hielt Lan<strong>de</strong>rs Blick stand, auch wenn <strong>die</strong> Trauer sich noch immer <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Augen abzeichnete. „Besser.“„Freut mich sehr.“ Lan<strong>de</strong>r griff zum ersten Wäschestapel. Ihn rührte, dass Fowley bereitsfür ihn ausgepackt hatte.Als er sich hastig herumdrehte, durchfuhr e<strong>in</strong> mittlerweile wohlbekannter, stechen<strong>de</strong>rSchmerz se<strong>in</strong>e Rippen, und er hielt sich kurz <strong>die</strong> Seite.„Alles <strong>in</strong> Ordnung?“„Ja. Es zieht nur manchmal etwas.“


„Wie ich hörte, war <strong>de</strong><strong>in</strong>e Weste nicht <strong>in</strong> Ordnung. E<strong>in</strong> unent<strong>de</strong>ckter Produktionsfehler,wie er e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> zehn Jahren vorkommt. Die Schutzplatte ist gebrochen, daher g<strong>in</strong>g <strong>die</strong>Kugel auch durch. Zum Glück hat das Material aber wenigstens <strong>die</strong> Wucht abgebremst,weshalb sie nicht allzu tief <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>e Brust e<strong>in</strong>gedrungen ist“, dozierte se<strong>in</strong> ältererZimmergenosse.„E<strong>in</strong> Glück, ja.“ Lan<strong>de</strong>r wusste sonst nicht, was er sagen sollte.„Behauptet <strong>de</strong>r Arzt. Aber nun sag mir doch endlich, was hier dr<strong>in</strong>nen ist!“, brach <strong>de</strong>rLieutenant nach e<strong>in</strong>igen Sekun<strong>de</strong>n das pe<strong>in</strong>liche Schweigen.„Gugelhupf.“„Was?“„Kuchen. Irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> rhe<strong>in</strong>ländisches Rezept. Me<strong>in</strong>e Mutter hat ihn ausprobiert undbestand darauf, dass ich ihn mitnehme. Sie sagte außer<strong>de</strong>m, dass du davon essensollst.“„Du hast ihr von mir erzählt?“„Ja. Irgen<strong>de</strong>twas musste ich ja schließlich erzählen. Sie hat sehr viel gefragt, und duwarst e<strong>in</strong> gutes Ausweichthema. Stört dich das etwa?“„Ach Quatsch. Ich möchte nur wissen, was du ihr gesagt hast.“ Fowley war bereits mit<strong>de</strong>r Dose beschäftigt. Mit <strong>in</strong> <strong>die</strong> Seiten gestemmten Hän<strong>de</strong>n sah Lan<strong>de</strong>r ihm zu und lachteschließlich. „Oh Mann, Daniel! Noch nie e<strong>in</strong>e Frischhaltedose <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand gehabt?“Fowley schnitt e<strong>in</strong>e Grimasse und sah beleidigt aus. „Frag nicht so blöd! Natürlich weißich, was das ist, aber <strong>die</strong>ser blö<strong>de</strong> Verschluss…“„Das ist <strong>de</strong>r Patentverschluss me<strong>in</strong>er Mutter. Erzähl mir nicht, dass wir von Planet Leedsdir als Mann von Welt etwas voraushaben.“ Lan<strong>de</strong>r nahm ihm <strong>die</strong> Dose aus <strong>de</strong>r Hand undöffnete sie. „Da!“Se<strong>in</strong>em Vorgesetzten gefiel überhaupt nicht, dass Lan<strong>de</strong>r nun se<strong>in</strong>erseits ihn mit <strong>de</strong>rH<strong>in</strong>terwäldlermasche aufzog, aber <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Richtung hatte er ja bereits genug Lehrgeldbezahlt.Den Kuchen genossen sie <strong>in</strong> völligem Schweigen, bis es an <strong>de</strong>r Tür klopfte. Ohne aufAntwort zu warten, platzte e<strong>in</strong> Mann here<strong>in</strong>. „Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r Chief erwartet Sieim Masch<strong>in</strong>enraum!“Nach e<strong>in</strong>em raschen Blicktausch erkundigte sich Fowley als ranghöherer Offizier: „Wozu<strong>de</strong>nn das?“„Zur Extraschicht, Sir. Der Lieutenant soll bis 1200 unten bleiben und dann gleich auf <strong>die</strong>Brücke kommen. Um 1900 nach <strong>de</strong>m Aben<strong>de</strong>ssen sollen Sie ihm außer<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>e weitereLehrstun<strong>de</strong> im Schießen geben.“„Schießen kann er mittlerweile, wie er ja bewiesen hat. Sie können gehen. Richten Sie<strong>de</strong>m Chief aus, dass Mister Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> zehn M<strong>in</strong>uten da ist.“„Bedaure, Sir. Da er bereits vor e<strong>in</strong>er Viertelstun<strong>de</strong> unten hätte se<strong>in</strong> sollen und <strong>de</strong>r Execgleich vorbeischauen will…“„Gottverflucht!“, entfuhr Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> leedser Manier. Er sprang auf. „Nimm ruhig nochKuchen, Daniel!“„Wer<strong>de</strong> ich, Lieutenant. Vielen Dank“, antwortete Fowley betont neutral.„Ahhh… gut, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r salutierte erschrocken, woraufh<strong>in</strong> im Gesicht <strong>de</strong>s Crewmitgliedse<strong>in</strong> Muskel verdächtig zu zucken begann. Auch Fowley schien Mühe zu haben, ernst zubleiben.„Schon gut, ich habe nichts gesehen o<strong>de</strong>r gehört!“ Der Mann bl<strong>in</strong>zelte <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>nOffizieren verschwörerisch zu und eilte davon.„A<strong>de</strong> Gemütlichkeit. Mach, dass du wegkommst, Patrick. Raven beruhigt sich auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>bis zwei Wochen wie<strong>de</strong>r.“„Aye, aye!“ Lan<strong>de</strong>r stürzte davon und schickte <strong>de</strong>n Ersten Offizier <strong>in</strong> Gedanken zur <strong>Hölle</strong>.„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r bitte sofort auf <strong>die</strong> Brücke!“Stöhnend drehte <strong>de</strong>r Ausgerufene sich auf <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re Seite und sehnte sich danach,e<strong>in</strong>fach weiterzuschlafen. In ihm warnte e<strong>in</strong>e beharrliche Stimme jedoch davor, obwohles Daniel Fowley gewesen war, <strong>de</strong>r ihn ausgerufen hatte. Wenigstens nicht Lieutenant


Comman<strong>de</strong>r Raven, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Exekutivoffizier hatte ihm das Leben <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten vierWochen zur <strong>Hölle</strong> gemacht.Vermutlich kam <strong>de</strong>r Ruf trotz<strong>de</strong>m von ihm, <strong>de</strong>nn er war ja zusammen mit <strong>de</strong>m ZweitenOffizier auf <strong>de</strong>r Brücke und vertrat <strong>de</strong>n Capta<strong>in</strong> als Verantwortlicher <strong>de</strong>r SchiffswacheBravo.Patrick Lan<strong>de</strong>r gehörte h<strong>in</strong>gegen zur Gruppe Alpha. Er hatte vor nicht allzu langer ZeitWache gehabt, und e<strong>in</strong> Blick auf <strong>die</strong> Uhr bestätigte <strong>die</strong>s nachdrücklich. Er hatte ganzedrei Stun<strong>de</strong>n geschlafen. Nach zwei Wochen voller Patrouillen, sechs E<strong>in</strong>sätzen und damitverbun<strong>de</strong>nem kont<strong>in</strong>uierlichem Wach<strong>die</strong>nst alle sechs Stun<strong>de</strong>n, fühlte er sich längst wiegerä<strong>de</strong>rt und gevierteilt. Die letzte kurze Erholungspause hatten sie alle vor fünfzehnTagen im Schutz <strong>de</strong>r Kanonen von Douglas Station gehabt.Se<strong>in</strong> Muskelkater mel<strong>de</strong>te sich, als er sich bl<strong>in</strong>zelnd aus <strong>de</strong>m Bett schwang und hastigzum Sp<strong>in</strong>d tappte, wo se<strong>in</strong>e Uniform h<strong>in</strong>g. Das gestrige Nahkampftra<strong>in</strong><strong>in</strong>g hatte es <strong>in</strong> sichgehabt. Irgendwann wür<strong>de</strong> es besser wer<strong>de</strong>n, wie Fowley versprochen hatte, aber nachdrei Tagen war davon nicht viel zu spüren. Und das alles machte er noch irgendwiewährend o<strong>de</strong>r zwischen <strong>de</strong>n zwei Wachen pro Tag.Erasmus Raven hatte ihn getriezt bis zum Abw<strong>in</strong>ken, aber fairerweise musste gesagtwer<strong>de</strong>n, dass momentan niemand - Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham e<strong>in</strong>geschlossen - mehr Schlafbekam.Sich <strong>die</strong> Uniformjacke im Laufen anziehend, begann er se<strong>in</strong>en nicht allzu langen Weg zurBrücke. Er hätte sie nach jenen Wochen <strong>de</strong>s täglichen Bord<strong>die</strong>nstes trotz<strong>de</strong>m schon imSchlaf gefun<strong>de</strong>n.„Sub-Lieutenant…“ Erasmus Raven stand an <strong>de</strong>r Kommunikationskonsole und war dabei,ihn erneut auszurufen, als er ankam und Haltung annahm. Der Comman<strong>de</strong>r stand nebense<strong>in</strong>em Stellvertreter, aber das war nicht <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Grund für <strong>die</strong> korrekte Beachtung<strong>de</strong>r Vorschriften. Je weniger <strong>de</strong>r Dritte Offizier <strong>de</strong>m Exekutivoffizier Anlass zu neuenSchikanierungen gab, umso wüten<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> Raven. Das hatte Lan<strong>de</strong>r mittlerweile gutbegriffen und bekämpfte ihn <strong>de</strong>shalb mit Freundlichkeit und Korrektheit. Wohl e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>rGrün<strong>de</strong>, warum Raven ihn noch immer auf <strong>de</strong>m Kieker hatte.„Da s<strong>in</strong>d Sie ja endlich! Besser spät als nie, was?“, knurrte <strong>de</strong>r Erste Offizier, als erherüberkam.Da <strong>de</strong>r Kommandant auf <strong>de</strong>r Brücke war, fiel Lan<strong>de</strong>rs Antwort noch freundlicher aus, alses sonst <strong>de</strong>r Fall gewesen wäre. „Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Sir.“E<strong>in</strong> unartikulierter Laut verriet Ravens Ärger, als er <strong>in</strong> Fowleys Richtung gestikulierte:„Machen Sie das, Lieutenant!“„Ja, Sir“, war <strong>die</strong> unbewegte Entgegnung <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers, aber Lan<strong>de</strong>r sah dasleichte Bl<strong>in</strong>zeln <strong>de</strong>s rechten Auges. „Lieutenant, es geht um e<strong>in</strong>e rout<strong>in</strong>emäßige Kontrollee<strong>in</strong>es Frachters <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt M<strong>in</strong>ers’ Guild. Er kommt von weiter her, und es ist nichtklar, wo genau und was er dort gemacht hat. Vielleicht kommt er sogar aus <strong>de</strong>nRandwelten, und das macht ihn verdächtig. Die E<strong>in</strong>fluggenehmigung nach Cambridgewur<strong>de</strong> ihm verweigert, und er wur<strong>de</strong> gezwungen abzudrehen. E<strong>in</strong>e Jägereskorte geleitetihn jetzt im Moment nach Freeport 1, und…“„Trauen Sie sich <strong>die</strong> E<strong>in</strong>satzleitung zu, Mister Lan<strong>de</strong>r?“, unterbrach Comman<strong>de</strong>rK<strong>in</strong>gsham, <strong>de</strong>r sich jetzt zu se<strong>in</strong>em Sitz begab und <strong>de</strong>n Blick dabei trotz<strong>de</strong>m auf se<strong>in</strong>enjüngsten Offizier gerichtet hielt. „E<strong>in</strong> Team, bestehend aus <strong>de</strong>n Leuten Ihrer Wache. Daes nicht son<strong>de</strong>rlich eilt, fliegen wir selbst h<strong>in</strong>. Der Chief ist momentan auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck unabkömmlich, da beim letzten E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdales beschädigtwur<strong>de</strong>, wie Sie ja wissen. Erasmus me<strong>in</strong>t, dass es e<strong>in</strong> gutes Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g für Sie wäre, alle<strong>in</strong>zu gehen, während Mister Fowley <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung vertritt, dass er lieber mitkommen sollte.Was me<strong>in</strong>en Sie?“Lan<strong>de</strong>r war über <strong>die</strong> Frage überrascht. Obwohl er seit se<strong>in</strong>er Rückkehr je<strong>de</strong>n Tag zweiSchichten Brückenwache mit <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r gehabt hatte, überrumpelte ihn <strong>de</strong>r Mannstets von Neuem. Unsicher leckte er sich über <strong>die</strong> Lippen und suchte nach Worten, aberK<strong>in</strong>gsham ergänzte überraschend sanft: „Ich habe Ihre abgefassten Berichte gelesen undChief Waylands Urteil über Sie gehört. Ich <strong>de</strong>nke daher, dass Sie langsam reif s<strong>in</strong>d,kle<strong>in</strong>ere D<strong>in</strong>ge alle<strong>in</strong> zu schaffen. Auch <strong>die</strong>se Erfahrung müssen Sie machen. Ihrepraktische Ausbildung schreitet gut voran, Ihre Leute vertrauen Ihnen, und man sieht Sie


als Mitglied <strong>de</strong>s Teams an. Jetzt wird es langsam Zeit, <strong>de</strong>n letzten Schritt zu tun und vomTeammitglied zum Leiter zu wer<strong>de</strong>n, Lieutenant. Verstehen Sie, was ich sagen möchte?“„Ja, Sir.“ E<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Antwort gab es nicht.„Habe ich dir doch gesagt, Erasmus. Unsere Navy könnte mehr wie ihn gebrauchen,wenn sie auf Planet Leeds alle so s<strong>in</strong>d.“Die Reaktion <strong>de</strong>s Ersten Offiziers auf das Lob war kaum wahrnehmbar. Nur e<strong>in</strong>eAnspannung <strong>de</strong>r Kiefermuskeln verriet, dass Raven <strong>die</strong> Zähne zusammengepresst hatte.Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> jäh klar, dass es se<strong>in</strong>etwegen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r jüngsten Vergangenheit wohlm<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong>e heftige Me<strong>in</strong>ungsverschie<strong>de</strong>nheit zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n ranghöchstenOffizieren <strong>de</strong>r Oxford gegeben hatte.„Machen Sie sich fertig, Lieutenant. Ihr Team rufen wir gleich aus. Lieutenant Fowleywird Ihnen bei <strong>de</strong>r Vorbereitung helfen und noch e<strong>in</strong>ige Details mit Ihnen durchgehen.“E<strong>in</strong> Nicken zeigte ihm, dass er entlassen war. Er wun<strong>de</strong>rte sich nur, dass <strong>de</strong>r Kapitänansche<strong>in</strong>end über se<strong>in</strong>e gute kameradschaftliche Beziehung zu Fowley <strong>in</strong>formiert war,obwohl sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Wochen kaum Zeit füre<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gehabt hatten. DerBord<strong>die</strong>nst hatte sie bei<strong>de</strong> voll beansprucht.Se<strong>in</strong> Zimmergenosse folgte ihm h<strong>in</strong>aus. Lan<strong>de</strong>r ließ ihm <strong>de</strong>n Vortritt zu e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>nWaffen<strong>de</strong>pots, das auch gleichzeitig als Umklei<strong>de</strong>raum fungierte. Zu se<strong>in</strong>er Überraschungdrückte <strong>de</strong>r Zweite Offizier ihm e<strong>in</strong>en Schlüssel <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand. „De<strong>in</strong>er.“„Danke.“ Erst jetzt wur<strong>de</strong> ihm klar, dass er ab sofort wirklich Teamleiter se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>. Füre<strong>in</strong>en Moment war er unsicher und drehte sich nach Fowley um. Da war so e<strong>in</strong>merkwürdiger Ton <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Vorgesetzten gewesen. „Lieutenant…“„Du hättest mich mitkommen lassen sollen!“, platzte <strong>de</strong>r Zweite Offizier heraus, je<strong>de</strong><strong>die</strong>nstliche Anre<strong>de</strong>form völlig vergessend.„Der Comman<strong>de</strong>r hat aber Recht, Daniel. Irgendwann muss ich es ja alle<strong>in</strong> können.“„Und du <strong>de</strong>nkst, dass sechs erfolgreiche E<strong>in</strong>sätze und e<strong>in</strong> bisschen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g dafürausreichen? Nächstes Mal wird er nicht mehr nachfragen, und dann stehst du da! O<strong>de</strong>rglaubst du, er wird dir <strong>in</strong> Zukunft noch e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>n Chief mitschicken? Das kannst du abjetzt völlig vergessen! Darf ich dich an <strong>de</strong><strong>in</strong>en ersten E<strong>in</strong>satz vor sieben Wochener<strong>in</strong>nern?“Nun doch etwas verärgert fuhr Lan<strong>de</strong>r ihn an: „Kannst du mir mal bitte sagen, was dueigentlich hast? Der Tag musste ja irgendwann kommen, und <strong>die</strong>smal ist es wirklichwie<strong>de</strong>r Rout<strong>in</strong>e. Ich b<strong>in</strong> erwachsen! Wie soll ich es <strong>de</strong>nn lernen, wenn du ständig <strong>de</strong>nDaumen draufhältst?“Fowles riss ihm <strong>de</strong>n Schlüssel kurzerhand aus <strong>de</strong>r Hand, schloss <strong>de</strong>n Raum auf und zogLan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>. „Mir sche<strong>in</strong>t wirklich, als hätten <strong>die</strong>se ruhigen Wochen dir das Hirnvernebelt! Du bist noch nicht so weit. In <strong>de</strong>n Grenzwelten ist ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>satz jemals sicher.Es kann immer etwas passieren! Du als Sub-Lieutenant hast noch nicht genugErfahrung!“„Aber <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren haben sie. Ich gehe nicht alle<strong>in</strong> dort <strong>in</strong> <strong>die</strong> böse weite Welt h<strong>in</strong>aus,schon vergessen?“„Du fühlst dich wirklich als <strong>de</strong>r große Held, was? E<strong>in</strong>mal verwun<strong>de</strong>t, danach als Rettergefeiert und verwöhnt - direkt <strong>de</strong>nkst du, dass du alles könntest!“, hielt Fowley, <strong>de</strong>r mitverschränkten Armen neben <strong>de</strong>r Tür stand, lautstark dagegen. „Und was ist, wenn eswie<strong>de</strong>r passiert? Du hast auch neue Leute dabei, <strong>die</strong> nicht so viel Erfahrung haben. Siekamen hier an, nach<strong>de</strong>m du verwun<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n bist. Und zu <strong>de</strong><strong>in</strong>er hohen Me<strong>in</strong>ung vondir selbst kann ich nur sagen: Wir hatten mal e<strong>in</strong>en Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g, <strong>de</strong>r auch im erstenE<strong>in</strong>satz verwun<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong> und nach se<strong>in</strong>er Genesung auf <strong>die</strong>ses Schiff zurückkam. Imnächsten richtig harten E<strong>in</strong>satz ist er zusammengebrochen und wur<strong>de</strong> als Resultat <strong>de</strong>ssenerneut fast getötet. Danach hat man ihn gefeuert, noch während er im Krankenhaus lag.“„Bist du fertig?“, fragte Lan<strong>de</strong>r betont kühl. „Hast du <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten vier Wochenirgen<strong>de</strong>twas davon gemerkt, dass ich Schiss gehabt hätte?“„Ne<strong>in</strong>, du hattest ke<strong>in</strong>en Schiss, wie du es <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>em Heimatdialekt nennst. Genau dasmacht mir Sorgen, verdammt! Die letzten E<strong>in</strong>sätze waren ruhig. Der Comman<strong>de</strong>r hätteauch <strong>de</strong>n Chief alle<strong>in</strong> h<strong>in</strong>schicken können! Das wird aber nicht immer so bleiben, Patrick!Was ist, wenn es wie<strong>de</strong>r Tote gibt? Wenn du wie<strong>de</strong>r auf jeman<strong>de</strong>n schießen musst?“


„Dann wer<strong>de</strong> ich genau wie letztes Mal nicht zögern, es zu tun, Daniel. Ich habeverstan<strong>de</strong>n, worauf es ankommt, und <strong>die</strong> restlichen Erfahrungen muss ich wirklich selbstmachen. Manche davon auch alle<strong>in</strong> ohne Aufpasser wie dich o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Chief.“„Du bist ja noch verrückter als ich dachte!“ Fowley riss <strong>die</strong> Tür auf.„Wäre nett von dir, wenn du mir noch <strong>die</strong> E<strong>in</strong>satz<strong>de</strong>tails mitteilen wür<strong>de</strong>st, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>rComman<strong>de</strong>r gesprochen hat“, rief Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>ter ihm her. Nun war er ebenfalls richtigsauer, aber <strong>die</strong>smal auf se<strong>in</strong>en unmittelbaren Vorgesetzten.„Holen Sie sich <strong>die</strong> doch vom Comman<strong>de</strong>r, Fleet Admiral Lan<strong>de</strong>r!“, war <strong>die</strong> hitzigeAntwort.Erstaunlicherweise wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dritte Offizier durch <strong>die</strong>se ärgerliche Bemerkung wie<strong>de</strong>rruhiger. Er schüttelte <strong>de</strong>n Kopf und begann, sich umzuklei<strong>de</strong>n.„Team Alpha sofort fertig machen! Der E<strong>in</strong>satz erfolgt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er halben Stun<strong>de</strong>!“ Sogarübers Intercom klang Fowley sehr wütend.B<strong>in</strong>nen fünf M<strong>in</strong>uten war das Team aus Gewohnheit im Umklei<strong>de</strong>raum versammelt. E<strong>in</strong>igewaren sofort aus <strong>de</strong>m Bett gekommen und trugen noch <strong>die</strong> Nachtwäsche, an<strong>de</strong>re hattensich hastig ihre Schiffsuniform angezogen, <strong>die</strong> sie jetzt jedoch sowieso erneut ablegenmussten. E<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zwei Mann kamen sogar von ihren Schiffsstationen, da sie Wachegehabt hatten.Petty Officer Piper war auch wie<strong>de</strong>r dabei. Der Mann von Planet Leeds, wie Lan<strong>de</strong>r ihnseit jenem ersten E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong>sgeheim nannte. Natürlich zeigte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant se<strong>in</strong>eZuneigung nicht offen, aber er mochte ihn <strong>de</strong>nnoch sehr gern und hatte nicht vergessen,was Piper für ihn getan hatte.Er sah <strong>die</strong> Blicke <strong>de</strong>r Männer, bis e<strong>in</strong>er von ihnen offen nachfragte: „Kommt <strong>de</strong>r Chief<strong>de</strong>nn nicht mit, Sir?“Seit damals nannten ihn alle Unteroffiziere und Mannschaften an Bord <strong>de</strong>r Oxford nurnoch Sir o<strong>de</strong>r Lieutenant. Inklusive <strong>de</strong>s Chiefs. Lan<strong>de</strong>r nahm es als das, was es war: e<strong>in</strong>Ausdruck ihrer Akzeptanz se<strong>in</strong>er Person <strong>in</strong> ihrer Mitte.„Der Chief wur<strong>de</strong> dazu verdonnert weiter <strong>die</strong> zweite Cly<strong>de</strong>sdale zu reparieren, wie ichfürchte. Der Comman<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass wir <strong>de</strong>n Weg auch ohne ihn f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, und<strong>de</strong>shalb f<strong>in</strong><strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Tanz heute ohne <strong>de</strong>n Chief statt.“ Lan<strong>de</strong>r brachte das ganz ruhig über<strong>die</strong> Lippen und lächelte ihnen kurz zu. Zwölf Mann. Se<strong>in</strong> Team. „Mal ganz davonabgesehen könnte sich selbst Mister Lewis heute nicht verfliegen, da wir erst starten,wenn Freeport 1 schon längst <strong>in</strong> Sicht ist.“Verhaltene Lacher gaben ihm Antwort, aber Lan<strong>de</strong>r fügte trotz<strong>de</strong>m noch h<strong>in</strong>zu: „Ichverlasse mich auf euch, klar? Wenn wir das hier versauen, schickt LieutenantComman<strong>de</strong>r Raven mich per Eilpost zurück nach Bretonia. Das dürfte reichlichunangenehm wer<strong>de</strong>n, da e<strong>in</strong>ige Crusa<strong>de</strong>rs unserer Raumstreitkräfte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe s<strong>in</strong>d. Auf<strong>die</strong>se Art <strong>de</strong>r Frachtbeför<strong>de</strong>rung habe ich ke<strong>in</strong>e Lust, also macht mir ke<strong>in</strong>e Schan<strong>de</strong>!“Diesmal war das Lachen noch lauter, und Piper zw<strong>in</strong>kerte ihm zu. „Ganz bestimmt nicht,Sir. Nach Leeds ist es von hier aus weit.“„Oh ja, beson<strong>de</strong>rs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Postsack im Jägerfrachtraum.“ Lan<strong>de</strong>r wollte es theatralischkl<strong>in</strong>gen lassen, aber er musste ebenfalls lachen. Je<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz konnte <strong>de</strong>r Letzte se<strong>in</strong>,aber bis es soweit war, war es viel zu schön, am Leben zu se<strong>in</strong>.Das dachten wohl auch <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>nn ihr herzliches Gelächter erfüllte <strong>de</strong>nUmklei<strong>de</strong>raum, bis auch <strong>de</strong>r Letzte von ihnen fertig war. Dann nahmen sie ihn wieselbstverständlich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mitte.Daniel Fowley hatte Unrecht, wie Lan<strong>de</strong>r dachte, <strong>de</strong>nn mit solchen Leuten wie jenen <strong>in</strong>Team Alpha unter se<strong>in</strong>em Kommando konnte <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz überhaupt nicht schiefgehen!Hier fühlte er sich richtig und jenen rauen Kerlen verbun<strong>de</strong>n. Es war eben doch e<strong>in</strong>Unterschied, <strong>de</strong>nn jemand wie <strong>de</strong>r Zweite Offizier wur<strong>de</strong> respektiert und geschätzt, aberjemand wie Lan<strong>de</strong>r gehörte schlichtweg dazu, obwohl er Offizier war. Offizier von PlanetLeeds, <strong>de</strong>m Industrie- und damit Arbeiterplaneten <strong>de</strong>s Hauses Bretonia. Er war niemandvon Stand und Namen, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>er wie sie.Diesen wesentlichen Unterschied wür<strong>de</strong> das bretonische Militär und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong>Royal Navy wohl niemals überbrücken können, wie Lan<strong>de</strong>r bitter dachte. SolcheStan<strong>de</strong>sunterschie<strong>de</strong> verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten jedoch trotz<strong>de</strong>m, dass er wirkliche Freun<strong>de</strong> gewann.E<strong>in</strong> Offizier durfte nicht mit <strong>de</strong>r Mannschaft befreun<strong>de</strong>t se<strong>in</strong>, aber Patrick Lan<strong>de</strong>r gehörteeben auch nicht so recht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Offiziersmesse <strong>de</strong>r Oxford, wie er mittlerweile sehr genau


wusste. Die ihm von Raven entgegengebrachte Fe<strong>in</strong>dschaft war gleichfalls e<strong>in</strong> Beweisdafür.Selbst Daniel Fowley war ke<strong>in</strong> Freund, <strong>de</strong>nn Freun<strong>de</strong> sprangen nicht je<strong>de</strong>s Mal auf dasdistanzieren<strong>de</strong> Sie um, wenn e<strong>in</strong> rangnie<strong>de</strong>res Mannschaftsmitglied auch nur <strong>in</strong> <strong>die</strong> Nähekam. Es war e<strong>in</strong> Zeichen dafür, dass se<strong>in</strong>em Zimmergenossen pe<strong>in</strong>lich war, mitjeman<strong>de</strong>m wie Lan<strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>t zu se<strong>in</strong>, weshalb er das vermied. Gebraucht hatten siee<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, aber abgesehen von kurzen Perio<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Vertrautheit trennte sie zu viel.Geburt, Herkunft, E<strong>in</strong>fluss und Karriere. Eben das, was man soziale Schicht nannte. DieBeziehung zu se<strong>in</strong>em Zimmergenossen war e<strong>in</strong> ständiges Auf und Ab, wie ihm schien.Momentan war sie durch <strong>de</strong>n Krach mal wie<strong>de</strong>r im Keller. Nichts, worauf man bauenkonnte und sollte.Was das ang<strong>in</strong>g, war er <strong>de</strong>shalb hier auf <strong>die</strong>sem Schiff zum ersten Mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Lebenfür längere Zeit wirklich auf sich alle<strong>in</strong> gestellt. Auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie, wo sie alle <strong>de</strong>ngleichen Dreck zu schmecken bekommen hatten, war das an<strong>de</strong>rs gewesen. Vermutlichwaren se<strong>in</strong>e dortigen Zimmergenossen und ehemaligen Bekannten jedoch mittlerweileebenso gewor<strong>de</strong>n wie Fowley und Raven. Sie wür<strong>de</strong>n ihn ignorieren o<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>emRücken Witze über ihn machen, wie Fowley es sicherlich auch tat. Zu wissen, dass mane<strong>in</strong> Mensch zweiter Klasse war, obwohl man <strong>die</strong>selbe Uniform trug wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren, warbitter.„Ich möchte mal wissen, was <strong>die</strong> In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt M<strong>in</strong>ers’ Guild bei uns <strong>in</strong> Bretonia zu suchenhat“, verkün<strong>de</strong>te e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale sauertöpfisch.„Frag doch <strong>de</strong>n Piloten, wenn du ihn siehst.“„Wer<strong>de</strong> ich vielleicht machen und ihm dabei e<strong>in</strong>e aufs Maul hauen, weil wir wegen <strong>die</strong>semhirnverbrannten, abgefuc…“Nun öffnete <strong>de</strong>r aufblicken<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mund, um etwas gegen <strong>die</strong>se Ausdrucksweisezu sagen, aber Piper kam ihm zuvor: „Gar nichts wirst du, me<strong>in</strong> Freund. Du wirst nettund höflich se<strong>in</strong>, wie es sich für e<strong>in</strong>en großen Jungen wie dich gehört! Wir s<strong>in</strong>d bei <strong>de</strong>rRoyal Navy und nicht <strong>die</strong> Rauswerfer e<strong>in</strong>er Kneipe auf irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er heruntergekommenen,drittklassigen Raumstation!“Lan<strong>de</strong>r verkniff sich e<strong>in</strong>e zusätzliche Bemerkung dazu und wahrte e<strong>in</strong>en stoischenGesichtsausdruck. Der Petty Officer hatte auf se<strong>in</strong>e Weise bereits alles gesagt. Piperhatte wirklich e<strong>in</strong>en unermesslichen Wert für ihn, wie <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant bei sich dachte.„Landung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute, Sir!“, mel<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Unteroffizier aus <strong>de</strong>m Cockpit.„Gut, Leute. Ihr wisst ja Bescheid. Wir gehen wie abgesprochen vor. Wir wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong>Ladung kontrollieren, ihr wer<strong>de</strong>t Auffälligkeiten sofort via Funk an mich mel<strong>de</strong>n, und <strong>in</strong>zwanzig M<strong>in</strong>uten s<strong>in</strong>d wir alle schon wie<strong>de</strong>r zurück auf <strong>de</strong>m Schiff.“Zum wie<strong>de</strong>rholten Mal fragte Lan<strong>de</strong>r sich, wieso man nicht e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Royal Mar<strong>in</strong>es fürsolche Aufgaben schickte, aber es musste eben <strong>die</strong> Navy se<strong>in</strong>. Vermutlich wollte <strong>die</strong>Admiralität so Geld sparen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m <strong>die</strong> Mannschaft e<strong>in</strong>es Schiffes, das sich sowieso <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten aufhielt, eben auch <strong>die</strong> Rolle von Zöllnern übernahm. Das sparte Kosten undwar billiger als nochmals Leute speziell dazu abzukomman<strong>die</strong>ren.„Aye, Sir“, bestätigte Piper <strong>die</strong> Anweisung im Namen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren. Danach sah er Lan<strong>de</strong>ran: „Ich schlage vor, Sie sagen <strong>de</strong>m Lieutenant vorne, dass er uns möglichst naheranbr<strong>in</strong>gen soll. Die Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>gs Peters und Gareis können sich dann <strong>de</strong>n Pilotenvornehmen, während ich Sie und unseren Frachter mit sechs Mann absichere. Sie gehenam besten mit <strong>de</strong>m Rest re<strong>in</strong>, prüfen <strong>die</strong> Papiere und durchsuchen <strong>die</strong> Ladung aufSchmuggelware.“„Guter Vorschlag, Mister Piper. Danke.“ Lan<strong>de</strong>r berührte <strong>de</strong>n Unteroffizier kurz am Armund warf ihm e<strong>in</strong>en dankbaren Blick zu. Er war nicht so verblen<strong>de</strong>t, dass er e<strong>in</strong>e echteHilfe nicht auch als solche erkannte.Die Cly<strong>de</strong>sdale setzte mit <strong>de</strong>m üblichen harten Stoß auf, aber <strong>die</strong>smal stand sie fastsofort, da <strong>de</strong>r Pilot zuvor <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Schwebeflug gegangen war, anstatt sie gleiten zu lassen,wie es das Raumkorps sonst gerne machte.


„Raus!“, befahl Lan<strong>de</strong>r heiser. Nun befiel ihn angesichts se<strong>in</strong>es ersten richtigen E<strong>in</strong>satzesals Teamleiter doch <strong>die</strong> Aufregung. Er g<strong>in</strong>g als Letzter und w<strong>in</strong>kte <strong>de</strong>m Piloten zu. DerMann hatte se<strong>in</strong>e Anweisungen bereits erhalten.„Ausschwärmen!“, zischte Piper und übernahm <strong>die</strong> Spitze, während er <strong>die</strong> Leute bereitsmit Handzeichen e<strong>in</strong>teilte. Eigentlich wäre das Lan<strong>de</strong>rs Aufgabe gewesen, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant war sich bewusst, dass sie ihm gewogen genug waren, um es ihmnachzusehen. Mittlerweile hatte er genug Selbstvertrauen und ahnte, dass er allesirgendwann begreifen wür<strong>de</strong>. O<strong>de</strong>r zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st das Meiste. Beim Schießen erreichte ermittlerweile auch sehr hohe Trefferquoten und Zeiten von e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute und zehnSekun<strong>de</strong>n. Noch knapp über <strong>de</strong>m Limit von sechzig Sekun<strong>de</strong>n, aber Wayland war sehrzufrie<strong>de</strong>n gewesen, und das hieß etwas. Die E<strong>in</strong>satzleitung wür<strong>de</strong> er auch lernen. Er war<strong>de</strong>m Tod vor sieben Wochen von <strong>de</strong>r Schippe gesprungen, und wie Fowley korrektgemutmaßt hatte, kannte er jetzt kaum noch Angst. Die letzten bei<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>sätze hattensogar fast Spaß gemacht, weil er zunehmend sicherer wur<strong>de</strong>.Der Frachter war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke <strong>de</strong>s Hangar<strong>de</strong>cks geparkt und wur<strong>de</strong> von mehreren dortstehen<strong>de</strong>n Crusa<strong>de</strong>rs abgeschirmt. Lan<strong>de</strong>r gr<strong>in</strong>ste unwillkürlich, als er <strong>die</strong> Blickebemerkte. Die Jägerpiloten fühlten sich <strong>in</strong> ihren Cockpits sicherlich nicht wohl. Er selbstkam sich fast schon gänzlich wie e<strong>in</strong> alter Hase vor und hob <strong>die</strong> Hand zu e<strong>in</strong>embeiläufigen Gruß wie e<strong>in</strong> solcher.Das Schiff <strong>de</strong>r IMG war ihm vom Typ her unbekannt. Vermutlich war es irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>dutzendfach geflickter, dreckiger, alter Grenzweltenfrachter, <strong>de</strong>r bald ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rfallenwür<strong>de</strong> und bis zu jenem Tag nur noch von Spucke und Gebeten zusammengehaltenwur<strong>de</strong>.Die Waffe lag schon lange griffbereit und entsichert <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hand, ohne dass er bewusstdanach gegriffen hatte. Längst war es nicht mehr <strong>die</strong> Anfängerpistole, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>ehalbautomatische Waffe, <strong>die</strong> jedoch auch nicht viel größer war. MGs trugen e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>erLeute, und das reichte ihm. Er bevorzugte kle<strong>in</strong>ere Kaliber, obwohl er im Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g längstauch e<strong>in</strong> MG <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand gehabt hatte.Sie passierten <strong>de</strong>n letzten Crusa<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen Pilot<strong>in</strong> spöttisch salutierte, obwohl siemangels Rangabzeichen nicht sehen konnte, wer von ihnen <strong>de</strong>r Offizier war. Höchstensaus <strong>de</strong>m Verhalten konnte sie es erahnen. Lan<strong>de</strong>r nickte ihr zu, ohne sich lange von ihrablenken zu lassen, und sah sich dann weiter um. In je<strong>de</strong>r Ecke konnte e<strong>in</strong> versteckterHeckenschütze stehen. Das vermieste ihm sogar <strong>die</strong> angenehme Vorstellung, ob <strong>die</strong> Frau<strong>in</strong> <strong>de</strong>m Jäger wohl hübsch war o<strong>de</strong>r nicht. Seit vier Wochen hatte er ke<strong>in</strong>e Frau mehr <strong>in</strong>natura gesehen, da auf <strong>de</strong>r Oxford nur Männer stationiert waren.Nach allem, was er bisher von <strong>de</strong>n Grenzwelten gesehen hatte, war das wohl auch besserso, da e<strong>in</strong>e Frau hier fehl am Platz wäre, wenn sie von ihrer Truppe getrennt wür<strong>de</strong>. Eswäre für e<strong>in</strong>en Mann schon schlimm genug, aber im Fall von Frauen wären <strong>die</strong>Krim<strong>in</strong>ellen noch viel grausamer. Ne<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Pilot<strong>in</strong> war da <strong>in</strong> ihrem Jäger schon gutaufgehoben und sollte ruhig zusehen. In <strong>die</strong>sem Bewusstse<strong>in</strong> wandte er sich nach jenemkurzen Gedankenausflug wie<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er Aufgabe zu.Diesmal war es erneut ruhig auf Freeport 1, genau wie schon während <strong>de</strong>r letzten dreiMale. Er hatte ke<strong>in</strong> Problem damit gehabt, hierher zurückzukehren, obwohl er an <strong>die</strong>semOrt fast gestorben wäre. Es wun<strong>de</strong>rte ihn selbst fast e<strong>in</strong> bisschen, aber es machte ihmnichts aus.Zwei se<strong>in</strong>er Männer sicherten geübt je<strong>de</strong> Seite <strong>de</strong>r offenen Luke, und e<strong>in</strong> weiterer wollteeben <strong>de</strong>n Frachter betreten, als auch schon eilige Schritte hörbar wur<strong>de</strong>n. Unwillkürlichhoben alle von ihnen <strong>die</strong> Waffen, aber <strong>de</strong>r Mann war harmlos, soweit <strong>de</strong>r Dritte Offizier<strong>de</strong>r Oxford das auf e<strong>in</strong>en Blick e<strong>in</strong>schätzen konnte.Auf e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>k von Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong> reichte ihm e<strong>in</strong> Teammitglied <strong>die</strong> Waffe und drückte <strong>de</strong>nPiloten <strong>de</strong>s Frachters an <strong>die</strong> Schiffswand, um ihn beidhändig abzutasten.„Au! Was fällt Ihnen überhaupt e<strong>in</strong>? Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> unbescholtener Bürger und…“„Ihren Pass haben Sie dann sicherlich auch griffbereit, ja?“, warf das Mannschaftsmitglie<strong>de</strong><strong>in</strong>. Es war jener Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Flug so gemeckert hatte. Er g<strong>in</strong>g auchwirklich nicht gera<strong>de</strong> nett mit <strong>de</strong>m Grenzwelter um, aber doch nicht so schlimm, dassse<strong>in</strong> Vorgesetzter hätte E<strong>in</strong>halt gebieten müssen.


Trotz<strong>de</strong>m entschied Lan<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong>fach mit <strong>de</strong>r Befragung und <strong>de</strong>m üblichen Proze<strong>de</strong>re zubeg<strong>in</strong>nen. „Behalten Sie ihn im Auge.“ Den Piloten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em befehlen<strong>de</strong>n Ton anfahrend,fügte er h<strong>in</strong>zu: „Und Sie kommen mit!“„Haben Sie hier etwa das Kommando? Seit wann hat <strong>die</strong> Royal Navy <strong>de</strong>nn Grünschnäbel<strong>in</strong> ihren Reihen?“E<strong>in</strong> heftiger Stoß <strong>de</strong>s Crewmitglieds warf <strong>de</strong>n Kerl daraufh<strong>in</strong> zurück an <strong>die</strong> Wand. „Wennich du wäre, wür<strong>de</strong> ich unseren Lieutenant lieber nicht reizen. Sobald du so was noche<strong>in</strong>mal sagst, breche ich dir <strong>die</strong> Rippen.“Mit schmerzverzerrter Stimme schrie <strong>de</strong>r IMG-Pilot: „Dazu haben Sie ke<strong>in</strong> Recht! Sie allehaben ke<strong>in</strong> Recht dazu!“„Falls Sie <strong>die</strong> Kontrolle <strong>de</strong>r Ladung und Schiffspapiere me<strong>in</strong>en, so haben wir doch sehrwohl e<strong>in</strong> gutes Recht dazu. Sie s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong> Staatsbürger e<strong>in</strong>es regulären Hauses undkommen aus <strong>de</strong>n Grenzwelten, wollen aber <strong>in</strong> unser Staatsgebiet e<strong>in</strong>fliegen.“ Mit <strong>de</strong>mKopf auf <strong>de</strong>n hässlichen Frachter <strong>de</strong>utend, setzte Lan<strong>de</strong>r freundlicher h<strong>in</strong>zu: „Wollen wirdann?“Es war wirklich genau wie <strong>die</strong> letzten Male. Wie er mit protestieren<strong>de</strong>n, schwierigenLeuten umzugehen hatte, war ihm von Fowley und <strong>de</strong>m Chief mehrfach vorgeführtwor<strong>de</strong>n. Genau wie beim damaligen Gespräch mit Erasmus Raven war Lan<strong>de</strong>r jetztfreundlich geblieben, aber er hatte se<strong>in</strong>er Stimme mit Bestimmtheit Nachdruck verliehen.Se<strong>in</strong>e schweigsame Truppe sorgte für <strong>die</strong> nötige Durchschlagkraft <strong>de</strong>r Worte.„Wo haben Sie <strong>die</strong> Schiffspapiere und Ihren Pass, Mister?“ Lan<strong>de</strong>r war erleichtert, als er<strong>de</strong>m Gruppenmitglied <strong>die</strong> Waffe zurückgegeben hatte und sie endlich im Frachterstan<strong>de</strong>n. Das Schiff war recht kle<strong>in</strong> und stank wie alle Schiffe hier draußen, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant fühlte sich hier dr<strong>in</strong> mit H<strong>in</strong>sicht auf mögliche Scharfschützen wenigerexponiert als draußen auf <strong>de</strong>m offenen Hangar<strong>de</strong>ck. Und das, obwohl Piper und se<strong>in</strong>eLeute nebst <strong>de</strong>n Crusa<strong>de</strong>rpiloten sicherlich genau aufpassten.„Wo schon? Im Cockpit natürlich!“„Dann schlage ich vor, dass Sie <strong>die</strong> Papiere holen. Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g Miller, Sie gehen mit.“„Ja, Sir.“Als <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n abzogen, begannen <strong>die</strong> restlichen drei Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Trupps mit <strong>de</strong>rDurchsuchung. Das Schiff war voller Kisten und Säcke. Das Licht war allerd<strong>in</strong>gse<strong>in</strong>geschaltet, sodass man alles sehr gut erkennen konnte. Es stank jedoch zum Glücknicht ganz so arg wie von Lan<strong>de</strong>r befürchtet.Se<strong>in</strong>e Männer begannen rout<strong>in</strong>iert mit <strong>de</strong>r Kontrolle, während er selbst auf <strong>de</strong>n Pilotenund <strong>de</strong>n abgestellten Begleiter wartete, um <strong>die</strong> Papiere zu anzusehen. E<strong>in</strong> Blick verrietihm, dass sie vor sechs M<strong>in</strong>uten gelan<strong>de</strong>t waren. Blieben also noch vierzehn, bis man lautAnweisung wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Rückweg se<strong>in</strong> sollte. Viel länger auf <strong>de</strong>m Freeport zu bleibenwar sicherlich ungesund.„Hier!“ Der zurückkehren<strong>de</strong> Grenzweltler reichte ihm e<strong>in</strong>en fetten Stapel.Während er <strong>de</strong>n Pass aufklappte und das Bild mit <strong>de</strong>m Gesicht verglich, hörte Lan<strong>de</strong>re<strong>in</strong>e erste herübergerufene Meldung: „Altmetall und Kupfer, Sir.“Der Pilot zog <strong>die</strong> Achseln hoch und me<strong>in</strong>te missmutig: „Steht auch alles <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Papieren.Sogar <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>e Kühlbox mit Alien Organisms, <strong>die</strong> eigentlich für Planet Cambridgegedacht war, steht dr<strong>in</strong>. Das Zeug ist kurz vor <strong>de</strong>m Verfallsdatum, <strong>de</strong>shalb müssen Sieme<strong>in</strong>e Reaktion gera<strong>de</strong> eben bitte entschuldigen. Die D<strong>in</strong>ger kosten e<strong>in</strong> Hei<strong>de</strong>ngeld, undwenn man ankommt, ist mehr als <strong>die</strong> Hälfte davon bereits weg und <strong>de</strong>r Rest Matsch.“„Es tut mir leid, aber wir s<strong>in</strong>d gekommen, so schnell wir konnten.“„Sicher, Lieutenant. Ich hätte auch noch e<strong>in</strong>ige Flaschen guten Grenzweltenwhisky imCockpit. Falls Sie wollen, können Sie mir ja e<strong>in</strong> paar davon für Ihr Schiff abkaufen.“„Vielen Dank, aber wir haben ke<strong>in</strong>en Bedarf an so was.“ In Gedanken fügte er nochh<strong>in</strong>zu: ‚O<strong>de</strong>r besser gesagt: ich nicht!’ Er drehte sich um. „Mister Miller? Sehen Sie nach,ob Sie <strong>die</strong> Kühlbox mit <strong>de</strong>n Alien Organisms f<strong>in</strong><strong>de</strong>n und zählen Sie <strong>die</strong> Alkoholflaschen imCockpit… obwohl, das mache ich lieber selbst!“ Er gab <strong>de</strong>m Grenzweltler <strong>die</strong> Papierezurück.„Ja, Sir.“ Miller, <strong>de</strong>r bisher <strong>de</strong>n Piloten bewacht hatte, verschwand.„Nach Ihnen, Mister Sanchez.“ Lan<strong>de</strong>r hatte nicht <strong>die</strong> Absicht, sich überrumpeln zulassen, falls <strong>de</strong>r Mann etwas versuchte. Die Hand an <strong>de</strong>r Waffe berührte auch <strong>de</strong>n Abzug.„Stimmt etwas mit <strong>de</strong>n Papieren nicht, Lieutenant?“


„Alles bestens, Mister. Wir müssen nur eben das mit <strong>de</strong>r Versteuerung <strong>de</strong>s Alkoholsklären.“ Lan<strong>de</strong>r folgte <strong>de</strong>m Piloten <strong>in</strong>s Cockpit, bis <strong>de</strong>r Kerl sich schließlich umdrehte un<strong>de</strong>twas zwischen <strong>de</strong>n Papieren hervorzog. „Okay, das war ja <strong>de</strong>utlich genug. Wie hoch istIhr Preis, Lieutenant?“In <strong>de</strong>m Gegenstand <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Mannes erkannte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Kreditchip. „Wiebitte?“ Die Worte blieben ihm fast im Hals stecken, so wenig glaubte er, zu hören, was<strong>de</strong>r Mann da gesagt hatte.„Wie viel kostet mich Ihre Kooperation, Lieutenant?“Dem Sub-Lieutenant dämmerte schließlich, dass es ke<strong>in</strong> Irrtum war. Rodrigo Sanchezme<strong>in</strong>te das völlig ernst. Lan<strong>de</strong>r rief laut: „Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g Miller!“ und aktivierte mit <strong>de</strong>rfreien Hand das Funkgerät. „Tango e<strong>in</strong>s an Hotel.“„Hotel hört, Tango e<strong>in</strong>s. Sprechen Sie“, mel<strong>de</strong>te sich <strong>de</strong>r Unteroffizier im Cockpit ihrerCly<strong>de</strong>sdale.„Was tun Sie <strong>de</strong>nn?“Land trat e<strong>in</strong>en Schritt zurück und ignorierte <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>wurf <strong>de</strong>s Grenzweltlers. Er sprach <strong>in</strong>se<strong>in</strong> Mikro am Kragen: „Schicken Sie e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Jäger mit e<strong>in</strong>er Meldung für Zulu. DerRest von Alpha soll bitte ebenfalls an Bord kommen und bei <strong>de</strong>r Durchsuchung <strong>de</strong>sObjekts helfen. Soeben hat e<strong>in</strong> Bestechungsversuch stattgefun<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>m Frachter ist<strong>die</strong> E<strong>in</strong>flugerlaubnis <strong>in</strong>s bretonische Staatsgebiet zu verweigern. Es besteht <strong>de</strong>r Verdacht,dass sich Konterban<strong>de</strong> an Bord bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Bestätigen Sie, Hotel.“Der Pilot <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale zögerte e<strong>in</strong>e Millisekun<strong>de</strong>, aber dann kam se<strong>in</strong>e Stimme klarund <strong>de</strong>utlich heraus: „Jägerstart für Nachrichtenübermittlung an Zulu: Schmuggelwarevermutet. Empfehlung, <strong>de</strong>n Frachter nicht e<strong>in</strong>fliegen zu lassen.“„Tango e<strong>in</strong>s, hier Tango zwo“, mel<strong>de</strong>te sich Piper. „Wir s<strong>in</strong>d unterwegs.“„Tango Lea<strong>de</strong>r, hier ist Strike Force. Wir haben verstan<strong>de</strong>n. B<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>m Weg.” Die Pilot<strong>in</strong>hatte e<strong>in</strong>e sehr angenehme Stimme. Sie klang jung und erregt, aber durch <strong>die</strong> offeneLuke war bereits zu hören, wie <strong>die</strong> Thruster ihres Crusa<strong>de</strong>rs aufröhrten.‚So viel also zur neuen abhörsicheren Funktechnologie’, dachte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Momentlang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Anflug von Ironie. ‚Je<strong>de</strong>r Crusa<strong>de</strong>rpilot bekommt ansche<strong>in</strong>end unserenabhörsicheren Kanal re<strong>in</strong>!’„Aber…“ Der Grenzweltler sah hilfesuchend zu Miller h<strong>in</strong>. „Ich verstehe das nicht…“„Sie haben soeben versucht, e<strong>in</strong>en Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy zu bestechen, Mister“, klärteLan<strong>de</strong>r ihn auf und musterte ihn kühl, obwohl er se<strong>in</strong>e Erregung verbergen musste.„Daher nehme ich doch an, dass Sie etwas zu verbergen haben. Vermutlich kommen Sieaus <strong>de</strong>n Randwelten und führen Konterban<strong>de</strong> mit sich. Nehmen Sie ihn vorläufig fest,Mister Miller.“„Das können Sie nicht tun!“, kreischte <strong>de</strong>r Mann und begann, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er frem<strong>de</strong>n Sprachezu lamentieren und vermutlich auch zu fluchen. Davon relativ unberührt und <strong>de</strong>nnochaufgeregt eilte Lan<strong>de</strong>r nach h<strong>in</strong>ten. Den Auslän<strong>de</strong>r ließ er <strong>in</strong> Millers Obhut zurück.Der Rest se<strong>in</strong>er Gruppe war mittlerweile bis auf <strong>de</strong>n allernotwendigsten Sicherungstrupp<strong>in</strong> <strong>de</strong>m Frachter versammelt. Sie stan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r saßen relativ ratlos herum, wie es schien.„Ah, Petty Officer. Gut, dass Sie mitgekommen s<strong>in</strong>d.“„Was ist <strong>de</strong>nn überhaupt los, Sir?“„Dieser Kerl hat mir Geld geboten, als wir im Cockpit alle<strong>in</strong> waren. Außer<strong>de</strong>m sprach ervon e<strong>in</strong>er Tiefkühlkiste voller Alien Organisms…“, stieß Lan<strong>de</strong>r aufgeregt hervor. „Wirmüssen <strong>de</strong>n ganzen Frachter gründlich durchsuchen!“„Alle<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Grund für e<strong>in</strong>e Verdächtigung, Sir. Alien Organisms s<strong>in</strong>d nicht illegal. Siekönnten ihn missverstan<strong>de</strong>n haben.“ Piper war völlig ruhig und musterte se<strong>in</strong>enE<strong>in</strong>satzleiter e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich.„Ich wette hun<strong>de</strong>rt Credits, dass ke<strong>in</strong>e Alien Organisms <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kühlbox s<strong>in</strong>d!“ Das war fürLan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e riesige Summe, aber er war sich se<strong>in</strong>er Sache tausendprozentig sicher.„S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> restlichen Papiere und <strong>die</strong> Ladung <strong>in</strong> Ordnung, Owens?“„Ja, Sir. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st oberflächlich“, bestätigte e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Begleiter, <strong>die</strong> mit Lan<strong>de</strong>rzuerst das kle<strong>in</strong>e Schiff betreten hatten.„Dann han<strong>de</strong>lt es sich aller Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit nach wirklich bloß um e<strong>in</strong> Missverständnis,Lieutenant.“„Ne<strong>in</strong>, Mister Piper. Ich b<strong>in</strong> mir me<strong>in</strong>er Sache sehr sicher. Er hätte mir ke<strong>in</strong> Geld geboten,wenn er nicht etwas zu verbergen hätte. Wo ist <strong>die</strong> Kühlbox?“


Das Geräusch von Schiffstriebwerken brach <strong>die</strong> Stille, aber Lan<strong>de</strong>r achtete nicht darauf.Er wollte es jetzt wissen, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong>e Glaubwürdigkeit stand auf <strong>de</strong>m Spiel.Langsam trugen vier <strong>de</strong>r Leute e<strong>in</strong>en Kasten herbei, <strong>de</strong>r etwa e<strong>in</strong>en Meter mal e<strong>in</strong>enMeter groß war.„Aufmachen!“, befahl Lan<strong>de</strong>r kurzerhand.Die Transportsicherung <strong>de</strong>r Box zu öffnen erwies sich als relativ schwierig, aberschließlich gelang es <strong>de</strong>m Petty Officer <strong>de</strong>nnoch, sie aufzuhebeln. Der Deckel klapptehoch, und e<strong>in</strong>e Welle modrigen Gestanks stach Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nase.Die grünlich-blaue Masse sah auch <strong>de</strong>rmaßen unappetitlich aus, dass er sich abwandte.„Alien Organisms, Sir“, erklärte Piper das Offensichtliche.Obwohl se<strong>in</strong> Magen sich bei <strong>de</strong>m Gedanken herumdrehte, reichte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Waffe anPiper weiter. Er griff an <strong>die</strong> Seite se<strong>in</strong>es Kampfanzuges, aber da war we<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Taschenoch e<strong>in</strong> Taschentuch, da <strong>die</strong>s ja nicht se<strong>in</strong>e Schiffsuniform war. Also musste er <strong>de</strong>nGestank weiterh<strong>in</strong> ertragen, aber er war fest entschlossen, <strong>de</strong>n Grund für <strong>de</strong>nBestechungsversuch herauszuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.„22 M<strong>in</strong>uten, Sir“, mel<strong>de</strong>te e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer leise nach e<strong>in</strong>em Blick auf <strong>die</strong> Uhr.Lan<strong>de</strong>r ignorierte das und sogar Piper, <strong>de</strong>r fragte: „Wollen Sie da wirklich re<strong>in</strong>fassen, Sir?Das Zeug ist hochgradig verdorben.“Da <strong>de</strong>r Unteroffizier <strong>die</strong> Frage gestellt hatte, nickte Lan<strong>de</strong>r wortlos, anstatt e<strong>in</strong>enbeißen<strong>de</strong>n Kommentar abzugeben. Er krempelte <strong>de</strong>n rechten Ärmel hoch. Dies war se<strong>in</strong>erster E<strong>in</strong>satz als Verantwortlicher, und Raven wür<strong>de</strong> ihn umbr<strong>in</strong>gen, wenn er <strong>die</strong> Sacheverpatzte. Natürlich war da noch <strong>de</strong>r Bestechungsversuch seitens <strong>de</strong>s Piloten, <strong>de</strong>r schonalle<strong>in</strong> für e<strong>in</strong>e Verurteilung ausreichen wür<strong>de</strong>, da ja schon das Anbieten vonunversteuertem Alkohol illegal war, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant musste <strong>die</strong> Schmuggelwaref<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Lan<strong>de</strong>r wusste, dass sie hier <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Kühlbox lag.Mit geschlossenen Augen fasste er mit <strong>de</strong>r bloßen Hand <strong>in</strong> <strong>die</strong> schmud<strong>de</strong>lige, ekligeMasse. Die neuerliche Wolke von Gestank war unbeschreiblich und ließ Brechreiz <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er Kehle aufsteigen, aber er gab nicht nach. Er bohrte <strong>de</strong>n ganzen Arm mit e<strong>in</strong>emschmatzen<strong>de</strong>n Geräusch tief <strong>in</strong> <strong>de</strong>n weichen, nachgeben<strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>r Kiste.„So e<strong>in</strong>e…“ E<strong>in</strong>e herrische Stimme, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e Worte fand. Lan<strong>de</strong>r spürte nur, dass jemandihn an <strong>de</strong>r Schulter ergriff - genau <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Moment, als er am Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kiste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>erEcke etwas fühlte! Er geriet <strong>in</strong>s Taumeln, als Erasmus Raven ihn grob nach h<strong>in</strong>ten zerrte.Mit <strong>de</strong>mselben Schmatzen wie zuvor kam se<strong>in</strong> Arm wie<strong>de</strong>r frei.Völlig überrascht riss Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Augen auf und sah <strong>de</strong>n Ersten Offizier <strong>de</strong>r Oxford vorsich, <strong>de</strong>r noch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Kampfanzug trug. „Sir…“, begann er se<strong>in</strong>e Erklärung,aber er kam erst gar nicht zu Wort.„Sie s<strong>in</strong>d ja wohl nicht mehr zu retten! Zurücktreten! Allesamt zurücktreten! Me<strong>in</strong> Gott,Sie s<strong>in</strong>d ja noch verrückter als ich dachte! Nicht e<strong>in</strong>mal Handschuhe hat er an! Dieser…“Raven zerrte ihn aus <strong>de</strong>m Frachter auf e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale zu, <strong>die</strong> noch näher geparkt standals <strong>die</strong>jenige von Lan<strong>de</strong>rs Team. Die zweite Masch<strong>in</strong>e stand vor allem so, dass <strong>de</strong>r ErsteOffizier ohne allzu große Gefahr hatte aussteigen können.Der Pilot im Cockpit sah sie und fuhr nach e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong><strong>de</strong>utigen Zeichen <strong>die</strong> Thruster hoch.Daniel Fowley kam ihnen auf halbem Weg entgegen. Se<strong>in</strong>e Schutzkleidung saß leichtschief, aber er hatte sie wenigstens <strong>in</strong> aller Eile über se<strong>in</strong>er maßgeschnei<strong>de</strong>rtenSchiffsuniform angelegt.„Sie übernehmen, Lieutenant!“, brüllte Raven gegen <strong>de</strong>n Lärm an und zerrte <strong>de</strong>nUntergebenen so brutal vorwärts, dass <strong>de</strong>r jüngere Offizier fast h<strong>in</strong>fiel.Als Lan<strong>de</strong>r sich schwach wehrte, verstärkte <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en eisernenGriff sogar noch. Die Luke wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>m Exekutivoffizier <strong>de</strong>r Oxford gera<strong>de</strong>zuzugeworfen, woraufh<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lärm zum Glück abgeschnitten wur<strong>de</strong>. Der Dritte Offiziergeriet <strong>in</strong>s Taumeln und wollte sich setzen, als <strong>de</strong>r Frachter ohne je<strong>de</strong> Vorwarnung abhob,aber e<strong>in</strong> heftiger Stoß beför<strong>de</strong>rte ihn weiter nach vorn.„Sir…“ Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> bewusst, dass er <strong>de</strong>n stellvertreten<strong>de</strong>n Komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n anbrüllte,aber er war viel zu schockiert wegen <strong>de</strong>r rohen Behandlung, als dass er an<strong>de</strong>rs hättereagieren können.„In <strong>de</strong>n Waschraum mit Ihnen, und zwar sofort! Und kommen Sie nicht raus, bis wir Sienicht holen!“„Aber Lieutenant Comman<strong>de</strong>r…“


„Ich habe gesagt sofort! Sie müssen <strong>de</strong>kontam<strong>in</strong>iert wer<strong>de</strong>n! Verdorbene AlienOrganisms s<strong>in</strong>d gefährlich! Viren können damit übertragen wer<strong>de</strong>n, und falls Sie am Armverletzt waren, dürfte sogar DNA davon <strong>in</strong> Ihren Körper gelangt se<strong>in</strong>! Daran können Sieund an<strong>de</strong>re sterben!“ Halb stoßend, halb schiebend bugsierte Raven ihn <strong>in</strong> <strong>de</strong>nWaschraum <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale. „Sie können wirklich auch gar nichts richtig machen, MisterLan<strong>de</strong>r! Sie haben schon <strong>die</strong> Honor’s Mark erhalten, und <strong>de</strong>nnoch s<strong>in</strong>d Sie ke<strong>in</strong> bisschenklüger gewor<strong>de</strong>n. Soll man Ihnen Ihre nächste Auszeichnung vielleicht auf IhrenBlechsarg nageln, bevor man ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Sonne von Leeds schießt?!“„Sir, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kühlbox war noch etwas…“„Lieutenant Fowley wird sich darum kümmern! Sie h<strong>in</strong>gegen haben jetzt oberste Priorität!Wegen Ihnen muss ich mit <strong>in</strong> <strong>die</strong> Dekontam<strong>in</strong>ierung, von <strong>die</strong>sem gera<strong>de</strong> repariertenFrachter ganz zu schweigen!“ Sich mit aller Macht beherrschend, fuhr Raven ruhiger fort:„Wir re<strong>de</strong>n später, Lieutenant. Bleiben Sie jetzt bitte hier. Ich versuche nur, IhreGesundheit zu erhalten, während Sie ansche<strong>in</strong>end alles Menschenmögliche daransetzen,sich selbst umzubr<strong>in</strong>gen!“Damit schlug Raven <strong>die</strong> Tür zu, und Lan<strong>de</strong>r stand alle<strong>in</strong> da, ohne richtig erfassen zukönnen, was soeben eigentlich passiert war.Dumpf vor sich h<strong>in</strong> starrend lag Patrick Lan<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>er Koje auf <strong>de</strong>r Oxford. Er brütetenoch über <strong>de</strong>m, was er sich vor e<strong>in</strong>igen Stun<strong>de</strong>n von Erasmus Raven hatte anhörenmüssen, als er aus <strong>de</strong>r Dekontam<strong>in</strong>ierung gekommen war.Der Erste Offizier hatte ihn <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e gna<strong>de</strong>nlos heruntergeputzt und ihmschließlich sogar noch vier Tage Quartierarrest erteilt. Danach hatte Lan<strong>de</strong>r über dreiStun<strong>de</strong>n lang dabei helfen müssen, <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale zu <strong>de</strong>s<strong>in</strong>fizieren und dann auch noche<strong>in</strong>en ellenlangen Bericht über jene Vorkommnisse schreiben müssen. Se<strong>in</strong> erster E<strong>in</strong>satzals Teamleiter war völlig schiefgegangen. Noch immer konnte er nicht ganz verstehen,was ihm <strong>de</strong>nn genau vorgeworfen wur<strong>de</strong>.Er hatte <strong>de</strong>m Handbuch nach alles richtig gemacht und es sogar direkt nach se<strong>in</strong>erAnkunft <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Quartier nachgeschlagen, um sich nochmals zu vergewissern.Daniel Fowley war längst zurück und hatte auch längst se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>satznachbesprechungh<strong>in</strong>ter sich, aber er schlief, und Lan<strong>de</strong>r wollte ihn nicht wecken. Er hätte <strong>de</strong>n Lieutenantlediglich gerne gefragt, was er selbst <strong>de</strong>nn eigentlich verbrochen hatte, aber das hatteZeit. Er musste sowieso noch nach<strong>de</strong>nken, aber nicht nur, weil es ihm befohlen wor<strong>de</strong>nwar.Den Piloten aus <strong>de</strong>n Grenzwelten alle<strong>in</strong> schon wegen <strong>de</strong>s Bestechungsversuchesfestzunehmen war völlig legitim gewesen. Der Name Sanchez war vermutlich nicht echt,genauso wenig wie <strong>die</strong> Papiere <strong>de</strong>s Mannes. In <strong>de</strong>r schwabbeligen, vergammelten Masse<strong>in</strong> jener Kiste hatte sich etwas befun<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> Päckchen. Lan<strong>de</strong>r hatte es <strong>de</strong>utlich gespürt,aber lei<strong>de</strong>r noch nicht herausziehen können. Wenn Raven nur e<strong>in</strong>e halbe M<strong>in</strong>ute spätergekommen wäre, hätte alles ganz an<strong>de</strong>rs ausgesehen.Gut, ohne Handschuhe <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kühlbox h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zugreifen war e<strong>in</strong> Fehler gewesen, aber dasses so gefährlich war, davon hatte er noch nie gehört. Nach <strong>de</strong>m Geschrei zu urteilen, dasan Bord darum gemacht wur<strong>de</strong>, hatte er sich wirklich <strong>in</strong> Lebensgefahr gebracht. Dazusagte das Handbuch nichts, genauso wenig wie <strong>de</strong>r Schiffscomputer <strong>de</strong>s Kreuzers. DerAufwand sprach jedoch dafür, dass sie es ernst me<strong>in</strong>ten. Er hatte e<strong>in</strong>e Menge Pillenschlucken und e<strong>in</strong>ige Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, nach<strong>de</strong>m se<strong>in</strong>eKleidung entsorgt wor<strong>de</strong>n war und er gründlich mit streng riechen<strong>de</strong>mDes<strong>in</strong>fektionsmittel geduscht hatte. Der Bordarzt, <strong>de</strong>r ihm vor sieben Wochen schone<strong>in</strong>mal das Leben gerettet hatte, war sehr wütend gewesen. Er hatte am Arm se<strong>in</strong>esPatienten <strong>die</strong> Haut gescheuert, bis Lan<strong>de</strong>r das Gefühl hatte, dass da gar ke<strong>in</strong>e mehr war.Selbst jetzt nach Stun<strong>de</strong>n schmerzte <strong>de</strong>r Arm noch höllisch.Trotz<strong>de</strong>m war Lan<strong>de</strong>r im Recht gewesen. Die Box hätte durchsucht wer<strong>de</strong>n müssen,genauso wie <strong>de</strong>r Rest <strong>de</strong>r Fracht. Vielleicht mit an<strong>de</strong>ren Mitteln, aber es hätte geschehenmüssen. Raven hatte ihm auf Nachfrage h<strong>in</strong> lediglich mitgeteilt, dass <strong>de</strong>r PilotE<strong>in</strong>flugerlaubnis nach Bretonia erhalten hatte. Nur <strong>die</strong> Box mit Alien Organisms war nochauf Freeport 1 vernichtet und Sanchez’ Frachter war ebenfalls <strong>de</strong>s<strong>in</strong>fiziert wor<strong>de</strong>n. Von


Lan<strong>de</strong>rs Leuten, da <strong>de</strong>n Zoners <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht wenig zu trauen war. Vermutlichmochte se<strong>in</strong> Team ihn jetzt weitaus weniger als vorher, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Frachter zu schrubbenwar sicherlich e<strong>in</strong>e schlimme Aufgabe für Petty Officer Piper und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren gewesen. Erkonnte das nachempf<strong>in</strong><strong>de</strong>n, da er an Bord <strong>de</strong>r Oxford ja dasselbe mit <strong>de</strong>r von Raven undFowley überhastet benutzten Cly<strong>de</strong>sdale getan hatte.Fraglich war allerd<strong>in</strong>gs, ob es noch etwas ausmachte, was Piper und se<strong>in</strong>e restlicheTruppe jetzt von Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r hielten. Raven hatte gesagt, dass Comman<strong>de</strong>rK<strong>in</strong>gsham sich <strong>die</strong> Sache durch <strong>de</strong>n Kopf gehen lassen wür<strong>de</strong>. Die nächsten vier Tagehatte <strong>de</strong>r Dritte Offizier wegen <strong>de</strong>s Arrests wachfrei. Bis dah<strong>in</strong> wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>e Entscheidung getroffen haben und ihn womöglich mit <strong>de</strong>r Bitte um Versetzungwegen groben Fehlverhaltens nach Bretonia zurückschicken. In vier Tagen kam <strong>de</strong>rnächste wöchentliche Frachter <strong>de</strong>r Flugbereitschaft aus Cambridge.Diese ganze Eskapa<strong>de</strong> hatte das Haus Bretonia Ansehen und auch e<strong>in</strong>e hübsche StangeGeld gekostet. Der Pilot aus <strong>de</strong>n Grenzwelten wür<strong>de</strong> wohl entschädigt wer<strong>de</strong>n, undK<strong>in</strong>gsham persönlich hatte sich im Namen <strong>de</strong>s Hauses Bretonia bei Sanchez entschuldigt,wie Lan<strong>de</strong>r vom Ersten Offizier gehört hatte. Für <strong>de</strong>n Sub-Lieutenant war das unerhört,weil <strong>de</strong>r Mann e<strong>in</strong> Schmuggler gewesen war und sich durch <strong>die</strong> versuchte Bestechunge<strong>in</strong>es Navyoffiziers selbst ans Messer geliefert hatte.Was <strong>die</strong> Bestechung ang<strong>in</strong>g, stand jedoch Aussage gegen Aussage, und wo das Päckchenwar, wusste Lan<strong>de</strong>r nicht und hatte auch nicht mehr zu fragen gewagt. Weil ErasmusRaven se<strong>in</strong>en Untergebenen nicht lei<strong>de</strong>n konnte, wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>em allgeme<strong>in</strong>enMissverständnis ausgegangen, anstatt ihm e<strong>in</strong>fach zu glauben, wie man es <strong>in</strong> FowleysFall sicherlich getan hätte. Dass Sanchez ihn hatte bestechen wollen, war für Lan<strong>de</strong>r soglasklar wie <strong>de</strong>r Fakt, dass New London <strong>die</strong> Hauptwelt <strong>de</strong>s Hauses Bretonia war. Nur, washalf ihm das jetzt noch? Sanchez war längst über alle Berge und lachte sich <strong>in</strong>sFäustchen, und Zeugen gab es ke<strong>in</strong>e, da sie bei<strong>de</strong> im Cockpit <strong>de</strong>s Frachters alle<strong>in</strong>gewesen waren.Was war mit <strong>de</strong>m Päckchen geschehen und was hatte es enthalten? Das waren <strong>die</strong>Kernfragen <strong>de</strong>r ganzen Angelegenheit. Drogen? E<strong>in</strong> seltenes Artefakt für e<strong>in</strong>en Sammler<strong>in</strong> Bretonia? E<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>re illegale Waffe? Sprengstoff für e<strong>in</strong>en Anschlag? DieMöglichkeiten waren unendlich, obwohl das D<strong>in</strong>g <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Box nicht son<strong>de</strong>rlich großgewesen war. Er wür<strong>de</strong> es jedoch wohl nie mehr herausf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Jetzt g<strong>in</strong>g es e<strong>in</strong>zig undalle<strong>in</strong> darum, se<strong>in</strong>en Kopf zu retten und zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass er entlassen wur<strong>de</strong>, da <strong>die</strong>ganze Sache ihm doch langsam erst Spaß zu machen begann. Er hatte gera<strong>de</strong> erstangefangen, sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Job zurechtzuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n!Ravens absur<strong>de</strong>ster Vorwurf war <strong>de</strong>r, dass Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e ihm anvertraute Abteilung undviele weitere Menschenleben an Bord <strong>de</strong>s Schiffes fahrlässig <strong>in</strong> Gefahr gebracht hätte. Mit<strong>de</strong>n Alien Organisms vielleicht, das sah er e<strong>in</strong>. Nicht jedoch <strong>die</strong> Notwendigkeit, dassErasmus Raven und Daniel Fowley mit <strong>de</strong>m gera<strong>de</strong> erst reparierten Frachter auftauchten.Das war nicht nötig gewesen. E<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass das zweite Shuttle rechtzeitig fertiggewesen war, und Pech für Lan<strong>de</strong>r. Nur trotz<strong>de</strong>m hatte er ke<strong>in</strong>e Unterstützung vomKreuzer angefor<strong>de</strong>rt. Wieso war Raven also gekommen? Die Antwort war lei<strong>de</strong>r zusimpel: Weil <strong>de</strong>r Kerl darauf gebaut hatte, dass <strong>de</strong>r Dritte Offizier es verpatzte und Mistbaute. Aber hatte Lan<strong>de</strong>r das wirklich? Er hatte doch fast nur nach Vorschrift gehan<strong>de</strong>lt -bis auf <strong>die</strong> Sache mit <strong>de</strong>r Kiste.Se<strong>in</strong>e Gedanken drehten sich im Kreis. Wieso glaubte ihm nur ke<strong>in</strong>er?Seufzend drehte er sich um und prügelte leise mit <strong>de</strong>n Fäusten auf das Kissen e<strong>in</strong>. Gernehätte er sich mit <strong>de</strong>r Waffe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck bei e<strong>in</strong>er Schießübungabreagiert. Raven hatte jedoch gedroht, dass Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Arrestzelle <strong>de</strong>s Kreuzerslan<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, falls er sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n nächsten vier Tagen irgendwo außerhalb <strong>die</strong>ser kle<strong>in</strong>enKab<strong>in</strong>e sehen ließe. Nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Offiziersmesse durfte er betreten, <strong>de</strong>nn selbst se<strong>in</strong>eVerpflegung wur<strong>de</strong> ihm dreimal täglich von e<strong>in</strong>em Besatzungsmitglied hierher gebracht.Schließlich war Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Verprügelns se<strong>in</strong>es armen, wehrlosen Kopfkissens mü<strong>de</strong> undließ <strong>de</strong>n Kopf darauf s<strong>in</strong>ken. Ihm war plötzlich danach, zu heulen. Wieso machte er nurimmer alles falsch, ganz egal, was er auch anfasste?„Bist du endlich fertig?“, fragte Daniel Fowley von drüben herüber.„Du bist wach?“, nuschelte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Kissen.


„Bei <strong>de</strong>m Krach, <strong>de</strong>n du veranstaltest, kann ja ke<strong>in</strong>er schlafen. Außer<strong>de</strong>m riecht es hierim Zimmer wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Chemielabor.“Wie <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant vermutete, hatte se<strong>in</strong> Vorgesetzter allerd<strong>in</strong>gs sowieso nichtgeschlafen. Er klang ke<strong>in</strong> bisschen mü<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn eher so, als hätte auch er wachgelegen und sich nur schlafend gestellt.„Tut mir leid.“„Schon gut.“„Sag mal, Daniel…“, f<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r unsicher an.„Ja?“„Du… ich wollte…“ Irgendwie fand er nicht <strong>die</strong> richtigen Worte, also suchte er nach e<strong>in</strong>erAusweichlösung: „… mich entschuldigen. Unser Streit heute vor <strong>de</strong>m Abflug…“„Möchtest du nicht. Ich weiß genau, was du wirklich <strong>de</strong>nkst.“„Und?“, verlangte Lan<strong>de</strong>r Antwort auf <strong>die</strong> Frage, <strong>die</strong> ihn beschäftigte. „Ich weiß, dass daetwas <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Kühlbehälter war! Ich habe es gespürt!“„Da war nichts. Es war <strong>de</strong><strong>in</strong> Fehler, und ich habe dich gewarnt. Nur weil man etwasunbed<strong>in</strong>gt sehen will, muss es noch lange nicht vorhan<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>.“Irgendwie war er so sicher gewesen, doch Recht zu haben, dass ihn <strong>die</strong> Zurechtweisungse<strong>in</strong>es unmittelbaren Vorgesetzten so hart traf wie e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>s Gesicht. „Aber…“„Ke<strong>in</strong> Aber. Manchmal muss man auf das hören, was e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>re Leute sagen, Patrick.Handbücher s<strong>in</strong>d nicht alles, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>s hier ist das wahre Leben. Das wirst du auch nochverstehen.“„Und… <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r? Wird er mich <strong>de</strong>s Schiffes verweisen?“„Vielleicht. Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r will es sicherlich, und <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r hat sich anmich gewandt und mich um me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung gebeten, weil ich dich besser kenne als <strong>de</strong>rExec. Es ist ja e<strong>in</strong> offenes Geheimnis, dass Mister Raven dich nicht ausstehen kann.“„Was hast du Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham gesagt?“„Erwartest du ehrlich, dass ich dir als <strong>de</strong><strong>in</strong> Vorgesetzter darauf e<strong>in</strong>e Antwort gebe? Wirs<strong>in</strong>d Zimmergenossen, Patrick, aber ich b<strong>in</strong> ranghöher als du. Dienstlich stehen wir<strong>de</strong>shalb auf zwei verschie<strong>de</strong>nen Ebenen, und das Wohl <strong>die</strong>ses Schiffes sowie unseresHauses geht immer vor. Ich kann über solche dich betreffen<strong>de</strong>n <strong>die</strong>nstlichen D<strong>in</strong>ge nichtmit dir sprechen, aber um fair zu se<strong>in</strong> sage ich dir, dass ich me<strong>in</strong> Urteil <strong>in</strong> drei Tagenabgeben wer<strong>de</strong>. Bitte lass mich bis dah<strong>in</strong> weitestgehend <strong>in</strong> Ruhe und <strong>de</strong>nk über me<strong>in</strong>eWorte sowie über <strong>die</strong> <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs nach. Vielleicht wird auch <strong>de</strong>rComman<strong>de</strong>r noch e<strong>in</strong>mal mit dir sprechen wollen. Vor allem solltest du <strong>de</strong>n Berichtnochmals überarbeiten. Man neigt dazu, bestimmte D<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>en Tag später stets etwasan<strong>de</strong>rs zu sehen. Du bist übermü<strong>de</strong>t, wie ich übrigens auch, und dir fehlt <strong>de</strong>r Abstand,um <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge nüchtern zu beurteilen. Deshalb wünsche ich dir trotz<strong>de</strong>m noch e<strong>in</strong>e guteNacht.“„Vielen Dank für Ihre ehrlichen Worte und <strong>de</strong>n guten Rat. Quasi vor Gericht zu stehen iste<strong>in</strong>e neue Erfahrung für mich, und mich wird freuen, Ihr Urteil zu vernehmen, Sir.“Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Je<strong>de</strong> Vertrautheit und Freundlichkeit zwischen ihnenwar mit e<strong>in</strong>em Schlag h<strong>in</strong>weggewischt. Wenn Fowley mit se<strong>in</strong>en Worten hatte erreichenwollen, dass Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Schuld e<strong>in</strong>sah, hatte er das genaue Gegenteil <strong>de</strong>ssen erreicht.Den Bericht wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dritte Offizier neu formulieren, damit er nicht aus <strong>de</strong>r Navy flöge,aber was danach se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>, wusste er nicht.Er wusste nur um se<strong>in</strong>e bisherige Me<strong>in</strong>ung, dass Fowley ihm nicht viel be<strong>de</strong>utete.Trotz<strong>de</strong>m schmerzte <strong>die</strong>se Zurechtweisung. Dass <strong>de</strong>r Lieutenant ihn nicht unterstützt undsich auch noch auf Ravens Seite geschlagen hatte, war mehr als Lan<strong>de</strong>r ertragen konnte.Vielleicht wäre doch besser, von <strong>die</strong>sem Schiff fortzukommen, aber er war nicht <strong>de</strong>r Typ,<strong>de</strong>r leicht aufgab. Wenn es so wäre, hätte er es überhaupt nie zum Offizier gebracht.Ne<strong>in</strong>, Patrick Lan<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>m Kampf stellen. Er wür<strong>de</strong> se<strong>in</strong>e Zeit auf <strong>de</strong>r Oxfordherumbr<strong>in</strong>gen, sofern dazu e<strong>in</strong>e Chance bestand. Er wür<strong>de</strong> es durchstehen, bis man ihnentwe<strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Plastiksack ausflog o<strong>de</strong>r aber beför<strong>de</strong>rte und wegversetzte, wie essicherlich auch Daniel Fowley e<strong>in</strong>es nahen Tages passieren mochte.Auch se<strong>in</strong> eigener Tag <strong>de</strong>r Beför<strong>de</strong>rung wür<strong>de</strong> irgendwann kommen, und er wür<strong>de</strong> esihnen bis dah<strong>in</strong> zeigen! Es gab Leute, <strong>die</strong> an ihn glaubten. Se<strong>in</strong>e Eltern, Leute, <strong>die</strong> ihnkannten, und auch Teile <strong>die</strong>ser Crew. Leute wie Petty Officer Piper. All <strong>die</strong>ses Vertrauenkonnte er doch nicht an e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Tag wie<strong>de</strong>r verloren haben! Und selbst wenn es


so se<strong>in</strong> sollte, dann wür<strong>de</strong> er es eben erneut aufbauen. Was er e<strong>in</strong>mal geschafft hatte,wür<strong>de</strong> er auch wie<strong>de</strong>r schaffen, ganz egal, was an<strong>de</strong>re Leute wie Raven und Fowleysagten.Comman<strong>de</strong>r Lionel K<strong>in</strong>gsham hatte als Skipper an Bord <strong>de</strong>r Oxford das letzte Wort. Erwür<strong>de</strong> morgen Lan<strong>de</strong>rs korrigierten E<strong>in</strong>satzbericht und dazu noch e<strong>in</strong>e Bitte um e<strong>in</strong>persönliches Gespräch unter vier Augen erhalten. K<strong>in</strong>gsham alle<strong>in</strong> hatte zu entschei<strong>de</strong>n!Ke<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung außer se<strong>in</strong>er hatte irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Relevanz. Dem Zweiten Offizier Fragen zustellen, <strong>die</strong> nur <strong>de</strong>r Kommandant <strong>die</strong>ses Kreuzers wirklich beantworten konnte, war falschgewesen. Mit <strong>die</strong>sem beruhigen<strong>de</strong>n Gedanken fand Patrick Lan<strong>de</strong>r schließlich doch rechtschnell Schlaf, aber es war ke<strong>in</strong> son<strong>de</strong>rlich ruhiger.


Kapitel IV – Die Entscheidung an<strong>de</strong>rer„Also, Lieutenant?“ Lionel K<strong>in</strong>gsham beobachtete ihn ohne Unterlass.Nervös schlug Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e übere<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, unterließ es aber sofort wie<strong>de</strong>r, da sich dasfür e<strong>in</strong>en Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy im Angesicht e<strong>in</strong>es Vorgesetzten nicht gehörte. Er sahgequält auf und suchte nach e<strong>in</strong>em Zeichen von Wohlwollen im Gesicht <strong>de</strong>sComman<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>r am Schreibtisch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er großen Kapitänskab<strong>in</strong>e saß. In jener Kab<strong>in</strong>e,von <strong>de</strong>r auch Patrick Lan<strong>de</strong>r geträumt hatte. Irgendwann, so hatte er sich ausgemalt,wür<strong>de</strong> er auch e<strong>in</strong> eigenes Schiff komman<strong>die</strong>ren. Nun wür<strong>de</strong> es vermutlich nie dazukommen. Er wür<strong>de</strong> niemals e<strong>in</strong> Schiff komman<strong>die</strong>ren. Sich das e<strong>in</strong>zugestehen war mehrals bitter.„Sir, ich habe Sie um <strong>die</strong>se Unterredung gebeten, weil ich noch e<strong>in</strong>ige Worte zu me<strong>in</strong>emBericht sagen wollte.“„Die zweite Fassung wur<strong>de</strong> mir vom Exekutivoffizier zur Kenntnisnahme vorgelegt.“ Eswar unerwartet für <strong>de</strong>n Dritten Offizier, dass K<strong>in</strong>gsham se<strong>in</strong>en Stellvertreter Ravene<strong>in</strong>mal nicht duzte. Noch während Lan<strong>de</strong>r darüber nachsann, sagte K<strong>in</strong>gsham leise undbedächtig: „Genauso wie <strong>die</strong> erste Version, Lieutenant.“Alarmiert suchte Lan<strong>de</strong>r im Gesicht <strong>de</strong>s Comman<strong>de</strong>rs nach e<strong>in</strong>er Zurechtweisung, abersie war dort nicht abzulesen. Die Miene war neutral, <strong>die</strong> Augen sagten gar nichts aus.Wie wässrig sie doch waren! Undurchdr<strong>in</strong>glich und unangenehm.Sich unter <strong>de</strong>m Blick gera<strong>de</strong>zu w<strong>in</strong><strong>de</strong>nd, sah Lan<strong>de</strong>r schließlich auf <strong>de</strong>n aufgeräumtenSchreibtisch vor sich und danach auf se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong>. Sie zitterten kaum merklich. „Dürfteich dazu e<strong>in</strong>e Erklärung abgeben, Sir?“„E<strong>in</strong>e, <strong>die</strong> über Ihren zweiten Bericht h<strong>in</strong>ausgeht, wie ich annehme.“„Ja, Sir.“„Sie dürfen offen sprechen, wenn Sie wollen.“Wie gestelzt das doch klang. Lan<strong>de</strong>r schluckte nervös, leckte sich über <strong>die</strong> Lippen undatmete tief durch. „Comman<strong>de</strong>r, es fällt mir nicht leicht e<strong>in</strong>zugestehen, dass ich e<strong>in</strong>enFehler gemacht habe. O<strong>de</strong>r besser gesagt gleich mehrere.“Erasmus Raven wäre vermutlich sehr erfreut, wenn er jetzt hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e wäre.Patrick Lan<strong>de</strong>r war jedoch gestern zu <strong>de</strong>m Schluss gekommen, dass es besser war,e<strong>in</strong>mal zu Kreuze zu kriechen und sich anzupassen, als entlassen und nach Bretoniazurückgeschickt zu wer<strong>de</strong>n. Die zweite Variante wür<strong>de</strong> das En<strong>de</strong> se<strong>in</strong>er Karrierebe<strong>de</strong>uten, und das wollte er nicht. Er hatte auf se<strong>in</strong>er Heimatwelt ke<strong>in</strong>e Perspektiven.Das hier war alles, was er sich <strong>in</strong> mehr als zwei Jahren mühsam erarbeitet hatte. Se<strong>in</strong>Lebenstraum. Er wollte ihn sich nicht kaputtmachen lassen. Nicht so. Und vor allem nichtdurch e<strong>in</strong>en Erasmus Raven.„Sie me<strong>in</strong>en also, dass Sie sich geirrt haben?“„Ja, Sir.“ K<strong>in</strong>gsham schien wirklich e<strong>in</strong> komplettes E<strong>in</strong>geständnis zu erwarten, also wür<strong>de</strong>er es auch bekommen. Ruhiger gewor<strong>de</strong>n hob Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Blick und schaute se<strong>in</strong>emKomman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n fest <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. „Ich war voreilig, Sir. Ich habe mir zu viel zugetrautund wur<strong>de</strong> von Lieutenant Fowley bereits gestern Abend darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass ichnoch schwere Defizite bezüglich me<strong>in</strong>er Führungsqualitäten habe. Aus mangeln<strong>de</strong>rErfahrung habe ich gestern Mittag auf Freeport 1 lei<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Fehlentscheidung getroffen.Für <strong>die</strong> Konsequenzen übernehme ich <strong>die</strong> volle Verantwortung. Nieman<strong>de</strong>n sonst trifftirgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Schuld. Ich habe <strong>de</strong>n Piloten <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt M<strong>in</strong>ers’ Guild… missverstan<strong>de</strong>nund daraufh<strong>in</strong> lei<strong>de</strong>r schwer überreagiert.“ Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r letzte Satz war ihmschwergefallen, weil er sich eben nicht sicher war.Nach e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Pause beugte K<strong>in</strong>gsham sich vor und tippte mit <strong>de</strong>m F<strong>in</strong>ger auf <strong>die</strong>ausgedruckten Seiten <strong>de</strong>s Berichts, <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Schreibtisch lag. „Sie sprechen sichgera<strong>de</strong> selbst <strong>die</strong> Führungskompetenz ab. Sie ist für e<strong>in</strong>en Offizier <strong>in</strong> unserenStreitkräften jedoch essenziell. E<strong>in</strong> Offizier ist jemand, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Untergebenen leitet. Erist Vorbild und trifft <strong>die</strong> Entscheidungen. Ihre Beurteilungen von <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie s<strong>in</strong>d sehrvielversprechend, Lieutenant, aber jetzt sagen Sie plötzlich etwas völlig an<strong>de</strong>res von sichselbst. Wie könnte ich Sie also auf <strong>de</strong>m Schiff behalten, nach<strong>de</strong>m Sie von sichbehaupten, dass Sie <strong>de</strong>r Führungsverantwortung nicht gewachsen s<strong>in</strong>d? Sagen Sie es mirbitte.“


Langsam wur<strong>de</strong> es wirklich ernsthaft unangenehm. Für e<strong>in</strong>en Moment war Lan<strong>de</strong>r wieparalysiert, während se<strong>in</strong> Gehirn fieberhaft arbeitete, um darauf wenigstens irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>ee<strong>in</strong>igermaßen passen<strong>de</strong> Entgegnung zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e Antwort, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>em Offizier würdigwar.„Sie können von mir ke<strong>in</strong> objektives Urteil über me<strong>in</strong>e eigenen Fähigkeiten erwarten,Comman<strong>de</strong>r. Me<strong>in</strong>e Aussage wird immer subjektiv se<strong>in</strong>. Objektivität wird von me<strong>in</strong>enVorgesetzten <strong>in</strong>s Spiel gebracht.“ Das war glattweg gelogen, weil jemand wie <strong>de</strong>r ErsteOffizier ihm gegenüber niemals objektiv se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>, aber das konnte Lan<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gshamnicht <strong>in</strong>s Gesicht sagen. Nun musste er auch weiter vorstoßen und weiteres Terra<strong>in</strong>gutmachen:„Deshalb kann ich Ihnen nur me<strong>in</strong>e Sicht <strong>de</strong>r D<strong>in</strong>ge darlegen, Sir. Ich b<strong>in</strong> noch relativneu auf <strong>de</strong>m Schiff und sehr unerfahren. Das soll ke<strong>in</strong>e Entschuldigung se<strong>in</strong>, son<strong>de</strong>rnlediglich e<strong>in</strong>e Erklärung. Wenn ich noch etwas mehr Zeit bekäme, um mich e<strong>in</strong>zufügen,b<strong>in</strong> ich mir sicher, dass ich es schaffen kann, Sir. Ich wer<strong>de</strong> mir Mühe geben, michanzupassen und <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n auszubügeln. Ich wer<strong>de</strong> auch versuchen, <strong>de</strong>rartige schwereFehler <strong>in</strong> Zukunft zu vermei<strong>de</strong>n.“„Das war gut gesagt, Lieutenant.“ Der Komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Oxford erhob sich, und <strong>die</strong>swar das Signal für Lan<strong>de</strong>r, ihr Gespräch ebenfalls als been<strong>de</strong>t anzusehen und es <strong>de</strong>mVorgesetzten eilig gleichzutun. Wie er sich geschlagen hatte, wusste er nicht. Vermutlichhatte er am En<strong>de</strong> etwas zu dick aufgetragen.„Sie verstehen natürlich, dass ich auch noch an<strong>de</strong>re Me<strong>in</strong>ungen e<strong>in</strong>holen muss. Wie Sie jaselbst sagten, können Sie Ihre Fähigkeiten nicht ausreichend e<strong>in</strong>schätzen. Noch nicht.Auch <strong>die</strong>s wer<strong>de</strong>n Sie noch lernen müssen. Wenn Sie tatsächlich Schmuggelwaregefun<strong>de</strong>n hätten, sähe <strong>die</strong> ganze Sache natürlich an<strong>de</strong>rs aus und Sie wür<strong>de</strong>n jetzt nichthier stehen. S<strong>in</strong>d Sie nach wie vor überzeugt, dass sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kühlbox e<strong>in</strong> Päckchen mitKonterban<strong>de</strong>n befand, wie <strong>in</strong> Ihrem ersten Bericht angegeben?“Die Schultern hochziehend sog Lan<strong>de</strong>r tief <strong>die</strong> Luft e<strong>in</strong> und erklärte mit e<strong>in</strong>em Kloß <strong>in</strong> <strong>de</strong>rKehle: „Ne<strong>in</strong>, Sir. Ich habe mich vermutlich geirrt.“„Danke, Lieutenant. Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass Sie e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong>en guten Offizier abgebenwer<strong>de</strong>n, wenn auch vielleicht nicht auf <strong>die</strong>sem Schiff und <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Abteilung <strong>de</strong>r Navy.Ihre e<strong>in</strong>sichtige, selbstkritische Haltung wird natürlich <strong>in</strong> Ihrer Akte vermerkt. Es istimmer gut, wenn jemand <strong>die</strong> Fähigkeit zur Selbstkritik besitzt.“ Mit e<strong>in</strong>em bedauern<strong>de</strong>nLächeln sah <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>e Schreibarbeit, bei <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>r ihn unterbrochenhatte. „Haben Sie noch e<strong>in</strong> weiteres Anliegen, Mister Lan<strong>de</strong>r?“„Ne<strong>in</strong>, Sir.“ Heiserkeit war noch das Ger<strong>in</strong>gste von Lan<strong>de</strong>rs momentanen Problemen. Dasalles klang fast, als wäre se<strong>in</strong>e Versetzung bereits völlig beschlossene Sache! Der Raumbegann, sich um ihn zu drehen.„Dann können Sie jetzt wegtreten. Ich wer<strong>de</strong> me<strong>in</strong>e Entscheidung nach e<strong>in</strong>em weiterenGespräch mit Ihren an<strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong>n Vorgesetzten im Laufe <strong>de</strong>s heutigen Tages treffen. Essche<strong>in</strong>t mir das Beste für alle Beteiligten zu se<strong>in</strong>, wenn <strong>die</strong>s möglichst schnell geschieht.Sie wer<strong>de</strong>n natürlich sofort Bescheid bekommen, damit Sie nicht länger im Unklarens<strong>in</strong>d.“Ohne zu wissen wie, kam Patrick Lan<strong>de</strong>r trotz se<strong>in</strong>er wackligen Knie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e anund sank auf se<strong>in</strong>e Koje. Den Kopf vergrub er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Armen.Vermutlich wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r mit Fowley und Raven sprechen, wenn <strong>de</strong>ren Wacheen<strong>de</strong>te. Solche D<strong>in</strong>ge besprach man nicht vor <strong>de</strong>r gesamten Brückencrew. In weniger alse<strong>in</strong>er halben Stun<strong>de</strong> wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Entscheidung also im Rahmen e<strong>in</strong>er eigens anberaumtenOffiziersbesprechung fallen. Er wusste bereits, wie es ausgehen wür<strong>de</strong>: Versetzung wegvon <strong>de</strong>r Oxford nebst e<strong>in</strong>em Aktenvermerk, dass e<strong>in</strong> gewisser Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r aufe<strong>in</strong>em Schlachtschiff fehl am Platz war.Was dann noch blieb, war Schreibtisch<strong>die</strong>nst auf <strong>de</strong>m Yard o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er an<strong>de</strong>renE<strong>in</strong>richtung <strong>de</strong>r Navy. Natürlich war das immer noch besser als <strong>die</strong> völlige Entlassungnebst Rückkehr nach Planet Leeds, wo er praktisch vor <strong>de</strong>m Nichts stehen wür<strong>de</strong>, aber erwollte ke<strong>in</strong> Sekretär se<strong>in</strong>. Das war nicht, was er sich vorstellte. Schon alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>r bloßeGedanke an e<strong>in</strong>e lebenslange nie<strong>de</strong>re Bürotätigkeit war schrecklich für ihn. So wur<strong>de</strong>man nicht Kapitän, und <strong>de</strong>shalb war grausam, sich das auch nur auszumalen.Er warf sich längs h<strong>in</strong> und ha<strong>de</strong>rte mit sich sowie <strong>de</strong>m Schicksal. Er war <strong>in</strong> Ungna<strong>de</strong>gefallen.


„Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham bitte auf <strong>die</strong> Brücke und Chief Wayland sofort <strong>in</strong> <strong>de</strong>nMasch<strong>in</strong>enraum!“, bellte das Intercom. Lan<strong>de</strong>r wusste mittlerweile, was das hieß. Es gabwohl e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz für das Schiff, aber <strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> völlig ohne ihn stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n! Es war, alshätte man ihn, <strong>de</strong>r ja noch unter Arrest stand, bereits abgeschrieben und vergessen. Ergehörte schon nicht mehr zur Mannschaft und wartete nur noch auf <strong>de</strong>n Heimflug.Auf <strong>die</strong> Verkündigung <strong>de</strong>ssen wür<strong>de</strong> er jetzt noch länger warten müssen, da K<strong>in</strong>gshamund <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren nun Wichtigeres zu tun hatten.Er h<strong>in</strong>g noch immer se<strong>in</strong>en düsteren Vorahnungen nach, als e<strong>in</strong>e lange Weile späterSprungwarnung gegeben wur<strong>de</strong>. Es war das erste Mal, dass sie außerhalb von Omega-3operierten, aber er wusste nicht e<strong>in</strong>mal, ob <strong>die</strong>s Cambridge war o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renGrenzweltensysteme, <strong>die</strong> er so gern e<strong>in</strong>mal auf <strong>de</strong>r Brücke und <strong>de</strong>r Navigationskartegesehen hätte. Nun wür<strong>de</strong> er sie nie mehr sehen. E<strong>in</strong> unerträglicher Gedanke, <strong>de</strong>r ihmvollends <strong>de</strong>n Rest gab und ihn <strong>de</strong>n Kopf im Kissen vergraben ließ.Nun, da se<strong>in</strong> weiteres Schicksal mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r entschie<strong>de</strong>n war, war er tatsächliche<strong>in</strong>geschlafen. Nach <strong>de</strong>r letzten schlechten Nacht und all <strong>de</strong>n langen Tagen mit jeweilszwei Schichten war ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass er mü<strong>de</strong> war. E<strong>in</strong>en zweiten Sprung hatte er nebst<strong>de</strong>r Warnung sogar verschlafen, und <strong>de</strong>r laufen<strong>de</strong> E<strong>in</strong>satz war ihm ebenso egal. PatrickLan<strong>de</strong>r war auf <strong>de</strong>r Oxford nur noch Passagier.Er erwachte irgendwann. Die kle<strong>in</strong>e Zweierkab<strong>in</strong>e lag relativ mittschiffs. Es hörte sich an,als wür<strong>de</strong> das Schiff entzweigerissen. Etwas fauchte immer wie<strong>de</strong>r auf, das Metallvibrierte, se<strong>in</strong> ganzes Bett schien zu wackeln, und <strong>de</strong>r Antrieb machte e<strong>in</strong>en <strong>Hölle</strong>nlärm.Dazu kam auch nach Sekun<strong>de</strong>n auch noch e<strong>in</strong>e ohrenbetäuben<strong>de</strong> Sirene, <strong>die</strong> nichtsan<strong>de</strong>res als Gefechtsalarm be<strong>de</strong>utete. Ihm kam zu Bewusstse<strong>in</strong>, dass erstmalig <strong>in</strong> all <strong>de</strong>nWochen das Schiff selbst angegriffen wur<strong>de</strong>, und er sprang aus <strong>de</strong>r Koje, ohne zu wissen,was er jetzt tun sollte. Normalerweise wäre jetzt <strong>die</strong> Brücke se<strong>in</strong> Platz gewesen, abernicht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er momentanen Situation. Er stand ja immer noch unter Arrest!Die Trägheitsdämpfer setzten kurz aus, sodass er plötzlich schwerelos <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Luft h<strong>in</strong>gund umso heftiger wie<strong>de</strong>r auf das Deck klatschte, als das System wie<strong>de</strong>r arbeitete. Auf<strong>de</strong>r Brücke verlangte Lionel K<strong>in</strong>gsham <strong>de</strong>m Schiff wohl das Alleräußerste ab. Das Metallarbeitete hörbar und spürbar unter <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fluss von Vollschub sowie massivemfe<strong>in</strong>dlichen Beschuss. Se<strong>in</strong> Blick fiel auf <strong>die</strong> Uhr neben <strong>de</strong>r Koje. Sie zeigte 1234 mittags.E<strong>in</strong> Zahl, <strong>die</strong> ihm irgendwie seltsam passend erschien. Ansonsten war heute ja bereitsalles schiefgegangen.Das Fauchen draußen rührte von <strong>de</strong>n Bordkanonen her. Den Fe<strong>in</strong>d, <strong>de</strong>r vermutlich nure<strong>in</strong> paar Hun<strong>de</strong>rt Meter h<strong>in</strong>ter <strong>die</strong>ser Bordwand war, nicht sehen zu können war jedochnicht gera<strong>de</strong> angenehm.Sich stöhnend auf Hän<strong>de</strong> und Knie aufrappelnd begriff er, dass er etwas tun musste. Erwollte nicht hier <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e sitzen, während se<strong>in</strong> Schiff beschossen wur<strong>de</strong>. Noch warer hier Dritter Offizier und hatte se<strong>in</strong>en Platz an Bord. Alles war besser als untätigherumzusitzen und e<strong>in</strong>en möglichen Abschuss durch direkten Raketen- o<strong>de</strong>rTorpedotreffer zu erwarten. Arrest war e<strong>in</strong>e Sache, e<strong>in</strong> Gefecht e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re.Nach<strong>de</strong>m er sich <strong>die</strong> Uniformjacke rasch übergeworfen hatte, stürmte er h<strong>in</strong>aus. Manhatte ihm auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie e<strong>in</strong>gedrillt, dass es Vertrauen bei <strong>de</strong>r Mannschaft weckte,wenn <strong>de</strong>r i<strong>de</strong>ale Offizier auch <strong>in</strong> Notsituationen nicht allzu gestresst wirkte. Die richtigeKleidung war ebenfalls Teil <strong>de</strong>s ganzen Ersche<strong>in</strong>ungsbil<strong>de</strong>s. Ruhe als auch Unruhe <strong>de</strong>rFührungskräfte übertrugen sich schnell auf <strong>die</strong> Mannschaft.Kurz überlegte er, wo er sich h<strong>in</strong>wen<strong>de</strong>n sollte. Liebend gerne wäre er auf <strong>die</strong> Brückegegangen, aber da wür<strong>de</strong> man ihn wegen <strong>de</strong>s Arrests sofort wie<strong>de</strong>r rauswerfen. ErasmusRaven wür<strong>de</strong> wohl an se<strong>in</strong>er statt dort se<strong>in</strong> - o<strong>de</strong>r Daniel Fowley.Vermutlich war daher besser, sich woan<strong>de</strong>rs nützlich zu machen.„Hangar<strong>de</strong>ckcrew bereit machen zur Aufnahme von Schwerverletzten!Brandbekämpfungsteams und Krankenstation <strong>in</strong> Bereitschaft!“ Fowley stand an <strong>de</strong>rKommunikationskonsole und gab K<strong>in</strong>gshams Anweisungen weiter. Er klang ruhelos, abervielleicht me<strong>in</strong>te Lan<strong>de</strong>r das auch nur, weil er verzweifelt danach dürstete, sich e<strong>in</strong> Bild


<strong>de</strong>r Gesamtlage zu machen. Er wusste ja nicht e<strong>in</strong>mal, wer <strong>de</strong>n Patrouillenkreuzerüberhaupt angriff!Das Hangar<strong>de</strong>ck war <strong>die</strong> beste Wahl. Wenn nicht dort, dann brauchte man ihn nirgendwo.Er stürmte los, ohne weiter darauf zu achten, dass <strong>de</strong>r Beschuss auch während <strong>die</strong>sergeplanten Aufnahme von e<strong>in</strong>em Shuttle o<strong>de</strong>r Jäger nicht aufhörte.Er erreichte das Unter<strong>de</strong>ck fast zeitgleich mit <strong>de</strong>m Schiffsarzt und se<strong>in</strong>er Abteilung. Esschien so, als wolle <strong>de</strong>r Unteroffizier e<strong>in</strong>en Kommentar abgeben, als er <strong>de</strong>s gera<strong>de</strong>wegsaus <strong>de</strong>m Bett gekommenen Sub-Lieutenants ansichtig wur<strong>de</strong>, aber <strong>de</strong>r Doktor sagtenichts, weil <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Moment e<strong>in</strong> schwer beschädigter Cavalier durch <strong>die</strong> Schleusetaumelte. Das halbe Schiff stand <strong>in</strong> Flammen, als es schwer auf <strong>de</strong>m Deck aufschlug undgegen <strong>die</strong> Wand rutschte. Zum Glück war <strong>die</strong> Fahrt schon weitestgehendzurückgegangen.Sofort besprühten <strong>die</strong> hastig angetretenen Löschteams das Schiff mit Schaum, aber <strong>die</strong>Haube g<strong>in</strong>g auf, und e<strong>in</strong>e Gestalt fiel heraus. Sie wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>n Flammen erfasst undbrannte Sekun<strong>de</strong>nbruchteile später mehr o<strong>de</strong>r weniger lichterloh.Lan<strong>de</strong>r hatte nur davon gehört, dass auslaufen<strong>de</strong>s Öl so etwas verursachen konnte, aber<strong>die</strong> markerschüttern<strong>de</strong>n Schreie g<strong>in</strong>gen ihm durch und durch und hielten ihn davon ab,das Deck gänzlich zu betreten. Der Pilot war e<strong>in</strong>e Frau. Der Dritte Offizier war wiegelähmt, als jemand <strong>die</strong> Gestalt umriss, auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n wälzte und auf jene Weise <strong>die</strong>Flammen ausschlug. Der Bordarzt war bereits auf <strong>de</strong>m Weg dorth<strong>in</strong>, ohne noch aufan<strong>de</strong>re D<strong>in</strong>ge zu achten. Vermutlich hätte e<strong>in</strong>e Bombe neben ihm e<strong>in</strong>schlagen können,und er wäre trotz<strong>de</strong>m weiter zu se<strong>in</strong>er Patient<strong>in</strong> gestürmt. Lan<strong>de</strong>r bewun<strong>de</strong>rte <strong>die</strong>seHaltung.Für e<strong>in</strong>en Moment betrachtete er <strong>de</strong>n brennen<strong>de</strong>n leichten Jäger bretonischen Fabrikatsund sah das von Flammen umspielte Logo auf <strong>de</strong>m Rumpf. Bretonia M<strong>in</strong><strong>in</strong>g andManufactur<strong>in</strong>g war <strong>die</strong> Firma, <strong>de</strong>r das Schiff gehört hatte. Nun hatte es höchstens nochSchrottwert. E<strong>in</strong> Teil von ihm funktionierte weiter, während <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re nur nochabgrundtiefen Horror angesichts <strong>die</strong>ser apokalyptischen Bil<strong>de</strong>r empfand.Die bei<strong>de</strong>n Crusa<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r Oxford waren nicht auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck. Sie waren wohl vorStun<strong>de</strong>n gestartet, um aufzuklären, was ja ihr Job war, o<strong>de</strong>r vielleicht auch vor M<strong>in</strong>uten,um <strong>de</strong>m Schiff bei <strong>die</strong>sem schweren Angriff beizustehen. Falls Letzteres <strong>de</strong>r Fall war,lagen <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge wirklich im Argen. Zwei Jäger waren nicht viel, und für normale Fällereichte <strong>die</strong> sehr üppige Bordbewaffnung mehr als aus. Es musste wirklich e<strong>in</strong> echterNotfall se<strong>in</strong>, wenn K<strong>in</strong>gsham <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Piloten so opferte. Zwei gegen über hun<strong>de</strong>rtLeben.Wie<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>te e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>eres Raumschiff. E<strong>in</strong> Frachter, <strong>de</strong>r genauso schlimm dran war wie<strong>de</strong>r Jäger zuvor. Auch er brannte bereits.Direkt h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Frachter kam e<strong>in</strong> weiterer Jäger, und genau das war <strong>de</strong>r Augenblick, <strong>in</strong><strong>de</strong>m Chaos auf <strong>de</strong>m Deck ausbrach.Der anfliegen<strong>de</strong> Jäger war e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig nicht bretonisch! Er hatte e<strong>in</strong> tödliches Aussehenund spie auch Feuer aus allen Rohren.Dass e<strong>in</strong> fe<strong>in</strong>dliches Schiff auf e<strong>in</strong>em Hangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>es Schlachtschiffes lan<strong>de</strong>n konnte,ohne zerstört zu wer<strong>de</strong>n, g<strong>in</strong>g über Lan<strong>de</strong>rs Vorstellungskraft. Es konnte nicht se<strong>in</strong>, jadurfte e<strong>in</strong>fach nicht se<strong>in</strong>, und doch war es wahr! Es war tödliche Realität, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>Bordkanonen <strong>de</strong>s Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>s durchsiebten weiterh<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Opfer. Bald wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdaleexplo<strong>die</strong>ren, womöglich noch <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Navyshuttles mitnehmen, und dann wür<strong>de</strong> sichdas ganze Deck <strong>de</strong>s Kreuzers <strong>in</strong> e<strong>in</strong> flammen<strong>de</strong>s Inferno verwan<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>ssenunweigerliche Explosion auch <strong>die</strong> Oxford zerreißen wür<strong>de</strong>.In e<strong>in</strong>em Sekun<strong>de</strong>nbruchteil sah Lan<strong>de</strong>r das Bild klar vor sich, und nicht nur er. Auch <strong>de</strong>rPilot <strong>de</strong>r zivilen Cly<strong>de</strong>sdale wusste es und tat alles ihm Mögliche, um es zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn.Das be<strong>de</strong>utete jedoch lediglich, dass er <strong>de</strong>n Kreuzer rettete. Nicht jedoch sich selbst.Patrick Lan<strong>de</strong>r sah es kommen und machte unwillkürlich e<strong>in</strong>en Satz zurück, als <strong>die</strong>Cly<strong>de</strong>sdale <strong>de</strong>n Jäger traf, kurz bevor sich <strong>de</strong>r Sauerstoff <strong>in</strong> ihren Tanks auch schonentzün<strong>de</strong>te. Mit ihm g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Atmosphäre auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck hoch. Der Knall warohrenbetäubend.Der Sub-Lieutenant riss <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>en Unterarm schützend vor se<strong>in</strong>e Augen, als sich e<strong>in</strong>eimmense Flammenwand zusammen mit <strong>de</strong>r Druckwelle auf ihn zuwälzte. Er sah auf <strong>die</strong>seWeise nicht, wie sie mit <strong>de</strong>m Rest <strong>de</strong>r Gase jäh <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Raum h<strong>in</strong>ausgesaugt wur<strong>de</strong>, als


<strong>die</strong> Bordwand aufgrund <strong>de</strong>r dagegen prallen<strong>de</strong>n Schiffstrümmer und <strong>de</strong>r hochgehen<strong>de</strong>nrestlichen Raketen <strong>de</strong>s Jägers nachgab. Die scharfkantigen Metallteile hatten durch <strong>die</strong>Wucht <strong>de</strong>r Explosion auf <strong>de</strong>m Deck <strong>die</strong> Schiffswand gera<strong>de</strong>zu wie Papier durchschlagen.Auch das Schließen <strong>de</strong>s Druckschotts vor se<strong>in</strong>er Nase überhörte Lan<strong>de</strong>r, weil er längsttaub war.Unmittelbar nach <strong>de</strong>r Explosion auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck spürte er, wie das Schiff sich untere<strong>in</strong>em weiteren donnern<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>schlag zu krümmen schien wie e<strong>in</strong> leben<strong>de</strong>s Tier. Er hattenoch nie direkten Torpedobeschuss erlebt, aber er überbot alles an<strong>de</strong>re. Erneut fielen <strong>die</strong>Trägheitsdämpfer aus, und zwar <strong>die</strong>smal ganz.Irgendwann spürte er, wie er mit <strong>de</strong>m Rücken gegen <strong>die</strong> Decke stieß, aber er konntelängst nicht mehr begreifen, was vor sich g<strong>in</strong>g. Er hielt lediglich <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> vors Gesichtgepresst und versuchte, zu verstehen, dass er noch lebte, während alle Menschen auf <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>s dünn anmuten<strong>de</strong>n Schotts tot waren. Inklusive <strong>de</strong>s Schiffesarztes. DerSub-Lieutenant lebte, um gleich zu sterben, wenn das Schiff explo<strong>die</strong>rte. Es stand für ihnaußer Zweifel, dass <strong>die</strong>s sehr bald geschehen wür<strong>de</strong>. Er hatte das Inferno auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck überlebt, bloß um gleich mit <strong>de</strong>r gesamten Crew zu sterben.Erasmus Raven und Daniel Fowley fan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n schweben<strong>de</strong>n Körper <strong>de</strong>s Junioroffizierse<strong>in</strong>e gute Viertelstun<strong>de</strong> später und hielten ihn zunächst für tot. Als <strong>de</strong>r Zweite Offizierfestgestellt hatte, dass er es nicht war, kommentierte se<strong>in</strong> Vorgesetzter: „Setzen Sie ihn<strong>in</strong> Bewegung, Mister Fowley. Ich kann faule Leute nicht ausstehen! Fragen Sie ihn vorallen D<strong>in</strong>gen, was da genau auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck passiert ist.“ Der LieutenantComman<strong>de</strong>r stieß sich ab und schwebte zurück <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s Aufstieges <strong>in</strong>sSchiffs<strong>in</strong>nere.Fowley ergriff se<strong>in</strong>en Zimmergenossen am Arm und ließ sich <strong>in</strong> <strong>die</strong>selbe Richtung treiben.Lan<strong>de</strong>r, mittlerweile nicht mehr völlig schwerhörig, fand dadurch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Realität zurückund sagte heiser: „Ich wollte nur helfen, Sir.“„Dazu wer<strong>de</strong>n Sie genug Gelegenheit bekommen, nach<strong>de</strong>m ich Sie vorerst auf <strong>die</strong> Medgebracht habe. Wir brauchen jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Bergung <strong>de</strong>r Verletzten <strong>in</strong> allenSektionen koord<strong>in</strong>iert und <strong>die</strong> Mannschaftsliste abhakt. Wir müssen wissen, wie vielenoch da s<strong>in</strong>d und wie schwer sie verletzt s<strong>in</strong>d. Sie können das machen, während ich mit<strong>de</strong>m Lieutenant Comman<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Schä<strong>de</strong>n überprüfe“, war Fowleys trockene Erwi<strong>de</strong>rung.„Ist es vorbei?“Fowleys Blick war unergründlich, als er lediglich nickte.„Kann ich Ihnen danach behilflich se<strong>in</strong>?“, bohrte Lan<strong>de</strong>r weiter. Er verstand nicht, wasse<strong>in</strong> Vorgesetzter zuvor zu ihm gesagt hatte.„Können Sie nicht, Lieutenant. Falls wir jeman<strong>de</strong>n f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sich damit auskennt,braucht Ihr Arm Behandlung. Ich wer<strong>de</strong> Sie gleich verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n, sobald wir auf <strong>de</strong>r Meds<strong>in</strong>d.“„Me<strong>in</strong> Arm ist völlig <strong>in</strong> Ordnung!“, erhob Lan<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>spruch. Er war völlig verdutzt, als se<strong>in</strong>Vorgesetzter <strong>die</strong> Gliedmaße am Handgelenk anfasste und herumdrehte, ohne <strong>die</strong> <strong>in</strong>blutigen Fetzen herunterhängen<strong>de</strong> Haut zu berühren, <strong>die</strong> sich mit <strong>de</strong>n Resten <strong>de</strong>sUniformhem<strong>de</strong>s und se<strong>in</strong>er zerrissenen Jacke mischte. „Noch Fragen, Lieutenant?“„Ne<strong>in</strong>, Sir. Ke<strong>in</strong>e weiteren Fragen“, würgte Lan<strong>de</strong>r hervor und sah hastig weg. Er hattebis jetzt nichts davon gespürt, aber als wolle se<strong>in</strong> Körper ihn verhöhnen, setzte prompte<strong>in</strong> scharfer Schmerz e<strong>in</strong>. Auch se<strong>in</strong> Kopf tat weh. Er musste ihn sich irgendwoangestoßen haben.„Dann tun Sie das, was man Ihnen aufgetragen hat und unterstützen Sie nachher <strong>die</strong>provisorischen Meds, so gut Sie können. Es s<strong>in</strong>d auch Amateure, genau wie Sie. Ihr ErsteHilfe-Kurs ist noch nicht allzu lange her. Kümmern Sie sich daher mit um <strong>die</strong> Verletzten.Da wer<strong>de</strong>n Sie am nötigsten gebraucht. Wir haben über zwanzig Tote <strong>in</strong> <strong>de</strong>nverschie<strong>de</strong>nen Sektionen. M<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong> Dutzend von <strong>de</strong>n noch nicht gezähltenVerletzten wird vermutlich noch sterben, bis wir <strong>in</strong> Bretonia s<strong>in</strong>d, da das Personal <strong>de</strong>rMed auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck war. Sie s<strong>in</strong>d Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy, Lieutenant. Ich lasseIhnen me<strong>in</strong>e Jacke da, damit Sie auch wie e<strong>in</strong>er aussehen. Manch e<strong>in</strong>er von <strong>die</strong>sene<strong>in</strong>fach gestrickten Kerlen wird leichter sterben, wenn e<strong>in</strong> blau geklei<strong>de</strong>ter Vorgesetztermit gol<strong>de</strong>nen Streifen bei ihm ist und se<strong>in</strong>e Hand hält, wenn wir schon ke<strong>in</strong>en Arzt mehrhaben, um ihn zu retten! Sie repräsentieren <strong>die</strong> Royal Navy und s<strong>in</strong>d <strong>de</strong>r Vierte <strong>in</strong> <strong>de</strong>rRangordnung an Bord.“


„Ja, Sir!“ Lan<strong>de</strong>r wusste sonst nichts zu sagen. Sowohl <strong>die</strong> Ausdrucksweise als auch <strong>die</strong>Härte <strong>in</strong> Fowleys Worten erschreckten ihn. Dass e<strong>in</strong> Schiffsgefecht so schlimm se<strong>in</strong>konnte, hatte er sich nicht e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Alpträumen jemals ausgemalt. Er holte tiefLuft: „Wür<strong>de</strong>n Sie mir bitte wenigstens sagen, wer o<strong>de</strong>r was uns angegriffen hat? Habenwir Krieg?“„Krieg?“ Fowley lachte humorlos auf. „Nur <strong>de</strong>n üblichen. E<strong>in</strong> aus Rhe<strong>in</strong>land kommen<strong>de</strong>rKonvoi wur<strong>de</strong> von Outcasts verfolgt. Normalerweise hätten sie abgedreht, aber <strong>die</strong>smals<strong>in</strong>d sie drangeblieben und haben uns auch angegriffen. Wir haben sie erledigt, aber wirs<strong>in</strong>d es vielleicht auch. Rhe<strong>in</strong>land schickt Schiffe. Die ersten E<strong>in</strong>heiten dürften bereitsangekommen se<strong>in</strong>. Man hat uns Hilfe angeboten, aber ich wüsste nicht, wie wir sie ohneHangar<strong>de</strong>ck annehmen sollten. Wir haben laut <strong>de</strong>n ersten Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong> Loch anBackbord, wo vermutlich drei Jäger gleichzeitig durchpassen wür<strong>de</strong>n, und viele weiterean an<strong>de</strong>ren Stellen <strong>de</strong>s Schiffes. Es ist e<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass wir überhaupt noch am Lebens<strong>in</strong>d, und wird noch lange dauern, bis wir erneut manövrieren können o<strong>de</strong>r überhauptauch nur wie<strong>de</strong>r Strom haben. Der Chief arbeitet daran.“„Wenn <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r hier s<strong>in</strong>d, warum evakuieren wir <strong>die</strong> Verletzten dann nicht mit <strong>de</strong>nRettungskapseln?“Nach e<strong>in</strong>em eisigen Blick, als wolle er fragen, wie Lan<strong>de</strong>r nur so dumm se<strong>in</strong> konnte,schüttelte Fowley <strong>de</strong>n Kopf und wollte etwas Abfälliges sagen, aber er beherrschte sichgera<strong>de</strong> noch. „Weil vielen Gliedmaßen fehlen und sie dadurch re<strong>in</strong> zufälligerweise nichtbewegt wer<strong>de</strong>n können. Von <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>geklemmten Leuten ganz zu schweigen. Außer<strong>de</strong>mstehen viele Sektionen unter Vakuum, und wir wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Rettungskapseln, <strong>die</strong> nochfunktionieren, nachher selbst benötigen.“„Wir geben das Schiff auf?“, entfuhr <strong>de</strong>m entsetzten Lan<strong>de</strong>r.„Das weiß nur <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r. Ich wür<strong>de</strong> es je<strong>de</strong>nfalls machen, wenn ich an se<strong>in</strong>erStelle wäre“, sprach Fowley bissig. Er war es offensichtlich leid, ständig alles zuwie<strong>de</strong>rholen. „Momentan versuchen wir aber alles, um es zu retten, also ke<strong>in</strong>e Angst. Wirwer<strong>de</strong>n Sie schon nicht vergessen, Sub-Lieutenant!“Nach<strong>de</strong>m er Lan<strong>de</strong>r kurze Zeit später auf <strong>de</strong>r Krankenstation rasch mehrere Lagen Mullum <strong>de</strong>n aufgerissenen Arm gewickelt hatte, verschwand Fowley e<strong>in</strong>fach. Er ließ se<strong>in</strong>enZimmergenossen mit <strong>de</strong>r ständig wachsen<strong>de</strong>n Anzahl von Verletzten und Sterben<strong>de</strong>n, <strong>die</strong>von e<strong>in</strong>igen Crewmitglie<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>zeln here<strong>in</strong>gebracht wur<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>rherrschen<strong>de</strong>n Schwerelosigkeit selbst zur Med zogen, sofern sie es noch konnten,komplett alle<strong>in</strong>.Dabei stellte <strong>de</strong>r Dritte Offizier schnell fest, dass er nun alle Entscheidungen treffenmusste, wie er es sich früher ausgemalt hatte. Nur so hatte er es sich wirklich nichtvorgestellt. Es war ke<strong>in</strong> Heroismus dabei, und er rettete auch nicht <strong>die</strong> Welt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nFrie<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn genau wie auf e<strong>in</strong>em Außene<strong>in</strong>satz waren es praktische Befehle, <strong>die</strong>gegeben wer<strong>de</strong>n mussten und auch manches Mal <strong>de</strong>n Tod von Menschen e<strong>in</strong>schlossen.Außer<strong>de</strong>m fühlte er sich im Angesicht sterben<strong>de</strong>r Männer nicht heroisch. Es passte nicht.Lan<strong>de</strong>r sprach e<strong>in</strong>mal kurz mit K<strong>in</strong>gsham, um <strong>die</strong> komplette Mannschaftsliste zubekommen und gleich bei <strong>de</strong>r Brückencrew mit <strong>de</strong>m Abhaken <strong>de</strong>rselben anzufangen. DerComman<strong>de</strong>r übertrug <strong>de</strong>m jüngsten Offizier daraufh<strong>in</strong> <strong>die</strong> volle Verantwortung für <strong>die</strong>Delegierung <strong>de</strong>r Bergungstrupps, als er hörte, dass e<strong>in</strong> Streifenträger auf <strong>de</strong>rKrankenstation das Kommando führte. Davon hatte er re<strong>in</strong> zufälligerweise gera<strong>de</strong> viel zuwenige, weshalb ihm Lan<strong>de</strong>rs Meldung ganz gelegen kam. Was er <strong>de</strong>m Sub-Lieutenantdabei aufbür<strong>de</strong>te, <strong>in</strong>teressierte K<strong>in</strong>gsham nicht im Ger<strong>in</strong>gsten, da je<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mannschaftvom kle<strong>in</strong>sten Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g bis zum Kommandanten selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong>sen Stun<strong>de</strong>n dabeiwar, weit über <strong>die</strong> Grenzen se<strong>in</strong>er Leistungsfähigkeit h<strong>in</strong>auszugehen.In jener Zeit lernte Patrick Lan<strong>de</strong>r, dass <strong>de</strong>r Offiziersberuf wirklich Anfor<strong>de</strong>rungen ane<strong>in</strong>en stellte, <strong>die</strong> weit über das erträgliche Maß h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>gen. Selbst <strong>die</strong> Außene<strong>in</strong>sätzewaren im direkten Vergleich nichts hiergegen gewesen.Er wusste, nicht, wo ihm <strong>de</strong>r Kopf stand, beantwortete Hun<strong>de</strong>rte Anfragen, <strong>die</strong> alle mite<strong>in</strong>em Lieutenant o<strong>de</strong>r Sir en<strong>de</strong>ten, sprach Mut zu, wickelte Verbän<strong>de</strong> und hielt Hän<strong>de</strong>von Sterben<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> man auf <strong>die</strong> Med brachte und <strong>die</strong> sich an ihn klammerten. Er drückte<strong>in</strong>s Leere starren<strong>de</strong> Augen zu, wenn es vorbei war, und vermied dabei je<strong>de</strong>n Gedankenan e<strong>in</strong>en nervlichen Zusammenbruch o<strong>de</strong>r an <strong>die</strong> eigene Erschöpfung. Er wollte sich am


liebsten heulend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke verkriechen und nichts mehr hören o<strong>de</strong>r sehen, aber <strong>de</strong>rRest <strong>de</strong>r Crew machte weiter, also tat er dasselbe.Der Erste Offizier brachte e<strong>in</strong>e halbe Ewigkeit später <strong>die</strong> Nachricht, dass das Schiffaufgegeben wür<strong>de</strong>, und löste ihn ab. Erasmus Ravens Worte waren kaum verständlich,so heiser war er, und se<strong>in</strong>e ganze Haltung drückte aus, dass er über <strong>de</strong>n Punkt <strong>de</strong>rvölligen körperlichen Erschöpfung längst h<strong>in</strong>aus war. Schwarze Schatten stan<strong>de</strong>n unter<strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Ersten Offiziers, und er hatte nach mehr als dreißig Stun<strong>de</strong>nununterbrochener Schufterei Bartstoppeln am K<strong>in</strong>n. Es gab <strong>in</strong> jenem Moment ke<strong>in</strong>eFe<strong>in</strong>dseligkeit mehr zwischen Raven und Lan<strong>de</strong>r. Da <strong>die</strong> gehfähigen Männer alle <strong>die</strong>Rettungskapseln <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Sektionen benutzen mussten, waren sie schließlich sogarfast <strong>die</strong> letzten Besatzungsmitglie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m ganzen Schiff.Lan<strong>de</strong>r stand neben <strong>de</strong>m übermü<strong>de</strong>ten, abgekämpften Exekutivoffizier, als <strong>die</strong>serschließlich auf <strong>de</strong>r Brücke anrief und schlicht mel<strong>de</strong>te: „Med evakuiert, Lionel. Der Dritteund ich s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Letzten.“ Für mehr Worte hatte selbst Raven ke<strong>in</strong>e Kraft mehr. Die Crewhatte alles gegeben - je<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>e Weise - und doch war <strong>de</strong>r Patrouillenkreuzer Oxfordverloren. Zu schwer zerstört, um ihn noch zurück nach Bretonia zu fliegen. Vermutlichwür<strong>de</strong> das Schiff ke<strong>in</strong>en weiteren Sprung mehr überstehen, da <strong>die</strong> strukturelle Integrität<strong>de</strong>r Hülle und <strong>die</strong> Systeme im Masch<strong>in</strong>enraum zu schwer geschädigt waren.Der beg<strong>in</strong>nen<strong>de</strong> Countdown <strong>de</strong>r Selbstzerstörung, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> belasten<strong>de</strong> Stille an Bord <strong>de</strong>szusammengeschossenen, todgeweihten Schlachtschiffes brach, unterstrich das sehre<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich und jagte Lan<strong>de</strong>r nach allem noch e<strong>in</strong>en Schauer <strong>de</strong>n Rücken h<strong>in</strong>unter.Als <strong>de</strong>r Dritte Offizier, <strong>de</strong>n se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e kaum noch trugen, schließlich beim E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Kapsel im Bereich <strong>de</strong>r Crewquartiere über <strong>die</strong> Schwelle stolperte, hielt Raven ihnsogar fest, damit er sich nicht <strong>de</strong>n Kopf an <strong>de</strong>r Wand anstieß.In <strong>die</strong>sem Moment fand Lan<strong>de</strong>r nicht e<strong>in</strong>mal das ungewöhnlich. Er wollte nur schlafen,aber er verbat es sich. Er wollte das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schiffes so bewusst miterleben wiemöglich. Ihm war, als wür<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Teil se<strong>in</strong>er selbst dort zurückbleiben. Vielleicht war esse<strong>in</strong>e Jugend.Der Akt war reichlich unspektakulär. Wenige M<strong>in</strong>uten nach ihrem Ausstieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>rletzten funktionstüchtigen Rettungskapseln ruckte <strong>de</strong>r Metallkörper leicht, als Millionenkle<strong>in</strong>er Materieteilchen auf ihn trafen.Es war für Lan<strong>de</strong>r schwer vorstellbar, dass ihm <strong>die</strong>ses Schiff, auf <strong>de</strong>m er aufad<strong>die</strong>rt nichte<strong>in</strong>mal ganz vier Wochen se<strong>in</strong>es Lebens verbracht hatte, so ans Herz gewachsen war.Jetzt war es nicht mehr existent, son<strong>de</strong>rn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er riesigen Materiewolke vergangen,nach<strong>de</strong>m se<strong>in</strong> Reaktor hochgegangen war.Wenige M<strong>in</strong>uten nach jenem Ruck kamen <strong>die</strong> seit mehr als e<strong>in</strong>em halben Tag warten<strong>de</strong>nRhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r. Lan<strong>de</strong>r fand sich mit Erasmus Raven sowie acht an<strong>de</strong>ren Bretonen an Bor<strong>de</strong><strong>in</strong>es riesig anmuten<strong>de</strong>n Humpbacks wie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich auf <strong>de</strong>m Weg <strong>in</strong>s Stuttgart-Systembefand. Von dort aus wür<strong>de</strong> man <strong>die</strong> restliche Crew <strong>de</strong>r Oxford nach New Berl<strong>in</strong> br<strong>in</strong>gen.Die Rettungskapseln <strong>de</strong>r Schwerverletzten hatte man bereits mit an<strong>de</strong>ren Frachternaufgelesen und nach Dres<strong>de</strong>n geschafft, wo sie auf e<strong>in</strong>er Grenzstation <strong>die</strong>schnellstmögliche Versorgung erhalten wür<strong>de</strong>n. Das Haus Rhe<strong>in</strong>land tat se<strong>in</strong> Bestes undwar im Laufe <strong>de</strong>s Tages mit mehr als vierzig Schiffen gekommen, davon fünfzehn für <strong>de</strong>nTransport <strong>de</strong>r Bretonen und zwanzig Jäger plus fünf Kanonenboote um jene Humpbacksabzusichern. In zwei Systemen waren <strong>die</strong> besten Ärzte und e<strong>in</strong>e ganze Armada vonSchiffen alarmiert wor<strong>de</strong>n. Die Kun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s verzweifelten Kampfes und <strong>de</strong>s bitteren Siegeseilte <strong>de</strong>r Royal Navy voraus, und das Haus Bretonia hatte offiziell um Hilfe ersucht.Als ihr Frachter auf Planet Stuttgart am Raumhafen aufsetzte, war das endgültig dasEn<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong>schaft, wie Lan<strong>de</strong>r schien. Die an<strong>de</strong>ren verschwan<strong>de</strong>n, Erasmus Ravene<strong>in</strong>geschlossen. Der Erste Offizier war unverletzt und wür<strong>de</strong> daher sofort nach Bretoniaweiterreisen.Nun musste Lan<strong>de</strong>r sich ke<strong>in</strong>e Gedanken mehr um e<strong>in</strong>e Versetzung machen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>rPatrouillenkreuzer Oxford existierte nicht mehr. Verständlicherweise erfreute ihn dastrotz<strong>de</strong>m nicht. An ihm nagte <strong>de</strong>r erlittene Verlust von etwas, das er nicht benennenkonnte.Ihn schaffte man als E<strong>in</strong>zigen aus ihrer Gruppe sofort <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krankenhaus. DieBehandlung se<strong>in</strong>es Armes war langwierig und schmerzhaft. Außer<strong>de</strong>m stellte man e<strong>in</strong>e


leichte Gehirnerschütterung fest, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant nicht e<strong>in</strong>mal bemerkt hatte.Unmittelbar resultierte daraus e<strong>in</strong> vorübergehen<strong>de</strong>s e<strong>in</strong>wöchiges Transportverbot.Se<strong>in</strong>e Eltern reisten <strong>de</strong>shalb auf Kosten <strong>de</strong>s bretonischen Militärs am Folgetag <strong>de</strong>sDesasters nach Rhe<strong>in</strong>land. Es war das erste Mal, dass <strong>de</strong>r anglikanische Pastor Lan<strong>de</strong>rund se<strong>in</strong>e Frau Planet Leeds verließen sowie mit e<strong>in</strong>em Raumschiff reisten. Es war jedoche<strong>in</strong>e Ehrensache <strong>de</strong>r Royal Navy, <strong>die</strong> Kosten dafür zu übernehmen. Patrick Lan<strong>de</strong>r warzwar nur Sub-Lieutenant alias e<strong>in</strong> rangniedriger Offizier, aber trotz<strong>de</strong>m trug er Gold aufBlau und war von daher Mitglied <strong>de</strong>r Führungsklasse. Obwohl auch da differenzierteUnterschie<strong>de</strong> gemacht wur<strong>de</strong>n, wie er aus bitterer Erfahrung ja h<strong>in</strong>länglich wusste.Genauso blieb es auch. Von se<strong>in</strong>en ehemaligen Schiffskamera<strong>de</strong>n besuchte ihn niemand.Ke<strong>in</strong> Lionel K<strong>in</strong>gsham erschien, ke<strong>in</strong> Erasmus Raven und nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Daniel Fowley.Es wun<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r nicht, und er war auch irgendwie dankbar dafür. Es half ihm, damitabzuschließen. Nur von <strong>de</strong>r bretonischen Botschaft auf Stuttgart war mehrfach jemanddagewesen, hatte Blumen vorbei gebracht und <strong>die</strong> Genesungswünsche <strong>de</strong>r Admiralitätausgerichtet.Se<strong>in</strong> Krankenhausaufenthalt wur<strong>de</strong> auf Anraten <strong>de</strong>s Arztes noch e<strong>in</strong>mal um e<strong>in</strong>e Wocheverlängert, aber das geschah eher auf Bitten se<strong>in</strong>erseits und se<strong>in</strong>er Mutter h<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn mit<strong>de</strong>r Ruhe waren <strong>die</strong> Träume gekommen. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r Zeit nach se<strong>in</strong>er schwerenSchussverletzung damals hatte er <strong>die</strong>smal auch mit <strong>de</strong>n psychischen Folgen <strong>de</strong>sE<strong>in</strong>satzes zu kämpfen. Er hatte durch <strong>die</strong> von ihm erfüllte Aufgabe vermutlich mehr <strong>de</strong>mTo<strong>de</strong> geweihte Menschen sterben sehen als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Mann auf <strong>de</strong>m Schiff. DieseBil<strong>de</strong>r und <strong>die</strong>jenigen <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Outcastjäger rammte, verfolgten ihn je<strong>de</strong>Nacht und ließen ihn schweißgeba<strong>de</strong>t erwachen.Se<strong>in</strong>e Mutter und <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r halfen ihm durch <strong>die</strong>se erste schwere Zeit. JeremiahLan<strong>de</strong>r war nach drei Tagen wie<strong>de</strong>r abgereist, weil er als Geistlicher mit e<strong>in</strong>er eigenengroßen Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> eben berufliche Verpflichtungen auf Leeds hatte und <strong>die</strong>se sehr ernstnahm. Auch dafür war Patrick Lan<strong>de</strong>r nicht undankbar. Er spielte mit <strong>de</strong>m Gedanken, dasMilitär zu verlassen, und wür<strong>de</strong> <strong>die</strong>se geschenkte Zeit nutzen, um nach jenen Erlebnissenzur Ruhe und wie<strong>de</strong>r mit sich selbst <strong>in</strong>s Re<strong>in</strong>e zu kommen. Dabei konnte er wirklichke<strong>in</strong>en Geistlichen brauchen, selbst wenn es se<strong>in</strong> eigener Vater war.Sechzehn Tage nach <strong>de</strong>r Selbstzerstörung <strong>de</strong>r Oxford kehrte Sub-Lieutenant PatrickLan<strong>de</strong>r als e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Letzten wie<strong>de</strong>r nach Bretonia zurück. Se<strong>in</strong>e Mutter und er flogenerster Klasse an Bord e<strong>in</strong>er Cly<strong>de</strong>sdale von Spa and Cruise nach Hause. Zielraumhafenwar Planet Leeds via New London.


Kapitel V – Auf Eis gelegt„… und soll ich euch mal was sagen…“, plapperte Patrick Lan<strong>de</strong>rs Mutter angeregt vorsich h<strong>in</strong>, während ihr <strong>die</strong> ganze Teerun<strong>de</strong>, bestehend aus sieben ausschließlich weiblichenGästen, zuhörte. „… war sogar e<strong>in</strong> echter Herzog! Lord Heyward von Planet Cambridge.Wir haben sogar mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gesprochen, und er hat mir zu me<strong>in</strong>em tapferen Sohngratuliert!“„Ne<strong>in</strong>, sag nur!“ Kate Halmers quollen fast <strong>die</strong> Augen aus <strong>de</strong>m Kopf, wie es <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong>hatte. Auch <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Frauen gaben ähnliche ungläubige Ausrufe von sich. DasStaunen ihrer Zuhörer<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>terpretierte <strong>die</strong> etwas füllige und dralle Anne Lan<strong>de</strong>r alsZweifel und richtete sich auf ihrem Stuhl auf. „Sag es ihnen selbst, Patrick!“Der Angesprochene saß abgeschlagen am an<strong>de</strong>ren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s riesigen Tisches, hob <strong>de</strong>nKopf und versuchte, zu erahnen, wovon Anne Lan<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> eigentlich gesprochen hatte.Da <strong>de</strong>r Name Heyward gefallen war, konnte er es sich fast <strong>de</strong>nken. Sie sprach über <strong>de</strong>nRückflug aus Stuttgart vor vier Tagen. In <strong>de</strong>r ersten Klasse waren sie geflogen, und <strong>in</strong><strong>de</strong>r Reihe rechts von ihnen hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat e<strong>in</strong> bretonischer Adliger gesessen.Lan<strong>de</strong>r hatte sich dabei nichts gedacht, aber se<strong>in</strong>e Mutter war aus <strong>de</strong>m Häuschengewesen, und zwar aus genau <strong>die</strong>sem Grund. Es war neu für sie gewesen, überhaupt vonPlanet Leeds wegzukommen, und sie hatte daher <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Run<strong>de</strong> viel zu erzählen. Dernach se<strong>in</strong>er ersten Verwundung erfolgte Besuch auf <strong>de</strong>m Southampton Yard war beiWeitem nicht so ergiebig gewesen, aber Rhe<strong>in</strong>land stand auf e<strong>in</strong>em völlig an<strong>de</strong>ren Blatt.Da ihr Mann heute erstmals seit ihrer Rückkehr über Tag außer Haus war, hatte AnneLan<strong>de</strong>r auch prompt alle ihre Freund<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n, um mit <strong>de</strong>m Erlebten zu protzen.Der besagte Lord Heyward war zunächst pe<strong>in</strong>lich berührt gewesen, als Lan<strong>de</strong>rs Mutterihn <strong>in</strong> ihrem leedser Dialekt angesprochen hatte. Offensichtlich hatte <strong>de</strong>r elegantgeklei<strong>de</strong>te Mann sich belästigt gefühlt und stumm gefragt, warum so etwas wie sieüberhaupt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Klasse e<strong>in</strong>es Fluges von Rhe<strong>in</strong>land nach New London saß. Als siedann auch noch wie e<strong>in</strong> Wasserfall gere<strong>de</strong>t hatte, war es noch schlimmer für Lan<strong>de</strong>rgewor<strong>de</strong>n als ohneh<strong>in</strong> schon. Er hatte sich gera<strong>de</strong>zu geschämt.„Ja, Mutter“, sagte er darum nur und errötete.„Da hört ihr’s! Patrick ist von ihm angesprochen und gelobt wor<strong>de</strong>n!“„Mutter, auf me<strong>in</strong>em Schiff waren so gut wie alle Offiziere Söhne o<strong>de</strong>r Verwandte vonirgendwelchen Lords! Me<strong>in</strong> Zimmergenosse kam von Planet New London!“„Ach ja? Wie hieß er <strong>de</strong>nn? Ich kenne mich da aus.“ Wie<strong>de</strong>r war es <strong>die</strong> vorlaute MadamHalmers, <strong>die</strong> das Wort an sich riss. Sie stellte ihre Teetasse, nach <strong>de</strong>r sie gera<strong>de</strong>gegriffen hatte, mit e<strong>in</strong>em lauten Klirren ab und stieß <strong>de</strong>n Kopf vor, um <strong>de</strong>n Namen auchja nicht zu verpassen.„Se<strong>in</strong> Familienname war Fowley.“„Fowley? Me<strong>in</strong> Gott, Junge! Das kann nicht wahr se<strong>in</strong>!“„Doch, er hat es mir oft geschrieben. Me<strong>in</strong> Patrick lügt nicht, genauso wenig wie ich. Wirs<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e gottesfürchtige Familie! Der Mann hieß Daniel Fowley. Lord Fowleys letzterSohn. Er war mit me<strong>in</strong>em Patrick befreun<strong>de</strong>t!“„Etwa <strong>de</strong>r Bru<strong>de</strong>r von Esther Fowley? Se<strong>in</strong>e Zwill<strong>in</strong>gsschwester hat sich doch selbst <strong>de</strong>nKopf weggeschossen weil ihr Geliebter… irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>… Pa… Pe…Parris o<strong>de</strong>r so sich mit e<strong>in</strong>eran<strong>de</strong>ren vergnügt hat!“„Er hieß Parry, und ich habe an Bord <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Bett geschlafen. Nebenbei gesagt ist ernicht fremdgegangen.“Nun re<strong>de</strong>ten fast alle Weiber gleichzeitig.„Du hast <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Bett <strong>de</strong>s Sohnes <strong>de</strong>s ehemaligen Premierm<strong>in</strong>isters Parry geschlafen?“„Unmöglich!“„Woher willst du das <strong>de</strong>nn wissen? Er war wie alle von <strong>de</strong>nen e<strong>in</strong> Weiberheld. Natürlichist er fremdgegangen, und das junge D<strong>in</strong>g hat sich <strong>de</strong>shalb das Hirn weggeblasen!“Erst jetzt merkte Lan<strong>de</strong>r, dass <strong>die</strong>se Bemerkung e<strong>in</strong> Fehler gewesen war. Wütend ergriffer se<strong>in</strong> eigenes Teegeschirr, das er e<strong>in</strong>zig vor sich stehen hatte, um unter <strong>die</strong>semVorwand mit <strong>de</strong>n Frauen am Tisch sitzen zu können, und stand auf. Mit <strong>de</strong>n Augen bat er<strong>die</strong> neben ihrer Mutter sitzen<strong>de</strong> Betty Halmers, ihm zu folgen.


Er ertrug <strong>die</strong>ses Getratsche nicht mehr und hoffte, dass es ihr ebenso g<strong>in</strong>ge. Dass se<strong>in</strong>eeigene Mutter so schlimm war wie <strong>die</strong>se ganzen Nachbar<strong>in</strong>nen, <strong>die</strong> am liebsten alleshaarkle<strong>in</strong> erzählt haben wollten, wi<strong>de</strong>rte ihn an. Sie wussten ja sowieso alles besser undstürzten sich darauf wie <strong>die</strong> Aasgeier. Zum Glück konnte er sich auf das Verbot <strong>de</strong>rPreisgabe von militärischen Geheimnissen berufen. Der letzte E<strong>in</strong>satz <strong>de</strong>r Oxford warzwar kurz <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Hyperbroadcastnachrichten erwähnt wor<strong>de</strong>n, aber eben nicht im Detail.Die Nachrichten hatten nur vermel<strong>de</strong>t, dass Se<strong>in</strong>er Majestät Patrouillenkreuzer mit se<strong>in</strong>enToten nach e<strong>in</strong>em hel<strong>de</strong>nhaften E<strong>in</strong>satz im Kampf gegen <strong>die</strong> Piraten für immer <strong>in</strong> Omega-11 geblieben war. Es war <strong>de</strong>r Stoff, auf <strong>de</strong>n sich <strong>die</strong> Presse stürzte, aber <strong>die</strong> Admiralitäthatte gemauert. Jetzt nach zwanzig Tagen war es jedoch bereits alles wie<strong>de</strong>r Schnee vongestern. Es geschah eben je<strong>de</strong>n Tag etwas Neues <strong>in</strong> Sirius.Nur <strong>die</strong> Reportagen <strong>de</strong>r Klatschpresse über das Leben <strong>de</strong>r Reichen blieben. Se<strong>in</strong>e Mutterwar nun <strong>de</strong>r Mittelpunkt, weil ihr Sohn jene Leute o<strong>de</strong>r ihre Söhne eben teilweisepersönlich kannte. Ihr Sohn war <strong>in</strong> ihrer e<strong>in</strong>fachen Welt <strong>de</strong>r Held. E<strong>in</strong> Held, <strong>de</strong>n <strong>die</strong>Reichen als e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r ihren akzeptierten. Ihr <strong>die</strong> Wahrheit zu sagen brachte Lan<strong>de</strong>r nichtüber sich. Se<strong>in</strong>e Mutter wür<strong>de</strong> es nicht verstehen.„… Bankhaus Fowley & Sons. Haben bis heute gute Verb<strong>in</strong>dungen zur Königsfamilie. DerKönig hat bei ihnen e<strong>in</strong>en Großteil se<strong>in</strong>er Schul<strong>de</strong>n. Wenn <strong>de</strong><strong>in</strong> Sohn und er wirklichbefreun<strong>de</strong>t waren, muss er sich <strong>de</strong>n jungen Fowley warmhalten. Dann fällt vielleicht wasfür euch ab“, ereiferte sich erneut e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Frauen.„Der alte Lord Fowley ist Milliardär.“„Vielleicht kann Patrick <strong>de</strong>n jungen Fowley ja mal mitbr<strong>in</strong>gen. Ich wür<strong>de</strong> ihm bestimmtme<strong>in</strong>e Betty vorstellen wollen.“„Mama!“ Zu Lan<strong>de</strong>rs persönlichem Leidwesen machte Betty Halmers ke<strong>in</strong>e Anstalten, ihmzu folgen, als er zur Küche g<strong>in</strong>g.„… hat bestimmt an<strong>de</strong>re Sorgen, als auf Brautschau zu gehen. Der alte Lord Fowley istschwerkrank, wie ich hörte.“„Wenn e<strong>in</strong>es me<strong>in</strong>er K<strong>in</strong><strong>de</strong>r sich selbst umgebracht hätte…“Lan<strong>de</strong>r stellte <strong>die</strong> Teetasse e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>die</strong> Küche, ohne sie abzuwaschen. Se<strong>in</strong>e Mutterwusste, was er von ihrem Klatsch hielt und wie unangenehm ihm das alles war. Dash<strong>in</strong><strong>de</strong>rte sie aber nicht daran, damit weiterzumachen. Selbst se<strong>in</strong> Vater ergriff an solchenTagen am liebsten <strong>die</strong> Flucht o<strong>de</strong>r warf <strong>die</strong> Frauenrun<strong>de</strong> mit ihrem Geklöne über <strong>die</strong>Klatschheftchen kurzerhand raus. Das war alles schon vorgekommen.Wegen Betty Halmers hatte Lan<strong>de</strong>r sich dazugesetzt und von se<strong>in</strong>er stolzen Mutterpräsentieren lassen. Er hatte gehofft, dass <strong>die</strong> junge Frau danach mehr <strong>in</strong> ihm sehenwür<strong>de</strong>. Betty Halmers war ihm jedoch erneut ausgewichen. Vielleicht hatte sie aber auchnur <strong>die</strong> Auffor<strong>de</strong>rung nicht verstan<strong>de</strong>n.Offen ansprechen konnte er sie je<strong>de</strong>nfalls nicht darauf. Ihre Mutter wachte über <strong>die</strong>achtzehnjährige Tochter wie e<strong>in</strong> Schießhund. Das me<strong>in</strong>te sie zu müssen, weil Betty <strong>in</strong> <strong>de</strong>rTat verdammt hübsch war.Voller Enttäuschung zog er sich zurück. Sie hatte ihn erneut abgelehnt. Tief <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emInnersten wusste er, dass es so viele blö<strong>de</strong> Zufälle nicht geben konnte. Betty mochte ihnwirklich nicht so, wie er sie seit Jahren mochte. Das tat weh.Wie so oft an Bord <strong>de</strong>s Patrouillenkreuzers Oxford legte er sich auch hier e<strong>in</strong>fach aufsBett und gab sich se<strong>in</strong>en Gedanken h<strong>in</strong>. Auf <strong>de</strong>m Schiff hatte er das oft getan, weil ihm<strong>die</strong> Offiziersmesse ja wegen Erasmus Raven und auch <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren kaum offengestan<strong>de</strong>n hatte. Er war dort unerwünscht gewesen. Deshalb war er oft alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erKab<strong>in</strong>e gewesen, wenn es se<strong>in</strong>e Zeit erlaubt hatte. Durch das Zweiwachensystem hattener und Fowley sich nur m<strong>in</strong>utenweise gesehen. Mittlerweile sah er selbst das als Vorteilan. Es hatte eben nicht gepasst. Jemand wie er konnte niemals e<strong>in</strong> Freund für solcheLeute se<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r auch nur von ihnen respektiert wer<strong>de</strong>n. Das war e<strong>in</strong>fach unmöglich.Es kl<strong>in</strong>gelte an <strong>de</strong>r Tür. Vermutlich war es Clare Swift. Sie hatte heute <strong>in</strong> <strong>de</strong>rFrauenrun<strong>de</strong> gefehlt. Er sah ke<strong>in</strong>en Grund, aufzumachen, bloß damit alles wie<strong>de</strong>r vonvorne losg<strong>in</strong>g.In <strong>de</strong>r Tat machte schon bald se<strong>in</strong>e Mutter auf. Er hörte ihre Schritte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r engenDreizimmerwohnung. Als sie <strong>de</strong>n Besucher jedoch siezte, wur<strong>de</strong> er hellhörig. DasStimmengewirr <strong>de</strong>r Teerun<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Küche verstummte schlagartig wie abgeschnitten.


Noch bevor er das bewusst wahrnahm, klopfte es auch schon an <strong>de</strong>r Tür se<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>enZimmers.„Ja bitte?“ E<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie erlernten hochgestochenen Phrasen. Trotz<strong>de</strong>m saher es nicht als nötig an, aufzustehen. Er erwartete ke<strong>in</strong>en Besuch, und <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zigeMensch auf Leeds, <strong>de</strong>n er wirklich sehen und um sich haben wollte, war <strong>in</strong> Gestalt vonBetty Halmers bereits hier und zeigte ihm <strong>die</strong> kalte Schulter.Die Tür wur<strong>de</strong> geöffnet, und e<strong>in</strong> Mann trat e<strong>in</strong>. Noch bevor Lan<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>twas bewusstdachte, hatte se<strong>in</strong> Gehirn bereits <strong>die</strong> Uniform wahrgenommen und damit e<strong>in</strong>en <strong>in</strong> fastdrei Jahren se<strong>in</strong>es Lebens erlernten Verhaltensreflex namens Aufspr<strong>in</strong>gen undStrammstehen ausgelöst.„Patrick, <strong>de</strong>r Gent möchte zu dir.“Der Offizier zog bei <strong>die</strong>ser volkstümlichen Abkürzung <strong>de</strong>r Bezeichnung Gentleman kurzund kaum sichtbar <strong>die</strong> Augenbrauen hoch und warf e<strong>in</strong>en kurzen Blick zur Seite, woLan<strong>de</strong>rs Mutter <strong>in</strong> ihrer bunten Küchenschürze stand. Was er dachte, war klar ablesbar.Nie zuvor war Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Ärmlichkeit ihrer Wohnung, se<strong>in</strong>er Herkunft und selbst se<strong>in</strong>eralten Anziehsachen aus K<strong>in</strong><strong>de</strong>rtagen bewusster gewesen als jetzt. Er stand hier <strong>in</strong> kurzenHosen und verblichenem T-Shirt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em vollgestellten K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer und besaß nichte<strong>in</strong>mal mehr e<strong>in</strong>e Uniform zum Anziehen. Se<strong>in</strong>e für <strong>de</strong>n Dienst gekauften Sachen warenmit <strong>de</strong>m Schiff verloren gegangen, und <strong>die</strong> blutverschmierte, zerrissene sowie verdreckteUniform, <strong>die</strong> er damals angehabt hatte, war im Krankenhaus auf Stuttgart entsorgtwor<strong>de</strong>n. Inklusive Daniel Fowleys maßgeschnei<strong>de</strong>rter Jacke verstand sich.Se<strong>in</strong> Gegenüber war nicht älter als 27, braungebrannt, gepflegt, hatte lockiges braunesHaar, das nach Vorschrift kurzgeschnitten war, und trug e<strong>in</strong>e mit Sicherheit sehr teureUniform mit zwei normalen und e<strong>in</strong>em dünnen gol<strong>de</strong>nen Streifen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte. Alle<strong>in</strong> <strong>die</strong>Aktentasche <strong>de</strong>s Mannes kostete vermutlich mehr als Lan<strong>de</strong>rs Vater im Monat als Pastorver<strong>die</strong>nte. Vor ihm stand e<strong>in</strong> junger Lieutenant Comman<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n er überhaupt nichtkannte.H<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Offizier stan<strong>de</strong>n wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Reihe <strong>die</strong> Klatschweiber aus <strong>de</strong>r Nachbarschaftan <strong>de</strong>r Schwelle <strong>de</strong>r Küchentür. Dass Betty neben ihrer Mutter stand, gab ihm e<strong>in</strong>enStich. Die Frauen tuschelten mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, und er fragte sich, was sie wohl erst gleichsagen wür<strong>de</strong>n.Der Navyoffizier warf nun ebenfalls e<strong>in</strong>en Blick über <strong>die</strong> Schulter und lächelte kurz. Eswar e<strong>in</strong> Lächeln, das <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant nur allzu gut von <strong>de</strong>r Oxford her kannte,woraufh<strong>in</strong> er unwillkürlich <strong>die</strong> Zähne zusammenbiss und se<strong>in</strong>e Haltung noch e<strong>in</strong> bisschenmehr straffte. Was jetzt auch kommen mochte, es war mit Sicherheit nichts Gutes.„Sub-Lieutenant Patrick Lan<strong>de</strong>r, nehme ich an?“ Noch immer <strong>die</strong>ses herablassen<strong>de</strong>Lächeln und e<strong>in</strong>e sehr nasale Aussprache, <strong>die</strong> gut zu <strong>de</strong>m vornehmen Offizier passte.„Ja, Sir.“ Er wür<strong>de</strong> es wie mit Erasmus Raven machen und <strong>de</strong>n ungebetenen Besuchere<strong>in</strong>fach mit Freundlichkeit vertreiben. Es war se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige wirksame Waffe.„Stehen Sie bequem. Me<strong>in</strong> Name ist Duncan Avery of Sussex.”Diesen offensichtlichen H<strong>in</strong>weis hätte Lan<strong>de</strong>r kaum gebraucht. Er wusste auch so,welchen Typ Mensch er vor sich hatte. Es gefiel <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n kaum, dass er hier se<strong>in</strong>musste, so viel war klar ersichtlich. Vermutlich hatte er noch niemals zuvor e<strong>in</strong>en Fuß aufPlanet Leeds gesetzt. Leute von Stand machten e<strong>in</strong>en großen Bogen um <strong>die</strong>sen dreckigenPlaneten, außer es g<strong>in</strong>g nicht an<strong>de</strong>rs. So wie jetzt vermutlich, was auch immer <strong>de</strong>r Grunddafür se<strong>in</strong> mochte.„Angenehm, Sir.“ Er versuchte, se<strong>in</strong>e Stimme nicht allzu ablehnend kl<strong>in</strong>gen zu lassen.Das mochten Vorgesetzte für gewöhnlich überhaupt nicht, und <strong>de</strong>rartige Na<strong>de</strong>lspitzenfunktionierten nur von oben nach unten, aber nie umgekehrt. E<strong>in</strong>en LieutenantComman<strong>de</strong>r beleidigte man nicht. Noch nicht e<strong>in</strong>mal durch e<strong>in</strong>en falschen Tonfall undschon gar nicht, wenn er e<strong>in</strong> Adliger war.„Bitte entschuldigen Sie, aber s<strong>in</strong>d Sie zufällig <strong>de</strong>r Enkel von General Avery, Mister? Ichhabe über Ihre Familie gelesen“, konnte Lan<strong>de</strong>rs Mutter schließlich nicht mehr an sichhalten.Für e<strong>in</strong>en Moment dachte Lan<strong>de</strong>r, dass se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e nachgeben wür<strong>de</strong>n. Er wäre amliebsten im Erdbo<strong>de</strong>n versunken. Die Reaktion <strong>de</strong>s Mannes kam wie zu erwarten, wennauch nur für <strong>de</strong>n Sub-Lieutenant selbst ersichtlich und verständlich. Nach e<strong>in</strong>em kurzenBlähen <strong>de</strong>r Nasenflügel, das <strong>de</strong>utlich zeigte, was <strong>de</strong>r Offizier von solchem Volk wie


Lan<strong>de</strong>rs Mutter hielt, erklärte <strong>de</strong>r Mann umständlich <strong>in</strong> herablassen<strong>de</strong>m Ton: „Me<strong>in</strong>Großvater war von 3145 bis 3151 während <strong>de</strong>s Krieges gegen <strong>die</strong> Nomads Admiral of theFleet und nicht bloß General.“ Sich <strong>de</strong>monstrativ abwen<strong>de</strong>nd und se<strong>in</strong>en Ton etwaszurücknehmend, fuhr Avery an Lan<strong>de</strong>r gewandt fort: „Gibt es hier e<strong>in</strong>en Ort, wo wir e<strong>in</strong><strong>die</strong>nstliches Gespräch führen könnten, Lieutenant? Ich hätte e<strong>in</strong> paar Fragen an Sie.“Nun kam er doch, <strong>de</strong>r Bumerang. Falls Lan<strong>de</strong>r gedacht hatte, dass Raven und damit auchK<strong>in</strong>gsham über <strong>de</strong>n Verlust ihres Schiffes se<strong>in</strong>en Patzer auf Freeport 1 vergessen wür<strong>de</strong>n,hatte er sich geirrt. Die Admiralität hatte durch <strong>die</strong> Scha<strong>de</strong>nsersatzfor<strong>de</strong>rungen e<strong>in</strong>esPiloten namens Rodrigo Sanchez mit Sicherheit von <strong>de</strong>r Sache W<strong>in</strong>d bekommen, undjetzt schickten <strong>die</strong> Herren e<strong>in</strong>en Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery, um Lan<strong>de</strong>r zu entlassen.Immerh<strong>in</strong> hochanständig, aber das schul<strong>de</strong>te man e<strong>in</strong>em Träger <strong>de</strong>r Honor’s Mark wohl.Solche Leute und Offiziere im Allgeme<strong>in</strong>en entließ man nicht per Brief. Selbst wenn esnur Sub-Lieutenants waren.„Tut mir leid, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Außer me<strong>in</strong>em Quartier kann ich nicht vielanbieten.“ Quartier klang <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Ohren immer noch besser als K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer.Mit e<strong>in</strong>em leisen Seufzer legte Avery <strong>die</strong> Mappe auf <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en, übervollen Schreibtischneben <strong>de</strong>r Tür und drehte sich dann resolut um. „Es wird genügen müssen, Lieutenant.Bitte entschuldigen Sie, Madam Lan<strong>de</strong>r, aber Ihr Sohn und ich haben etwas Dienstlicheszu besprechen.“ Eiskalt machte er <strong>de</strong>r Pastorsfrau <strong>die</strong> Tür vor <strong>de</strong>r Nase zu.Lan<strong>de</strong>r konnte sich ihre Verblüffung gut vorstellen, aber er war auch gleichzeitig sehrerleichtert. Für alle noch folgen<strong>de</strong>n eventuellen Pe<strong>in</strong>lichkeiten war er ab jetzt ganz alle<strong>in</strong>verantwortlich.Während Avery sich suchend nach e<strong>in</strong>er Sitzgelegenheit <strong>in</strong> <strong>de</strong>m vollgestellten Zimmerumsah, blieb Lan<strong>de</strong>r abwartend stehen. Schließlich bot er an: „Ich kann mir e<strong>in</strong>enweiteren Stuhl aus <strong>de</strong>r Küche holen, Sir.“„Ne<strong>in</strong> danke, Lieutenant. Lassen Sie nur. Ich brauche Raum und wer<strong>de</strong> daher auf <strong>de</strong>mBett Platz nehmen, falls es Ihnen nichts ausmacht.“„Natürlich nicht, Sir.“Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r setzte sich wirklich auf <strong>die</strong> zerwühlte Über<strong>de</strong>cke <strong>de</strong>s Bettesund griff nach se<strong>in</strong>er Aktenmappe. Er begann damit, e<strong>in</strong>ige Papiere auszubreiten und e<strong>in</strong>teures, <strong>in</strong> Le<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>gefasstes kle<strong>in</strong>es Datapad herauszuholen. Er blickte auf und lächelteerneut, aber jetzt war es e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res Lächeln. Nicht mehr wirklich herablassend, son<strong>de</strong>rneher typisch für e<strong>in</strong>en Vorgesetzten.„Sie dürfen sich ebenfalls setzen, wenn Sie wollen. Das hier könnte unter Umstän<strong>de</strong>netwas länger dauern.“ Avery sprach leise, wohl um zu vermei<strong>de</strong>n, dass eventuell jemandmithörte. Er wirkte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er teuren Uniform an <strong>die</strong>sem Ort fehl am Platz und wusste dasgarantiert auch. Lan<strong>de</strong>r konnte sich nicht daran er<strong>in</strong>nern, dass sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vergangenheitjemals e<strong>in</strong> Navyoffizier von Rang und Namen <strong>in</strong> <strong>die</strong> leedser Stadt Heresbridge verirrthatte. Se<strong>in</strong>e Mutter ganz offensichtlich auch nicht, <strong>de</strong>nn das hatte ihr Verhaltenbewiesen.Lan<strong>de</strong>r sank auf <strong>de</strong>n Schreibtischstuhl und versuchte verzweifelt, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em plötzlichtrocken gewor<strong>de</strong>nen Mund genug Spucke zu sammeln, um <strong>die</strong> unwillkürliche Frage nachse<strong>in</strong>er Entlassung herauszubr<strong>in</strong>gen. Wieso sonst quälte Avery ihn so? Vielleicht, um damitzum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen, wie wenig er von Offizieren wie Lan<strong>de</strong>r hielt? Das war aber nure<strong>in</strong>e vage Vermutung.E<strong>in</strong> Klopfen an <strong>de</strong>r Tür unterbrach se<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>steren Gedanken. Es ließ Avery aufsehen und<strong>die</strong> Stirn runzeln. „Ihre Mutter ist e<strong>in</strong>e wirklich bemerkenswerte Frau, wie mir sche<strong>in</strong>t,Lieutenant. Insbeson<strong>de</strong>re ihre Beharrlichkeit ist sehr bee<strong>in</strong>druckend.“ Es klang eher so,als ob <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r sagen wollte, dass sie nervte.Es war jedoch nicht Anne Lan<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> ohne auf e<strong>in</strong> Here<strong>in</strong> zu warten <strong>die</strong> Tür aufriss,son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e etwas unsicher lächeln<strong>de</strong> Betty Halmers. Sie trug e<strong>in</strong> hastigzurechtgemachtes Tablett mit zwei Tassen aus <strong>de</strong>m besten Teeservice <strong>de</strong>r FamilieLan<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong>er gefüllten Kanne und <strong>de</strong>r Zuckerdose. Den Blick hielt sie dabei ganz nachleedser Sitte gesenkt. Sie wur<strong>de</strong> sogar rot, als Avery aufstand, ihr das Tablett abnahmund dabei <strong>de</strong>n Blick kurz über ihren wohlgeformten Körper gleiten ließ, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r sobewun<strong>de</strong>rte. „Vielen Dank, Miss.“„Halmers, Sir. Betty Halmers“, klärte sie ihn schüchtern und errötend auf.


„Danke, Miss Halmers.“ Averys Ton machte trotz<strong>de</strong>m unmissverständlich klar, dass ervon ihr <strong>de</strong>n sofortigen Rückzug erwartete. Ob ihm wohl auch klar war, dass <strong>die</strong> ganzeTeerun<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Küche zusammengearbeitet haben musste, um das Tablett so schnellherzurichten?Rasch verschwand <strong>die</strong> unsicher anmuten<strong>de</strong> junge Frau wie<strong>de</strong>r und schloss <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>eNuance zu laut h<strong>in</strong>ter sich, was wenig ladylike erschien.Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r stellte das Tablett selbst auf <strong>de</strong>n Schreibtisch, noch bevorLan<strong>de</strong>r bemerkte, dass eigentlich se<strong>in</strong>e Aufgabe gewesen wäre, es se<strong>in</strong>em Vorgesetztenabzunehmen. Lei<strong>de</strong>r war er jedoch wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Gedanken gewesen. Als er schuldbewusstaufsah und sich dafür entschuldigen wollte, bemerkte er Averys Gesichtsausdruck undhörte <strong>de</strong>ssen leises Lachen. Es klang nicht unangenehm. „E<strong>in</strong> reizen<strong>de</strong>s Geschöpf. IhreFreund<strong>in</strong>?“ Die nasale Aussprache war urplötzlich fort, <strong>die</strong> Stimme jetzt klar und ebenfallswohlkl<strong>in</strong>gend.„Lei<strong>de</strong>r nicht, Sir“, hörte Lan<strong>de</strong>r sich zu se<strong>in</strong>er Überraschung sagen, bevor er weiterdarüber nachdachte. Es rutschte ihm e<strong>in</strong>fach heraus. Zu entwaffnend war <strong>die</strong> offene Artse<strong>in</strong>es Gegenübers gewesen.„Kommt vielleicht alles noch, Lieutenant. Von mir haben Sie je<strong>de</strong>nfalls nichts zubefürchten. Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> festen Hän<strong>de</strong>n.“„Danke, aber manche D<strong>in</strong>ge sollen eben nicht se<strong>in</strong>, wie mir sche<strong>in</strong>t.“ Lan<strong>de</strong>r war sichgera<strong>de</strong> eben zum ersten Mal darüber klar gewor<strong>de</strong>n, dass Betty und er wirklich nichtzue<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r passten. Sie hörte zu sehr auf ihre Mutter.Umso mehr war er jedoch darüber verwun<strong>de</strong>rt, dass man mit Avery ansche<strong>in</strong>end re<strong>de</strong>nkonnte. Vermutlich wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> dicke Keule aber noch kommen, und <strong>die</strong> Freundlichkeit warnur Teil e<strong>in</strong>er perfi<strong>de</strong>n Strategie. Es war besser, <strong>die</strong> ganze Angelegenheit gleichabzukürzen, auch wenn das unfreundlich anmuten mochte: „Ich schlage vor, dass wir ambesten zur Sache kommen, Sir. Ich weiß, warum Sie hier s<strong>in</strong>d.“Offene Überraschung zeichnete sich jetzt auf <strong>de</strong>m Gesicht <strong>de</strong>s ranghöheren Offiziers ab,bevor er sich wie<strong>de</strong>r unter Kontrolle bekam und se<strong>in</strong>e Papiere durchzugehen begann, um<strong>die</strong> Reaktion zu kaschieren. „Das zu hören wür<strong>de</strong> mich jetzt doch sehr <strong>in</strong>teressieren.“„Sie s<strong>in</strong>d von <strong>de</strong>r Admiralität geschickt, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.“E<strong>in</strong> leichtes Nicken gab Lan<strong>de</strong>r Recht und <strong>de</strong>n Mut, fortzufahren. „Und ich nehme auchan, dass Sie wegen me<strong>in</strong>er Entlassung hier s<strong>in</strong>d. Es wäre mir von daher lieb, wenn wir eskurz und schmerzlos abwickeln könnten, Sir. An e<strong>in</strong>er Versetzung b<strong>in</strong> ich nicht<strong>in</strong>teressiert, also geben Sie mir e<strong>in</strong>fach das Papier zum Unterschreiben und Sie könnenwie<strong>de</strong>r gehen.“Avery hielt <strong>in</strong>ne, ließ <strong>die</strong> Papiere ruhen und zog <strong>die</strong> Augenbrauen hoch. „Moment, MisterLan<strong>de</strong>r. Bitte etwas langsamer, bevor Sie mir gleich <strong>die</strong> Tür weisen. Weswegen soll ichIhrer Ansicht nach hier se<strong>in</strong>?“Lan<strong>de</strong>r betrachtete <strong>die</strong> makellosen Hän<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>n gepflegten Nägeln und wagte nicht,aufzuschauen. „Das wissen Sie genauso gut wie ich, Sir. Ich wäre ihnen sehr verbun<strong>de</strong>n,wenn Sie <strong>de</strong>shalb <strong>die</strong> ganze Angelegenheit endlich zur Sprache brächten. Ich halte fürwenig s<strong>in</strong>nvoll, lange Re<strong>de</strong>n zu schw<strong>in</strong>gen.“„Natürlich.“ Avery schüttelte <strong>de</strong>n Kopf, bevor er Lan<strong>de</strong>r voller neuem Interessebetrachtete. „Schließlich haben Sie je<strong>de</strong>rzeit das Recht, mich zum Gehen aufzufor<strong>de</strong>rn.Nur, bevor ich das tatsächlich tue, möchte ich wenigstens wissen, wieso Sie <strong>de</strong>nken, dassich hier wäre, um Sie zu entlassen. Leute wie Sie… also… err… Sub-Lieutenants… wür<strong>de</strong>nhöchstens e<strong>in</strong>en Brief erhalten, wenn es darum g<strong>in</strong>ge.“Das Kopfschütteln verstärkte sich. „Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat im Stab e<strong>in</strong>es Admirals tätig,Lieutenant. Genau genommen <strong>in</strong> <strong>de</strong>m von Admiral Wesley auf Southampton <strong>in</strong> NewLondon. Ob Sie <strong>de</strong>n Admiral kennen, weiß ich nicht. Ich möchte lediglich, dass Sie mir <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Auftrag e<strong>in</strong> paar Fragen beantworten, und zwar wahrheitsgemäß, wie es sich füre<strong>in</strong>en Offizier, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Eid <strong>de</strong>r Royal Navy geschworen hat, gehört. Falls Sie das jetztnicht tun wollen, wer<strong>de</strong>n Sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>iger Zeit e<strong>in</strong>en Brief erhalten, <strong>de</strong>r Sie dazu auffor<strong>de</strong>rt,zum Yard zu kommen, um dort Ihre Aussage zu machen. Das können Sie sich und unsnatürlich ersparen, wenn Sie das e<strong>in</strong>fach hier und jetzt tun. Es wird auch hoffentlich nichtlänger als zwei Stun<strong>de</strong>n dauern und ist <strong>de</strong>r Grund me<strong>in</strong>er Anwesenheit. Genaugenommen <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Grund.“


Nun doch etwas aus <strong>de</strong>m Konzept gebracht stotterte Lan<strong>de</strong>r: „Ich… ich fürchte, ichverstehe nicht, Sir.“Diesmal lachte Avery noch anhalten<strong>de</strong>r als vorh<strong>in</strong>. Er war sichtlich amüsiert. „Dannwissen Sie wenigstens, wie es mir gera<strong>de</strong> g<strong>in</strong>g. Ich hatte schon befürchtet, dass ich fünfStun<strong>de</strong>n lang umsonst me<strong>in</strong>en Weg hierher gesucht habe.“Völlig verwirrt sah Lan<strong>de</strong>r ihn hilfesuchend an. „E<strong>in</strong>e Aussage? Was <strong>de</strong>nn für e<strong>in</strong>eAussage?“„Bevor ich Ihre Fragen beantworten darf, müssen Sie mir Ihr Ehrenwort als Offizier <strong>de</strong>rRoyal Navy geben, dass Sie über me<strong>in</strong>en Besuch und <strong>die</strong> damit verbun<strong>de</strong>nen Fragenabsolutes Stillschweigen bewahren, Mister Lan<strong>de</strong>r. So lauten <strong>die</strong> Regeln.Zuwi<strong>de</strong>rhandlung gegen <strong>die</strong>ses Ehrenwort wird ernste Konsequenzen für Ihre Karrierehaben, genauso wie es Folgen haben wird, wenn Sie mir Unwahrheiten präsentieren. Icherwarte, von Ihnen <strong>die</strong> Wahrheit zu hören - o<strong>de</strong>r aber falls Sie sich selbst belastenwür<strong>de</strong>n, dürfen Sie auch schweigen. Falls Sie gewisse Fragen nicht beantwortenmöchten, was ich unter uns gesagt verstehen könnte, wer<strong>de</strong>n jedoch ebenfallsKonsequenzen auf Sie zukommen. Wir brauchen <strong>die</strong> Wahrheit. Haben Sie <strong>die</strong>se formelleAufklärung verstan<strong>de</strong>n?“Angesichts <strong>de</strong>s plötzlichen Kommandotones konnte Lan<strong>de</strong>r nur nicken. Es war <strong>die</strong>Sprache e<strong>in</strong>es Vorgesetzten gewesen, <strong>de</strong>r um je<strong>de</strong>n Preis Gehorsam von e<strong>in</strong>emUntergebenen erwartete. Fowley hatte an jenem Tag <strong>in</strong> Omega-11 genauso unnachgiebigund knallhart mit ihm gesprochen. Damals hatte Lan<strong>de</strong>r alles wi<strong>de</strong>rspruchslos getan undlitt bis heute darunter. Sich <strong>de</strong>ssen er<strong>in</strong>nernd, presste er <strong>die</strong> Zähne zusammen.„Gut. Ich sehe, dass wir uns verstehen. Ihr Ehrenwort?“„Ich gelobe, <strong>die</strong> Wahrheit zu sagen und Stillschweigen über Ihren Besuch zu bewahren,so wahr mir Gott helfe.“ Göttliche Hilfe hatte Patrick Lan<strong>de</strong>r wirklich nötig, wie es schien.Es war das erste Mal, dass jemand e<strong>in</strong> Offiziersehrenwort von ihm e<strong>in</strong>gefor<strong>de</strong>rt hatte.„Freut mich sehr, dass Sie e<strong>in</strong>sichtig s<strong>in</strong>d, Lieutenant. Sie stehen hiermit unter so etwaswie e<strong>in</strong>em Eid, aber was Sie auch immer <strong>de</strong>nken mögen, <strong>die</strong> Fragen s<strong>in</strong>d nicht gegenIhre Person gerichtet. Die Wahrheit wird also ke<strong>in</strong>e ernsten Konsequenzen für Sie haben,wenn Sie Stillschweigen bewahren.“„Ja, Sir.“ Nervös wie er war, konnte Lan<strong>de</strong>r nicht mehr an sich halten und griff <strong>de</strong>shalb zu<strong>de</strong>m abkühlen<strong>de</strong>n Tee. Ihm war sogar völlig egal, ob das <strong>de</strong>n Konventionen <strong>de</strong>rHöflichkeit entsprach o<strong>de</strong>r nicht. Er brauchte etwas Handfestes wie <strong>die</strong> Teetasse, um sichnach Averys Eröffnung daran festzuhalten.Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r schien <strong>die</strong>sen Umstand jedoch nicht e<strong>in</strong>mal zu bemerken. Erwar erneut mit se<strong>in</strong>en Papieren beschäftigt und zog e<strong>in</strong>en Schnellhefter hervor. Ebenjenen reichte er weiter und griff sofort danach zu se<strong>in</strong>em Datapad. „Ich beg<strong>in</strong>ne jetzt mit<strong>de</strong>m Protokoll, Mister Lan<strong>de</strong>r. Falls Sie gewisse Passagen zurücknehmen o<strong>de</strong>r än<strong>de</strong>rnmöchten, müssen Sie es mir ab jetzt sagen.“„Gut.“ Nichts war gut, aber da er ja quasi vereidigt wor<strong>de</strong>n war, blieb ihm ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>reWahl, als mitzumachen, obwohl er dabei e<strong>in</strong> sehr ungutes Gefühl hatte.„Fangen wir also an: Wür<strong>de</strong>n Sie bitte <strong>de</strong>n Inhalt <strong>die</strong>ses Ordners i<strong>de</strong>ntifizieren?“Überrumpelt und unfähig, überhaupt noch irgen<strong>de</strong>twas zu verstehen, stellte Lan<strong>de</strong>rgezwungenermaßen <strong>die</strong> Tasse wie<strong>de</strong>r weg und schlug <strong>de</strong>n Hefter auf. Er las <strong>de</strong>n Hea<strong>de</strong>rauf <strong>de</strong>r ersten Seite und blätterte schließlich kurz <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Ausdruck herum.„Das ist e<strong>in</strong> von mir geschriebener Bericht, Sir.“„Und weiter?“ Der Stabsoffizier hatte sich nun völlig <strong>in</strong> <strong>die</strong> Rolle e<strong>in</strong>es Juristen e<strong>in</strong>gefügt.Vielleicht hatte er das sogar stu<strong>die</strong>rt, wie <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant dachte.„Der Bericht beschreibt e<strong>in</strong>en von mir geleiteten Außene<strong>in</strong>satz auf Freeport 1 zu <strong>de</strong>r Zeit,als ich noch Dritter Offizier an Bord <strong>de</strong>r Oxford war.“„Sie i<strong>de</strong>ntifizieren das Schriftstück als von Ihnen verfasst?“„Ja, Sir.“„Komplett?“Da es auf <strong>die</strong> Zeit wirklich nicht anzukommen schien, überflog er <strong>die</strong> Seiten <strong>in</strong> <strong>de</strong>mSchnellhefter. „Ja, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Es fehlt nichts und es wur<strong>de</strong> auch nichtsh<strong>in</strong>zugefügt.“Nach<strong>de</strong>m er <strong>die</strong>se Fakten im Protokoll vermerkt hatte, nahm Avery ihm <strong>de</strong>n Hefterwie<strong>de</strong>r ab. Dafür bekam Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en zweiten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand gedrückt. „Und was ist das?“


Er wusste es bereits, bevor er <strong>die</strong> Mappe aufschlug, aber er konnte sich ke<strong>in</strong>en Reimdarauf machen.„Es ist <strong>de</strong>rselbe Bericht, Sir“, sagte er nervös. Gott alle<strong>in</strong> wusste, wie jene erste, an sichgelöschte Fassung <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Admiralität gelangt war, aber damit konnten sie ihnfertigmachen. Es wür<strong>de</strong> auf je<strong>de</strong>n Fall für e<strong>in</strong>e Entlassung reichen. Die Sache war e<strong>in</strong>Beweis se<strong>in</strong>er Unzurechnungsfähigkeit und E<strong>in</strong>bildung. Diese E<strong>in</strong>bildung hatte <strong>die</strong>Admiralität mehrere Tausend Credits Scha<strong>de</strong>nersatz gekostet. Das alles konnteüberhaupt nicht gut en<strong>de</strong>n. Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham hatte <strong>de</strong>n zweiten Bericht aber dochakzeptiert, und Lan<strong>de</strong>r war davon ausgegangen, dass das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Oxford <strong>die</strong>se Sachebere<strong>in</strong>igt hatte! Dabei wollte er mittlerweile doch auch aus <strong>de</strong>m Militär raus, aber ebennicht unehrenhaft!„Derselbe, Lieutenant? Sehen Sie genau h<strong>in</strong>.“Der Vergleich mit e<strong>in</strong>em Anwalt war sehr zutreffend gewesen. Avery war e<strong>in</strong> perfekterStaatsanwalt und ließ nicht locker, <strong>de</strong>nn er kannte bei<strong>de</strong> Berichte unter Garantie selbst.Wie aufgefor<strong>de</strong>rt blätterte Lan<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>n zweiten Hefter durch. „Er ist ebenfalls vonmir verfasst, Sir. Komplett und orig<strong>in</strong>al.“ Damit versuchte er, sich rauszure<strong>de</strong>n, aber erwusste, dass es nicht klappen konnte. Se<strong>in</strong>e Stimme hatte dünn geklungen.„Wür<strong>de</strong>n Sie sagen, dass es <strong>de</strong>rselbe Bericht ist?“ Die Kernfrage, <strong>de</strong>nn jemand wie Averyre<strong>de</strong>te nicht lange um das Wesentliche herum.Es wur<strong>de</strong> Zeit abzubrechen. Se<strong>in</strong>e Karriere war sowieso im Eimer. „Dazu möchte ichlieber nichts sagen, Sir“, erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r tonlos, während es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schläfenunheilvoll pochte.Ohne allzu schnell zu antworten, zog Avery umständlich se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e unter <strong>de</strong>n Körperund wirkte auf <strong>die</strong>se Weise eher wie e<strong>in</strong> Ka<strong>de</strong>tt auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie, <strong>de</strong>nn wie e<strong>in</strong> eleganterStabsoffizier. Erst dann fragte er: „Warum, Lieutenant?“„Dazu kann und möchte ich ke<strong>in</strong>e Aussage machen.“ Lan<strong>de</strong>r blieb stur.„Sie können schon, aber Sie wollen nicht. E<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied, wie ich f<strong>in</strong><strong>de</strong>.Darf ich Sie an Ihr gegebenes Ehrenwort er<strong>in</strong>nern?“„Sie haben gesagt, dass ich mich selbst nicht belasten muss, Sir.“„Wie kommen Sie <strong>de</strong>nn darauf, dass Sie sich damit belasten? Ich sagte doch bereits,dass Ihnen aus <strong>de</strong>r Wahrheit ke<strong>in</strong> Scha<strong>de</strong>n entstehen wird. Im Gegenteil. Sie stehenwirklich nicht unter Anklage, Lieutenant. Falls Sie wollen, gebe ich Ihnen me<strong>in</strong>Ehrenwort, um Sie zu überzeugen.“Auch das musste er erst e<strong>in</strong>mal verarbeiten. Für e<strong>in</strong>en Moment war Lan<strong>de</strong>r nahe dran,das leichtfertige Angebot tatsächlich anzunehmen, aber er unterdrückte <strong>die</strong> Versuchung.Er hatte noch nie von e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Sub-Lieutenant gehört, <strong>de</strong>r von e<strong>in</strong>em LieutenantComman<strong>de</strong>r adliger Herkunft e<strong>in</strong> Ehrenwort abverlangt hätte. Das brach be<strong>in</strong>ahe alleungeschriebenen Benimmregeln <strong>de</strong>r Royal Navy. „Danke, Sir. Nur…“„Ich wünschte, ich dürfte es Ihnen erklären, aber <strong>die</strong> Sache unterliegt <strong>de</strong>rGeheimhaltung. Darf ich Sie also nochmals fragen, ob <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r gleiche Bericht ist?“Avery hatte während all<strong>de</strong>m weiterh<strong>in</strong> protokolliert. Lan<strong>de</strong>r hoffte nur, dass <strong>de</strong>rStabsoffizier nicht alles nahezu wortwörtlich mitgeschrieben hatte. Was auch immer <strong>de</strong>rS<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Ganzen se<strong>in</strong> mochte, se<strong>in</strong>e Zweifel wür<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitschrift nicht allzu gutaussehen.„Könnten wir <strong>die</strong> letzte Passage mit <strong>de</strong>m Ehrenwort und so weiter bitte streichen?“„Ich b<strong>in</strong> froh, dass Sie weitermachen wollen, aber ich wäre dafür, sie so zu lassen.“„Warum, Sir?“„Weil sie Ihre Glaubwürdigkeit unterstreicht und <strong>de</strong>m Admiral e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong>Ihre Denkweise gibt. Er macht sich gerne e<strong>in</strong> genaues Bild von <strong>de</strong>n Leuten, mit <strong>de</strong>nen eres zu tun hat. Es wird ihm helfen, Sie e<strong>in</strong>zuschätzen.“Lan<strong>de</strong>r war sich nicht sicher, ob er das wirklich so wollte, aber er hielt es für unklug,weiter darüber zu <strong>de</strong>battieren. Avery wür<strong>de</strong> ja sowieso tun, was er für richtig hielt, undLan<strong>de</strong>r konnte nur froh se<strong>in</strong>, wenn <strong>de</strong>r unangenehme Vorgesetzte wie<strong>de</strong>r gegangen war.Ihm war überhaupt sehr unlieb, dass sich e<strong>in</strong> Admiral <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em wohlgepflegten Büro auf<strong>de</strong>m New Londoner Yard mit ihm beschäftigte und so von Patrick Lan<strong>de</strong>rs Existenzwusste. Sub-Lieutenants waren ke<strong>in</strong>e Menschen, <strong>die</strong> im Normalfall von Admirälen zurKenntnis genommen wur<strong>de</strong>n. Eigentlich ke<strong>in</strong>e allzu schlechte Regelung, wie Lan<strong>de</strong>r


plötzlich fand. Er empfand <strong>die</strong>sen <strong>in</strong>direkten Kontakt und das Interesse an se<strong>in</strong>er Personnicht als son<strong>de</strong>rlich angenehm.„Darf ich Sie also zum dritten Mal fragen, ob…“„Ne<strong>in</strong>. Es ist nicht <strong>de</strong>r gleiche Bericht. Es s<strong>in</strong>d zwei verschie<strong>de</strong>ne Versionen, von <strong>de</strong>nen<strong>die</strong> erste direkt nach <strong>de</strong>m betreffen<strong>de</strong>n E<strong>in</strong>satz verfasst wur<strong>de</strong> und <strong>die</strong> zweite e<strong>in</strong>en Tagdanach.“ Je<strong>de</strong>s Wort kostete Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Menge, und er wünschte sich weit fort. Daseigene Versagen e<strong>in</strong>zugestehen war nie leicht.Mit e<strong>in</strong>em ange<strong>de</strong>uteten Nicken schrieb Avery das auf. „Was hat Sie dazu veranlasst,e<strong>in</strong>e zweite Fassung <strong>de</strong>s Berichts zu schreiben?“„Konkret das Verhalten me<strong>in</strong>er Vorgesetzten. Es wur<strong>de</strong> mir nahegelegt.“ Da er nun schone<strong>in</strong>mal angefangen hatte, konnte er mit <strong>de</strong>r Aufzählung se<strong>in</strong>es Fehlverhaltens auch direktweitermachen. Es war <strong>die</strong> damals <strong>in</strong> K<strong>in</strong>gshams Kab<strong>in</strong>e auf <strong>de</strong>m Schiff, als er sich <strong>de</strong>rInquisition unterworfen hatte.„Welcher Vorgesetzten?“, bohrte Avery tiefer.„Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven und Lieutenant Fowley.“E<strong>in</strong>e kurze Pause trat e<strong>in</strong>, als wäre Avery über irgen<strong>de</strong>twas überrascht. Dann f<strong>in</strong>g er sichjedoch und fuhr ungerührt fort: „Wur<strong>de</strong> Ihnen gesagt, was geschehen wür<strong>de</strong>, wenn Sieauf Ihrer <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Version <strong>de</strong>s Berichts vertretenen Position beharren?“„Ne<strong>in</strong>, aber mir wur<strong>de</strong> <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re durch Lieutenant Fowley nahegelegt, <strong>de</strong>n Berichtneu zu schreiben, nach<strong>de</strong>m ich noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e Nacht darüber geschlafen hätte.Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven konnte mich sowieso nicht ausstehen und hat mir übleVorhaltungen gemacht. Er sprach davon, dass ich mich und an<strong>de</strong>re Besatzungsmitglie<strong>de</strong>r<strong>in</strong> Lebensgefahr gebracht hätte und dass ich Gespenster sehen wür<strong>de</strong>. Ich musste nach<strong>de</strong>r Dekontam<strong>in</strong>ierung me<strong>in</strong>er Person mithelfen, <strong>de</strong>n von ihm benutzten Frachter zu<strong>de</strong>s<strong>in</strong>fizieren. Danach begab ich mich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n viertägigen Quartierarrest, wo ich mich auchnoch befand, als das Schiff angegriffen wur<strong>de</strong>. Mir wur<strong>de</strong> zuvor mehr o<strong>de</strong>r weniger vonallen drei Vorgesetzten auf <strong>de</strong>m Schiff gesagt, dass bis zur Ankunft <strong>de</strong>s nächstenVersorgungsfrachters <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Konferenz über me<strong>in</strong> Verbleiben auf <strong>de</strong>r Oxfor<strong>de</strong>ntschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Das hat mich schlussendlich dazu veranlasst, <strong>de</strong>n Berichtumzuformulieren und me<strong>in</strong>e Verfehlungen e<strong>in</strong>zugestehen. Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham hattenichts gegen mich. Er sagte sogar, es sei scha<strong>de</strong>, dass ich nicht Recht gehabt hätte, wasjenes Päckchen anbetraf. Ich habe gehofft, durch das Lernen aus me<strong>in</strong>en Fehlern noche<strong>in</strong>e weitere Chance zu bekommen, um mich zu bewähren.“ Leise gestand Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>:„Sie müssen verstehen, ich wollte nicht vom Schiff verwiesen wer<strong>de</strong>n, Sir. Me<strong>in</strong>e Karrierewäre dann doch vorbei gewesen.“Die Stirn runzelnd hielt <strong>de</strong>r Stabsoffizier <strong>in</strong>ne und fragte dann hastig weiter, als hätte er<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Abgrund geblickt, <strong>de</strong>r nicht für se<strong>in</strong>e Augen bestimmt war. „Und was wür<strong>de</strong>n Sieheute, ich me<strong>in</strong>e völlig unabhängig von jenem damaligen Druck, sagen? WelcheBerichtsfassung war <strong>die</strong> richtige? War da e<strong>in</strong> Päckchen o<strong>de</strong>r nicht?“„Ich weiß es nicht. Ich weiß es ehrlich nicht. Ich habe geglaubt, <strong>die</strong> erste Version seirichtig, weil ich etwas zu fühlen glaubte, aber mittlerweile weiß ich gar nichts mehr. Undnach<strong>de</strong>m Sie nun auch noch hier sitzen, Sir… E<strong>in</strong> unerfahrener Sub-Lieutenant kann dochnicht mehr Recht haben als se<strong>in</strong>e vorgesetzten Offiziere mit jahrelanger Berufserfahrung,o<strong>de</strong>r?“„Und <strong>die</strong> versuchte Bestechung durch Mister Sanchez, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Ihrem ersten Berichterwähnt wird?“Nach e<strong>in</strong>er halben M<strong>in</strong>ute <strong>de</strong>s Schweigens sagte Lan<strong>de</strong>r leise: „Die war <strong>de</strong>f<strong>in</strong>itiv gegeben,Sir. Er hat genau jene Worte benutzt, <strong>die</strong> ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Fassung wie<strong>de</strong>rgegeben habe.Auch <strong>die</strong>se Passage habe ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r zweiten Fassung bewusst weggekürzt. Mir wur<strong>de</strong> vonLieutenant Comman<strong>de</strong>r Raven gesagt, das sei nur e<strong>in</strong> Missverständnis gewesen. Ichhätte Mister Sanchez wohl falsch verstan<strong>de</strong>n und wäre übereifrig gewesen.“„Ich glaube wir s<strong>in</strong>d fertig, Lieutenant.“ Hastig begann <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r, se<strong>in</strong>eSachen e<strong>in</strong>zupacken und hielt ihm dann e<strong>in</strong> Blatt Papier h<strong>in</strong>. „Bitte hier noch e<strong>in</strong>eUnterschrift von Ihnen. Dies ist <strong>die</strong> Bestätigung, dass jene Ihnen vorgelegten Berichtewirklich von Ihnen verfasst wur<strong>de</strong>n und unverfälscht s<strong>in</strong>d und dass Sie mir <strong>die</strong> Wahrheitgesagt haben.“Nach<strong>de</strong>m er se<strong>in</strong>e Unterschrift darunter gesetzt hatte und auch jenes ihn sehr belasten<strong>de</strong>Papier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Aktentasche <strong>de</strong>s Stabsoffiziers verschwun<strong>de</strong>n war, wollte Lan<strong>de</strong>r wissen:


„Warum das alles, Mister Avery? Was wird jetzt passieren? Warum s<strong>in</strong>d Siehergekommen? Es geht doch um e<strong>in</strong>e Anklage, nicht wahr?“Der Offizier war schon halb bei <strong>de</strong>r Verabschiedung und auf <strong>de</strong>m Weg zur Tür, wobei ersichtlich froh aussah, endlich gehen zu dürfen, aber er blieb doch noch e<strong>in</strong>mal stehen.„Nichts, was noch <strong>in</strong> Ihre Zuständigkeit fallen wür<strong>de</strong>. Für Sie ist <strong>die</strong> ganze Sacheabgeschlossen. Ihre Kooperation hat uns sehr geholfen.“ Mitleid trat <strong>in</strong> das Gesicht <strong>de</strong>sMannes. „Sie haben heute richtig gehan<strong>de</strong>lt, Lieutenant. Schon alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>shalb b<strong>in</strong> ichnicht Mister Avery für Sie, son<strong>de</strong>rn immer noch Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery. Niemandwird Sie entlassen. Im Gegenteil: Da Ihre Armverletzung ja gut abgeheilt ist, wer<strong>de</strong> ichAdmiral Wesley empfehlen, Sie bald auf e<strong>in</strong> neues Schiff versetzen zu lassen. Ich b<strong>in</strong> mirsicher, dass Sie unter <strong>de</strong>r richtigen Anleitung e<strong>in</strong> noch besserer Offizier wer<strong>de</strong>n als Siejetzt bereits s<strong>in</strong>d. Wir wissen um Ihren E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Omega-11. Ich hätte nicht mit Ihnentauschen mögen. Sie hatten ganz e<strong>in</strong>fach Pech.“Der Mann öffnete <strong>die</strong> Tür und wollte h<strong>in</strong>ausgehen, aber er zögerte, drehte sich noche<strong>in</strong>mal um und führte <strong>die</strong> Hand grüßend zur Kappe. „Viel Glück auf Ihrem weiteren Weg,Lieutenant. Bemühen Sie sich nicht, ich f<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>de</strong>n Weg alle<strong>in</strong>.“Inst<strong>in</strong>ktiv erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gruß und sah <strong>de</strong>m Mann nach, als er sich durch e<strong>in</strong>eleichte Verbeugung von <strong>de</strong>r Teerun<strong>de</strong> verabschie<strong>de</strong>te und g<strong>in</strong>g. Er war nun wie<strong>de</strong>r ganz<strong>de</strong>r souveräne Gentleman von vornehmer Herkunft, aber war er das nicht eigentlich <strong>die</strong>ganze Zeit über gewesen? Fest stand je<strong>de</strong>nfalls, dass er se<strong>in</strong> Opfer gründlich ausgehorchthatte.Sofort nach <strong>de</strong>m Zufallen <strong>de</strong>r Wohnungstür kam <strong>die</strong> Teegesellschaft herangestürzt undumr<strong>in</strong>gte Lan<strong>de</strong>r.Se<strong>in</strong>e Mutter sah jedoch, wie verstört er war, und nahm ihn beiseite, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie ihnwie<strong>de</strong>r zurück <strong>in</strong> se<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer zog. Es erschien ihm noch kle<strong>in</strong>er als sonst undtrotz<strong>de</strong>m seltsam leer. Fast so, als wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Wän<strong>de</strong> auf ihn e<strong>in</strong>stürzen.„Was ist <strong>de</strong>nn los, Patrick?“„Nichts, Mutter. Lässt du mich bitte e<strong>in</strong>en Moment alle<strong>in</strong>?“Obwohl sie beleidigt aussah, respektierte Anne Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Wunsch ihres Sohnes undschloss <strong>die</strong> Tür h<strong>in</strong>ter sich.Diesmal warf Lan<strong>de</strong>r sich nicht aufs zerwühlte Bett, son<strong>de</strong>rn er setzte sich erneut an <strong>de</strong>nSchreibtisch wie vorh<strong>in</strong>. Die Unterredung hatte knapp unter an<strong>de</strong>rthalb Stun<strong>de</strong>ngedauert. Trotz<strong>de</strong>m war sie ihm dreimal so lang erschienen.Wie<strong>de</strong>r klopfte es an <strong>de</strong>r Tür, und er fuhr hoch. Dabei erwartete er halb, dass Averyplötzlich nochmals mitten im Zimmer stün<strong>de</strong>, obwohl das ja unmöglich war.Es war jedoch Betty Halmers, <strong>die</strong> ihn herausfor<strong>de</strong>rnd ansah. „Sag mal, Patrick, macht ihrdas beim Militär nicht immer an<strong>de</strong>rs herum?“„Was?“„Mama me<strong>in</strong>te so was. Na, das mit <strong>de</strong>m Salut und so.“„Wie an<strong>de</strong>rsherum?“„Na ja, er hat ja dich zuerst salutiert und dabei ist er doch weiter gewesen als du. Er warja auch viel älter. Wieso hat er das also gemacht? Du hättest doch ihn zuerst <strong>de</strong>n Salutgeben müssen, o<strong>de</strong>r seid ihr etwa befreun<strong>de</strong>t?“Er sah das plötzlich erwachte Interesse <strong>in</strong> ihren Augen, nach <strong>de</strong>m er sich so langegesehnt hatte, aber es ließ ihn jetzt völlig kalt. Er empfand e<strong>in</strong>fach überhaupt nichtsmehr für sie. „Verschw<strong>in</strong><strong>de</strong> und lass mich <strong>in</strong> Ruhe! Frag doch <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter, wenn siesowieso alles immer besser weiß!“Wie hatte er sich jemals <strong>in</strong> so e<strong>in</strong> Mädchen verlieben können? Es war ihm unbegreiflich.Betty Halmers <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierte <strong>de</strong>n Wert ihrer potenziellen Freun<strong>de</strong> nur durch <strong>de</strong>n Status, <strong>de</strong>nsie ihr verschaffen konnten. Als Sub-Lieutenant bei <strong>de</strong>r auf Planet Leeds nicht son<strong>de</strong>rlichbeliebten Royal Navy hatte er trotz e<strong>in</strong>es guten Gehalts, das dreimal so hoch war wie dasse<strong>in</strong>es Vaters, nicht bei ihr punkten können. Sie hatte sich erst für ihn zu <strong>in</strong>teressierenbegonnen, als ihrer Mutter bewusst wur<strong>de</strong>, dass er ansche<strong>in</strong>end Kontakte zu <strong>de</strong>nbesseren Kreisen besaß. Wer sonst konnte schon von sich sagen, dass ihn e<strong>in</strong> Adliger zuHause <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Etagenwohnung e<strong>in</strong>es Industrieplaneten besucht hatte?Das Ganze wi<strong>de</strong>rte ihn nur noch an, und plötzlich wur<strong>de</strong> ihm klar, dass je<strong>de</strong>sSchlachtschiff <strong>de</strong>r Welt besser se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong> als <strong>die</strong>se Umgebung. Sogar e<strong>in</strong> Schreibtischjobauf e<strong>in</strong>em gottverlassenen Prov<strong>in</strong>zstützpunkt war noch viel besser als e<strong>in</strong> Verbleiben auf


se<strong>in</strong>er Heimatwelt. Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery hatte das ebenfalls gesehen und ihme<strong>in</strong> Versprechen gegeben. Wohl nicht alle Offiziere adliger Herkunft waren so gleichgültigwie Fowley o<strong>de</strong>r <strong>in</strong>tolerant wie Raven. E<strong>in</strong> tröstlicher Gedanke, <strong>de</strong>r ihm sehr viel Mutmachte. Se<strong>in</strong>e Laune stieg sprunghaft an, und er hatte endlich wie<strong>de</strong>r etwas, worauf ersich freuen konnte. Er wür<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Royal Navy noch e<strong>in</strong>mal ganz von vorne beg<strong>in</strong>nen.E<strong>in</strong> neues Schiff war auch e<strong>in</strong> neuer Anfang. Und <strong>de</strong>r wür<strong>de</strong> kommen. Ganz bestimmt.Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st falls Duncan Avery se<strong>in</strong> Wort hielt.


Kapitel VI – Rückkehr zum Alten„Und hiermit erhältst du <strong>de</strong>n Namen Brisbane. Im Namen Se<strong>in</strong>er Majestät mögest du <strong>de</strong>rRoyal Navy stets zur Ehre gereichen und <strong>de</strong>m Haus Bretonia hoffentlich lange und treu<strong>die</strong>nen. De<strong>in</strong> Name soll stets nur mit Stolz von allen genannt wer<strong>de</strong>n, und du sollstebenfalls all jenen Stolz verleihen, <strong>die</strong> auf dir <strong>die</strong>nen.“Das Aufschlag <strong>de</strong>r Flasche am Rumpf <strong>de</strong>s Schiffes war unhörbar, <strong>de</strong>r wichtige Akt nurdurch <strong>die</strong> Panoramafenster <strong>de</strong>r Brücke ersichtlich, da draußen s<strong>in</strong>nigerweise wie überallim freien All Vakuum herrschte.Patrick Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> durch e<strong>in</strong> aufbran<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Murmeln aus se<strong>in</strong>en eigenen Gedankengerissen und reckte <strong>de</strong>n Hals, um zu sehen, was dort vorne vor sich g<strong>in</strong>g.„Stehen Sie gera<strong>de</strong>, Sub-Lieutenant! Wir s<strong>in</strong>d hier nicht bei e<strong>in</strong>em Boxkampf!“, zischtese<strong>in</strong> neben ihm stehen<strong>de</strong>r Vorgesetzter fast unhörbar.Unwillkürlich gehorchte Lan<strong>de</strong>r, richtete <strong>die</strong> Augen wie<strong>de</strong>r streng gera<strong>de</strong>aus und zogdabei <strong>die</strong> Schultern hoch. Ihm fehlte völlig <strong>die</strong> Erfahrung bei solchen Zeremonien, aberirgen<strong>de</strong>twas war da vorne offensichtlich schiefgegangen. Es war jedoch auch nicht weiterwichtig, da er sowieso Ärger <strong>in</strong> sich aufsteigen fühlte.„Im Namen <strong>de</strong>r Krone taufe ich dich auf <strong>de</strong>n Namen Brisbane.“Etwas huschte am Fenster vorbei. War es tatsächlich <strong>die</strong> Flasche?Das erklärte auch das Murmeln. Sir Nathaniel Cairns, se<strong>in</strong>es Zeichens Admiral of theFleet <strong>de</strong>s Hauses Bretonia und Ritter <strong>de</strong>s Victoria-Or<strong>de</strong>ns hatte <strong>die</strong> Flasche e<strong>in</strong> zweitesMal ausschw<strong>in</strong>gen lassen müssen. Der Automatismus hatte versagt, und sie war <strong>in</strong>taktgeblieben, anstatt an <strong>de</strong>r Bordwand zu zerschmettern.Beim zweiten Mal war jedoch alles glattgegangen. Der Capta<strong>in</strong> tauschte se<strong>in</strong>en Salut mit<strong>de</strong>m Oberkomman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r gesamten bretonischen Flotte und übernahm damitoffiziell das Kommando über das frisch <strong>in</strong> Dienst gestellte Schiff.„Lassen Sie wegtreten, Comman<strong>de</strong>r!“, wandte er sich dann an se<strong>in</strong>en Ersten Offizier, <strong>de</strong>rwie<strong>de</strong>rum <strong>die</strong> anwesen<strong>de</strong> Brückencrew erst bequem stehen und dann abtreten ließ. DieLeute hatten jetzt frei und wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Nacht auf <strong>de</strong>m Yard verbr<strong>in</strong>gen. Vermutlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>rBar <strong>de</strong>sselben.Patrick Lan<strong>de</strong>r ließ fast allen an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Vortritt, da <strong>die</strong> Brücke <strong>de</strong>r Brisbane für ihreger<strong>in</strong>ge Größe viel zu voll gewesen war. Mehr als zwanzig Leute hatten dort Ellenbogenan Ellenbogen gestan<strong>de</strong>n.Es wur<strong>de</strong> schnell still, als fast alle gegangen waren. Nur zwei Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Brückencrewwaren noch h<strong>in</strong>ter ihm. Er hörte <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Unteroffiziere mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r flüstern: „Es ist e<strong>in</strong>schlechtes Zeichen, wenn <strong>die</strong> Flasche bei e<strong>in</strong>er Taufe nicht beim ersten Mal platzt, Wes.“„Ach, nun hör aber auf!“„Ne<strong>in</strong>, das ist me<strong>in</strong> völliger Ernst! Das br<strong>in</strong>gt Unglück!“„Willst du dich etwa <strong>de</strong>shalb von hier wegversetzen lassen?“Die Antwort verstand Lan<strong>de</strong>r nicht mehr, weil er se<strong>in</strong>e Schritte beschleunigte. Amliebsten wäre er jetzt alle<strong>in</strong> gewesen, aber das g<strong>in</strong>g nicht. Se<strong>in</strong>e Anwesenheit war aufkurz o<strong>de</strong>r lang auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck erfor<strong>de</strong>rlich, und zwar sehr dr<strong>in</strong>gend. Dasverbesserte se<strong>in</strong>e Laune allerd<strong>in</strong>gs auch nicht son<strong>de</strong>rlich.Missmutig g<strong>in</strong>g er e<strong>in</strong>en Umweg, um sich nicht <strong>de</strong>m Trubel <strong>de</strong>r unten mit Sicherheitbereits beg<strong>in</strong>nen<strong>de</strong>n Offiziersparty auszusetzen. Nach Feiern stand ihm überhaupt nicht<strong>de</strong>r S<strong>in</strong>n.Er musste <strong>die</strong> gestrige Überraschung noch verdauen, <strong>die</strong> sich ihm bereitet hatte, als ermittags – pünktlich, wie es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vorladung stand - auf <strong>de</strong>m Southampton Yar<strong>de</strong>rschienen war. E<strong>in</strong> Lieutenant aus <strong>de</strong>m Stab <strong>de</strong>s zuständigen Admirals, <strong>de</strong>ssen NamenLan<strong>de</strong>r bereits wie<strong>de</strong>r vergessen hatte, hatte ihm gesagt, wo er jetzt e<strong>in</strong>gesetzt wer<strong>de</strong>nwür<strong>de</strong>.Wie sehr hatte er sich doch gefreut, als nach an<strong>de</strong>rthalb Wochen <strong>de</strong>s Wartens endlich <strong>de</strong>rersehnte Brief gekommen war. Er hatte gedacht, dass Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery se<strong>in</strong>Wort gehalten hätte, und sogar <strong>in</strong>sgeheim gehofft, auf <strong>die</strong> York zu kommen, <strong>die</strong> gera<strong>de</strong>für Reparaturen nach New London gekommen war. Er hatte sich solche Hoffnungengemacht - geweckt durch Averys Besuch und <strong>de</strong>ssen aufmuntern<strong>de</strong> Worte am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>sGesprächs. Er hatte <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong>, als ob <strong>die</strong> Navy ihn tatsächlich akzeptieren und dort


e<strong>in</strong>setzen wür<strong>de</strong>, wo sie ihn am besten brauchen konnte. Das hatte <strong>die</strong> Admiralität auch<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat getan. Sie hatten ihn dorth<strong>in</strong> versetzt, wo er h<strong>in</strong>gehörte und ihrer Me<strong>in</strong>ungnach am besten aufgehoben war: auf e<strong>in</strong>en Patrouillenkreuzer, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> drei Tagen erneut<strong>in</strong> <strong>die</strong> Grenzwelten aufbrechen wür<strong>de</strong>. Diesmal wür<strong>de</strong>n es <strong>die</strong> Tau-Systeme se<strong>in</strong>, <strong>die</strong>zwischen Bretonia und Kusari Space lagen. Gleiche Aufgabe, gleiche Schiffsklasse und <strong>die</strong>gleiche Crew.Kommandant <strong>de</strong>r werftneuen Brisbane war niemand an<strong>de</strong>rs als Capta<strong>in</strong> Lionel K<strong>in</strong>gsham,unterstützt durch Comman<strong>de</strong>r Erasmus Raven. Zweiter Offizier und Zimmergenosse warLieutenant Daniel Fowley, <strong>de</strong>r allerd<strong>in</strong>gs wohl mangels <strong>de</strong>s richtigen Dienstalters nichtbeför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n war. Die Position <strong>de</strong>s Dritten Offiziers war erneut <strong>die</strong>jenige vonLeutnant Patrick Lan<strong>de</strong>r.Se<strong>in</strong> erster Impuls war gewesen, <strong>die</strong> Brocken ganz h<strong>in</strong>zuwerfen. Genau wie bei jenenUnteroffizieren gera<strong>de</strong>, auch wenn se<strong>in</strong> Grund triftiger gewesen war. Der Lieutenant aus<strong>de</strong>m Stab hatte ihn wie e<strong>in</strong> hypnotisiertes Kan<strong>in</strong>chen angesehen, als Lan<strong>de</strong>r etwasunvorhergesehen auf <strong>die</strong> Namensaufzählung se<strong>in</strong>er neuen Vorgesetzten reagiert hatte.Der Mann hatte nicht e<strong>in</strong>mal gewusst, dass Lan<strong>de</strong>r ebenfalls auf <strong>de</strong>r Oxford gewesen war.Er hatte es als Ehre bezeichnet, unter Hel<strong>de</strong>n wie K<strong>in</strong>gsham und Raven zu <strong>die</strong>nen. Ihrselbstloser E<strong>in</strong>satz für <strong>de</strong>n zivilen Konvoi ohne je<strong>de</strong> Unterstützung von außen hatte ihreNamen bekannt gemacht. Dass ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Schiff und auch ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Pilot <strong>de</strong>sKonvois überlebt hatten, war e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Sache. Sie hatten e<strong>in</strong>en hel<strong>de</strong>nhaften Kampfmit e<strong>in</strong>em übermächtigen Gegner <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssen Heimatterritorium ausgefochten. Sich dasvon jeman<strong>de</strong>m aus <strong>de</strong>m Stab anzuhören zu müssen war <strong>de</strong>r Gipfel gewesen. Dieser Mannhatte noch nie e<strong>in</strong>en aktiven E<strong>in</strong>satz mitgemacht und schwadronierte über Hel<strong>de</strong>ntumsowie <strong>die</strong> ehrenvolle Verteidigung <strong>de</strong>s Hauses Bretonia!Nach jener Talfahrt <strong>de</strong>r Gefühle plus all jenen bitteren Erfahrungen und Er<strong>in</strong>nerungenstand Lan<strong>de</strong>r nun wie<strong>de</strong>r genau da, wo er zuvor auch gestan<strong>de</strong>n hatte. Für ihn gab eske<strong>in</strong>en neuen Anfang, son<strong>de</strong>rn nur e<strong>in</strong> Weitermachen wie bisher. Auch e<strong>in</strong>e Chance, aberke<strong>in</strong>e neue. Wie er auf <strong>die</strong> Brisbane gekommen war, daran konnte er sich nicht er<strong>in</strong>nern.Auch das gestrige kurze Gespräch mit Comman<strong>de</strong>r Raven war ihm nur nochbruchstückhaft im Gedächtnis geblieben. Er hatte sich wie vorgeschrieben auf <strong>de</strong>m Schiffgemel<strong>de</strong>t, und ihm war Gleichgültigkeit entgegengeschlagen. Der Capta<strong>in</strong> hatte ke<strong>in</strong>eZeit gehabt, und auch <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r hatte ihn <strong>in</strong> Ermangelung <strong>de</strong>rselben e<strong>in</strong>fachDaniel Fowley überlassen. Es galt ja schließlich, <strong>die</strong> Taufparty <strong>de</strong>s Schiffes zuorganisieren.Der Lieutenant wie<strong>de</strong>rum hatte sich abweisend und wortkarg gegeben. Lan<strong>de</strong>r hattedarauf zunächst mit Unverständnis und am En<strong>de</strong> sogar gereizt reagiert. Es war ihmgestern e<strong>in</strong>fach nur alles egal gewesen. Er war zu schockiert gewesen und hatte nichthier se<strong>in</strong> wollen. Dass Fowley ihn damals <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> geschickt hatte, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er ihm <strong>die</strong>Verantwortung für <strong>die</strong> Verwun<strong>de</strong>ten und Sterben<strong>de</strong>n übertrug, schien <strong>de</strong>r Zweite Offizierschlichtweg vergessen zu haben. Er war ja auch nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal zu Besuchgekommen, als Lan<strong>de</strong>r im Krankenhaus gelegen hatte, obwohl man Fowley sicherlichauch <strong>in</strong>s Stuttgart-System gebracht hatte.Die aufsteigen<strong>de</strong> Bitterkeit brachte <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an jenen verpatzten E<strong>in</strong>satz undFowleys Zurechtweisung jenes Abends zurück. Se<strong>in</strong> Zimmergenosse hätte sicherlich dafürvotiert, Lan<strong>de</strong>r vom Schiff zu werfen, aber zu <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong>n Abstimmung war esdurch <strong>die</strong> Katastrophe <strong>in</strong> Omega-11 ja nie gekommen.K<strong>in</strong>gsham und Raven hatten wohl vergessen können, aber Fowley vergaß nicht, wie esschien. Die anfängliche Kameradschaft und Vertrautheit war wohl endgültig mit <strong>de</strong>rOxford verschwun<strong>de</strong>n, und zwar unwie<strong>de</strong>rbr<strong>in</strong>glich.Duncan Avery hatte Patrick Lan<strong>de</strong>r vergessen. Typisch für jene Kategorie von Leuten.Da er gestern nur <strong>die</strong> Möglichkeiten gehabt hatte, entwe<strong>de</strong>r mit sofortiger Wirkung <strong>de</strong>nDienst zu quittieren und auf Planet Leeds zu versauern o<strong>de</strong>r aber eben auf <strong>die</strong> Brisbanezu kommen, hatte er Letzteres getan und das Opfer dargebracht.Dass direkt heute e<strong>in</strong>e Feier angesichts <strong>de</strong>r Schiffstaufe angesagt wor<strong>de</strong>n war, hatte ihnnur noch mehr verstimmt.Und doch hatte er jetzt das Hangar<strong>de</strong>ck erreicht. Enttäuscht dachte er an se<strong>in</strong> gestrigesTelefonat mit se<strong>in</strong>er Mutter, <strong>de</strong>nn solche höchst seltenen Anlässe waren neben <strong>de</strong>malljährlichen Tag <strong>de</strong>r offenen Tür <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Chance für Verwandte und Bekannte, das


Schiff zu besuchen. Da es so kurzfristig gewesen war, hatte er zu Hause angerufen undgefragt, ob se<strong>in</strong>e Eltern kommen könnten.Se<strong>in</strong> Vater hatte das kategorisch abgelehnt und sich mit e<strong>in</strong>em Term<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emSterbehospiz herausgere<strong>de</strong>t. Pfarrer Lan<strong>de</strong>r war ja sowieso dagegen gewesen, dass se<strong>in</strong>Sohn nach zweimaliger Verwundung überhaupt wie<strong>de</strong>r auf e<strong>in</strong> Schiff <strong>de</strong>r Navy g<strong>in</strong>g.Mittlerweile war <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant jedoch nicht mehr <strong>de</strong>r Junge von e<strong>in</strong>st und so hatteer sich durchgesetzt, weil es se<strong>in</strong> eigenes Leben war.Anne Lan<strong>de</strong>r wäre wohl gerne gekommen, zumal es sie nichts kostete, aber sie wollteihren Mann begleiten. Das hieß im Klartext, dass Pfarrer Lan<strong>de</strong>r ihr <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> heißgemachthatte, damit sie auch absagte. Sie hatte aber gesagt, dass sie jeman<strong>de</strong>n schicken wür<strong>de</strong>,damit ihr Sohn nicht ganz alle<strong>in</strong> war. Dieser Jemand hatte heute Morgen vom Raumhafenaus angerufen und plötzlich auf <strong>de</strong>n Namen Betty Halmers gehört.Vor zwei Wochen wäre Lan<strong>de</strong>r darüber völlig aus <strong>de</strong>m Häuschen gewesen, aber jetzthatte er sie am Hals. Averys Besuch hatte se<strong>in</strong>e Verliebtheit irgendwie h<strong>in</strong>weggewischt.Als er jetzt das brechend volle kle<strong>in</strong>e Hangar<strong>de</strong>ck sah, wollte er am liebsten gehen. Dasdurfte er jedoch nicht, da er sich ganz <strong>de</strong>n Sitten <strong>de</strong>r fe<strong>in</strong>en Gesellschaft anzupassenhatte. Sehr viele hochrangige Offiziere waren gekommen, da e<strong>in</strong>e Schiffstaufe immer e<strong>in</strong>seltener und sehr feierlicher Anlass war.E<strong>in</strong> Orchester von Planet New London spielte auf, und <strong>die</strong> Buffettische bogen sich unterteuren, von <strong>de</strong>r Admiralität bezahlten Speisen, <strong>die</strong> von e<strong>in</strong>er Cater<strong>in</strong>gtruppe immerwie<strong>de</strong>r aufgefüllt wur<strong>de</strong>n. Nur an <strong>de</strong>n Aufgängen stan<strong>de</strong>n Posten, damit sich auchniemand Unbefugtes <strong>in</strong>s Innere <strong>de</strong>s Schiffes verirrte. Alles h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m leergeräumtenHangar<strong>de</strong>ck war für <strong>die</strong> Zivilisten tabu, außer wenn e<strong>in</strong> Offizier <strong>de</strong>s Schiffes dabei war -und davon gab es ja nur vier. Admiräle waren natürlich e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Ausnahme. Auch <strong>die</strong>restliche Crew war <strong>de</strong>s Schiffes für heute Abend verwiesen wor<strong>de</strong>n, damit sie <strong>die</strong> Partynicht störte.Es wur<strong>de</strong> getanzt. Soweit er das beurteilen konnte, war es gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Foxtrott o<strong>de</strong>retwas Ähnliches. Patrick Lan<strong>de</strong>r konnte nicht Foxtrott tanzen. Genau genommenbeherrschte er <strong>die</strong>se Kunst nicht - ganz gleich, um welchen Tanz es sich han<strong>de</strong>lte.Der frisch beför<strong>de</strong>rte Erasmus Raven hielt e<strong>in</strong>e Frau im Arm, <strong>die</strong> viel jünger war als erselbst. Sie sah stark geschm<strong>in</strong>kt aus und trug e<strong>in</strong> viel zu weit ausgeschnittenes Kleid,unter <strong>de</strong>m man fast alles erahnen konnte. Sie er<strong>in</strong>nerte Lan<strong>de</strong>r an e<strong>in</strong> leichtes Mädchen.Capta<strong>in</strong> Lionel K<strong>in</strong>gsham unterhielt sich mit e<strong>in</strong>em Admiral, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r nicht kannte. Erkannte ja genau genommen überhaupt nieman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ssen Rangstufe über <strong>die</strong> e<strong>in</strong>esVollkapitäns h<strong>in</strong>ausg<strong>in</strong>g. Dem Namen nach kannte er Wesley und e<strong>in</strong>ige an<strong>de</strong>re, aber erwar ihnen nie persönlich begegnet. Duncan Avery war nicht hier. Lan<strong>de</strong>r wäre ihmohneh<strong>in</strong> nicht gerne begegnet, <strong>de</strong>nn er fühlte sich durch ihn betrogen.Suchend blickte er sich um und g<strong>in</strong>g schließlich mehr o<strong>de</strong>r weniger methodisch über dasDeck.„Ach, da bist du endlich!“Betty Halmers, <strong>die</strong> von Planet New London mit allen an<strong>de</strong>ren per Shuttle zum Yardgebracht wor<strong>de</strong>n war, stand abseits <strong>de</strong>s Trubels bei e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Wachposten, <strong>die</strong> ja auchnur e<strong>in</strong>fache Mannschaftsmitglie<strong>de</strong>r waren. Normale Leute wie <strong>die</strong> junge Frau von PlanetLeeds. Ihr schwarzes Kleid wirkte im Vergleich zum Putz <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Frauen gera<strong>de</strong>zuarmselig, obwohl es ihr nahezu perfekt stand. Ihre Mutter hatte es vermutlich für siegenäht o<strong>de</strong>r aber sie hatte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r billigen Boutiquen erstan<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen Frauenauf Planet Leeds für gewöhnlich ihre Kleidung kauften. Dort hatte es sicherlich e<strong>in</strong>Vermögen gekostet, aber hier wür<strong>de</strong> man <strong>de</strong>swegen über sie lächeln. Mit <strong>de</strong>muntrüglichen Inst<strong>in</strong>kt, <strong>de</strong>n fast je<strong>de</strong> Frau für solche sensiblen D<strong>in</strong>ge wie <strong>die</strong> richtigeGar<strong>de</strong>robe besaß, war ihr das auch klar.Plötzlich empfand er Mitleid mit <strong>de</strong>r blassen jungen Frau und vielleicht auch e<strong>in</strong>en Funken<strong>de</strong>r alten Sehnsucht. Mochte ihr Kleid verglichen mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren auch billig se<strong>in</strong>, für ihnsah sie zauberhaft aus. Nicht zuletzt wegen ihrer lockigen Haarpracht, <strong>die</strong> sie wie e<strong>in</strong>enEngel wirken ließ. Natürlich waren <strong>die</strong> Haare von ihrer Mutter mit <strong>de</strong>m Lockeneisene<strong>in</strong>gedreht wor<strong>de</strong>n und nicht etwa bei e<strong>in</strong>em teuren Friseur. Betty Halmers war ja hierhergeschickt wor<strong>de</strong>n, ohne viel Zeit zur Vorbereitung, geschweige <strong>de</strong>nn Geld zurAusstattung zu haben. Natürlich hätte selbst Lan<strong>de</strong>rs niedriges Gehalt nicht annäherndausgereicht, um ihr e<strong>in</strong> Designerkleid und Schmuck <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Preisklasse zu kaufen, wie sie


hier allgeme<strong>in</strong> zur Schau getragen wur<strong>de</strong>. Auf Planet Leeds galt er trotz<strong>de</strong>m alsGroßver<strong>die</strong>ner.„Tut mir leid, dass ich mich verspätet habe.“ Das tat es wirklich. Sie war hier ohne ihnverloren. Er war <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Mensch von ihrer Heimatwelt und damit ihr e<strong>in</strong>zigerBezugspunkt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong>. „Möchtest du vielleicht das Schiff sehen? Ich führe dichgerne herum.“Sie überraschte ihn, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie <strong>die</strong> Augen nie<strong>de</strong>rschlug und dann vor lauter Verlegenheite<strong>in</strong>en fast unsichtbaren Fussel von se<strong>in</strong>er besten Uniformjacke holte. „Ich wür<strong>de</strong> zuerstgern etwas essen, Patrick.“Er hörte ihren Magen leise knurren und wur<strong>de</strong> sich abrupt bewusst, dass sie wohl ke<strong>in</strong>Geld gehabt hatte, um sich auf Planet New London am Raumhafen etwas zu kaufen,während sie auf das Shuttle nach Southampton gewartet hatte. Die Preise dort waren<strong>de</strong>rmaßen horren<strong>de</strong>, dass selbst er es sich gestern dreimal überlegt hatte, obwohl erdank se<strong>in</strong>es weiterlaufen<strong>de</strong>n Gehalts durchaus <strong>die</strong> zwanzig Credits für e<strong>in</strong>en Snackgehabt hatte. Ganz im Gegensatz zu ihr, da ihr Vater als Monteur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Lampenfabrikund ihre Mutter manchmal, wenn es sich ergab, als Putzfrau arbeitete.Die hier aufgetischten Gerichte, <strong>die</strong> nicht e<strong>in</strong>mal er korrekt betiteln konnte, mussten ihrwie e<strong>in</strong> Traum erschienen se<strong>in</strong>. „Soll ich dir etwas holen, o<strong>de</strong>r gehen wir zum Buffet,Beth?“Früher, als sie bei<strong>de</strong> kle<strong>in</strong> gewesen waren, hatte er sie so genannt. Sie er<strong>in</strong>nerte sichauch daran, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong>e leichte Röte schoss <strong>in</strong> ihre blassen Wangen. Es stand ihr gut, wieer fand. Genauso wie <strong>die</strong> <strong>de</strong>zente Schm<strong>in</strong>ke, <strong>die</strong> nicht so überzogen wirkte wie <strong>die</strong>jenige<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Offiziersfrauen.„Lass uns gehen, Pat.“ Auch sie sah offensichtlich wie<strong>de</strong>r jene Zeit vor ihrem <strong>in</strong>nerenAuge, als sie zusammen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n dreckigen H<strong>in</strong>terhöfen im Sperrmüll gespielt hatten. Siewaren Freun<strong>de</strong> gewesen, bis sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Pubertät gekommen war. Als er sie still undschüchtern umwarb, hatte sie sich endgültig von ihm abgewandt.Sie reagierte nicht, als er ihr <strong>de</strong>n Arm h<strong>in</strong>hielt, weil es sonst <strong>in</strong> ihrem jungen Leben nochnie jemand getan hatte. Betty war sogar noch e<strong>in</strong> Jahr jünger als er. Vermutlich war sieabgesehen von <strong>de</strong>n bemalten Mädchen an <strong>de</strong>r Seite e<strong>in</strong>iger Stabsoffiziere und <strong>de</strong>s ErstenOffiziers <strong>die</strong> jüngste Frau auf <strong>de</strong>m ganzen Schiff. Genau wie er <strong>de</strong>r Jüngste war, <strong>de</strong>nn erwar <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige anwesen<strong>de</strong> Sub-Lieutenant. Es war se<strong>in</strong> zweifelhaftes Privileg, weil erhier <strong>de</strong>r Dritte Offizier war. Ihm hatte man <strong>de</strong>n Zutritt zur Bordparty <strong>de</strong>shalb nichtverbieten können, auch wenn er <strong>die</strong> Anwesen<strong>de</strong>n durch se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Herkunft und se<strong>in</strong>vergleichsweise unspektakuläreres Aussehen noch so sehr beleidigte. Die Etiketteverlangte sogar, dass er hier war. Erstaunlicherweise gab ihm <strong>die</strong>ser Gedanke Halt. Erergriff Bettys Hand und hakte sie unter, erwi<strong>de</strong>rte das wissen<strong>de</strong> Lächeln <strong>de</strong>s ihm nochunbekannten Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>gs am Aufgang und steuerte mitten durch <strong>die</strong> Menge auf dasBuffet zu.Betty versteifte sich, als sie <strong>die</strong> missbilligen<strong>de</strong>n bis verächtlichen Blicke <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renFrauen wahrnahm. Die Herren musterten sie eher verstohlen. Vere<strong>in</strong>zelt wur<strong>de</strong> sogarleises spöttisches Gelächter laut, als <strong>die</strong> hohen Damen ihre Köpfe zusammensteckten undim Flüsterton lästerten.„Beachte sie gar nicht. Ich f<strong>in</strong><strong>de</strong> dich hübscher als <strong>die</strong>se dummen Puten!“, sagte er leiseund erntete dafür e<strong>in</strong>en dankbaren Blick. Da er sich nicht stören ließ und sie gekonntzum Buffet geleitete, richtete auch sie sich auf und erwi<strong>de</strong>rte <strong>die</strong> Blicke schließlichgenauso offen wie er. Sie mussten sich ihrer selbst nicht schämen, <strong>de</strong>nn ihreAnwesenheit hatte ihre Berechtigung.Nur an <strong>de</strong>r ge<strong>de</strong>ckten Tafel wirkte sie wie<strong>de</strong>rum hilflos. So etwas hatte sie noch niegesehen. Auch ihm war so e<strong>in</strong>e reiche Auftischung von erlesenen Speisen noch nieuntergekommen, aber er hatte bei <strong>de</strong>r Navy genug Lebenserfahrung gesammelt, umauch damit umzugehen. Er nahm e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>en Teller für sie und e<strong>in</strong>en weiteren für sich.„Be<strong>die</strong>n dich, Beth.“„Darf man das alles wirklich nehmen?“E<strong>in</strong> unbekannter Lieutenant Comman<strong>de</strong>r vom Yard drehte sich daraufh<strong>in</strong> um und starrtesie entgeistert an. Dabei glitt se<strong>in</strong> Blick jedoch wie zufällig an ihr h<strong>in</strong>ab und ruhte aufihren Brüsten.


„Aber ja“, beruhigte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Begleiter<strong>in</strong> und ignorierte <strong>de</strong>n Mann bestmöglich. „Dukannst dir alles nehmen, was dir gefällt. Auch, wie viel dir gefällt.“Ihre Augen leuchteten, als sie für e<strong>in</strong>en Moment <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>renweiblichen Gäste vergaß. Es war <strong>de</strong>r große Tag ihres Lebens, und er begriff, dass se<strong>in</strong>eMutter unwissentlich genau <strong>die</strong> richtige Entscheidung getroffen hatte, als sie ihm jenenzunächst verfluchten Gefallen getan hatte.„Pardon, Lieutenant. S<strong>in</strong>d Sie vom Yard o<strong>de</strong>r woher kommen Sie?“, sprach <strong>de</strong>r LieutenantComman<strong>de</strong>r ihn an. Er hatte sich von ihrer Gestalt gelöst und wandte sich nun an Lan<strong>de</strong>r.Es war <strong>die</strong> kaum verhohlene Frage, was er mit se<strong>in</strong>er bürgerlichen Begleiter<strong>in</strong> eigentlichhier zu suchen hatte. Der Sub-Lieutenant biss für e<strong>in</strong>en Moment <strong>die</strong> Zähne zusammenund überlegte sich e<strong>in</strong>e passen<strong>de</strong> Antwort, aber jemand kam ihm zuvor.„Entschuldigen Sie unseren Dritten Offizier bitte für e<strong>in</strong>en Moment, Sir.“ Daniel Fowleystand plötzlich h<strong>in</strong>ter Lan<strong>de</strong>r.„Aber sicher, Lieutenant.“ Der Ranghöhere verlor das Interesse und suchte eilig dasWeite.„Mister Lan<strong>de</strong>r, ich soll Ihnen von Comman<strong>de</strong>r Raven ausrichten, dass Sie bitte e<strong>in</strong>eSchiffsführung machen sollen. Es haben bereits mehrere Leute angefragt, und wir s<strong>in</strong>dalle als Gastgeber stark e<strong>in</strong>gespannt. Da <strong>die</strong> Brisbane baugleich mit <strong>de</strong>r Oxford ist,sollten Sie ke<strong>in</strong>e Probleme haben.“ Fowley war offensichtlich nicht gekommen, um Lan<strong>de</strong>rvor <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Offizier zu retten, son<strong>de</strong>rn nur, um <strong>die</strong> Weisung auszurichten. Solcheunangenehmen Anordnungen wur<strong>de</strong>n natürlich immer von oben nach untendurchgereicht, bis sie am unteren En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Befehlskette angelangten. Konkret gesagt beiihm als Junioroffizier.„Ja, Sir“, murmelte Lan<strong>de</strong>r wenig begeistert.„Ist <strong>die</strong>se reizen<strong>de</strong> junge Dame Ihre Begleitung?“Lan<strong>de</strong>r konnte förmlich sehen, wie Betty Halmers unter Fowleys Blick dah<strong>in</strong>schmolz. Da<strong>de</strong>r Zweite Offizier jedoch se<strong>in</strong> Vorgesetzter war, erwi<strong>de</strong>rte er so beherrscht wie er nurkonnte: „Darf ich Ihnen Miss Betty Halmers vorstellen, Sir? Betty, <strong>die</strong>s ist LieutenantFowley, me<strong>in</strong> Vorgesetzter.“Sie wür<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat e<strong>in</strong>iges zu erzählen haben, wenn sie wie<strong>de</strong>r nach Planet Leeds kam.Daniel Fowley schlug <strong>de</strong>m Fass jedoch <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n aus. Er verbeugte sich, ergriff <strong>die</strong> Hand<strong>de</strong>r leedser Arbeitertochter und berührte sie leicht mit <strong>de</strong>n Lippen. „Sehr erfreut, Miss.“An Lan<strong>de</strong>r gewandt sagte er nur: „Machen Sie weiter, Lieutenant. Comman<strong>de</strong>r Ravenwartet nicht gern. Erlauben Sie mir, dass ich solange Ihre reizen<strong>de</strong> Begleitung unterhalte.Wenn Sie gestatten, Miss.“ Der Lieutenant bot ihr auf förmliche Weise <strong>de</strong>n Arm dar.Als er Bettys Blick sah, mit <strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n dunkelhaarigen, schlanken Fowley maß, wussteer, dass er verloren hatte. Er brauchte gar nicht zu fragen, ob sie ebenfalls das Schiffsehen und ihn auf <strong>die</strong>se Weise begleiten wollte. Natürlich ergriff sie Fowleys Hand, wie erselbst es ihr zuvor beigebracht hatte, und lächelte dabei kokett.Nun lernte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> heftiges Gefühl kennen, das er so nur selten erlebt hatte. Esnannte sich Eifersucht. So kurz waren sie sich wie<strong>de</strong>r nahe gewesen, verbun<strong>de</strong>n durch<strong>die</strong> Abwesenheit ihrer Mutter, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en schlechten E<strong>in</strong>fluss auf Betty ausübte, und dasBewusstse<strong>in</strong>, hier gleichermaßen fremd zu se<strong>in</strong>. Jetzt h<strong>in</strong>gegen war sie nicht mehr auf ihnangewiesen, da Fowley sie ihm ausgespannt hatte. Dass sie für ihn kaum mehr als e<strong>in</strong>Spielzeug war, lag auf <strong>de</strong>r Hand. Er konnte mit se<strong>in</strong>em Aussehen und se<strong>in</strong>em Namenje<strong>de</strong> Frau haben.Der Dritte Offizier salutierte zackig und machte auf <strong>de</strong>m Absatz kehrt. Das tat er vorallem, um Fowley nicht vor allen an<strong>de</strong>ren e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>zuschlagen, wonach alles <strong>in</strong> ihmförmlich schrie. Auch zu Betty Halmers sagte er ke<strong>in</strong> Wort mehr.Während se<strong>in</strong>e Vorgesetzten sämtliche Interessenten für e<strong>in</strong>e Schiffsführung zu ihmschickten, beobachtete er <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n stets aus <strong>de</strong>n Augenw<strong>in</strong>keln. Er sah Betty lachen,als ihr neuer Begleiter ihr an <strong>de</strong>r Tafel <strong>die</strong> verschie<strong>de</strong>nartigen Speisen erklärte und ihrhalf, sich welche auszusuchen und damit ihren Teller zu füllen. Sie aß jedoch nicht vielund hörte mittendr<strong>in</strong> auf, als das Orchester nach e<strong>in</strong>em Walzer zu e<strong>in</strong>igen flotterenStandardtänzen überg<strong>in</strong>g. Betty konnte genauso wenig tanzen wie er selbst, das wussteLan<strong>de</strong>r. Trotz<strong>de</strong>m ließ Fowley sich davon wenig bee<strong>in</strong>drucken und führte sie schließlich,ganz wie es sich für e<strong>in</strong>en Gentleman gehörte, an <strong>de</strong>r Hand zur Tanzfläche.


Das Letzte, was Lan<strong>de</strong>r sah, bevor er zehn ältliche Offiziersgatt<strong>in</strong>nen <strong>in</strong>s Innere geleitete,war, dass Daniel Fowleys Akzeptanz e<strong>in</strong>es schlichten, wenn auch hübschen Mädchens vonPlanet Leeds schlussendlich dazu führte, dass auch an<strong>de</strong>re Männer Interesse zeigten.Zuerst war sie nur e<strong>in</strong> vergleichsweise ärmlich geklei<strong>de</strong>tes Mädchen für jene Leutegewesen, aber Daniel Fowley war nicht <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige, <strong>de</strong>r sie verstohlen genauerangesehen hatte und zu <strong>de</strong>mselben Schluss kam wie schon Patrick Lan<strong>de</strong>r vor e<strong>in</strong>igenJahren. Ihre Schlichtheit verlieh ihr <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Reihen <strong>de</strong>r aufgedonnerten und aufgeputztenBegleiter<strong>in</strong>nen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren etwas Unschuldiges, das auch Fowley schnell erkannt hatte.Mit <strong>de</strong>m Mädchen e<strong>in</strong>es Sub-Lieutenants aus e<strong>in</strong>fachen Verhältnissen gab man sichnatürlich nur ungern ab, aber <strong>die</strong> Tanzpartner<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es Lieutenants von Namen und Standdurfte man durchaus ablösen, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Nach<strong>de</strong>m Fowley siequasi <strong>in</strong> <strong>die</strong> fe<strong>in</strong>e Gesellschaft e<strong>in</strong>geführt hatte und vor aller Augen geduldig ertrug, dasssie ihm auf <strong>de</strong>n Zehen herumtrat, galt jenem Mädchen daraufh<strong>in</strong> mancher offener Blickan<strong>de</strong>rer junger Offiziere, <strong>die</strong> ausnahmslos auf <strong>de</strong>m Yard arbeiteten.Und so kam es, dass Daniel Fowley se<strong>in</strong>e Tanzpartner<strong>in</strong> recht schnell an e<strong>in</strong>en LieutenantComman<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r wenn überhaupt nur wenig älter als Duncan Avery war, aber eben <strong>de</strong>nhalben Streifen mehr hatte, verlor. Jener Mann gab ihr auch <strong>de</strong>n ersten Dr<strong>in</strong>k aus. Mehrbekam Patrick Lan<strong>de</strong>r zum Glück nicht mehr mit, aber wenn er im Vorh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> um <strong>die</strong>Folgen jenes Abends gewusst hätte, hätte er vermutlich <strong>die</strong> Führung irgendwie abgekürztund sich e<strong>in</strong> Be<strong>in</strong> ausgerissen, um zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, was danach geschah.„Ich übernehme hiermit <strong>die</strong> Wache“, sprach Patrick Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rten Worte sobeherrscht wie möglich. Vor Wut hätte er Daniel Fowley jedoch verprügeln, wenn nichtgar totschlagen mögen. Daran hatte sich auch nach e<strong>in</strong>er knappen Woche noch nichtsgeän<strong>de</strong>rt.Mit <strong>de</strong>n Worten: 1158 - Durch 3. Off. abgelöst. Lt. DF. been<strong>de</strong>te Fowley daraufh<strong>in</strong> <strong>de</strong>nE<strong>in</strong>trag im elektronischen Schiffslogbuch <strong>de</strong>r Brisbane. Er sah unbewegt auf. „IhreBefehle lauten, weiterh<strong>in</strong> <strong>die</strong> Patrouillenroute abzufliegen. Bleiben Sie nahe <strong>de</strong>r Tra<strong>de</strong>laneauf <strong>de</strong>m vorgesehenen Kurs und rufen Sie mich o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ersten Offizier, falls etwas ist.“„Ja, Sir.“Nach <strong>de</strong>r Weitergabe <strong>de</strong>r an sich wohlbekannten Befehle verschwand Fowley endlich von<strong>de</strong>r Brücke. So o<strong>de</strong>r so ähnlich drückte er es je<strong>de</strong>n Tag aus, falls se<strong>in</strong>e Wache vor <strong>de</strong>rse<strong>in</strong>es Zimmergenossen en<strong>de</strong>te, also bot <strong>die</strong> Re<strong>de</strong> abgesehen von <strong>de</strong>n Tagesbefehlennichts Neues.Es hatte sich viel geän<strong>de</strong>rt, nicht nur <strong>de</strong>r Schiffsname. Nur noch rund dreißig Mann <strong>de</strong>ralten Crew waren dabei, obwohl knapp <strong>die</strong> Hälfte <strong>de</strong>n letzten Kampf <strong>de</strong>r Oxford überlebthatte. Diese Zahl schloss <strong>die</strong> Führungsoffiziere und <strong>de</strong>n Chief bereits e<strong>in</strong>. Zu Lan<strong>de</strong>rsFreu<strong>de</strong> <strong>die</strong>nte auch Petty Officer Piper wie<strong>de</strong>r unter K<strong>in</strong>gshams Kommando. Er war nurum e<strong>in</strong>e Medaille reicher, verliehen für se<strong>in</strong>en beson<strong>de</strong>ren E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> Omega-11.Die gravierendsten Neuerungen betrafen jedoch e<strong>in</strong>mal Ravens Haltung gegenüberLan<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> endlich nicht mehr von Fe<strong>in</strong>dseligkeit geprägt war, und zum Zweiten <strong>de</strong>nganzen Schiffsbetrieb. Die Mannschaft arbeitete nach wie vor im Zweiwachenbetrieb,aber <strong>die</strong> vier Offiziere g<strong>in</strong>gen nicht mehr jeweils zu zweit Wache um Wache. Dasbe<strong>de</strong>utete, dass man im Regelfall e<strong>in</strong>e Schicht alias sechs Stun<strong>de</strong>n pro Tag auf <strong>de</strong>rBrücke stand - o<strong>de</strong>r alle drei Tage auch mal zwölf Stun<strong>de</strong>n, aber mit zwölf Stun<strong>de</strong>n Pausezwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Wachen.Das war e<strong>in</strong> sehr positives und erträgliches System, mittels <strong>de</strong>ssen sie wochen- wennnicht gar monatelang draußen operieren konnten. Ohne wie damals e<strong>in</strong> bis zweimal imMonat im Schutz <strong>de</strong>r Kanonen e<strong>in</strong>er Station zu rasten, damit <strong>die</strong> erschöpfte Crew sichausruhen konnte. Vor allem aber war es e<strong>in</strong> System, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m auch Patrick Lan<strong>de</strong>r endlichdas tun durfte was er immer hatte tun wollen: Komman<strong>die</strong>ren e<strong>in</strong>es Schiffes alsverantwortlicher Wachoffizier auf <strong>de</strong>r Brücke, und zwar ohne Oberaufsicht durch e<strong>in</strong>enVorgesetzten.Er g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>e o<strong>de</strong>r eben manchmal zwei Wachen pro Tag alle<strong>in</strong> mit <strong>de</strong>r Brückencrew, sichgenerell mit Fowley und Raven abwechselnd. Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham verbrachte zwartäglich gewisse Zeit auf <strong>de</strong>r Brücke, aber er hatte ke<strong>in</strong>e offiziellen Wachen mehr. Der


Betrieb lief ohne ihn, aber unter se<strong>in</strong>er Aufsicht. Dies bot Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Gelegenheit, <strong>die</strong>D<strong>in</strong>ge selbst zu lernen. Auf <strong>de</strong>r Oxford und <strong>de</strong>n Außene<strong>in</strong>sätzen hatte er gelernt, sich auf<strong>die</strong> Spezialisten <strong>de</strong>r jeweiligen Ressorts zu verlassen und <strong>die</strong> Informationen zu speichern,<strong>die</strong> sie ihm gaben. Auf <strong>de</strong>r Brisbane war er nach eigener Me<strong>in</strong>ung endlich dabei, <strong>de</strong>nSchritt zum aktiven Entscheidungsträger zu vollziehen.Es gab ihm Sicherheit, dass er dabei trotz<strong>de</strong>m ke<strong>in</strong>e Entscheidungen selbst treffenmusste. Er führte <strong>die</strong> Oberaufsicht, aber er war se<strong>in</strong>en Vorgesetzten gegenüber vollverantwortlich. Wenn sich draußen im All irgen<strong>de</strong>twas ergab o<strong>de</strong>r an Bord e<strong>in</strong> Problemauftrat, hatte er als Junioroffizier <strong>die</strong> Anweisung, sofort e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r ranghöheren Offizierezu rufen. Das tat er auch geflissentlich, aber K<strong>in</strong>gsham hatte ihn trotz<strong>de</strong>m dazuermuntert, eigene Lösungen parat zu haben. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st <strong>in</strong> K<strong>in</strong>gshams Fall äußerteLan<strong>de</strong>r sie auch immer, und <strong>de</strong>r Kommandant gab darüber se<strong>in</strong> Urteil ab. Auch davonlernte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong>nerhalb kürzester Zeit sehr viel und bil<strong>de</strong>te sich dadurch weiter.Es kam allerd<strong>in</strong>gs durchaus vor, dass er direkt Comman<strong>de</strong>r Raven anrief, statt sich anLieutenant Fowley zu wen<strong>de</strong>n. Das hatte e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren persönlichen Grund.Dieser Abneigung h<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r auch nach, als Raven jetzt unvermittelt <strong>die</strong> Brücke betrat.Lan<strong>de</strong>r nahm vor ihm Haltung an und tauschte <strong>de</strong>n Salut mit se<strong>in</strong>em Vorgesetzten. DerErste Offizier wandte sich an ihn: „Hat sich Romeo schon gemel<strong>de</strong>t? Julia wartet schon.“Es war e<strong>in</strong>e witzige Anspielung auf das wöchentliche Shuttle <strong>de</strong>r Flugbereitschaft. Heutewar es fällig. Erstmalig, seit sie <strong>in</strong> Tau-31 stationiert waren. Noch war es theoretischnicht nötig, aber das Shuttle kam immer <strong>die</strong>nstags, und daher war irrelevant, ob bereitse<strong>in</strong>e Woche seit <strong>de</strong>m Abflug aus New London vergangen war o<strong>de</strong>r nicht. Der Plan musstee<strong>in</strong>gehalten wer<strong>de</strong>n.„Negativ, Sir“, verne<strong>in</strong>te Lan<strong>de</strong>r kichernd. Normalerweise hätte er darauf gebrannt, vonse<strong>in</strong>en Eltern zu hören, da Briefe se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Verb<strong>in</strong>dung zu ihnen waren, aber erer<strong>in</strong>nerte sich unangenehm an se<strong>in</strong> letztes Telefonat mit se<strong>in</strong>er Mutter, als sie noch amYard gedockt gewesen waren.Die Vorwürfe waren schrecklich gewesen. Betty Halmers hatte Planet Leeds wie geplantam Folgetag nach <strong>de</strong>r Party wie<strong>de</strong>r betreten. Bis dah<strong>in</strong> war alles prima gewesen. Nichtgut war jedoch, dass sie <strong>die</strong> Nacht auf <strong>de</strong>m Yard verbracht hatte. Sie hatte es ihrer sieaushorchen<strong>de</strong>n Mutter unter Tränen gestan<strong>de</strong>n. Lan<strong>de</strong>r hatte gedacht, dass sie bereitsnach New London zurückgeflogen war, als sie nach <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schiffsführung nichtmehr dagewesen war. Auch Fowley wusste an jenem Abend angeblich nicht, woh<strong>in</strong> siegegangen war.Sie war jedoch nicht abgeflogen, son<strong>de</strong>rn irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> Adjutant hatte sie gegen <strong>die</strong>Vorschriften auf se<strong>in</strong> Zimmer abgeschleppt. Die Strafe dafür dürfte ger<strong>in</strong>g ausgefallense<strong>in</strong>, da Admiräle ihre namhaften Günstl<strong>in</strong>ge sicherlich <strong>in</strong> Schutz nahmen, und es war jaauch nicht viel passiert. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st aus Sicht <strong>de</strong>r hohen Herren. Nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Affärezwischen zwei jungen Menschen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>zelzimmer <strong>de</strong>s Schiffsyards. Auf PlanetLeeds sah man das natürlich völlig an<strong>de</strong>rs. Wie Anne Lan<strong>de</strong>r betonte, hatte ihreaufgebrachte Freund<strong>in</strong> gesagt, dass ihre Tochter vor ihrem Abflug noch Jungfraugewesen war. Nun war sie es nicht mehr.Lan<strong>de</strong>r hatte darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass es nicht se<strong>in</strong>e Schuld gewesen war, aber er hätteeben auf <strong>die</strong> achtzehnjährige und damit durchaus volljährige Betty aufpassen müssen,wie er von se<strong>in</strong>er Mutter hörte. Dass se<strong>in</strong> Dienst ihm ke<strong>in</strong>e Chance dazu gelassen undLan<strong>de</strong>r sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Obhut e<strong>in</strong>es Vorgesetzten und fe<strong>in</strong>en Herren zurückgelassen hatte,zählte plötzlich nicht mehr. Nun musste er also nicht nur mit se<strong>in</strong>er eigenen bohren<strong>de</strong>nEifersucht leben, weil es Daniel Fowley gewesen war, <strong>de</strong>r alles zwischen ihnen wie<strong>de</strong>rzerstört hatte. Ne<strong>in</strong>, Lan<strong>de</strong>r musste auch noch ertragen, dass sie im Bett irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>esunbekannten Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs gelan<strong>de</strong>t war! Das war genauso schlimm.Vermutlich hatte <strong>de</strong>r Kerl ihr wil<strong>de</strong> Versprechungen gemacht, um sie auf se<strong>in</strong> Zimmer zubekommen.Während se<strong>in</strong>e Mutter ihn aufs Übelste angebrüllt hatte, hatte er versucht, damit fertigzu wer<strong>de</strong>n, aber es gelang ihm nicht. Dass <strong>die</strong> fe<strong>in</strong>e Gesellschaft so skrupellos se<strong>in</strong>wür<strong>de</strong>, daran hatte selbst er nicht gedacht. Laut se<strong>in</strong>er Mutter war es natürlich nicht <strong>die</strong>Schuld irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>es Adligen o<strong>de</strong>r Bettys, ne<strong>in</strong>, es war se<strong>in</strong>e eigene. Er hatte ja nichtaufgepasst. Und da er wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> sie verliebt war, gab er sich natürlich tatsächlich


<strong>die</strong> Schuld für alles, weil er sie alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> solch schlechter Gesellschaft zurückgelassenhatte.Daniel Fowley war natürlich noch immer se<strong>in</strong> Zimmergenosse, und <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige wirklicheNachteil <strong>de</strong>r neuen kräfteschonen<strong>de</strong>n Wachaufteilung lag wirklich dar<strong>in</strong>, dass sie sichdadurch täglich mehrere Stun<strong>de</strong>n sahen. Immer dann, wenn <strong>de</strong>r Erste OffizierBrückenwache hatte und sie dadurch bei<strong>de</strong> gleichzeitig freihatten. Das Schiff war zukle<strong>in</strong>, um sich immer aus <strong>de</strong>m Weg zu gehen, obwohl Lan<strong>de</strong>r wirklich alles <strong>in</strong> <strong>die</strong>serRichtung versuchte.Fowley schien nicht e<strong>in</strong>mal zu wissen, was er getan hatte - und wenn er es geahnt hätte,wäre es ihm sowieso egal gewesen, wie <strong>de</strong>r Dritte Offizier vermutete. Das ließ ihn <strong>de</strong>mZweiten Offizier <strong>die</strong> Pest an <strong>de</strong>n Hals wünschen.Ne<strong>in</strong>, auf neue Vorwürfe von zu Hause war er aufgrund <strong>die</strong>ser Missstimmung wirklichnicht scharf. Diesmal wür<strong>de</strong> es auch ke<strong>in</strong>en selbstgebackenen Kuchen und ke<strong>in</strong>e sonstigeÜberraschung geben. Se<strong>in</strong>e Mutter war st<strong>in</strong>ksauer, und was se<strong>in</strong> Vater als konservativeranglikanischer Geistlicher davon hielt, war so sicher zu bestimmen wie das Amen <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Kirche.Se<strong>in</strong> Vater hatte seit <strong>de</strong>m Anruf und <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>ladung zu <strong>de</strong>r Schiffsparty ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Malmehr mit ihm sprechen wollen. Er hatte durch Anne Lan<strong>de</strong>r ausrichten lassen, dass er mitse<strong>in</strong>em Sohn re<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, sobald <strong>de</strong>r sich mal geruhte, nach Hause zu kommen, wo erh<strong>in</strong>gehörte. Bis dah<strong>in</strong> gäbe es nichts mehr zwischen ihnen zu sagen. Auch das nagte sehran Lan<strong>de</strong>r, obwohl se<strong>in</strong> Vater und er sich nie sehr nahe gestan<strong>de</strong>n hatten. Trotz<strong>de</strong>m kamer sich sehr verstoßen und ungeliebt vor, was se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>samkeit nur noch vergrößerte.Alles, was ihm blieb, war <strong>de</strong>r Bord<strong>die</strong>nst - vermutlich e<strong>in</strong> Grund, warum Ravenmomentan zufrie<strong>de</strong>n mit ihm war und nicht meckerte.Der Erste Offizier hatte sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n überzähligen Gastsitz fallen lassen und begann damit,e<strong>in</strong>ige Computere<strong>in</strong>tragungen durchzuarbeiten. Er schien auf <strong>de</strong>n Briefträger <strong>in</strong> Form <strong>de</strong>rCly<strong>de</strong>sdale von <strong>de</strong>r Flugbereitschaft zu warten, wie <strong>de</strong>r Rest <strong>de</strong>r Crew auch. Es war ihreVerb<strong>in</strong>dung nach Hause.E<strong>in</strong>e weitere Dreiviertelstun<strong>de</strong> verg<strong>in</strong>g, bevor Romeo sich mel<strong>de</strong>te. Raven w<strong>in</strong>kte Lan<strong>de</strong>r,das Erkennungs- und E<strong>in</strong>weisungsverfahren zu leiten. Es war das erste Mal für ihn, aberdamals auf <strong>de</strong>r Oxford hatte er es mehrmals auf <strong>de</strong>r Brücke mitbekommen.Es klappte reibungslos, und <strong>de</strong>r Exekutivoffizier ließ sich sogar zu <strong>de</strong>m Kommentar:„Sehr schön, Mister Lan<strong>de</strong>r. Machen Sie bitte weiter. Falls Sie mich brauchen, b<strong>in</strong> ichunten auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck.“ h<strong>in</strong>reißen. Für Ravens Verhältnisse war das bereits e<strong>in</strong>eHeiligsprechung.So fiel ihm auch erst e<strong>in</strong>, sich für das Lob zu bedanken, als Raven längst fort war.Nach weniger als zwei Stun<strong>de</strong>n war <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale wie<strong>de</strong>r draußen im Raum, und <strong>die</strong>Digitaluhr an <strong>de</strong>r Wand zeigte 1653, als e<strong>in</strong> Funkspruch here<strong>in</strong>kam und an ihnweitergemel<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.„Notruf <strong>de</strong>s Asteroid M<strong>in</strong>ers Commonwealth, Sir! Sie liegt unter massivem Beschussdurch <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen und erbittet Unterstützung.“„Rufen Sie bitte <strong>de</strong>n Kommandanten auf <strong>die</strong> Brücke. Fragen Sie danach nach <strong>de</strong>rgenauen Position <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>ers und leiten Sie sie an Petty Officer Hickers weiter.Programmierer, f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie heraus, wem <strong>die</strong> Commonwealth gehört!“Der Computerspezialist beugte sich eifrig über <strong>die</strong> Konsole, während <strong>de</strong>rKommunikationsoffizier zunächst K<strong>in</strong>gsham auf <strong>die</strong> Brücke rief und dann über Funkversuchte, <strong>de</strong>n Asteroid M<strong>in</strong>er zu erreichen.„Die Commonwealth war <strong>in</strong> Planquadrat Beta-5, als wir heute Morgen zuletzt Kontakt mitihr hatten. Das wäre höchstens fünfzig E<strong>in</strong>heiten entfernt, Sir. Weit ist sie sicherlich nichtgekommen. Wir müssten nur wen<strong>de</strong>n.“Lan<strong>de</strong>r war ebenfalls klar, dass <strong>die</strong> Brisbane sich je<strong>de</strong> Sekun<strong>de</strong> weiter von <strong>de</strong>m M<strong>in</strong>erentfernte. Deshalb befahl er kurzerhand: „Antrieb auf null regeln. Noch ke<strong>in</strong>eKursän<strong>de</strong>rung.“ Das sollte Comman<strong>de</strong>r K<strong>in</strong>gsham gefälligst selbst entschei<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>eZwitterlösung war besser als gar ke<strong>in</strong>e. Er machte <strong>die</strong> nötigen Logbuche<strong>in</strong>träge, was alsOffizier <strong>de</strong>r Wache se<strong>in</strong>e Pflicht war.Daniel Fowley erreichte <strong>die</strong> Brücke aufgrund <strong>de</strong>r Durchsage e<strong>in</strong>e halbe M<strong>in</strong>ute vor Ravenund <strong>de</strong>m Kommandanten.


„Was ist los? Warum haben Sie eigenmächtig gestoppt, Lieutenant? Wissen…“, begann<strong>de</strong>r Zweite Offizier, aber Lan<strong>de</strong>r unterbrach ihn mit eisiger Stimme: „Notruf von <strong>de</strong>rCommonwealth, Lieutenant.“ Lan<strong>de</strong>r war völlig egal, ob Fowley wusste, wo genau sierelativ zu <strong>de</strong>m beschädigten Schiff stan<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r nicht.„BMM, Sir.“„Schon wie<strong>de</strong>r Bretonia M<strong>in</strong><strong>in</strong>g und Manufactur<strong>in</strong>g! Das letzte Mal, als <strong>die</strong> im Drecksaßen…“ Der Steuermann, e<strong>in</strong> alter Hase von <strong>de</strong>r Oxford, been<strong>de</strong>te se<strong>in</strong>en Satz nicht,<strong>de</strong>nn <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Führungsoffiziere kamen here<strong>in</strong>gestürzt. Trotz<strong>de</strong>m wusste je<strong>de</strong>r, dass<strong>de</strong>r Mann vom En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Oxford gesprochen hatte.„Notruf <strong>de</strong>r Commonwealth aus Planquadrat Beta-5. Uni<strong>de</strong>ntifizierte Jäger greifen <strong>de</strong>nBMM-M<strong>in</strong>er an. Habe gestoppt, da wir uns momentan <strong>in</strong> Delta-7 bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“„Wen<strong>de</strong>n Sie das Schiff und br<strong>in</strong>gen Sie uns auf <strong>de</strong>n schnellstmöglichen Kurs dorth<strong>in</strong>,Mister Lan<strong>de</strong>r.“Das war fast vorhersehbar gewesen. „Aye, Sir.“Auch <strong>die</strong>s schaffte Lan<strong>de</strong>r relativ gut - sogar unter <strong>de</strong>n Augen aller drei Vorgesetzten.K<strong>in</strong>gsham übernahm schließlich selbst das Kommando, als <strong>die</strong> Commonwealth sich überFunk nicht mehr mel<strong>de</strong>te.Die an<strong>de</strong>ren Asteroid M<strong>in</strong>er hatten sich im Angesicht <strong>de</strong>r unbekannten Gefahr wie e<strong>in</strong>eHer<strong>de</strong> verängstigter Schafe zusammengedrängt. Nur jener e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>er hatte sich stetsabseits behalten und <strong>de</strong>n Preis dafür ansche<strong>in</strong>end bezahlt. Die Besorgnis <strong>de</strong>r Navycrewund <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Offiziere wuchs je<strong>de</strong>nfalls konstant, je mehr Zeit verrann.Niemand sprach von Wachablösung, und so war auch Lan<strong>de</strong>r noch auf <strong>de</strong>r Brücke, alsdas Schiff um 1907 endlich <strong>in</strong> Sicht kam. Es hatte so lange gedauert, weil ke<strong>in</strong>e Antwortmehr auf <strong>die</strong> Funksprüche erfolgt war.Der von K<strong>in</strong>gsham zur Aufklärung ausgeschickte Crusa<strong>de</strong>r mel<strong>de</strong>te ke<strong>in</strong>e Aktivität, abere<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>luken <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>ers war offen. Außer<strong>de</strong>m waren <strong>die</strong> wenigen vorhan<strong>de</strong>nenKanonen <strong>de</strong>r punktuellen Abwehr <strong>in</strong> jenem Bereich komplett ausgeschaltet.„Teams Alpha und Bravo <strong>in</strong> <strong>die</strong> Anzüge!“, befahl K<strong>in</strong>gsham kurzerhand, nach<strong>de</strong>m er sichmit Raven besprochen hatte. „Lieutenant Fowley leitet Alpha und hat <strong>de</strong>n Oberbefehlüber <strong>de</strong>n Landungstrupp, Lieutenant Lan<strong>de</strong>r übernimmt Team Bravo. In zwanzig M<strong>in</strong>utenmöchte ich, dass Sie drüben s<strong>in</strong>d, Gentlemen!“Trotz jenes Befehls wechselte Lan<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong> überflüssiges Wort mit Fowley. Sie g<strong>in</strong>gen zu<strong>de</strong>n getrennten Umklei<strong>de</strong>räumen und legten <strong>die</strong> für Lan<strong>de</strong>r völlig ungewohnteVakuumausstattung an. Die Erfahrenen aus se<strong>in</strong>em Team halfen ihm dabei, allen voranPetty Officer Piper von Planet Leeds. Se<strong>in</strong>e Unwissenheit gegenüber Fowleye<strong>in</strong>zugestehen wäre für Lan<strong>de</strong>r unerträglich gewesen.Der E<strong>in</strong>satz selbst g<strong>in</strong>g schnell vonstatten, <strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>m Asteroid M<strong>in</strong>er gab es ke<strong>in</strong>enKampf. Das Schiff war bis auf drei durch Projektile getötete Tote völlig verlassen. Diegesamte Crew, immerh<strong>in</strong> über 250 Zivilisten, war komplett fort.Es war unheimlich, und Lan<strong>de</strong>r machte sich se<strong>in</strong>e Gedanken darüber, als er um 2100 zuBett g<strong>in</strong>g. Wie das gesamte Landungskommando hatte auch er nach <strong>de</strong>m von Ravengeleiteten Debrief<strong>in</strong>g zwölf Stun<strong>de</strong>n freibekommen. Raven und K<strong>in</strong>gsham teilten sich <strong>die</strong>Wachen auf. Genug Zeit zum Nach<strong>de</strong>nken also, obwohl er recht mü<strong>de</strong> war. DerRaumanzug war sehr ungewohnt und <strong>de</strong>shalb schwer für ihn gewesen. Schlafen konnteer jedoch nicht. Er hatte e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Männer etwas von Menschenraub munkeln hören.Warum jemand so etwas tun sollte, darauf konnte Lan<strong>de</strong>r sich auch nach Stun<strong>de</strong>n ke<strong>in</strong>enReim machen. Er hätte natürlich se<strong>in</strong>en Zimmergenossen fragen können, aber eher hätteer sich wegen <strong>de</strong>r Sache mit Betty <strong>die</strong> Zunge abgebissen.Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham und Comman<strong>de</strong>r Raven erledigten auf <strong>de</strong>r Brücke zusammen <strong>die</strong>Formalitäten. Man flog mit halber Kraft <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s Leeds-Sprungtores, um auf <strong>die</strong>seWeise über Funk <strong>die</strong> Behör<strong>de</strong>n verständigen, sobald man <strong>in</strong> Reichweite <strong>de</strong>rFunktransmitter <strong>de</strong>s Jumpgates kam. Für <strong>die</strong> Crew <strong>de</strong>r Commonwealth kam je<strong>de</strong> Hilfesowieso zu spät. Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal war e<strong>in</strong> bretonischer Patrouillenkreuzer zu langsamgewesen.


Kapitel VII – Die unerwartete GefahrPatrick Lan<strong>de</strong>r stand mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren wachfreien Crewmitglie<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck,als <strong>die</strong> ersten Postsäcke von e<strong>in</strong>igen Leuten, <strong>die</strong> sich dafür freiwillig gemel<strong>de</strong>t hatten,ausgela<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>n. Es war kaum nachvollziehbar, dass etwas über hun<strong>de</strong>rt Männer anBord e<strong>in</strong>es sehr kle<strong>in</strong>en Schlachtschiffes mehrere Säcke Post pro Woche bekamen.Der Begriff Post war allerd<strong>in</strong>gs auch missverständlich, <strong>de</strong>nn darunter fielen auch <strong>die</strong>Pakete. Nicht allzu viele passten <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en braunen Postsack. Trotz<strong>de</strong>m war es für <strong>die</strong>Crew wie Weihnachten, wenn <strong>die</strong> Post durch zwei dafür e<strong>in</strong>geteilte Unteroffiziereausgegeben wur<strong>de</strong>. Der Empfang e<strong>in</strong>er Sendung musste dabei stets auf e<strong>in</strong>em Datapadquittiert wer<strong>de</strong>n. Bei jenen Leuten, <strong>die</strong> gera<strong>de</strong> Wache hatten und somit <strong>de</strong>n Schiffsbetriebam Laufen hielten, quittierte e<strong>in</strong> Offizier <strong>de</strong>n Empfang. Diese Crewmitglie<strong>de</strong>r bekamenihre Post dann <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e gelegt und fan<strong>de</strong>n sie vor, wenn ihre Schicht en<strong>de</strong>te. Es ware<strong>in</strong> durchaus faires System, das <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat etwas vom Warten und <strong>de</strong>r Vorfreu<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>nWeihnachtsmann hatte.E<strong>in</strong> eigener Sack, <strong>de</strong>r nie wirklich voll war, enthielt <strong>die</strong> Offizierspost. Sie wur<strong>de</strong> heute vonLionel K<strong>in</strong>gsham ausgegeben, sonst machte das schon e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>r Erste Offizier.Erasmus Raven hatte allerd<strong>in</strong>gs gera<strong>de</strong> Brückenwache, da er heute zweimal dran war.Es stan<strong>de</strong>n also nur Fowley und Lan<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r, als er h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>griff.H<strong>in</strong>ter ihnen war <strong>de</strong>r übliche Tumult zu hören, als <strong>die</strong> Mannschaft zu streiten begann, werzuerst dran war, wessen Plätzchen besser schmeckten o<strong>de</strong>r wessen von zu Hauseerhaltenes gemaltes K<strong>in</strong><strong>de</strong>rbild schöner war. Wie je<strong>de</strong>n Dienstag.Lionel K<strong>in</strong>gsham legte se<strong>in</strong>e eigene Korrespon<strong>de</strong>nz und <strong>die</strong> se<strong>in</strong>es Stellvertreters zurSeite. Lan<strong>de</strong>r erspähte bereits <strong>die</strong> wohlbekannte Handschrift se<strong>in</strong>er Mutter auf <strong>de</strong>me<strong>in</strong>zigen Päckchen <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Sack. Wie je<strong>de</strong> Woche hatte sie ihm von zu Hause etwasgeschickt. Nur e<strong>in</strong>mal hatte sie es unterlassen, nämlich als sie vor sechs Wochen wegenBetty Halmers wütend gewesen war.Mittlerweile war das alles längst wie<strong>de</strong>r vergessen, und das Päckchen kam regelmäßig.E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung an zu Hause, e<strong>in</strong> Buch auf e<strong>in</strong>er Disc o<strong>de</strong>r eben immer etwasLeckeres zum Naschen.Vor Lan<strong>de</strong>r quittierte Fowley <strong>de</strong>n Erhalt e<strong>in</strong>es Briefes. Der Lieutenant bekam so gut wienie Post. Eigentlich erst seit zwei Wochen überhaupt, und selbst dann waren es nur Briefeund ke<strong>in</strong>e Päckchen. Auch jetzt e<strong>in</strong>e Woche vor Weihnachten nicht. Mitleid empfandLan<strong>de</strong>r trotz<strong>de</strong>m ke<strong>in</strong>es, und wenn Fowley auf <strong>die</strong> turnusmäßig ankommen<strong>de</strong>nFresspakete se<strong>in</strong>es jüngeren Zimmergenossen neidisch war, umso besser. Er bekamschließlich im Gegensatz zu früher auf <strong>de</strong>r Oxford re<strong>in</strong> überhaupt nichts mehr davon abund war wohl auch zu stolz, um danach zu fragen. Und selbst wenn er gefragt hätte, <strong>de</strong>rDritte Offizier war noch immer so wütend, dass er das Teilen vehement verweigert hätte.„Und Ihr wöchentliches Päckchen mit leedser Spezialitäten, Lieutenant“, sagte K<strong>in</strong>gshammit e<strong>in</strong>em Lächeln. Es war e<strong>in</strong> Witz auf se<strong>in</strong>e Kosten, aber Lan<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>rnicht böse. Er lachte sogar, als er <strong>die</strong> Quittung unterschrieb.Das Päckchen war heute größer als sonst. Natürlich, <strong>de</strong>nn es g<strong>in</strong>g ja mit großen Schrittenauf Weihnachten zu. Er war erst gestern daran er<strong>in</strong>nert wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn im ständigenSchiffsbetrieb vergaß man so etwas leicht. Er hätte nicht daran gedacht, schon jetztWeihnachtspost fertigzumachen, aber er hatte es gestern überhastet tun müssen.Er hoffte sogar tief <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Inneren, dass <strong>die</strong> Brisbane vielleicht für kle<strong>in</strong>ereReparaturen über Weihnachten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Werft gehen wür<strong>de</strong>, aber er ahnte schon, dass dasnichts wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Für se<strong>in</strong>e Familie auf Leeds wür<strong>de</strong> es somit das erste Fest ohneihren Sohn wer<strong>de</strong>n, da er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Jahren auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie immer e<strong>in</strong>e WocheFerien bekommen hatte. Im Schiffs<strong>die</strong>nst gab es so etwas natürlich nicht. Die Krim<strong>in</strong>ellenkannten ke<strong>in</strong> Weihnachtsfest - und aus <strong>de</strong>m Grund auch <strong>die</strong> im E<strong>in</strong>satz gegen siebef<strong>in</strong>dlichen Crews <strong>de</strong>r Royal Navy nicht.Das Yard wür<strong>de</strong> garantiert überbucht se<strong>in</strong>, weil alle Kommandanten am liebsten überWeihnachten re<strong>in</strong> zufälligerweise Reparaturen ausführen wollten, damit sie zu Hausefeiern konnten. Ja, <strong>die</strong> Geschenke wür<strong>de</strong>n e<strong>in</strong> Problem wer<strong>de</strong>n. Lan<strong>de</strong>r konnte ke<strong>in</strong>ekaufen, aber se<strong>in</strong>e Mutter konnte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Auftrag etwas erwerben. Sie hatte ohneWissen ihres Mannes <strong>de</strong>n Kreditchip <strong>de</strong>s Sub-Lieutenants bekommen. Ihr Sohn brauchte


<strong>in</strong> Tau-31 ohneh<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Geld. Jeremiah Lan<strong>de</strong>r hatte aus Pr<strong>in</strong>zip strikt abgelehnt, dassse<strong>in</strong> Sohn <strong>die</strong> Familie unterstützte, obwohl er am meisten ver<strong>die</strong>nte und das Geldpraktisch sonst nie gereicht hatte. Da Patrick Lan<strong>de</strong>r jedoch <strong>die</strong> Navy nicht wie verlangtverlassen wollte, hatte se<strong>in</strong> Vater völlig auf stur geschaltet. Der Sub-Lieutenant war nurgespannt, ob <strong>de</strong>r halsstarrige anglikanische Pfarrer ihm <strong>de</strong>nn wenigstens fröhlicheWeihnachten wünschen o<strong>de</strong>r auch das se<strong>in</strong> lassen wür<strong>de</strong>. Es wäre irgendwie scha<strong>de</strong>, wieer fand, <strong>de</strong>nn wenigstens an Weihnachten sollte man e<strong>in</strong>mal nicht streiten.Vielleicht gab es ja <strong>die</strong> Gelegenheit zu e<strong>in</strong>em klären<strong>de</strong>n Telefonat an Weihnachten, wenn<strong>die</strong> Funkverb<strong>in</strong>dung durch das Sprungtor zwischen Tau-31 und Leeds zufällig gut war. Erglaubte schon, dass <strong>de</strong>r Kommandant so etwas versuchen wür<strong>de</strong>. Je<strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong> wolltese<strong>in</strong>er Crew und sich selbst an Weihnachten etwas Gutes tun. E<strong>in</strong>e Klärung <strong>de</strong>rAngelegenheit mit se<strong>in</strong>em Vater wäre das schönste Geschenk, das Lan<strong>de</strong>r sich momentanvorstellen konnte.Der letzte Postsack war aus <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale ausgela<strong>de</strong>n, nun musste <strong>die</strong> Schiffspost <strong>de</strong>rCrew nach Hause e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Dafür gab es wun<strong>de</strong>rsamerweise stets wenigerFreiwillige als für das Ausla<strong>de</strong>n. Die Menge begann sich schon zu zerstreuen, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>Männer wussten e<strong>in</strong>es sehr genau: Die Letzten wür<strong>de</strong>n dazu verdonnert wer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong>vollen Säcke an Bord zu tragen. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>m, was sie bekamen, g<strong>in</strong>g je<strong>de</strong>Woche verdammt viel Post von <strong>de</strong>r Brisbane <strong>in</strong> Richtung Bretonia ab. Schreiben warwährend <strong>de</strong>r vielen Freizeit e<strong>in</strong>e gute Beschäftigung.Auch Patrick Lan<strong>de</strong>r schrieb je<strong>de</strong> Woche mehrere Briefe, um se<strong>in</strong>e Mutter an se<strong>in</strong>emLeben hier teilhaben zu lassen und ihr <strong>die</strong> Sorgen zu nehmen. Lei<strong>de</strong>r bekam Anne Lan<strong>de</strong>rsie immer alle auf e<strong>in</strong>mal, aber daran war nichts zu än<strong>de</strong>rn, wenn nur alle sieben Tagee<strong>in</strong> Frachter kam. Vermutlich las auch se<strong>in</strong> Vater jene Korrespon<strong>de</strong>nz, aber da warLan<strong>de</strong>r sich nicht sehr sicher.Die Weihnachtskarte mit <strong>de</strong>r Bibelszene, <strong>die</strong> Petty Officer Piper ihm auf Bitte h<strong>in</strong> gesternfür se<strong>in</strong>e Eltern gezeichnet und geschenkt hatte, war je<strong>de</strong>nfalls wun<strong>de</strong>rschön. DerUnteroffizier war künstlerisch sehr begabt, wie Lan<strong>de</strong>r fand. Se<strong>in</strong>e Mutter wür<strong>de</strong> sichsicherlich riesig darüber freuen. Die nächsten Briefe von ihrem Sohn wür<strong>de</strong> es ja erstnach Weihnachten geben, obwohl er wie<strong>de</strong>rum nächste Woche am 24. Dezember noche<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Päckchen von ihr bekommen wür<strong>de</strong>. Die Flugbereitschaft machte anWeihnachten stets Überstun<strong>de</strong>n, aber <strong>die</strong> zivile Post <strong>in</strong> Bretonia nicht. Lei<strong>de</strong>r.Er betastete das Päckchen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Hän<strong>de</strong>n und versuchte, schon zu erraten, was dar<strong>in</strong>war. Vielleicht e<strong>in</strong> verfrühtes Geschenk? Er war Offizier und <strong>de</strong>shalb hatte er Zeit. Ihnwür<strong>de</strong> niemand dazu verdonnern, <strong>die</strong> Post e<strong>in</strong>zula<strong>de</strong>n, also musste er nicht <strong>die</strong> schnelleFlucht vom Hangar<strong>de</strong>ck ergreifen wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Crewmitglie<strong>de</strong>r.Es klapperte leise, als er das Päckchen vorsichtig schüttelte. Das mochte auch e<strong>in</strong> Grundse<strong>in</strong>, warum Lionel K<strong>in</strong>gsham ihn gera<strong>de</strong> verulkt hatte. Dieses relative Theaterveranstaltete <strong>de</strong>r ungeduldige junge Sub-Lieutenant, <strong>de</strong>r am 25. Dezember, also <strong>in</strong>wenigen Tagen, se<strong>in</strong>en zwanzigsten Geburtstag feiern wür<strong>de</strong>, schließlich je<strong>de</strong> Woche!„Sir?“, hörte Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em Rücken, wie Fowley <strong>de</strong>n Comman<strong>de</strong>r ansprach.Das Klappern <strong>de</strong>s Paketes klang nach mehreren Frischhaltedosen. Lan<strong>de</strong>r jubilierte<strong>in</strong>nerlich. Die Größe passte auch. Se<strong>in</strong>e Mutter hatte bestimmt Plätzchen gebacken! Alle<strong>in</strong><strong>de</strong>r Gedanke daran ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und er konnte sichkaum beherrschen. Am liebsten hätte er es gleich hier und jetzt aufgerissen und davongenascht, aber das wollte er doch nicht tun. Er war Offizier - und <strong>die</strong> machten so etwasprivat und nicht vor <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Mannschaft.Er wandte sich ab und g<strong>in</strong>g mit langen Schritten zum Ausgang, aber er hörte nochK<strong>in</strong>gshams Worte: „Sorry, Lieutenant. Das ist völlig unmöglich. Wir s<strong>in</strong>d mitten imE<strong>in</strong>satzgebiet, und außer<strong>de</strong>m habe ich Ihnen schon damals freigegeben. Das Resultat<strong>de</strong>ssen war e<strong>in</strong>e schwere Bee<strong>in</strong>trächtigung <strong>de</strong>s ganzen Schiffsbetriebes. Sie können vonSub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r und Comman<strong>de</strong>r Raven nicht verlangen, dass sie vor und überWeihnachten auch noch zusätzlich Ihre Aufgaben übernehmen. Wenn je<strong>de</strong>r Mann aufme<strong>in</strong>em Schiff, aus <strong>de</strong>ssen Familie jemand erkrankt ist, plötzlich und sofort freihabenwollte, hätte ich bald ke<strong>in</strong>e Crew mehr. Das sehen Sie doch sicherlich e<strong>in</strong>.“Eigentlich war Lauschen nicht opportun, aber <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall musste Lan<strong>de</strong>r es e<strong>in</strong>fachtun, weshalb er se<strong>in</strong>en Schritt verlangsamte. Lei<strong>de</strong>r verstand er Fowleys Erwi<strong>de</strong>rungnicht, aber als K<strong>in</strong>gsham erneut sprach, klang <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Comman<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich


schärfer und lauter: „Ne<strong>in</strong>, Lieutenant, und dabei bleibt es! Wie Sie schon richtig sagten,treffe ich hier draußen <strong>die</strong> Entscheidungen, und das habe ich soeben getan! Das mitIhrem Vater tut mir natürlich sehr leid, aber dass er im Krankenhaus liegt, heißt nochlange nicht, dass er zwangsläufig stirbt. Ich kenne Ihren Vater persönlich, wie Sie wissen,und er wür<strong>de</strong> sicherlich nicht wollen, dass Sie wegen se<strong>in</strong>er Krankheit Ihre Pflichten beimir an Bord vernachlässigen. Nächste Woche können Sie vielleicht fliegen, aber <strong>die</strong>seWoche ist es zu kurzfristig. Stellen Sie e<strong>in</strong>en schriftlichen Antrag und reichen Sie ihn mirbis <strong>in</strong> vier Tagen e<strong>in</strong>. Dann sprechen wir noch e<strong>in</strong>mal darüber. Wegtreten, Lieutenant!“Da Fowley zwangsläufig <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Richtung kommen musste, beeilte Lan<strong>de</strong>r sich, <strong>in</strong> ihreKab<strong>in</strong>e zu kommen.Normalerweise hätte er jetzt damit angefangen, das Paket se<strong>in</strong>er Mutter auszupacken,aber nun stellte er es nur beschämt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Sp<strong>in</strong>d. Er hatte e<strong>in</strong>en Hass auf Fowley, aberer wusste dank <strong>de</strong>r Klatschrun<strong>de</strong>n damals, dass <strong>de</strong>r Lieutenant außer se<strong>in</strong>em Vateransche<strong>in</strong>end nieman<strong>de</strong>n mehr hatte. Se<strong>in</strong> älterer Bru<strong>de</strong>r war genau wie se<strong>in</strong>e Mutter tot,und se<strong>in</strong>e Schwester hatte sich nach <strong>de</strong>m Tod se<strong>in</strong>es besten Freun<strong>de</strong>s Keith Parryumgebracht. Wi<strong>de</strong>r Willen fühlte Lan<strong>de</strong>r mit se<strong>in</strong>em Vorgesetzten. Wenn er sichvorstellte, dass se<strong>in</strong>em Vater etwas zustieße… Wirklich e<strong>in</strong> Grund mehr, <strong>die</strong> Sachezwischen ihnen endlich <strong>in</strong>s Re<strong>in</strong>e zu br<strong>in</strong>gen, wie Lan<strong>de</strong>r jäh klar wur<strong>de</strong>.In fiebriger Hast suchte er se<strong>in</strong> Schreibzeug zusammen und wollte sich soeben an <strong>de</strong>nSchreibtisch setzen, als er draußen Schritte hörte. Lan<strong>de</strong>r warf e<strong>in</strong>en kurzen Blick <strong>in</strong> dasGesicht se<strong>in</strong>es here<strong>in</strong>kommen<strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rsachers und entschied, dass er ihn jetzt besseralle<strong>in</strong> lassen wür<strong>de</strong>. Der Lieutenant hatte se<strong>in</strong>e Züge komplett unter Kontrolle, aber erhielt <strong>de</strong>n Brief und <strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck hastig aufgerissenen Umschlag so fest <strong>in</strong> <strong>de</strong>rHand, dass es se<strong>in</strong>e Selbstbeherrschung Lügen strafte. Vor allem aber stand Angst <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Augen. Angst um e<strong>in</strong>en geliebten Menschen. Genau genommen um <strong>de</strong>n Letzten,<strong>de</strong>n er noch hatte.Als Lan<strong>de</strong>r bemerkte, wie nahe Fowley am Wasser baute, drängte er sich hastig an ihmvorbei. Se<strong>in</strong>en Brief konnte er auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Offiziersmesse schreiben. Mit viel Glück wür<strong>de</strong><strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale gleich noch unten stehen, wenn er sich nur kurz genug fasste. Er wolltenicht im gleichen Raum se<strong>in</strong>, wenn Fowley we<strong>in</strong>te. Er hatte es schon gesehen, aber eswar nichts, was er gerne wie<strong>de</strong>r erleben wür<strong>de</strong>. Auch <strong>de</strong>r Zweite Offizier mochte ihnwie<strong>de</strong>rum nicht son<strong>de</strong>rlich gut lei<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>shalb wäre für sie bei<strong>de</strong> besser, wennLan<strong>de</strong>r das Feld räumte. Das machte es allgeme<strong>in</strong> leichter, <strong>die</strong> Gefühle auszuklammernund auf <strong>de</strong>r re<strong>in</strong> <strong>die</strong>nstlichen Ebene zu bleiben. Fowleys private Probleme g<strong>in</strong>gen ihnnichts an.Als er trotz<strong>de</strong>m hörte, wie <strong>de</strong>r Ranghöhere sich nicht mehr beherrschen konnte und leiseaufschluchzte, blieb Lan<strong>de</strong>r kurz an <strong>de</strong>r Tür stehen und sagte dann ruhig: „Ich wer<strong>de</strong>Comman<strong>de</strong>r Raven sagen, dass ich Sie auf <strong>de</strong>r Nachmittagswache vertrete. Es wäre nettvon Ihnen, wenn Sie mich um sechs dann zur Abendwache ablösen o<strong>de</strong>r gegebenenfallsMister Raven Bescheid sagen wür<strong>de</strong>n, damit er es tut, Sir.“Bevor se<strong>in</strong> aufgelöster Vorgesetzter etwas darauf sagen konnte, eilte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Richtung<strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Offiziersmesse.Er überlegte kurz und begann dann am Esstisch, <strong>de</strong>n Brief an se<strong>in</strong>en Vater zu schreiben.Als er e<strong>in</strong>e gute Stun<strong>de</strong> später fertig war und <strong>de</strong>n Umschlag beschriftet hatte, hastete erzum Hangar<strong>de</strong>ck, um ihn noch schnell <strong>de</strong>m Piloten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand zu drücken. Lei<strong>de</strong>r hatteer schreckliches Pech. Das kle<strong>in</strong>e Hangar<strong>de</strong>ck war bis auf ihre vier eigenen Raumschiffebereits leer.Chief Wayland arbeitete mit se<strong>in</strong>em Team an e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Jäger. „Bisschen spät für<strong>die</strong> Weihnachtskarte, Sir!“, rief <strong>de</strong>r Cheftechniker ihm zu. „Die s<strong>in</strong>d vor fünf M<strong>in</strong>utenweg.“„Ne<strong>in</strong>, ist e<strong>in</strong> privater Brief, Chief. Er hat auch bis nächste Woche Zeit. Me<strong>in</strong>eWeihnachtsgrüße s<strong>in</strong>d gottlob mit rausgegangen.“ Trotz<strong>de</strong>m ärgerte Lan<strong>de</strong>r sich, ohne zuwissen, warum. Nun wür<strong>de</strong> er <strong>die</strong>se Angelegenheit eben noch e<strong>in</strong>e Woche länger mit sichherumtragen müssen. Wenn er an Weihnachten vielleicht telefonieren konnte, wür<strong>de</strong> essich ja sowieso erübrigen. Er wür<strong>de</strong> auf das klären<strong>de</strong> Gespräch mit se<strong>in</strong>em Vaterbestehen. Weihnachten war nicht umsonst das Fest <strong>de</strong>r Liebe und Versöhnung!Nun wur<strong>de</strong> es aber höchste Zeit, zur Rout<strong>in</strong>e <strong>de</strong>s täglichen Bord<strong>die</strong>nstes zurückzukehren.Er sah auf <strong>die</strong> Uhr und fluchte. Es war 1203, und damit hatte <strong>die</strong> Nachmittagswache


schon begonnen. Erasmus Raven musste abgelöst wer<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>r gleich garantierterfolgen<strong>de</strong> Anpfiff war ver<strong>die</strong>nt, weil <strong>de</strong>r Dritte Leutnant Fowley ja aus Mitleid angebotenhatte, ihn zu vertreten. Nun ha<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r mit sich selbst und fragte sich, wieso er dasüberhaupt offeriert hatte. Gleichzeitig wusste er jedoch auch, dass er wie<strong>de</strong>r so han<strong>de</strong>lnwür<strong>de</strong>. Die Menschlichkeit gebot es.Der Erste Offizier war jedoch nicht son<strong>de</strong>rlich wütend, als <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant nach e<strong>in</strong>emerneuten raschen Lauf auf <strong>de</strong>r Brücke ankam und ihn grüßte.„Ah, Mister Lan<strong>de</strong>r. Ich hatte mich bereits gefragt, wann Sie kommen wür<strong>de</strong>n.“„Tut mir leid, Sir. Ich hatte Lieutenant Fowley angeboten…“, keuchte Lan<strong>de</strong>r.„… ihn zu vertreten. Das ist mir bekannt, Lieutenant. Er war vor e<strong>in</strong>er halben Stun<strong>de</strong>hier, um es mir zu sagen. Ihm war wirklich nicht wohl, wie es aussah. Ich habe michgera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>fach überraschen lassen, wann Sie <strong>de</strong>nn endlich zu ersche<strong>in</strong>en geruhen.“„Wird nicht wie<strong>de</strong>r vorkommen, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r steckte <strong>de</strong>n Brief, <strong>de</strong>n er noch immerfesthielt, <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche.„Das hoffe ich doch. Es wäre vermutlich auch nicht vorgekommen, wenn Sie etwasbesser <strong>in</strong> Form wären. Nur weil wir <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen wenige Außene<strong>in</strong>sätze hatten,heißt das noch lange nicht, dass Sie sich gehen lassen dürfen.“„Ja, Sir… ich me<strong>in</strong>e, ne<strong>in</strong>, Sir!“ Lan<strong>de</strong>r war <strong>in</strong> Gedanken immer noch bei <strong>de</strong>m Brief.„Zuhören müssen Sie auch noch lernen, wie mir sche<strong>in</strong>t. Ich löse Sie nachher um 1800auf <strong>de</strong>r Brücke ab. Lieutenant Fowley ist für heute vom Dienst befreit.“„Ist gut, Sir. Danke.“„Morgen, wenn <strong>de</strong>r Lieutenant wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong>nstfähig ist und wir bei<strong>de</strong> nicht mehr Wache umWache gehen müssen, wer<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n Schiffsarzt damit beauftragen, <strong>die</strong> Defizite Ihrerkörperlichen Fitness festzustellen. Dazu wer<strong>de</strong>n Sie sich um 1200 <strong>in</strong> IhremTra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsanzug auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>f<strong>in</strong><strong>de</strong>n und unter ärztlicher Aufsicht e<strong>in</strong>enzweistündigen Belastungstest absolvieren. Ist das klar?“Lan<strong>de</strong>rs K<strong>in</strong>nla<strong>de</strong> fiel herunter, aber er klappte <strong>de</strong>n Mund schnellstmöglich zu. „Ja, Sir.“„Fe<strong>in</strong>, Lieutenant. Ich habe <strong>die</strong> Wachübergabe bereits vor fünf M<strong>in</strong>uten im Logbuche<strong>in</strong>getragen. Übernehmen Sie bitte.“„Ich übernehme hiermit <strong>die</strong> Wache, Sir.“Mit e<strong>in</strong>em Nicken quittierte Raven <strong>die</strong>se Worte und verließ <strong>die</strong> Brücke. Tief durchatmendwischte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Schweiß von <strong>de</strong>r Stirn. Er fluchte <strong>in</strong>nerlich, <strong>de</strong>nn das wür<strong>de</strong>morgen garantiert nicht angenehm wer<strong>de</strong>n. Der ihnen zugeteilte neue Schiffsarzt war e<strong>in</strong>echter Leutesch<strong>in</strong><strong>de</strong>r, was das anbelangte. Vor allem aber verrieten <strong>die</strong> erheitertenGesichter <strong>de</strong>r Brückencrew ihm, dass das zweistündige Strafexerzieren <strong>de</strong>s bei <strong>de</strong>rMannschaft nicht unbeliebten Dritten Offiziers für <strong>die</strong> Crew morgen garantiert das Event<strong>de</strong>s Tages wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Er wür<strong>de</strong> viele feixen<strong>de</strong> Zuschauer haben, <strong>de</strong>nn es wür<strong>de</strong> sichwie e<strong>in</strong> Lauffeuer an Bord herumsprechen.„Wie mir sche<strong>in</strong>t, haben Sie alle nichts zu tun, Gentlemen. Außer dumm zu gr<strong>in</strong>sen,versteht sich. Falls jemand weiterh<strong>in</strong> damit fortfahren möchte, wer<strong>de</strong> ich e<strong>in</strong> gutes Wortbeim Comman<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>legen, damit <strong>de</strong>r Betreffen<strong>de</strong> am morgigen Tag an me<strong>in</strong>emsportlichen Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g teilhaben darf. Wür<strong>de</strong> Ihnen allen genauso wenig scha<strong>de</strong>n wie mir,nehme ich mal stark an, also nur zu.“Nun war es an ihm, zu gr<strong>in</strong>sen, da <strong>die</strong> Mannschaft von jetzt auf nachher plötzlichto<strong>de</strong>rnst aussah. Scha<strong>de</strong>nfroh waren sie gerne, aber Lauftra<strong>in</strong><strong>in</strong>g rund um dasHangar<strong>de</strong>ck, Liegestütze sowie Sit-ups und ähnliche Nettigkeiten unter Aufsicht <strong>de</strong>sstrengen Bordarztes, darauf konnten sie gerne verzichten. Genau wie Lan<strong>de</strong>r auch, aberBefehl blieb Befehl. Niemand verspätete sich ungestraft, wenn er Comman<strong>de</strong>r ErasmusRaven ablösen sollte. Der Tiger hatte sich aber schon <strong>in</strong> das re<strong>in</strong>ste Lamm verwan<strong>de</strong>lt,<strong>de</strong>nn früher wäre Patrick Lan<strong>de</strong>r hochkant von <strong>de</strong>r Oxford geflogen, wenn er es auch nure<strong>in</strong>mal gewagt hätte, sich zu verspäten. Nun gab es nur noch das, was es für alle gab:Saures und Extra<strong>die</strong>nst.Damit konnte er wirklich leben. Die Brisbane war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen wirklich se<strong>in</strong>Zuhause gewor<strong>de</strong>n. Nicht se<strong>in</strong>e Heimat, aber wenigstens se<strong>in</strong> Zuhause. Bald waraußer<strong>de</strong>m noch Weihnachten, und garantiert wür<strong>de</strong> es an Bord gefeiert wer<strong>de</strong>n. Daraufkonnte man sich freuen. Momentan war <strong>die</strong> Welt abgesehen von e<strong>in</strong>igen kle<strong>in</strong>enWölkchen am strahlend blauen Himmel für ihn wirklich völlig <strong>in</strong> Ordnung.


„E<strong>in</strong> Funkspruch, Sir“, mel<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Kommunikationsoffizier.„Wer?“, wollte Patrick Lan<strong>de</strong>r wissen und schaute rout<strong>in</strong>emäßig auf <strong>die</strong> Uhr. 1533, alsoetwas mehr als <strong>die</strong> Hälfte <strong>de</strong>r Wache war um. Die stets korrekte Uhrzeit war für dasSchiffslogbuch wichtig.„E<strong>in</strong> Eilfrachter, Sir. Er sen<strong>de</strong>t <strong>die</strong> aktuellen Co<strong>de</strong>s und for<strong>de</strong>rt sofortige Lan<strong>de</strong>erlaubnis.“„Er for<strong>de</strong>rt?“ Lan<strong>de</strong>r traute se<strong>in</strong>en Ohren kaum.„Ja, Sir. Genauso hat er sich ausgedrückt.“„Er ist auf <strong>de</strong>m Radar, Sir. Der Signatur nach e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale. Sie wird von e<strong>in</strong>er ganzenJägerstaffel eskortiert.“„Sagen Sie <strong>de</strong>m Piloten, dass er warten soll.“ Er wusste sich auch nach kurzem<strong>in</strong>tensiven Nach<strong>de</strong>nken noch immer ke<strong>in</strong>en Reim darauf zu machen. „Rufen Sie Capta<strong>in</strong>K<strong>in</strong>gsham auf <strong>die</strong> Brücke.“Das war gleichbe<strong>de</strong>utend damit, alle Führungsoffiziere zu rufen. Rief man e<strong>in</strong>en perIntercom aus, wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren schon gleich kommen, um zu hören, was los war. DasIntercom wur<strong>de</strong> sonst nicht allzu oft benutzt, weshalb e<strong>in</strong>e Verwendung relativ sichergarantierte, dass es e<strong>in</strong>en wichtigen Anlass gab.Während er <strong>die</strong> vorgeschriebene Logbuche<strong>in</strong>tragung machte, störte ihn <strong>de</strong>rKommunikationsoffizier: „Eh, Sir… ich habe e<strong>in</strong>en Admiral <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Leitung. Er möchte Siesprechen.“Lan<strong>de</strong>r riss <strong>die</strong> Augen auf und schluckte. Im Logbuch stand jetzt schwarz auf weiß, dasser als kle<strong>in</strong>er wachhaben<strong>de</strong>r Sub-Lieutenant soeben e<strong>in</strong>em ranghohen Admiral <strong>die</strong>Lan<strong>de</strong>erlaubnis verweigert hatte. Ihm wur<strong>de</strong> ganz schön mulmig, als er <strong>de</strong>n Kopfhörerergriff.„Bretonischer Patrouillenkreuzer Brisbane, Offizier <strong>de</strong>r Wache.“„S<strong>in</strong>d Sie von allen guten Geistern verlassen? Für wen halten Sie sich eigentlich? ErteilenSie uns sofortige Lan<strong>de</strong>erlaubnis und teilen Sie <strong>de</strong>r Crew mit, dass sämtlicheBesatzungsmitglie<strong>de</strong>r mit Ausnahme <strong>de</strong>r Brücken- und Masch<strong>in</strong>enraumwache sich sofortauf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>zuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n haben!“Wer es auch immer war, er war wütend. Verstört versuchte Lan<strong>de</strong>r, sich zu sammeln.Dies war zum Glück e<strong>in</strong> verschlüsselter militärischer Kanal, und da sie sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten befan<strong>de</strong>n, hörte vermutlich sonst niemand mit. Niemand außer jenemFrachter, <strong>de</strong>r Eskorte und ihnen. „Sir, ich b<strong>in</strong> nur <strong>de</strong>r Dritte Offizier und habe hier ke<strong>in</strong>eBefugnis…“In <strong>die</strong>sem Moment kam zum Glück Erasmus Raven auf <strong>die</strong> Brücke. Er hatte wohl <strong>in</strong> <strong>de</strong>rOffiziersmesse e<strong>in</strong>en Happen gegessen, <strong>de</strong>nn auf se<strong>in</strong>er teuren Uniform befan<strong>de</strong>n sichKrümel.„Moment, ich übergebe das Gespräch an <strong>de</strong>n Ersten Offizier, Sir.“Raven sah sehr irritiert aus, als Lan<strong>de</strong>r ihm e<strong>in</strong>fach <strong>de</strong>n Kopfhörer reichte - froh, ihnselbst los zu se<strong>in</strong>. „E<strong>in</strong> Admiral, Sir. Er verlangt sofortige Lan<strong>de</strong>erlaubnis und will, dasswir <strong>die</strong> Mannschaft auf <strong>de</strong>m Deck antreten lassen, um ihn zu empfangen.“„Verstan<strong>de</strong>n.“ Der Stellvertreter <strong>de</strong>s Kommandanten gestikulierte <strong>de</strong>mKommunikationsoffizier, dass er <strong>die</strong> Tonübertragung e<strong>in</strong>schalten solle. „Comman<strong>de</strong>rRaven, Sir. Exekutivoffizier.“Lan<strong>de</strong>r trat <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv zurück, als er <strong>de</strong>n Mann im Cockpit <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale brüllen hörte,und betete, dass <strong>de</strong>r Ankömml<strong>in</strong>g es nachher vergessen haben wür<strong>de</strong>, falls sie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rirgendwie begegneten.„Da s<strong>in</strong>d sie.“ Der Navigationsoffizier <strong>de</strong>utete h<strong>in</strong>aus, wo eben e<strong>in</strong>e relativ geordneteJägerformation e<strong>in</strong>traf. Sie gruppierten sich um e<strong>in</strong>en Frachter <strong>in</strong> ihrer Mitte. Dass Tau-31 voller Asteroi<strong>de</strong>n war, schien sie nur ger<strong>in</strong>gfügig zu stören. Die grüne Cly<strong>de</strong>sdale trugan ihren Seiten <strong>die</strong> Markierungen <strong>de</strong>r Flugbereitschaft von Southampton.Ruhig und ohne <strong>die</strong> Miene zu verziehen, hörte Raven sich das andauern<strong>de</strong> Geschrei imFunk an und bestätigte schließlich: „Ja, Sir. Natürlich, Admiral. Wird alles sofort erledigt.In e<strong>in</strong>er M<strong>in</strong>ute bekommen Sie <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>erlaubnis. Es ist nur lei<strong>de</strong>r so, dass unsereSchleuse nicht ganz e<strong>in</strong>wandfrei funktioniert. Der Dritte Offizier hat auf allgeme<strong>in</strong>eAnweisung h<strong>in</strong> lediglich unterlassen, Sie darauf h<strong>in</strong>zuweisen.“


Überrascht hörte Lan<strong>de</strong>r das e<strong>in</strong>seitige Gespräch und musterte Raven verblüfft. DieSchleuse hatte noch nie Probleme gemacht, und e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong> Anweisung gabes überhaupt nicht!„Kommandant auf <strong>de</strong>r Brücke!“, rief jemand gedämpft.Noch bevor jemand aufstehen konnte, hatte K<strong>in</strong>gsham auch schon abgew<strong>in</strong>kt. Derstehen<strong>de</strong> Patrick Lan<strong>de</strong>r salutierte trotz<strong>de</strong>m und sah <strong>de</strong>n Blick, <strong>de</strong>n <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>nVorgesetzten tauschten.„Was ist los, Lieutenant?“, zischte e<strong>in</strong>e kaum hörbare Stimme h<strong>in</strong>ter ihm. Sie gehörtee<strong>in</strong>em relativ blassen Daniel Fowley, <strong>de</strong>r ebenfalls gekommen war.„Admirals<strong>in</strong>spektion. Passiert manchmal. Nun trifft es eben uns.“ Raven schien es zuallen zu sagen und wandte sich ab.„Ausgerechnet so kurz vor Weihnachten. Wer ist es <strong>de</strong>nn, Erasmus?“„Admiral Wesley mit se<strong>in</strong>em Stab. Hat unseren Sub kalt erwischt.“„Der hat auch sonst nichts Besseres zu tun, wie mir sche<strong>in</strong>t.“ Es war unklar, ob K<strong>in</strong>gshamdamit Lan<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Admiral me<strong>in</strong>te.Der Dritte Offizier war jedoch zusammengezuckt, als er <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s Admirals gehörthatte. Stabsoffizier Duncan Avery saß aller Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit dort <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale.Wesley war <strong>de</strong>ssen vorgesetzter Admiral. Lan<strong>de</strong>r glaubte nicht an Zufälle, und plötzlichahnte er, was hier lief.Lionel K<strong>in</strong>gsham hatte sich jedoch wie<strong>de</strong>r gefasst. „Wir wer<strong>de</strong>n das auch nochüberstehen. Erasmus, kümmere du dich um das Hangar<strong>de</strong>ck. Der Chief müsste noch dortse<strong>in</strong> und an e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Crusa<strong>de</strong>r arbeiten. Ich will, dass se<strong>in</strong>e Leute verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n unddas Deck or<strong>de</strong>ntlich aussieht. Er soll alles vorbereiten. Das mit <strong>de</strong>r Schleuse war e<strong>in</strong>guter E<strong>in</strong>fall und hat uns Zeit erkauft.“Raven nahm das Lob schweigend zur Kenntnis und eilte davon.K<strong>in</strong>gsham drehte sich nach <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren um und bemerkte zuerst <strong>de</strong>n bleichen ZweitenOffizier. „Ah, Mister Fowley. Sie können <strong>die</strong> Mannschaft auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck antretenlassen. Natürlich nur, falls Sie sich gesundheitlich dazu <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage sehen.“ Der Tonfall<strong>de</strong>s Kommandanten grenzte fast an Spott, da er <strong>de</strong>n Grund für das Unwohlse<strong>in</strong> ja kannteund offensichtlich nicht billigte.„Natürlich, Sir!“ Fowley verschwand ebenfalls wie <strong>de</strong>r Blitz. Er war noch genauso blasswie zuvor und schien froh zu se<strong>in</strong>, wegzukommen.„Mister Lan<strong>de</strong>r, Sie haben weiterh<strong>in</strong> <strong>die</strong> Wache. Behalten Sie Kurs und Geschw<strong>in</strong>digkeitbei. Geben Sie durch, dass <strong>die</strong> Crew sich ausnahmslos zur Musterung auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>zuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n hat. Lassen Sie ruhig ankl<strong>in</strong>gen, dass es sich um e<strong>in</strong>en Admiralhan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r uns beehrt. Wir bekommen so selten Besuch, und wenn wenigstens e<strong>in</strong> paarLeute ihre gute Uniform anlegen, wird es sicherlich nicht scha<strong>de</strong>n. Die Cly<strong>de</strong>sdale erhältnatürlich <strong>in</strong> fünf M<strong>in</strong>uten sofortige Lan<strong>de</strong>erlaubnis, da <strong>die</strong> Schleuse dann wie<strong>de</strong>rfunktioniert, und <strong>die</strong> Crusa<strong>de</strong>rs bekommen unsere volle Waffenunterstützung, falls sievon Krim<strong>in</strong>ellen angegriffen wer<strong>de</strong>n. Ich b<strong>in</strong> zuversichtlich, dass <strong>de</strong>r Admiral nach <strong>de</strong>rKontrolle wie<strong>de</strong>r abziehen wird, und wer<strong>de</strong> Sie als wachhaben<strong>de</strong>n Offizier natürlichentschuldigen.“„Ja, Sir. Danke.“„Weitermachen!“Die <strong>die</strong>nsthaben<strong>de</strong> Crew blieb alle<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>r Brücke zurück. Die Leute schwatzten erregtmite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, aber Lan<strong>de</strong>r verbot es ihnen nicht. Der Kommunikationsoffizier machte <strong>die</strong>nötige weitere Intercomdurchsage, erwähnte wie gewünscht das Wort Admiral, und dannwarteten sie.Erneut fragte <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale nach <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>erlaubnis, und Lan<strong>de</strong>r erteilte sie nach e<strong>in</strong>emzögerlichen Blick auf <strong>die</strong> Uhr. Sie sagte 1546.Auch er ließ nach <strong>die</strong>ser Lüge mit <strong>de</strong>r Schleuse <strong>die</strong> Gedanken schweifen und wur<strong>de</strong> sichdarüber klar, dass er sicherlich etwas Be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s verpasste. Die Mosaikste<strong>in</strong>ebegannen, sich zu e<strong>in</strong>en unvollständigen Bild zusammenzufügen, das aber langsam e<strong>in</strong>enersten S<strong>in</strong>n ergab.Duncan Avery war e<strong>in</strong> Bauste<strong>in</strong> <strong>de</strong>s Puzzles. Die auf Planet Leeds durchgeführte,merkwürdige Befragung hatte zu e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ternen Untersuchung gehört, so viel warmittlerweile klar. Nur gegen wen? Gegen K<strong>in</strong>gsham? Gegen Raven o<strong>de</strong>r Fowley? Wür<strong>de</strong>e<strong>in</strong> Adliger e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>es Verbrechens bezichtigen und ihn womöglich absetzen?


Warum wartete <strong>die</strong> Admiralität nicht, bis das Schiff wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Yard kam? Wieso rief man<strong>die</strong> Brisbane nicht unter e<strong>in</strong>em Vorwand zurück nach New London <strong>in</strong> <strong>die</strong> Werft?Vielleicht lag er ja auch falsch und bil<strong>de</strong>te sich etwas e<strong>in</strong>.E<strong>in</strong> dumpfes Rumpeln erklang. Es g<strong>in</strong>g mit e<strong>in</strong>er leichten Vibration e<strong>in</strong>her.„Was war <strong>de</strong>nn das?“, fragte jemand.Obwohl <strong>die</strong> Frage nicht an ihn gerichtet war, konnte Lan<strong>de</strong>r nur <strong>die</strong> Achseln zucken. Erhatte jedoch als wachhaben<strong>de</strong>r Offizier e<strong>in</strong>e Entscheidung zu treffen. Falls das Schiffbee<strong>in</strong>trächtigt o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Gefahr war…„Antrieb herunterregeln und das Schiff stoppen! Teilen Sie <strong>de</strong>n Crusa<strong>de</strong>rs da draußenunsere Intention mit.“„Aber <strong>die</strong> Befehle von Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham!“, warnte ihn <strong>de</strong>r Navigationsoffizier.„Danke, Mister Hickers. Solange ich nicht weiß, was das war, gehe ich aber lieber aufNummer sicher.“ Es klang wie e<strong>in</strong>e Entschuldigung, obwohl es ke<strong>in</strong>e se<strong>in</strong> sollte. Lan<strong>de</strong>rwar wütend auf sich selbst. Wieso rechtfertigte er sich eigentlich? Er hatte se<strong>in</strong>enErmessensspielraum, und <strong>die</strong> Sicherheit g<strong>in</strong>g immer vor!Er trat zur Kommunikationskonsole. „Geben Sie mir <strong>de</strong>n Masch<strong>in</strong>enraum.“B<strong>in</strong>nen Sekun<strong>de</strong>n hatte er se<strong>in</strong>e <strong>in</strong>terne Schaltung, und e<strong>in</strong> Techniker mel<strong>de</strong>te sich:„Masch<strong>in</strong>enraum.“ Der stellvertreten<strong>de</strong> Ingenieur. Auch Chief Wayland war wohl auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck. Verständlich, da er <strong>de</strong>r ranghöchste Unteroffizier auf <strong>de</strong>m Schiff und damitauch für Diszipl<strong>in</strong> sowie vieles mehr zuständig war.„Wachhaben<strong>de</strong>r Offizier, Brücke. Was war <strong>die</strong>ses Geräusch gera<strong>de</strong>?“„Kann ich Ihnen nicht sagen, Sir. Von uns kam es je<strong>de</strong>nfalls nicht. Erst habe ich jagedacht, es wäre e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Jungs gewesen, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Megafurz gelassen hat, aber…“„Danke“, kanzelte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Techniker knapp ab. „Wo kam es Ihrer Me<strong>in</strong>ung nach her?“„Vermutlich vom Hangar<strong>de</strong>ck, Lieutenant. Klang fast nach e<strong>in</strong>er Explosion.“Mit e<strong>in</strong>em unchristlichen Fluch, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>em Vater zu Hause <strong>die</strong> Haare zu Berge stehenlassen wür<strong>de</strong>, been<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dung. Der Masch<strong>in</strong>enraum lag näheram Hangar<strong>de</strong>ck als <strong>die</strong> Brücke, also hatten <strong>die</strong> Leute dort auch mehr gehört.‚Nicht schon wie<strong>de</strong>r!’, schoss ihm durch <strong>de</strong>n Kopf. Die Oxford hatte so geen<strong>de</strong>t.„Scha<strong>de</strong>nskontrolle?“Der zuständige Unteroffizier checkte se<strong>in</strong>e Anzeigen. „Alles nom<strong>in</strong>al, das heißt, mir wur<strong>de</strong>kurz e<strong>in</strong> Feueralarm auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck angezeigt. Noch bevor <strong>de</strong>r akustische Alarmausgelöst hat, war es jedoch schon wie<strong>de</strong>r vorbei.“„Lecks und Atmosphäre?“„Hüllen<strong>in</strong>tegrität e<strong>in</strong>hun<strong>de</strong>rt Prozent, Sir. Ke<strong>in</strong>e Lecks, ke<strong>in</strong>e Schä<strong>de</strong>n. Atmosphäre istvorhan<strong>de</strong>n, ke<strong>in</strong> Druckabfall.“Unsicher sah Lan<strong>de</strong>r sich um. Hier war jedoch niemand, <strong>de</strong>r ihm half. Nur Leute, <strong>die</strong>Befehle erwarteten. Von ihm. Se<strong>in</strong>e Schreckensvision war, dass <strong>de</strong>r Kommandant undalle an<strong>de</strong>ren gefallen waren, und Lan<strong>de</strong>r plötzlich alle<strong>in</strong> das Schiff komman<strong>die</strong>ren musste.Das trieb ihm <strong>de</strong>n Schweiß auf <strong>die</strong> Stirn. Er versuchte, sich an Verfahren zu er<strong>in</strong>nern, <strong>die</strong>man ihm e<strong>in</strong>gedrillt hatte, aber es gab ke<strong>in</strong> Protokoll für <strong>de</strong>rartige D<strong>in</strong>ge. Er musste nachErfahrung agieren, o<strong>de</strong>r besser gesagt, da <strong>die</strong>se ihm fehlte: schätzen und raten. „GebenSie mir e<strong>in</strong>e Leitung zum Hangar<strong>de</strong>ck und fragen Sie <strong>die</strong> Crusa<strong>de</strong>rs, ob wir irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>enScha<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Schiffsunterseite haben. Vielleicht sp<strong>in</strong>nen <strong>die</strong> Sensoren.“ Schlimmer alsjetzt konnte es ja gar nicht mehr wer<strong>de</strong>n. Die Ungewissheit war quälend. Vermutlichwür<strong>de</strong> er sich nur lächerlich machen, aber…„Hangar<strong>de</strong>ck. Es spricht <strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong>.“ Unverkennbar K<strong>in</strong>gshams Stimme. Er klang jedochangespannt.„Wachhaben<strong>de</strong>r Offizier, Brücke, Sir. Ist alles <strong>in</strong> Ordnung bei Ihnen? Wir haben hier obenetwas gehört und e<strong>in</strong>e Vibration gespürt.“„Alles <strong>in</strong> bester Ordnung, Lieutenant.“„Wirklich, Sir?“„Aber sicher, wenn ich es Ihnen doch sage.“ Nun klang er auch noch genervt, weil se<strong>in</strong>jüngster Offizier se<strong>in</strong>e Worte anzweifelte. „Hören Sie, <strong>de</strong>r Admiral wartet nicht gern. Ichschicken Ihnen Comman<strong>de</strong>r Raven und lasse Sie durch ihn ablö…“E<strong>in</strong> gellen<strong>de</strong>r Schrei unterbrach K<strong>in</strong>gsham mitten im Satz. Es klang wie e<strong>in</strong> Mensch, <strong>de</strong>rgrößte Schmerzen litt, aber dar<strong>in</strong> hatte e<strong>in</strong> Wort gelegen. Dieses Wort lautete Mayday.Danach war <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dung tot. Unterbrochen o<strong>de</strong>r been<strong>de</strong>t.


Für e<strong>in</strong>en Moment glaubte Lan<strong>de</strong>r, dass er <strong>in</strong> Ohnmacht fallen müsste. Se<strong>in</strong>e Knie gabennach, und er musste sich an <strong>de</strong>r Konsole festhalten. Mayday. Nichts an<strong>de</strong>res als: ‚B<strong>in</strong> <strong>in</strong>Not, benötige sofortige Hilfe.’Er musste sich verhört haben, aber <strong>de</strong>r Schrei war echt gewesen. Das Rumpeln konnteauch Teil e<strong>in</strong>es Kampfes gewesen se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Explosion hatte <strong>de</strong>r Techniker gesagt.Vielleicht von e<strong>in</strong>er Handgranate. Wer gegen wen gekämpft hatte, war nicht e<strong>in</strong><strong>de</strong>utigfeststellbar. Nur das, was getan wer<strong>de</strong>n musste. „Petty Officer Hickers, bitte verriegelnSie das Schott!“Er konnte nur darauf bauen, dass sie nicht wussten, was geschehen war. DerKommunikationsoffizier mochte zwar <strong>de</strong>n Schrei gehört haben, aber nichts sonst.Irgen<strong>de</strong>twas war geschehen, und Lan<strong>de</strong>r konnte nieman<strong>de</strong>m mehr trauen!Die Unteroffiziere tauschten Blicke, aber schließlich gab <strong>de</strong>r Navigationsoffizier <strong>de</strong>mDrängen <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Stimme doch nach. „Was ist passiert, Sir?“„Es hat unten e<strong>in</strong>en Crash gegeben, aber zum Glück ist unser Schiff nicht wesentlichbeschädigt wor<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>ige Menschen wur<strong>de</strong>n aber verletzt.“ Mehr konnte er nicht sagen,dafür war das Gespräch zu kurz gewesen. „Der Kommandant hat mich angewiesen, alsVorsichtsmaßnahme das Schott zu schließen.“ Er hielt <strong>in</strong>ne, weil ihm e<strong>in</strong>e I<strong>de</strong>e kam.„Dieses… und alle an<strong>de</strong>ren, falls doch noch irgendwo Lecks entstehen sollten. Bitte führenSie <strong>die</strong>sen Befehl unverzüglich aus.“In <strong>de</strong>r Tat legte <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nskontrolloffizier, <strong>de</strong>r genauso erschrocken aussah wie allean<strong>de</strong>ren, <strong>die</strong> Schalter um. Das wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r weitere Sekun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r hoffentlich garM<strong>in</strong>uten erkaufen. Die Frage war nur, wofür.‚Wenn jemand Mayday sen<strong>de</strong>t, setzt er e<strong>in</strong>en Notruf mit se<strong>in</strong>er Position ab.’ Glasklarstand ihm nun vor Augen, was er tun sollte.„Geben Sie mir e<strong>in</strong>e offene Leitung.“„E<strong>in</strong>e offene Leitung, Sir? Wollen Sie mit <strong>de</strong>n Piloten <strong>de</strong>r Eskorte sprechen?“„Ne<strong>in</strong>. Ich will mit allen Schiffen im Sektor sprechen, <strong>die</strong> ich erreichen kann!“Sie sahen ihn an als wäre er verrückt gewor<strong>de</strong>n. Das spielte jedoch ke<strong>in</strong>e Rolle. Er hattedas Gefühl, sich h<strong>in</strong>setzen zu müssen, aber er kämpfte dagegen an.„Offene Leitung steht, Sir. Ich mache Sie nur darauf aufmerksam, dass <strong>die</strong>s e<strong>in</strong> völligunverschlüsselter…“„Ich weiß, dass e<strong>in</strong> offener Kanal unverschlüsselt ist. Danke!“, fauchte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Mannan. Dann begann er, <strong>in</strong> das Mikro zu sprechen: „Mayday, Mayday, Mayday. Hier spricht<strong>de</strong>r bretonische Patrouillenkreuzer Brisbane…“ Sie<strong>de</strong>nd heiß stellte sich ihm <strong>die</strong> Frage,was er <strong>de</strong>nn eigentlich sagen wollte. Er setzte gera<strong>de</strong> auf ohne Genehmigung se<strong>in</strong>erVorgesetzten völlig auf eigene Faust e<strong>in</strong>en Notruf ab, bloß weil irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> Verrückter sichauf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck vielleicht e<strong>in</strong>en Scherz erlaubt hatte! ‚Sag e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> Wahrheit!’,durchzuckte ihn e<strong>in</strong> Gedanke. „Dritter Offizier Patrick Lan<strong>de</strong>r ist am Funk. Dr<strong>in</strong>gendsteÜbermittlung an <strong>die</strong> bretonische Admiralität: Mel<strong>de</strong> mutmaßlich schwere Kämpfe auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>s Schiffes nach Landung e<strong>in</strong>es Eilfrachters <strong>de</strong>r bretonischen Admiralität,vielleicht sogar mit Verletzten o<strong>de</strong>r gar Toten nach e<strong>in</strong>er möglichenHandgranatenexplosion. Maydayruf an Brücke über das Schiffs<strong>in</strong>tercom erfolgt.Feststellung <strong>de</strong>r genauen Umstän<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Brücke aus unmöglich. Bitte schicken SieHilfe und Unterstützung! Liege gestoppt <strong>in</strong> Tau-31. Me<strong>in</strong>e genaue Position ist…“Was ihn genau traf, sollte Patrick Lan<strong>de</strong>r nie erfahren, aber es traf ihn heftig und ausheiterem Himmel. Es traf ihn sogar so hart, dass er schon nichts mehr wahrnahm, als erSekun<strong>de</strong>nbruchteile später auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Brücke aufschlug.Die Welt war völlig konturlos, und lediglich e<strong>in</strong> Pochen gab ihr e<strong>in</strong>e gewisse Kont<strong>in</strong>uität.E<strong>in</strong>en Rhythmus. Poch, poch, poch, poch…Langsam und gleichmäßig wie e<strong>in</strong> Uhrwerk.Nach e<strong>in</strong>er endlosen Weile setzte <strong>de</strong>r Druck e<strong>in</strong>. Gleichzeitig mit <strong>de</strong>m Pochen kam <strong>de</strong>rSchmerz und schwoll an, bis se<strong>in</strong> Opfer leise stöhnte.Verzerrte Laute drangen an se<strong>in</strong> Ohr, ohne dass er sie verarbeitete.Die Welt begann, sich auszu<strong>de</strong>hnen. Immer weiter, immer schneller. E<strong>in</strong> gleichmäßigesDröhnen gesellte sich h<strong>in</strong>zu, zunächst leise, dann zunehmend lauter.


Nun stellte er fest, dass es hier draußen im Nichts auch e<strong>in</strong>e materielle Welt gab. Erspürte etwas und begriff damit, dass er existierte. Dass er jemand war und nicht Teil <strong>de</strong>sNichts. Sprichwörtlich e<strong>in</strong>e schmerzvolle Erkenntnis.„Lieutenant Lan<strong>de</strong>r?“„Lassen Sie ihn und hören Sie auf, ihn zu drängen. Er muss erst wie<strong>de</strong>r zu sich f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“„Ja, Sir. Nur… ich wollte doch bloß wissen…“„Denken Sie, ich nicht? Ich fürchte nur, dass es auf fünf M<strong>in</strong>uten mehr o<strong>de</strong>r wenigerwirklich nicht ankommt. Lassen Sie ihn <strong>in</strong> Ruhe aufwachen.“Diesmal verstand er <strong>die</strong> Worte, ohne <strong>die</strong> Stimmen i<strong>de</strong>ntifizieren zu können. Er hörte auche<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Laut. Es war e<strong>in</strong> Husten. E<strong>in</strong> weiteres Geräusch war e<strong>in</strong> Stöhnen.„Hier. Nehmen Sie das, Sir.“Etwas berührte se<strong>in</strong>e schmerzen<strong>de</strong> Stirn und blieb dort liegen. Es war angenehm kühl.Er<strong>in</strong>nerung. Fragmente e<strong>in</strong>es Gesamtbil<strong>de</strong>s spukten ihm im Kopf herum. Er schlucktekrampfhaft und bemerkte, wie spürbar trocken se<strong>in</strong>e Kehle doch war.Unbewusst fuhr er sich mit <strong>de</strong>r l<strong>in</strong>ken Hand zum Kopf und w<strong>in</strong>selte auf, als er <strong>die</strong> amschlimmsten schmerzen<strong>de</strong> Stelle berührte.Jemand hatte ihn k. o. geschlagen. Er fuhr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Höhe und riss <strong>die</strong> Augen auf. „DhlllasMaye…uaehday!“Blen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Helligkeit stürzte auf ihn e<strong>in</strong> und ließ ihn aufschreiend zurückfallen.„Hoppla! Nicht so hastig!“ Der Sprecher klang ruhig und gelassen. Vor allem aber seltsammitfühlend.Wie<strong>de</strong>r berührte etwas se<strong>in</strong>en Kopf. Lan<strong>de</strong>r griff mit geschlossenen Augen danach, undse<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger trafen auf <strong>die</strong>jenigen <strong>de</strong>s Sprechers sowie e<strong>in</strong> nasses Tuch.Als Lan<strong>de</strong>r reflexartig zufasste, wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Druck erwi<strong>de</strong>rt. „Willkommen zurück im Reich<strong>de</strong>r Leben<strong>de</strong>n, Lieutenant.“„Sie haben vergessen, das Wort noch zu erwähnen, Sir.“„Shhht! Nicht jetzt!“, ta<strong>de</strong>lte <strong>die</strong> Stimme, und e<strong>in</strong>e zweite Hand fasste zu. „Kommen Sieschon, hoch mit Ihnen!“Man schob ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Art Senkrechte, wobei etwas <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Rücken drückte, um ihn zustützen. Erneut versuchte er, <strong>die</strong> Augen zu öffnen, aber es war wie<strong>de</strong>r gleißend hell.„Tr<strong>in</strong>ken Sie, Lieutenant.“Etwas berührte se<strong>in</strong>e Lippen und wur<strong>de</strong> angekippt. Flüssigkeit floss heraus, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>ergeschun<strong>de</strong>nen Kehle unendlich wohltat. „Me…hr.“„Hol jemand noch e<strong>in</strong>en Becher!“„Admiral Wesley?“„Capta<strong>in</strong>… Lucan?“„Ja, Admiral?“„Wie… ist… das Wetter auf… New London? … Schirm?”„Es ist heute heiter, Sir. Sie können Ihrem Adjutanten sagen, dass Sie <strong>de</strong>n Schirm nichtbrauchen.”„G… ut… Muss… nur… schla… fen.“„Ja, Sir. Schlafen Sie nur. Ich lasse Sie um 0830 durch e<strong>in</strong>en Läufer wecken.“„Was re<strong>de</strong>t er da nur, Sir?“„Seien Sie ruhig und passen Sie auf <strong>de</strong>n Verband auf! Sie müssen ihn sofort erneuern,wenn er durchblutet.“„Womit <strong>de</strong>nn, Sir?“„Was weiß <strong>de</strong>nn ich, Mister Avery? Lassen Sie sich etwas e<strong>in</strong>fallen!“Die Erwähnung <strong>de</strong>s wohlbekannten Namens löste <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n endgültigen Willen aus,selbst zu sehen, was hier vor sich g<strong>in</strong>g.Das be<strong>de</strong>utete nicht, dass es nicht wehtat, es tat genaugenommen sogar so weh, dass erzunächst <strong>die</strong> Augen mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>ckte, aber er schaffte es <strong>die</strong>smal, sie zu öffnen.„Hier kommt Ihr zweiter Becher Wasser, Lieutenant.“ Das Erste, das Lan<strong>de</strong>r erblickte,waren <strong>die</strong> gütigen Augen <strong>de</strong>s Mannes vor ihm. Sie musterten ihn durchdr<strong>in</strong>gend und<strong>de</strong>nnoch voller Mitleid.Der Kopf war völlig kahl und von blauen Ä<strong>de</strong>rchen durchzogen. An e<strong>in</strong>er Stelle war e<strong>in</strong>Bluterguss zu sehen. Außer<strong>de</strong>m bewegte <strong>de</strong>r Mann sich mit großer Vorsicht, als er Lan<strong>de</strong>rwie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Plastikbecher an <strong>die</strong> Lippen hielt. Se<strong>in</strong>e Kapitänsuniform war zerfetzt undblutig.


„Dürfte ich fragen, was Sie da mit me<strong>in</strong>em Zahnputzbecher machen, Sir?“Er wusste nicht, was daran so witzig war, aber irgendwie lachte <strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong> ihn aus.Und nicht nur er.„Lieu… Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery… Sie… Sie haben weit untertrieben!“„Ich weiß wirklich nicht, was Sie daran so witzig f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, Capta<strong>in</strong> Lucan. Mir ist zurzeitwirklich nicht nach Lachen zumute.“„Gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> Zeiten <strong>de</strong>r Not muss man je<strong>de</strong> Gelegenheit nutzen, um <strong>de</strong>n wahren Witz zuerkennen.“Was an se<strong>in</strong>er Frage so lustig gewesen war, konnte Lan<strong>de</strong>r zwar nun wirklich nichterfassen, aber <strong>die</strong> nachfolgen<strong>de</strong> Erklärung ergab doch S<strong>in</strong>n: „Es ist je<strong>de</strong>nfalls schön, dass<strong>die</strong>s Ihr Becher ist. Ich fürchte, dass Mister Avery und ich ihn ebenfalls benutzt haben,wenn Sie uns das verzeihen. Natürlich haben wir ihn aber danach ausgespült. Wissen Sie,wir haben uns hier lei<strong>de</strong>r noch nicht ganz häuslich e<strong>in</strong>gerichtet. E<strong>in</strong>ige von uns hegendurchaus noch <strong>die</strong> Hoffnung, dass man uns umquartieren wird, da <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziger Skandal ist…“ E<strong>in</strong> e<strong>in</strong><strong>de</strong>utiger Blick traf <strong>de</strong>n sehr ramponiert wirken<strong>de</strong>n DuncanAvery, bevor <strong>de</strong>r Offizier fortfuhr: „Aber ich glaube nicht daran. So kommt es also, dasswir momentan zu sechst <strong>in</strong> Ihrer und Lieutenant Fowleys Kab<strong>in</strong>e sitzen, beziehungsweiseliegen. Ich b<strong>in</strong> ehrlich gestan<strong>de</strong>n nie als Zweiter o<strong>de</strong>r Dritter Offizier auf e<strong>in</strong>emPatrouillenkreuzer gefahren, aber nach <strong>die</strong>ser Erfahrung verzichte ich auch dankenddarauf.“Darauf musste Lan<strong>de</strong>r erst noch e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>ftigen Schluck tr<strong>in</strong>ken und sich selbst imAnschluss besser sortieren, bevor er sich mit <strong>de</strong>r Hand an <strong>die</strong> Stirn fasste.„Tut weh, nicht wahr?“Mit e<strong>in</strong>em Nicken stellte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Becher beiseite.„Wollen Sie ihn nicht endlich fragen, was auf <strong>de</strong>r Brücke…“„Ne<strong>in</strong>, will ich nicht. Ich hatte Sie vor nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>er Viertelstun<strong>de</strong> bereits gebeten,ihn wenigstens ganz zu sich kommen zu lassen, bevor Sie <strong>de</strong>n Lieutenant <strong>in</strong> Ihr typischesKreuzverhör nehmen, Mister Avery. Bitte vergegenwärtigen Sie sich, dass er auf unsererSeite steht und vermutlich lei<strong>de</strong>r ziemliche Kopfschmerzen hat. Außer<strong>de</strong>m haben wirmomentan sowieso nichts Konkretes vor. Drei gute Grün<strong>de</strong>, es langsam angehen zulassen.“„Der Verband, Duncan.“„Oh me<strong>in</strong> Gott! Habt ihr <strong>de</strong>nn wirklich ke<strong>in</strong>en Verbandskasten hier?“„In <strong>de</strong>r Offiziersmesse ist e<strong>in</strong>er.“„Na, das können wir ja dann gleich vergessen, Danny! Weißt du, was <strong>die</strong> mit unsanstellen, wenn wir <strong>die</strong> Tür aufmachen?“Beim ersten Klang <strong>de</strong>r altbekannten Stimme drehte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf ruckartig herum,mit <strong>de</strong>m Resultat, dass er fast abfiel. „Sie?“„Nicht aufregen, Lieutenant. Lassen Sie es langsam angehen.“Irgendwie hatte Lan<strong>de</strong>r das Gefühl, gar nichts mehr zu verstehen. Er begriff gera<strong>de</strong> ebennoch, dass <strong>die</strong>s hier se<strong>in</strong>e Kab<strong>in</strong>e war - genauer gesagt Daniel Fowleys Bett - und dassirgendwie viel zu viele Leute <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en Raum zu füllen schienen. Unter ihnen war auch<strong>de</strong>r Besitzer <strong>die</strong>ser Koje, <strong>de</strong>r es jedoch <strong>de</strong>m Ansche<strong>in</strong> nach nicht fertigbrachte, Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong><strong>die</strong> Augen zu sehen.Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Puzzleste<strong>in</strong>, und mit <strong>die</strong>sem e<strong>in</strong>en regneten alle an<strong>de</strong>ren herab. „Siehaben Mister Avery zu mir geschickt, Fowley?“„Diese Jugend hat e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>en… Anstand mehr.“ E<strong>in</strong> bulliger, rotgesichtiger Mann mitpassen<strong>de</strong>rweise ebenfalls flammend roten Haaren hatte das Wort ergriffen. Er saß nebenLan<strong>de</strong>r an <strong>die</strong> Wand gelehnt, und bei se<strong>in</strong>er braunen Uniform war wirklich schwer zuunterschei<strong>de</strong>n, wo <strong>die</strong> Stofffarbe aufhörte und das Blut anf<strong>in</strong>g und umgekehrt. Nuranhand <strong>de</strong>r Notverbän<strong>de</strong> aus blauem Uniformtuch war zu erahnen, wo das Blut genauherkam.„Ja, Lieutenant. Er hat mich geschickt.“ Avery war erregt. Wohl wegen <strong>de</strong>r erfolgtenZurechtweisung seitens <strong>de</strong>s kahlköpfigen Mannes namens Lucan, <strong>de</strong>r trotz <strong>de</strong>s Blutes anse<strong>in</strong>er Kleidung wenigstens nicht schwer verletzt zu se<strong>in</strong> schien. „Danny und ich s<strong>in</strong>dmite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r befreun<strong>de</strong>t.“„Sie waren nicht zufällig auf <strong>de</strong>r Taufparty <strong>die</strong>ses Schiffes, Mister Avery? E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>rweiteren Freun<strong>de</strong> von Lieutenant Fowley hat re<strong>in</strong> zufälligerweise me<strong>in</strong>e Begleiter<strong>in</strong>


abgeschleppt.“ Lan<strong>de</strong>r wusste nicht, wieso er <strong>die</strong>s tat, aber er konnte auch nicht damitaufhören. „Wie ich hörte, war <strong>de</strong>r Betreffen<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Lieutenant Comman<strong>de</strong>r im Stab e<strong>in</strong>esAdmirals auf Southampton.“Avery, <strong>de</strong>r mit Fowleys Unterstützung damit beschäftigt war, <strong>de</strong>n Verband <strong>de</strong>s aufLan<strong>de</strong>rs Bett ausgestreckt liegen<strong>de</strong>n Admirals durch e<strong>in</strong>en neuen aus Uniformstreifen zuersetzen, sprang förmlich auf.„Langsam, langsam! Nehmen Sie doch wenigstens Rücksicht!“, rief Lucan, aber <strong>de</strong>rLieutenant Comman<strong>de</strong>r hörte nicht und wollte mit blitzen<strong>de</strong>n Augen auf Lan<strong>de</strong>r losgehen.„Sie…“„Es reicht!“ Güte war nicht <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Gabe, mit <strong>de</strong>r Lucan gesegnet war. Er konnte auchlaut und autoritär wer<strong>de</strong>n. „Sie wer<strong>de</strong>n doch wohl nicht anfangen wollen, sich wegenunwichtiger K<strong>in</strong>kerlitzchen <strong>in</strong> unserer jetzigen Situation zu prügeln? Diesen Mangel anSelbstbeherrschung verbitte ich mir von Ihnen bei<strong>de</strong>n! Denken Sie daran, wer Sie s<strong>in</strong>d!“„Ja, Sir.“ Avery drehte sich weg und hockte sich wie<strong>de</strong>r neben Wesleys Lager aliasLan<strong>de</strong>rs Koje h<strong>in</strong>.„Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, von Ihnen hätte ich ehrlich gestan<strong>de</strong>n auch mehr…“, setzte <strong>de</strong>rVollkapitän vorwurfsvoll an.E<strong>in</strong> Bollern an <strong>de</strong>r Tür und e<strong>in</strong> lautes Lachen alarmierten sie alle. Lucan brach ab undschwieg. Es war, als hätte jemand <strong>die</strong> Szene e<strong>in</strong>gefroren.„Kann man <strong>de</strong>nn auf Ihrem Schiff… nicht e<strong>in</strong>mal mehr ruhig schlafen… Lucan? Stellen…Sie doch bitte… <strong>de</strong>n ungehörigen Krach ab!”„Ja, Sir“, sagte <strong>de</strong>r Angesprochene, aber er tat nichts <strong>de</strong>rgleichen. Es war ja auchunmöglich. Die Brisbane war schließlich nicht e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong> Schiff.Die Tür wur<strong>de</strong> unter lautem Gejohle aufgerissen.„Me<strong>in</strong> Gott!“, entfuhr Avery, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Angst auf se<strong>in</strong>er Brust unbewusst das Kreuzschlug. „Die wer<strong>de</strong>n uns doch jetzt wohl nicht…“„Aufstehen alle mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r! Hän<strong>de</strong> nach oben und Gesichter zur Wand! Zellenkontrolle!“Brüllen<strong>de</strong>s Gelächter erscholl erneut.„Habt ihr nicht gehört, ihr Schwe<strong>in</strong>e?“Patrick Lan<strong>de</strong>r starrte <strong>de</strong>n Sprecher geschockt an. Genau wie alle an<strong>de</strong>ren. In e<strong>in</strong>enBottich voller eiskaltem Wasser geworfen zu wer<strong>de</strong>n konnte nicht schlimmer se<strong>in</strong>. Vor <strong>de</strong>rTür stan<strong>de</strong>n m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens fünfzehn Mann, aber es waren sicherlich mehr, wenn man nach<strong>de</strong>m Lärm urteilte, <strong>de</strong>n sie verursachten. Grausame Realität waren jedoch e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong>gezogenen sowie auf sie gerichteten Waffen und zweitens <strong>die</strong> Personen selbst.Der brüllen<strong>de</strong> Kerl <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Reihe war niemand an<strong>de</strong>rs als Chief Petty OfficerWayland. Neben ihm stand Comman<strong>de</strong>r Erasmus Raven. Unbewaffnet, aber er war mitSicherheit ke<strong>in</strong> Gefangener. Offene Verachtung, ja sogar Hass stan<strong>de</strong>n <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Gesicht,als er <strong>de</strong>n Blick über <strong>die</strong> e<strong>in</strong>gepferchten und vor Schock erstarrten Offiziere <strong>in</strong> <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>enKab<strong>in</strong>e schweifen ließ. Hätte Lan<strong>de</strong>r noch e<strong>in</strong>en Beweis gebraucht, dass sie alleGefangene waren, wäre <strong>die</strong>ser nun nachdrücklich und e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig erbracht gewesen. Zuihrem Nachteil.Capta<strong>in</strong> Lucan überwand sich als Erster. Er stand ruhig auf und machte langsam e<strong>in</strong>enhalben Schritt zur Tür, wo er sich aufbaute. „Comman<strong>de</strong>r Raven, ich for<strong>de</strong>re Sie hiermitauf, Ihren Leuten zu befehlen, ihre Waffen nie<strong>de</strong>rzulegen und sich zu ergeben. MachenSie es nicht noch schlimmer, als es jetzt schon ist. Die Admiralität hat Sie und Capta<strong>in</strong>K<strong>in</strong>gsham…“„Was <strong>die</strong> Admiralität getan o<strong>de</strong>r nicht getan hat, <strong>in</strong>teressiert mich nicht, Lucan. Sie undIhre Leute s<strong>in</strong>d unter <strong>de</strong>m Deckmantel e<strong>in</strong>er Lüge mit zwanzig schwer bewaffnetenSoldaten auf <strong>die</strong>ses Schiff gekommen, um Lionel und mich <strong>de</strong>s Kommandos zu enthebenund zu verhaften. Verständlicherweise hatten wir etwas dagegen, wie Lionel Ihnen schonauf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>utlich genug gesagt hat. Lei<strong>de</strong>r haben Sie sich geweigert, e<strong>in</strong>fachabzufliegen, und Ihr nicht allzu kluger Admiral hat Ihren Leuten statt<strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>n Kampfbefohlen. Wir waren jedoch vorbereitet. Sie waren dumm genug, zu glauben, dass wirbei<strong>de</strong> nach fünfzehn Jahren hier draußen e<strong>in</strong>fach alles aufgeben wür<strong>de</strong>n, bloß weil <strong>die</strong>Admiralität e<strong>in</strong>mal pfeift und Sie schickt, um hier das Kommando zu übernehmen. Siehaben sich eben geirrt. Wir <strong>de</strong>nken gar nicht daran, und <strong>die</strong> Crew <strong>die</strong>ses Schiffes stehtauf unserer Seite. Sie haben unten auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>en Krieg angefangen und ihnverloren, da unsere Leute <strong>die</strong> größere Erfahrung <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Art von Kampf hatten. Das


<strong>in</strong>gt Sie alle als Gefangene <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Situation, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rungen – egal, welcher Art -höchst unangebracht, ja sogar schlichtweg unverschämt s<strong>in</strong>d… Sir.“„So. Die Crew Ihres Schiffes steht auf Ihrer Seite. Es ist schon schlimm genug, dassOffiziere wie Sie und K<strong>in</strong>gsham Ihren Eid brechen sowie <strong>die</strong> Uniform beschmutzen, <strong>die</strong> sietragen, aber…“Mit e<strong>in</strong>em beiläufigen Kopfnicken wies Raven auf <strong>de</strong>n Vollkapitän. Chief Wayland legtedaraufh<strong>in</strong> mit <strong>de</strong>r Waffe auf ihn an.„Ich ersuche Sie <strong>in</strong> Ihrem eigenen Interesse darum, jetzt lieber zu schweigen, Capta<strong>in</strong>.Wenn Sie sich fügen, wird es wenigstens erträglich wer<strong>de</strong>n. Machen Sie h<strong>in</strong>gegen soweiter, kann ich für nichts mehr garantieren.“„Was ist mit <strong>de</strong>n Verletzten? Admiral Wesley und Major Bailey müssen dr<strong>in</strong>gendbehan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n! Sie wer<strong>de</strong>n sonst sterben!“„Glauben Sie ehrlich, dass mich das <strong>in</strong>teressiert? In Major Baileys Fall wäre ich sogarnicht ungeneigt, mit e<strong>in</strong>er Kugel nachzuhelfen, falls me<strong>in</strong> Freund Lionel an se<strong>in</strong>erVerwundung sterben sollte. Me<strong>in</strong>es Wissens war es <strong>de</strong>r liebe Major Bailey, <strong>de</strong>r ihm dasProjektil <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Bauch verpasst hat.“„Ich hätte gleich auf <strong>de</strong>n Kopf zielen und Sie miterledigen sollen, Comman<strong>de</strong>r!“„Das können Sie nicht tun! Es wi<strong>de</strong>rspricht Ihrem Eid und je<strong>de</strong>r Menschlichkeit!“ Lucanignorierte <strong>de</strong>n hasserfüllten Ausspruch <strong>de</strong>s Majors und kämpfte verbissen darum, se<strong>in</strong>enStandpunkt durchzubr<strong>in</strong>gen. „Er hat nur se<strong>in</strong>en Job getan, und Sie haben ke<strong>in</strong> Recht, unsalle hier auf <strong>die</strong>se Weise festzusetzen sowie als Geiseln zu behan<strong>de</strong>ln!“„Ja. Sprechen wir doch endlich über <strong>die</strong> Rechte und Pflichten <strong>in</strong> unserer Navy! Lionel undich haben auch lange Jahre unseren Job und unsere Pflicht getan, und was hat es unsdank Leuten wie Ihnen allen gebracht? E<strong>in</strong>en Grenzweltenposten auf e<strong>in</strong>emzweitklassigen Patrouillenkreuzer, wo wir am Anfang jahrelang fast täglich unseren Halsfür nicht e<strong>in</strong>mal zehntausend Credits im Monat riskiert haben! Aufstiegschancen: null.Würdigung unserer Ver<strong>die</strong>nste: null. Chancen, hier wegzukommen: null! E<strong>in</strong> eigenesKommando für mich, wie es mir gemäß <strong>de</strong>r Beför<strong>de</strong>rungsliste seit Langem zusteht: null!Sie werfen uns Korruption vor? Wir haben nur versucht, das Beste aus <strong>die</strong>sem System zumachen!“Das war für Capta<strong>in</strong> Lucan zu viel. Der geduldige und mitfühlen<strong>de</strong> Offizier explo<strong>die</strong>rte:„Und dabei haben Sie jahrelang Schmuggel ge<strong>de</strong>ckt, Bestechungsgel<strong>de</strong>r kassiert, IhreOffiziere e<strong>in</strong>geschüchtert und terrorisiert, anstatt Ihnen e<strong>in</strong> Vorbild zu se<strong>in</strong>, gemor<strong>de</strong>tund Ihr Haus verraten! Sie und Ihresgleichen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schan<strong>de</strong> für <strong>die</strong> Royal Navy,Raven! Was wollen Sie und Ihr Freund jetzt tun? Piraten wer<strong>de</strong>n? Uns alle erschießen unddann e<strong>in</strong>fach weitermachen? Sie s<strong>in</strong>d ja krank!“Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> kaum merkliches Nicken <strong>de</strong>s Comman<strong>de</strong>rs. Der Knall <strong>de</strong>s Schusses kam völligunverhofft und überlaut. Der Capta<strong>in</strong> stolperte vorwärts, se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> fuhren zur Brust,und er sank langsam <strong>in</strong> <strong>die</strong> Knie.„Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie mich nicht reizen sollen, Lucan“, kommentierte Raven,als <strong>de</strong>r Körper <strong>de</strong>s ermor<strong>de</strong>ten Kapitäns auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n aufschlug.Wie gebannt starrte Lan<strong>de</strong>r bewegungsunfähig auf das Blut, das aus <strong>de</strong>r tödlichenBrustwun<strong>de</strong> auf <strong>de</strong>n dünnen grünen Teppich rann. Er war von Grauen und Entsetzenerfüllt. Lucan hatte sich verkalkuliert, was <strong>de</strong>n Ersten Offizier ang<strong>in</strong>g. Erasmus Ravenhatte es tatsächlich getan. Er hatte <strong>de</strong>n Befehl zum Mord gegeben und <strong>de</strong>n ranghöherenOffizier eiskalt erschießen lassen.„Ich sage Ihnen jetzt noch e<strong>in</strong>mal, dass Sie mich nicht reizen sollten. Sie sehen, wassonst passieren könnte. Auch <strong>die</strong>se Crew könnte durchaus auf <strong>de</strong>n Gedanken kommen,e<strong>in</strong>en o<strong>de</strong>r mehrere von Ihnen zu töten. Ich wer<strong>de</strong> nicht e<strong>in</strong>schreiten, falls <strong>die</strong>s passierensollte. Sie haben hier ke<strong>in</strong>e Bed<strong>in</strong>gungen zu stellen.“ Raven betrachtete <strong>die</strong> Leiche auf<strong>de</strong>m Fußbo<strong>de</strong>n. „Sie alle s<strong>in</strong>d uns momentan nur lästig. Betrachten Sie sich als unnötigenBallast an Bord <strong>die</strong>ses Schiffes, wenn Sie so wollen. Was wir mit Ihnen anfangen wer<strong>de</strong>n,wenn wir erst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Randwelten angekommen s<strong>in</strong>d, kann ich Ihnen nicht sagen. Falls Sieüberhaupt so lange leben, versteht sich. Auf <strong>die</strong>se Tour dürfen Sie mir je<strong>de</strong>nfalls nichtkommen.“ Ravens Blick glitt von <strong>de</strong>m Toten über <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren verletzten Männerund Avery h<strong>in</strong>weg bis h<strong>in</strong> zu Fowley und Lan<strong>de</strong>r.„Was dann mit Ihnen bei<strong>de</strong>n passieren wird, wer<strong>de</strong> ich mir noch aus<strong>de</strong>nken. Sie könnenjedoch sicher se<strong>in</strong>, dass ich Ihren Verrat an <strong>die</strong>sem Schiff und se<strong>in</strong>er Crew nicht


vergessen wer<strong>de</strong>. Sie haben sich Ihre jetzige Situation selbst zuzuschreiben. Mir istbewusst, dass Sie für all <strong>die</strong> Toten auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck und auch für Lionels Verwundungschlussendlich verantwortlich s<strong>in</strong>d. Wenn e<strong>in</strong>e Säge e<strong>in</strong>en Baum tötet, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie ihn fällt,ist es nie <strong>die</strong> Säge, <strong>die</strong> verantwortlich ist, <strong>de</strong>nn sie ist nur das Werkzeug. Der Holzfällerist <strong>de</strong>r wahre Mör<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn er führt <strong>die</strong> Säge. Der Tod jener Soldaten auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck tut mir auch leid, <strong>de</strong>nn ich habe <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben genug <strong>die</strong>sernichtssagen<strong>de</strong>n Briefe an Angehörige Gefallener getippt. Die Angehörigen <strong>de</strong>r Armeehaben nur ihre Befehle ausgeführt. Für das Gemetzel waren <strong>die</strong>jenigen verantwortlich,<strong>die</strong> Verrat beg<strong>in</strong>gen, und alle, <strong>die</strong> jene Befehle gaben, uns zu verhaften und auf <strong>die</strong>sehöchst schändliche Weise unsere jahrelange Treue zu vergelten. Walten Sie daher IhresAmtes, wie Sie <strong>de</strong>nken, Chief.“ Raven trat zurück, und <strong>die</strong> Menge teilte sich für ihn, als er<strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e rasch verließ.Noch immer rührte sich ke<strong>in</strong>er. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st Lan<strong>de</strong>r konnte es e<strong>in</strong>fach nicht. Die Welt standKopf. Es war e<strong>in</strong>fach unfassbar. Lionel K<strong>in</strong>gsham, Erasmus Raven und <strong>die</strong> Crew <strong>die</strong>sesSchiffes hatten ihr eigenes Haus verraten.Chief Wayland ergriff nach <strong>de</strong>r schockieren<strong>de</strong>n Klärung <strong>de</strong>r Fronten <strong>die</strong> Initiative undsetzte noch e<strong>in</strong>en drauf - damit <strong>die</strong> Me<strong>in</strong>ung Lan<strong>de</strong>rs wi<strong>de</strong>rlegend, dass es eigentlich garnicht mehr schlimmer wer<strong>de</strong>n konnte. Es kam doch noch schlimmer. Viel schlimmer! Derleiten<strong>de</strong> Unteroffizier versetzte ihnen noch e<strong>in</strong>en zusätzlichen Schlag. Er tat es auf e<strong>in</strong>ebrutale, herabwürdigen<strong>de</strong> und vor allem laute Art und Weise, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er <strong>die</strong> Offiziere imBefehlston ang<strong>in</strong>g, wie er es sonst nur mit <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachen Mannschaftsmitglie<strong>de</strong>rnmachte:„Ihr habt gehört, was <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r gesagt hat! In me<strong>in</strong>em Leben habe ich genug voneuch H<strong>in</strong>ternkriechern <strong>in</strong> blau-gol<strong>de</strong>ner Uniform kommen und gehen sehen! Ich mussteimmer spr<strong>in</strong>gen, aber jetzt seid ihr <strong>die</strong>jenigen, <strong>die</strong> zur Abwechslung mal spr<strong>in</strong>genmüssen! Hoch mit euch und an <strong>die</strong> Wand! Wann immer jemand von uns <strong>die</strong> Türaufmacht, will ich, dass ihr aufsteht und euch mit erhobenen Hän<strong>de</strong>n an <strong>die</strong> Wand stellt!Wer bei zehn noch nicht steht und nicht das Gesicht zur Wand gedreht hat, wird wie eueranmaßen<strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong> erschossen! Er hat eben nicht begreifen wollen, dass <strong>die</strong>ses Schiffbereits e<strong>in</strong>en sehr guten Capta<strong>in</strong> hat! Los!“Die Menge begann zu skan<strong>die</strong>ren: „E<strong>in</strong>s! … Zwei! …“Patrick Lan<strong>de</strong>r ahnte nach <strong>de</strong>n vergangenen Ereignissen <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv, dass <strong>de</strong>r Chief und <strong>die</strong>Mannschaft es ernst me<strong>in</strong>ten. Wohl nicht umsonst hatte Raven gesagt, dass sie je<strong>de</strong>r hieran Bord töten konnte. Es war e<strong>in</strong>e Erlaubnis o<strong>de</strong>r vielleicht sogar e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkteAuffor<strong>de</strong>rung dazu gewesen. Er fiel von Fowleys Bett, als <strong>de</strong>r neben ihm sitzen<strong>de</strong>Heeresoffizier Bailey ihm e<strong>in</strong>en Stoß gab, wie um ihn aufzuwecken.Die Menge lachte darüber, aber <strong>die</strong> überaus hastige Bewegung <strong>de</strong>s Sub-Lieutenants risszum<strong>in</strong><strong>de</strong>st Fowley aus se<strong>in</strong>er tödlichen Lethargie. Der zittern<strong>de</strong> Zweite Offizier kamebenfalls schwankend auf <strong>die</strong> Füße und zerrte <strong>de</strong>n wie gelähmt wirken<strong>de</strong>n, leichenblassenAvery gewaltsam mit sich hoch. Vermutlich hatte <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r bis zumheutigen Tag noch nie e<strong>in</strong>e Leiche gesehen und war zuerst mit <strong>de</strong>m völlig unerwartetenKampf auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck und dann auch noch mit Lucans eiskalter Ermordungkonfrontiert wor<strong>de</strong>n.„… Sieben! … Acht! …“ Das Geschrei erreichte das Level e<strong>in</strong>es wahnwitzigen Crescendos.Duncan Avery hatte mit se<strong>in</strong>er schlimmen Befürchtung Recht behalten, <strong>de</strong>nn das vor <strong>de</strong>rTür war nichts an<strong>de</strong>res als e<strong>in</strong> Lynchmob, <strong>de</strong>r darauf aus war, sie alle umzubr<strong>in</strong>gen.„… Neun! … Zehn!“Die erneut fallen<strong>de</strong>n Schüsse g<strong>in</strong>gen fast im Geschrei unter, so laut war <strong>die</strong> Menge, <strong>die</strong>jetzt here<strong>in</strong>zudrängen begann, um sie alle zu erschlagen.Patrick Lan<strong>de</strong>r unterdrückte krampfhaft das Zittern, das se<strong>in</strong>en ganzen Körper erfassenwollte. Er presste <strong>die</strong> gefalteten Hän<strong>de</strong> fester auf se<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>terkopf, schloss <strong>die</strong> Augenund sah <strong>de</strong>nnoch <strong>in</strong> Gedanken <strong>die</strong> karge graue Metallwand vor sich, gegen <strong>die</strong> gleich se<strong>in</strong>Blut spritzen wür<strong>de</strong>, wenn ihn womöglich doch noch <strong>die</strong> Kugeln trafen. E<strong>in</strong> Projektil warimmer noch besser als totgeschlagen zu wer<strong>de</strong>n. Er biss sich auf <strong>die</strong> Lippe und rang um<strong>die</strong> Beherrschung, um <strong>die</strong> unter se<strong>in</strong>en Augenli<strong>de</strong>rn hervordrängen<strong>de</strong>n Tränen zuunterdrücken. Se<strong>in</strong> Vater wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Brief niemals erhalten, und er selbst wür<strong>de</strong> hier undjetzt sterben, ohne sich mit ihm ausgesöhnt zu haben.„Filzt sie und <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e, Jungs. Alles, was ihr gebrauchen könnt, gehört euch!“


E<strong>in</strong>ige klatschten Beifall, dann begann <strong>die</strong> nächste Stufe <strong>de</strong>s ultimativen Horrors.Lan<strong>de</strong>r spürte, wie über e<strong>in</strong> Dutzend Hän<strong>de</strong> gleichzeitig se<strong>in</strong>e Uniform durchwühlten undsie schließlich sogar zerrissen, als es nicht schnell genug g<strong>in</strong>g. Sp<strong>in</strong>dtüren knallten, undStreit brach aus, als mehrere Männer gleichzeitig Anspruch auf bestimmte D<strong>in</strong>ge aus <strong>de</strong>mpersönlichen Besitz ihrer Offiziere erhoben.Trotz <strong>de</strong>s allgeme<strong>in</strong>en Lärmes hörte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> gelegentliches Schluchzen. Es klang nichtwie Fowley, son<strong>de</strong>rn eher nach Avery. Die bei<strong>de</strong>n Offiziere <strong>de</strong>r ehemaligen Oxford hattenwährend ihrer E<strong>in</strong>sätze bereits viele Sachen erlebt und auch Tote gesehen.Avery h<strong>in</strong>gegen hatte wohl stu<strong>die</strong>rt und danach se<strong>in</strong>e Zeit behütet auf <strong>de</strong>m Yardverbracht. Zunächst sicherlich als Flaggleutnant, dann als Mitglied <strong>de</strong>s Beraterstabes vonAdmiral Wesley. Er war als typischer Stabsoffizier auf solchen Terror noch wenigervorbereitet als Fowley und Lan<strong>de</strong>r, sofern man <strong>de</strong>nn auf <strong>die</strong>se Extremsituation überhaupt<strong>in</strong> irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er Weise vorbereitet se<strong>in</strong> konnte.Er hörte e<strong>in</strong>en dünnen Schrei und zuckte zusammen. Dann ertönten e<strong>in</strong> ätzen<strong>de</strong>s,reißen<strong>de</strong>s Geräusch sowie e<strong>in</strong> dumpfes Poltern und Schlagen. Er sah sich nicht um,son<strong>de</strong>rn blieb an <strong>de</strong>r Wand stehen und betete <strong>in</strong>nerlich zu Gott <strong>de</strong>m Allmächtigen, wiese<strong>in</strong>e Eltern es ihm seit K<strong>in</strong><strong>de</strong>stagen beigebracht hatten.Diejenigen Meuterer, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>rs Sp<strong>in</strong>d gefilzt hatten, waren relativ enttäuscht, weil sierecht leer ausg<strong>in</strong>gen. Sie hatten nicht alle gleichzeitig an Fowleys Schrank herangekonnt,wo mehr zu holen gewesen war.E<strong>in</strong> h<strong>in</strong>ter ihm stehen<strong>de</strong>s Besatzungsmitglied schlug hart zu, sodass Lan<strong>de</strong>r gegen <strong>die</strong>Stahlwand vor ihm geschleu<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. Weitere harte Schläge trafen ihn, während er vorSchmerz wie betäubt war und an <strong>de</strong>r Wand runterrutschte, bis er am Bo<strong>de</strong>n lag.„Das ist me<strong>in</strong>es, Davis!“„Gar nicht wahr, ich habe es gefun<strong>de</strong>n!“„Entwe<strong>de</strong>r du gibst mir das jetzt o<strong>de</strong>r du kriegst was aufs Maul!“ Lan<strong>de</strong>rs Herz sank, alser <strong>die</strong> Stimme von Petty Officer Piper erkannte. Se<strong>in</strong> Lebensretter und Zeichner <strong>de</strong>rWeihnachtskarte für se<strong>in</strong>e Eltern war also auch an vor<strong>de</strong>rster Front dabei, <strong>die</strong> Offiziere zubestehlen und zu verprügeln.„De<strong>in</strong> Kreditchip!“, kreischte jemand h<strong>in</strong>ter Lan<strong>de</strong>r und trat auf ihn e<strong>in</strong>. „Wo hast duScheißkerl <strong>de</strong><strong>in</strong>en Kreditchip?“„Nicht…. dabei“, stöhnte Lan<strong>de</strong>r unter Schmerzen und gab sich Mühe, wenigstens se<strong>in</strong>enUnterleib sowie se<strong>in</strong> Gesicht zu schützen.„Du lügst! Ich br<strong>in</strong>ge dich um, du Dreckskerl! Wo ist <strong>de</strong><strong>in</strong> Kreditchip?“ Weitere Tritte, biser schließlich aufstöhnend nachgab und se<strong>in</strong>e Deckung nahezu öffnete. Wie Lan<strong>de</strong>rrealisierte, war es <strong>de</strong>r Navigationsoffizier Hickers, mit <strong>de</strong>m er noch vor Stun<strong>de</strong>n Dienstgehabt hatte, <strong>de</strong>r ihm das jetzt antat und ihn bei <strong>de</strong>r sich bieten<strong>de</strong>n Gelegenheit voll <strong>in</strong><strong>de</strong>n Magen trat.„Wo?... Wo?! Re<strong>de</strong>, du verdammter Bastard, o<strong>de</strong>r ich schlage dich tot!“Wenn er erneut bewusstlos wur<strong>de</strong>, wür<strong>de</strong> Hickers ihn <strong>die</strong>smal töten. „Er… ist… aufLeeds… bei me<strong>in</strong>er… Mutter.“ Er hatte ke<strong>in</strong>e Kraft für jene Worte und würgte, während <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Unterleid e<strong>in</strong> grauenhafter Schmerz wütete.„Du Sau! Du lügst mich an!“ E<strong>in</strong>e Waffe wur<strong>de</strong> an se<strong>in</strong>em Kopf entsichert. Lan<strong>de</strong>r wagtenicht mehr zu atmen. Es war wie während se<strong>in</strong>es ersten E<strong>in</strong>satzes auf Freeport 1, wo <strong>de</strong>rKrim<strong>in</strong>elle ihn fast erschossen hatte. Er war unfähig, sich zu rühren, und fühlte <strong>die</strong>brennen<strong>de</strong>n Augen <strong>die</strong>smal <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Nacken…„SAG MIR, WO DU DEINEN KREDITCHIP HAST, ODER ICH BLAS DIR DEIN HIRN AUS DEMSCHÄDEL, DU DRECKIGES OFFIZIERSSCHWEIN!“H<strong>in</strong>ter ihm schluchzte Avery zum Herzerbarmen. Diese Blöße wollte <strong>de</strong>r halbweggetretene Lan<strong>de</strong>r sich nun wirklich nicht geben, obwohl auch er am liebsten <strong>in</strong> Tränenausgebrochen wäre.„Steck <strong>die</strong> Waffe weg, Tim. Lan<strong>de</strong>r sagt <strong>die</strong> Wahrheit. Er hat mir vor e<strong>in</strong> paar Tagenerzählt, dass er se<strong>in</strong>e Eltern auf Planet Leeds mit <strong>de</strong>m Geld unterstützt, und hat <strong>de</strong>shalbwirklich ke<strong>in</strong>en Kreditchip dabei. Es br<strong>in</strong>gt also nichts, wenn du ihn dafür umbr<strong>in</strong>gst, dasser se<strong>in</strong>en mittellosen Eltern etwas Geld zukommen lässt. Davon wirst du nämlich auchnicht reicher, es sei <strong>de</strong>nn, du kannst zaubern. Er mag Offizier se<strong>in</strong> und <strong>de</strong>n Capta<strong>in</strong>verraten haben, aber wir br<strong>in</strong>gen nieman<strong>de</strong>n um, weil er se<strong>in</strong>er armen Mutter se<strong>in</strong> Gehaltschenkt. Auch ke<strong>in</strong> dreckiges Offiziersschwe<strong>in</strong>!“


An <strong>de</strong>r Schwelle <strong>de</strong>s völligen körperlichen Zusammenbruchs stehend, rührte Lan<strong>de</strong>r sichnicht. Je<strong>de</strong>n Moment wür<strong>de</strong> er ohnmächtig wer<strong>de</strong>n. Das wäre dann das unweigerlicheEn<strong>de</strong>.Er stellte sich <strong>die</strong> Gesichter se<strong>in</strong>er Eltern vor und bat se<strong>in</strong>en Vater <strong>in</strong> Gedanken umVerzeihung, als <strong>die</strong> Waffe doch schließlich entfernt wur<strong>de</strong>.„Bumm“, sagte Hickers noch nahe se<strong>in</strong>em Ohr und lachte hämisch, als Lan<strong>de</strong>rerschrocken zusammenzuckte. Dann verklangen <strong>die</strong> schweren Schritte, und auch <strong>die</strong>an<strong>de</strong>ren Kerle folgten <strong>de</strong>m Navigationsoffizier. Viele waren es sowieso nicht mehr, da <strong>die</strong>glücklichen Diebe sich schnellstmöglich zum Ausgang durchgekämpft hatten, um ihreBeute <strong>in</strong> Sicherheit zu br<strong>in</strong>gen.Piper war <strong>de</strong>r Letzte, <strong>de</strong>r sie verließ. Er sagte mit ruhiger ausdrucksloser Stimme zuse<strong>in</strong>en ehemaligen Vorgesetzten: „Denken Sie an Mister Waylands Worte. Sie haben abjetzt immer aufzustehen und sich an <strong>die</strong> Wand zu stellen, wenn jemand here<strong>in</strong>kommt.Versuchen Sie nicht, <strong>die</strong> Tür zu öffnen. Zwei Bewaffnete stehen draußen und haben <strong>de</strong>nBefehl, Sie alle dann sofort ohne weitere Fragen zu exekutieren. Falls Ihnen langweiligwird, können Sie ja Ihr Quartier wie<strong>de</strong>r aufräumen. Dürfte nötig se<strong>in</strong>, und <strong>de</strong>r Chief wirdsowieso nachher darauf bestehen.“Die Tür knallte zu.Vor Lan<strong>de</strong>rs Augen wallte roter Nebel, <strong>de</strong>r sich nicht lichten wollte. Er blieb e<strong>in</strong>fachliegen, weil se<strong>in</strong> Körper ihm nicht gehorchte. Noch immer fühlte es sich an, als wür<strong>de</strong>nihm bei lebendigem Leib se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>gewei<strong>de</strong> herausgerissen.„Duncan?“ E<strong>in</strong>e angstvolle, zögerliche Frage Fowleys, <strong>die</strong> von e<strong>in</strong>em heftigenAufschluchzen beantwortet wur<strong>de</strong>. Es war <strong>die</strong> schicksalhafte Frage gewesen, ob <strong>de</strong>rFreund noch am Leben war o<strong>de</strong>r nicht.Lange Sekun<strong>de</strong>n verg<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen belasten<strong>de</strong> Stille herrschte - nur gebrochen durchdas nahezu hysterische, krampfartige We<strong>in</strong>en <strong>de</strong>s Stabsoffiziers, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>s alles wohlebenfalls nur haarscharf durchgestan<strong>de</strong>n hatte.„Was… was ist mit Admiral Wesley?“, brachte Avery schließlich unter Schluchzen vor.„Ich weiß es nicht.“ Es klang fast so, als hätte Fowley Angst davor, sich umzudrehen.Trotz<strong>de</strong>m war zu hören, dass er es tat. Vorsichtig und langsam, fast so, als stün<strong>de</strong> er aufe<strong>in</strong>em Drahtseil. „Er lebt. Nur ich brauche <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe, um ihn zu versorgen. Der Schreikam wohl von ihm.“„Und… <strong>de</strong>r Major?“Ke<strong>in</strong>e Antwort war auch e<strong>in</strong>e Antwort. Wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> Averys We<strong>in</strong>en lauter.„Bitte reiß dich zusammen, Duncan! Es ist zunächst vorbei. Sie s<strong>in</strong>d alle weg. Geh undsieh nach Patrick. Er liegt vor <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Wand und ist mit Sicherheit verletzt. Siemüssen ihn fast umgebracht haben. Du musst ihm helfen!“Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r bewegte sich hastig auf Lan<strong>de</strong>r zu. Dabei stolperte er über<strong>die</strong> Leichen von Lucan und Bailey und schrie leise, aber voller Panik auf.Das penetrante Rütteln an se<strong>in</strong>er Schulter war etwas, das Lan<strong>de</strong>r nicht ignorieren konnte.Er öffnete <strong>de</strong>n letzten Rest se<strong>in</strong>er Deckung, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> waren fort. Mehr begriff erkaum. Jemand nahm se<strong>in</strong>en Kopf hoch, öffnete se<strong>in</strong>e Kleidung und tastete ihn ab. Als <strong>de</strong>rrote Nebel endlich verschwand, sah er direkt vor sich das verheulte und geschwolleneGesicht <strong>de</strong>s Stabsoffiziers, das voller roter Striemen und Flecken war. Das teureUniformhemd war halb zerrissen und entblößte <strong>die</strong> schwach behaarte Brust und <strong>die</strong> bloßeSchulter <strong>de</strong>s Mannes. Avery war gera<strong>de</strong> dabei, <strong>die</strong> zerfetzten Reste von Lan<strong>de</strong>rs Hemdwie<strong>de</strong>r zu verschließen. „Gott sei Dank! Er hat ke<strong>in</strong>e Kugel abbekommen, Danny“, waralles, was <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r mit tonloser Stimme sagte. „So wie es aussieht,hat ihn wohl jemand <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Unterleib getreten.“„Amen“, pflichtete <strong>de</strong>r neben Admiral Wesley knien<strong>de</strong> Fowley mit rauer Stimme bei.Als <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r zu sich f<strong>in</strong><strong>de</strong>n<strong>de</strong> Junioroffizier das schreckliche Chaos <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>ebemerkte und <strong>in</strong> ihre geschockten, leichenblassen Gesichter sah, wusste er, dass er dasalles lei<strong>de</strong>r nicht e<strong>in</strong>fach nur geträumt hatte. Es gab ke<strong>in</strong> Erwachen. Dies hier war <strong>die</strong>Wirklichkeit.Die bei<strong>de</strong>n halbnackten Toten, <strong>de</strong>ren Uniformen ebenfalls durchwühlt und zerrissenwor<strong>de</strong>n waren, das Blut, <strong>die</strong> zerschlagenen Betten und aufgeschlitzten Matratzen, <strong>die</strong>geplün<strong>de</strong>rten Sp<strong>in</strong><strong>de</strong>, <strong>die</strong> ausgekippten und zerstörten persönlichen Sachen…


Auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n vor ihm lag <strong>de</strong>r Brief an se<strong>in</strong>en Vater. Jemand war daraufherumgetrampelt. Es schien Lan<strong>de</strong>r, als wäre das Teil <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren Zeit geschriebenwor<strong>de</strong>n. Selbst <strong>die</strong> Entschuldigung und <strong>die</strong> gewünschte Versöhnung waren im Angesicht<strong>de</strong>r Toten und <strong>de</strong>s gera<strong>de</strong> Erlebten gera<strong>de</strong>zu banal.Fowley war dabei, Lan<strong>de</strong>rs Bett halbwegs wie<strong>de</strong>rherzurichten. Ohne <strong>de</strong>n Lattenrost, <strong>de</strong>rvon <strong>de</strong>n Vandalen völlig zerschlagen wor<strong>de</strong>n war, erwies sich das als völlig unmöglich.Admiral Wesley lag jedoch auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n, und das war nicht richtig. Avery, <strong>de</strong>r nurlangsam e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>er Fassung zurückgewann, nahm schließlich <strong>die</strong> Reste <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>nMatratzen und <strong>die</strong> schmutzigen Decken. Er kehrte <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>r Hand von <strong>de</strong>mmeisten Unrat frei. Aus <strong>de</strong>n Matratzen und <strong>de</strong>m Bettzeug bereitete er e<strong>in</strong> notdürftigesLager, wobei ihm <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren zögerlich halfen. Lan<strong>de</strong>r hatte zunächst das Gefühl,dass sich das ganze Zimmer um ihn drehte.Als sie <strong>de</strong>n Admiral bequemer betten wollten, sagte Fowley leise: „Lasst. Er braucht esnicht mehr. Der Notverband ist schon wie<strong>de</strong>r durchgeblutet. Es muss passiert se<strong>in</strong>, als sieihn vom Bett gezerrt haben.“„Ne<strong>in</strong>!“ Averys kaum hörbarer, entsetzter Schrei zeugte von e<strong>in</strong>em neuenZusammenbruch. Fowley sah es kommen und nahm ihn am Arm. Er führte Avery <strong>in</strong> <strong>de</strong>nWaschraum und sprach ihm dabei leise zu.Dort erlebten sie jedoch <strong>die</strong> nächste unangenehme Überraschung, <strong>de</strong>nn es kam ke<strong>in</strong>Wasser mehr aus <strong>de</strong>m Hahn <strong>de</strong>s Waschbeckens. Lan<strong>de</strong>r hörte Avery erstickt fragen:„Aber wie …?“„Es heißt, dass Wayland das Notsperrventil geschlossen hat. Falls es e<strong>in</strong>en Rohrbruchgibt, verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn <strong>die</strong>se Ventile im Masch<strong>in</strong>enraum, dass <strong>die</strong> Wassertanks <strong>de</strong>s Schiffes leerlaufen. Sie können auch im Schiffsmenü durch <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>nskontrolloffizier angewähltwer<strong>de</strong>n und machen es möglich, <strong>die</strong> Frischwasserzufuhr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Sektionen zuunterb<strong>in</strong><strong>de</strong>n“, erklärte Fowley geduldig. Er war völlig ruhig.„Aber… ohne Wasser…“„Glaubst du tatsächlich daran, dass e<strong>in</strong>er von uns <strong>die</strong> Brisbane noch e<strong>in</strong>mal lebendverlässt? Ich tue es ehrlich gestan<strong>de</strong>n nicht. Hast du nicht gehört? Er will <strong>in</strong> <strong>die</strong>Randwelten. Falls wir da jemals lebend ankommen, b<strong>in</strong> ich mir umso sicherer, dass wirvon dort nicht mehr zurückkehren.“Averys weit aufgerissene Augen fixierten Fowley und wan<strong>de</strong>rten dann weiter zu <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>r Wand lehnen<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r. In ihnen lag e<strong>in</strong> stummer Aufschrei. „Er will uns verdurstenlassen?!“„Wenn ich dazu etwas sagen dürfte, Sir, so glaube ich nicht, dass Comman<strong>de</strong>r Raven unsverdursten lassen will. Ich sehe es als re<strong>in</strong>e Schikane an“, sprach Lan<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>mTerror erstmalig wie<strong>de</strong>r. „Und was <strong>de</strong>n Rest angeht, kommt alles darauf an, ob <strong>die</strong>Admiralität schnell genug schaltet und das Schiff beschatten lässt. Falls das passiert,haben wir e<strong>in</strong>e Chance. Sie wer<strong>de</strong>n Unterstützung schicken und verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass wir <strong>die</strong>Randwelten je erreichen.“ Es war absurd, so nüchtern über etwas zu sprechen, von <strong>de</strong>mman nicht e<strong>in</strong>mal wusste, wo es lag. Die Randwelten waren e<strong>in</strong> Mysterium, da sie wie <strong>die</strong><strong>in</strong>neren Grenzwelten von kaum e<strong>in</strong>em Staatsbürger <strong>de</strong>r vier regulären Häuser jemalsbetreten wor<strong>de</strong>n waren. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st war niemand zurückgekommen, um von dort zuberichten, <strong>de</strong>nn es war Sperrgebiet.„Sie me<strong>in</strong>en… das ernst?“ Avery klammerte sich sichtlich an je<strong>de</strong>n Strohhalm. Er wolltenicht sterben.„Das wür<strong>de</strong> voraussetzen, dass jemand <strong>de</strong>r Admiralität irgendwie mitgeteilt hat, <strong>in</strong>welchen Schwierigkeiten wir stecken. Ansonsten hat Raven zu viel Vorsprung und könntemit <strong>de</strong>m Schiff überallh<strong>in</strong> verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n, bevor man <strong>de</strong>n Admiral und das Schiffüberhaupt vermisst.“ Fowley gab sich weniger leicht Illusionen h<strong>in</strong>, er wollte Fakten. Se<strong>in</strong>e<strong>in</strong>es Auge war nach e<strong>in</strong>em Schlag zugeschwollen, und er bewegte sich wie e<strong>in</strong> Menschmit Schmerzen, als er auf Lan<strong>de</strong>r zuwankte und ihn am Arm ergriff. „Du hast?“ Es ware<strong>in</strong>e ungläubige Bitte, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>e gezeigte Beherrschung und Kälte Lügen strafte.„Ja. Ich habe Mayday gefunkt, Sir. Lei<strong>de</strong>r b<strong>in</strong> ich nicht ganz fertig gewor<strong>de</strong>n, aber falls esjemand gehört hat, dürfte <strong>de</strong>r Admiralität zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st schon jetzt bekannt se<strong>in</strong>, dass ese<strong>in</strong>en Kampf auf <strong>die</strong>sem Schiff gab und dass <strong>de</strong>r Admiral <strong>in</strong> Schwierigkeiten steckt. Siebei<strong>de</strong> kennen sich mit <strong>de</strong>m Proze<strong>de</strong>re besser aus als ich, aber so weit ist es nicht bisnach Leeds, und e<strong>in</strong> Crusa<strong>de</strong>r ist schneller als wir. Die übrigen Streitkräfte könnten


<strong>in</strong>nen sechs Stun<strong>de</strong>n halb Tau-31 blockieren, und vermutlich könnte b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>es Tagesauch m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong> Schlachtschiff <strong>de</strong>r Navy hier se<strong>in</strong>.“Er hatte e<strong>in</strong> schlichtes Wort <strong>de</strong>s Lobes erwartet, aber statt<strong>de</strong>ssen fiel Daniel Fowley ihmohne je<strong>de</strong> Vorwarnung um <strong>de</strong>n Hals und drückte ihn so fest an sich, dass Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Luftwegblieb. Es war e<strong>in</strong> stummer und <strong>de</strong>nnoch starker Ausdruck se<strong>in</strong>es Lebenswillens.Avery tat es <strong>de</strong>m Zweiten Offizier gleich, kaum dass Fowley se<strong>in</strong>en ehemaligenZimmergenossen losließ.„Er<strong>in</strong>nerst du dich, was ich dir damals sagte, als ich dich bat, <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Sachenachzuforschen und unter an<strong>de</strong>rem nach Leeds zu fliegen?“„Oh ja!“ Avery lächelte Lan<strong>de</strong>r unter Tränen an und drückte ihn noch e<strong>in</strong>mal fest an sich.„Danny hat gesagt, dass Sie das Richtige tun und se<strong>in</strong>e Aussagen bestätigen wür<strong>de</strong>n. Erhatte Recht. Erst das von mir angefertigte Protokoll hat Dannys Berichten <strong>die</strong> nötigeGlaubwürdigkeit verliehen und zur Untersuchung geführt. Ohne Sie hätte ich <strong>die</strong> Sache<strong>de</strong>m Admiral niemals vorlegen können. So aber hat er gesagt, dass es gründlichuntersucht wer<strong>de</strong>n muss. Lei<strong>de</strong>r haben wir jedoch das Falsche getan, als wir mit nurzwanzig Soldaten hierher kamen.“„Niemand hat ahnen können, dass m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens <strong>die</strong> halbe Crew mit abkassiert hat und sichauf <strong>de</strong>ren Seite stellt. Ich hätte auch nicht daran geglaubt, wenn mir jemand gesagthätte, dass sie alle Soldaten nie<strong>de</strong>rmachen wür<strong>de</strong>n, und dabei kenne ich e<strong>in</strong>ige Männersowie me<strong>in</strong>e ehemaligen Vorgesetzten schon fast zwei Jahre.“ Fowley seufzte undwechselte das Thema: „Nur e<strong>in</strong>e Sache nehme ich dir wirklich übel, Patrick. Duncan istehrlich. Er war sogar gewissenhaft genug, mich nach <strong>de</strong><strong>in</strong>er Aussage <strong>de</strong>r Mitwisserschafto<strong>de</strong>r gar Mittäterschaft zu verdächtigen. Admiral Wesley wollte daher auch michmitverhaften lassen, wie ich auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck erfuhr. Du alle<strong>in</strong> solltest Capta<strong>in</strong> Lucandabei helfen, das Schiff nach Bretonia zu überführen und am Southampton Yard zudocken.“„Aber <strong>die</strong> Vorwürfe wären doch nicht haltbar gewesen, Danny! Ich konnte <strong>die</strong>se Sätzedoch nicht e<strong>in</strong>fach aus <strong>de</strong>m Protokoll streichen! E<strong>in</strong>e richtige Vernehmung, und du wärstvon allen Vorwürfen freigesprochen wor<strong>de</strong>n!“„Mittlerweile ist es egal, wie ich fürchte.“ Fowley schnitt e<strong>in</strong>e Grimasse.„Falls <strong>die</strong> Crusa<strong>de</strong>rs durchgekommen s<strong>in</strong>d…“„Ich habe <strong>de</strong>n Funkspruch unco<strong>die</strong>rt auf e<strong>in</strong>er offenen Frequenz rausgeschickt. Vielleichthat ihn ja zusätzlich noch e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Asteroid M<strong>in</strong>er aufgefangen und kann <strong>de</strong>nStreitkräften <strong>die</strong> Peilung angeben.“„Patrick ist e<strong>in</strong> Genie, o<strong>de</strong>r? Ich an se<strong>in</strong>er Stelle hätte nicht e<strong>in</strong> offenes Mayday <strong>in</strong> <strong>die</strong>Welt h<strong>in</strong>ausgebrüllt, bloß weil Admiral Wesley um Hilfe schreit, während ich überBordsprechanlage mit <strong>de</strong>m Capta<strong>in</strong> re<strong>de</strong>“, platzte Fowley heraus. „Mann, ich dachte, dassdu vor Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham kuschst, als er sagte, dass alles <strong>in</strong> Ordnung wäre. Nichts war <strong>in</strong>Ordnung, <strong>de</strong>nn mehr als dreißig Leichen lagen auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck, und wir waren vonBewaffneten umr<strong>in</strong>gt! Admiral Wesley hat e<strong>in</strong>e zweite Kugel dafür kassiert, dass ertrotz<strong>de</strong>m geschrien hat. Genau dann hat Major Bailey auch se<strong>in</strong>e Pistole gezogen undK<strong>in</strong>gsham angeschossen.“„Da du ja das relative Glück hattest, mit uns unten zu stehen, ist das, was du an PatricksStelle getan hättest, wohl ebenfalls irrelevant.“ Avery hatte sich abgewandt, damitniemand <strong>die</strong> neuen Tränen auf se<strong>in</strong>em Gesicht sah, als er erneut an jene grausige Szeneauf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>nken musste.„Ach K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, bis vor zehn M<strong>in</strong>uten habe ich mir gewünscht, ebenfalls tot zu se<strong>in</strong>. Nun gibtes aber dank Patrick wie<strong>de</strong>r Hoffnung! Wenn ich jetzt etwas zu tr<strong>in</strong>ken hätte, wür<strong>de</strong> ichvorschlagen, dass wir auf <strong>de</strong>n großartigsten Sub <strong>de</strong>r Welt anstoßen“, stieß Fowley hervor.„Ich wäre Ihnen sehr verbun<strong>de</strong>n, wenn Sie mich trotz<strong>de</strong>m Lieutenant nennen wür<strong>de</strong>n,Sir.“„Na, hör dir <strong>de</strong>n an.“ Avery lachte ohne Humor auf und <strong>de</strong>utete mit <strong>de</strong>m abgespreiztenDaumen auf ihn. „Wir sitzen zu dritt meilenweit im Dreck und er besteht darauf, uns Sirzu nennen.“Lan<strong>de</strong>r sehr genau taxierend begann Fowley schließlich: „Lieutenant, ich will Ihnen janicht mit Entschuldigungen kommen, aber mir geht es seit Wochen nicht son<strong>de</strong>rlich gut,weil me<strong>in</strong> Vater schwerkrank ist. Die Sache mit Miss Halmers, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Grund für IhrVerhalten ist, wie ich annehme, war auch nicht me<strong>in</strong>e Schuld. Ich habe nur mit ihr


getanzt und habe ke<strong>in</strong>erlei darüber h<strong>in</strong>ausgehen<strong>de</strong>n Absichten gehegt. Lei<strong>de</strong>r war <strong>die</strong>junge Lady <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass e<strong>in</strong> Lieutenant Comman<strong>de</strong>r weitaus mehr hermacht als e<strong>in</strong>Lieutenant, und <strong>de</strong>shalb habe ich sie als Tanzpartner<strong>in</strong> verloren. Da ich davon ausg<strong>in</strong>g,dass e<strong>in</strong>e Achtzehnjährige sich durchaus selbst zu helfen weiß, habe ich <strong>die</strong> Sacheabgehakt. Erst als Sie mich fragten, bemerkte ich, dass etwas nicht stimmen könnte. Dawar sie allerd<strong>in</strong>gs längst weg, wie Sie ja wissen. Was hätte ich <strong>de</strong>nn…“„Wenn Sie me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung hören wollten, Lieutenant, wür<strong>de</strong> ich sagen, dass ihr bei<strong>de</strong> <strong>die</strong>Sache am besten begrabt. Sie haben damals bei sich zu Hause auf Leeds selbstzugegeben, dass Sie nicht genau wissen, ob sie <strong>die</strong> Richtige für Sie ist“, warf Avery e<strong>in</strong>.„Ist sie nicht. E<strong>in</strong>e Frau, <strong>die</strong> mit je<strong>de</strong>m durchbrennt, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Streifen mehr hat, istke<strong>in</strong>e Frau, son<strong>de</strong>rn e<strong>in</strong>e bessere Hure.“„Hören Sie auf, so über me<strong>in</strong>e Jugendfreund<strong>in</strong> zu sprechen!“, rief Lan<strong>de</strong>r wütend, alsFowley sie so <strong>de</strong>rmaßen frech beleidigte. „Bevor sie das Schiff betrat, war sie nochJungfrau und ke<strong>in</strong>e Hure!“„Es gibt Milliar<strong>de</strong>n Frauen <strong>in</strong> Sirius, Sub. Auch Jungfrauen. Suchen Sie sich e<strong>in</strong>e bessere.Außer<strong>de</strong>m überdauern Männerfreundschaften heutzutage so gut wie je<strong>de</strong> Beziehung.“Avery klang altklug.„Nicht alle, Duncan“, verne<strong>in</strong>te Fowley.„Nun ja, bei Esther und Keith war es damals an<strong>de</strong>rs, aber generell…“, korrigierte Averysich eilig. „Wie auch immer, wir müssen alle zusammenhalten, wenn wir <strong>die</strong>s hierüberleben wollen. Wenn ihr wollt, ist <strong>die</strong>s e<strong>in</strong> <strong>die</strong>nstlicher Befehl. Deswegen befehle ichIhnen, mich ebenfalls Duncan zu nennen, Sub. Sie haben für mich <strong>de</strong>n Tag gerettet, undfalls wir hier wirklich wie<strong>de</strong>r rauskommen, vermutlich auch noch me<strong>in</strong> Leben.“„Duncan sagt <strong>die</strong> Wahrheit. Wir stecken bis zum Hals <strong>in</strong> Schwierigkeiten, und ich möchtenicht, dass so etwas Nichtiges wie e<strong>in</strong> Mädchen zwischen uns steht, wo es doch umunseren Kopf geht. Vergeben und vergessen, ja? Ich war vermutlich etwas leichts<strong>in</strong>nig,aber es war ke<strong>in</strong>e böse Absicht. Genauso wenig wie ich davon ausgehe, dass Sie michdurch Ihre Aussage bewusst <strong>de</strong>r Korruption beschuldigen wollten.“Es war unmöglich für Lan<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> ausgestreckte Hand nicht zu ergreifen. Avery als ihrgeme<strong>in</strong>samer Vorgesetzter legte se<strong>in</strong>e zum Schluss obenauf. Dabei wur<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>mzerrissenen blauen Stoff e<strong>in</strong> tiefer blutiger Kratzer ersichtlich, <strong>de</strong>r sich auch quer über<strong>de</strong>n halb entblößten Arm zog. „Lasst uns niemals <strong>die</strong> Hoffnung verlieren, solange wirleben, ja?“„Je<strong>de</strong>r von uns hat etwas, woh<strong>in</strong> es sich zurückzukehren lohnt, wie ich glaube.“Die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren nickten nur zu Lan<strong>de</strong>rs Worten. Ke<strong>in</strong>er war gewillt, <strong>die</strong> Hand alsErster wegzuziehen, bis Avery schließlich seufzte und es tat. „Wir müssen aufräumen,Jungs. So kann es hier nicht bleiben. Wer weiß. wie lange es dauert, bis man uns…“Er been<strong>de</strong>te se<strong>in</strong>en Satz nicht und ließ außer<strong>de</strong>m unerwähnt, dass das Aufräumen sieauch hoffentlich von <strong>de</strong>n Gedanken an <strong>die</strong> Toten ablenken wür<strong>de</strong>. Deshalb war auch ihreerste Tat, <strong>die</strong> drei Leichen geme<strong>in</strong>sam <strong>in</strong> <strong>de</strong>n momentan sowieso nutzlosen Waschraumzu schaffen und <strong>die</strong> Tür zu verschließen.Irgendwann sagte Fowley leise zu Lan<strong>de</strong>r: „Ich habe mich noch nicht für <strong>die</strong> Übernahme<strong>de</strong>r Nachmittagsschicht bedankt, Patrick. Das wür<strong>de</strong> ich hiermit gerne tun.“„Wie kannst du <strong>de</strong>nn jetzt daran <strong>de</strong>nken?“ Auch Lan<strong>de</strong>r duzte ihn jetzt wie<strong>de</strong>r, wie vorlanger Zeit e<strong>in</strong>mal.„Ganz e<strong>in</strong>fach. Ich komme immer noch nicht von <strong>de</strong>m Gedanken los, was ich getan hätte,wenn ich auf <strong>de</strong>r Brücke gewesen wäre. Hätte ich <strong>die</strong> Wache gehabt, wie <strong>de</strong>r Dienstplanvorsah, wäre ich oben gewesen, und du hättest <strong>die</strong> Crew auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck antretenlassen müssen. Ich weiß nicht, ob ich fähig gewesen wäre…“„Hör auf“, bat Lan<strong>de</strong>r.Nach e<strong>in</strong>em kurzen Moment schwieg Fowley <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat. Lan<strong>de</strong>r wandte sich ab, um <strong>die</strong><strong>in</strong>nere Qual und <strong>die</strong> daraus resultieren<strong>de</strong>n Selbstvorwürfe <strong>de</strong>s Lieutenants nicht weiterh<strong>in</strong>sehen zu müssen.E<strong>in</strong> leiser Schrei ließ sie jedoch bei<strong>de</strong> simultan herumfahren und mit schlimmenBefürchtungen zu Avery stürzen. Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r hatte jedoch e<strong>in</strong> Päckchen<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand, das offensichtlich <strong>de</strong>n Plün<strong>de</strong>rern nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> gefallen war und imSp<strong>in</strong>d gestan<strong>de</strong>n hatte. Es war das heute Morgen angekommene Päckchen von Leeds.


Unfähig, se<strong>in</strong>e Gefühle <strong>in</strong> Worte zu fassen, nahm Lan<strong>de</strong>r es Avery ab und wog es <strong>in</strong>bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n. Es war jetzt - nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en halben Tag nach <strong>de</strong>m Empfang - e<strong>in</strong>D<strong>in</strong>g aus e<strong>in</strong>er an<strong>de</strong>ren Welt. E<strong>in</strong>er heilen Welt. Petty Officer Piper hatte es für ihnzurückerobert und ihm so quasi nochmals geschenkt, <strong>de</strong>ssen war er sich sehr sicher.„Machst du’s auf?“, stellte Avery <strong>die</strong> Frage, <strong>die</strong> auch Fowley zu beschäftigen schien.„Soll ich?“Das Ja kam fast simultan von bei<strong>de</strong>n Vorgesetzten.Fowley fügte noch h<strong>in</strong>zu: „Kann sonst se<strong>in</strong>, dass es <strong>de</strong>r Nächste ent<strong>de</strong>ckt und e<strong>in</strong>fachmitnimmt. Wir könnten nichts dagegen unternehmen.“Die eigene Machtlosigkeit und das Gefühl <strong>de</strong>s Ausgeliefertse<strong>in</strong>s waren schmerzlich.Lan<strong>de</strong>r entschied sich eben wegen jener bösen Gedanken <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat dafür, das Päckchenzu öffnen.Als er daraufh<strong>in</strong> zwei Frischhaltedosen voller Plätzchen, e<strong>in</strong>en Gugelhupf <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er drittenDose und e<strong>in</strong> paar selbst gestrickte R<strong>in</strong>gelsocken nebst <strong>de</strong>m üblichen Bün<strong>de</strong>l Briefeauspackte, erfüllte leises Gelächter <strong>de</strong>n Raum. Diesmal war es ehrlich.„Patrick, du hast nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e vernünftige Uniform, aber wenigstens frierst du jetztnicht mehr an <strong>de</strong>n Füßen!“, kommentierte Fowley <strong>de</strong>n Fund. Er gr<strong>in</strong>ste sogar kurz dabei.„Darf ich?“ Die Beschei<strong>de</strong>nheit schien kaum zu <strong>de</strong>m Stabsoffizier zu passen. Er war e<strong>in</strong>völlig an<strong>de</strong>rer Mensch als damals <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>rs und hielt e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>rFrischhalteboxen hoch.„Bitte. Be<strong>die</strong>nt euch und versteckt <strong>de</strong>n Rest, so gut ihr könnt. Ich hoffe nur, dass du<strong>die</strong>smal wenigstens <strong>die</strong> Dose alle<strong>in</strong> aufkriegst, Daniel.“Während se<strong>in</strong>e bei<strong>de</strong>n Vorgesetzten sich sche<strong>in</strong>bar zur Ablenkung von ihren Problemenüber <strong>die</strong> Frage zu streiten begannen, ob man <strong>de</strong>n Kuchen o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Plätzchen zuerstprobieren sollte, setzte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> entfernteste Ecke <strong>de</strong>s Zimmers. Er wolltewenigstens <strong>die</strong> Illusion aufrechterhalten, dass er alle<strong>in</strong> war. Se<strong>in</strong>e Mutter hatte ihm mitihrer ungelenken Blockschrift vier Briefe voller Rechtschreibfehler beschert. Wie immer.Voller Fehler und von mütterlicher Liebe erfüllt.Als er <strong>de</strong>n Ersten aufmachte und ihre Schrift sah, brach er <strong>in</strong> Tränen aus und warf ihn <strong>in</strong><strong>die</strong> Ecke, weil er es nicht ertrug, an sie zu <strong>de</strong>nken. Sie wür<strong>de</strong> sich fürchterliche Sorgenmachen, wenn <strong>die</strong> Hyperbroadcastnachrichten über das Geschehen berichteten. O<strong>de</strong>raber falls sie es nicht taten, weil <strong>de</strong>r Funkspruch etwa doch nicht durchgekommen war,wür<strong>de</strong> ihr spätestens <strong>in</strong> an<strong>de</strong>rthalb Wochen auffallen, dass nach Weihnachten ke<strong>in</strong>eBriefe mehr von ihm kamen. Dann wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Admiralität vielleicht e<strong>in</strong>en ganzunwichtigen Sub-Lieutenant schicken, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Eltern berichtete, dass ihr Sohnvermutlich tot war.Auch alle an<strong>de</strong>ren Familien wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong>sen Besuch bekommen. Im Fall <strong>de</strong>r Wesleys wür<strong>de</strong>es ebenfalls e<strong>in</strong> Admiral se<strong>in</strong>, falls <strong>de</strong>r Mann Angehörige hatte, und bei Averybeispielsweise auch e<strong>in</strong> Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. So war <strong>die</strong> Tradition <strong>de</strong>r Royal Navy,aber <strong>de</strong>r Gedanke daran hatte etwas unheimlich F<strong>in</strong>ales. Se<strong>in</strong>e bei<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nsgenossenhörten und sahen ihn we<strong>in</strong>en. Sie verstummten. Zusammen stan<strong>de</strong>n sie auf undversuchten, ihn zu trösten. Duncan Avery hob sogar <strong>de</strong>n zerknüllten Brief auf, glätteteihn und legte ihn zusammen mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren <strong>in</strong> <strong>de</strong>n leeren Schrank.Dann holten sie <strong>die</strong> mittlerweile offene Plätzchendose und begannen zu essen. Vielleichtwar <strong>die</strong> Nähe <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s entschei<strong>de</strong>nd, aber ausgerechnet <strong>de</strong>r normalerweise rechtdistanzierte Fowley begann, als Erstes zu erzählen. Er sprach nicht explizit von sich zuHause und <strong>de</strong>r Zukunft, son<strong>de</strong>rn er sprach von <strong>de</strong>r Vergangenheit. Er erzähltestun<strong>de</strong>nlang von se<strong>in</strong>er Zwill<strong>in</strong>gsschwester Esther sowie se<strong>in</strong>em damaligen besten FreundKeith Parry, und ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren unterbrach ihn. Sie taten nur dasselbe für ihn, dasFowley zuvor mit Avery für Lan<strong>de</strong>r getan hatte. Sie waren da und spen<strong>de</strong>ten so viel Trostwie möglich.


Kapitel VIII – AbschiedPatrick Lan<strong>de</strong>r lag wach, aber mit geschlossenen Augen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dunkelheit. Sie hatten dasLicht vor gut zwei Stun<strong>de</strong>n ausgemacht und versuchten je<strong>de</strong>r für sich, auf ihremimprovisierten Lager zu schlafen. Es waren <strong>die</strong> blutverschmierten Matratzen, auf <strong>de</strong>nen<strong>die</strong> Verletzten gestern gelegen und gesessen hatten, und auch <strong>die</strong>selben dreckigenDecken. Die Kopfkissen waren völlig zerfetzt gewesen, und <strong>die</strong> Fe<strong>de</strong>rn hatten im ganzenZimmer verstreut gelegen. Aus <strong>de</strong>r Not heraus hatten sie <strong>die</strong> kläglichen Reste genommenund sich daraus e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Lager für drei gemacht.Abgesehen von <strong>de</strong>n üblichen Geräuschen e<strong>in</strong>es unter halber Kraft vorwärtsdrängen<strong>de</strong>nSchiffes und <strong>de</strong>m Atmen <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Leben<strong>de</strong>n war es still. Totenstill.Die an<strong>de</strong>ren lagen noch immer im Waschraum. Niemand hatte <strong>die</strong> Toten weggeholt, undke<strong>in</strong>er von ihnen hatte gewagt, ihre Bewacher darum zu bitten. Die Gefangenen wolltenschlichtweg unsichtbar se<strong>in</strong>. Dass man sie vergaß, war wohl das Beste, was ihnenpassieren konnte. Sie hatten zwar ke<strong>in</strong> Wasser, aber alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gedanke an jenen Mob,<strong>de</strong>r aus ihrer Crew gewor<strong>de</strong>n war, ließ Lan<strong>de</strong>r schau<strong>de</strong>rn.Der <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte liegen<strong>de</strong> Duncan Avery bewegte sich leicht und stieß dabei gegen ihn.Sie hatten ihn ohne Abstimmung e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mitte genommen, weil <strong>de</strong>r Stabsoffizieram Abend we<strong>in</strong>end zusammengebrochen war. Ob Avery jetzt von <strong>de</strong>r Berührung erwachto<strong>de</strong>r bereits vorher wach gewesen war, vermochte Lan<strong>de</strong>r nicht zu sagen, aber <strong>de</strong>rLieutenant Comman<strong>de</strong>r murmelte: „Entschuldigung.“„Macht nichts.“Es war auch ohne zwischen ihnen stehen<strong>de</strong> D<strong>in</strong>ge schwer genug, ihre Situation zuertragen. Mit <strong>de</strong>r nächtlichen Stille auf <strong>de</strong>m Schiff waren <strong>die</strong> Gedanken umso drängen<strong>de</strong>rgewor<strong>de</strong>n. Genau zu jenem Zeitpunkt hatte Avery <strong>die</strong> Nerven verloren. Auch Lan<strong>de</strong>rertappte sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong>n Stun<strong>de</strong>n oft bei <strong>de</strong>m Gedanken, was passieren wür<strong>de</strong>,wenn <strong>de</strong>r Notruf aus irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>em Grund nicht nach Leeds weitergeleitet wor<strong>de</strong>n war. Diezehn Crusa<strong>de</strong>rs waren vielleicht allesamt von <strong>de</strong>n Meuterern o<strong>de</strong>r irgendwelchenKrim<strong>in</strong>ellen vernichtet wor<strong>de</strong>n, und ob e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Asteroid M<strong>in</strong>er <strong>de</strong>n Ruf auf <strong>die</strong> größereDistanz als zehn E<strong>in</strong>heiten aufgefangen hatte, war sehr unsicher. Vielleicht war ja gera<strong>de</strong>e<strong>in</strong> Han<strong>de</strong>lsfrachter <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tra<strong>de</strong>lane gewesen, entwe<strong>de</strong>r aus Kusari kommend o<strong>de</strong>rdorth<strong>in</strong> fliegend. Das war allerd<strong>in</strong>gs alles sehr fraglich. Zu viele Zufälle waren enthalten.Und selbst wenn <strong>die</strong> erhoffte Verstärkung e<strong>in</strong>traf, was sollten <strong>die</strong> Besatzungen <strong>de</strong>r Jägero<strong>de</strong>r Schlachtschiffe <strong>de</strong>nn machen? Sie konnten doch überhaupt nichts für <strong>die</strong> dreigefangenen Offiziere tun. Sie konnten <strong>die</strong> gegen <strong>die</strong> eigene Admiralität meutern<strong>de</strong> Crew<strong>de</strong>r Brisbane auffor<strong>de</strong>rn, sich zu ergeben, aber das wür<strong>de</strong> nie geschehen. Man konntealso das Schiff nur blockieren o<strong>de</strong>r unter Beschuss nehmen, um es zu zerstören.E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Patrouillenkreuzer hatte gegen e<strong>in</strong>en Träger wie <strong>die</strong> York so gut wie ke<strong>in</strong>eChance. Im Extremfall wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Admiralität Befehl geben, <strong>die</strong> fast noch werftneueBrisbane zu vernichten. Sie konnte dabei ke<strong>in</strong>e Rücksicht auf drei Gefangene, <strong>die</strong>nebenbei gesagt auch noch relativ rangnie<strong>de</strong>re und daher unwichtige Offiziere waren,nehmen. Es war ja noch nicht e<strong>in</strong>mal gesagt, dass man überhaupt von ihrem Überlebenwusste.Falls es wirklich zur Konfrontation käme und man das Schiff stellte, war eher noch zuerwarten, dass Raven sie zu Geiseln <strong>de</strong>klarieren und sie <strong>de</strong>n anrücken<strong>de</strong>n Streitkräftenals menschliche Schutzschil<strong>de</strong> präsentieren wür<strong>de</strong>. Frei nach <strong>de</strong>m Motto: ‚Wenn ihr unsangreift, dann trefft ihr auch eure eigenen Leute!’ Skrupellos genug war <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>rmit Sicherheit, wie er ja schon durch <strong>de</strong>n direkt befohlenen Mord an Capta<strong>in</strong> Lucan und<strong>die</strong> <strong>in</strong>direkt gebilligte Tötung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong>n Offiziere sich selbst und <strong>de</strong>m Universumh<strong>in</strong>reichend bewiesen hatte.Sie hatten ke<strong>in</strong>e Chance, außer sie unternahmen selbst etwas. Da zwei Leute vor ihrerKab<strong>in</strong>e Wache stan<strong>de</strong>n und Befehl hatten, sie abzuknallen, wenn auch nur <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>enSpaltbreit geöffnet wur<strong>de</strong>, war sehr unklug, das zu versuchen. Außer natürlich, wennman es darauf anlegte, möglichst schnell und hoffentlich schmerzlos durch e<strong>in</strong> Projektilzu sterben. Dass <strong>die</strong> Crewmitglie<strong>de</strong>r wirklich draußen waren, daran bestand ke<strong>in</strong>erleiZweifel. Sie hatten gehört, wie <strong>die</strong> Leute abgelöst wor<strong>de</strong>n waren, und außer<strong>de</strong>m drangenimmer wie<strong>de</strong>r Gelächter o<strong>de</strong>r Fetzen e<strong>in</strong>er Unterhaltung durch <strong>die</strong> Tür.


Und selbst wenn es ihnen gel<strong>in</strong>gen wür<strong>de</strong>, <strong>die</strong> Wächter zu überwältigen und sich ihreWaffen anzueignen, hatten sie <strong>de</strong>nnoch das gesamte Schiff gegen sich. Wie vieleCrewmitglie<strong>de</strong>r das nach <strong>de</strong>m Kampf auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck noch genau waren, wussteLan<strong>de</strong>r nicht, aber es waren wohl zu viele für drei Mann, von <strong>de</strong>nen Avery noch dazu mite<strong>in</strong>er Waffe sicherlich recht unerfahren war. Die an<strong>de</strong>ren hatten sich zu <strong>die</strong>sem Punktauch völlig ausgeschwiegen.Ne<strong>in</strong>, sie saßen fest und taten gut daran, sich damit abzuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Sie mussten auf e<strong>in</strong>esich vielleicht ergeben<strong>de</strong> Gelegenheit warten und sie nutzen.„Duncan, Patrick, seid ihr wach?“ Auch Fowley hatte ke<strong>in</strong>en Schlaf gefun<strong>de</strong>n, wie es sichanhörte.„Ja“, flüsterte Avery zurück.„Und Patrick?“„Ich konnte nicht schlafen.“„Genauso wenig wie ich. Hört mal, ich habe nachgedacht. Wenn jemand von uns auf <strong>die</strong>Brücke gebracht wer<strong>de</strong>n sollte…“„Was ist dann, Danny?“, bohrte Avery nach, als Fowley nicht weitersprach.„Dann muss er versuchen, Zeit zu gew<strong>in</strong>nen. Falls wir alle drei h<strong>in</strong>gebracht wer<strong>de</strong>nsollten, musst am besten du han<strong>de</strong>ln, Duncan. Patrick und ich wer<strong>de</strong>n versuchen, diretwas Zeit zu verschaffen. Falls es nur e<strong>in</strong>er von uns ist, schlage ich vor…“ Es klang wiee<strong>in</strong> erst jetzt gefasster Entschluss.„Zeit wofür?“„Me<strong>in</strong>en Kommandoco<strong>de</strong> und me<strong>in</strong>e Servicenummer e<strong>in</strong>zugeben. Der Kommandoco<strong>de</strong>lautet…“„Wovon re<strong>de</strong>st du <strong>de</strong>nn da?“ Avery begriff es nicht - o<strong>de</strong>r er wollte es nicht begreifen.„Du schlägst vor, <strong>die</strong> Selbstzerstörung zu aktivieren, Daniel?“ Lan<strong>de</strong>r selbst hatte ke<strong>in</strong>eneigenen Kommandoco<strong>de</strong>, da er nur <strong>de</strong>r Junioroffizier <strong>de</strong>s Schiffes war und als Vierter <strong>de</strong>rRangordnung lediglich zu Ausbildungszwecken und für <strong>die</strong> Außene<strong>in</strong>sätze vorgesehenwar.„Es sche<strong>in</strong>t <strong>die</strong> beste Lösung zu se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> Schlachtschiff kann hier draußen zu vielanrichten, selbst wenn es nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Patrouillenkreuzer ist. Die Brisbane wäre e<strong>in</strong>egroße Gefährdung für <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsverkehr zwischen <strong>de</strong>n vier Häusern, falls Raven sichselbstständig macht und nebst <strong>de</strong>r Crew auf eigene Rechnung arbeitet. Sie hat genugoffensives Potenzial, um e<strong>in</strong>en ganzen Han<strong>de</strong>lskonvoi auszulöschen. Eigentlich hat Ravengenau genommen ja sowieso ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Wahl mehr. Falls <strong>de</strong>r Notruf ankam, dürfteman mittlerweile nachgeforscht haben, wieso Admiral Wesley überhaupt hier auf <strong>de</strong>mSchiff war. Raven wird krim<strong>in</strong>ell wer<strong>de</strong>n müssen.“„Auch wenn <strong>de</strong>r Notruf nicht ankam“, erwähnte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re Möglichkeit. „Ich gehestark davon aus, dass Admiral Wesleys Frachter nebst <strong>de</strong>r Eskorte zurückerwartet wird.Wenn er ausbleibt, wer<strong>de</strong>n auf je<strong>de</strong>n Fall Fragen gestellt.“„Du… du willst das Schiff also hochjagen. Schön, ich b<strong>in</strong> dabei, aber wie ge<strong>de</strong>nkst dunach E<strong>in</strong>gabe <strong>de</strong>s Countdowns hier wegkommen? Hat jemand von euch e<strong>in</strong>en Flugsche<strong>in</strong>?Wenn wir e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Rettungskapseln <strong>de</strong>r Brücke nehmen, wird uns hier draußen niejemand f<strong>in</strong><strong>de</strong>n!“Da Fowley schwieg, war es Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> schreckliche Wahrheit aussprach: „WennRaven auf <strong>de</strong>r Brücke ist, kann er <strong>de</strong>n Countdown je<strong>de</strong>rzeit aussetzen. Daniel ist nur <strong>de</strong>rZweite Offizier, er h<strong>in</strong>gegen <strong>de</strong>r Erste. Uns wer<strong>de</strong>n nur Sekun<strong>de</strong>n bleiben. Die e<strong>in</strong>zigeWahl wird daher se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n Countdown nicht zu setzen.“„Und dabei draufzugehen? Das Schiff direkt mit <strong>de</strong>m Nullcountdown hochzujagen? Ist esdas, was ihr sagen wollt?“ Averys Worte klangen hastig und schrill. „Ich will aber nichtsterben! Ihr seid ja völlig lebensmü<strong>de</strong>!“„Bist du dabei, Patrick?“ Fowley ignorierte <strong>de</strong>n Ausbruch <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rsneben sich e<strong>in</strong>fach.„Klar. Nur gib mir besser ebenfalls <strong>de</strong>n Co<strong>de</strong>, falls ausgerechnet du es nicht schaffst.“„Hört mir hier überhaupt jemand zu?!“ Avery schrie es fast heraus. „Ihr seid dochverrückt! Ich verbiete es! Ich b<strong>in</strong> hier <strong>de</strong>r ranghöchste anwesen<strong>de</strong> Offizier, und ihr könntnicht gegen me<strong>in</strong>en Befehl <strong>die</strong> Selbstzerstörung…“


In <strong>de</strong>r Dunkelheit war zu hören, wie neben Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Kampf ausbrach. Avery begannplötzlich um sich zu schlagen und zu treten sowie unterdrückt um Hilfe zu schreien. Wiees klang, erstickte Fowley <strong>die</strong> Worte mit <strong>de</strong>r Hand.Lan<strong>de</strong>r überwand sich und fasste mit zu. Er nahm <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s sich w<strong>in</strong><strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, <strong>in</strong> Panikgeratenen Offiziers und hielt sie eisern fest.„Jetzt hör mir mal zu, Duncan! Der Tod durch <strong>die</strong> Reaktorkernschmelze ist viel schnellerund schmerzloser als selbst <strong>die</strong> Kugel. Du verdampfst e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> weniger als e<strong>in</strong>igenMillisekun<strong>de</strong>n, viel schneller als du es auch nur begreifen o<strong>de</strong>r Schmerz empf<strong>in</strong><strong>de</strong>nkönntest. Es ist das Beste, das uns passieren kann! Patrick und ich haben als Offiziere<strong>de</strong>r Brisbane <strong>die</strong> Pflicht, Raven zu stoppen und zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass er mit <strong>de</strong>r Feuerkraft<strong>die</strong>ses Schiffes noch mehr unserer Staatsbürger gefähr<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r tötet! Es ist auch unserSchiff! Von daher ist mir völlig egal, was du mir <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Zusammenhang sagst o<strong>de</strong>rnicht! Es ist unsere Pflicht <strong>die</strong> Bevölkerung zu schützen, verdammt noch mal! Stell dirdoch mal vor, er knallt ganz durch und steuert Leeds an. O<strong>de</strong>r aber er wartet e<strong>in</strong>igeWochen, fliegt quer durch Sirius und kommt <strong>in</strong> Cambridge wie<strong>de</strong>r raus. Er könnte über<strong>de</strong>m Planeten se<strong>in</strong> und unsere Fusionsbomben werfen, bevor <strong>die</strong> Norfolk ihn daranh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn kann. Willst du das?“„Ihr habt ke<strong>in</strong>e Bomben an Bord, Danny!“, stieß Avery trotz <strong>de</strong>r Hand auf se<strong>in</strong>em Mundun<strong>de</strong>utlich hervor.„Doch. Je<strong>de</strong>r Patrouillenkreuzer hat immer e<strong>in</strong>en Satz dabei, fallsunvorhergesehenerweise e<strong>in</strong> neuer E<strong>in</strong>satzbefehl kommt, während er draußen unterwegsist. Es könnte ja e<strong>in</strong> Krieg ausbrechen und damit <strong>de</strong>r Verteidigungsfall e<strong>in</strong>treten. Auch e<strong>in</strong>Patrouillenkreuzer ist e<strong>in</strong> Schlachtschiff Se<strong>in</strong>er Majestät.“Das nun e<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong> Schweigen währte so lange, dass Fowley vorsichtig <strong>die</strong> Hand vonAverys Mund herunternahm.„Wie viele?“ E<strong>in</strong>e ruhige Nachfrage, <strong>die</strong> <strong>in</strong> völligem Kontrast zu <strong>de</strong>m vorherigen Verhalten<strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs stand.„E<strong>in</strong> Dutzend. Stell dir also Planet Cambridge vor. Die Norfolk wird vielleicht e<strong>in</strong>igeSekun<strong>de</strong>n zu spät kommen. E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> orbitaler Umlaufbahn geworfene Fusionsbombe tötetm<strong>in</strong><strong>de</strong>stens hun<strong>de</strong>rttausend Menschen, wenn sie auf e<strong>in</strong>e größere Stadt fällt. Auf <strong>de</strong>mdichter besie<strong>de</strong>lten Planeten Leeds wäre es vielleicht sogar e<strong>in</strong>e halbe Million. Mit e<strong>in</strong>ere<strong>in</strong>zigen verdammten Bombe, Duncan! Wir haben zwölf davon! Willst du das?“„Daniel?“ Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> es plötzlich sehr mulmig. Ihm versagte sogar fast <strong>die</strong> Stimme.„Was ist?“„Wenn Raven wirklich so korrupt und geldgeil ist, wie es <strong>de</strong>n Ansche<strong>in</strong> hat, könnte er auf<strong>de</strong>n Gedanken kommen, <strong>die</strong> Bomben an <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen zu verkaufen.“„Mutter Gottes! Wenn er das tut…“„Na und? Was haben <strong>die</strong> dann davon? Sie s<strong>in</strong>d zu groß, um <strong>in</strong> <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>raum e<strong>in</strong>esschweren Jägers zu passen. Die Krim<strong>in</strong>ellen haben ke<strong>in</strong>e Schlachtschiffe. Demnachkönnen sie doch mit <strong>de</strong>n Bomben nichts anfangen…“ Avery hielt <strong>in</strong>ne, als ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>rbei<strong>de</strong>n etwas sagte. „… o<strong>de</strong>r?“„Duncan, wir MÜSSEN <strong>die</strong> Brisbane zerstören. Patrick hat Recht. Davon hängt das Lebenvon Millionen Menschen ab! Wir MÜSSEN auf <strong>die</strong> Brücke o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Notbrücke kommen!“Der e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche Ton <strong>in</strong> Fowleys Stimme verfehlte se<strong>in</strong>e Wirkung nicht. Avery ächzte auf.„Wür<strong>de</strong>st du mir <strong>de</strong>nn wenigstens sagen, was <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen mit <strong>de</strong>n Bomben sollen?Wenn ich schon me<strong>in</strong> Leben wegwerfe, will ich wenigstens wissen, wieso!“Genau <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Moment flog <strong>die</strong> Tür auf, und das Licht im Raum wur<strong>de</strong> e<strong>in</strong>geschaltet.Geblen<strong>de</strong>t schloss Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Augen und hörte Avery vor Angst aufstöhnen.„Vielen Dank Ihnen allen. Auf <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e mit unserem Bombenarsenal b<strong>in</strong> ich noch gar nichtgekommen. Chief, bitte sorgen Sie dafür, dass <strong>die</strong> Gefangenen aufstehen.“Erasmus Ravens Stimme sorgte dafür, dass Lan<strong>de</strong>r hochkam, noch bevor Wayland ihnerreichte. Avery und Fowley waren nicht ganz so schnell, und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>rStabsoffizier kassierte dafür e<strong>in</strong>en Tritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Rücken, <strong>de</strong>r ihn gequält aufschreien ließ.Wie<strong>de</strong>r stand Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r gestrigen Anweisungen und <strong>de</strong>s Rats von Petty OfficerPiper entsann, mit erhobenen Hän<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Wand. Sie mussten überleben und <strong>die</strong>seLeute stoppen! Sie mussten e<strong>in</strong>fach!„Danke, Chief.“ Raven stand wohl h<strong>in</strong>ter ihnen und mittlerweile etwa <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>sRaumes. Lan<strong>de</strong>r kalkulierte se<strong>in</strong>e Chancen und hätte liebend gerne e<strong>in</strong>en Blick zu Fowley


geworfen, aber ohne <strong>die</strong> m<strong>in</strong>imalste Koord<strong>in</strong>ation und e<strong>in</strong>e Ahnung, wie viele Waffen ihreFe<strong>in</strong><strong>de</strong> hatten, war es zwecklos.„Wie gesagt, es war e<strong>in</strong>e grandiose I<strong>de</strong>e, <strong>die</strong> vielleicht sogar dafür sorgen könnte, dass<strong>die</strong> meisten von uns e<strong>in</strong> permanentes Leben auf e<strong>in</strong>em hübschen Planeten o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>emLuxusl<strong>in</strong>er von Spa and Cruise führen können. Unter falschem Namen versteht sich. DieCorsairs o<strong>de</strong>r Outcasts, <strong>die</strong> als E<strong>in</strong>zige über beson<strong>de</strong>rs schwere Jäger mit e<strong>in</strong>emLa<strong>de</strong>raum verfügen, <strong>de</strong>r fast so groß ist wie <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es Rh<strong>in</strong>os, wer<strong>de</strong>n vermutlich für e<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>zige <strong>die</strong>ser Bomben mehrere Millionen Credits zahlen. Vielleicht sogar e<strong>in</strong>e Summe imzweistelligen Bereich. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>die</strong> Corsairs, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>en immensen Hass auf <strong>die</strong> vierHäuser haben, wür<strong>de</strong>n das me<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>schätzung nach durchaus tun.“„Wenn Sie das tun, Comman<strong>de</strong>r Raven, dann ermöglichen Sie <strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>rHauptwelten anzugreifen“, ergriff Fowley entsetzt das Wort.„Das wäre ja <strong>de</strong>r Reiz an <strong>de</strong>r ganzen Sache und <strong>de</strong>r Grund, warum sie so viel Geld füre<strong>in</strong>e jener Bomben bezahlen wür<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger gut eskortierter Titan, e<strong>in</strong>eFusionsbombe und rund e<strong>in</strong>e Million Tote auf Planet New London. Für hun<strong>de</strong>rt Millionennehmen sie vielleicht sogar das ganze Dutzend. Zwölf Jäger und über <strong>de</strong>n Daumengepeilt fünfzehn Millionen Tote. Hun<strong>de</strong>rt Millionen wür<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>uten, dass je<strong>de</strong>r von unsknapp zwei Millionen bekommt.“„Aber… aber Sie kommen doch auch von Planet New London, Sir. Ge… genau wie Cap…Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham!“ Der Zweite Offizier empfand <strong>de</strong>nselben Horror wie Lan<strong>de</strong>r.„Lionel ist tot. Major Bailey hat ihn getötet. Ich führe hier jetzt das Kommando, undMister Wayland ist me<strong>in</strong> Stellvertreter. Man hat mich eben von <strong>de</strong>r Krankenstationgeholt, wo ich von me<strong>in</strong>em Freund Abschied nahm, als se<strong>in</strong>e Leute hörten, dass Sie dreisich stritten und dabei <strong>die</strong> Selbstzerstörung erwähnten. Ich b<strong>in</strong> hergekommen und habenoch das En<strong>de</strong> Ihrer Spekulationen mitbekommen. Ich wer<strong>de</strong> Ihre I<strong>de</strong>e schnellstmöglichdankend aufgreifen. Weil es <strong>die</strong> bretonische Regierung war, <strong>die</strong> Lionel getötet hat unduns zu Geächteten machte, kenne ich ke<strong>in</strong>erlei Gna<strong>de</strong> mehr.“„Und was ist mit <strong>de</strong>r Bevölkerung?“ Avery erstickte fast an <strong>de</strong>n Worten.„Da ich <strong>de</strong>r Bevölkerung egal b<strong>in</strong>, sehe ich ke<strong>in</strong>en Grund, e<strong>in</strong> schlechtes Gewissen zuhaben. Außer<strong>de</strong>m lebt auf New London sowieso nur <strong>de</strong>r reiche Abschaum Bretonias, zu<strong>de</strong>m ja auch Sie bei<strong>de</strong> gehören. Wie Parasiten ernährt ihr euch vom Rest <strong>de</strong>rBevölkerung und saugt ihn aus. Es wäre also nicht e<strong>in</strong>mal son<strong>de</strong>rlich scha<strong>de</strong> darum,wenn e<strong>in</strong> Großteil eures Imperiums <strong>in</strong> Schutt und Asche fiele.“ Raven brach ab undpausierte kurz, bevor er anschloss: „Lassen Sie <strong>de</strong>n Gefangenen Papier und Stiftaushändigen, Chief. Sie haben e<strong>in</strong>e halbe Stun<strong>de</strong> Zeit, unter Ihrer Aufsicht ihreAbschiedsbriefe zu verfassen. In e<strong>in</strong>er Dreiviertelstun<strong>de</strong> muss <strong>die</strong> Crew auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck angetreten se<strong>in</strong>, um <strong>de</strong>r Erschießung beizuwohnen. Wir wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> Briefezusammen mit allen Leichen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Rettungskapsel legen, <strong>die</strong> wir vor <strong>de</strong>m Sprung amGate aussetzen. Ich b<strong>in</strong> ja schließlich ke<strong>in</strong> Unmensch.“„Ja, Sir.“ Wayland gr<strong>in</strong>ste sogar dabei, als er e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Wachen gestikulierte: „Du hastgehört! Hol <strong>de</strong>n Gentlemen doch bitte Schreibzeug.“In genau <strong>die</strong>sem Moment schrie Daniel Fowley auf, und e<strong>in</strong> kurzer Tumult brach los. Dervöllig überraschte Lan<strong>de</strong>r fuhr herum, aber bevor sie wirklich e<strong>in</strong>e Chance hatten, war esvorbei.Fowley lag ausgestreckt auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n und rührte sich nicht. Avery vergaß se<strong>in</strong>e Angstfür e<strong>in</strong>en Moment und kniete hastig neben se<strong>in</strong>em Freund nie<strong>de</strong>r.Wenigstens war ke<strong>in</strong> Schuss gefallen, aber Raven sah auf <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n herunter und dannzum Chief. „Sorgen Sie dafür, dass es bitte ke<strong>in</strong>e weiteren Komplikationen mehr gibt. Ichhabe genug von <strong>die</strong>sen Aasfressern.“ Als er Lan<strong>de</strong>rs Blick sah, verzog er <strong>die</strong> Lippen zue<strong>in</strong>em Lächeln. „Das schloss Sie jetzt natürlich nicht mit e<strong>in</strong>, Sub. Sorry, dass es Sie auchbetrifft, aber ich hätte schon vor Monaten ahnen müssen, dass Parry nicht <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zigefaule Apfel im Korb war. Man kann aussortieren, wie man will, <strong>de</strong>r Schimmel hat immerbereits übergegriffen und breitet sich aus. Erst Parry, dann Fowley, und nun betrifft esauch Sie. Ich habe gera<strong>de</strong> angefangen, Sie zu schätzen, obwohl Sie an sich zumgeme<strong>in</strong>en Fußvolk und nicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Offiziersmesse e<strong>in</strong>es Schiffes <strong>de</strong>r Royal Navygehören.“


Mit zu Fäusten geballten Hän<strong>de</strong>n sah Lan<strong>de</strong>r kurz zu Avery, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Blick voller Angst ausaufgerissenen Augen erwi<strong>de</strong>rte. Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r war damit beschäftigt, <strong>de</strong>nwohl bewusstlos geschlagenen Fowley wie<strong>de</strong>r zu sich zu br<strong>in</strong>gen.„Sie haben Lieutenant Parry also getötet?“, folgerte Lan<strong>de</strong>r.„Ich habe ihn umbr<strong>in</strong>gen lassen. E<strong>in</strong> Mitglied se<strong>in</strong>es Teams hat es getan. Die Gelegenheitwar günstig. Unteroffizier Piper ist e<strong>in</strong> guter Schütze. Nicht selbst töten zu müssen isteben das Privileg <strong>de</strong>s höheren Ranges und <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s, Lieutenant. Lei<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n Siebei<strong>de</strong>s niemals erlangen, weil Fowleys E<strong>in</strong>fluss Sie vergiftet hat. Er und Mister Averywer<strong>de</strong>n jedoch gleich sterben, da sie durch ihre Konspiration me<strong>in</strong>en Freund Lionel auf<strong>de</strong>m Gewissen haben.“Derartig zum Schweigen gebracht starrte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ehemaligen Ersten Offizier dumpfan. Wie um noch e<strong>in</strong>en oben draufzusetzen fragte Raven: „Wen wür<strong>de</strong>n Sie als Schützenfür <strong>die</strong> H<strong>in</strong>richtung empfehlen, Chief?“„Ich <strong>de</strong>nke, dass es nur recht wäre, wenn auch Fowley durch <strong>die</strong> Hand <strong>de</strong>s Mannes stirbt,<strong>de</strong>r schon se<strong>in</strong>en Freund Parry getötet hat.“„Wie Sie me<strong>in</strong>en. Veranlassen Sie das bitte. Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>e und möchte <strong>die</strong>Briefe noch vorgelegt bekommen, sobald sie fertig s<strong>in</strong>d.“Erstarrt sah Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m jetzigen Komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n nach. Se<strong>in</strong> Blick begegnete <strong>de</strong>m <strong>de</strong>sChef<strong>in</strong>genieurs. Dar<strong>in</strong> las er Kälte und Des<strong>in</strong>teresse. Ihm kam <strong>de</strong>r Gedanke, dass <strong>die</strong>Admiralität durch ihre Anordnungen und <strong>die</strong> Erf<strong>in</strong>dung <strong>de</strong>r Patrouillenkreuzerklasse mit<strong>de</strong>r ihr eigenen Kommandostruktur Monster hervorgebracht hatte. Leute, <strong>die</strong> schon zulange getötet hatten, um noch e<strong>in</strong>en Unterschied zwischen Gut und Böse zu empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.Nicht an<strong>de</strong>rs als <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen, <strong>die</strong> sie bekämpften.„Das Papier, Chief.“ Der Läufer war zurückgekommen und trug e<strong>in</strong>en Block sowie e<strong>in</strong>igeStifte bei sich.„Händigen Sie es <strong>de</strong>n Herren bitte aus.“ Wayland hob <strong>die</strong> Waffe <strong>de</strong>monstrativ e<strong>in</strong> wenigan. „Fangen Sie an, Gentlemen! Sie haben noch 25 M<strong>in</strong>uten.“Mit laut pochen<strong>de</strong>m Herzen und <strong>de</strong>m Rauschen se<strong>in</strong>es Blutes <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ohren marschiertePatrick Lan<strong>de</strong>r hoch erhobenen Hauptes zum Hangar<strong>de</strong>ck. L<strong>in</strong>ks und rechts von ihm g<strong>in</strong>gjeweils e<strong>in</strong> Mann, <strong>de</strong>r ihn um m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens zwei Köpfe überragte und daneben auch nochso breit war wie e<strong>in</strong> Schrank. Sie hielten se<strong>in</strong>e auf <strong>de</strong>m Rücken gefesselten Arme noche<strong>in</strong>mal zusätzlich fest und führten ihn, da er wegen <strong>de</strong>r verbun<strong>de</strong>nen Augen nichts sehenkonnte. Es war irrs<strong>in</strong>nig, da er eigentlich sogar <strong>die</strong> Schrittzahl bis zum Hangar<strong>de</strong>ckwusste, aber <strong>die</strong>se Behandlung stellte e<strong>in</strong>en Teil <strong>de</strong>r Erniedrigung dar. E<strong>in</strong> Aspekt <strong>de</strong>sSpektakels für <strong>die</strong> Unterhaltung <strong>de</strong>r verräterischen Besatzung.Es waren <strong>die</strong> bulligsten Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Crew, <strong>die</strong> Wayland für <strong>die</strong>se Aufgabe abgestellthatte. Ihr Griff war so fest, dass Lan<strong>de</strong>r erwartete, dass sie je<strong>de</strong>n Augenblick se<strong>in</strong>eKnochen brechen wür<strong>de</strong>n. Nicht, dass das noch irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>en Unterschied machen wür<strong>de</strong>.Ihnen stand ja sowieso e<strong>in</strong>e standrechtliche Erschießung bevor, genau wie sie imHandbuch stand. Haarkle<strong>in</strong> bis <strong>in</strong>s Detail. Jene schlimmste Bestrafung, <strong>die</strong> normalerweisefür Spione <strong>in</strong> Kriegszeiten vorgesehen war und ansonsten nur im Fall von Mör<strong>de</strong>rn,Verrätern o<strong>de</strong>r Meuterern verhängt wur<strong>de</strong>, blühte nun ihnen. Ihnen, <strong>die</strong> als E<strong>in</strong>zige auf<strong>de</strong>m Schiff noch treu zur Krone und ihrem Eid stan<strong>de</strong>n. Die Welt stand Kopf. Raven hattebestimmt Freu<strong>de</strong> dabei empfun<strong>de</strong>n, als er sich <strong>die</strong>sen grausamen Rollentauschausgedacht hatte.Lan<strong>de</strong>r stieß mit <strong>de</strong>m Fuß gegen <strong>die</strong> letzte Schleuse und fiel fast, lediglich gehalten durch<strong>die</strong> unbarmherzigen Griffe an se<strong>in</strong>em Arm.„Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>!“, hörte er Avery immer wie<strong>de</strong>rholen.Der Stabsoffizier ertrug ihr Los am schwersten. Er konnte nicht begreifen, warum es ihmpassierte - geschweige <strong>de</strong>nn, dass es überhaupt passierte.Die Luft explo<strong>die</strong>rte vor Buhrufen und Schimpfwörtern. Sie hatten das Hangar<strong>de</strong>ckerreicht.Von Fowley war nichts mehr zu hören gewesen. Er hatte völlig gelassen und losgelöstvon allen D<strong>in</strong>gen gewirkt, als er Wayland das Blatt Papier gereicht hatte. Es war nichte<strong>in</strong>mal halb beschrieben, aber dafür voller Blutflecken gewesen.


Die Kopfwun<strong>de</strong> hatte stark geblutet, und Fowley hatte bee<strong>in</strong>trächtigt gewirkt. Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>rselbst noch Kopfschmerzen hatte, weil ihm <strong>in</strong> etwa dasselbe passiert war, konnte dasnachempf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Bei se<strong>in</strong>em Vorgesetzten war es jedoch schlimmer gewesen. Der Schlagmusste ungünstiger gesessen haben o<strong>de</strong>r härter gewesen se<strong>in</strong> als se<strong>in</strong>er gestern.Er wur<strong>de</strong> noch e<strong>in</strong>ige Schritte geführt und dann losgelassen. Er blieb hoch aufgerichtetstehen. Es war 0351 gewesen, als man ihnen <strong>die</strong> Augen verbun<strong>de</strong>n und sie geholt hatte.Pünktlich um 0400 sollte wohl <strong>die</strong> Erschießung stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Die Navy war auch bei soetwas sehr genau.Plötzlich herrschte um Lan<strong>de</strong>r Stille. Die Leute waren verstummt. Er hörte jeman<strong>de</strong>nneben sich keuchend atmen. Das musste Avery se<strong>in</strong>. Es klang, als wäre <strong>de</strong>r LieutenantComman<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Tränen nahe.Auch Lan<strong>de</strong>r wollte am liebsten we<strong>in</strong>en, aber er konnte nicht. Vielleicht war es so nocham besten. Auch e<strong>in</strong>e Kugel tat nicht allzu weh. Piper wür<strong>de</strong> es tun. Der Mann von PlanetLeeds. Der Maler <strong>de</strong>r Weihnachtspostkarte für se<strong>in</strong>e Eltern. E<strong>in</strong>e Karte mit Bibelmotiv. Obes <strong>de</strong>m Unteroffizier wenigstens e<strong>in</strong> bisschen leidtat, Lan<strong>de</strong>r jetzt so dastehen zu sehen?Ob er wegen <strong>de</strong>s jungen Sub-Lieutenants se<strong>in</strong>en Entschluss bereute?Vermutlich tat <strong>de</strong>r Mann es nicht, und Lan<strong>de</strong>r wun<strong>de</strong>rte sich, weshalb ihm das überhauptetwas ausmachte.„Besatzung, wir haben uns zu nachtschlafen<strong>de</strong>r Zeit hier versammelt, um <strong>die</strong>Erschießung von Verrätern und Mör<strong>de</strong>rn zu vollziehen. Sie repräsentieren das, was wirhassen, und nicht nur das, ne<strong>in</strong>, sie s<strong>in</strong>d auch noch e<strong>in</strong>e Gefahr für das Schiff und damitfür uns alle.“„Warum sagen Sie ihnen nicht, dass Sie <strong>die</strong> Fusionsbomben an <strong>die</strong>…“, begann Lan<strong>de</strong>r mite<strong>in</strong>em Vorwurf, aber er kam damit nicht weit.Jemand hieb ihm <strong>de</strong>rmaßen hart <strong>in</strong>s Kreuz, dass er strauchelte und hart auf <strong>de</strong>m Deckaufschlug.Fast sofort riss man ihn wie<strong>de</strong>r hoch. „Ruhe!“, donnerte e<strong>in</strong>e Stimme. „Nun spricht <strong>de</strong>rCapta<strong>in</strong>, und Sie haben zu schweigen!“Wayland hielt ihn fest. Lan<strong>de</strong>r konnte es sich nicht verkneifen und trat e<strong>in</strong>mal fest aus.Wie<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>te auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, als <strong>de</strong>r Techniker voller Schmerz vornüber sackte undstöhnte. Der Dritte Offizier hatte getroffen und <strong>die</strong> Weichteile erwischt.Dafür kassierte er mehrere Tritte, als er am Bo<strong>de</strong>n lag, aber das war Lan<strong>de</strong>r egal. Erhatte zurückgefochten, und <strong>de</strong>r Schleier, durch <strong>de</strong>n er alles plötzlich wahrnahm, warnicht unangenehm. Ke<strong>in</strong> starker Schmerz, ke<strong>in</strong>e Hassre<strong>de</strong>n, nur e<strong>in</strong> dumpfes Rauschen.Lei<strong>de</strong>r hielt es nicht lange an. Man riss ihn wie<strong>de</strong>r hoch.„… letzten Worte?“ Wie<strong>de</strong>r Ravens Stimme. „Nicht? Auch gut. Fahren Sie fort, MisterPiper.“„Oh Gott, ne<strong>in</strong>! Gna<strong>de</strong>! Bitte erschießen Sie mich nicht! Ich will nicht sterben! Haben SieErbarmen!“ Averys Stimme verlor sich nach jener Bitte um se<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> unkontrolliertemSchluchzen.„Feuer!“KlickIn <strong>de</strong>r Totenstille <strong>de</strong>s Hangar<strong>de</strong>cks versagte <strong>die</strong> Patrone.KlickKlickKlickKlickKlickE<strong>in</strong> ganzes Magaz<strong>in</strong> voller Rohrkrepierer. O<strong>de</strong>r war es gewollt? Gewollt, weil…Lan<strong>de</strong>r spürte, wie auch se<strong>in</strong> Horror das ultimative Niveau erreichte. Der Sub-Lieutenantf<strong>in</strong>g an zu zittern und ebenfalls zu we<strong>in</strong>en. Zum Glück sah es durch <strong>de</strong>n schwarzen Stoffniemand.Er hörte e<strong>in</strong>en unartikulierten Laut von Fowley und ahnte, dass se<strong>in</strong> Vorgesetzterebenfalls nahe <strong>de</strong>m Zusammenbruch war. Auch <strong>de</strong>r Zweite Offizier hatte verstan<strong>de</strong>n. Nure<strong>in</strong>er von ihnen wür<strong>de</strong> sterben, und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren mussten es miterleben!„Tut mir wirklich leid, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. In <strong>de</strong>r letzten Kammer ist dann wohl <strong>die</strong>echte Patrone“, verkün<strong>de</strong>te Piper.


Jemand schrie. Es war e<strong>in</strong> helles, k<strong>in</strong>dliches Wimmern, das unmöglich von e<strong>in</strong>emerwachsenen Mann kommen konnte. Und doch war es so.Duncan Avery. Lan<strong>de</strong>r dachte nur <strong>de</strong>n Namen, dann fiel <strong>de</strong>r Schuss, und etwas schlugneben ihm dumpf ihm auf das Deck. Etwas, das e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> erwachsener <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>r undfühlen<strong>de</strong>r junger Mann gewesen war. Jemand, <strong>de</strong>r solch e<strong>in</strong>e schreckliche Angst vor <strong>de</strong>mTod gehabt hatte. Lan<strong>de</strong>r konnte es nicht sehen, aber er wusste, dass <strong>de</strong>m so geschehenwar. Das war genauso schlimm, wie es tatsächlich gesehen zu haben. Nach Planet Leedszurückversetzt sah er plötzlich se<strong>in</strong> Zimmer vor sich und hörte Avery entspannt sagen:‚Ich b<strong>in</strong> <strong>in</strong> festen Hän<strong>de</strong>n.’ E<strong>in</strong>e sicherlich ebenso junge Frau wür<strong>de</strong> vergeblich auf AverysRückkehr warten. Für immer, falls sie sich nicht so entschied wie Esther Fowley und sichebenfalls selbst tötete, um auf ewig bei ihm zu se<strong>in</strong>. Vielleicht war so etwas ja <strong>in</strong> <strong>de</strong>noberen Schichten üblich.Gelächter bran<strong>de</strong>te auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck auf. Petty Officer Piper hatte soebenStabsoffizier Avery erschossen, und sie lachten darüber wie bei e<strong>in</strong>em Volksfest.„Danke allerseits. Sie können jetzt wegtreten. Chief, Sie übernehmen bitte <strong>de</strong>n Rest undschaffen <strong>die</strong>sen Abschaum weg!“, or<strong>de</strong>rte Erasmus Raven.„Für <strong>die</strong>sen Tritt kriege ich dich noch, du kle<strong>in</strong>er Bastard!“ Chief Wayland war wie<strong>de</strong>r auf<strong>de</strong>n Be<strong>in</strong>en und zerrte Lan<strong>de</strong>rs kraftlosen Körper hoch. Der Sub-Lieutenant schaffte esnicht, selbst zu gehen. Der Chief musste ihn vom Hangar<strong>de</strong>ck wegschleifen und tat esohne je<strong>de</strong> Rücksicht auf etwaige neue Blessuren se<strong>in</strong>es Opfers.Als <strong>de</strong>r Techniker auf <strong>de</strong>m Weg se<strong>in</strong>e Fesseln löste und ihn <strong>in</strong> ihrem Quartier wie e<strong>in</strong>Stück Abfall auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n warf, rührte Lan<strong>de</strong>r sich nicht. Er vermochte sich nicht zubewegen. Auch dass Fowley vermutlich wie<strong>de</strong>r bei ihm war, war völlig egal. Er konntenicht mehr. Patrick Lan<strong>de</strong>r war ebenfalls beim völligen Zusammenbruch angelangt.Die Tür knallte zu. Lan<strong>de</strong>r ließ se<strong>in</strong>en Tränen jetzt lautlos freien Lauf, während er mit<strong>de</strong>m Gesicht nach unten auf <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> lag und am ganzen Körper nichts an<strong>de</strong>res mehrverspürte als nur Schmerzen. Sie waren jedoch nichts gegen das, was er <strong>in</strong>nerlich fühlte.Die Geräusche um ihn herum waren ihm egal. Er reagierte auch nicht, als ihn jemandvorsichtig aufsetzte und <strong>die</strong> Augenb<strong>in</strong><strong>de</strong> entfernte.Patrick Lan<strong>de</strong>r weigerte sich, zu sehen. Er wollte nicht mehr. Alles, was er noch wollte,war ebenfalls sterben, aber als er aufstehen wollte, um <strong>die</strong> Tür zu öffnen und sich vonihren Bewachern erschießen zu lassen, versagten <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e ihm <strong>de</strong>n Dienst. Es war fastso, als ob se<strong>in</strong> Körper e<strong>in</strong>fach mehr ke<strong>in</strong>e Weisungen <strong>de</strong>s Gehirns mehr entgegennahm.Er war tot. Innerlich tot.„Patrick… oh bitte, Patrick!“Die Stimme erreichte ihn nicht. Er hörte alles, aber es war ihm gleichgültig.„Patrick! Bitte! Bitte… bitte sieh mich an! Lass mich nicht alle<strong>in</strong>! Bitte bleib bei mir!“ DasSchütteln verstärkte sich, bis es Lan<strong>de</strong>rs geschun<strong>de</strong>nem blutigen Körper noch mehrwehtat, aber er schrie nicht. Er ließ alles mit sich geschehen.„Patrick bitte! Bitte, bitte, bitte!“ Daniel Fowley presste ihn an sich und brach <strong>in</strong> Tränenaus. Lan<strong>de</strong>r roch das Blut und <strong>de</strong>n Schweiß an <strong>de</strong>r zerrissenen Kleidung <strong>de</strong>s ehemalsvorgesetzten Offiziers.„Lass mich nicht alle<strong>in</strong>. Du kannst mich nicht auch noch alle<strong>in</strong> lassen! Sprich mit mir!Bitte, Patrick! Ich brauche dich! Ich kann doch auch nicht mehr!“ Mit e<strong>in</strong>em heiserenSchrei <strong>de</strong>r Verzweiflung klammerte Fowley sich an ihm fest. Auch er zitterteunkontrolliert.„Hilfe, Patrick! Hilfe! Bitte, bitte, bitte! Komm zurück zu mir! Hilf mir! Bitte, bitte…“ DasFlehen erreichte se<strong>in</strong> En<strong>de</strong>, als Fowleys Stimme versagte.Der Lieutenant sprang auf und begann <strong>in</strong> <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en Raum herumzurennen. Dabei stießer heisere Schreie aus und schlug sowie trat immer wie<strong>de</strong>r gegen <strong>die</strong> Wand.Daniel Fowley war dabei, verrückt zu wer<strong>de</strong>n.Irgendwann g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Tür auf, und Fowley stürzte sich auf <strong>de</strong>n here<strong>in</strong>kommen<strong>de</strong>n Chief,<strong>de</strong>r eilig geholt wor<strong>de</strong>n war. Lan<strong>de</strong>r hörte es nur, aber er sah es nicht. Er hörte Waylandsgerufenen Befehl, stehen zu bleiben, und dann schepperte etwas laut, gefolgt von e<strong>in</strong>emSchrei höchsten Schmerzes. Danach knallte <strong>de</strong>r Zugang wie<strong>de</strong>r zu.


Wie lange jene Perio<strong>de</strong> <strong>de</strong>r mentalen Abwesenheit <strong>in</strong>folge <strong>de</strong>s <strong>in</strong>neren Zusammenbruchesdauerte, konnte Patrick Lan<strong>de</strong>r nie mit Sicherheit sagen. Die LCD-Uhr im Panel war bei<strong>de</strong>r Plün<strong>de</strong>rung kaputtgeschlagen wor<strong>de</strong>n, und se<strong>in</strong>e eigene billige Armbanduhr, <strong>die</strong>zunächst ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Plün<strong>de</strong>rer gewollt hatte, hatte man ihm bei <strong>de</strong>r Fesselung vor <strong>de</strong>rSche<strong>in</strong>h<strong>in</strong>richtung weggenommen. Er wusste nur, dass irgendwann etwas bei ihm imVerstand Klick machte - wie eben jene ungefüllten Kammern <strong>de</strong>r Pistole beimvergangenen russischen Roulette.Als jener kle<strong>in</strong>e Hebel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf umgelegt war, begann er wie<strong>de</strong>r rational zu <strong>de</strong>nkenund zu begreifen, dass auch beim zweiten Mal <strong>de</strong>r Kelch an ihm vorübergegangen war.Es hatte Duncan Avery erwischt und nicht ihn.So musste Fowley sich damals während <strong>de</strong>s E<strong>in</strong>satzes gefühlt haben, als Parry gestorbenwar. Auch er war e<strong>in</strong> Opfer <strong>die</strong>ser korrupten und skrupellosen Crew gewesen. Sicherlichnicht das Erste und auch nicht das Letzte. Der beiläufige Gedanke an <strong>de</strong>n Zweiten Offizierbrachte ihn auf Trab.Er fand <strong>de</strong>n Lieutenant <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke <strong>de</strong>s Zimmers kauernd vor. Unter ihm lagen <strong>die</strong>Reste <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Lattenroste, <strong>die</strong> er wohl vollends zerschlagen hatte.Fowley hielt <strong>die</strong> Augen geschlossen und lehnte an <strong>de</strong>r Wand. Vor allem aber sah erscheußlich aus. Dunkle Bartstoppeln erschienen auf se<strong>in</strong>en Wangen und am K<strong>in</strong>n, tiefeRän<strong>de</strong>r lagen unter <strong>de</strong>n rotgewe<strong>in</strong>ten Augen, <strong>die</strong> wie<strong>de</strong>rum tief <strong>in</strong> ihren Höhlen lagen. DieHautfarbe war von e<strong>in</strong>em unnatürlich wirken<strong>de</strong>n, milchigen Weiß, obwohl <strong>de</strong>r ZweiteOffizier stets dunkelhäutig erschienen war. Spuren von Tränen und Schmutz be<strong>de</strong>cktendas halbe Gesicht. Fowleys Uniformhemd war vollends zerrissen und daher kaum nochals solches zu erkennen. Es gab <strong>de</strong>n Blick auf e<strong>in</strong>en vor lauter Prellungen grünblaugesprenkelten Oberkörper frei. Zwischendurch war auch immer wie<strong>de</strong>r Blut zu sehen, wo<strong>die</strong> Haut aufgeschlagen o<strong>de</strong>r abgeschürft war. Die halboffene Kopfwun<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Seite sahwirklich schrecklich aus. Der Gr<strong>in</strong>d <strong>de</strong>s ausgelaufenen Blutes verklebte das dunkle, nachallen Seiten abstehen<strong>de</strong> Haar.„Daniel?“ Lan<strong>de</strong>r brachte <strong>die</strong> Frage kaum über <strong>die</strong> trockenen Lippen. Der Durst quälte ihnmittlerweile unbarmherzig.Die Li<strong>de</strong>r flatterten und flogen schließlich auf. Die Pupillen waren geweitet. „Patrick…“Der Gesichtsausdruck war <strong>de</strong>rmaßen hilflos und verängstigt, <strong>die</strong> Stimme so dünn, dassLan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Hand ausstreckte und ihn berührte. Dabei sah er <strong>die</strong> blutigen Striemen anse<strong>in</strong>en Handgelenken.Fowley warf sich auf ihn und zerquetschte Lan<strong>de</strong>r fast. „Sie… sie haben Duncan…“„Ja, ich weiß. Wir wer<strong>de</strong>n ihn nicht vergessen, ja? Wir wer<strong>de</strong>n hier wie<strong>de</strong>r rauskommen,und dann wird jemand für das bezahlen, was er getan hat!“ Lan<strong>de</strong>r strich ihm über <strong>de</strong>nhalbnackten Rücken und ertastete dabei viele Verletzungen. E<strong>in</strong>mal stöhnte Fowley sogarvor Schmerz auf.„Wir wer<strong>de</strong>n es nicht schaffen, Patrick. E<strong>in</strong>er von uns wird <strong>de</strong>r Nächste se<strong>in</strong>. Sonst ist jake<strong>in</strong>er mehr da! Er hat uns leben lassen, damit wir als Letzte sterben!“„Eben weil niemand sonst mehr da ist, müssen wir überleben, um davon zu erzählen. Nurdu und ich. Und wenn wir zurückkommen, dann jagen wir <strong>de</strong>nen <strong>die</strong> gesamte Navyh<strong>in</strong>terher!“„Duncan hatte solche Angst. Er wollte doch nicht sterben! Warum haben sie dasgemacht? Warum?”„Ich weiß es nicht. Me<strong>in</strong> Vater wür<strong>de</strong> jetzt als Pfarrer sagen, dass Gott es so gewollt hat.Das hier ist jedoch nicht Gott!“„Ne<strong>in</strong>, es ist Erasmus Raven. Der Teufel. Er hat Duncan auf <strong>de</strong>m Gewissen… und Keith.Damit hat er auch Esther umgebracht.“ Langsam wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Lieutenant ruhiger.„Hat er es dir gesagt?“„Ich habe <strong>die</strong> Apfelre<strong>de</strong> gehört, bevor wir <strong>die</strong>sen Scheißbrief schreiben mussten! Ich warfast völlig weggetreten, weil Raven mich halb k. o. geschlagen hat, aber ich habe dochgenug mitbekommen.“ Hilflos ballte Fowley e<strong>in</strong>e Hand zur Faust. Dabei wur<strong>de</strong>n blutigeMale ersichtlich, wo auch bei ihm <strong>die</strong> Fesseln <strong>in</strong> <strong>die</strong> Haut e<strong>in</strong>geschnitten hatten.„Es tut mir leid.“„Ne<strong>in</strong>, soll ich dir sagen, was mir leidtut?“ Fowleys Blick durchbohrte ihn förmlich. „Dassich dich da mit re<strong>in</strong>gezogen habe. Nach <strong>de</strong>r Sache <strong>in</strong> Omega-11 musste ich han<strong>de</strong>ln. Ichhabe zu lange me<strong>in</strong>e Augen verschlossen und da weggesehen, wo du es nicht getan hast.


Ich habe begriffen, dass du <strong>in</strong> Gefahr bist, und <strong>de</strong>swegen b<strong>in</strong> ich so hart zu dir gewesenund hätte fast dafür gesorgt, dass du vom Schiff fliegst. K<strong>in</strong>gsham me<strong>in</strong>te wohl, dich wiemich damals h<strong>in</strong>biegen zu können. Du hast ja auch tatsächlich nachgegeben. Keithh<strong>in</strong>gegen hat sich nie h<strong>in</strong>biegen lassen. Deswegen musste er wohl sterben. Er hat mir niegesagt, dass er auch solche D<strong>in</strong>ge wusste. Für ihn war un<strong>de</strong>nkbar, dass e<strong>in</strong> Offizier <strong>de</strong>rRoyal Navy beim Schmuggel mitwirken könnte. Er hat an <strong>die</strong> Navy geglaubt. Vermutlichwar das auf Freeport 1 e<strong>in</strong> Outcast o<strong>de</strong>r jemand, <strong>de</strong>r für sie flog. Er hat versucht, dich zubestechen, weil er wusste, dass du zur Oxford gehörst, und <strong>de</strong>shalb dachte, dass du nur<strong>de</strong>n Preis hochtreiben willst. In <strong>de</strong>m Päckchen war mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeitCardam<strong>in</strong>e. Da <strong>de</strong>r Stoff wohl verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n musste o<strong>de</strong>r abhan<strong>de</strong>ngekommen ist, kames aus Rache dafür zu <strong>de</strong>m Angriff auf <strong>de</strong>m BMM-Konvoi <strong>in</strong> Omega-11. Vielleicht hate<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r Crewmitglie<strong>de</strong>r das Cardam<strong>in</strong>e genommen. Wenn <strong>die</strong> Führung korrupt ist, kannman von <strong>de</strong>r Crew nicht viel an<strong>de</strong>res erwarten. Lichtscheues Ges<strong>in</strong><strong>de</strong>l zieht sichgegenseitig an, verstehst du? Die Outcasts waren daraufh<strong>in</strong> natürlich sauer. Deswegen<strong>die</strong> Attacke auf <strong>de</strong>n Konvoi. Sie haben <strong>die</strong> Schiffe bloß gehetzt und gewartet, bis wirkommen. Sie wussten, dass wir es tun wür<strong>de</strong>n, und wollten uns sicherlich damit treffen,weil du als Offizier <strong>de</strong>s Schiffes <strong>in</strong> ihren Augen für <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>s Cardam<strong>in</strong>esverantwortlich warst.“„Das kl<strong>in</strong>gt reichlich absurd, Daniel.“„Glaubst du?“ Fowley sah ihn gequält an. „Die Oxford ist perfekt <strong>in</strong> ihren H<strong>in</strong>terhaltgelaufen, und mich hat man unter e<strong>in</strong>em Vorwand von <strong>de</strong>r Brücke geschickt. Ich habe <strong>die</strong>Schä<strong>de</strong>n am Schiff später begutachtet. Die Typen hätten uns spielend erledigen können.Die Sabres trugen Starkiller Torpedos unter <strong>de</strong>n Flügeln. Seltsame Waffe, wenn mandoch nur Frachter überfallen will, me<strong>in</strong>st du nicht auch? Mit e<strong>in</strong>em Torpedo triffst duke<strong>in</strong>en Frachter <strong>de</strong>r Welt! Wir waren das wirkliche Ziel! Die e<strong>in</strong>zige Erklärung, warum sieuns nicht vollends erledigt haben, ist, dass sie sich während <strong>de</strong>s Kampfes mit K<strong>in</strong>gshamund Raven gee<strong>in</strong>igt haben. Da <strong>die</strong>s auf e<strong>in</strong>em offenen Kanal geschehen musste, gab esnatürlich unliebsame Zeugen.“„Ich kann nicht glauben, dass sie so etwas tun wür<strong>de</strong>n! Sie können doch nicht…“„Ich glaube, Duncan, Keith und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong>se Sache etwas an<strong>de</strong>rs sehen alsdu, me<strong>in</strong> Freund.“„Die Sabre auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck! Sie ist nicht zufällig dorth<strong>in</strong> gekommen, o<strong>de</strong>r?“„Ich gehe eher davon aus, dass <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>luke bewusst geöffnet blieb. Dieentsprechen<strong>de</strong>n Protokolle s<strong>in</strong>d natürlich nicht nachprüfbar, aber <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht wärees auch sehr passend, dass <strong>die</strong> Oxford am En<strong>de</strong> explo<strong>die</strong>rt ist.“„Dann sollte ich wohl tot se<strong>in</strong>.“„Du hättest gar nicht dort se<strong>in</strong> sollen. Du stan<strong>de</strong>st schließlich unter Quartierarrest undhättest nicht e<strong>in</strong>mal etwas mitbekommen. Ansonsten war aber mit Sicherheit geplant, <strong>die</strong>Zeugen zu beseitigen. Deswegen mussten alle Angestellten von BMM sterben. Dass dabeie<strong>in</strong> paar Leute von <strong>de</strong>r Crew draufgehen wür<strong>de</strong>n, war K<strong>in</strong>gsham und Raven doch herzlichegal. Nur, dass <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale umdrehte und <strong>die</strong> Sabre rammte, war nicht geplant. DerZivilpilot muss alles gewusst haben. Er dürfte alles unter Garantie mitangehört habenund wusste, dass er sowieso sterben wür<strong>de</strong>. Es haben nur wenige Leute auf <strong>de</strong>m ganzenHangar<strong>de</strong>ck überlebt. Der Chief und e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zwei an<strong>de</strong>re s<strong>in</strong>d genau wie du nochrausgekommen.“„Und das Schiff wur<strong>de</strong> am En<strong>de</strong> aufgegeben, nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> Outcasts es sozusammengeschossen haben, dass es nicht mehr zu retten war.“„Genau, und damit haben sich alle Beweise auch verabschie<strong>de</strong>t. Konvoi vernichtet, Schiffzerstört, aber es sah aus, als ob <strong>die</strong> Outcasts durch uns vertrieben wor<strong>de</strong>n wären. Ich b<strong>in</strong>mir sicher, dass sie nach <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>igung mit <strong>de</strong>r Schiffsführung e<strong>in</strong>fach abgedreht haben.Trotz<strong>de</strong>m waren K<strong>in</strong>gsham und Raven <strong>die</strong> Hel<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> alles getan und ihr Leben riskierthaben, um <strong>de</strong>n Konvoi zu retten und <strong>die</strong> Zivilisten zu schützen.“„Ich b<strong>in</strong> sprachlos“, murmelte Lan<strong>de</strong>r erschüttert. „Ihre Rechnung ist jedoch nichtaufgegangen. Sie s<strong>in</strong>d zwar beför<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n, aber sie kamen doch wie<strong>de</strong>r hierher.“„Ja, sie kamen hierher. Nach Tau-31 und nicht nach Omega-3. Das ist e<strong>in</strong> wesentlicherUnterschied. Sie wollten zurück und hatten Ruhm, e<strong>in</strong> neues Schiff plus freie Auswahl,was <strong>die</strong> Crew anbelangte. Sogar ihr E<strong>in</strong>satzgebiet durften sie sich aussuchen, wie Duncanmir sagte. Sie wollten hierher. Die Tau-Systeme s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e direktere Route <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>r


Randwelten, wie ich glaube. Irgendwo dort leben <strong>die</strong> Outcasts. Tau-31 ist e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>Stück näher an <strong>de</strong>r Quelle, wie Duncan vermutete. Eben profitabler.“ E<strong>in</strong> schmerzlichesLächeln huschte über Fowleys Gesicht. „Admiral Wesleys Stab war seit Wochen an ihnendran, verstehst du? Ihre Konten wur<strong>de</strong>n m<strong>in</strong>utiös überwacht und je<strong>de</strong> Bewegung genaugemel<strong>de</strong>t. Es gab auch e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zwei Militärpolizisten, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Crew e<strong>in</strong>geschleustwur<strong>de</strong>n. Alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Admiral wusste, wer das war, aber ich vermute, dass sie längst tots<strong>in</strong>d. Sonst hätten sie uns zur Flucht verholfen und wären mit uns abgehauen.“„Du hast also erst nach <strong>de</strong>r Sache <strong>in</strong> Omega-11 <strong>de</strong><strong>in</strong> Schweigen gebrochen?“„Den Verlust e<strong>in</strong>es ganzen Konvois war zu viel, Patrick. Ich musste me<strong>in</strong> Schweigenbrechen. Duncans Familie ist mit unserer eng befreun<strong>de</strong>t. Ich kenne ihn, seit ich <strong>de</strong>nkenkann. Wir waren oberflächliche Freun<strong>de</strong>. Er hat beim Snooker immer gewonnen. Da erbei Admiral Wesley im Stab arbeitet… arbeitete… und se<strong>in</strong>em Vorgesetzten <strong>die</strong>Patrouillenkreuzer re<strong>in</strong> zufällig unterstehen, habe ich mit ihm gesprochen. Er warskeptisch und sagte, ich solle e<strong>in</strong>en Bericht schreiben. Das habe ich auch getan. Überhun<strong>de</strong>rt Seiten lang. Er hat mir nicht geglaubt, weshalb ich mich <strong>die</strong>ser e<strong>in</strong>en Sache mitdir er<strong>in</strong>nert und ihn nach Leeds geschickt habe.“„Er war nicht begeistert, wie ich annehme?“ Die Er<strong>in</strong>nerung an <strong>die</strong> erste Begegnung mit<strong>de</strong>m Lieutenant Comman<strong>de</strong>r trieb auch Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Tränen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. Er hätte niegedacht, dass er mal um jeman<strong>de</strong>n wie Avery we<strong>in</strong>en wür<strong>de</strong>. Und nun saß er hier undhielt Daniel Fowley im Arm, während er sprach.„Ne<strong>in</strong>, er wollte partout nicht nach Leeds fliegen. Ich habe ihn stun<strong>de</strong>nlang bekniet, dichaufzusuchen, obwohl ich nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong><strong>in</strong>e Adresse kannte. Die hat er sich dannbesorgt, nach<strong>de</strong>m ich ihn endlich überzeugt hatte.“„Me<strong>in</strong>e Mutter ist vor Schreck fast tot umgefallen, als er <strong>in</strong> voller Uniform vor <strong>de</strong>r Türstand und sich als Duncan Avery of Sussex vorstellte. Wir hatten noch nie so vornehmenBesuch bei uns zu Hause.“Es war e<strong>in</strong> trauriges Lachen, das sich Fowleys Kehle entrang. „Normalerweise legteDuncan nie Wert auf das ‚of Sussex’. O<strong>de</strong>r hast du mich schon e<strong>in</strong>mal me<strong>in</strong>en vollenNamen Daniel Fowley of L<strong>in</strong>colnshire aussprechen hören? Das tut man normalerweisenicht. Er hat das wohl nur gemacht, um E<strong>in</strong>druck zu sch<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Fast dachte ich damals,dass es nichts gewor<strong>de</strong>n ist und Duncan <strong>de</strong>shalb nun sauer auf mich wäre. Er hat danachnicht mehr darüber gesprochen und war mir gegenüber sehr reserviert. Daraus folgerteich, dass er mir <strong>de</strong>n Trip nach Planet Leeds übelgenommen hat. Das hieß für mich, dassdu dich geweigert hast. Ich hatte ihm ja empfohlen, dich unter Druck zu setzen. Ich habeaus se<strong>in</strong>em Verhalten auf e<strong>in</strong>en Fehlschlag geschlossen.“„Ne<strong>in</strong>. Er hat mir so arg zugesetzt, dass ich nicht Ne<strong>in</strong> sagen konnte.“„Zuckerbrot und Peitsche. Das hat man ihm im Studium beigebracht. Er hat… hatte <strong>de</strong>nBachelor <strong>in</strong> Rechtswissenschaft.“ Fowley pausierte und biss sich auf <strong>die</strong> Lippe. „Je<strong>de</strong>nfallsdachte ich, <strong>die</strong> Sache wäre im San<strong>de</strong> verlaufen. Ihm war jedoch zunächst von Lucan undspäter auch von Wesley Schweigepflicht auferlegt wor<strong>de</strong>n. Solche Sachen dürfen ja niean <strong>die</strong> große Glocke gehängt wer<strong>de</strong>n. Gestern hat er es mir erzählt, als man uns alle hiere<strong>in</strong>sperrte. De<strong>in</strong>e Aussage hat mich ja auch verdächtig gemacht. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st Capta<strong>in</strong>Lucan ahnte, dass <strong>die</strong> Sache e<strong>in</strong> Wespennest darstellte und Duncan unerschrocken dabeiwar, mitten h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zustechen. Deswegen auch <strong>die</strong> Bewaffneten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale, aber eshat nichts geholfen. Der Admiral und <strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong> haben <strong>die</strong> Größe <strong>de</strong>s Nestsunterschätzt.“„Wenn herauskäme, dass du schon länger etwas wusstest, bist du genauso dran wieRaven.“„Ich wusste nichts, son<strong>de</strong>rn ich habe nur etwas geahnt, nach<strong>de</strong>m Keith starb. Genausowie ich dich raushalten wollte, hat er nämlich auch mich damals herausgehalten. SolcheSachen s<strong>in</strong>d eben nichts für Sub-Lieutenants, und so hat Keith es auch mit mir gemacht.Er war zwar me<strong>in</strong> bester Freund, aber er hat sich mir nie anvertraut. Ich wur<strong>de</strong> nurwach, als ich plötzlich Zweiter Offizier gewor<strong>de</strong>n b<strong>in</strong>. Mir wur<strong>de</strong> schnell klar, dass ich dichschützen musste, genau wie Keith mich geschützt hat. Deshalb hätte ich dich am liebstenvom Schiff runtergehabt. Ich begann, <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge und viele von Keiths Äußerungen <strong>in</strong>e<strong>in</strong>em völlig neuen Licht zu sehen. Dieselben Ratschläge habe ich dir darum auchgegeben. Mir hat er dasselbe gesagt, als ich damals auf <strong>die</strong> Oxford kam. Ich wusste, dassetwas faul war, aber mir fehlten handfeste Beweise, um etwas zu unternehmen.“


„Mit <strong>de</strong><strong>in</strong>em Votum für e<strong>in</strong>e schlechte Aktennotiz durch K<strong>in</strong>gsham und <strong>de</strong>m darauf wohlfolgen<strong>de</strong>n Verweis vom Schiff hättest du mir me<strong>in</strong>e Zukunft bei <strong>de</strong>r Navy versaut,Daniel!“„Gestatte mir, dass ich dich offen und ehrlich frage, was für Zukunftschancen du dir jetztüberhaupt noch ausrechnest. Wir re<strong>de</strong>n nicht mehr von Karrieren o<strong>de</strong>r Beför<strong>de</strong>rung,son<strong>de</strong>rn wir re<strong>de</strong>n vom nackten Überleben. Duncan war auch auf e<strong>in</strong>e schnelleBeför<strong>de</strong>rung aus. Deswegen hat er mich auch rausgehalten. E<strong>in</strong>mal, weil ich zeitweiseunter Verdacht stand, und zum Zweiten, weil er es so drehen wollte, als hätte er alle<strong>in</strong>angefangen, nachzubohren, und sich an mich gewandt, anstatt umgekehrt. K<strong>in</strong>gshamund Raven auffliegen zu lassen wäre se<strong>in</strong>e große Chance gewesen. Er wollte irgendwannFleet Admiral wer<strong>de</strong>n wie se<strong>in</strong> Großvater. E<strong>in</strong> echter Held eben. Er wollte <strong>de</strong>n Sumpfalle<strong>in</strong> trockenlegen. Mit dreißig Comman<strong>de</strong>r zu se<strong>in</strong> wäre e<strong>in</strong> großer Schritt <strong>de</strong>m Wegzum Admiralstitel gewesen. Nur, sag mir bitte, wo er jetzt ist und wo ihn <strong>die</strong>ses Denkenh<strong>in</strong>gebracht hat.“ Fowley schluchzte auf und vergrub se<strong>in</strong>en Kopf an Lan<strong>de</strong>rs Brust.Unfähig zu sprechen hielt Lan<strong>de</strong>r ihn fest und ließ ihn erneut we<strong>in</strong>en.Schritte wur<strong>de</strong>n draußen hörbar, und <strong>die</strong> Tür wur<strong>de</strong> geöffnet. Irgendwie brachte Lan<strong>de</strong>res fertig, aufzustehen und Fowley mit sich hochzuziehen. Nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r stellten sie sichmit <strong>de</strong>m Gesicht zur Wand, <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Kopf gefaltet, wie von <strong>de</strong>n Verräterngewollt. Der Zweite Offizier zitterte und lehnte sich schwer an ihn.Etwas wur<strong>de</strong> h<strong>in</strong>ter ihnen abgestellt.„Hier ist <strong>die</strong> Versorgung. Gehen Sie sparsam damit um, <strong>de</strong>nn mehr gibt es heute nicht.“„Wo haben Sie bei Duncan h<strong>in</strong>geschossen, Piper?“, brach aus Fowley heraus, bevor er<strong>de</strong>m Unteroffizier se<strong>in</strong>e Anschuldigungen entgegenschleu<strong>de</strong>rte: „Sie dreckiger Mör<strong>de</strong>r!Was haben Sie dabei empfun<strong>de</strong>n? Spaß? Freu<strong>de</strong>? Erregung?“„In <strong>de</strong>n Kopf, Lieutenant.“ Der Mann von Planet Leeds war bereits wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Wegh<strong>in</strong>aus, aber er zögerte noch e<strong>in</strong>mal kurz, wie Lan<strong>de</strong>r hörte. „Er hat nicht gelitten. Ihmist nur <strong>die</strong> Warterei erspart geblieben, <strong>die</strong> jetzt auf Sie bei<strong>de</strong> zukommt. Daran sollten Sieauch e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>nken. Ich habe nur me<strong>in</strong>en Befehl ausgeführt. Sie wissen ja selbst, wie esist, wenn man e<strong>in</strong>en Menschen tötet. Man empf<strong>in</strong><strong>de</strong>t ke<strong>in</strong>en Spaß dabei, aber man tut es,weil man es muss. Ich hoffe nur, dass <strong>de</strong>r Chief und Capta<strong>in</strong> Raven mir ersparen, auchnoch Sie bei<strong>de</strong> zu erschießen. Irgendwann wird es wohl dazu o<strong>de</strong>r zu noch Schlimmeremkommen, aber ich hoffe sehr, dass ich dann nicht <strong>de</strong>rjenige se<strong>in</strong> muss, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Abzugbetätigt. Ihr Verrat wird bestraft wer<strong>de</strong>n.“Es dauerte lange, bis Fowley <strong>de</strong>n bösen Zauber jener Worte brach. Er gab nach Zufallen<strong>de</strong>r Tür e<strong>in</strong>en Laut von sich, <strong>de</strong>r irgendwo zwischen Schluchzen und Schnaufen lag, undhielt sich an Lan<strong>de</strong>r fest, als er abrupt e<strong>in</strong>zuknicken und umzukippen drohte.„Was ist, Daniel?“„Me<strong>in</strong> l<strong>in</strong>kes Be<strong>in</strong>, Patrick. Ich glaube, da stimmt etwas mit <strong>de</strong>m Knöchel nicht! Es hatje<strong>de</strong>nfalls gera<strong>de</strong> geknackt!“„Setz dich mal h<strong>in</strong>.“ Lan<strong>de</strong>r half ihm und entfernte dann <strong>die</strong> Reste <strong>de</strong>s ehemaligenHosenbe<strong>in</strong>es. Fowley schrie auf, als <strong>de</strong>r Dritte Offizier das Be<strong>in</strong> abzutasten begann undam Fußgelenk ankam.„Es ist leicht geschwollen. Darf ich?“„Tu, was du tun musst. Ahhh…“Fowley ballte e<strong>in</strong>e Hand zur Faust und biss darauf, als Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Stelle genauerabtastete.„Mist!“, fluchte <strong>de</strong>r Junioroffizier leise und hielt sich dann wie<strong>de</strong>r zurück. „Daniel, ichglaube, du hast dir gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Fuß verstaucht o<strong>de</strong>r gar angebrochen.“„Dieser verdammte Chief! Ich könnte ihn…“„Was könnten Sie am liebsten?“, dröhnte durch <strong>die</strong> geschlossene Tür, bevor <strong>die</strong>se wie<strong>de</strong>raufg<strong>in</strong>g.Da Fowley nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage war, aufzustehen, hielt auch Lan<strong>de</strong>r sich zurück. Er sah dasgrausame Funkeln <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Cheftechnikers, als er for<strong>de</strong>rte: „Hoch mit euch!“ Esschienen se<strong>in</strong>e Liebl<strong>in</strong>gsworte im Umgang mit <strong>de</strong>n gefangenen Offizieren zu se<strong>in</strong>.„Lieutenant Fowley hat e<strong>in</strong>en verstauchten Fuß“, erklärte Lan<strong>de</strong>r so ruhig wie möglich.„Ich war gera<strong>de</strong> dabei, ihn zu versorgen, wie Sie sehen können. Er kann <strong>de</strong>shalb jetztnicht aufstehen.“H<strong>in</strong>ter Wayland stan<strong>de</strong>n Piper und <strong>die</strong> zwei Bewaffneten.


„Ich wie<strong>de</strong>rhole mich nur sehr ungern“, verkün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Chief Petty Officer langsam.„Dieser Charakterzug verb<strong>in</strong><strong>de</strong>t uns bei<strong>de</strong>, Chief.“ Lan<strong>de</strong>r legte eiskalte Herablassung <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Ton. Es war <strong>die</strong>selbe Herablassung, <strong>die</strong> Erasmus Raven e<strong>in</strong>st gegenüber ihm,e<strong>in</strong>em jungen Offizier aus <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>ren Arbeiterklasse, gezeigt hatte. Und doch warPatrick Lan<strong>de</strong>r hier und jetzt e<strong>in</strong> Offizier. Damit stand er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Militärhierarchie über <strong>de</strong>mTechniker. Lan<strong>de</strong>r fiel nicht schwer, se<strong>in</strong>e Verachtung offen zu zeigen. Er sah <strong>die</strong> Augen<strong>de</strong>s Chiefs aufblitzen, aber gleichzeitig stand er auf und straffte se<strong>in</strong>e Haltung, als siesich gegenüberstan<strong>de</strong>n.„Sie können mich hier und jetzt erschießen lassen, Chief. Das ist mir völlig egal. Ichwer<strong>de</strong> jedoch bis dah<strong>in</strong> nicht zulassen, dass Sie noch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en verletzten Offiziermisshan<strong>de</strong>ln. Petty Officer Piper kann bezeugen, dass Lieutenant Fowley kaum stehenkann. Er hat es gera<strong>de</strong> gesehen. Falls Sie <strong>de</strong>m Lieutenant <strong>de</strong>n Fuß ganz brechen wollen,sofern das noch nicht geschehen ist, so müssen Sie erst e<strong>in</strong>mal an mir vorbei!“Damit hatte Wayland offensichtlich nicht gerechnet. Er machte e<strong>in</strong>en Schritt vor… undnoch e<strong>in</strong>en. Piper hatte sich dann gefangen und gab nervös von sich: „Er sagt <strong>die</strong>Wahrheit, Chief. Lei<strong>de</strong>r. Sonst wür<strong>de</strong> ich ihm gerne <strong>die</strong> nötige Abreibung verpassen.“„Das mache ich schon selbst. Danke.“ Der ankommen<strong>de</strong> Schlag warf Lan<strong>de</strong>rs Kopf zurückund ließ ihn gegen <strong>die</strong> h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>em Rücken bef<strong>in</strong>dliche Wand fallen. Betäubt blieb erliegen.„Bitte, Chief! Lassen Sie ihn <strong>in</strong> Ruhe!“, bettelte Fowley.„Aufstehen!“Es war zu hören, wie Fowley es wirklich versuchte. Dann kam nur noch e<strong>in</strong> Schrei, alsWayland zufasste und gewaltsam nachhalf.Ohne Hilfe klappte <strong>de</strong>r Lieutenant natürlich mit e<strong>in</strong>em neuerlichen Schmerzenslaut wie<strong>de</strong>rzusammen, kaum dass er losgelassen wur<strong>de</strong>.Mit e<strong>in</strong>em Kl<strong>in</strong>geln <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ohren und e<strong>in</strong>em schmerzen<strong>de</strong>n Kiefer, <strong>de</strong>r sich irgendwienicht richtig anfühlte, rappelte Lan<strong>de</strong>r sich auf. Er sah we<strong>de</strong>r Fowley noch <strong>die</strong> dreian<strong>de</strong>ren Männer. Er sah nur <strong>de</strong>n Chief, und se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> schlossen sich unwissentlich ume<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r herausgebrochenen Latten <strong>de</strong>s Bettenrostes.Daniel Fowley sah <strong>die</strong> Bewegung, und auch <strong>die</strong> drei an<strong>de</strong>ren Männer bemerkten sie. Dasie jedoch pe<strong>in</strong>lich berührt <strong>die</strong> Szene beobachtet hatten und sich <strong>de</strong>ssen sogar e<strong>in</strong> wenigschämten, sahen zwei von ihnen starr auf ihren Vorgesetzten. Unteroffizier Piper blickteLan<strong>de</strong>r an, unterließ es jedoch, <strong>de</strong>n Chief zu warnen.Auch Fowleys lautloses „Nicht!“ und das angstvolle Aufreißen <strong>de</strong>r Augen hielten Lan<strong>de</strong>rnicht auf. Er kam vollends hoch und schrie animalisch auf. Vor sich her stieß er <strong>die</strong> Lattewie e<strong>in</strong>e Lanze.Der Chief Petty Officer fuhr herum, riss <strong>die</strong> Pistole hoch und schoss, aber er verfehlte <strong>de</strong>nSub-Lieutenant. Der ehemalige Royal Mar<strong>in</strong>e Wayland schoss <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Überraschungdaneben.Mit e<strong>in</strong>em Ruck drang <strong>die</strong> spitze abgebrochene Holzlatte durch <strong>die</strong> Uniform h<strong>in</strong>durch <strong>in</strong>das weiche Gewebe <strong>de</strong>s Unterleibes e<strong>in</strong>.Der Unteroffizier starrte ihn an. Se<strong>in</strong>e Augen waren unendlich weit, und Sub-LieutenantLan<strong>de</strong>r hatte das Gefühl, <strong>in</strong> se<strong>in</strong> eigenes Gesicht zu sehen. So musste er damals aufse<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz auf Freeport 1 gelegen haben, während <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>elle auf ihnanlegt hatte, um ihm mit <strong>de</strong>m zweiten Schuss <strong>de</strong>n Rest zu geben.Die Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Chiefs umklammerten noch immer <strong>die</strong> Pistole, <strong>die</strong> er erneut hochzureißenversuchte, aber er schaffte es nicht mehr. Warmes Blut strömte aus <strong>de</strong>r Bauchwun<strong>de</strong>über Lan<strong>de</strong>rs F<strong>in</strong>ger. Es tropfte auch h<strong>in</strong>unter, wo Daniel Fowley zu Füßen <strong>de</strong>s Chiefs lag.Niemand sprach, niemand bewegte sich. Schließlich fiel <strong>de</strong>r Techniker um und begrub<strong>de</strong>n liegen<strong>de</strong>n, verletzten Lieutenant unter sich.Noch immer rührten <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren drei Bewaffneten sich nicht. Auch Lan<strong>de</strong>r war durch dasverme<strong>in</strong>tliche Spiegelbild aus <strong>de</strong>r Vergangenheit, das er im Geiste gesehen hatte, wiegelähmt.Der Zweite Offizier arbeitete sich halb unter <strong>de</strong>r Leiche hervor. Er keuchte vor Entsetzen,aber er tastete nach <strong>de</strong>r Waffe <strong>de</strong>s toten Chiefs.Erst <strong>die</strong>ser Umstand führte dazu, dass Piper sich bewegte. Er trat Fowley kurz auf <strong>die</strong>F<strong>in</strong>ger, bis <strong>die</strong>ser losließ. „Das kann ich Ihnen nicht erlauben, Sir.“ Er hob <strong>die</strong> Waffe auf


und sprach an <strong>die</strong> Bewaffneten gewandt: „Chief Petty Officer Wayland hat sich mitLan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Prügelei angelegt und sich dabei selbst aufgespießt, klar?“„Warum tun Sie das, Petty Officer? Warum erschießen Sie mich jetzt nicht wie Duncan?“,entfuhr Lan<strong>de</strong>r bitter, nach<strong>de</strong>m er se<strong>in</strong>en Kieferknochen mit e<strong>in</strong>em Knacken wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>gerenkt hatte.„Weil Sie es s<strong>in</strong>d, Sir. Sie s<strong>in</strong>d auch von Leeds und sollten nicht hier sitzen.“„Wür<strong>de</strong>n Sie mir etwas glauben, wenn ich es Ihnen unter Ehrenwort sage?“ Lan<strong>de</strong>r wagtekaum, zu hoffen.„Kommt darauf, an was es ist, Lieutenant.“„Die Fusionsbomben, Mister Piper. Comman<strong>de</strong>r Raven sprach davon, sie für hun<strong>de</strong>rtMillionen an <strong>die</strong> Corsairs zu verkaufen. Sie wissen, was das be<strong>de</strong>uten wür<strong>de</strong>. Er hatgesagt, ihm sei egal, was damit geschieht. Ich schwöre, dass <strong>die</strong>s <strong>die</strong> Wahrheit ist.“„Ich kann das bestätigen. Das bretonische Volk ist ihm egal“, ergänzte Fowley dumpfvom Bo<strong>de</strong>n aus. Er hielt sich <strong>die</strong> schmerzen<strong>de</strong>n F<strong>in</strong>ger, auf <strong>die</strong> Piper wenig sanft getretenwar. „Sie erhalten auch me<strong>in</strong> Ehrenwort darauf.“„Er han<strong>de</strong>lt nicht mit <strong>de</strong>n Corsairs, son<strong>de</strong>rn nur mit <strong>de</strong>n Outcasts, o<strong>de</strong>r?“, fragte <strong>de</strong>rrangniedrigste Mann <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gruppe. Er war jung und wirkte hilflos, ja schlichtwegüberfor<strong>de</strong>rt mit <strong>de</strong>r ganzen Situation.„Wür<strong>de</strong> das so e<strong>in</strong>en Unterschied machen, ob <strong>die</strong> Corsairs o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Outcasts <strong>die</strong> Bombenhaben?“ Fowley war kaum zu verstehen.„Ich muss auf <strong>die</strong> Brücke, Petty Officer. Fünfzehn Millionen Tote auf New London… dasdarf niemals geschehen.“Piper sah ihn an. Alle sahen ihn an.„Ne<strong>in</strong>, Sir. Nicht so.“„Es ist <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Möglichkeit!“, drängte Lan<strong>de</strong>r. Wenn Fowley jetzt voll e<strong>in</strong>satzfähiggewesen und Avery noch am Leben wäre, dann wäre jetzt <strong>de</strong>r Moment gekommen, <strong>die</strong>drei Männer zu überwältigen und bewaffnet auf <strong>die</strong> Brücke zu stürmen, um <strong>die</strong> Brisbanezu zerstören. Das war jedoch nicht <strong>de</strong>r Fall. E<strong>in</strong>er von ihnen war tot, <strong>de</strong>r Zweite ernstlichverletzt und nur Lan<strong>de</strong>r wirklich aktionsfähig. Er konnte daher nur Averys Mör<strong>de</strong>rbeknien, ihm zu glauben und ihn freizulassen. Ihn freizulassen und ihm e<strong>in</strong>e Waffe zugeben, damit er es wenigstens versuchen und mit viel Glück sowie Fowleys Co<strong>de</strong> dasSchiff alle<strong>in</strong> sprengen konnte.„Ne<strong>in</strong>, es ist nicht <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Möglichkeit! Es ist nur schlichtweg <strong>in</strong>akzeptabel.“ OhneVorwarnung schlug Piper ihm noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>s Gesicht.Diesmal dauerte es wesentlich länger, bis Lan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> Füße kam. Sie warenlängst wie<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong>, nur <strong>die</strong> Leiche von Chief Wayland war ihnen erhalten geblieben.Enttäuscht rappelte <strong>de</strong>r Junioroffizier sich auf. Piper hatte ihn schrecklich enttäuscht.Daniel Fowley lehnte sitzend an <strong>de</strong>r Wand und beobachtete ihn. Er sah mit se<strong>in</strong>ergroßflächig blutgetränkten und zerfetzten Uniform wie e<strong>in</strong> Schlachter aus. „Es hätteklappen können, Patrick.“„Können. Hat es aber nicht. Für e<strong>in</strong>en Moment dachte ich, er wür<strong>de</strong> mir glauben.“„Hat er aber nicht.“Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Sie waren endgültig über <strong>de</strong>n Moment h<strong>in</strong>aus, wo sienoch großartige Emotionen aufbr<strong>in</strong>gen konnten. Ihre Gefühle waren seit gestern komplettaufgebraucht wor<strong>de</strong>n. Es blieb nur e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Leere übrig. Sie waren mü<strong>de</strong>. Mü<strong>de</strong> undfast völlig gleichgültig gegenüber ihrem Schicksal.Da ihn se<strong>in</strong> Durst pe<strong>in</strong>igte, suchte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Raum ab und fand nahe <strong>de</strong>r Tür <strong>die</strong> für sieabgestellten Vorräte. Es war e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Teller mit vier Scheiben Brot ohne Beilagenund e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er, fast leerer Putzeimer mit Wasser. Er ließ das Brot stehen und schleppte<strong>de</strong>n Wassereimer zu Fowley. Obwohl das Teil fast leer war, kostete es ihn e<strong>in</strong>e immenseKraft und tat weh. Er war nach nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em ganzen Tag schon e<strong>in</strong> geschun<strong>de</strong>neskörperliches Wrack.„Hier. Tr<strong>in</strong>k.“ Er kippte <strong>de</strong>n Eimer für Fowley an. Mit <strong>de</strong>n bloßen schmutzigen undblutigen Hän<strong>de</strong>n fasste <strong>de</strong>r Lieutenant h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und schöpfte <strong>die</strong> hohlen Hän<strong>de</strong> voll Wasser,um es zu tr<strong>in</strong>ken.Als er das mehrfach gemacht hatte und dankbar nickte, tat Lan<strong>de</strong>r es ihm gleich. Dabeitrank er auch das Blut <strong>de</strong>s Chiefs, das er an se<strong>in</strong>en Hän<strong>de</strong>n gehabt hatte. Anschließendließ er sich neben Fowley s<strong>in</strong>ken.


„Und was machen wir nun? Willst du etwas essen?“Den Kopf schüttelnd wies Fowley auf Lan<strong>de</strong>rs Sp<strong>in</strong>d. „Du könntest <strong>die</strong> Schreiben <strong>de</strong><strong>in</strong>erMutter lesen. Sie liegen noch bei dir im Schrank. Genauso wie <strong>de</strong>r Brief an <strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater.Duncan hat ihn aufgehoben und dorth<strong>in</strong> gelegt.“„Es macht auch nichts mehr aus, o<strong>de</strong>r?“„Ne<strong>in</strong>. Du hast bloß wenigstens jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r an dich <strong>de</strong>nkt und für dich betet.“„Du hast auch noch <strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater, Daniel.“„Vielleicht auch schon nicht mehr. Ich wollte nach Hause fliegen, weil er laut me<strong>in</strong>erälteren Schwester im Krankenhaus im Sterben liegt. Er hatte e<strong>in</strong>en weiterenGehirnschlag. Es war schon <strong>de</strong>r dritte o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vierte <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Monats. Es geht mitihm zu En<strong>de</strong>, und er wird es nicht e<strong>in</strong>mal erfahren, wenn ich sterbe.“„Das tut mir leid. Ich habe aber me<strong>in</strong>e Eltern <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Abschiedsbrief gebeten, dass sieauch für dich und Duncan beten. Und für <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren.“„Duncan ist e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren. Genauso wie wir es bald se<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>n.“ Fowley hatte ke<strong>in</strong>eTränen mehr. Es klang wie e<strong>in</strong> Gespräch über das Wetter.„Wo liegt also <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>n, dann noch <strong>die</strong> Briefe me<strong>in</strong>er Mutter zu lesen?“„Ke<strong>in</strong>e Ahnung. Wo liegt überhaupt noch irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> S<strong>in</strong>n <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem ganzen Wahns<strong>in</strong>n? Wirhaben doch sowieso nichts Besseres zu tun als zu warten. O<strong>de</strong>r genierst du dich etwaimmer noch vor mir? Ist das <strong>de</strong>r Grund, weshalb du <strong>die</strong> Briefe nicht holst? Hast du Angst,ich könnte sie sehen und mich darüber lustig machen?“„Du reißt Witze, o<strong>de</strong>r?“„Ne<strong>in</strong>. Duncan me<strong>in</strong>te damals lediglich zu mir, dass du aus sehr e<strong>in</strong>fachen Verhältnissenstammst und dass <strong>de</strong><strong>in</strong>e Familie sehr arm sei. Das sieht man ja auch an <strong>de</strong>r Schrift<strong>de</strong><strong>in</strong>er Mutter. Sie war wohl nur auf <strong>de</strong>r Elementarschule. Dass es dir pe<strong>in</strong>lich ist, weißich schon seit Langem.“Selbst solche eher abfälligen Worte brachten Lan<strong>de</strong>r nicht mehr <strong>in</strong> Rage. Es warGedankenlosigkeit, aber ke<strong>in</strong>e beabsichtigte Abfälligkeit Fowleys. „Ja, ich gehöre zu <strong>de</strong>nwenigen Leuten ohne Lord <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie. Macht mich das <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>en Augen jetzt zu e<strong>in</strong>emschlechteren Menschen und Offizier?“ Früher hätte er nie gedacht, dass er über solcheD<strong>in</strong>ge jemals mit e<strong>in</strong>em Offizier von Stand re<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>.„Durchaus nicht. Du bist e<strong>in</strong> sehr guter Offizier und e<strong>in</strong> noch besserer Mensch. E<strong>in</strong>Freund.. und noch dazu e<strong>in</strong> besserer als Duncan, <strong>de</strong>nn du for<strong>de</strong>rst nichts, son<strong>de</strong>rn gibstnur. Wenn Duncan jetzt hier wäre, wür<strong>de</strong> es uns noch schlechter gehen als ohneh<strong>in</strong>schon. Du bist mehr wie Keith und gerätst nicht so leicht <strong>in</strong> Panik.“Das kam unerwartet. „Es ist e<strong>in</strong>e Ehre für mich, dass du mich mit Lieutenant Parryvergleichst“, antwortete Lan<strong>de</strong>r nach e<strong>in</strong>er kurzen Weile.E<strong>in</strong> mattes Lächeln umspielte das melancholische Gesicht <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers. „Gerngeschehen. Ich wer<strong>de</strong> ihn dir sofort vorstellen, wenn wir zusammen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Himmelkommen.“„Ich wäre mir da noch nicht so sicher, ob ich dort überhaupt lan<strong>de</strong>.“„Sicher wirst du das. Die <strong>Hölle</strong> haben wir doch bereits h<strong>in</strong>ter uns. Danach kann nur <strong>de</strong>rHimmel kommen. Gera<strong>de</strong> du als Pfarrerssohn wirst garantiert dort lan<strong>de</strong>n. Der Beruf<strong>de</strong><strong>in</strong>es Vaters ist sicher besser als je<strong>de</strong>r Freifahrsche<strong>in</strong>.“„Hast du dich eigentlich nie gefragt, was e<strong>in</strong> anglikanischer Prov<strong>in</strong>zgeistlicher dazu sagt,wenn se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Sohn Offizier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy wird und an<strong>de</strong>re Menschen tötet?“,hielt Lan<strong>de</strong>r dagegen.„Ehrlich gestan<strong>de</strong>n nicht, aber jetzt, da du es sagst - er dürfte wohl nicht son<strong>de</strong>rlichbegeistert se<strong>in</strong>“, mutmaßte se<strong>in</strong> Lei<strong>de</strong>nsgenosse.„So ist es. Ich habe seit me<strong>in</strong>em Abflug auf <strong>die</strong>sem Schiff nicht mehr mit ihmkommuniziert.“ Es war schön, auch darüber endlich mit jeman<strong>de</strong>m sprechen zu können.„Das ist wenig erfreulich, aber du siehst ja, dass es mir auch nicht besser geht. Gera<strong>de</strong><strong>de</strong>swegen soll man alles immer gleich erledigen, weil nicht sicher ist, dass man späternoch Gelegenheit dazu erhält. Man sagt hier draußen bei <strong>de</strong>n Grenzstreitkräften nichtumsonst: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe lieber nicht auf Morgen. Dennwer erlebt das Morgen nicht, sehr leicht se<strong>in</strong>e Versprechen bricht.“Mit e<strong>in</strong>em resignierten Nicken hangelte Lan<strong>de</strong>r sich daraufh<strong>in</strong> erneut auf <strong>die</strong> schwachenBe<strong>in</strong>e und stakste zum Schrank. Bei <strong>de</strong>n Briefen stan<strong>de</strong>n auch <strong>die</strong> drei Frischhaltedosen.


„Sollen wir <strong>de</strong>n Kuchen und <strong>die</strong> Plätzchen noch vernichten, Daniel? Ich möchte nicht,dass sie jemand an<strong>de</strong>rs isst. Etwa jemand wie Raven.“„Immer her damit. Lieber heute vernichten als morgen verzichten.“„Du hättest wirklich Dichter wer<strong>de</strong>n sollen!“ Lan<strong>de</strong>r holte alles heran, auch <strong>die</strong>R<strong>in</strong>gelsocken.Als er Fowleys entblößten l<strong>in</strong>ken Knöchel sah, fan<strong>de</strong>n sie sogar dafür noch e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolleVerwendung, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie das immer mehr anschwellen<strong>de</strong> Gelenk damit bandagierten.Danach begannen sie mit <strong>de</strong>m zerknitterten Brief, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r schon e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Handgehabt und weggeworfen hatte. Ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgelehnt futterten sie dabei <strong>die</strong> Plätzchen und<strong>de</strong>n Kuchen und lasen geme<strong>in</strong>sam <strong>die</strong> Briefe, <strong>die</strong> allesamt von <strong>de</strong>nWeihnachtsvorbereitungen <strong>de</strong>r Familie Lan<strong>de</strong>r han<strong>de</strong>lten. Anne Lan<strong>de</strong>r hatte <strong>die</strong> Briefe so<strong>de</strong>tailliert wie möglich abgefasst, da es das erste Weihnachtsfest se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>, an <strong>de</strong>m ernicht zu Hause war. Trotz<strong>de</strong>m sollte er daran teilhaben, und sie machte alles so wieimmer.Als <strong>de</strong>r letzte Brief gelesen war, war <strong>die</strong> bereits gestern angebrochene erstePlätzchendose vollends leer, und <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>e Hefekuchen ebenfalls. Still saßen sie da, füre<strong>in</strong>en Moment bei<strong>de</strong> <strong>in</strong> Gedanken bei sich zu Hause. Schließlich fasste Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>enHauptgedanken <strong>in</strong> Worte: „Nun habe ich wenigstens etwas, woran ich <strong>de</strong>nken wer<strong>de</strong>,wenn…“„Aye. Ich bedaure nur, dass wir so viel Zeit durch Streit und Abneigung aufgrund vonNichtigkeiten verloren haben.“„Ja. Trotz<strong>de</strong>m danke für das, was du mir gegeben hast.“„Gleichfalls, Patrick.“Schweigend lehnten sie an <strong>de</strong>r Wand, bis jemand an <strong>die</strong> Tür bollerte: „Chief Wayland?“Sie erkannten Erasmus Ravens Stimme.Niemand von ihnen antwortete, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Chief lag lediglich e<strong>in</strong>en großen Schritt vonihnen entfernt tot auf <strong>de</strong>m Teppich. Das wür<strong>de</strong> noch früh genug bekannt wer<strong>de</strong>n.Vermutlich hatten Piper und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren bis jetzt geschwiegen, um zu vertuschen, dasssie überhaupt mit <strong>de</strong>m Chief zusammen hier gewesen waren. Das war es wohl. Siehatten unterlassen, zu reagieren, und <strong>de</strong>shalb verschwiegen sie jetzt ihre Gegenwart, dasie ihnen als Sympathie ausgelegt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Sympathie mit <strong>de</strong>n von Ravengehassten Gefangenen und e<strong>in</strong>e daraus resultieren<strong>de</strong> unterlassene Hilfeleistung für e<strong>in</strong>enKamera<strong>de</strong>n waren garantiert negativ für <strong>die</strong> Betreffen<strong>de</strong>n.Die Tür flog auf, und Raven erfasste <strong>die</strong> Situation b<strong>in</strong>nen weniger Sekun<strong>de</strong>n. Er sagteke<strong>in</strong> Wort, aber se<strong>in</strong> Gesichtsausdruck und <strong>de</strong>r sich dar<strong>in</strong> abzeichnen<strong>de</strong> Hass sprachenBän<strong>de</strong>. Lan<strong>de</strong>r hatte nicht geahnt, dass Chief Wayland und Comman<strong>de</strong>r Raven sichson<strong>de</strong>rlich nahegestan<strong>de</strong>n hatten, aber es war wohl <strong>de</strong>r Fall gewesen.H<strong>in</strong>ter Raven stand Petty Officer Piper alias Averys Mör<strong>de</strong>r. Er sah Lan<strong>de</strong>r und Fowleynicht an, als er sagte: „Der Chief hat <strong>die</strong> Wache weggeschickt, Capta<strong>in</strong>. Ich wusste janicht…“Das war kaltblütig gelogen, aber we<strong>de</strong>r Fowley noch Lan<strong>de</strong>r protestierten. Es spieltesowieso ke<strong>in</strong>e Rolle mehr.„Lassen Sie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n aufs Hangar<strong>de</strong>ck br<strong>in</strong>gen, Mister Piper. Jetzt s<strong>in</strong>d sie endgültigfällig!“Als sie ihn h<strong>in</strong>auszerrten, warf Patrick Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en letzten Blick zurück auf das kle<strong>in</strong>eQuartier, das <strong>in</strong> besseren Zeiten ihr Rückzugs- und Schlafraum und zuletzt nur noch ihreGefängniszelle gewesen war. Er wusste mit Gewissheit, dass er das kle<strong>in</strong>e verwüsteteZimmer niemals wie<strong>de</strong>rsehen wür<strong>de</strong>. Genauso wenig wie <strong>die</strong> Briefe se<strong>in</strong>er Mutter undihre kle<strong>in</strong>en Geschenke für Weihnachten, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ecke lagen. An Weihnachten wür<strong>de</strong> erlängst tot se<strong>in</strong>, und Lan<strong>de</strong>rs Familie wür<strong>de</strong> höchstens se<strong>in</strong>en letzten Abschiedsbriefbekommen, <strong>de</strong>n er vor <strong>de</strong>r Sche<strong>in</strong>h<strong>in</strong>richtung geschrieben hatte. Dazu natürlich auchnoch das formelle Schreiben. Genau <strong>de</strong>rselbe Brief wie ihn <strong>die</strong> Averys und FowleysVerwandte persönlich durch e<strong>in</strong>en ranggleichen Vertreter ausgehändigt bekommenwür<strong>de</strong>n. Und natürlich auch <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Angehörigen <strong>de</strong>rer, <strong>die</strong> nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>enletzten Brief hatten schreiben können. Es wür<strong>de</strong>n traurige Weihnachten für sie allewer<strong>de</strong>n. Jetzt und <strong>in</strong> allen Jahren, <strong>die</strong> da noch kommen mochten.


‚Wir bedauern außeror<strong>de</strong>ntlich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn <strong>in</strong> Ausübungse<strong>in</strong>er Pflicht für das Haus Bretonia <strong>in</strong> Tau-31 an Bord Se<strong>in</strong>er Majestät PatrouillenkreuzerBrisbane gefallen ist…’Im Kampf zu fallen war e<strong>in</strong> Risiko, das je<strong>de</strong>r Soldat täglich e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g. Von se<strong>in</strong>en eigenenKamera<strong>de</strong>n ermor<strong>de</strong>t zu wer<strong>de</strong>n war etwas an<strong>de</strong>res. Etwas, das nicht <strong>in</strong> Worte zu fassenwar. Etwas, an das man nicht e<strong>in</strong>mal im Traum dachte. Etwas, das <strong>de</strong>n ausgehändigtennüchternen Brief <strong>de</strong>r Admiralität Lügen strafen wür<strong>de</strong>. Wie konnte man Mordumschreiben? Er hatte sich <strong>in</strong> jenen 25 M<strong>in</strong>uten vor <strong>de</strong>r Sche<strong>in</strong>h<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emletzten Brief relativ kurz gefasst.Geliebte Eltern!Dies s<strong>in</strong>d wohl me<strong>in</strong>e letzten Worte an euch, bevor man uns vermutlich gleich holen wird.Es wur<strong>de</strong> uns vorher noch gestattet, Briefe zu schreiben. Bei mir s<strong>in</strong>d Lt Cmdr. DuncanAvery und Lt. Daniel Fowley. Ich wer<strong>de</strong> <strong>die</strong>sen Weg also nicht alle<strong>in</strong> gehen müssen undversuche, stark zu se<strong>in</strong>. Bitte schließt uns und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren <strong>in</strong> eure Gebete e<strong>in</strong>. Wenn man<strong>die</strong>sen Brief f<strong>in</strong><strong>de</strong>t, s<strong>in</strong>d wir sicherlich längst tot. Es wird nicht wehtun und schnell gehen.Verzeih mir was ich gesagt und getan habe, Vater, und tröste bitte Mutter. Ich wer<strong>de</strong> aneuch <strong>de</strong>nken. Euer euch ewig lieben<strong>de</strong>r Sohn PatrickPS: Ich habe das letzte Paket bekommen, Mutter. E<strong>in</strong>e Dose Plätzchen haben wir <strong>in</strong>unseren letzten Stun<strong>de</strong>n geteilt und uns sehr darüber gefreut. Auch <strong>die</strong> Socken passen.Ich liebe euch!Ne<strong>in</strong>, man konnte <strong>die</strong> persönlichen Briefe nicht e<strong>in</strong>mal freigeben, <strong>de</strong>nn sie zeugten von<strong>de</strong>m, was wirklich geschehen war. Sie zeugten von etwas, das von <strong>de</strong>r Admiralitätgarantiert totgeschwiegen wür<strong>de</strong>: <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>richtung unbewaffneter Gefangener, <strong>die</strong> beie<strong>in</strong>er Meuterei an Bord e<strong>in</strong>es Schlachtschiffes <strong>de</strong>r Royal Navy von ihren eigenenKamera<strong>de</strong>n gemacht wor<strong>de</strong>n waren.Daher war es vermutlich auch besser, wenn se<strong>in</strong>e Eltern <strong>die</strong>s alles gar nicht erfuhren.Wenn er im Kampf mit imag<strong>in</strong>ären Krim<strong>in</strong>ellen getötet wor<strong>de</strong>n war, war es besser fürihren Seelenfrie<strong>de</strong>n. Mochte <strong>die</strong> Admiralität Averys, Fowleys und se<strong>in</strong>en eigenenAbschiedsbrief doch für <strong>die</strong> Akten behalten. Die offizielle Version war garantiert besserals <strong>in</strong>direkt zu lesen, dass <strong>die</strong> eigene Mannschaft sie alle aufs Hangar<strong>de</strong>ck geführt unddort standrechtlich erschossen hatte. Was bereits Duncan Avery passiert war, blühte jetztauch ihnen.


Kapitel IX – Abstieg <strong>in</strong> <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong>„Morgen da drüben. Wie geht es dir, Daniel?“, erkundigte Patrick Lan<strong>de</strong>r sich bei Fowley,kaum, dass <strong>de</strong>r Sprungschock nachgelassen hatte.„Beschei<strong>de</strong>n. Danke <strong>de</strong>r Nachfrage. Und selbst?“„Könnte auch besser se<strong>in</strong>, danke.“ Der Sub-Lieutenant hatte auch nicht mehr <strong>die</strong> <strong>in</strong>nereKraft, weiterh<strong>in</strong> zu lügen und ‚Gut.’ zu sagen. Immerh<strong>in</strong> schien es Fowley heute Morgenbesser zu gehen. Der Knöchel war auch nach Tagen <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s provisorischenVerban<strong>de</strong>s noch stark geschwollen und bereitete <strong>de</strong>m Zweiten Offizier große Schmerzen.Ohne je<strong>de</strong> Behandlung außer <strong>de</strong>n darauf gelegten, mit Wasser getränkten R<strong>in</strong>gelsockenwar das auch ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r. Lan<strong>de</strong>r vermochte so gut wie nichts dagegen zu tun.„Was <strong>de</strong>nkst du, wo wir jetzt s<strong>in</strong>d?“Die Frage kam völlig unvermittelt. Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>ssen Kenntnis <strong>de</strong>r Grenzwelten sich auf daselementarste Wissen beschränkte, konnte nur unwissend <strong>die</strong> Schultern hochziehen. „Fragmich nicht. Hast du e<strong>in</strong>e I<strong>de</strong>e?“„Wür<strong>de</strong> ich dich fragen, wenn das <strong>de</strong>r Fall wäre?“, reagierte Fowley ärgerlich. „Wovonhast du <strong>de</strong>nn überhaupt e<strong>in</strong>e Ahnung? Vom Wetter auf Planet Leeds?!“„Von Ihren Launen, Sir.“ Lan<strong>de</strong>r übte sich <strong>in</strong> Toleranz und Geduld so gut es g<strong>in</strong>g.„Na toll! Das hilft uns ja wirklich viel weiter!“Da <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant dazu schwieg, bemerkte Fowley, was er getan hatte, und se<strong>in</strong>Gesicht nahm e<strong>in</strong>en zerknirschten Ausdruck an. „Verzeih, Patrick. Ich gehe nur bald <strong>die</strong>Wän<strong>de</strong> hoch, wenn sich weiterh<strong>in</strong> nichts tut.“„Was sollte sich <strong>de</strong>nn tun? Erwartest du wirklich, dass Raven uns e<strong>in</strong>fach irgendwo laufenlässt? Wir wissen zu viel. Je<strong>de</strong> Verän<strong>de</strong>rung unserer Situation wäre <strong>de</strong>shalb automatischauch e<strong>in</strong>e Verschlechterung. Hier haben wir wenigstens e<strong>in</strong> richtiges und e<strong>in</strong> Feldbett, e<strong>in</strong>Waschbecken für Frischwasser und um uns sauber zu halten, e<strong>in</strong>e Toilette und zweimalam Tag e<strong>in</strong>e Mahlzeit.“„Bestehend aus verdammten Nahrungspillen!“„Manch e<strong>in</strong>er auf Planet Leeds wäre froh, wenn er wenigstens <strong>die</strong> hätte, Daniel. Siemachen re<strong>in</strong> zufällig nämlich satt und halten e<strong>in</strong>en gesund. Das hier ist das Beste, waswir erwarten können.“Nach <strong>die</strong>sem geduldigen Konter wechselte Fowley e<strong>in</strong>fach das Thema und maulte weiter:„Ja, aber <strong>die</strong> haben uns vergessen! Wie lange ist schon niemand mehr hier gewesen?E<strong>in</strong>en Tag, zwei, fünf?“„Me<strong>in</strong>e Schätzung wäre, dass es drei bis vier Tage her ist, dass wir <strong>die</strong> Nahrungspillenbekommen haben.“„Seit<strong>de</strong>m s<strong>in</strong>d wir hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Arrestzelle e<strong>in</strong>geschlossen, und nichts ist passiert!“„Wie gesagt, es ist me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach immer noch besser als wenn etwas passiertwäre. Wann immer hier etwas passiert ist, war es zufälligerweise nichts Gutes!“„Aber wir können doch auch e<strong>in</strong>mal Glück haben! Vorausgesetzt, dass du <strong>de</strong>n Funkspruchwirklich abgesetzt hast…“„Daniel!“, unterbrach Lan<strong>de</strong>r halblaut. Fowley rüttelte allmählich an se<strong>in</strong>en schnelldünner wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Nerven.„Dann hätte doch mittlerweile etwas passieren müssen! Me<strong>in</strong> Gott, wir waren fast zweiTage <strong>in</strong> Tau-31! Wieso ist <strong>de</strong>nn niemand gekommen? Wieso hat <strong>die</strong> Navy nichtsunternommen? Wieso s<strong>in</strong>d wir mittlerweile fünf o<strong>de</strong>r sechs Mal gesprungen, und nichtstut sich? Das kann doch nur be<strong>de</strong>uten, dass man <strong>die</strong> Spur verloren hat! Mehr noch, dassdas Schiff gar nicht vermisst wird! Vermutlich hast du gar ke<strong>in</strong> Mayday gefunkt, son<strong>de</strong>rndas Ganze nur gesagt, um uns Mut zu machen.“„Bei allem Respekt, Sir. Ich wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>rzeit me<strong>in</strong>en Offizierseid schwören, dass ich <strong>de</strong>nMaydayruf abgesetzt habe. Wünschen Sie, dass ich schwöre?“ Normalerweise half es <strong>in</strong><strong>de</strong>rartigen Situationen, Fowley e<strong>in</strong>fach zu siezen. Gewöhnlich bemerkte <strong>de</strong>r Lieutenantdann se<strong>in</strong>en Fehler und nahm sich zusammen. Diesmal jedoch nicht.„Weißt du <strong>de</strong>nn überhaupt, was e<strong>in</strong> richtiger Offizierseid be<strong>de</strong>utet? In <strong>de</strong><strong>in</strong>er Familie ohneTradition…“


Bevor Fowley weitersprechen konnte, hatte Lan<strong>de</strong>r sich bereits von se<strong>in</strong>em Feldbetterhoben, <strong>die</strong> kurze Distanz von nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>em Meter zurückgelegt und schlug mit<strong>de</strong>r flachen Hand zu.Angesichts <strong>de</strong>r unvermittelten Gewalt schlug <strong>de</strong>r verstörte Fowley <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> vorsGesicht. Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>gegen sah auf se<strong>in</strong>e eigene Hand h<strong>in</strong>ab, als wun<strong>de</strong>re er sich über dasEigenleben, das sie urplötzlich entwickelt hatte. Dann setzte bei ihm das Begreifen e<strong>in</strong>,und er sank zu Fowley auf <strong>die</strong> mit Bettzeug ausgeklei<strong>de</strong>te Pritsche. Er hatte erstmalig <strong>die</strong>Kontrolle über sich verloren.War das vielleicht <strong>die</strong> Intention <strong>de</strong>s Anführers <strong>de</strong>r Meuterer? Ließ man sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em neuenPsychospielchen hier schmoren und erhöhte <strong>de</strong>n Druck konstant immer weiter, bis siesich selbst o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gegenseitig umbrachten? War das Erasmus Ravens Absicht?„Sorry, Daniel. Ich wollte das nicht.“Der Lieutenant ignorierte ihn gänzlich. Fowley war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Tagen, wie viele es auchimmer se<strong>in</strong> mochten, sprich seit jener zweiten <strong>in</strong>szenierten Sche<strong>in</strong>h<strong>in</strong>richtung auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck, zunehmend schwieriger gewor<strong>de</strong>n. Er wur<strong>de</strong> nicht gänzlich mit <strong>de</strong>m Druckihrer Situation fertig und hatte sich immer schlechter im Griff. Die Ungewissheit, <strong>die</strong>Hilflosigkeit und <strong>die</strong> Möglichkeit, dass man sie je<strong>de</strong>rzeit herauszerren und wirklich tötenkonnte, machten ihn sichtlich und spürbar fertig. Auch Lan<strong>de</strong>r litt unter <strong>de</strong>r Ungewissheitihres Schicksals, aber er konnte sich e<strong>in</strong>igermaßen beherrschen und damit umgehen. Dashatte er zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st geglaubt, bis er vor wenigen M<strong>in</strong>uten <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zigen Mann geschlagenhatte, <strong>de</strong>r an Bord noch auf se<strong>in</strong>er Seite stand.Auch an Patrick Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g jene Zeit eben nicht spurlos vorüber. Er hatte genauso <strong>die</strong>Beherrschung verloren, als e<strong>in</strong>e Waffe abwechselnd an se<strong>in</strong>en und an Fowleys Kopfgehalten wor<strong>de</strong>n war. Je<strong>de</strong>s Mal hätte es das Letzte se<strong>in</strong> können. Entwe<strong>de</strong>r bei ihm o<strong>de</strong>rbei Fowley. Diesmal war es Erasmus Raven selbst gewesen, <strong>de</strong>r das getan hatte. Siehatten <strong>die</strong>smal dabei sogar zugesehen, und wie<strong>de</strong>r war es bis zum Letzten gegangen.Erneut hatte <strong>die</strong> Patrone <strong>in</strong> <strong>de</strong>r letzten Kammer gesteckt.Patrick Lan<strong>de</strong>r war an <strong>de</strong>r Reihe gewesen, als sie bei sieben angekommen gewesenwaren. „Bye bye, Sub“, hatte Raven gesagt. Zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt hatte auch PatrickLan<strong>de</strong>r längst geheult und sich selbst mit e<strong>in</strong>em Loch im Kopf an Deck liegen sehen.Dann hatte es e<strong>in</strong> siebtes Mal lediglich Klick gemacht. Die Pistole war <strong>die</strong>ses Mal <strong>in</strong>Wahrheit ungela<strong>de</strong>n gewesen. Raven hatte gelacht und sie bei<strong>de</strong> zusammen <strong>in</strong> <strong>de</strong>rvergleichsweise komfortablen Arrestzelle e<strong>in</strong>sperren lassen. Irgendwann später hatten sie<strong>die</strong> Nahrungspillen bekommen und seit<strong>de</strong>m nieman<strong>de</strong>n mehr gesehen. Es war zu viel Zeitzum Nach<strong>de</strong>nken gewesen. Zu viel verme<strong>in</strong>tliche Ruhe. In Lan<strong>de</strong>rs Augen zog amHorizont e<strong>in</strong> gewaltiger Sturm herauf, <strong>de</strong>r irgendwann völlig unvermittelt über siehere<strong>in</strong>brechen wür<strong>de</strong>. Se<strong>in</strong>em übersensibel gewor<strong>de</strong>nen Zellengenossen gegenübererwähnte er absichtlich nichts davon.Da Fowley sich weigerte, mit ihm zu sprechen, zog Lan<strong>de</strong>r sich zum Waschbeckenzurück. Lei<strong>de</strong>r gab es hier ke<strong>in</strong>en Waschraum, da <strong>die</strong> Zelle eigentlich nur für e<strong>in</strong>enInsassen ausgelegt war.Auch <strong>die</strong> Gedanken <strong>de</strong>s Sub-Lieutenants kreisten, ohne dass er etwas daran än<strong>de</strong>rnkonnte, um <strong>die</strong> Frage, ob Rettung kommen wür<strong>de</strong>. Er kam sich wie e<strong>in</strong> Spielzeug vor, dasComman<strong>de</strong>r Raven entsorgen wür<strong>de</strong>, wann immer er <strong>de</strong>ssen überdrüssig gewor<strong>de</strong>n war.Das Ritual, das er für sich selbst entwickelt hatte, half ihm. Tr<strong>in</strong>ken, <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>nNahrungspillen als Frühstück e<strong>in</strong>nehmen, möglichst gutes Waschen <strong>de</strong>s Körpers und <strong>de</strong>rKleidung, Aufräumen und Beiseiteschaffen <strong>de</strong>s Feldbettes, bis auf das Bett nahezu dasganze Programm noch e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> Fowleys Fall plus <strong>die</strong> Erneuerung <strong>de</strong>s Fußverban<strong>de</strong>s.Danach e<strong>in</strong>e erneute Waschung, Unterhaltung mit <strong>de</strong>m Lieutenant und e<strong>in</strong> Nickerchen.Der restliche Tag bestand eigentlich ebenfalls nur aus Schlafen und Re<strong>de</strong>n bis zumAben<strong>de</strong>ssen <strong>in</strong> Form von noch zwei Pillen. Anschließend kam irgendwann mit E<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong>r Müdigkeit <strong>die</strong> Abendrout<strong>in</strong>e <strong>in</strong> umgedrehter Form. Am nächsten Tag g<strong>in</strong>g es wie<strong>de</strong>rgenauso weiter.Auf <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie hatte se<strong>in</strong>e Klasse e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Vortrag über das beste Verhalten<strong>in</strong> Gefangenschaft gehört. Die möglichst genaue Strukturierung <strong>de</strong>s Tages war als wichtigangesehen wor<strong>de</strong>n. Patrick Lan<strong>de</strong>r hatte nicht ernsthaft geglaubt, dass er <strong>die</strong>sesHalbwissen e<strong>in</strong>mal brauchen wür<strong>de</strong>. Er war auf <strong>de</strong>m Weg zum Navyoffizier gewesen undhatte sich schon auf <strong>de</strong>r Norfolk o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Großkampfschiffe stehen sehen.


Da <strong>die</strong> Gesamtbevölkerung von Sirius seit mehr als vierzig Jahren <strong>in</strong> relativem Frie<strong>de</strong>nlebte, war ihm sehr unwahrsche<strong>in</strong>lich erschienen, dass er jemals <strong>in</strong> Kriegsgefangenschaftgeraten wür<strong>de</strong>. Es stimmte ja auch. Dies hier war bloß noch schlimmer alsKriegsgefangenschaft.Fowley leistete heute passiven Wi<strong>de</strong>rstand, als Lan<strong>de</strong>r ihm behilflich se<strong>in</strong> wollte. DerDritte Offizier bestand trotz<strong>de</strong>m darauf, bis <strong>de</strong>r Lieutenant wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Pritsche lag.Der schwarze Bart se<strong>in</strong>es Vorgesetzten wur<strong>de</strong> mit je<strong>de</strong>m Tag länger. Er verlieh Fowleydas Aussehen e<strong>in</strong>es regelrechten Vagabun<strong>de</strong>n. Nur <strong>die</strong> nach wie vor anhalten<strong>de</strong> Blässeund <strong>die</strong> immer noch <strong>de</strong>utlich sichtbare Kopfwun<strong>de</strong> ließen das an<strong>de</strong>rs aussehen undwür<strong>de</strong>n Mitleid bei Außenstehen<strong>de</strong>n erregen.Obwohl es hier ke<strong>in</strong>en Spiegel gab, hatte Lan<strong>de</strong>r genug von se<strong>in</strong>em eigenen Körpergesehen, um zu wissen, wie grässlich se<strong>in</strong> eigenes Gesicht vermutlich auch wirkte.Überall hatte er blaue Flecken und Schürfwun<strong>de</strong>n. Der Rest se<strong>in</strong>es Körpers sah genausoaus. Zum Sport hatte er sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Zeit aus <strong>die</strong>sem Grund regelrecht zw<strong>in</strong>genmüssen, da je<strong>de</strong> Bewegung anfänglich <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> gewesen war. Mittlerweile g<strong>in</strong>g ese<strong>in</strong>igermaßen. Wenigstens war se<strong>in</strong> Bart jedoch noch relativ unsche<strong>in</strong>bar im Vergleich zu<strong>de</strong>mjenigen se<strong>in</strong>es Vorgesetzten. Vielleicht h<strong>in</strong>g es mit <strong>de</strong>r flächen<strong>de</strong>cken<strong>de</strong>n Akne o<strong>de</strong>raber mit se<strong>in</strong>em hellen Hauttyp zusammen.Nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r tägliche Abschnitt Fowley abgehakt war, überließ Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nMitgefangenen sich selbst und begann mit <strong>de</strong>n Aufwärmübungen. Der Sport wur<strong>de</strong> <strong>in</strong>zunehmen<strong>de</strong>m Maß wichtig für ihn, je mehr Zeit verg<strong>in</strong>g. Er wollte <strong>in</strong> Form bleiben undaußer<strong>de</strong>m wur<strong>de</strong>n se<strong>in</strong> Bewegungsdrang sowie se<strong>in</strong>e aufgestaute Energie immer größer.Er musste das irgendwie kompensieren. Heute tra<strong>in</strong>ierte er sogar noch verbissener alssonst. Sport war besser als Streit. Er wollte we<strong>de</strong>r streiten noch gewalttätig wer<strong>de</strong>n. Erwar erschrocken, weil ihm <strong>die</strong> Hand aus nichtigem Anlass ausgerutscht war. Fowleykonnte genau genommen ja auch nichts dafür.Er war gera<strong>de</strong> beim 23. Sit-up, als <strong>de</strong>r selbst ernannte Capta<strong>in</strong> Erasmus Raven mitBegleitung ohne je<strong>de</strong> Vorwarnung e<strong>in</strong>trat. Alarmiert sprang Lan<strong>de</strong>r auf.„So ist’s richtig, Lieutenant. Immer schön <strong>in</strong> Form bleiben und <strong>die</strong> Diszipl<strong>in</strong> wahren, nichtwahr? So habe ich es Ihnen ja auch beigebracht.“ Raven hörte auf zu gr<strong>in</strong>sen.„Ausziehen!“„Was?“„In gesellschaftlich höheren Kreisen heißt das ‚Wie bitte?’, Mister Lan<strong>de</strong>r. Da Sie jedochnach e<strong>in</strong>igen Tagen <strong>de</strong>s gehobenen Umgangs mit Fowley ke<strong>in</strong> normales Englisch mehr zuverstehen sche<strong>in</strong>en, sage ich es noch e<strong>in</strong>mal an<strong>de</strong>rs: Bitte seien Sie doch so freundlichsich vollständig zu entklei<strong>de</strong>n, Lieutenant. Sorgen Sie bitte auch dafür, dass <strong>de</strong>rehemalige Zweite Offizier <strong>die</strong>ses Schiffes das ebenfalls tut. Danke.“Der Begriff bitte war <strong>de</strong>hnbar, beson<strong>de</strong>rs wenn zwei MGs auf ihn und se<strong>in</strong>enZellengenossen gerichtet waren.Lan<strong>de</strong>r gab nach. Er wandte sich ab und zog sich aus. Fowley starrte ihn blank an undzuckte zusammen, als Lan<strong>de</strong>r anschließend auch Hand an ihn legte. Es g<strong>in</strong>g jedoch nichtan<strong>de</strong>rs.Als er annähernd fertig war, flog etwas auf <strong>die</strong> Pritsche und traf <strong>de</strong>n Verletzten mitten <strong>in</strong>sGesicht.„Anziehen!“Endlich schien Fowley durch <strong>de</strong>n körperlichen Schmerz wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>igermaßen zu sich zukommen. Hastig richtete er sich auf und ergriff <strong>die</strong> auf <strong>de</strong>m Bett liegen<strong>de</strong> Kleidung mit<strong>de</strong>r Absicht, se<strong>in</strong>e Blöße schnellstmöglich zu be<strong>de</strong>cken. Auch Lan<strong>de</strong>r langte zu. Zu se<strong>in</strong>emLeidwesen war nicht e<strong>in</strong>mal Unterwäsche dabei, aber <strong>de</strong>r Befehl war e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig gewesen.Die Kleidung war außer<strong>de</strong>m gebraucht und roch streng nach Schweiß, wie er feststellte.Mit großem Wi<strong>de</strong>rwillen nahm er <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n von Fowley übrig gelassenen Kleidungsstückean sich. Es waren <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall nur e<strong>in</strong> dreckiges, ehemals weißes, kurzärmeliges T-Shirt, das drei Nummern zu groß war, und e<strong>in</strong>e braune Hose aus billigem Stoff. Sie warzehn Zentimeter zu lang, sodass er sie umschlagen musste.Nach<strong>de</strong>m er Fowley erneut behilflich gewesen war, das blaue Shirt und e<strong>in</strong>e grüne Hoseanzuziehen, <strong>die</strong> ebenfalls nicht richtig passten, wies Raven mit <strong>de</strong>m Kopf <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>rTür.


„Der Lieutenant kann nicht gehen… Sir.“ Zu <strong>de</strong>r Benutzung <strong>de</strong>s Wortes Sir musste Lan<strong>de</strong>rsich zw<strong>in</strong>gen.„Sie dürfen ihn auch gerne tragen, Sub“, mokierte Raven sich grausam über ihn.Pure Notwendigkeit siegte. Lan<strong>de</strong>r zerrte Fowley hoch und g<strong>in</strong>g dabei nicht gera<strong>de</strong> sanftmit ihm um. Den größeren Mann erfolgreich aufrecht zu halten stellte jedoch e<strong>in</strong>e nichtgera<strong>de</strong> kle<strong>in</strong>e Schwierigkeit dar. Niemand half ihm.Der langsame Weg führte zum Hangar<strong>de</strong>ck. Raven machte sich e<strong>in</strong>en Spaß daraus, sie zudrängeln und herumstoßen zu lassen. Es war <strong>de</strong>shalb <strong>die</strong> pure <strong>Hölle</strong>, und bei<strong>de</strong>Gefangenen atmeten schwer, als sie endlich ankamen.E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Frachter stand auf <strong>de</strong>m freien Platz <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Decks. Er wur<strong>de</strong>gera<strong>de</strong> bela<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> Blick auf <strong>die</strong> Ladung zog Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Füßen weg. Ine<strong>in</strong>er sperrigen Kiste mit offenem Deckel, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> geschlossen wur<strong>de</strong>, lag e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>rFusionsbomben <strong>de</strong>r Brisbane.„Was soll das wer<strong>de</strong>n, Raven?“ Fowley klang heiser.„Immer noch Capta<strong>in</strong> Raven für Sie, Fowley. Nur weil Ihr Vater Milliardär ist, o<strong>de</strong>rvielmehr war, dürfen Sie sich noch lange nicht alles erlauben.“„Was ist mit me<strong>in</strong>em Vater?!“ Fowleys rechte Hand krampfte sich so fest <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rsUnterarm, dass <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant annähernd aufschrie.„Er ist vor drei Tagen gestorben. Dachte mir schon, dass Sie das <strong>in</strong>teressieren wür<strong>de</strong>. DieFowley & Sons Trustee Bank wäre jetzt Ihre, Lord Fowley, wenn Sie <strong>de</strong>nn jemals wie<strong>de</strong>rbretonischen Raum betreten wür<strong>de</strong>n. Das wer<strong>de</strong>n Sie aber lei<strong>de</strong>r nicht, wie ich befürchte.Ihre Schwester Helen dürfte sich engagieren und wird wohl <strong>die</strong> Bank sowie dasPrivatvermögen erben. An Ihrer statt. Sie s<strong>in</strong>d zwar <strong>de</strong>r eigentliche Lord, aber niemandwird davon wissen, weil Sie auf Nimmerwie<strong>de</strong>rsehen verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Lady Fowleyof L<strong>in</strong>colnshire ist Alle<strong>in</strong>erb<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn Sie wur<strong>de</strong>n vor zwei Tagen offiziell für tot erklärt,Lieutenant Lord Fowley.“„Ne<strong>in</strong>! Mister Raven, Sie haben doch nicht ernstlich…“ Das <strong>de</strong>utliche Zittern <strong>in</strong> FowleysStimme jagte Lan<strong>de</strong>r Angst e<strong>in</strong>. „Ich bitte Sie im Namen Gottes, <strong>die</strong>s nicht zu tun! Ichverspreche Ihnen auch alles, was Sie wollen! Sie wollen Geld? Sie können von mirmorgen am Tag e<strong>in</strong>e halbe Milliar<strong>de</strong> haben, Comman<strong>de</strong>r Raven! E<strong>in</strong>e halbe Milliar<strong>de</strong> undme<strong>in</strong> Schweigen, wenn Sie mich gehen lassen!“Der Sub-Lieutenant verstand immer weniger, was los war. Er war nur verletzt undwütend, weil er hier ansche<strong>in</strong>end völlig außer Acht wur<strong>de</strong>. Und das nach allem, was siebei<strong>de</strong> zusammen durchlitten hatten! Er stand doch praktisch neben Fowley und stützteihn! Es dauerte e<strong>in</strong>ige Momente, bis er klar genug sah, um se<strong>in</strong>e Wut e<strong>in</strong>igermaßen zuzügeln. Fowley war <strong>in</strong> offener Panik und offensichtlich dabei, zu vergessen, dass er e<strong>in</strong>enverletzten Fuß hatte. Er riss sich kraftvoll von Lan<strong>de</strong>r los und wollte zu Raven eilen,erreichte ihn jedoch nie, weil er wegknickte.„Da unten gehören Sie h<strong>in</strong>, Fowley. Wissen Sie, Ihr armseliges Geld <strong>in</strong>teressiert michnicht im Ger<strong>in</strong>gsten. Mit <strong>de</strong>r Brisbane und e<strong>in</strong>er gewissen Menge Kapital sowievielseitigen geschäftlichen Beziehungen kann mich nichts mehr aufhalten. Ich wer<strong>de</strong> <strong>in</strong>spätestens fünf Jahren reicher se<strong>in</strong> als Ihre Familie.“ Raven warf <strong>de</strong>r bewaffneten Eskortee<strong>in</strong>en Blick zu. „Und je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mir treu ergeben ist, ebenfalls!“„Ne<strong>in</strong>!“ Fowley kroch zu Raven. Lan<strong>de</strong>r wollte <strong>de</strong>n Blick abwen<strong>de</strong>n, weil kaummitanzusehen war, wie <strong>de</strong>r Zweite Offizier sich erniedrigte und vergaß, aber es warunmöglich für ihn, das zu vollbr<strong>in</strong>gen. Er musste mitansehen, wie Fowley sich an RavensBe<strong>in</strong> klammerte und D<strong>in</strong>ge stotterte, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r kaum verstand.„Bedaure, Fowley. Sie bei<strong>de</strong> und das Musterstück da s<strong>in</strong>d bereits verkauft.“Auch für Lan<strong>de</strong>r waren <strong>die</strong> Worte e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>s Gesicht. Ihm dämmerte schlagartig, wasdas alles be<strong>de</strong>utete. Er war urplötzlich wie<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten. Nicht nur <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen schmuggelten, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> großenHan<strong>de</strong>lsgesellschaften taten es. Verbotene Ware g<strong>in</strong>g nach Bretonia h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> undmanchmal auch ebenso heiße h<strong>in</strong>aus. Es waren verbotene Themen auf Hyperbroadcast,aber reißerische Mo<strong>de</strong>ratoren brachten manchmal auf wil<strong>de</strong>n Mutmaßungen beruhen<strong>de</strong>Beiträge darüber. Über Menschen, <strong>die</strong> auf Nimmerwie<strong>de</strong>rsehen verschwan<strong>de</strong>n. Was sonsthätte Fowley <strong>de</strong>rmaßen <strong>in</strong> Angst versetzen können? Selbst <strong>de</strong>r drohen<strong>de</strong> Tod durchErschießung hatte nie dazu geführt, dass er sich <strong>de</strong>rmaßen erniedrigt hatte und vor


Raven bettelte. Nur etwas, das noch schlimmer war als <strong>de</strong>r Tod, konnte <strong>die</strong>sverursachen.Erasmus Ravens ultimative Rache dafür, dass sie gegen ihn und K<strong>in</strong>gsham ausgesagthatten. Patrick Lan<strong>de</strong>r wünschte sich, tot zu se<strong>in</strong>. Es war se<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Chance.Er warf sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hoffnung, dass man ihn erschießen möge, herum. In <strong>de</strong>r Tat fiel auche<strong>in</strong> Schuss, <strong>de</strong>r wohl aus Überraschung von e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Männer abgegeben wor<strong>de</strong>n war,aber das Projektil g<strong>in</strong>g weit daneben.Er hörte Raven fluchen und irgen<strong>de</strong>twas schreien, aber dann wur<strong>de</strong> es dunkel um ihn, alse<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Männer ihm mit <strong>de</strong>m harten Kolben <strong>de</strong>r Waffe zwischen <strong>die</strong>Schulterblätter schlug und ihn so zu Bo<strong>de</strong>n schickte.Das Erwachen danach tat mehr weh als je<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>re Mal zuvor. Er lag e<strong>in</strong>fach nur daund versuchte, wie<strong>de</strong>r klar im Kopf zu wer<strong>de</strong>n. Er war wohl recht lange weggetretengewesen. Er hatte <strong>de</strong>n Geschmack von Blut im ansonsten trockenen Mund und wolltenachfühlen, ob er noch alle Zähne hatte, aber das g<strong>in</strong>g nicht.Er konnte sich nicht bewegen!Panik schlug wie e<strong>in</strong>e Welle über ihm zusammen. Er äußerte e<strong>in</strong>en unartikulierten Schreiund kämpfte gegen se<strong>in</strong>e Hilflosigkeit an. Es war s<strong>in</strong>nlos, aber <strong>de</strong>nnoch hörte nicht auf,bis er heftig atmend erschlaffte, aufrecht gehalten durch das, was se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> nahezuüber Kopf an etwas Hartes fesselte. Er spürte <strong>de</strong>n Druck um se<strong>in</strong>e zusammengepresstenHandgelenke und <strong>die</strong> Kälte. Metall. Auch se<strong>in</strong>e Füße waren fixiert. Er war mehr o<strong>de</strong>rweniger völlig bewegungsunfähig, <strong>de</strong>nn bis auf <strong>de</strong>n Kopf konnte er sich nicht rühren.Er saß <strong>in</strong> etwas Nassem. Das war <strong>die</strong> nächste Erkenntnis. E<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass er es vorhernoch nicht gerochen hatte, <strong>de</strong>nn es waren se<strong>in</strong>e eigenen Körperausscheidungen.Er musste schon e<strong>in</strong>e Ewigkeit so hier hängen, an e<strong>in</strong>e große Kiste o<strong>de</strong>r vielleicht auche<strong>in</strong>e Wand gefesselt. Se<strong>in</strong> Rücken brachte ihn je<strong>de</strong>nfalls fast um. Es war das, was erdamals auf se<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz <strong>in</strong> jenem Frachter gesehen hatte. E<strong>in</strong>Menschentransport. E<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r vielen D<strong>in</strong>ge, von <strong>de</strong>nen Lieutenant Daniel Fowley gewussthatte. In <strong>de</strong>n Grenzwelten konnte man offensichtlich auch mit Menschen han<strong>de</strong>ln. AuchLan<strong>de</strong>r war jetzt e<strong>in</strong>e Ware gewor<strong>de</strong>n. Genauso wie es damals <strong>die</strong> Crew <strong>de</strong>rCommonwealth getroffen hatte. Tiefer konnte man wohl nicht mehr s<strong>in</strong>ken.Die Dunkelheit um ihn herum war undurchdr<strong>in</strong>glich und <strong>die</strong> Stille nahezu tödlich. Angstbefiel ihn. Angst davor, alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>. Er sehnte sich nach e<strong>in</strong>er menschlichen Stimme.„Daniel?“Er unterdrückte e<strong>in</strong> Schluchzen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kehle, als er erneut Fowleys Namen rief.Fowley war nicht hier und Lan<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong>. Womöglich war se<strong>in</strong> Lei<strong>de</strong>nsgefährte bereitsTausen<strong>de</strong> Kilometer fort. Verkauft an jemand an<strong>de</strong>ren.Der To<strong>de</strong>swunsch wur<strong>de</strong> übermächtig. Wenn er sich hätte bewegen können, hätte er auf<strong>de</strong>r Stelle e<strong>in</strong>en Weg gefun<strong>de</strong>n und Schluss gemacht. So konnte er jedoch nur <strong>de</strong>n Kopfgegen <strong>die</strong>se Wand hauen, um sich selbst <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>l e<strong>in</strong>zuschlagen.Er versuchte es wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r, spürte, wie er sich <strong>die</strong> Kopfhaut aufschlug und dasBlut über se<strong>in</strong>e Wange rann…Als <strong>de</strong>r Schmerz schon se<strong>in</strong>e Wahrnehmung zu trüben begann, hörte er Geräusche.„Daniel?” fragte er wie<strong>de</strong>r, ohne wirklich damit zu rechnen.Noch immer ke<strong>in</strong>e Antwort, aber mit e<strong>in</strong>em Laut, <strong>in</strong> etwa so, als ob Metall auf Metallschlüge, kündigte sich e<strong>in</strong>e Än<strong>de</strong>rung se<strong>in</strong>er Umstän<strong>de</strong> an. Vermutlich kam se<strong>in</strong>momentaner Besitzer, um nach ihm zu sehen. Ängstlich duckte Lan<strong>de</strong>r sich, so weit es<strong>die</strong> Handfesseln zuließen. Er wandte <strong>de</strong>n Kopf ab und senkte ihn. Er wollte und konnte esnicht ertragen.Wirklich näherten sich jetzt Schritte. Sie klangen schwer und wuchtig. Der Bo<strong>de</strong>n war ausMetall. Er vibrierte, als <strong>die</strong> Gestalt sich näherte und vorbeig<strong>in</strong>g. Er hörte es, spürte <strong>de</strong>nLuftzug und roch es vor allen D<strong>in</strong>gen.Der Kerl schleifte außer<strong>de</strong>m etwas h<strong>in</strong>ter sich her.Etwas klirrte wie e<strong>in</strong> Schlüssel. Lan<strong>de</strong>rs Kopf ruckte nach oben, und <strong>de</strong>r Sub-Lieutenantbl<strong>in</strong>zelte im Sche<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Taschenlampe.


E<strong>in</strong> übergewichtiger Schrank von e<strong>in</strong>em Mann mit langem, vor Fett glänzen<strong>de</strong>mschwarzen Haar war gera<strong>de</strong> damit beschäftigt, Daniel Fowley an e<strong>in</strong>er großen Kisteanzuketten. Es war <strong>die</strong>selbe, an <strong>de</strong>r auch Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>g. Zunächst schnappten <strong>die</strong> festangebrachten Handschellen zu, dann machte <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong> sich an <strong>die</strong> Fußschellen undbegann leise zu fluchen.Als Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Fuß se<strong>in</strong>es bewusstlosen Vorgesetzten und Lei<strong>de</strong>nsgenossen sah,schnappte er erschrocken nach Luft. Der Knöchel hatte e<strong>in</strong>e rötlich-violette Farbeangenommen und war fast doppelt so dick wie normal. Er passte nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Fußfessel.Als <strong>de</strong>r Mann sich aufgrund <strong>de</strong>s Geräuschs herumdrehte und leuchtete, sah er Lan<strong>de</strong>r.„Ach, wir s<strong>in</strong>d auch schon wach. Dacht schon, du gehst mir e<strong>in</strong>.“ Der Akzent war seltsameigentümlich und an<strong>de</strong>rs als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant bis jetzt gehört hatte.Die Grammatik war nicht fehlerfrei, eben typisch für jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nie e<strong>in</strong>e Schulebesucht hatte.Fowleys Gesicht war voller Blut. Lan<strong>de</strong>r sah es, als <strong>de</strong>r schlaffe Körper zur Seite kippte.Blut und noch etwas an<strong>de</strong>res waren sichtbar. Wun<strong>de</strong>n. Schwarze Wun<strong>de</strong>n. Er schau<strong>de</strong>rte.„Ja, schau nur genau h<strong>in</strong>. Ich lasse mir nicht auf <strong>de</strong>r Nase herumtanzen, so wahr ichCly<strong>de</strong> Searle heiße. Nicht von euch und auch nicht von irgendwem sonst! Entwe<strong>de</strong>r ihrspurt, o<strong>de</strong>r es setzt was!“Wütend trat <strong>de</strong>r Grenzweltler gegen Fowleys Be<strong>in</strong>, als sich <strong>de</strong>r Metallr<strong>in</strong>g partout nichtverschließen ließ. Lan<strong>de</strong>rs Magen krampfte sich zusammen. „Es wird sicherlich nichtbesser, wenn Sie <strong>de</strong>n Knöchel da re<strong>in</strong>pressen… Mister… Sir.“ Er war nie <strong>in</strong> solch e<strong>in</strong>erSituation gewesen. Dass es e<strong>in</strong> Fehler gewesen war, davon anzufangen, sah er gleich.„Wenn ich e<strong>in</strong>en Ratschlag von dir will, dann hole ich mir e<strong>in</strong>en!“, kreischte <strong>de</strong>r Kerl losund beschloss se<strong>in</strong>e Aussage mit e<strong>in</strong>em gebrüllten: „Schnauze!“Lan<strong>de</strong>r gehorchte und senkte <strong>de</strong>n Blick unterwürfig. Ihre Situation war auch so schonschlimm genug.„Genau! Behalt <strong>de</strong><strong>in</strong>e neunmalklugen Worte für dich, Bretone! Du magst mal Offiziergewesen se<strong>in</strong>, aber euresgleichen re<strong>de</strong>t hier draußen nur, wenn ihr gefragt wer<strong>de</strong>t, egal,was ihr früher wart! Wisst ihr, was ihr hier und jetzt seid?“Stumm schüttelte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf und rang <strong>in</strong>nerlich um <strong>die</strong> Beherrschung. Er wusste essehr genau, aber er konnte es nicht aussprechen.Der Krim<strong>in</strong>elle stakste zu ihm herüber und beugte sich über ihn.Lan<strong>de</strong>r roch e<strong>in</strong>e Alkoholfahne sowie <strong>de</strong>n Fakt, dass <strong>de</strong>r Kerl, sich schon ewig nicht mehrgewaschen hatte, und musste angesichts <strong>de</strong>s faulig riechen<strong>de</strong>n Atems fast würgen. Se<strong>in</strong>K<strong>in</strong>n wur<strong>de</strong> ergriffen und se<strong>in</strong> Kopf hochgerissen. Ihre Blicke begegneten sich.„Leibeigene seid ihr hier! Niemand gibt hier e<strong>in</strong>en Dreck für euch! Ihr gehört mit Leib undSeele mir alle<strong>in</strong>!“Lan<strong>de</strong>rs offensichtliches und unverhohlenes Entsetzen befriedigte <strong>de</strong>n Kerl sichtlich. Erstieß Lan<strong>de</strong>rs Kopf gegen <strong>die</strong> Kiste und marschierte davon. Für <strong>de</strong>n vermutlichenAlkoholpegel hielt er sich sogar noch sehr gera<strong>de</strong>.Von eiskaltem Entsetzen und <strong>de</strong>m neuen körperlichen Schmerz paralysiert hörte Lan<strong>de</strong>r,wie e<strong>in</strong>e Tür zuschlug. E<strong>in</strong>e gute M<strong>in</strong>ute später sprangen <strong>de</strong>r Antrieb und <strong>die</strong> Beleuchtunggleichzeitig an. Sie befan<strong>de</strong>n sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>es großen Frachters, sofern er dasbeurteilen konnte. E<strong>in</strong> Schiff war es auf je<strong>de</strong>n Fall, aber wie groß genau, das konnte ernur anhand <strong>de</strong>r hohen Kab<strong>in</strong>en<strong>de</strong>cke schätzen. Viel größer als e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>Rh<strong>in</strong>o. Vielleicht sogar noch größer als <strong>die</strong> rhe<strong>in</strong>ländischen Humpbacks, mit <strong>de</strong>nen mansie damals nach <strong>de</strong>r Selbstzerstörung <strong>de</strong>r Oxford von Omega-11 nach Stuttgart gebrachthatte.Besorgt sah er zu Fowley h<strong>in</strong>. Der Lieutenant h<strong>in</strong>g noch immer bewusstlos <strong>in</strong> <strong>de</strong>nHandfesseln. Dank <strong>de</strong>s Streits zwischen Lan<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>m Grenzweltler war er jedoch vomRest verschont geblieben.Es dauerte e<strong>in</strong>e Ewigkeit, und sie waren längst irgendwoh<strong>in</strong> unterwegs, als Fowleyansatzweise wie<strong>de</strong>r zu sich kam. Dann schrie er jedoch gurgelnd auf und warf sich nachvorne.„Ruhig, Daniel!“, rief Lan<strong>de</strong>r.Fowley hob <strong>de</strong>n Blick und sah ihn als Reaktion darauf an. E<strong>in</strong>en solchen Gesichtsausdruckhatte Lan<strong>de</strong>r noch nie bei ihm gesehen. Es war Hoffnungslosigkeit und pure Verzweiflung,


gepaart mit Schmerz und Selbstaufgabe. Die To<strong>de</strong>ssehnsucht stand <strong>de</strong>m Lieutenant <strong>in</strong>das e<strong>in</strong>st so attraktive Gesicht geschrieben.Nun war es rot von Blut aus se<strong>in</strong>er Nase und se<strong>in</strong>em Mund. Die schwarzen Flecken warenkreisrund und relativ kle<strong>in</strong>, aber dafür waren es viele. Das Gesicht, das Patrick Lan<strong>de</strong>rentgegensah, wür<strong>de</strong> vermutlich monatelang nur noch Mitleid erregen. Vielleicht wür<strong>de</strong>njene Narben sogar nie verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n.„Jesus im Himmel, was hat er dir bloß angetan?“„Siehst du doch.“ Die Stimme war belegt und <strong>de</strong>nnoch verständlich. „Er hat <strong>die</strong>Fusionsbombe für achtzehn Millionen weiterverkauft. Das ist das Doppelte von <strong>de</strong>m, daser auf jenem Freeport für <strong>die</strong> Waffe an Raven bezahlt hat. Wir bei<strong>de</strong> waren im Preis<strong>in</strong>begriffen, wie ich hörte.“ Fowley schloss <strong>die</strong> Augen, rang durch <strong>die</strong> bluten<strong>de</strong>n Lippennach Luft und zuckte zusammen, als irgen<strong>de</strong>twas für ihn sehr schmerzhaft war. „Mich hater gebraucht, um Werbung beim Kun<strong>de</strong>n zu machen, wie er es ausdrückte. Sie wolltentechnische Details. Die Programmierung, Sprengkraft <strong>in</strong> Megatonnen, wie und <strong>in</strong> welcherHöhe sie optimal e<strong>in</strong>gesetzt wird, um <strong>die</strong> größte Streuungswirkung hervorzurufen und soweiter. Ich habe mich geweigert, aber…“„Hast du es ihnen gesagt?“Der nun wie<strong>de</strong>r auf Lan<strong>de</strong>r gerichtete Blick war voller Schuld und enthielt <strong>die</strong> Bitte umVergebung. „Ich konnte nicht an<strong>de</strong>rs. Es… es hat damit angefangen… dass <strong>de</strong>r CorsairZigaretten auf… me<strong>in</strong>em Gesicht ausgedrückt hat. Er… hat es mitten auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck getan… und danach…“ Die Stimme verlor sich.„E<strong>in</strong> Corsair sagst du?“ Lan<strong>de</strong>r war am Bo<strong>de</strong>n zerstört.„Ja.“„Und <strong>die</strong> Bombe? Hat er sie?“„Ne<strong>in</strong>.. noch nicht… Sie ist noch hier an Bord… wir fliegen <strong>in</strong> irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> Scheißsystem, von<strong>de</strong>m ich noch nie gehört habe, um sie abzuliefern! Patrick, wir s<strong>in</strong>d bereits auf <strong>de</strong>m Weg<strong>in</strong> <strong>die</strong> Randwelten! Der Corsair hat <strong>die</strong> Fusionsbombe im Namen se<strong>in</strong>er Organisationgekauft. Sie haben im Spaß diskutiert, was man mit ihr alles anstellen könnte und wo eswohl <strong>die</strong> meisten Toten gäbe! Die Corsairs wollen so viele Menschen wie möglich damittöten und haben Searle bereits gefragt, wo er <strong>die</strong> Bombe herhat! Er hat es ihnen nichtgesagt, aber vermutlich wird er es gegen e<strong>in</strong>en genügend hohen Preis tun. Die Corsairsplanen, sich mit Raven <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung zu setzen und <strong>de</strong>n Rest auch noch zu kaufen. Ichzitiere: ‚Egal, wie viel es kostet, <strong>de</strong>nn Geld spielt so gut wie ke<strong>in</strong>e Rolle!’ Sie wollenunsere und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren regulären Welten <strong>in</strong> Brand setzen!“ Fowley konnte nichtweitersprechen.Ebenso geschockt schwieg auch Patrick Lan<strong>de</strong>r. Danach begann er, an se<strong>in</strong>enHandfesseln zu zerren, <strong>de</strong>nn sie mussten etwas unternehmen! Wenigstens <strong>die</strong>se e<strong>in</strong>eBombe musste zerstört wer<strong>de</strong>n. Mehr zu tun lag nicht mehr <strong>in</strong> ihrer Macht.Erasmus Raven hatte Ernst gemacht und plante wirklich, <strong>die</strong> Bomben allesamt zuveräußern. Wie viele Millionen Menschen dadurch starben, war ihm völlig gleichgültig.Lan<strong>de</strong>r war auch gleichgültig, was danach passierte, aber <strong>die</strong>s war <strong>die</strong> letzte zu erfüllen<strong>de</strong>Aufgabe! Er musste <strong>de</strong>n empf<strong>in</strong>dlichen elektronischen Zündmechanismus ausbauen undzerstören. O<strong>de</strong>r aber er musste <strong>die</strong> Bombe schlicht und ergreifend zün<strong>de</strong>n.„Du musst mir helfen! Schau zu, ob du aus <strong>de</strong><strong>in</strong>en Handfesseln rauskommst, <strong>de</strong>nn me<strong>in</strong>esitzen zu fest!“Der geschun<strong>de</strong>ne und gefolterte Lieutenant starrte ihn an. Er verstand nicht.„Daniel, <strong>de</strong>nk an unseren Plan von vor e<strong>in</strong>igen Tagen, <strong>die</strong> Brisbane mit <strong>de</strong><strong>in</strong>emKommandoco<strong>de</strong> hochzujagen. Du musst zur Bombe und sie entwe<strong>de</strong>r unschädlichmachen o<strong>de</strong>r aber besser noch gleich zün<strong>de</strong>n, während wir noch hier im All s<strong>in</strong>d!“ Lan<strong>de</strong>rsprach ermutigend mit ihm, ohne ihn zu drängen. „Sieh also bitte zu, ob du freikommst.“„Ich kann kaum noch gehen, Patrick. Ich wer<strong>de</strong> nicht e<strong>in</strong>mal mehr alle<strong>in</strong> aufstehenkönnen! Ich b<strong>in</strong> h<strong>in</strong>gefallen und habe sicherlich auch e<strong>in</strong>e Rippe angebrochen und…“„Es wird gehen. Du schaffst das, wenn du nur willst. Ich glaube an dich, me<strong>in</strong> Freund. Ichkann lei<strong>de</strong>r nicht, also musst du es versuchen. Danach wird dir niemand mehr wehtun,das verspreche ich dir.“Tatsächlich versuchte <strong>de</strong>r gebrochen wirken<strong>de</strong> Fowley daraufh<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>mMetallr<strong>in</strong>g zu ziehen. Lan<strong>de</strong>r sah, dass sie sogar zu bluten begannen, so sehr gab <strong>de</strong>rLieutenant sich Mühe. Für se<strong>in</strong>en Freund. Trotz<strong>de</strong>m hatte auch er ke<strong>in</strong>en Erfolg.


Das nachfolgen<strong>de</strong>, nie<strong>de</strong>rgeschmetterte Schweigen <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Offiziere dauerte Stun<strong>de</strong>n.Diese Landung war auch nur wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e von vielen. Ob es nun e<strong>in</strong> halbes o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>ganzes Dutzend gewesen war, wusste Patrick Lan<strong>de</strong>r nicht mehr. Vielleicht sogar nochmehr. Er schlief e<strong>in</strong>fach weiter.Die Stun<strong>de</strong>n hatten sich schier endlos ausge<strong>de</strong>hnt. Zu Tagen. Sie bei<strong>de</strong> hattenirgendwann an Weihnachten gedacht und gewe<strong>in</strong>t. Lan<strong>de</strong>r wegen se<strong>in</strong>er Eltern, <strong>die</strong> lautRavens an <strong>die</strong> Gefangenen gerichteten letzten Worten bereits seit Langem <strong>die</strong>To<strong>de</strong>snachricht erhalten hatten, und Fowley wegen se<strong>in</strong>es verstorbenen Vaters.Es war auch für sie e<strong>in</strong> trauriges Fest gewor<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m sie nicht e<strong>in</strong>mal gewussthatten, ob es überhaupt <strong>de</strong>r richtige Tag war. Der Lieutenant hatte gesagt: „Jetzt könntegera<strong>de</strong> Heiligabend se<strong>in</strong>. Vielleicht sitzen sie gera<strong>de</strong> überall <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Messe.“Vermutlich war jetzt immer noch Weihnachten, und Patrick Lan<strong>de</strong>r war mittlerweilewomöglich zwanzig Jahre alt. Den Geburtstag hatte er Fowley gegenüber nicht e<strong>in</strong>malerwähnt. Es wäre ja doch nur e<strong>in</strong> Grund mehr zum Heulen gewesen. Sie waren ja nichte<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> zu schütteln.Sie waren schwach und abgestumpft gewor<strong>de</strong>n, je<strong>de</strong>r Hoffnung beraubt. Nur das auf siezukommen<strong>de</strong> En<strong>de</strong> gab ihnen Trost. Da sie kaum jemals genug Wasser bekamen undauch nur ab und zu e<strong>in</strong>e alte Nahrungspille, hatten sie bei<strong>de</strong> spürbar an Gewicht verlorenund verbrachten e<strong>in</strong>en Großteil <strong>die</strong>ses <strong>Hölle</strong>nfluges schlafend. Im Schlaf brauchten sie amwenigsten Energie.Cly<strong>de</strong> Searle war Zoner, wie sie mittlerweile herausgefun<strong>de</strong>n hatten, und er han<strong>de</strong>lte<strong>de</strong>mnach auch mit praktisch allem. „Legal, illegal, scheißegal“, war <strong>de</strong>r Wahlspruch <strong>de</strong>sHändlers.Laut Fowleys Me<strong>in</strong>ung befan<strong>de</strong>n sie sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r größten Frachtraumschiffe <strong>in</strong> ganzSirius, e<strong>in</strong>em Teil namens Dromedary. Nur reiche Händler <strong>de</strong>r Zoners konnten sich nachse<strong>in</strong>em Wissen <strong>die</strong>ses <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten gebaute Frachtschiff leisten. Da <strong>de</strong>r La<strong>de</strong>raumriesig war, hatte Searle viel Cargo zwischen <strong>de</strong>n diversen Basen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten zuverschieben. Er schien es auch nicht son<strong>de</strong>rlich eilig zu haben, zu <strong>de</strong>n Corsairs zukommen. Und schon gar nicht, um jene bei<strong>de</strong>n Bretonen abzuliefern, <strong>die</strong> bei ihm imLa<strong>de</strong>raum <strong>in</strong> Ketten dah<strong>in</strong>vegetierten und von Stun<strong>de</strong> zu Stun<strong>de</strong> schwächer wur<strong>de</strong>n.Vermutlich tat er es nicht absichtlich, <strong>de</strong>nn er war ja Geschäftsmann, und nur gute Warebrachte gute Preise, aber Fakt war, dass er e<strong>in</strong>en guten Teil se<strong>in</strong>es Gew<strong>in</strong>ns zu versaufenund verhuren zu schien. Deswegen hatte er doch oftmals an<strong>de</strong>re D<strong>in</strong>ge im Kopf undvergaß se<strong>in</strong>e bei<strong>de</strong>n relativ unwichtigen Gefangenen schlichtweg.Stimmen erklangen an <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>stiegsluke, als Searle sie öffnete. Lan<strong>de</strong>r hörte Gelächterund wachte davon auf, aber er befand es nicht für wert, dafür <strong>die</strong> Augen aufzumachen.Se<strong>in</strong>e Hoffnung war, trotz <strong>de</strong>s brennen<strong>de</strong>n Durstes und <strong>de</strong>s knurren<strong>de</strong>n Magens schnellweiterschlafen zu können, damit er nichts mehr davon merkte.Se<strong>in</strong>e Arme und Be<strong>in</strong>e spürte er schon ewig nicht mehr. Er h<strong>in</strong>g mehr <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ketten als ersaß. Fowley g<strong>in</strong>g es ebenso. Der Lieutenant war jedoch zusätzlich auch noch erkrankt. Erdurchlebte abwechselnd heiße Fieberschübe und Anfälle von Schüttelfrost. Lan<strong>de</strong>r konnteihm nicht helfen. Er konnte nur mit ihm sprechen und ihm Mut machen, aber irgendwanngab es e<strong>in</strong>fach nichts mehr zu sagen.Es gab nur noch <strong>de</strong>n Wunsch nach <strong>de</strong>m Tod, und Lan<strong>de</strong>r war sogar so uneigennützig,sich zu wünschen, dass <strong>de</strong>r noch stärker lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Fowley eher starb als er. Seit <strong>de</strong>mersten Tag nach Verlassen <strong>de</strong>r Brisbane war <strong>de</strong>r Lieutenant viel schweigsamer und sehrempf<strong>in</strong>dsam gewor<strong>de</strong>n. Sie hatten über <strong>de</strong>n Tod sprechen können, aber Kritik dul<strong>de</strong>teFowley nicht e<strong>in</strong>mal mehr <strong>in</strong> Ansätzen. Fast sofort danach brach er <strong>in</strong> Tränen aus un<strong>de</strong>ntschuldigte sich für alles Mögliche. Insbeson<strong>de</strong>re dafür, dass er <strong>die</strong> technischen Datenund <strong>die</strong> E<strong>in</strong>satzweise <strong>de</strong>r Fusionsbombe unter Folter verraten hatte. Wie Lan<strong>de</strong>r ahnte,hatte <strong>de</strong>r Zoner auch dafür gut von <strong>de</strong>n Corsairs abkassiert. Der Sub-Lieutenant konnteje<strong>de</strong>nfalls noch so oft beteuern, dass er es unter <strong>de</strong>r Folter vermutlich genauso gemachthätte, Fowley glaubte ihm trotz<strong>de</strong>m nicht. Er klammerte sich an ihre Freundschaft undnahm alles persönlich. Er hatte Angst davor, alle<strong>in</strong> zu sterben, wie Lan<strong>de</strong>r mutmaßte.Und sterben wür<strong>de</strong>n sie, so viel war gewiss.


Stimmen näherten sich. Er schrak erneut hoch und er<strong>in</strong>nerte sich. Ja, sie waren irgendwogelan<strong>de</strong>t, und Searle hatte <strong>die</strong> Luke geöffnet.Die Sprache war nicht verständlich. Es war we<strong>de</strong>r Englisch noch Deutsch o<strong>de</strong>r Japanisch.Wie<strong>de</strong>r lachte e<strong>in</strong> Mann, und an<strong>de</strong>re fielen e<strong>in</strong>. Lan<strong>de</strong>r hörte sogar e<strong>in</strong>e Frauenstimme,aber das war ihm egal, obwohl es ewig her war, dass er zuletzt e<strong>in</strong>e Frau gesehen hatte.Mehr als e<strong>in</strong>en Monat.Der Schlüssel klirrte, als zunächst se<strong>in</strong>e Fuß- und dann <strong>die</strong> Handschellen gelöst wur<strong>de</strong>n.Sofort rutschte er herunter und lag lang auf <strong>de</strong>m Kab<strong>in</strong>enbo<strong>de</strong>n. Seit langer Zeit war erdas erste Mal wie<strong>de</strong>r frei. Er wollte und konnte sich jedoch gar nicht bewegen. Ihmreichte, dass <strong>die</strong>se Position an<strong>de</strong>rs war. Fast sofort wäre er wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>geschlafen, wennihn nicht jemand unter <strong>de</strong>n Achseln gefasst hätte. Jemand an<strong>de</strong>rs nahm se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e, undsie trugen ihn davon. Er wollte nach Fowley rufen, aber er war zu schwach dazu.Sie trugen ihn Metallstufen h<strong>in</strong>unter, und <strong>die</strong> Luft wur<strong>de</strong> etwas besser. Nach e<strong>in</strong>er gutenWegstrecke g<strong>in</strong>g es neuerliche Stufen h<strong>in</strong>auf. Sie stießen mit ihm gegen e<strong>in</strong>e Wand, aberer schrie nicht. Die völlige Apathie e<strong>in</strong>es Menschen, <strong>de</strong>r sich zwischen <strong>de</strong>m Leben vor undnach <strong>de</strong>m Tod befand, hatte von ihm bereits Besitz ergriffen.Wie<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n Triebwerke gestartet. E<strong>in</strong> sehr vertrautes, wenn auch leicht verän<strong>de</strong>rtesGeräusch. Er machte sich ke<strong>in</strong>e Gedanken darüber. Ihn <strong>in</strong>teressierte nur, dass sie ihnbeim Schlafen störten.Etwas wur<strong>de</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Mund gesteckt, und se<strong>in</strong> Kopf wur<strong>de</strong> hochgerissen. Er spürteFlüssigkeit auf <strong>de</strong>n Lippen und öffnete <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv <strong>de</strong>n Mund. Wasser lief ihm <strong>die</strong> Kehleh<strong>in</strong>unter, als jemand schüttete. Er verme<strong>in</strong>te zu spüren, wie jemand über se<strong>in</strong>e Stirnstrich. Danach ließ man ihn <strong>in</strong> Ruhe.„Er hat Fieber“, hörte er e<strong>in</strong>en Mann auf Englisch sagen.„Der Zweite nicht.“ gab e<strong>in</strong>e Frau zur Antwort. Auch sie war Breton<strong>in</strong>. Er versuchte, sichihr Gesicht vorzustellen. Sie klang jung und sehr freundlich. Fast wie e<strong>in</strong> Engel, also warer doch endlich im Himmel angekommen. Selige Dunkelheit und Vergessen umf<strong>in</strong>gen ihn.Der Himmel war e<strong>in</strong>e seltsame E<strong>in</strong>richtung, wie es aussah. E<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Menschen schrienund es kalt war. Ne<strong>in</strong>, er musste das alles geträumt haben. Gleich wür<strong>de</strong> er <strong>in</strong> <strong>de</strong>mFrachter aufwachen und sehen, dass Searle neue Leute gekauft hatte. Darum hatteLan<strong>de</strong>r große Angst, <strong>die</strong> Augen zu öffnen. Er wollte das alles nicht mehr sehen.Jemand brüllte wie am Spieß. Was hatte Searle bloß mit <strong>de</strong>m Kerl gemacht? Etwadasselbe wie am ersten Tag mit Fowley?Lan<strong>de</strong>r lag e<strong>in</strong>e Ewigkeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r F<strong>in</strong>sternis und fror. Es war so kalt, wie er es noch nie <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em Leben erlebt hatte.Irgendwann näherten sich <strong>die</strong> Schritte von Cly<strong>de</strong> Searle. Der Gefangene verkrampfte.Warum war er nicht endlich tot?Hän<strong>de</strong> ergriffen se<strong>in</strong>en Kopf und betasteten se<strong>in</strong> Gesicht. Etwas wur<strong>de</strong> ihm zwischen <strong>die</strong>Lippen geschoben, und er presste <strong>die</strong> Zähne zusammen, um es abzuwehren. Dabei rollteer sich so weit wie möglich zusammen.„Komm, Junge. Lutsch das hier. Du bist hier unter Freun<strong>de</strong>n.“ Die zittrige Stimmegehörte wohl e<strong>in</strong>em alten Greis.Er war so überrascht, dass er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Wi<strong>de</strong>rstand e<strong>in</strong>en Moment nachließ. Das Etwasglitt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Mund, und es war kalt. Eiskalt.Erschrocken schnappte er nach Luft.„Nicht schlucken! Lutschen musst du es, damit es schmilzt!“Lan<strong>de</strong>r versuchte, auszuspucken, und ihm gelang zum Glück auch, das kühle D<strong>in</strong>gloszuwer<strong>de</strong>n. Er öffnete <strong>die</strong> Augen und schrie auf. Das vernarbte, von schlohweißemlangen Haar umrahmte Gesicht vor ihm schien gera<strong>de</strong>wegs <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong> entsprungen zuse<strong>in</strong>. Es war je<strong>de</strong>nfalls nicht menschlich! E<strong>in</strong> vor Dreck starren<strong>de</strong>s Tuch be<strong>de</strong>ckte halb <strong>die</strong>bei<strong>de</strong>n Augen, aber eben nicht ganz. Er konnte sehen, dass <strong>die</strong> l<strong>in</strong>ke Höhle leer war, unddas reichte ihm. Wo er lag, war ihm jetzt völlig gleichgültig, <strong>de</strong>nn er kam auf <strong>die</strong> Füße,fiel <strong>de</strong>r Länge nach h<strong>in</strong> und kroch hastig fort.Das hier war nicht nur <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong>, son<strong>de</strong>rn auch e<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>r Apokalypse, von <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>Vater auf Leeds oftmals predigte. Rotes Licht tauchte e<strong>in</strong>e Höhle <strong>in</strong> e<strong>in</strong> geisterhaftes


Gemisch aus Licht und Schatten. Es wur<strong>de</strong> tausendfach von <strong>de</strong>n teilweise transparentenWän<strong>de</strong>n reflektiert, und er bil<strong>de</strong>te sich e<strong>in</strong>, D<strong>in</strong>ge zu sehen. D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> im Eise<strong>in</strong>geschlossen waren! Irgendwo brannte e<strong>in</strong> Feuer.Gleichzeitig hörte er wie von weit entfernt e<strong>in</strong> Hämmern. Es war mehr o<strong>de</strong>r wenigerrhythmisch und stellte zweifellos <strong>die</strong> Strafe <strong>de</strong>r wegen ihrer Ungläubigkeit verurteiltenSün<strong>de</strong>r dar, <strong>die</strong> über Gott gelästert hatten! Sie waren bis <strong>in</strong> alle Ewigkeit verdammt!Er stieß gegen e<strong>in</strong>e Wand und kauerte sich wimmernd h<strong>in</strong>, <strong>die</strong> Arme vors Gesicht und <strong>die</strong>Hän<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Ohren pressend. Er hatte nicht gewusst, dass das, was nach <strong>de</strong>m Todkommen wür<strong>de</strong>, so schlimm war! Vielleicht war es se<strong>in</strong>e Strafe, weil er sich nicht mitse<strong>in</strong>em Vater versöhnt hatte und beim Militär geblieben war.‚Oh Gott, hilf mir, ich wollte es doch! Ich wollte mich doch mit ihm aussöhnen! Mach,dass all <strong>die</strong>s hier nicht wahr ist! Lass mich bitte <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Bett aufwachen!’Jemand zerrte se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> vom Gesicht weg. Lan<strong>de</strong>r schluchzte auf und wandte sich ab.„Ganz ruhig, Junge. Der alte Benjy wollte dich nicht erschrecken“, drang e<strong>in</strong>e weiblicheStimme an se<strong>in</strong> Ohr. Gab es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong> etwa auch Frauen?Diesmal war es e<strong>in</strong> Mensch, das merkte er an <strong>de</strong>r zielgerichteten Berührung. „Oh Gott.“„Den gibt es hier nicht, Kle<strong>in</strong>er. Überall, aber nicht hier auf Kalhmera.“„Kalhmera?“ Seit wann hieß <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> <strong>de</strong>nn so seltsam wie Kalhmera?„Ja. Es ist e<strong>in</strong> Eismond <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Umlaufbahn um Planet Crete. Er bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t sich im OmicronGamma-Sektor, falls dir das etwas sagt.“„Ja.“ Er hatte zwar ke<strong>in</strong>e Ahnung, wovon <strong>die</strong> Frau sprach, aber er hatte genugverstan<strong>de</strong>n, um zu realisieren, dass er noch im Diesseits und nicht im Jenseits weilte.Und das be<strong>de</strong>utete… „Wo ist Daniel?“Die wohl zwischen vierzig und fünfzig Jahren alte Frau sah <strong>de</strong>n bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Greis an, <strong>de</strong>r ihrstolpernd gefolgt war. Sie wirkte ebenfalls seltsam gealtert und geschun<strong>de</strong>n, aber nachwie vor ungebrochen.„Weißt du, wer Daniel ist, Benjy?“„Frag ihn lieber, wer er ist, Jeannie.“ E<strong>in</strong>e Stimme wie Sandpapier. Wie<strong>de</strong>r blickte er <strong>in</strong>Lan<strong>de</strong>rs Richtung, aber das Tuch war gottlob ganz heruntergezogen.Von <strong>de</strong>r grausigen Ersche<strong>in</strong>ung gebannt, schwieg <strong>de</strong>r junge Offizier.„Mache ich. Holst du Kleidung von e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren? Unser Freund ist etwas <strong>in</strong>adäquatangezogen, wie mir sche<strong>in</strong>t.“Inadäquat. So drückte sich ke<strong>in</strong> Krim<strong>in</strong>eller aus.Der alte Mann schlurfte davon. Er musste sich ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Mal vorwärts tasten, <strong>de</strong>nntrotz se<strong>in</strong>er Bl<strong>in</strong>dheit schien er sich hier blen<strong>de</strong>nd auszukennen.„Er wollte dich nicht erschrecken. Also wer bist du, Bretone? Was bist du?“„Patrick.“ Irgen<strong>de</strong>twas warnte ihn davor, mehr zu verraten, und sei es auch nur se<strong>in</strong>Nachname.„Weiter! Gaians, Mollys o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>er von <strong>die</strong>sen Separatistensp<strong>in</strong>nern, <strong>die</strong> glauben, siewären Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r?“„We<strong>de</strong>r noch.“„Son<strong>de</strong>rn?“ Sie ließ nicht locker.Nun musste er sich schnell etwas aus<strong>de</strong>nken, aber se<strong>in</strong> Gehirn schien nur aufSparflamme zu funktionieren. ‚Ich b<strong>in</strong> von <strong>de</strong>r Royal Navy’, war hier draußen sicherlich<strong>die</strong> völlig falsche Antwort! „BMM. Ich… ich war Pilot.“„BMM? Hab ich ja noch nie gehört.“„Bretonia M<strong>in</strong><strong>in</strong>g and Manufactur<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong> großer Konzern, <strong>de</strong>r…“„Hör auf, Schwachs<strong>in</strong>n zu re<strong>de</strong>n! Ich weiß, was BMM ist. Wieso bist du hier?“„Ich war <strong>in</strong> Ausbildung. Me<strong>in</strong> Kamerad und ich… wir wur<strong>de</strong>n auf e<strong>in</strong>em Freeportüberfallen… und verschleppt. Verschleppt von Leuten… <strong>die</strong> Geld damit gemacht und unsverkauft haben.“ Es war e<strong>in</strong>e fast komplett frei erfun<strong>de</strong>ne Geschichte, aber sie warbesser als <strong>die</strong> Wahrheit, obwohl er sie nur stotternd herausbrachte. Er hatte Angst.„Und Daniel ist <strong>de</strong>mnach <strong>de</strong><strong>in</strong> Kamerad, ja?“„Ja. Er war bei mir und… ich weiß nicht, ob er auch hier ist.“„Na, dann hoffen wir das doch mal nicht für ihn.“Sie schien ihm zu glauben. Von neuem Mut erfüllt, fragte Lan<strong>de</strong>r: „Helfen Sie mir, ihn zuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n?“


„Ne<strong>in</strong>, Kle<strong>in</strong>er. Ich habe noch an<strong>de</strong>re Kranke, <strong>die</strong> mich brauchen. Warte, bis Benjywie<strong>de</strong>rkommt, und bitte ihn darum. Er hilft dir sicherlich. Vorher holt er dir aber nochbessere Kleidung, damit du nicht irgendwann Frostbeulen bekommst o<strong>de</strong>r erfrierst.“„Was ist das hier?“ Noch immer von Grauen erfüllt blickte er um sich.„Das ist e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>e. Hier wird Wassergew<strong>in</strong>nung für <strong>die</strong> Corsairs betrieben. Genauergesagt exportieren sie das Wasser sogar.“Wie e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Magen kam <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an Searle und <strong>die</strong> Fusionsbombezurück. Man hatte Fowley und ihn irgendwo umgela<strong>de</strong>n und hierher gebracht! Der Traumwar Wirklichkeit gewesen. Es war zu spät, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Bombe war weg!Sie beobachtete ihn ohne wirkliches Mitgefühl und sagte im Gehen so etwas wie: „Wirstdich schon daran gewöhnen.“Trotz<strong>de</strong>m war ihm jetzt noch kälter als ohneh<strong>in</strong> schon, während er auf <strong>die</strong> Rückkehr <strong>de</strong>sGreises wartete. Nun nahm er auch se<strong>in</strong>e Umgebung genauer wahr. Es war wirklich e<strong>in</strong>eroh <strong>in</strong> das Eis gehauene Höhle, und alles war <strong>de</strong>mentsprechend feucht. Die wenigenPritschen waren wohl aus Holz und auf halber Höhe an <strong>de</strong>r Wand <strong>in</strong> Nischen auf <strong>de</strong>m Eisabgelegt. Auf e<strong>in</strong>er davon hatte er gelegen.Er suchte unter <strong>de</strong>n Gesichtern nach Fowleys und stand sogar schwankend auf, um siche<strong>in</strong>ige Leute anzusehen. Es waren mehrere Dutzend Kranke und Verletzte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Höhle.Manche Wun<strong>de</strong> drehte ihm <strong>de</strong>n Magen um. Die Versorgung war mangelhaft. Ke<strong>in</strong>eMedikamente und nur dreckige Lumpen zum Zu<strong>de</strong>cken o<strong>de</strong>r Verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Wer hierher kamo<strong>de</strong>r hier e<strong>in</strong>geliefert wur<strong>de</strong>, tat <strong>die</strong>s wohl <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie, um zu sterben.Da <strong>de</strong>r fiebern<strong>de</strong> Fowley nicht hier lag, konnte das nur be<strong>de</strong>uten… „Ne<strong>in</strong>!“, entfuhr ihm.„Ne<strong>in</strong>!“ Er wür<strong>de</strong> <strong>die</strong>s nicht überstehen, wenn er hier ganz alle<strong>in</strong> unter Krim<strong>in</strong>ellen war.Lieber wür<strong>de</strong> er sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ecke legen und nie mehr aufstehen. Es wür<strong>de</strong> sowiesoniemand je davon erfahren.Daniel Fowley durfte nicht tot se<strong>in</strong>! Wie e<strong>in</strong> wil<strong>de</strong>s Tier im Käfig begann Lan<strong>de</strong>r, zwischen<strong>de</strong>n Pritschen herumzustreichen. Irgendwo musste <strong>de</strong>r Lieutenant doch se<strong>in</strong>!Irgendwann drehte er sich um und stieß dabei gegen <strong>de</strong>n Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r ihm mit Klei<strong>de</strong>rnauf <strong>de</strong>m Arm schon e<strong>in</strong>e geraume Weile gefolgt war. Er rannte <strong>de</strong>n Mann gera<strong>de</strong>zu um,und sie fielen bei<strong>de</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Knäuel aus Armen und Be<strong>in</strong>en zu Bo<strong>de</strong>n.Mit e<strong>in</strong>em Fluch rappelte er sich hoch.„Hoppla!“ Der Alte kicherte. Wie<strong>de</strong>r war das Tuch verrutscht und präsentierte <strong>die</strong>smalsogar zwei leere Augenhöhlen. Mit e<strong>in</strong>em würgen<strong>de</strong>n Laut wandte Lan<strong>de</strong>r sich ab.Erst als <strong>de</strong>r Alte an se<strong>in</strong>er vom dreckigen Schmelzwasser durchnässten Hose zu ziehenbegann, wohl mit <strong>de</strong>r offensichtlichen Absicht, sie ihm vom Leib zu zerren, reagierteLan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r. „Danke, ich mache das schon alle<strong>in</strong>.“„Musst dich umziehen, Junge. Hast du noch <strong>de</strong><strong>in</strong>en Kreditchip dabei?“Was er hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Wasserm<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>es Eismon<strong>de</strong>s damit anfangen sollte, wusste Lan<strong>de</strong>rnicht. „Ne<strong>in</strong>! Und jetzt gib das her!“Als er sich umzog, fühlte <strong>de</strong>r Alte auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n herum und nahm Lan<strong>de</strong>rs alte Kleidungan sich. Er durchwühlte sie sogar gewissenhaft.„Na, jetzt lass dich anschauen, ob Jacks Hose dir auch passt, Bürschchen.“„Danke, ja.“ Lan<strong>de</strong>r versuchte, beim Begriff ‚schauen’ nicht an <strong>die</strong> leeren Augenhöhlen zu<strong>de</strong>nken.„War e<strong>in</strong> guter Freund von mir, <strong>de</strong>r Jack. Nun braucht er sie nicht mehr. Se<strong>in</strong>e Sachenmüssten jedoch sogar noch warm se<strong>in</strong>.“Die Erkenntnis, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r noch warmen Kleidung e<strong>in</strong>es Toten zu stecken, ließ <strong>de</strong>n Ekelerneut hochsteigen. Würgend wandte Lan<strong>de</strong>r sich erneut zur Seite und erbrachFlüssigkeit.Das brachte jedoch irgendwie auch <strong>die</strong> Erleuchtung. „Kannst du mich zu <strong>de</strong><strong>in</strong>em FreundJack br<strong>in</strong>gen? Ich… ich möchte mich… bedanken.“In Wahrheit hatte er etwas ganz an<strong>de</strong>rs vor, aber kichernd ergriff <strong>de</strong>r Alte se<strong>in</strong>en Arm.„Das wird ihn aber ganz bestimmt freuen.“Der Weg war beschwerlich, weil das Eis stellenweise spiegelglatt war. In e<strong>in</strong>emgewun<strong>de</strong>nen Gang wur<strong>de</strong> das Hämmern viel lauter. Lan<strong>de</strong>r hörte gebrüllteGesprächsfetzen und Befehle.


Plötzlich drückte <strong>de</strong>r Alte sich gegen <strong>die</strong> Wand, und Lan<strong>de</strong>r tat es ihm gleich, ohne zuwissen, warum. Erst als zwei Männer vorbeig<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong> Englisch sprachen, verstan<strong>de</strong>r. „Verdammte Corsairs, Junge! Musst aufpassen. Müssen aufpassen.“Lan<strong>de</strong>r tätschelte ihm <strong>de</strong>n Arm, <strong>de</strong>nn er empfand jäh e<strong>in</strong>e Art <strong>de</strong>r Zuneigung. „Ja, ichweiß.“Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> lächelte und zog ihn weiter. Se<strong>in</strong> Gehör- und Orientierungss<strong>in</strong>n waren wohlbeson<strong>de</strong>rs stark ausgeprägt.Sie kamen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e zweite niedrigere Höhle, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r man kaum stehen konnte. In ihrherrschte e<strong>in</strong>e seltsam überirdische Stille wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Grab. Sogar das Hämmern vondraußen schien gedämpfter.Das e<strong>in</strong>zige Problem war <strong>die</strong> Dunkelheit. Er stolperte über <strong>de</strong>n ersten Toten und schluglang h<strong>in</strong>.„Vorsicht! Jack ist gleich hier h<strong>in</strong>ten.“ Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> half ihm hoch.„Hilfst du mir gleich?“„Wobei <strong>de</strong>nn?“ Wie<strong>de</strong>r das Kichern. „Es hat schon lange ke<strong>in</strong>er mehr me<strong>in</strong>e Hilfegebraucht.“Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> konnte an <strong>die</strong>sem Ort besser sehen als er!„Hier ist Jack. Ich ziehe ihm gleich <strong>de</strong><strong>in</strong>e Sachen an, wenn ich dich zurückgebracht habe.Muss noch bei ihm bleiben.“Lan<strong>de</strong>r konzentrierte sich auf das Nächstliegen<strong>de</strong>. Er nahm <strong>die</strong> Hand <strong>de</strong>s Toten aus <strong>de</strong>mGriff <strong>de</strong>s Alten und faltete bei<strong>de</strong>. „Gelobt seist du, Herr im Himmel…“„Du bist Christ? Jack hätte sich noch mal umgedreht, wenn er gewusst hätte, dassjemand für se<strong>in</strong>e schwarze Seele betet. Er ist nämlich Outcast gewesen. Die glaubennicht an Gott. Ohne se<strong>in</strong>en Schuss ist er langsam draufgegangen. Hat über zwei Jahregedauert.“Obwohl es e<strong>in</strong> Outcast war, been<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong> Gebet. Er tat es auch, um Gottvielleicht mil<strong>de</strong> zu stimmen. Solange er nur Fowley lebend fand, wür<strong>de</strong> er auch für <strong>de</strong>nTeufel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong> beten!„Me<strong>in</strong> Vater ist Pastor. Und du, Benjy? Bist du auch Outcast?“„Ne<strong>in</strong>, Söhnchen.“ E<strong>in</strong> glucksen<strong>de</strong>s Lachen. „Mich haben sie damals <strong>de</strong>n Schlitzergenannt. Ich war Versicherungsvertreter und habe vor dreißig Jahren auf Cambridge mitneunzehn Frauen me<strong>in</strong> Vergnügen gehabt. Musste mich nur absetzen, weil <strong>die</strong> Polizeih<strong>in</strong>ter mir her war. Hab drei von ihnen erledigt, und das mit e<strong>in</strong>em unterbewaffneten,leichten Cavalier! Sogar das Scheißmilitär hat mich danach mit e<strong>in</strong>em Schlachtschiffverfolgt, aber ich b<strong>in</strong> entwischt. Irgendwann hat mich e<strong>in</strong> Corsair auf e<strong>in</strong>em Freeportverprügelt und zu se<strong>in</strong>em Besitz erklärt. So b<strong>in</strong> ich hier gelan<strong>de</strong>t. Mittlerweile ist erjedoch längst tot, und ich b<strong>in</strong> immer noch hier. Irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er von <strong>de</strong>nen hier unten hat mirmal <strong>die</strong> Augen ausgebrannt, weil ich ihm e<strong>in</strong>s aufs Maul gegeben habe. War auch vorm<strong>in</strong><strong>de</strong>stens sechzehn Jahren.“„Ah.“ Lan<strong>de</strong>r wünschte sich, dass er nie gefragt hätte. Ihn schau<strong>de</strong>rte. Er stand nebene<strong>in</strong>em mehrfachen Mör<strong>de</strong>r und Vergewaltiger, <strong>de</strong>r weiß Gott was mit ihm anstellenkonnte, wenn er herausfand, dass Lan<strong>de</strong>r vom ‚Scheißmilitär‘ kam! Dazu auch noch <strong>die</strong>Aussicht, hier bis an se<strong>in</strong> Lebensen<strong>de</strong> zu verrotten…„Bist du fertig mit Jacks Seele?“„Ja, das b<strong>in</strong> ich.“ Lan<strong>de</strong>r riss sich irgendwie zusammen. „Und jetzt brauche ich wieangekündigt <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe.“„Wobei?“„S<strong>in</strong>d das alle Toten, <strong>die</strong> hier liegen?“„Es s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> bisherigen von heute. Sie wer<strong>de</strong>n nachher alle abgeholt und verbrannt.“„Ich suche hier jeman<strong>de</strong>n.“„De<strong>in</strong>en Daniel?“„Genau <strong>de</strong>n. Hilfst du mir?“„Ich weiß ja nicht, wofür das gut se<strong>in</strong> soll…“„Er lebt vielleicht noch.“„Hier lebt ke<strong>in</strong>er mehr“, stritt se<strong>in</strong> ehemaliger Landsmann das vehement ab.„Er hatte Fieber und Schüttelfrost. Außer<strong>de</strong>m war er vermutlich bewusstlos, als wirankamen.“


„Fieber? Dann ist er längst h<strong>in</strong>über, und falls nicht, bleibt er am besten hier. Fieber isthier tödlich für alle. Vor drei Jahren s<strong>in</strong>d zwanzigtausend Mann <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser M<strong>in</strong>e dranverreckt! Ich hol mir doch nicht wegen e<strong>in</strong>es Toten das Fieber weg!“„Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>! Er ist verwun<strong>de</strong>t und hat es <strong>de</strong>shalb. Es ist nicht ansteckend!“, erklärteLan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>glich. „Du musst mir helfen!“„Du bist wahns<strong>in</strong>nig, Jungchen! Ich hol mir nicht das Fieber! Nicht wegen dir und auchnicht wegen irgend so e<strong>in</strong>em halbtoten Daniel, <strong>de</strong>r sowieso bald abkratzt!“Der Alte entfernte sich eilig, wie es sich anhörte.„Dann hol mir wenigstens e<strong>in</strong>e Lampe! Hörst du? E<strong>in</strong>e Lampe! Bitte!“Fowleys Freund blieb alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r völligen Dunkelheit jener Höhle voller Toter zurück undverzweifelte nahezu. Ohne Licht wür<strong>de</strong> er <strong>de</strong>n Kranken hier niemals f<strong>in</strong><strong>de</strong>n - undvermutlich auch <strong>de</strong>n Rückweg nicht. Die Corsairs wür<strong>de</strong>n ihn vorher erwischen, undniemand wusste, was dann geschehen wür<strong>de</strong>. Vielleicht wür<strong>de</strong>n sie ihm auch <strong>die</strong> Augenausbrennen o<strong>de</strong>r ihn schlichtweg abstechen.Neben <strong>de</strong>m toten Jack sank er zu Bo<strong>de</strong>n. Fowley lebte vermutlich noch, falls sie ihn auchnach Kalhmera gebracht hatten, aber es gab ke<strong>in</strong>e Möglichkeit ihm zu helfen. Lan<strong>de</strong>rkonnte ihn ja nicht e<strong>in</strong>mal f<strong>in</strong><strong>de</strong>n!Erst e<strong>in</strong>e Berührung am Arm schreckte ihn auf. Es war <strong>die</strong> Frau, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Lampe bei sichhatte. „Komm, Junge. Benjy hat mir gesagt, dass du dich hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kälte umbr<strong>in</strong>genwillst. Ich br<strong>in</strong>ge dich zurück, und alles wird wie<strong>de</strong>r okay.“„Ne<strong>in</strong>! Lassen Sie mich hier.“ Lan<strong>de</strong>r reckte <strong>de</strong>n Hals und spähte im schwachen Sche<strong>in</strong><strong>de</strong>s Lichts aus. Teilweise sogar übere<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r lagen Dutzen<strong>de</strong> Tote e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>geworfenwie Abfall.„Er ist tot, K<strong>in</strong>d.“„Ne<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn falls er nur gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>en Fieberanfall hatte, dann kann es se<strong>in</strong>, dass man ihnbloß für tot gehalten hat!“ Er begriff und starrte sie an. „Haben Sie bei me<strong>in</strong>em Transport<strong>de</strong>nn ke<strong>in</strong>en zweiten Mann gesehen?“Er sah ihr Zögern und wusste, dass er Recht gehabt hatte. Er zog sich an <strong>de</strong>r Wand hochund glitt zunächst fast auf <strong>de</strong>m Eis aus. „Helfen Sie mir! Er lebt noch!“„Fieber ist hier tödlich. Ich will damit nichts zu tun haben!“Damit war klar, dass sie Fowley nicht e<strong>in</strong>mal richtig untersucht hatte, um zu überprüfen,ob er wirklich tot war. Aus Angst vor <strong>de</strong>r Ansteckung. In plötzlicher Rage stürzte er sichauf sie und entriss ihr <strong>die</strong> Lampe. Sie ergriff schleunigst <strong>die</strong> Flucht, obwohl er kle<strong>in</strong>er warals sie. Vielleicht dachte sie auch, dass er ebenfalls das Fieber <strong>in</strong> sich trug.Nach se<strong>in</strong>er Eroberung jener brennen<strong>de</strong>n Benz<strong>in</strong>lampe blickte er sich voller neuem Mutum. Nach e<strong>in</strong>er kurzen Entscheidungsphase begann er bei e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Leichenhaufen.Irgendwann hatte er Daniel Fowley tatsächlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Ecke gefun<strong>de</strong>n. Gottlob lag <strong>de</strong>rKranke nicht direkt auf <strong>de</strong>m Eis, son<strong>de</strong>rn zwischen an<strong>de</strong>ren Toten. So grausig das auchwar, <strong>de</strong>r Kontakt mit <strong>de</strong>r gefrorenen Oberfläche hätte se<strong>in</strong>e Körperwärme vollständigabsorbiert und dazu geführt, dass er schlussendlich erfroren wäre. Die noch nichtgefrorenen Toten hatten das verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, weil sie e<strong>in</strong>e wärmere Oberfläche boten.Er zerrte Fowley hervor, legte ihn erneut auf e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen <strong>de</strong>r Körper, ohne bewusstdarüber nachzu<strong>de</strong>nken, was er tat, und überprüfte <strong>die</strong> elementaren Vitalfunktionen, wieer es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kursen auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie gelernt hatte.Die Bewusstlosigkeit war tief, <strong>de</strong>r Puls schwach und flackernd. Das misshan<strong>de</strong>lte bärtigeGesicht war voller zusätzlicher roter Flecke. Als Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Stirn fühlte, erschrak er.Fowley glühte.Die I<strong>de</strong>e, wie <strong>de</strong>m abzuhelfen war, kam schnell. Lan<strong>de</strong>r tat dasselbe wie Benjy für ihn. Erg<strong>in</strong>g zu e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Toten und zerrte an <strong>de</strong>ssen Anziehsachen. Er war <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchumnachteten Geisteszustand, dass er nur noch se<strong>in</strong> Ziel sah. Daniel Fowley mussteleben. Egal wie. Die namenlosen Toten waren für Lan<strong>de</strong>r nur e<strong>in</strong> Mittel, um <strong>de</strong>n nochLeben<strong>de</strong>n <strong>in</strong> ihrer Mitte zu versorgen und am Leben zu erhalten.Er zog <strong>de</strong>n Bewusstlosen wie e<strong>in</strong>e Puppe an und hackte schließlich vorsichtig mit <strong>de</strong>rLampe auf das Eis an <strong>de</strong>r Wand e<strong>in</strong>. Dabei musste er stark aufpassen, um nichts von<strong>de</strong>m Brennöl zu verschütten. Er schaffte es, e<strong>in</strong>ige relativ große Stücke abzubrechen.Diese steckte er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en abgerissenen Ärmel irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>es an<strong>de</strong>ren Toten und legte dasentstan<strong>de</strong>ne Päckchen unter Fowleys Kleidung. E<strong>in</strong>en weiteren Wickel legte er auf <strong>die</strong>fiebrige Stirn. Zuletzt nahm er e<strong>in</strong>iges an kle<strong>in</strong>erem Eis und hielt es parat. E<strong>in</strong>en Teil


davon nahm er selbst zu sich, ganz getreu <strong>de</strong>m erlernten Grundsatz: ‚Du musst dasStück Eis lutschen, nicht schlucken!’ Dann begann das Warten.So saß er auch noch da, als <strong>die</strong> Corsairs kamen, um <strong>die</strong> Leichen abzuholen. Es warenvier. Sie leuchteten ihn an und wollten ihn vertreiben, aber er hatte sich bereits e<strong>in</strong>passen<strong>de</strong>s Mittel dagegen überlegt. Sie sahen brutal aus und wür<strong>de</strong>n ihn sicherlich töten,wenn er e<strong>in</strong>en von ihnen auch nur anfasste. Deshalb wies er auf Fowley. Dass <strong>de</strong>rLieutenant noch lebte, konnten sie sich ja selbst ausrechnen, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong>em Toten legteman wohl kaum e<strong>in</strong>en feuchten Wickel auf <strong>die</strong> Stirn.Sie sahen ihn an, und e<strong>in</strong>er kam weiterh<strong>in</strong> vor, um ihn wegzuzerren. Berechnend hobLan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Lappen von Fowleys hochrotem Gesicht.Der Erfolg war durchschlagend, <strong>de</strong>nn b<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>er halben M<strong>in</strong>ute waren alle vier Corsairsfort. Sie hatten voller Panik <strong>die</strong> Flucht ergriffen, anstatt sie bei<strong>de</strong> zu erschießen, wieLan<strong>de</strong>r schon fast befürchtet hatte.Seelenruhig wrang er <strong>die</strong> feuchten Fetzen aus, als das Eis auf <strong>de</strong>r erhitzten Haut se<strong>in</strong>esFreun<strong>de</strong>s geschmolzen war. Danach füllte er neues nach.Das tat er mehrere Stun<strong>de</strong>n, bis er irgendwann vor lauter Erschöpfung zur Seite kippteund e<strong>in</strong>schlief.Patrick Lan<strong>de</strong>r war zu Hause bei se<strong>in</strong>er Familie. O<strong>de</strong>r besser gesagt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en,e<strong>in</strong>fachen Kirche <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> se<strong>in</strong>es Vaters <strong>in</strong> Heresbridge. Auch Betty Halmers war da.Genauer gesagt stand sie neben ihm. In Weiß geklei<strong>de</strong>t wie bei e<strong>in</strong>er Hochzeit.Se<strong>in</strong>er eigenen Hochzeit. Er heiratete! In voller Para<strong>de</strong>uniform stand er als Kapitän <strong>de</strong>rRoyal Navy vor <strong>de</strong>m Altar, während se<strong>in</strong>e Mutter vor lauter Rührung we<strong>in</strong>te.Se<strong>in</strong> ebenso feierlich wirken<strong>de</strong>r Vater sprach gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> rituellen Worte, und Lan<strong>de</strong>r griffnach <strong>de</strong>m R<strong>in</strong>g, um ihn se<strong>in</strong>er Jugendliebe anzustecken…Jemand riss ihn am Arm. Zwar schwach, aber penetrant. „Patrick!“ Es war e<strong>in</strong> heiseres,kaum verständliches Flüstern.Lan<strong>de</strong>r schrak hoch. Er fühlte sich benommen, und ihm war kalt. „Betty?“„Patrick!“„Ja… verdammt! Musst du… mich <strong>de</strong>nn stören? Ich… habe gera<strong>de</strong> so schön geträumt!“,stieß Lan<strong>de</strong>r mit klappern<strong>de</strong>n Zähnen hervor, als er begriff, dass hier ke<strong>in</strong>e Betty war.„Wo… s<strong>in</strong>d wir?“Die Lampe beleuchtete Fowleys gerötetes Gesicht. Lange konnte Lan<strong>de</strong>r also nichtgeschlafen haben. Er setzte sich stöhnend auf und fluchte über se<strong>in</strong>e nasse Kleidung.Dann verstand er und erschrak bis <strong>in</strong>s Mark, <strong>de</strong>nn er war dabei gewesen, zu erfrieren! Erhatte halluz<strong>in</strong>ierend auf <strong>de</strong>m Eis gelegen!„Oh danke, me<strong>in</strong> Freund!“ Hastig nahm er e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Brocken und steckte ihn <strong>de</strong>mvöllig verschreckten und nichts richtig verstehen<strong>de</strong>n Fowley <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Mund. „Lutschen,nicht schlucken! Es ist gefrorenes Wasser.“Er riss sich <strong>die</strong> durchnässten Klei<strong>de</strong>r vom Leib und rubbelte sich mit an<strong>de</strong>ren trocken.Kleidung von Toten. Fowley beobachtete es voller Furcht, aber er sagte nichts, währendLan<strong>de</strong>r sche<strong>in</strong>bar Amok lief.In Wahrheit suchte <strong>de</strong>r Gesun<strong>de</strong> neue Kleidung und zog sie schließlich ohne großartigdarüber nachzu<strong>de</strong>nken an.Fowleys Augen waren wie zwei übergroße Spiegel se<strong>in</strong>er Angst und se<strong>in</strong>es namenlosenEntsetzens, als Lan<strong>de</strong>r zurückkam.„Pa… Patrick… du… du hast… da gera<strong>de</strong>…“Diesen E<strong>in</strong>wurf völlig ignorierend fasste er Fowleys Kleidung an und zog sie zurecht. Dernachfolgen<strong>de</strong> Schrei klang schrill und protestierend. Dabei verschluckte Fowley sich an<strong>de</strong>m Stück Eis <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Mund und musste husten.Der Wa<strong>de</strong>nwickel war erneut geschmolzen, und es wur<strong>de</strong> Zeit für e<strong>in</strong>en neuen. Nach<strong>de</strong>mer <strong>de</strong>m Lieutenant auf <strong>de</strong>n Rücken geklopft und Fowleys noch immer erhitzte Stirngefühlt hatte, setzte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong>s wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tat um. Zum Glück gab es hier Eis imÜberfluss. Neben <strong>de</strong>n Toten und <strong>de</strong>m, was sie lieferten, war es das E<strong>in</strong>zige, von <strong>de</strong>m eshier wirklich reichlich gab.


Schließlich legte er noch zwei zerfetzte Mäntel auf Fowleys Bauch und reichte ihm e<strong>in</strong>neues Stück Eis. „Wie fühlst du dich?“Noch immer voller Angst musterte <strong>de</strong>r Lieutenant ihn und versuchte dabei wohl, <strong>de</strong>nGrad von Lan<strong>de</strong>rs Verrücktheit abzuschätzen. „Erfroren.“Soll ich dir noch e<strong>in</strong> paar zusätzliche Anziehsachen holen?“„Ne<strong>in</strong>!“ Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> entsetzter Schrei. Das Fieber mochte noch vorhan<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>, aberFowley hatte zu begreifen begonnen, was um ihn herum vorg<strong>in</strong>g. Auf was er lag. DasLetzte, was er wollte, war, dass Lan<strong>de</strong>r vor se<strong>in</strong>en Augen noch mehr Tote auszog undihm <strong>die</strong> dreckstarren<strong>de</strong>n Lumpen brachte.„S<strong>in</strong>d wir <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong>?“ Fowley konnte schließlich nicht mehr an sich halten.„Ne<strong>in</strong>. Dort wäre es warm.“ Voller Zuneigung musterte Lan<strong>de</strong>r ihn und ergriff e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>rbei<strong>de</strong>n rastlosen Hän<strong>de</strong>. „Wir s<strong>in</strong>d auf Kalhmera, das ist e<strong>in</strong> Eismond von e<strong>in</strong>em Planetennamens Crete im Omicron Gamma-Sektor. Wir s<strong>in</strong>d bei <strong>de</strong>n Corsairs.“„Und das hier?“ Fowley brachte <strong>die</strong> Worte kaum heraus.„Hierher br<strong>in</strong>gen sie <strong>die</strong> Toten aus <strong>de</strong>r Wasserm<strong>in</strong>e, wo ihre Gefangenen für sie arbeitenmüssen.“Mehr gab es nicht zu sagen, und nach e<strong>in</strong>er kurzen E<strong>in</strong>wirkungszeit hatte Daniel Fowleyes auch passend verarbeitet. Bewegt und unfähig, zu sprechen, drückte er Lan<strong>de</strong>rs Hand.Ihm war bewusst, dass er hier bei <strong>de</strong>n Leichen lag, weil man ihn für tot gehalten hatteund dass er es e<strong>in</strong>zig Lan<strong>de</strong>r verdankte, dass <strong>de</strong>m nicht so war.„Übermorgen stehst du wie<strong>de</strong>r auf, und wir…“ Lan<strong>de</strong>r warf e<strong>in</strong>en raschen Blick aufFowleys schlimm aussehen<strong>de</strong>n Knöchel, <strong>de</strong>n er bis dato völlig vergessen hatte, und brachab.„Ich glaube nicht, dass ich das schaffe. Lassen Sie mich hier auf <strong>de</strong>m Eis liegen, Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r.“ Der Kranke schleu<strong>de</strong>rte <strong>die</strong> überzähligen Klei<strong>de</strong>r von sich. „Sehen Siezu, dass wenigstens Sie es schaffen. Ich b<strong>in</strong> nur Ballast für Sie.“ Der <strong>die</strong>nstliche Ton warkaum glaubwürdig, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Stimme zitterte. Vor Kälte o<strong>de</strong>r vielleicht auch vor Emotion.„So nicht, me<strong>in</strong> Freund! Fang nicht wie<strong>de</strong>r so an!“, sprach Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Gedanken lautaus. Er las <strong>die</strong> Sachen wie<strong>de</strong>r auf und drapierte sie wie<strong>de</strong>r über Fowley. „Du wirst mirjetzt zuhören, Daniel!“Die <strong>in</strong> Tränen schwimmen<strong>de</strong>n Augen richteten sich wie gefor<strong>de</strong>rt auf ihn.„Ich will es ohne dich nicht schaffen, hörst du? Wir s<strong>in</strong>d zusammen hier. Zusammen!Dass du hier stirbst, ist nicht vorgesehen. Warum sollte ich dann noch am Leben bleiben?Wir haben noch uns und wer<strong>de</strong>n irgendwie von hier fortkommen! Solange wir leben,wer<strong>de</strong>n wir nicht aufgeben! Wir wer<strong>de</strong>n entwe<strong>de</strong>r zusammen fliehen o<strong>de</strong>r zusammensterben! Wir s<strong>in</strong>d am En<strong>de</strong>, also kann es nur noch besser wer<strong>de</strong>n!“„Was für e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n macht das Leben an <strong>die</strong>sem Ort? Aus <strong>de</strong>n Randwelten kommtniemand zurück! Wir s<strong>in</strong>d garantiert <strong>die</strong> ersten Bretonen, <strong>die</strong> jemals hier gelan<strong>de</strong>t s<strong>in</strong>d!“„Ne<strong>in</strong>, Daniel. Hier s<strong>in</strong>d vermutlich sehr viele unserer Landsleute, und das weißt du auch.Irgendwie kommen wir fort, du wirst schon sehen. Wir haben e<strong>in</strong>en Auftrag und müssenihn erfüllen! Ich wer<strong>de</strong> nicht dul<strong>de</strong>n, dass du <strong>de</strong><strong>in</strong>en Eid brichst! We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Krone und<strong>de</strong>m Volk noch mir als <strong>de</strong><strong>in</strong>em Untergebenen und Freund gegenüber.“Diese direkte Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>en Treueschwur ließ Fowley zusammenzucken. Er starrteLan<strong>de</strong>r an und se<strong>in</strong> Wi<strong>de</strong>rstand ließ nach. „Hilf mir, Patrick. Mir ist so kalt!“, murmelte er.„Ich sterbe doch sowieso!“„Ne<strong>in</strong>, wirst du nicht. Ich br<strong>in</strong>ge dich hier weg, warte bloß noch e<strong>in</strong> bisschen. Du wirstwie<strong>de</strong>r gesund, hörst du?“, versuchte Lan<strong>de</strong>r, ihn aufzumuntern und setzte sich nebenFowley auf e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Toten. Dann ergriff er <strong>de</strong>n vor Kälte beben<strong>de</strong>n, schwachenLieutenant und zog ihn zu sich, um ihn zu wärmen. „Komm, nimm noch etwas Wasser zudir und versuch dann, etwas zu schlafen. Danach geht es dir garantiert besser, und dukannst aufstehen.“Die Lampe erlosch, aber Lan<strong>de</strong>r brauchte sie sowieso nicht mehr.„Ich dachte, das wäre alles nur e<strong>in</strong> Alptraum. Als ich vorh<strong>in</strong> zu mir kam, waren um michherum nur Tote. Ich habe Nagetiere gehört und mir e<strong>in</strong>gebil<strong>de</strong>t, sie wür<strong>de</strong>n michauffressen. Und du wolltest auch nicht wach wer<strong>de</strong>n.“„Ohne dich wäre ich <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r nächsten halben Stun<strong>de</strong> vermutlich hier auf <strong>de</strong>m Eiserfroren.“ Lan<strong>de</strong>r strich Fowley über <strong>die</strong> Stirn. Das Gesicht war von mehrere Tage altemBlut und Dreck schwarz. Und dann waren da noch <strong>die</strong> vernarben<strong>de</strong>n Brandwun<strong>de</strong>n.


Ohne nachzu<strong>de</strong>nken, nahm er e<strong>in</strong>en Brocken Eis und rieb Fowley damit ab.„Lass das bitte! Es ist so kalt!“„Das liegt sicherlich auch an <strong>de</strong>m Wa<strong>de</strong>nwickel.“„An <strong>de</strong>m… was?“„Wa<strong>de</strong>nwickel. Kalte Umschläge für <strong>die</strong> Wa<strong>de</strong>n. Hast du sie noch nicht bemerkt? AufPlanet Leeds hat me<strong>in</strong>e Mutter das bei mir gemacht, als ich e<strong>in</strong>mal Fieber hatte.“„Dafür gibt es doch fiebersenken<strong>de</strong> Tabletten!“„Glaubst du ernsthaft, dass bei uns <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie jemand krankenversichert war? Daskönnen wir uns erst leisten, seit ich als Sub-Lieutenant me<strong>in</strong> erstes Gehalt bezogenhabe.“„Wir kommen wirklich von zwei verschie<strong>de</strong>nen Welten, was? Wenn du hier gelegenhättest, wäre ich hilflos gewesen und hätte nicht e<strong>in</strong>mal gewusst, was ich tun sollte. Ichb<strong>in</strong> zwar <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, jeman<strong>de</strong>m e<strong>in</strong>en Druckverband anzulegen, aber bei Fieber…“„… wärst du garantiert auch darauf gekommen, dass man <strong>die</strong> Körpertemperatur senkenmuss. Man kann nicht alles wissen, und Nach<strong>de</strong>nken hilft oftmals beim Rest“,beschwichtigte Lan<strong>de</strong>r ihn.„Ich f<strong>in</strong><strong>de</strong> unfassbar, dass auf e<strong>in</strong>er unserer drei Welten Menschen nichtkrankenversichert s<strong>in</strong>d und K<strong>in</strong><strong>de</strong>r vielleicht sterben, weil ihre Eltern sich nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>fiebersenken<strong>de</strong>s Mittel leisten können.“ Fowley pausierte und schien ernsthaft <strong>in</strong> sich zugehen. „Wie viel Geld bekommt e<strong>in</strong> Sub noch mal?“„Ich ver<strong>die</strong>ne 4783 Credits im Monat.“„Das habe ich früher mit Keith und Esther an e<strong>in</strong>em Abend <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Nachtclub auf <strong>de</strong>nKopf gehauen.“ Fowley lachte kurz auf. „Wenn du mich jetzt fragen wür<strong>de</strong>st, wie vielGeld ich als Lieutenant ver<strong>die</strong>ne, dann könnte ich es dir nicht e<strong>in</strong>mal sagen. Vielleichtzweitausend mehr. Ich hatte mit me<strong>in</strong>em Kreditchip Zugriff auf e<strong>in</strong>ige unserer Konten.Da waren fünfzig Millionen o<strong>de</strong>r noch mehr drauf, und das war nicht e<strong>in</strong>mal alles. Wass<strong>in</strong>d da schon sechstausend Credits?“„Ich habe gehört, wie du Raven bei unserem Abtransport e<strong>in</strong>e halbe Milliar<strong>de</strong> angebotenhast.“„Ich hätte ihm alles gegeben, über das ich verfügen kann, wenn er uns dafür freigelassenhätte“, gestand <strong>de</strong>r Lieutenant. „Ich wusste, was geschehen wür<strong>de</strong>. Nicht so sehr, wo wirlan<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>n, aber dass es schrecklich wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Es g<strong>in</strong>g Raven jedoch nicht umsGeld. Er wollte uns das Schlimmstmögliche überhaupt antun.“Uns. Damals hatte Fowley egoistisch von sich alle<strong>in</strong> gesprochen. Lan<strong>de</strong>r erwähnte esnicht. Er seufzte nur. „Mit e<strong>in</strong>er halben Milliar<strong>de</strong> könntest du auf Leeds <strong>de</strong>n halbenPlaneten kaufen.“„Ja und mit unserem… me<strong>in</strong>em Gesamtvermögen…“ Fowleys Stimme verlor sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>rDunkelheit.„Das mit <strong>de</strong><strong>in</strong>em Vater tut mir leid.“„Wenigstens hat er nicht <strong>de</strong>n Brief lesen müssen. In me<strong>in</strong>em Fall ist wohl irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>M<strong>in</strong>ister gekommen, um ihn me<strong>in</strong>er Schwester zu überbr<strong>in</strong>gen.“„Bist du nicht liiert?“„Hast du mich an Bord jemals e<strong>in</strong>en Liebesbrief schreiben sehen? Ich b<strong>in</strong> geschie<strong>de</strong>n.“Fowley wand sich <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Armen und blickte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dunkelheit zu ihm auf. „Der Fluch<strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s, Patrick. Ich war mal für zwei Monate mit e<strong>in</strong>er von Duncans Kus<strong>in</strong>enverheiratet. Zwei ganze Monate.“„Duncan Avery?“„Wer <strong>de</strong>nn sonst? Se<strong>in</strong>e Kus<strong>in</strong>e und ich waren bei<strong>de</strong> zwanzig, als wir geheiratet haben.Viel zu jung natürlich, aber es war e<strong>in</strong>gefä<strong>de</strong>lt. Me<strong>in</strong>e Familie wur<strong>de</strong> vor Hun<strong>de</strong>rten vonJahren gea<strong>de</strong>lt, weil uns e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r namhaftesten Bank<strong>in</strong>stitute auf New London gehört.Die Averys h<strong>in</strong>gegen s<strong>in</strong>d entfernt mit <strong>de</strong>r Königsfamilie verwandt und gehören zumMilitära<strong>de</strong>l. Duncans Großvater hat <strong>die</strong> Flotte im Nomadkrieg komman<strong>die</strong>rt und ist dabeiums Leben gekommen. Durch <strong>die</strong> Heiratsverb<strong>in</strong>dung hat me<strong>in</strong> Vater e<strong>in</strong>ige sehr guteGeschäfte mit <strong>de</strong>m Königshaus tätigen können. Es hätte bei<strong>de</strong>n Seiten auch längerfristiggenützt, aber wir haben uns nicht geliebt. Deswegen waren wir nach zwei Monaten schonwie<strong>de</strong>r geschie<strong>de</strong>n.“„Das ist e<strong>in</strong>e Welt, <strong>die</strong> ich nicht verstehe, Daniel.“


„Genauso wenig wie ich verstehen konnte, dass jemand auf Planet Leeds bei FieberWa<strong>de</strong>nwickel macht, statt Tabletten zu geben. Merkwürdig, nicht?“„Ja, sehr seltsam. Kannst du mir e<strong>in</strong>e Frage beantworten?“„Ja?“„Wie kamst du bloß auf <strong>die</strong> Oxford? Hättest du nicht auf <strong>die</strong> Suffolk gekonnt? Warumhast du auf e<strong>in</strong>em Patrouillenkreuzer und nicht auf unserem Flaggschiff ge<strong>die</strong>nt?“„E<strong>in</strong> sehr simpler Grund: Ich wollte nicht. Keith <strong>die</strong>nte dort, fand es langweilig und wollte<strong>in</strong> <strong>die</strong> Grenzwelten. Er hat mich dazu gebracht, mich nach Abschluss <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>miezeitebenfalls dorth<strong>in</strong> zu mel<strong>de</strong>n. Man kann sich eben aussuchen, wo man h<strong>in</strong>versetzt wird,also hat er sich versetzen lassen, kurz bevor ich mit <strong>de</strong>r Grundausbildung fertig war. Erwar zwei Jahre älter als ich und <strong>de</strong>mentsprechend natürlich schon beim Militär, als ichnoch auf <strong>de</strong>m Elite<strong>in</strong>ternat von Planet Cambridge war. Er hat mich mit <strong>de</strong>m Ganzenangesteckt, <strong>de</strong>nn eigentlich sollte ich nur stu<strong>die</strong>ren und <strong>die</strong> Bank leiten, nach<strong>de</strong>m me<strong>in</strong>älterer Bru<strong>de</strong>r George bei e<strong>in</strong>em Autounfall ums Leben gekommen war.“ Wie<strong>de</strong>r machteFowley e<strong>in</strong>e Pause. „Ich habe me<strong>in</strong>en Kopf durchgesetzt, mit me<strong>in</strong>em Vater gestrittenund me<strong>in</strong>en Platz zum Ökonomiestudium auf New Tokyo sausen lassen. Keith und ichwollten zusammen etwas erleben und haben uns das richtig toll vorgestellt. Erlebt habenwir auch e<strong>in</strong>ige D<strong>in</strong>ge…“„Normalerweise sucht man sich als Sub-Lieutenant nicht aus, wo man h<strong>in</strong>kommt. Mirwäre <strong>die</strong> Suffolk an <strong>de</strong><strong>in</strong>er Stelle lieber gewesen“, brach Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> entstan<strong>de</strong>ne Stille.„Du hättest dort nicht h<strong>in</strong>gepasst. Man hätte auf dich herabgeschaut und dichentsprechend behan<strong>de</strong>lt. In <strong>de</strong>r Offiziersmesse wärst du für <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren nicht existentgewesen. Es wäre sehr e<strong>in</strong>sam für dich gewor<strong>de</strong>n.“„Hast du mich auf <strong>de</strong>r Oxford o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Brisbane abgesehen von <strong>de</strong>n Mahlzeiten jemalsfür länger als fünf M<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Offiziersmesse gesehen?“Das hatte gesessen. Fast so, als ob er es zum ersten Mal hörte, fragte Fowley zaghaft:„Lag es etwa an uns? An mir? Hast du dich etwa e<strong>in</strong>sam gefühlt? Ich dachte, du wolltestes so.“Lan<strong>de</strong>r gab ihm ke<strong>in</strong>e Antwort.„Und du wolltest wirklich nicht freiwillig <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grenzwelten? Ich dachte, du wärst auch soe<strong>in</strong> abenteuerlustiger Aka<strong>de</strong>mieabsolvent wie ich damals, und so habe ich dich auchbehan<strong>de</strong>lt. Ich habe dich spüren lassen, dass <strong>de</strong><strong>in</strong>e I<strong>de</strong>e blöd war.“„Man hat mich auf <strong>die</strong> Oxford bestellt. Nach me<strong>in</strong>en Wünschen wur<strong>de</strong> nie gefragt“, hieltLan<strong>de</strong>r dagegen.„Wie gut hast du Sandhurst abgeschlossen?“„Drittbester aus 740.“E<strong>in</strong>e lange Pause entstand, bevor Fowley e<strong>in</strong>gestand: „Ich war irgendwo unter <strong>de</strong>n erstenvierhun<strong>de</strong>rt. Mir war wie selbstverständlich klar, dass man mich sowieso dorth<strong>in</strong>versetzen wür<strong>de</strong>, wo ich h<strong>in</strong>gehen wollte. Warum hätte ich mich also bei <strong>de</strong>nAbschlussprüfungen anstrengen sollen?“ Es klang wie e<strong>in</strong> Schul<strong>de</strong><strong>in</strong>geständnis.Danach herrschte Stille zwischen ihnen. Lan<strong>de</strong>r ha<strong>de</strong>rte mit <strong>de</strong>m Schicksal, da ihm nunumso mehr klar war, dass er nur auf e<strong>in</strong>en Patrouillenkreuzer versetzt wor<strong>de</strong>n war, weilse<strong>in</strong>e Familie ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>fluss besessen hatte. Leute wie Fowley h<strong>in</strong>gegen hatten es wiee<strong>in</strong> Spiel angesehen. E<strong>in</strong> Abenteuer, das man abbrechen konnte, wenn man wollte. E<strong>in</strong>an <strong>die</strong> Admiralität abgeschicktes Telegramm genügte dafür.Fowley löste sich etwas aus Lan<strong>de</strong>rs Griff und g<strong>in</strong>g auf Abstand. „Du musst mich jetzthassen.“„Wieso sollte ich das tun?“„Weil… ich…“„Weil du jetzt e<strong>in</strong> Lord bist und e<strong>in</strong>e knappe Milliar<strong>de</strong> am Konto hast? Weil e<strong>in</strong>F<strong>in</strong>gerschnippen von dir genügt und du bekommst, was du willst?“„Ja genau <strong>de</strong>shalb. Ich kann dich <strong>de</strong>nken hören.“„Kannst du nicht. Du bist unbestreitbar zu gewissen Zeiten ignorant, Daniel. Damit habeich längst leben gelernt. Auf Planet Leeds lernt man von früh an, <strong>die</strong> gegebenengesellschaftlichen Verhältnisse so zu nehmen, wie sie s<strong>in</strong>d. Man sieht auf HyperbroadcastD<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> es zu Hause nicht gibt, und akzeptiert es. So e<strong>in</strong>fach ist das.“„Es gibt auch D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> auf New London fehlen. Me<strong>in</strong>e Mutter starb vor Jahren, und me<strong>in</strong>Vater lebte für se<strong>in</strong>e Arbeit. Wir alle g<strong>in</strong>gen unsere eigenen Wege. Helen heiratete früh,


wie ich es auch getan habe, und zog weg. George fuhr Rennwagen und stu<strong>die</strong>rteÖkonomie auf New Tokyo, bis er se<strong>in</strong>en Unfall hatte. Ich bereitete mich danach daraufvor, ihm zu folgen, da ich nun an se<strong>in</strong>er statt <strong>die</strong> Bank übernehmen sollte, und Esther tatnach <strong>de</strong>m Internat irgen<strong>de</strong>twas, das ihr Spaß machte. Me<strong>in</strong>e Zwill<strong>in</strong>gsschwester war e<strong>in</strong>wun<strong>de</strong>rbarer Mensch, und wir hatten nicht son<strong>de</strong>rlich viel geme<strong>in</strong>sam. Sie beschloss,Kunst zu stu<strong>die</strong>ren, als ich zum Militär g<strong>in</strong>g, malte, bereiste Sirius und sagte Ja, als unsergeme<strong>in</strong>samer bester Freund Keith sie heiraten wollte. Das war e<strong>in</strong> Jahr, nach<strong>de</strong>m wirbei<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Oxford gekommen waren. Keith und ich wollten drei Jahre Grenz<strong>die</strong>nstabreißen und dann das Militär geme<strong>in</strong>sam verlassen. Wir hatten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r kurzen Zeit genugerlebt. Danach sollte <strong>die</strong> Hochzeit se<strong>in</strong>. Esther wartete auf ihn und folgte ihm <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Tod,als er nicht zurückkam. Mir hat nach ihrem Tod ke<strong>in</strong>er mehr Weihnachtspakete und liebeBriefe geschickt, Patrick. Auch davor hat es außer ihr niemand getan. Im Internat aufCambridge haben wir bei<strong>de</strong> nie etwas bekommen. Ich habe es aber auch nicht vermisst,bis ich <strong>de</strong><strong>in</strong> wöchentliches Paket sah und begriff, wie glücklich an<strong>de</strong>re Familien s<strong>in</strong>d. Ichhabe dich darum benei<strong>de</strong>t.“„Und ich dich. Ich habe <strong>de</strong><strong>in</strong>e Arroganz verabscheut, aber ich habe stets versucht, euchalle zu kopieren und mich anzupassen.“„Das musst du aber nicht.“ Fowley bewegte sich auf Lan<strong>de</strong>rs Knien und lehnte sicherneut an ihn. Vielleicht war es e<strong>in</strong>e Bitte um Verzeihung. „Ich f<strong>in</strong><strong>de</strong> dich so völlig <strong>in</strong>Ordnung, wie du bist. Nur manchmal so verdammt stur und skrupellos.“„Ne<strong>in</strong>, nicht skrupellos. Bloß anpassungsfähig. Wenn wir uns hier nicht anpassen, sterbenwir. Sie wer<strong>de</strong>n uns umbr<strong>in</strong>gen, falls sie je erfahren, dass wir von <strong>de</strong>r Royal Navy s<strong>in</strong>d.Ich habe gesagt, wir s<strong>in</strong>d bretonische Piloten von BMM, <strong>die</strong> auf e<strong>in</strong>em Freeportverschleppt wur<strong>de</strong>n. Danach hat man uns ja auch wirklich verkauft, also lass uns e<strong>in</strong>fachsagen, dass wir e<strong>in</strong>e Cly<strong>de</strong>sdale von BMM nach Freeport 1 geflogen haben. Dort kennenwir uns aus, falls jemand fragt. Wir waren mit e<strong>in</strong>er Ladung Schrott zur Entsorgung auf<strong>de</strong>m Weg nach New Berl<strong>in</strong>. Du warst <strong>de</strong>r Pilot, ich noch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Flugausbildung. Man hatuns auf Station überfallen, und weil wir ke<strong>in</strong>e teure Ladung an Bord hatten, haben sieuns e<strong>in</strong>kassiert sowie an <strong>die</strong> Corsairs verkauft. Mehr sagen wir nicht, und basta.“„Ich hoffe nur ich kann mir das merken. Wenn wir uns wi<strong>de</strong>rsprechen, weil ich e<strong>in</strong>enblö<strong>de</strong>n Fehler mache…“„Wirst du schon nicht, und außer<strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> ich dich nicht alle<strong>in</strong> lassen. Überlass mire<strong>in</strong>fach das Re<strong>de</strong>n. Wenn du es oft genug gehört hast, kannst du es auch. Wir schaffendas schon.“„Du willst dich also immer noch mit mir belasten? Auch nach allem, was du gera<strong>de</strong> vonmir gehört hast? Vielleicht bereust du ja sogar schon, dass du mich vor Stun<strong>de</strong>n gerettethast.“„Du solltest wirklich aufhören, zu <strong>de</strong>nken, dass ich dir wegen irgen<strong>de</strong>twas böse wäre. Dubist me<strong>in</strong> Freund, und wir s<strong>in</strong>d hier aufe<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r angewiesen. Zusammen f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wir e<strong>in</strong>enWeg hier weg, aber e<strong>in</strong>er ist ohne <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren verloren. Ich wäre vorh<strong>in</strong> auch ohne dicherfroren, daher s<strong>in</strong>d wir quitt.“„Du hasst mich wirklich nicht?“„Ich habe dich gera<strong>de</strong> Freund genannt, also wohl kaum, o<strong>de</strong>r? Eher noch befürchte ich,dass ich Ihrer Lordschaft unwürdig b<strong>in</strong>.“„Du scherzt!“„Absolut nicht.“„Wenn es danach geht, b<strong>in</strong> ich <strong>de</strong><strong>in</strong>er unwürdig, Patrick. Ich komme mir richtig miesvor.“„Wird Zeit, dass du damit aufhörst. Falls dir langweilig ist, können wir bei<strong>de</strong> ja malversuchen, aufzustehen. Langsam friert nämlich me<strong>in</strong> H<strong>in</strong>tern fest.“ Kurzentschlossenhievte Lan<strong>de</strong>r sich und zusätzlich auch noch Fowley auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e. Er scheiterte fast, aberse<strong>in</strong> unbändiger Wille brachte ihn doch noch hoch. Ihn und <strong>de</strong>n noch schwächerenLieutenant.„Du kannst ja selbst kaum stehen! Lass mich hier und…“„Halt <strong>die</strong> Klappe und lass mich sehen, ob ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dunkelheit <strong>de</strong>n Ausgang f<strong>in</strong><strong>de</strong>! Fallsjemand etwas von dir will, benimmst du dich e<strong>in</strong>fach, als wärst du halb imFieber<strong>de</strong>lirium“, befahl Lan<strong>de</strong>r fast im Kommandoton.


„Das dürfte mir nicht e<strong>in</strong>mal son<strong>de</strong>rlich schwerfallen.“ Fowley klammerte sichschwankend an Lan<strong>de</strong>rs Arm und bemühte sich, nicht umzufallen. „Und warum?“„Weil hier alle Angst vor <strong>de</strong><strong>in</strong>em Fieber haben. Je mehr Angst, <strong>de</strong>sto mehr Abstand, <strong>de</strong>stoweniger Fragen.“„Aye.“„Tu mir e<strong>in</strong>en Gefallen und streich <strong>die</strong>ses Wort aus <strong>de</strong><strong>in</strong>em Wortschatz.“„Ja, Sir.“„Das auch noch dazu. Genauso wie Lieutenant, Sub-Lieutenant o<strong>de</strong>r Sub. Wir s<strong>in</strong>d hiernicht mehr beim Militär, Daniel. Wir s<strong>in</strong>d Zivilisten und müssen uns auch so benehmen.“„Wür<strong>de</strong> es helfen, wenn ich gleich ganz laut schreie und <strong>in</strong> Ohnmacht falle? Wäre daszivil?“„Wenn’s dir Freu<strong>de</strong> bereitet.“„Freu<strong>de</strong> nicht, aber wenn ich <strong>de</strong>n Fuß aufsetze, könnte es passieren. Bleib bitte nur beimir, ja? Ich habe Angst, dass ich von <strong>de</strong>n Viechern da im Dunkeln angeknabbert wer<strong>de</strong>.“„Vermutlich tut es sogar weniger weh, wenn du ohnmächtig bist. Ich kann dich ja dannh<strong>in</strong>schleifen, aber alle<strong>in</strong> lassen wer<strong>de</strong> ich dich natürlich nicht.“Patrick Lan<strong>de</strong>r glaubte immer noch an e<strong>in</strong>en Scherz, da Fowley an Bord <strong>de</strong>r Dromedaryzeitweise auch recht wehleidig gewesen war. Er bereute se<strong>in</strong>e beiläufigen Worte jedochschnell, als Fowley tatsächlich e<strong>in</strong>en schwanken<strong>de</strong>n Schritt machte und dabeizusammensackte. Den versprochenen Schrei ersparte se<strong>in</strong> Freund ihm jedoch.Da <strong>de</strong>r Lieutenant ernst gemacht hatte, blieb auch Lan<strong>de</strong>r nicht viel an<strong>de</strong>res übrig als ihnwie angekündigt selbst zur behelfsmäßigen Krankenstation zu br<strong>in</strong>gen.„Hey, Jungchen!“ Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> namens Benjy <strong>de</strong>r Schlitzer hielt Lan<strong>de</strong>r auf, als <strong>die</strong>ser mite<strong>in</strong>er leeren Blechdose, <strong>die</strong> ganz früher laut <strong>de</strong>m Aufdruck Nahrungspillen aus Kusarienthalten hatte, zu <strong>de</strong>m <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ecke <strong>de</strong>r primitiven Krankenhöhle brennen<strong>de</strong>n Feuer g<strong>in</strong>g.Das Feuer hatte e<strong>in</strong>en sehr entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Vorteil: Es sorgte dafür, dass Wasserschmolz. Permanent fließen<strong>de</strong>s Wasser, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er ganz an<strong>de</strong>ren H<strong>in</strong>sicht als sie es vonfrüher gewöhnt waren. Vor allem aber Wasser, das nicht ganz so eiskalt war, wenn manes etwas über <strong>de</strong>m Feuer aufwärmte.Wie <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>elle ihn erkannte, wusste Lan<strong>de</strong>r nicht. Durch Ertasten nicht mehr, da ernach <strong>de</strong>m freiwilligen Geständnis <strong>de</strong>s Mannes nur noch ungern von <strong>de</strong>n schwieligenHän<strong>de</strong>n angefasst wur<strong>de</strong>, <strong>die</strong> vor Jahren neunzehn Frauen auf Planet Cambridgeaufgeschlitzt hatten. Er g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>m Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten und allen an<strong>de</strong>ren hier aus <strong>de</strong>m Weg, sogut er es vermochte, aber das klappte eben nicht immer.„Patrick?“ Der auf <strong>de</strong>r abgelegensten Pritsche <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ecke liegen<strong>de</strong> Fowley hatte ihnbeobachtet und sich halb aufgerichtet. Die Stimme klang ängstlich und drängend.„Ich muss gehen! Daniel braucht Wasser für <strong>de</strong>n Fußverband!“ Lan<strong>de</strong>r drängte sich an<strong>de</strong>m Mör<strong>de</strong>r vorbei, während se<strong>in</strong> Herz unwillkürlich schneller zu schlagen begann.„Du nimmst besser Eis, das habe ich dir doch schon gesagt.“ Der Mann kicherte, als erh<strong>in</strong>ter Lan<strong>de</strong>r herg<strong>in</strong>g. „De<strong>in</strong> Daniel kl<strong>in</strong>gt gesün<strong>de</strong>r.“Das Feuer war erreicht. Lan<strong>de</strong>r kniete sich nahe an <strong>die</strong> Hitze und hielt <strong>die</strong> Dose an e<strong>in</strong>emöglichst klare Stelle <strong>de</strong>r Eiswand, um das herunterlaufen<strong>de</strong> geschmolzene Wasseraufzufangen.„Lass mich, Benjy. Ich habe jetzt ke<strong>in</strong>e Zeit für dich!“, sagte Lan<strong>de</strong>r über <strong>die</strong> Schulterh<strong>in</strong>weg.„Patrick, er ist genau h<strong>in</strong>ter dir!“ Fowley schrie es h<strong>in</strong>aus und klang nun vollends panisch,obwohl Lan<strong>de</strong>r ihm noch nicht e<strong>in</strong>mal gesagt hatte, wer <strong>de</strong>r Kerl wirklich früher gewesenwar. E<strong>in</strong> Blick auf das wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal verrutschen<strong>de</strong> Tuch und das Kichern <strong>de</strong>szugegebenermaßen wirklich etwas irren alten Mannes hatten gereicht, um <strong>de</strong>n nochimmer kranken Lieutenant am ersten Abend fast <strong>die</strong> Wän<strong>de</strong> hochgehen zu lassen.Unmutsäußerungen bekun<strong>de</strong>ten, dass Fowley e<strong>in</strong>ige an<strong>de</strong>re Kranke geweckt hatte.Lan<strong>de</strong>r drehte sich um und sah zurück. Er signalisierte mit <strong>de</strong>r flachen Hand, dass alles <strong>in</strong>Ordnung war.Aber war es das wirklich? Benjy glitt urplötzlich vorwärts wie e<strong>in</strong>e Schlange und fassteihn zielgerichtet am Arm. Er verfehlte se<strong>in</strong> Ziel zwar beim ersten Mal, aber dann hatte er


gespürt, wo <strong>die</strong> Gliedmaße war, und stahlhart zugefasst. Lan<strong>de</strong>r schrie auf und taumelteauf <strong>die</strong> Füße. Die Dose fiel zu Bo<strong>de</strong>n und verspritzte ihren kalten Inhalt.E<strong>in</strong> Angstschrei kam von Fowley, aber <strong>de</strong>r Lieutenant war zu weit entfernt und durchse<strong>in</strong>en Knöchel sowie se<strong>in</strong>e körperliche Schwäche zu schwer bee<strong>in</strong>trächtigt, um helfen zukönnen. Er musste hilflos zusehen, als <strong>de</strong>r Schlitzer <strong>de</strong>n jüngeren und ebenfallskörperlich schwachen Offizier hart gegen <strong>die</strong> nasse Wand drängte.Da er überrumpelt wor<strong>de</strong>n war, setzte Lan<strong>de</strong>rs Gegenwehr spät e<strong>in</strong>. Dann jedoch wandteer e<strong>in</strong>en Spezialtritt an, <strong>de</strong>n man ihm auf <strong>de</strong>m Schiff beigebracht hatte. Chief Wayland,<strong>de</strong>n er später getötet hatte, war se<strong>in</strong> Lehrer gewesen.Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> lockerte se<strong>in</strong>en Griff und knickte halb zusammen. Lan<strong>de</strong>r gelang daraufh<strong>in</strong>,sich zu befreien. Klopfen<strong>de</strong>n Herzens schnappte er sich <strong>die</strong> Dose, hielt sie kurz an <strong>die</strong>Wand und ergriff <strong>die</strong> Flucht. Er wollte sich ke<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> machen, <strong>de</strong>nn das konnte hierleicht tödlich en<strong>de</strong>n. Diesmal wür<strong>de</strong> es eben Eiswasser wer<strong>de</strong>n.„Für e<strong>in</strong>en Pfarrerssohn s<strong>in</strong>d Sie verdammt unfreundlich, Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r!“Fast auf <strong>de</strong>m breitgetretenen Matsch am Bo<strong>de</strong>n ausgleitend, hielt <strong>de</strong>r junge Bretone <strong>in</strong>ne.Se<strong>in</strong> Herz pochte plötzlich laut <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Schläfen. „Du irrst dich, Benjy.“Der Alte hatte sich wie<strong>de</strong>r aufgerichtet und kicherte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wohlbekannten Art. „Achja? Ich wer<strong>de</strong> es <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sagen, Pfarrerssohn. Ich habe euch gehört, weil ich michbei Jack versteckt habe. Habe dir doch gesagt, dass ich dort bleiben wür<strong>de</strong>, bis sie ihnholen. Royal Navy, eh? Gibt genug hier, <strong>die</strong> euch dafür das Fell abziehen wer<strong>de</strong>n. Beilebendigem Leib! Nun hast du plötzlich doch Zeit für mich, o<strong>de</strong>r? Dass <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater Pfarrerist, wird dir hier auf Kalhmera nämlich auch nicht helfen!“„Patrick, komm! Was machst du <strong>de</strong>nn?“, flehte Fowley, <strong>de</strong>r noch immer erschrocken warund se<strong>in</strong>e schlimmsten Befürchtungen bestätigt sah. Hier waren sogar Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte nichtsan<strong>de</strong>res als Killer!Diesmal war es Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n etwa gleichgroßen Benjy an <strong>die</strong> Höhlenwand stieß.Fowley rief ihm etwas zu, aber er hörte es nicht. Es g<strong>in</strong>g um ihr Überleben, und <strong>in</strong>weniger als zehn Sekun<strong>de</strong>n entschied er, ob es s<strong>in</strong>nvoll war, <strong>de</strong>n Schlitzer zu töten o<strong>de</strong>rnicht. Dass <strong>de</strong>r Kerl es ver<strong>die</strong>nt hätte, stand außer Frage. In Bretonia wäre er ja auch zulebenslanger Haft verurteilt wor<strong>de</strong>n - wegen mehr als zwanzigfachem Mord anunschuldigen Frauen und Polizeipiloten. Und doch zögerte er. Er presste <strong>die</strong> Hand gegen<strong>die</strong> Kehle <strong>de</strong>s Krim<strong>in</strong>ellen. „Wenn du e<strong>in</strong>en Ton zu irgendwem sagst, dann br<strong>in</strong>ge ich dichum!“ Das war wohl <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Sprache, <strong>die</strong> man hier draußen klar verstand. PatrickLan<strong>de</strong>r hatte re<strong>in</strong> zufälligerweise etwas gegen <strong>die</strong> Aussicht, zusammen mit Fowley vonihren Mitgefangenen zu To<strong>de</strong> gefoltert zu wer<strong>de</strong>n.Verrückte konnte man nicht e<strong>in</strong>schüchtern. Benjy kicherte sogar mit Lan<strong>de</strong>rs Arm amHals, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Kehle zupresste. „Ich will nur mit dir re<strong>de</strong>n, Jungchen.“„Dann spuck’s endlich aus und verzieh dich danach!“, setzte <strong>de</strong>r Offizier trotz<strong>de</strong>m noche<strong>in</strong>mal nach, obwohl <strong>die</strong> Angst se<strong>in</strong>en Magen längst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Kugel geformt hatte.„Ich hab’s vergessen. Br<strong>in</strong>g mich doch um, Bengel!“„Wer<strong>de</strong> ich auch tun, wenn du uns verrätst!“ Lan<strong>de</strong>r hatte sich endgültig entschie<strong>de</strong>n undließ los. „Wir wollen nieman<strong>de</strong>m etwas, son<strong>de</strong>rn nur hier weg.“„Weg wollen wir alle, Pfarrerssohn. Geschafft hat es noch ke<strong>in</strong>er.“ Diesmal kicherte <strong>de</strong>rbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte Krim<strong>in</strong>elle nicht. Unter <strong>de</strong>m Tuch starrte e<strong>in</strong>e halbe leere Augenhöhle hervor,aber Lan<strong>de</strong>r sah es nicht. Man konnte sich an alles gewöhnen, auch an e<strong>in</strong>en solchenschrecklichen Anblick.„Scher dich weg und lass uns <strong>in</strong> Ruhe! Wir wollen mit nieman<strong>de</strong>m hier etwas zu tunhaben!“ Er stieß <strong>die</strong> Worte so laut hervor, dass auch Fowley sie verstand.Wirklich zog Benjy sich daraufh<strong>in</strong> zurück, aber er drehte sich noch e<strong>in</strong>mal um.„Verdammt gewalttätig für e<strong>in</strong>en Pfarrerssohn. Wird ihm aber auch nicht viel nützen,<strong>de</strong>nn ich habe es schon Jeannie gesagt. Jeannies Mann arbeitet hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>n M<strong>in</strong>en. Er wir<strong>de</strong>s erfahren, weil sie es ihm erzählen wird! Dann seid ihr dran, und man zieht euch <strong>die</strong>Haut ab!“Bevor Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Muskel rühren konnte, um <strong>de</strong>n alten Krim<strong>in</strong>ellen erneut zu erwischen,war er auch schon fort. Fort, so schnell ihn se<strong>in</strong>e altersschwachen Be<strong>in</strong>e trugen.Um Patrick Lan<strong>de</strong>r herum drehte sich alles, als er zurück zu Fowleys Lagerstatt g<strong>in</strong>g. Erverschüttete auch noch e<strong>in</strong>en guten Teil <strong>de</strong>s gewonnenen Wassers.


„Was war <strong>de</strong>nn los?“, bestürmte <strong>de</strong>r Lieutenant ihn sofort. „Was machst du für e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>steres Gesicht?“Wie mechanisch befeuchtete Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Fußverband, ohne zu bemerken, dass Fowleyunter <strong>de</strong>m eiskalten Wasserr<strong>in</strong>nsal wie unter e<strong>in</strong>em Peitschenschlag zusammenzuckte.„Sie haben uns. Der alte Narr hat uns gestern gehört und es weitererzählt. Sie kommenuns gleich holen.“„Und was wird man dann mit uns machen?“ Fowley wur<strong>de</strong> kalkweiß und drängte sichgegen <strong>die</strong> dünne Holzwand h<strong>in</strong>ter ihm, <strong>die</strong> das Lager vom Eis abschirmte.„Er erwähnte, dass sie uns bei lebendigem Leib <strong>die</strong> Haut abziehen wer<strong>de</strong>n.“„Hast du irgendwie e<strong>in</strong>e Pistole o<strong>de</strong>r so was? Ich will das nicht erleben!“„Sonst noch was, Daniel?“„Abgesehen davon, dass ich am liebsten schon jetzt tot wäre und man uns gleich zu To<strong>de</strong>foltern wird… NEIN! Oh Gott!“ Der Lieutenant war wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal völlig außer Fassunggeraten.Im Vergleich dazu gera<strong>de</strong>zu völlig ruhig setzte Lan<strong>de</strong>r sich zu ihm auf das Holz und nahmFowleys Hand. Er spürte und nahm alles mit hoher Detailgenauigkeit wahr. Die Wanze,<strong>die</strong> ihn gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> jenem Moment biss, Fowleys Schluchzen, <strong>die</strong> Kälte, <strong>de</strong>r Druck <strong>de</strong>sharten Holzes unter se<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>tern, Benjy, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Laienärzt<strong>in</strong> Jeannie dastand un<strong>de</strong><strong>in</strong>en Blick aus leeren Augenhöhlen zu ihnen herüberwarf, als könne er sie tatsächlichsehen…Auch <strong>die</strong> Angst vor <strong>de</strong>m Fieber wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen jetzt nicht mehr stoppen. EtwaigeAppelle an <strong>die</strong> Menschlichkeit wür<strong>de</strong>n scheitern. Der Hass wür<strong>de</strong> stärker se<strong>in</strong> als allesan<strong>de</strong>re. Selbst umbr<strong>in</strong>gen konnten sie sich nicht, <strong>de</strong>nn alles, was sie besaßen, war e<strong>in</strong>ealte Konservendose mit rundgeschliffenem Rand, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r irgendwo gefun<strong>de</strong>n hatte,und <strong>die</strong> Kleidung mehrerer Toter. Es gab ke<strong>in</strong>en Ausweg, außer er entschied, zum Feuerzu laufen und sich selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e lebendige Fackel zu verwan<strong>de</strong>ln. Dieser Tod erschienihm jedoch genauso schlimm wie <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Folter <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen. Außer<strong>de</strong>m, wassollte dann mit Fowley passieren? Ihn wür<strong>de</strong>n sie schnappen, und es war besser,zusammen zu sterben, als jetzt feige zu se<strong>in</strong> und ihn alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen zuüberlassen.Tröstend strich er <strong>de</strong>m Lieutenant über <strong>de</strong>n Arm. Wie<strong>de</strong>r und wie<strong>de</strong>r. „Daniel, wir wer<strong>de</strong>ntapfer se<strong>in</strong>, wenn sie uns holen, ja?“E<strong>in</strong> Schluchzen gab ihm Antwort.„Ich b<strong>in</strong> bei dir und wer<strong>de</strong> tun, was ich kann, damit sie uns nicht lebend <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong>bekommen!“E<strong>in</strong> noch lauteres Schluchzen, dann vergrub Fowley se<strong>in</strong> Gesicht an Lan<strong>de</strong>rs Seite.„Denk an <strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater, Esther und Keith, Daniel. Sie schauen auf uns herab, genausowie Duncan und alle an<strong>de</strong>ren. Reiß dich bitte zusammen, ja? Vielleicht erfährt Raven, wiewir gestorben s<strong>in</strong>d. Deshalb bitte ich dich: Wir s<strong>in</strong>d Offiziere <strong>de</strong>r Royal Navy - und alssolche wer<strong>de</strong>n wir aufrecht sterben. Nicht auf Knien!“Das We<strong>in</strong>en brach ab, und Lan<strong>de</strong>r hatte se<strong>in</strong> Ziel erreicht. Vermutlich wür<strong>de</strong> er Fowleyhiernach so schnell nicht mehr we<strong>in</strong>end erleben, aber was machte das schon? Langewür<strong>de</strong> ihr Leben ja ohneh<strong>in</strong> nicht mehr fortdauern.Wie ernst Fowley <strong>die</strong> Auffor<strong>de</strong>rung nahm, begann Lan<strong>de</strong>r jedoch zu verstehen, als <strong>de</strong>rVorgesetzte sich von ihm löste und schwankend aufsetzte. Es war das erste Mal, dass eres alle<strong>in</strong> versuchte.„Aufrecht und nicht auf Knien, Patrick. Bei Duncan hat es auch ke<strong>in</strong>e Gna<strong>de</strong> gegeben.“Erstickt, aber ohne Zittern sprach er <strong>die</strong> Worte.„Hier draußen gibt es nirgendwo Gna<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur das Überlebensrecht <strong>de</strong>r Stärkeren.Damals hatten wir das lei<strong>de</strong>r noch nicht begriffen, sonst hätten wir nicht hier geen<strong>de</strong>t.Lass uns zusehen, dass sie uns nicht lebend erwischen. Falls sie Waffen bei sich habenund du e<strong>in</strong>e erwischst, br<strong>in</strong>g dich sofort selbst um. Achte nicht auf mich!“„Ja, Sir.“Lan<strong>de</strong>r drückte ihm daraufh<strong>in</strong> stumm <strong>die</strong> Hand. Ihm war nie so sehr bewusst gewesenwie jetzt, dass er von ihnen bei<strong>de</strong>n augensche<strong>in</strong>lich <strong>de</strong>r Stärkere war. Obwohl er jüngerund nur Sub-Lieutenant war, <strong>die</strong>nte er hier als das Vorbild. Er gab <strong>die</strong> Befehle, undFowley folgte.


Sie warteten schweigend und ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgelehnt auf <strong>de</strong>n kommen<strong>de</strong>n Tod. Sie taten es<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hoffnung, dass <strong>de</strong>r Akt wenigstens schnell und schmerzlos vor sich gehen wür<strong>de</strong>.Es schien Stun<strong>de</strong>n zu dauern, bis sie tatsächlich kamen, und damit bewahrheitete sicherneut <strong>de</strong>r grauenvolle Satz, dass <strong>die</strong> Wartezeit vor <strong>de</strong>r H<strong>in</strong>richtung stets viel schlimmerwar, als <strong>de</strong>r eigentliche Akt selbst. Hier kam es natürlich noch zusätzlich darauf an, wieschlimm es wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Ob sie es schafften, sich gleich töten zu lassen, anstatt unter<strong>de</strong>r grausigen langsamen Folter <strong>de</strong>r Grenzweltler zu sterben.Sie hatten nur wenig gesprochen und schweigend <strong>die</strong> Gegenwart <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>renausgekostet. Freundschaft bis zum Letzten nannte Lan<strong>de</strong>r das und wun<strong>de</strong>rte sich nichte<strong>in</strong>mal mehr darüber, wen er da festhielt.Der schwache und verletzte Fowley wür<strong>de</strong> ke<strong>in</strong>e reelle Chance im Kampf haben. Lan<strong>de</strong>rselbst rechnete sich ja auch ke<strong>in</strong>e echte aus, außer eben <strong>de</strong>r Chance, sich e<strong>in</strong> Messerzwischen <strong>de</strong>n Rippen e<strong>in</strong>zuhan<strong>de</strong>ln, falls es hier so etwas gab.Es war ke<strong>in</strong>e Überraschung, als schließlich e<strong>in</strong>e Gruppe <strong>die</strong> Höhle betrat und von <strong>de</strong>rLaienärzt<strong>in</strong> sowie <strong>de</strong>m alten Benjy begrüßt wur<strong>de</strong>. Die Frau <strong>de</strong>utete zu ihnen nachh<strong>in</strong>ten, nach<strong>de</strong>m sie e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r acht Kerle umarmt hatte.E<strong>in</strong> rascher Blick zu Fowley verriet Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>ssen Bereitschaft und <strong>die</strong> eiserneBeherrschung, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Lieutenant garantiert sehr viel kostete. Auch er straffte sich undstand auf. Dabei schätzte er se<strong>in</strong>e Chancen genau ab. Es war Zeit, zu sterben.„Bueno, Emanuel“, verkün<strong>de</strong>te <strong>die</strong> Ersatzmediz<strong>in</strong>er<strong>in</strong> <strong>in</strong> jener unverständlichen Sprache<strong>de</strong>r Randwelten.Der ansche<strong>in</strong>end Angesprochene nickte, und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Kerle blieben stehen. Er sahfurchterregend aus, wie Lan<strong>de</strong>r dachte.„Hola, Bretonians!“ Se<strong>in</strong> Englisch war nur schwer verständlich, und se<strong>in</strong>e Blickewan<strong>de</strong>rten vom abwehrbereiten Sub-Lieutenant zu <strong>de</strong>ssen angespanntem Vorgesetzten.Der Verbrecher wirkte sehr gewaltbereit, und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren schienen auch nur auf se<strong>in</strong>Signal zu warten.Erst hatte Lan<strong>de</strong>r überlegt, gar nichts zu sagen, aber entschied sich dagegen. „GutenTag. Was wollen Sie?“Obwohl se<strong>in</strong>e steife Förmlichkeit hier sehr fehl am Platz wirkte, lachte niemand. Sierückten nur weiter vor.„Halt!“, gebot Lan<strong>de</strong>r, aber war dadurch, dass sie <strong>in</strong>sgesamt zu acht waren und sogeschlossen vorrückten wie e<strong>in</strong>e Mauer, relativ aussichtslos. Er war gezwungen,zurückzuweichen, bis er direkt vor <strong>de</strong>r Pritsche stand.Se<strong>in</strong> Puls raste, und er hatte e<strong>in</strong>en schalen Geschmack im Mund. H<strong>in</strong>ter sich hörte erFowleys rasches Atmen, aber nichts sonst. Ke<strong>in</strong> Schluchzen. Auch <strong>de</strong>r Lieutenant hattesich mehr o<strong>de</strong>r weniger eisern <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gewalt.Sie rückten nicht weiter vor, son<strong>de</strong>rn blieben erneut stehen.„Setz dich doch, Jungchen“, for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r bl<strong>in</strong><strong>de</strong> Benjy ihn auf. Er hatte das Tuchabgenommen, als könne er so mit <strong>de</strong>n leeren Augenhöhlen etwas sehen.Fowleys unweigerliches gequältes Aufstöhnen ließ <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Männer noch e<strong>in</strong> Stückmehr vorrücken.Das Holz drückte von h<strong>in</strong>ten an se<strong>in</strong>e Oberschenkel. Patrick Lan<strong>de</strong>r konnte nicht weiterzurückweichen.E<strong>in</strong> Taschenmesser wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Männer gezogen und klappte auf. Bösartigblitzte <strong>die</strong> bee<strong>in</strong>drucken<strong>de</strong> Kl<strong>in</strong>ge im schwachen Licht <strong>de</strong>s Feuers.„Geh, Patrick!“ E<strong>in</strong>e ruhige und <strong>in</strong> ihr Schicksal ergebene Stimme, <strong>die</strong> Fowley gehörte.„Ich sehe dich auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite bei Keith und Esther. Geh, Sub!“Machtlos warf Patrick Lan<strong>de</strong>r sich nach vorne. Er konnte nichts tun, weil es nichts zu tungab. Er sah nur das Messer und zielte auf <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>ge, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Absicht, sich h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zustürzen.Es war e<strong>in</strong> Befehl gewesen. Daniel Fowleys letzter Befehl.Was genau geschah, wusste er selbst nicht e<strong>in</strong>mal, aber <strong>die</strong> Männer riefen überraschtdurche<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, und er lag plötzlich auf <strong>de</strong>m harten, kalten Bo<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> Knie drückte <strong>in</strong>se<strong>in</strong>en Nacken, jemand an<strong>de</strong>rs saß auf se<strong>in</strong>en Be<strong>in</strong>en, und das Opfer fühlte, wie ihmjemand Drittes das Hemd vom Leib riss. Meckern<strong>de</strong>s Gelächter verriet, dass es Benjy


war. Er schien dabei se<strong>in</strong>en Spaß zu haben. „Krieg ich dich, Pastorensöhnchen. Nach all<strong>de</strong>n Jahren bekomme ich e<strong>in</strong>en von euch Navyp****** <strong>in</strong> <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger. Na los, br<strong>in</strong>g michdoch um, wie du es angekündigt hast!“Das Messer wur<strong>de</strong> plötzlich fühlbar. Die Kl<strong>in</strong>ge berührte Lan<strong>de</strong>rs Haut.„Atención, Benjy! Cálmate, Amigo.“ Das klang befehlend, aber <strong>de</strong>r Tonfall wur<strong>de</strong> etwassanfter. „Teniente Daniel, wir wissen, dass Sie von <strong>de</strong>r Mar<strong>in</strong>a <strong>de</strong> Guerra Real <strong>de</strong>s HausesBretonia kommen. Me<strong>in</strong>e sieben Amigos hier s<strong>in</strong>d aus Liberty. Von <strong>de</strong>n Lane Hackers undLiberty Rogues, um genau zu se<strong>in</strong>. Es liegt jetzt ganz bei Ihnen. Entwe<strong>de</strong>r TenienteLan<strong>de</strong>r wird schnell sterben, o<strong>de</strong>r Amigo Benjy wird ihm <strong>die</strong> Haut <strong>in</strong> Fetzen vom Körperziehen. Gleiches gilt danach für Sie. Sie haben <strong>die</strong> Wahl: schneller Tod o<strong>de</strong>r langsamer.Was wählen Sie, Teniente?“Lan<strong>de</strong>r wollte etwas zu Fowley sagen, aber er bekam ke<strong>in</strong> Wort heraus. Se<strong>in</strong> Kopf warfest auf das Eis gepresst, und er bekam durch se<strong>in</strong>en gequetschten Hals kaum Luft. Nochdazu kam <strong>die</strong> Aussicht, von e<strong>in</strong>em bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Serienvergewaltiger, <strong>de</strong>r sich selbst Schlitzernannte, <strong>in</strong> Scheiben geschnitten zu wer<strong>de</strong>n.„Ich warte, Teniente…“„Ne… nennen Sie mir <strong>de</strong>n Preis für unseren schnellen Tod und nehmen Sie das Messervon se<strong>in</strong>em Rückgrat weg!“ Nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges, leichtes Stocken <strong>in</strong> Fowleys Stimme, abersie klang davon abgesehen fest.„Nur e<strong>in</strong>ige Fragen, Teniente. Danach e<strong>in</strong> sauberer Stich <strong>in</strong>s Herz für Sie bei<strong>de</strong>.“„Das war so nicht abgesprochen, Emanuel! Ich will…“ Der Alte lachte ausnahmsweisee<strong>in</strong>mal nicht.„Silencio, Tonto!“„Fragen Sie.“ Für Lan<strong>de</strong>r war genau zu hören, was es Fowley kostete ruhig zu bleiben,aber er verlor nicht <strong>die</strong> Nerven.„Wer s<strong>in</strong>d Sie und vom welchem Schiff kommen Sie?“„Lieutenant Daniel Fowley, Zweiter Offizier, und Sub-Lieutenant Patrick Lan<strong>de</strong>r, DritterOffizier von Se<strong>in</strong>er Majestät Patrouillenkreuzer Brisbane.“„Von <strong>de</strong>r Brisbane s<strong>in</strong>d Sie also. Hat dort immer noch Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham dasKommando?“‚Woher ist <strong>de</strong>r so gut <strong>in</strong>formiert?’, durchzuckte e<strong>in</strong> Gedanke Lan<strong>de</strong>rs Gehirn.„Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham ist seit e<strong>in</strong>igen Wochen tot. Fragen Sie mich nicht genau, wie langedas jetzt her ist, weil wir nicht e<strong>in</strong>mal wissen, welchen Tag wir heute haben.“Die Laienärzt<strong>in</strong> sagte etwas zu <strong>de</strong>m Mann, <strong>de</strong>r das Verhör leitete.„Und Capta<strong>in</strong> Erasmus Raven hat seit<strong>de</strong>m das Kommando an Bord, ja?“Die bei<strong>de</strong>n wussten wirklich sehr gut Bescheid. Zu gut!Auch Daniel Fowley war auf <strong>de</strong>r Hut und verstand. „Ich <strong>de</strong>nke, dass Sie es längst sehrgenau wissen. Comman<strong>de</strong>r Raven nennt sich erst seit <strong>de</strong>r Meuterei an Bord selbstCapta<strong>in</strong>, wovon Sie augensche<strong>in</strong>lich Kenntnis haben. Wieso fragen Sie also?“Lan<strong>de</strong>r sah nicht das Nicken, aber er spürte, wie <strong>die</strong> Spitze <strong>de</strong>r Kl<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>e Hautdurchdrang, und keuchte auf, als Benjy sie langsam und genüsslich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r entstan<strong>de</strong>nenWun<strong>de</strong> herumdrehte.„Ne<strong>in</strong>!“„Ke<strong>in</strong>e Fragen von Ihnen, Teniente. Wie viele Fusionsbomben hatten Sie an Bord?“In Patrick Lan<strong>de</strong>r rangen <strong>de</strong>r Wunsch, dass Fowley um Gottes willen schweigen möge,und das Wissen, dass jenes mögliche Schweigen <strong>de</strong>s Lieutenants mit Blut erkauft wer<strong>de</strong>nwür<strong>de</strong>, mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r. Mit se<strong>in</strong>em Blut. Er versuchte, se<strong>in</strong>e Pe<strong>in</strong>iger abzuschütteln, aber <strong>die</strong>bei<strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen, <strong>die</strong> auf ihm knieten o<strong>de</strong>r saßen, machten ihren Job gut. Er konntesich nicht rühren.Wie<strong>de</strong>r durchbohrte <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>ge <strong>die</strong> Haut, und <strong>die</strong>smal tat es weh. Richtig weh sogar. Nache<strong>in</strong>em heiseren Schrei ruckte Lan<strong>de</strong>rs Körper nach oben, als es sich anfühlte, als obBenjy ihm wirklich unter <strong>die</strong> Haut schnitt. Er spürte, wie etwas Warmes se<strong>in</strong>en Rückenentlanglief. Blut.„Zwölf.“ E<strong>in</strong> herausgewürgtes Wort, nach <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r schlimmste Schmerz wie<strong>de</strong>r nachließ.Es schien Lan<strong>de</strong>r, als verharre <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>ge unter se<strong>in</strong>er Haut.„Und wie viele hat Capta<strong>in</strong> Raven <strong>de</strong>n Corsairs angeboten?“„Alle. Es wur<strong>de</strong> jedoch erst e<strong>in</strong>e zusammen mit uns an e<strong>in</strong>en Zoner namens Cly<strong>de</strong> Searleweitergegeben. Der Preis dafür waren neun Millionen Credits. Weiterverkauft hat <strong>de</strong>r sie


wie<strong>de</strong>rum für achtzehn Millionen. Aber woher wissen Sie…“ Fowley verbat sich <strong>die</strong> weitereNachfrage.„Danke, Teniente. En<strong>de</strong>, Benjy.“„Jetzt gehörst du mir, du Hu******* von e<strong>in</strong>em Pastorssohn! Fang schon mal an zubeten, was du ja so gut kannst! Wegen dir und <strong>de</strong><strong>in</strong>esgleichen musste ich damalsCambridge verlassen und b<strong>in</strong> hier gelan<strong>de</strong>t. Bereite dich auf e<strong>in</strong>en langsamen Tod vor!“Die Kl<strong>in</strong>ge ruckte wie<strong>de</strong>r vorwärts, während <strong>de</strong>r Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> sprach. Fast wahns<strong>in</strong>nig vorSchmerz brüllte Lan<strong>de</strong>r auf.„Um Gottes willen, tun Sie doch was! Stoppen Sie ihn! Ich habe doch alles preisgegeben,was Sie hören wollten! Sie haben versprochen, dass es aufhören wird!“„Sagtest du gera<strong>de</strong> Pastorssohn, Benjy?“ Der Akzent <strong>de</strong>s Sprechers verriet, dass er ausLiberty kam.Der Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte kicherte. „Stör mich jetzt nicht, ich habe hier gera<strong>de</strong> me<strong>in</strong>en Spaß.“„Das ist wi<strong>de</strong>rlich, was du da mit <strong>de</strong>m Bretonen machst.“ Das Messer verschwand, da esruckartig herausgezerrt wur<strong>de</strong>.„Lass mich, du Idiot!“„Ne<strong>in</strong>. Emanuel, wenn er wirklich <strong>de</strong>r Sohn von e<strong>in</strong>em Pastor ist, dann soll er nachher mituns beten. Er und se<strong>in</strong> Freund sollen es tun, <strong>de</strong>nn ihre Bombe hat ja unsere Landsleuteerledigt!“„Was?“ E<strong>in</strong>e herausgestoßene, ungläubige Nachfrage <strong>de</strong>s Lieutenants.„Ja, du Bastard! Die Corsairs haben vor e<strong>in</strong>er Woche <strong>die</strong> Bombe auf Planet Manhattanabgeworfen. Eure verdammte Bombe!“„Ne<strong>in</strong>!“ Es war e<strong>in</strong> schriller Schrei.„Wissen Sie, Teniente Fowley, wir mögen zwar nur Krim<strong>in</strong>elle se<strong>in</strong>, und mir persönlich istes relativ egal, was auf Planet Manhattan passiert, aber me<strong>in</strong>e Freun<strong>de</strong> hier kommen ausLiberty. Denen ist es nicht egal. Eure Bomben funktionieren wirklich sehr gut. E<strong>in</strong> heuteangekommener Pilot sagte, es hätte Berichte über mehr als zwei Millionen Tote gegeben.Und das nur, weil euer Scheißmilitär se<strong>in</strong>e eigenen Leute, <strong>die</strong> Zugang zuMassenvernichtungswaffen haben, nicht unter Kontrolle hat.“ Der Chef <strong>de</strong>r Ban<strong>de</strong> klanggleichgültig, aber <strong>die</strong> Worte kamen e<strong>in</strong>er Anklage gleich. E<strong>in</strong>er Anklage, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r sogar<strong>de</strong>n schlimmen Schmerz nahezu vergessen ließ.„Überlasst sie mir, Hugh. Ich serviere sie euch scheibchenweise. Zwei Millionen Teilebekomme zwar selbst ich nicht h<strong>in</strong>, aber e<strong>in</strong>ige Hun<strong>de</strong>rt schon.“„Macht doch alle, was ihr wollt! Jeanne, a<strong>de</strong>lantado! Buenas noches allerseits. Wirwer<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e sehr schöne Nacht haben, aber Sie…“Noch immer knieten <strong>die</strong> Männer auf ihm, und das Messer wur<strong>de</strong> erneut angesetzt. Lan<strong>de</strong>rschrie auf, noch bevor <strong>de</strong>r Schmerz e<strong>in</strong>setzte.Es war zu hören, dass Fowley gegen an<strong>de</strong>re ankämpfte, <strong>die</strong> ihn wie<strong>de</strong>rum festhielten.Die Sache fand jedoch e<strong>in</strong> jähes En<strong>de</strong>, als e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer <strong>de</strong>m Schlitzer das Messer aus<strong>de</strong>r Hand riss und ihn mit Tritten davonjagte.„Was tust du, Dick?“„Ich b<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass wir <strong>de</strong>n Bretonen Gelegenheit geben sollten, ihren Fehlerwie<strong>de</strong>rgutzumachen. Ihre Anwesenheit hier zeigt doch, dass sie nichts damit zu tunhaben.“E<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer hielt dagegen: „Sie waren trotz<strong>de</strong>m Teil <strong>de</strong>s bretonischen Militärs, das solcheMassenvernichtungswaffen überhaupt entwickelt hat und auf se<strong>in</strong>en Schiffen spazierenfliegt! Schiffen, <strong>die</strong> es sich zu<strong>de</strong>m auch noch durch Leute wie <strong>die</strong>sen Raven wegnehmenlässt! Sie bei<strong>de</strong> haben sich das Schiff wegnehmen lassen!“„Trotz<strong>de</strong>m hatte ich ke<strong>in</strong>e Lust, weiterh<strong>in</strong> dabei zuzusehen, wie <strong>die</strong>ser Bekloppte e<strong>in</strong>emhalben K<strong>in</strong>d, das höchstens e<strong>in</strong> Jahr lang Uniform getragen hat, <strong>die</strong> Haut vom Rückenpult. Nennt mich empf<strong>in</strong>dlich, wenn ihr wollt, aber das muss ich echt nicht haben. Daskotzt mich e<strong>in</strong>fach nur an. Erschießt <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n, wenn ihr euch dadurch besser fühlt, o<strong>de</strong>rme<strong>in</strong> Vorschlag wäre, dass wir <strong>de</strong>n Pastorssohn e<strong>in</strong>e Andacht abhalten lassen. Die bei<strong>de</strong>nBretonen sollen sehen, was sie unserem Volk angetan haben und dafür büßen, aber nichtso, wie <strong>de</strong>r verrückte Benjy das vorhat. Verantworten müssen sie sich sowieso nur vor<strong>de</strong>m Schöpfer!“„Ich danke Ihnen und kann Ihnen versichern, dass wir alles getan haben, um <strong>de</strong>nVerkauf <strong>de</strong>r Bombe zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn“, rechtfertigte Fowley sich.


„Nur nicht beson<strong>de</strong>rs erfolgreich, wie ich fürchte. Wenn ihr es gewollt hättet, wärt ihr <strong>in</strong><strong>de</strong>r Lage gewesen, das Schiff <strong>in</strong> <strong>die</strong> Luft zu jagen. Ihr habt es jedoch unterlassen, unddaher klebt das Blut unserer Landsleute an euren Hän<strong>de</strong>n.“„So e<strong>in</strong>fach war das nicht!“, verteidigte Fowley sich schwach.„Natürlich. Es ist nie e<strong>in</strong>fach. Und doch passiert es. Kümmern Sie sich um IhrenOffizierskamera<strong>de</strong>n. Er soll sich schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> Gebet überlegen, das er nachher fürzwei Millionen tote Zivilisten spricht. Und Sie kommen auch, Fowley. Es ist mirscheißegal, ob Sie an Gott glauben o<strong>de</strong>r nicht, aber ich will Sie auch vor Ihrem Freundknien und beten sehen!“„Ich wer<strong>de</strong> kommen und mit Ihnen allen beten.“„Dann ist ja gut. An Ihrer Stelle wür<strong>de</strong> ich jedoch ab jetzt beim Schlafen immer e<strong>in</strong> Augeoffen halten. Benjy könnte Ihnen bei<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht sonst <strong>die</strong> Kehlen durchschnei<strong>de</strong>n.Das hat er hier auf Kalhmera schon so manches Mal gemacht.“Lan<strong>de</strong>r spürte, wie ihn starke Hän<strong>de</strong> aufhoben und hochlegten.„Hier ist se<strong>in</strong> Hemd o<strong>de</strong>r vielmehr das, was davon noch da ist. Verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie ihm damit<strong>de</strong>n Rücken, sodass er aufhört, wie e<strong>in</strong> angestochenes Schwe<strong>in</strong> zu bluten!“„Danke für alles.“„Danken Sie mir nicht zu früh. Sie bei<strong>de</strong> haben <strong>de</strong>n Gottes<strong>die</strong>nst noch vor sich. Wenn <strong>de</strong>rKle<strong>in</strong>e es nicht schafft, s<strong>in</strong>d Sie bei<strong>de</strong> garantiert dran.“„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r ist e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r besten Offiziere unserer Navy.“Das waren <strong>die</strong> letzten Worte, <strong>die</strong> er noch hörte, bevor <strong>die</strong> schwarze Nacht Patrick Lan<strong>de</strong>re<strong>in</strong>hüllte.


Kapitel X – Wen<strong>de</strong>punkte„… Ehre sei <strong>de</strong>m Vater, <strong>de</strong>m Sohn und <strong>de</strong>m Heiligen Geist, wie es war im Anfang, so auchjetzt und <strong>in</strong> alle Zeit und <strong>in</strong> Ewigkeit. Amen.“„Amen.“Nach <strong>die</strong>sem letzten, von allen Leuten wie<strong>de</strong>rholten Wort hob Patrick Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Blick.Es fühlte sich auch nach vielen elendig langen Wochen noch immer wi<strong>de</strong>rnatürlich an,hier vorne zu stehen, aber er hatte dabei wenigstens ke<strong>in</strong> Herzklopfen mehr. Es war soetwas wie e<strong>in</strong>e Aufgabe, <strong>die</strong> er hier erfüllte, und sie schützte ihn sowie Fowley, da siebei<strong>de</strong> dadurch anerkannt wur<strong>de</strong>n. Er spielte Pastor. Nur auf <strong>de</strong>n Segen, <strong>de</strong>n se<strong>in</strong> Vaterimmer nach <strong>de</strong>r Predigt spen<strong>de</strong>te, verzichtete er, da er nicht allzu anmaßend se<strong>in</strong> wollte.Außer<strong>de</strong>m wäre es sowieso nicht richtig gewesen, <strong>die</strong>se Leute zu segnen.Die anwesen<strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen setzten ihre Mützen auf, sofern sie welche besaßen, undverließen nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Seitenstollen <strong>de</strong>r M<strong>in</strong>e.Daniel Fowley, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ersten Reihe gestan<strong>de</strong>n hatte, kam zu ihm herüber gehumpelt.Er war <strong>in</strong> all <strong>de</strong>n langen Wochen o<strong>de</strong>r Monaten immer dagewesen, wenn Lan<strong>de</strong>r dasgehalten hatte, was <strong>de</strong>r Lieutenant im Allgeme<strong>in</strong>en nur Predigt nannte. Da wi<strong>de</strong>rsprachLan<strong>de</strong>r ihm stets, <strong>de</strong>nn Predigten hielten nur richtige Geistliche. Er h<strong>in</strong>gegen war Offizier<strong>de</strong>r Royal Navy, wenn auch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Akte stehen mochte, dass er verschollen und dahertot war. Er war we<strong>de</strong>r geweiht noch wollte er es machen. Natürlich tat er esgewissenhaft, da er je<strong>de</strong> Woche m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kirche hatte gehen müssen,seit er hatte laufen können. Irgendwann kannte man e<strong>in</strong>fach alle Gebetstexte auswendig.Weil er jedoch hier <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser M<strong>in</strong>e auf Kalhmera <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige mit <strong>die</strong>sem Wissen war, hielter eben so etwas wie e<strong>in</strong>e Andacht ab. Auch Mör<strong>de</strong>r und Diebe glaubten <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelfällen anGott.Da weit mehr als tausend Menschen <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Teil <strong>de</strong>r M<strong>in</strong>e Eis mit Spitzhacken abtrugenund <strong>in</strong> Loren zum Ausgang fuhren, kamen eben e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Woche gut sechzig Leutezusammen, wenn er für sie vorbetete. An jenem Tag vor Monaten, als er es zum erstenMal getan hatte, wenn auch unfreiwillig, waren es über siebenhun<strong>de</strong>rt Menschengewesen, <strong>die</strong> ihm zugehört hatten. Sie alle waren gee<strong>in</strong>t wor<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n Schock über<strong>die</strong> schlagartige Vernichtung von zwei Millionen Menschen durch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Bombe.E<strong>in</strong>e bretonische Bombe. Stotternd und blutend hatte er vor ihnen allen gekniet, nebensich <strong>de</strong>n ebenso erschütterten Fowley.Sie hatten an jenem Tag um Verzeihung gebeten, <strong>de</strong>nn sie hatten wirklich versagt. Siehätten vielleicht irgen<strong>de</strong>twas tun können, um zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass zwei MillionenMenschen durch e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige, im Orbit von Manhattan gezün<strong>de</strong>te Fusionsbombe starben.Zwei Millionen, e<strong>in</strong>e riesige und unglaublich anmuten<strong>de</strong> Zahl. Das war ihnen auch je<strong>de</strong>nTag bewusst. E<strong>in</strong> weiterer Grund dafür, wieso er je<strong>de</strong> Woche vor lauter Krim<strong>in</strong>ellenvorbetete. Er hatte eigentlich niemals Geistlicher wer<strong>de</strong>n wollen. Se<strong>in</strong> Vater hatte ihn vorJahren dazu überre<strong>de</strong>n wollen, da es e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bestmöglichen, angesehensten undangenehmsten Berufe auf Planet Leeds war, aber für ihn war es eben nie e<strong>in</strong>e Berufunggewesen. Er glaubte an Gott - wie hätte er es auch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er streng christlichen Familiemit e<strong>in</strong>em Pastor als Vater an<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong> können - aber er wollte nicht selbst Pastorwer<strong>de</strong>n.Statt<strong>de</strong>ssen hatte er e<strong>in</strong>en Beruf ergriffen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er bereits zweimal e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>renMenschen getötet und bis dato auch e<strong>in</strong>ige verletzt hatte. Manchmal, <strong>in</strong> schlechtenMomenten sah er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Verbannung auf <strong>die</strong>se Eishölle Gottes Strafe, aber er wusstenicht, wieso es Fowley mit ihm hätte treffen sollen. Das wäre höchst ungerecht gewesen.Das Schicksal hatte se<strong>in</strong>en Freund im vergangenen Jahr, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m se<strong>in</strong>eZwill<strong>in</strong>gsschwester, se<strong>in</strong> Vater, se<strong>in</strong> bester und auch e<strong>in</strong> weniger guter Freund namensDuncan Avery gestorben waren, bereits hart genug gestraft. Da hätte es <strong>die</strong> Verbannungnach Kalhmera wirklich nicht mehr gebraucht, also war Gott dafür nicht verantwortlich.So e<strong>in</strong>fach sah es Patrick Lan<strong>de</strong>r.Sie waren <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong> gestran<strong>de</strong>t, aber sie lebten. Besitzlos, rechtlos und ihrer Freiheitberaubt versuchten sie <strong>de</strong>nnoch, <strong>die</strong> Hoffnung auf Rettung nicht zu verlieren und ihremenschliche Wür<strong>de</strong> zu bewahren. Das Leben hier nahm sie sehr gut <strong>in</strong> Anspruch. DieTage <strong>in</strong> <strong>de</strong>n feuchten M<strong>in</strong>en waren hart und lang, aber sie litten ke<strong>in</strong>e Not. Natürlich


hätten sie bei<strong>de</strong> e<strong>in</strong> paar Kilos mehr auf <strong>de</strong>n Rippen vertragen können, aber <strong>die</strong>ser kle<strong>in</strong>eMangel war nicht gravierend. Sie waren dank ihrer starken körperlichen Konstitutionwenigstens gesund.Und solange Lan<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>m versammelten Publikum von Mitglie<strong>de</strong>rn aller vier Häuserund praktisch je<strong>de</strong>r krim<strong>in</strong>ellen Fraktion betete, griff sie auch ke<strong>in</strong>er an, und mangewährte ihnen gewisse Vorteile. Das konnten e<strong>in</strong>ige wenige Nahrungspillen für e<strong>in</strong>Gebet se<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> besseres Kleidungsstück e<strong>in</strong>es Toten für e<strong>in</strong>e durchwachte Nacht amKrankenbett. Manchmal sogar so etwas Kostbares wie e<strong>in</strong>e Rasierkl<strong>in</strong>ge, damit sie sich<strong>die</strong> verfilzen<strong>de</strong>n Bärte und ihr Haar kurz halten konnten. Je<strong>de</strong>r hier wusste, wer siewaren und woher sie kamen, aber ihre Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> ignorierten sie, da es überall jeman<strong>de</strong>ngab, <strong>de</strong>r für Lan<strong>de</strong>r Partei ergriff, wenn se<strong>in</strong> Kopf gefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>. Während Lan<strong>de</strong>r<strong>de</strong>rart immun und von e<strong>in</strong>igen Leuten gar geschätzt war, vergriff sich wie<strong>de</strong>rum auchniemand an Fowley. Sie taten nieman<strong>de</strong>m weh, und niemand tat ihnen weh. Es war e<strong>in</strong>eArt sensibler Waffenstillstand, mit <strong>de</strong>m alle Seiten leben konnten. Insbeson<strong>de</strong>re sie.Das Wichtigste für sie war jedoch, dass sie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r hatten. Genau genommen hatte sichke<strong>in</strong>er von ihnen <strong>in</strong> all <strong>de</strong>r Zeit mehr als wenige Meter vom an<strong>de</strong>ren entfernt. Was sietaten, machten sie geme<strong>in</strong>sam, und Lan<strong>de</strong>r hätte etwas gefehlt, wenn Fowley auf e<strong>in</strong>malnicht mehr dagewesen wäre. Sie teilten alles. Er<strong>in</strong>nerungen, Emotionen, das Essen undseit ihrem Verlassen <strong>de</strong>s Krankenreviers auch das schmale Holzbrett alias Bett nebst <strong>de</strong>rDecke. Letztere wie<strong>de</strong>rum <strong>in</strong>klusive <strong>de</strong>s lästigen, immerwähren<strong>de</strong>n Ungeziefers.Gegenseitige Wärme war sehr praktisch gegen <strong>die</strong> Kälte und spen<strong>de</strong>te dazu Trost.„Auf zum Aben<strong>de</strong>ssen“, for<strong>de</strong>rte Fowley nun. „Du hast heute mal wie<strong>de</strong>r überzogen.“„Ke<strong>in</strong>e Ahnung.“ Lan<strong>de</strong>r wusste, dass <strong>die</strong> Kritik nicht wirklich ernst geme<strong>in</strong>t war. Als erFowley e<strong>in</strong>mal gefragt hatte, ob er an Gott glaube, hatte <strong>de</strong>r Lieutenant ‚Sporadisch.’geantwortet. Dafür nahm er <strong>die</strong> Gebete mittlerweile jedoch sehr ernst, wie <strong>de</strong>r jüngereOffizier fand.„Hauen wir uns danach h<strong>in</strong>, o<strong>de</strong>r musst du noch e<strong>in</strong>mal zu <strong>de</strong>n Kranken?“„Ich weiß es nicht. Soweit ich weiß, liegt heute niemand im Sterben.“ Lan<strong>de</strong>r wandte sichab und ließ damit <strong>de</strong>n Stollen, <strong>die</strong> säuberlich aufgestapelten Hacken und <strong>die</strong> leeren Lorenvollends h<strong>in</strong>ter sich. Für heute war Schluss, und se<strong>in</strong> schmerzen<strong>de</strong>r, überbeanspruchterRücken war dafür dankbar. Die zusätzliche Rast wür<strong>de</strong> ihm gut tun. Dass manchmalLeute auf <strong>de</strong>m Sterbe- o<strong>de</strong>r Krankenbett nach se<strong>in</strong>er Präsenz verlangten, damit er mitihnen zusammen betete, nahm er eben auch als Preis für ihr Überleben <strong>in</strong> Kauf. Erverteilte ja schließlich we<strong>de</strong>r Segen noch Absolution. Er betete nur auf Anfrage für dasSeelenheil <strong>de</strong>s Kranken. Auch da war Fowley stets mit von <strong>de</strong>r Partie. Das hatte neben<strong>de</strong>m grundsätzlichen Pr<strong>in</strong>zip, alles nur zusammen zu tun, auch noch e<strong>in</strong>en weiterenguten Grund.„Umso besser. Dann läuft uns wenigstens <strong>die</strong>ser Geistesgestörte nicht schon wie<strong>de</strong>r über<strong>de</strong>n Weg. Ich frage mich nur, wann er endlich e<strong>in</strong>sieht, dass er uns nicht umbr<strong>in</strong>genkann.“„Gar nicht, wenn du mich fragst. Er wird es so lange versuchen, bis er bei e<strong>in</strong>em von unsErfolg hat“, prophezeite Lan<strong>de</strong>r düster.„Gott behüte!“ Se<strong>in</strong> Freund verfiel neben ihm <strong>in</strong> so etwas wie Gleichschritt.Lan<strong>de</strong>r passte sich <strong>de</strong>m an, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Fuß <strong>de</strong>s Lieutenants war nicht voll belastbar. DanielFowley humpelte, da <strong>de</strong>r Knöchel nie ganz ausgeheilt war. Genauso wie <strong>die</strong> gebliebenenNarben <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em GesichtAuch <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant hatte bleiben<strong>de</strong> Narben, <strong>die</strong> ihn für immer an se<strong>in</strong>en bl<strong>in</strong><strong>de</strong>nLandsmann Benjy und <strong>die</strong> Folter er<strong>in</strong>nern wür<strong>de</strong>n. Se<strong>in</strong> Rücken sah laut Fowley, <strong>de</strong>n ere<strong>in</strong>mal danach gefragt hatte, noch immer sehr schlimm aus und fühlte sich wie e<strong>in</strong>eKraterlandschaft mit Bergen und Tälern an. Lan<strong>de</strong>r war froh, das nie gesehen zu haben.Sie sprachen darüber e<strong>in</strong>fach nicht. Genauso wenig wie über <strong>die</strong> entstellen<strong>de</strong>n Narben <strong>in</strong>Fowleys Gesicht, wo e<strong>in</strong> Corsair <strong>in</strong> Searles Gegenwart Zigaretten ausgedrückt hatte o<strong>de</strong>rwo Schläge tiefe Wun<strong>de</strong>n gerissen hatten, <strong>die</strong> eigentlich hätten genäht wer<strong>de</strong>n müssen.Der ehemals attraktive Daniel Fowley sah überhaupt nicht mehr wie früher aus, aber erhatte sich nie selbst im Spiegel gesehen. Genauso wenig wie Lan<strong>de</strong>r seither se<strong>in</strong>enRücken gesehen hatte.An jenem schlimmen Tag hatte Fowley ihn nach <strong>de</strong>r Folter notversorgt. Die richtigeVersorgung war Stun<strong>de</strong>n später gekommen, nach<strong>de</strong>m Lan<strong>de</strong>r halb im Delirium wie


verlangt vor siebenhun<strong>de</strong>rt Mann für <strong>die</strong> Toten auf Manhattan gebetet hatte. Und<strong>in</strong>nerlich für e<strong>in</strong> rasches En<strong>de</strong> jener grausamen Schmerzen. Danach hatte <strong>die</strong> Laienärzt<strong>in</strong>namens Jeanette o<strong>de</strong>r Jeanne, wie sie auch immer heißen mochte, ihm geholfen. Siehatte das genäht, was Stun<strong>de</strong>n später noch genäht wer<strong>de</strong>n konnte. Den Rest hatte sieteilweise entfernt. Deswegen <strong>die</strong> Berge und Täler. Wegen <strong>de</strong>s rohen, blutigen Fleischeshatte er wochenlang e<strong>in</strong>en Verband tragen müssen, während Fowley mehrfach am Tag<strong>die</strong> Insekten ablas. Zum Glück hatte <strong>die</strong> Navy <strong>die</strong> s<strong>in</strong>nvolle Vorschrift, dass alle <strong>in</strong> ihr<strong>die</strong>nen<strong>de</strong>n Offiziere und Mannschaften stets gegen Wundstarrkrampf geimpft se<strong>in</strong>mussten. Sonst hätte er jene Zeit wohl nicht lebend überstan<strong>de</strong>n.„Ich habe heute Morgen von e<strong>in</strong>em richtigen Frühstück mit Tee und allem Drum undDran geträumt, Patrick. Es war wun<strong>de</strong>rvoll. Das habe ich dir noch nicht erzählt, o<strong>de</strong>r?“,wechselte Fowley rasch das Thema, da sie auf ke<strong>in</strong>en Fall über Benjy sprechen wollten.„Ne<strong>in</strong>, hast du nicht.“In Wahrheit hatte er Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n halben Tag davon vorgeschwärmt, bis <strong>die</strong>sem auch dasWasser im Mund zusammengelaufen war. Seit langer Zeit hatten sie ke<strong>in</strong>e Nahrung mehrgesehen, außer <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en, gelblichen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten künstlich hergestelltenTabletten.„Ich sage dir, das Frühstück war riesig! Der Tisch hat sich durchgebogen - und erst <strong>de</strong>rTee! Richtiger schwarzer Tee! Ich habe geträumt, dass ich mir <strong>de</strong>n Mund daran verbrannthabe.“Niemand wusste, wie sehr <strong>de</strong>r Mensch heiße Getränke vermissen konnte, außer er hatteschon seit Wochen o<strong>de</strong>r Monaten ke<strong>in</strong> warmes Getränk mehr gehabt. Das Wasser <strong>in</strong> <strong>de</strong>nM<strong>in</strong>en war kalt. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn es gab ja ke<strong>in</strong>e Wasserzuteilung als solche. Werdurstig war, brach sich e<strong>in</strong>en Eisbrocken ab und lutschte ihn. Auf <strong>de</strong>n Luxus e<strong>in</strong>es Feuerszum Erwärmen <strong>de</strong>s Wassers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er alten Dose mussten sie verzichten, seit Fowley undLan<strong>de</strong>r das Krankenrevier verlassen hatten.„Du wirst mich nie zum Teefan machen, Daniel. Mir wür<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Tasse heißes Wasserreichen, um glücklich zu se<strong>in</strong>. Richtig selig wäre ich, wenn ich Kaffee vorgesetztbekäme.“„Banause!“, urteilte Fowley.„Teetr<strong>in</strong>ker!“„Neunzig Prozent unseres Volkes tr<strong>in</strong>ken Tee. Das s<strong>in</strong>d neun von zehn Leuten. Wieso bistdu ausgerechnet Nummer zehn?!“„Woher soll ich das wissen? Warum ist e<strong>in</strong>e Kugel rund?“„Weil sie nicht eckig ist!“„Klasse Erklärung, Daniel.“Sich <strong>de</strong>rartig im Scherz streitend betraten sie <strong>de</strong>n langen Ruhestollen. Es war nichtsan<strong>de</strong>res als e<strong>in</strong> ehemaliger Schürfstollen, <strong>de</strong>r mit auf halber Höhe <strong>in</strong>s Eis gehauenenNischen auf bei<strong>de</strong>n Seiten Platz für das Brett alias Bett bot. Und zwar hun<strong>de</strong>rtfach.„Holen wir noch <strong>die</strong> Pillen. Du kannst dir ja e<strong>in</strong>bil<strong>de</strong>n, es wäre Toast.“„Ja, richtig dick mit Orangenmarmela<strong>de</strong> bestrichen!“„Wer mag <strong>de</strong>nn schon Orangenmarmela<strong>de</strong>?“ Noch so e<strong>in</strong>e Speise, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r nicht lei<strong>de</strong>nkonnte.„Ich zum Beispiel?“ Fowley humpelte schneller. „Ich kann <strong>de</strong>n Toast sogar riechen!“„Jetzt sp<strong>in</strong>nst du aber!“ Vorne wür<strong>de</strong> nur <strong>de</strong>r Corsair <strong>de</strong>r Wache stehen und ihnen ihreTagesration Nahrungspillen aushändigen. Sie wür<strong>de</strong>n wie üblich bis morgen Abend zurgleichen Zeit reichen müssen. Lan<strong>de</strong>r wusste das, und Fowley natürlich auch.Wichtig war nur, <strong>die</strong> Stimmung <strong>de</strong>r Wache abzuschätzen, bevor man sie ansprach.Ansonsten hagelte es schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Schlag <strong>in</strong>s Gesicht, e<strong>in</strong>en schmerzhaften Hiebmit <strong>de</strong>r Waffe o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Tritt.Die Krim<strong>in</strong>ellen zu überwältigen war jedoch s<strong>in</strong>nlos. Sie waren zwar genug Gefangene,aber wie Lan<strong>de</strong>r gehört hatte, gab es ke<strong>in</strong>e Schiffe auf Kalhmera. Sie kamen nur höchstselten, und niemand wusste, wann. Die M<strong>in</strong>e war schwer bewacht und nach außen h<strong>in</strong>abgeriegelt. Das musste sie auch se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn draußen war ke<strong>in</strong>e Atmosphäre. Nur dasVakuum und das Eis. Unter <strong>die</strong>sen Umstän<strong>de</strong>n war e<strong>in</strong>e Flucht Utopie, und sie wusstenes. Trotz<strong>de</strong>m weigerten sie sich, <strong>die</strong> Hoffnung aufzugeben. Gera<strong>de</strong> Patrick Lan<strong>de</strong>r warfast besessen von <strong>de</strong>m Gedanken an e<strong>in</strong>e Rückkehr nach Hause. Daniel Fowley h<strong>in</strong>gegen


träumte davon, aber er war realistischer. Es war <strong>de</strong>m Sub-Lieutenant zu verdanken, dasser überhaupt noch hoffte und nicht längst verzagt war.Zwei <strong>de</strong>r Corsairs stan<strong>de</strong>n im relativ starken Licht <strong>de</strong>r Benz<strong>in</strong>lampen beie<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r. E<strong>in</strong>ertrat jetzt zurück und g<strong>in</strong>g, als er Fowley und Lan<strong>de</strong>r kommen sah. Es war sche<strong>in</strong>bar <strong>de</strong>rVorgesetzte, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Posten kontrollierte.Die Corsairs schickten auch nicht gera<strong>de</strong> ihre Elite nach Kalhmera, aber irgendwermusste <strong>de</strong>n Job hier oben machen. Deswegen waren e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Bewaffneten auchstrohdumm, wie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Bretonen schnell herausgefun<strong>de</strong>n hatten. Sich mit ihnenanzulegen war trotz<strong>de</strong>m nicht ratsam, <strong>de</strong>nn brutal waren sie mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r alle. Siehassten alles und je<strong>de</strong>n, viele von ihnen sich sogar gegenseitig.Der Posten sah sie kommen und entfernte sich von ihnen. Es war e<strong>in</strong> Spiel für ihn, um siezu ärgern. Er wandte ihnen <strong>de</strong>n Rücken zu, aber <strong>de</strong>r nächste Bewaffnete stand ja auchnur zwanzig Meter entfernt und sah nebst <strong>de</strong>m Vorgesetzten herüber.Lan<strong>de</strong>r beschleunigte se<strong>in</strong>e Schritte und ließ <strong>de</strong>n Lieutenant etwas h<strong>in</strong>ter sich zurück.„Mister?!“Mit e<strong>in</strong>er raschen Bewegung blieb <strong>de</strong>r Corsair stehen und ließ Lan<strong>de</strong>r auflaufen. Es kamso unvermittelt, dass <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant wirklich nicht mehr stoppen konnte.Als Reaktion bekam er e<strong>in</strong>en Ellenbogen <strong>in</strong>s Gesicht und schlug unter <strong>de</strong>m brutalen Stosse<strong>in</strong>es Waffenkolbens hart auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n auf.„Patrick!“Als Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf hob, sah er, dass <strong>de</strong>r Corsair auf Fowley angelegt hatte. DerLieutenant war stehen geblieben und starrte mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf <strong>die</strong>Waffe sowie <strong>de</strong>n lang h<strong>in</strong>gestreckten Freund.„Nicht bewegen, Daniel!“, rief Lan<strong>de</strong>r ihm zu, aber Fowley war sowieso wie e<strong>in</strong>gefroren.In all <strong>de</strong>n Wochen war ihnen so etwas noch nie passiert.Noch während Lan<strong>de</strong>r verzweifelt überlegte, wie er <strong>de</strong>n Corsair wohl davon abbr<strong>in</strong>genkonnte, mit <strong>de</strong>r garantiert entsicherten Waffe weiter auf Fowley zu zielen, hörte er e<strong>in</strong>eStimme jene Sprache sprechen, <strong>die</strong> hier draußen Spanisch hieß. Die Sprache <strong>de</strong>r Corsairsund Outcasts, wie er mittlerweile wusste.Der leise Schrei Fowleys bestätigte ihm, dass es ke<strong>in</strong> Traum war. Auch Lan<strong>de</strong>r fühltedumpfes Entsetzen.„Komm her, Bretone! Und zwar etwas plötzlich!“Der verme<strong>in</strong>tliche Vorgesetzte war ke<strong>in</strong> Corsair, son<strong>de</strong>rn Cly<strong>de</strong> Searle!Wenn se<strong>in</strong> Freund richtig laufen könnte und nicht zwei Corsairs <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Zugangsabschnittgewesen wären, hätte Lan<strong>de</strong>r sich zwischen <strong>de</strong>n Lieutenant und <strong>die</strong> Waffe gestürzt undihm zugebrüllt, zu rennen. Es gab zwar nicht viele Möglichkeiten, woh<strong>in</strong>, aber es stand zuhoffen, dass <strong>die</strong> Wachen nicht h<strong>in</strong>terherlaufen wür<strong>de</strong>n. Faulheit siegte bei <strong>de</strong>n Corsairsoft.Unter <strong>de</strong>n gegebenen Umstän<strong>de</strong>n richtete er sich aber nur langsam auf, während Searleauf ihn zug<strong>in</strong>g und Fowley langsam mit über <strong>de</strong>n Kopf erhobenen, zittern<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>nherankam. Zum Wegrennen war es zu spät, und <strong>de</strong>r Versuch hätte sowieso be<strong>de</strong>utet,Lan<strong>de</strong>r zurückzulassen. Fowley hätte das nicht ernsthaft <strong>in</strong> Betracht gezogen, das wussteer. Es war clever gewesen, zuerst ihn als Bewegungsfähigeren heranzulocken undsystematisch auszuschalten. Auf <strong>die</strong>se Weise fiel ihnen <strong>de</strong>r bee<strong>in</strong>trächtigte Fowley leichtmit <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong>, ohne fliehen zu können. Die Corsairs wussten ja bestens Bescheid undkannten ihre Gefangenen.Die tief begrabene Er<strong>in</strong>nerung an jenen Horrorflug <strong>in</strong> Ketten durchflutete Lan<strong>de</strong>r. Es gabdoch noch e<strong>in</strong>e schlimmere <strong>Hölle</strong> als Kalhmera, er hatte sie nur vergessen wollen.Wie<strong>de</strong>r sprach Searle Spanisch, und <strong>de</strong>r Corsair lachte. Als <strong>de</strong>r Zoner <strong>die</strong> Worte jedochwie<strong>de</strong>rholte, runzelte <strong>de</strong>r Corsair <strong>die</strong> Stirn und antwortete ärgerlich. Erst beim dritten Malund unter Nachdruck durch e<strong>in</strong>e gezogene Pistole <strong>de</strong>s Zoners, <strong>die</strong> sehr teuer aussah, gab<strong>de</strong>r Corsair nach. Er griff <strong>in</strong> <strong>die</strong> Tasche und holte das hervor, weshalb <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>nBretonen ursprünglich hierher gekommen waren.Das Abzählen und E<strong>in</strong>stecken ihrer vier Pillen durch Searle machte Lan<strong>de</strong>r endgültig klar,dass se<strong>in</strong> Freund und er verloren waren. Der Händler wür<strong>de</strong> sie mitnehmen. Warumsonst hätte er wohl auch herkommen sollen?„Bewegung!“ Searle w<strong>in</strong>kte mit <strong>de</strong>r Waffe.


Lan<strong>de</strong>r rappelte sich mühsam hoch und kassierte e<strong>in</strong>en Tritt <strong>de</strong>s Corsairs, weil er nichtschnell genug war. Fowley, <strong>de</strong>r jetzt endlich nicht mehr durch <strong>die</strong> Waffe <strong>de</strong>r Wachebedroht wur<strong>de</strong>, fasste hastig zu und zerrte Lan<strong>de</strong>r hoch.„Alles, aber nicht er!“, flüsterte se<strong>in</strong> Freund erschüttert.„Schnauze!“, befahl Searle. „Zeigt eure Hän<strong>de</strong> her, dass ich sie sehen kann!“Durch e<strong>in</strong>e flüchtige Berührung gab Lan<strong>de</strong>r zu verstehen, dass er genauso fühlte. Dannhob er genau wie Fowley <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> und faltete sie h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Kopf. Mittlerweile kanntensie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r sowieso so gut, dass sie eigentlich ke<strong>in</strong>e Worte mehr brauchten.Gera<strong>de</strong> hatten sie noch über bretonisches Frühstück und somit <strong>in</strong>direkt über Fluchtphilosophiert, jetzt mussten sie plötzlich wie<strong>de</strong>r um ihr Leben fürchten. Letztes Mal warensie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand <strong>die</strong>ses Mannes be<strong>in</strong>ahe vor Durst und Hunger umgekommen, und Fowleywar gefoltert wor<strong>de</strong>n. Dass se<strong>in</strong> Freund genau daran jetzt auch dachte, wusste Lan<strong>de</strong>r. Erh<strong>in</strong>gegen konnte nur an <strong>die</strong> Ketten auf <strong>de</strong>m Frachter und an <strong>die</strong> relative Geborgenheit<strong>de</strong>r Eism<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>ter ihnen <strong>de</strong>nken. Wie gerne wäre er jetzt dorth<strong>in</strong> zurückgekehrt!Zum ersten Mal betraten sie bewusst jenen Stollen, durch <strong>de</strong>n es h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>- und herausg<strong>in</strong>g.Es war <strong>de</strong>r Weg, <strong>de</strong>n auch <strong>die</strong> Loren voller Eis immer nahmen. Jener Weg, auf <strong>de</strong>m mansie damals nach <strong>de</strong>m Transport halbverhungert und bewusstlos <strong>in</strong> <strong>de</strong>n För<strong>de</strong>rstollengebracht hatte.Sie durchschritten e<strong>in</strong>e Schleuse, <strong>die</strong> für sie geöffnet wor<strong>de</strong>n war. Dah<strong>in</strong>ter waren sie an<strong>de</strong>r Oberfläche angekommen, <strong>de</strong>nn h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>r Schleuse lag e<strong>in</strong> überirdischer Hangar. Eswar fast so, als wären sie im regulierten Raum. Die Corsairs fühlten sich hier vor ihrereigenen Haustür offensichtlich so sicher, dass sie auf Kalhmera überirdisch bauten.Mehrere Loren wur<strong>de</strong>n gera<strong>de</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Frachter verla<strong>de</strong>n. Was im Stollen erzählt wur<strong>de</strong>,war alles gelogen gewesen! Es gab hier viele Schiffe und sogar e<strong>in</strong>ige riesige Jäger, <strong>die</strong>Lan<strong>de</strong>r noch nie gesehen hatte. Das waren sicherlich Titans. Fowley hatte ihm davonerzählt.An <strong>de</strong>n Seitenwän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s riesigen Hangars g<strong>in</strong>gen weitere Schleusen ab. Womöglichweitere Stollen? Waren sie nur so wenig von weiteren Tausen<strong>de</strong>n Gefangenen entferntgewesen? Vielleicht sogar von Landsleuten wie <strong>de</strong>r Crew <strong>de</strong>s Asteroid M<strong>in</strong>ersCommonwealth? Es wäre so schön gewesen, wie<strong>de</strong>r richtigen Umgang mit an<strong>de</strong>renBretonen zu haben, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e Krim<strong>in</strong>ellen waren.Searle sah Lan<strong>de</strong>rs Blick zu <strong>de</strong>n Schleusen und <strong>de</strong>n Jägern. Das Lächeln <strong>de</strong>sschwarzhaarigen Grenzweltlers mit <strong>de</strong>m fettigen Haarzopf war grausam. „Ja, schaut eseuch nur an. Ich habe euch für fünf Monate hierher verliehen, damit ihr Gehorsam lerntund wisst, wo euer Platz ist. Nun hole ich euch wie<strong>de</strong>r ab. Falls ihr mich <strong>die</strong>smalenttäuscht, gibt es ke<strong>in</strong>en Platz mehr für euch, son<strong>de</strong>rn nur noch <strong>die</strong> Kugel. E<strong>in</strong>Gefangener, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> M<strong>in</strong>en von Kalhmera lebend verlässt, ist für <strong>die</strong> Corsairs wertlos. Ihrseht, wieso. E<strong>in</strong> Wort von ihm, und alle wür<strong>de</strong>n ausbrechen. Ohne <strong>die</strong>ses Wissen glaubensie, dass es nicht machbar ist, und <strong>die</strong> Corsairs haben ihre Ruhe. Da ihr hier ab jetztnicht mehr zu gebrauchen seid, ist euer Platz entwe<strong>de</strong>r bei mir o<strong>de</strong>r nirgendwo. Merkteuch das!“ Searle gestikulierte auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>m Frachter. „H<strong>in</strong>knien!“Wenn das vergangene halbe Jahr Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong>sgesamt etwas gelehrt hatte, war esGehorsam. Mit e<strong>in</strong>em Grenzweltler, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Waffe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand hatte, stritt man nicht,außer man hegte klare Selbstmordabsichten. Dafür war es aber noch zu früh. Noch warer nicht gewillt, alle Hoffnung aufzugeben.Fowley neben ihm atmete schwer von <strong>de</strong>m für ihn zu raschen und anstrengen<strong>de</strong>n Laufnach oben. Es waren ja auch weit mehr als zwei Kilometer gewesen, wie Lan<strong>de</strong>r schätzte.Fast zeitgleich g<strong>in</strong>gen sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Knie.Searle machte sich an <strong>de</strong>m Frachter zu schaffen, und <strong>die</strong> Luke sprang auf.„Los, re<strong>in</strong> mit euch!“Fowley war so erschöpft, dass er nicht hochkam. Se<strong>in</strong> schwacher Knöchel knickte weg.Searle richtete <strong>die</strong> Waffe auf ihn, um ihn anzutreiben, und beobachtete <strong>de</strong>n Lieutenantaufmerksam. Zu aufmerksam. Lan<strong>de</strong>r fasste zu, aber e<strong>in</strong> scharfes: „Lass ihn!“ unterban<strong>de</strong>s.„Komm schon!“, fluchte Lan<strong>de</strong>r fast unhörbar. Er befürchtete, dass auf <strong>de</strong>m Wegwomöglich etwas geschehen war. Vielleicht e<strong>in</strong>e erneute Verletzung.Es g<strong>in</strong>g nicht. Das Be<strong>in</strong> trug Fowleys Gewicht nicht, und ohne Stütze war es ihmunmöglich, hochzukommen.


Als <strong>die</strong> Mündung auf <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>s sich abmühen<strong>de</strong>n Offiziers, <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssen Augen Tränen<strong>de</strong>s Schmerzes stan<strong>de</strong>n, gerichtet war, sagte Lan<strong>de</strong>r leise: „Ne<strong>in</strong>! Bitte nicht!“„Was soll ich mit e<strong>in</strong>em Krüppel? Wenn ich es gleich nüchtern beurteilt und mich nichthätte beschwatzen lassen, dann wäre er unten geblieben. Dann hätte ich wenigstens dasGeld für ihn bekommen, wenn man ihn mir abgekauft hätte.“De Gedanke an e<strong>in</strong>e Trennung war so unerträglich für Lan<strong>de</strong>r, dass er bat: „Lassen Siemich ihm helfen. Es wird heilen, und solange wer<strong>de</strong> ich doppelt arbeiten!“„So viel wie er mich kostet, kannst du gar nicht aufwiegen! Wenn du es doch nur wärst,aber <strong>de</strong>r Pimpf lebt und <strong>de</strong>r Brauchbare bricht sich <strong>de</strong>n Fuß. Ungerechtes Scheißleben!Der läuft nie wie<strong>de</strong>r richtig, glaub mir! Vollkommen nutzlos!“Ohne e<strong>in</strong> weiteres Wort machte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Schritt auf Searle zu, <strong>de</strong>r nun reflexartigmit <strong>de</strong>r Waffe auf ihn zielte. Der Sub-Lieutenant überlegte, ob er <strong>de</strong>m geldgeilen Zonervon Fowleys Familienvermögen erzählen sollte, aber er verwarf <strong>de</strong>n Gedanken schnellwie<strong>de</strong>r. Vermutlich hatte Fowley das damals während <strong>de</strong>r Folter schon getan. Was füre<strong>in</strong>en Grund sollte jemand wie Searle haben, ihnen zu glauben? Raven hatte ihm damalsdoch alles möglich erzählen können. Außer<strong>de</strong>m war <strong>de</strong>r Zoner e<strong>in</strong> Geschäftspartner <strong>de</strong>skorrupten Offiziers, wo immer <strong>de</strong>r Kopf <strong>de</strong>r Meuterer mit se<strong>in</strong>em Schiff auch se<strong>in</strong> mochte.Gute Geschäftspartner verärgerte man nicht.„Geh mir aus <strong>de</strong>m Weg!“ E<strong>in</strong>e schlichte, gefühlskalte Auffor<strong>de</strong>rung.„Wenn Sie ihn erschießen wollen, wer<strong>de</strong> ich mich weigern, für Sie zu arbeiten. Ich wer<strong>de</strong>nicht an Bord <strong>de</strong>s Frachters gehen und wer<strong>de</strong> Sie angreifen. Sie wer<strong>de</strong>n mich k. o.schlagen müssen, und ich wer<strong>de</strong> me<strong>in</strong>erseits versuchen, Sie bei <strong>de</strong>r ersten Gelegenheitzu töten. Daniel ist <strong>de</strong>r Grund, warum ich noch lebe. Nehmen Sie mir <strong>die</strong>sen Grund, undmir wird egal se<strong>in</strong>, ob ich hier und jetzt mit ihm sterbe!“ Lan<strong>de</strong>r sprach <strong>die</strong> Worte ebensonüchtern aus. „Sie haben also <strong>die</strong> Wahl, entwe<strong>de</strong>r zwei Sklaven mitzunehmen, von <strong>de</strong>nene<strong>in</strong>er doppelt arbeitet, während <strong>de</strong>r Zweite wie<strong>de</strong>r gesund wird, o<strong>de</strong>r aber Sie warenumsonst hier, weil Sie mich auf kurz o<strong>de</strong>r lang auch als nutzlos <strong>de</strong>klarieren müssen un<strong>de</strong>rschießen wer<strong>de</strong>n. Dann haben Sie gar ke<strong>in</strong>en mehr.“Patrick Lan<strong>de</strong>r hörte h<strong>in</strong>ter sich e<strong>in</strong>e Bewegung und spürte schließlich, wie Fowley sich anihm festhielt. Es kostete ihn wohl viel Kraft und tat sehr weh, aber er zog sich trotz <strong>de</strong>rschlimmer gewor<strong>de</strong>nen Verletzung an Lan<strong>de</strong>r hoch.Clive Searle schwieg lange Sekun<strong>de</strong>n. Es war e<strong>in</strong> Schweigen <strong>de</strong>r Fassungslosigkeit undWut.Er zügelte sich immerh<strong>in</strong> gera<strong>de</strong> eben noch so weit, dass er mit <strong>de</strong>r Waffe auf Innere <strong>de</strong>rKab<strong>in</strong>e <strong>de</strong>utete.Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g voraus und stützte Fowley dabei. Er spürte <strong>die</strong> Waffe und <strong>de</strong>n Hass <strong>de</strong>sMannes h<strong>in</strong>ter ihnen, aber wenn Searle jetzt se<strong>in</strong>en verletzten Freund erschloss, dannwür<strong>de</strong> er ihn tatsächlich umbr<strong>in</strong>gen o<strong>de</strong>r dabei sterben. Der Sub-Lieutenant wusste esganz e<strong>in</strong>fach.„Bleibt stehen!“Die schweren Schritte verklangen h<strong>in</strong>ter ihnen.„Patrick, ich…“ Fowleys Stimme zitterte vor Emotion. „So etwas Schönes hat noch niejemand zu mir gesagt.“„Ich habe es geme<strong>in</strong>t.“„Danke. Was auch immer geschehen mag, ich danke dir.“Das Licht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e g<strong>in</strong>g an, und Searle kehrte polternd zurück.Wortlos stieß er sie von h<strong>in</strong>ten an und be<strong>de</strong>utete ihnen, weiterzugehen.Als sie im h<strong>in</strong>teren Teil <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e ankamen, erkannten sie ihre persönliche <strong>Hölle</strong> wie<strong>de</strong>r.Fowley stöhnte. „Me<strong>in</strong> Gott, ne<strong>in</strong>!“„Mister Searle, ich mache Ihnen e<strong>in</strong> Angebot.“ Die Stimme versagte auch <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Fallfast.„Du hast doch <strong>de</strong><strong>in</strong>en Freund, also was willst du noch?“„Etwas, das auch <strong>in</strong> Ihrem Interesse liegen dürfte. Wir gehören Ihnen und wer<strong>de</strong>n unsIhren Anweisungen fügen. Dafür wären wir Ihnen im Gegenzug sehr dankbar, wenn Sieuns das da ersparen wür<strong>de</strong>n.“ Ihm wur<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>m bloßen Gedanken, wie<strong>de</strong>r tagelang <strong>in</strong>jenen verkrusteten Ketten hängend <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en eigenen Ausscheidungen zu sitzen,schlecht.


„Jetzt reicht es! Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Glaubst du etwa, ich lasse dichhier herumspazieren?“„Das habe ich nicht gesagt.“ Lan<strong>de</strong>r war bereit, sich <strong>in</strong> das Unvermeidliche zu fügen, abernur, wenn es nicht schlimmer war, als unbed<strong>in</strong>gt se<strong>in</strong> musste.„Son<strong>de</strong>rn? Hör endlich auf mich zu verscheißern, Bretone!“„Soweit mir bekannt ist, s<strong>in</strong>d <strong>die</strong>se Fesseln herausnehmbar. Sie haben mitbekommen,dass ich für Daniel alles tun wür<strong>de</strong>, und Sie können sich sicherlich selbst <strong>de</strong>nken, dassdamit auch ohne <strong>die</strong> Befestigung an <strong>de</strong>r Wand e<strong>in</strong> Entkommen o<strong>de</strong>r tätlicher Angriff nichtmöglich ist. Daniel kann nicht aufstehen, und ich wer<strong>de</strong> hier h<strong>in</strong>ten bei ihm bleiben. Eswäre besser für uns und damit auch für Sie, wenn wir es wenigstens e<strong>in</strong>igermaßenerträglich haben.“Mit e<strong>in</strong>em Wutschrei verpasste Searle ihm e<strong>in</strong>en Schlag mit <strong>de</strong>r Waffe <strong>in</strong>s Gesicht. Lan<strong>de</strong>rtaumelte und fiel um. Fowley gelang gera<strong>de</strong> noch, sich an e<strong>in</strong>em Gepäcknetzfestzuklammern und aufrecht zu halten.Als Lan<strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>r aufrappelte, saß <strong>die</strong> Waffe an Fowleys Kopf.„Hier ist <strong>de</strong>r Schlüssel, also fang an, du bretonischer Bastard!“Es brauchte se<strong>in</strong>e Zeit, bis er <strong>die</strong> Metallfesseln aus <strong>de</strong>m Holz herausgehebelt hatte, aberer behielt Recht. Es waren <strong>die</strong>selben wie er sie nach <strong>de</strong>r Versetzung auf <strong>die</strong> Oxford aufse<strong>in</strong>em ersten Außene<strong>in</strong>satz an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Leiche gesehen hatte. Er dankte <strong>de</strong>mFakt, dass er handwerklich nicht unbegabt war und aufgrund se<strong>in</strong>er leedser Herkunfte<strong>in</strong>ige Übung im Improvisieren besaß.Schließlich ließ er se<strong>in</strong>e Ausbeute klirrend auf <strong>de</strong>n Kab<strong>in</strong>enbo<strong>de</strong>n fallen.Se<strong>in</strong>e Rechnung war aufgegangen, aber trotz<strong>de</strong>m hatte auch er sich verkalkuliert. Erhatte erreicht, was er wollte, aber Searle war unsagbar wütend gewor<strong>de</strong>n. Das hatten siemit Schmerzen bezahlt, und Daniel Fowley kämpfte auch mit <strong>de</strong>r Er<strong>in</strong>nerung, da sie bei<strong>de</strong>jetzt je zwei Brandmale besaßen. Searle hatte sich e<strong>in</strong>e Zigarette angezün<strong>de</strong>t und se<strong>in</strong>Zeichen genüsslich auf bei<strong>de</strong>n Handrücken se<strong>in</strong>er bretonischen Gefangenen e<strong>in</strong>gebrannt.„War es das alles wirklich wert?“, stieß <strong>de</strong>r Lieutenant schließlich zwischen <strong>de</strong>n Zähnenhervor, als sie nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r an <strong>die</strong> Rückwand <strong>de</strong>s Frachters gelehnt dasaßen undwie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal <strong>in</strong>s Ungewisse flogen. Fowley hatte se<strong>in</strong>e ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gefesselten Be<strong>in</strong>eausgestreckt und <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Schoß gelegt, Lan<strong>de</strong>r ließ <strong>die</strong> Arme auf <strong>de</strong>nangew<strong>in</strong>kelten Knien ruhen und versuchte genau wie Fowley, das schmerzhafte Brennenzu ignorieren.„Von me<strong>in</strong>em Standpunkt aus ja, Sir. Wie Sie das sehen, weiß ich nicht.“„Was soll <strong>de</strong>r Scheiß?“ Auch <strong>de</strong>r vornehme Fowley hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Eism<strong>in</strong>e <strong>die</strong> vulgäreSprache <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen zum Teil angenommen. Lan<strong>de</strong>r beherrschte sie sowieso ausK<strong>in</strong><strong>de</strong>rtagen. Von se<strong>in</strong>er Heimatwelt.„Das sollte ich Sie fragen.“ Lan<strong>de</strong>r wandte <strong>de</strong>n Kopf und funkelte Fowley an. „Zum erstenMal s<strong>in</strong>d wir e<strong>in</strong>er Rettung näher, und Sie lassen mich im Stich!“„Das.. das ist nicht wahr! Me<strong>in</strong> Fuß…“„Ist völlig <strong>in</strong> Ordnung. Sie haben ihm etwas vorgespielt, damit er Sie erschießt!“, sprachLan<strong>de</strong>r abfällig.„Ich konnte wirklich nicht! Es hat geknackt und…“„Und? Soll ich Ihnen etwas sagen? Ich dachte, wir wären Freun<strong>de</strong>! Ich war genausogeschockt wie Sie, als er plötzlich auftauchte! Ich war bereit, me<strong>in</strong> Leben für Siewegzuwerfen, obwohl jetzt erstmalig e<strong>in</strong>e Chance zur Flucht besteht. Und was tun Sie?Sie <strong>de</strong>nken nur an sich! Spielen <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n, weigern sich, aufzustehen…“„Moment mal! Gar nichts habe ich getan!“„Oh doch!“, fauchte Lan<strong>de</strong>r. „Sie konnten sehr gut aufstehen, als er mich erschießenwollte und Sie befürchten mussten, <strong>de</strong>rjenige zu se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r alle<strong>in</strong> zurückbleibt. Sie konntensogar alle<strong>in</strong> stehen bleiben und sich festhalten, als er mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>e gelangt hatund ich h<strong>in</strong>gefallen b<strong>in</strong>. Vor allem aber ist Ihr Fuß nicht geschwollen. Ganz im Gegensatzzu damals passt er <strong>die</strong>smal <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Metallr<strong>in</strong>g! So läuft das nicht, Mister Fowley! HaltenSie mich nicht für dümmer als ich tatsächlich b<strong>in</strong>!“ Lan<strong>de</strong>r wandte sich ab. Er war bereitgewesen, alles für Fowley zu geben, und was hatte er dafür erhalten? E<strong>in</strong>e Lüge!


„Patrick, es tut mir leid!“ Se<strong>in</strong> Lei<strong>de</strong>nsgenosse ließ nun <strong>die</strong> Maske fallen. „Ich konnte nurnicht mehr, als ich ihn gesehen habe. Verstehst du das? Ich wollte sterben!“„Das hat man ja gesehen!“ Eigentlich wollte Lan<strong>de</strong>r nicht mehr mit ihm sprechen, aber erkonnte sich <strong>die</strong> Ohren dank <strong>de</strong>s Metallr<strong>in</strong>gs an se<strong>in</strong>en Handgelenken lei<strong>de</strong>r nicht bei<strong>de</strong>gleichzeitig zuhalten.Vor allem aber konnte er nicht ignorieren, dass Fowley sich an ihn drängte.„Patrick, bitte vergib mir! Bei mir hat im Gehirn etwas ausgesetzt.“„Bei dir setzt immer öfter etwas aus! Herrgott Daniel, wie soll ich dir hiernach jemalswie<strong>de</strong>r vertrauen?“Die Rückkehr zum Du nahm Fowley erleichtert wahr und ergriff Lan<strong>de</strong>rs Hän<strong>de</strong> mitse<strong>in</strong>en. Eisen stieß klirrend ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r. „Bitte! Du musst! An<strong>de</strong>rnfalls lasse ich michwirklich erschießen, <strong>de</strong>nn ohne dich will auch ich nicht mehr leben!“„Wenn du das hier nicht erträgst, wäre das vielleicht auch <strong>de</strong>r bessere Weg. Du bistgera<strong>de</strong> genauso hysterisch wie Duncan damals auf <strong>de</strong>r Brisbane.“„Ich stehe das alles eben nicht so gut durch wie du. Du weißt ja gar nicht, was siedamals mit mir gemacht haben!“„Verschone mich mit <strong>de</strong>r Mitleidsmasche! Du hast für heute bereits genug gelogen! Bitteke<strong>in</strong> neues Märchen!“ Es war verdammt leicht, Fowley wehzutun, damit <strong>de</strong>r eigeneSchmerz wenigstens etwas verg<strong>in</strong>g. Lan<strong>de</strong>r kam sich verraten und verkauft vor. Er hattegedacht, er wür<strong>de</strong> se<strong>in</strong>en Freund mittlerweile kennen!„Oh Patrick, ich habe es dir damals nicht erzählt, weil ich mich so geschämt habe und esvergessen wollte. Außer<strong>de</strong>m habe ich mich immer an <strong>de</strong><strong>in</strong>e Worte er<strong>in</strong>nert, dass wir von<strong>de</strong>r Royal Navy s<strong>in</strong>d und <strong>de</strong>shalb unser Los aufrecht und nicht auf Knien ertragenmüssen. Du hast mich e<strong>in</strong>mal gefragt, woher das Fieber kam, obwohl doch <strong>die</strong>Knöchelwun<strong>de</strong> nicht offen war. Du hast e<strong>in</strong>e Entzündung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Wun<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r auche<strong>in</strong>e normale Unterkühlung vermutet. Es war jedoch an<strong>de</strong>rs!“„Ach ja? Was hast du <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>smal wie<strong>de</strong>r für e<strong>in</strong>e Geschichte auf Lager?“„Die Wahrheit, Patrick. Nur <strong>die</strong> Wahrheit. Eigentlich wollte ich es niemals jeman<strong>de</strong>merzählen! Als ich vor <strong>de</strong>m Käufer nicht aussagen wollte, <strong>in</strong> welcher Höhe man <strong>die</strong>Fusionsbombe abwerfen muss, da haben sie es erst mit Schlägen versucht, dann mitZigaretten… und dann…“ Der Horror klang so echt, und <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> krampften sich <strong>de</strong>rartig<strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs, dass <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant se<strong>in</strong>en Vorgesetzten ansah. „Und dann hat <strong>de</strong>rCorsair me<strong>in</strong>e Hose runtergerissen… und mich…“ Da er es nicht e<strong>in</strong>mal aussprechenkonnte, versuchte er es an<strong>de</strong>rs und gestand gebrochen: „Das Fieber war Teil e<strong>in</strong>erGeschlechtskrankheit. Vermutlich war es wegen <strong>de</strong>r Unterversorgung so schlimm. Ichhatte aber auch auf Kalhmera noch wochenlang Blut im Ur<strong>in</strong> und immer Angst, dass duetwas bemerkst und danach fragst.“Nach e<strong>in</strong>em schweren Schlucken biss Fowley sich auf <strong>die</strong> Lippe. „Ich sage <strong>die</strong> Wahrheit,Patrick. Ich schwöre es dir hoch und heilig. Erst <strong>de</strong>r Corsair… und dann Searle. Er warsturzbetrunken.“Sich an das sensible Verhalten Fowleys während <strong>de</strong>s letzten Fluges er<strong>in</strong>nernd, nickteLan<strong>de</strong>r. Es passte. „Ich habe das Blut mehrfach an <strong>de</strong><strong>in</strong>en Hosen gesehen, Daniel.“„Du glaubst mir? Ich dachte, du hättest nichts gemerkt!“„Ich glaube vor allem e<strong>in</strong>es: Wir müssen uns bei<strong>de</strong> beie<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r entschuldigen und <strong>in</strong>Zukunft völlig ehrlich mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>. Sonst verlieren wir hier draußen und kommen nieweg.“„Ich dachte, ich hätte dich als Freund verloren. Du warst me<strong>in</strong> Rettungsanker, verstehstdu? Du warst immer so stark.“„Ne<strong>in</strong>, du bist genauso stark“, wi<strong>de</strong>rsprach Lan<strong>de</strong>r und me<strong>in</strong>te es. Fast e<strong>in</strong> halbes Jahrlang hatte Fowley geschwiegen und es mit sich herumgetragen. Vielleicht hatte er esauch getan, weil Lan<strong>de</strong>r ihn vor Monaten an <strong>die</strong> Etikette <strong>de</strong>r Royal Navy er<strong>in</strong>nert hatte.Man konnte es leicht so <strong>in</strong>terpretieren, dass Offiziere niemals we<strong>in</strong>en durften.Insbeson<strong>de</strong>re wenn man Fowley of L<strong>in</strong>colnshire hieß und so <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tradition verhaftet warwie er.„Ich habe solch e<strong>in</strong>e Angst, dass es sich wie<strong>de</strong>rholen könnte.“ Mit <strong>de</strong>r Etikette war esallerd<strong>in</strong>gs immer noch völlig vorbei.„Falls er das tut, br<strong>in</strong>ge ich ihn um.“ Wie<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>te Lan<strong>de</strong>r, was er sagte.„Glaubst du ehrlich an e<strong>in</strong>e mögliche Flucht?“


„Wir müssen abwarten und vor allem dürfen wir nur geme<strong>in</strong>sam vorgehen. Es istallgeme<strong>in</strong> noch zu früh. Es muss sich erst alles e<strong>in</strong>spielen. Dieser Mistkerl muss unsvertrauen, und wir dürfen <strong>de</strong>shalb ke<strong>in</strong>e Wi<strong>de</strong>rworte geben. Wenn wir arbeiten müssen,stehst du mit auf, aber du machst nur <strong>die</strong> leichten Sachen. Nur, was auch passiert, bitteverschweig mir nie wie<strong>de</strong>r etwas - egal, was es ist! Ich dachte, wir hätten seit Kalhmerake<strong>in</strong>e Geheimnisse mehr vore<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r.“„Doch… e<strong>in</strong>es habe ich noch.“ Fowleys Blick begegnete se<strong>in</strong>em, und Lan<strong>de</strong>r rechneteerneut mit <strong>de</strong>m Schlimmsten.„Was <strong>de</strong>nn jetzt noch?“, wollte <strong>de</strong>r Leedser mit tonloser Stimme wissen.„Ich habe damals mehrfach von <strong>de</strong>n Paketen <strong>de</strong><strong>in</strong>er Mutter geklaut. Natürlich nur,nach<strong>de</strong>m du <strong>die</strong> Speisen angebrochen hattest, damit du nichts mitkriegst.“„Wie bitte?“ Es war so trivial, dass Lan<strong>de</strong>r es nicht glaubte.„Ich sagte…“„Und ich sage dir, dass du <strong>de</strong>r größte Dummkopf <strong>in</strong> ganz Sirius bist!“„Du bist also wirklich nicht mehr sauer?“„Oh doch, ich b<strong>in</strong> so sauer, dass es heute Abend ohne Essen <strong>in</strong>s Bett geht, Daniel!“„Du willst mich hochnehmen! Searle hat doch unsere Nahrungstabletten.“„Ne<strong>in</strong>, du bist mir zu schwer.“ Lan<strong>de</strong>r lächelte ihn an. „Komm, wir wollten wirklich frühschlafen.“„Du bist e<strong>in</strong> echter Freund.“‚Und <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Freund, <strong>de</strong>n du hier draußen hast’, dachte Lan<strong>de</strong>r, als er sich mühsamauf <strong>de</strong>m bloßen Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Frachters ausstreckte. Den Dreck sah er nicht e<strong>in</strong>mal. Erstjetzt bemerkte er außer<strong>de</strong>m, dass es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e im Vergleich zu Kalhmera gera<strong>de</strong>zuwohlig warm war. Es gab auch ke<strong>in</strong> Eis.Auch Fowley suchte sich e<strong>in</strong>en Platz zum Schlafen, aber sie bei<strong>de</strong> fan<strong>de</strong>n ke<strong>in</strong>e Ruhe.Irgen<strong>de</strong>twas fehlte, und sie wussten im Grun<strong>de</strong> bei<strong>de</strong>, was es war.Als Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Augen irgendwann öffnete, sah er direkt <strong>in</strong> Fowleys.„Ich wusste nicht…“, begann <strong>de</strong>r Lieutenant.„Hör auf, lange zu erzählen, und komm her!“ Lan<strong>de</strong>r musste lächeln, als er das sagte.Ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rgeschmiegt wie über fünf Monate lang auf Planet Kalhmera fan<strong>de</strong>n sie bei<strong>de</strong>schließlich doch noch Schlaf, und <strong>de</strong>r dauerte geschlagene siebzehn Stun<strong>de</strong>n, bis <strong>de</strong>rZoner sie nach <strong>de</strong>r nächsten Landung mit Tritten aufweckte.Auf <strong>de</strong>m harten Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Frachters <strong>in</strong> relativ bequemer Position ruhend gab PatrickLan<strong>de</strong>r sich se<strong>in</strong>en Träumen h<strong>in</strong>. Er hörte se<strong>in</strong>en ihm gegenüberliegen<strong>de</strong>nLei<strong>de</strong>nsgefährten tief und ruhig atmen sowie manchmal sogar e<strong>in</strong> wenig schnarchen. Eswar e<strong>in</strong> vertrautes und beruhigen<strong>de</strong>s Geräusch. Sehen konnte er Fowley nicht, aber daswar nicht weiter beunruhigend. Auch er selbst war kurz vor <strong>de</strong>m E<strong>in</strong>schlafen. Dabeidachte er wie stets an se<strong>in</strong> Zuhause. Was se<strong>in</strong>e Eltern wohl gera<strong>de</strong> machten?Das kam auf <strong>die</strong> Tageszeit an, <strong>die</strong> er nicht e<strong>in</strong>mal wusste. Sie bei<strong>de</strong> lebten hier nache<strong>in</strong>em ureigenen, wenn auch etwas unregelmäßigen Rhythmus, da <strong>de</strong>r Zoner se<strong>in</strong>eGeschäfte zu allen möglichen Zeiten abzuschließen schien. Ob es Zuhause auf Leeds alsogera<strong>de</strong> mitten am Tag o<strong>de</strong>r spät <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht war, konnte er so natürlich nichtbestimmen. Trotz<strong>de</strong>m fragte er sich, ob sie ihn schon vergessen hatten. Sicherlich hattedas Militär sie als tot abgeschrieben. Aufgegeben war das passen<strong>de</strong> Wort.Was hatte se<strong>in</strong>e Mutter wohl getan, als sie <strong>de</strong>n Brief von e<strong>in</strong>em Sub-Lieutenantausgehändigt bekam? E<strong>in</strong>em Jungen, <strong>de</strong>r sicherlich viel zu jung war, um sie zu trösten.Sie hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Überbr<strong>in</strong>ger vermutlich nur ihren Sohn gesehen.Die Teerun<strong>de</strong> hatte ihr garantiert Trost gespen<strong>de</strong>t und ihre Hausbibel ebenso. PfarrerLan<strong>de</strong>r fand sich sicherlich besser damit ab als se<strong>in</strong>e Frau. Er hatte se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> undGott, aber sie hatte nur ihre Hausbibel und <strong>die</strong> Klatschweiber von nebenan.Was Betty Halmers wohl gedacht haben mochte? Er<strong>in</strong>nerte sie sich wenigstens e<strong>in</strong>bisschen an jene Taufparty <strong>de</strong>s Schiffes, als sie ihn stehen gelassen hatte, um mit <strong>de</strong>mLieutenant zu flirten, <strong>de</strong>r ihm jetzt schlafend gegenüberlag? Bedauerte sie, sich damalsnicht e<strong>in</strong>mal von ihm verabschie<strong>de</strong>t zu haben? Er hoffte es, obwohl er es ihr nichtwünschte.


Lan<strong>de</strong>r wusste auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite nur zu genau, wie es war, sich Vorwürfe wegenetwas zu machen, das man so leicht hätte än<strong>de</strong>rn können, bis es zu spät gewesen war.E<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten o<strong>de</strong>r Sekun<strong>de</strong>n konnten für <strong>de</strong>n Seelenfrie<strong>de</strong>n entschei<strong>de</strong>nd se<strong>in</strong>. Wenn erdamals am Tag <strong>de</strong>r Meuterei fünf M<strong>in</strong>uten schneller gewesen wäre und <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdalenach Bretonia noch erwischt hätte, wäre <strong>de</strong>r Brief an se<strong>in</strong>en Vater zu Hauseangekommen. Was es Jeremiah Lan<strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utet haben mochte, konnte er sich nichtvorstellen, aber er selbst hätte viel darum gegeben, <strong>die</strong>se Angelegenheit geklärt zuwissen. Hier draußen, fernab <strong>de</strong>r Heimat, hatte man manchmal zu viel Zeit zumNach<strong>de</strong>nken. Hätte, wenn und aber. Wenn es doch nur an<strong>de</strong>rs gekommen wäre!Was blieb, war <strong>die</strong> Hoffnung. Hoffnung auf Flucht. Obwohl ke<strong>in</strong>er von ihnen <strong>die</strong>Dromedary o<strong>de</strong>r überhaupt irgen<strong>de</strong><strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Raumschiff fliegen konnte, dachte Lan<strong>de</strong>roft daran. Er stellte sich ihre Rückkehr vor und wartete auf e<strong>in</strong>e günstige Gelegenheit,wenn sie bei<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Versuch unternehmen konnten.Mit e<strong>in</strong>em leisen Klirren schabten Fowleys Handschellen über <strong>de</strong>n Metallbo<strong>de</strong>n, als er sichim Schlaf bewegte. Es g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>m Lieutenant e<strong>in</strong>igermaßen gut, wie Lan<strong>de</strong>r beurteilenkonnte. Er schlief ruhig, und <strong>die</strong> E<strong>in</strong>gewöhnung <strong>in</strong> <strong>die</strong>ses Leben hatte stattgefun<strong>de</strong>n. Eshatte e<strong>in</strong>ige Wochen gedauert, aber <strong>die</strong> allgegenwärtige Angst hatte aufgehört.Ihre Welt war auf kle<strong>in</strong>ste Maße zusammengeschrumpft. Drei mal vier Meter, vielleichtauch etwas mehr o<strong>de</strong>r weniger. Ihre Ecke im Heck <strong>de</strong>r Dromedary, bis auf e<strong>in</strong>enschmalen Gang ver<strong>de</strong>ckt von Kisten o<strong>de</strong>r manchmal auch Tanks. Irgen<strong>de</strong>twas war immervorhan<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Searle als geschäftstüchtiger Zoner flog fast ausschließlich mit vollemLa<strong>de</strong>raum durch <strong>die</strong> Gegend. Drei mal vier Meter - e<strong>in</strong>e schummrige Welt, bestehend ause<strong>in</strong>er Kab<strong>in</strong>enleuchte an <strong>de</strong>r Decke, <strong>die</strong> fast immer ausgeschaltet o<strong>de</strong>r kaputt war, e<strong>in</strong>emfast leeren, st<strong>in</strong>ken<strong>de</strong>n Eimer und e<strong>in</strong>em momentan halb gefüllten. Dies war ihre kle<strong>in</strong>eWelt, <strong>die</strong> sich nur <strong>in</strong> Aussicht <strong>de</strong>r Rückkehr <strong>in</strong> <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re Welt zu Hause tagtäglichertragen ließ. Dunkelheit, Enge, abgestan<strong>de</strong>ne Luft voller strenger Gerüche, Dreck, e<strong>in</strong>von Searle manchmal geleerter Abort und e<strong>in</strong> Eimer mit mehr o<strong>de</strong>r weniger tr<strong>in</strong>kbaremWasser. Manchmal gab es auch Nahrungspillen. Mehr o<strong>de</strong>r weniger regelmäßig. Es warnicht viel, was ihnen gewährt wur<strong>de</strong>, und doch ließ sich damit leben. Sie hatten sowiesoke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Wahl. Sie wur<strong>de</strong>n ja nicht gefragt.Wenn er se<strong>in</strong>e Hand vor Augen hätte sehen können, wären ihm <strong>die</strong> Brandnarben anse<strong>in</strong>en Handrücken <strong>in</strong>s Auge gesprungen. Körperlich schmerzten sie ihn schon lange nichtmehr, aber <strong>in</strong>nerlich rebellierte Lan<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>n Tag mehr gegen se<strong>in</strong>e Situation. Das Eisenan se<strong>in</strong>en dadurch schmerzen<strong>de</strong>n und wun<strong>de</strong>n Gelenken war e<strong>in</strong> Teil von ihm gewor<strong>de</strong>n,aber er akzeptierte es noch immer nicht. Wenn es so gewesen wäre wie früher auf <strong>de</strong>mersten Flug, wären sie längst nicht mehr am Leben. Auch Searle hatte das wohle<strong>in</strong>gesehen, weshalb er sich auf <strong>de</strong>m M<strong>in</strong>imallevel kooperativ gezeigt hatte und <strong>die</strong>s auchnach wie vor tat.Der Preis war <strong>die</strong> Kooperation <strong>de</strong>r Bretonen. Sehr oft und anhaltend, trotz <strong>de</strong>r eherunregelmäßigen Ernährung. Sobald Searle zu ihnen kam und sie befreite, war klar, wasvon ihnen verlangt wur<strong>de</strong>. Was ihnen aufgetragen wur<strong>de</strong>, musste erledigt wer<strong>de</strong>n. Egalwie, aber immer möglichst schnell. Der Zoner war ke<strong>in</strong> beson<strong>de</strong>rs geduldiger Mensch. E<strong>in</strong>Charakterzug, <strong>de</strong>n er mit allen an<strong>de</strong>ren Grenz- und Randweltlern, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>rkennengelernt o<strong>de</strong>r gesehen hatte, geme<strong>in</strong>sam zu haben schien.Der Gedanke an Zuhause tat nicht mehr wirklich weh, son<strong>de</strong>rn er war e<strong>in</strong>fach nur durchWehmut und Sehnsucht gekennzeichnet. Mittlerweile bereute er, jemals zum Militärgegangen zu se<strong>in</strong>.Er hörte <strong>die</strong> E<strong>in</strong>stiegsluke weiter vorne klappern, und Stimmen dröhnten gedämpft sowieunverständlich zu ihnen <strong>in</strong>s Heck. Er vernahm auch, dass das ruhige Atmen gegenüberauf e<strong>in</strong>mal stockte und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en leisen Laut gipfelte. Der arme Fowley tat Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong>Situationen wie <strong>die</strong>ser sehr leid.„Was ist?“„Er ist es, Patrick! Dieses schreckliche Lachen…“ Der Schreck war Fowleys zittern<strong>de</strong>rStimme anzuhören.Offensichtlich hatte se<strong>in</strong> Freund <strong>die</strong> Stimme wie<strong>de</strong>rerkannt. Verständlicherweise, da siesich wohl unauslöschlich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gedächtnis e<strong>in</strong>gebrannt hatte.


Nun lauschte auch Lan<strong>de</strong>r angespannt, konnte aber noch immer nichts verstehen.Mittlerweile kannte er nur <strong>die</strong> Geschichte zur Genüge. Fowley hatte es ihm anfangs oftgenug beschrieben, wenn er <strong>de</strong>shalb nachts nicht schlafen konnte.Der Corsair, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Fusionsbombe gekauft hatte, hatte <strong>de</strong>n betrunkenen Searleangestachelt. Nicht zuletzt auch, weil er ‚es schon immer e<strong>in</strong>mal mit e<strong>in</strong>em richtigen,vornehmen Offizier hatte machen wollen’. Der Zoner hatte es danach noch e<strong>in</strong>mal getan,um nicht das Gesicht zu verlieren. Der eigene Ruf war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten wichtig,gleichsam wie es Searles Maxime war, sich auf <strong>de</strong>n Kun<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>zustellen, um bei <strong>de</strong>mGeschäft das Optimum herauszuholen.Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st das war ja auch gelungen. Ob es Searle Spaß bereitet hatte, wusste Lan<strong>de</strong>rnicht, aber Fakt war, dass <strong>de</strong>r Lieutenant von <strong>de</strong>m grobschlächtigen Händler seit<strong>de</strong>mnicht mehr angerührt wor<strong>de</strong>n war - von gelegentlicher Prügel, wie auch Lan<strong>de</strong>r sieerhielt, e<strong>in</strong>mal abgesehen. Trotz<strong>de</strong>m war es Fowley unmöglich, sich <strong>in</strong> Searles Gegenwartzu entspannen. Er war stets wachsam und wich ihm aus, wenn sie arbeiten mussten und<strong>de</strong>shalb ihre seltene Bewegungsfreiheit besaßen.Bewegung war mit <strong>de</strong>n h<strong>in</strong><strong>de</strong>rlichen Eisen an <strong>de</strong>n Gelenken nämlich nicht leicht, aberLan<strong>de</strong>r musste es jetzt tun. Er setzte sich auf und rückte zentimeterweise zu Fowley, biser an ihn stieß. Der Lieutenant zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub, immer wie<strong>de</strong>r<strong>in</strong> <strong>die</strong> Dunkelheit lauschend, aus <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Geräusche herüberdrangen. Sie schienen sichanzunähern.„Oh Gott, ich sterbe, Patrick. Hilf mir!“Er ertastete <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dunkelheit Fowleys Hän<strong>de</strong> und hielt er sie mit se<strong>in</strong>en ebensogefesselten fest. In se<strong>in</strong>em Kopf rasten <strong>die</strong> Gedanken, was er wohl tun sollte. Tunkonnte. Aufstehen und überhaupt Stehen war ja mit <strong>de</strong>n ane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gelaschtenFußgelenken e<strong>in</strong>e Kunst, <strong>die</strong> fast unmöglich war. Er wür<strong>de</strong> sich auf <strong>de</strong>n Corsair stürzenmüssen, wie er es oft genug versprochen hatte, aber er hatte nie damit gerechnet, dass<strong>de</strong>r Moment tatsächlich e<strong>in</strong>mal kommen wür<strong>de</strong>.Die Kab<strong>in</strong>enbeleuchtung sprang an, und er sah, dass <strong>de</strong>r Randweltler bereitsherangekommen war. Das letzte Stück musste er lautlos zurückgelegt haben. Vermutlichwar er im Gegensatz zu <strong>de</strong>n schwachs<strong>in</strong>nigen Bewachern <strong>de</strong>r Eism<strong>in</strong>e auf Kalhmera e<strong>in</strong>durchtra<strong>in</strong>ierter und schlauer Repräsentant se<strong>in</strong>er Fraktion.Auch Lan<strong>de</strong>rs Herz setzte e<strong>in</strong>en Moment aus, als er <strong>de</strong>n gierigen, gewaltbereiten Blickaus <strong>de</strong>n glitzern<strong>de</strong>n Augen sah. Daraus sprach <strong>die</strong> nackte Begier<strong>de</strong> - aber vor allem auch<strong>die</strong> Bereitschaft, dafür zu mor<strong>de</strong>n.E<strong>in</strong> schriller Schrei ließ Lan<strong>de</strong>rs Ohren kl<strong>in</strong>geln, als <strong>de</strong>r Blick Fowley streifte. Falls er nochZweifel gehabt hatte, was damals passiert war, jetzt waren sie endgültig geschwun<strong>de</strong>n.Fowleys To<strong>de</strong>sangst war real.Der verängstigte Lieutenant verkroch sich h<strong>in</strong>ter ihm. Lan<strong>de</strong>r merkte durch <strong>die</strong>Berührung und roch, dass se<strong>in</strong> Freund sich soeben e<strong>in</strong>genässt hatte.Der Corsair hatte sich nicht gerührt.„Na, was ist jetzt?“ Searle war h<strong>in</strong>zugetreten und sah ausdruckslos auf sie herab. Nun ja,fast ausdruckslos. Er mied <strong>de</strong>n Blick <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Augen. Es war e<strong>in</strong> kaum sichtbaresSymbol <strong>de</strong>s Unbehagens.„Du hast mir versprochen, dass er sauber ist.“ E<strong>in</strong>e unangenehme, aalglatte Stimme mit<strong>de</strong>m bekannten spanischen Akzent.„Ist er doch. Du hast gesagt, dass du nur noch gesun<strong>de</strong> Partner willst. Außer dir hat ihnke<strong>in</strong>er gehabt“, versicherte Searle.„Abgesehen von dir, und das ist me<strong>in</strong> Problem.“ Der Corsair seufzte. „Ich nehme <strong>de</strong>nKle<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>nn er ist zwar hässlich, aber das ist immer noch besser als gar nicht.“„Das kostet zehntausend extra!“„Du sp<strong>in</strong>nst wohl!“„Er ist noch Jungfrau. Warum nimmst du nicht wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, bevor du mir <strong>de</strong>nBengel hier für Tage versaust?“ E<strong>in</strong> herausfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Gr<strong>in</strong>sen, das aber nichtüberzeugend wirkte. Obwohl Lan<strong>de</strong>r nacktes Entsetzen empfand, verstand er. Searle wardabei, e<strong>in</strong> erneutes Geschäft zu tätigen. Das hier war Teil jenes Rituals mit <strong>die</strong>semGeschäftspartner. Der Zoner war an möglichst viel Geld <strong>in</strong>teressiert, aber er hatte aucheigene Interessen. Patrick Lan<strong>de</strong>r war von bei<strong>de</strong>n Bretonen <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r besserarbeiten konnte.


„Mir passt er nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kram. Er hat sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hose gep<strong>in</strong>kelt, das ist also nicht mehrsauber.“„Wie du willst.“ E<strong>in</strong> Schlucken Searles war klar sichtbar. „Aber zehntausend extra.“„Fünf.“„Er ist Jungfrau, also neun!“„Sechs.“„Acht!“„Sieben, und das ist me<strong>in</strong> letztes Wort!“„Mach siebene<strong>in</strong>halb und du bekommst ihn gleich.“E<strong>in</strong> leichtes Nicken <strong>de</strong>s Corsairs, <strong>de</strong>ssen halboffene Augen Lan<strong>de</strong>r begierig anstarrten,besiegelte <strong>de</strong>n Kontrakt. Dem bretonischen Offizier war, als g<strong>in</strong>ge <strong>de</strong>r Blick bis tief <strong>in</strong>se<strong>in</strong>e Seele, und auch er fühlte <strong>de</strong>n Drang <strong>in</strong> sich, aufzuspr<strong>in</strong>gen und wegzulaufen.Cly<strong>de</strong> Searle kam auf ihn zu und löste <strong>die</strong> Fußeisen. Am mittlerweile länger gewor<strong>de</strong>nenHaar zerrte er Lan<strong>de</strong>r mit völlig ungewöhnlicher Härte nach oben.Der Sub-Lieutenant spürte, wie Fowleys Hän<strong>de</strong> sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em dreckigen, speckigenHemd verkrallten und es zerrissen. Der Lieutenant hatte ke<strong>in</strong> Wort mehr gesagt, aber erverstand offensichtlich alles und wollte ihn auf se<strong>in</strong>e Weise schützen - weil er wusste, wiees bei ihm selbst gewesen war.Der h<strong>in</strong>zutreten<strong>de</strong> Corsair verpasste Fowley e<strong>in</strong>en Schlag, <strong>de</strong>r ihn gegen <strong>die</strong> Wand <strong>de</strong>sFrachters schleu<strong>de</strong>rte und betäubte.Gelähmt und unfähig, sich zu wehren sah Lan<strong>de</strong>r auf Searle. Ihren Besitzer, <strong>de</strong>ssenAufgabe es doch eigentlich wäre, sie zu beschützen.Als ihn brennen<strong>de</strong>r Schmerz durchzuckte, erwachte er aus se<strong>in</strong>er Erstarrung und riss sichvon Searle, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e noch gefesselten Arme festhielt, los. Er schlug <strong>de</strong>m Zoner mitbei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n mitten <strong>in</strong>s Gesicht und griff dann nach <strong>de</strong>m Corsair.Der irre Ausdruck im Gesicht <strong>de</strong>s Krim<strong>in</strong>ellen weckte <strong>in</strong> ihm e<strong>in</strong>en tiefen, bislang nochschlummern<strong>de</strong>n Hass.Er wehrte sich mit <strong>de</strong>r Wut und Kraft <strong>de</strong>r puren Verzweiflung, wur<strong>de</strong> jedoch gebremst, als<strong>de</strong>r Corsair wie<strong>de</strong>rum ihn mit mehreren Hieben halb bewusstlos schlug. Dann war auchSearle wie<strong>de</strong>r da, um ihn festzuhalten. Wie<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r dagegen an.„Ich mag das, Kle<strong>in</strong>er, auch wenn es dir nichts nutzen wird. Mach nur weiter so, ich stehedarauf! Die Bretonen wer<strong>de</strong>n sowieso e<strong>in</strong>e aussterben<strong>de</strong> Spezies se<strong>in</strong>, wenn euer AdmiralRaven mit ihnen fertig ist!“ Der Corsair keuchte, und dann…Regungslos und halb beklei<strong>de</strong>t lag Patrick Lan<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. We<strong>in</strong>en konnte ernicht. Ihm war, als hätte <strong>de</strong>r an ihm verübte Akt <strong>de</strong>r Brutalität ihn aller Kraft beraubt.Irgendwann war es endlich vorbei gewesen.Er spürte, dass er aus vielen Wun<strong>de</strong>n blutete, aber er konnte sich nicht dazu aufraffen,es zu stoppen. Er konnte sich nicht bewegen und wollte es auch nicht. Am liebsten wollteer tot se<strong>in</strong>. Nichts mehr hören und nichts mehr sehen.Es war e<strong>in</strong> Kampf gewesen. E<strong>in</strong> ungleicher Kampf, <strong>de</strong>r lange M<strong>in</strong>uten o<strong>de</strong>r vielleicht sogare<strong>in</strong>e halbe Stun<strong>de</strong> gedauert hatte. Vermutlich hatte er se<strong>in</strong> unausweichliches Lei<strong>de</strong>ndadurch endlos verlängert, aber er hatte es nicht h<strong>in</strong>nehmen können o<strong>de</strong>r wollen.Cly<strong>de</strong> Searle hatte es nicht mitangesehen. Der Händler war irgendwann gegangen, was<strong>de</strong>m Corsair nicht unrecht gewesen war. Danach war es noch schlimmer gewor<strong>de</strong>n, alshielte <strong>de</strong>n Randweltler nun gar nichts mehr davon ab, das Eigentum e<strong>in</strong>es an<strong>de</strong>ren zubeschädigen. Das Eigentum, das Patrick Lan<strong>de</strong>r hieß und e<strong>in</strong>mal Sub-Lieutenant <strong>de</strong>rbretonischen Streitkräfte gewesen war. Nun war er nur noch e<strong>in</strong>e leere Hülle. E<strong>in</strong> Nichts.Brutal unterworfen und vernichtet.Schritte erklangen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Nähe. Der Zoner hatte das Geschäft wohl endgültigabgeschlossen und kam zurück.Er blieb stehen, und Lan<strong>de</strong>r wusste, dass jetzt <strong>de</strong>r zweite Teil kommen wür<strong>de</strong>, von <strong>de</strong>mFowley ihm berichtet hatte. Searle wür<strong>de</strong> es noch e<strong>in</strong>mal tun. Diesmal hatte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mnichts mehr entgegenzusetzen. Er war gebrochen und unfähig zur Gegenwehr.Die groben Hän<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zoners berührten se<strong>in</strong>e Haut, und Lan<strong>de</strong>r wandte sich ab. Dabeiverschloss das Opfer <strong>die</strong> Augen. Nicht e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Laut kam über se<strong>in</strong>e Lippen.


Se<strong>in</strong>e Hose wur<strong>de</strong> hochgezogen. Der Grenzweltler drehte ihn zu sich.„Ich habe ja gesagt, dass er dich ru<strong>in</strong>ieren wür<strong>de</strong>. Nur ohne das macht er es nicht. Daswar e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>, wieso ich euch behalten habe, also stell dich nicht so an. Es g<strong>in</strong>gum echte Diamanten, <strong>die</strong> er liefern wird. Nicht <strong>die</strong> synthetischen, son<strong>de</strong>rn echte. E<strong>in</strong>eganze Kiste voller Diamanten, <strong>die</strong> ich zum zehnfachen Preis wie<strong>de</strong>r verkaufen kann!Wenn das passiert ist, bekommt ihr auch e<strong>in</strong> richtiges Essen von mir spen<strong>die</strong>rt, ja? Ichkonnte nicht Ne<strong>in</strong> sagen. Wenn ich <strong>die</strong> Diamanten nicht gewollt hätte, dann wäre er <strong>die</strong>Ste<strong>in</strong>e woan<strong>de</strong>rs losgewor<strong>de</strong>n.“E<strong>in</strong>e Kiste Diamanten. Der Preis für Patrick Lan<strong>de</strong>rs Unschuld, <strong>de</strong>nn er war mit zwanzigJahren wirklich noch Jungfrau gewesen. Niemand wusste das, nicht e<strong>in</strong>mal Fowley.„Na komm schon, hoch mit dir! De<strong>in</strong> Freund und du, ihr müsst <strong>die</strong> Kiste holen un<strong>de</strong><strong>in</strong>la<strong>de</strong>n! Du willst doch sicherlich nicht, dass er es alle<strong>in</strong> machen muss, hmm?“E<strong>in</strong> leichter Stoß traf ihn, aber es war ke<strong>in</strong> Schlag. Searle hatte offensichtlich Angst, ihnallzu hart anzufassen, obwohl Lan<strong>de</strong>r noch immer an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Eisenr<strong>in</strong>g trug.Jener wur<strong>de</strong> ihm jetzt abgenommen, und <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Händlers klang fast sanft:„Komm, hoch mit dir! Du hast dich so tapfer gewehrt, jetzt mach schon. Es musste se<strong>in</strong>,aber es wird vorbeigehen.“Bewegungslos blieb Lan<strong>de</strong>r liegen. Sollte Searle ihn doch schlagen, treten o<strong>de</strong>r abknallen,nicht e<strong>in</strong>mal das Versprechen, das er Fowley gegeben hatte, war jetzt noch vonRelevanz. Nichts war noch von Relevanz, nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>r Gedanke an se<strong>in</strong>eAngehörigen. Se<strong>in</strong> Zuhause <strong>in</strong> Bretonia war unerreichbar und vergessen.Searle hatte sich wohl <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat entschie<strong>de</strong>n, es jetzt mit Gewalt zu versuchen. Er zogLan<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> Füße und schlug e<strong>in</strong>mal zu, aber <strong>de</strong>r junge Offizier fiel wie<strong>de</strong>r um, ohne<strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> zur Abwehr zu heben. Es war e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache, unmissverständliche Weigerungund auch das Symbol se<strong>in</strong>es Zusammenbruchs.Er war aufs Gesicht gefallen und hatte sich <strong>die</strong> Stirn aufgeschlagen, ohne dass er auchnur <strong>de</strong>n Versuch gemacht hätte, sich abzustützen.Mit e<strong>in</strong>em Fluch ließ Searle ihn liegen.Lan<strong>de</strong>r hörte ihn brüllen und toben, aber es war ihm egal. Er war fertig mit Searle undmit <strong>de</strong>r Welt.Jemand schrie auf, und dann waren da plötzlich Hän<strong>de</strong>, <strong>die</strong> ihn berührten. Jemand nahmse<strong>in</strong>en Kopf hoch und versuchte unbeholfen, das Blut abzuwischen. Es war Daniel Fowley.Den Freund konnte Lan<strong>de</strong>r am Geruch erkennen. Ebenso wie an <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Berührungund <strong>de</strong>n geflüsterten Worten. Es waren trösten<strong>de</strong> Worte, aber das Schluchzen und <strong>die</strong><strong>Hölle</strong> <strong>de</strong>r eigenen Er<strong>in</strong>nerung machten <strong>de</strong>utlich, dass auch Fowley eher Trost gebrauchthätte <strong>de</strong>nn spen<strong>de</strong>n konnte. Lan<strong>de</strong>r hatte stets ihn getröstet, und Fowley warüberfor<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>n stärkeren Freund plötzlich am Bo<strong>de</strong>n zu sehen. Searle hatte <strong>de</strong>nLieutenant befreit und geholt, aber das ließ Lan<strong>de</strong>r jetzt kalt. Auch das Bewusstse<strong>in</strong>, vone<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Menschen gebraucht zu wer<strong>de</strong>n, riss ihn nicht aus se<strong>in</strong>er Lethargie.„Mach, dass er aufsteht! Es gibt Arbeit für euch!“Der arme Fowley versuchte es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er namenlosen Angst vor Searle. Er gab wirklichse<strong>in</strong> Bestes, um Lan<strong>de</strong>r mit Zuspruch und tätlicher Hilfe auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e zu br<strong>in</strong>gen, obwohler selbst mit <strong>de</strong>m Fuß genug Last hatte.Er erreichte se<strong>in</strong> Ziel nicht e<strong>in</strong>mal annähernd, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant reagierteweiterh<strong>in</strong> nicht im Ger<strong>in</strong>gsten.In Fowleys Umklammerung dachte Lan<strong>de</strong>r an das Sterben. Er hielt <strong>die</strong> Augen geschlossenund wür<strong>de</strong> sie auch nicht wie<strong>de</strong>r aufmachen. Er war am En<strong>de</strong>. Zum ersten Mal nach all<strong>de</strong>n Monaten auf Kalhmera und hier auf Reisen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dromedary verzagte er. Er hatteschon vorher Folter durch Benjy überstan<strong>de</strong>n, aber jetzt reichte es. Tot se<strong>in</strong> war alles,was er noch wollte. In se<strong>in</strong>em Kopf herrschte, von <strong>die</strong>sem f<strong>in</strong>alen Wunsch e<strong>in</strong>malabgesehen, Leere. Der Grund war bei ihm we<strong>de</strong>r Scham, Schmerz, Entehrung o<strong>de</strong>r Angstvor e<strong>in</strong>er Wie<strong>de</strong>rholung, son<strong>de</strong>rn es war <strong>de</strong>r Bruch se<strong>in</strong>es Willens, <strong>de</strong>r durchBrachialgewalt vollzogen wor<strong>de</strong>n war. Se<strong>in</strong> Wille hatte ihn monatelang aufrecht gehaltenund weitermachen lassen. Der Wille und <strong>die</strong> Hoffnung. Nun war <strong>die</strong> Hoffnung fort und <strong>de</strong>rWille auch. Etwas, das <strong>die</strong> Aka<strong>de</strong>mievorträge zum Verhalten <strong>in</strong> Gefangenschaft alsSelbstaufgabe und ersten Schritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Tod bezeichnet hatten. Er hätte nie gedacht,dass es ihm geschehen konnte. Es war trotz<strong>de</strong>m passiert.


Wie<strong>de</strong>r ergriff Fowley ihn, aber zum wie<strong>de</strong>rholten Mal sackte Lan<strong>de</strong>rs Körper kraftloszurück. Der Lieutenant schüttelte <strong>de</strong>n Kopf, und <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen stand Horror, als er zuSearle aufsah.Der Händler legte jedoch se<strong>in</strong>e Stirn <strong>in</strong> Falten und fuhr Fowley schließlich an: „Bleib beiihm und rührt euch bei<strong>de</strong> nicht von <strong>de</strong>r Stelle!“ Damit g<strong>in</strong>g er.Es war zu hören, wie er <strong>de</strong>n Frachter verließ. Die Luke wur<strong>de</strong> verschlossen, und <strong>die</strong>Verriegelung schnappte von außen vor.Für e<strong>in</strong>e Weile saß Fowley still da, dann begann er jedoch, Lan<strong>de</strong>rs Schulter erregt zurütteln und spru<strong>de</strong>lte mit leuchten<strong>de</strong>n Augen hervor:„Oh Gott, Patrick! Er ist weg! Er ist tatsächlich weg! Egal, wo wir s<strong>in</strong>d, wir können jetztabhauen und nach Hause gehen! Wir können uns verstecken, bis er abfliegt! Dannmüssen wir e<strong>in</strong>en Frachter suchen, <strong>de</strong>r uns mitnimmt. O<strong>de</strong>r aber wir gehen an Bord e<strong>in</strong>esSchiffes - mit etwas Glück sogar e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lskooperationen - das mit uns dann <strong>in</strong><strong>de</strong>n regulierten Raum fliegt. Genau, wie du es gesagt hast. Du hast immer gesagt, dasswir warten sollen! Nun haben wir <strong>die</strong> Chance, sie ist tatsächlich da!“Ohne <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n <strong>de</strong>r Worte zu begreifen, starrte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> festgezurrte Box vor sich an,<strong>die</strong> er auch nicht e<strong>in</strong>mal sah.„Komm schon, Patrick! Das ist unsere Chance!“Als noch immer ke<strong>in</strong>e Antwort kam, wur<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m drängen<strong>de</strong>n Rütteln e<strong>in</strong> leichtesSchlagen. „Steh auf! Wir müssen hier weg, bevor er zurückkehrt!“Nun gab <strong>de</strong>r verärgerte Fowley ihm e<strong>in</strong>e leichte Ohrfeige. Se<strong>in</strong>e Stimme klang schrill, alser hervorstieß: „Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, im Namen <strong>de</strong>s Ei<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>n Sie als Offizier <strong>de</strong>rbretonischen Krone abgelegt haben, befehle ich Ihnen als Ihr Vorgesetzter, endlichaufzustehen!“Fassungslos lehnte Fowley sich zurück, als auch <strong>die</strong>ses diszipl<strong>in</strong>arische Mittel nichtfruchtete. „Patrick…“, murmelte er fast flehend. „Du hast doch immer gesagt, dass <strong>de</strong>rTag kommen wür<strong>de</strong>. Jetzt ist er da. Komm mit mir! Alles wird wie<strong>de</strong>r gut!“Da es Lan<strong>de</strong>r völlig gleichgültig war, was heute für e<strong>in</strong> Tag war o<strong>de</strong>r nicht, hielt Fowleyletztendlich <strong>de</strong>n Mund. Er sah nur auf Lan<strong>de</strong>r herunter. Dann erhob sich <strong>de</strong>r knien<strong>de</strong>Vorgesetzte unsicher und strich ihm dabei noch e<strong>in</strong>mal über <strong>die</strong> Stirn. Als er sich suchendumsah, fiel se<strong>in</strong> Blick auf e<strong>in</strong> Brecheisen, das im benachbarten Frachtabteil lag. Er g<strong>in</strong>g <strong>in</strong>se<strong>in</strong>em etwas unsteten Schritt h<strong>in</strong> und holte es. Er verharrte jedoch ewig mit <strong>de</strong>rerhobenen Schlagwaffe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand.„Es tut mir so leid, aber ich kann es nicht. Nicht nach allem, was du für mich getan hast.Ich wer<strong>de</strong> dich nie vergessen!“ Das Brecheisen polterte zu Bo<strong>de</strong>n, und Fowley eiltedavon.Es war e<strong>in</strong> Abschied, aber e<strong>in</strong>er, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant erst später als solchenwahrnehmen sollte.Es dauerte kaum e<strong>in</strong>e M<strong>in</strong>ute, bis Daniel Fowley <strong>die</strong> Luke trotz <strong>de</strong>r Verriegelung geöffnethatte. Die jahrelange Praxis bei <strong>de</strong>n Außene<strong>in</strong>sätzen half <strong>de</strong>m Lieutenant dabei, genausowie beim Zurechtf<strong>in</strong><strong>de</strong>n auf e<strong>in</strong>em völlig frem<strong>de</strong>n Hangar<strong>de</strong>ck e<strong>in</strong>er unbekannten Station.Patrick Lan<strong>de</strong>r war alle<strong>in</strong>, aber er merkte auch <strong>die</strong>s nicht. Es war ihm alles egal.Er blieb still und vergessen liegen.So bekam er auch kaum mit, dass Cly<strong>de</strong> Searle zurückkehrte. In e<strong>in</strong>er Hand hielt ere<strong>in</strong>en warmen Becher, mit <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren schleifte er <strong>de</strong>n um Gna<strong>de</strong> flehen<strong>de</strong>n Fowley an<strong>de</strong>n Haaren zurück an se<strong>in</strong>en Platz h<strong>in</strong>ten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e. Der Zoner stellte <strong>de</strong>ndampfen<strong>de</strong>n Becher nach e<strong>in</strong>em kurzen Blick auf <strong>de</strong>n teilnahmslosen Patrick Lan<strong>de</strong>r ab,schlug Fowley halb bewusstlos, kettete <strong>de</strong>n Lieutenant erneut h<strong>in</strong>ten an, und kniete dannmit <strong>de</strong>m Getränk vor <strong>de</strong>m Sub-Lieutenant nie<strong>de</strong>r.Er prüfte <strong>die</strong> Temperatur, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er selbst daran nippte, befand sie für nicht allzu heißund flößte Lan<strong>de</strong>r anschließend <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s gesamten Bechers e<strong>in</strong>.Nach <strong>de</strong>m Verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>de</strong>r schlimmsten Wun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s jüngeren Bretonen drehte Searle sichseelenruhig um und gab <strong>de</strong>m um Gna<strong>de</strong> wimmern<strong>de</strong>n, schreien<strong>de</strong>n Fowley <strong>de</strong>n Rest.


Wie damals an Bord <strong>de</strong>r Brisbane hielt <strong>de</strong>r Schock e<strong>in</strong>e unbestimmte Zeit an. Es warnicht das erste Mal, und doch war es <strong>die</strong>smal sogar noch ungleich heftiger gewesen alsnach Duncan Averys Ermordung.Als Patrick Lan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r zu sich fand, ohne <strong>de</strong>n Grund dafür zu kennen, erschien ihmalles nur wie e<strong>in</strong> böser Traum. Er hatte geschlafen. Der letzte Traum hatte ihn nachHause versetzt, und für e<strong>in</strong>en Moment wähnte Lan<strong>de</strong>r sich auch jetzt noch dort.„Oh Mutter, Mutter, warum hast du mich verlassen?“ Es erschien ihm sehr viel s<strong>in</strong>niger,nach Anne Lan<strong>de</strong>r zu rufen <strong>de</strong>nn nach se<strong>in</strong>em Vater. Jeremiah Lan<strong>de</strong>r hatte nichts mehrmit ihm zu tun haben wollen. Nur <strong>die</strong> Schwäche se<strong>in</strong>er eigenen Stimme überraschte ihn.Bei e<strong>in</strong>er zufälligen Bewegung durchzuckte ihn e<strong>in</strong> scharfer Schmerz im Unterleib.Das Gefühl war <strong>in</strong> etwa vergleichbar mit <strong>de</strong>m Schmerz <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf. E<strong>in</strong> dumpfesDröhnen erfüllte se<strong>in</strong>e Ohren, und se<strong>in</strong>e Kehle fühlte sich an, als habe sie jemand von<strong>in</strong>nen mit Sandpapier bearbeitet. Und se<strong>in</strong> Magen. In ihm war e<strong>in</strong> Loch.Er war nur dankbar dafür, dass es dunkel war. Licht hätte er jetzt nicht ausgehalten. Erhatte e<strong>in</strong>en Kater, ohne zu wissen, woher. Was hatte er bloß gestern getrunken? Wiesohatte er als überzeugter Antialkoholiker <strong>de</strong>nn überhaupt etwas getrunken?Die Übelkeit wur<strong>de</strong> stärker und stärker, bis ihm nicht mehr gelang, noch weiter an sichzu halten. Krampfartig erbrach er sich auf <strong>de</strong>n Fußbo<strong>de</strong>n vor sich. Das war eben <strong>die</strong>Quittung für <strong>die</strong> Sauferei.Er musste betrunken aus <strong>de</strong>m Bett gefallen se<strong>in</strong>, bloß wo war se<strong>in</strong> Bett?„Patrick… HILF MIR! Oh bitte, bitte vergib mir und hilf mir!“Das war nun wirklich nicht se<strong>in</strong>e Mutter gewesen, son<strong>de</strong>rn <strong>die</strong> zittrige Stimme, <strong>die</strong> erzunächst für se<strong>in</strong>e eigene gehalten hatte. Sie gehörte Daniel Fowley.Mechanisch bewegte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s Lärms. Es war etwas, das erautomatisch tat, ohne darüber nachzu<strong>de</strong>nken und es <strong>in</strong>frage zu stellen. Auch se<strong>in</strong>eeigenen Schmerzen ignorierte er bestmöglich.Als Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n wimmern<strong>de</strong>n Lieutenant gefun<strong>de</strong>n hatte, fuhr er ihm tröstend über <strong>de</strong>nKörper. Auch das war nach <strong>de</strong>n vergangenen vielen Monaten, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen er Fowley ofthatte trösten und beruhigen müssen, e<strong>in</strong>e automatische Reaktion. Er fühlte sich mitse<strong>in</strong>em schmerzen<strong>de</strong>n Kopf nicht dazu <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, großartig nachzu<strong>de</strong>nken. Wie<strong>de</strong>rmusste er würgen und fuhr danach mit <strong>de</strong>r Beruhigung <strong>de</strong>s Kamera<strong>de</strong>n fort.Dass Fowley erbarmungswürdig wimmerte und schrie, war ihm jedoch neu. Vielleicht wares das o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r Fakt, dass er allmählich wie<strong>de</strong>r kräftiger wur<strong>de</strong>, je<strong>de</strong>nfalls beganner, wie<strong>de</strong>r bewusst nachzu<strong>de</strong>nken.„Mutter, ich will nach Hause!“ Fowley stöhnte dabei.Ihn jetzt bewusst abtastend, wollte Lan<strong>de</strong>r etwas sagen, aber dabei kam nur e<strong>in</strong>Krächzen heraus. Daniel Fowley h<strong>in</strong>g angekettet an <strong>de</strong>r Wand, und selbst im Dunkelnwaren für e<strong>in</strong>en Laien wie Lan<strong>de</strong>r Schwellungen zu ertasten. Der ganze Körper <strong>de</strong>sVorgesetzten schien geschun<strong>de</strong>n wor<strong>de</strong>n zu se<strong>in</strong>.Bevor Lan<strong>de</strong>r jedoch Spucke sammeln konnte, um <strong>die</strong> behutsame Frage erneut zustellen, heulte <strong>de</strong>r Antrieb <strong>de</strong>r Dromedary auf e<strong>in</strong>mal auf, und Searle riss <strong>de</strong>n Frachterherum. Lan<strong>de</strong>r rollte über <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n, und Fowley schrie erneut erbarmungswürdig.E<strong>in</strong>schläge ließen das Schiff erzittern, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant war davon wenigbee<strong>in</strong>druckt. Er empfand ke<strong>in</strong>e Angst mehr. Nicht nach allem, was er durchgemachthatte.Erneut robbte er zu Fowley und hielt <strong>de</strong>ssen Hän<strong>de</strong> fest, bis das Schreien aufhörte. Eswar gleichbe<strong>de</strong>utend mit <strong>de</strong>m En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schießerei.E<strong>in</strong>e kurze Zeit später lan<strong>de</strong>ten sie. Nicht zu wissen, wo, entsprach <strong>de</strong>r Normalität. DassCly<strong>de</strong> Searle jedoch sofort anschließend zu ihnen nach h<strong>in</strong>ten kam, war neu und sehraußergewöhnlich.Der Händler lächelte und entblößte dabei <strong>die</strong> fauligen schwarzen Zähne, als er Lan<strong>de</strong>raufrecht sitzen sah. „Guter Junge! Wie geht es dir?“Lan<strong>de</strong>r war bewusst, dass <strong>die</strong>s <strong>de</strong>n Grenzweltler kaum <strong>in</strong>teressierte, obwohl Searleheuchelte. „Es geht, Mister. Danke.“„Gut, gut. Halt dich nur von <strong>die</strong>sem Stück Dreck fern!“ E<strong>in</strong> Tritt traf Fowley, <strong>de</strong>r daraufh<strong>in</strong>aufheulte.„Ich wäre Ihnen sehr verbun<strong>de</strong>n, wenn Sie aufhören wür<strong>de</strong>n, ihn zu misshan<strong>de</strong>ln und ihnstatt<strong>de</strong>ssen losmachen wür<strong>de</strong>n.“


Diesmal währte <strong>de</strong>r Blick länger. Searle schien ihn zu taxieren, als ob er glaube, dassLan<strong>de</strong>r nicht mehr ganz richtig im Kopf sei. „Dir ist aber schon klar, was er getan hat,o<strong>de</strong>r?“„Ich wollte Sie doch nur holen, Mister Searle!“, heulte Fowley. „Es g<strong>in</strong>g ihm…“E<strong>in</strong> erneuter Tritt - <strong>die</strong>smal <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Magen - ließ <strong>de</strong>n Vorgesetzten würgen und brachte ihnso auf brutale Weise zum Schweigen.Lan<strong>de</strong>r durchforstete se<strong>in</strong>e fragmentierte Er<strong>in</strong>nerung und zuckte <strong>die</strong> Achseln. Er warvorsichtig, wie immer im Umgang mit <strong>de</strong>m Zoner, obwohl <strong>de</strong>r Mann heute e<strong>in</strong>malnüchtern zu se<strong>in</strong> schien. Angst bereitete ihm jedoch <strong>die</strong> Feststellung, dass er überhaupte<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Er<strong>in</strong>nerung hatte.„Er hat dich im Stich gelassen, me<strong>in</strong> Freund. Ich wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>em Bekanntenangesprochen, dass e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Leibeigenen e<strong>in</strong>e Passage nach Bretonia gesucht hätte.De<strong>in</strong> Freund hat sich mir wi<strong>de</strong>rsetzt, als ich ihn daraufh<strong>in</strong> aufspürte und hierherzurückbrachte. Der Lieutenant wollte abhauen und dich hier zurücklassen. Etwas, das duumgekehrt vermutlich niemals getan hättest. Vorher hat er offensichtlich mit <strong>de</strong>mGedanken gespielt, dir <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>l e<strong>in</strong>zuschlagen. Das nenne ich nicht Dankbarkeit.“Als hätte jemand auf <strong>de</strong>n richtigen Knopf gedrückt, wusch <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung schlagartigüber Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>weg und ließ ihn mit e<strong>in</strong>em leisen Aufschrei gegen <strong>die</strong> Wandzurückweichen. Da war <strong>de</strong>r Corsair, <strong>de</strong>r ihn vergewaltigt hatte. Da war Searle, <strong>de</strong>r sichdanach vergebens um ihn bemühte und Fowley. Der Freund, <strong>de</strong>r ihn zum Mitkommenhatte bewegen wollen und schließlich alle<strong>in</strong> gegangen war.Weil Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Augen geschlossen hatte und e<strong>in</strong> entsetztes Gesicht machte, war Searleklar, dass <strong>de</strong>r jüngere Bretone begriffen hatte. „Das hier ist e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Strafe für <strong>die</strong>Flucht. Ich hatte darüber nachgedacht, ihn zu erschießen, da du ja sowieso besserarbeitest. Statt<strong>de</strong>ssen wer<strong>de</strong> ich mich hier bemühen, e<strong>in</strong>en neuen Käufer für ihn zuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“Diese Worte hatte <strong>de</strong>r Lieutenant trotz se<strong>in</strong>er Agonie verstan<strong>de</strong>n. Er schrie auf undkämpfte gegen <strong>die</strong> unbarmherzige Fixierung an. „Ne<strong>in</strong>! Bitte! Ich wer<strong>de</strong> arbeiten! Es wirdnie wie<strong>de</strong>r vorkommen!“„Doch das wird es, du verlogenes Aas.“ Searles Gleichgültigkeit ließ Fowleyzusammenfahren. Aus fast völlig zugeschwollenen Augen sah er Lan<strong>de</strong>r an und sprachnur e<strong>in</strong> Wort: „Bitte!“Trotz <strong>de</strong>s empfun<strong>de</strong>nen tiefen Schmerzes angesichts <strong>de</strong>r gegebenen Umstän<strong>de</strong> und <strong>de</strong>sVerrats ihrer Freundschaft konnte Lan<strong>de</strong>r sich dagegen nicht verwehren. „Ne<strong>in</strong>. Bittelassen Sie ihn hier.“„Warum? Er hat dich im Stich gelassen, Junge.“„Er ist trotz<strong>de</strong>m noch me<strong>in</strong> Freund.“ Es klang wie e<strong>in</strong>e hohle Lüge, selbst <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rsOhren. Nur Fowley schien sie nicht als solche zu erkennen.„Ihr sp<strong>in</strong>nt alle mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, ihr Bretonen.“„Wür<strong>de</strong>n Sie ihn jetzt bitte losmachen, Mister?“ Lan<strong>de</strong>r konnte <strong>de</strong>n flehen<strong>de</strong>n Blick se<strong>in</strong>eswe<strong>in</strong>en<strong>de</strong>n Vorgesetzten nicht länger ertragen. Auch er wollte wegen <strong>de</strong>s empfun<strong>de</strong>nenVerrats am liebsten we<strong>in</strong>en.„Ne<strong>in</strong>. Ich wer<strong>de</strong> es mir durch <strong>de</strong>n Kopf gehen lassen.“ Searle bückte sich und hob e<strong>in</strong>en<strong>de</strong>r Eisenr<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ecke auf. „Sorry, Junge. Nach <strong>de</strong>r Sache mit ihm…“ Mit äußersterVorsicht, aber <strong>de</strong>nnoch fest entschlossen öffnete Searle das Schloss und band <strong>de</strong>n R<strong>in</strong>gum Lan<strong>de</strong>rs Knöchel.Obwohl es unsäglich leicht gewesen wäre, <strong>de</strong>n sich herabbeugen<strong>de</strong>n Mann außer Gefechtzu setzen o<strong>de</strong>r zu töten, dachte Lan<strong>de</strong>r nicht ernstlich daran. E<strong>in</strong>e seltsame Taubheit undGleichgültigkeit hatten von ihm Besitz ergriffen. Woh<strong>in</strong> hätte er auch gehen sollen? Siewaren irgendwo auf e<strong>in</strong>er namenlosen Station <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten. Wenn nicht Searle,dann jemand an<strong>de</strong>rs. Jemand, <strong>de</strong>r womöglich noch schlimmer war.Nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> eiserne Fußfessel zugeschnappt war, strich Searle ihm kurz über <strong>de</strong>n Kopf.Er verharrte mit <strong>de</strong>r Hand auf e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r zahlreichen verkrusteten Wun<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> von <strong>de</strong>merbitterten Kampf mit <strong>de</strong>m Corsair herrührten. „Ich hole dir gleich im Anschluss an dasGeschäft sauberes Wasser und e<strong>in</strong>e ganze Flasche Whisky, Bretone. Dann schnei<strong>de</strong> ichdir <strong>die</strong> Haare ab und mache <strong>de</strong><strong>in</strong>e Verletzungen sauber.“„Danke, Mister.“ Irgendwie sehnte Lan<strong>de</strong>r sich nur danach, alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>.


Vielleicht ahnte Searle das - o<strong>de</strong>r aber er dachte wirklich nur an se<strong>in</strong>e Geschäfte, <strong>de</strong>nn erg<strong>in</strong>g.„Danke, Patrick!“Der Sub-Lieutenant brachte es nicht fertig, darauf etwas zu erwi<strong>de</strong>rn. Die von Fowleygerissene Wun<strong>de</strong> war zu tief. Lan<strong>de</strong>r sah <strong>de</strong>n Vorgesetzten erneut über sich stehen, mit<strong>de</strong>m Brecheisen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand und bereit, ihn zu töten. Se<strong>in</strong>en besten Freund, für <strong>de</strong>n ersich nach allem gehalten hatte, umzubr<strong>in</strong>gen. Wortlos wandte er sich ab.„Patrick, du glaubst das doch nicht etwa? Ich b<strong>in</strong> zurückgekommen, ehrlich! Er hat michvor <strong>de</strong>r Dromedary gesehen…“ Angst klang <strong>in</strong> Fowleys Stimme mit. „Patrick?“Nun war <strong>de</strong>r Lieutenant wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r am Bo<strong>de</strong>n zerstörte junge Mann, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r nur zugut kannte. Fowley versuchte es bewusst o<strong>de</strong>r unbewusst wie<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> gleiche Art wie<strong>in</strong> <strong>de</strong>n gesamten letzten Monaten. Lan<strong>de</strong>r hatte sich <strong>de</strong>r Illusion <strong>de</strong>r Freundschaft und<strong>de</strong>s Gebrauchtwer<strong>de</strong>ns lange h<strong>in</strong>gegeben, aber das war jetzt vorbei. Zerstört.Pflichtgefühl und e<strong>in</strong>e vage Er<strong>in</strong>nerung an all das, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Monaten gewesenwar, hatten ihn zu <strong>de</strong>m Plädoyer für Fowley bewogen. Der Lieutenant war jedoch nichtmehr <strong>de</strong>r Freund, son<strong>de</strong>rn wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vorgesetzte von e<strong>in</strong>st.Da er <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> freihatte, zog sich Lan<strong>de</strong>r mühselig und unter großen Schmerzen auf <strong>die</strong>Füße. Er wusste nicht genau, warum er es tat, aber er hatte das Gefühl, es tun zumüssen.„Patrick?“, rief Fowley.Schwankend zog er sich hüpfen<strong>de</strong>rweise vorwärts, getrieben von e<strong>in</strong>er zurückgekehrten<strong>in</strong>neren Stimme, <strong>die</strong> ihm sagte: ‚Du bist sowieso am En<strong>de</strong>, wenn du dich jetzt ergibst,also ist es sowieso egal.’Se<strong>in</strong> Wi<strong>de</strong>rstand war wie<strong>de</strong>r da, aber es war im Vergleich zu früher eher e<strong>in</strong>aufflackern<strong>de</strong>s Strohfeuer. Was ihn trieb, war ihm selbst unklar, aber auch er hatte jetzt<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Moment e<strong>in</strong>e Chance erhalten.Wie groß <strong>die</strong> Dromedary wirklich war, wusste er zwar theoretisch. Fowley und er hatten<strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Monaten oft genug <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>raum gere<strong>in</strong>igt o<strong>de</strong>r aufgeräumt, aberes war trotz<strong>de</strong>m doch e<strong>in</strong> Unterschied, als er <strong>de</strong>n Weg zum Cockpit jetzt mit gefesseltenFüßen zurücklegte.Fowleys schwache Rufe verklangen h<strong>in</strong>ter ihm. Vielleicht war <strong>de</strong>r Lieutenant auchverstummt. Lan<strong>de</strong>r suchte etwas <strong>in</strong> jener verbotenen Zone namens Cockpit, ohne genauzu wissen, was <strong>die</strong>s <strong>de</strong>nn eigentlich war. Wenn Cly<strong>de</strong> Searle ihn erwischte, wür<strong>de</strong> esauch für ihn Schläge hageln, und er wür<strong>de</strong> sich angekettet neben Fowley wie<strong>de</strong>rf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.Das war ihm momentan jedoch völlig egal. ‚Jetzt o<strong>de</strong>r nie!’, flüsterte <strong>die</strong> Stimme <strong>in</strong> se<strong>in</strong>Ohr.Se<strong>in</strong> geschun<strong>de</strong>ner Unterleib tat grauenhaft weh, als er durch <strong>die</strong> halboffene Cockpittürtaumelte und auf <strong>de</strong>m Pilotensitz nie<strong>de</strong>rsank.Im Glas <strong>de</strong>r dunklen Pilotenkanzel spiegelte sich se<strong>in</strong> misshan<strong>de</strong>ltes Gesicht, aber er sahes nicht. Er ignorierte <strong>de</strong>n Anblick genauso wie <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r unregulierten Station dortdraußen. Sie kam ihm vage bekannt vor, aber was hieß das nach <strong>de</strong>n vergangenenMonaten <strong>de</strong>s Reisens <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Frachter schon? Er war an unzähligen Orten gewesen.Er schottete sich von <strong>de</strong>m Anblick se<strong>in</strong>er Umgebung ab und blickte sich suchend um.Endlich fand er annähernd das, was er unbewusst suchte. Cly<strong>de</strong> Searle konnte <strong>in</strong>Ansätzen schreiben, was für e<strong>in</strong>en Grenzweltler eher ungewöhnlich war. Wo <strong>de</strong>r Zonerdas gelernt hatte, wusste Lan<strong>de</strong>r nicht. Schulen gab es hier draußen ja nicht.E<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Notizblock mit e<strong>in</strong>em Stift steckte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Seitenfach. Er nahm bei<strong>de</strong>s herausund überlegte gedankenverloren, was er schreiben sollte. Die Erkenntnis, dass ihmbestenfalls M<strong>in</strong>uten blieben, beschleunigte <strong>de</strong>n Prozess <strong>de</strong>r Entscheidungsf<strong>in</strong>dungimmens. Er wür<strong>de</strong> se<strong>in</strong> Testament schreiben. E<strong>in</strong>en zweiten Abschiedsbrief, damit erendlich ohne weitere Gewissensbisse sterben konnte.Geliebte Eltern,von wo euch <strong>die</strong>ses Schriftstück erreichen wird, weiß ich nicht. Genauso wenig wie ichweiß, ob es euch jemals erreichen wird. Seit Monaten s<strong>in</strong>d Lt. Fowley und ich mit e<strong>in</strong>emZoner namens Cly<strong>de</strong> Searle unterwegs. Er besitzt e<strong>in</strong>e Dromedary und sorgt nichtschlecht für uns. Lei<strong>de</strong>r wird wohl niemand von uns mehr nach Bretonia zurückkehren,aber damit haben wir uns abgefun<strong>de</strong>n. Wir <strong>de</strong>nken an Zuhause, und ich wer<strong>de</strong> euch für


immer <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Herzen bewahren. Das wollte ich euch noch e<strong>in</strong>mal sagen. Möge Gotteuch Trost schenken, bei mir hat er es stets getan. Du hattest mit allem Recht, Vater.Die Rückkehr zum Militär war falsch. Es tut mir leid.Euer euch lieben<strong>de</strong>r Sohn Patrick, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenz- und Randwelten se<strong>in</strong>en Frie<strong>de</strong>ngefun<strong>de</strong>n hat.Ob <strong>die</strong>ses kurze Schriftstück se<strong>in</strong>en Eltern wirklich e<strong>in</strong> Trost se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>, wusste er nicht,aber ihm war es e<strong>in</strong>er. E<strong>in</strong> Abschluss.Er faltete das Blatt zusammen, wickelte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res e<strong>in</strong> und achtete sorgsamdarauf, dass ke<strong>in</strong>e Abdrücke <strong>de</strong>r Schrift auf <strong>de</strong>m Notizblock zurückblieben. Danachsteckte er das Papier zurück <strong>in</strong> das Fach und schrieb <strong>die</strong> Adresse se<strong>in</strong>er Eltern sowiese<strong>in</strong>en als Absen<strong>de</strong>r auf.Auf jenen eilig gefalteten provisorischen Umschlag kritzelte er noch dazu, dass <strong>de</strong>rEmpfänger <strong>de</strong>s Briefs e<strong>in</strong>ige Credits bezahlen wür<strong>de</strong>, wenn er ihn unversehrt erhielte.Nach<strong>de</strong>m er <strong>die</strong> Blätter allesamt geknickt hatte, damit sie zusammenblieben, legte erauch <strong>de</strong>n Stift zurück und erhob sich. Wie er <strong>de</strong>n Brief nach draußen br<strong>in</strong>gen sollte,wusste er nicht, also tat er e<strong>in</strong>fach das Nächstliegen<strong>de</strong>: Er öffnete e<strong>in</strong> Cockpitfenster undließ <strong>de</strong>n Umschlag h<strong>in</strong>ausfallen. Wenn er Pech hatte, wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Brief beim Start <strong>de</strong>rDromedary o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es an<strong>de</strong>ren Schiffes zu Asche verbrennen, mit viel Glück wür<strong>de</strong> erjedoch auf Planet Leeds ankommen. Ihm war je<strong>de</strong>nfalls viel wohler, nach<strong>de</strong>m er ihngeschrieben hatte. Natürlich hatte er gelogen, aber er hatte nicht <strong>die</strong> Wahrheit schreibenkönnen. Außer<strong>de</strong>m war ja auch damit zu rechnen, dass Cly<strong>de</strong> Searle das Papierent<strong>de</strong>ckte, auch wenn das unwahrsche<strong>in</strong>lich war.Nach<strong>de</strong>m er das Schriftstück so losgewor<strong>de</strong>n war, warf er e<strong>in</strong>en letzten Blick auf dasHangar<strong>de</strong>ck und hüpfte zurück.Er war nicht zu früh, <strong>de</strong>nn kaum, dass er wie<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>ten bei Fowley saß, kam Searlezurück. Er kettete <strong>de</strong>n Lieutenant los und trieb ihn mit Schlägen h<strong>in</strong>aus. Als Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nZoner ansah, bemerkte er <strong>de</strong>ssen Gr<strong>in</strong>sen. „Ke<strong>in</strong>e Sorge. Er kommt wie<strong>de</strong>r. Es gibt nurArbeit.“Da <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant Anstalten machte, sich ebenfalls zu erheben, verbreiterte sich dasLächeln, und <strong>de</strong>r Händler klopfte ihm auf <strong>die</strong> Schultern. „Du nicht, Junge. Ruh dich aus,so lange du willst. Die Geschäfte gehen gut, und <strong>de</strong><strong>in</strong> Freund kommt schon alle<strong>in</strong> klar.“Daran hatte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Zweifel, und schon <strong>de</strong>shalb wäre es ihm lieber gewesen, wenner dort draußen dabei gewesen wäre.Er konnte hören, wie etwas mittels <strong>de</strong>s La<strong>de</strong>krans an Bord geschafft wur<strong>de</strong>, und wenigspäter vernahm er sogar e<strong>in</strong>en kurzen Schrei, <strong>de</strong>r wie üblich von Fowley kam.Erst als <strong>die</strong> Stimmen näher kamen, vernahm Lan<strong>de</strong>r, wie bekannt ihm bei<strong>de</strong> waren. Erdachte, er wür<strong>de</strong> halluz<strong>in</strong>ieren, aber es war wirklich Erasmus Raven, <strong>de</strong>r da mit <strong>de</strong>mfreien Händler aus <strong>de</strong>n Grenzwelten sprach. Die Brisbane musste <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe se<strong>in</strong>, unddas be<strong>de</strong>utete womöglich Schlimmes!„Fowley hat sich unter Ihrer Hand gut gemacht, Mister Searle. Wie sieht es mit Lan<strong>de</strong>raus?“E<strong>in</strong>e beiläufige Frage nach <strong>de</strong>m Schicksal e<strong>in</strong>es Menschen. Schmerzhaft pochte das Blut<strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Schläfen. Er wollte aufspr<strong>in</strong>gen und <strong>de</strong>n Comman<strong>de</strong>r töten, aber er war sogelähmt, dass er sich kaum rühren konnte.„Er ist krank, Admiral. Bis dato war er aber <strong>de</strong>r Fleißigere von bei<strong>de</strong>n, weshalb ich ihnmomentan e<strong>in</strong>ige Tage <strong>in</strong> Ruhe gesund wer<strong>de</strong>n lasse.“„Ja, dass er fleißiger ist, kann ich mir vorstellen. Er hat sich damals zum Offizierhochgearbeitet und weiß daher, was das Wort be<strong>de</strong>utet. Brauchen Sie <strong>de</strong>nn Ersatz? Ichhätte da re<strong>in</strong> zufällig jeman<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Hand, <strong>de</strong>n ich extra für Sie aufgehoben habe.“„Kommt darauf an, was Sie dafür wollen“, gab <strong>de</strong>r Zoner zur Antwort. „Ich habe schongenug Ärger mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> ich habe.“„Sie können ihn ja weiterverkaufen. Er wird Ihnen ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten machen.“„Bevor ich ihn mir ansehe, möchte ich <strong>de</strong>n Preis wissen“, wich <strong>de</strong>r Zoner aus.Raven lachte. Auch nach all <strong>de</strong>n Monaten jagte jenes kaltherzige Lachen <strong>de</strong>s ehemaligenbretonischen Offiziers Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Schauer <strong>de</strong>n Rücken h<strong>in</strong>unter. Der damalige ErsteOffizier <strong>de</strong>r Brisbane lachte selten, und wenn er es tat, war es oft e<strong>in</strong> Ausdruck se<strong>in</strong>er


grenzenlosen Skrupellosigkeit. „Da Sie mir um drei Millionen entgegengekommen s<strong>in</strong>d,wer<strong>de</strong> ich Ihnen <strong>de</strong>n Jungen umsonst mitgeben.“Das war <strong>die</strong> Gewissheit: Es g<strong>in</strong>g erneut um e<strong>in</strong>e o<strong>de</strong>r mehrere Fusionsbomben!„Sie dürfen das nicht tun, Mister Raven!“, schrie Lan<strong>de</strong>r laut. „Denken Sie doch an <strong>die</strong>Zivilisten!“„Schnauze!“, brüllte Searle zurück, bevor er ruhiger entgegnete: „Ich kann ihn mir ja malansehen…“„Tun Sie das und richten Sie <strong>de</strong>m Sub me<strong>in</strong>e ehrlichen Grüße aus. Er klang mir an sichrecht gesund.“„Bis zum nächsten Mal, Admiral.“„Natürlich, Mister Searle. Und passen Sie wegen <strong>de</strong>r Outcasts auf sich auf. Sie warenletztes Mal auch nicht sehr begeistert über unsere Geschäftsbeziehung zugunsten <strong>de</strong>rCorsairs.“„Corsairs und Outcasts s<strong>in</strong>d wie das Wetter. Nach e<strong>in</strong>em Gewitter beruhigen sich <strong>die</strong>D<strong>in</strong>ge zwischen ihnen auch wie<strong>de</strong>r. Geld wirkt da oft Wun<strong>de</strong>r, wobei mir immer nochnicht klar ist, was <strong>die</strong> Outcasts eigentlich mit <strong>de</strong>n D<strong>in</strong>gern wollen.“„Für mich zählt eigentlich nur, dass Sie am besten bezahlen, Mister.“„Und für mich, dass ich e<strong>in</strong>e Option auf <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>r Bomben bekomme“, nutzte Searledas Gespräch auch gleich aus.„Mal schauen. Sagen Sie Ihrem Geschäftspartner auf Freeport 9, dass ich es mir durch<strong>de</strong>n Kopf gehen lassen wer<strong>de</strong>. Vielleicht kann ich noch drei o<strong>de</strong>r vier erübrigen, aber <strong>de</strong>rRest bleibt an Bord me<strong>in</strong>es Schiffes“, antwortete <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>r ausweichend. „Ich habeauch me<strong>in</strong>e Pläne, wissen Sie?“„Ganz wie Sie wünschen, Admiral Raven. Obwohl <strong>die</strong> Corsairs natürlich glücklich wären…“„Wie Sie auch, ganz ohne Zweifel. Ich wer<strong>de</strong> es mir überlegen und es Sie über unsereKontakte wissen lassen, Mister Searle. Ah, da kommt auch schon <strong>de</strong>r Petty Officer mit<strong>de</strong>m Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Ich habe ihn <strong>in</strong> weiser Voraussicht gleich mitbr<strong>in</strong>gen lassen,müssen Sie wissen. Bis zum nächsten Mal.“„Vielen Dank, Admiral, aber…“Die Schritte verklangen, als Ravens Begleitung nebst ihrem Anführer e<strong>in</strong>fach g<strong>in</strong>g. Obauch Petty Officer Piper unter <strong>de</strong>n Männern gewesen war?E<strong>in</strong> Schmerzensschrei gellte durch <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e, und Searle brüllte jeman<strong>de</strong>n an: „Ab nachh<strong>in</strong>ten, und zwar lebhaft! Hilf <strong>die</strong>sem Stück Dreck auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e!“Die gestotterte Erwi<strong>de</strong>rung konnte Lan<strong>de</strong>r nicht verstehen, aber sie kam von Fowley. DieBegegnung mit Raven, <strong>de</strong>m sie ihr Martyrium verdankten, musste <strong>de</strong>r ultimative Schockgewesen se<strong>in</strong>.Er rappelte sich halbwegs auf, als er hörte, wie jemand nach h<strong>in</strong>ten getrieben wur<strong>de</strong>.Nun wür<strong>de</strong> es <strong>de</strong>tailliertere Informationen geben.Zurück kam Daniel Fowley, zusammen mit e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Mann, <strong>de</strong>r sogar noch <strong>die</strong>bretonische Navyuniform trug und sich aufzuregen schien. Wer von bei<strong>de</strong>n wen stützte,war nicht auszumachen, aber es stand fest, dass <strong>de</strong>r knapp 25-jährige Uniformierte kurzdavor war, sich auf Searle zu stürzen. Lan<strong>de</strong>r kannte <strong>de</strong>n Grenzweltler jedoch gut genug,um zu wissen, dass <strong>de</strong>r Mann es ahnte.So war <strong>de</strong>m auch. Als <strong>de</strong>r Offizier losließ und herumwirbelte, stürzte Fowley <strong>in</strong> Richtunge<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Kisten. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st er war überrumpelt wor<strong>de</strong>n.E<strong>in</strong> kurzer, aber heftiger Kampf entbrannte, <strong>de</strong>r damit en<strong>de</strong>te, dass <strong>de</strong>r Neuankömml<strong>in</strong>gam Bo<strong>de</strong>n lag und e<strong>in</strong>e Waffe auf se<strong>in</strong>e Stirn gerichtet sah.Auch wenn <strong>de</strong>r Kampfgeist <strong>de</strong>s Mannes ungebrochen war, wusste er doch, wann es Zeitwar, zurückzustecken. Das Heben <strong>de</strong>r Hän<strong>de</strong> kam <strong>de</strong>shalb ke<strong>in</strong>esfalls e<strong>in</strong>er Nie<strong>de</strong>rlage,son<strong>de</strong>rn eher e<strong>in</strong>em temporären Waffenstillstand gleich. Alles <strong>in</strong> allem vermittelte <strong>die</strong>Sache Lan<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong> son<strong>de</strong>rlich gutes Gefühl.Der Zoner wur<strong>de</strong> berechenbar. Er befahl <strong>de</strong>n Bretonen, aufzustehen. Als auch Lan<strong>de</strong>r eswie<strong>de</strong>rum probierte, erg<strong>in</strong>g wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>r Befehl: „Du nicht, Junge!“Der unbekannte Lieutenant Comman<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r ihn daraufh<strong>in</strong> das erste Mal wahrnahm,blähte <strong>die</strong> Nasenflügel und musterte ihn mit e<strong>in</strong>em Blick, <strong>de</strong>r Ger<strong>in</strong>gschätzung undAbneigung verriet.Als er, getrieben von Tritten, aufstand und Searles Willkommensgruß <strong>in</strong> Form vonSchlägen e<strong>in</strong>kassierte, gab <strong>de</strong>r Unbekannte ke<strong>in</strong>en Ton von sich. Nicht e<strong>in</strong> Laut kam ihm


über <strong>die</strong> Lippen, aber <strong>de</strong>r Hass leuchtete <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen. Gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>shalb schlug <strong>de</strong>rHändler wohl öfter und brutaler zu als an sich nötig war.Während <strong>de</strong>r ganzen Zeit schwieg Fowley und sah nur aus weit aufgerissenen Augen zu.Patrick Lan<strong>de</strong>r hegte <strong>de</strong>n Verdacht, dass <strong>de</strong>r Lieutenant momentan e<strong>in</strong> ernsthaftespsychisches Problem hatte. Er stand wohl tatsächlich unter Schock.Dass Searle genau wie bei ihnen vorgehen wür<strong>de</strong>, lag nahe. In <strong>de</strong>r Tat schob er <strong>de</strong>nNeuzugang an <strong>die</strong> Kiste und machte Anstalten, ihn anzuketten. Auch dabei wehrte <strong>de</strong>rMann sich und versuchte, an <strong>die</strong> Schusswaffe <strong>de</strong>s Zoners zu kommen. Dafür bezahlte erbitter, <strong>de</strong>nn er erhielt e<strong>in</strong>en Tritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Unterleib und krümmte sich daraufh<strong>in</strong>zusammen, woraufh<strong>in</strong> Searle unbehelligt fortfahren konnte.Nach<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Offizier <strong>de</strong>rartig außer Gefecht gesetzt hatte, verfuhr Searle auf <strong>die</strong>gleiche unbarmherzige Art mit Fowley. Erst danach trafen sich ihre Blicke, und <strong>de</strong>rHändler sah Lan<strong>de</strong>r kalt an. Seltsamerweise hatte <strong>de</strong>r Junioroffizier gelernt, ihne<strong>in</strong>zuschätzen. Ihm drohte momentan ke<strong>in</strong>e Gefahr, und er wusste es. Auch ihr Besitzerkannte Barmherzigkeit, aber es war e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art als <strong>die</strong>, <strong>die</strong> er selbst besaß.Der Sub-Lieutenant konnte auch jetzt wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Searles Augen lesen wie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em offenenBuch. Er sah <strong>die</strong> prüfen<strong>de</strong> Musterung <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> und das fast unmerkliche Hochziehen<strong>de</strong>r Brauen. In <strong>de</strong>m Blick lag e<strong>in</strong>e stumme Frage. Lan<strong>de</strong>r beantwortete sie mit e<strong>in</strong>emkaum sichtbaren Nicken und drehte sich um. Er hatte <strong>die</strong> Abneigung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Miene <strong>de</strong>sLieutenant Comman<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich genug wahrgenommen.„Wa… warum tun Sie das? Patrick ist verletzt!“ Fowley klang verängstigt. Es war e<strong>in</strong>eReaktion auf <strong>die</strong> sicherlich sehr erniedrigen<strong>de</strong> Begegnung mit Erasmus Raven und <strong>die</strong>raue Behandlung am heutigen Tag. Von <strong>de</strong>r stillen Abmachung zwischen Lan<strong>de</strong>r undihrem Herrn konnte er nichts wissen.„Halt’s Maul!“, fauchte Searle und prügelte erneut auf ihn e<strong>in</strong>. Er schlug nicht e<strong>in</strong>mal festzu, aber es reichte, um e<strong>in</strong>en Tränenausbruch bei <strong>de</strong>m empf<strong>in</strong>dlichen Lieutenantheraufzubeschwören.Lan<strong>de</strong>r wandte sich nicht um. Er hielt <strong>de</strong>n Blick gesenkt und wartete. Der Zoner hatte ihnverstan<strong>de</strong>n, wie es schien, <strong>de</strong>nn er bückte sich nach <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>isen. Bevor er esverschloss, verhaarte <strong>de</strong>r Grenzweltler noch e<strong>in</strong>mal, als ob er fragen wollte, wie ernst es<strong>de</strong>m Sub-Lieutenant damit war. Als ke<strong>in</strong> Wi<strong>de</strong>rspruch und ke<strong>in</strong>e Bewegung von Lan<strong>de</strong>rsSeite kam, schnappte <strong>die</strong> Handfessel zu und fixierte se<strong>in</strong>e Handgelenke auf <strong>de</strong>m Rücken.E<strong>in</strong> Wort hätte genügt, aber Lan<strong>de</strong>r unterließ es, zu bitten.„Ich tue es, weil es mir passt! Ihr seid me<strong>in</strong> Eigentum, und ich behandle euch so, wie esmir <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kram passt! Ihr habt euch alle mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r heute schlecht benommen, alsotragt <strong>die</strong> Konsequenzen! Ihr seid e<strong>in</strong>fach nur e<strong>in</strong> verschlagenes, unnützes Pack! EureAllüren wer<strong>de</strong> ich euch schon noch austreiben!“Ohne irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>en von ihnen noch e<strong>in</strong>mal anzusehen, stapfte ihr Besitzer davon.Dem Sub-Lieutenant wur<strong>de</strong> bewusst, wie groß <strong>de</strong>r Ste<strong>in</strong> war, <strong>de</strong>n er bei Searle im Bretthatte. Der Zoner wusste nichts von <strong>de</strong>m Brief, und er wür<strong>de</strong> es auch nie erfahren. Diesegewollt schlechte Behandlung war erfolgt, weil auch <strong>de</strong>r Grenzweltler bereits ahnte, wasihm von se<strong>in</strong>em Geschäftspartner Raven aufgehalst wor<strong>de</strong>n war.„Reißen Sie sich gefälligst zusammen, Lieutenant Fowley! Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Schan<strong>de</strong> für <strong>die</strong>Royal Navy und Se<strong>in</strong>e Majestät, wenn Sie sich als Offizier im Dienst <strong>de</strong>rartig gehenlassen!“Patrick Lan<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>m Impuls, sich vollends umzudrehen. Er lehnte sich nurschweigend h<strong>in</strong>ten an <strong>die</strong> Rückwand <strong>de</strong>s Frachters und schloss <strong>die</strong> Augen. Dass <strong>de</strong>rLieutenant noch immer gewe<strong>in</strong>t hatte, war ihm nicht e<strong>in</strong>mal mehr aufgefallen. Jetzt wares jedoch völlig verstummt.„Viel besser. Und <strong>de</strong>r Kerl dah<strong>in</strong>ten ist Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, wie ich annehme?“Die hochnäsige Stimme weckte <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n simplen Wunsch, <strong>de</strong>n Mann zu verprügeln,damit er schwieg. Ke<strong>in</strong>e direkte Ansprache, son<strong>de</strong>rn nur e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte, als wäre Lan<strong>de</strong>res nicht e<strong>in</strong>mal wert, dass man mit ihm sprach.„Ja, das ist er.“ Fowley klang noch immer schwach, aber er gab sich alle Mühe.„Vielen Dank, Lieutenant. Noch dankbarer wäre ich Ihnen allerd<strong>in</strong>gs, wenn Sie sich daraner<strong>in</strong>nern wür<strong>de</strong>n, dass ich e<strong>in</strong> ranghöherer Offizier b<strong>in</strong>!“


Das klang hier und jetzt so lachhaft, dass Lan<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>n Mann nun doch ansehenmusste. Er öffnete e<strong>in</strong> Auge und starrte aus <strong>de</strong>m Augenw<strong>in</strong>kel herüber, ohne <strong>de</strong>n Kopf zudrehen.„Ja, Sir. Natürlich, Sir.“ Auch Fowley klang mehr als nur irritiert.„Danke, Lieutenant. Ich b<strong>in</strong> Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Victor Marlowe. Das schreibt sichübrigens mit e am En<strong>de</strong> und ohne h.“‚Als ob das jetzt irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Wichtigkeit hat’, g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>m Junioroffizier durch <strong>de</strong>n Kopf.„Können Sie eigentlich selbst re<strong>de</strong>n, Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, o<strong>de</strong>r können Sie mich nuranstarren, Sie dreckiger H<strong>in</strong>ternkriecher?“Die mit Searle verabre<strong>de</strong>te Aktion hatte nicht gefruchtet. Obwohl Lan<strong>de</strong>rs Status hier anBord um ke<strong>in</strong>en Deut besser war als <strong>de</strong>rjenige <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren und er lediglich e<strong>in</strong>engewissen Bonus aufgrund se<strong>in</strong>er Krankheit und se<strong>in</strong>er kämpferischen Haltung genoss,hatte Marlowe alles durchschaut. Aber auch Lan<strong>de</strong>r konnte ihn recht gut e<strong>in</strong>schätzen. Derhochnäsige Lieutenant Comman<strong>de</strong>r war ebenfalls e<strong>in</strong> Stabsoffizier gewesen. Was er hierdraußen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten und speziell an Bord <strong>de</strong>r Brisbane gemacht hatte, war ohneWeiteres nicht zu klären.In <strong>die</strong> entstehen<strong>de</strong> Stille h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> startete Searle vorn im Cockpit <strong>die</strong> Systeme <strong>de</strong>rDromedary und fuhr <strong>de</strong>n Antrieb hoch.„Ich warte, Sub-Lieutenant! Sie s<strong>in</strong>d immer noch Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy, und wenn Siemir nicht sofort antworten, wer<strong>de</strong> ich dafür sorgen, dass es Konsequenzen für Sie hat!“Auch Fowley gefiel das überhaupt nicht. Er sah erschrocken zwischen Lan<strong>de</strong>r undMarlowe h<strong>in</strong> und her. „Sir, ich <strong>de</strong>nke…“„Ich wer<strong>de</strong> nach Ihrer Me<strong>in</strong>ung fragen, wenn ich sie hören will. Bis dah<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d Sie nichtgefragt, Lieutenant!“Sie<strong>de</strong>nd heiß kochte es <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>r, aber er hob <strong>die</strong> Stimme kaum merklich und sprachgera<strong>de</strong>zu sanft aus, was ihm durch <strong>de</strong>n Kopf g<strong>in</strong>g: „Bei allem Respekt, Sir. Sie könnengerne <strong>de</strong>n Vorgesetzten spielen, so lange Sie wollen, aber <strong>die</strong>s ist nicht Bretonia. Deshalbziehe ich vor, mich mit Ihnen zu unterhalten, wenn es mir passt, und das ist sicherlichnicht, wenn Sie mich beleidigen!“Er hörte Marlowe nach Luft schnappen und etwas Ähnliches wie „Ungeheuerlich!“ausrufen, bevor er sich an Fowley wandte: „Haben Sie das gehört, Lieutenant?“Das Unbehagen war offensichtlich <strong>in</strong> Fowleys Gesicht abzulesen, als er kaum sichtbarnickte.„Das wird Konsequenzen haben, wenn wir wie<strong>de</strong>r im regulierten Raum s<strong>in</strong>d! So etwaslasse ich mir von e<strong>in</strong>em Junioroffizier aus <strong>de</strong>r Unterschicht nicht bieten!“ Gera<strong>de</strong>zuvernichtend schob Marlowe noch h<strong>in</strong>tendran: „Und schon gar nicht von e<strong>in</strong>em, <strong>de</strong>r sichdas Schiff auf <strong>de</strong>r Brücke hat wegnehmen lassen, anstatt es genau dort zu vernichten!“Es wäre wirklich witzig gewesen, wenn es e<strong>in</strong>e Komö<strong>die</strong> gewesen wäre. Lei<strong>de</strong>r war esjedoch <strong>die</strong> Wirklichkeit. Die Admiralität hatte se<strong>in</strong>en Maydayruf übermittelt bekommen,aber nun hatte Lan<strong>de</strong>r plötzlich alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Schuld an allem. Und das, obwohl er damalswie auch heute nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>n Selbstzerstörungsco<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Schiffes besessen hatte! Diese<strong>in</strong>em Stabsoffizier zu erklären, <strong>de</strong>r ihn schlichtweg hassen wollte, schien jedoch e<strong>in</strong>eunmögliche Sache zu se<strong>in</strong>. Die unbarmherzigen, anklagen<strong>de</strong>n grauen Augen ließen ihnke<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong> los, als er sich abwandte und lang ausstreckte. Diese ger<strong>in</strong>ge Möglichkeit<strong>de</strong>r Bewegung war etwas, das ihm ganz alle<strong>in</strong> vergönnt war, und doch empfand er dabeike<strong>in</strong>e Freu<strong>de</strong>.Er bil<strong>de</strong>te sich e<strong>in</strong>, dass es ihm nichts ausmachen wür<strong>de</strong>, aber es machte ihm sehr wohletwas aus. H<strong>in</strong>ter ihnen lag erneut e<strong>in</strong>e Fusionsbombe, <strong>die</strong> er außer Gefecht hätte setzenkönnen, wenn er nicht versucht hätte, sich <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren anzupassen. Er wollte nicht alsKriecher und Verräter wirken, weil er ke<strong>in</strong>er war. Er war genauso gegen se<strong>in</strong>en Willenhier wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren, ja er war erst vor Stun<strong>de</strong>n schwer misshan<strong>de</strong>lt und vergewaltigtwor<strong>de</strong>n - und niemand <strong>in</strong>teressierte sich dafür!Er hatte Fowley dafür gestraft, dass <strong>de</strong>r Lieutenant ihn nach allem, was sie zusammenerlebt hatten, wissentlich alle<strong>in</strong> zurückgelassen hatte. Es tat noch immer sehr weh. DerSchmerz wur<strong>de</strong> jedoch durch <strong>die</strong> Irreversibilität <strong>de</strong>s Ganzen noch schlimmer. Dies wur<strong>de</strong>ihm nur noch umso drängen<strong>de</strong>r bewusst, als er hörte, wie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rangeketteten Offiziere über ihn sprachen.


„Es wird zur Anklage kommen, wenn wir wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Bretonia s<strong>in</strong>d. Dafür wer<strong>de</strong> ich sorgen!Sie wer<strong>de</strong>n doch unter Eid gegen ihn aussagen, nicht wahr? Sie als Mann von Ehre trifftja sicherlich ke<strong>in</strong>e Schuld.“Es war so verdammt e<strong>in</strong>fach. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Victor Marlowe reichte aus, um das letzteschwache Band zwischen ihnen zu durchschnei<strong>de</strong>n, das noch existierte. Deshalb hatteLan<strong>de</strong>r auf e<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>igung <strong>de</strong>r Wun<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> relative Bequemlichkeit verzichtet. Erhatte unmöglich nahezu frei dasitzen mögen, während <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Bretonenbarbarisch an <strong>die</strong> Kiste gefesselt waren. Es war ihm falsch vorgekommen - und für <strong>die</strong>schon fast völlig zerstörte Freundschaft hatte er <strong>de</strong>shalb auch auf <strong>die</strong> Möglichkeitverzichtet, <strong>de</strong>n Zündmechanismus <strong>de</strong>r Fusionsbombe zu beschädigen. Von <strong>die</strong>serAnklage, <strong>die</strong> er sich selbst vorwarf, wusste außer ihm niemand, aber das machte eskaum leichter. Und nicht e<strong>in</strong>mal Fowley konnte ihm jetzt noch Trost bieten, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong>Antwort auf Marlowes aalglatte und beleidigen<strong>de</strong> Frage war kurz und prägnant.Es war das Wort e<strong>in</strong>es Mannes, <strong>de</strong>r sich entschie<strong>de</strong>n hatte, und lautete schlicht un<strong>de</strong>rgreifend: „Ja.“


Kapitel XI – Durchquerung <strong>de</strong>s Tals <strong>de</strong>r Tränen„Bewegung, Bewegung!“, fuhr Cly<strong>de</strong> Searle <strong>die</strong> Bretonen zum wie<strong>de</strong>rholten Mal an. DieHand mit <strong>de</strong>r Waffe fuchtelte vor ihnen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Luft herum.„Jaja, du st<strong>in</strong>ken<strong>de</strong>r Mistkerl!“, murmelte Marlowe leise und schleppte zusammen mitFowley e<strong>in</strong>e weitere Kiste <strong>in</strong> <strong>de</strong>n La<strong>de</strong>raum <strong>de</strong>r Dromedary.Patrick Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Last völlig alle<strong>in</strong> bewältigen und <strong>de</strong>shalb oft stehen bleibenmusste, verstand <strong>die</strong> Worte genau. Er war sich fast sicher, dass auch Searle sie gehörthatte, aber <strong>de</strong>r Zoner schien <strong>in</strong> Gedanken verloren und starrte zu Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>. Wegen <strong>de</strong>runerwünschten Aufmerksamkeit strengte <strong>de</strong>r Jüngste sich doppelt an und verschwandschließlich mit se<strong>in</strong>er Last im La<strong>de</strong>raum. Er war heilfroh, wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Kiste heil über <strong>die</strong>Rampe bekommen zu haben.Etwas rempelte ihn von h<strong>in</strong>ten an, gera<strong>de</strong> als er <strong>die</strong> Ladung absetzen wollte. Mit e<strong>in</strong>emKnall fiel sie zu Bo<strong>de</strong>n und quetschte dabei fast se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong>. „Hey!“„Gibt es e<strong>in</strong> Problem, Sub?“ Marlowe gr<strong>in</strong>ste, als er das sagte, und <strong>de</strong>r danebenstehen<strong>de</strong>Fowley mied Lan<strong>de</strong>rs Blick. Er rückte ihre Kiste anstelle <strong>de</strong>ssen an <strong>die</strong> richtige Stelle.Dem Lieutenant gefiel nicht, was hier lief, aber er opponierte auch nicht dagegen, wie eres sicherlich getan hätte, wenn sie bei<strong>de</strong> sich noch nähergestan<strong>de</strong>n hätten. So wiefrüher, bevor <strong>de</strong>r Stabsoffizier von Southampton zu ihnen gestoßen war und bevor erselbst Lan<strong>de</strong>r verraten hatte.Wieso <strong>de</strong>r Stabsoffizier Marlowe eigentlich an Bord <strong>de</strong>r Brisbane gewesen und jetztschlussendlich hier gelan<strong>de</strong>t war, das ahnte Lan<strong>de</strong>r noch immer nicht, aber Fowleywusste es vermutlich. Die bei<strong>de</strong>n tuschelten oftmals stun<strong>de</strong>nlang mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r undschlossen Lan<strong>de</strong>r dabei völlig aus.Es war wie damals, als er beobachten musste, wie Fowley auf <strong>de</strong>r Taufparty <strong>de</strong>s Schiffesmit Betty Halmers getanzt hatte. Er verg<strong>in</strong>g im Grun<strong>de</strong> vor Eifersucht, konnte sich abernicht dazu durchr<strong>in</strong>gen, etwas dagegen zu tun. Was <strong>de</strong>nn auch? Der durch und durcharrogante Victor Marlowe konnte ihn nicht ausstehen und hatte <strong>de</strong>n Lieutenant auf se<strong>in</strong>eSeite gezogen. Was konnte dagegen schon noch getan wer<strong>de</strong>n? Außer<strong>de</strong>m nagte FowleysVerrat noch immer an Lan<strong>de</strong>r, obwohl es mittlerweile wohl schon mehrere Wochen herwar. Seit<strong>de</strong>m schlief er stets für sich und sprach ke<strong>in</strong> Wort mehr. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dassCly<strong>de</strong> Searle sich Sorgen machte. Er hatte sogar e<strong>in</strong>mal mit Lan<strong>de</strong>r sprechen wollen,aber das hatte es nur noch schlimmer gemacht.Wie wichtig e<strong>in</strong>e Freundschaft o<strong>de</strong>r auch nur Kameradschaft hier draußen war, wusste<strong>de</strong>r Sub-Lieutenant im Grun<strong>de</strong> schon seit Kalhmera und auch durch <strong>die</strong> Zeit danach. Wieschwierig es war, danach plötzlich ohne auszukommen, hatte er sich nicht e<strong>in</strong>malvorstellen mögen. Nun wusste er auch <strong>die</strong>s.Die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren heckten Fluchtpläne. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st das hatte er mehrfach gehört. WasFowley <strong>de</strong>m Stabsoffizier erzählt hatte, um ihm zu gefallen, wusste Lan<strong>de</strong>r nicht, aber erkonnte sich <strong>de</strong>nken, dass man ihn liebend gern zurücklassen wür<strong>de</strong>, wenn <strong>die</strong>langersehnte Gelegenheit zur Flucht kam. Das alle<strong>in</strong> war schon schlimmer als je<strong>de</strong>rSchlag <strong>in</strong>s Gesicht. Die Bissigkeit Marlowes und das bewusste Wegsehen se<strong>in</strong>esehemaligen Freun<strong>de</strong>s Fowley machten es nur noch schlimmer.Es war ihm schwer auf <strong>die</strong> Seele geschlagen, so viel ließ sich nicht leugnen. Innerlichertappte Lan<strong>de</strong>r sich sogar dabei, dass er Marlowe hasste. Wenn er an <strong>de</strong>n Corsairdachte, empfand er e<strong>in</strong>fach gar nichts. Sie hatten <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Verbrechers noche<strong>in</strong>mal gehört, als Searle <strong>die</strong> Bombe am Treffpunkt abgeliefert und das Geld <strong>de</strong>s Corsairskassiert hatte. Da war <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>elle jedoch wohl nicht <strong>in</strong> Stimmung gewesen. O<strong>de</strong>r abernoch gesättigt vom Tag vorher, als er sich an Patrick Lan<strong>de</strong>r vergangen hatte. Fast schonhatte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant sich gewünscht, dass es Victor Marlowe auch passieren möge.Es war purer Hass, nichts weiter. Auch Cly<strong>de</strong> Searle mochte er im Vergleich zu <strong>de</strong>mLieutenant Comman<strong>de</strong>r gera<strong>de</strong>zu gut lei<strong>de</strong>n, und das machte Lan<strong>de</strong>r richtig Angst.„Was ist hier los?! Warum arbeitet ihr nicht, ihr Drecksbretonen?“ Der Zoner hatte <strong>de</strong>nKnall <strong>de</strong>r herabfallen<strong>de</strong>n Kiste gehört und war ihnen mit <strong>de</strong>r Waffe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Handnachgekommen.„Ja, Mister.“ Marlowes Lippen wur<strong>de</strong>n von e<strong>in</strong>em ger<strong>in</strong>gschätzigen Lächeln umspielt, dasnur Lan<strong>de</strong>r sah. Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r wandte sich ab und g<strong>in</strong>g zum Ausgang.


Fowley folgte ihm schwankend. Der Fuß machte wohl wie<strong>de</strong>r Probleme, aber wie schlimmes war, wusste Lan<strong>de</strong>r natürlich nicht. Der Lieutenant sprach ja nur noch mit <strong>de</strong>mStabsoffizier.Der Zoner stieß <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n vorwärts und richtete <strong>de</strong>n Blick auf Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r dumpf auf <strong>die</strong>Kiste starrte. Sie enthielt m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens siebzig Kilo an mediz<strong>in</strong>ischem Gerät. Genug, umihm <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger e<strong>in</strong> für alle Mal abzuquetschen. Bei <strong>de</strong>m Gedanken drehte sich ihm <strong>de</strong>rMagen um. Wollte Marlowe ihn etwa verstümmeln o<strong>de</strong>r gar umbr<strong>in</strong>gen? Es schien fast so.Was hatte er <strong>de</strong>m Mann <strong>de</strong>nn getan? Sie trugen doch <strong>die</strong>selbe Uniform.„Raus mit dir, du fauler Hund!“ Auch Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>em Schlag getroffen. Searleprügelte ihn wie stets, damit es nicht auffiel. Er wusste, dass <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant ja nichtbevorzugt wer<strong>de</strong>n wollte. Nun hatte er se<strong>in</strong>e Ansicht augensche<strong>in</strong>lich geän<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>nnLan<strong>de</strong>r flog gegen e<strong>in</strong>ige leere Frachtnetze, <strong>die</strong> natürlich nachgaben, sodass er unsanftauf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n lan<strong>de</strong>te.Der Zoner machte Anstalten nachzusetzen. Als er <strong>de</strong>n Blick hob, sah Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> dasspöttisch gr<strong>in</strong>sen<strong>de</strong> Gesicht <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs. Fowley h<strong>in</strong>gegen war nicht zusehen. Er war wohl schon draußen und rief jetzt nach Marlowe.Mit e<strong>in</strong>em Fluch wandte sich Cly<strong>de</strong> Searle ab und scheuchte <strong>de</strong>n Stabsoffizier ebenfallsh<strong>in</strong>aus. Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m das Blut aus <strong>de</strong>r Nase zu strömen begann, blieb alle<strong>in</strong> und betäubt<strong>in</strong> <strong>de</strong>m Frachter zurück. Ihm wur<strong>de</strong> bewusst, wie leicht und verlockend es doch wäre,alles h<strong>in</strong>zuwerfen. E<strong>in</strong>fach nur aufzugeben und irgendwann zu sterben.Mit Schreien und Schlägen trieb <strong>de</strong>r Händler <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n ranghöheren Offiziere mit <strong>de</strong>rnächsten Kiste an Bord. Sie würdigten <strong>de</strong>n dasitzen<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>es Blickes. O<strong>de</strong>rbesser gesagt Fowley tat es schon, aber er sah dann wie stets betreten zu Bo<strong>de</strong>n. Es warbei ihm e<strong>in</strong>fach <strong>die</strong> lebendige Demonstration e<strong>in</strong>es schlechten Gewissens, <strong>die</strong> ihn wohldaran h<strong>in</strong><strong>de</strong>rte, zu ihm zu kommen und ihn anzusprechen, wie er es früher garantiertgetan hätte.Da es nicht mehr allzu viel e<strong>in</strong>zula<strong>de</strong>n gab, befahl Searle <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren nach h<strong>in</strong>ten. Trotz<strong>de</strong>r offenen Luke dachte Lan<strong>de</strong>r jedoch nicht an Flucht. Ihm fehlten <strong>die</strong> Kraft und <strong>de</strong>rAntrieb dazu. Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal war er an <strong>de</strong>r Grenze angelangt, aber <strong>die</strong>smal hatte manihm nichts angetan und niemand war gestorben. Es war e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art von Grenze,aber sie war nicht m<strong>in</strong><strong>de</strong>r be<strong>de</strong>utend.Cly<strong>de</strong> Searle sah aufmerksam auf ihn herunter. „Komm, wir la<strong>de</strong>n jetzt <strong>die</strong> letzten Kistene<strong>in</strong>, dann gehen wir das Blut abwaschen und danach re<strong>de</strong>n wir.“„Es gibt nichts zu re<strong>de</strong>n, Mister“, wehrte Lan<strong>de</strong>r ab und stand schwankend auf, um <strong>die</strong>ihm aufgetragene Aufgabe auszuführen.„Das zu entschei<strong>de</strong>n überlässt du bitte mir, ja?“ Es klang ke<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>dseligkeit heraus. Nure<strong>in</strong>e leichte Ungeduld, als er Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Klaps gab. „Und jetzt auf!“Der Freelancer spielte Theater. Er spielte sogar ziemlich gut. Während er mit Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong>Kisten selbst e<strong>in</strong>lud, brüllte Searle fast ohne Unterlass und trat e<strong>in</strong>mal sogar gegen <strong>die</strong>Metallhülle se<strong>in</strong>er geheiligten Dromedary. Als sie fertig waren, führte er Lan<strong>de</strong>r unterlautem Fluchen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mitte <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e.Dann erst begriff <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r nächste Befehl war e<strong>in</strong> Unikum. „Kannstdu richtig laut schreien?“„Was?“„Tu es e<strong>in</strong>fach. Ich verprügele dich nämlich gera<strong>de</strong>, Junge.“Und als Lan<strong>de</strong>r nicht zeitig genug damit anf<strong>in</strong>g, traf e<strong>in</strong> Schlag erst dumpf <strong>die</strong> Kisteh<strong>in</strong>ter ihm, und danach bekam er e<strong>in</strong>e schallen<strong>de</strong> Ohrfeige versetzt. Er starrte Searle an,bis <strong>de</strong>r Zoner zwischen zwei Flüchen zischte: „Wenn du nicht noch mehr Ärger mit <strong>de</strong><strong>in</strong>enFreun<strong>de</strong>n dah<strong>in</strong>ten haben willst, wür<strong>de</strong> ich jetzt so tun, als ob ich Schmerzen hätte!“Ihr Besitzer tat es für ihn. Ab da schrie Lan<strong>de</strong>r so überzeugend er konnte, währendSearle weiterh<strong>in</strong> alles tat, um so zu wirken, als ob er <strong>de</strong>n Sub-Lieutenant übelzusammenschlüge. Der S<strong>in</strong>n und Zweck <strong>de</strong>r ganzen Übung g<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r zwar nicht auf,aber er machte, was von ihm verlangt wur<strong>de</strong>.Irgendwann hörte Searle annähernd auf und flüsterte: „Wirf dich h<strong>in</strong> und spiel <strong>de</strong>n totenMann!“ Bevor er noch e<strong>in</strong> letztes Mal verme<strong>in</strong>tlich zuschlug und dann mit e<strong>in</strong>emverächtlichen Schniefen laut verkün<strong>de</strong>te: „Dreckiger Bastard!“Wie e<strong>in</strong> zweitklassiger Schauspieler <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schlechten Stück ließ Lan<strong>de</strong>r sich fallen.Danach herrschte Stille. Er wollte sprechen, aber Searle presste e<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger auf <strong>de</strong>n


Mund, um ihm Ruhe zu signalisieren. Dann zerrte er Lan<strong>de</strong>r hoch und bugsierte ihn zurLuke.H<strong>in</strong>ten bei Fowley und Marlowe war es verme<strong>in</strong>tlich still, aber er konnte sich vorstellen,dass sie erregt mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r flüsterten.Während<strong>de</strong>ssen zerrte Searle ihn ungesehen sowie möglichst leise h<strong>in</strong>aus und knallte <strong>die</strong>Luke zu. „So, me<strong>in</strong> Freund!“„Was soll das?“, erlaubte Lan<strong>de</strong>r sich erstmalig e<strong>in</strong>e Frage.Er erhielt ke<strong>in</strong>e Antwort, son<strong>de</strong>rn bekam nur e<strong>in</strong> Taschentuch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand gedrückt.„Wisch dir das Blut wenigstens e<strong>in</strong> bisschen ab. Ich hätte nie gedacht, dass ich das malfür e<strong>in</strong>en verdammten Leibeigenen tun wür<strong>de</strong> - und schon gar nicht für e<strong>in</strong>en Bretonen!Fakt ist jedoch, dass du an<strong>de</strong>rs bist. Ich mag dich, weil du Schneid hast, und ich willnicht, dass du mir e<strong>in</strong>gehst. Nicht wegen <strong>die</strong>ser bei<strong>de</strong>n Idioten!“ Er fasste Lan<strong>de</strong>r an <strong>de</strong>rHand und zog ihn <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s Stations<strong>in</strong>neren. Der Sub-Lieutenant spürte, wie ihmschw<strong>in</strong><strong>de</strong>lig wur<strong>de</strong>. Vielleicht lag es an <strong>de</strong>m Schlag o<strong>de</strong>r aber daran, dass er noch nie imInneren e<strong>in</strong>es Freeports gewesen war. Immer nur auf <strong>de</strong>n Hangar<strong>de</strong>cks <strong>de</strong>r diversenFreihan<strong>de</strong>lsstationen.„Woh<strong>in</strong> gehen wir?“, nuschelte er durch das schmutzige Taschentuch vor se<strong>in</strong>em Gesicht.„In <strong>die</strong> Bar. Wir gehen e<strong>in</strong>en tr<strong>in</strong>ken, frühstücken dabei und unterhalten uns e<strong>in</strong> wenig.“„Bitte, ich möchte das nicht, Mister Searle! Br<strong>in</strong>gen Sie mich zurück!“„Hast wohl Angst, was? Dir wird schon nichts passieren, Kle<strong>in</strong>er. Du bist außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>rErste <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>er Lage, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong> gutes Frühstück ablehnt. Dabei kannst gera<strong>de</strong> du esbrauchen, <strong>de</strong>nn ich habe sehr wohl gesehen, wie du <strong>de</strong><strong>in</strong>e Nahrungspillen immerverschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n lässt. Wie lange hast du nichts mehr gegessen? Drei Tage? Fünf?“„E<strong>in</strong>e halbe Woche“, rutschte Lan<strong>de</strong>r heraus.„Du bist wirklich e<strong>in</strong> verfluchter Idiot!“ Searle bedachte ihn mit e<strong>in</strong>em Seitenblick. „Abere<strong>in</strong> verdammt sympathischer. Für e<strong>in</strong>en Bretonen.“Lan<strong>de</strong>r ergab sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> weiteres Schicksal. Er betrat <strong>in</strong> Searles Griff <strong>die</strong> schummrigeBar, <strong>die</strong> auch nicht so viel an<strong>de</strong>rs aussah als e<strong>in</strong> ärmliches Pub auf Planet Leeds, und ließsich zu e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Tische führen. „B<strong>in</strong> gleich wie<strong>de</strong>r da, also geh nicht weg!“E<strong>in</strong>e <strong>de</strong>rartige Intention hatte Lan<strong>de</strong>r sowieso nicht mehr. Er war mittlerweile über <strong>de</strong>nPunkt h<strong>in</strong>aus, an <strong>de</strong>m er noch an Flucht und Freiheit glauben konnte. Wie se<strong>in</strong> vorigesLeben e<strong>in</strong>mal genau ausgesehen hatte, wusste er sowieso längst nicht mehr. Nichte<strong>in</strong>mal das Gesicht se<strong>in</strong>er Mutter konnte er sich vollends zurück <strong>in</strong>s Gedächtnis rufen. Eswar alles fort.„Hier! Das ist <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Tee, <strong>de</strong>n sie hatten. Ich fürchte unter uns gesagt, dass erscheußlich schmeckt.“ Der Zoner stellte e<strong>in</strong>e schmutzige Tasse vor ihm ab und legte zweiPillen daneben.Als Lan<strong>de</strong>r etwas darauf sagen wollte, w<strong>in</strong>kte Searle ab. „Lass es und iss.“Der Grenzweltler hatte sich e<strong>in</strong>en Whisky geholt und zün<strong>de</strong>te sich jetzt e<strong>in</strong>e übelriechen<strong>de</strong> Zigarette an, von <strong>de</strong>ren Gestank Lan<strong>de</strong>r fast schlecht wur<strong>de</strong>. Um es nicht zuzeigen, ergriff er nache<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Pillen und schluckte sie mit e<strong>in</strong>em kräftigen SchluckTee h<strong>in</strong>unter. Danach musste er wirklich husten, <strong>de</strong>nn das Gebräu schmeckte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tatscheußlich. Es war jedoch e<strong>in</strong>e Geste vonseiten <strong>de</strong>s Zoners, weshalb Lan<strong>de</strong>r ihm auchnicht sagte, dass er eigentlich überhaupt ke<strong>in</strong>en Tee mochte.„Hast du eigentlich Familie, Bretone?“ E<strong>in</strong>e fast <strong>de</strong>s<strong>in</strong>teressierte Frage, während Searleihn durch <strong>de</strong>n Rauch anstarrte.„Me<strong>in</strong>e Eltern leben noch auf Planet Leeds, wie ich annehme. Me<strong>in</strong> Vater ist dortGeistlicher.“„Nicht auf Planet New London, wie es sich für e<strong>in</strong>en Offizier gehört?“Mit e<strong>in</strong>em heiseren Lachen beugte Lan<strong>de</strong>r sich über <strong>die</strong> Teetasse. „Zu <strong>de</strong>nen habe ich niegehört, Mister Searle.“ Eigenartigerweise fiel ihm leicht, <strong>die</strong>s gegenüber e<strong>in</strong>emGrenzweltler zuzugeben.Der prüfen<strong>de</strong> Blick hielt an. „Und du hast ke<strong>in</strong> Mädchen o<strong>de</strong>r so? Nieman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r auf dichwarten wür<strong>de</strong>?“„Warum fragen Sie mich das alles, Mister?“ Lan<strong>de</strong>r verstand es nicht und wollte <strong>in</strong> <strong>die</strong>relative Sicherheit <strong>de</strong>s Frachters zurückkehren. Das war wenigstens e<strong>in</strong>e Welt, <strong>die</strong> ernach langen Monaten kannte. An<strong>de</strong>rs als <strong>die</strong>ser vollgestopfte, st<strong>in</strong>ken<strong>de</strong> Raum, <strong>de</strong>r zue<strong>in</strong>er Welt gehörte, <strong>die</strong> ihm Angst machte.


„Beantworte me<strong>in</strong>e Frage, und ich gebe dir <strong>die</strong> Antwort auf <strong>de</strong><strong>in</strong>e.“Lan<strong>de</strong>r gab auf und schlug <strong>die</strong> Augen nie<strong>de</strong>r. „Ne<strong>in</strong>, Mister. Ich b<strong>in</strong> solo.“„So sagt man das also heute.“ Kopfschüttelnd blies Searle <strong>de</strong>n Rauch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Luft, sognoch e<strong>in</strong>mal tief an <strong>de</strong>r Zigarette und drückte sie dann umständlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em längstüberlaufen<strong>de</strong>n Aschenbecher aus. „Zu me<strong>in</strong>er Zeit hat man das noch an<strong>de</strong>rs gesagt. ImVergleich mit dir komme ich mir alt vor.“„Was wollen Sie überhaupt von mir?“„Tja, Junge, ich versuche dir gera<strong>de</strong> beizubr<strong>in</strong>gen, dass auf Planet New London vor dreiTagen <strong>die</strong> zweite Fusionsbombe von <strong>de</strong><strong>in</strong>em ehemaligen Schiff hochgegangen ist.“Nach <strong>die</strong>sem verbalen Schlag starrte Lan<strong>de</strong>r ihn an. Er war unfähig, etwas zu sagen, jasprichwörtlich wie betäubt vor Schock.„Über vier Millionen Tote sagt man. Da du dort ke<strong>in</strong>e Familie hast, betrifft dich dasnatürlich eher weniger. Das Wetter war ungünstig und hat <strong>die</strong> verseuchten Wolken weitause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r getrieben. Dann f<strong>in</strong>g es an zu regnen, und das Zeug hat sich verteilt.Vermutlich wer<strong>de</strong>n noch weitere Millionen sterben. Wie ich <strong>de</strong>nke, haben <strong>die</strong> Corsairsnoch zusätzlich an <strong>de</strong>r Bombe herumgebastelt.“Lan<strong>de</strong>r blickte auf. Er hatte kaum zugehört. „Warum, Mister Searle? Warum verkaufenSie <strong>die</strong> Bomben für Comman<strong>de</strong>r Raven an solche grausamen Menschen wie <strong>die</strong> Corsairs?“Die Frage blieb ihm fast im Hals stecken.Der Händler erwi<strong>de</strong>rte se<strong>in</strong>en Blick nahezu ungerührt. „Weil es sonst e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer machenwür<strong>de</strong>. Schuld habe nicht ich, son<strong>de</strong>rn eure Gesellschaft. Dir muss ich das allerd<strong>in</strong>gssicherlich nicht erzählen. Jene Querköpfe wie Marlowe haben e<strong>in</strong>en Admiral ErasmusRaven geschaffen. Alle vier Häuser haben wie<strong>de</strong>rum Leute wie <strong>die</strong> Corsairs geschaffen.Unrecht gebiert neues Unrecht. Armut und e<strong>in</strong>em entgegengebrachte Verachtungproduzieren Hass. Gera<strong>de</strong> Verachtung tut das. Das weißt du vermutlich selbst am besten,<strong>de</strong>nn du hasst Marlowe. Mit gutem Grund, wie ich me<strong>in</strong>e.“„Was wissen Sie schon, Mister?“ Lan<strong>de</strong>r sah mit brennen<strong>de</strong>n Augen an Searle vorbei. Erhätte <strong>die</strong>smal etwas tun können, um <strong>die</strong> Bombe zu sabotieren und es so zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn.„Ich weiß vieles. D<strong>in</strong>ge zu wissen rettet e<strong>in</strong>em hier draußen oft das Leben. Ich habe vorTagen beiläufig gehört, wie Marlowe <strong>de</strong><strong>in</strong>em Freund erzählt hat, dass er mit <strong>de</strong><strong>in</strong>erFreund<strong>in</strong> im Bett war. Er hat damit geprahlt.“Dieser neue Tiefschlag riss Lan<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Lethargie. „Wie bitte?“Searle betrachtete ihn und zün<strong>de</strong>te sich e<strong>in</strong>e neue Zigarette an. „Ich sage <strong>die</strong> Wahrheit.Irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Betty ist es doch, nicht wahr?“Wenn man <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Nachrichten mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r verglich, war irgendwie schwerlich zusagen, was schlimmer war. Vier Millionen Tote durch e<strong>in</strong>e Fusionsbombe o<strong>de</strong>r <strong>die</strong>Entehrung e<strong>in</strong>es Mädchens, das man geliebt hatte. Von <strong>de</strong>n vier Millionen kannte er mitSicherheit nieman<strong>de</strong>n, aber Betty Halmers h<strong>in</strong>gegen…„Sie hat e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d von ihm bekommen, Junge. Er erwähnte es, weil er nach Planet Leedsfliegen und sich e<strong>in</strong>em Vaterschaftstest unterziehen musste. Demnach muss er ihr dafürUnterhalt bezahlen und me<strong>in</strong>te, dass se<strong>in</strong>e jetzige Situation <strong>de</strong>shalb auch Vorteile hat.‚So bekommt <strong>die</strong>se kle<strong>in</strong>e Schlampe nämlich ke<strong>in</strong>en Credit mehr von mir!’, wie er esauszudrücken pflegte.“„Ich br<strong>in</strong>ge ihn um“, sagte Lan<strong>de</strong>r schlicht. Er starrte auf se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> h<strong>in</strong>unter undstellte fest, dass sie zitterten.„Me<strong>in</strong>en Segen hast du. Möchtest du jetzt vielleicht mit <strong>de</strong>m schwarzen Gesöff daaufhören und lieber was Anständiges tr<strong>in</strong>ken?“„E<strong>in</strong>en doppelten Whisky bitte.“E<strong>in</strong> amüsiertes Hochziehen <strong>de</strong>r hässlichen buschigen Augenbrauen verriet ihm SearlesMe<strong>in</strong>ung dazu, aber <strong>de</strong>r Zoner enthielt sich und stand auf. Auch se<strong>in</strong> eigenes Glas warmittlerweile leer, weshalb er es gleich mitnahm.Der für e<strong>in</strong>en Moment alle<strong>in</strong> gelassene Lan<strong>de</strong>r versuchte, sich von <strong>de</strong>m Gehörten zuerholen und es rational angehen zu lassen. Der Zoner war e<strong>in</strong> Verbrecher, <strong>de</strong>r <strong>in</strong>direktam To<strong>de</strong> vieler Millionen Menschen schuld war, weil er mit Massenvernichtungswaffenaus bretonischen Militärbestän<strong>de</strong>n unmoralischen Han<strong>de</strong>l trieb. Das war jedoch irgendwiefast zu vernachlässigen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Gedanke an Betty war ebenso da und ließ sich nichtverdrängen. Ihr Gesicht war das Erste aus <strong>de</strong>r Vergangenheit, das er wie<strong>de</strong>r klar vor sichsah. Er sah sie wie<strong>de</strong>r so, wie sie an jenem Tag auf <strong>de</strong>r Brisbane gewesen war. E<strong>in</strong>


lon<strong>de</strong>r Engel im schwarzen Abendkleid. Wie sie wohl ausgesehen hatte, als Marlowe mitihr fertig gewesen war und ihre Mutter zu Hause das Geständnis aus ihr herauspresste?Der Versuch, sich zu beruhigen, scheiterte. Als Searle endlich mit <strong>de</strong>m Alkohol kam,nahm Lan<strong>de</strong>r ohne nachzu<strong>de</strong>nken das Glas und schüttete e<strong>in</strong>en großen Schluck <strong>in</strong> sichh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>.„Prost, Junge.“Der Stoff brannte ihm e<strong>in</strong> Loch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kehle und ließ ihn husten. Auch auf <strong>de</strong>r Oxfordhatte er niemals solchen Alkohol zu tr<strong>in</strong>ken bekommen. Und <strong>de</strong>nnoch leerte er das Glas.„Noch e<strong>in</strong>en?“ Der Freelancer gr<strong>in</strong>ste und g<strong>in</strong>g bereits zum Tresen, ohne auf Lan<strong>de</strong>rsAntwort zu warten.Wie viele doppelte Whiskys er an jenem Morgen trank, wusste <strong>de</strong>r Leedser nicht. Erwusste nur um <strong>die</strong> schrecklichen Folgen <strong>die</strong>ses e<strong>in</strong>maligen Exzesses.Searle hatte ihn zurück an Bord gebracht, <strong>de</strong>nn als er mit höllischen Kopfschmerzenaufwachte, befand er sich wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ecke <strong>de</strong>r Dromedary, und sie flogen.Neben ihm stan<strong>de</strong>n <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n altbekannten Eimer, aber er konnte sich wenigstensvollends bewegen. Das war auch nötig, <strong>de</strong>nn er erbrach sich mehrfach und heftig <strong>in</strong> <strong>de</strong>nAbort. Aus <strong>de</strong>m Wassereimer trank er danach, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n gierig dasWasser daraus schöpfte und es schließlich auch über se<strong>in</strong>en Kopf sowie das Gesichtr<strong>in</strong>nen ließ.Fast schon erwartete er Spott und Hohn von Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Marlowe, aber esblieb still. Verdächtig still. Als er sich bewegen konnte, ohne dabei allzu große Schmerzeno<strong>de</strong>r diverse Schw<strong>in</strong><strong>de</strong>lanfälle zu bekommen, begriff er, dass er alle<strong>in</strong> war. VictorMarlowe und Daniel Fowley waren fort.Schwankend kam er auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e und begann, sie zu suchen, aber er hatte ke<strong>in</strong>enErfolg. Das Loch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf pe<strong>in</strong>igte ihn. Er hatte e<strong>in</strong>en Blackout gehabt.Irgendwann erreichte er nach <strong>de</strong>r Durchsuchung <strong>de</strong>s Schiffes das Cockpit. „MisterSearle?“„Scher dich nach h<strong>in</strong>ten, wo <strong>de</strong><strong>in</strong> Platz ist, o<strong>de</strong>r ich b<strong>in</strong><strong>de</strong> dich wie<strong>de</strong>r an!“Der wüten<strong>de</strong> Ausbruch nach jener großen Vertrautheit war e<strong>in</strong> Schock, aber Lan<strong>de</strong>rkonnte und wollte sich mit <strong>de</strong>r Wahrheit nicht abf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Sie war zu schrecklich. SchlechteGesellschaft war immer noch besser als ganz alle<strong>in</strong> zu se<strong>in</strong>, und <strong>die</strong>se Erkenntnis war ihmdoch irgendwie völlig neu. Was hatte er Searle nur <strong>in</strong> jener Bar gesagt? Und was hatte<strong>de</strong>r Zoner danach getan? Wenn er sich doch nur er<strong>in</strong>nern könnte!„Wo s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren, Mister Searle? Sie haben sie doch nicht etwa… verkauft?“ Erbrachte <strong>die</strong> zaghafte Frage kaum über <strong>die</strong> Lippen und musste sich festhalten, um nicht zustürzen, als Searle <strong>die</strong> Thruster abrupt <strong>de</strong>aktivierte und <strong>de</strong>n Frachter sogar durchRückschub mitten im Flug stoppte.„Gar nichts habe ich! Sie s<strong>in</strong>d mir geklaut wor<strong>de</strong>n, weil man <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Frachtere<strong>in</strong>gebrochen hat! Sie haben me<strong>in</strong>en Freund Peter sogar verprügelt, als er nachsehenwollte, was <strong>die</strong> bei me<strong>in</strong>em Schiff machen! Verdammte Outcasts, verdammte Welt! Mach,dass du wegkommst, du verdammter Bretone!“Etwas kam geflogen und verfehlte se<strong>in</strong>en Kopf nur knapp.Verschreckt stolperte Lan<strong>de</strong>r rückwärts. Searle war betrunken, so viel war klar. Wie <strong>in</strong>Trance taumelte er zurück durch <strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e und machte kurz an <strong>de</strong>r Luke Halt. Es gabke<strong>in</strong>e Spuren e<strong>in</strong>es gewaltsamen E<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gens, und <strong>die</strong> Ahnung wur<strong>de</strong> zur Gewissheit.Outcasts töteten lieber als bewusstlose Zeugen zu h<strong>in</strong>terlassen. Davon abgesehen hattejemand wie Cly<strong>de</strong> Searle ke<strong>in</strong>e Freun<strong>de</strong>. Skrupellose Menschen kannten ke<strong>in</strong>eFreundschaft. Das hatte Lan<strong>de</strong>r ja auch an Bord <strong>de</strong>r Brisbane gesehen, als ErasmusRaven sich nach Lionel K<strong>in</strong>gshams Tod unverfroren sofort selbst zum Capta<strong>in</strong> und späterzum Admiral machte.Victor Marlowe und Daniel Fowley waren verkauft wor<strong>de</strong>n, während er se<strong>in</strong>en Rauschausgeschlafen hatte. Searle hatte auch ihn ausgetrickst. Lan<strong>de</strong>r konnte sich <strong>die</strong>entsprechen<strong>de</strong> Situation lebhaft vorstellen und wusste, dass er <strong>de</strong>n Lieutenant niemalswie<strong>de</strong>rsehen wür<strong>de</strong>. Es hätte doch noch vieles gegeben, was sie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r hätten sagenmüssen. Wie damals mit se<strong>in</strong>em Vater - und wie<strong>de</strong>r war es zu spät!Lan<strong>de</strong>r sank schluchzend gegen <strong>die</strong> Wand und vergrub das Gesicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Armen. Erfühlte sich mutterseelenalle<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>r Welt. Die Achtung und somit <strong>in</strong>direkt <strong>die</strong> Gunste<strong>in</strong>es Grenzweltlers zu besitzen be<strong>de</strong>utete nur neues Leid anstatt e<strong>in</strong>er Erleichterung. Die


Bil<strong>de</strong>r ließen sich nicht verdrängen. Fowley, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Namen rief, als man ihn h<strong>in</strong>terMarlowe gefesselt aus <strong>de</strong>r Dromedary zerrte…Die Hän<strong>de</strong> fest auf <strong>die</strong> Ohren pressend begann Patrick Lan<strong>de</strong>r, zu schreien. Er schriegegen <strong>de</strong>n unbarmherzigen Lärm <strong>de</strong>r Thruster an, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>en wehen Kopf marterten, aberauch gegen se<strong>in</strong>en Schmerz, <strong>die</strong> wie<strong>de</strong>r erwachte Sehnsucht nach <strong>de</strong>r Heimat, se<strong>in</strong>eSchuldgefühle, se<strong>in</strong>en Hass auf Marlowe und <strong>die</strong> E<strong>in</strong>samkeit.Obwohl <strong>die</strong> Thruster e<strong>in</strong>en riesigen Lärm verursachten, hörte Searle wohl doch, dass se<strong>in</strong>verbliebener bretonischer Gefangener verrückt gewor<strong>de</strong>n war. Der Freelancer hielt erneutmitten im Raum an, kam nach h<strong>in</strong>ten und kippte <strong>de</strong>n Wassereimer über Lan<strong>de</strong>r aus.Danach schlug er <strong>de</strong>n Sub-Lieutenant fast k.o und kettete ihn an.Halb bewusstlos und fast wahns<strong>in</strong>nig gab Lan<strong>de</strong>r sich nur allzu gern e<strong>in</strong>em erlösen<strong>de</strong>nDelirium h<strong>in</strong>, aber selbst se<strong>in</strong>e Träume waren nicht erholsam. Sie boten nur Anlass zunoch mehr Trauer, Tränen und E<strong>in</strong>samkeit.„Beweg dich!“ Cly<strong>de</strong> Searle half mit e<strong>in</strong>em Tritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>tern tatkräftig nach. Er hatteseit <strong>de</strong>r Trennung von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ke<strong>in</strong>e Skrupel mehr, Patrick Lan<strong>de</strong>r sehr hartanzufassen.Das merkte <strong>de</strong>r Gefangene <strong>de</strong>utlich und wappnete sich dagegen mit Verweigerung. Daswie<strong>de</strong>rum hatte zur Folge, dass Searle ihm noch gewaltbereiter entgegentrat und ihnzwangsernährte. Der Zoner gab Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Nahrungspillen gegen se<strong>in</strong>en Willen e<strong>in</strong> undkettete ihn danach an, damit <strong>de</strong>r Zwangsarbeiter sich nicht selbst <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Halsstecken konnte, um zu erbrechen.Es war nur e<strong>in</strong>e Frage <strong>de</strong>r Zeit, bis es zum völligen Eklat kommen wür<strong>de</strong>. Vermutlichbereute Searle mittlerweile bitterlich, dass er <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren bei<strong>de</strong>n weggegeben hatte.Halbherzig versuchte Lan<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong>en Korb anzuheben, aber er war schwer. So schwer,dass er ihn erneut fallen ließ. Es klirrte gefährlich.„Du verdammtes Miststück! Zu nichts bist du mehr zu gebrauchen!“ Searle untersuchtese<strong>in</strong>e neue Ladung argwöhnisch und verpasste Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en schlecht gezieltenFaustschlag.Mittlerweile war es genug, <strong>de</strong>nn durch <strong>die</strong> tägliche Erniedrigung aufgrund <strong>de</strong>rZwangsernährung, <strong>die</strong> Gewalt und <strong>die</strong> E<strong>in</strong>samkeit hatte Lan<strong>de</strong>r jetzt endgültig <strong>die</strong> Nasevoll. Er hatte sich tagelang <strong>de</strong>m Moment genähert, an <strong>de</strong>m ihm alles egal se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>.Jetzt war <strong>de</strong>r Zeitpunkt da. Mit e<strong>in</strong>em Schrei fuhr er herum und stürzte sich auf Searle.Er schaffte es sogar, <strong>de</strong>n Zoner zu erreichen, und brachte se<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong>en Hieb an.Verblüfft starrte <strong>de</strong>r Kerl ihn an und schüttelte kurz <strong>de</strong>n Kopf. Dann kam das Echo.Aber auch Lan<strong>de</strong>r steckte e<strong>in</strong>. Er war so rasend, dass er <strong>de</strong>n Schmerz ignorierte. Erkonnte e<strong>in</strong>em geübten Grenzweltler trotz se<strong>in</strong>er halben Nahkampfausbildung nicht <strong>de</strong>nRang ablaufen und wusste das auch. Das Maß war <strong>de</strong>nnoch voll. Er konnte nicht mehran<strong>de</strong>rs und schlug zurück. Erstmalig seit er vor endlos lang anmuten<strong>de</strong>r Zeit auf <strong>die</strong>Oxford gekommen war, schlug er erbarmungslos zurück. Es tat gut.Lei<strong>de</strong>r unterlag er <strong>de</strong>nnoch nach unzähligen Körpertreffern - und selbst <strong>die</strong> größte Wutkonnte <strong>die</strong> zunehmen<strong>de</strong> Körperschwäche aufgrund <strong>de</strong>r wohlgezielten Treffer <strong>de</strong>s Zonersnicht wettmachen. Er lan<strong>de</strong>te nach e<strong>in</strong>em fiesen Magenschw<strong>in</strong>ger auf <strong>de</strong>r Nase undwur<strong>de</strong> prompt wie<strong>de</strong>r hochgerissen. Auch Searle war durch <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand rasendgewor<strong>de</strong>n und schien <strong>in</strong> allen Sprachen, <strong>die</strong> er beherrschte, gleichzeitig zu fluchen. Erfasste Lan<strong>de</strong>r fester und warf ihn gera<strong>de</strong>wegs <strong>in</strong> <strong>die</strong> Dromedary wie e<strong>in</strong> Stück Fracht. DerAufprall war hart und nahm <strong>de</strong>m jungen Bretonen zunächst <strong>die</strong> Luft. Trotz<strong>de</strong>m wappneteer sich so schnell es g<strong>in</strong>g für das, was jetzt kommen wür<strong>de</strong>. Es war auf alle Fälle zuerwarten, und <strong>de</strong>shalb durfte er jetzt nicht aufgeben!Der Tritt <strong>de</strong>s Händlers traf ihn unter <strong>de</strong>m K<strong>in</strong>n. Es klang hässlich und tat noch viel mehrweh. Mit e<strong>in</strong>em lauten Aufbrüllen stürzte Lan<strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Mann. Das Resultatwar das Gleiche, <strong>de</strong>nn wie<strong>de</strong>r lan<strong>de</strong>te er auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Dann begann <strong>die</strong> Rache. Tritteund Schläge hagelten auf ihn e<strong>in</strong>. Zunächst versuchte er noch, zurückzuschlagen, aberam En<strong>de</strong> siegte doch <strong>de</strong>r Schmerz. Es tat grauenvoll weh, aber er bettelte nicht umGna<strong>de</strong>. Er rollte sich lediglich zusammen und schützte se<strong>in</strong>e empf<strong>in</strong>dlichen Körperteilenotdürftig vor <strong>de</strong>r Gewalt.


Nach e<strong>in</strong>er Weile hörte es auf, und Searle beugte sich schwer atmend h<strong>in</strong>unter. Er ergriffLan<strong>de</strong>r am verdreckten Haarschopf und zerrte ihn halb hoch. „Schon genug, duwi<strong>de</strong>rliches Stück Abfall? Ich habe aber noch nicht genug!“Und wie<strong>de</strong>r warf er Lan<strong>de</strong>r durch <strong>die</strong> Gegend, aber <strong>die</strong>smal gegen e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Kisten.Stöhnend sackte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant zusammen, völlig unfähig, sich zu wehren. Vielleichtwar er sogar bewusstlos gewesen, <strong>de</strong>nn als er wie<strong>de</strong>r klar sehen konnte, hockte Searlevor ihm. Er gr<strong>in</strong>ste, und se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong> schlossen sich um Lan<strong>de</strong>rs Hals.„Ich br<strong>in</strong>ge dich um, du elendiger Bastard!“Diese Worte und <strong>de</strong>r schreckliche Druck um se<strong>in</strong>en Hals machten <strong>de</strong>m Offizier klar, dass<strong>de</strong>r Mann es ernst me<strong>in</strong>te. Absolut ernst. Er hatte sich manchmal gewünscht, tot zu se<strong>in</strong>,auch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Tagen, aber so nach Luft r<strong>in</strong>gend elendig zu verrecken warunmenschlich. Er kämpfte und spürte <strong>de</strong>nnoch, dass er verlor.Wenn er doch nur e<strong>in</strong>en Moment Luft bekäme! An <strong>de</strong>n Rän<strong>de</strong>rn se<strong>in</strong>es Blickfel<strong>de</strong>s breitetesich Schwärze aus. Die Panik überschwemmte Lan<strong>de</strong>rs Denken, und se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong>tasteten fahrig über <strong>de</strong>n Körper se<strong>in</strong>es Pe<strong>in</strong>igers, während das gr<strong>in</strong>sen<strong>de</strong> Gesicht <strong>de</strong>sZoners über allem zu schweben schien.Etwas Hartes. E<strong>in</strong>e letzte Chance, zu leben. Das Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g sorgte dafür, dass er es tat,noch bevor se<strong>in</strong> unterversorgtes Gehirn <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Panik realisierte, was er da ertastet hatte.Der Schuss knallte laut <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Dromedary. Der tödliche Druck ließ nach, undLan<strong>de</strong>r fiel nach Luft r<strong>in</strong>gend auf <strong>die</strong> Knie. Er schaffte es, e<strong>in</strong> Stück weit <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>rLuke zu kriechen, dann konnte er nicht mehr weiter und fiel <strong>in</strong> Ohnmacht.„Hallo! Mister Searle? S<strong>in</strong>d Sie da dr<strong>in</strong>? … Ich wür<strong>de</strong> gern e<strong>in</strong> Geschäft mit Ihnenabschließen… bitte öffnen Sie <strong>die</strong> Luke! … Hallo!“Die weibliche e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche Stimme drang <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Unterbewusstse<strong>in</strong> und ließ ihnschließlich hochschrecken. Jemand wollte etwas von <strong>de</strong>m Zoner… und Cly<strong>de</strong> Searle wartot. Patrick Lan<strong>de</strong>r wusste es, noch bevor er sich vergewissert hatte. Er hatte <strong>de</strong>n Zonerja schließlich getötet.Mühsam erhob er sich auf <strong>die</strong> Knie und überlegte verzweifelt, was er jetzt machen sollte.E<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> Searles war automatisch se<strong>in</strong>e Fe<strong>in</strong>d<strong>in</strong>, umso mehr natürlich, wenn siemerkte, dass <strong>de</strong>r Freelancer tot war. Ihm blühte dann unter Garantie nichts Gutes.Wenn es doch nur nicht so schwer gewesen wäre, gänzlich aufzustehen. Se<strong>in</strong> ganzerKörper bestand fast nur aus Schmerzen, am schlimmsten jedoch war se<strong>in</strong>e Kehle.„Kann man Ihnen helfen?“ E<strong>in</strong>e Männerstimme.„Ich suche Mister Searle. Ist er an Bord gegangen o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bar?“„Tja, ähh… Ke<strong>in</strong>e Ahnung, Miss. Soll ich für Sie nachfragen?“„Wenn Sie das tun wür<strong>de</strong>n...“Er hatte nur M<strong>in</strong>uten. Entwe<strong>de</strong>r er überrumpelte sie plus alle an<strong>de</strong>ren da draußen undversteckte sich danach o<strong>de</strong>r aber es war um ihn geschehen. Dass er selbst für <strong>die</strong>Grenzwelten sehr ärmlich und verdreckt aussah und <strong>de</strong>shalb selbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Barunangenehm herausstechen wür<strong>de</strong>, ahnte er. Es gab ke<strong>in</strong>en Platz zum Verstecken, außerer schaffte es, per Anhalter mit e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Frachter irgendwoh<strong>in</strong> zu reisen.Natürlich hatte er <strong>die</strong> Dromedary, aber was nutzte sie ihm, wenn er sie nicht fliegenkonnte?Er saß hier fest. Dieser Gedanke brachte ihn auf Trab. Wenn es schon zu En<strong>de</strong> g<strong>in</strong>g, sokonnte wenigstens hoffen, noch so viele wie möglich mitzunehmen. O<strong>de</strong>r aber sich selbstso schmerzlos und schnell wie möglich zu töten, <strong>de</strong>nn ihm stan<strong>de</strong>n Benjy und <strong>die</strong>Messerfolter auf Kalhmera noch lebhaft vor Augen. Lebendig sollten sie ihn nichtbekommen!Nach<strong>de</strong>m er zu <strong>die</strong>sem Entschluss gekommen war, fiel ihm <strong>de</strong>r Rest relativ e<strong>in</strong>fach. Erbedauerte zwar, nun doch sterben zu müssen, aber es heiterte ihn etwas auf, dass er Artund Zeitpunkt se<strong>in</strong>es Ablebens selbst wür<strong>de</strong> bestimmen können. Für e<strong>in</strong>en Moment warer frei.Daraufh<strong>in</strong> durchsuchte er Searles Leiche. Da man ihm an Bord <strong>de</strong>r Patrouillenkreuzererklärt hatte, wann e<strong>in</strong>e Leiche wie aussah und sich anfühlte, wusste er jetzt, dass er <strong>de</strong>nZoner vor m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens vier Stun<strong>de</strong>n getötet hatte. E<strong>in</strong>e Ewigkeit und e<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass


noch niemand nachsehen gekommen war. Das hätte das En<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet, <strong>de</strong>nn bewusstloshätte er ke<strong>in</strong>en Wi<strong>de</strong>rstand leisten können.Da war <strong>die</strong> Pistole, mit <strong>de</strong>r er Cly<strong>de</strong> Searle erschossen hatte. Bedauern empfand erke<strong>in</strong>es. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st nicht darüber. Er hätte nur se<strong>in</strong>e Mutter noch e<strong>in</strong>mal sehen wollen,bevor er starb.Wie<strong>de</strong>r hörte er Stimmen vor <strong>de</strong>r Luke und zog sich vorsichtig sowie so schonend wiemöglich hoch. Er wür<strong>de</strong> sie im o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Cockpits erwarten. Je<strong>de</strong>r Platz war sogut wie <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>nn so groß war <strong>de</strong>r Frachter nun auch wie<strong>de</strong>r nicht. Zu kle<strong>in</strong>, umsich dauerhaft zu verstecken, bis sie wie<strong>de</strong>r verschwan<strong>de</strong>n.Automatisch checkte er das Magaz<strong>in</strong> und fand vier Patronen dar<strong>in</strong>. Ausreichend für se<strong>in</strong>eZwecke, <strong>de</strong>nn im Extremfall brauchte er nur e<strong>in</strong>e. Die Handhabung e<strong>in</strong>er Waffe und se<strong>in</strong>damaliges Kampftra<strong>in</strong><strong>in</strong>g hatte er noch nicht vergessen. Er wartete. Die Geräusche vondraußen klangen hier weiter von <strong>de</strong>r Luke entfernt seltsam dumpf. Jemand machte sichan <strong>de</strong>m Mechanismus zu schaffen. Lan<strong>de</strong>r duckte sich zwischen mehreren Kisten und hob<strong>die</strong> Waffe.Mit e<strong>in</strong>em Klacken war <strong>de</strong>r Zugang frei.„Danke, Mister!“„Lass mich zuerst gehen, Janet!“„Was ist das, Alex? Etwa Blut?“Natürlich! Searle lag ja <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>r Tür! Lan<strong>de</strong>r fluchte <strong>in</strong>nerlich, weil er dasvergessen hatte. Nun wür<strong>de</strong>n sie gewarnt se<strong>in</strong>. Er entsicherte <strong>die</strong> Waffe und hielt sichbereit.„Du liebes Bisschen! Hier kannst selbst du nicht mehr helfen. Geh zum Frachter und sagBescheid!“„Was soll ich <strong>de</strong>nn sagen?“ Die Frau klang verzweifelt.„Die Wahrheit. Dieser Searle, falls er es <strong>de</strong>nn wirklich ist, wur<strong>de</strong> erschossen!“Es war zu hören wie jemand, vermutlich <strong>die</strong> Frau, verschwand. Aber auch <strong>de</strong>r Mann zogsich ansche<strong>in</strong>end zurück.E<strong>in</strong>e Weile verg<strong>in</strong>g, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>r schwitzend <strong>de</strong>r noch kommen<strong>de</strong>n D<strong>in</strong>ge harrte, bis sichweitere Schritte näherten.„Tja, also ich befürchte, dass wir zu spät s<strong>in</strong>d“, erklärte <strong>de</strong>r Mann jeman<strong>de</strong>m.„Ja, <strong>de</strong>nn irgendwer hat ihn umgebracht“, fügte <strong>die</strong> Frau hastig h<strong>in</strong>zu. Ihr Akzent warnun <strong>de</strong>utlich hörbar und i<strong>de</strong>ntifizierte sie als jeman<strong>de</strong>n aus Liberty. Mit <strong>de</strong>r erweitertenWahrnehmung e<strong>in</strong>es Menschen <strong>in</strong> To<strong>de</strong>serwartung hörte Lan<strong>de</strong>r auch so etwas. Nur auf<strong>die</strong> Stimme, <strong>die</strong> danach sprach, hätte ihn nichts und niemand auf <strong>de</strong>r Welt vorbereitenkönnen.„Ich frage mich nur, wer.“„Geh da lieber nicht re<strong>in</strong>! Vielleicht s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Mör<strong>de</strong>r noch dr<strong>in</strong>!“„Unwahrsche<strong>in</strong>lich, Janet, <strong>de</strong>nn er ist schon länger tot, wie es aussieht“, urteilte <strong>de</strong>rMann namens Alex.„Sterben müssen wir alle irgendwann. Ich habe schon Schlimmeres gesehen und erlebt,glaubt mir. Wir brauchen jedoch Gewissheit, und eben <strong>die</strong> Polizei rufen fällt hier draußenwohl lei<strong>de</strong>r aus.“ Schritte näherten sich <strong>de</strong>m Cockpit. Lan<strong>de</strong>r war wie gelähmt undbrachte es gera<strong>de</strong> noch fertig, <strong>die</strong> Waffe auf sich selbst zu richten, als <strong>de</strong>r ihm bekannteSprecher um <strong>die</strong> Ecke bog. Der hochgewachsene Mann wollte erst vorbeigehen, aberdann sah er <strong>die</strong> e<strong>in</strong>gezwängte Gestalt doch… und blieb stehen.Nach <strong>de</strong>n Erfahrungen <strong>de</strong>r Vergangenheit war Lan<strong>de</strong>r niemand mehr, <strong>de</strong>r sich Illusionenh<strong>in</strong>gab. Er verharrte bewegungslos, <strong>die</strong> entsicherte Waffe im Mund, <strong>de</strong>n F<strong>in</strong>ger amAbzug.„Duncan?“ Wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Frau. Sie kam näher.„Bleibt, wo ihr seid!“„Was ist los, Duncan?“, wollte nun auch <strong>de</strong>r zweite Mann wissen.Der Anführer breitete <strong>die</strong> Arme beschwichtigend aus und machte gleichzeitig e<strong>in</strong>e Geste,<strong>die</strong> sie anhalten ließ. „Patrick, ich b<strong>in</strong> es. Bitte glaub mir. Wir s<strong>in</strong>d wegen dir hier. Wegen<strong>de</strong><strong>in</strong>es Briefes an <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern.“Völlig erstarrt hörte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> beschwichtigen<strong>de</strong>n Worte und starrte <strong>de</strong>n Sprecher an.Vor ihm stand <strong>de</strong>r tote Duncan Avery, weshalb er sich fühlte, als ob er schon längst


gestorben war, ohne auch nur etwas davon zu bemerken. War <strong>de</strong>r Übergang zwischenLeben und Tod wirklich so glatt und sanft?„Patrick, nimm bitte <strong>die</strong> Waffe aus <strong>de</strong>m Mund und gib sie mir, ja? Wir wollen dich nachHause holen. De<strong>in</strong>e Eltern und Betty erwarten dich. Es ist vorbei.“Das Ganze war so unwirklich, dass er sich noch immer nicht bewegen konnte. DuncanAvery sah es, überlegte e<strong>in</strong>ige Sekun<strong>de</strong>n lang und g<strong>in</strong>g dann langsam vorwärts. „Bittegib mir <strong>die</strong> Waffe, Patrick. Wir s<strong>in</strong>d doch noch Freun<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r? Bitte vertrau mir.“Da auch <strong>die</strong>ser behutsame Appell nichts fruchtete und Avery berechtigte Skrupel hatte,e<strong>in</strong>en Mann mit e<strong>in</strong>er Waffe im Mund und <strong>de</strong>m F<strong>in</strong>ger am Abzug anzufassen, fügte ergera<strong>de</strong>zu flehentlich h<strong>in</strong>zu: „De<strong>in</strong>e Mutter hat für dich gebacken und dir e<strong>in</strong>en Briefgeschrieben, Patrick. Genau wie <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater auch. Wir haben alles drüben <strong>in</strong> unserer Mule.Möchtest du nicht mitkommen und es dir ansehen? Vielleicht auch <strong>die</strong> Briefe lesen? De<strong>in</strong>Vater bat mich außer<strong>de</strong>m, dir zu sagen, dass er dir verziehen hat und alles wie<strong>de</strong>r gutwird, wenn du nur gesund zu <strong>de</strong><strong>in</strong>er Familie zurückkommst.“Mit e<strong>in</strong>em lauten Schluchzen, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er wun<strong>de</strong>n Kehle schmerzte, legte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nSicherungshahn um und nahm <strong>de</strong>n Waffenlauf aus <strong>de</strong>m Mund. Der zurückbleiben<strong>de</strong>Metallgeschmack ließ Übelkeit <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er gereizten Kehle aufsteigen.Mit e<strong>in</strong>er hastigen Bewegung riss Avery ihm <strong>die</strong> Waffe aus <strong>de</strong>r Hand und reichte sie <strong>de</strong>man<strong>de</strong>ren Mann.Lan<strong>de</strong>r bemerkte, dass <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Bart und schäbige Zivilkleidungtrug. Genauso wie e<strong>in</strong> Holster am Gürtel. Die wi<strong>de</strong>rspenstigen braunen Locken warenjedoch <strong>die</strong> gleichen wie damals. Sogar <strong>die</strong> mangeln<strong>de</strong> Beherrschung war ihm noch immerzu eigen. Auch <strong>in</strong> Averys Augen funkelten Tränen, als er stumm <strong>die</strong> Hand ausstreckteund <strong>de</strong>nnoch <strong>die</strong> Berührung <strong>de</strong>s geschun<strong>de</strong>nen, misshan<strong>de</strong>lten Kollegen nicht wagte.Durch das Ergreifen <strong>de</strong>r Hand brach Lan<strong>de</strong>r selbst <strong>de</strong>n Bann, und sie fielen e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>in</strong><strong>die</strong> Arme. Auch <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>st so elegante Avery roch nach Schweiß und an<strong>de</strong>ren D<strong>in</strong>gen, <strong>die</strong>für <strong>die</strong> Grenzwelten typisch waren.Schluchzend fragte Lan<strong>de</strong>r: „Wie…?“„Gleich!“ Jemand g<strong>in</strong>g grob dazwischen und riss Avery fast aus se<strong>in</strong>en Armen. Lan<strong>de</strong>rwollte schon vorwärts stürzen, weil er e<strong>in</strong>e Falle befürchtete, aber <strong>de</strong>r Stabsoffizierunterband es mit <strong>de</strong>r hastigen Vorstellung <strong>de</strong>s Frem<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>r Frau: „Patrick, das s<strong>in</strong>dDoktor Janet Field und Alexan<strong>de</strong>r Field. Janet ist Ärzt<strong>in</strong>, und ihr Mann kennt sich hierdraußen aus. Bei<strong>de</strong> haben für verschie<strong>de</strong>ne humanitäre Organisationen <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten gearbeitet. Leute, das ist er.“„Und genau weil ich mich hier auskenne, b<strong>in</strong> ich jetzt auch <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass wir schnellvon hier verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n sollten!“„Und was wird aus <strong>de</strong>m Toten, Alex?“„Wir lassen ihn hier. Irgendwer wird <strong>die</strong> Dromedary schon gebrauchen können.“ DieseEntscheidungskraft Averys war Lan<strong>de</strong>r unbekannt. Früher war <strong>de</strong>r LieutenantComman<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rs gewesen, aber jetzt…„Kommt schon!“, drängte <strong>de</strong>r Ehemann <strong>de</strong>r Ärzt<strong>in</strong>, und Avery bugsierte Lan<strong>de</strong>r gehorsam<strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>r Luke.„Wartet e<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong>!“„Wir haben ke<strong>in</strong>e Zeit…“, rief Avery ihm nach, aber Lan<strong>de</strong>r stürzte rasch nach h<strong>in</strong>ten. Erhatte das Gefühl, dass es e<strong>in</strong>mal wichtig se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st für ihn.„Gegen das Vergessen!“, murmelte er, als er e<strong>in</strong>e Eisenfessel aus e<strong>in</strong>er Ecke klaubte.Die an<strong>de</strong>ren warteten draußen bereits auf ihn und nahmen ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mitte. Avery g<strong>in</strong>gneben ihm und hielt ihn fest, obwohl es nicht nötig war. Nach <strong>de</strong>m eiligen Fußmarschüber das belebte Hangar<strong>de</strong>ck sah Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r hässlichsten Raumschiffe <strong>de</strong>sUniversums vor sich. Niemand hatte sie angehalten.Nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> Luke zugeknallt war, rief e<strong>in</strong>e weitere Männerstimme von vorn: „Habt ihrwas gefun<strong>de</strong>n?“„Ja, ihn! Wir können sofort starten und nach Hause fliegen, Nicholas!“ Die kaum zuüberhören<strong>de</strong> Emotion <strong>in</strong> Averys Stimme drückte tiefste Freu<strong>de</strong> aus, bevor er <strong>de</strong>mangespannten Lan<strong>de</strong>r erklärte: „Es ist alles <strong>in</strong> Ordnung. Du bist unter Freun<strong>de</strong>n.“Mit fasz<strong>in</strong>iertem Horror starrte Avery das D<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Hand an, genauso wie <strong>die</strong>an<strong>de</strong>ren auch.


Die Thruster wur<strong>de</strong>n aktiviert, und <strong>die</strong> Mule hob ab. Erst jetzt, als er <strong>in</strong> Averys ebenfallsseltsam mü<strong>de</strong>s Gesicht sah, begriff er, und se<strong>in</strong>e Knie gaben nach.Avery und Field halfen ihm, sich auf e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r wenigen zerschlissenen grünen Sitze fallenzu lassen.„Lasst mich ran, Leute! Unser Freund sieht aus, als hätte er sich mit jeman<strong>de</strong>mangelegt.“„Ich habe gewonnen“, protestierte Lan<strong>de</strong>r schwach.Das Lächeln <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs war ehrlich. „Ich weiß.“„Du bist gera<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r Waffe e<strong>in</strong> großes Risiko e<strong>in</strong>gegangen, Duncan“, kritisierte AlexField.„Hat sich doch gelohnt, o<strong>de</strong>r? Er hätte eher auf sich selbst geschossen <strong>de</strong>nn auf mich.“Das Leuchten <strong>in</strong> Averys Augen wärmte Lan<strong>de</strong>rs Herz, vor allem als <strong>de</strong>r Mann ihn spontannoch e<strong>in</strong>mal an sich drückte…„Weg da!“, verlangte <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> energisch.„Ich hole <strong>die</strong> Briefe und das Gebäck, ja? Wir haben es nicht angerührt, obwohl wir allesan<strong>de</strong>re von <strong>de</strong><strong>in</strong>er Mutter längst aufgegessen haben…“„Bitte bleib, Duncan!“ Lan<strong>de</strong>r war über <strong>die</strong> Schwäche <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Stimme erstaunt, aber erwar eben überwältigt. „Bleib da und erzähl mir alles!“„Also… vor vielen vielen Tausend Jahren war da Gott, und er sagte…“ Avery mokierte sichüber ihn, aber aus se<strong>in</strong>en Augen sprach echte Zuneigung.„Nicht das!“ Lan<strong>de</strong>r konnte momentan nicht über solche Scherze lachen. „Ich wollte jetztnicht <strong>die</strong> Schöpfungsgeschichte hören! Fang gefälligst mit <strong>de</strong>r Brisbane an!“Wie e<strong>in</strong> Schatten legte sich <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung über Averys Züge.Während <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> mit ihren Untersuchungen bei Patrick Lan<strong>de</strong>r begann, lauschte <strong>de</strong>rPatient wie gebannt, ohne sie wahrzunehmen.„Da gibt es nicht viel zu sagen. Sie haben uns alle grausam <strong>in</strong> <strong>die</strong> Irre geführt. Euchgenauso wie mich. Ich kann mich an nichts er<strong>in</strong>nern, außer dass mich gleichzeitig mit<strong>de</strong>m Schuss etwas am Kopf getroffen hat und ich umgefallen b<strong>in</strong>. Es war jedoch nicht dasProjektil. Piper hat auf Ravens Befehl daneben geschossen. Aufgewacht b<strong>in</strong> ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>rArrestzelle. Mit e<strong>in</strong>em dicken Verband um <strong>de</strong>n Kopf. Mitgeteilt wur<strong>de</strong> mir lediglich, dassihr tot seid. H<strong>in</strong>gerichtet wegen <strong>de</strong>s angeblichen Verrats. Ich habe es nicht geglaubt,aber später kam ich <strong>in</strong> eure Kab<strong>in</strong>e… und da war Blut. Je<strong>de</strong> Menge Blut, und ihr wartweg. Also habe ich es geglaubt… und b<strong>in</strong> fast völlig verzweifelt. Ich war davon überzeugt,dass Raven auch mich töten lassen wür<strong>de</strong>, aber er hatte etwas ganz an<strong>de</strong>res mit mir vor.Er hat mich von e<strong>in</strong>em Jäger vor <strong>de</strong>r Nase <strong>de</strong>r York und <strong>de</strong>r Essex am Gate aussetzenlassen. In e<strong>in</strong>er Rettungskapsel… zusammen mit <strong>de</strong>n Toten… und e<strong>in</strong>er zu übermitteln<strong>de</strong>nBotschaft, <strong>die</strong> ich vorher nach se<strong>in</strong>em Diktat schreiben musste...“ Averys Stimme stockteendgültig, und es dauerte Sekun<strong>de</strong>n, bis er sich wie<strong>de</strong>r gefasst hatte.„Ich habe eure Briefe sowie alles an<strong>de</strong>re mitgenommen und war fest davon überzeugt,dass ihr tot seid. In Bretonia b<strong>in</strong> ich zu Lieutenant Fowleys Schwester und zu <strong>de</strong><strong>in</strong>enEltern gegangen. De<strong>in</strong> Vater und <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter waren großartig, Patrick. Ich hätte ihnengerne geholfen und habe ihnen je<strong>de</strong> Art von Unterstützung angeboten, aber sie habenmir <strong>die</strong> Tür gewiesen, weil ich ihrer Me<strong>in</strong>ung nach vom Militär war und <strong>die</strong> Royal Navyihnen ihren Sohn genommen hatte. Ich ließ also me<strong>in</strong>e Karte dort und g<strong>in</strong>g, bis e<strong>in</strong>elange Zeit später e<strong>in</strong> Anruf kam, dass <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater wegen dir kurzfristig e<strong>in</strong>ige TausendCredits bräuchte. Ich habe das Geld sofort überwiesen, b<strong>in</strong> aber natürlich h<strong>in</strong>geflogen,um zu wissen wofür. Noch auf <strong>de</strong>m Weg nach Leeds erreichte mich <strong>de</strong>r zweite Anruf. E<strong>in</strong>Brief von dir aus <strong>de</strong>n Grenzwelten. Und das nach fast e<strong>in</strong>em ganzen Jahr. Ich habe esnicht hoffen wollen, aber <strong>de</strong><strong>in</strong>en Eltern habe ich geglaubt. Vor allem auch, weil <strong>die</strong> Schrifti<strong>de</strong>ntisch war. Ich kannte sie ja bereits. Und dann b<strong>in</strong> ich eben mit fünf ebensoverrückten Freiwilligen aufgebrochen, um euch zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Du hast ja geschrieben, dassLieutenant Lord Fowley bei dir ist…“„Lei<strong>de</strong>r nicht mehr.“ Lan<strong>de</strong>r unterdrückte <strong>die</strong> aufsteigen<strong>de</strong> Gefühlswallung. Er wollte jetztwe<strong>de</strong>r an Fowley noch an Marlowe <strong>de</strong>nken. Er wollte e<strong>in</strong>fach glücklich se<strong>in</strong>. „Searle hatihn verkauft.“„Ne<strong>in</strong>, nicht ganz. Es war an<strong>de</strong>rs. Der Lord hat es mir erzählt.“„Wie bitte?“


„Lieutenant Lord Fowley und Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Marlowe haben bereits vor e<strong>in</strong>emMonat Freeport 1 erreicht. Dort hat sie e<strong>in</strong>e Militäreskorte übernommen.“ Der ärgerlicheTon Averys verriet, dass da mehr dah<strong>in</strong>tersteckte.„Und wie das?“, bohrte Lan<strong>de</strong>r wenig rücksichtsvoll nach.„E<strong>in</strong>ige unserer Kontaktleute haben sie gegen Geld beiseitegeschafft. Wie, das wusste <strong>de</strong>rLieutenant selbst nicht so genau. Wir waren allerd<strong>in</strong>gs recht unerfreut, <strong>de</strong>nn ichpersönlich habe nichts mit Victor Marlowe zu schaffen. Wir hatten dich an se<strong>in</strong>er statterwartet, aber <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen schleppten ihn und Lord Fowley an. Immerh<strong>in</strong> warLieutenant Lord Fowley auf mehrmalige Nachfrage h<strong>in</strong> so freundlich, zuzugeben, dass duwohl noch bei Searle bist. Marlowe hatte jedoch e<strong>in</strong> großes Interesse daran, dich als totund uns als verrückt h<strong>in</strong>zustellen. Lei<strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d daraufh<strong>in</strong> zwei Mitglie<strong>de</strong>r <strong>die</strong>ses Teamsabgesprungen und ebenfalls zurückgeflogen. Wir haben trotz<strong>de</strong>m weitergemacht.“„Und es hat sich gelohnt, Duncan!“, setzte <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> h<strong>in</strong>zu.„Ich weiß nicht was ich sagen soll.“ Lan<strong>de</strong>r ergriff Averys Hand. „Du hast alles also ernstgeme<strong>in</strong>t? Dass wir Freun<strong>de</strong> wären und so…“„Ja was <strong>de</strong>nn sonst? Ihr bei<strong>de</strong> seid doch damals me<strong>in</strong>e Stütze gewesen, Patrick. Ichkonnte euch nicht im Stich lassen, nach<strong>de</strong>m ihr mich nicht im Stich gelassen habt.Notfalls hätte ich <strong>die</strong> gesamten Grenzwelten umgekrempelt! Ohne euch hätte ich es nichtüberlebt. Selbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>r verdammten Rettungskapsel voller st<strong>in</strong>ken<strong>de</strong>r Leichen war me<strong>in</strong>e<strong>in</strong>ziger Gedanke, dass ich euren Familien <strong>die</strong> Briefe br<strong>in</strong>gen muss und <strong>de</strong>shalb nichtverrückt wer<strong>de</strong>n darf!“„Danke, me<strong>in</strong> Freund. Du weißt gar nicht, was du für mich getan hast!“„Oh doch, ich weiß es. Janet und Alex wissen viel über <strong>die</strong> Grenzwelten. Aber das hier istgenau das, was du auch für mich getan hättest. Deswegen re<strong>de</strong>n wir bitte nicht mehrdavon und freuen wir uns e<strong>in</strong>fach, ja?“Als er unter Tränen nickte, sah Lan<strong>de</strong>r, dass auch Avery wie<strong>de</strong>r Wasser vergoss. Vorallem aber lagen unter se<strong>in</strong>en Augen tiefe Schatten, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant zunächstwohl übersehen hatte. Der alte Duncan Avery war nicht mehr, <strong>de</strong>r neue h<strong>in</strong>gegen war <strong>de</strong>rMann gewor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r wahrsche<strong>in</strong>lich wirklich e<strong>in</strong>mal Fleet Admiral se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>. E<strong>in</strong>Admiral, für <strong>de</strong>n <strong>die</strong> Crews sterben wür<strong>de</strong>n. Patrick Lan<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls wäre <strong>in</strong> <strong>die</strong>semMoment überall h<strong>in</strong>gegangen, wenn Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Duncan Avery es ihmbefohlen hätte.„Schläfst du, Patrick?“ Kaum verständlich erklang <strong>die</strong> Stimme aus <strong>de</strong>r Dunkelheit.„Ne<strong>in</strong>, Duncan.“„Hast du etwas dagegen, wenn ich mich zu dir setze?“„Aber ne<strong>in</strong>…“ Lächelnd erhob Lan<strong>de</strong>r sich und lehnte sich gegen <strong>die</strong> Wand <strong>de</strong>s Frachters.Das Feldbett war sehr bequem. Fast zu bequem für se<strong>in</strong>en Geschmack. Er hatte allzulange auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dromedary schlafen müssen. Auch <strong>die</strong> geborgte und viel zugroße Kleidung <strong>de</strong>s Stabsoffiziers war nach se<strong>in</strong>en Maßstäben bequem. Etwas, das er seitmehr als e<strong>in</strong>em Jahr nicht mehr gekannt hatte, <strong>de</strong>nn so lange war Ravens Verratmittlerweile her.Der Freund sank neben ihm auf <strong>die</strong> Decke. Das Ehepaar Field schlief bereits engane<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r geschmiegt, und <strong>de</strong>r Pilot saß an se<strong>in</strong>em Platz im Cockpit. Er schien niemalsmü<strong>de</strong> zu wer<strong>de</strong>n.Es dauerte e<strong>in</strong>e geraume Weile, bis Avery ihn sanft am Arm fasste und sich an ihnlehnte. „Möchtest du darüber sprechen?“„Über was?“ Obwohl Lan<strong>de</strong>r es im Grun<strong>de</strong> wusste, wollte er es eigentlich unerwähntlassen. Das konnte er <strong>de</strong>m Mann, <strong>de</strong>r ihn gerettet hatte, jedoch unmöglich <strong>in</strong>s Gesichtsagen.„Über das, was Searle dir angetan hat. Ich habe <strong>de</strong><strong>in</strong>en Rücken gesehen… jeneschrecklichen Narben…“ Avery verharrte bewegungslos, <strong>de</strong>n Kopf an Lan<strong>de</strong>rs Schulter.Dem Sub-Lieutenant erschien alles immer noch wie e<strong>in</strong> Traum. Vor allem aber spürte er,dass Avery nicht alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>shalb gekommen war. Natürlich auch <strong>de</strong>swegen, aber nichtausschließlich. Etwas belastete <strong>de</strong>n Stabsoffizier und ließ ihn fast so wirken, als ob er hierTrost bräuchte anstelle von Lan<strong>de</strong>r.


„Das war nicht Searle. Es ist auf Kalhmera geschehen. Kalhmera ist e<strong>in</strong> Eismond <strong>in</strong> <strong>de</strong>nRandwelten, wo wir zwischendurch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n M<strong>in</strong>en gearbeitet haben. Die Leute dortmochten ke<strong>in</strong>e Navyoffiziere und wollten Rache dafür nehmen, dass unsere Bombe aufManhattan hochgegangen ist.“„Es war nicht eure Bombe. Ich war auf <strong>de</strong>m Schiff dabei, vergiss das bitte nicht. Washätten wir schon tun können?“„Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, aber zwei Bomben…“„Wenn sie <strong>die</strong>sen Wahns<strong>in</strong>nigen nicht irgendwie stoppen, wer<strong>de</strong>n es noch mehr. Ravenhat mich als Unterhändler zurückgeschickt und nur <strong>de</strong>shalb am Leben gelassen, wie ere<strong>in</strong>mal sagte. Die Zeit an Bord <strong>de</strong>r Brisbane war schrecklich für mich, aber was danachkam, war noch schlimmer. Zusammen mit drei Leichen lag ich gefesselt <strong>in</strong> <strong>de</strong>rRettungskapsel… und trug auch jenen von Raven diktierten Brief bei mir. Dar<strong>in</strong> stand,dass er hun<strong>de</strong>rt Milliar<strong>de</strong>n Credits und e<strong>in</strong>en unserer vier Träger verlangt. An <strong>de</strong>nFor<strong>de</strong>rungen dürfte sich nicht viel geän<strong>de</strong>rt haben, aber man will nicht nachgeben.Marlowe war e<strong>in</strong> von <strong>de</strong>r Admiralität auf Geheiß <strong>de</strong>r Regierung bestimmter Unterhändler.Er hat sich freiwillig gemel<strong>de</strong>t und sollte genauso wenig zurückkehren wie ihr. Demnachwird bald <strong>die</strong> nächste Bombe <strong>in</strong> Bretonia hochgehen, und wie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n MillionenMenschen sterben.“„Wie ich hörte, wird er wohl irgendwann mit <strong>de</strong>r Brisbane <strong>in</strong> bretonisches Gebiete<strong>in</strong>fliegen.“ Lan<strong>de</strong>r fiel schwer, <strong>die</strong> Worte auszusprechen. „Ihm reicht wohl nicht mehr,<strong>die</strong> Corsairs <strong>die</strong> Drecksarbeit machen zu lassen.“„O<strong>de</strong>r es geht ihm um <strong>die</strong> Geste. Er hasst unser Volk und se<strong>in</strong>e ehemaligen Vorgesetztenfür das, was ihm angeblich angetan wur<strong>de</strong>. Wie ich vermute, sucht er <strong>die</strong> Schuld fürse<strong>in</strong>en Verrat nur bei an<strong>de</strong>ren, was <strong>die</strong>ser Tage wie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ganzen Menschheitsgeschichtenicht unüblich ist, wie ich glaube. Weitergabe von Schuld be<strong>de</strong>utet, dass man sich selbstre<strong>in</strong>waschen kann.“ Avery pausierte, bevor er se<strong>in</strong>en Kopf von Lan<strong>de</strong>rs Schulter nahmund ihn anblickte. Trotz <strong>de</strong>r Dunkelheit war es spürbar. „Bist du wirklich <strong>in</strong> Ordnung? Dirwird sicherlich nicht leichtfallen, <strong>de</strong><strong>in</strong> altes Leben weiterzuleben. Ich spreche da ausbitterer Erfahrung. Nichts wird mehr so se<strong>in</strong> wie es war.“„Es wird schon irgendwie gehen, Duncan. Ich möchte e<strong>in</strong>fach nur nach Hause. Außer<strong>de</strong>mbleiben wir doch garantiert <strong>in</strong> Kontakt, o<strong>de</strong>r?“In Averys Stimme war zu hören, dass das Angebot ihn ehrlich freute. „Natürlich, Patrick.Obwohl ich natürlich verstehen könnte, dass du zunächst alles verdrängen willst.“„Ja, ich <strong>de</strong>nke schon. Du fällst aber nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Kategorie. Wir s<strong>in</strong>d Freun<strong>de</strong>. Das istetwas ganz an<strong>de</strong>res. Vermutlich möchtest du aber nicht erneut nach Planet Leedskommen…“„Und ob! De<strong>in</strong>e Mutter backt <strong>die</strong> besten Kuchen und Plätzchen <strong>in</strong> ganz Bretonia! Ichverstehe mich sogar recht gut mit <strong>de</strong><strong>in</strong>em alten Herrn, obwohl wir <strong>in</strong> Glaubensfragenverschie<strong>de</strong>ne Me<strong>in</strong>ungen haben.“„Da hast du mir etwas voraus, wie ich fürchte.“„Ne<strong>in</strong>, du musst ke<strong>in</strong>e Angst vor <strong>de</strong>r Rückkehr haben. De<strong>in</strong>e Familie wartet wirklich aufdich. Ich wäre schon alle<strong>in</strong> ihretwillen niemals ohne dich zurückgekehrt… von me<strong>in</strong>emeigenen Gewissen ganz abgesehen.“„Wie kann man e<strong>in</strong>e solche Lebensschuld abbezahlen?“ Lan<strong>de</strong>r fühlte sich hilflos undhatte das Gefühl, partout nicht <strong>die</strong> richtigen Worte zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.„Durch Freundschaft. Du hast mir mehr gegeben als du ahnst, sowohl damals an Bord<strong>de</strong>r Brisbane als auch jetzt.“ Avery drückte ihn kurz an sich und stand dann auf. „Dusolltest wirklich schlafen. Du siehst bereits schlimm genug aus, und <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern könntensonst e<strong>in</strong>en noch größeren Schock bekommen als ohneh<strong>in</strong> schon.“Mit e<strong>in</strong>em unsichtbaren Gr<strong>in</strong>sen im Gesicht ließ Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Hand <strong>de</strong>s Stabsoffiziers los. Erhatte nicht e<strong>in</strong>mal gemerkt, dass er sie ergriffen hatte.„Gute Nacht, Patrick. Ich gehe noch e<strong>in</strong>mal nach vorn und sehe bei Nicholas nach <strong>de</strong>mRechten. Wenn ich wie<strong>de</strong>rkomme, möchte ich, dass du schläfst.“„Aye, Sir.“ Der Sub-Lieutenant lauschte und legte sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat h<strong>in</strong>, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>rVorgesetzte von <strong>de</strong>r Dunkelheit verschluckt wor<strong>de</strong>n war. Wie an<strong>de</strong>rs hätten <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge anBord <strong>de</strong>r Dromedary doch verlaufen können, wenn Marlowe e<strong>in</strong> Stück weit so wäre wieAvery! Fowley hatte <strong>de</strong>m Lieutenant Comman<strong>de</strong>r großes Unrecht getan, als er gesagthatte, dass Avery stets nur das tat, was ihm zum eigenen Vorteil gereichte. Früher


mochte es vielleicht so gewesen se<strong>in</strong>, aber gera<strong>de</strong> hatte es aus Averys Mund ganz an<strong>de</strong>rsgeklungen.Erneut dachte Lan<strong>de</strong>r dabei an Victor Marlowe, Vater e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>de</strong>s, das er Betty Halmersangehangen hatte. Der Sub-Lieutenant hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vergangenen Wochen oft an sie<strong>de</strong>nken müssen. Voller Eifersucht und Mitleid, <strong>de</strong>nn sie war nur e<strong>in</strong> Spielzeug gewesen.Nun wür<strong>de</strong> er sie selbst wie<strong>de</strong>rsehen. Sie und se<strong>in</strong>e Eltern. E<strong>in</strong> lang gehegter Traum -verwirklicht durch e<strong>in</strong>en Mann, <strong>de</strong>r ke<strong>in</strong> persönliches Risiko gescheut hatte und mit e<strong>in</strong>emHaufen Lebensmü<strong>de</strong>r <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Mule alle<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grenzwelten geflogen war. Sie hatten hiergelebt… und ihn gesucht.Zum ersten Mal begriff er, dass es doch echte Freundschaft gab. Daniel Fowley hatte ihnenttäuscht, aber <strong>de</strong>r Lieutenant war <strong>in</strong> Sicherheit. Und trotz<strong>de</strong>m waren <strong>die</strong>se Menschengeblieben. Geblieben, um ihn zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Ihn und nicht Fowley o<strong>de</strong>r Marlowe. Ihn alle<strong>in</strong>.Dieses Geschenk war großartig und nichts, das sich jemals irgendwie durch Geld o<strong>de</strong>rmaterielle D<strong>in</strong>ge aufwiegen ließe. Nicht e<strong>in</strong>mal durch bloße Freundschaft, wie er sie Averygegenüber zeigen konnte.Janet Field seufzte, und Lan<strong>de</strong>r hörte ihren Mann e<strong>in</strong>ige leise Worte murmeln. Es warvorbei. Nun konnte auch er endlich entspannt schlafen.E<strong>in</strong> heftiger E<strong>in</strong>schlag an <strong>de</strong>r Seite <strong>de</strong>r Mule und <strong>die</strong> darauf folgen<strong>de</strong> Reaktion <strong>de</strong>s Pilotenkegelten Patrick Lan<strong>de</strong>r und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren wie mehrere Stücke Fracht durch <strong>die</strong> Gegend.Der Knall war ohrenbetäubend, und e<strong>in</strong> lautes Zischen, gefolgt von mehreren kle<strong>in</strong>erenE<strong>in</strong>schlägen, verriet, dass es noch nicht vorbei war.Janet Field begann, panisch zu schreien. Es war e<strong>in</strong> ebenfalls lauter auf- undabschwellen<strong>de</strong>r Laut <strong>de</strong>s Schreckens, <strong>de</strong>r auch dann nicht verebbte, als Duncan Averyaufsprang und <strong>in</strong> Richtung Cockpit stürzte.Erneut fiel Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Länge nach h<strong>in</strong>, als etwas das Heck <strong>de</strong>s Frachters traf und <strong>de</strong>ngesamten Antrieb ausfallen ließ.Der Pilot schrie etwas, und das ließ <strong>de</strong>n Stabsoffizier auf halbem Weg <strong>in</strong>nehalten. AuchLan<strong>de</strong>r stand jetzt auf und kämpfte um Halt. Er konnte wegen Janet Fields Geschrei trotz<strong>de</strong>r ger<strong>in</strong>gen Größe <strong>de</strong>s Frachters ke<strong>in</strong> Wort verstehen. Lange konnte er je<strong>de</strong>nfalls nichtgeruht haben, das sagte ihm se<strong>in</strong> Gefühl.„Schnauze!“, brüllte Avery kurzerhand unhöflich, was dazu führte, dass <strong>de</strong>r Ehemann <strong>die</strong>Ärzt<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Arm nahm, ihren Kopf an se<strong>in</strong>er Brust barg und das Geschrei kurzerhan<strong>de</strong>rstickte.„Wir wer<strong>de</strong>n angegriffen!“, wie<strong>de</strong>rholte <strong>de</strong>r Pilot laut.„Haben wir gemerkt!“, schrie Avery sichtlich beunruhigt zurück. „Von wem?“In <strong>die</strong>sem Moment hörte das Zischen und Knallen auf.„Shield failed!“, posaunte e<strong>in</strong>e weibliche Computerstimme im Cockpit wie zum Abschlussheraus.Das E<strong>in</strong>zige, was durch <strong>die</strong> plötzliche Stille hörbar wur<strong>de</strong>, war e<strong>in</strong> Knacken, welches dasArbeiten <strong>de</strong>r beanspruchten Schiffshülle verriet.„Ich… ich…“ Der Pilot stand kurz vor <strong>de</strong>r Hysterie. „Ich wollte doch nur ausweichen!“Als Avery sich erneut hochrappelte, half Lan<strong>de</strong>r ihm. „Das ist normal und Mister Searleauch mehrfach passiert“, versuchte er, <strong>de</strong>n Stabsoffizier zu beruhigen, aber Averyumklammerte se<strong>in</strong>en Arm fest und zerrte ihn vorwärts. „Mag se<strong>in</strong>, aber SearlesDromedary war weitaus besser bewaffnet als unsere Mule!“ Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>runterbrach sich und sah durch das Cockpitfenster angestrengt h<strong>in</strong>aus.Der Pilot hatte <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> vors Gesicht geschlagen und schien apathisch. Er murmelteUnverständliches, während aus <strong>de</strong>m halb aufgesetzten Kopfhörer e<strong>in</strong>e Stimme hörbarwar.„Oh verdammt!“ Avery wur<strong>de</strong> ebenfalls blass und hielt <strong>de</strong>n Blick auf etwas draußengerichtet.Der Sub-Lieutenant musste <strong>de</strong>n Kopf wen<strong>de</strong>n und an ihm vorbeispähen, aber er sah dortnur Asteroi<strong>de</strong>n… genau wie überall um sie herum, bis e<strong>in</strong> Jäger sich direkt vor ihr Cockpitsetzte. Auf Lan<strong>de</strong>r machte es <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, als seien <strong>die</strong> schweren Bordwaffen <strong>de</strong>s


kle<strong>in</strong>en Raumschiffes direkt auf sie alle gerichtet. E<strong>in</strong>e Gänsehaut kroch ihm <strong>de</strong>n Rückenh<strong>in</strong>auf, ohne dass er wusste, warum. Er hatte schon Schlimmeres ausgestan<strong>de</strong>n.Duncan Avery hatte sich aus <strong>de</strong>r Erstarrung gelöst und zerrte <strong>de</strong>m Piloten das Headsetvom Kopf. Er biss sich auf <strong>die</strong> Lippe und f<strong>in</strong>gerte nach <strong>de</strong>r Sprechtaste <strong>de</strong>s Funkgeräts,schien aber vertraut mit <strong>de</strong>r Funke<strong>in</strong>richtung <strong>de</strong>r Mule.Das Umlegen <strong>de</strong>s richtigen Schalters machte <strong>die</strong> Stimme <strong>de</strong>s Piloten da draußen hörbar.„… noch e<strong>in</strong> letztes Mal auffor<strong>de</strong>rn, sich zu ergeben und Ihre Fracht abzuwerfen. DieNichtbeachtung <strong>die</strong>ses direkten Befehls wird <strong>die</strong> Zerstörung Ihres Schiffes zur Folgehaben.“„Duncan…“Mit e<strong>in</strong>er ungeduldigen Handbewegung hieß Avery ihn schweigen. Er setzte an zusprechen, bekam aber ke<strong>in</strong> Wort heraus.Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong> weiterer Feuerstoß erschütterte<strong>de</strong>s Cockpit und warf sie gegen <strong>die</strong> Wän<strong>de</strong> sowie <strong>de</strong>n Pilotensitz. Erneut fielen <strong>die</strong> Schil<strong>de</strong>aus, und e<strong>in</strong> hässliches Geräusch verkün<strong>de</strong>te, dass <strong>die</strong> Panzerung dah<strong>in</strong>schmolz. Endlichreagierte auch <strong>de</strong>r Pilot und aktivierte hastig <strong>de</strong>n Antrieb. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st versuchte er es,<strong>de</strong>nn mit e<strong>in</strong>em gurgeln<strong>de</strong>n Geräusch g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>r Thruster wie<strong>de</strong>r aus und ließ sie damit imStich.„Lass, Nicholas.“ Avery resignierte und lehnte sich zitternd gegen <strong>die</strong> Wand.„Dies ist unsere letzte Warnung. Werfen Sie <strong>die</strong> Fracht ab, o<strong>de</strong>r wir zerstören Sie!“,verkün<strong>de</strong>te <strong>die</strong> erbarmungslose Stimme im Funk.„Duncan!“, ergriff Lan<strong>de</strong>r erneut das Wort. „Das s<strong>in</strong>d Piraten! Die wollen <strong>die</strong> Ladunghaben! Sprich mit ihnen und sag ihnen, dass wir kooperieren. Sie wer<strong>de</strong>n uns nichts tun,wenn du das machst.“ Lan<strong>de</strong>r setzte das ‚Vermutlich.’ lediglich <strong>in</strong> Gedanken h<strong>in</strong>zu. Siealle besaßen nichts, und <strong>de</strong>shalb war nicht unwahrsche<strong>in</strong>lich, dass <strong>die</strong> Piraten sie genaudafür umbr<strong>in</strong>gen wür<strong>de</strong>n.Mit e<strong>in</strong>em trockenen Lachen riss Avery sich das Headset vom Kopf und ließ es fallen.Auch er war kurz vor <strong>de</strong>r Hysterie. Er stieß sich ab und drängte sich an Lan<strong>de</strong>r vorbei <strong>in</strong><strong>die</strong> Kab<strong>in</strong>e. Nun erhaschte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant e<strong>in</strong>en Blick h<strong>in</strong>aus und verstand abrupt,warum se<strong>in</strong> Vorgesetzter und Freund so reagierte. Auch ihn brachte <strong>de</strong>r Anblick aus <strong>de</strong>mGleichgewicht. Noch mehr Jäger kamen <strong>in</strong> ihre Richtung!Der Pilot wimmerte leise: „Es war e<strong>in</strong> todsicherer Tipp, dass wir uns nicht <strong>in</strong> RichtungBretonia wen<strong>de</strong>n sollen. Duncan hat me<strong>in</strong>en Rat befolgt und bestimmt, dass wir nachKusari fliegen, weil e<strong>in</strong> Frachterpilot von Spa and Cruise gesagt hat, dass wir sonstPiraten <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arme laufen. Nur, wir mussten doch hier durch! Er sagte, dass Kusarisicher sei und <strong>de</strong>shalb wollte ich nach Kyushu…“Lan<strong>de</strong>r fand wie<strong>de</strong>r zu sich und fasste <strong>de</strong>n Mann bei <strong>de</strong>n Schultern. Es war ihm jetzt klar,wieso <strong>de</strong>r Grenzweltenjäger vor ihnen nicht weiter feuerte. Die Schil<strong>de</strong> waren so weitunten, dass weitere Treffer auf <strong>die</strong> Panzerung <strong>die</strong> Mule zerlegen wür<strong>de</strong>n. Auch <strong>die</strong>Situation im Cockpit war <strong>de</strong>m Piloten vor ihnen sicherlich nicht entgangen. „Sagen Sieihm über Funk, dass wir arm s<strong>in</strong>d und nichts besitzen… O<strong>de</strong>r können wir kämpfen?“„Mit <strong>die</strong>ser lahmen Schüssel? So gut wie ausgeschlossen! Wir haben nicht e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zigeRakete!“ Noch immer war <strong>de</strong>r Pilot völlig aufgelöst.„Dann halten Sie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n eben h<strong>in</strong>!“ Lan<strong>de</strong>r war alles an<strong>de</strong>re als begeistert, dassDuncan Avery zu ihrer Rettung e<strong>in</strong> halbes Wrack ohne wirksameVerteidigungsmöglichkeiten gekauft hatte.„Aber… was sollen wir <strong>de</strong>nn machen?“, stotterte <strong>de</strong>r aufgelöste Nicholas.Lan<strong>de</strong>r ergriff das herunterhängen<strong>de</strong> Headset und setzte es sich kurzerhand auf. „Mulean unbekannte Jäger: Bitte… wir s<strong>in</strong>d unterbewaffnet, haben e<strong>in</strong>en Antriebsscha<strong>de</strong>n undbesitzen nichts. Dies ist e<strong>in</strong> Personenfrachter mit Flüchtl<strong>in</strong>gen.“ Er glaubte zwar nicht,dass <strong>de</strong>r verzweifelte Appell fruchten wür<strong>de</strong>, aber ihm fiel nichts Besseres e<strong>in</strong>. Je<strong>de</strong>Sekun<strong>de</strong> war kostbar, da besser als <strong>de</strong>r Tod.Er schloss <strong>die</strong> Augen und wartete auf <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>schlag <strong>de</strong>r Raketen o<strong>de</strong>r das donnern<strong>de</strong>Hämmern <strong>de</strong>r Projektilwaffen. Sie waren am En<strong>de</strong>. Wut regte sich <strong>in</strong> ihm. Namenlose Wutauf jene Piraten, <strong>die</strong> Verräter an Bord <strong>de</strong>r Brisbane und sogar auf Gott selbst. Er machtedas Leben so ungerecht! ‚Gott im Himmel, es ist wirklich unfair, dass du mich so kurz vor<strong>de</strong>r Rückkehr nach Hause scheitern lassen willst. Denk an Duncan, <strong>die</strong> Fields undNicholas… sie s<strong>in</strong>d alle so selbstlos gewesen. Es kann doch nicht richtig se<strong>in</strong>, dass sie


jetzt <strong>de</strong>shalb sterben müssen! Das ist nicht gerecht! Es ist e<strong>in</strong>fach alles nicht richtig! Ichhabe Fehler gemacht, aber ich möchte nur noch nach Hause, um mich mit me<strong>in</strong>em Vaterauszusöhnen. Ich habe dich um nicht viel gebeten, aber jetzt bitte ich dich!“Das e<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong> Prasseln von Partikeln und das Blitzen <strong>de</strong>r fe<strong>in</strong>dlichen Laser gaben ihmAntwort. Erneut mel<strong>de</strong>te <strong>die</strong> Computerstimme: „Shield failed!“ Diesmal fügte sich sogarnoch h<strong>in</strong>zu: „Warn<strong>in</strong>g! Hull breach immanent. Danger!“Sie lebten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat von geborgter Zeit. Er wür<strong>de</strong> se<strong>in</strong>e Mutter und se<strong>in</strong>en Vater niewie<strong>de</strong>rsehen. Vor allem aber wür<strong>de</strong> er <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren mit sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Tod reißen! Er stieße<strong>in</strong>en heiseren Schrei aus, <strong>de</strong>r sich mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Insassen <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e und <strong>de</strong>s Pilotenvermischte.Neue Warntöne brüllten los und steigerten <strong>de</strong>n Lärm <strong>in</strong> <strong>de</strong>m engen, dreckigen Cockpit <strong>in</strong>sUnerträgliche. Er riss sich <strong>de</strong>n Kopfhörer herunter und presste <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> auf <strong>die</strong> Ohren…‚Warum ist es nicht endlich vorbei. Vater, wenn du uns schon alle töten willst, DANNMACH ES WENIGSTENS SCHNELL!’Genau das war auch <strong>de</strong>r Zeitpunkt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m auf e<strong>in</strong>mal Stille herrschte.Patrick Lan<strong>de</strong>r war tot. Tod war Stille. Sie war nach all <strong>de</strong>m Lärm unnatürlich. Alles, waser noch hörte, war das rasend schnelle Pochen se<strong>in</strong>es Herzens. Gemäß all se<strong>in</strong>erErfahrungen mit <strong>de</strong>m Be<strong>in</strong>ahetod hätte er sich das richtige Sterben wirklich schlimmervorgestellt.Vor se<strong>in</strong>en Augen tanzte e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Lichtermeer. Und plötzlich hörte er Jubel. Jubelerfüllte se<strong>in</strong>e Ohren. Jemand rief etwas, das schrecklich laut klang, aber er konnte ke<strong>in</strong>eWorte ausmachen. Etwas berührte ihn. Inst<strong>in</strong>ktiv griff er zu, unfähig, noch etwas zubegreifen. Die tanzen<strong>de</strong>n Farbspiralen wichen <strong>de</strong>r Schwärze, <strong>die</strong> nach ihm griff.Nur <strong>die</strong> Stille war noch da, als er wie<strong>de</strong>r zu sich kam. Die Stille und <strong>die</strong> Berührung,<strong>die</strong>smal an <strong>de</strong>r Hand. Kälte auf <strong>de</strong>r Stirn kam jetzt h<strong>in</strong>zu, und er fühlte sich an e<strong>in</strong>eEispackung auf Kalhmera er<strong>in</strong>nert. Hatte er alles etwa nur geträumt?Lan<strong>de</strong>r stöhnte heiser auf. „Daniel?“ Er wür<strong>de</strong> Fowley alles erzählen müssen. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>ste<strong>in</strong>en Teil <strong>de</strong>s Traumes. An Cly<strong>de</strong> Searle wollte er <strong>de</strong>n Freund lieber nicht er<strong>in</strong>nern, o<strong>de</strong>rwar auch jenes E<strong>in</strong>geständnis <strong>de</strong>r körperlichen Gewalt nicht real? Was war <strong>de</strong>nnüberhaupt noch real und was nicht? War er etwa gar zu Hause im Bett?Die Berührung wur<strong>de</strong> <strong>in</strong>tensiviert, und Lan<strong>de</strong>r fühlte sich wirklich an se<strong>in</strong> Elternhaus aufPlanet Leeds er<strong>in</strong>nert. „Mutter?“„Es war wirklich nur <strong>de</strong>r Schock. Ke<strong>in</strong> Grund zur Besorgnis, solange es sich nichtwie<strong>de</strong>rholt. Er ist eben körperlich nicht auf <strong>de</strong>r Höhe und darf sich nicht aufregen. Bleibruhig noch hier bei ihm, während ich mal sehe, was Nicholas und me<strong>in</strong> werter Gatte somachen.“„Danke, Janet.“„Ke<strong>in</strong> Problem. Genau dafür b<strong>in</strong> ich ja hier.“Jemand stand hörbar auf und g<strong>in</strong>g, während Lan<strong>de</strong>r versuchte, <strong>die</strong> Fragmente se<strong>in</strong>erEr<strong>in</strong>nerung erneut zu e<strong>in</strong>em Ganzen zusammenzusetzen.„Bist du wach, Patrick?“„Halbwegs, Duncan.“ Lan<strong>de</strong>r schlug <strong>die</strong> Augen auf und blickte <strong>in</strong> das besorgte Gesicht <strong>de</strong>sLieutenant Comman<strong>de</strong>rs. „Was ist passiert?“„Du bist im Cockpit zusammengeklappt.“„Die Piraten!“ Lan<strong>de</strong>r wollte <strong>in</strong> <strong>die</strong> Höhe fahren, aber Avery hielt ihn zurück.„Ke<strong>in</strong>e Aufregung bitte. Doktor Janet hat gesprochen.“ Die ernste Miene wich e<strong>in</strong>emGr<strong>in</strong>sen, das aber sehr verzerrt wirkte. Weil er das vermutlich auch wusste, wechselteAvery schnell <strong>de</strong>n Waschlappen auf Lan<strong>de</strong>rs Stirn und sah dabei weg. „Wir hatten Glück.E<strong>in</strong>e Gruppe von acht Bounty Hunters ist aufgetaucht. Sie kamen gera<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>er Jagdauf e<strong>in</strong>e Gruppe Corsairs und haben <strong>die</strong> Piraten vertrieben. Wir können Gott wirklichdankbar se<strong>in</strong>. Nicholas hat sich an <strong>de</strong>n Gegenmaßnahmenwerfer er<strong>in</strong>nert, <strong>de</strong>n ich habee<strong>in</strong>bauen lassen, und hat ihn benutzt. E<strong>in</strong> Glück, dass <strong>die</strong> letzte Rakete uns nichtgetroffen hat, aber wir s<strong>in</strong>d auch so auf e<strong>in</strong> Viertel <strong>de</strong>r Panzerung runter.“


Lan<strong>de</strong>r nickte und dachte an se<strong>in</strong> Gebet. „Ja. Dabei hat <strong>de</strong>r große Vater <strong>de</strong>f<strong>in</strong>itiv se<strong>in</strong>eHand im Spiel gehabt. Vor allem aber warst du klüger als ich dachte.“ Er schob AverysHand beiseite und setzte sich schwankend auf. Fast sofort befiel ihn e<strong>in</strong> Schw<strong>in</strong><strong>de</strong>lgefühl.„Das habe ich lieber nicht gehört! Ich hatte nicht mehr viel Geld übrig. Als <strong>die</strong> Fragelautete, ob ich lieber e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Rakete o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Gegenmaßnahmenwerfer nebst <strong>de</strong>rBolds e<strong>in</strong>bauen lasse, habe ich mich dann e<strong>in</strong>fach für das Zweite entschie<strong>de</strong>n… Was ist?Ist dir etwa nicht gut?“„Es dreht sich momentan alles e<strong>in</strong> bisschen“, gab Lan<strong>de</strong>r zu. „Geht aber schon…“E<strong>in</strong> gellen<strong>de</strong>r Schrei von draußen ließ ihn zusammenzucken. „Alex!“Nach e<strong>in</strong>em rasch getauschten Blick griff Avery an se<strong>in</strong>en Gürtel. Wie Lan<strong>de</strong>r erstmaligbemerkte, h<strong>in</strong>g dort wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Waffenholster nebst Pistole, <strong>die</strong> jetzt <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>sStabsoffiziers lag.„Hast du noch e<strong>in</strong>e?“, flüsterte Lan<strong>de</strong>r, als <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> abrupt verstummte. Ihm warschlagartig klar, was <strong>die</strong>s be<strong>de</strong>utete, aber er weigerte sich, das zu akzeptieren.„Im Cockpit, aber…“„Da kommen wir jetzt nicht ran. Gib mir <strong>de</strong><strong>in</strong>e und duck dich zwischen <strong>de</strong>n Sitzen!“Lan<strong>de</strong>r wollte nicht e<strong>in</strong>e ungesicherte Waffe anfassen, während Averys F<strong>in</strong>ger am Abzuglag.In <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs lag nacktes Entsetzen, als er beobachtete, wie<strong>de</strong>r Sub-Lieutenant sich aufrichtete und schwankend nach Halt griff.„Ich <strong>de</strong>nke nicht, dass du <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage bist…“„Hast du jemals auf e<strong>in</strong>en Menschen geschossen?“„Ne<strong>in</strong>, aber…“ Die Augen weiteten sich noch mehr.„Dann glaub mir, bei mir ist sie besser aufgehoben. Kriech <strong>in</strong>s Cockpit und hol <strong>die</strong>an<strong>de</strong>re!“Diesmal gehorchte Avery. Er drückte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Pistole <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand, ohne sie zu sichern,und stand auf.„Unten bleiben!“, rief Lan<strong>de</strong>r halblaut. Ihm war sonnenklar, dass selbst e<strong>in</strong> wochenlangerAufenthalt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>de</strong>r Fields und <strong>de</strong>s Piloten wohl kaume<strong>in</strong>e fun<strong>die</strong>rte Spezialausbildung und Erfahrung ersetzen konnte. Erfahrung im Töten.Etwas, das Stabsoffiziere garantiert nicht o<strong>de</strong>r höchstens unzureichend beherrschten.„Was zur <strong>Hölle</strong> ist das hier eigentlich für e<strong>in</strong>e Station?“ Ihm war klar, dass er <strong>die</strong>se Fragelieber zuerst gestellt hätte, aber er hatte sich eben zu sehr auf <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren verlassen.„Freeport 6.“„Oh, wie reizend! Auf <strong>die</strong> Grenzweltler ist…“ Eigentlich hatte Lan<strong>de</strong>r noch ‚ke<strong>in</strong> Verlass.’sagen wollen, aber das Auftauchen e<strong>in</strong>er Waffenmündung <strong>in</strong> <strong>de</strong>r offenen Luke lenkte ihnab. Da Avery ihm ke<strong>in</strong> Ersatzmagaz<strong>in</strong> gegeben hatte, feuerte Lan<strong>de</strong>r nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigenSchuss ab. Das genügte, um <strong>de</strong>m Stabsoffizier, <strong>de</strong>ssen Elementarausbildung immerh<strong>in</strong> soweit reichte, zu signalisieren, dass er besser vollends <strong>in</strong> Deckung g<strong>in</strong>g.„E<strong>in</strong>s“, zählte Lan<strong>de</strong>r halblaut und drückte sich unter e<strong>in</strong>em Sitz gegen <strong>die</strong> Frachterwand,bevor das Echo <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es ganzen MG-Feuerstoßes here<strong>in</strong>kam.Avery schrie leise auf und drückte sich gegen <strong>die</strong> Wand, aber Lan<strong>de</strong>r gestikulierte ihmbefehlend, weiter <strong>in</strong>s Cockpit zu gehen. Es dauerte, bis <strong>de</strong>r Mann reagierte - und er tat<strong>die</strong>s auch erst, als Lan<strong>de</strong>r ihm se<strong>in</strong>erseits wie<strong>de</strong>r Feuerschutz gab. Die Hand mit <strong>de</strong>rWaffe wur<strong>de</strong> zurückgezogen, aber ob er getroffen hatte, konnte Lan<strong>de</strong>r nicht sagen.Se<strong>in</strong>e Angst war nur, dass e<strong>in</strong>e Granate folgen mochte, und se<strong>in</strong>e Primärsorge galt <strong>de</strong>rMule sowie ihrer bereits sehr lä<strong>die</strong>rten Schiffshülle.Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r kam zurück und schob Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e gela<strong>de</strong>ne Waffe zu. Eswar ebenfalls e<strong>in</strong> MG - höchst illegal <strong>in</strong> Bretonia. Dies hier war aber nicht Bretonia, und<strong>de</strong>swegen stellte <strong>die</strong> automatische Waffe e<strong>in</strong> Geschenk <strong>de</strong>s Himmels dar.Diesmal war es wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Arm, <strong>de</strong>r sich here<strong>in</strong>schob. Auch <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen hattennachgela<strong>de</strong>n. Ohne nachzu<strong>de</strong>nken drückte Lan<strong>de</strong>r ab, aber auch <strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong>d tat es. E<strong>in</strong>keuchen<strong>de</strong>r Schmerzenslaut ließ ihn sich umsehen.Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r hatte <strong>de</strong>n Fehler gemacht, halb aufzustehen, um <strong>die</strong> letztendrei Meter schneller zurücklegen zu können. Nun lehnte er an e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Sitze und hieltsich <strong>de</strong>n Arm. Die dreckige, tagelang getragene Kleidung wür<strong>de</strong> es ke<strong>in</strong>esfalls bessermachen, aber zunächst musste Avery fort, damit <strong>die</strong> nächste Kugel nicht nochschlimmere Folgen hatte!


Lan<strong>de</strong>r ließ alle Vorsicht außer Acht und warf sich vorwärts. Er riss se<strong>in</strong>en Freund um.Wie<strong>de</strong>r schrie Avery, aber <strong>die</strong> über sie h<strong>in</strong>weg gehen<strong>de</strong> Salve verschonte sie. Lan<strong>de</strong>rfummelte an se<strong>in</strong>em MG und richtete es auf <strong>die</strong> Luke. Dort war <strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong>d… und fiel <strong>in</strong>Form e<strong>in</strong>er verwahrlost wirken<strong>de</strong>n Grenzweltler<strong>in</strong>, als <strong>die</strong> Garbe sie durchsiebte.„Halt das, du verfluchter Idiot!“ Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r wirklich wütend auf <strong>de</strong>n unerfahrenen Averyund sich selbst war, drückte ihm das MG <strong>in</strong> <strong>die</strong> gesun<strong>de</strong> Hand und riss e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>esHosenbe<strong>in</strong>es ab, um <strong>die</strong> Wun<strong>de</strong> abzub<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Janet Field wür<strong>de</strong> sich darum kümmernmüssen…„Du musst gehen und nach <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sehen, Patrick. Sie waren draußen, um <strong>die</strong>Reparaturen zu beaufsichtigen. Sie haben zwei Mechaniker <strong>de</strong>r Zoners aufgetan, <strong>die</strong> <strong>de</strong>nAntrieb…“ Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r verbiss sich <strong>de</strong>n Schmerz, als Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Stofffestknotete.„Sie s<strong>in</strong>d aller Voraussicht nach längst tot.“„Was…?“Das schmerzverzerrte Gesicht Averys ließ Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> kalte Äußerung bedauern, aber eswar eben ke<strong>in</strong>e Zeit für Nettigkeiten.„Dann s<strong>in</strong>d wir auch erledigt!“, folgerte <strong>de</strong>r Stabsoffizier entsetzt.„Das s<strong>in</strong>d wir sowieso, wenn du mich fragst, o<strong>de</strong>r erwartest du jeman<strong>de</strong>n zu unsererRettung?“„Nicholas muss doch <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>e fliegen. Er ist unser e<strong>in</strong>ziger Pilot…“Lan<strong>de</strong>r achtete nicht weiter auf Avery, nahm <strong>die</strong> Waffe wie<strong>de</strong>r an sich, richtete sie erneutgegen e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> und schoss auf <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen, <strong>die</strong> weiterh<strong>in</strong> versuchten,here<strong>in</strong>zukommen. E<strong>in</strong> leeres Klicken verkün<strong>de</strong>te, dass das Magaz<strong>in</strong> leer war. Mit e<strong>in</strong>emFluch riss Lan<strong>de</strong>r es heraus und zog Avery e<strong>in</strong> neues aus <strong>de</strong>r Tasche, wohl wissend, dasser besser daran täte, sie bei<strong>de</strong> e<strong>in</strong>fach zu erschießen. Es wür<strong>de</strong> hier <strong>in</strong> Tau-29 ke<strong>in</strong>eRettung für sie geben.Wer auch immer dort vor <strong>de</strong>r Luke stand, er schien sich jetzt zurückzuziehen. Lan<strong>de</strong>rkonnte es kaum glauben, ebenso wenig wie se<strong>in</strong> unerfahrener Vorgesetzter.„Sie verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n!“„Ne<strong>in</strong>. Sie hecken nur etwas Neues aus. Das ist e<strong>in</strong> wesentlicher Unterschied.“ Lan<strong>de</strong>rfühlte sich plötzlich sehr mü<strong>de</strong>. Was hatte <strong>die</strong> hübsche Ärzt<strong>in</strong> doch gleich gesagt? Ke<strong>in</strong>eAufregung? Ja, wenn das ke<strong>in</strong>e Aufregung war, dann wusste er es auch nicht. Diesmalfiel er jedoch nicht vor lauter Schwäche <strong>in</strong> Ohnmacht. Wenigstens etwas.Erstmals war draußen jetzt etwas zu hören. Avery presste das Gesicht auf <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n. Erschien aufgegeben zu haben und kämpfte mit <strong>de</strong>n Tränen, <strong>die</strong> ihm <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augengestiegen waren, als <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant ihm <strong>de</strong>n vermutlichen Tod <strong>de</strong>r drei an<strong>de</strong>renmitgeteilt hatte. Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>gegen wusste, dass <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen kaum gehört wer<strong>de</strong>nkonnten, sofern sie es nicht wollten.„Werft eure Waffen weg!“, for<strong>de</strong>rte jemand von draußen.„Du kannst mich mal!“, rief Lan<strong>de</strong>r zurück.Avery stöhnte. „Patrick, es tut so weh!“„Ich weiß. Es wird gleich vorbei se<strong>in</strong>.“ In <strong>de</strong>r Tat hatte Lan<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satzvor e<strong>in</strong>er Ewigkeit <strong>die</strong> gleiche Erfahrung machen müssen. Es schien ihm e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>resLeben zu se<strong>in</strong>. Wie Fowley damals <strong>in</strong> Searles Dromedary stand jedoch er selbst jetzt vor<strong>de</strong>r Situation, sich selbst und vor allem Duncan Avery töten zu müssen. Er wusste, eswäre besser als das, was danach kommen wür<strong>de</strong>, aber <strong>de</strong>nnoch brachte er es nichtfertig, e<strong>in</strong>en Freund zu erschießen. Genauso wenig wie Fowley ihn hatte erschlagenkönnen.Mit e<strong>in</strong>em heiseren Schrei stürmte er zur Luke, um se<strong>in</strong>em Leben so e<strong>in</strong> schnellesbarmherziges En<strong>de</strong> zu setzen, aber er prallte zurück wie vom Schlag getroffen, alsgleichzeitig jemand here<strong>in</strong>geschoben wur<strong>de</strong>.Vorher allerd<strong>in</strong>gs hatte er schon <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv geschossen.E<strong>in</strong> gellen<strong>de</strong>r Schrei hallte ihm <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Ohren, als Janet Field zusammensackte. Und h<strong>in</strong>terihr…„Wirf sofort <strong>die</strong> Waffe weg, Soldat, o<strong>de</strong>r ich schnei<strong>de</strong> ihr <strong>die</strong> Kehle durch.“Das Blut hämmerte <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Ohren, als er sich bewusst wur<strong>de</strong>, dass er soeben <strong>die</strong>Ärzt<strong>in</strong> erwischt hatte. Sie war doch Zivilist<strong>in</strong>, und er hatte sie verletzt! Entsetzt starrte erauf se<strong>in</strong>e Hand, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>fach <strong>de</strong>n Abzug betätigt hatte, als e<strong>in</strong> Schatten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Luke


erschienen war. Genau wie zuvor, aber <strong>die</strong>smal hatte e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>die</strong> Frau alsleben<strong>de</strong>s Schutzschild benutzt. Erfolgreich, <strong>de</strong>nn nun war er im Frachter und machte für<strong>die</strong> Nachfolgen<strong>de</strong>n Platz.In Sekun<strong>de</strong>nbruchteilen wirbelten Dutzen<strong>de</strong> Gedanken <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Kopf umher. Sie allehatten nur e<strong>in</strong>e Konsequenz, <strong>die</strong> ihm schrecklich klar wur<strong>de</strong>, als er se<strong>in</strong> MG auf <strong>de</strong>nzweiten Krim<strong>in</strong>ellen richtete.„Waffe runter, sage ich!“„Ne<strong>in</strong>!“, brach aus Lan<strong>de</strong>r heraus.„Patrick!“, brüllte Avery, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf gehoben hatte.Der Stabsoffizier verstand nichts. Lan<strong>de</strong>r musste <strong>die</strong> Entscheidung ohne ihn treffen, aberer sah sich dazu kaum <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage. Vor se<strong>in</strong>en Augen begann alles zu verschwimmen.„Oh Gott, bitte nicht ausgerechnet jetzt!“, entfuhr ihm.„Ergib dich, und ihr wird nichts geschehen.“„Patrick, nimm <strong>die</strong> Waffe runter!“ Avery bemühte sich trotz <strong>de</strong>r Schmerzen sehr, se<strong>in</strong>erschwachen Stimme e<strong>in</strong>en Befehlston zu geben.Unentschlossen und taumelnd fasste Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nnoch <strong>die</strong> Waffe fester. Avery wusstenichts! Er konnte nicht ahnen, welches Schicksal <strong>die</strong> Frau und sie bei<strong>de</strong> erwartete. DieGrenzweltler kannten ke<strong>in</strong>e Gna<strong>de</strong>. In se<strong>in</strong>en Ohren rauschte es, und er versuchte, <strong>de</strong>nNebel zu vertreiben, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Blick trübte und so verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte, dass er klar zielenkonnte. ‚Auf wen zuerst?’, fragte er <strong>in</strong> Gedanken und gab sich selbst gleich <strong>die</strong> Antwort:‚Zuerst <strong>die</strong> Frau, dann Duncan und zuletzt ich.’ Diesmal wür<strong>de</strong> er nicht zögern, daswusste er. Er war es ihnen schuldig, <strong>de</strong>nn das Militär musste zuallererst <strong>die</strong> Zivilisten unddann <strong>die</strong> Verletzten schützen…Als <strong>de</strong>r Gedanke endlich durchkam, und er das MG e<strong>in</strong>ige Zentimeter herumschwang, wares jedoch bereits zu spät. Er hörte Averys Ruf, aber das Rauschen <strong>de</strong>s Blutes <strong>in</strong> se<strong>in</strong>enOhren verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte, dass Lan<strong>de</strong>r etwas hörte. Er zog <strong>de</strong>n Abzug durch und erschoss <strong>de</strong>nKrim<strong>in</strong>ellen vor sich mit <strong>de</strong>m ganzen Magaz<strong>in</strong>.Das Flimmern war wie<strong>de</strong>r da, und <strong>die</strong> Welt verdunkelte sich, als er <strong>in</strong> Ohnmacht fiel.Jemand we<strong>in</strong>te. Es war e<strong>in</strong> klagen<strong>de</strong>r Laut <strong>de</strong>s Schreckens o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Verzweiflung. Lan<strong>de</strong>rnahm ihn als gegeben h<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn er hatte zunehmen<strong>de</strong> Schwierigkeiten, überhaupt wie<strong>de</strong>rklar im Kopf zu wer<strong>de</strong>n.Das Schluchzen wur<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r von e<strong>in</strong>em heiseren Keuchen unterbrochen, als ob<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Betreffen<strong>de</strong> große Schmerzen litt.Vor se<strong>in</strong>en Augen herrschte noch immer gähnen<strong>de</strong> Leere, manifestiert durch e<strong>in</strong>eundurchdr<strong>in</strong>gliche F<strong>in</strong>sternis. Er trieb im Nichts dah<strong>in</strong>, hatte ke<strong>in</strong>e Schmerzen und auchke<strong>in</strong>e Wünsche. Er war er<strong>in</strong>nerungs- und gestaltlos. Er war Teil <strong>de</strong>s Nichts.Und trotz<strong>de</strong>m dachte er nach e<strong>in</strong>iger Zeit. Das Nichts war genau dasselbe wie damals anBord <strong>de</strong>r Brisbane, nach<strong>de</strong>m man ihn auf <strong>de</strong>r Brücke k. o. geschlagen hatte. Er war sichmittlerweile sicher, dass es damals Hickers gewesen war, <strong>de</strong>r Navigationsoffizier.Die zunehmen<strong>de</strong> Wie<strong>de</strong>rerlangung se<strong>in</strong>es Gedächtnisses führte auch dazu, dass er sichan das erst vor Kurzem Geschehene er<strong>in</strong>nerte. Da war <strong>die</strong> Mule gewesen… und auch…„Duncan?“Das Schluchzen hörte auf und wich e<strong>in</strong>em angstvollen Keuchen.„Duncan, ich b<strong>in</strong> es. Patrick.“ Se<strong>in</strong>e Stimme klang wie mit <strong>de</strong>m Reibeisen bearbeitet, undse<strong>in</strong> Körper fühlte sich auch wie durch <strong>die</strong> Mangel gedreht an. Se<strong>in</strong> Kopf drohte durch <strong>die</strong>schiere Anstrengung <strong>de</strong>s Sprechens zu zerspr<strong>in</strong>gen.Ke<strong>in</strong> Wort. Es war gera<strong>de</strong>zu beängstigend. Er wusste, dass es Avery war, <strong>de</strong>n sie mit ihmzusammen verschleppt hatten. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Was war aus <strong>de</strong>rÄrzt<strong>in</strong> gewor<strong>de</strong>n?Er glaubte, es zu wissen, ohne lange nachfragen zu müssen. Vermutlich war das <strong>de</strong>rGrund für Averys Zusammenbruch. Krim<strong>in</strong>elle hielten nie ihr Wort - o<strong>de</strong>r wenn sie esdoch e<strong>in</strong>mal taten, dann nur, weil sie gera<strong>de</strong> Lust dazu hatten und es ihnen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Krampasste. Hoffentlich war <strong>die</strong> Frau schnell gestorben.Trotz aller gegenteiligen Anstrengungen schaffte er es nicht, etwas zu sehen. Da er auch<strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> nicht zum Gesicht führen konnte, ahnte er lediglich, dass sich dort vermutlich


e<strong>in</strong> Tuch befand. Außer<strong>de</strong>m war er auf e<strong>in</strong>e altbekannte Art und Weise gebun<strong>de</strong>n. Es ware<strong>in</strong>e so wohlbekannte Erfahrung, dass er es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n ersten M<strong>in</strong>uten nach <strong>de</strong>m Erwachenaus <strong>de</strong>r Ohnmacht nicht e<strong>in</strong>mal gemerkt hatte. Für Avery musste das alles jedoch neuse<strong>in</strong>. Neu und schrecklich.„Wie geht es dir, Duncan?“ Konzentration auf das Wesentliche. Ruhe ausstrahlen! Demverzweifelten und geschockten Freund klarmachen, dass er nicht alle<strong>in</strong> war. Mehr konnteLan<strong>de</strong>r momentan nicht tun.Da für ihn alles schon vorbei gewesen war und er bereits bewusst mit se<strong>in</strong>em Lebenabgeschlossen hatte - zumal <strong>die</strong> Erfahrung, <strong>in</strong> Eisen liegend irgendwoh<strong>in</strong> transportiert zuwer<strong>de</strong>n, nicht e<strong>in</strong>mal son<strong>de</strong>rlich neu für ihn war - blieb er seltsam ruhig. Er hatte damitgerechnet, längst tot zu se<strong>in</strong>, und das Aufwachen war e<strong>in</strong>e große Überraschung gewesen.E<strong>in</strong>e positive Überraschung, trotz allem. In <strong>de</strong>n Grenzwelten hatte er gelernt, für je<strong>de</strong>nTag <strong>de</strong>s Überlebens dankbar zu se<strong>in</strong>. Die Umstän<strong>de</strong> waren dabei fast egal.Immer noch gab es ke<strong>in</strong>e Reaktion. Was auch immer passiert war, es musste etwasErnsthaftes gewesen se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn Avery schien außer sich zu se<strong>in</strong>. An<strong>de</strong>rs konnte Lan<strong>de</strong>rsich das Verhalten <strong>de</strong>s Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs nicht erklären.Er lauschte <strong>de</strong>n Geräuschen <strong>de</strong>s Raumschiffes, versuchte, <strong>die</strong> Größe und Artabzuschätzen und daraus zu schließen, wessen Gefangene sie waren. Die Krim<strong>in</strong>ellenhatten gewusst, dass sie Militärs waren. Außer<strong>de</strong>m hatten sie sich wohl um AverysSchusswun<strong>de</strong> gekümmert, sonst wäre <strong>de</strong>r Freund längst nicht mehr am Leben.Sie bei<strong>de</strong> waren tatsächlich alle<strong>in</strong>. Nichts <strong>de</strong>utete auf <strong>die</strong> Anwesenheit an<strong>de</strong>rer Menschenh<strong>in</strong>. Ob Janet Field wohl an <strong>de</strong>r Schusswun<strong>de</strong> gestorben war? Vermutlich nicht. Irgendwiewünschte Lan<strong>de</strong>r sich, dass er sie getötet hätte, damit ihr das erspart geblieben wäre,was er an an<strong>de</strong>rer Stelle gesehen hatte. Was <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten mit gefangenen Frauenaus <strong>de</strong>n Sektoren <strong>de</strong>r vier regulären Häuser angestellt wur<strong>de</strong>, höhnte je<strong>de</strong>rMenschlichkeit. Es war bestialisch und lief immer auf e<strong>in</strong>en Tod unter vielen Schmerzenh<strong>in</strong>aus. So hatte Fowley es ihm auf <strong>de</strong>r Oxford nach <strong>de</strong>m ersten Außene<strong>in</strong>satz erklärt. Eswar lei<strong>de</strong>r allzu wahr. Der Gedanke, dass Janet Field so gestorben se<strong>in</strong> mochte, versetzteauch ihn <strong>in</strong> Unruhe. Sie war so fröhlich und lebenslustig gewesen. Vermutlich hatte sieihren toten Mann gesehen, geschrien und war dann von <strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen geschnapptwor<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>ssen Mör<strong>de</strong>rn.Se<strong>in</strong>e Gedanken drehten sich im Kreis. Was er auch tat, er kam immer wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>rGegenwart an. Sie war besser als <strong>de</strong>r Gedanke an <strong>die</strong> unmittelbare Vergangenheit und<strong>die</strong> viel zu kurze Freiheit. Hoffnung war Luxus, Pragmatismus war besser angeraten.Sich auf <strong>die</strong> Richtung konzentrierend, aus <strong>de</strong>r Averys Schmerzenslaute und das wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>setzen<strong>de</strong> We<strong>in</strong>en zu vernehmen waren, konnte er bald ausmachen, wo Avery relativgesehen lag.Die Eisenschellen waren ke<strong>in</strong> H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnis für ihn. Er hatte sie bereits zu lange getragen.Es war e<strong>in</strong> mühevoller Weg, <strong>de</strong>r weitaus länger war als gedacht. Avery wies ihm jedochungewollt <strong>de</strong>n Weg.Irgendwann stieß Lan<strong>de</strong>r unvermittelt gegen ihn. Se<strong>in</strong> Freund zuckte wie unter e<strong>in</strong>emSchlag zusammen und wimmerte auf. Ke<strong>in</strong>erlei Artikulation o<strong>de</strong>r Erkennen lag <strong>in</strong> <strong>de</strong>mleisen Aufschrei, nur blankes Entsetzen.„Shhhhttt. Ich b<strong>in</strong> es, Duncan. Erkennst du mich nicht mehr?“ Mit angehaltenem Atemlauschte Lan<strong>de</strong>r, als das Schluchzen wie<strong>de</strong>r abbrach.Mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n tastete er h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>m Rücken nach Avery und fasste zu. Wie<strong>de</strong>r heulte<strong>de</strong>r Stabsoffizier auf.„Duncan!“ Langsam verlor selbst Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Geduld. „Jetzt reiß dich endlich zusammen!“Ke<strong>in</strong>e Antwort. Lan<strong>de</strong>r ließ wie<strong>de</strong>r los und kauerte sich zusammen. Alles war vergebens.Auch ihn befiel Verzweiflung. Er hatte se<strong>in</strong>en Freund verloren, wenn auch auf an<strong>de</strong>re Artals durch e<strong>in</strong>e Kugel. Vielleicht wäre das jedoch <strong>die</strong> barmherzigere Alternative gewesen,wie er jetzt <strong>in</strong> jenen dunklen M<strong>in</strong>uten dachte.Unbewusst tat er etwas, das er seit se<strong>in</strong>er K<strong>in</strong>dheit getan hatte, wenn er <strong>in</strong> allzuschlimme Situationen geriet und sie nicht verarbeiten konnte: Er begann e<strong>in</strong> Gebet. Eswar e<strong>in</strong> durch se<strong>in</strong>e christliche Erziehung hervorgerufener Reflex.Irgendwann bemerkte er jedoch, dass er nicht mehr alle<strong>in</strong> vor sich h<strong>in</strong>murmelte.„Kannst du <strong>de</strong>n Rosenkranz beten, Patrick?“, kam <strong>die</strong> Frage, als er <strong>in</strong>nehielt.


„Ne<strong>in</strong>.“ Wenn er ehrlich war, war Lan<strong>de</strong>r jetzt gar nicht mehr danach, weiterzubeten, daAvery sich ansche<strong>in</strong>end nach e<strong>in</strong>er un<strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierbaren Ewigkeit endlich wie<strong>de</strong>r gefangenhatte.„Ich muss an <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>nken. Beson<strong>de</strong>rs an Janet.“ Wie<strong>de</strong>r schluchzte Avery auf.Lan<strong>de</strong>r brachte es nicht fertig, zu fragen. Darum hörte er lediglich zu, als aus <strong>de</strong>mStabsoffizier herausbrach: „O me<strong>in</strong> Jesus, verzeihe uns unsere Sün<strong>de</strong>n, bewahre uns vor<strong>de</strong>m Feuer <strong>de</strong>r <strong>Hölle</strong>, nimm alle Seelen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Himmel auf, beson<strong>de</strong>rs jene, <strong>die</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>erBarmherzigkeit am meisten bedürfen. Amen.“„Amen.“„Das Fatima-Gebet“, murmelte Avery erstickt. „Es hilft ihnen auch nicht mehr, aber ichfrage mich, wo Gott gewesen ist, als <strong>die</strong>se Hun<strong>de</strong>söhne Janet e<strong>in</strong> Messer <strong>in</strong> ihrenSchoß…“„Hör auf!“, brachte Lan<strong>de</strong>r flehentlich heraus. Er wollte am liebsten <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> auf <strong>die</strong>Ohren pressen, um nichts zu hören, das solche Bil<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf entstehen ließ. Eswar aber schon zu spät.„Ich kann nicht! Ich musste es mitansehen, bis…“ Der Satz en<strong>de</strong>te <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em hysterischenSchluchzen.Auch Lan<strong>de</strong>r konnte sich <strong>de</strong>s Grauens nicht mehr erwehren. Er hatte <strong>die</strong> Fields undNicholas nicht so gut gekannt wie Avery, <strong>de</strong>r sicherlich mittlerweile eng mit ihnenbefreun<strong>de</strong>t gewesen war, aber dass sie wegen ihm gestorben waren, daran konnte ernichts mehr än<strong>de</strong>rn. Genauso wenig wie er etwas gegen <strong>die</strong> <strong>in</strong> ihm aufkommen<strong>de</strong>nVorwürfe tun konnte. „Wenn ihr mich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten gelassen hättet und mit Danielund Marlowe zurückgeflogen wärt, dann…“„… bis sie mich bl<strong>in</strong>d gemacht haben!“ Der Lieutenant Comman<strong>de</strong>r brach erneut völligzusammen und gab annähernd unmenschliche Laute von sich.Wegen <strong>de</strong>r eigenen Vorwürfe begriff Lan<strong>de</strong>r erst verzögert, was Avery gesagt hatte. DasBewusstse<strong>in</strong>, hier von se<strong>in</strong>em Freund gebraucht zu wer<strong>de</strong>n, erlangte erneut <strong>die</strong>Oberhand. Die Selbstvorwürfe verschwan<strong>de</strong>n. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st vorerst. „Wir tragen e<strong>in</strong>eAugenb<strong>in</strong><strong>de</strong>, Duncan.“„Ne<strong>in</strong>!“ E<strong>in</strong> protestieren<strong>de</strong>r, gequälter Ausruf.„Doch. Ich trage e<strong>in</strong>e und du auch. Du bist nicht bl<strong>in</strong>d.“ Es war leichter, darüber zu re<strong>de</strong>nals über <strong>die</strong> toten Fields und <strong>de</strong>n ebenso ermor<strong>de</strong>ten Piloten.„Ich b<strong>in</strong> bl<strong>in</strong>d!“ Der neben ihm sitzen<strong>de</strong> Avery brüllte ihn an, sodass Lan<strong>de</strong>rs Ohrenwegen <strong>de</strong>s ger<strong>in</strong>gen Abstands zu kl<strong>in</strong>geln begannen. „Sie haben es getan, weil ich umJanets Leben gefleht und mich abgewandt habe, anstatt h<strong>in</strong>zuschauen. Sie me<strong>in</strong>ten,wenn ich das als Katholik nicht sehen wolle, dürfe ich nie wie<strong>de</strong>r etwas sehen!“ Nochimmer herrschte Avery ihn unter Tränen an, aber schließlich wich <strong>die</strong> hohe Lautstärkeaus se<strong>in</strong>er schwachen Stimme. „Verstehst du, sie hielten mich fest und zwangen mich,dabei zuzusehen, als sie Janet töteten. Dann kamen sie mit e<strong>in</strong>em Laser aus e<strong>in</strong>emWaffenzielfernrohr und haben mich geblen<strong>de</strong>t, <strong>in</strong><strong>de</strong>m sie ihn genau vor me<strong>in</strong>e Augenhielten und e<strong>in</strong>zeln h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>geleuchtet haben. Ich trage ke<strong>in</strong>e Augenb<strong>in</strong><strong>de</strong>, Patrick. Ich b<strong>in</strong>bl<strong>in</strong>d und kann wirklich nichts mehr sehen. Ich sehe nicht e<strong>in</strong>mal mehr, wie und wann sieuns endlich umbr<strong>in</strong>gen wer<strong>de</strong>n! Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Krüppel!“Je<strong>de</strong> Möglichkeit <strong>de</strong>s trösten<strong>de</strong>n Zuspruchs hatte ihre natürlichen Grenzen. Es gab ke<strong>in</strong>emöglichen Worte mehr. Je<strong>de</strong>s weitere Wort wäre unangemessen gewesen. Ihn hatte mannur verschont, weil er bewusstlos gewesen war. Bewusstlose zu foltern machte ke<strong>in</strong>enSpaß. Unfähig, irgendwie auszudrücken, was er fühlte, lehnte Lan<strong>de</strong>r sich bei <strong>de</strong>maufrecht sitzen<strong>de</strong>n Avery an. Es war e<strong>in</strong>e Geste, <strong>die</strong> erwi<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>, weshalb <strong>de</strong>rverletzte Stabsoffizier schließlich an se<strong>in</strong>er Schulter we<strong>in</strong>te und das Gesicht daranvergrub.So saßen sie auch noch da, als <strong>de</strong>r Frachter lan<strong>de</strong>te. Avery nahm davon nicht e<strong>in</strong>malNotiz, und Lan<strong>de</strong>r war zu geschockt, um sich etwa darüber Gedanken zu machen. Aucher empfand jetzt bohren<strong>de</strong> Furcht vor <strong>de</strong>m, was ihn und auch se<strong>in</strong>en Freund Avery vor<strong>de</strong>m Tod noch erwarten mochte.Ohne ihn wäre Avery jetzt sicher und gesund <strong>in</strong> Bretonia und all das nie passiert. Diean<strong>de</strong>ren wür<strong>de</strong>n sich auch jetzt noch ihres Lebens erfreuen, während er selbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten gestorben wäre. So waren fast alle jedoch bereits tot, und sie bei<strong>de</strong> wür<strong>de</strong>nbald nachfolgen. Es blieb nur zu hoffen, dass es schnell gehen wür<strong>de</strong>.


Die Luke befand sich weiter h<strong>in</strong>ten. Jemand g<strong>in</strong>g an ihnen vorbei, ohne <strong>die</strong> Gefangenenzu beachten, obwohl <strong>die</strong> Bretonen kaum zu atmen wagten. Die Angst vor erneuter Folter,wie er sie damals unter Benjys Messer auf Kalhmera erfahren hatte, war auch bei Lan<strong>de</strong>rwie<strong>de</strong>r akut gewor<strong>de</strong>n.Stimmen wur<strong>de</strong>n hörbar, aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er entsetzlichen Panik nahm Lan<strong>de</strong>r kaum etwaswahr. Man löste <strong>die</strong> Eisen und riss ihn hoch. Mit Avery geschah das Gleiche, wie es sichanhörte. Das Herz klopfte <strong>de</strong>m jungen Offizier bis zum Hals, als man ihn zur Luke führteund h<strong>in</strong>ausdrängte.Das Erste, was ihm auffiel, war <strong>de</strong>r Geruch. Er war ihm bekannt. Es stank nicht. ImGegenteil, son<strong>de</strong>rn es roch nach Schiff. Dieser erneute Schlag ließ Lan<strong>de</strong>r taumeln undzusammenbrechen, als se<strong>in</strong>e Be<strong>in</strong>e nachgaben.Am Bo<strong>de</strong>n liegend hörte er e<strong>in</strong>e Stimme. Es war unverkennbar <strong>die</strong>jenige von ErasmusRaven. „Was ist mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n?“„Es ist <strong>die</strong> angekündigte Ware.“ Der Grenzwelter sprach. Dem spanischen Akzent nachhan<strong>de</strong>lte es sich um e<strong>in</strong>en Corsair o<strong>de</strong>r Outcast. Lan<strong>de</strong>r registrierte <strong>die</strong>s, ohne es zuwollen.„Das sehe ich. Sie haben jedoch angekündigt, dass <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n <strong>in</strong> gutem Zustand s<strong>in</strong>d!“„Sí. Der E<strong>in</strong>e sah bereits so aus, als wir sie e<strong>in</strong>kassierten, und <strong>de</strong>r Zweite hatte e<strong>in</strong>enkle<strong>in</strong>en Unfall.“„Was für e<strong>in</strong>en Unfall?“, wollte Raven kalt wissen.„Nichts Be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s, Almirante. Lei<strong>de</strong>r bekam er e<strong>in</strong>mal bei <strong>de</strong>m Schusswechsel etwasab, und zum Zweiten sche<strong>in</strong>t mir, als ob er gewisse Schwierigkeiten mit <strong>de</strong>m Sehenhätte.“‚So sagt man das also.’ Die blumige Umschreibung jener Gewalt und <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren ließ Lan<strong>de</strong>r würgen.„Lass das Kotzen se<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r du musst es nachher selbst wegputzen, Idiota!“, warnte e<strong>in</strong>eweibliche Stimme, aber Lan<strong>de</strong>r sah sich kaum <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, <strong>die</strong>s zu beherzigen.Er wun<strong>de</strong>rte sich momentan nicht e<strong>in</strong>mal darüber, dass auf <strong>de</strong>r Brisbane Frauen waren.„Ich bezahle für <strong>die</strong> Ware, aber ich ziehe zehntausend Credits ab.“„Das kannst du nicht machen, Hijo <strong>de</strong>…“„Ich kann als Admiral of the Fleet auf me<strong>in</strong>em eigenen Schiff machen, was mir beliebt.Entwe<strong>de</strong>r Sie nehmen <strong>die</strong> neunzigtausend o<strong>de</strong>r Sie packen <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> undgehen. Dann bleiben Sie komplett auf <strong>de</strong>n Kosten sitzen und haben nur das Privileg, <strong>die</strong>bei<strong>de</strong>n umzubr<strong>in</strong>gen.“„Ich nehme an!“ Der Krim<strong>in</strong>elle knirschte hörbar mit <strong>de</strong>n Zähnen.„Fe<strong>in</strong>. Chief, br<strong>in</strong>gen Sie <strong>de</strong>n Verletzten weg. Petty Officer Rowland, nehmen Sie Lan<strong>de</strong>rund stecken Sie ihn dah<strong>in</strong>, wo er h<strong>in</strong>gehört.“„Ja, Admiral Sir.“Noch immer murmelte <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>elle etwas vor sich h<strong>in</strong>, während Avery bereitsaufschrie, als man sich ihm näherte.„Ach noch was. Falls Sie me<strong>in</strong>e Mutter o<strong>de</strong>r irgendwen sonst noch e<strong>in</strong>mal beleidigen, legeich Sie persönlich um, Amigo!“Auch Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> jetzt ergriffen und hochgerissen. Noch immer trug er <strong>die</strong> Augenb<strong>in</strong><strong>de</strong>,aber wenigstens waren <strong>die</strong> Eisenr<strong>in</strong>ge verschwun<strong>de</strong>n.Noch während man ihn fortzog, begriff er, dass <strong>die</strong>ses En<strong>de</strong> auch e<strong>in</strong>en neuen Anfangbe<strong>de</strong>uten konnte. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st für Bretonia, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r für Avery noch für ihn selbst gabes irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Zukunft. Nicht auf Erasmus Ravens Piratenschiff.Nackt und frierend kauerte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Arrestzelle auf <strong>de</strong>m blanken Bo<strong>de</strong>n. An ihm liefnoch immer das eiskalte Wasser herunter, das sie mit e<strong>in</strong>em Eimer über ihmausgegossen hatten.Sie, das waren fünfzehn Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Mannschaft gewesen. Ke<strong>in</strong>e Leute, <strong>die</strong> er kannte.Mehr als <strong>die</strong> Hälfte <strong>de</strong>r Crew schien mittlerweile aus Frauen zu bestehen. Lan<strong>de</strong>r konntesich <strong>de</strong>nken, warum. Er hatte beim Scheuern <strong>de</strong>s Duschraumes und <strong>de</strong>r dreckigenMannschaftslatr<strong>in</strong>en bereits e<strong>in</strong>iges aufgeschnappt. Je<strong>de</strong>r Mann an Bord durfte zwei o<strong>de</strong>rdrei Frauen haben. Wie Lan<strong>de</strong>r vermutete, war <strong>die</strong>s Ravens Mittel, <strong>die</strong> Crew gefügig zu


halten. Denn es gab sie noch, <strong>die</strong> Bretonen von damals. E<strong>in</strong>ige Gesichter waren fort, aberviele an<strong>de</strong>re Männer waren noch hier. Sie waren bis <strong>in</strong> alle Ewigkeit verdammt, <strong>de</strong>nnnach Hause wür<strong>de</strong>n sie nie mehr können. Das Schiff war ihr Zuhause, und wenn Lan<strong>de</strong>rvon <strong>de</strong>n Sanitäre<strong>in</strong>richtungen auf <strong>de</strong>n Rest davon schloss, war es e<strong>in</strong> sehr dreckigesZuhause. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Frauen waren Grenzweltler<strong>in</strong>nen. Jener Menschenschlagnahm es mit <strong>de</strong>r Re<strong>in</strong>lichkeit nicht so genau, wie er sehr gut wusste.Erasmus Raven herrschte auf <strong>de</strong>r Brisbane wie e<strong>in</strong> Gott. Das hatte Lan<strong>de</strong>r sich bereits<strong>de</strong>nken können, aber er hatte es auch herausgehört. Wie stets <strong>de</strong>r Fall war, machte sichauch <strong>die</strong>se Crew auf ihre Art über ihren komman<strong>die</strong>ren<strong>de</strong>n Offizier lustig. Vor allem überse<strong>in</strong>e Gier und darüber, wie er sich aufspielte. Er war <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zige Offizier an Bord undverlieh allen Untergebenen nie<strong>de</strong>re Ränge wie im bretonischen Militär. So richtig ernstnahm ihn ansche<strong>in</strong>end kaum jemand. Gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> an Bord leben<strong>de</strong>n Frauen wohl ehernicht. Sie hatten ja sowieso durch ihre Herkunft e<strong>in</strong> nicht allzu ger<strong>in</strong>gesAutoritätsproblem. E<strong>in</strong> selbst ernannter Admiral of the Fleet mochte ihnen da gera<strong>de</strong>recht kommen.Derartige Gedankenspiele hielten ihn kaum warm, als er auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Arrestzellehockte, aber sie lenkten ihn von <strong>de</strong>r Frage ab, was wohl aus Duncan Avery gewor<strong>de</strong>nwar. Ob Raven ihn umgebracht hatte? Zuzutrauen war es ihm o<strong>de</strong>r vielleicht auch e<strong>in</strong>er<strong>de</strong>r Frauen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n restlichen Männern. Je<strong>de</strong>r an Bord war e<strong>in</strong> potenzieller Mör<strong>de</strong>r.Und se<strong>in</strong>e, ganz alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Aufgabe war es, das Schiff mittels e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Fusionsbombenzu zün<strong>de</strong>n. Den Selbstzerstörungsco<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zweiten Offiziers hatte er ja nie erhalten,genauso wenig wie Fowleys Dienstnummer. Zwei entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> H<strong>in</strong><strong>de</strong>rnisse, wenn mandavon absah, dass Raven <strong>die</strong> Co<strong>de</strong>s vielleicht geän<strong>de</strong>rt hatte. Zwölf Monate waren e<strong>in</strong>elange Zeit.Se<strong>in</strong>e eigene Kaltblütigkeit erschreckte Lan<strong>de</strong>r, aber er begriff auch, dass er sichverän<strong>de</strong>rt hatte. Zwangsläufig. Er glaubte nur nicht, dass auch e<strong>in</strong> Erasmus Raven esverstan<strong>de</strong>n hatte. Hoffentlich nicht, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Junioroffizier hatte vor, <strong>de</strong>m ehemaligenComman<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Überraschung <strong>de</strong>ssen schändlichen Lebens zu bereiten! Konkreter wollteer Ravens Existenz e<strong>in</strong> jähes En<strong>de</strong> setzen - genauso wie <strong>de</strong>m aller an<strong>de</strong>ren. Averys undse<strong>in</strong> eigenes Leben waren <strong>de</strong>r Preis, <strong>de</strong>n er dafür zu entrichten hatte. Gern hätte er Averyvorher um Rat gefragt, aber er begriff, dass <strong>die</strong>s nicht g<strong>in</strong>g. Der Stabsoffizier war nichthier und außer<strong>de</strong>m verständlicherweise zu stark mitgenommen, um e<strong>in</strong>e solcheEntscheidung treffen o<strong>de</strong>r unterstützen zu können. So hart es kl<strong>in</strong>gen mochte, e<strong>in</strong> Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>rwür<strong>de</strong> ihm ke<strong>in</strong>e Hilfe se<strong>in</strong>. Im Gegenteil: Sicherlich war besser, Avery e<strong>in</strong>fach nichts vonall<strong>de</strong>m zu sagen. Er wür<strong>de</strong> sterben, ohne etwas davon zu wissen, und <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Himmelkommen.Lan<strong>de</strong>r hoffte darauf, ihn dort wie<strong>de</strong>rzusehen. Ihn und alle an<strong>de</strong>ren. Hier zu se<strong>in</strong> war e<strong>in</strong>eChance zur Bewährung. Die Wie<strong>de</strong>rgutmachung e<strong>in</strong>es Fehlers, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> etwas über e<strong>in</strong>emJahr bereits Millionen Menschen das Leben gekostet hatte. Staatsbürger <strong>de</strong>s HausesLiberty und ihres eigenen Hauses. Für sie wür<strong>de</strong> er es tun. Sie alle wür<strong>de</strong> er schützen.Mit se<strong>in</strong>em eigenen Leben.Er hatte gar nicht mitbekommen, dass <strong>die</strong> Zellentür geöffnet wor<strong>de</strong>n war. Erst alsErasmus Raven sich räusperte, sah Lan<strong>de</strong>r auf.„Du kniest bereits. Das erspart dir <strong>de</strong>n Kniefall.“Hastig rappelte Lan<strong>de</strong>r sich auf <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e. Obwohl er schwankte, verspürte er ke<strong>in</strong>eAngst. Es war lediglich körperliche Schwäche. Wann hatte er bloß das letzte Mal etwasgegessen?„Ich beuge das Knie nicht vor e<strong>in</strong>em Mör<strong>de</strong>r und Verräter.“ Auch <strong>die</strong>ser Satz kam ihmohne Furcht über <strong>die</strong> Lippen. Er befürchtete Gewalt o<strong>de</strong>r vielleicht sogar <strong>die</strong> sofortigeErschießung durch <strong>de</strong>n Bewaffneten h<strong>in</strong>ter Raven, aber <strong>de</strong>r ehemalige Comman<strong>de</strong>r lachtenur.„Du warst schon immer starrs<strong>in</strong>nig. Genau wie damals im Fall <strong>de</strong>r Kiste voller AlienOrganisms.“„Heute weiß ich wenigstens, dass sie völlig ungefährlich s<strong>in</strong>d. Sie haben mich belogen.“„Nicht nur ich. Wir alle haben es getan. Sogar <strong>de</strong><strong>in</strong> Freund Lord Fowley, <strong>de</strong>r sich lei<strong>de</strong>rwie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Freiheit bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t, hat dich angelogen. Ich weiß seit Langem, wer gekommen ist,um euch zu retten. Der Sohn von Lord Avery persönlich. Daraufh<strong>in</strong> musste ich e<strong>in</strong>fache<strong>in</strong>en Preis auf euch aussetzen, und e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r Jagdteams hat euch ja auch prompt


aufgespürt. Ich konnte nicht zulassen, dass auch ihr <strong>in</strong> <strong>de</strong>n regulierten Raumzurückkehrt.“Daniel Fowleys Erwähnung kam e<strong>in</strong>er Ohrfeige gleich, <strong>die</strong> <strong>de</strong>s schwer verletztenStabsoffiziers e<strong>in</strong>er zweiten. „Was haben Sie mit Duncan gemacht?!“„Nichts. Ich habe ihn nur e<strong>in</strong> paar D<strong>in</strong>ge gefragt.“ Raven zuckte <strong>die</strong> Achseln. „Ich b<strong>in</strong>eben gern auf <strong>de</strong>m Laufen<strong>de</strong>n.“„Haben Sie ihn gefoltert, damit er etwas sagt?“„Du me<strong>in</strong>e Güte, wo s<strong>in</strong>d wir <strong>de</strong>nn? Das war nicht e<strong>in</strong>mal nötig.“Lan<strong>de</strong>r hielt es nicht mehr aus. Er stürzte vor und wollte sich auf Raven werfen, aber <strong>de</strong>runbekannte Mann mit <strong>de</strong>r Waffe war plötzlich da. Vielleicht war es e<strong>in</strong> Grenzweltler.Lan<strong>de</strong>r rappelte sich nach <strong>de</strong>m Sturz erneut vom Bo<strong>de</strong>n auf und hielt <strong>in</strong>ne, als es anse<strong>in</strong>em Kopf laut klickte. „Ich könnte dich jetzt erschießen, und niemand wür<strong>de</strong> es jeerfahren.“„Reichlich kurzes Vergnügen für <strong>die</strong> neunzigtausend Credits“, erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>rsarkastisch.„Richtig. Ich könnte daher auch etwas an<strong>de</strong>res machen. Etwa dich zusehen lassen, wie<strong>de</strong><strong>in</strong> Freund erschossen wird.“Schweigend verharrte Lan<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n. Die Krim<strong>in</strong>ellen hatten es mit Avery <strong>in</strong>Janet Fields Fall auf <strong>de</strong>m Freeport auch so gemacht. Er glaubte nicht, dass er es selbstohne Weiteres durchstehen wür<strong>de</strong>.Raven bemerkte <strong>die</strong> Narben auf se<strong>in</strong>em Rücken und besah sie sich genauer. „War dasSearle? Hast du ihn <strong>de</strong>shalb getötet?“Nachrichten verbreiteten sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten schnell. Lan<strong>de</strong>r war nicht e<strong>in</strong>malüberrascht. „Ne<strong>in</strong>. Es war e<strong>in</strong> gesuchter Mör<strong>de</strong>r auf Kalhmera.“„Ich b<strong>in</strong> überrascht. Hast du ihn wie Mister Wayland getötet?“„Es hat sich nicht ergeben“, erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r ausdruckslos und blickte auf. In ihmbegann e<strong>in</strong> Hass zu toben, <strong>de</strong>n er zuletzt <strong>in</strong> Cly<strong>de</strong> Searles Fall empfun<strong>de</strong>n hatte. Unddavor <strong>in</strong> Victor Marlowes.Ihre Blicke begegneten sich. „Mir sche<strong>in</strong>t, dass du endlich erwachsen gewor<strong>de</strong>n bist, Sub.Gratuliere. Weißt du, ich kann noch Leute gebrauchen. Eigentlich wollte ich dich zumEssen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Kab<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>la<strong>de</strong>n.“E<strong>in</strong> Weg, um an <strong>die</strong> Fusionsbomben zu kommen! Lan<strong>de</strong>r wagte e<strong>in</strong>ige Sekun<strong>de</strong>n langkaum zu atmen, dann murmelte er: „Und wie lauten <strong>die</strong> Bed<strong>in</strong>gungen, Fleet Admiral?“Raven suchte <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Stimme nach Anzeichen von Hohn und zuckte schließlich <strong>die</strong>Achseln. „Arbeit auf <strong>de</strong>r Brücke, wie du sie gelernt hast. E<strong>in</strong> halbes ProzentGew<strong>in</strong>nbeteiligung an je<strong>de</strong>m Frachter, <strong>de</strong>n wir überfallen.“ Raven beobachtete ihn genau.„Dafür gehen wir gleich zur Medbay, und du erstichst Avery. Das genügt mir als Beweis<strong>de</strong><strong>in</strong>er Treue.“„Das ist für mich <strong>in</strong>akzeptabel.“ Selbst zum Wohle Bretonias konnte <strong>de</strong>r erschrockeneLan<strong>de</strong>r sich nicht vorstellen, Avery umzubr<strong>in</strong>gen.„Warum? Er wür<strong>de</strong> nicht e<strong>in</strong>mal sehen, wer es tut. Gegen me<strong>in</strong>e Wünsche hat man ihnnicht unversehrt hierher gebracht. Er ist wirklich bl<strong>in</strong>d. Das macht es e<strong>in</strong>facher. Genausowie <strong>de</strong>r Fakt, dass er gera<strong>de</strong> schläft. E<strong>in</strong>e bedauerliche Nachwirkung <strong>de</strong>r Droge. Er hatohne <strong>die</strong>se Nachhilfe e<strong>in</strong>fach nichts Brauchbares von sich gegeben. O<strong>de</strong>r hast duSkrupel? Be<strong>de</strong>nke, ich wäre bereit, dir zu vergeben, dass du damals auf <strong>de</strong>r falschenSeite gestan<strong>de</strong>n und uns <strong>die</strong> York auf <strong>de</strong>n Hals gehetzt hast. Du wür<strong>de</strong>st viel Geldver<strong>die</strong>nen können und wärst danach frei. Du hast Wayland und Searle getötet. Außer<strong>de</strong>mnoch zwei Outcasts. Fast wie e<strong>in</strong> richtiger Soldat. Wir sprechen <strong>die</strong>selbe Sprache, und ichweiß, dass du darüber nach<strong>de</strong>nkst. Alles, was ich verlange, ist, dass du etwas tust, dassowieso das Beste für alle Beteiligten ist.“„Woher wollen Sie das <strong>de</strong>nn wissen?“ Lan<strong>de</strong>rs Entsetzen nährte jetzt se<strong>in</strong>e Wut. Er hattedas Gefühl zu platzen. „Wie können Sie entschei<strong>de</strong>n, was richtig ist und was nicht?Duncan ist zurückgekommen, um mich zu retten. Er ist me<strong>in</strong> Freund! Er hat bereits soviel verloren, also lassen Sie ihn gehen und sorgen Sie dafür, dass er nach Hause kann!Er ist ke<strong>in</strong>e Gefahr für Sie!“„Er hat mehr verloren als du <strong>de</strong>nkst, das stimmt. Du vergisst jedoch, mit wem dusprichst. Ich b<strong>in</strong> hier <strong>de</strong>r ranghöchste Offizier!“


„Der ranghöchste Offizier <strong>de</strong>r anwesen<strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>rban<strong>de</strong> vielleicht, aber <strong>de</strong>r ranghöchsteOffizier <strong>de</strong>r Royal Navy ist hier an Bord ganz klar Duncan, gefolgt von mir! Danach folgtganz lange gar nichts, und wenn <strong>die</strong> <strong>Hölle</strong> zufriert, ja dann kommen vielleicht mal Sie!“Lan<strong>de</strong>r wusste, dass es falsch war, Raven zu reizen, aber er konnte nicht an<strong>de</strong>rs.Bitterkeit, <strong>de</strong>r Schock <strong>de</strong>r letzten zwölf Stun<strong>de</strong>n und auch Hass brachen sich Bahn. Errechnete schon mit <strong>de</strong>m Schlimmsten, aber zu se<strong>in</strong>er Überraschung blieb Raven ruhig.„Ich wer<strong>de</strong> dir jene Worte vergeben, <strong>de</strong>nn du hast viel durchgemacht. Du wusstestdamals nicht, was du getan hast, als du uns angeschwärzt hast. Du warst zu jung, um zubegreifen. Lionel und ich hätten uns <strong>de</strong><strong>in</strong>er sofort versichern müssen, anstatt dich Fowleyzu überlassen. Fowley war ke<strong>in</strong> guter Offizier. Du warst e<strong>in</strong> besserer als er. Ich hätte esfrüher sehen müssen. Beispielsweise an jenem Tag, als <strong>die</strong> Outcasts <strong>de</strong>n Konvoi sowieuns angriffen haben und wir <strong>die</strong> gute alte Oxford zerstören mussten.“ Raven sah ihn an,aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Blick lag ke<strong>in</strong>erlei Abneigung o<strong>de</strong>r Ger<strong>in</strong>gschätzung. „Dir kann ichverzeihen. Geh nach Hause zu <strong>de</strong><strong>in</strong>er Familie. Mach etwas aus <strong>de</strong><strong>in</strong>em Leben…“Es war e<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>te. Es musste e<strong>in</strong>e Täuschung se<strong>in</strong>. Lan<strong>de</strong>r wusste es, <strong>de</strong>nn Ravenverstand sich perfekt darauf. Psychospielchen waren wohl se<strong>in</strong> Hobby. Trotz<strong>de</strong>m klang esso verdammt verlockend.„Und Duncan?“„Vergiss ihn. Er ist sowieso verrückt und damit ke<strong>in</strong> vollwertiges Mitglied <strong>de</strong>r Gesellschaftmehr. Ke<strong>in</strong> guter Freund.“„Ich <strong>de</strong>nke nicht, dass Sie das beurteilen können, Mister Raven. Ich suche mir me<strong>in</strong>eFreun<strong>de</strong> immer noch selbst aus.“Nun ansche<strong>in</strong>end ehrlich verblüfft sah Raven ihn an. „Heißt das, Sie wollen bleiben?“„Wun<strong>de</strong>rt Sie das etwa?“„Ne<strong>in</strong>. Es wun<strong>de</strong>rt mich nicht. Nicht bei Ihnen.“ Kopfschüttelnd starrte <strong>de</strong>r ehemaligeErste Offizier ihn an. „Sie versuchten schon damals, etwas zu se<strong>in</strong>, das Sie eigentlich garnicht se<strong>in</strong> können. Sie gehören nicht hierher, wie ich Ihnen schon vor langer Zeit gesagthabe. Selbst <strong>die</strong> Admiralität <strong>de</strong>nkt so. Leute wie Sie gehören nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Royal Navy.“„Auch e<strong>in</strong> Urteil darüber verbitte ich mir aus Ihrem Mun<strong>de</strong>, Mister Raven.“„Glaubst du wirklich, mehr über <strong>die</strong> Tugen<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>es Offiziers zu wissen als ich?“„Ich weiß mehr über Menschlichkeit als Sie, und das reicht mir.“„E<strong>in</strong> guter Mensch wird noch lange ke<strong>in</strong> guter Offizier. Er wird lediglich unterjocht undsteht als Schwächl<strong>in</strong>g da. Er<strong>in</strong>nere dich an me<strong>in</strong>e Worte. Wir wer<strong>de</strong>n erneut mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rsprechen. In New London. Bis dah<strong>in</strong> steht <strong>die</strong>ses Quartier zu <strong>de</strong><strong>in</strong>er freien Verfügung.Das Essen an Bord ist sehr gut, und ich wer<strong>de</strong> auch dafür sorgen, dass man dir e<strong>in</strong>e<strong>de</strong><strong>in</strong>er alten Uniformen br<strong>in</strong>gt, sofern ich sie noch auftreiben kann. Ich nehme an, duwillst oben miterleben, wie wir New London erreichen.“Das Zufallen <strong>de</strong>r Tür hörte sich wie e<strong>in</strong> Donnerschlag an. Wie betäubt sank Lan<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong>harte Pritsche mit <strong>de</strong>m Bettzeug und starrte auf <strong>die</strong> Wand. Er wusste bereits, wasErasmus Raven <strong>in</strong> New London vorhatte, und erneut wur<strong>de</strong> ihm übel. Wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>malhatte er versagt, ohne genau zu wissen, wie. Se<strong>in</strong> Gewissen hatte ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>reEntscheidung als <strong>die</strong> soeben getroffene zugelassen.


Kapitel XII - Flucht„Schrubb gefälligst schneller, sonst lasse ich dich <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n me<strong>in</strong>es Quartiers nachhernoch mit <strong>de</strong>r Zunge ablecken!“ E<strong>in</strong> Tritt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n H<strong>in</strong>tern bekräftigte <strong>die</strong> befehlen<strong>de</strong>n Worte,<strong>die</strong> Erasmus Ravens Bordgeliebte Catal<strong>in</strong>a <strong>in</strong> ihrem stark akzentuierten Englischhervorstieß. Dass ihr Opfer und Diener e<strong>in</strong>e Offiziersuniform <strong>de</strong>r bretonischen Royal Navytrug, machte es für <strong>die</strong> Outcast nur noch reizvoller, ihn zu triezen. Raven wusste abernichts von Lan<strong>de</strong>rs Anwesenheit <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Raum. O<strong>de</strong>r aber <strong>de</strong>r größenwahns<strong>in</strong>nige Ex-Offizier übersah <strong>die</strong>se Art <strong>de</strong>s täglichen Zwangs geflissentlich, genauso wie er auchübersah, dass Catal<strong>in</strong>a noch mit m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens drei an<strong>de</strong>ren Männern an Bord schlief, wennihr <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>n danach stand. Sie wohnte allerd<strong>in</strong>gs permanent <strong>in</strong> Ravens Kapitänskajüte,<strong>die</strong> ursprünglich Lionel K<strong>in</strong>gsham gehört hatte.Lan<strong>de</strong>r strich sich kurz über <strong>die</strong> Stirn, um <strong>de</strong>n Schweiß abzuwischen, und fuhr dann mit<strong>de</strong>m Putzen fort. Den wi<strong>de</strong>rlichen Dreck <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Quartier aufzuputzen kostete ihn seite<strong>in</strong>er geschlagenen Woche täglich mehrere Stun<strong>de</strong>n.Anfangs hatte er auf e<strong>in</strong>e Chance gehofft, zur Bombenkammer zu kommen. O<strong>de</strong>r aberetwas zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Beispielsweise e<strong>in</strong>en nie<strong>de</strong>rgeschriebenen Selbstzerstörungsco<strong>de</strong> für dasSchiff, so unwahrsche<strong>in</strong>lich das auch se<strong>in</strong> mochte.E<strong>in</strong>e Flucht war jedoch unmöglich, da stets e<strong>in</strong> bewaffneter Posten anwesend war, wennCatal<strong>in</strong>a ihn holte. Außer<strong>de</strong>m war sie stets im Raum, während er putzte. Ke<strong>in</strong>e Chance,Ravens Sachen durchzuwühlen o<strong>de</strong>r an das Term<strong>in</strong>al zu kommen.Er kam sich langsam wie ihr liebstes Spielzeug vor, obwohl er genau wusste, dass<strong>de</strong>rartige D<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten nicht ungewöhnlich waren. Ungewöhnlich war nurdas, was er <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Kab<strong>in</strong>e erblickte. Allzu viele nackte Frauen hatte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Lebennoch nicht gesehen. Über ihre Verhältnisse h<strong>in</strong>ter Ravens Rücken hätte er wirklich Buchführen können.E<strong>in</strong>en Vorteil hatte es jedoch, täglich hier zu se<strong>in</strong>. Wenn sie gute Laune hatte o<strong>de</strong>r aufse<strong>in</strong>e Verschwiegenheit angewiesen war, dann fütterte sie ihn manchmal mitInformationen über Duncan Avery. Sie zu fragen war s<strong>in</strong>nlos, da sie dann stets nur lachteund ke<strong>in</strong>e Antwort gab. Er war darauf angewiesen, dass sie von sich aus mit ihm sprach.Soweit Lan<strong>de</strong>r wusste - <strong>de</strong>nn das letzte Mal hatte er vor drei Tagen etwas gehört - lagAvery wegen <strong>de</strong>r Schusswun<strong>de</strong> noch immer auf <strong>de</strong>r Schiffskrankenstation. Ravenverhörte <strong>de</strong>n Verletzten täglich, was hilflose Wut <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>r aufsteigen ließ. Er hattebereits überlegt, vielleicht um e<strong>in</strong> Gespräch mit <strong>de</strong>m selbst ernannten Admiral zu bitten,aber das wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge kaum besser machen. Er kannte <strong>de</strong>n alten bösartigen ErasmusRaven von damals. Wenn <strong>de</strong>r erfuhr, dass Lan<strong>de</strong>r nicht immer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Arrestzelle war,son<strong>de</strong>rn täglich mehrere Stun<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Geliebten verbrachte - ne<strong>in</strong>, daswäre gar nicht gut.Trotz<strong>de</strong>m kam Lan<strong>de</strong>r unfair vor, dass Avery <strong>die</strong> ganze Last <strong>de</strong>r Verhöre zu tragen hatteund er selbst überhaupt nichts. Wenn Raven Rache wollte, sollte er sie gefälligst anLan<strong>de</strong>r nehmen, aber nicht an e<strong>in</strong>em verletzten Offizier, <strong>de</strong>m es garantiert alles an<strong>de</strong>reals gut g<strong>in</strong>g.Wenn Lan<strong>de</strong>r doch nur e<strong>in</strong>mal zu ihm gedurft hätte. Er seufzte, woraufh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> erneuterTritt se<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>tern traf. E<strong>in</strong>e Reihe spanischer Flüche und Schimpfworte, <strong>die</strong> erimmerh<strong>in</strong> teilweise verstand, weil er sie auch auf Kalhmera gehört hatte, folgten nach.Catal<strong>in</strong>a war mit ihrem rabenschwarzen langen Haar sehr hübsch, aber dass sie<strong>de</strong>rmaßen fluchen konnte, war <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs unbedarften Augen doch unattraktiv.Durch <strong>die</strong> Flucherei überhörten sie bei<strong>de</strong> das Klopfen an <strong>de</strong>r Tür. Erst als sie geöffnetwur<strong>de</strong> und plötzlich e<strong>in</strong> Mann im Raum stand, fuhren sie bei<strong>de</strong> herum. Lan<strong>de</strong>r, weil er mitErasmus Raven rechnete, und Catal<strong>in</strong>a, da sie offensichtlich auf <strong>de</strong>n Kerl gewartet hatte.So schien es zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st, <strong>de</strong>nn sie warf sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Arme und küsste ihn lei<strong>de</strong>nschaftlichauf <strong>de</strong>n Mund.Der Sub-Lieutenant stand mit <strong>de</strong>m Lappen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand daneben und glaubte es nicht,<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r erwartete Liebhaber war Petty Officer Piper. Er flüsterte Catal<strong>in</strong>a etwas <strong>in</strong>s Ohr,und sie wandte sich dann an Lan<strong>de</strong>r: „Du gehen jetzt!“Da Wi<strong>de</strong>rworte ihm nicht zustan<strong>de</strong>n und er sowieso viel zu perplex war, nickte Lan<strong>de</strong>rnur dumpf und legte <strong>de</strong>n Lappen weg.


„Bis gleich, Cara“, verkün<strong>de</strong>te Piper und zerrte Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>aus.Dort bemerkte <strong>de</strong>r Offizier erstmalig, dass <strong>die</strong> Wache fort war. Fast sofort überlegte er,sich auf Piper zu stürzen, aber <strong>de</strong>r Unteroffizier versprach ihm: „Wenn Sie still s<strong>in</strong>d undsich verhalten, als g<strong>in</strong>gen wir zurück zu Ihrer Zelle, br<strong>in</strong>ge ich Sie zu Mister Avery.“Das Bewusstse<strong>in</strong>, dass Piper schon damals kurz nach <strong>de</strong>r Meuterei fast auf ihrer Seitegewesen war, ließ Lan<strong>de</strong>r von se<strong>in</strong>em Vorhaben Abstand nehmen.„Petty Officer…“ Es war für Lan<strong>de</strong>r nicht <strong>in</strong> Worte zu fassen. Piper hatte Avery jawohlbekanntlich nicht erschossen, son<strong>de</strong>rn nur so getan als ob. Keith Parry war e<strong>in</strong>ean<strong>de</strong>re Geschichte, aber <strong>die</strong> vergaß Lan<strong>de</strong>r jetzt schnell wie<strong>de</strong>r. Je<strong>de</strong>r halbe Freund war<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er jetzigen Situation automatisch e<strong>in</strong> sehr guter Freund.„Sagen Sie nichts … Sir!“ Trotz <strong>de</strong>s barschen Tones verriet das kle<strong>in</strong>e Wort am En<strong>de</strong>mehr als alles an<strong>de</strong>re. Piper konnte und musste nicht höflich zu ihm se<strong>in</strong>, aber Höflichkeitwar auch nicht wichtig, wenn es um lebensnotwendige Angelegenheiten g<strong>in</strong>g.„Ich muss Sie sprechen!“„Später… vielleicht.“ Piper sah sich um und zog Lan<strong>de</strong>r dann <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Waschräumefür <strong>die</strong> Schiffswäsche, als jemand auftauchte. Es waren zwei Frauen aus <strong>de</strong>nGrenzwelten, <strong>die</strong> laut schwatzend vorbeig<strong>in</strong>gen.„Hören Sie, Petty Officer…“„Nicht jetzt, sage ich! Sie tun auch gut daran, gleich zu Avery nichts zu sagen. Sieriskieren Ihren und se<strong>in</strong>en Kopf plus me<strong>in</strong>en noch dazu, wenn es rauskommt! Ich lasseSie mit ihm alle<strong>in</strong>. Nehmen Sie sich e<strong>in</strong>en Stuhl und bleiben Sie bei ihm, so lange Siemögen, aber geben Sie sich nicht zu erkennen! Fassen Sie ihn auch um Himmels willennicht an! Er schreit dann immer sofort, und e<strong>in</strong> paarmal haben sie ihn wohl auch schongeknebelt, weil weiter <strong>de</strong>n Gang runter noch Quartiere liegen. Unter an<strong>de</strong>rem auchme<strong>in</strong>es. Das ist auch <strong>de</strong>r Grund, weshalb er von <strong>de</strong>r Med weg musste. Der Schiffsarztgibt ihm je<strong>de</strong>n Tag Drogen für Ravens Verhör, weshalb er neben sich steht undnieman<strong>de</strong>n mehr erkennt.“„Warum tut Raven ihm das an?“, würgte Lan<strong>de</strong>r hervor, während ihm Schmerz das Herzzusammenschnitt.„Fragen Sie ihn mal. Ich weiß je<strong>de</strong>nfalls mit Sicherheit nicht, was <strong>die</strong>ser Krüppel ihmnoch Neues erzählen könnte.“„Duncan ist ke<strong>in</strong> Krüppel!“, zischte Lan<strong>de</strong>r wütend.„Son<strong>de</strong>rn was?“ Piper wartete nicht e<strong>in</strong>mal auf e<strong>in</strong>e Antwort. Er zerrte se<strong>in</strong>en ehemaligenVorgesetzten weiter. Bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ganges, wo sich e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Lagerraum befand.Der Petty Officer kam nicht mit re<strong>in</strong>, son<strong>de</strong>rn er ließ Lan<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>treten.Als <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant zögerlich das Licht e<strong>in</strong>schaltete, sah er Avery und fiel haltsuchendgegen <strong>die</strong> Wand.Der abgemagerte Lieutenant Comman<strong>de</strong>r lag angebun<strong>de</strong>n auf e<strong>in</strong>em Feldbett, brabbelteUnverständliches und hatte se<strong>in</strong> Gesicht <strong>de</strong>r Tür zugewandt. Die grünen Augen starrtenihn blank an. Ohne irgen<strong>de</strong>twas zu sehen, wie Lan<strong>de</strong>r wusste. Duncan Avery wirkte sehrverwahrlost, und es stank <strong>in</strong> <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en Lagerraum nach Körperausscheidungen. E<strong>in</strong>weiterer sicherer Beweis für <strong>die</strong> Verrücktheit <strong>de</strong>s Stabsoffiziers - genauso wie <strong>de</strong>rSpeichel, <strong>de</strong>r ihm übers K<strong>in</strong>n rann.Nun, da er se<strong>in</strong>en sehnlichsten Wunsch erfüllt bekommen hatte, fand Lan<strong>de</strong>r nicht e<strong>in</strong>malmehr <strong>die</strong> Kraft, zum Bett zu gehen. Er schluchzte trocken auf, lehnte sich an <strong>die</strong> Tür undverschloss <strong>die</strong> Augen.‚Was habe ich dir nur angetan, Duncan?!’Je<strong>de</strong>r weitere Blick auf <strong>de</strong>n bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Freund wäre zu viel gewesen. Mehr als er ertragenkonnte und wollte. Er begriff, dass <strong>die</strong>s nicht Ravens Rache an Avery war, son<strong>de</strong>rn ganzalle<strong>in</strong> an ihm. Ihn und nicht Avery wollte Raven treffen!Bald nach <strong>de</strong>m Quickie mit Catal<strong>in</strong>a tauchte Piper wie<strong>de</strong>r auf. Er sprach ke<strong>in</strong> Wort, als erse<strong>in</strong>en Vorgesetzten zurück <strong>in</strong> <strong>die</strong> Zelle brachte. Der am Bo<strong>de</strong>n zerstörte Lan<strong>de</strong>r wargeistig völlig abwesend und dadurch fast ebenso bl<strong>in</strong>d wie Avery es permanent war.Genau <strong>de</strong>shalb bemerkte er auch nicht, dass Erasmus Raven <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kab<strong>in</strong>e gegenüberwartete und aus <strong>de</strong>m Türspalt lugte, als <strong>de</strong>r Unteroffizier <strong>de</strong>n Gefangenen vorbeiführte.Die tiefe Befriedigung im Gesicht <strong>de</strong>s ehemaligen Comman<strong>de</strong>rs mochte Lan<strong>de</strong>r entgangense<strong>in</strong>, aber Piper sah sie nur allzu <strong>de</strong>utlich. Diese befohlene Begegnung hatte nur <strong>de</strong>r


Befriedigung von Ravens Rachedurst ge<strong>die</strong>nt. Piper senkte <strong>de</strong>n Blick und zerrte <strong>de</strong>nGefangenen grob weiter.Duncan Averys Stun<strong>de</strong> wür<strong>de</strong> bald schlagen, genauso wie Patrick Lan<strong>de</strong>rs. Dann wür<strong>de</strong>es zu spät se<strong>in</strong>. Es wur<strong>de</strong> Zeit für etwas, das <strong>in</strong> Pipers Augen längst überfällig war.Drei Stun<strong>de</strong>n und e<strong>in</strong> weiteres Verhör später ließ Erasmus Raven das körperliche undseelische Wrack namens Duncan Avery zu <strong>de</strong>m Sub-Lieutenant <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arrestzelleverlegen.„Komm schon, Duncan! Du musst etwas essen!“ Verzweifelt steckte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>emFreund e<strong>in</strong>en Löffel mit Gemüsebrei <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Mund.Seit <strong>de</strong>r gestrigen Ankunft se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Zelle gab es nur noch schlechteresEssen für sie bei<strong>de</strong>. Essensreste aus <strong>de</strong>r Kapitänskab<strong>in</strong>e, wie ihm von e<strong>in</strong>er hämischgr<strong>in</strong>sen<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Outcast erklärt wor<strong>de</strong>n war.Also waren es Catal<strong>in</strong>as und Ravens Mahlzeiten, <strong>de</strong>ren Reste auf e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>zigen Tellerzusammengeschüttet wor<strong>de</strong>n waren.Da Lan<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>n Grenzwelten genau wusste, was es hieß zu hungern, scheute er selbstdavor nicht zurück. Das Problem war nur, dass er Avery füttern musste und dass se<strong>in</strong>Freund nichts bei sich behielt.Wie stets war er auch momentan primär damit beschäftigt, zu schreien. Gottlob warAvery bereits so heiser, dass man es kaum noch vernahm.Lan<strong>de</strong>r hörte es trotz<strong>de</strong>m und war nach dreißig Stun<strong>de</strong>n bereits am En<strong>de</strong> se<strong>in</strong>er Kraft.Vor vier Stun<strong>de</strong>n hatte man Avery vom heutigen Verhör wie<strong>de</strong>rgebracht, und das war <strong>die</strong>beste Zeit, um ihn zu füttern, aber <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r wollte e<strong>in</strong>fach nichtsessen.Der Brei aus zerdrücktem Gemüse klebte bereits fast überall an Lan<strong>de</strong>rs Uniform.„Dadu… ugga!“ Avery schlug mit <strong>de</strong>r Hand auf <strong>de</strong>n Teller. Er wollte nicht. So viel hätteLan<strong>de</strong>r auch gewusst, ohne dass das Zeug ihm <strong>in</strong>s Gesicht klatschte. Er g<strong>in</strong>g zumWaschbecken, um es sich abzuwischen und <strong>die</strong> zittern<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong> zu beruhigen. Auch <strong>die</strong>allgegenwärtigen Tränen <strong>de</strong>r Verzweiflung musste er h<strong>in</strong>unterschlucken. Er hatte heuteNacht sogar an Selbstmord gedacht. E<strong>in</strong>fach erst Avery töten und dann sich selbst.Warum das Lei<strong>de</strong>n noch verlängern? Bloß um Planet New London brennen zu sehen?Darauf konnte er gut und gerne verzichten. In ihm drängte mittlerweile wirklich etwassehr beharrlich darauf, doch endlich Schluss zu machen. Besser das als <strong>die</strong>ses Elend und<strong>de</strong>n damit verbun<strong>de</strong>nen seelischen Schmerz noch viel länger zu ertragen.Die Trauer und Selbstvorwürfe wur<strong>de</strong>n jäh übermächtig, und se<strong>in</strong>e Kraft verließ ihn.Obwohl er seit knapp an<strong>de</strong>rthalb Wochen wie<strong>de</strong>r richtig und gut gegessen hatte, war ernoch immer stark unterernährt. Das war <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Vergangenheit sicherlich <strong>die</strong> Ursachejener bei<strong>de</strong>n Ohnmachtsanfälle <strong>in</strong> kritischen Situationen gewesen.Auch jetzt sank er erneut gegen <strong>die</strong> Wand, schlug mit <strong>de</strong>r flachen Hand dagegen und ließ<strong>de</strong>n Tränen freien Lauf. Er fand nicht e<strong>in</strong>mal mehr <strong>die</strong> Kraft, zu beten. Wo war Gott?Avery hatte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en letzten klaren Momenten <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Outcastfrachter Recht gehabt.Gott hatte sich von ihnen abgewandt. Er war nicht da.E<strong>in</strong>e sanfte Berührung an se<strong>in</strong>er Schulter ließ ihn ungläubig aufschreien undherumfahren. „Duncan?“Die kurze Hoffnung <strong>in</strong> ihm verlosch wie<strong>de</strong>r wie e<strong>in</strong> Strohfeuer, als er durch <strong>de</strong>n Schleiervor se<strong>in</strong>en Augen nur Petty Officer Piper sah. Der Freund war nicht zu ihm zurückgekehrt,son<strong>de</strong>rn er saß nach wie vor sabbernd auf <strong>de</strong>r Pritsche <strong>de</strong>r Arrestzelle und schmierteGemüsebrei an <strong>die</strong> Stahlwand wie e<strong>in</strong> Zweijähriger.Lan<strong>de</strong>r war unangenehm, dass Piper ihn we<strong>in</strong>en sah. Nach e<strong>in</strong>em Moment wandte er sichab, aber <strong>de</strong>r ältere Mann nahm ihn e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Arm. Lan<strong>de</strong>r wehrte sich nichtdagegen, son<strong>de</strong>rn er lehnte sich schluchzend an <strong>de</strong>n Unteroffizier, froh, <strong>die</strong> Bür<strong>de</strong> nichtmehr alle<strong>in</strong> tragen zu müssen. „Ich kann nicht mehr!“„Halten Sie noch e<strong>in</strong>e Nacht durch, Sir.“Der Dritte Offizier hob abrupt <strong>de</strong>n Kopf und bl<strong>in</strong>zelte. Piper hatte so zuversichtlichgeklungen. So überzeugt. Vor allem aber wie e<strong>in</strong> Mann, <strong>de</strong>r über e<strong>in</strong>en Plan verfügte.„Was haben Sie vor, Petty Officer?“


„Ich hole Sie raus. Halten Sie sich also bereit.“Nun, da wie<strong>de</strong>r Hoffnung bestand, brach Lan<strong>de</strong>r erneut <strong>in</strong> Tränen aus. Es dauertemehrere M<strong>in</strong>uten, bis er sich beruhigt hatte. „Und Duncan?“„Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery auch. Man wird Ihnen <strong>de</strong>n Plan heute Nacht erklären.Seien Sie nur bereit, wenn jemand <strong>in</strong> Ihre Zelle kommt. Er wird sich mit <strong>de</strong>m KennwortMetropolitan i<strong>de</strong>ntifizieren. Haben Sie das verstan<strong>de</strong>n?“„Ist ja e<strong>in</strong>fach genug. Nur was ist dann?“„Dann wer<strong>de</strong>n Sie e<strong>in</strong>fach genau das tun, was man Ihnen sagt. Geben Sie ke<strong>in</strong>e Befehle.“„Ich vertraue Ihnen. Was machen Sie <strong>de</strong>rweil?“„Machen Sie sich ke<strong>in</strong>e Sorgen um mich, Sir.“ Piper strich ihm noch e<strong>in</strong>mal kurz väterlichüber <strong>de</strong>n Kopf und wandte sich dann zur Tür. Dort angekommen sagte er leiser: „Unterse<strong>in</strong>er Decke f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie e<strong>in</strong>e Pistole und e<strong>in</strong> volles Magaz<strong>in</strong>. Mehr konnte ich aus <strong>de</strong>rWaffenkammer lei<strong>de</strong>r nicht verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n lassen. Es wäre sonst aufgefallen. Falls jemandan<strong>de</strong>rs kommt und sich nicht mit <strong>de</strong>m Kennwort i<strong>de</strong>ntifiziert, erschießen Sie erst <strong>die</strong>senKerl, dann Ihren Freund und sich selbst. Wenn jemand an<strong>de</strong>rs kommt, kann Ihnennämlich wirklich niemand mehr helfen, und Sie tun es besser selbst, bevor Raven es fürSie macht.“Erschrocken starrte Lan<strong>de</strong>r ihn an, aber Piper g<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>fach und ließ ihn alle<strong>in</strong> zurück.Alle<strong>in</strong> mit se<strong>in</strong>en Gedanken und jenem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erwachsenen Männerkörper.Gera<strong>de</strong> wegen <strong>die</strong>ses Umstan<strong>de</strong>s war auch Lan<strong>de</strong>rs erste Handlung, <strong>die</strong> Waffe und dasMagaz<strong>in</strong> wegzunehmen. Letzteres hatte Avery nämlich bereits gefun<strong>de</strong>n, und das konntesehr ungünstig ausgehen.Noch während er se<strong>in</strong>em schwachs<strong>in</strong>nig gewor<strong>de</strong>nen Freund das Magaz<strong>in</strong> entwand und<strong>die</strong> Waffe unter <strong>de</strong>r Decke suchte, lief ihm e<strong>in</strong> Schauer <strong>de</strong>n Rücken h<strong>in</strong>unter. Piper hatteihm nicht sagen wollen, was genau er mit e<strong>in</strong>igen an<strong>de</strong>ren vorhatte, aber es schienGewalt zu be<strong>in</strong>halten.Daher gab es nur e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige Lösung: ‚Sie wollen das Schiff erobern!’ Und das trotz <strong>de</strong>rKrim<strong>in</strong>ellen sowie Erasmus Ravens Anwesenheit.Auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie hatte man ihm beigebracht, sich auch <strong>in</strong> solche Situationenh<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zu<strong>de</strong>nken. Wer <strong>die</strong> Brisbane erobern wollte, musste <strong>die</strong> Crewquartiere abschotten,<strong>die</strong> Brücke, <strong>de</strong>n Masch<strong>in</strong>enraum sowie das Hangar<strong>de</strong>ck erobern und noch dazu <strong>de</strong>ngesicherten Lagerraum, wo <strong>die</strong> Fusionsbomben gelagert wur<strong>de</strong>n. Zu viele möglicheFehlerquellen, vor allem aber zu wenige Leute. Wie viele Unterstützer mochte <strong>de</strong>r PettyOfficer haben? Wie viele Leute waren überhaupt an Bord? Lan<strong>de</strong>r schätzte zweihun<strong>de</strong>rt.Selbst wenn <strong>de</strong>r Unteroffizier dreißig Leute auf se<strong>in</strong>er Seite hatte, was vermutlich nichte<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>r Fall war, so waren es doch viel zu wenige, um das Schiff zu erobern und zuhalten. Grauen erfüllte Lan<strong>de</strong>r, als er jene Rechnung aufstellte, und er blickte schau<strong>de</strong>rndauf <strong>die</strong> Waffe <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hand. Er wür<strong>de</strong> sie sicherlich bald benutzen müssen und <strong>die</strong>smalwür<strong>de</strong> er ke<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong> mehr zögern, Avery und sich selbst zu erschießen.Patrick Lan<strong>de</strong>r saß schon seit Stun<strong>de</strong>n auf glühen<strong>de</strong>n Kohlen. Selbst Avery schien davonangesteckt zu wer<strong>de</strong>n. Er war quengelig, aber wenigstens hatte er sich jetzt an Lan<strong>de</strong>rsGegenwart gewöhnt. Die Wahrnehmung von Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n funktionierte ja auf an<strong>de</strong>re Weise alsbei Gesun<strong>de</strong>n. Vermutlich hatte Avery sich unbewusst längst auf Geräusche, Gerüche undBerührungen als primäre Informationsquellen über se<strong>in</strong>e Umgebung umgestellt.Demnach konnte er Lan<strong>de</strong>r mittlerweile sicherlich als freundlich ges<strong>in</strong>nt i<strong>de</strong>ntifizieren,obwohl schwer zu sagen war, was <strong>de</strong>r bl<strong>in</strong><strong>de</strong> und verwirrte Offizier überhaupt nochwahrnahm und was nicht.Die <strong>in</strong>nere Unruhe Lan<strong>de</strong>rs hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat etwas bewirkt. Er bemerkte es erst nache<strong>in</strong>iger Zeit, aber Averys Hand lag auf se<strong>in</strong>em Schenkel, als wolle <strong>de</strong>r Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> dort etwasertasten. Als Lan<strong>de</strong>r sich vorsichtig bewegte und ihm <strong>die</strong> freie Hand h<strong>in</strong>hielt, ergriff Averysie sofort und zielgerichtet.„Duncan…“Ke<strong>in</strong>e nennenswerte Reaktion. Trotz<strong>de</strong>m war Lan<strong>de</strong>r ermutigt. Womöglich wür<strong>de</strong> alles jadoch wie<strong>de</strong>r gut wer<strong>de</strong>n. Vielleicht besaß Avery noch Verstand. Hoffentlich war <strong>de</strong>m so.


Er drückte <strong>die</strong> Hand se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s fester und erhielt e<strong>in</strong>en unmenschlichen Laut alsAntwort. Ob das Schmerz ausdrückte o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res wusste er nicht.Wenn Petty Officer Piper und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Erfolg hatten… unwillkürlich umfasste se<strong>in</strong>erechte Hand unter <strong>de</strong>r Decke <strong>die</strong> schussbereite Waffe fester. Er war bereit. Für je<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rmöglichen Fälle, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>treten konnten.Etwas geschah <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat. Der Gefechtsalarm heulte unwillkürlich los, aber es kam ke<strong>in</strong>eDurchsage. Nur etwas an<strong>de</strong>res, das nach weit entfernten Schüssen klang. Vielleicht vonvorne am Bug, was auf e<strong>in</strong>en Kampf um das Hangar<strong>de</strong>ck o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Bombenkammerschließen ließ. Sicherlich hatte Piper <strong>die</strong>selben taktischen Überlegungen angestellt wieLan<strong>de</strong>r vor Stun<strong>de</strong>n.Dazu kam auch noch e<strong>in</strong>e Vibration, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r nur spürte, als er sich an <strong>die</strong> Metallwandlehnte. Irgendwo auf <strong>de</strong>m Schiff wur<strong>de</strong> wirklich gekämpft! Er versuchte, es sich plastischvorzustellen und wünschte sich, endlich e<strong>in</strong>greifen zu können. Er konnte mit <strong>de</strong>r Waffeumgehen und hätte Erasmus Raven liebend gern eigenhändig umgebracht. Für alles und<strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re das, was <strong>de</strong>r Mör<strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Duncan Avery angetan hatte.Selbst das unfreiwillige Jahr <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenz- und Randwelten war im direkten Vergleichnicht so schlimm wie Averys jetziger Zustand.Lan<strong>de</strong>r focht gegen <strong>die</strong> Tränen an. Wenn <strong>de</strong>r Freund doch nur vollends hier wäre - eshätte so viel zu sagen gegeben.Vor allem aber benötigte auch Lan<strong>de</strong>r Trost. Er war sich <strong>de</strong>ssen bewusst gewor<strong>de</strong>n,nach<strong>de</strong>m ihm klar gewor<strong>de</strong>n war, dass er <strong>de</strong>n verme<strong>in</strong>tlichen Fe<strong>in</strong>d Piper umarmt und <strong>in</strong><strong>de</strong>ssen Griff gewe<strong>in</strong>t hatte. Das war ihm später un<strong>de</strong>nkbar erschienen, aber <strong>de</strong>rZusammenbruch war e<strong>in</strong>fach über ihn gekommen. Der Unteroffizier hatte ihm Trostgespen<strong>de</strong>t und neue Kraft gegeben. Kraft, um <strong>die</strong>s hier zu überstehen und auch für Averystark zu se<strong>in</strong>.Die Schüsse näherten sich. Es war also noch nicht vorbei. Verständlich, <strong>de</strong>nn Ravenwür<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>s Unruhefaktors, <strong>de</strong>n e<strong>in</strong> gewisser Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r darstellte, sehrwohl bewusst se<strong>in</strong>. Und er wür<strong>de</strong> ihn elim<strong>in</strong>ieren wollen.Mit völliger Klarheit wusste Lan<strong>de</strong>r nun, dass Piper ihm das Schiff übergeben wollte. Erselbst war <strong>de</strong>r letzte e<strong>in</strong>satzfähige Offizier an Bord, wenn Raven starb. Endlich starbpasste als Ausdruck wohl eher.Vielleicht wollten ja doch mehr ehemalige Crewmitglie<strong>de</strong>r ihren größenwahns<strong>in</strong>nigenselbst ernannten Admiral loswer<strong>de</strong>n als gedacht. Das war etwas, worauf man hoffenkonnte. Vielleicht wür<strong>de</strong>n Piper und <strong>die</strong> Leute auf se<strong>in</strong>er Seite ja tatsächlich gew<strong>in</strong>nen!Selbst <strong>die</strong> Vorstellung, plötzlich und ganz alle<strong>in</strong> Kapitän zu se<strong>in</strong>, hatte nichtsErschrecken<strong>de</strong>s mehr an sich. Es konnte ja alles nur noch besser wer<strong>de</strong>n. Von <strong>de</strong>rartigemOptimismus durchdrungen stand er schließlich auf und zerrte Avery von <strong>de</strong>r Pritsche. DerLieutenant Comman<strong>de</strong>r wimmerte leise. Als draußen direkt neben <strong>de</strong>r Tür e<strong>in</strong> Schuss fiel,schrie Avery sogar. Die Angst bei Schießereien war wohl sogar tief im Unterbewusstse<strong>in</strong><strong>de</strong>s sensiblen Stabsoffiziers verwurzelt. Vermutlich als Teil e<strong>in</strong>er fernen Er<strong>in</strong>nerung.Das erleichterte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Aufgabe, ihn unter <strong>die</strong> Pritsche zu drücken. Dort war nichtviel Platz, aber Avery ließ es zu. Wi<strong>de</strong>rstandslos und lautlos wie e<strong>in</strong>e zittern<strong>de</strong> Puppe.Draußen vor <strong>de</strong>r Tür waren leise Stimmen zu hören. Lan<strong>de</strong>r verme<strong>in</strong>te, e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zweispanische Worte zu verstehen. E<strong>in</strong> Sprecher war eher e<strong>in</strong>e Sprecher<strong>in</strong>, und das konntenur e<strong>in</strong>es be<strong>de</strong>uten: Grenzweltler hatten nicht zur Royal Navy gehört, und daher warenes Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>!Lan<strong>de</strong>r drückte sich <strong>in</strong>nen neben <strong>de</strong>r Tür eng an <strong>die</strong> Wand, <strong>de</strong>nn er war festentschlossen, alles und je<strong>de</strong>n als Fe<strong>in</strong>d anzusehen, <strong>de</strong>r nicht damals auf <strong>de</strong>r Brisbanege<strong>die</strong>nt hatte, als sie noch e<strong>in</strong> Schiff <strong>de</strong>r bretonischen Krone gewesen war. Und daswür<strong>de</strong> sie auch wie<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n! Diesmal war Gott auf se<strong>in</strong>er Seite! Irgendwann musste eres ja schließlich auch e<strong>in</strong>mal so se<strong>in</strong>.Die Tür <strong>de</strong>s Lagerraumes schwang auf. Lan<strong>de</strong>r erkannte nur <strong>de</strong>n Lauf <strong>de</strong>r Waffe undwusste, dass je<strong>de</strong>r Freund jetzt das Losungswort sagen wür<strong>de</strong>. Sie wussten ja, dass erbewaffnet war. Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> wussten es nicht. Sie glaubten an e<strong>in</strong> leichtes Spiel und bezahltendafür.E<strong>in</strong> Magaz<strong>in</strong> und sieben Schuss. Er brauchte drei. Jetzt schrie Avery wie<strong>de</strong>r. Lan<strong>de</strong>rstürzte zur Pritsche, griff darunter und presste se<strong>in</strong>em Freund <strong>die</strong> Hand auf <strong>de</strong>n Mund.„Sei um Himmels willen still, o<strong>de</strong>r sie br<strong>in</strong>gen uns um, wenn noch mehr kommen!“


Verstehen war es sicherlich nicht, also ließen wohl <strong>die</strong> nackte Angst und <strong>de</strong>r befehlen<strong>de</strong>Ton <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Stimme <strong>de</strong>n Stabsoffizier schweigen. Der Leedser eilte zurück zur Tür undmachte sich daran, <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Leichen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Arrestzelle zu tragen. E<strong>in</strong> Mann und e<strong>in</strong>eFrau. Lei<strong>de</strong>r nicht Raven o<strong>de</strong>r <strong>die</strong> korrupte Catal<strong>in</strong>a. Draußen war jetzt alles ruhig. Füre<strong>in</strong>e Sekun<strong>de</strong> überlegte Lan<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong>fach zu gehen. Avery wür<strong>de</strong> sich sicherlich vom Fleckrühren, und genau das war das Problem. Er war hier e<strong>in</strong>e zu leichte Beute für je<strong>de</strong>npotenziellen Killer!Patrick Lan<strong>de</strong>r schoss sämtliche Überlegungen zum Überraschungsvorteil <strong>in</strong> <strong>de</strong>n W<strong>in</strong>dund traf se<strong>in</strong>e Entscheidung. Er wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Hilflosen nicht hier zurücklassen, auch wenn<strong>die</strong>s e<strong>in</strong>en entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Zeitverlust und damit Nachteil be<strong>de</strong>utete. Er brachte es erneutnicht fertig, <strong>de</strong>n beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten Stabsoffizier zum Wohl <strong>de</strong>s Hauses Bretonia zu opfern. Erkonnte es e<strong>in</strong>fach nicht tun. Es g<strong>in</strong>g nicht. Die Arrestzelle wäre <strong>de</strong>r erste Platz, wo mannach ihnen suchen wür<strong>de</strong>, falls etwas schiefg<strong>in</strong>g.Den abgemagerten Lei<strong>de</strong>nsgefährten hochzerrend, befahl Lan<strong>de</strong>r: „Still jetzt! Ich br<strong>in</strong>gedich an e<strong>in</strong>en sicheren Platz!“Wo das genau se<strong>in</strong> sollte, wusste er jedoch nicht. Mittlerweile war mit Sicherheit dasgesamte Schiff alarmiert, und er wusste nicht e<strong>in</strong>mal genau, wer im E<strong>in</strong>zelnen <strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong>dwar und wie zahlreich er se<strong>in</strong> mochte.Zum Glück blieb es draußen weiter ruhig, da <strong>de</strong>r Kampf sich auf an<strong>de</strong>re Sektionen zukonzentrieren schien. Die Quartiere befan<strong>de</strong>n sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nähe, weshalb Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>nBl<strong>in</strong><strong>de</strong>n eilig dorth<strong>in</strong> zerrte. Avery setzte nur wi<strong>de</strong>rstrebend e<strong>in</strong>en Fuß vor <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren,also wandte <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant schlussendlich Gewalt an. In <strong>de</strong>r rechten Hand hielt erweiterh<strong>in</strong> <strong>die</strong> entsicherte Waffe.Schließlich kamen ihm zwei Leute entgegen. Er hörte sie nicht sprechen, da sie wie imGefecht lautlos kommunizierten. Nur kurz gesehen hatte er sie.Sich selbst und Avery <strong>in</strong> Deckung zu br<strong>in</strong>gen war mühsam. Lan<strong>de</strong>r fragte halblaut:„Brisbane?“Innerlich betete er darum, dass sie Glück haben wür<strong>de</strong>n.„Metropolitan!“„Gott sei Dank!“ Lan<strong>de</strong>r stand erneut auf. „Haben wir das Schiff?“„So gut wie. Comman<strong>de</strong>r Raven ist tot, Sir. Nur e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellen leisten nochWi<strong>de</strong>rstand“, me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n. Er trug e<strong>in</strong> MG, genauso wie se<strong>in</strong> Partner. Bei<strong>de</strong>traten aus <strong>de</strong>r Deckung vollends <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Gang h<strong>in</strong>aus und gaben sich so als ehemaligeCrewmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schiffes zu erkennen.Wenn noch e<strong>in</strong> Beweis vonnöten gewesen wäre, hatte das ehemalige Crewmitglied ihndurch se<strong>in</strong>e Worte erbracht.„Wo ist es jetzt am sichersten? Jemand muss bei Duncan bleiben, während ich <strong>die</strong> Brückeübernehme!“, beschloss Lan<strong>de</strong>r.„Er ist wohl auf e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Offizierstoiletten am sichersten aufgehoben.“„Kann ich mich dah<strong>in</strong>gehend auf Sie verlassen?“„Petty Officer Piper schickt uns, Sir. Wir sollten Sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Arrestzelle abholen und uns um<strong>de</strong>n Lieutenant Comman<strong>de</strong>r kümmern, Lieutenant.“„Gut. Nehmen Sie Duncan mit und stellen Sie jeman<strong>de</strong>n ab, <strong>de</strong>r auf ihn aufpasst! Ihmdarf nicht noch mehr passieren.“ Lan<strong>de</strong>r war wirklich nicht wohl dabei, Avery e<strong>in</strong>emCrewmitglied zu überlassen, <strong>de</strong>r damals unter <strong>de</strong>n Meuterern gewesen war, <strong>die</strong> sie alleerst <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Situation gebracht hatten. Man musste gewisse D<strong>in</strong>ge jedoch vergessen undvergeben können, wenn man hier draußen überleben wollte. Und das wollte Lan<strong>de</strong>r. Erwollte zurück nach Hause. Mit Duncan Avery! Genauso wie er <strong>die</strong> Fusionsbombengesichert wissen wollte.Se<strong>in</strong> Freund wollte ihn jetzt nicht loslassen und hatte Angst. Er krallte sich an Lan<strong>de</strong>rsArm fest, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant hatte jetzt an<strong>de</strong>re Sorgen. „Nehmen Sie ihn endlichmit, Herrgott noch mal! Geh mit ihm, Duncan!“Erst als Lan<strong>de</strong>r persönlich <strong>die</strong> F<strong>in</strong>ger aufbog und abstreifte, gelang es <strong>de</strong>m Mann, Averywegzuziehen. Dann begann <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r erneut zu schreien, woraufh<strong>in</strong><strong>de</strong>r Helfer ihn bewusstlos schlug und wegschleifte. Lan<strong>de</strong>r billigte <strong>die</strong>s nicht, aber erwur<strong>de</strong> woan<strong>de</strong>rs gebraucht, und es g<strong>in</strong>g ja nicht an<strong>de</strong>rs. Zu Averys eigenem Besten.Es war lange her, dass er <strong>de</strong>n Weg zur Brücke e<strong>in</strong>es Patrouillenkreuzers zuletzt gegangenwar. Er spielte mit <strong>de</strong>m Gedanken, sich zunächst gepanzerte Schutzkleidung zu holen,


aber er wusste ja nicht e<strong>in</strong>mal, ob <strong>die</strong> Umklei<strong>de</strong>räume offen waren o<strong>de</strong>r nicht. Es wür<strong>de</strong>so genügen müssen.Der zweite Mann sicherte ihn, während Lan<strong>de</strong>r wie e<strong>in</strong>e Katze über <strong>die</strong> Gänge schlich. Diedamaligen E<strong>in</strong>sätze und das entbehrungsreiche Leben auf Kalhmera hatten ihn vielgelehrt. Nun wandte er das Wissen an. Auf e<strong>in</strong>em Schiff <strong>de</strong>r Krone.Auf <strong>de</strong>r Brücke war es seltsam leer. Sie war kaum beleuchtet, was Lan<strong>de</strong>r zunächstwun<strong>de</strong>rte. Nur zwei Leute waren dort. Dazu auch noch e<strong>in</strong>ige Tote, <strong>die</strong> aber wohlGrenzweltler gewesen waren. Lan<strong>de</strong>r sah sich verdutzt um. „Wo ist <strong>de</strong>r Rest?“„Tot o<strong>de</strong>r unten e<strong>in</strong> Deck tiefer. Sie waren nicht vertrauenswürdig, Sir. Der Petty Officerpasst auf sie auf.“„Ganz im Gegensatz zu Ihnen nehme ich an?“, höhnte e<strong>in</strong>e Stimme aus <strong>de</strong>m Dunkel. „Sies<strong>in</strong>d natürlich vertrauenswürdig. Loyal zur Krone und zur Navy.“ Erasmus Raven lachte,als er schwankend aus <strong>de</strong>m Dunkel trat. Er war verletzt und blutete aus e<strong>in</strong>erKopfwun<strong>de</strong>. Auch an se<strong>in</strong>er Uniform war Blut.Die bei<strong>de</strong>n zurückgebliebenen Männer wandten <strong>de</strong>n Blick ab, als Lan<strong>de</strong>rs Begleiter sieansah und ausspuckte. „Ihr feigen Schwe<strong>in</strong>e!“„Wieso verdammen Sie ihn? Es ist doch neuerd<strong>in</strong>gs mo<strong>de</strong>rn, se<strong>in</strong> Fähnchen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n W<strong>in</strong>dzu hängen.“ Raven trug e<strong>in</strong> MG und wur<strong>de</strong> von e<strong>in</strong>em weiteren Bewaffneten begleitet.„Die Waffen weg!“„Niemals!“, erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r loyale Mann heftig.Sie hatten ke<strong>in</strong>e Chance. Lan<strong>de</strong>r wusste es, und <strong>de</strong>nnoch weigerten sich se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger,loszulassen. Er konnte se<strong>in</strong>e verkrampfte rechte Hand nicht öffnen.„Ich gebe Ihnen e<strong>in</strong>e letzte Chance! Ich wer<strong>de</strong> Ihnen vergeben, wenn Sie aufgeben.Siebzig o<strong>de</strong>r mehr tote Krim<strong>in</strong>elle s<strong>in</strong>d mir völlig egal. Die kann man hier draußen leichtersetzen. Sie alle jedoch nicht. Die Royal Navy wird nicht vergeben und hat auch nichtvergessen. Man wird Sie alle für das, was Sie damals und seit<strong>de</strong>m getan haben,verurteilen und erschießen! Viele von Ihnen haben es e<strong>in</strong>gesehen, nach<strong>de</strong>m ich es ihnenerklärt habe. Es wird ke<strong>in</strong> Pardon für Sie alle geben, nicht e<strong>in</strong>mal wenn Sie das Schiff heilnach Bretonia zurückbr<strong>in</strong>gen und kampflos übergeben.“ Raven sah Lan<strong>de</strong>r an und fügtefast beiläufig h<strong>in</strong>zu: „Ist es nicht so, Lieutenant? Sagen Sie Ihren Leuten <strong>die</strong> Wahrheit!Erklären Sie ihnen, wieso ich Rache nehmen will und muss. O<strong>de</strong>r haben Sie sie etwaeiskalt belogen und benutzt?!“In Lan<strong>de</strong>rs Kopf rasten <strong>die</strong> Gedanken. Raven hielt ihn also für <strong>de</strong>n Kopf <strong>de</strong>r Meutereigegen se<strong>in</strong>e Person. Naheliegend, aber völlig falsch. Vor allem aber wünschte Lan<strong>de</strong>rsich, dass <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge nicht so lägen, wie sie es <strong>de</strong>nnoch taten. Er hatte sich ke<strong>in</strong>eGedanken gemacht, was mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Männern geschehen wür<strong>de</strong>, wenn <strong>die</strong> Brisbanezurückkehrte. Er hatte das nie zu En<strong>de</strong> gedacht. Man wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> ehemaligen Meutererwirklich alle exekutieren - ganz egal, was sie am En<strong>de</strong> getan haben mochten, um dasSchiff heimzubr<strong>in</strong>gen.„Sie sagen ja gar nichts, Lieutenant Lan<strong>de</strong>r! Ist es vielleicht, weil ich Recht habe?“„Ne<strong>in</strong>!“ Es war e<strong>in</strong> heiserer Ausbruch. „Sie haben Unrecht! Ich wer<strong>de</strong> <strong>die</strong>se Mannschaftnicht <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> ausliefern!“„Und wie wollen Sie das verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn? Die Admiralität wird sich e<strong>in</strong>en Dreck um Sie undIhre Me<strong>in</strong>ung kümmern. Man wird Sie eiskalt abservieren wie schon an<strong>de</strong>re vor Ihnen.Sie wird man verschonen, aber niemand sonst. Hier <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten liegt unsereZukunft, aber nicht <strong>in</strong> Bretonia. Je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> Grenzen <strong>de</strong>s Hauses noch e<strong>in</strong>malüberschreitet, hat mit <strong>de</strong>m Tod zu rechnen!“Raven war e<strong>in</strong> guter Dramaturg, aber auch ihm war <strong>de</strong>r Stress anzumerken. Derehemalige Comman<strong>de</strong>r hatte sich vermutlich zu sicher gefühlt. Und das, obwohl er selbstdamals zu <strong>de</strong>n Meuterern gegen <strong>de</strong>n Befehl <strong>de</strong>r Admiralität gehört hatte.„Ich wer<strong>de</strong> e<strong>in</strong>en Weg f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Fest steht jedoch, dass unsere Fusionsbomben niemalse<strong>in</strong>gesetzt wer<strong>de</strong>n dürfen! Nicht von jeman<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r so wahns<strong>in</strong>nig ist wie Sie und unsereHeimat angreifen will!“Lan<strong>de</strong>r hatte nicht Ravens elitäre Schulbildung, aber auch ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren hatte sie.Se<strong>in</strong> Begleiter und <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sowie Ravens Gefolgsmann waren ebenso e<strong>in</strong>facheLeute wie Lan<strong>de</strong>r. Darauf konnte er bauen. Auf Planet Leeds baute man ke<strong>in</strong>eLuftschlösser, son<strong>de</strong>rn man hielt sich an <strong>die</strong> Fakten. „Niemand wird sterben, wenn erjetzt loyal zur Krone steht. Dafür gebe ich me<strong>in</strong> Wort!“


„Schnauze! Wir pfeifen auf Ihr Wort!“, brüllte Raven. „Ihr Wort ist hier draußen nichtswert!“„Es ist allgeme<strong>in</strong> mehr wert als Ihres! Ich habe me<strong>in</strong> Offiziersehrenwort noch niegebrochen.“Schweigen trat e<strong>in</strong>, bis Raven mit vor Wut zittern<strong>de</strong>r Stimme und hochrotem Gesichtfor<strong>de</strong>rte:„Werfen Sie <strong>die</strong> Waffe weg o<strong>de</strong>r tragen Sie <strong>die</strong> Konsequenzen! Ich wer<strong>de</strong> auch IhrenFreund Duncan nicht schonen!“„Das wollten Sie sowieso niemals tun. Sie s<strong>in</strong>d wahns<strong>in</strong>nig, Fleet Admiral!“Es war Erasmus Raven, <strong>de</strong>r sich zuerst auf ihn stürzte. Zu Lan<strong>de</strong>rs Glück wollte er se<strong>in</strong>enehemaligen Untergebenen nur nie<strong>de</strong>rschlagen, vergaß aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Wut <strong>de</strong>n Fakt, dass<strong>de</strong>r Sub-Lieutenant noch immer se<strong>in</strong>e Pistole <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand hatte. Das Heben <strong>de</strong>r Hand,das Zielen <strong>in</strong> Ravens grobe Richtung und das Betätigen <strong>de</strong>s Abzuges waren e<strong>in</strong>s.Genauso wie Fowley damals während <strong>de</strong>r ersten Lehrstun<strong>de</strong> am Hangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>r Oxfordaus <strong>de</strong>m Handgelenk auf das Papier an <strong>de</strong>m Haken geschossen hatte.Die Augen <strong>de</strong>s Piratenkapitäns waren bereits gebrochen, als er auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n aufschlug.Nun wartete Lan<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n zweiten Schuss, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rum ihn treffen wür<strong>de</strong>, aber erblieb aus.Als er schließlich <strong>die</strong> Hand senkte, sprach e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n unbewaffneten Männer von<strong>de</strong>r ehemaligen Brückencrew <strong>de</strong>s Schiffes: „Er war bereits halbtot und wusste das auch,Sir. Petty Officer Piper hat ihm das Messer tief re<strong>in</strong>gestoßen, bevor er starb.“„Er war e<strong>in</strong>… tapferer Mann… nur auf <strong>die</strong> falsche Art und Weise. Mehr Gutes kann ichlei<strong>de</strong>r nicht über Erasmus Raven sagen.“ Lan<strong>de</strong>r sicherte <strong>die</strong> Waffe und legte sie h<strong>in</strong>.Wenn jetzt noch jemand gegen ihn war, so konnte er sowieso nichts dagegen tun.In <strong>de</strong>r Tat hielt Ravens Begleiter noch immer <strong>die</strong> Waffe so fest umklammert, dass se<strong>in</strong>eF<strong>in</strong>gerknöchel im schwachen Licht weiß schimmerten. „Und was nun, Sir? Stehen Siewirklich zu Ihrem Wort?“„Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir e<strong>in</strong>e Lösung f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>e, <strong>die</strong> Ihnen allen <strong>die</strong>Flucht ermöglicht. Bis wir uns genauer e<strong>in</strong>igen können, schlage ich vor, dass wir dasSchiff zunächst sichern. Alle Krim<strong>in</strong>ellen s<strong>in</strong>d sicher e<strong>in</strong>zusperren und dürfen ke<strong>in</strong>enAusgang haben. Sie können das Schiff später verlassen, und wer will, kann dann mitihnen gehen.“„Sie wollen das Schiff also nach Bretonia br<strong>in</strong>gen?“„Ja, das will ich. Mehr als genug Zerstörung ist bereits angerichtet wor<strong>de</strong>n. Zu vieleMenschen s<strong>in</strong>d bereits gestorben.“ Für e<strong>in</strong>en Moment dachte er, dass sie <strong>de</strong>n Befehlverweigern wür<strong>de</strong>n, aber schließlich setzte sich <strong>de</strong>r Bewaffnete <strong>de</strong>nnoch <strong>in</strong> Bewegung. Ermurmelte: „Ich sage im Masch<strong>in</strong>enraum Bescheid.“ und verschwand.Nach e<strong>in</strong>em tiefen Durchatmen versuchte Lan<strong>de</strong>r, zu verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass sich <strong>die</strong> Welt nochstärker um ihn drehte. Jäher altbekannter Schw<strong>in</strong><strong>de</strong>l erfasste ihn, und er sank auf e<strong>in</strong>en<strong>de</strong>r Brückensitze.„Ist Ihnen nicht gut, Sir?“„Doch, es geht schon. Ich muss e<strong>in</strong>e Durchsage machen. Wir müssen <strong>die</strong> nötigstenStationen bemannen und… nach Hause fliegen.“ Vor lauter Emotion brach fast se<strong>in</strong>eStimme, als er vergaß, dass Bretonia nicht mehr ihr Zuhause war. Nur noch DuncanAverys und se<strong>in</strong>es.Als e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer Anstalten machte <strong>die</strong> Kommunikationskonsole <strong>in</strong> Betrieb zu setzen,fasste Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Entschluss. „Ne<strong>in</strong>, warten Sie noch! Wo s<strong>in</strong>d wir gera<strong>de</strong> genau?“„In Tau-29, Sir. Planquadrat…“„So genau wollte ich es gar nicht wissen, danke. Können Sie e<strong>in</strong>en Kurs bestimmen, <strong>de</strong>runs nach Tau-31 br<strong>in</strong>gt?“ Lan<strong>de</strong>r gestand es sich ungern e<strong>in</strong>, aber er sah momentan allesnur noch doppelt und verschwommen. Außer<strong>de</strong>m hatte er Kopfschmerzen und traute siche<strong>in</strong>e <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong> Maßnahme nicht zu.„Ich kann jeman<strong>de</strong>n holen, <strong>de</strong>r es kann, Sir.“„Tun Sie das bitte, falls <strong>de</strong>r Betreffen<strong>de</strong> noch lebt.“„Es ist e<strong>in</strong>e Sie, Sir. Sie kommt aus <strong>de</strong>n Grenzwelten und ist me<strong>in</strong>e Frau.“„Dann holen Sie sie. Me<strong>in</strong>etwegen kann sie <strong>de</strong>r Teufel persönlich se<strong>in</strong>, wenn sie rechnenund mit <strong>de</strong>m Bordcomputer umgehen kann!“ Eigentlich war selbst das nun auch noch


egal - o<strong>de</strong>r auch nicht, <strong>de</strong>nn er wür<strong>de</strong> alles kontrollieren müssen, sonst lan<strong>de</strong>ten sie nochsonst wo!Die Kopfschmerzen <strong>in</strong>tensivierten sich, aber er musste kurz <strong>de</strong>n Kopf schütteln, als ihmklar wur<strong>de</strong>, dass er mit 21 Jahren sicherlich <strong>de</strong>r jüngste Kommandant <strong>de</strong>r letztendreihun<strong>de</strong>rt Jahre war, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Raumschiff <strong>die</strong>ser Größenordnung befehligte. Allerd<strong>in</strong>gssicherlich nicht für lange, <strong>de</strong>nn er wür<strong>de</strong> abgelöst wer<strong>de</strong>n, sobald <strong>die</strong> Kavallerie <strong>de</strong>r RoyalNavy e<strong>in</strong>traf. Und dann war da noch das Problem mit <strong>de</strong>r Crew, <strong>die</strong> sich damals falsch,aber heute schlussendlich richtig entschie<strong>de</strong>n hatte. Die Brisbane war seit <strong>de</strong>r Meutereiihr Zuhause gewesen, aber er musste sie <strong>de</strong>n Leuten wegnehmen, <strong>de</strong>nn sie war nochimmer e<strong>in</strong> Schlacht- und ke<strong>in</strong> Wohnschiff. Vielleicht wür<strong>de</strong> Petty Officer Piper e<strong>in</strong>e Lösungf<strong>in</strong><strong>de</strong>n.Wie e<strong>in</strong> Keulenschlag dämmerte es Lan<strong>de</strong>r, dass er nie wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Rat von <strong>de</strong>mgemäßigten väterlichen Unteroffizier zu hören bekommen wür<strong>de</strong>. Der Mann war tot. Fürihn gestorben, als er Raven hatte töten wollen. Der neu entstehen<strong>de</strong> Schleier vor Lan<strong>de</strong>rsAugen hatte nichts mehr mit se<strong>in</strong>en gelegentlichen Schw<strong>in</strong><strong>de</strong>lgefühlen zu tun.Petty Officer Piper fehlte ihm schon jetzt entsetzlich, und es konnte nur noch schlimmerwer<strong>de</strong>n.„Dort ist <strong>die</strong> Empire, Sir.“„Funken Sie sie an.“ Lan<strong>de</strong>r war zu mü<strong>de</strong>, um <strong>de</strong>r Geste mit se<strong>in</strong>em Blick zu folgen.Inmitten <strong>de</strong>r Eisbrocken war dort draußen das Schiff <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt M<strong>in</strong>ers’ Guild. Esschürfte Wasser, und wie Lan<strong>de</strong>r verstan<strong>de</strong>n hatte, waren es und se<strong>in</strong>e Schwesterschiffe<strong>de</strong>s Öfteren von <strong>de</strong>r Brisbane überfallen wor<strong>de</strong>n, da <strong>die</strong> Crew sich dort mittelsBlitzüberfällen Wasser beschafft hatte. Davon gab es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten ja nie genug,weshalb es das Risiko wert war. Der Begriff Risiko war durchaus angebracht, <strong>de</strong>nnirgendwo hier draußen hielt sich wohl m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens e<strong>in</strong> weiterer Patrouillenkreuzer auf. Mitse<strong>in</strong>er gleichen Feuerkraft konnte er <strong>de</strong>r Brisbane jedoch nur von Nahem gefährlichwer<strong>de</strong>n, und mit zwei Crusa<strong>de</strong>rs und zwei Cly<strong>de</strong>sdales war das Jägerpotenzial <strong>de</strong>sSchwesterschiffes auch sehr beschränkt.Da Lan<strong>de</strong>r sich sowieso ergeben und auf das Prisenkommando <strong>de</strong>r Royal Navy wartenwollte, war ihm nur recht, wenn das Schwesterschiff möglichst schnell kam. Vorhermusste jedoch noch etwas an<strong>de</strong>res durchgeführt wer<strong>de</strong>n, worauf sie sich nach zähenVerhandlungen auf <strong>de</strong>r Brücke endlich gee<strong>in</strong>igt hatten. Die Krim<strong>in</strong>ellen hatten das Schiffvor <strong>de</strong>m Sprung <strong>in</strong> zwei Frachtern verlassen. E<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>r Crew war mit ihnen gegangen,nur <strong>de</strong>r Rest stellte e<strong>in</strong> Problem dar. Es waren jene Leute, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r noch für <strong>de</strong>nSchiffsbetrieb brauchte. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st bis jetzt.„Er antwortet nicht und ergreift <strong>die</strong> Flucht, Sir. Ich empfange e<strong>in</strong>en Funkspruch auf e<strong>in</strong>eran<strong>de</strong>ren Frequenz. Er gibt unsere Position durch und ruft um Hilfe.“„Ist <strong>de</strong>r Kanal offen?“ Lan<strong>de</strong>r musste sich an <strong>de</strong>r Konsole festhalten, als er von <strong>de</strong>rNavigation h<strong>in</strong>über zur Kommunikation stolperte. Er war körperlich am En<strong>de</strong> und konntesich kaum noch konzentrieren, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Grenzweltler<strong>in</strong> hatte er doch nicht über <strong>de</strong>n Weggetraut und <strong>de</strong>n Kurs <strong>de</strong>shalb doch selbst berechnet. Er stand schon seit mehr alsvierzehn Stun<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>r Brücke, da sie wegen <strong>de</strong>s Eises um sie herum kaum schnellvorwärtskamen, ohne <strong>die</strong> Schil<strong>de</strong> zu überlasten. Der Weg nach Hause glich <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rsAugen <strong>de</strong>shalb mehr e<strong>in</strong>em Kriechen.Er ergriff <strong>de</strong>n dargereichten Kopfhörer und rückte sich selbst besser <strong>in</strong>s Bild <strong>de</strong>rÜbertragungskamera. Man sollte auf <strong>de</strong>m M<strong>in</strong>er <strong>die</strong> verschlissene und lange von jemandan<strong>de</strong>rem getragene Navyuniform sehen. Gold und Blau anstelle <strong>de</strong>s Piratendase<strong>in</strong>s.Dass <strong>de</strong>r M<strong>in</strong>er vor ihnen <strong>in</strong> heller Panik floh, war ja nun wirklich nicht weiterverwun<strong>de</strong>rlich.„Empire, hier spricht Se<strong>in</strong>er Majestät Patrouillenkreuzer Brisbane. Falls Sie Verb<strong>in</strong>dungmit e<strong>in</strong>em Schiff <strong>de</strong>r Royal Navy <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Sektor haben, so bitte ich um Weitergabe <strong>de</strong>rNachricht, dass sich <strong>die</strong> Brisbane wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> sicherer Hand bef<strong>in</strong><strong>de</strong>t. Me<strong>in</strong> Name ist Sub-Lieutenant Patrick Lan<strong>de</strong>r, und ich b<strong>in</strong> Dritter Offizier <strong>de</strong>s Schiffes. LieutenantComman<strong>de</strong>r Duncan Avery ist ebenfalls am Leben, allerd<strong>in</strong>gs nicht ansprechbar. Erbitteweitere Anweisungen von <strong>de</strong>r Admiralität zwecks Übergabe <strong>de</strong>s Schiffes an e<strong>in</strong>


Prisenkommando. Stoppe genau jetzt und warte an <strong>die</strong>ser Position. Erbitte Jägerschutz,falls <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen mich angreifen. Ehemalige Crew ist von Bord gegangen. Lang lebeKönig William!“ Das war <strong>de</strong>r Kernpunkt se<strong>in</strong>er Überlegungen gewesen: Konnte er es sichleisten, auf e<strong>in</strong>em offenen Kanal zu sagen, dass er mit Avery alle<strong>in</strong> an Bord war? Dasfor<strong>de</strong>rte <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellen doch gera<strong>de</strong>zu heraus. Es gab jedoch gewisse Risiken, <strong>die</strong> erjetzt e<strong>in</strong>fach e<strong>in</strong>gehen musste. Er wollte <strong>die</strong>se ganze Sache nur noch über <strong>die</strong> Bühnebr<strong>in</strong>gen.Der Kommunikationsoffizier been<strong>de</strong>te <strong>die</strong> Übertragung und begann dann erneutmitzuhören, was sich auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren offenen Frequenzen tat. Die Brisbane war ja dankihres ger<strong>in</strong>gen Alters hochmo<strong>de</strong>rn ausgerüstet. Ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r, dass Raven es leicht gehabthatte, reiche Beute zu machen. So werftneu wie damals war das Schiff natürlich nichtmehr. Die improvisierte Rumpfbrückencrew hatte e<strong>in</strong>ige An<strong>de</strong>utungen bezüglich mehrererGefechte gemacht. Zumeist mit Konvois und ihren Eskorten, aber manchmal auch mitrhe<strong>in</strong>ländischen Kanonenbooten o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>er Korvette <strong>de</strong>r Kusari. Die Admiralität wür<strong>de</strong>aber wohl froh genug se<strong>in</strong>, das Schiff überhaupt wie<strong>de</strong>rzubekommen. Das Schiff undzehn <strong>de</strong>r zwölf Fusionsbomben. Lan<strong>de</strong>r hatte vor e<strong>in</strong>em halben Tag gleich nachgefragt,ob sie alle gesichert und vorhan<strong>de</strong>n waren. Zu se<strong>in</strong>er großen Erleichterung war <strong>die</strong>s <strong>de</strong>rFall gewesen.Lan<strong>de</strong>r sammelte sich und trat <strong>de</strong>n Rückweg zur Navigationskonsole an. Er spürte <strong>die</strong>Überanstrengung sehr stark und war nahe <strong>de</strong>m Zusammenbruch. Schwer ließ er sichwie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Sitz fallen und beobachtete das Radar.‚Nur noch e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong>, und dann ist es endlich vorbei!’ Er konnte es kaum glauben. DasKomman<strong>die</strong>ren e<strong>in</strong>es Schiffes war wirklich Schwerstarbeit. Und doch hatte er esgeschafft. Mithilfe <strong>de</strong>r Crew. Zusammen hatten sie alle improvisiert.„Er sen<strong>de</strong>t e<strong>in</strong>en Mitschnitt Ihrer Nachricht an <strong>die</strong> White River zur sofortigenWeiterleitung nach Bretonia. Me<strong>in</strong> Gott, Sie sehen mü<strong>de</strong> aus, Sir.“„Ich b<strong>in</strong> es auch“, antwortete Lan<strong>de</strong>r ehrlich. Er brachte es nicht e<strong>in</strong>mal mehr fertig, zugr<strong>in</strong>sen. „Nun ist wohl Ihre Zeit, Gentlemen. Ich wer<strong>de</strong> e<strong>in</strong>fach schlafen, bis <strong>die</strong> Navykommt. Wenn Sie für mich noch kurz herausf<strong>in</strong><strong>de</strong>n könnten, wo Duncan… ich me<strong>in</strong>eLieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery steckt, wäre ich Ihnen sehr verbun<strong>de</strong>n.“„Auf <strong>de</strong>r Med, Lieutenant.“„Vielen Dank.“ Das war genau <strong>de</strong>r richtige Platz für Avery.„Schon gut, Sir. Sie waren schon immer <strong>in</strong> Ordnung.“„Ich danke Ihnen. Gehen Sie jetzt.“ Allzu viele waren es ja ohneh<strong>in</strong> nicht mehr, <strong>die</strong> dasSchiff noch nicht verlassen hatten. Über dreißig Leute lebten schon irgendwo <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten - e<strong>in</strong> Grund mehr, weshalb Raven zunächst versucht hatte, Lan<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>eSeite zu ziehen. Se<strong>in</strong>e Landsleute waren <strong>de</strong>m ehemaligen Comman<strong>de</strong>r als Kamera<strong>de</strong>ndoch lieber gewesen als Grenzweltler.Sie salutierten ihn, als sie <strong>die</strong> Brücke verließen. Er legte <strong>de</strong>n Kopf e<strong>in</strong>en Moment lang auf<strong>die</strong> Arme, um sich zu entspannen. E<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Luken war offen, also konnten sie <strong>in</strong> ihrerCly<strong>de</strong>sdale ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt starten. Es war <strong>de</strong>r überleben<strong>de</strong> <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Frachter <strong>de</strong>rBrisbane, <strong>de</strong>n sie nehmen wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re war bei e<strong>in</strong>em Gefecht mit e<strong>in</strong>emWi<strong>de</strong>rstand leisten<strong>de</strong>n Asteroid M<strong>in</strong>er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Omega-Systemen zerstört wor<strong>de</strong>n. Weiterezwölf ehemalige Crewmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Schiffes hatten so <strong>de</strong>n Tod gefun<strong>de</strong>n.Was nun auch immer geschehen mochte, es war vorbei. Er wollte sich nur noch ausruhenund dann nach Hause.E<strong>in</strong> harter Schlag traf ihn seitlich am Kopf und ließ ihn hochschrecken. Er hattegeschlafen, aber wie lange? Hier sollte niemand se<strong>in</strong>! Außer…In Erwartung e<strong>in</strong>es Prisenkommandos <strong>de</strong>r Royal Navy wandte er <strong>de</strong>n Kopf und erstarrte.„Aufstehen, Lieutenant!“Das Herz klopfte Lan<strong>de</strong>r bis zum Hals, als er e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Männer erkannte. Es war <strong>de</strong>r Kerl,<strong>de</strong>r Erasmus Raven verletzt zur Brücke gebracht hatte, nach<strong>de</strong>m Piper gestorben war.E<strong>in</strong> Fe<strong>in</strong>d. Die Erkennung <strong>die</strong>ses Faktes erfolgte völlig automatisch, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mann hatteerneut e<strong>in</strong>e Waffe auf ihn gerichtet. Das mü<strong>de</strong> Gehirn <strong>de</strong>s Sub-Lieutenants arbeitetedank <strong>de</strong>s durch se<strong>in</strong>e A<strong>de</strong>rn strömen<strong>de</strong>n Adrenal<strong>in</strong>s wie<strong>de</strong>r schneller. Trotz<strong>de</strong>m konnte erkaum verstehen, was hier ablief. „Aber was ist <strong>de</strong>nn los? Sie wollten doch abfliegen…“„Jetzt spielt <strong>die</strong>ses Offiziersschwe<strong>in</strong> sogar noch <strong>de</strong>n Unwissen<strong>de</strong>n!“


„Ich verstehe nicht… was soll ich <strong>de</strong>nn wissen? Ich habe… geschlafen!“ E<strong>in</strong> komplettesSchul<strong>de</strong><strong>in</strong>geständnis, <strong>de</strong>nn er hatte <strong>die</strong> Rückkehr <strong>de</strong>s Frachters verschlafen und sichübertölpeln lassen. Es hätte auch e<strong>in</strong> Grenzweltler se<strong>in</strong> können! Die ehemalige Crew<strong>die</strong>ses Schiffes war zwar willkommener, aber nicht allzu sehr. Nicht so... mit e<strong>in</strong>er Waffe<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand.„Sie haben geschlafen, soso. Sie haben also nicht irgendwelche Abmachungen mit IhrenFreun<strong>de</strong>n getroffen, Sir?“„Welche Freun<strong>de</strong>?“„Die Zeit, Greg“, mahnte e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren.„Richtig. Aufstehen und zur Kommunikationskonsole gehen, Lieutenant!“Noch immer verstand Lan<strong>de</strong>r nicht, was hier lief, aber e<strong>in</strong> beiläufiger Blick aufs Radarverriet es ihm. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>zige rote Welle kam auf sie zugerauscht! Sie hatte ihrenAusgangspunkt weiter h<strong>in</strong>ten, wo e<strong>in</strong> fetter roter Punkt wartete.„Se<strong>in</strong>er Majestät Trägerschiff York, bevor Sie dumm fragen. Ich schlage daher vor, dassSie sofort mit <strong>de</strong>m dortigen Capta<strong>in</strong> sprechen.“„Und wozu?“ Eigentlich wusste er es ja schon und verkrampfte.Noch e<strong>in</strong>e harte Ohrfeige warf ihn gegen <strong>die</strong> Konsole. Er kämpfte dagegen, dasBewusstse<strong>in</strong> zu verlieren.„Lass doch! Er kippt uns sonst noch um!“„Wäre nicht scha<strong>de</strong> drum. Wo ist <strong>de</strong>r Bekloppte?“„Schon auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck.“ E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer saß an <strong>de</strong>r Flugkontrollkonsole undsprach wohl mit <strong>de</strong>m Piloten <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale.„Also schön, Sir. Zum Mitschreiben: Sie bekommen e<strong>in</strong>e Leitung und machen <strong>de</strong>nen klar,dass <strong>die</strong> Jäger zurück zum Schiff fliegen. Und zwar sofort! Die Brisbane dürfen siedurchaus haben, aber uns nicht! Sie haben uns e<strong>in</strong> Versprechen gegeben, LieutenantLan<strong>de</strong>r. Ich er<strong>in</strong>nere Sie jetzt daran. Man wird uns e<strong>in</strong>holen und abschießen, außer wennSie mitkommen.“Zunächst hatte Lan<strong>de</strong>r daran gedacht sich zu weigern, aber <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an se<strong>in</strong>gegebenes Wort brachte <strong>de</strong>n Entschluss <strong>in</strong>s Wanken. Er zog sich auf <strong>de</strong>n Sitz <strong>de</strong>rKommunikationskonsole und riss sich zusammen. „Und dann? Wer<strong>de</strong>n Sie uns e<strong>in</strong>facherledigen, wenn Sie uns nicht mehr brauchen, o<strong>de</strong>r setzen Sie uns wenigstens irgendwoan e<strong>in</strong>em neutralen Ort ab?“„Das überlegen wir uns noch. Kommt ganz darauf an, wie Sie sich jetzt gleichverhalten!“, verkün<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Sprecher genüsslich. „Also benehmen Sie sich gefälligst!“„Ich frage das nur, weil man mich sicherlich gleich dasselbe fragen wird. Niemand wirdIhnen freies Geleit zusichern, wenn Sie nicht wenigstens vorher zusichern, uns danngehen zu lassen.“ Eigentlich war Lan<strong>de</strong>r längst klar, dass man sowieso auf <strong>de</strong>n Frachterschießen wür<strong>de</strong>. Avery und er waren <strong>de</strong>r Royal Navy zwar nicht völlig egal, aber dochnahezu. Er wür<strong>de</strong> höchstens mit <strong>de</strong>r menschenleeren Brisbane punkten können.„HMS Brisbane ruft HMS York: Bitte kommen.” Er konnte e<strong>in</strong> leichtes Beben <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erStimme kaum unterdrücken.„York hört.“„Es spricht Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, Sir. Bitte lassen Sie mich mit <strong>de</strong>m Capta<strong>in</strong> re<strong>de</strong>n!“Der neben ihm stehen<strong>de</strong> Fe<strong>in</strong>d drückte ihm jetzt sogar noch <strong>die</strong> Waffe an <strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>l,damit es auch ja glaubhaft wirkte. Lan<strong>de</strong>r konnte nicht verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass erzusammenzuckte.Immerh<strong>in</strong> erwachte <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>e Screen jetzt schnell zum Leben. Er sah <strong>in</strong> das strengeGesicht rothaarigen Mannes mit e<strong>in</strong>er markanten Hakennase. „Hier spricht Capta<strong>in</strong>O’Conolly, Lieutenant.“ Falls <strong>die</strong> Waffe im Bild <strong>de</strong>n Offizier irritierte, zeigte er esje<strong>de</strong>nfalls nicht.Lan<strong>de</strong>r jedoch fand sie irritierend und vor allem auch beängstigend. Er hatte sich gerettetgeglaubt, aber nun war es wie<strong>de</strong>r vorbei. Se<strong>in</strong>e Aufmerksamkeit hatte im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>nMoment sträflich nachgelassen. Dies waren <strong>die</strong> Konsequenzen.„Ich höre, Lieutenant.“ Ungeduld, ja fast schon Fe<strong>in</strong>dschaft sprach aus <strong>de</strong>r Stimme.Als wäre Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>er von ihnen!„Capta<strong>in</strong>, ich… mir wur<strong>de</strong> aufgetragen, Ihnen auszurichten, dass Sie <strong>die</strong> Jäger abziehensollen, damit <strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale starten kann. Ich…“


„Kommt überhaupt nicht <strong>in</strong>frage! Wir wissen, dass sich e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Meuterer noch beiIhnen an Bord bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“ O’Conolly ließ bewusst unausgesprochen, was mit <strong>die</strong>sen zugeschehen hatte.Mit e<strong>in</strong>em Klicken wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Waffe an Lan<strong>de</strong>rs Kopf entsichert.„Sir, ich bitte Sie um me<strong>in</strong>et- und Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Averys willen, <strong>die</strong> Jägerabzuziehen. Wir bei<strong>de</strong> bef<strong>in</strong><strong>de</strong>n uns <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gewalt <strong>die</strong>ser Leute.“„Und genau <strong>de</strong>shalb steht Ihnen auch kaum zu, über <strong>de</strong>rartige D<strong>in</strong>ge zu entschei<strong>de</strong>n. Sies<strong>in</strong>d nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r richtigen Position, um mit mir o<strong>de</strong>r sonst wem zu verhan<strong>de</strong>ln.“Damit hatte <strong>de</strong>r unsympathische Mann ausnahmsweise sogar Recht. Ob Lucan wohlebenso gehan<strong>de</strong>lt hätte? Lei<strong>de</strong>r war Admiral Wesleys gütiger Flaggkapitän jedoch tot,und <strong>die</strong>ses Monstrum stand auf <strong>de</strong>r Brücke <strong>de</strong>r York, <strong>die</strong> je<strong>de</strong> Sekun<strong>de</strong> näher herankam,um <strong>de</strong>n Patrouillenkreuzer Brisbane nebst se<strong>in</strong>er noch anwesen<strong>de</strong>n verräterischenRumpfcrew zu vernichten.Ihm fehlten <strong>die</strong> Worte. Waren Avery und er <strong>de</strong>r Admiralität wirklich <strong>de</strong>rmaßen egal? Erselbst ja sicherlich, aber auch Duncan Avery?„Sie bekommen <strong>die</strong> zehn Fusionsbomben und das Schiff, wenn Sie uns abfliegen lassen,O’Conolly. Dazu bekommen Sie auch noch Ihre bei<strong>de</strong>n Offiziere wie<strong>de</strong>r. Sie kommen nurals Lebensversicherung mit und wer<strong>de</strong>n schnellstmöglich freigelassen. Natürlich nur,wenn Sie darauf e<strong>in</strong>gehen“, schaltete <strong>de</strong>r Bewaffnete sich e<strong>in</strong>.„Unmöglich! Ich habe alles bereits sicher, wenn ich Ihnen e<strong>in</strong>e ganze Breitseite <strong>in</strong> <strong>de</strong>nRumpf jage!“„Dann haben Sie we<strong>de</strong>r das Schiff noch <strong>die</strong> Bomben noch Ihre bei<strong>de</strong>n Kollegen. ImGegenteil: Mister Lan<strong>de</strong>rs und Mister Averys Blut wird an Ihren Hän<strong>de</strong>n kleben. WollenSie das?“„Der Krieg for<strong>de</strong>rt viele Opfer. Millionen Menschen s<strong>in</strong>d gestorben, weil Sie alle unserHaus verraten haben. Wegen <strong>de</strong>s Lebens zweier Männer kann ich Sie nicht abfliegenlassen. Das wäre <strong>de</strong>r blanke Hohn und e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>s Gesicht für <strong>die</strong> Überleben<strong>de</strong>n, von<strong>de</strong>nen sowohl <strong>in</strong> Liberty als auch auf New London Tausen<strong>de</strong> ihr Leben lang beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt se<strong>in</strong>wer<strong>de</strong>n!“„Dann tragen Sie <strong>die</strong> Konsequenzen. Wenn Sie glauben, dass ich es nicht daraufankommen lasse…“ Das Mannschaftsmitglied brach ab. Nach kurzer Pause begann er:„E<strong>in</strong>s…“Blut lief Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Auge, aber er hatte sowieso das Gefühl, zu fallen. Er wollte schreien,aber aus se<strong>in</strong>er Kehle kam ke<strong>in</strong> Ton. E<strong>in</strong> Sektor mehr, und er wäre zu Hause gewesen.Nur e<strong>in</strong>e so kurze Strecke! Statt<strong>de</strong>ssen wür<strong>de</strong>n Avery und er jetzt doch noch sterbenmüssen.„… zwei…“Er ent<strong>de</strong>ckte, dass er erneut große Angst vor <strong>de</strong>m Tod hatte. Genau wie damals auf <strong>de</strong>mHangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>s Freeports, als <strong>de</strong>r Plün<strong>de</strong>rer ihn auf se<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz fasterschossen hätte.Er zitterte und kniff <strong>die</strong> Augen zu, um <strong>die</strong> Tränen zu unterdrücken. Er wollte nichtwe<strong>in</strong>en. Nicht vor O’Conolly und se<strong>in</strong>er Crew, aber vor allem nicht vor <strong>de</strong>n Meuterern, <strong>die</strong>sich seit damals nicht e<strong>in</strong>en Deut verän<strong>de</strong>rt hatten. Und auch nicht vor sich selbst, weiler sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Monaten für so abgebrüht gehalten und darüber vergessen hatte,dass er immer noch so unendlich schwach und emotional war. Ohne dass er es wollteo<strong>de</strong>r auch nur bee<strong>in</strong>flussen konnte, kam ihm e<strong>in</strong> leises: „Bitte…“ über <strong>die</strong> Lippen.„Halt!“„Ich höre, Capta<strong>in</strong>.“„Danken Sie me<strong>in</strong>em Ersten Offizier dafür, dass er mich daran er<strong>in</strong>nert hat, dass bereitsmehr als genug Menschen gestorben s<strong>in</strong>d. Ich wer<strong>de</strong> Sie f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, wie Sie auch immerheißen mögen!“„Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g Greg Roberts, Sir. Zu Ihren Diensten.“ Der schnippische Ton entg<strong>in</strong>gLan<strong>de</strong>r völlig. Er konnte das Schluchzen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kehle nicht mehr h<strong>in</strong>unterschluckenund schlug <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> vors Gesicht.Roberts legte ihm <strong>die</strong> Hand auf <strong>die</strong> Schulter, als ob sie Freun<strong>de</strong> wären. „Wir wer<strong>de</strong>n gutfür ihn und se<strong>in</strong>en Vorgesetzten sorgen, Sir. Ihre Regierung bekommt e<strong>in</strong>e Mitteilung, wound wann Sie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n dann abholen können.“


Die Verb<strong>in</strong>dung wur<strong>de</strong> been<strong>de</strong>t, und Lan<strong>de</strong>r saß fassungslos da. Er hatte wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>malüberlebt, aber es war haarscharf gewesen. Roberts hatte ihn wirklich töten wollen. All<strong>die</strong>s wäre nie so passiert, wenn Piper noch am Leben wäre. Lan<strong>de</strong>r wusste es e<strong>in</strong>fach,und das machte es auch kaum leichter für ihn.Wie er schließlich zum Hangar<strong>de</strong>ck kam, wusste er nicht. Vielleicht war er sogarbewusstlos h<strong>in</strong>untergetragen wor<strong>de</strong>n.Er fand sich schließlich angeschnallt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Sitze wie<strong>de</strong>r, während sich DuncanAvery an ihn drängte und ihm mit <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n im Gesicht herumtatschte. Der Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> saßneben ihm und versuchte, ihn ungeschickt zu trösten, obwohl er mit Sicherheit nichte<strong>in</strong>mal wusste und verstand, wieso Lan<strong>de</strong>r überhaupt we<strong>in</strong>te.E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Männer kam schließlich zu ihnen, nach<strong>de</strong>m sie im Raum waren. „Wir hätten Siegarantiert nicht erschossen, Sir.“Es war e<strong>in</strong>e ungeschickte Entschuldigung, <strong>die</strong> zeigte, dass nicht alle <strong>de</strong>r 27 Männer anBord <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale mit Roberts’ Vorgehensweise e<strong>in</strong>verstan<strong>de</strong>n waren.Lei<strong>de</strong>r wusste Lan<strong>de</strong>r jedoch, dass Roberts ihn sehr wohl erschossen hätte. Genauso wie<strong>de</strong>n hilflosen Avery, falls es ihm <strong>in</strong> <strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n gekommen wäre.„Sie s<strong>in</strong>d jetzt <strong>in</strong> Sicherheit, Sir. Wir möchten Ihnen danken. E<strong>in</strong> paar von uns <strong>de</strong>nken,dass wir Sie am besten…“„Ha! Der hat gesessen, Ihr Scheißkerle!“, rief Roberts, <strong>de</strong>r im Cockpit neben <strong>de</strong>m Pilotenstand.„Was ist <strong>de</strong>nn los?“„Die Fusionsbombe ist <strong>de</strong>toniert. A<strong>de</strong> Brisbane! Das Gesicht <strong>de</strong>s Scheißkerls möchte ichwirklich zu gern sehen!“Noch immer unter Schock stehend blickte Lan<strong>de</strong>r auf Roberts’ bärtiges Gesicht und <strong>in</strong> <strong>die</strong>kaltblütigen Augen. Mit Sicherheit bereute Capta<strong>in</strong> O’Conolly nun, dass er sie hatteziehen lassen. Und das alles wegen zwei unwichtigen Geiseln. Die Admiralität wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>nKommandanten dafür rügen.„Du hast doch nicht etwa <strong>die</strong> Leute von <strong>de</strong>r York umgebracht, Greg?“, brüllte jemand aus<strong>de</strong>n h<strong>in</strong>teren Reihen.„Quatsch! Das Prisenkommando war noch gar nicht an Bord, als <strong>die</strong> Bombehochgegangen ist.“ Sehr überzeugend klang <strong>die</strong> Ausre<strong>de</strong> nicht gera<strong>de</strong>, weshalb <strong>de</strong>rzurückhalten<strong>de</strong> Mann Lan<strong>de</strong>r verließ und nach vorne g<strong>in</strong>g, um sich auf <strong>de</strong>m Radar <strong>de</strong>sFrachters selbst davon zu überzeugen und <strong>de</strong>n Piloten zu befragen. An<strong>de</strong>re folgten <strong>de</strong>mgemäßigten Meuterer.„Du dreckiger Mör<strong>de</strong>r!“, schrie jemand von ihnen nach Sekun<strong>de</strong>n. „Das waren unsereLandsleute!“Von <strong>de</strong>m ausbrechen<strong>de</strong>n Tumult und <strong>de</strong>r Tötung <strong>de</strong>s geme<strong>in</strong>samen Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>s bekamLan<strong>de</strong>r so gut wie nichts mit. Er hatte <strong>de</strong>n Kopf gegen <strong>de</strong>n Sitz vor sich gelehnt undverg<strong>in</strong>g vor Scham und Schuld. Erneut waren Menschen gestorben, und er fühlte sichauch dafür verantwortlich.Selbst <strong>de</strong>r ungeschickte Avery konnte ihn nicht trösten. Niemand konnte es. Nicht e<strong>in</strong>maldas zurückkehren<strong>de</strong> Crewmitglied, das sich ab jetzt um <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Geiseln kümmerte.Der Mann brachte ihnen alles, was sie benötigten, und umsorgte <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re Lan<strong>de</strong>rmit viel H<strong>in</strong>gabe, aber <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant dankte es ihm nicht. Er sprach während <strong>de</strong>rviertägigen Reise ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort mehr. We<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Meuterer noch mit se<strong>in</strong>emschwachs<strong>in</strong>nig gewor<strong>de</strong>nen Freund.In Omega-7 setzte man sie schließlich aus. Die nahezu schrottreife und viel zu kle<strong>in</strong>eJägerrettungskapsel hatte ihr Beschützer auf Freeport 10 <strong>in</strong> Tau-37 auf eigene Rechnunggekauft. Die an<strong>de</strong>ren Verbrecher waren bereits fort - bis auf <strong>de</strong>n Piloten und eben jenenhilfsbereiten, Reue zeigen<strong>de</strong>n Mann. Die Crew <strong>de</strong>r Brisbane hatte sich bereits annäherndüber <strong>die</strong> gesamten Grenz- und Randwelten zerstreut, da alle irgendwen kannten, bei <strong>de</strong>mo<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r sie untertauchen konnten.Die Elbich M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility <strong>in</strong> Omega-7 gehörte <strong>de</strong>r rhe<strong>in</strong>ländischen Firma Kruger M<strong>in</strong><strong>in</strong>g.Genauso wie e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Asteroid M<strong>in</strong>er <strong>in</strong> <strong>de</strong>m gasreichen Rohstoffsektor. Direkt vor <strong>de</strong>rNase <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>ers Frieda setzte man sie bei<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r gekauften Rettungskapsel aus.Die überraschten Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Frieda taten natürlich das Nächstliegen<strong>de</strong>: DieCrew <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>ers nahm <strong>die</strong> Kapsel mit e<strong>in</strong>em Frachter <strong>de</strong>s Schiffes auf.


Erst als man sie bei<strong>de</strong> vorsichtig aus <strong>de</strong>m engen Gefängnis befreite und freundlichumsorgte, war das Grenzweltenmartyrium für Patrick Lan<strong>de</strong>r endgültig vorbei. Es hattedreizehn Monate und sechs Tage gedauert. So lange war <strong>die</strong> Meuterei auf <strong>de</strong>r Brisbanemittlerweile her.War er <strong>de</strong>m völligen Burnout körperlich und seelisch zuvor bereits nahe gewesen, jetzttrat genau <strong>de</strong>r endgültig e<strong>in</strong>. Der Sub-Lieutenant brach auf <strong>de</strong>m Weg zur Med <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>erserneut zusammen. Diesmal war es sogar lebensbedrohlich, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong> Kreislauf versagte.Deshalb hatte Patrick Lan<strong>de</strong>r auch nicht e<strong>in</strong>mal mehr gehört, dass Duncan Avery sich wiewild gebär<strong>de</strong>t hatte und ihn nicht hatte verlassen wollen, als er umgefallen war.Die etwas verwirrten Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r steuerten <strong>die</strong> Frieda wenige Tage später zur ElbichM<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility, wo sie immer e<strong>in</strong>mal pro Woche ihre aus Felsen bestehen<strong>de</strong> Frachtablieferten, und sie verließen <strong>die</strong> Station auch planmäßig wie<strong>de</strong>r. Ohne <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>naufgelesenen stummen Gäste. Der Fahrplan <strong>de</strong>r Company musste auf je<strong>de</strong>n Falle<strong>in</strong>gehalten wer<strong>de</strong>n, genauso wie Abbauquoten. Bei<strong>de</strong>s hatte e<strong>in</strong>en vorherigen Trip nachElbich nicht gestattet. Auf <strong>de</strong>r Station hatte man fast genauso viel Zeit. So kam es, dass<strong>die</strong> Regierung auf New Berl<strong>in</strong> erst nach geschlagenen acht Tagen von <strong>de</strong>r Sache <strong>in</strong>Omega-7 erfuhr.Sie schickten e<strong>in</strong>en Frachter mit e<strong>in</strong>em Beamten nebst Eskorte, obwohl eigentlich bereitssehr klar war, um wen es sich bei <strong>de</strong>n Frem<strong>de</strong>n han<strong>de</strong>lte. E<strong>in</strong>er von ihnen hatteschließlich nach zwei Tagen auf Elbich auf e<strong>in</strong>e gewisse Art bestätigt, wer er war. Wer siewaren. Die bretonische Regierung hatte vor fast zwei Wochen vorgesorgt und alle dreian<strong>de</strong>ren Häuser benachrichtigt. Niemand hatte mehr mit <strong>de</strong>m tatsächlichen Überleben<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Männer gerechnet. Am allerwenigsten vermutlich sie selbst.


Kapitel XIII – Aufwachen mit KaterEs erschien Patrick Lan<strong>de</strong>r so, als wür<strong>de</strong> er aus e<strong>in</strong>em richtig langen, schrecklichenTraum erwachen. Vage Er<strong>in</strong>nerungen machten sich bemerkbar - etwa an e<strong>in</strong>e weißgeklei<strong>de</strong>te Frau, <strong>die</strong> vor se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Auge erschien und ihn an Janet Field er<strong>in</strong>nerte.Er zuckte zusammen, als er sich <strong>de</strong>s Faktes bewusst wur<strong>de</strong>, dass sie tot war. WeitereBil<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf betrafen Untersuchungen, <strong>de</strong>ren Zweck er nicht kannte, und e<strong>in</strong>Gespräch zwischen jener Frau und e<strong>in</strong>em ihm genauso unbekannten Mann. Sie hattenihm Fragen gestellt. Er hatte sich aus Angst wohl gegen <strong>de</strong>n Kerl gewehrt und <strong>de</strong>shalbe<strong>in</strong>e Spritze bekommen. Etwas, das ihn gegen se<strong>in</strong>en Willen e<strong>in</strong>schlafen ließ.Vielleicht sogar bis jetzt, <strong>de</strong>nn an jenem Punkt war se<strong>in</strong>e Er<strong>in</strong>nerung noch stärkerfragmentiert, und er konnte nicht e<strong>in</strong>mal sagen, was Traum gewesen war und wasRealität. Er war sich ja noch nicht e<strong>in</strong>mal sicher, ob er überhaupt schon e<strong>in</strong>mal wachgewesen war. Vermutlich hatte er sich auch jene bei<strong>de</strong>n Leute nur e<strong>in</strong>gebil<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>rzum<strong>in</strong><strong>de</strong>st stark überreagiert, als ihm nur hatten helfen wollen.Er lag <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Bett, <strong>de</strong>ssen Matratze leise quietschte, als er sich herumdrehte. DieAugen wollte und musste er nicht e<strong>in</strong>mal öffnen, <strong>de</strong>nn er roch auch so schon, wo er sichbefand: <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em richtigen Krankenhaus. E<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache, aber nicht schockieren<strong>de</strong>Erkenntnis.Nach mehreren tiefen Atemzügen hörte er etwas. E<strong>in</strong> Geräusch, das nicht von ihm selbstkam. Zum Überleben notwendige Reflexe wur<strong>de</strong>n automatisch ausgeführt. Er riss <strong>die</strong>Augen auf, hielt <strong>die</strong> Luft an und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Abwehrstellung.Er wusste nicht, wo jenes Krankenhaus sich befand, aber das war auch egal. Er hattegelernt, je<strong>de</strong>rmann als Fe<strong>in</strong>d anzusehen, <strong>de</strong>n er nicht kannte.Der blon<strong>de</strong> junge Mann neben se<strong>in</strong>em Bett blieb stehen und kehrte <strong>die</strong> Handflächen nachvorne, als er <strong>de</strong>r unbewussten Abwehrreaktion gewahr wur<strong>de</strong>.„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r?“E<strong>in</strong>e recht tiefe und vor allem ruhige Stimme. Der Akzent verriet, dass Englisch nichtse<strong>in</strong>e Muttersprache war, genau wie <strong>die</strong> Uniform dasselbe aussagte. Diese neueErkenntnis war <strong>de</strong>nnoch e<strong>in</strong> Schock für Lan<strong>de</strong>r und brachte se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches Weltbild <strong>in</strong>sWanken. Was war <strong>de</strong>r Mann vor ihm? Freund o<strong>de</strong>r Fe<strong>in</strong>d? Es war momentan e<strong>in</strong>Neutraler. Etwas, das es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten nicht gab. Lan<strong>de</strong>r war davon überfor<strong>de</strong>rtund umkrampfte <strong>die</strong> Decke. E<strong>in</strong>drücke stürzten auf ihn e<strong>in</strong>, und für e<strong>in</strong>en Augenblickglaubte er sogar, wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Antrieb von Cly<strong>de</strong> Searles Dromedary zu hören. Er warerneut <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Frachtkab<strong>in</strong>e und…„Sie brauchen ke<strong>in</strong>e Angst vor mir zu haben. Ich b<strong>in</strong> auf Ihrer Seite.“ Wie<strong>de</strong>r hatte <strong>de</strong>rUnbekannte <strong>die</strong> Reaktion <strong>de</strong>s Bretonen richtig ge<strong>de</strong>utet. Zögerlich streckte er <strong>die</strong> e<strong>in</strong>eHand aus. „Oberleutnant Konrad Fel<strong>de</strong>n. Ich b<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>r für <strong>die</strong> Grenzsicherungzuständigen Abteilung <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr und arbeite als Notfallpsychologe. Es ist vermutlichmomentan alles etwas viel für Sie. Me<strong>in</strong>e Regierung schickt mich, um Ihnen zu helfen.“Etwas <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>r war seit Längerem darauf geeicht, auch fe<strong>in</strong>e Nuancen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stimmlagee<strong>in</strong>es Menschen zu erkennen. Der Frem<strong>de</strong> hatte kurz gezögert, weshalb Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Handnicht ergriff. Er tat e<strong>in</strong>fach gar nichts, außer dumm zu fragen: „Wo b<strong>in</strong> ich?“„Elbich M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility von Kruger M<strong>in</strong><strong>in</strong>g. Also noch <strong>in</strong> Omega-7.” Fel<strong>de</strong>n hatte <strong>die</strong> Handzurückgezogen und holte sich jetzt e<strong>in</strong>en Stuhl an Lan<strong>de</strong>rs Bett.„Aber… wie…?“„Können Sie sich wirklich nicht daran er<strong>in</strong>nern?“ E<strong>in</strong>e verständnisvolle, fast mitleidigeFrage aus <strong>de</strong>m Mun<strong>de</strong> <strong>de</strong>s kaum viel älteren Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>rs.„Wür<strong>de</strong> ich Sie sonst danach fragen?“, erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r ärgerlich, aber er biss sofort <strong>die</strong>Zähne zusammen und flüsterte: „Entschuldigung, Sir.“„Schon gut. Es ist normal, dass <strong>die</strong>s passiert. Ich b<strong>in</strong> daran gewöhnt.“ Der Oberleutnantzeigte bei se<strong>in</strong>em Lächeln <strong>die</strong> makellosen weißen Zähne. „Es ist Teil <strong>de</strong>s Schocks, <strong>de</strong>n Sieerlitten haben.“„Schock?“, fragte Lan<strong>de</strong>r betroffen.„Ja. So etwas Ähnliches wie e<strong>in</strong> Bergungsschock, falls Sie davon bereits gehört haben.“Da Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf schüttelte, erklärte Fel<strong>de</strong>n geduldig: „Es kommt oftmals nachdurchlittenen Traumata zu Schockreaktionen bei <strong>de</strong>n Betroffenen, wenn es ganz plötzlich


und unerwartet vorbei ist. Opfer von Frachterabstürzen lei<strong>de</strong>n beispielsweise oftdarunter. Sie klammern sich schwer verletzt an ihr Leben und sterben am Schock, wenn<strong>die</strong> Bergungsmannschaft e<strong>in</strong>trifft und sie befreien will. Gleiches trifft <strong>in</strong> m<strong>in</strong><strong>de</strong>rschwererForm auch auf Opfer von Geiselnahmen zu, <strong>die</strong> gefoltert wur<strong>de</strong>n. Ich habe beruflichbereits mit sehr vielen solchen Leuten zu tun gehabt. Leuten wie Ihnen, Lieutenant.“„Sir, ich b<strong>in</strong> we<strong>de</strong>r mit e<strong>in</strong>em Frachter abgestürzt noch…“ Hilflos brach Lan<strong>de</strong>r ab und fielzurück <strong>in</strong>s Bett, aus <strong>de</strong>m er sich kurz aufgerichtet hatte.„Regen Sie sich nicht auf. Ich b<strong>in</strong> nicht hier, um mit Ihnen zu streiten.“ Fel<strong>de</strong>n ließ sichnicht aus <strong>de</strong>r Ruhe br<strong>in</strong>gen.„Sie halten mich für verrückt, nicht wahr?“ Die Erkenntnis war nie<strong>de</strong>rschmetternd. Erhatte <strong>in</strong> weniger als fünf M<strong>in</strong>uten bereits zweimal <strong>die</strong> Beherrschung verloren und <strong>de</strong>nPsychologen laut angefahren.„Um ehrlich zu se<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>.“ Wie<strong>de</strong>r das breite Lächeln. Fel<strong>de</strong>n schien <strong>de</strong>r geboreneOptimist zu se<strong>in</strong>. Jemand, <strong>de</strong>r immer fröhlich war und garantiert gerne lachte.„Son<strong>de</strong>rn?“, bohrte Lan<strong>de</strong>r unbarmherzig nach. Er musste es wissen, <strong>de</strong>nn er wollte nunwirklich nicht verrückt se<strong>in</strong>!„Ich halte Sie für e<strong>in</strong>en schwer traumatisierten und körperlich bee<strong>in</strong>trächtigten Offizier<strong>de</strong>r bretonischen Streitkräfte, <strong>de</strong>r über e<strong>in</strong> Jahr lang <strong>in</strong> Gefangenschaft und als Geiseldurch <strong>die</strong> pure <strong>Hölle</strong> gegangen ist, wenn ich es mal so salopp ausdrücken darf. Nichtmehr und nicht weniger s<strong>in</strong>d Sie für mich, Lieutenant. Me<strong>in</strong>e Anwesenheit <strong>in</strong> <strong>die</strong>semZimmer ist nur e<strong>in</strong> erster Schritt für Sie. E<strong>in</strong> Schritt, um Sie wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong> Weltzurückzuführen, aus <strong>de</strong>r Sie eigentlich kommen. Das Leben ist nämlich auch im restlichenSirius weitergegangen, während Sie so lange fort waren.“Fel<strong>de</strong>n pausierte und schien auf e<strong>in</strong>en erneuten Wutausbruch zu warten, aber Lan<strong>de</strong>rsStimmung hatte gewechselt und tiefer Trauer sowie Verzweiflung Platz gemacht. Deshalbblieb <strong>de</strong>r Bretone stumm. „Rhe<strong>in</strong>land hat sehr gute Erfahrungen auf <strong>die</strong>sem Gebietgemacht, auch wenn Liberty uns sehr weit voraus ist. In Bretonia gibt es <strong>die</strong>seE<strong>in</strong>richtung beim Militär nicht, soweit ich weiß. Deshalb müssen Sie mit mir und me<strong>in</strong>emholprigen Englisch vorlieb nehmen, wie ich fürchte.“„Ihr Englisch ist ganz ausgezeichnet, Sir.“„Danke.“ Diesmal gr<strong>in</strong>ste Fel<strong>de</strong>n nicht, <strong>de</strong>nn er bemerkte Lan<strong>de</strong>rsStimmungsumschwung. „Woran <strong>de</strong>nken Sie gera<strong>de</strong>, Lieutenant? Sie können es mirerzählen, wenn Sie wollen. Alles, das Sie <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Beise<strong>in</strong> sagen, wird von mir mitvölliger Verschwiegenheit behan<strong>de</strong>lt.“„Ich <strong>de</strong>nke an <strong>die</strong>, <strong>die</strong> es nicht geschafft o<strong>de</strong>r noch mehr Scha<strong>de</strong>n genommen haben alsich. Wo ist Duncan? Darf ich ihn sehen?“„Mister Avery hat Elbich bereits vorgestern verlassen. In Ihrem Fall herrschte jedochstriktes Transportverbot, da Sie noch zu sehr unter <strong>de</strong>n Folgen Ihres Zusammenbruchslei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r durch <strong>die</strong> monatelange Mangelernährung lei<strong>de</strong>r noch verstärkt wur<strong>de</strong>. IhrFreund ist momentan auf Planet Stuttgart im Krankenhaus. E<strong>in</strong>e Spezialkl<strong>in</strong>ik für… fürgewisse… äh… Krankheiten…“„Geisteskrankheit wollten Sie wohl sagen.“ Lan<strong>de</strong>r biss sich auf <strong>die</strong> Lippe undunterdrückte <strong>die</strong> aufkommen<strong>de</strong>n Tränen. „Wird er jemals wie<strong>de</strong>r sehen können und <strong>die</strong>Irrenanstalt…?“„Soweit mir bekannt ist, wird er <strong>die</strong> Kl<strong>in</strong>ik bald wie<strong>de</strong>r verlassen können und nachBretonia zurückkehren. Für se<strong>in</strong> Augenlicht konnte lei<strong>de</strong>r nichts mehr getan wer<strong>de</strong>n.Teure Spezialoperationen könnten vielleicht helfen, aber ich b<strong>in</strong> da ke<strong>in</strong> Fachmann. Siemachen mir momentan mehr Sorgen, um ehrlich zu se<strong>in</strong>. Vergessen Sie ihn für <strong>de</strong>nMoment und kümmern Sie sich um sich selbst. Für ihn wird bestens gesorgt. Sie müssenebenfalls gesund wer<strong>de</strong>n. Sie stehen erst am Anfang e<strong>in</strong>es langen Kampfes, Lieutenant.“„Das hat er damals auch zu mir gesagt, als er mich gerettet hat. Er sagte, dass sich allesverän<strong>de</strong>rt habe und nichts mehr so sei wie zuvor.“„Das stimmt nicht. Es kommt Ihnen sicherlich nur so vor, weil <strong>die</strong> Rückkehr <strong>in</strong>s normaleLeben…“Lan<strong>de</strong>r unterbrach: „Wie kann irgen<strong>de</strong>twas <strong>de</strong>nn jemals wie<strong>de</strong>r wie zuvor se<strong>in</strong>, wennDuncan <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Psychiatrie sitzt und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren tot s<strong>in</strong>d? Ich b<strong>in</strong> schuld! Wenn ich dochnur dort geblieben und gestorben wäre! So viel wäre dann niemals passiert. Sie allewür<strong>de</strong>n noch leben wie zuvor und auch das Prisenkommando <strong>de</strong>r York…“ Er brach ab.


Fel<strong>de</strong>n beugte sich vor und legte se<strong>in</strong>e Hand auf Lan<strong>de</strong>rs Arm. „Das dürfen Sie nicht<strong>de</strong>nken, Lieutenant. Es wäre auch passiert, wenn Sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>r Krim<strong>in</strong>ellenverblieben wären. Sicherlich nicht so, aber <strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer Form. Was wür<strong>de</strong> wohl Ihr Vaterjetzt zu Ihnen sagen?“„Er wür<strong>de</strong> mich trösten wollen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er sagen wür<strong>de</strong>, dass alles letztendlich Gottes Willeist.“„Und Sie wür<strong>de</strong>n ihm nicht glauben.“„Ne<strong>in</strong>. In <strong>de</strong>n Grenzwelten gibt es ke<strong>in</strong>en Gott.“„Sie wür<strong>de</strong>n es sich aber sehr viel e<strong>in</strong>facher machen, wenn Sie e<strong>in</strong>fach an <strong>die</strong> göttlicheVorsehung glauben wür<strong>de</strong>n.“„Und wenn ich das nicht kann?“, war Lan<strong>de</strong>rs resignierte Gegenfrage.„Dann müssen Sie e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Weg f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Dabei kann jedoch nicht e<strong>in</strong>mal ich Ihnenhelfen. Ich kann nur Ratschläge geben, <strong>die</strong> hoffentlich wirken.“„Von wo aus kann ich me<strong>in</strong>e Familie anrufen?“ Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> sich bewusst, dass er <strong>die</strong>sesGespräch dr<strong>in</strong>gend nötig hatte. Sehr dr<strong>in</strong>gend. „Sie wartet bestimmt schon darauf, dassich mich mel<strong>de</strong>…“„Lei<strong>de</strong>r nicht von hier aus. Die elektromagnetischen Fel<strong>de</strong>ntladungen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Gaswolkeund noch dazu <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>r M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>s Asteroi<strong>de</strong>nfel<strong>de</strong>s lassen ke<strong>in</strong>eFerngespräche nach Bretonia zu. Momenten s<strong>in</strong>d wir sogar von Stuttgart abgeschnitten.“Fel<strong>de</strong>n stand auf und strich sich <strong>die</strong> Uniformhose glatt. „Sie wer<strong>de</strong>n jedoch nach Bretoniaausgeflogen, sobald sich <strong>die</strong> Möglichkeit bietet. Das heißt konkret, dass Sie noch amselben Tag, wenn man Sie <strong>de</strong>nn entlässt, zurückgebracht wer<strong>de</strong>n. Diese Station ist nichtfür Dauergäste ausgelegt. Ich stark davon aus, dass <strong>de</strong>r Frachter noch heute e<strong>in</strong>treffenwird und Sie <strong>in</strong> Cambridge sicherlich telefonieren dürfen.“„Ich wer<strong>de</strong> heute entlassen?!“„Wenn Sie wollen, wer<strong>de</strong> ich mich dafür starkmachen. Es gibt ke<strong>in</strong>e bessere Umgebungfür e<strong>in</strong>e Genesung <strong>de</strong>r Seele als das eigene familiäre Umfeld.“ Dem Psychologen entrangsich e<strong>in</strong> Seufzer „Auch wenn ich mich gern länger mit Ihnen unterhalten hätte. Sie habensehr viel erlebt.“„Ich möchte nicht darüber sprechen.“ Da das etwas zu harsch klang, verbesserte Lan<strong>de</strong>rsich: „Ich kann es noch nicht.“„Sie müssen sich vor mir nicht rechtfertigen, Lieutenant. Niemand weiß besser als e<strong>in</strong>Psychologe, welche Folgen…“E<strong>in</strong> lautes Klopfen an <strong>de</strong>r Tür unterbrach Fel<strong>de</strong>n mitten im Satz. Nach e<strong>in</strong> o<strong>de</strong>r zweiSekun<strong>de</strong>n Höflichkeitspause g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Tür auf, obwohl niemand <strong>de</strong>n Besucherhere<strong>in</strong>gebeten hatte.Genauer gesagt war es e<strong>in</strong>e regelrechte Besuchergruppe, <strong>die</strong> jetzt e<strong>in</strong>trat. E<strong>in</strong>e Frau wardabei, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r ganz klar an <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> er<strong>in</strong>nerte, von <strong>de</strong>r er geträumt hatte, dazu noche<strong>in</strong> älterer Bretone <strong>in</strong> Navyuniform und zwei Männer <strong>in</strong> garantiert maßgeschnei<strong>de</strong>rtenschwarzen Anzügen. E<strong>in</strong>er davon trug e<strong>in</strong>e relativ dicke Aktentasche.„Dürfte ich fragen…“„Lord John Powell, Botschafter Se<strong>in</strong>er bretonischen Majestät König William <strong>de</strong>m LXVII.auf Planet New Berl<strong>in</strong>.“ Der dickliche Mann mit <strong>de</strong>m fleischigen Gesicht recktekampfeslustig das Doppelk<strong>in</strong>n vor. „Und Sie s<strong>in</strong>d…?“„Oberleutnant Fel<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r Grenzsicherungsabteilung <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr.“„Wür<strong>de</strong> es Ihnen etwas ausmachen, kurz <strong>de</strong>n Raum zu verlassen, Oberleutnant? Wirhaben Angelegenheiten zu besprechen, <strong>die</strong> ausschließlich das Haus Bretonia betreffen.“Die rhe<strong>in</strong>ländische Ärzt<strong>in</strong> starrte <strong>de</strong>n Offizier an, <strong>de</strong>r jedoch nur <strong>die</strong> Achseln zuckte und<strong>de</strong>n unverblümten Rauswurf gleichmütig h<strong>in</strong>nahm. Der Botschafter me<strong>in</strong>te jedoch auchzu ihr: „Dies betrifft lei<strong>de</strong>r auch Sie, Doktor Hofer. Ihr Patient sche<strong>in</strong>t jedoch sichtlich auf<strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>r Besserung zu se<strong>in</strong>.“„Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass Herr Fel<strong>de</strong>n <strong>die</strong>s besser beurteilen kann als ich. Er istPsychologe, ich jedoch nur Ärzt<strong>in</strong> auf e<strong>in</strong>er unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Asteroid M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility.“Unberührt von ihrem Sarkasmus zuckte <strong>de</strong>r Botschafter <strong>die</strong> Achseln. „Genau.“„Kommen Sie.“ In Lan<strong>de</strong>rs Augen war offensichtlich, wie sehr Fel<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n bretonischenLord ebenfalls lächerlich machte, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er e<strong>in</strong>en Knicks an<strong>de</strong>utete und <strong>de</strong>r Ärzt<strong>in</strong> <strong>de</strong>nArm darbot. Sie nahm an, aber <strong>de</strong>r Adlige <strong>in</strong>teressierte sich nicht dafür, ob <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>nRhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r sich über ihn lustig machten o<strong>de</strong>r nicht.


„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, ich b<strong>in</strong> Capta<strong>in</strong> Harris, zuständig für <strong>die</strong> Belange <strong>de</strong>r Royal Navy<strong>in</strong> ganz Rhe<strong>in</strong>land. Bevor Se<strong>in</strong>e Lordschaft zur Wort kommt, muss ich noch e<strong>in</strong>edr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Frage an Sie richten, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e sofortige Antwort erfor<strong>de</strong>rt. Lei<strong>de</strong>r war unsbislang nicht möglich, Sie zu befragen…“„Kommen Sie bitte endlich zur Sache, Capta<strong>in</strong>!“, schnitt Powell <strong>de</strong>m Navyoffizierkurzerhand das Wort ab.„Sub-Lieutenant, befan<strong>de</strong>n sich <strong>die</strong> zehn Fusionsbomben an Bord <strong>de</strong>r Brisbane o<strong>de</strong>rwur<strong>de</strong>n mehrere vor <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s Kreuzers von <strong>de</strong>n Piraten entwen<strong>de</strong>t? Wenn dasZweite <strong>de</strong>r Fall ist, wie viele waren es und wo hat man sie ausgela<strong>de</strong>n? In wessen Handbef<strong>in</strong><strong>de</strong>n sie sich jetzt?“Aus weiten Augen starrte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kapitän an. Se<strong>in</strong>e Gedanken schlugen regelrechtePurzelbäume. Er war wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale und damit auch Geisel <strong>de</strong>r flüchten<strong>de</strong>nMeuterer.„Sub-Lieutenant, Ihre Angaben s<strong>in</strong>d von größter Wichtigkeit.“„Sofern er nicht mit <strong>de</strong>n Kerlen unter e<strong>in</strong>er Decke steckt und absichtlich lügt!“, sagte <strong>de</strong>rBotschafter leise zu se<strong>in</strong>em bis dato stummen Sekretär.E<strong>in</strong> Blick <strong>in</strong> <strong>die</strong> daraufh<strong>in</strong> entsetzt aufgerissenen Augen <strong>de</strong>s Sub-Lieutenants genügteHarris offensichtlich. „Eure Lordschaft, ich <strong>de</strong>nke kaum, dass…“„Denken Sie nur o<strong>de</strong>r wissen Sie es, Harris?“Derart schroff zurechtgewiesen schwieg <strong>de</strong>r Navyoffizier. Auch er wollte ke<strong>in</strong>erleiVerantwortung übernehmen.„Na los doch, Mann! Er hat schließlich e<strong>in</strong>e ganz e<strong>in</strong>fache Frage gestellt!“, for<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>rSekretär ungeduldig. Er hatte e<strong>in</strong>e hart kl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> Stimme und war ansche<strong>in</strong>end völlig<strong>de</strong>s<strong>in</strong>teressiert. Vermutlich plante er bereits <strong>die</strong> nächsten Term<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>es Chefs, <strong>de</strong>nn ersah <strong>de</strong>monstrativ auf <strong>die</strong> Uhr.Mit e<strong>in</strong>em schweren Schlucken schloss Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Augen. Er versuchte, sich zu er<strong>in</strong>nern,obwohl es wehtat. E<strong>in</strong> Teil von ihm wusste, dass sie e<strong>in</strong> Recht auf e<strong>in</strong>e Antwort hatten,aber er hätte gedacht, dass sie wenigstens etwas Rücksicht auf ihn nehmen wür<strong>de</strong>n. Erwar doch traumatisiert, wie Fel<strong>de</strong>n tatsächlich richtig diagnostiziert hatte. Zehn M<strong>in</strong>utenhätten sicherlich gereicht, um zunächst das Eis zu brechen, bevor man auf <strong>die</strong>se <strong>de</strong>likateSache zu sprechen kam. Diese direkte Masche war jedoch schlichtweg brutal.„Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, ist Ihnen eigentlich klar…“„Bitte geben Sie ihm fünf M<strong>in</strong>uten, Eure Lordschaft. Vielleicht ist es am besten, wenn iche<strong>in</strong>en Moment lang alle<strong>in</strong> mit ihm spreche.“ Harris schien noch am ehesten e<strong>in</strong>en FunkenMitgefühl zu besitzen.Von Powell kam ke<strong>in</strong> Wi<strong>de</strong>rpruch. Er sagte lediglich: „Lassen wir das <strong>die</strong> Royal Navy<strong>in</strong>tern regeln, Harry.“„Ich sage Ihnen Bescheid, wenn…“Ansche<strong>in</strong>end stand es zwischen <strong>de</strong>m Botschafter und <strong>de</strong>m Navyangehörigen nichtson<strong>de</strong>rlich gut, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Lord rauschte e<strong>in</strong>fach aus <strong>de</strong>m Raum, gefolgt von se<strong>in</strong>emAssistenten.Seufzend ließ Harris sich auf <strong>de</strong>m Bett nie<strong>de</strong>r. „Bitte entschuldigen Sie…“Der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er eigenen Er<strong>in</strong>nerung verlorene Lan<strong>de</strong>r konnte ihm ke<strong>in</strong>e Antwort geben. Erstals <strong>de</strong>r Mann weiter auf ihn e<strong>in</strong>drang: „Lieutenant, hören Sie mir zu! Sie haben Ihren Eidabgeleistet, und <strong>die</strong> Regierung muss wissen, was <strong>in</strong> Tau-31 geschehen ist.Menschenleben hängen davon ab! Bitte versuchen Sie, sich zu er<strong>in</strong>nern! O<strong>de</strong>r haben Siean Bord <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale etwa e<strong>in</strong>e Augenb<strong>in</strong><strong>de</strong> tragen müssen?“Wie<strong>de</strong>r versuchte Lan<strong>de</strong>r, e<strong>in</strong>e Art Ordnung <strong>in</strong> das Chaos <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Kopf zu br<strong>in</strong>gen. Esbe<strong>de</strong>utete, dass er sich an <strong>die</strong> schrecklichen Stun<strong>de</strong>n, ja Tage an Bord <strong>de</strong>s Frachterser<strong>in</strong>nern musste, bis man ihn und Avery endlich hier abgesetzt hatte. Sie hatten esgetan, wie man eben e<strong>in</strong> Stück Abfalls aus <strong>de</strong>m Frachter warf. Von jener Zeit war kaumetwas hängengeblieben. Es war alles e<strong>in</strong>fach an ihm vorbeigerauscht. Und doch mussteer sich er<strong>in</strong>nern, sich <strong>de</strong>n Bil<strong>de</strong>rn und E<strong>in</strong>drücken bewusst aussetzen…Tränen liefen ihm über <strong>die</strong> Wangen, als er schließlich nicht mehr an sich halten konnteund fragen musste: „Bitte, Capta<strong>in</strong>. Wie viele Männer von <strong>de</strong>r York s<strong>in</strong>d gestorben, als<strong>die</strong> Brisbane gesprengt wur<strong>de</strong>? Es war alles me<strong>in</strong>e Schuld. Ich war so mü<strong>de</strong>, habeversehentlich <strong>die</strong> Luke aufgelassen, und sie kamen zurück…“


„79, Lieutenant. Zwei Cly<strong>de</strong>sdales, von <strong>de</strong>nen e<strong>in</strong>e bereits gelan<strong>de</strong>t war, während <strong>die</strong>zweite Masch<strong>in</strong>e unter <strong>de</strong>m Kommando <strong>de</strong>s Ersten Offiziers noch im Anflug war, als <strong>die</strong>Fusionsbombe hochg<strong>in</strong>g. Sie alle hatten ke<strong>in</strong>e Überlebenschance.“Es endlich zu wissen war e<strong>in</strong>e Art Erleichterung, obwohl das e<strong>in</strong>e schreckliche Nachrichtwar. Zitternd umkrampfte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Decke mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n und senkte <strong>de</strong>n Blick.„Der Erste Offizier, war er nicht <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r…“„Ja. Auch er. Gera<strong>de</strong> Comman<strong>de</strong>r Brighton. Er leitete auf eigenen Wunsch h<strong>in</strong> <strong>de</strong>nSicherungstrupp. Es war Comman<strong>de</strong>r Brighton, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Vorgesetzten davon überzeugthat, <strong>die</strong>se Verbrecher wi<strong>de</strong>r alle Vorschriften ziehen zu lassen. Der Mann, <strong>de</strong>r Ihr Lebengerettet hat, ist dafür gestorben und mit ihm noch 78 an<strong>de</strong>re. Damit müssen Sie leben,Lieutenant. Sie hatten <strong>in</strong> jenem Moment als Geisel ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>flussmöglichkeiten. Siehaben das getan, was fast alle Menschen <strong>in</strong> Ihrer Situation getan hätten. Sie wolltenleben. Es war se<strong>in</strong>e Schuld, dass er sich davon erweichen ließ.“„Wenn ich <strong>die</strong> Luke geschlossen hätte…“Ruhig begegnete <strong>de</strong>r Kapitän <strong>de</strong>m qualvollen Blick mit se<strong>in</strong>em eigenen. „Haben Sie abernicht, und es ist Geschichte. Comman<strong>de</strong>r Brighton ist Geschichte. Es liegt an Ihnen, <strong>die</strong>Welt davon zu überzeugen, dass Sie <strong>die</strong>ses Opfer wert waren. Vor allem aber, dass Sieke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Verräter s<strong>in</strong>d.“ Der Capta<strong>in</strong> starrte auf Lan<strong>de</strong>rs Hän<strong>de</strong>. „Für mich ist es relativoffensichtlich, aber an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>nken nicht so. Manche Leute <strong>in</strong> Bretonia for<strong>de</strong>rn bereitsjetzt Ihren Kopf.“„Ich habe mir außer jenen D<strong>in</strong>gen nichts vorzuwerfen. Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>er von <strong>de</strong>nengewesen, das müssen Sie mir glauben!“„Es fällt mir nicht allzu schwer. Sie sehen nicht aus, als hätten Sie e<strong>in</strong> schönes Lebengehabt. Beantworten Sie mir <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Frage, danach s<strong>in</strong>d nur noch e<strong>in</strong>ige Formalitäten zuklären und wir veranlassen sofort Ihren Flug nach Hause. Ich verspreche Ihnen auch,dass Se<strong>in</strong>e Lordschaft Sie nicht weiter behelligen wird.“„Danke.“ E<strong>in</strong> erneutes Mal versuchte Lan<strong>de</strong>r, sich zu entspannen und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erEr<strong>in</strong>nerung zurück. Es war e<strong>in</strong> qualvoller Prozess, aber als er endlich alle Fragmente ausjenen vier Tagen zu e<strong>in</strong>er Art Bild zusammengesetzt hatte, erklärte er tonlos: „Sie habenmir ke<strong>in</strong>e Augenb<strong>in</strong><strong>de</strong> angelegt. Ich konnte <strong>die</strong> ganze Zeit über alles sehen, aber ichhabe mich kaum dafür <strong>in</strong>teressiert. Ich stand unter Schock. Soweit ich mich er<strong>in</strong>nernkann, gab es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale aber ke<strong>in</strong>e Bomben. Die Gemäßigten unter <strong>de</strong>n Meuterernhätten es nicht zugelassen. Roberts wur<strong>de</strong> glaube ich von ihnen wegen <strong>de</strong>r Explosion <strong>de</strong>rBrisbane umgebracht, noch bevor wir Tau-31 verlassen hatten. Sie waren Bretonen, Sir.Sie wollten unserer Bevölkerung und Comman<strong>de</strong>r Brightons Landungsabteilung ke<strong>in</strong> Leidzufügen…“„Das reicht, Lieutenant. Quälen Sie sich nicht weiter.“ Harris stand auf und g<strong>in</strong>g zur Tür.„Ich b<strong>in</strong> gleich wie<strong>de</strong>r da.“Für kurze Zeit mit se<strong>in</strong>en Gedanken alle<strong>in</strong>, musste Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> grausige Realitätanerkennen. 79 Tote, darunter Comman<strong>de</strong>r Brighton, <strong>de</strong>ssen Güte und Mitleid Avery undihm erst das Überleben ermöglicht hatten.„Ich brauche e<strong>in</strong>e Unterschrift von Ihnen, Lieutenant. Danach können Sie nach Hausefliegen.“ Harris klang jetzt ungeduldig. Er hatte e<strong>in</strong> zusammengeheftetes, dünnes Bün<strong>de</strong>lPapier bei sich, das er jetzt auf <strong>de</strong>r letzten Seite aufklappte. „Hier unten bitte.“Der dargereichte Kugelschreiber war sehr teuer. Lan<strong>de</strong>r konnte ihn kaum halten, so sehrzitterten se<strong>in</strong>e F<strong>in</strong>ger.Die Buchstaben tanzten vor se<strong>in</strong>en mittlerweile tränenbl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Augen, und er las nure<strong>in</strong>zelne unzusammenhängen<strong>de</strong> Wörter, bevor er <strong>de</strong>n Stift ansetzte.„Wissen Sie auch sicher, was Sie da gera<strong>de</strong> unterschreiben, Lieutenant?“ Konrad Fel<strong>de</strong>nstand <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tür. Er war lautlos here<strong>in</strong>gekommen.Lan<strong>de</strong>r sah abrupt auf - und nicht nur er. „Mischen Sie sich nicht <strong>in</strong> unsereAngelegenheiten, Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r!“, entfuhr Harris heftig, bevor er sich etwas mäßigte: „Siesollten doch draußen warten, Oberleutnant. Dies ist e<strong>in</strong>e Angelegenheit, <strong>die</strong> nur uns undnicht das Haus Rhe<strong>in</strong>land betrifft.“„Das hatte ich auch vor, bevor ich sah, wie Mister Edgarton Ihnen <strong>die</strong> Papiere aus se<strong>in</strong>erAktentasche und noch dazu se<strong>in</strong>en Stift gab.“ Der Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r lächelte Lan<strong>de</strong>r erneut zuund sprach mil<strong>de</strong>r: „Lesen Sie lieber genau, was da steht, Lieutenant. Erste Grundregelbei Verträgen aller Art.“


„Raus o<strong>de</strong>r Sie wer<strong>de</strong>n es bedauern! Wegen Ihren dubiosen Unterstellungen wer<strong>de</strong> ichmich sonst bei Ihrem Vorgesetzten beschweren, Oberleutnant!“„Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass Sie bei Konteradmiral Becker auf zwei offene Ohren stoßenwer<strong>de</strong>n. Insbeson<strong>de</strong>re, da ich Ihnen nicht e<strong>in</strong>mal etwas unterstellt habe. Das haben Siewie<strong>de</strong>rum mir unterstellt“, war <strong>die</strong> fröhliche Antwort. „Wir sehen uns nachher,Lieutenant. Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass <strong>die</strong> Angelegenheiten und Interessen <strong>de</strong>r Royal Navyke<strong>in</strong>esfalls dubios s<strong>in</strong>d. Ganz im Gegensatz zu me<strong>in</strong>en angeblichen dubiosenUnterstellungen. E<strong>in</strong>en schönen Tag noch, Capta<strong>in</strong>!“Diese doppelte Verwendung <strong>de</strong>s Wortes dubios war e<strong>in</strong> W<strong>in</strong>k mit <strong>de</strong>m Zaunpfahl, <strong>de</strong>nselbst Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er aufgewühlten seelischen Verfassung nicht ignorieren konnte.Fel<strong>de</strong>n hatte Harris’ Zorn bewusst auf sich gezogen, weil er Lan<strong>de</strong>r hatte warnen wollen.Er setzte daraufh<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Stift ab.„Die Unterschrift, Lieutenant!“Obwohl er glaubte, sich angesichts <strong>de</strong>s schroffen Befehlstones verhört zu haben, starrteLan<strong>de</strong>r erst Harris und dann das Papier an. Er griff danach und las <strong>die</strong> letzte Zeile über<strong>de</strong>r L<strong>in</strong>ie für <strong>die</strong> Unterschrift. Dabei wur<strong>de</strong> ihm schlecht, und er ließ das Blatt s<strong>in</strong>ken.„Das ist doch e<strong>in</strong> Scherz, o<strong>de</strong>r?“ Lan<strong>de</strong>rs Stimme versagte fast.„Wenn Sie noch e<strong>in</strong>mal das Sir weglassen, werte ich das als bewusste Insubord<strong>in</strong>ation,Lieutenant!“„Warum, Sir?“ Er war wie vor <strong>de</strong>n Kopf geschlagen. „Warum legen Sie mir e<strong>in</strong> solchesPapier vor?“„Entwe<strong>de</strong>r Sie unterschreiben, was für alle Seiten besser wäre, o<strong>de</strong>r Sie lassen es undtragen <strong>die</strong> Konsequenzen!“„Was für Konsequenzen, Sir?“ Lan<strong>de</strong>rs Tränen waren völlig versiegt, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong> Kopf warausnahmsweise völlig klar. Er verstand plötzlich alles, was hier lief, aber er verstandnicht <strong>de</strong>n Grund, weshalb sie es taten.„Wollen Sie unterschreiben o<strong>de</strong>r nicht?“Die offene Fe<strong>in</strong>dseligkeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s Vertreters <strong>de</strong>r Royal Navy reizte Lan<strong>de</strong>rförmlich noch mehr dazu, Ne<strong>in</strong> zu sagen.Das tat er dann auch gleich lautstark, <strong>de</strong>nn er wäre dumm gewesen, <strong>die</strong>ses Papier zuunterzeichnen. „Ich <strong>de</strong>nke nicht daran, Sir!“„Ihre Sache.“ Ohne Gruß riss Harris es ihm aus <strong>de</strong>r Hand und verschwand.Noch während Lan<strong>de</strong>r vor Wut und Enttäuschung zitternd, mit um <strong>die</strong> Kniegeschlungenen Hän<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Bett saß, g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Tür auf und Fel<strong>de</strong>n kehrte <strong>in</strong> <strong>de</strong>nRaum zurück.„Sie haben nicht unterschrieben, wie ich annehme?“„Danke, Sir.“„Schon gut. Ich habe erst kürzlich davon gehört. Hätte nicht gedacht, dass es tatsächlichwahr ist, aber sie haben es wirklich versucht.“„Sie wissen, was dort stand?“„Nicht ohne es tatsächlich gelesen zu haben, aber ich habe e<strong>in</strong>e vage Ahnung.“„Sie wollen mich entlassen, mir e<strong>in</strong>e Lohnauszahlung verweigern und noch dazuSchweigepflicht bis an me<strong>in</strong> Lebensen<strong>de</strong> auferlegen. Aber warum <strong>de</strong>nn nur? Ich habedoch nichts gemacht! Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Meuterer und auch ke<strong>in</strong> Verbrecher! Ich habeComman<strong>de</strong>r Raven sogar getötet!“, entfuhr Lan<strong>de</strong>r. Ihm war völlig egal, dass es Interna<strong>de</strong>r Royal Navy waren, <strong>die</strong> er hier gera<strong>de</strong> gegenüber e<strong>in</strong>em Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r preisgab. Fel<strong>de</strong>nwusste ja sowieso relativ gut Bescheid, wie <strong>de</strong>r Oberleutnant soeben bewiesen hatte.„Sie s<strong>in</strong>d unbequem gewor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Sie wissen zu viel. Das, was hier gera<strong>de</strong> abgelaufenist, nennt man bei uns Nötigung. Ich wür<strong>de</strong> es als Psychologe sogar seelischenMissbrauch nennen.“ Diesmal enthielt das Lächeln ke<strong>in</strong>en Humor, son<strong>de</strong>rn Ärger. „HabenSie Hunger, Lieutenant? Sie s<strong>in</strong>d als noch nicht transportfähig e<strong>in</strong>gestuft wor<strong>de</strong>n. Wasauch immer se<strong>in</strong> mag, hier auf Elbich s<strong>in</strong>d nur Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r. Daher herrschen hier an Bordan<strong>de</strong>re Gesetze als <strong>in</strong> Bretonia - und außerhalb <strong>die</strong>ser Metallwän<strong>de</strong> überhaupt ke<strong>in</strong>e. Ichhalte für klug, wenn Sie zunächst noch e<strong>in</strong> bis zwei Tage hierbleiben und sich erholen.Man kann Sie hier nicht wegholen, und Sie brauchen <strong>die</strong> Ruhe. Sowohl Ihr Körper alsauch Ihre Seele verlangen danach.“Patrick Lan<strong>de</strong>r nickte nur. Er hätte niemals gedacht, dass <strong>die</strong> Navy ihn tatsächlich soeiskalt abservieren wollte.


‚Warum bloß?! Was habe ich <strong>de</strong>nn getan?!’ Über <strong>die</strong>se Frage zermarterte er sich dasGehirn, aber er fand ke<strong>in</strong>e Antwort. Er hätte sie aber vermutlich gewusst, wenn er sich<strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Seiten <strong>de</strong>s Papiers ebenfalls ansatzweise durchgelesen hätte.Knappe zwölf Stun<strong>de</strong>n später erlebte er e<strong>in</strong>e weitere sehr unangenehme Überraschung,als Capta<strong>in</strong> Harris ihm <strong>die</strong> Konsequenzen se<strong>in</strong>er Weigerung drastisch vor Augen führte.Ansche<strong>in</strong>end waren sich <strong>de</strong>r Navyoffizier Harris und Botschafter Powell e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>ig, und<strong>die</strong> Admiralität <strong>in</strong> New London war sowieso <strong>de</strong>rselben Me<strong>in</strong>ung. Von ihr war <strong>die</strong> nichtunterschriebene Erklärung schließlich gekommen.Auch Konrad Fel<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> Ärzt<strong>in</strong> konnten ihn jetzt nicht mehr schützen, <strong>de</strong>nn ihnenwaren <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> gebun<strong>de</strong>n. Durch ihre eigene Regierung. Der Arm <strong>de</strong>r Royal Navyreichte bis zum bretonischen Verteidigungsm<strong>in</strong>ister, und <strong>de</strong>r entsprechen<strong>de</strong> Erlass hattewie<strong>de</strong>rum <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r durch diverse politische Kanäle schnell erreicht. E<strong>in</strong> zweitesPapier wur<strong>de</strong> mitgeführt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m sowohl <strong>de</strong>r Oberleutnant als auch <strong>die</strong> Crew <strong>de</strong>s M<strong>in</strong>erszur vollen Kooperation aufgefor<strong>de</strong>rt wur<strong>de</strong>n. Sehr geschockte und verständnislose Blickebegleiteten Patrick Lan<strong>de</strong>r, als er <strong>in</strong> voller Uniform nebst Begleitung durch e<strong>in</strong>efünfköpfige Abordnung <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n gelan<strong>de</strong>ten Humpback <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehrbestieg. Es war theoretisch e<strong>in</strong>e sofortige Rückbeor<strong>de</strong>rung nach Bretonia, aber praktischwar es mehr. Viel mehr. E<strong>in</strong>e erfolgen<strong>de</strong> Abschiebung o<strong>de</strong>r Auslieferung, je nach<strong>de</strong>m,von welcher Seite man es betrachtete.Kapitänleutnant Karl Ulrich, <strong>de</strong>ssen rhe<strong>in</strong>ländischer Nachname Patrick Lan<strong>de</strong>r zunächstfast <strong>die</strong> Zunge gebrochen hatte, kam aus <strong>de</strong>m Cockpit <strong>de</strong>s Humpbacks zurück und setztesich wie<strong>de</strong>r neben ihn. Dadurch schreckte <strong>de</strong>r junge Bretone aus se<strong>in</strong>en Gedanken auf.„Ist es noch weit, Sir?“„Ne<strong>in</strong>. Wir stecken schon <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tra<strong>de</strong>lane zur Cambridge Research Station. Nur noch e<strong>in</strong>Stück weiter, und wir s<strong>in</strong>d da.“Bei <strong>die</strong>sem Ausspruch wur<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r das Herz doppelt schwer. Dies hier war Bretonia,se<strong>in</strong> Zuhause. Er war länger als e<strong>in</strong> Jahr fort gewesen. So hatte er sich se<strong>in</strong>e Heimkehraber nicht vorgestellt.Der etwa dreißigjährige, nette Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r schien das zu wissen, <strong>de</strong>nn er seufzte, bevorer unbestimmt sagte: „Es tut mir leid. Ich wür<strong>de</strong> Ihnen so gern helfen, aber ich darf esnicht.“„Sie haben mir bereits sehr geholfen, glauben Sie mir.“„Ich wüsste nicht wie, Lieutenant.“„Auf <strong>die</strong>sem Flug. Sie waren sehr nett zu mir.“„Dieser Flug hat auch mir ke<strong>in</strong>en Spaß gemacht, obwohl das nicht an Ihrer Gesellschaftgelegen hat.“ Ulrich starrte auf <strong>die</strong> Sitzreihe vor ihnen. „Falls ich es Ihnen nachher nichtmehr sagen kann: viel Glück. Sie wer<strong>de</strong>n es laut Oberleutnant Fel<strong>de</strong>n brauchen. Ich sollIhnen von ihm bestellen, dass er an Sie <strong>de</strong>nken wird. Wir alle wer<strong>de</strong>n das tun, <strong>die</strong> wir mitIhnen zu tun hatten.“Die etwas unbeholfen wirken<strong>de</strong>n Worte <strong>de</strong>s erfahreneren Offiziers rissen Lan<strong>de</strong>r ausse<strong>in</strong>er Melancholie. „Sie haben mit Lieutenant Fel<strong>de</strong>n gesprochen?“„Er hat Konteradmiral Becker angerufen, um <strong>de</strong>n Befehl auszusetzen, aber da war nichtszu machen. Unser Oberkommando hat darauf bestan<strong>de</strong>n. Deshalb ist <strong>de</strong>r Oberleutnantauch nicht aufs Hangar<strong>de</strong>ck gekommen. Er me<strong>in</strong>te, dass ihm jetzt mehr danach wäre,sich hemmungslos zu betr<strong>in</strong>ken. Ihm kam es so vor, als hätte er Sie persönlich verratenund an Ihre Landsleute verkauft.“Der Fakt, dass <strong>die</strong> wildfrem<strong>de</strong>n Angehörigen <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr sich mehr um ihn sorgten alsse<strong>in</strong>e eigenen Landsleute, war unvorstellbar. Unvorstellbare Realität. „Das hat er nichtgetan. Sagen Sie ihm das bitte und bestellen Sie ihm auch me<strong>in</strong>e besten Grüße. Ichwer<strong>de</strong> ihn nicht vergessen. Genauso wenig wie Sie, Sir.“„Was habe ich <strong>de</strong>nn schon getan?“„Das, was man Ihnen auftrug. Sie sehen ja, was passiert, wenn man sich dagegenauflehnt.“ Lan<strong>de</strong>r musste lachen. Es war e<strong>in</strong> bitterer Laut.„Sie haben das Richtige getan. Das hier ist Unrecht.“„Weiß etwa <strong>die</strong> ganze Rhe<strong>in</strong>wehr über me<strong>in</strong>e Verhaftung Bescheid?“


Die Mundw<strong>in</strong>kel <strong>de</strong>s Kapitänleutnants zuckten kurz, aber er lachte nicht. „Die halbe.Unsere Grenzstreitkräfte s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>. Konteradmiral Becker hat sichOberleutnant Fel<strong>de</strong>ns Protest gegen <strong>die</strong> Befehle angehört und schließlich dafür gesorgt,dass ich <strong>die</strong> Begleitung befehlige. Das hat <strong>die</strong> Bretonen erbost, aber er hat esdurchgesetzt, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er mit Kruger M<strong>in</strong><strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Deal gemacht hat. Daraufh<strong>in</strong> hat <strong>die</strong>Company <strong>de</strong>m bretonischen Militärshuttle <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>erlaubnis verweigert. Deswegen <strong>de</strong>rHumpback und unsere Leute. Die Kerle s<strong>in</strong>d auch alle von unserem Vere<strong>in</strong>. DemKonteradmiral war lieber, wenn wir Sie h<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen, als wenn es jemand vom Heer macht,<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>e Ahnung hat, wer Sie eigentlich s<strong>in</strong>d und was Sie für Sirius getan haben.“Das war gera<strong>de</strong>zu pe<strong>in</strong>lich, weil Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung anh<strong>in</strong>g, schändlich versagt zuhaben. Er errötete vor Scham und nuschelte, um Ulrich abzulenken: „Sie s<strong>in</strong>d also e<strong>in</strong>Adjutant <strong>de</strong>s Rear Admirals, Sir?“„Ne<strong>in</strong>. Ich befehlige e<strong>in</strong> Kanonenboot <strong>in</strong> Stuttgart. Zwei Mann als Crew, zwei WochenE<strong>in</strong>satz, zwei Wochen Yard. Pi mal Daumen kommt es so immer h<strong>in</strong>. Die Grenzen zusichern war noch nie leicht, wie Sie ja auch aus Erfahrung wissen. Bei uns ist es nämlichnicht an<strong>de</strong>rs als bei Ihnen.“Karl Ulrich war somit e<strong>in</strong> Kollege. In Rhe<strong>in</strong>land operierten <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>en Gunboats <strong>in</strong>Zusammenarbeit mit <strong>de</strong>r Raumwaffe als Grenzschutz. Lan<strong>de</strong>r hatte all <strong>die</strong>se Faktenirgendwann e<strong>in</strong>mal auf <strong>de</strong>r Aka<strong>de</strong>mie pauken müssen. Gunboat o<strong>de</strong>r Patrouillenkreuzer,<strong>die</strong> Größe mochte sehr variieren, aber <strong>de</strong>r Korpsgeist blieb gleich.„Ich fühle mich geehrt, Herr Kapta<strong>in</strong>lieutenant.“ Genauso wie Ulrichs Name bereiteteauch das ä Lan<strong>de</strong>r unüberw<strong>in</strong>dliche Schwierigkeiten. Er war nie allzu gut <strong>in</strong>Fremdsprachen gewesen.„Aber ich bitte Sie!“ Ulrich sah ihn verdutzt an. „Ich muss me<strong>in</strong>en Hut vor Ihnen ziehen.Ich habe oft genug schlimme D<strong>in</strong>ge gesehen. Genauso wie <strong>de</strong>r Oberleutnant. Jeman<strong>de</strong>nwie Sie hat er mit Sicherheit noch nicht betreut, und auch ich fühle mich geehrt, dass ichSie nach Hause begleiten durfte. Trotz <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> habe ich es eher als Ehreneskorteverstan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nn als Bewachung e<strong>in</strong>es Gefangenen wie von <strong>de</strong>r bretonischen Admiralitätverlangt.“Lan<strong>de</strong>r errötete und senkte <strong>de</strong>n Blick. Unbewusst hatte <strong>de</strong>r ausländische Offizierskollegean <strong>de</strong>r großen Wun<strong>de</strong> gerührt.Dies hier war Bretonia, aber nach Hause g<strong>in</strong>g es <strong>de</strong>nnoch nicht.Da er <strong>in</strong> Schweigen verfiel, ließ auch Ulrich ihn <strong>in</strong> Ruhe. Erst als <strong>de</strong>r Pilot <strong>de</strong>n Anflug aufPlanet Cambridge mel<strong>de</strong>te, biss Lan<strong>de</strong>r sich auf <strong>die</strong> Lippe.Früher hatte er se<strong>in</strong>e Eltern immer darüber sprechen hören, hier e<strong>in</strong>mal Familienurlaubzu machen. Dafür war natürlich nie das nötige Geld dagewesen. Nun war er tatsächliche<strong>in</strong>mal hier, aber nicht als Urlauber.Das riesige Frachtschiff, das fast so groß war wie <strong>die</strong> Dromedary <strong>de</strong>r Zoners, setztefe<strong>de</strong>rweich auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n auf. Auch <strong>de</strong>r Atmosphärenflug war kaum zu spüren gewesen,da <strong>de</strong>r Pilot sich Zeit gelassen hatte.Auf e<strong>in</strong>en W<strong>in</strong>k <strong>de</strong>s Kapitänleutnants h<strong>in</strong> öffnete e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r vier Mar<strong>in</strong>eangehörigen, <strong>die</strong>während <strong>de</strong>s Fluges weiter h<strong>in</strong>ten außer Hörweite gesessen hatten, <strong>die</strong> Luke.E<strong>in</strong> Klappern <strong>de</strong>r Metallstufen verkün<strong>de</strong>te, dass jemand heraufkam. Ulrich stand zurBegrüßung auf, obwohl es nur e<strong>in</strong> Sergeant <strong>de</strong>s Heeres war. Lan<strong>de</strong>r tat es ihm trotz <strong>de</strong>sFaktes gleich, dass er mit Sicherheit nicht freundlich begrüßt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>.Als <strong>de</strong>r kurze Wortwechsel vorüber war, sah <strong>de</strong>r Heeresunteroffizier kurz zu Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<strong>in</strong> voller Navyuniform dastand. Er hatte sie von <strong>de</strong>r bretonischen Botschaft auf NewBerl<strong>in</strong> mit <strong>de</strong>m rhe<strong>in</strong>ländischen Frachter geschickt bekommen. Der Befehl, sie zu tragen,war e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig erteilt wor<strong>de</strong>n.„Vielen Dank, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r. Ich b<strong>in</strong> damit beauftragt wor<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Gefangenennamens Patrick Lan<strong>de</strong>r ab hier zu übernehmen.“Lediglich <strong>de</strong>r Ausdruck <strong>in</strong> Ulrichs Augen verriet <strong>de</strong>m jungen Offizier, was <strong>de</strong>rKapitänleutnant davon hielt. Die Stimme klang jedoch gleichmäßig, als <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>rentgegnete: „Sie können <strong>de</strong>n Lieutenant ab hier übernehmen. Es gab auf <strong>de</strong>m Flugke<strong>in</strong>erlei Zwischenfälle.“Der Unteroffizier antwortete nicht mehr. Er ergriff lediglich Lan<strong>de</strong>rs Arm und zog ihn <strong>in</strong>Richtung Luke. Dabei murmelte <strong>de</strong>r Mann etwas, das wie: „Fahr doch zur <strong>Hölle</strong>, Fritz!“klang.


Als Lan<strong>de</strong>r sich noch e<strong>in</strong>mal umsah, bemerkte er, dass Ulrich ihn salutierte und <strong>die</strong> Handruckartig herunternahm, als Lan<strong>de</strong>r dankbar nickte. Er konnte nicht sprechen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>rKloß <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kehle h<strong>in</strong><strong>de</strong>rte ihn daran. Der Sergeant hatte mit se<strong>in</strong>er Beleidigung <strong>de</strong>nzuvorkommen<strong>de</strong>n Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r geme<strong>in</strong>t.Auf <strong>de</strong>r Treppe atmete er erstmals wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Luft e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bretonischen Welten e<strong>in</strong>.Pure, wohlriechen<strong>de</strong> Heimatluft. Die Agrarwelt Cambridge hatte er noch nie betreten,aber für <strong>de</strong>n Moment war <strong>die</strong>s das Zuhause für ihn. Die Luft war natürlichen Ursprungsund mit Hun<strong>de</strong>rten Gerüchen angereichert, von <strong>de</strong>nen er e<strong>in</strong>ige nicht e<strong>in</strong>mal kannte. Erwar trotz <strong>de</strong>s harten Griffes an se<strong>in</strong>em Arm überwältigt. Diese Weite war wun<strong>de</strong>rschön.Ke<strong>in</strong>e Stahlwand, ke<strong>in</strong>e Krim<strong>in</strong>ellen, nur e<strong>in</strong>fach Landluft und grüne Wiesen. Dazu <strong>de</strong>rblaue Himmel mit <strong>de</strong>n weißen Wolken.Unten auf <strong>de</strong>m Beton <strong>de</strong>s Flugfel<strong>de</strong>s wartete <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igem Abstand zu <strong>de</strong>m rhe<strong>in</strong>ländischenMilitärfrachter e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Menschengruppe. Lan<strong>de</strong>r hielt nach se<strong>in</strong>en Eltern Ausschau,aber er wusste, dass sie nicht da waren. Sie ahnten sicherlich nicht e<strong>in</strong>mal, dass erwie<strong>de</strong>r zurück <strong>in</strong> Bretonia war. Er hatte sie nicht benachrichtigen dürfen, da er offiziell e<strong>in</strong>Gefangener war. Vermutlich hatte man ihnen nicht e<strong>in</strong>mal mitgeteilt, dass er seit elfTagen <strong>in</strong> Sicherheit war! Die Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r hatten e<strong>in</strong> Staatsgeheimnis aus ihm gemacht.Wieso sollte es hier an<strong>de</strong>rs se<strong>in</strong>?Er riss sich von <strong>de</strong>n wehmütigen Gedanken an se<strong>in</strong>e Eltern und <strong>de</strong>m allgeme<strong>in</strong>enHeimweh gewaltsam los, als er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Uniformierten e<strong>in</strong>en Commodore erkannte,und nahm Haltung an. Verhaftet o<strong>de</strong>r nicht, er war noch Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy - und solange musste er Vorgesetzte respektieren sowie ihnen se<strong>in</strong>e Ehre erweisen.Der Blick <strong>de</strong>s Mannes war durchdr<strong>in</strong>gend, als er <strong>in</strong>mitten se<strong>in</strong>er Adjutanten und sogar vor<strong>de</strong>m Sergeanten zu sprechen begann: „Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, Ihnen wer<strong>de</strong>n vielfältigeVerstöße gegen <strong>die</strong> Vorschriften <strong>de</strong>r Royal Navy bis h<strong>in</strong> zur Gefährdung <strong>de</strong>s bretonischenVolkes zur Last gelegt, aber es ist noch nicht zur Anklageerhebung durch e<strong>in</strong>Militärgericht gekommen. Da <strong>die</strong> Militärgerichte momentan völlig überlastet s<strong>in</strong>d, bietenwir Ihnen Ihre sofortige Entlassung aus <strong>de</strong>m Dienst zu unseren Bed<strong>in</strong>gungen an. Siekönnen <strong>die</strong>sen Planeten dann noch heute als freier Mann verlassen.“Diesmal war das so genannte Angebot noch direkter als <strong>in</strong> Omega-7. Es grenzte wirklichan Nötigung, wenn nicht sogar schon an Erpressung. Lan<strong>de</strong>r bl<strong>in</strong>zelte kurz gegen <strong>die</strong>Sonne an. Er nahm sich Zeit, bevor er antwortete: „Ich b<strong>in</strong> mir ke<strong>in</strong>er Schuld bewusst,Sir. Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass das Gericht <strong>de</strong>r Royal Navy nieman<strong>de</strong>n verurteilen wird, <strong>de</strong>rke<strong>in</strong> Verbrechen begangen hat. Daher fürchte ich <strong>die</strong> Anklageerhebung nicht. LieutenantLord Fowley und Comman<strong>de</strong>r Marlowe wer<strong>de</strong>n bestätigen können, dass ich an <strong>de</strong>rMeuterei nicht mitschuldig b<strong>in</strong>. Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery wird nach se<strong>in</strong>er Rückkehraus Rhe<strong>in</strong>land ebenso klar aussagen können, dass ich auch bei unserer geme<strong>in</strong>samenVerschleppung zur Brisbane niemals das Haus Bretonia verraten habe. Was me<strong>in</strong>eFahrlässigkeit <strong>in</strong> Tau-31 angeht, b<strong>in</strong> ich durchaus bereit, <strong>die</strong> Folgen <strong>de</strong>ssen zu tragen. Ichb<strong>in</strong> es <strong>de</strong>n Toten von <strong>de</strong>r York schuldig.“Das war er wirklich. Er war es ihnen schuldig, Er musste Buße zu tun, wie se<strong>in</strong> Vatersagen wür<strong>de</strong>. Davon abgesehen fürchtete er jedoch nichts. Sie konnten ihm nichtsanhaben. Nicht nach all<strong>de</strong>m, was er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten durchlitten hatte. Nach <strong>die</strong>serErfahrung vor e<strong>in</strong> paar Paragrafenreitern Angst haben zu müssen war e<strong>in</strong>fach nurlachhaft.Der Flug hatte ihn nicht son<strong>de</strong>rlich bee<strong>in</strong>druckt, obwohl er bereits <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emKrankenzimmer auf <strong>de</strong>r M<strong>in</strong><strong>in</strong>g Facility offiziell von Kapitänleutnant Ulrich verhaftetwor<strong>de</strong>n war. Der Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r hatte es ihm <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Satz beiläufig mitgeteilt, da <strong>de</strong>rKapitänleutnant sich dabei schäbig vorgekommen war. Zuvor war Patrick Lan<strong>de</strong>r noch niemit <strong>de</strong>m Gesetz <strong>in</strong> Konflikt geraten. Nicht e<strong>in</strong>mal mit <strong>de</strong>m Militärgesetz. Und jetzt das.Erschießen konnten sie ihn nicht. Er hatte sich ja nichts zuschul<strong>de</strong>n kommen lassen -außer jener groben Fahrlässigkeit. Se<strong>in</strong>e Selbstvorwürfe waren e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Sache, abernicht <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Admiralität.Ne<strong>in</strong>, er hatte ke<strong>in</strong>en Grund Angst zu haben und wür<strong>de</strong> sich nicht e<strong>in</strong>schüchtern lassen!Nicht aufgrund e<strong>in</strong>er so lachhaften Show!„Ich verstehe“, erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>r Commodore, <strong>de</strong>r sich nicht e<strong>in</strong>mal vorgestellt hatte unddamit sämtliche Regeln <strong>de</strong>r bretonischen Höflichkeit brach, steif. „Von jeman<strong>de</strong>m wieIhnen war ja auch nichts an<strong>de</strong>res zu erwarten.“


„Was soll das bitte heißen, Sir?“, fragte Lan<strong>de</strong>r gefährlich ruhig. Es war sehr lange her,dass ihm zuletzt jemand auf <strong>die</strong>se Tour gekommen war. Der Letzte, <strong>de</strong>r ihm <strong>de</strong>rartig l<strong>in</strong>kgekommen war, hatte Victor Marlowe geheißen.„Das heißt, dass Sie jetzt das bekommen, was Sie ver<strong>die</strong>nen, Sie elendiger Pirat!“Sie hielten ihn wirklich für e<strong>in</strong>en von Erasmus Ravens Mannschaft. Für e<strong>in</strong>en Krim<strong>in</strong>ellen.Bevor Lan<strong>de</strong>r jedoch erneut e<strong>in</strong>e passen<strong>de</strong> Antwort geben konnte, war <strong>de</strong>r Commodorebereits mitsamt Stab verschwun<strong>de</strong>n. H<strong>in</strong>ter Lan<strong>de</strong>r startete <strong>de</strong>r Humpback gera<strong>de</strong> se<strong>in</strong>enAntrieb, weshalb er <strong>de</strong>n neben ihm stehen<strong>de</strong>n Sergeanten lei<strong>de</strong>r nicht verstand.Die Geste zu se<strong>in</strong>er etwas entfernt stehen<strong>de</strong>n Cly<strong>de</strong>sdale war jedoch e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig, ebensowie <strong>die</strong> Waffen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n zweier Soldaten, <strong>die</strong> ihnen entgegenkamen. DerCommodore musste sie gerufen haben. Man war hier auf alles vorbereitet.„Da geht’s lang, Lieutenant.“ Diese förmlich ausgespuckten Worte <strong>de</strong>s Unteroffiziershallten als Echo noch immer <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Ohren nach, als er weniger als zwanzig M<strong>in</strong>utenspäter wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale stieg. Diesmal behan<strong>de</strong>lten sie ihn wirklich wie e<strong>in</strong>enKrim<strong>in</strong>ellen.Die Behandlungsweise war seltsam vertraut, weshalb er <strong>de</strong>n Militärarzt sogar anlächelte,als <strong>die</strong>ser mit e<strong>in</strong>er Militärkrankenschwester und e<strong>in</strong>em Comman<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Zimmer kam.Niemand von ihnen stellte sich vor, aber Lan<strong>de</strong>r hatte auch nichts an<strong>de</strong>res erwartet. Siehatten ihm <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Cly<strong>de</strong>sdale sogar etwas über <strong>de</strong>n Kopf gezogen, damit er <strong>die</strong>semilitärische E<strong>in</strong>richtung ja nicht i<strong>de</strong>ntifizieren konnte, als sie ihn auslu<strong>de</strong>n. Es wargera<strong>de</strong>zu lachhaft.Er wusste bereits, was ihn erwartete, noch bevor sie es ihm sagten. Nur, dass sie es soschnell tun wür<strong>de</strong>n, überraschte ihn. Sie hatten ansche<strong>in</strong>end mit e<strong>in</strong>er erneutenAblehnung <strong>de</strong>s ‚Angebots’ gerechnet.„Sie wollen also <strong>die</strong> Wahrheit herausf<strong>in</strong><strong>de</strong>n?“, fragte er mit Blick auf <strong>die</strong> Spritze un<strong>de</strong>ntspannte sich auf <strong>de</strong>r Liege, auf <strong>die</strong> sie ihn geschnallt hatten.„Ja.“ Der Comman<strong>de</strong>r hatte nicht <strong>die</strong> Absicht, sich lange mit Belanglosigkeitenaufzuhalten.„Sie brauchen nur zu fragen. Ich habe nicht <strong>die</strong> Absicht, Sie o<strong>de</strong>r irgendwen sonstanzulügen, Sir.“Diese Bemerkung ignorierte <strong>de</strong>r Vernehmungsoffizier tunlichst, während <strong>die</strong> Mediz<strong>in</strong>erdoch etwas verblüfft waren. „Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r, ich b<strong>in</strong> damit beauftragt…“„Ich weiß und ich habe nichts zu verbergen, Comman<strong>de</strong>r.“Diese Ruhe <strong>de</strong>s zukünftigen Angeklagten wur<strong>de</strong> nun doch selbst <strong>de</strong>m Comman<strong>de</strong>r zu viel.Er fuhr hastig fort: „Diese Spritze enthält fünfzig Milliliter Aloka<strong>in</strong>. Sie wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>rInjektion…“„… selig e<strong>in</strong>schlafen. Ich weiß, Sir.“„Woher?“ Nun war <strong>de</strong>r Vorgesetzte sogar regelrecht verdattert.„Ich hatte schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> ähnliches Erlebnis. Ich dachte, ich hätte es geträumt, abernun weiß ich, dass <strong>de</strong>m wohl nicht so war.“E<strong>in</strong> langer Blick aus verblüfft aufgerissenen Augen war <strong>die</strong> Reaktion, dann fasste <strong>de</strong>rMann sich wie<strong>de</strong>r und nickte <strong>de</strong>m mediz<strong>in</strong>ischen Personal zu, das daraufh<strong>in</strong> se<strong>in</strong>es Amteswaltete. Angesichts <strong>die</strong>ses Vorabgeständnisses än<strong>de</strong>rte er <strong>in</strong> Gedanken bereits se<strong>in</strong>eFragereihenfolge. Ihm war klar, dass <strong>die</strong> Regierung hiervon erfahren musste, falls <strong>die</strong>serverrückte Junioroffizier von <strong>de</strong>r Brisbane nicht nur fantasierte.Der Comman<strong>de</strong>r ertappte sich sogar dabei, dass er e<strong>in</strong> wenig Mitleid empfand. Das ware<strong>in</strong> völlig neues Gefühl für ihn, <strong>de</strong>nn er hatte sich stets für völlig abgebrüht gehalten.Was hatte <strong>die</strong>ser junge Kerl bloß <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten erlebt, dass ihn e<strong>in</strong>e Injektion mite<strong>in</strong>er unbekannten Droge und <strong>die</strong> Aussicht, damit e<strong>in</strong>hergehend kurzzeitig <strong>die</strong> Kontrolleüber se<strong>in</strong> eigenes Bewusstse<strong>in</strong> zu verlieren, <strong>de</strong>rmaßen kalt ließen?Das Mittel wirkte schnell, da <strong>de</strong>r Proband recht mager war. Fast war <strong>de</strong>r Comman<strong>de</strong>rerleichtert, <strong>de</strong>nn Lan<strong>de</strong>r war ihm mittlerweile fast e<strong>in</strong> wenig unheimlich gewor<strong>de</strong>n. Nunhatte er jedoch <strong>die</strong> Zügel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand und konnte sich rout<strong>in</strong>emäßig auf se<strong>in</strong>en Jobkonzentrieren. Er aktivierte das Aufnahmegerät und begann mit <strong>de</strong>r ersten Frage.„Wer hat Sie vorher mittels e<strong>in</strong>er Droge befragt, Lieutenant Lan<strong>de</strong>r?“Die Antwort kam ausdruckslos wie von e<strong>in</strong>em Automaten. Dieses allererste Verhördauerte zwei Stun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nachfolgen<strong>de</strong> diplomatische Konflikt zwischen <strong>de</strong>nRegierungen Bretonias und Rhe<strong>in</strong>lands erhitzte <strong>die</strong> Gemüter auf New London und New


Berl<strong>in</strong> mehr als vier Monate lang. Alles drehte sich um <strong>die</strong> Frage, ob das Haus Rhe<strong>in</strong>landdas Recht hatte, e<strong>in</strong>en verletzten Offizier <strong>de</strong>r Royal Navy unwissentlich mit Drogen zuverhören. Dadurch war <strong>de</strong>r Betroffene zur Preisgabe von militärischen Geheimnissengezwungen wor<strong>de</strong>n, obwohl bei<strong>de</strong> Häuser viele Verträge mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r abgeschlossenhatten und ganz klar im Frie<strong>de</strong>n lebten.Die Bretonen beharrten auf e<strong>in</strong>em sehr klaren Ne<strong>in</strong>, während <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r schließlichnach wochenlangem Abstreiten und <strong>de</strong>r geheimen Intervention <strong>de</strong>r Häuser Liberty undKusari das Verhör zugaben und sogar <strong>de</strong>ssen Ergebnisse quasi veröffentlichten. Diesbrachte wie<strong>de</strong>rum das Haus Bretonia <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e prekäre Lage und an <strong>de</strong>n Rand e<strong>in</strong>es Kriegesgegen <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r. Je<strong>de</strong>nfalls, bis man sich schließlich an e<strong>in</strong>en run<strong>de</strong>n Tisch setzteund <strong>die</strong> Sache mithilfe <strong>de</strong>s Premierm<strong>in</strong>isters aus Kusari und <strong>de</strong>r Präsi<strong>de</strong>nt<strong>in</strong> <strong>de</strong>s HausesLiberty nach viel zu langer Zeit geme<strong>in</strong>sam ausräumte.Zu jenem klären<strong>de</strong>n Zeitpunkt wur<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>m Haus Bretonia klar, was wie<strong>de</strong>rum <strong>die</strong>an<strong>de</strong>ren drei Häuser dank <strong>de</strong>m Haus Rhe<strong>in</strong>land längst wussten: Die letzten neunFusionsbomben waren tatsächlich mit <strong>de</strong>r Brisbane explo<strong>die</strong>rt, als <strong>die</strong> Zehnte gezün<strong>de</strong>twor<strong>de</strong>n war. Rhe<strong>in</strong>land hatte solche Erkenntnisse auch <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Häusern nichtverheimlicht, da sie nach Me<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>s rhe<strong>in</strong>ländischen Kanzlers alle Regierungen etwasang<strong>in</strong>gen. „Massenvernichtungswaffen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand von Krim<strong>in</strong>ellen machen vornieman<strong>de</strong>m Halt“, war das Credo <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r. Die Kusari und sogar das HausLiberty, auf <strong>de</strong>ssen Hauptwelt <strong>die</strong> Erste <strong>de</strong>r Fusionsbomben vor e<strong>in</strong>em guten Jahrexplo<strong>die</strong>rt war, schlossen sich <strong>de</strong>m an.Das Ergebnis <strong>de</strong>ssen war e<strong>in</strong> neuer Vertrag zwischen allen vier Häusern, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>eRevolution <strong>in</strong> <strong>de</strong>r langjährigen Frie<strong>de</strong>nspolitik darstellte: Man beschloss, e<strong>in</strong> rotes Telefonzu <strong>in</strong>stallieren, und alle vier Regierungsoberhäupter versprachen, nie wie<strong>de</strong>r etwas<strong>de</strong>rartig Wichtiges zu verschweigen.Dieser Vertrag mochte <strong>de</strong>n langjährigen Frie<strong>de</strong>n und <strong>die</strong> guten diplomatischenBeziehungen zwischen <strong>de</strong>n vier regulären Häusern <strong>in</strong> Sirius wie<strong>de</strong>rherstellen, aber ernutzte e<strong>in</strong>em gewissen, im Gefängnis versauern<strong>de</strong>n jungen Sub-Lieutenant lei<strong>de</strong>rüberhaupt nichts.


Kapitel XIV - Heimkehr„S<strong>in</strong>d Sie wirklich sicher, Lieutenant?“„Ja, Capta<strong>in</strong>. Ich habe <strong>die</strong> Nase mittlerweile gestrichen voll!“„Ich kann Sie ja verstehen, aber schauen Sie, ich halte es für besser, wenn ich…“„Ne<strong>in</strong>, Sir!“, schnitt Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m ranghöheren Offizier kurzerhand unhöflich das Wort ab.Es war ja ohneh<strong>in</strong> schon <strong>die</strong> Höhe gewesen, dass man ihn nach Dutzen<strong>de</strong>nVernehmungen von Planet Cambridge auf <strong>die</strong> BPA Newgate Station <strong>in</strong> Manchestergebracht hatte. Aber dass man ihn dort monatelang von aller Welt isoliert schmoren ließwie e<strong>in</strong>en gewöhnlichen Verbrecher, ja das war noch viel schlimmer gewesen!Je<strong>de</strong>n Tag hatte er nach e<strong>in</strong>em Anwalt verlangt, aber das Wachpersonal <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>enMilitärabteilung auf <strong>de</strong>r hochgesicherten Gefängnisstation hatte ihn nur ausgelacht. Kaumjemand von ihnen wusste, dass man ihm nie <strong>de</strong>n Prozess gemacht hatte. Sie kanntenanfangs ja nicht e<strong>in</strong>mal se<strong>in</strong>en Namen!Irgendwann hatte er aber doch e<strong>in</strong>en Anwalt zugeteilt bekommen. Sogar e<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>n erbereits flüchtig kannte. Paul Newman hatte kurzzeitig <strong>die</strong> HMS Norfolk komman<strong>die</strong>rt,bevor er aufs Yard versetzt wor<strong>de</strong>n war. Auf jenem Schiff hatte Lan<strong>de</strong>r das erste Mal <strong>de</strong>nWeltraum von <strong>de</strong>r Brücke e<strong>in</strong>es Schlachtschiffes aus gesehen.Dieser Anwalt begleitete ihn jetzt auch vom Hangar<strong>de</strong>ck <strong>de</strong>s Southampton Shipyards <strong>in</strong><strong>de</strong>n dortigen kle<strong>in</strong>en Gerichtssaal, <strong>de</strong>r kaum mehr als e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facher Konferenzraum war.Die e<strong>in</strong>tägige Verhandlung sollte ohne Zeugen <strong>in</strong> möglichst kurzer Zeit durchgepeitschtwer<strong>de</strong>n. Heute Abend wür<strong>de</strong> er endlich Klarheit über se<strong>in</strong> weiteres Schicksal haben.Wie ihm Capta<strong>in</strong> Newman, e<strong>in</strong> ehemaliger Anwalt, gesagt hatte, wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>rs Sicht <strong>de</strong>rD<strong>in</strong>ge nur kurz gehört wer<strong>de</strong>n. Newman hatte sogar gemutmaßt, was <strong>die</strong> Anklage ihm imDetail vorwerfen wür<strong>de</strong>.Natürlich kannte se<strong>in</strong> Anwalt <strong>die</strong> geheimen Vernehmungsprotokolle, ganz im Gegensatzzu <strong>de</strong>m jungen Angeklagten. Nicht zu wissen, was man <strong>in</strong> <strong>de</strong>n so oft durchgeführten,stun<strong>de</strong>nlangen Verhören gesagt hatte, war teuflisch.Und doch wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r sich selbst verteidigen. Er hatte es schon lange beschlossen. Eskonnte ja nicht mehr schlimmer wer<strong>de</strong>n!Selbst Newman hatte gesagt, dass <strong>die</strong> Vorwürfe angesichts von FowleysAussageprotokollen unhaltbar waren. Auch <strong>de</strong>r Lieutenant war natürlich damals beise<strong>in</strong>er Rückkehr <strong>de</strong>tailliert befragt wor<strong>de</strong>n, wenn auch nicht unter Anklage. Die Frage wareben nur, was sich herausholen ließ. Lan<strong>de</strong>r bereute bislang nicht, dass er das Verlassen<strong>de</strong>r Navy abgelehnt hatte. Schon aus Pr<strong>in</strong>zip nicht, obwohl er längst nach Leeds hättezurückkehren können.Die spartanische E<strong>in</strong>zelzelle auf <strong>de</strong>r Gefängnisstation im Manchester-System war imVergleich mit <strong>de</strong>n Grenzwelten zwar purer Luxus gewesen, aber trotz<strong>de</strong>m hatte er sichsehr e<strong>in</strong>sam gefühlt und wusste nicht e<strong>in</strong>mal, was für e<strong>in</strong>e Strafe er überhaupt verbüßte.Er hatte sich verzweifelt gewünscht, endlich nach Hause zurückkehren zu können o<strong>de</strong>r zusterben. Im Gefängnis war er sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Zelle je<strong>de</strong>n Tag wie lebendig begrabenvorgekommen. Er war zwar nicht verrückt gewor<strong>de</strong>n, aber nur knapp. Nun wür<strong>de</strong> er amheutigen Tag endlich se<strong>in</strong>e Version <strong>de</strong>r D<strong>in</strong>ge erzählen, und man wür<strong>de</strong> ihm zuhörenmüssen!Der kle<strong>in</strong>e Gerichtssaal war so gut wie leer, als sie ihn betraten. Der Ankläger im Rangee<strong>in</strong>es Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs, <strong>de</strong>r Richter, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Commodore und damit e<strong>in</strong> Kapitänwar, <strong>de</strong>r bald <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Admiralsrang aufsteigen wür<strong>de</strong>, sowie e<strong>in</strong> Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g alsSchreiber waren anwesend. Dann noch Lan<strong>de</strong>r selbst sowie se<strong>in</strong> Rechtsbeistand Newman.Er wusste selbst, wie hoch er es Newman eigentlich anrechnen musste, dass e<strong>in</strong> solchrespektierter und geachteter Mann ihn verteidigte. Es war aber auch e<strong>in</strong> Beweis dafür,dass <strong>die</strong> halbe Navy ahnte, dass hier etwas anrüchig roch. O<strong>de</strong>r etwa doch nicht? War e<strong>in</strong>junger Mann namens Patrick Lan<strong>de</strong>r allen wirklich <strong>de</strong>rmaßen egal?Allgeme<strong>in</strong> wur<strong>de</strong>n zunächst Salute ausgetauscht, dann schüttelte man sich <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong>.Newman entschuldigte sich für <strong>die</strong> halbstündige Verspätung von Lan<strong>de</strong>rsGefängnisshuttle, es hatte am Sprungtor e<strong>in</strong>en Unfall gegeben und <strong>de</strong>r Pilot hatte wartenmüssen.


Als er <strong>die</strong>sen förmlichen Smalltalk vernahm, schüttelte Lan<strong>de</strong>r sich <strong>in</strong>nerlich. Er trug e<strong>in</strong>eAusgehuniform und war sich darüber im Klaren, dass er bald 22 Jahre alt se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>. Erwar mittlerweile e<strong>in</strong> relativ alter Sub-Lieutenant - und noch dazu e<strong>in</strong>er, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mSprungtor <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Sektor Leeds und somit se<strong>in</strong>er Familie plus se<strong>in</strong>em Zuhause so nahewar, wie noch nie seit se<strong>in</strong>er Rückkehr!Das dunkle Sehnen <strong>in</strong> ihm nahm schreckliche Ausmaße an, als er sich se<strong>in</strong>e Eltern undse<strong>in</strong> ganzes Zuhause vorzustellen versuchte. Den dreckigen Arbeiterplaneten Leeds.Trotz<strong>de</strong>m das re<strong>in</strong>ste Para<strong>die</strong>s, <strong>de</strong>nn dort wür<strong>de</strong> er frei se<strong>in</strong>.Das sich entsp<strong>in</strong>nen<strong>de</strong> juristische Palaver ersparte er sich und malte sich se<strong>in</strong> Zuhauseganz genau aus. Wenn er es doch nur noch e<strong>in</strong>mal wie<strong>de</strong>rsehen könnte!„… zur Verlesung <strong>de</strong>r Anklageschrift.“ Der Ankläger ergriff se<strong>in</strong> Datapad und erhob sich.„Verehrtes Gericht, <strong>de</strong>m Angeklagten Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n schwere Vergehenvorgeworfen, <strong>die</strong> größtenteils <strong>die</strong> Verhängung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe gemäß <strong>de</strong>mFlottenhandbuch rechtfertigen. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um folgen<strong>de</strong> Verbrechen: Bruch <strong>de</strong>sgeleisteten Offiziersei<strong>de</strong>s, Mittäterschaft bei <strong>de</strong>r Meuterei auf <strong>de</strong>r Brisbane, Verrat an <strong>de</strong>rbretonischen Krone, Paktierung mit Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Krone, schwerer Raub, <strong>de</strong>r zumeist anZivilisten verübt wur<strong>de</strong>, Veräußerung von Staatseigentum, namentlich von zweiFusionsbomben, Beteiligung an <strong>de</strong>r Zerstörung von Staatseigentum, kaltblütiger Mord an79 Crewmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r York, Preisgabe von Militärgeheimnissen undGeheim<strong>in</strong>formationen gegenüber unbefugten Dritten <strong>in</strong> Omega-7, Bestechlichkeit undAnnahme von Vergünstigungen, grobe Insubord<strong>in</strong>ation gegenüber mehrerenVorgesetzten, namentlich Capta<strong>in</strong> Phillip Harris, Comman<strong>de</strong>r Victor Marlowe undLieutenant Comman<strong>de</strong>r Lord Daniel Fowley, mehrmalige Verweigerung gegenüber jenenVorgesetzten, üble Nachre<strong>de</strong> gegenüber <strong>de</strong>m ehrenhaften Comman<strong>de</strong>r Marlowe undallgeme<strong>in</strong> mangeln<strong>de</strong>r E<strong>in</strong>satz bei <strong>de</strong>r Verteidigung <strong>de</strong>s bretonischen Volkes sowie grobeFahrlässigkeit. All <strong>die</strong>s wird durch <strong>die</strong> Verhörprotokolle und wenn möglich durch <strong>die</strong>Aussagen von Zeugen belegt. Wir haben es <strong>in</strong> Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>rs Fall mit e<strong>in</strong>emskrupellosen Killer zu tun.“Mit offenem Mund starrte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ankläger an. Ihm blieb förmlich <strong>die</strong> Luft weg. DerLieutenant Comman<strong>de</strong>r erwi<strong>de</strong>rte <strong>de</strong>n Blick offen, ja sogar fe<strong>in</strong>dselig. Er hatte e<strong>in</strong>eleichte Hakennase und e<strong>in</strong>e Fehlstellung <strong>de</strong>r Augen, <strong>de</strong>nn er schielte und trug <strong>de</strong>shalbe<strong>in</strong>e Sehhilfe.„Möchte <strong>die</strong> Verteidigung zu <strong>de</strong>n vorgebrachten Vorwürfen Stellung nehmen?“, richtete<strong>de</strong>r Vorsitzen<strong>de</strong> das Wort an Newman.Nach e<strong>in</strong>em langen Blick auf <strong>de</strong>n vor blankem Entsetzen wie betäubten Mandanten stand<strong>de</strong>r Anwalt auf. „Ja, Commodore. Bitte gestatten Sie mir, zu je<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Vorwürfe e<strong>in</strong>zelnStellung zu nehmen und ihn zu entkräften.“„Zu je<strong>de</strong>m, Sir?“ Der jüngste Offizier <strong>de</strong>s Gerichts schob se<strong>in</strong>e Brille zurecht und blickteseufzend auf <strong>die</strong> Uhr. Se<strong>in</strong> bohren<strong>de</strong>r Blick verriet Missbilligung und war für Lan<strong>de</strong>r kaumzu ertragen.„Ke<strong>in</strong>e Angst, ich wer<strong>de</strong> es kurz machen. Ich habe Beweise, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Verhörprotokollenwi<strong>de</strong>rsprechen.“Sowohl Lan<strong>de</strong>r als auch <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Männer blickten Newman jetzt fragend an.Der Sub-Lieutenant brachte noch immer ke<strong>in</strong> Wort heraus, also fuhr se<strong>in</strong> Anwaltbefriedigt fort: „Ich fürchte lei<strong>de</strong>r, dass bei <strong>de</strong>n Verhörprotokollen e<strong>in</strong>ige Tatsachenbewusst verdreht wur<strong>de</strong>n, um Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r möglichst viel Scha<strong>de</strong>n zuzufügen.Wir alle wissen, dass <strong>in</strong> Bretonia schwierige politische Zustän<strong>de</strong> herrschen, seit <strong>die</strong> zweiteFusionsbombe auf unserer Hauptwelt gezün<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>. Millionen Menschen starben, vielmehr wur<strong>de</strong>n körperlich schwer bee<strong>in</strong>trächtigt, <strong>die</strong> Börse brach e<strong>in</strong>, es gab Tausen<strong>de</strong>Obdach- sowie Mittellose und so weiter. Trotz<strong>de</strong>m ist uns nicht gelungen, e<strong>in</strong>en o<strong>de</strong>rmehrere Schuldige zu präsentieren. Zunächst wollte man <strong>die</strong> ganze Angelegenheit unter<strong>de</strong>n Teppich kehren und <strong>de</strong>n Sub-Lieutenant unehrenhaft entlassen, um so zuverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn, dass er irgendwann zum Problem wür<strong>de</strong>. Jene Vorgehensweise ist <strong>in</strong> solchenFällen fast üblich. Als <strong>die</strong>s jedoch nicht funktionierte, weil er sich dagegen verweigerte,erkannte man <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>ssen und fälschte bewusst Beweise, um ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong>senschweren Zeiten <strong>de</strong>m Volk als Sün<strong>de</strong>nbock zu präsentieren. Er war an Bord, also ist er<strong>de</strong>r Meuterei und <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s automatisch schuldig. Ihn zu exekutieren wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>m


leidgeprüften Volk auf New London <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat beweisen, dass wir doch nicht unfähig s<strong>in</strong>d,<strong>die</strong> wahren Schuldigen zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n.“„Das ist e<strong>in</strong>e sehr gewagte Theorie, Capta<strong>in</strong>.“ Die Augen <strong>de</strong>s hochnäsigen Anklägerstraten gera<strong>de</strong>zu aus <strong>de</strong>n Höhlen hervor.„Schwierige Zeiten erfor<strong>de</strong>rten schon immer ungewöhnliche Mittel. Ich wer<strong>de</strong> me<strong>in</strong>eTheorie untermauern, <strong>in</strong><strong>de</strong>m ich Ihnen e<strong>in</strong> Stück weit <strong>die</strong> Wahrheit präsentiere. Lei<strong>de</strong>rkann <strong>de</strong>r Vernehmungsoffizier se<strong>in</strong>e Aussagen nicht mehr machen, weil er vor vierMonaten unter zweifelhaften Umstän<strong>de</strong>n bei e<strong>in</strong>em Motorradunfall auf e<strong>in</strong>er Landstraßeauf Planet Cambridge ums Leben kam. Das ist e<strong>in</strong> sehr merkwürdiger Zufall, wie ichf<strong>in</strong><strong>de</strong>. Genau zwei Tage später wur<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sub-Lieutenant nach BPA Newgate und damit <strong>in</strong>e<strong>in</strong> Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Me<strong>in</strong>e Theorie ist, dass <strong>die</strong> Verhörprotokolle gegenFantasieberichte ausgetauscht wur<strong>de</strong>n. Deshalb bitte ich Sie, <strong>die</strong>se nachfolgen<strong>de</strong>n zehnSeiten zu lesen und <strong>die</strong> Sitzung danach zu vertagen, um e<strong>in</strong>en Zeugen vorzula<strong>de</strong>n.“„Bei e<strong>in</strong>er Militärgerichtsverhandlung gibt es ke<strong>in</strong>e Zeugen!“, hielt <strong>de</strong>r LieutenantComman<strong>de</strong>r dagegen.„Lesen Sie erst <strong>die</strong> folgen<strong>de</strong>n zehn Seiten.“ Newman holte <strong>die</strong> Blätter aus se<strong>in</strong>erAktentasche und legte sie <strong>de</strong>m Ankläger sowie <strong>de</strong>m Richter vor.Bei<strong>de</strong> Männer vertieften sich sofort h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> - e<strong>in</strong> Beweis für ihre Neugier.Lan<strong>de</strong>r lehnte sich zur Seite. „Was ist das für e<strong>in</strong> Bericht?“„Das darf ich Ihnen lei<strong>de</strong>r nicht sagen. Er ist streng geheim und an sich nurRegierungsmitglie<strong>de</strong>rn zugänglich“, wisperte se<strong>in</strong> Rechtsvertreter zurück.„Er betrifft mich doch direkt, Sir.“„Ja, aber nur, weil Sie mittlerweile e<strong>in</strong>e Regierungsangelegenheit s<strong>in</strong>d, heißt das nochlange nicht, dass Sie auch Ihre Nase <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e solche stecken dürfen! Selbst ich dürfte<strong>die</strong>ses Papier eigentlich nicht kennen, genauso wenig wie <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Herren da vorne.“Obwohl Lan<strong>de</strong>r noch mehr Fragen hatte, be<strong>de</strong>utete <strong>de</strong>r Kapitän ihm, dass er zu <strong>die</strong>semThema nichts mehr sagen wür<strong>de</strong>. So musste Lan<strong>de</strong>r warten und sich auf das Beobachten<strong>de</strong>r vielfältigen Reaktionen jener bei<strong>de</strong>n Männer konzentrieren, <strong>die</strong> das angeblicheBeweispapier lesen durften, das man ihm gna<strong>de</strong>nlos vorenthielt.„Ich hätte damals das Angebot <strong>de</strong>r sofortigen Entlassung annehmen sollen“, dachte erlaut. Er war noch immer geschockt von <strong>de</strong>n harten Anklagen und <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung nach <strong>de</strong>rTo<strong>de</strong>sstrafe.„Ja, vermutlich hätten Sie das tun sollen. Nun ist es jedoch zu spät dafür“, kommentierte<strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong>.Der Ankläger war zuerst fertig. Er nahm <strong>die</strong> Brille ab und putzte sie mit e<strong>in</strong>em besticktenTaschentuch. Es sollte allerd<strong>in</strong>gs nur se<strong>in</strong>e Nervosität kaschieren, <strong>de</strong>nn er starrte Lan<strong>de</strong>rdabei unverwandt an, bis <strong>die</strong>sem ganz unwohl wur<strong>de</strong>.Der Commodore brauchte länger, aber irgendwann war auch er fertig.„Wo haben Sie das her?“„Kann ich Ihnen lei<strong>de</strong>r nicht sagen, Sir“, beteuerte <strong>de</strong>r Verteidiger.„Wie sollen wir dann wissen, ob… Sir?“ Der hochnäsige Ankläger hatte fast se<strong>in</strong>eManieren im Umgang mit Vorgesetzten vergessen.„Sie könnten mit <strong>de</strong>m Verfasser <strong>de</strong>s Berichts sprechen, wenn Sie wollen. Deswegen habeich <strong>die</strong> Verhandlungspause erbeten. Er müsste erst herkommen, wenn man ihn vorlädt.Der Name steht ja unter <strong>de</strong>m Bericht.“„Sie haben aber doch nicht mit ihm über <strong>die</strong> Details gesprochen?“ Der Richter beäugteNewman scharf.„Ich habe noch überhaupt nicht mit ihm gesprochen. Ich möchte nur darauf verweisen,dass se<strong>in</strong> Name unter <strong>de</strong>m Bericht steht.“„Woher wollen Sie dann wissen, dass er kommen wür<strong>de</strong>, Sir?“, mischte sich <strong>de</strong>r Anklägererneut e<strong>in</strong>.Für e<strong>in</strong>en Moment er<strong>in</strong>nerte <strong>de</strong>r Kapitänleutnant <strong>de</strong>n Angeklagten an <strong>de</strong>n fastvergessenen Freund Duncan Avery. Die Er<strong>in</strong>nerung an ihre erste Begegnung ließ ihm <strong>die</strong>Tränen <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen schießen. Er hatte so viel an se<strong>in</strong>e Eltern gedacht, dass Avery dabeivöllig untergegangen war. Averys Schicksal war se<strong>in</strong>e Schuld, und das hatte verdrängenwollen. Vielleicht kannte <strong>de</strong>r Ankläger ihn sogar! Den alten Avery, nicht <strong>de</strong>n <strong>in</strong>irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er Irrenanstalt leben<strong>de</strong>n.Diese Vorstellung elektrisierte Lan<strong>de</strong>r so sehr, dass er sich auf <strong>die</strong> Lippe biss und schwor:


‚Lieber Gott, wenn ich das hier überlebe, dann hole ich Duncan da raus! Genauso wie ermich aus <strong>de</strong>n Grenzwelten geholt hat.’„… völlig irrelevant, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.“ Der Commodore auf <strong>de</strong>m Richterstuhl legte<strong>de</strong>n Bericht weg.„Sir?“ Auch Newman klang jetzt erregt.„Auf e<strong>in</strong> Wort <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Büro, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r!“ Der Richter wartete bisNewman, Lan<strong>de</strong>r und <strong>de</strong>r Protokollant aufgestan<strong>de</strong>n waren, dann verließ er <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>enGerichtssaal.„Was hat das zu be<strong>de</strong>uten?“„Es be<strong>de</strong>utet, dass wir vermutlich gewonnen haben.“„Aber…“„Ke<strong>in</strong> Aber. Das Papier ist echt, und <strong>de</strong>r Commodore weiß das.“„Wo ist <strong>de</strong>r Beweis für se<strong>in</strong>e Echtheit? Ich dachte, man müsse e<strong>in</strong>en Zeugen vorla<strong>de</strong>n.“„Muss <strong>de</strong>r Commodore nicht. Es ist echt.“„Aber warum <strong>de</strong>nn?!“„Weil er <strong>de</strong>n Bericht kennt, es aber nicht zugeben kann.“„Was <strong>de</strong>nn für e<strong>in</strong>en Bericht, zum Teufel?!“„Was wür<strong>de</strong> wohl Ihr Vater sagen, wenn er Sie so fluchen hören wür<strong>de</strong>, Lieutenant?“„Er wäre nicht begeistert, Sir“, gab Lan<strong>de</strong>r zerknirscht zu.„Genau <strong>de</strong>shalb müssen Sie es sich schnellstmöglich wie<strong>de</strong>r abgewöhnen. Bevor Sie zuHause ankommen, präzise gesagt.“Zuhause. Unfähig, se<strong>in</strong>er erneut aufwallen<strong>de</strong>n Emotionen Herr zu wer<strong>de</strong>n, schlug Lan<strong>de</strong>re<strong>in</strong>e Hand vor <strong>de</strong>n Mund, um e<strong>in</strong> Aufschluchzen zu unterdrücken. Erst jetzt begriff erwirklich, wie nahe er <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> war. Newman hatte als E<strong>in</strong>ziger verstan<strong>de</strong>n, worum eswirklich g<strong>in</strong>g. Er hatte nichts davon gesagt, aber prompt <strong>die</strong> richtige Strategie paratgehabt. Lan<strong>de</strong>r stand tief <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Schuld.„Ich war damals so dumm, als ich <strong>die</strong> Unterschrift verweigert habe.“„Wenn nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> halbes Jahr Gefängnis dazu gereicht hätte, Sie davon zuüberzeugen, dann müsste ich Ihrer Aussage <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat zustimmen. So besteht jedochaugensche<strong>in</strong>lich noch Hoffnung für Sie“, urteilte se<strong>in</strong> Anwalt schlichtweg. Er wollteansche<strong>in</strong>end noch mit se<strong>in</strong>er Belehrung fortfahren, aber <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Navyoffizierekehrten zurück, weshalb alle Anwesen<strong>de</strong>n erneut aufstehen mussten.„Im Namen Se<strong>in</strong>er bretonischen Majestät König William <strong>de</strong>m LXVII. ergeht gegen Sub-Lieutenant Patrick Lan<strong>de</strong>r von Planet Leeds das folgen<strong>de</strong> Urteil: Er wird aufgrund e<strong>in</strong>erE<strong>in</strong>igung zwischen Gericht und Anklage bis auf <strong>die</strong> Anklagepunkte betreffs <strong>de</strong>r bewusstenInsubord<strong>in</strong>ation, <strong>de</strong>r Fahrlässigkeit und daraus resultieren<strong>de</strong>n Tötung von 79Besatzungsmitglie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Schlachtschiffes York <strong>in</strong> Tau-31, <strong>de</strong>r üblen Nachre<strong>de</strong> und <strong>de</strong>rmangeln<strong>de</strong>n Bereitschaft zur Verteidigung <strong>de</strong>s bretonischen Volkes freigesprochen. Grundfür <strong>die</strong> Aufhebung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Anklagepunkte ist e<strong>in</strong> klarer Zweifel an <strong>de</strong>n vorgelegtenBeweisen. Die noch bestehen<strong>de</strong>n Anklagepunkte führen jedoch trotz<strong>de</strong>m zu e<strong>in</strong>erVerurteilung durch das hiesige Militärgericht. Sub-Lieutenant Patrick Lan<strong>de</strong>r wird mitsofortiger Wirkung unehrenhaft aus <strong>de</strong>r Royal Navy entlassen. Er hat auf Lebenszeit dasRecht verwirkt, als Offizier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy zu <strong>die</strong>nen und se<strong>in</strong>en Rang im Namen zuführen. Se<strong>in</strong> ausstehen<strong>de</strong>s Gehalt <strong>de</strong>r letzten neunzehn Monate wird nach Stellung <strong>de</strong>sbetreffen<strong>de</strong>n Antrages komplett auf se<strong>in</strong>en Kreditchip überwiesen, sobald e<strong>in</strong>eNeuausstellung e<strong>in</strong>es Kreditchips beantragt ist. Die verbüßte, knapp halbjährlicheHaftstrafe ist bereits <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kalkulation <strong>de</strong>s Urteils e<strong>in</strong>geflossen, weshalb <strong>die</strong>sbezüglichke<strong>in</strong>erlei Rechtsansprüche mehr geltend gemacht wer<strong>de</strong>n können. E<strong>in</strong> E<strong>in</strong>spruch nach<strong>die</strong>sem Gerichtsentscheid wird nicht zugelassen. Über <strong>die</strong> E<strong>in</strong>zelheiten <strong>die</strong>serGerichtsverhandlung sowie sämtliche <strong>die</strong> Brisbane betreffen<strong>de</strong>n militärisch relevantenInformationen hat er Stillschweigen zu bewahren.“Der Blick <strong>de</strong>s Flaggoffiziers ruhte auf Newman und war nicht beson<strong>de</strong>rs freundlich, als<strong>de</strong>r Mann noch h<strong>in</strong>zufügte: „Mister Lan<strong>de</strong>r hat e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong> Zeit, um <strong>de</strong>n militärischenSperrbereich <strong>de</strong>s Yards mit <strong>de</strong>m erstbesten Frachter zu verlassen. Sorgen Sie bitte dafürund auch für <strong>die</strong> entsprechen<strong>de</strong> Kleidung, <strong>de</strong>nn ich übertrage Ihnen hiermit <strong>die</strong>Verantwortung für <strong>die</strong> Ausführung <strong>die</strong>ser Anweisung, Capta<strong>in</strong>.“Damit g<strong>in</strong>g <strong>de</strong>r Richter. Der Ankläger h<strong>in</strong>gegen kam noch zu ihnen und me<strong>in</strong>te zuNewman: „Me<strong>in</strong>en Glückwunsch, Capta<strong>in</strong>. Das war e<strong>in</strong> völlig unerwarteter Schachzug.


Jetzt verstehe ich endlich, wieso Sie darauf bestan<strong>de</strong>n haben, Mister Lan<strong>de</strong>r zuverteidigen. Aber war es das wirklich wert?“Der ehemalige Kapitän <strong>de</strong>r Norfolk nahm <strong>de</strong>n Mann beiseite und sagte halblaut: „DasStillschweigen gilt auch für Sie, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.“„Ich will damit nichts mehr zu tun haben. Ich b<strong>in</strong> Militäranwalt, aber ke<strong>in</strong> Politiker!“„Sie s<strong>in</strong>d aber ke<strong>in</strong> schlechter Verlierer, o<strong>de</strong>r?“„Sehe ich so aus, Sir? In <strong>die</strong>sem Fall war es sicherlich das Beste. Wenn <strong>die</strong>Regierungsoberhäupter von Liberty, Kusari und Rhe<strong>in</strong>land geglaubt haben, was da <strong>in</strong><strong>de</strong>m von Ihnen vorgelegten Bericht steht, wer b<strong>in</strong> ich dann, <strong>de</strong>n Wahrheitsgehalt <strong>in</strong>Zweifel zu ziehen?“„Sie s<strong>in</strong>d Offizier <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy!“„Ja, das b<strong>in</strong> ich. Ganz im Gegensatz zu Mister Lan<strong>de</strong>r, wie ich fürchte.“„Das war abzusehen. Ich habe es erwartet, um ehrlich zu se<strong>in</strong>. Er kann froh se<strong>in</strong>, dass<strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r so gründlich arbeiten und dass <strong>de</strong>r Kerl damals ansche<strong>in</strong>end e<strong>in</strong>persönliches Interesse an ihm hatte.“„Die sp<strong>in</strong>nen eben, <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r. Manchmal aber auch im positiven S<strong>in</strong>ne.“„Sie sagen es, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.“Mit e<strong>in</strong>em Lachen und e<strong>in</strong>em Salut verabschie<strong>de</strong>te <strong>de</strong>r Ankläger von Newman und ließ siealle<strong>in</strong>. Der Beisitzer war bereits gegangen.„Sir…“„Sie s<strong>in</strong>d jetzt Zivilist, Mister Lan<strong>de</strong>r. Zivilisten müssen e<strong>in</strong>en Offizier nicht so betiteln.“Die verbale Ohrfeige se<strong>in</strong>es Retters tat weh. Obwohl Lan<strong>de</strong>r sich heute bereits gewünschthatte, dass er damals das Angebot angenommen hätte, war <strong>die</strong>se neue Situationtrotz<strong>de</strong>m e<strong>in</strong> Schock für ihn.„Ich wollte nicht…“„Jetzt ist es aber genug! Seien Sie wenigstens e<strong>in</strong> bisschen dankbar! Ohne mich wür<strong>de</strong>nSie morgen früh vor <strong>de</strong>m Erschießungskommando stehen, was Ihnen ansche<strong>in</strong>end immernoch nicht klar gewor<strong>de</strong>n ist!“Da Lan<strong>de</strong>r schwieg, entschuldigte sich Newman kle<strong>in</strong>laut: „Pardon. So was das nichtgeme<strong>in</strong>t, Mister. Nicht nur Sie haben etwas verloren. Auch ich musste für Sie sehr vielaufgeben. Me<strong>in</strong> Schiff zum Beispiel.“„Für mich, Sir? Sie haben das Kommando über <strong>die</strong> Norfolk wegen mir…“Die Unterbrechung kam abrupt, und Newman war seltsam heiser, als er abgehackthervorstieß: „Für Francis Brighton. Er war me<strong>in</strong> Freund und hätte nicht gewollt, dass Sieerschossen wer<strong>de</strong>n. Er ist <strong>in</strong> Tau-31 gestorben, damit Sie leben. Es war me<strong>in</strong>e Pflicht, IhrLeben zu retten.“Newmans Stimme war zunehmend brüchiger gewor<strong>de</strong>n.„Gehen Sie nach Hause. Ihre Familie wartet auf Sie. Es gibt Menschen, <strong>die</strong> Sie brauchen.Francis wusste, dass Ihre Familie sehr unter Ihrem Tod lei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Ihre Mutter war aufHyperbroadcast zu sehen. Sie hat <strong>de</strong>n Abschiedsbrief vorgelesen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Sie ihr für <strong>die</strong>Socken gedankt haben. Mister Avery hat <strong>de</strong>n Brief herausgeschmuggelt und Ihrer Familieüberbracht. Er wusste, dass Ihre Abschiedsworte sonst nie auf Leeds angekommenwären. Halb Sirius hat <strong>die</strong> Sendung vermutlich gesehen. Francis hat sich und 78Kamera<strong>de</strong>n geopfert, damit Sie Ihrer Mutter persönlich für <strong>die</strong> selbstgestrickten Sockendanken können!“Die Erkenntnis, dass se<strong>in</strong> Lebensretter Newman ihn nahezu hasste, war e<strong>in</strong> neuerlicherSchock. Lan<strong>de</strong>r brachte es nur fertig, zu nicken und irgendwie h<strong>in</strong>ter Newman zumHangar<strong>de</strong>ck zu gehen. Es wür<strong>de</strong> das letzte Mal se<strong>in</strong>, dass er auf e<strong>in</strong>em Yard war. E<strong>in</strong>Abschied auf Lebenszeit. Genauso e<strong>in</strong> Abschied von e<strong>in</strong>em kurz geträumtenLebenstraum.Nur das Versprechen, das er Duncan Avery <strong>in</strong> Gedanken gegeben hatte und welches ernun auf se<strong>in</strong>e ganze Familie ausweitete, gab ihm jetzt noch Halt. Er wollte für sie alle dase<strong>in</strong> und alles nachholen, was er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten neunzehn langen Monaten verpasst hatte.Der nicht allzu lange Weg zum Hangar<strong>de</strong>ck glich <strong>de</strong>nnoch e<strong>in</strong>em Spießrutenlauf. Auf <strong>de</strong>mDeck selbst wartete Daniel Fowley auf ihn. Der beför<strong>de</strong>rte Lieutenant Comman<strong>de</strong>r LordDaniel Fowley - angetreten mit se<strong>in</strong>em ranghöheren Freund Comman<strong>de</strong>r Victor Marlowe,um sich über Patrick Lan<strong>de</strong>rs Rauswurf aus <strong>de</strong>r Royal Navy zu mokieren.


Das war mit Abstand das Allerschlimmste für ihn. Es war Verrat und gab ihm <strong>de</strong>n Rest.Sie wur<strong>de</strong>n beför<strong>de</strong>rt, er verbrachte Monate im Gefängnis und wur<strong>de</strong> anschließend auchnoch unehrenhaft entlassen! Nicht zuletzt auch, weil sie ihn <strong>de</strong>r Insubord<strong>in</strong>ation undRespektlosigkeit gegenüber Vorgesetzten angezeigt hatten. Er war dankbar dafür, dass<strong>die</strong> Cly<strong>de</strong>sdale ihn schließlich vom Southampton Yard fortbrachte. Irgendwoh<strong>in</strong>. Woh<strong>in</strong>genau, das hatte er nicht e<strong>in</strong>mal verstan<strong>de</strong>n. Nur fort. Mehr zählte nicht mehr.Nach e<strong>in</strong>er mehr als halbtägigen Odyssee erreichte er endlich se<strong>in</strong>e Heimatwelt und stieg<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r ständig überfüllten Flugbusse um. Es war <strong>de</strong>r billigste Weg, um vomRaumhafen zu se<strong>in</strong>er Heimatstadt Heresbridge zu kommen.Er war zu Hause. Ohne Vergangenheit und ohne Zukunft war er <strong>in</strong> geschenktenKleidungsstücken von Capta<strong>in</strong> Newman schließlich hier angekommen. Er war e<strong>in</strong> Nichts.E<strong>in</strong> leeres Gefäß, das manchmal bei Regen überlief.Passen<strong>de</strong>rweise regnete es gera<strong>de</strong> auf Leeds, als er aus <strong>de</strong>m Flugbus sprang. Er versankbis zu <strong>de</strong>n Knöcheln im schwarzbraunen Matsch und blieb erst e<strong>in</strong>mal dar<strong>in</strong> stecken. Erfluchte und grub nach se<strong>in</strong>em l<strong>in</strong>ken Schuh, <strong>de</strong>n er dabei verloren hatte.Die Stadt hatte sich kaum verän<strong>de</strong>rt. Sie war noch so dreckig und ärmlich wie eh und je.Nur e<strong>in</strong>ige Gebäu<strong>de</strong> waren neu h<strong>in</strong>zugekommen o<strong>de</strong>r abgerissen wor<strong>de</strong>n. Hause<strong>in</strong>stürzewaren hier nicht gera<strong>de</strong> selten, weil Pfusch am Bau an <strong>de</strong>r Tagesordnung war. Auch <strong>die</strong>Luft auf Leeds war alles an<strong>de</strong>re als besser gewor<strong>de</strong>n. Heute wusch <strong>de</strong>r Regen <strong>die</strong>dreckigen Emissionen <strong>de</strong>r unzähligen Fabriken mit sich fort, genauso wie <strong>die</strong> Abgase <strong>de</strong>rvielen Autos.Vom Lan<strong>de</strong>platz <strong>de</strong>s Flugbusses bis zur Wohnung se<strong>in</strong>er Eltern waren es zehn Meilen.Normalerweise wäre er sie jetzt noch mit <strong>de</strong>m regulären Bus gefahren, aber er hatteke<strong>in</strong>e Lust, zu warten. Außer<strong>de</strong>m hatte er es ohneh<strong>in</strong> nicht eilig, <strong>de</strong>nn ihn erwarteteniemand. Manchmal sah er se<strong>in</strong> Gesicht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Pfützen auf <strong>de</strong>m dreckigenBürgersteig. Es war wie<strong>de</strong>r voller gewor<strong>de</strong>n, weil er im Gefängnis besseres und vor allemgenug Essen bekommen hatte. Voll und <strong>de</strong>nnoch hässlich. Er hasste sich selbst, obwohler wusste, dass er es nicht tun sollte. Se<strong>in</strong>e Familie wür<strong>de</strong> überglücklich se<strong>in</strong>, ihnwie<strong>de</strong>rzusehen. Hässlich, wie er war. Sie kannten ihn ja nicht an<strong>de</strong>rs.Er musste sich dann morgen früh gleich nach Avery erkundigen und schnellstmögliche<strong>in</strong>en Job f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, damit er e<strong>in</strong>e eigene Wohnung mieten und <strong>de</strong>n Beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten bald zusich holen konnte. Er war es ihm schuldig. Er war vielen Leuten etwas schuldig, aber erhatte nichts mehr zu geben. Er hatte ke<strong>in</strong>e Hoffnungen mehr, ke<strong>in</strong>e Illusionen und ke<strong>in</strong>eTräume. Alles war ihm nach und nach genommen wor<strong>de</strong>n. Er kam sich wie e<strong>in</strong> Automatvor, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>fach weiter funktionierte, ohne nach <strong>de</strong>m S<strong>in</strong>n zu fragen. Fragen nachirgen<strong>de</strong><strong>in</strong>em S<strong>in</strong>n taten weh. Selbsthass tat weh.Wenn nicht se<strong>in</strong>e Familie und Avery gewesen wären - und natürlich jene hasserfülltenWorte <strong>de</strong>s Capta<strong>in</strong>s, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Freund von <strong>de</strong>r York verloren hatte - hätte Lan<strong>de</strong>rvielleicht hier und jetzt Schluss gemacht. Irgendwie. Es war jedoch nicht richtig, sichumzubr<strong>in</strong>gen, wenn an<strong>de</strong>re e<strong>in</strong>en brauchten. Sich umzubr<strong>in</strong>gen, nach<strong>de</strong>m alles vorbeiwar und nur <strong>die</strong> Scherben se<strong>in</strong>es Lebens übrig blieben. Düster dachte er daran, dassauch <strong>die</strong>s nicht se<strong>in</strong>e Gedanken waren. Es waren Gedanken, <strong>die</strong> zu e<strong>in</strong>erGesellschaftsschicht gehörten, <strong>die</strong> nicht <strong>die</strong> Se<strong>in</strong>e war. Er kam aus <strong>de</strong>r Gosse - und dawar er jetzt wie<strong>de</strong>r gelan<strong>de</strong>t. Vier Jahre <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy, und nichts davon war unter<strong>de</strong>m Strich übrig geblieben. Nur e<strong>in</strong> ganzer Haufen Narben, außen und vor allem <strong>in</strong>nen.Er kehrte unfreiwillig <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Leben zurück, das <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Augen noch nie lebenswertgewesen war.Während se<strong>in</strong>e Stimmung so düster war wie <strong>die</strong> vom Smog und Kohlenstaub braungefärbten Wolken über ihm, legte er Kilometer um Kilometer zurück. Er g<strong>in</strong>g durch <strong>die</strong>Stadt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r er fast se<strong>in</strong> ganzes Leben verbracht hatte, und sah sie <strong>de</strong>nnoch nicht. Erbemerkte nicht e<strong>in</strong>mal, dass <strong>de</strong>r Regen aufhörte.Nach mehreren Stun<strong>de</strong>n blieb er erschöpft vor <strong>de</strong>m richtigen Mietshaus stehen. InOhnmacht fiel er natürlich nicht mehr, aber <strong>die</strong>s war nach <strong>de</strong>n langen Monaten <strong>in</strong> <strong>de</strong>rE<strong>in</strong>zelzelle Extremsport gewesen.


Er suchte nach <strong>de</strong>m Schlüssel <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Hosentasche, bis ihm auffiel, dass es we<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>eHose noch dass da jemals e<strong>in</strong> Schlüssel gewesen war.Er kl<strong>in</strong>gelte. Es war besser so als wenn er es sich noch an<strong>de</strong>rs überlegte. Konntedurchaus passieren, wenn er noch allzu lange hier stand.Nichts passierte. Vermutlich funktionierte <strong>de</strong>r Türöffner nicht. Er wischte ohne es zumerken <strong>de</strong>n Schmutzfilm auf se<strong>in</strong>em F<strong>in</strong>ger an <strong>de</strong>r nicht mehr son<strong>de</strong>rlich sauberen,durchweichten Hose ab und wandte sich um. Es war wirklich besser, wie<strong>de</strong>r zu gehen. E<strong>in</strong>guter Zeitpunkt, um <strong>de</strong>n Bus <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Stadt zu nehmen und dort von <strong>de</strong>rerstbesten Brücke zu spr<strong>in</strong>gen. E<strong>in</strong>e bessere To<strong>de</strong>sart fiel ihm auf Anhieb nicht e<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nnvor e<strong>in</strong> Auto o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Zug wollte er sich nicht werfen.Er hörte, wie <strong>die</strong> Tür h<strong>in</strong>ter ihm aufg<strong>in</strong>g, aber er drehte sich nicht um.„Warten Sie! Brauchen Sie e<strong>in</strong> paar Cent o<strong>de</strong>r etwas zu essen? Wir weisen nieman<strong>de</strong>m<strong>die</strong> Tür! Der Öffner ist nur kaputt! So warten Sie doch!“Der Pastor mit se<strong>in</strong>em untrüglichen Inst<strong>in</strong>kt, wann e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer Mensch dr<strong>in</strong>gend se<strong>in</strong>eHilfe brauchte. Er kam ihm sogar nach, sodass Lan<strong>de</strong>r unwillkürlich schneller g<strong>in</strong>g. Erwollte se<strong>in</strong>em Vater nicht <strong>in</strong>s Gesicht sehen. Er hatte nun schreckliche Angst davor.‚Nichts wird bei <strong>de</strong><strong>in</strong>er Rückkehr so se<strong>in</strong>, wie du es dir vorgestellt hast’, hörte er DuncanAverys Worte, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Freund damals an Bord <strong>de</strong>r Mule gesagt hatte. Der LieutenantComman<strong>de</strong>r hatte Recht behalten.Jeremiah Lan<strong>de</strong>r stellte sich ihm unverhofft <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Weg. „So warten Sie doch! S<strong>in</strong>d Sieneu <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Sta… Patrick?!“Nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges, ungläubiges Wort beschloss <strong>de</strong>n Satz. Es war e<strong>in</strong> Schrei aus ganzerSeele gewesen. Vermutlich vor Entsetzen, wie Lan<strong>de</strong>r dumpf dachte. Er wollteweitergehen, aber er konnte sich nicht rühren. Er war wie gelähmt, als se<strong>in</strong> Vater ihn jähan sich riss und umarmte. Jeremiah Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Gefühle sonst nie <strong>de</strong>rmaßen offenverraten hatte. Jener Mann, <strong>de</strong>r sich damals vor fast zwei Jahren nach Lan<strong>de</strong>rs Rückkehrzum Militär geweigert hatte, mit ihm zu sprechen. Vielleicht hatte <strong>de</strong>r Pfarrer durchse<strong>in</strong>en besseren Draht zum Himmel e<strong>in</strong>en Teil von <strong>de</strong>m geahnt, was se<strong>in</strong>em Sohnbevorstand.„Gelobt sei <strong>de</strong>r Herr, dass er dich wie<strong>de</strong>r hierher geführt hat! Komm re<strong>in</strong>, es wird baldwie<strong>de</strong>r regnen! Du bist ja bis auf <strong>die</strong> Haut nass und wirst dich sicherlich erkälten! Warumhast du <strong>de</strong>nn bloß nicht <strong>de</strong>n Bus genommen? Wo kommst du überhaupt her?“Es war e<strong>in</strong> <strong>de</strong>utliches Zeichen <strong>de</strong>r Aufregung <strong>de</strong>s Pfarrers, nicht zu bemerken, dass se<strong>in</strong>Sohn stumm blieb und ihm lediglich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Schicksal ergeben folgte.„Wer war es, Jeremiah?“, rief se<strong>in</strong>e Mutter aus <strong>de</strong>r Küche, als sie <strong>die</strong> Schritte imTreppenhaus hörte. Die Wohnungstür stand weit offen. Hier <strong>in</strong> Heresbridge klauteniemand beim Vorsteher <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>en Kirchengeme<strong>in</strong><strong>de</strong>.Se<strong>in</strong>e Mutter kochte gera<strong>de</strong> Porridge auf. Er roch es schon, noch bevor er h<strong>in</strong>ter se<strong>in</strong>emüberglücklichen Vater <strong>die</strong> Wohnung betrat.„War es Madam Hanley? Sie wollte sich e<strong>in</strong>e me<strong>in</strong>er Schürzen leihen.“„Rate, wer es ist, Anne!“ Der Pfarrer schrie <strong>die</strong> Worte heraus. „Ratet, wer gekommenist…“Den schrillen Schrei, als se<strong>in</strong>e Mutter aus <strong>de</strong>r Küche gestürmt kam und se<strong>in</strong>er Personansichtig wur<strong>de</strong>, wür<strong>de</strong>n we<strong>de</strong>r Patrick Lan<strong>de</strong>r noch irgendwer sonst im gesamtenMietshaus jemals vergessen. Vermutlich war <strong>de</strong>r emotionale Aufruhr noch draußen auf<strong>de</strong>r Straße zu hören gewesen.„Patrick… me<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d! Me<strong>in</strong> geliebter Sohn…“ Den Rest verstand er nicht mehr, weil sie ihnan sich drückte und es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Hemdbrust murmelte. Genau genommen brach sie ihmfast noch <strong>die</strong> Rippen.Sie schrie, sie we<strong>in</strong>te, sie sprang vor Freu<strong>de</strong> auf und ab, ja sie war wie von S<strong>in</strong>nen.Er ertrug es so gut wie möglich, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er düsteren <strong>de</strong>pressiven Gemütslage war er aberunfähig, es zu erwi<strong>de</strong>rn. Er wollte alle<strong>in</strong> se<strong>in</strong> und weiter durch <strong>die</strong> Straßen laufen. Ziellosund hoffnungslos.Aus <strong>de</strong>m Augenw<strong>in</strong>kel bemerkte er, wie <strong>die</strong> Tür zu se<strong>in</strong>em K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer aufg<strong>in</strong>g, undvor allem erkannte er <strong>die</strong> Gestalt, <strong>die</strong> sich e<strong>in</strong>händig an <strong>de</strong>r Tür entlangtastete. Bl<strong>in</strong>d undmit e<strong>in</strong>em Baby im Arm.Der Pastor sah es ebenfalls und eilte h<strong>in</strong>, um das K<strong>in</strong>d wegzunehmen.„Patrick?“


Es war Wirklichkeit! Schlagartig wur<strong>de</strong> auch Lan<strong>de</strong>r von an<strong>de</strong>ren Gefühlen übermannt.Unglaube, Überraschung, Freu<strong>de</strong> - <strong>in</strong> genau <strong>die</strong>ser Reihenfolge.„Duncan!“Zum Glück für das Baby lag es sicher <strong>in</strong> Jeremiah Lan<strong>de</strong>rs Armen, <strong>de</strong>nn Lan<strong>de</strong>r befreitesich und hatte <strong>die</strong> drei Schritte zwischen ihnen im Nu zurückgelegt. Sie fielen e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rum <strong>de</strong>n Hals, wobei <strong>de</strong>r Freund ihn halb hochhob.„Du bist es wirklich! Ich kann es nicht fassen! Ich… wir…“ Averys Stimme brach vorEmotion. Er konnte nicht weitersprechen.„Ich b<strong>in</strong> so froh!“ Nicht nur Avery war übermannt, son<strong>de</strong>rn auch Lan<strong>de</strong>r. Genauso wie <strong>die</strong>bei<strong>de</strong>n älteren Leute. Das K<strong>in</strong>d heulte, weil es nicht verstand, was los war.Verständlicherweise übertönte das gellen<strong>de</strong> Babygebrüll alles an<strong>de</strong>re.Duncan Avery war nicht verrückt! Lan<strong>de</strong>rs letzte Er<strong>in</strong>nerung, <strong>die</strong> aus jenen langenM<strong>in</strong>uten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Jägerrettungskapsel stammte, verriet ihm klar das Gegenteil. Se<strong>in</strong> Freundhatte zu jener Zeit nach Lan<strong>de</strong>rs Me<strong>in</strong>ung sowohl se<strong>in</strong>en Verstand als auch se<strong>in</strong>Gedächtnis verloren. Er hatte nur unartikuliert geschrien, bis Lan<strong>de</strong>r davon halb taubgewesen war.„Das ist mit Abstand <strong>de</strong>r glücklichste Tag <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben!“, verkün<strong>de</strong>te Avery.Es kl<strong>in</strong>gelte an <strong>de</strong>r Tür, aber sie achteten we<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n ebenso vor Freu<strong>de</strong> we<strong>in</strong>en<strong>de</strong>nJermiah Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Gruppe neugieriger Nachbarn wegschickte und e<strong>in</strong>er Frau dasBaby <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand drückte, noch auf Anne Lan<strong>de</strong>r, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>die</strong> Küche stürmte und zumersten Mal <strong>in</strong> ihrem Leben Hafergrütze hatte anbrennen lassen.„Ich wollte gehen… ich konnte nicht warten, Duncan. Ich wollte nicht mehr leben!“,stammelte Lan<strong>de</strong>r. „Wenn Vater mir nicht nachgekommen wäre…“„Wie konntest du nur! Wir haben seit Monaten auf dich gewartet. Ich auch, seit <strong>de</strong><strong>in</strong>ebarmherzigen Eltern mich aufgenommen haben, und du willst e<strong>in</strong>fach gehen, anstatt zuuns allen nach Hause zu kommen...“Es war e<strong>in</strong>zig <strong>de</strong>m Pastor zu verdanken, dass se<strong>in</strong>e eifersüchtige Frau nichtdazwischeng<strong>in</strong>g. Patrick war ihr Sohn und <strong>in</strong>teressierte sich gar nicht für se<strong>in</strong>e Muttero<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Vater!„Sie haben viel mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r durchgemacht. Lass sie“, beschwichtigte ihr Mann, aber aucher teilte ihre Gefühle e<strong>in</strong> Stück weit. Nur, was sollte man machen? Ihr Sohn war schonimmer an<strong>de</strong>rs gewesen.Wie<strong>de</strong>r kl<strong>in</strong>gelte es an <strong>de</strong>r Tür. Ansche<strong>in</strong>end wusste bereits das ganze Haus Bescheid,<strong>de</strong>nn es war Clare Swift aus <strong>de</strong>r Teerun<strong>de</strong>, <strong>die</strong> im Nachbarhaus wohnte. Bei ihrem Anblickschob Jeremiah Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Frau zur Tür und postierte sich daneben, damit <strong>die</strong>sesKlatschweib ihm auch ja nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wohnung kam. We<strong>de</strong>r jetzt noch irgendwann, wennes nach ihm g<strong>in</strong>ge. Lei<strong>de</strong>r hatte se<strong>in</strong>e Frau da stets e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Me<strong>in</strong>ung, aber heutewür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Pastor se<strong>in</strong>en Standpunkt durchsetzen.„Sorry, aber wir feiern privat.“„Irre ich mich, o<strong>de</strong>r hast du ihr gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> Tür vor <strong>de</strong>r Nase zugemacht, Frau?“„Na ja…“ Verlegen rieb Anne Lan<strong>de</strong>r sich <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> an <strong>de</strong>r Schürze ab. „Ich dachte, dassdu sie ja sowieso nicht magst. Außer<strong>de</strong>m sollte sie nicht sehen, dass mir das Porridgeangebrannt ist!“„Ich glaube, das hat sie sowieso schon gerochen.“„Ach, me<strong>in</strong>st du wirklich?“„Ich glaube, man riecht es im gesamten Treppenhaus.“„Herrje!“ Sie stürzte <strong>in</strong> <strong>die</strong> Küche, um dort das Fenster aufzureißen und <strong>de</strong>nverräterischen Gestank zu vertreiben. Zufrie<strong>de</strong>n sah Jeremiah Lan<strong>de</strong>r ihr nach und drehtesich dann um. Der Flur war leer und <strong>die</strong> Tür zum K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer geschlossen. Wie <strong>de</strong>rGeistliche dachte, wür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n sich vermutlich gegenseitig helfen. Nötig hatten siees. Nun, da er Zeit zum Nach<strong>de</strong>nken hatte, fiel <strong>de</strong>m Pastor nämlich sehr wohl auf, dasses se<strong>in</strong>em Sohn alles an<strong>de</strong>re als gut gegangen war. ‚Hoffentlich wird Duncan es wie<strong>de</strong>rrichten.’


„Und warum bist du hier?“, fragte Lan<strong>de</strong>r schließlich leise. Er ließ <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e baumeln undhatte m<strong>in</strong>utenlang <strong>de</strong>m Regen zugehört, <strong>de</strong>r an <strong>die</strong> Fensterscheibe prasselte.„Warum warst du bis heute nicht hier?“, erfolgte sofort Averys Gegenfrage. Sie machteLan<strong>de</strong>r glücklich, weil er nun wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n alten Lieutenant Comman<strong>de</strong>r vor sich sah: e<strong>in</strong>enJuristen mit messerscharfer Zunge, <strong>de</strong>r immer <strong>de</strong>n eigenen Standpunkt durchsetzenwollte.Lan<strong>de</strong>r gab <strong>de</strong>m Anspruch nach und erklärte: „Sie haben mich verhaftet.“„Warum?“„Ich habe e<strong>in</strong> Papier…“„Haben sie es dir also auch vorgelegt?“„Nun lass mich doch erst e<strong>in</strong>mal zum En<strong>de</strong> kommen, Duncan!“ Lan<strong>de</strong>r lehnte sich anAverys Schulter und zog <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e an, genauso wie se<strong>in</strong> Freund es auch vor ihrem langenSchweigen getan hatte. „Sie haben mir <strong>die</strong>ses Papier vorgelegt und versucht, mich zurUnterschrift zu zw<strong>in</strong>gen. Ich habe zweimal Ne<strong>in</strong> gesagt, also haben sie mich weggesperrtund mir e<strong>in</strong>e blöds<strong>in</strong>nige Anklage untergejubelt.“„Was für e<strong>in</strong>e Anklage?“„Ich dachte schon, du fragst schon wie<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Warum.“ Lan<strong>de</strong>r musste über <strong>de</strong>neigenen schlechten Witz furchtbar lachen. Er befand sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Art glücklicher Ekstase,genau wie se<strong>in</strong> Freund.„Entschuldige.“ Auch Avery kicherte albern, bevor <strong>de</strong>r Laut abrupt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kehleerstarb. „Du hast mich ja auch etwas gefragt. Es war sehr egoistisch von mir…“„Schon gut.“„Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>. Du hast e<strong>in</strong> Recht darauf, zu erfahren, warum ich mich <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>em Zimmerund überhaupt bei <strong>de</strong><strong>in</strong>en Eltern e<strong>in</strong>quartiert habe. Ich will dir jedoch nichts wegnehmen,im Gegenteil…“„Ach Duncan, ich bitte dich…“„Jetzt lass du mich bitte auch ausre<strong>de</strong>n!“, gebot Avery ihm energisch und fuhr dann fort:„Bei mir haben sie es genauso gemacht wie bei dir. Ich wollte es dir irgendwann sagen,aber doch nicht gleich <strong>in</strong> jener Nacht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mule! Es wäre so viel auf e<strong>in</strong>mal gewesen,und ich wollte dich nicht schockieren, <strong>in</strong><strong>de</strong>m ich alles…“„Nichts, was du mir erzählst, kann mich umhauen. Du bist me<strong>in</strong> bester Freund“,protestierte Lan<strong>de</strong>r vehement.„Mag se<strong>in</strong>, aber ich konnte auch nicht darüber sprechen, das musst du verstehen.“ Dieblanken Augen se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s fixierten ihn, als wür<strong>de</strong> Avery ihn tatsächlich sehen.Lan<strong>de</strong>r erschau<strong>de</strong>rte.„Mir haben sie <strong>die</strong>sen Wisch auf Southampton vorgehalten. Aufgelesen hat mich <strong>die</strong> Crew<strong>de</strong>r York ja noch <strong>in</strong> Tau-31 am Sprungtor. Sie haben mich losgeschnitten, mit <strong>de</strong>nWorten: ‚E<strong>in</strong>er lebt noch!’ aus <strong>de</strong>r Kapsel gehoben und mir erst e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>Beruhigungsmittel gegeben, nach<strong>de</strong>m ich auch auf Befehl h<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> klares Wortherausbekam. Dann g<strong>in</strong>g es mit e<strong>in</strong>em Frachter zum Yard nach New London. Ich me<strong>in</strong>e,Raven hatte mich mit drei Leichen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e enge Rettungskapsel gesetzt. Ich war ebenvöllig außer mir. Als ich auf <strong>de</strong>m Yard gelan<strong>de</strong>t war, war es etwas besser. Sie haben michdrei Stun<strong>de</strong>n lang ausgefragt, dann sagten sie plötzlich, ich müsse <strong>die</strong>seE<strong>in</strong>verständniserklärung noch eben unterschreiben. Es war re<strong>in</strong>e Taktik. Erst haben siemich alles nochmals erleben lassen und sich Notizen gemacht, dann kam <strong>die</strong> harmloseUnterschrift, damit ich nach Hause gehen könne. Ich habe me<strong>in</strong> Signum darunter gesetztund wur<strong>de</strong> prompt <strong>in</strong>s Krankenhaus e<strong>in</strong>geliefert. In e<strong>in</strong> ziviles Krankenhaus! Ich glaubtean e<strong>in</strong>en Irrtum, aber es war ke<strong>in</strong>er. Wenigstens hatte ich eure Abschiedsbriefe bei mirbehalten. Durchsucht haben sie mich zum Glück nicht. Je<strong>de</strong>nfalls war ich ab dann Zivilist.Me<strong>in</strong>e Familie und me<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> haben sich anfangs um mich bemüht und mir e<strong>in</strong>enStu<strong>die</strong>nplatz verschafft, aber sowohl <strong>die</strong> Navy als auch sie hatten etwas dagegen, dassich euch helfen wollte, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern mich angerufen haben. Ich habe michdurchgesetzt, aber me<strong>in</strong> Vater hat mich vor <strong>die</strong> Wahl gestellt: entwe<strong>de</strong>r me<strong>in</strong> Erbe o<strong>de</strong>r<strong>de</strong>r Pflichtteil <strong>de</strong>ssen und <strong>de</strong>r Flug <strong>in</strong> <strong>die</strong> Grenzwelten. Ich habe nachgerechnet, michentschie<strong>de</strong>n und davon <strong>die</strong> Mule sowie <strong>die</strong> restliche Ausrüstung gekauft. Außer<strong>de</strong>mwollten <strong>de</strong>r Pilot und <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Geld. Nur Janet und Alexan<strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d aushumanitären Grün<strong>de</strong>n mitgekommen.“„Großer Gott! Du hast…“


„Ich habe mich ausbezahlen lassen und unterschrieben, dass ich auf <strong>de</strong>n Titel und dasrestliche Erbe verzichte. Danach war ich für me<strong>in</strong>e Familie und lei<strong>de</strong>r auch für <strong>die</strong> liebeSusan Bascombe of Hast<strong>in</strong>gs gestorben, aber das war mir egal. Im En<strong>de</strong>ffekt s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>eEltern und Geschwister gestorben, als <strong>die</strong> Bombe auf New London fiel. Danach war <strong>die</strong>Sache ohneh<strong>in</strong> erledigt. Unser Familienbesitz auf New London und Cambridge gehörtjetzt wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Krone. Lord Marlowe, also Victor Marlowes Vater, hat unser Gut aufCambridge <strong>de</strong>r Krone abgekauft, wie mir zu Ohren kam. Die Marlowes können es ebengut mit <strong>de</strong>m König, und da kann auch mal e<strong>in</strong> seit <strong>de</strong>r Besie<strong>de</strong>lung von Siriusexistieren<strong>de</strong>s Krongut von <strong>de</strong>r politischen Landkarte gelöscht wer<strong>de</strong>n!“ Bitterkeit sprachaus Averys Worten, als er sagte: „Das Parlament hat das alles abgesegnet. UnserGeschlecht ist jetzt ausgestorben. Es gibt ke<strong>in</strong>e Averys of Sussex mehr, und Susan hat<strong>die</strong> Verlobung mit mir ja gelöst. Me<strong>in</strong>e Ex-Verlobte bewegt sich nach wie vor <strong>in</strong> hohenKreisen und kennt mich nicht mehr.“Den Rest <strong>de</strong>r Geschichte konnte Lan<strong>de</strong>r sich alle<strong>in</strong> <strong>de</strong>nken. Er legte e<strong>in</strong>en Arm um AverysSchulter und drückte ihn an sich. „Me<strong>in</strong> Beileid.“„Warum? Wäre ich bei ihnen gewesen, wäre ich jetzt genauso tot wie alle an<strong>de</strong>renMitglie<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>er Familie. Gott hat mich geschont, weil ich euch retten wollte. Me<strong>in</strong>eLeute waren auch ke<strong>in</strong>e gute Familie wie du und <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d. Wären sie esgewesen, hätten sie mich verstan<strong>de</strong>n und nicht kurzerhand enterbt.“„Wir, Duncan. Für mich gehörst du längst hierher.“ Streng genommen war Avery sogarnoch ärmer dran als Lan<strong>de</strong>rs Familie. Er besaß gar nichts mehr.„Das hat <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater mir auch schon gesagt. Ich wusste ja nicht, woh<strong>in</strong> ich gehen sollte.Man hat mich gegen me<strong>in</strong>en Willen von Elbich ausgeflogen. Ich habe alles mitbekommen,was vorg<strong>in</strong>g, wusste sogar, dass du dich sehr schlecht fühltest, aber ich konnte michwegen <strong>de</strong>r Drogennachwirkungen nicht ungeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt sprachlich artikulieren. Diese Drogenaus <strong>de</strong>n Grenzwelten s<strong>in</strong>d wohl unglaublich stark und waren <strong>de</strong>n Mediz<strong>in</strong>ern <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>landfast gänzlich unbekannt. Trotz<strong>de</strong>m haben sie mir e<strong>in</strong>mal zusätzlich e<strong>in</strong>e Wahrheitsdroge<strong>in</strong>jiziert, was es nur noch schlimmer machte. Sie hielten mich danach alle erst recht fürverrückt und steckten mich <strong>in</strong> <strong>die</strong> Psychiatrie auf Planet Stuttgart! E<strong>in</strong> schönes Haus mite<strong>in</strong>em großen Zimmer sowie Gittern vor <strong>de</strong>n Fenstern ganz für mich alle<strong>in</strong>, dabei wollteich doch nur zu dir. Nach drei endlosen Wochen haben sie das auch begriffen, da ichdann Gott sei Dank wie<strong>de</strong>r normal sprechen konnte. Du warst aber angeblich längst weg,und ke<strong>in</strong>er wollte mir sagen woh<strong>in</strong>. Nur e<strong>in</strong>e Mauer <strong>de</strong>s Schweigens. Ich nahm an, siehätten dich nach Hause entlassen und wollte nach Leeds, aber dann g<strong>in</strong>g es los. Siehaben mich wi<strong>de</strong>rrechtlich festgehalten und <strong>in</strong> <strong>die</strong> Mangel genommen. In Bretonia hatmich ja ke<strong>in</strong>er vermisst, nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern. Ihnen hat <strong>die</strong> ganze Zeit überniemand etwas mitgeteilt. Also wussten sie nicht, dass ich dich gefun<strong>de</strong>n habe und dumich danach gerettet hast.“Lan<strong>de</strong>r war empört, auch wenn alles e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n ergab. Deswegen hatte man ihn ewigwegsperren können! Avery war <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land auf <strong>die</strong>selbe Art und Weise behan<strong>de</strong>ltwor<strong>de</strong>n. „Was haben sie dort mit dir gemacht?“Das leichte Zögern dauerte e<strong>in</strong>ige Sekun<strong>de</strong>n. „Sie haben mich nicht misshan<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r so.Die Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r haben mich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Kl<strong>in</strong>ik irgendwo auf New Berl<strong>in</strong> gebracht undwochenlang immer wie<strong>de</strong>r verhört. Meistens haben auch sie dabei Drogen benutzt.Insbeson<strong>de</strong>re am Verbleib <strong>de</strong>r Fusionsbomben waren sie sehr <strong>in</strong>teressiert, dabei habe ichdoch kaum etwas mitbekommen, weil ich ja nichts gesehen habe.“„Wann haben sie dich heimgeschickt?“„Vor sieben Wochen b<strong>in</strong> ich hier angekommen. E<strong>in</strong> gewisser Lieutenant Fel<strong>de</strong>n hat allesarrangiert. Ich hatte ja ke<strong>in</strong> Geld und <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern auch nicht.“„Konrad Fel<strong>de</strong>n?“„Genau <strong>de</strong>r. Er hat sich auch um mich gekümmert. Du kennst ihn?“„Er ist vermutlich vom rhe<strong>in</strong>ländischen Militärgeheim<strong>die</strong>nst“, folgerte Lan<strong>de</strong>r schau<strong>de</strong>rnd.„Er hat von ärztlicher Schweigepflicht gesprochen und alles weitergegeben, was ich ihmgesagt habe. Ich habe ihm vertraut.“„Ja, das mit <strong>de</strong>m Geheim<strong>die</strong>nst nehme ich auch an. Am En<strong>de</strong> b<strong>in</strong> ich jedoch hier gelan<strong>de</strong>tund von <strong>de</strong><strong>in</strong>en Eltern sehr nett empfangen wor<strong>de</strong>n. Ich hatte sonst ke<strong>in</strong>en Platz, woh<strong>in</strong>ich gehen konnte. Deshalb falle ich ihnen und somit auch dir jetzt zur Last. Ich versuche,


mit Babysitten und ähnlichen D<strong>in</strong>gen etwas Geld zu ver<strong>die</strong>nen, aber es ist sehr schwierigfür mich.“„Du bist me<strong>in</strong> Freund und ke<strong>in</strong>e Last!“ Er empfand große Bewun<strong>de</strong>rung für Avery. Se<strong>in</strong>bl<strong>in</strong><strong>de</strong>r Freund hatte sich hier ansche<strong>in</strong>end klaglos e<strong>in</strong>gefügt und war <strong>in</strong> gewisser Weisesogar noch tiefer gefallen als Lan<strong>de</strong>r.„Was ist mit <strong>de</strong><strong>in</strong>en Augen? Haben <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r dich wenigstens untersucht?“„Nicht so richtig. Es war ihnen egal. Me<strong>in</strong> Geisteszustand war wichtiger, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r hattedirekten E<strong>in</strong>fluss auf <strong>de</strong>n Wert me<strong>in</strong>er Aussagen.“ Avery pausierte kurz. „Ich war aberhier auf Leeds bei e<strong>in</strong>em sehr netten Augenarzt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik. Er konnte mich nichtrichtig untersuchen, aber er me<strong>in</strong>te, es gäbe vielleicht e<strong>in</strong>e neue Operationsmetho<strong>de</strong>, mit<strong>de</strong>r ich womöglich wie<strong>de</strong>r etwas sehen könnte.“„Wie teuer ist <strong>die</strong> OP?“ E<strong>in</strong> völlig natürlicher Gedankengang auf Planet Leeds. Vor allemaber sagte Averys ausweichen<strong>de</strong>s Verhalten genug aus.„Ungefähr achtzigtausend Credits. Es ist e<strong>in</strong>e Spezialkl<strong>in</strong>ik auf Planet Cambridge. Alle<strong>in</strong><strong>de</strong>r Flug <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Touristenklasse kostet dreitausend. Das kann ich mir nie leisten, alsohabe ich von da an ke<strong>in</strong>en weiteren Gedanken mehr daran verschwen<strong>de</strong>t.“Das war e<strong>in</strong>e Lüge. Lan<strong>de</strong>r konnte es sich zwar nicht vorstellen, wie es war, plötzlichbl<strong>in</strong>d zu se<strong>in</strong>, nach<strong>de</strong>m man se<strong>in</strong> ganzes Leben lang hatte sehen können, aber er stelltees sich sehr schlimm vor. Er spürte, dass Avery log und garantiert täglich an <strong>die</strong>unerreichbare OP dachte.„Was wür<strong>de</strong>st du sagen, wenn ich dir das Geld vielleicht schenken könnte?“„Ich wür<strong>de</strong> ablehnen“, kam wie aus <strong>de</strong>r Pistole geschossen <strong>die</strong> Antwort. „E<strong>in</strong>e Frau aus<strong>de</strong>r Nachbarstadt kommt manchmal vorbei. Sie hat e<strong>in</strong>e bl<strong>in</strong><strong>de</strong> Tochter und br<strong>in</strong>gt mirBraille bei.“„Was ist das?“„Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>nschrift.“„Du kannst es doch nicht e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong>nehmen! Ernsthaft, Duncan. Ich bekomme nochme<strong>in</strong>e Gehaltsnachzahlung. Das dürfte von <strong>de</strong>r Summe her <strong>in</strong> etwa h<strong>in</strong>kommen.“ Lan<strong>de</strong>rweigerte sich beharrlich, aufzugeben.„Das könnte ich niemals annehmen! De<strong>in</strong>e Familie ist so arm.“„Du bist für mich e<strong>in</strong> Teil me<strong>in</strong>er Familie. Wir s<strong>in</strong>d alle arm! Außer<strong>de</strong>m s<strong>in</strong>d wir immerohne so viel Geld klargekommen. Ich b<strong>in</strong> auch ohne groß und stark gewor<strong>de</strong>n, weißt du?“So siehst du auch aus! Du und groß und stark, das ist echt witzig.“„Danke“, kommentierte Lan<strong>de</strong>r säuerlich. „Pass auf, ich fahre morgen zum Amt und lassemir me<strong>in</strong>en Ausweis sowie me<strong>in</strong>en Kreditchip ausstellen. Dann schicke ich gleich <strong>de</strong>nAntrag nach Southampton. En<strong>de</strong> nächster Woche könnte das Geld bereits hier se<strong>in</strong>. Unddann fliegst du nach Cambridge!“„Lass uns nächste Woche nochmals darüber re<strong>de</strong>n, wenn das Geld da ist. Ich <strong>de</strong>nkewirklich, dass ihr…“„Wir! Solange ich lebe, wirst du nie auf <strong>de</strong>r Straße stehen. Du bist <strong>de</strong>r beste Freund, <strong>de</strong>nich je hatte.“„Und du bist <strong>de</strong>r ehrlichste und e<strong>in</strong>zige.“„Ich habe auch nicht gera<strong>de</strong> viele davon, weißt du?“ Lan<strong>de</strong>r schlug ihm auf <strong>de</strong>n Rücken.„Und das will ich auch gar nicht!“„Ich b<strong>in</strong> so froh, dass ich dich über Lieutenant Lord Fowley kennengelernt habe.“„Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Lord Fowley bitte.“Avery ächzte. „Was?“„Wie du’s gehört hast. Ich habe ihn auf <strong>de</strong>m Yard gesehen. Ihn und Comman<strong>de</strong>rMarlowe.“S<strong>in</strong>d <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n also noch immer dicke Freun<strong>de</strong>.“„Sche<strong>in</strong>t so. Hat <strong>de</strong>r liebe Lord sich mal bei dir gemel<strong>de</strong>t?“„Machst du Witze? Er hat mir nur e<strong>in</strong>en netten Brief geschrieben und e<strong>in</strong>en Scheckgeschickt. Als Entlohnung me<strong>in</strong>er Mühen und Dank für <strong>die</strong> Rettung se<strong>in</strong>er Person. Ichfrage mich nur, was se<strong>in</strong> Freund Marlowe dazu gesagt hat.“„Aber dann hättest du doch das Geld für <strong>die</strong> OP.“„Denkst du wirklich, dass ich <strong>die</strong>ses schmutzige Geld angenommen hätte? Es s<strong>in</strong>dAlmosen gewesen, Patrick. Ich will aber ke<strong>in</strong>e Almosen haben! Und schon gar nicht vone<strong>in</strong>em Daniel Fowley!“


„Nun reg dich doch nicht auf!“„Ich rege mich aber auf!“, wi<strong>de</strong>rsprach Avery laut. „Ich will nichts aus Mitleid geschenkthaben!“„Auch nicht aus Freundschaft?“Schlagartig errötend suchte Avery nach Worten. „Ich… ne<strong>in</strong>… ach verdammt!“ Er schlang<strong>die</strong> Arme um Lan<strong>de</strong>rs Hals und we<strong>in</strong>te.Über e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong> lang heulte er sich aus, während Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>fach nur dasaß und ihnfesthielt. Nach jenem Zusammenbruch wusste er, wie Avery sich fühlte. Er sah sichselbst als beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten, nutzlosen Krüppel, war verletzt und voller Angst, se<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigenFreun<strong>de</strong>n zur Last zu fallen, <strong>die</strong> sich wegen ihrer christlichen I<strong>de</strong>ale bloß nicht trauten,ihn vor <strong>die</strong> Tür zu setzen. Duncan Avery hatte Angst vor <strong>de</strong>r Straße o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>mPflegeheim, aus <strong>de</strong>m er sicherlich nie wie<strong>de</strong>r entlassen wür<strong>de</strong>, wenn man ihn e<strong>in</strong>mal dorte<strong>in</strong>lieferte.Lan<strong>de</strong>r beruhigte ihn, entkräftete jene Selbstvorwürfe und versuchte, Trost zu spen<strong>de</strong>n,bis <strong>die</strong> Tränen aus <strong>de</strong>n bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Augen endlich versiegten. Vor allem fühlte er sich wie e<strong>in</strong>Verräter. Er hatte wegen se<strong>in</strong>er Entlassung und <strong>de</strong>s Erlebten mit <strong>de</strong>m Gedanken anSelbstmord gespielt, während se<strong>in</strong> bester Freund viel mehr Grund dazu hatte, als erselbst und trotz<strong>de</strong>m so sehr auf se<strong>in</strong>e Rückkehr gehofft hatte. Das war unverzeihlich.Capta<strong>in</strong> Newmans Aussage, dass Patrick Lan<strong>de</strong>r von an<strong>de</strong>ren Menschen dr<strong>in</strong>gendgebraucht wur<strong>de</strong>, bewahrheitete sich jetzt nur zu sehr. Auf ihn zu warten war AverysLebens<strong>in</strong>halt gewor<strong>de</strong>n, weil er ke<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren mehr hatte und nach eigener Aussage zunichts mehr taugte. Nun, da Lan<strong>de</strong>r frei war, lag es an ihm, se<strong>in</strong>em Freund e<strong>in</strong>en neuenLebens<strong>in</strong>halt zu geben.„Hör auf, Duncan! Bitte, du bist dir wohl gar nicht darüber im Klaren, wie sehr ich dichbrauche, o<strong>de</strong>r?“„Ich b<strong>in</strong> dir doch ke<strong>in</strong>e Hilfe. Ich b<strong>in</strong> nicht e<strong>in</strong>mal mir selbst e<strong>in</strong>e!“ E<strong>in</strong> neuer Sturzbachg<strong>in</strong>g nie<strong>de</strong>r.„Doch! Ich schwöre dir bei me<strong>in</strong>er Ehre, dass ich am Bo<strong>de</strong>n zerstört war, als ich hierankam. Ich wollte sogar wie<strong>de</strong>r gehen, weil ich es nicht ertrug, me<strong>in</strong>en Eltern <strong>in</strong> <strong>die</strong>Augen zu sehen. Dank dir kann ich es wie<strong>de</strong>r. Das ist <strong>de</strong><strong>in</strong> Ver<strong>die</strong>nst. Mir ist egal, ob dusehen kannst o<strong>de</strong>r nicht. Du bleibst trotz<strong>de</strong>m me<strong>in</strong> bester Freund. Ich weiß nicht, ob ichjemals über alles wer<strong>de</strong> sprechen können, aber falls <strong>de</strong>m so se<strong>in</strong> sollte, b<strong>in</strong> ich mirsicher, dass du <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige bist, <strong>de</strong>r mich versteht. Ich b<strong>in</strong> selbst ebenso bee<strong>in</strong>trächtigtwie du, aber eben auf geistiger Ebene. Du bist wirklich ke<strong>in</strong>e Last für mich und wirst auchnie e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>. Ich wer<strong>de</strong> mir e<strong>in</strong>e Arbeit suchen, und wenn du wie<strong>de</strong>r sehen kannst, dannnehmen wir uns e<strong>in</strong>e eigene Wohnung. Me<strong>in</strong> wichtigster Gedanke war heute, dass ichdich schnellstmöglich aus <strong>de</strong>m Heim hole. Ich wusste ja nicht, dass du seit Wochen hierbei me<strong>in</strong>en Eltern lebst. Dich hier zu sehen war wirklich wun<strong>de</strong>rbar. Von mir aus kannstdu me<strong>in</strong> Bett, <strong>die</strong>ses Zimmer, ja alles haben, was ich besitze, wenn du nur da bist.achtzigtausend Credits s<strong>in</strong>d nichts im Vergleich zu me<strong>in</strong>em Wunsch, dir <strong>de</strong><strong>in</strong> Augenlichtwie<strong>de</strong>rzugeben. Ich wür<strong>de</strong> dir alles dafür geben. Du hast so viel für mich getan. Ichwer<strong>de</strong> dir das nie vergelten können und möchte daher nur, dass du me<strong>in</strong> Freund bleibst.“Als Antwort auf <strong>die</strong>ses hervorgestoßene Geständnis brach <strong>de</strong>r Damm bei Avery erneut.Diesmal we<strong>in</strong>te er jedoch nicht aus Verzweiflung, son<strong>de</strong>rn vor Rührung und klammertesich an Lan<strong>de</strong>r fest.In <strong>die</strong>se Szene platzte Anne Lan<strong>de</strong>r und vermel<strong>de</strong>te: „Das Essen ist fertig. Es ist zwaretwas angebrannt, aber…“ Hilflos brach sie ab und starrte <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong> an.Vermutlich rechnete sie überhaupt nicht damit, dass ihr eigener Sohn gefasster wirkte als<strong>de</strong>r ältere Avery.„Wir kommen gleich, Mutter.“ Lan<strong>de</strong>r lächelte, während er das sagte. Nun war er wirklichzu Hause.Als er sich schließlich vorsichtig aus Averys Umklammerung lösen wollte, flüsterte <strong>de</strong>rFreund bewegt, ohne loszulassen: „Ich schwöre, immer da zu se<strong>in</strong>, wenn du michbrauchst. Viel kann ich dir nicht geben, aber ich wer<strong>de</strong> immer <strong>de</strong><strong>in</strong> Freund se<strong>in</strong>, Patrick.Immer, solange ich lebe.“Lan<strong>de</strong>r strich e<strong>in</strong>e Haarsträhne aus <strong>de</strong>r Stirn <strong>de</strong>s Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n und erwi<strong>de</strong>rte <strong>die</strong> Umarmungfest. Jetzt musste auch er plötzlich we<strong>in</strong>en, da Avery ihm nach <strong>de</strong>r Befreiung noch e<strong>in</strong>großartiges Geschenk gemacht hatte. „Und ich schwöre dir, dass du immer e<strong>in</strong>en Platz


ei mir haben wirst - ganz egal, wie <strong>de</strong><strong>in</strong>e OP ausgeht. Ich wer<strong>de</strong> dich nie alle<strong>in</strong> lassen.We<strong>de</strong>r jetzt noch <strong>in</strong> aller Zukunft. Du musst mir nichts geben, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong><strong>in</strong>e bed<strong>in</strong>gungsloseFreundschaft ist bereits das beste Geschenk von allen. Ich wer<strong>de</strong> auch für immer <strong>de</strong><strong>in</strong>Freund se<strong>in</strong>, Duncan.“„Normalerweise begießt man solch e<strong>in</strong>en geschlossenen Freundschaftspakt mitChampagner o<strong>de</strong>r etwas Ähnlichem...“ Averys Stimme stockte.„Mir reicht <strong>de</strong><strong>in</strong> Salzwasser“, verkün<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r ehrlich.Daraufh<strong>in</strong> lächelte <strong>de</strong>r Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>. „De<strong>in</strong>es mir auch. Ich hoffe nur, dass du <strong>de</strong><strong>in</strong>e Worte niebereuen wirst.“„Rechnest du <strong>de</strong>nn damit, sie jemals zu bereuen?“„Ne<strong>in</strong>, wie könnte ich <strong>de</strong>nn! Du bist <strong>de</strong>r wichtigste Mensch <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben! Darandarfst du niemals zweifeln!“ Der Freund war ehrlich erschrocken, ja sogar entrüstet.„Siehst du. Und du bist mir genauso wichtig und teuer wie me<strong>in</strong>e Eltern. Also re<strong>de</strong> bittenie wie<strong>de</strong>r davon, dass ich etwas bereuen könnte!“„Wollt ihr <strong>de</strong>nn nicht endlich essen kommen? Das Porridge wird kalt!“, schrie Lan<strong>de</strong>rsMutter aus <strong>de</strong>m Wohnzimmer herüber.„Ja, Mutter!“ Lan<strong>de</strong>r machte Anstalten, aufzustehen, und <strong>die</strong>smal ließ Avery ihn los.„Soll ich dir <strong>de</strong><strong>in</strong>e Portion herbr<strong>in</strong>gen, o<strong>de</strong>r kommst du mit?“ Lan<strong>de</strong>r war klar, dass se<strong>in</strong>Freund durch <strong>die</strong> vielen vergossenen Tränen viel mitgenommener aussah und auch warals er selbst.„De<strong>in</strong>e Mutter besteht doch darauf, dass im Wohnzimmer gegessen wird.“„Aye.“„Na dann los, wir wollen sie doch nicht warten lassen!“„Ich habe seit fast zwei Jahren ke<strong>in</strong> gutes Porridge mehr gegessen.“„Dann wird es höchste Zeit!“ Avery war <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r ihn mit <strong>in</strong>s Wohnzimmer zog.„Mister Phillips, e<strong>in</strong> gewisser Mister Lan<strong>de</strong>r möchte Sie sprechen.“Die Antwort <strong>de</strong>s Chefs war nicht ganz verständlich, aber <strong>die</strong> stark geschm<strong>in</strong>kte Sekretär<strong>in</strong>w<strong>in</strong>kte Lan<strong>de</strong>r heran und <strong>de</strong>utete auf e<strong>in</strong>e Tür an <strong>de</strong>r h<strong>in</strong>teren Wand <strong>de</strong>s Büros. „Dorth<strong>in</strong>e<strong>in</strong> bitte. Der Chef erwartet Sie.“„Danke, Madam.“ Es war nichts Neues mehr, <strong>de</strong>nn das Proze<strong>de</strong>re war <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letztenTagen immer gleich gewesen. Er hatte sich vorgestellt, e<strong>in</strong> paar Fragen waren formuliertwor<strong>de</strong>n, und dann hatte er wie<strong>de</strong>r gehen dürfen.Ke<strong>in</strong> Grund mehr, noch Herzklopfen zu bekommen, son<strong>de</strong>rn eher e<strong>in</strong>er, sich zu ärgern.E<strong>in</strong>mal über <strong>die</strong> verschwen<strong>de</strong>te Zeit und zum an<strong>de</strong>ren über das herablassen<strong>de</strong> Getuesowie <strong>die</strong> dummen Fragen. Wenn er nicht so dr<strong>in</strong>gend e<strong>in</strong>e Arbeit gebraucht hätte…Diesmal war es e<strong>in</strong> Mann, <strong>de</strong>r noch kle<strong>in</strong>er war als Patrick Lan<strong>de</strong>r. Das stellte wirkliche<strong>in</strong>e Seltenheit dar. Er trug e<strong>in</strong>en schwarzen Ziegenbart und hatte durchdr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong> blaueAugen, <strong>die</strong> nicht dazu passten.Vor sich hatte er <strong>die</strong> Bewerbungsmappe liegen, und <strong>die</strong>s zeigte Lan<strong>de</strong>r, dass jenerpotenzielle Arbeitgeber sie sogar gelesen hatte. Das war e<strong>in</strong>e Ausnahme.Die letzten acht hatten es allesamt nicht getan, sie ihm ungelesen wie<strong>de</strong>r zurückgegebenund e<strong>in</strong>e nichtssagen<strong>de</strong> Begründung genannt, warum man ihn nicht nahm. Und das,obwohl <strong>die</strong> Wirtschaft auf Planet Leeds momentan florierte.„Edward Jeffreys, mir gehört Dorset Manufactur<strong>in</strong>g. Nehmen Sie bitte Platz, MisterLan<strong>de</strong>r“, stellte <strong>de</strong>r Mann sich vor.„Danke.“ Der Stuhl war sogar bequem und recht teuer. Genau wie das ganze Büro.Eigentlich recht verwun<strong>de</strong>rlich, <strong>de</strong>nn es war e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>heimische kle<strong>in</strong>e Firma. Lan<strong>de</strong>r ließ<strong>de</strong>n Blick verstohlen durch <strong>de</strong>n Raum schweifen und wartete darauf, dass <strong>de</strong>r Firmenchefmit <strong>de</strong>m Gespräch anf<strong>in</strong>g. Der Mann war seltsam eloquent für e<strong>in</strong>en Arbeitgeber <strong>in</strong> <strong>die</strong>serRegion von Planet Leeds.„Wollen Sie bei mir arbeiten?“E<strong>in</strong> abrupter und unvermittelter Beg<strong>in</strong>n. Für Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> letzten viere<strong>in</strong>halb Jahrefortgewesen war, war immer noch schwierig, sich wie<strong>de</strong>r darauf e<strong>in</strong>zustellen. Auf PlanetLeeds waren <strong>die</strong> Leute sehr direkt, fast so wie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten. Man war eben


pragmatisch und kam direkt zur Sache. Er bl<strong>in</strong>zelte kurz verdutzt und erwi<strong>de</strong>rte dann:„Ja, Mister. Ich brauche sehr dr<strong>in</strong>gend Arbeit, um me<strong>in</strong>e Familie zu unterstützen.“„Auf welchem Schiff waren Sie stationiert?“Der Chef konnte also zwischen <strong>de</strong>n Zeilen lesen. Lan<strong>de</strong>r hatte se<strong>in</strong>e Tätigkeit bei <strong>de</strong>rRoyal Navy ja <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Lebenslauf nicht verschweigen können, aber er hatte sie sounwichtig dargestellt wie möglich. Lei<strong>de</strong>r war er bereits 21 und wur<strong>de</strong> bald 22. Zu alt, ume<strong>in</strong>e Ausbildung zu machen, also <strong>in</strong>teressierten sich <strong>die</strong> Arbeitgeber natürlich dafür, waser seit se<strong>in</strong>em fünfzehnten Lebensjahr getan hatte. Er war länger zur Schule gegangenals <strong>die</strong> meisten an<strong>de</strong>ren E<strong>in</strong>heimischen und dann zur auf Planet Leeds relativ verhasstenRoyal Navy gegangen. Zwei sehr gute Grün<strong>de</strong>, ihn nicht e<strong>in</strong>zustellen. Er war für <strong>de</strong>nleedser Arbeitsmarkt zu alt und zu <strong>in</strong>telligent. Leute für <strong>die</strong> gehobenen Positionen bei <strong>de</strong>ngrößeren Konzernen kamen fast alle aus an<strong>de</strong>ren Sektoren Bretonias, aber nicht vonhier. Und kle<strong>in</strong>e Firmen stellten nieman<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r <strong>in</strong>telligenter war als <strong>de</strong>r Chefpersönlich.„Auf <strong>de</strong>r Oxford.“ Es war besser als <strong>de</strong>n Namen <strong>de</strong>s letzten Schiffes zu nennen, auf <strong>de</strong>mer ge<strong>die</strong>nt hatte.„Und danach?“Überrascht taxierte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Firmenchef. Der Mann begegnete <strong>de</strong>m mit e<strong>in</strong>em Lächelnund sagte: „Es kann sehr <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong>, was Leute schreiben, und noch mehr, was sienicht schreiben. Ganz davon abgesehen, dass Sie seit langen Jahren <strong>de</strong>r Erste s<strong>in</strong>d, <strong>de</strong>rmir überhaupt e<strong>in</strong>e Bewerbungsmappe e<strong>in</strong>gereicht hat. Normalerweise läuft das hier aufLeeds an<strong>de</strong>rs.“„Das ist mir bekannt.“ Mehr wusste Lan<strong>de</strong>r nicht zu sagen.„Also? Was haben Sie nach <strong>de</strong>r Zerstörung Ihres Schiffes bei <strong>de</strong>r Navy gemacht?“Jeffreys war unnachgiebig.„Ich war auf <strong>de</strong>r Brisbane stationiert, Mister.“E<strong>in</strong> leichtes Hochziehen <strong>de</strong>r Oberlippe verriet ihm, dass <strong>de</strong>r Mann e<strong>in</strong>s und e<strong>in</strong>szusammenzählen konnte. Die Brisbane war nebst ihrer verräterischen Crew <strong>in</strong> ihrer Rolleals Meutererschiff und Bedrohung für Sirius oft <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Me<strong>die</strong>n erwähnt wor<strong>de</strong>n. Wer sichdafür <strong>in</strong>teressierte, wusste das.„Sie waren Offizier“, stellte Jeffreys fest. „Mit bestan<strong>de</strong>nem A-Level müssen Sie Offiziergewesen se<strong>in</strong>. Warum s<strong>in</strong>d Sie jetzt hier?“„Die Royal Navy hat mich entlassen.“ Das Gespräch begann, für Lan<strong>de</strong>r richtigunangenehm zu wer<strong>de</strong>n. Wenn er <strong>de</strong>n Job nicht so dr<strong>in</strong>gend gebraucht hätte…„Und <strong>de</strong>shalb suchen Sie e<strong>in</strong>en Job auf Leeds? Mit Ihren Schulzeugnissen? Was haben Sie<strong>de</strong>nn erwartet? Was wollen Sie hier?“Es schien Lan<strong>de</strong>r, als wolle <strong>de</strong>r Mann ihn verspotten. Dies war e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art vonAbneigung gegen <strong>die</strong> Navy. Und er musste es sich auch noch klaglos gefallen lassen, weiler etwas von <strong>die</strong>sem unverschämten Kerl wollte!„Ich habe erwartet, e<strong>in</strong>en Job zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Egal, was für e<strong>in</strong>en. Me<strong>in</strong> Vater ist <strong>in</strong>Heresbridge Pastor und hat mir berichtet, dass e<strong>in</strong> Mitglied se<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> bei Ihnenarbeitet. Er hat auf Nachfrage nach <strong>de</strong>r Predigt letzten Sonntag erfahren, dass Sie neueLeute suchen, weil Sie expan<strong>die</strong>ren wollen. Deshalb b<strong>in</strong> ich hier.“Auf gut Englisch war er hier, um Jeffreys anzubetteln, ihm doch bitte e<strong>in</strong>en Job zu geben.Stolz war auf Planet Leeds Luxus, <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>r sich gera<strong>de</strong> nicht leisten konnte.Die Royal Navy hatte ihm das ausstehen<strong>de</strong> Gehalt noch nicht überwiesen, obwohl erlängst kalkuliert hatte, wie viel ihm zustand. Es waren 90.877 Credits. Gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>malgenug für Duncan Averys Reise nach Planet Cambridge und für <strong>die</strong> Operation, sofern sie<strong>de</strong>nn möglich war. Auf Leeds waren neunzigtausend Credits e<strong>in</strong> riesiges Vermögen, aberAvery brauchte das Geld, und damit war es gut. Vielleicht bliebe unter <strong>de</strong>m Strich noche<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Summe übrig, aber wahrsche<strong>in</strong>lich wäre eher das Gegenteil <strong>de</strong>r Fall. DerAufenthalt auf Cambridge kostete extra und war aufgrund <strong>de</strong>r vielen Touristen sehrteuer, wie se<strong>in</strong> Freund ihm e<strong>in</strong>mal gesagt hatte.Es war daher besser, wenn Lan<strong>de</strong>r arbeiten g<strong>in</strong>g, und zwar sofort.Jeffreys lehnte sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Le<strong>de</strong>rsessel zurück und verschränkte <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> <strong>in</strong>e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r.„Ah ja, Ihr Vater. Es ist <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat sehr ungewöhnlich, dass e<strong>in</strong> Pastor sonntags <strong>in</strong> <strong>de</strong>rKirche <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> nach Arbeit für se<strong>in</strong>en Sohn fragt.“


E<strong>in</strong> erneuter Na<strong>de</strong>lstich. Auch Lan<strong>de</strong>r war sehr erbost gewesen. Er wäre sogar amliebsten im Bo<strong>de</strong>n versunken, als Jeremiah Lan<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Kanzel vor allen Leuten davonangefangen hatte. Das konnte er jedoch nicht e<strong>in</strong>gestehen, <strong>de</strong>nn Jeremiah Lan<strong>de</strong>r hattees ja nur gut geme<strong>in</strong>t. „In <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> me<strong>in</strong>es Vaters stehen <strong>die</strong> Leute nochzue<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, Mister.“„Offensichtlich. Ich frage mich nur, als was Sie <strong>de</strong>nn bei mir arbeiten wollen. Ich brauchefür <strong>die</strong> Ziegelherstellung ungelernte Leute mit handwerklichem Geschick. Das Geschäftboomt momentan zwar wegen <strong>de</strong>s großen Bedarfs für <strong>de</strong>n Wie<strong>de</strong>raufbau auf Planet NewLondon, aber <strong>die</strong> Konkurrenz ist groß. Außer<strong>de</strong>m s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Preise für <strong>die</strong> Rohstoffe, <strong>die</strong> wirvon <strong>de</strong>r In<strong>de</strong>pen<strong>de</strong>nt M<strong>in</strong>ers’ Guild aus <strong>de</strong>n Grenzwelten geliefert bekommen, dadurchenorm <strong>in</strong> <strong>die</strong> Höhe geschnellt. An<strong>de</strong>re Leute kann ich lei<strong>de</strong>r nicht gebrauchen.“„Ich b<strong>in</strong> auch hergekommen, um mich für e<strong>in</strong>e <strong>die</strong>ser Stellen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ziegelei zubewerben.“„Sie wollen bei mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ziegelfabrik arbeiten?“ Verblüfft starrte Jeffreys ihn an. „Sie mitIhrer Ausbildung?!“„Ich kann es mir nicht leisten, wählerisch zu se<strong>in</strong>, Mister. Ich muss me<strong>in</strong>e Familie un<strong>de</strong><strong>in</strong>en Freund f<strong>in</strong>anziell unterstützen.“„Sie re<strong>de</strong>n von Mister Avery?“„Woher wissen Sie das alles?“ Nun war Lan<strong>de</strong>r fast sprachlos.„Ich weiß eben, was vor sich geht. Er ist ja durch <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n gegangen. Se<strong>in</strong>eAnwesenheit auf Planet Leeds ist daher allgeme<strong>in</strong> bekannt. Enterbte und verarmteentfernte Verwandte <strong>de</strong>r Königsfamilie, <strong>die</strong> früher e<strong>in</strong>mal Anspruch auf e<strong>in</strong>en Lordstitelhatten, gibt es hier auf Leeds eben nicht an je<strong>de</strong>r Ecke. E<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r Klatschblätter erwähntesogar <strong>de</strong>n Familiennamen Lan<strong>de</strong>r und Ihre Heimatstadt Heresbridge. Ich musste also nur<strong>die</strong> Fakten aufad<strong>die</strong>ren, um zu <strong>de</strong>n richtigen Schlüssen zu kommen. Genau das istübrigens auch <strong>de</strong>r Grund, weshalb Sie jetzt hier sitzen. Ich war e<strong>in</strong>fach neugierig.“Heiß und prickelnd schoss das Blut <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Wangen. Man hatte Duncan Averysschlimmes Schicksal also <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Klatschblättern breitgetreten? Er war fassungslos undwütend darüber, dass jemand wie Jeffreys es ihm so ganz beiläufig auf <strong>de</strong>n Kopf zusagte.Trotz<strong>de</strong>m weiterh<strong>in</strong> um <strong>die</strong> Arbeitsstelle <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ziegelei betteln zu müssen, war e<strong>in</strong>eErniedrigung ohnegleichen für ihn. Er dachte daran, wie sehr Avery sich freuen wür<strong>de</strong>,wenn er endlich wie<strong>de</strong>r sehen könnte, und alle<strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Gedanke verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte, dass er hierund jetzt <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Büro an <strong>die</strong> Decke g<strong>in</strong>g.„Wie viele Menschen haben Sie <strong>in</strong> Ihrem Leben schon durch eigene Hand getötet? … Ichme<strong>in</strong>e, <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten.“„Acht“, hörte Lan<strong>de</strong>r sich selbst völlig unbeteiligt sagen.„Bürger <strong>de</strong>r regulären Häuser?“Er war nur e<strong>in</strong>e Kuriosität für Jeffreys, mehr nicht. Trotz<strong>de</strong>m war es um se<strong>in</strong>eSelbstbeherrschung langsam geschehen. „Glauben Sie ernsthaft, dass ich dann hierstehen wür<strong>de</strong>?!“„Ehrlich gestan<strong>de</strong>n nicht. Sie haben also Krim<strong>in</strong>elle getötet?“„Das und ehemalige Crewmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Brisbane.“„Kommen Sie morgen früh um acht hierher. Ich brauche dann <strong>die</strong> Nummer von IhremKreditchip, Ihre Krankenversicherungsnummer und e<strong>in</strong>e Kopie Ihres Ausweises.“„Me<strong>in</strong>e Krankenversicherungsnummer?“ Lan<strong>de</strong>r konnte <strong>de</strong>m Mann kaum folgen. „Dasist…“„… auf <strong>die</strong>sem Planeten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat unüblich. Sie tun auch gut daran, gegenüber Ihrenzukünftigen Kollegen ke<strong>in</strong> Wort darüber zu verlieren. Sie ver<strong>die</strong>nen drei Credits undachtzig Cent <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong>, das s<strong>in</strong>d 1,20 weniger als <strong>die</strong> restlichen Angestellten. Dafürarbeiten Sie je<strong>de</strong>n Abend zwei Stun<strong>de</strong>n länger als <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren.“„Moment mal!“ Der Mann hatte also auch noch vor, ihn und se<strong>in</strong>e Notlage auszunutzen.Von <strong>die</strong>sen 3,80 Credits <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong> wür<strong>de</strong> er sich selbst krankenversichern und auchnoch m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens dreißig Cent Steuern abführen müssen. Unter <strong>de</strong>m Strich blieb somit sogut wie nichts mehr übrig. „Das ist…“„… mehr als gerechtfertigt, wenn man be<strong>de</strong>nkt, dass ich Sie dafür krankenversichere undIhren Freund Avery ebenfalls e<strong>in</strong>stelle, sofern er das möchte.“„Was? Duncan ist schwer sehbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt…“


„Genau genommen ist er bl<strong>in</strong>d, wenn ich richtig gehört habe, was me<strong>in</strong>e liebe Ehefraumir gestern Abend erzählte. Nichts<strong>de</strong>stotrotz ist Ihr Freund stu<strong>die</strong>rter Jurist, wenn auchke<strong>in</strong> vollkommener. Dafür müsste er weiter stu<strong>die</strong>ren und se<strong>in</strong>en Master machen, abervielleicht kann er das ja irgendwann nach se<strong>in</strong>er Operation tun. Die Mediz<strong>in</strong>technologieist heutzutage sehr weit fortgeschritten.“Irgendwo war Lan<strong>de</strong>rs Begreifen völlig auf <strong>de</strong>r Strecke geblieben. Er starrte Jeffreys an.„Sie wollen Duncan ebenfalls e<strong>in</strong>stellen? Als was <strong>de</strong>nn?“„Offiziell als Bürohilfe. Das erlaubt mir, ihn für weniger als zwei Credits <strong>die</strong> Stun<strong>de</strong> zubeschäftigen.“ Der Mann wischte Lan<strong>de</strong>rs aufkommen<strong>de</strong>n Protest h<strong>in</strong>weg und fuhr fort:„Inoffiziell wird er bei Ihnen zu Hause arbeiten können, o<strong>de</strong>r ich hole ihn persönlichhierher, wenn ich se<strong>in</strong>e Dienste benötige. Dementsprechend wird er fünf Credits proStun<strong>de</strong> bekommen und nur wenige Stun<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Woche tatsächlich arbeiten müssen.Deswegen das niedrige Gehalt, da ich ihn auf Tageslohnbasis e<strong>in</strong>stellen muss. Mirsche<strong>in</strong>t, dass er sicherlich sehr gut <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage wäre, me<strong>in</strong>en Papierkram <strong>in</strong> <strong>die</strong> richtigeForm zu br<strong>in</strong>gen und mich <strong>in</strong> Rechtsfragen zu beraten. Er hat auf Planet Cambridgestu<strong>die</strong>rt. Normalerweise sollte ihn das befähigen, gewisse D<strong>in</strong>ge für mich ausreichen<strong>de</strong><strong>in</strong>zuschätzen.“Lan<strong>de</strong>r saß baff vor Jeffreys und wusste nichts mehr zu sagen. Mechanisch stand er auf,nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Firmenbesitzer ihn mit <strong>de</strong>n Worten: „Bis morgen um acht, Mister Lan<strong>de</strong>r.Bitte seien Sie pünktlich.“ verabschie<strong>de</strong>te.Erst auf <strong>de</strong>r Straße dünkte ihm, dass <strong>de</strong>r Chef <strong>de</strong>r Ziegelei eher daran <strong>in</strong>teressiertgewesen war, se<strong>in</strong>en Freund e<strong>in</strong>zustellen, als ihn. Trotz<strong>de</strong>m war Jeffreys sehr nettgewesen. Auf se<strong>in</strong>e ganz spezielle Art. Er wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Krankenversicherung bezahlen.Diesen verme<strong>in</strong>tlichen Luxus hätte Lan<strong>de</strong>r sonst mangels <strong>de</strong>r dafür nötigen f<strong>in</strong>anziellenMittel zum kommen<strong>de</strong>n Monat kündigen müssen.Als er nach e<strong>in</strong>stündiger Fahrt <strong>in</strong> Heresbridge aus <strong>de</strong>m Autobus stieg, war er noch immertief <strong>in</strong> Gedanken. Er hatte e<strong>in</strong> wenig Angst vor Averys Reaktion, aber er hoffte, dass se<strong>in</strong>Freund <strong>die</strong>se Chance annehmen wür<strong>de</strong>.„… Patrick?“Erst beim dritten Mal hörte er, dass jemand se<strong>in</strong>en Namen rief.H<strong>in</strong>ter ihm stand Betty Halmers, <strong>die</strong> zwei schwere E<strong>in</strong>kaufstüten auf <strong>de</strong>r Straße abgestellthatte. Verlegen sah er sie an und wollte sie begrüßen, aber se<strong>in</strong> Kopf war plötzlichschrecklich leer.„Ich freue mich, dich zu treffen. In <strong>de</strong>r Kirche konnte ich am Sonntag lei<strong>de</strong>r nicht mit dirsprechen. Ich wollte dir seit<strong>de</strong>m schon lange sagen, dass ich über <strong>de</strong><strong>in</strong>e gesun<strong>de</strong>Rückkehr sehr froh b<strong>in</strong>.“Sie lächelte ihn an. Er sah es, ohne es fassen zu können. Sie freute sich tatsächlich, ihnwie<strong>de</strong>rzusehen?„Kommst du auf e<strong>in</strong>en Sprung mit zu uns?“„Ich… ehh… ich weiß nicht.“ Das Gespräch mit Cly<strong>de</strong> Searle kam ihm bruchstückhaft <strong>in</strong><strong>de</strong>n S<strong>in</strong>n. Sie hatte e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit Victor Marlowe, aber <strong>de</strong>r Adlige hatte sie nichtgeheiratet. Dementsprechend war sie auf Planet Leeds e<strong>in</strong>e gebrandmarkte Frau, obwohlsie nicht gera<strong>de</strong> traurig aussah. Sie trug bessere Kleidung als jemals zuvor, und auch <strong>die</strong>E<strong>in</strong>kaufstüten waren prall gefüllt.„Komm, ich la<strong>de</strong> dich auf e<strong>in</strong>en Kaffee e<strong>in</strong>. Eigentlich wollte ich ja auch Kuchen backen.Me<strong>in</strong>e Eltern arbeiten heute bei<strong>de</strong>, und Gregor ist noch bei se<strong>in</strong>er Tagesmutter.“ IhrLächeln ließ se<strong>in</strong> Herz aufgehen. Er wur<strong>de</strong> sich plötzlich darüber klar, dass er ihreE<strong>in</strong>ladung sehr gerne annehmen wür<strong>de</strong>.Als er lediglich stumm nickte, griff sie wie<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n Tüten, aber er drückte ihr se<strong>in</strong>eBewerbungsmappe <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand. „Hier halt das, Beth. Ich trage <strong>de</strong><strong>in</strong>e Taschen.“Sie berührte kurz se<strong>in</strong>en Arm, als er se<strong>in</strong>e Ankündigung wahr machte, und <strong>die</strong>s ließ ihme<strong>in</strong>e Gänsehaut über <strong>de</strong>n Rücken laufen.„Wie geht es dir, Patrick? Ich b<strong>in</strong> so froh, dass ich dir jetzt endlich sagen kann, wiedumm ich damals auf <strong>de</strong><strong>in</strong>em Schiff war.“„Mir geht es gut, danke.“ Momentan g<strong>in</strong>g es ihm sogar richtig gut. „Und dir?“„Auch, danke. Gregor hält mich nur sehr auf Trab.“„Gregor Marlowe, nicht wahr?“ Er musste ihr <strong>die</strong>se Frage e<strong>in</strong>fach stellen.


„Gregor Halmers. Victor ist vom Gericht dazu verurteilt wor<strong>de</strong>n, monatlich 1200 CreditsUnterhalt zu zahlen. Er wird später noch mehr für Gregors Ausbildung rausrücken, da ichunterschrieben habe, dass das K<strong>in</strong>d im Gegenzug ke<strong>in</strong>e Ansprüche auf se<strong>in</strong> Erbe erhebtund rechtlich gesehen als me<strong>in</strong> Sohn aufwächst. War nicht zu än<strong>de</strong>rn, und ich habewirklich versucht, das Beste für ihn herauszuholen. Er wird aber immerh<strong>in</strong> se<strong>in</strong> A-Levelmachen und stu<strong>die</strong>ren können, wo immer er will. Victor wird es bezahlen. E<strong>in</strong> LordMarlowe wird Gregor zwar nie wer<strong>de</strong>n, aber…“„Sorry, Beth.“„So läuft es eben auf New London. Se<strong>in</strong>e Familie war alles an<strong>de</strong>re als begeistert, wie ichglaube. Aber lass uns doch bitte über an<strong>de</strong>re D<strong>in</strong>ge sprechen. Was machst du so? Hat esmit e<strong>in</strong>er Arbeit geklappt?“Es war für ihn verständlich, dass sie nicht weiter über das sensible persönliche ThemaMarlowe re<strong>de</strong>n wollte. „Ja. Ich habe Arbeit <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>gsworth gefun<strong>de</strong>n. In e<strong>in</strong>er Ziegelei.“„Du bleibst also hier auf Leeds?“„Ja. Die Navy hat mich entlassen.“„Diese Schwe<strong>in</strong>e! Die hätten dich lieber <strong>de</strong>korieren und zum Admiral machen sollen!“Lan<strong>de</strong>r musste lachen. „Ach Beth, das war lieb gesagt!“„Es war ernst geme<strong>in</strong>t.“„So e<strong>in</strong>fach ist das lei<strong>de</strong>r nicht.“„Was ist bei <strong>de</strong>nen auf New London schon jemals e<strong>in</strong>fach?“„Nichts wie ich glaube, aber sie s<strong>in</strong>d nicht alle so. Duncan ist da ganz an<strong>de</strong>rs, er ist me<strong>in</strong>Freund und ke<strong>in</strong>eswegs so verlogen und hochnäsig wie alle an<strong>de</strong>ren von New London…“„Du bist spät, Patrick.“Lan<strong>de</strong>r vernahm <strong>die</strong> Worte se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s kaum. „Was?“„Ich sagte, dass du spät dran bist. Du hast das Aben<strong>de</strong>ssen verpasst.“„Ich habe <strong>de</strong>n Job <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>gsworth bekommen, Duncan.“ Lan<strong>de</strong>r musste sich regelrechtzw<strong>in</strong>gen, daran zu <strong>de</strong>nken. „Und rate erst e<strong>in</strong>mal was ich noch für e<strong>in</strong>e Überraschung…“„Gratuliere. Ich nehme an, du hast jetzt Hunger? Du musst dir das Essen selbstaufwärmen. De<strong>in</strong>e Mutter ist zu Madam Coll<strong>in</strong>s rübergegangen, weil <strong>de</strong>ren K<strong>in</strong>d krank ist.Das soll ich dir von ihr bestellen.“„Das mit <strong>de</strong>m Essen hat ke<strong>in</strong>e Eile. Nur hör mal…“„Das heißt also, dass du bereits gegessen hast“, stellte Avery fest. Er war nicht geneigt,se<strong>in</strong>en jüngeren Freund ausre<strong>de</strong>n zu lassen.„Nun ja…“ Lan<strong>de</strong>r bekam e<strong>in</strong> schlechtes Gewissen, weil er erst so spät nach Hause kam,aber an<strong>de</strong>rerseits war es doch auch se<strong>in</strong> gutes Recht. Er war erwachsen.„Und wo?“„Was soll das wer<strong>de</strong>n? E<strong>in</strong> Kreuzverhör, Herr Staatsanwalt?“ scherzte Lan<strong>de</strong>r.Der Witz g<strong>in</strong>g jedoch völlig daneben. Die leer blicken<strong>de</strong>n grünen Augen sahen ihn an,während Avery gespannt lauschte. „Ne<strong>in</strong>. Ich b<strong>in</strong> nur gespannt, ob du es mir von dir auserzählst, o<strong>de</strong>r ob ich es dir alles e<strong>in</strong>zeln aus <strong>de</strong>r Nase ziehen muss.“„Moment mal! Ich hatte doch gar nicht vor, dir etwas zu verschweigen!“Ihnen bei<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong> gleichzeitig klar, dass sie auf e<strong>in</strong>en Streit zusteuerten. Für e<strong>in</strong>enAugenblick schwiegen sie, bis Avery <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em etwas weniger anklagen<strong>de</strong>n Ton begann:„Du warst bei Miss Halmers. Madam Sark hat dich gesehen und ist gekommen, um es<strong>de</strong><strong>in</strong>er Mutter zu erzählen. Du weißt sicherlich, warum.“„Na, wenn du es ohneh<strong>in</strong> schon weißt, was soll ich da noch groß h<strong>in</strong>zufügen?!“„Oh, da gäbe es so e<strong>in</strong>iges, was mich doch sehr <strong>in</strong>teressieren wür<strong>de</strong>. Fangen wir mal mit<strong>de</strong>m E<strong>in</strong>fachsten an: Was habt ihr bei ihr gemacht?“„Kuchen gebacken und Kaffee getrunken, bis sie ihren Sohn abholen musste.“ Lan<strong>de</strong>rfühlte sich an se<strong>in</strong>e Mutter er<strong>in</strong>nert. Sie hatte <strong>die</strong>se Masche auch drauf.„Victor Marlowes Sohn me<strong>in</strong>st du. Habt ihr mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r ge…“„Nun ist es aber mal gut! Was hast du <strong>de</strong>nn eigentlich?“„Ich versuche, dich wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n Teppich zu holen, bevor du völlig abhebst“, war <strong>die</strong>Antwort. „Also habt ihr Sex…?“„Das ist doch völlig unnötig!“, wies Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Freund empört zurecht.


„Ist es nicht. Ich frage dich also jetzt zum dritten Mal, ob du mit ihr im Bett warst.“„Das geht dich nun wirklich gar nichts an!“„Oh doch, das tut es! Wir haben e<strong>in</strong>en Freundschaftspakt geschlossen, falls du es schonwie<strong>de</strong>r vergessen hast!“Der hatte gesessen. Lan<strong>de</strong>r verharrte, mit <strong>de</strong>r Hand schon auf <strong>de</strong>r Türkl<strong>in</strong>ke. Hatte er <strong>die</strong>Tür zu se<strong>in</strong>em Zimmer wirklich gera<strong>de</strong> zuschlagen wollen?„Ne<strong>in</strong>, Duncan. Ich habe nicht mit ihr geschlafen. Bitte akzeptiere me<strong>in</strong>e Entschuldigung.Ich habe im Affekt gesprochen“, brachte Lan<strong>de</strong>r unbehaglich vor.Averys Gesichtszüge glätteten sich, und er lehnte sich auf <strong>de</strong>m Bett zurück. Er schienerleichtert. „Das gilt auch für mich, Patrick. Ich war bloß sehr <strong>in</strong> Sorge um dich. Setzt dudich zu mir?“„Natürlich.“ Noch während <strong>de</strong>r Leedser es sich auf Averys Schlafstatt bequem machte,erklärte se<strong>in</strong> älterer Freund leise:„Ich will nicht mit dir streiten. Schon gar nicht wegen e<strong>in</strong>er Frau. Es ist ja auch wirklich<strong>de</strong><strong>in</strong>e Sache, aber ich habe Angst, dass du dich da <strong>in</strong> etwas verrennst. Er<strong>in</strong>nerst du dichan damals auf <strong>de</strong>r Brisbane, als wir <strong>in</strong> eurer Kab<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>gesperrt waren? Du wolltestwegen ihr auch mit Lord Fowley streiten und bist zuvor sogar mich angegangen, weil ich<strong>de</strong>nselben Rang hatte wie Victor Marlowe.“„Ja, aber…“„Sie ist ke<strong>in</strong>e gute Frau, Patrick. Man spricht hier <strong>in</strong> Heresbridge nicht gut über sie.Selbst <strong>de</strong><strong>in</strong>e Eltern mei<strong>de</strong>n mittlerweile <strong>de</strong>n Kontakt mit ihrer Familie. Miss Halmers iste<strong>in</strong> gebranntes K<strong>in</strong>d, wie <strong>de</strong>r Volksmund sagt.“„Das macht mir aber nichts aus!“ Lan<strong>de</strong>r dachte an se<strong>in</strong>e Worte. Sie hatte ihn gefragt, ober wegen ihrer Dummheit schlecht von ihr <strong>de</strong>nke. Er hatte voller Protest verne<strong>in</strong>t.„Liebst du sie o<strong>de</strong>r bist du bloß <strong>in</strong> sie verliebt?“„Ich…“„Ich konnte hören, dass du verliebt bist. Das ist ja auch <strong>in</strong> Ordnung. Du darfst sie nurnicht lieben. Du scha<strong>de</strong>st sowohl ihr als auch dir selbst. Sie wird dir das Herz brechen.Sie ist ke<strong>in</strong>e gute Partie.“„Du <strong>de</strong>nkst zu schlecht von ihr, Duncan! Du wen<strong>de</strong>st <strong>de</strong><strong>in</strong>e New Londoner Maßstäbe an,aber <strong>die</strong> zählen für mich nicht. Dies hier ist Planet Leeds. Betty hat doch nieman<strong>de</strong>nmehr! Du warst doch damals so ähnlich wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren. Auch du hast sicherlich maleben so mit e<strong>in</strong>er Frau geschlafen wie Marlowe mit ihr! Bloß e<strong>in</strong>e Nacht und dann dasDankeschön.“„Ich wen<strong>de</strong> lediglich me<strong>in</strong>en gesun<strong>de</strong>n Menschenverstand an. Ganz im Gegensatz zu dir,wie mir sche<strong>in</strong>t. Das hat re<strong>in</strong> gar nichts mit irgendwelchen Maßstäben zu tun.“ AverysStimme wur<strong>de</strong> scharf. „Was wür<strong>de</strong> passieren, wenn sie e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d von dir bekäme?“„Ich wür<strong>de</strong> sie heiraten.“„Müssen.“„Ich wür<strong>de</strong> sie heiraten“, betonte Lan<strong>de</strong>r.„Du wür<strong>de</strong>st es müssen, und darauf spekuliert sie.“„Jetzt langt es aber! Du unterstellst ihr etwas, das nicht stimmt!“„Wirklich nicht? Was ist, wenn ich Recht habe? Du weißt selbst, dass sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>nicht mehr gut gelitten ist. Marlowe kann und will sie nicht heiraten. Er bezahlt ihr Geldfür das K<strong>in</strong>d, weil das Gericht hier auf Leeds es nach e<strong>in</strong>em positiven Vaterschaftstest sowollte. Er war nicht e<strong>in</strong>mal anwesend, wie ich von <strong>de</strong><strong>in</strong>er Mutter hörte. Se<strong>in</strong>e Familiewollte <strong>de</strong>n Skandal vermei<strong>de</strong>n. Frag Anne, sie weiß über <strong>die</strong>se D<strong>in</strong>ge besser Bescheid alsich.“„Er bezahlt se<strong>in</strong>em Sohn e<strong>in</strong>e gute Ausbildung, und sie hat dadurch e<strong>in</strong> Auskommen! Wasist daran <strong>de</strong>nn so schlimm?“„Nichts. Außer vielleicht, dass es dazu erst gar nicht hätte kommen müssen. Schlimm ist<strong>in</strong> me<strong>in</strong>en Augen, dass sie dich damals nicht wollte. Du hast es sogar selbst gewusst,Patrick. Schau, es ist mit Marlowe genauso gewesen, wie ich mir dachte: Normalerweiseachtet man darauf, dass ke<strong>in</strong>e K<strong>in</strong><strong>de</strong>r dabei rauskommen, wenn man mal eben so beie<strong>in</strong>em hübschen Mädchen Dampf ablässt. Ja, auch ich habe das manchmal getan undweiß, dass es falsch war. Auch er wusste das. Man macht es aber auf je<strong>de</strong>n Fall diskret.Nur, da <strong>de</strong><strong>in</strong> Jugendschwarm das mit Sicherheit für e<strong>in</strong>e Abtreibung angebotene Geldabgelehnt hat, weil sie dachte, er wür<strong>de</strong> sie heiraten, hat sie ihren eigenen Ruf vollends


u<strong>in</strong>iert. Es wur<strong>de</strong> öffentlich, <strong>de</strong>nn K<strong>in</strong><strong>de</strong>r fallen nun e<strong>in</strong>mal nicht vom Himmel. Niemandhier wür<strong>de</strong> sie trotz <strong>de</strong>s Unterhaltsgel<strong>de</strong>s wegen <strong>de</strong>s unehelichen K<strong>in</strong><strong>de</strong>s heiraten, unddas weiß sie. Sie gilt hier im Viertel als leichtes Mädchen. Geld ist nicht alles, wie sie mitSicherheit schnell gemerkt hat. Es kann ke<strong>in</strong>en guten Ruf ersetzen. Ihre Familie dürftegenau <strong>de</strong>shalb ebenfalls nicht sehr begeistert se<strong>in</strong>. Was kann sie also tun? Sie muss siche<strong>in</strong>en Dummen suchen, <strong>de</strong>m das alles egal ist, und ihn dazu br<strong>in</strong>gen, sie zu heiraten.Möglichst so sicher wie möglich. Der beste und unumkehrbarste Weg dah<strong>in</strong> ist e<strong>in</strong>kugelrun<strong>de</strong>r Bauch. De<strong>in</strong> Vater ist <strong>de</strong>r Pastor. Er wür<strong>de</strong> alle<strong>in</strong> schon aus Pr<strong>in</strong>zip daraufbestehen, dass ihr heiratet. Selbst <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter hat das mit <strong>de</strong>r angeblichenMännersuche <strong>de</strong><strong>in</strong>er Freund<strong>in</strong> mal <strong>in</strong> ihrer Teerun<strong>de</strong> gesagt. Sie ist übrigens vor zweiStun<strong>de</strong>n gegangen, weil sie verzweifelt war. Sie konnte sich nach Madam SarksBeobachtung <strong>de</strong>nken, wo du abgeblieben bist. Verstehst du jetzt?“„Beth hat mich auf e<strong>in</strong>en Kaffee e<strong>in</strong>gela<strong>de</strong>n, und wir haben Kuchen gebacken.“„Nicht mehr?“„Nicht mehr, Herrgott noch mal! Denkst du etwa wirklich, ich sei mit ihr im Bettgewesen?“„Dann tut mir leid, dass ich es dir unterstellt habe.“„Tut es nicht“, konterte Lan<strong>de</strong>r energisch.Avery seufzte, g<strong>in</strong>g aber nicht weiter darauf e<strong>in</strong>. „Es gibt Milliar<strong>de</strong>n Frauen <strong>in</strong> ganzSirius.“„Und was ist, wenn ich Beth wirklich liebe, Duncan? Wenn ich sie selbst gern heiratenwür<strong>de</strong> und ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re will? Wenn ich Victor Marlowes K<strong>in</strong>d wie me<strong>in</strong> eigenes aufziehenkönnte und e<strong>in</strong>en besseren Menschen aus ihm machen wür<strong>de</strong> als se<strong>in</strong> Vater e<strong>in</strong>er ist? Mirist me<strong>in</strong> hiesiger Ruf egal. Irgendwann könnten wir vielleicht wegziehen.“„Wegziehen wollen alle, aber kaum jemand tut es. Patrick, du wirst über <strong>die</strong> Jahre nichtglücklich mit ihr wer<strong>de</strong>n. Sie liebt dich nicht. Du weißt das auch selbst. Überlege alsobitte, was du tust!“„Ich weiß, was ich tue. Es hat ja auch alles ke<strong>in</strong>e Eile.“„In <strong>de</strong>r Tat nicht. Über<strong>de</strong>nk nur bitte alles genau und steig wenigstens nicht mit ihr <strong>in</strong>sBett.“„Ich b<strong>in</strong>, was Frauen angeht, wirklich noch Jungfrau.“ Lan<strong>de</strong>r schnitt e<strong>in</strong>e Grimasse. „Ichb<strong>in</strong> zu schüchtern.“„Guter Junge!“ Avery musste breit lächeln.„Jaja, Opa!“„Na!“ Weil Avery bl<strong>in</strong>d war, warf <strong>de</strong>r beabsichtigte energische Rippenstoß Lan<strong>de</strong>rversehentlich fast vom Bett.„Na warte!“Da Avery körperlich überlegen war, Lan<strong>de</strong>r dafür aber mehr Tricks kannte, dauerte <strong>de</strong>rspaßhafte Kampf rund an<strong>de</strong>rthalb M<strong>in</strong>uten. Danach hatte <strong>de</strong>r kle<strong>in</strong>e Leedser se<strong>in</strong>engrößeren Freund jedoch aufs Bett gep<strong>in</strong>nt und kniete auf ihm. Er wandte e<strong>in</strong>en leichtenHebelgriff an und hielt <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> überkopf fest.„Ich ergebe mich!“ Avery keuchte schwer und musste immer wie<strong>de</strong>r lachen, als er <strong>de</strong>nWi<strong>de</strong>rstand aufgab.„Will ich dir auch geraten haben.“ Lan<strong>de</strong>r ließ zwar los, blieb aber noch auf ihm hocken.„So. Da du mir jetzt endlich zuhören musst, kann ich dir auch me<strong>in</strong>e Überraschungendlich verraten!“„Jetzt b<strong>in</strong> ich aber gespannt“, spielte Avery mit und verzichtete se<strong>in</strong>erseits darauf, <strong>de</strong>nKle<strong>in</strong>eren e<strong>in</strong>fach von sich herunter zu stoßen.„Wir haben e<strong>in</strong>en Job“, verkün<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r verheißungsvoll.„Wir?“„Ja. Praktisch gesehen e<strong>in</strong>e Gruppe von m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens zwei anwesen<strong>de</strong>n Personen, alsokonkret gesagt du und ich.“„Ich? Als was?“„Juristischer Beistand <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Firma, <strong>in</strong> <strong>de</strong>r ich ab morgen arbeite.“Das verschlug <strong>de</strong>m ehemaligen Stabsoffizier schier <strong>die</strong> Sprache, sodass Lan<strong>de</strong>r ängstlichfragte: „Was ist? Soll ich morgen <strong>in</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>em Fall absagen?“„Ne<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>! Nur, was soll ich <strong>de</strong>nn da groß machen? Ich kann doch nichts tun.“


„Er stellt dich e<strong>in</strong> und fragt dich um Rat, wenn er e<strong>in</strong>en braucht. Nach <strong>de</strong><strong>in</strong>er OP s<strong>in</strong>dnach oben vielleicht noch ganz an<strong>de</strong>re Sachen dr<strong>in</strong>. Er me<strong>in</strong>te, dass du zwar ke<strong>in</strong>enMaster hättest, was aber vielleicht alles noch kommen kann. Er wusste, dass du <strong>in</strong>Cambridge stu<strong>die</strong>rt hast.“„Me<strong>in</strong> Spezialgebiet ist Militärrecht gewesen.“„Und? Dann musst du dich eben <strong>in</strong> das Zivilrecht e<strong>in</strong>arbeiten!“„Und wie? Falls du es vergessen hast, kann ich nichts sehen!“„In<strong>de</strong>m ich dir erst e<strong>in</strong>mal helfe und <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge nach Feierabend vorlese. Du musst sie direben merken. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st bis <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Wochen.“„Und wenn <strong>die</strong> OP e<strong>in</strong> Fehlschlag ist? Wenn <strong>de</strong>r Arzt mich untersucht und wie<strong>de</strong>r nachHause schickt? O<strong>de</strong>r wenn ich aufwache und alles noch so ist wie jetzt? Wenn es niemehr gut wird?“„Quatsch! Es wird klappen!“„Ich habe Angst vor <strong>de</strong>r Enttäuschung, Patrick.“„Du kannst nur gew<strong>in</strong>nen.“„Und das Geld?“„Spielt ke<strong>in</strong>e Rolle. Fang nicht schon wie<strong>de</strong>r damit an!“„Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Sturkopf, Mister Lan<strong>de</strong>r!“„Und Sie s<strong>in</strong>d viel zu pessimistisch, Mister Avery! Was soll ich also Mister Jeffreys morgensagen?“„Sag ihm, dass ich sehr gerne helfe. Im Rahmen me<strong>in</strong>er beschei<strong>de</strong>nen Möglichkeiten.“„Das wird ihn sicher freuen, genau wie mich auch.“Nach kurzem Zögern me<strong>in</strong>te Avery: „Wenn… also falls ich jemals wie<strong>de</strong>r richtig sehenkann - und er mir womöglich <strong>de</strong>n Master bezahlt - könnte ich vielleicht e<strong>in</strong>en Kreditaufnehmen und e<strong>in</strong>e eigene Kanzlei eröffnen. Das hatte ich auch im S<strong>in</strong>n, als man michaus <strong>de</strong>m Militär entlassen hat. Ich steckte schon mitten <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Vorbereitungen, um me<strong>in</strong>Jurastudium nach <strong>de</strong>n Semesterferien an <strong>de</strong>r Universität fortzusetzen, als <strong>de</strong><strong>in</strong>e Elternsich mel<strong>de</strong>ten.“„Und wegen mir hast du das alles kurzerhand h<strong>in</strong>geworfen.“„Und? Hättest du es nicht auch getan? Hättest du damit leben können, wenn ich an<strong>de</strong><strong>in</strong>er Stelle gewesen wäre und dr<strong>in</strong>gend <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe gebraucht hätte? Wärst du zur Unigegangen und hättest mich vergessen? Ich konnte dich nicht vergessen!“Averys ruhige Fragen waren nur auf e<strong>in</strong>e Art und Weise zu beantworten. Lan<strong>de</strong>rentgegnete nur: „Ich hätte für dich dasselbe getan.“„Siehst du. Ich hoffe nur, dass du jetzt nicht an mir zweifelst.“„Wegen Betty?“„Genau wegen <strong>de</strong>r.“„Schwachs<strong>in</strong>n! Liebschaften kann man viele haben, wahre Freun<strong>de</strong> nicht.“„Gesprochen wie e<strong>in</strong> wahrer Gentleman!“ Avery nutzte <strong>die</strong> Situation aus, wälzte sichabrupt zur Seite und drückte Lan<strong>de</strong>r gegen <strong>die</strong> Wand, bis <strong>die</strong>sem <strong>die</strong> Luft wegblieb.„Gewonnen!“„Das wollen wir doch mal sehen!“, würgte <strong>de</strong>r Bedrängte hervor und stürzte sich erneut<strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kampf.„Gut, dass du zu Hause bist.“ Duncan Avery stand <strong>in</strong> Hemdsärmeln <strong>de</strong>r Tür zu Lan<strong>de</strong>rsZimmer.„Wieso?“„Ich brauche <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe. Mister Jeffreys war heute Vormittag hier und hat mir e<strong>in</strong>igeUnterlagen gebracht, <strong>die</strong> ich brauche.“„Alles klar. Ich komme gleich.“ In Wahrheit war Lan<strong>de</strong>r alles an<strong>de</strong>re als begeistert, aberer versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen.„Lass dir Zeit.“ Avery war überempf<strong>in</strong>dlich, was solche Stimmnuancen ang<strong>in</strong>g. Es war jaauch se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Weg, etwas über <strong>die</strong> Laune se<strong>in</strong>er Mitmenschen herauszuf<strong>in</strong><strong>de</strong>n. „DasGanze wird lei<strong>de</strong>r drei bis vier Stun<strong>de</strong>n dauern, wie ich fürchte. De<strong>in</strong>e Mutter hat esversucht, aber sie konnte <strong>die</strong> Rechtsdokumente lei<strong>de</strong>r nicht gut genug lesen, woraufh<strong>in</strong>


ich mich nicht h<strong>in</strong>reichend darauf konzentrieren konnte.“ Auch se<strong>in</strong> Freund klangmürrisch.„Ich komme gleich, ja? Ich muss zuerst noch duschen, weil ich wie<strong>de</strong>r wie e<strong>in</strong> Mehlmannaussehe.“ Dass er nebenbei gesagt nach <strong>de</strong>m dritten Zwölfstun<strong>de</strong>ntag <strong>die</strong>se Woche auchnoch hun<strong>de</strong>mü<strong>de</strong> war und am liebsten nur schlafen wollte, sagte Lan<strong>de</strong>r lieber erst garnicht. „Wo s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Eltern?“„Jeremiah ist im Kreiskrankenhaus <strong>in</strong> Georgestown. Irgendjemand aus <strong>de</strong>r Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> istheute nach e<strong>in</strong>em Unfall dort e<strong>in</strong>geliefert wor<strong>de</strong>n und gestorben. Jeremiah wollte mit<strong>de</strong>m Bus h<strong>in</strong>fahren und <strong>de</strong>n Angehörigen beistehen. Er me<strong>in</strong>te, es könnte länger dauernund wir sollten nicht mit <strong>de</strong>m Essen warten. De<strong>in</strong>e Mutter ist schon seit zwei Stun<strong>de</strong>n beiMadam Swift. Sie hat doch heute Bridgeabend.“„Ach ja.“ Lan<strong>de</strong>rs Stimmung sank auf e<strong>in</strong>en neuen Tiefpunkt. Er wür<strong>de</strong> sich auch nochdas Aben<strong>de</strong>ssen selbst aufwärmen müssen! Nahrungspillen lehnte Anne Lan<strong>de</strong>r nämlichstrikt ab und dul<strong>de</strong>te sie partout nicht <strong>in</strong> ihrem Haushalt. „Hast du schon gegessen?“„De<strong>in</strong> Vater war so freundlich, mir etwas aufzuwärmen.“„Das ist wohl schon länger her, was?“„Kann se<strong>in</strong>.“ Avery drehte sich herum und g<strong>in</strong>g zurück <strong>in</strong> ihr Zimmer. Er stieß nirgendwoan, da er sich mittlerweile auch bl<strong>in</strong>d bestens <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wohnung auskannte.Nach <strong>de</strong>r Dusche sah <strong>die</strong> Welt zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st e<strong>in</strong> Stück weit besser aus. Lan<strong>de</strong>r rief nachAvery, als er das Essen mehr o<strong>de</strong>r weniger kunstgerecht aufgewärmt hatte. E<strong>in</strong> Blick auf<strong>die</strong> Uhr ließ ihn seufzen. Es war mittlerweile nach neun. Es wür<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e lange Nachtwer<strong>de</strong>n, wie se<strong>in</strong> Freund bereits ange<strong>de</strong>utet hatte, und morgen musste <strong>de</strong>r Geplagteerneut um sechs aufstehen. Als er sich setzte, bemerkte er e<strong>in</strong>en Umschlag auf <strong>de</strong>mKüchentisch. Er hatte ihn bis jetzt übersehen. Lan<strong>de</strong>r griff danach und las <strong>die</strong>Masch<strong>in</strong>enschrift. Er war <strong>de</strong>r Adressat, und <strong>de</strong>r Brief kam vom Southampton Shipyard.Die dickflüssige Gemüsesuppe vergaß er kurzerhand und riss <strong>de</strong>n Brief auf. Hier kamendlich <strong>die</strong> Erlösung! Nun wür<strong>de</strong> alles besser wer<strong>de</strong>n.… bedauern wir ehrlich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Antrag auf Auszahlung <strong>de</strong>sneunzehnmonatigen Gehalts abgelehnt wur<strong>de</strong>. Ihnen steht frei, <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Monatsgerichtlichen Wi<strong>de</strong>rspruch gegen <strong>de</strong>n Ablehnungsbescheid e<strong>in</strong>zulegen …Er ließ <strong>de</strong>n Brief s<strong>in</strong>ken und verstand <strong>die</strong> Welt nicht mehr. „Das darf doch nicht wahrse<strong>in</strong>!“„Es ist wahr, und ich kann dir auch genau sagen, wer dah<strong>in</strong>tersteckt.“Abrupt aus se<strong>in</strong>en wirren Gedanken gerissen zuckte Lan<strong>de</strong>r zusammen. „Sie weigernsich, me<strong>in</strong> ausstehen<strong>de</strong>s Gehalt auszuzahlen, Duncan!“„Ist mir schon seit heute Mittag klar. E<strong>in</strong> solcher Brief wäre nicht erst jetzt gekommen,wenn sie es e<strong>in</strong>fach ausgezahlt hätten.“„Ich verstehe das e<strong>in</strong>fach nicht! Es steht mir doch zu!“„Das ist Victor Marlowe, Patrick. Er ist Comman<strong>de</strong>r, wie du mir erzählt hast, und besitztals enger Verwandter <strong>de</strong>r Königsfamilie auch e<strong>in</strong>igen E<strong>in</strong>fluss.“„Enger Verwandter <strong>de</strong>r…“, echote Lan<strong>de</strong>r. „Ihr seid mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r verwandt?“„Sagen wir mal so, e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Urahnen war e<strong>in</strong> Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r damaligen Königsgatt<strong>in</strong>Elizabeth. Da er e<strong>in</strong> Held war, hat man e<strong>in</strong>e Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> mit me<strong>in</strong>em Urgroßvaterverheiratet. Ich b<strong>in</strong> also väterlicherseits gleich doppelt mit <strong>de</strong>r weiblichen L<strong>in</strong>ie <strong>de</strong>sKönigsgeschlechts verwandt. Marlowes Großmutter ist h<strong>in</strong>gegen e<strong>in</strong>e uneheliche Tochtervon König He<strong>in</strong>rich <strong>de</strong>m XXXI gewesen. Dementsprechend…“„Könnte du das bitte <strong>in</strong> verständlichem Englisch ausdrücken?!“, warf Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>.Avery verdrehte kurz <strong>die</strong> Augen. „Ja, wir s<strong>in</strong>d sehr entfernte Verwandte. Unser Blut fließtauch <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en A<strong>de</strong>rn. Wir s<strong>in</strong>d jedoch Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>, seit er und ich zusammen Sandhurstbesucht haben. Er kann mich nicht ausstehen, und das beruht auf Gegenseitigkeit.Unsere Familien liegen… lagen auch seit Jahrzehnten im Streit, also war es ke<strong>in</strong> Wun<strong>de</strong>r.Es g<strong>in</strong>g damals um e<strong>in</strong>e geplante Heirat, <strong>die</strong> aber geplatzt ist. Was jedoch praktischzählt, ist <strong>de</strong>r Fakt, dass er aktuell enger mit <strong>de</strong>m König verwandt ist als ich. So etwasöffnet e<strong>in</strong>em hier <strong>in</strong> Bretonia viele Türen. Klar genug?“„Sehr klar, danke. Was hat e<strong>in</strong> Comman<strong>de</strong>r Marlowe aber bitte mit <strong>de</strong>r Auszahlungme<strong>in</strong>es Restgehalts zu tun?“


„Er hasst mich und er hasst dich. Er hat sicherlich Spaß daran.“„Aber wenn ich E<strong>in</strong>spruch gegen <strong>de</strong>n Bescheid erhebe, dann wird doch vom Gerichtsicherlich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em S<strong>in</strong>ne entschie<strong>de</strong>n!“ Den Glauben an <strong>die</strong> Gerechtigkeit hatte Lan<strong>de</strong>rzwar schon relativ komplett verloren, aber es war ironischerweise doch damals dasMilitärgericht gewesen, das ihm das Geld zugesichert hatte!„Natürlich, aber E<strong>in</strong>spruch erhebt man bei uns vor Gericht. Vor Gericht braucht mane<strong>in</strong>en Anwalt, und e<strong>in</strong> Anwalt kostet Geld. Marlowe und <strong>de</strong>r F<strong>in</strong>anzverwaltung <strong>de</strong>r RoyalNavy ist sehr klar, dass du eben jenes Geld nicht hast, um <strong>de</strong><strong>in</strong>en damaligen Ver<strong>die</strong>nste<strong>in</strong>zuklagen. Fall abgeschlossen, Royal Navy um neunzigtausend Credits reicher, alles <strong>in</strong>Butter.“„Es gibt F<strong>in</strong>anzbeihilfen, damit auch armen Menschen Gerechtigkeit wie<strong>de</strong>rfährt!“„Habe ich auch gelernt. Auf <strong>de</strong>r Universität sagte man uns, dass <strong>die</strong> durchschnittlicheBearbeitungsdauer e<strong>in</strong>es Antrages auf Anwaltskostenbeihilfe bei acht Wochen liegt. DieWi<strong>de</strong>rspruchsfrist beträgt vier, danach verfällt <strong>de</strong>r Anspruch.“ Avery klang resigniert. „Dubist nicht <strong>de</strong>r Erste, <strong>de</strong>m das passiert, und du wirst auch nicht <strong>de</strong>r Letzte se<strong>in</strong>. Da stecktSystem h<strong>in</strong>ter - und ganz konkret jemand, <strong>de</strong>r dir scha<strong>de</strong>n will.“„Und was machen wir jetzt?“„Aufessen und mit <strong>de</strong>n Rechtstexten anfangen. Es s<strong>in</strong>d vier Protokolle mit <strong>in</strong>sgesamtzehn Seiten sowie auch noch e<strong>in</strong>ige an<strong>de</strong>re kle<strong>in</strong>ere Texte.“„Aber wir können doch nicht e<strong>in</strong>fach aufgeben!“ Lan<strong>de</strong>r schrie es fast heraus. „Es stehtmir zu!“„Recht haben und Recht bekommen ist immer zweierlei. Lernt man gleich zu Anfang <strong>de</strong>sJurastudiums. F<strong>in</strong><strong>de</strong> dich damit ab, ich habe es schon längst getan.“„Ne<strong>in</strong>, Duncan!“ Lan<strong>de</strong>r stellte sich <strong>in</strong> Averys Weg, als <strong>de</strong>r Freund sich abwandte. „Ne<strong>in</strong>!Ich kann nicht damit leben, dass du <strong>de</strong><strong>in</strong> Leben lang bl<strong>in</strong>d bleibst! Es ist <strong>de</strong><strong>in</strong> Geld, alsower<strong>de</strong>n wir kämpfen! Ich möchte, dass wir e<strong>in</strong>es Tages zusammen spazieren gehen und<strong>die</strong> Stadt ansehen können!“„Ich habe Heresbridge schon damals gesehen, als ich beispielsweise herkam, um dichwegen <strong>de</strong><strong>in</strong>er Aussage im Korruptionsskandal aufzusuchen. Auch später war ich nochzweimal hier. Wegen <strong>de</strong><strong>in</strong>er Briefe. Der Anblick <strong>de</strong>r Stadt war nichts, das e<strong>in</strong>en drittenBlick wirklich wert wäre.“„Du kannst doch nicht e<strong>in</strong>fach resignieren! Du bist doch Anwalt, also <strong>de</strong>nk dir etwas aus!Wir haben sicherlich noch hun<strong>de</strong>rt Credits auf <strong>de</strong>r hohen Kante, o<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>e Elternwer<strong>de</strong>n sich das Geld leihen.“„De<strong>in</strong>e Freundlichkeit ehrt dich, Patrick. Wenn du mir jedoch wirklich helfen willst, setzdich mit mir h<strong>in</strong>. Mister Jeffreys will morgen über Tag me<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung hören, ob sichlohnen wür<strong>de</strong>, <strong>die</strong> Klage <strong>de</strong>r Firma Dreyer Stone wegen angeblichen unlauterenWettbewerbs zum Prozess kommen zu lassen, o<strong>de</strong>r ob er lieber <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rtensiebentausend Credits bezahlt und so <strong>die</strong> Anklage vermei<strong>de</strong>t.“Den Tränen nahe stammelte Lan<strong>de</strong>r: „Ich mache das nicht mehr lange mit, Duncan.Nicht e<strong>in</strong>mal zweie<strong>in</strong>halb Wochen, und ich b<strong>in</strong> körperlich schon nahezu am En<strong>de</strong>!“„Ich weiß. Hilf mir mit <strong>de</strong>n Unterlagen und ich re<strong>de</strong> morgen mit <strong>de</strong>m Chef. Nun, da wirKlarheit haben, wer<strong>de</strong> ich ihn fragen, ob er mich fest e<strong>in</strong>stellt. Falls Mister Jeffreys dasmöchte und damit leben kann, dass ich nichts sehen kann, wer<strong>de</strong> ich ihn bitten, dich alsme<strong>in</strong>e Assistenzkraft e<strong>in</strong>zusetzen. Ich wer<strong>de</strong> jeman<strong>de</strong>n brauchen, <strong>de</strong>r mir je<strong>de</strong>n Tagstun<strong>de</strong>nlang vorliest.“Diese perspektivenlose Aussicht war schon für Lan<strong>de</strong>r vernichtend, aber er konnte sichauch <strong>de</strong>nken, was sie für <strong>de</strong>n armen Avery be<strong>de</strong>utete. Er hörte das leichte Zittern <strong>in</strong> <strong>de</strong>rStimme se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s. Der ehemalige Stabsoffizier hatte so sehr auf e<strong>in</strong>eWie<strong>de</strong>rerlangung se<strong>in</strong>es Augenlichts gehofft, dass er nun noch immer nicht mit <strong>de</strong>mGedanken an <strong>die</strong> lebenslange Dunkelheit leben konnte.Dies ahnend lief Lan<strong>de</strong>r ihm nach und holte ihn an <strong>de</strong>r Zimmertür e<strong>in</strong>. Er umarmte se<strong>in</strong>enFreund stumm, während Avery lautlos und verzweifelt we<strong>in</strong>te.In <strong>die</strong>sem Moment schwor Lan<strong>de</strong>r sich, dass er Wi<strong>de</strong>rspruch e<strong>in</strong>legen wür<strong>de</strong>. Egal wie -und egal, was es auch kosten mochte! Er wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Anwalt auftreiben, und sie wür<strong>de</strong>ndas Geld von <strong>de</strong>r Navy bekommen! Se<strong>in</strong> Freund wür<strong>de</strong> irgendwie wie<strong>de</strong>r sehen können,selbst wenn Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> achtzigtausend Credits komplett selbst ver<strong>die</strong>nen musste!


Kapitel XV – Die vierte Macht im StaatMit e<strong>in</strong>em tiefen Durchatmen betrat Patrick Lan<strong>de</strong>r das ihm beschriebene Gebäu<strong>de</strong>. Erhatte e<strong>in</strong> sehr schlechtes Gewissen, <strong>de</strong>nn er hatte sich für heute freigenommen.Normalerweise war <strong>die</strong>s e<strong>in</strong> Luxus, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>em Arbeitnehmer auf Planet Leeds nur imNotfall - wozu nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>r Tod e<strong>in</strong>es nahen Angehörigen zählte - gewährt wur<strong>de</strong>.Krankheit war stets etwas an<strong>de</strong>res, aber er war ja nicht krank, und Jeffreys wusste <strong>die</strong>sauch genau.Der E<strong>in</strong>zige, <strong>de</strong>r nichts wusste, war Duncan Avery. Ihr Chef wür<strong>de</strong> Stillschweigenbewahren. Er kam gebürtig aus <strong>de</strong>m Ed<strong>in</strong>burgh-System, wie er Avery e<strong>in</strong>mal erzählthatte. Vor allem aber war Jeffreys Corporal <strong>de</strong>r Schiffswache auf <strong>de</strong>m Träger Essexgewesen. E<strong>in</strong> Heeresunteroffizier war jetzt auf Leeds ihr Chef. Er hatte auf e<strong>in</strong>em Schiff<strong>de</strong>r Royal Navy gelebt, bevor er irgendwann auf eigenen Wunsch entlassen wor<strong>de</strong>n war.Danach hatte er se<strong>in</strong> angespartes Geld <strong>in</strong>vestiert und auf Planet Leeds se<strong>in</strong>en erstenBetrieb gegrün<strong>de</strong>t. Hier waren <strong>die</strong> Gesetze nicht so streng. Das war vor fünfzehn Jahrengewesen, und er war mittlerweile reich, <strong>de</strong>nn er besaß drei Fabriken. Lan<strong>de</strong>rs Gedanke,dass <strong>de</strong>r Mann nur e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Ziegelei besaß und über se<strong>in</strong>e Verhältnisse lebte, war e<strong>in</strong>eFehle<strong>in</strong>schätzung gewesen.An<strong>de</strong>rthalb Wochen waren mittlerweile vergangen, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen er verzweifelt versuchthatte, e<strong>in</strong>en Anwalt zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Ihr Fall war sicher gew<strong>in</strong>nträchtig, aber es gab <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emGerichtsverfahren immer Risiken und Unwägbarkeiten. Lan<strong>de</strong>r hatte <strong>die</strong>s am eigenenLeib erlebt. E<strong>in</strong> biestiger Richter konnte alles ver<strong>de</strong>rben. Deshalb nahm ke<strong>in</strong> Anwaltse<strong>in</strong>en Fall an, <strong>de</strong>nn es galt stets Vorauskasse. Geld, das man nicht hatte, konnte manauch nicht ausgeben. Selbst das Versprechen e<strong>in</strong>er hohen Beteiligung am Streitwerthatte nichts geholfen.Ohne Wissen se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s hatte Lan<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Kl<strong>in</strong>ik auf Cambridge telefoniert. Manwar bereit, mit <strong>de</strong>m Preis auf siebzigtausend Credits herunterzugehen, weil e<strong>in</strong> DuncanAvery eben nicht irgendwer war. Er war e<strong>in</strong> mittelloser und bedauernswerter Verwandter<strong>de</strong>r Königsfamilie. Damit konnte man hausieren gehen, wie Lan<strong>de</strong>r von se<strong>in</strong>em Freundgelernt hatte. Hätte Avery davon gewusst, wäre er vermutlich wütend <strong>die</strong> Wän<strong>de</strong>hochgegangen. Jedoch nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> gebotenes potenzielles Honorar von zehntausendCredits nach Gew<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Prozesses hatte Lan<strong>de</strong>r zu e<strong>in</strong>em Anwalt verholfen. Es bestandja immer e<strong>in</strong>e ger<strong>in</strong>ge Restchance, dass es bei e<strong>in</strong>em verlorenen Wi<strong>de</strong>rspruchsverfahrengar ke<strong>in</strong> Honorar geben wür<strong>de</strong>.Patrick Lan<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>mentsprechend verzweifelt. Je<strong>de</strong>n Tag verstrich e<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>re<strong>in</strong>monatigen Frist, und er war noch ke<strong>in</strong>en Schritt weiter als vor zehn Tagen. Deshalbhatte er gestern mitten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht e<strong>in</strong> Telefonat geführt.Es war für ihn sehr schwer gewesen, weil er sich <strong>de</strong>r Konsequenzen nur zu gut bewusstwar. Er hatte sich jedoch etwas geschworen und wür<strong>de</strong> sogar e<strong>in</strong>en Arm opfern, wenn<strong>die</strong>s se<strong>in</strong>em Freund irgendwie half.Hier verkaufte er weniger als se<strong>in</strong>en Arm, aber es tat sich nicht viel.„Sie wünschen?“„Ich wer<strong>de</strong> erwartet. Ist Mister Carson schon e<strong>in</strong>getroffen?“„Vor e<strong>in</strong>er Stun<strong>de</strong>. Er wartet bereits ungeduldig auf Sie, weil er nachher noch e<strong>in</strong>enweiteren Term<strong>in</strong> auf New London hat.“„Wir waren um dreizehn Uhr verabre<strong>de</strong>t, und es ist zwölf Uhr 44.“ Lan<strong>de</strong>r verkniff sichje<strong>de</strong> weitere Bemerkung, als se<strong>in</strong> Gesprächspartner aus <strong>de</strong>m angrenzen<strong>de</strong>n ärmlichenBüro trat. Es war unzweifelhaft Orson Carson. Der exzentrische Name war Programm,<strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Kerl war angezogen wie e<strong>in</strong> Papagei. Seit Lan<strong>de</strong>r wusste, wen sie schickenwür<strong>de</strong>n, hatte er zu Hause nachgelesen, was ihn erwartete, und er hatte seit<strong>de</strong>m Angst.Angst vor <strong>de</strong>m, was er wür<strong>de</strong> tun müssen.‚Ich wer<strong>de</strong> dir niemals erzählen, was ich für dich tun musste, Duncan!’Wenn se<strong>in</strong> Freund es erfahren hätte, wäre er Lan<strong>de</strong>r vermutlich an <strong>die</strong> Kehle gegangeno<strong>de</strong>r was noch schlimmer war: zusammengebrochen und hätte sich gar etwas angetan.Seit jenem Brief bewegte Patrick Lan<strong>de</strong>r sich auf sehr dünnem Eis. Je<strong>de</strong>rzeit hatte er dasGefühl, dass es unter ihm nachgab, was aber noch nicht <strong>de</strong>r Fall gewesen war.


Er war alle Möglichkeiten durchgegangen, um das Geld für <strong>de</strong>n Anwaltzusammenzukratzen. Es waren 4.500 Credits vor Beg<strong>in</strong>n und e<strong>in</strong> noch e<strong>in</strong>mal so hoherAnteil nach Gew<strong>in</strong>n <strong>de</strong>s Prozesses. E<strong>in</strong>e horren<strong>de</strong> Summe, aber <strong>de</strong>r Streitwert vonneunzigtausend Credits rechtfertigte <strong>die</strong>s.Se<strong>in</strong>e Eltern hatten nicht e<strong>in</strong>mal annähernd fünfhun<strong>de</strong>rt Credits. Er selbst besaß e<strong>in</strong>enLohnvorschuss von fünfzig Credits für <strong>de</strong>n Flugbus und erwartete e<strong>in</strong> Monatsgehalt von470 Credits. Das wür<strong>de</strong> er nächste Woche bekommen.Er hatte erwogen, an Konrad Fel<strong>de</strong>n zu schreiben, aber e<strong>in</strong>en wildfrem<strong>de</strong>n Menschenanzupumpen war ihm zuwi<strong>de</strong>r. Außer<strong>de</strong>m hatte Fel<strong>de</strong>n ihn im Auftrag <strong>de</strong>srhe<strong>in</strong>ländischen Geheim<strong>die</strong>nstes benutzt, und e<strong>in</strong> Kollege von Fel<strong>de</strong>n hatte ihn mittelse<strong>in</strong>er Wahrheitsdroge verhört. Auch Duncan Avery hatte man <strong>die</strong>s mehrfach angetan.Ne<strong>in</strong>, <strong>die</strong> jetzt gewählte Lösung war noch immer moralisch vertretbarer als e<strong>in</strong> Bittbriefnach Rhe<strong>in</strong>land. Für <strong>de</strong>n Verkauf se<strong>in</strong>er Seele war Patrick Lan<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong> zuständig. DieWür<strong>de</strong> se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s wollte er jedoch nicht noch dazu verkaufen.Der von Planet New London Angereiste geleitete ihn <strong>in</strong>s Nebenzimmer, zün<strong>de</strong>te sich e<strong>in</strong>eZigarette an, <strong>de</strong>ren penetranter Gestank Lan<strong>de</strong>r kurz an Cly<strong>de</strong> Searle er<strong>in</strong>nerte, und<strong>in</strong>halierte tief. Dann zückte er e<strong>in</strong> Aufnahmegerät und e<strong>in</strong>en Block nebst Stift.„Setzen Sie sich, Mister Lan<strong>de</strong>r.“„Ich glaube, ich stehe lieber.“„Sie sollen sich setzen habe ich gesagt. Die Aufnahme wird schlecht, wenn Sie etwa auf<strong>de</strong>n dummen Gedanken kommen, herumzulaufen, wie e<strong>in</strong> aufgeschrecktes Huhn!“Schon <strong>in</strong> jener ersten M<strong>in</strong>ute begann Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n gehetzt wirken<strong>de</strong>n Mann mit <strong>de</strong>r<strong>de</strong>s<strong>in</strong>teressierten Stimme zu hassen.„Zur Klärung <strong>de</strong>r Details…“, begann er trotz<strong>de</strong>m.„Ich stelle <strong>die</strong> Fragen, Sie antworten und kassieren dafür am En<strong>de</strong> sechstausend Credits.Was gibt es da noch an Details zu klären?“„Sie wissen, dass Sie mir ke<strong>in</strong>e Fragen zu militärischen Belangen stellen dürfen?“„Ich weiß, ich weiß. Sie s<strong>in</strong>d nicht <strong>de</strong>r erste Militär, mit <strong>de</strong>m ich zusammenarbeite. O<strong>de</strong>rsollte ich Ex-Militär sagen, Sub-Lieutenant?“Sich zusammenreißend und auf <strong>die</strong> Zunge beißend sah Lan<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>n grauen,abgewetzten Teppich, <strong>de</strong>r voller Löcher war. Die Luft <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Raum roch abgestan<strong>de</strong>n undschlecht. Ihm war übel.„Fangen wir an, <strong>de</strong>nn me<strong>in</strong>e Zeit ist knapp bemessen.“Lan<strong>de</strong>r war nur fähig zu nicken. Er konzentrierte sich auf <strong>de</strong>n Gedanken an Duncan Averyund erwartete <strong>die</strong> erste Frage.Es klickte, als das Aufnahmegerät von Orson Carson aktiviert wur<strong>de</strong>. Das Interview g<strong>in</strong>glos, und <strong>de</strong>r Schweiß brach ihm aus.„Sie <strong>die</strong>nten auf <strong>de</strong>m Patrouillenkreuzer Brisbane unter Comman<strong>de</strong>r Erasmus Raven. Wielange kannten Sie sich?“War <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>e militärisch relevante Frage? Er stand mit e<strong>in</strong>em Be<strong>in</strong> bereits wie<strong>de</strong>r imGefängnis und tanzte quasi auf e<strong>in</strong>em Drahtseil.„Kommen Sie, Mister Lan<strong>de</strong>r. Wir s<strong>in</strong>d hier, weil Sie Geld für Ihren Freund ver<strong>die</strong>nenwollen. Dies ist e<strong>in</strong>e Frage, <strong>die</strong> Sie auch Ihrer Großmutter beantworten wür<strong>de</strong>n.“„Woher wissen Sie das mit <strong>de</strong>m Geld?!“ Lan<strong>de</strong>r hatte <strong>de</strong>m Mann nicht gesagt, wofür erdas Geld benötigte.„D<strong>in</strong>ge zu wissen gehört zu me<strong>in</strong>em Beruf. Entwe<strong>de</strong>r Sie re<strong>de</strong>n mit mir o<strong>de</strong>r Sie könnendas Geld für <strong>die</strong> Anwaltskosten vergessen.“Es klang nach Erpressung, aber es war <strong>die</strong> knallharte Wahrheit. „Seit ich auf <strong>die</strong> Oxfordkam, also wenige Monate vorher.“Se<strong>in</strong>e genaue Dienstzeit g<strong>in</strong>g Carson gar nichts an!„Kamen Sie mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r klar?“„Wieso ist das <strong>de</strong>nn relevant? Ich dachte Sie wollten mich…“„Ich stelle hier <strong>die</strong> Fragen! Der Leser möchte wissen, wie Sie zu Erasmus Ravengestan<strong>de</strong>n haben. Er ist für unser Volk und auch für <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wohner von Planet Manhattan<strong>die</strong> Personifikation <strong>de</strong>s Bösen. Daher ist <strong>die</strong> Frage sehr relevant!“„Mister Raven war e<strong>in</strong>…“ Was sollte Lan<strong>de</strong>r jetzt sagen? Was konnte er überhaupt sagen?„Was war er?“


„Er war… e<strong>in</strong> Profi. Was er getan hat, hat er richtig gemacht“, sagte Lan<strong>de</strong>r nervös. Erhatte nicht gedacht, dass dazu Fragen kommen wür<strong>de</strong>n.Carson zog kurz amüsiert <strong>die</strong> Augenbrauen hoch. „E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>teressante Formulierung.Möchten Sie das vielleicht näher ausführen?“„Um ehrlich zu se<strong>in</strong>, ne<strong>in</strong>. Könnten wir bitte weitermachen?“ Die Übelkeit wur<strong>de</strong> stärker.Vor se<strong>in</strong>en Augen verschwamm das Bild se<strong>in</strong>es besten Freun<strong>de</strong>s.„Aber natürlich. Haben Sie es kommen sehen?“„Was?“„Na, <strong>de</strong>n Verrat.“„Wenn ich das getan hätte, wäre ich zu me<strong>in</strong>en Vorgesetzten gegangen.“„Zu Capta<strong>in</strong> K<strong>in</strong>gsham?“Lan<strong>de</strong>r stellte sofort klar: „Der Capta<strong>in</strong> war Teil <strong>de</strong>r Meuterer. Ne<strong>in</strong>, ich spreche von <strong>de</strong>rAdmiralität.“„Sie stan<strong>de</strong>n also auf <strong>de</strong>r Brücke, als es auf <strong>de</strong>m Hangar<strong>de</strong>ck losg<strong>in</strong>g. E<strong>in</strong>e großeSchießerei, Schreie, Tote…“ E<strong>in</strong> abrupter Themenwechsel, <strong>de</strong>r sehr irritierend war.„Davon habe ich nichts mitbekommen. Darüber darf ich auch nicht mit Ihnen sprechen.“Das fiel unter das Militärgeheimnis, wie Lan<strong>de</strong>r fand. Carson kam ihm irgendwie sehr gut<strong>in</strong>formiert vor.„Nun gut. Re<strong>de</strong>n wir über das, was Sie gefühlt haben.“ Der Mann nahm sich e<strong>in</strong>e neueZigarette. Er war ansche<strong>in</strong>end Kettenraucher.„Ich war geschockt und wusste nicht, was ich tun sollte.“„Verständlich. Sie waren überfor<strong>de</strong>rt, und da ist es eben passiert. Die D<strong>in</strong>ge haben ihrenLauf genommen. Und dann hat Raven Ihren Freund Duncan Avery <strong>in</strong> jener ersten Nachtverme<strong>in</strong>tlich erschießen lassen. Was haben Sie zu jener Zeit empfun<strong>de</strong>n?“„Ich dachte, ich wäre ebenfalls dran.“ Lan<strong>de</strong>r bemerkte, dass er erneut <strong>in</strong> <strong>die</strong> Falletappte. Mittlerweile zitterte er leicht, weil ihm kalt war. Unsäglich kalt. Er hatte gewusst,dass es so se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong>. Er beschwor hier Er<strong>in</strong>nerungen herauf, <strong>die</strong> besser tief begrabengeblieben wären. Er tat es für Geld. Darum fühlte er sich wie jemand, <strong>de</strong>r sich für Geldauszog. Stück für Stück fielen <strong>die</strong> Hüllen bis zum f<strong>in</strong>alen Akt. „Ich darf darüber nichtsprechen! Fragen Sie mich doch endlich <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge, <strong>die</strong> ich Ihnen sagen darf!“ Er wollte esnur noch h<strong>in</strong>ter sich br<strong>in</strong>gen, aber er empfand auch e<strong>in</strong>en Anflug von Trotz.„Und Tage später hat Raven Sie an e<strong>in</strong>en Grenzweltler verkauft. Zusammen mit e<strong>in</strong>erFusionsbombe. Warum tat er das?“„Aus Rache.“„Rache wofür?“„Das darf ich nicht sagen.“ Lan<strong>de</strong>r schloss <strong>die</strong> Augen und verschränkte <strong>die</strong> Arme. Ererlebte jene schrecklichen M<strong>in</strong>uten erneut.„So wird das nichts, Mister Lan<strong>de</strong>r. Ich kann auf <strong>die</strong>se Weise ke<strong>in</strong> Interview mit Ihnenführen!“ Carson schaltete das Aufnahmegerät ab und stand auf.„Warten Sie!“ Wenn <strong>de</strong>r Mann g<strong>in</strong>g, wür<strong>de</strong> es ke<strong>in</strong> Geld geben. Ke<strong>in</strong>e Rettung für <strong>de</strong>ntäglich e<strong>in</strong> Stück mehr verzweifeln<strong>de</strong>n Avery.„Ich habe zu tun, Mister Lan<strong>de</strong>r. Sie haben unserem Magaz<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Story versprochen,aber ich kann ke<strong>in</strong>e Story namens ‚Das darf ich Ihnen nicht sagen.’ schreiben. VersetzenSie sich <strong>in</strong> me<strong>in</strong>e Lage.“„Man hat mir gesagt, dass wir über <strong>die</strong> Grenzwelten sprechen wür<strong>de</strong>n. Darüber darf ichmit Ihnen re<strong>de</strong>n.“ Lan<strong>de</strong>r wusste, dass es kläglich und naiv klang, aber er konnte nichtan<strong>de</strong>rs. Dies hier war se<strong>in</strong>e letzte Hoffnung, wenn man <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r außer Acht ließ.E<strong>in</strong>em Konrad Fel<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> Duncan Avery jedoch sowieso völlig egal se<strong>in</strong>. Nur Lan<strong>de</strong>rwar se<strong>in</strong> bester Freund nicht egal.Noch immer machte <strong>de</strong>r Starreporter Anstalten zu gehen. Lan<strong>de</strong>r eilte ihm nach. „Bitte!Ich brauche das Geld doch dr<strong>in</strong>gend!“Zum Glück stoppte Carson an <strong>de</strong>r Tür. „Ich weiß, aber dafür müssen Sie mir etwasliefern, das ich schreiben kann. Ich b<strong>in</strong> fünf Stun<strong>de</strong>n lang hier rausgeflogen und habeke<strong>in</strong>e Zeit für solchen Quatsch wie gera<strong>de</strong> eben. Die Leute wollen wissen, wie es gewesenist. Sie wollen es mit Ihren Augen sehen! Sie wollen dabei se<strong>in</strong> und mit e<strong>in</strong>em Schau<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>nken: ‚Zum Glück ist das ihm und nicht mir passiert!’ Sie s<strong>in</strong>d hier, weil Sie mir etwasverkaufen wollen. Ich alle<strong>in</strong> kann beurteilen, was sich verkaufen lässt. Es geht um


Auflagen und Exklusivität. Ich suche <strong>die</strong> Story! Sie müssen mir e<strong>in</strong>fach vertrauen. Ichwer<strong>de</strong> schon nichts schreiben, das Sie <strong>in</strong> Schwierigkeiten br<strong>in</strong>gt.“„Wissen Sie eigentlich, wie schwer mir das alles fällt?“„That’s life. Für mich zählt nur Bus<strong>in</strong>ess. Ihre persönlichen Problemchen müssen Siealle<strong>in</strong> bewältigen.“ Carson sah ihn mitleidslos an und drückte trat <strong>die</strong> Zigarettenkippee<strong>in</strong>fach auf <strong>de</strong>m dreckigen, löchrigen Teppich aus. „Also, wie haben wir es? Fangen wirendlich richtig an, o<strong>de</strong>r platzt me<strong>in</strong>e Story, <strong>die</strong> Sie mir versprochen haben?“Genau genommen hatte er Orson Carson gar nichts versprochen, aber Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>gwortlos zu se<strong>in</strong>em Stuhl zurück, und das Spiel begann von Neuem. Er hatte sichgeschworen, <strong>die</strong>s durchzustehen. Es war trotz<strong>de</strong>m <strong>die</strong> pure <strong>Hölle</strong>, aber Schwur warSchwur.Er wusste nicht e<strong>in</strong>mal, wie er danach überhaupt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n richtigen Flugbus nach Hausegestiegen war. Das Geld hatte er, und <strong>die</strong> Seelenprostitution war auch irgendwieüberstan<strong>de</strong>n. Sie wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Prozess führen können, und dadurch war <strong>die</strong> Operationse<strong>in</strong>es bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong>s mehr o<strong>de</strong>r weniger gesichert.Zwei Tage später, als Patrick Lan<strong>de</strong>r noch immer unter <strong>de</strong>n Folgen <strong>de</strong>s Interviews litt,erschien morgens um acht auf Planet New London und überall sonst <strong>die</strong> neue Ausgabe<strong>de</strong>s Klatschblättchens Bretonian Citizen’s Life.In <strong>de</strong>r Kle<strong>in</strong>stadt Heresbridge auf Planet Leeds war es e<strong>in</strong> Uhr morgens, als <strong>die</strong> Polizei bei<strong>de</strong>r Familie Lan<strong>de</strong>r Sturm kl<strong>in</strong>gelte und das halbe Mietshaus aus <strong>de</strong>m Bett warf.Den Gesichtsausdruck <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong> Lebtag nicht vergessen. Sie allehatten nicht verstehen können, wieso man ihn mitten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nacht verhaftete.E<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Polizisten kannte <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>rs persönlich. Er g<strong>in</strong>g je<strong>de</strong>n Sonntag <strong>in</strong> JeremiahLan<strong>de</strong>rs Predigt und drückte <strong>de</strong>r Familie daher e<strong>in</strong> Beweisstück <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand, währendman <strong>de</strong>n jungen Mann <strong>in</strong> Handschellen abführte. E<strong>in</strong> Beweisstück, das millionenfachvorhan<strong>de</strong>n war. Es war das Magaz<strong>in</strong> mit e<strong>in</strong>em Titelbild von Patrick Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Uniformund <strong>de</strong>r polemisieren<strong>de</strong>n Schlagzeile: Brisbane-Meuterei / Erasmus Ravens Rache – E<strong>in</strong>Mör<strong>de</strong>r sagt: „ER HAT ES RICHTIG GEMACHT!“Es war verständlich, dass Anne Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Ohnmacht fiel. Ihr Ehemann war sprachlos.Duncan Avery fragte verzweifelt nach, was <strong>de</strong>nn überhaupt los war, bis <strong>de</strong>r Pfarrerstockend <strong>de</strong>n Sachverhalt erklärte und ihm <strong>die</strong> fettgedruckten Lettern vorlas. Danachherrschte langes, entsetztes Schweigen, als Duncan Avery als E<strong>in</strong>ziger <strong>die</strong> Wahrheitbegriff. Er vergoss e<strong>in</strong>ige Tränen, wie täglich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen, aber danach riss ersich zusammen, bat um <strong>de</strong>n Creditchip <strong>de</strong>r Familie, fuhr <strong>in</strong> Begleitung von Lan<strong>de</strong>rs Vaterzur Post und hängte sich dort ans Telefon.Die erste Nummer, <strong>die</strong> er <strong>de</strong>n Pastor wählen ließ, war <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Vermittlung <strong>de</strong>r RoyalNavy. Er stellte sich vor und bat darum, e<strong>in</strong>en Zuständigen von <strong>de</strong>r Rechtsabteilungsprechen zu dürfen. Die Telefonist<strong>in</strong> hängte daraufh<strong>in</strong> auf. Ähnlich erg<strong>in</strong>g es ihm beiverschie<strong>de</strong>nen an<strong>de</strong>ren e<strong>in</strong>flussreichen Leuten <strong>in</strong>klusive <strong>de</strong>s Büros <strong>de</strong>sVerteidigungsm<strong>in</strong>isters, bis er Lan<strong>de</strong>rs Vater schließlich aus purer Verzweiflung e<strong>in</strong>eNummer diktierte, <strong>die</strong> er noch immer aus früheren Zeiten auswendig kannte. Er tatgenau das, was Patrick Lan<strong>de</strong>r wohlme<strong>in</strong>end für ihn getan hatte.Er hatte Glück, <strong>de</strong>nn er erreichte se<strong>in</strong>en gewünschten Gesprächspartner. Mit heftigemHerzklopfen begann er: „Hier spricht Duncan Avery von Planet Leeds. Bitte entschuldigenSie, dass ich Sie geweckt habe, aber ich möchte Sie um e<strong>in</strong>en Gefallen bitten, LordFowley.“Das nachfolgen<strong>de</strong> Gespräch war sehr kurz und e<strong>in</strong>seitig. Avery wusste, dass DanielFowley auf Planet New London nicht alle<strong>in</strong> im Raum war. Er hörte es e<strong>in</strong>mal sogar, alsjemand <strong>de</strong>m jungen Lord diktierte, was er sagen sollte. Der Urheber <strong>de</strong>s Dilemmas warsomit ebenfalls anwesend und wei<strong>de</strong>te sich daran, dass auch Duncan Avery sich fürse<strong>in</strong>en Freund erniedrigte, genauso wie Lan<strong>de</strong>r wenige Tage zuvor für ihn.Sechs Stun<strong>de</strong>n später erschien e<strong>in</strong> Reporter von Bunte bretonische Welt nebst e<strong>in</strong>emFotografen bei <strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>rs zu Hause. Noch während Patrick Lan<strong>de</strong>r als ehemaligerAngehöriger <strong>de</strong>r Royal Navy niemand an<strong>de</strong>rs als <strong>de</strong>m Verteidigungsm<strong>in</strong>isterhöchstpersönlich auf <strong>de</strong>m Southampton Yard Re<strong>de</strong> und Antwort stehen musste, begannauf Planet Leeds <strong>die</strong> Aufzeichnung e<strong>in</strong>es Interviews für e<strong>in</strong>en weiteren Magaz<strong>in</strong>artikel.Versprochen wor<strong>de</strong>n war <strong>de</strong>m Redakteur e<strong>in</strong> Exklusivartikel mit Bil<strong>de</strong>rn über das Leben<strong>de</strong>s ehemaligen Adligen Duncan Avery, <strong>de</strong>r vor acht Monaten se<strong>in</strong> ganzes altes Leben


h<strong>in</strong>ter sich gelassen und auf se<strong>in</strong> Erbe verzichtet hatte. Als Folge <strong>de</strong>ssen war dasHerzogsgeschlecht <strong>de</strong>r Averys bei <strong>de</strong>r Explosion <strong>de</strong>r Fusionsbombe auf Planet NewLondon ausgestorben und ihr sämtliches Vermögen an <strong>die</strong> bretonische Krone gefallen.Der Urheber <strong>die</strong>ses Interviews war Victor Marlowe, <strong>de</strong>r eigentlich darauf spekuliert hatte,dass <strong>de</strong>r gefallene Avery <strong>die</strong>se Zurschaustellung se<strong>in</strong>es Elends und damit verbun<strong>de</strong>neDemütigung und Lächerlichmachung vor <strong>de</strong>n Angehörigen se<strong>in</strong>es eigenen ehemaligenGesellschaftsstan<strong>de</strong>s ablehnen wür<strong>de</strong>. Dem war jedoch nicht so. Es gab e<strong>in</strong>enFreundschaftseid, von <strong>de</strong>m Marlowe nichts wissen konnte.Duncan Avery beantwortete <strong>die</strong> Fragen, obwohl ihm viel klarer war als Patrick Lan<strong>de</strong>r,was es am En<strong>de</strong> für e<strong>in</strong>en Artikel geben wür<strong>de</strong>. Von Boulevardreportern hatte man ke<strong>in</strong>eSchonung zu erwarten, ganz gleich, für welches Blatt sie arbeiteten. Daniel Fowley, <strong>de</strong>rebenfalls von ihm gerettet wor<strong>de</strong>n war, wür<strong>de</strong> nicht e<strong>in</strong>mal erwähnt wer<strong>de</strong>n. Marlowehatte ihm das durch <strong>de</strong>n Lord ganz klar auf <strong>de</strong>n Kopf zusagen lassen.Der gefallene Adlige wür<strong>de</strong> aufgrund <strong>de</strong>s Artikels <strong>die</strong> Achtung sämtlicher ehemaligerFreun<strong>de</strong> und Bekannter endgültig verlieren und unwie<strong>de</strong>rbr<strong>in</strong>glich Teil jener Schichtwer<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> er sich als neue Gesellschaft ausgesucht hatte. Somit wür<strong>de</strong> er nicht nur zurPersona non grata wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch zum Mitglied <strong>de</strong>r bretonischen Unterschicht. E<strong>in</strong>Victor Marlowe konnte nur zu gut e<strong>in</strong>schätzen, dass auch e<strong>in</strong> Duncan Avery niemals ganzvergessen konnte, wer er e<strong>in</strong>mal gewesen war. Duncan Avery wusste, dass er sichgesellschaftlich gesehen selbst vernichtete, und gab das Interview trotz<strong>de</strong>m.Am Morgen nach <strong>de</strong>m Ersche<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Ausgabe <strong>de</strong>r Bunte bretonische Welt wur<strong>de</strong> PatrickLan<strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>r nach Hause geflogen. Es war nahezu erwiesen, dass e<strong>in</strong> gewisserSkandalreporter namens Orson Carson <strong>die</strong> Aussagen e<strong>in</strong>es jungen ehemaligen Offiziers<strong>de</strong>r Royal Navy verfälscht hatte, um <strong>die</strong> reißerische Story aufzubauschen. Die Anwälte<strong>de</strong>r Navy bereiteten e<strong>in</strong>e Klage gegen <strong>de</strong>n Boulevardjournalisten vor, obwohl <strong>die</strong> Disc mit<strong>de</strong>r Tonbandaufnahme nicht mehr auff<strong>in</strong>dbar war.Da sich jedoch sowohl e<strong>in</strong> Herzog als auch e<strong>in</strong> adliger Comman<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Royal Navy für<strong>de</strong>n <strong>in</strong>haftierten ehemaligen Offizier verwen<strong>de</strong>ten, sah man von e<strong>in</strong>er Strafanzeige wegenabsichtlicher Rufschädigung ab. Militärische Geheimnisse hatte Lan<strong>de</strong>r nichtpreisgegeben, weshalb man es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall bei e<strong>in</strong>er Verwarnung beließ. Wie e<strong>in</strong>Experte mutmaßte, war er sowieso genug gestraft, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Gesamtauflage <strong>de</strong>sKlatschmagaz<strong>in</strong>s mit se<strong>in</strong>em Bild auf <strong>de</strong>r Titelseite war bereits ausverkauft gewesen,bevor man sie aus <strong>de</strong>m Verkehr ziehen konnte. Se<strong>in</strong>e ganze Heimat wusste Bescheid.Wie<strong>de</strong>rum e<strong>in</strong>en Tag später fand man Orson Carsons Leiche <strong>in</strong> <strong>de</strong>ssenPenthousewohnung auf New London. Er hatte sich selbst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kopf geschossen, wohlweil das Magaz<strong>in</strong> ihn rausgeworfen hatte und <strong>die</strong> Royal Navy an Patrick Lan<strong>de</strong>rs statt nunwegen Rufschädigung gegen ihn vorg<strong>in</strong>g. Die Schusswaffe lag noch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s totenBoulevardreporters.Wie<strong>de</strong>rum drei Tage später erschien e<strong>in</strong> Interview mit Patrick Lan<strong>de</strong>r auf Hyperbroadcast,<strong>in</strong> <strong>de</strong>m er zu jenem Artikel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Bretonian Citizen’s Life Stellung nahm. Zusätzlichentschuldigte er sich sowohl bei <strong>de</strong>r Royal Navy als auch beim gesamten bretonischenVolk für se<strong>in</strong>e zwei<strong>de</strong>utigen Äußerungen.Duncan Avery weilte zu jenem Zeitpunkt bereits auf Planet Cambridge, ohne se<strong>in</strong>enFreund nach <strong>de</strong>ssen Entlassung aus <strong>de</strong>m Gefängnis wie<strong>de</strong>rgesehen zu haben. Es warbesser für Avery, <strong>de</strong>nn ganz Heresbridge befand sich schon tagelang imAusnahmezustand, und <strong>die</strong> Wohnung <strong>de</strong>s Pastors wur<strong>de</strong> seit<strong>de</strong>m von Journalistenregelrecht belagert. Sie erhofften sich e<strong>in</strong> paar Worte <strong>de</strong>s Offiziers, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>rVolksme<strong>in</strong>ung mittlerweile als <strong>de</strong>r Verräter verschrien war. O<strong>de</strong>r aber e<strong>in</strong> neues Interviewmit se<strong>in</strong>em beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten Freund, von <strong>de</strong>m man geme<strong>in</strong>h<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r bretonischenOberschicht sagte, dass er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten <strong>de</strong>n Verstand verloren hatte und bloßnoch Mitleid ver<strong>die</strong>nte.Als zwei <strong>de</strong>r Reporter sich gewaltsam Zutritt zur Wohnung <strong>de</strong>r Familie verschaffenwollten, rief Jeremiah Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Polizei. Sie kam und räumte <strong>die</strong> Straße.Trotz<strong>de</strong>m erwog <strong>die</strong> Familie, aus Heresbridge wegzuziehen. Es blieb abzuwarten, woh<strong>in</strong>,<strong>de</strong>nn <strong>die</strong>s h<strong>in</strong>g davon ab, ob Pfarrer Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Beruf weiter ausüben durfte und e<strong>in</strong>eneue Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> zugewiesen bekäme. Die von mehr als zehntausend leedser Bürgernunterzeichnete For<strong>de</strong>rung nach se<strong>in</strong>er Entlassung lag auf <strong>de</strong>m Schreibtisch <strong>de</strong>szuständigen Vertreters <strong>de</strong>r anglikanischen bretonischen Kirche.


Ke<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r Unterzeichner jener Petition lebte <strong>in</strong> Heresbridge und gehörte zu JeremiahLan<strong>de</strong>rs Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>. Das gab schließlich zusammen mit <strong>de</strong>m Hyperbroadcast<strong>in</strong>terview <strong>de</strong>sehemaligen Offiziers <strong>de</strong>n Ausschlag. Ansonsten wäre <strong>die</strong> Familie wegen <strong>de</strong>r angesichtsMillionen Toter und Verstümmelter auf Planet New London doch sehr politischunopportunen Äußerungen <strong>de</strong>s Pfarrerssohnes vermutlich auf <strong>de</strong>r Straße gelan<strong>de</strong>t. ZumGlück sah <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong> Kirchenbeamte jedoch <strong>die</strong> Entschuldigung auf Hyperbroadcastund wusste um <strong>die</strong> Unseriosität <strong>de</strong>r Klatschpresse. Daher ahnte er, was <strong>de</strong>r junge Lan<strong>de</strong>rwirklich gesagt hatte und was an Tatsachen von Orson Carson mutwillig verdreht wor<strong>de</strong>nwar. Lei<strong>de</strong>r schaute jedoch e<strong>in</strong> sehr großer Teil <strong>de</strong>r bretonischen Bevölkerung ke<strong>in</strong>eseriösen Nachrichtensendungen auf Hyperbroadcast. Es waren <strong>die</strong> Leute, <strong>die</strong> nurWerbesen<strong>de</strong>r schauten und Klatschblättchen lasen. Sie machten <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n auf <strong>die</strong>se Artund Weise zur vierten Macht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r bretonischen Demokratie.„Duncan!“ Patrick Lan<strong>de</strong>r rief <strong>de</strong>n Namen se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s und w<strong>in</strong>kte <strong>de</strong>r f<strong>in</strong>sterblicken<strong>de</strong>n Angestellten von Spa and Cruise, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n am Arm führte, loszulassen.Sie tat es jedoch nicht gleich, son<strong>de</strong>rn geleitete Avery vorsichtig zu e<strong>in</strong>er Couch <strong>in</strong> <strong>de</strong>rLounge <strong>de</strong>r Company.Erst als sie vore<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r stan<strong>de</strong>n, er<strong>in</strong>nerte Lan<strong>de</strong>r sich an das, was geschehen war undjetzt zwischen ihnen stand. Deswegen war se<strong>in</strong>e Kehle plötzlich wie zugeschnürt, und <strong>die</strong>Freu<strong>de</strong> wur<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Furcht verdrängt.Er hatte Angst. Sogar sehr große Angst vor <strong>de</strong>m, was se<strong>in</strong> Freund gleich sagen wür<strong>de</strong>.Vor <strong>de</strong>n bitteren Vorwürfen, <strong>die</strong> unweigerlich kommen mussten.„Ich lasse Sie e<strong>in</strong>en Moment alle<strong>in</strong> und bleibe nebenan, Mister Avery. Falls Sie mögen,rufe ich nachher e<strong>in</strong> Taxi an <strong>de</strong>n Seitenausgang. Dort ist bis jetzt noch niemand.“„Danke“, sprach Lan<strong>de</strong>r schnell, obwohl er gleichzeitig wollte und doch auch nicht wollte,dass sie g<strong>in</strong>g. Sie verabscheute ihn wie fast je<strong>de</strong>rmann. Es g<strong>in</strong>g ihm mittlerweile wieBetty Halmers <strong>in</strong> Heresbridge. Gleichzeitig verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte <strong>die</strong> jetzige Gegenwart <strong>de</strong>rAngestellten jedoch, dass Avery und er mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong> waren. Es kam ihm wie e<strong>in</strong>kurzer Gna<strong>de</strong>naufschub vor <strong>de</strong>r unausweichlichen H<strong>in</strong>richtung vor.Die Tür wur<strong>de</strong> leise zugezogen. Lan<strong>de</strong>r hatte das Gefühl, dass ihm bald <strong>die</strong> Be<strong>in</strong>ee<strong>in</strong>knicken wür<strong>de</strong>n, weshalb er auf e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r abgenutzten Sessel sank. Die Distanzzwischen ihnen betrug vielleicht an<strong>de</strong>rthalb Meter, aber es war <strong>in</strong> Wahrheit sehr vielmehr, wie es ihm vorkam.„Me<strong>in</strong>e Eltern warten zu Hause. Ich b<strong>in</strong> alle<strong>in</strong> gekommen.“ Fast zögerlich sprach Lan<strong>de</strong>rnoch aus: „Du kommst doch wie<strong>de</strong>r mit zu uns nach Hause, o<strong>de</strong>r?“„Ich b<strong>in</strong> doch hier, nicht wahr?“ E<strong>in</strong>e ausdruckslose Antwort, <strong>die</strong> je<strong>de</strong> Emotion vermissenließ. Fast schon sehnte Lan<strong>de</strong>r sich zu <strong>de</strong>r Zeit zurück, als er wenigstens Averys blankeAugen hatte sehen können. Das war momentan wegen e<strong>in</strong>es Verban<strong>de</strong>s völlig unmöglich,„Und… wie geht es dir?“ Sie sprachen mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r wie Frem<strong>de</strong>, anstatt e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r vorFreu<strong>de</strong> über das Wie<strong>de</strong>rsehen um <strong>de</strong>n Hals zu fallen. Das tat weh.„Die Ärzte sagen, es besteht e<strong>in</strong>e gute Chance, dass <strong>die</strong> Transplantation <strong>de</strong>rnachgezüchteten Sehzellen erfolgreich war. Sie s<strong>in</strong>d jedoch nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, zu sagen,wie viel ich tatsächlich sehen wer<strong>de</strong>, wenn <strong>de</strong>r Verband abkommt. Das hängt davon ab,wie gut <strong>die</strong> computergesteuerten Injektionen getroffen haben, also 50:50.“E<strong>in</strong> Schauer lief Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rücken h<strong>in</strong>unter. E<strong>in</strong>mal wegen <strong>de</strong>r Horrorvorstellung, e<strong>in</strong>eWoche lang fast je<strong>de</strong>n Tag unter e<strong>in</strong>er leichten Vollnarkose mittels e<strong>in</strong>er haarfe<strong>in</strong>en Na<strong>de</strong>lSpritzen <strong>in</strong> bei<strong>de</strong> Augen zu bekommen, und zum Zweiten wegen <strong>de</strong>r unterschwelligenFe<strong>in</strong>dseligkeit se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s.„Dass es gut gegangen ist, freut mich für dich. Ich wer<strong>de</strong> für dich beten. Hör zu…“ Erwusste nicht, wie er es sagen sollte, also sprach er es gera<strong>de</strong>heraus aus: „Duncan, ich<strong>de</strong>nke, dass es besser ist, wenn wir <strong>de</strong>n Freundschaftsschwur lösen. Ich wer<strong>de</strong> mir e<strong>in</strong>eneue Arbeit suchen und dann zu Hause ausziehen. Weggehen aus Heresbridge istgarantiert <strong>die</strong> beste Lösung, <strong>de</strong>nn ich habe euch allen nur gescha<strong>de</strong>t. Me<strong>in</strong>e Elternwer<strong>de</strong>n sicherlich nichts dagegen haben, wenn du bei ihnen wohnen bleibst, ganz gleich,was aus <strong>de</strong><strong>in</strong>er OP gewor<strong>de</strong>n ist. Auch Mister Jeffreys lässt dich grüßen und dir


ausrichten, dass du wie<strong>de</strong>r bei ihm anfangen kannst, ganz egal, was mit <strong>de</strong><strong>in</strong>en Augenist. Er war sehr zufrie<strong>de</strong>n mit dir.“Er pausierte, weil es ihm nicht gelang, se<strong>in</strong>er Stimme weiterh<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en festen Klang zugeben. Sie war voller Emotion. „Ich wer<strong>de</strong> Betty heiraten und mit ihr zusammenziehen.Wir gehen aus Heresbridge fort. Es ist sicher das Beste.“ Langsam stand er auf. „Komm,ich br<strong>in</strong>ge dich nach Hause. Die Busfahrt wird lei<strong>de</strong>r vermutlich so schlimm wer<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong><strong>in</strong>e damalige H<strong>in</strong>fahrt zum Raumhafen, aber danach wirst du nie wie<strong>de</strong>r etwas mit mirzu tun haben müssen.“Er hatte soeben maßlos untertrieben, <strong>de</strong>nn nur das E<strong>in</strong>schreiten e<strong>in</strong>er Polizeistreife hattevorh<strong>in</strong> auf <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>weg verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, dass man ihn im Flugbus verprügelt hatte. DiePolizisten waren wie<strong>de</strong>rum anwesend gewesen, weil <strong>die</strong> Reporter wussten, dass Avery <strong>die</strong>Kl<strong>in</strong>ik auf Cambridge verlassen hatte. Sie hatten sich an Lan<strong>de</strong>rs Fersen geheftet, da siehofften, dass Lan<strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Bus zum Raumhafen flog, was ja auch stimmte. Je<strong>de</strong>nfallshatten <strong>die</strong> Polizisten <strong>die</strong> Reporter am E<strong>in</strong>steigen geh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt und auch <strong>die</strong> Prügelei mite<strong>in</strong>igen an<strong>de</strong>ren Fahrgästen verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt. Man konnte jedoch nicht sagen, dass sie es gerngetan hatten. Sie kamen aus Heresbridge und taten es für se<strong>in</strong>en Vater, <strong>de</strong>r immer noch<strong>de</strong>r Pastor war. Nicht jedoch für ihn. Jeremiah Lan<strong>de</strong>rs Sohn war <strong>de</strong>r Verräter. Der Fe<strong>in</strong>dBretonias.Noch immer sprach Avery nicht, weshalb Lan<strong>de</strong>r fast verzweifelnd erklärte: „Sorry,Duncan. Ich wusste ke<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Weg als das Interview zu geben, um an das Geld zukommen. Bitte komm jetzt, damit wir es h<strong>in</strong>ter uns br<strong>in</strong>gen können. Ich b<strong>in</strong> dir sehrdankbar für alles, was du danach für mich getan hast. Ich verdanke dir erneut me<strong>in</strong>eFreilassung, <strong>die</strong>smal aus <strong>de</strong>m Gefängnis. Ich weiß, was es dich gekostet haben muss,Lord Fowley anzurufen.“„Das weißt du nicht.“ Obwohl es harte Worte waren, waren sie e<strong>in</strong>e Erleichterung.„Doch, du warst früher…“„Was zählt ist, was ich jetzt b<strong>in</strong>, Patrick. Nicht das, was e<strong>in</strong>mal gewesen ist. Wenn mantief unten ist, dann geht es irgendwann nicht mehr tiefer.“„So siehst du uns also?“ Das hatte Lan<strong>de</strong>r wirklich nicht erwartet. „Als Abschaum? Duhast dich erniedrigt, weil es sowieso unter <strong>de</strong><strong>in</strong>er Wür<strong>de</strong> ist, bei uns zu leben? Weil esunter <strong>de</strong><strong>in</strong>er Wür<strong>de</strong> ist, me<strong>in</strong> Freund gewesen zu se<strong>in</strong>?!“Erstaunlicherweise huschte jetzt Erschrecken über Averys Züge. Lan<strong>de</strong>r sah es jedochkaum. Er stürzte zur Tür, <strong>de</strong>nn er gehörte für Avery also auch <strong>in</strong> <strong>die</strong> unterste Schubla<strong>de</strong>.Genau wie se<strong>in</strong>e Eltern, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n Gast wie ihren eigenen Sohn behan<strong>de</strong>lt und sichdas Geld für se<strong>in</strong>en Aufenthalt irgendwie abgestottert hatten. Weg, nur weg von hier!„Warte!“Da er nicht stoppte, rief Avery erneut: „Halt! Ich will <strong>de</strong>n Pakt nicht kündigen, Patrick!“Lan<strong>de</strong>r stand bereits auf <strong>de</strong>m Flur, als <strong>die</strong> Worte se<strong>in</strong> Ohr erreichten. Es waren <strong>die</strong>e<strong>in</strong>zigen, <strong>die</strong> ihn aufhalten konnten, und Avery hatte das gewusst.Da <strong>de</strong>r Bl<strong>in</strong><strong>de</strong> nicht sehen konnte, wo er war, fragte Avery leise <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Raum h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>:„Patrick? Bist du noch da? Du hast mich missverstan<strong>de</strong>n! Ich habe es auf me<strong>in</strong>enkörperlichen Zustand bezogen. Ich war am En<strong>de</strong>! Ich habe ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n mehr <strong>in</strong> me<strong>in</strong>emLeben gesehen, und dann kam <strong>die</strong>se Sache, also habe ich alles gemacht, um dich zubefreien, und wollte mich danach selbst umbr<strong>in</strong>gen!“„Was?“ Geistesgegenwärtig schloss Lan<strong>de</strong>r schnellstmöglich <strong>die</strong> Tür. Er war mittlerweilesehr vorsichtig, und <strong>die</strong>s war e<strong>in</strong> quasi öffentlicher Platz. Hier gab es sicherlich Menschen,<strong>die</strong> gegen Geld alles ausplau<strong>de</strong>rten, was sie hörten.„Ich wollte nicht mehr. Du warst <strong>de</strong>n ganzen Tag auf <strong>de</strong>r Arbeit und hattest abends ke<strong>in</strong>eZeit mehr. Wir haben nicht vernünftig mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gesprochen, und ich dachte sogar,dass unsere Freundschaft <strong>de</strong>n Bach runtergeht. Ich glaubte, du wolltest nichts mehr mitmir zu tun haben und wür<strong>de</strong>st bereuen, mich aufgenommen zu haben, weil ich doch beiallem <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe brauchte und nichts zurückgeben konnte. Eben, dass ich dir lästig wäre.Da ich an Depressionen lei<strong>de</strong>, war es mir völlig egal, was passiert… nicht, dass ich essonst nicht auch getan hätte… ach verdammt!“ Nun machte auch <strong>de</strong>r Freund e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktive Geste, als wolle er sich über <strong>die</strong> Augen wischen, aber sie wur<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>mdicken Kopfverband ver<strong>de</strong>ckt.„Ich habe niemals so gedacht!“ Lan<strong>de</strong>r war jetzt irgendwie danach, zu lachen, aber erbrachte es nicht fertig. Der Laut blieb ihm <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kehle stecken. Statt<strong>de</strong>ssen setzte er


sich zu Avery und flüsterte: „Ich dachte, du wolltest nichts mehr mit mir zu tun haben,nach<strong>de</strong>m das Interview herauskam. Ich traute mich gar nicht, dich anzurufen.“„Und ich hatte Angst, dass du mir nicht mehr vertraust und <strong>de</strong>shalb nicht anrufst.“„Wieso <strong>de</strong>nn das? Ich vertraue ke<strong>in</strong>em Menschen mehr als dir!“„Du hast mir so vieles nicht erzählt, was dann <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Citizen’s Life stand. Ich musste beimVorlesen D<strong>in</strong>ge über <strong>de</strong><strong>in</strong>en Aufenthalt <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten hören, von <strong>de</strong>nen du mir nieetwas gesagt hast, und anstelle von mir erzählst du sie e<strong>in</strong>em Sensationsreporter gegenGeld!“„Der Kerl hat <strong>die</strong> Fakten völlig verdreht!“„In allem steckt e<strong>in</strong> wahrer Kern. Irgen<strong>de</strong>twas musst du ihm ja gesagt haben. Hat er sichausgedacht, dass man dich vergewaltigt hat? Hat er erfun<strong>de</strong>n, dass du <strong>de</strong>m Schlitzer vonPlanet Cambridge begegnet bist und von ihm fast umgebracht wur<strong>de</strong>st? In <strong>de</strong>r Kl<strong>in</strong>ik hatman mir von ihm berichtet. Die Er<strong>in</strong>nerung an ihn ist bis heute lebendig. Du willst garnicht wissen, was <strong>die</strong>ser Kerl mit <strong>de</strong>n jungen Frauen - ausnahmslos Stu<strong>de</strong>nt<strong>in</strong>nen -gemacht hat. O<strong>de</strong>r dass du wie e<strong>in</strong> Tier angekettet und misshan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n bist! Me<strong>in</strong>Gott, du hast mir gar nichts davon erzählt! Ich dachte, es liegt an mir! Es ist doch wahr,o<strong>de</strong>r?“„Ja, es ist wahr. Diesbezüglich hat Carson nicht gelogen. Ich konnte nicht darübersprechen. Das hatte mit dir re<strong>in</strong> gar nichts zu tun.“„Wirklich nicht?“„Ne<strong>in</strong>. Du bist e<strong>in</strong> Dummkopf, Duncan.“„Auch nicht mehr als du! Du willst Miss Halmers heiraten.“„Geht das schon wie<strong>de</strong>r los! Schau mal, ich habe ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Wahl. Ich habe ke<strong>in</strong>en Jobmehr, weil Jeffreys mich rausgeworfen hat. So schnell wird mich auch niemand mehre<strong>in</strong>stellen. Betty bekommt das Geld von Marlowe und will ebenfalls wegziehen. Es warene<strong>in</strong>fach praktische Überlegungen, zumal mich mittlerweile auch ke<strong>in</strong>e Frau auf <strong>de</strong>mganzen Planeten mehr will.“„Hast du sie schon gefragt? Seid ihr verlobt?“„Ja, <strong>in</strong>sgeheim schon. Ich möchte erst noch mit me<strong>in</strong>en Eltern sprechen, und so weitwaren wir noch nicht. Bei mir zu Hause ist momentan wegen <strong>de</strong>r ganzen Paparazzi allesaus <strong>de</strong>n Fugen. Sag <strong>de</strong>shalb bitte noch nichts davon.“„Es heißt bei uns zu Hause, und ich bestehe darauf, dass du alles noch e<strong>in</strong>malüber<strong>de</strong>nkst. Wir wer<strong>de</strong>n geme<strong>in</strong>sam e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Lösung f<strong>in</strong><strong>de</strong>n!“„Heißt das, dass du wirklich wie<strong>de</strong>r dauerhaft bei uns leben willst?“ Lan<strong>de</strong>r war nichtwillens, über <strong>die</strong>se Sache zu verhan<strong>de</strong>ln. Er hatte sich entschie<strong>de</strong>n, und damit war esgut. Er wollte Betty Halmers heiraten. Sie begegnete ihm wenigstens nicht mitHerablassung und Abneigung, son<strong>de</strong>rn sie stand zu ihm.„Wenn ihr mich wie<strong>de</strong>r bei euch haben wollt.“„Natürlich wollen wir das, Duncan!“ Er hatte das Gefühl, Avery um <strong>de</strong>n Hals fallen zumögen, also tat er es e<strong>in</strong>fach. Wie schon so oft lehnte <strong>de</strong>r Freund sich daraufh<strong>in</strong> bei ihman und we<strong>in</strong>te vor Erleichterung.„Ich lasse niemals zu, dass du <strong>de</strong>n Freundschaftspakt aufkündigst! Was soll ich <strong>de</strong>nnohne dich bloß machen?“Lautlos öffnete sich <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>en Spalt, und <strong>die</strong> Spa and Cruise-Angestellte schautehere<strong>in</strong>. Sie trug e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Digitalkamera bei sich und schoss mehrere Fotos, ohne dasse<strong>in</strong>er von ihnen etwas davon mitbekam. Eigentlich hatte sie es nicht tun wollen, aber ihrwaren von <strong>de</strong>m Reporter, <strong>de</strong>r ihr <strong>die</strong> Kamera <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand gedrückt hatte, zehntausendCredits für e<strong>in</strong> gutes Bild <strong>de</strong>s operierten Duncan Avery mit <strong>de</strong>m Verband gebotenwor<strong>de</strong>n. Der geplante Artikel sollte eigentlich nur davon han<strong>de</strong>ln, ob <strong>die</strong> OP wohlerfolgreich se<strong>in</strong> wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r nicht. Die gelieferte Bil<strong>de</strong>rserie machte <strong>die</strong> Frau reich, <strong>de</strong>nnsie konnte <strong>die</strong> Abzüge hun<strong>de</strong>rtfach verkaufen. Der Reporter zog ebenfalls das gol<strong>de</strong>neLos, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong> Artikel wur<strong>de</strong> dutzendfach kopiert und e<strong>in</strong> regelrechter Bestseller bei allenKlatschblättchen. Die allmontägliche Skandalschlagzeile lautete <strong>die</strong>smal: „Der enterbteAvery – HÖRIG ODER SCHWUL?“ Sie trug <strong>de</strong>n Untertitel: „Sex am Raumhafen - Nutzt <strong>de</strong>rVerräter <strong>de</strong>n unmündigen Herzog aus?“ und erschien exklusiv bei <strong>de</strong>r Buntenbretonischen Welt. Dieses Magaz<strong>in</strong> hatte ja seit jenem als Gegenleistung für MarlowesUnterstützung e<strong>in</strong>gefor<strong>de</strong>rten Interview auf Planet Leeds e<strong>in</strong> beson<strong>de</strong>res Interesse an<strong>de</strong>m beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rten Avery.


Es war verständlich, dass bei jener neuen Lügengeschichte nicht nur Lan<strong>de</strong>rs Eltern e<strong>in</strong>enerneuten Schock fürs Leben bekamen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Freun<strong>de</strong> selbst. Diesmalverlor Jeremiah Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Job endgültig. E<strong>in</strong> schwuler Sohn e<strong>in</strong>es Pfarrers <strong>de</strong>ranglikanischen Kirche war für <strong>die</strong> bretonischen Behör<strong>de</strong>n auf Planet Leeds wirklich nichtmehr tolerierbar. Zu viel war zu viel. Dagegen half nicht e<strong>in</strong>mal mehr e<strong>in</strong>e ei<strong>de</strong>sstaatlicheErklärung Lan<strong>de</strong>rs, dass er nicht schwul war, <strong>de</strong>nn das meistverkaufte Foto zeigte<strong>de</strong>utlich <strong>die</strong> gegenseitige Umarmung und Averys Kopf, <strong>de</strong>r an Lan<strong>de</strong>rs Brust ruhte,während <strong>de</strong>r ehemalige Sub-Lieutenant ihn zärtlich berührte.Auf <strong>de</strong>m konservativen Planeten Leeds reichte das Foto als Beweis, zumal sie janebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Couch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lounge saßen. Wer wusste schon, was davor unddanach passiert war? Nun wur<strong>de</strong> erst richtig zum Halali geblasen, <strong>de</strong>nn noch mehrSensationsreporter machten sich nach Planet Leeds auf, um <strong>de</strong>n Beweis zu liefern. DieStory war bereits sehr vielversprechend und bewegte Hun<strong>de</strong>rttausen<strong>de</strong> Menschen <strong>in</strong> ganzBretonia.„Sie können jetzt here<strong>in</strong>kommen. Das Behandlungszimmer ist frei.“ DieSprechstun<strong>de</strong>nhilfe verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Das war verständlich,<strong>de</strong>nn sie wollte nach Hause. Sie hatte sicherlich längst Feierabend.Die gesamte Familie Lan<strong>de</strong>r erhob sich, um Duncan Avery auf se<strong>in</strong>em schweren Gang zubegleiten.Unsicher krallte sich Averys l<strong>in</strong>ke Hand <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs rechte Seite, als se<strong>in</strong> Freund ihnvorsichtig führte. „Pass auf, da ist e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Stufe.“„Danke.“ Heiserkeit sprach aus <strong>de</strong>r Stimme. Aufregung und Angst waren wohl Averys klardom<strong>in</strong>ieren<strong>de</strong> Emotionen.Der entlassene Pastor und se<strong>in</strong>e Frau folgten, aber als Jeremiah Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Blick mitse<strong>in</strong>em Sohn tauschte, sprach er leise: „Wir bleiben hier draußen im Wartezimmer.Komm, lass uns solange für Duncan beten, Anne.“Lediglich dankbar nickend verschwand Lan<strong>de</strong>r mit Avery im Behandlungszimmer. So vielh<strong>in</strong>g von <strong>die</strong>sem e<strong>in</strong>en Moment ab. Er war quasi entschei<strong>de</strong>nd für e<strong>in</strong> ganzes Leben. AlsLan<strong>de</strong>r daran dachte, wie sehr se<strong>in</strong> Vater und auch se<strong>in</strong>e Mutter sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten zweiWochen verän<strong>de</strong>rt hatten, zog sich se<strong>in</strong> Magen zusammen.Sie wirkten bei<strong>de</strong> wie Menschen, <strong>die</strong> man aus <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>zigen Leben gerissen hatte, das zuführen sie verstan<strong>de</strong>n. Welches sie kannten. Die Rückkehr ihres e<strong>in</strong>zigen Sohnes aus <strong>de</strong>nGrenzwelten hatte ihre kle<strong>in</strong>e, gewohnte Welt zerstört, aber er hatte sie nie klagenhören. Se<strong>in</strong> Vater hatte sich jedoch völlig <strong>in</strong> sich selbst zurückgezogen. Anne Lan<strong>de</strong>rMutter war dagegen nicht mehr fröhlich. Sie hatte ihre Lebensfreu<strong>de</strong> verloren. Sie g<strong>in</strong>gnicht mehr zur Teerun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren Leiter<strong>in</strong> sie als Frau <strong>de</strong>s Geme<strong>in</strong><strong>de</strong>vorstehers ja gewesenwar. Madam Sark von nebenan leitete jetzt <strong>die</strong> Teerun<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn Anne Lan<strong>de</strong>r wargesellschaftlich <strong>in</strong> Ungna<strong>de</strong> gefallen.Ihre Freund<strong>in</strong>nen glaubten <strong>de</strong>r Boulevardpresse e<strong>in</strong>mal, dass ihr Sohn schwul war, sowiezweitens, dass er <strong>de</strong>n armen Avery manipulierte und schändlich ausnutzte, obwohl sie eseigentlich alle besser wussten. Sie hatten Lan<strong>de</strong>r ja zum Beispiel oft zu Betty Halmersgehen und ihre E<strong>in</strong>kaufstüten tragen sehen und sich sogar noch das Maul darüberzerrissen, nach<strong>de</strong>m sie es se<strong>in</strong>er Mutter gepetzt hatten. Er war ja sogar mit <strong>de</strong>r jungenFrau verlobt! Die Klatschblättchen logen jedoch nicht. Er war schwul, war es schon immergewesen, und sie hatten es ja eigentlich alle schon immer geahnt, dass etwas mit ihmnicht stimmte. Dies hatte Madam Swift sogar e<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren Reporter gegenüber gesagt,als man sie <strong>in</strong>terviewt hatte. Es war ihr e<strong>in</strong>e Ehre gewesen, von e<strong>in</strong>em echten Reporternach ihrer Me<strong>in</strong>ung gefragt zu wer<strong>de</strong>n.Jenes besagte Boulevardmagaz<strong>in</strong> hatte dann ja sogar noch <strong>die</strong> Theorie aufgestellt, dasser bewusst auf e<strong>in</strong>en Patrouillenkreuzer gegangen war, weil es <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zigen Kampfschiffe<strong>de</strong>r Royal Navy waren, auf <strong>de</strong>nen wegen <strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten nur Männer<strong>die</strong>nten. Vier Offiziere für über hun<strong>de</strong>rt Mannschaftsmitglie<strong>de</strong>r und Unteroffiziere. Dahatte Lan<strong>de</strong>r es dann wahlweise mit <strong>de</strong>n e<strong>in</strong>fachen Matrosen getrieben. Je<strong>de</strong>n Tag mite<strong>in</strong>em an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>nen er <strong>de</strong>n Gehorsam befohlen hatte. Das Magaz<strong>in</strong> berief sich auf


todsichere Quellen - und lei<strong>de</strong>r hatten <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Ex-Militärs e<strong>in</strong>e genaue Ahnung, auswelcher Richtung das Gerücht stammte.An <strong>die</strong> schiefen Blicke und daran, dass K<strong>in</strong><strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m F<strong>in</strong>ger auf ihn zeigten, hatteLan<strong>de</strong>r sich mittlerweile halbwegs gewöhnt, ebenso wie daran, auf <strong>de</strong>r Straße angespucktzu wer<strong>de</strong>n. Das Schlimmste war jedoch, dass sie nicht aus Heresbridge weggehenkonnten. Sie hatten ke<strong>in</strong> Geld dafür. Sie lebten von <strong>de</strong>n letzten tausend Credits, <strong>die</strong>Avery auf Cambridge nicht gebraucht hatte. Es war genug Geld für zwei Monate, nichtmehr. Was danach kommen wür<strong>de</strong>, wussten sie nicht.Se<strong>in</strong>e Mutter putzte seit letzter Woche heimlich bei Madam Reisman. Es war e<strong>in</strong>e betagteWitwe mit e<strong>in</strong>em überdurchschnittlich hohen Intelligenzquotienten. Der letzte Umstandverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte, dass sie jenen Lügen Glauben schenkte. Trotz<strong>de</strong>m tat Anne Lan<strong>de</strong>r es aufWunsch <strong>de</strong>r alten Dame ausschließlich nachts, damit sie auch ja niemand <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wohnung<strong>de</strong>r Nachbar<strong>in</strong> gehen sah.Der arbeitslose Pastor hatte ke<strong>in</strong>e Hoffnung mehr, doch noch wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>gestellt zuwer<strong>de</strong>n. Er hätte vor Gericht klagen können, aber dafür fehlte genau wie letztes Malwie<strong>de</strong>r das Geld. Lan<strong>de</strong>r wagte außer<strong>de</strong>m zu bezweifeln, dass sich jemand an <strong>de</strong>n Fallherangetraut hätte. Es wäre für <strong>de</strong>n Anwalt vermutlich rufschädigend gewesen. JeremiahLan<strong>de</strong>r war lediglich Mitte vierzig, sah jedoch seit zwei Wochen wie sechzig aus. Er blieb<strong>de</strong>n ganzen Tag zu Hause, wo er sich mit Lesen beschäftigte o<strong>de</strong>r Duncan Avery durchVorlesen half. Der ehemalige Stabsoffizier war ja <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige, <strong>de</strong>r noch e<strong>in</strong>en richtigenJob als Bürogehilfe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Ziegelei von Mister Jeffreys hatte. Daran hielt <strong>de</strong>r Industriellezum Glück für sie auch fest, obwohl das Geld natürlich nicht ausreichte, um sie alle zuversorgen und <strong>die</strong> Miete sowie <strong>de</strong>n Strom zu bezahlen.Patrick Lan<strong>de</strong>r half se<strong>in</strong>em Freund ebenfalls viel bei <strong>de</strong>r Arbeit, obwohl er sich für dasbretonische Rechtswesen nicht begeistern konnte. Es beschäftigte jedoch se<strong>in</strong>eGedanken, wenn er nicht bei se<strong>in</strong>er Verlobten war. Deren Mutter war je<strong>de</strong>nfalls jetzt ganzan<strong>de</strong>rs als früher. Madam Halmers war bo<strong>de</strong>nständiger gewor<strong>de</strong>n und akzeptierte ihn alsihren zukünftigen Schwiegersohn. Sie schien froh zu se<strong>in</strong>, dass ihre Betty überhaupt noche<strong>in</strong>en ‚anständigen Mann’ heiratete. Vom Lesen <strong>de</strong>r Boulevardpresse war sie je<strong>de</strong>nfallsvöllig kuriert, wie es schien. Sie war ja außer Lan<strong>de</strong>rs Eltern, se<strong>in</strong>em besten Freundsowie ihrer Tochter Betty e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>r Wenigen, <strong>die</strong> wussten und auch glaubten, dass er aufFrauen und nicht auf Männer stand.Ne<strong>in</strong>, sie alle waren enger zusammengerückt. Se<strong>in</strong>e Eltern hatten ihm ke<strong>in</strong>e Vorwürfegemacht, genauso wenig wie Duncan Avery. Es war eben passiert, er war mitschuldigdaran, aber er hatte es nur gut geme<strong>in</strong>t. Jemand hatte ihnen mit allen Mitteln scha<strong>de</strong>nwollen und se<strong>in</strong> Ziel vorläufig erreicht. Nur das Endziel hatte er noch nicht erreicht. Nochnicht. Das Endziel <strong>die</strong>ser methodischen Attacke war laut Avery <strong>die</strong> völlige Zerstörungihres Lebens. Der e<strong>in</strong>zige Weg, sich dagegen zu wehren, war, irgendwie weiterzumachen.Zusammen. Solange sie das schafften, gewannen sie, aber es war e<strong>in</strong> teuer erkaufter,kle<strong>in</strong>er Sieg für je<strong>de</strong>n von ihnen.Der Facharzt für Augenkrankheiten <strong>de</strong>s Krankenhauses <strong>de</strong>r mittelgroßen und vierFahrstun<strong>de</strong>n von Heresbridge entfernten Stadt Williamshire blickte auf, als Lan<strong>de</strong>rse<strong>in</strong>em Freund dabei half, sich auf <strong>die</strong> Liege zu setzen. Se<strong>in</strong> Arztkittel war <strong>de</strong>rselbe wieimmer - schon grau und vom vielen Waschen verschlissen. Der Mediz<strong>in</strong>er kam ausKusari, wie Lan<strong>de</strong>r wusste, hatte aber ansche<strong>in</strong>end <strong>die</strong> bretonische Staatsbürgerschaftangenommen und leistete hier auf Leeds nahezu e<strong>in</strong>malige Arbeit, weil er sich auf se<strong>in</strong>Fach verstand und trotz<strong>de</strong>m hier blieb. Normalerweise gab es auf Leeds ke<strong>in</strong>eerstklassigen Ärzte.Sie waren bereits zum dritten Mal hier - stets abends nach Feierabend, damit sie nichtmehr warten mussten. Sie waren menschenscheu gewor<strong>de</strong>n, genauso wie Betty Halmerses gewesen war, als Lan<strong>de</strong>r ihr nach se<strong>in</strong>er Rückkehr erstmalig auf <strong>de</strong>r Straße begegnetwar.„Wie fühlen Sie sich, Mister Avery?“ E<strong>in</strong>e freundliche, ruhige Frage. Der Arzt ließ sichse<strong>in</strong>e negative Me<strong>in</strong>ung o<strong>de</strong>r Neugier wenigstens nicht anmerken. Er sah nur <strong>die</strong>unnatürliche Blässe se<strong>in</strong>es Patienten.„Mir ist schlecht, um ehrlich zu se<strong>in</strong>.“Der danebenstehen<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>r ergriff Averys rastlose Hän<strong>de</strong> und hielt sie fest. Sie warenwie zwei gefangene Vögel, nervös und zittrig.


„Dazu besteht an sich ke<strong>in</strong> Grund, da es nicht wehtun wird. Genauso wenig wie das letzteMal o<strong>de</strong>r das Mal davor, als wir jeweils <strong>de</strong>n Verband mit <strong>de</strong>r Augensalbe gewechselthaben. Sollen wir uns <strong>die</strong> Sache <strong>de</strong>nn ansehen?“Auch Lan<strong>de</strong>r fühlte sich durch <strong>die</strong> sonore Stimme seltsam beruhigt. Das Krankenhaus vonWilliamshire genoss auf Planet Leeds e<strong>in</strong>en sehr guten Ruf. Vor allem aber war es e<strong>in</strong>Ort, wo man auf sie e<strong>in</strong>g<strong>in</strong>g und bereit war, auf ihre an<strong>de</strong>ren Probleme Rücksicht zunehmen. Das hieß vor allem, Duncan Avery erst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Abendstun<strong>de</strong>n zu behan<strong>de</strong>ln,wenn sonst ke<strong>in</strong>er mehr da war. Dieses M<strong>in</strong><strong>de</strong>stmaß an Diskretion war sehrzuvorkommend und <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Angelegenheit auch wichtig.Nach e<strong>in</strong>em tiefen Atemzug bewegte Avery kurz <strong>de</strong>n Kopf. Das Nicken war kaum alssolches erkennbar. „Fangen Sie bitte an, Doktor.“„Ich mache jetzt das Licht aus“, erklärte <strong>de</strong>r Augenarzt, <strong>de</strong>r täglich viel mit Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n zutun hatte. Er war gewöhnt, je<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>er Schritte zu erklären, um se<strong>in</strong>e Patienten, <strong>die</strong> oftso ängstlich und aufgeregt waren wie jetzt Avery, zu beruhigen. Dem Mediz<strong>in</strong>er warbewusst, dass se<strong>in</strong>e Worte letztlich mitentschie<strong>de</strong>n, wie sich das zukünftige Leben se<strong>in</strong>erPatienten entwickelte. Er konnte bestehen<strong>de</strong> Hoffnungen zerstören o<strong>de</strong>r neue entstehenlassen. Die ihm eigene sanfte Art war sympathisch und <strong>die</strong> Ruhe ebenso. Auch wenn esschon nach neun Uhr abends war, nichts verriet, dass er vielleicht lieber nach Hause zuFrau und K<strong>in</strong><strong>de</strong>rn wollte. Er war hier und wollte helfen, obwohl er nicht viel Geld dafürbekam. Duncan Avery war seit Langem nicht mehr krankenversichert.Patrick Lan<strong>de</strong>r wusste <strong>die</strong> Hilfe <strong>de</strong>s Arztes und <strong>de</strong>ssen Entgegenkommen beimBehandlungspreis daher sehr zu schätzen.In <strong>de</strong>r nun herrschen<strong>de</strong>n Dunkelheit <strong>de</strong>s Behandlungszimmers dauerte es relativ lange,bis <strong>de</strong>r ehemalige Sub-Lieutenant sich wie<strong>de</strong>r orientieren konnte. Dabei musste er sichvorstellen, dass es für Avery seit Monaten so war. Gar nichts zu sehen war e<strong>in</strong>fachschrecklich und beängstigend. Lan<strong>de</strong>r fühlte sich hilflos und ausgeliefert, ja ebenbeh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt. Schon <strong>die</strong>se kurzen Sekun<strong>de</strong>n, bis er wie<strong>de</strong>r Schemen erkennen konnte,waren fast zu viel.Die Vorhänge <strong>de</strong>s Raumes waren komplett zugezogen. Jetzt erhellte jedoch <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>eTaschenlampe <strong>de</strong>s Arztes <strong>die</strong> F<strong>in</strong>sternis. Der Mann stand neben Avery und begannlangsam und vorsichtig damit, <strong>de</strong>n Verband abzuwickeln. Dabei fluchte er verhalten über<strong>die</strong> Lampe, <strong>de</strong>ren Batterie bald leer war. So etwas war auf Planet Leeds teuer.Avery biss sich auf <strong>die</strong> Lippe. Lan<strong>de</strong>r bemerkte, dass se<strong>in</strong> Freund <strong>de</strong>n Atem angehaltenhatte und leicht zitterte. So groß war se<strong>in</strong>e Furcht vor <strong>de</strong>r möglichen Enttäuschung und<strong>de</strong>m En<strong>de</strong> aller Hoffnungen. 50:50 hatten <strong>die</strong> Ärzte auf Cambridge gesagt, bevor sie mit<strong>de</strong>r operativen Behandlung begonnen hatten.Die kle<strong>in</strong>e Lampe g<strong>in</strong>g aus, und <strong>de</strong>r Verband kam endgültig herunter. Lan<strong>de</strong>r bemerktees an <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> se<strong>in</strong>e eigenen umkrampft hatten und so fest zudrückten, dass esschmerzte.‚Bitte lieber Gott!’„Öffnen Sie jetzt bitte <strong>die</strong> Augen, damit ich sie wie immer von Salbenresten re<strong>in</strong>igenkann.“Tief durchatmend stammelte Avery: „Ich kann nichts sehen!“ E<strong>in</strong> durch und durchverzweifelter Ausspruch. „Die Transplantation <strong>de</strong>r Sehzellen war e<strong>in</strong> Fehlschlag!“„Das Licht ist nicht e<strong>in</strong>geschaltet. Ihr Freund kann Ihnen bestätigen, dass er momentanebenfalls nichts sieht.“„Möchten Sie mir etwa erzählen, dass Sie gera<strong>de</strong> etwas sehen können, Doktor?“, machteLan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en nervösen Scherz. ‚Bitte, bitte nicht! Allmächtiger Schöpfer, bitte mach, dasser wie<strong>de</strong>r sieht und nicht für immer bl<strong>in</strong>d ist.’„Bei uns <strong>in</strong> Kusari sagt man, dass man nicht nur mit <strong>de</strong>n Augen sehen kann. Ihr Freundkann Ihnen das sicherlich bestätigen, Mister Lan<strong>de</strong>r.“Es war e<strong>in</strong>e taktisch kluge H<strong>in</strong>führung zu <strong>de</strong>r immerh<strong>in</strong> fünfzigprozentigen Möglichkeit,dass Avery auch <strong>in</strong> Zukunft nicht wür<strong>de</strong> sehen können. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st nicht mit <strong>de</strong>n Augen.Der Patient war jedoch so nervös, dass er nicht antwortete.„So… das wird jetzt etwas kühl, aber es ist wie immer nur e<strong>in</strong> Tuch mit Wasser. Bittenicht erschrecken.“Auch Lan<strong>de</strong>r hielt es kaum noch aus. Wie musste es erst Avery gehen? Mittlerweile warfür Lan<strong>de</strong>r nicht mehr feststellbar, wer von ihnen wessen Hand fester umklammert hielt.


„Ich gehe jetzt mit <strong>de</strong>r Lampe zur h<strong>in</strong>teren Wand und lege e<strong>in</strong>e farbige Platte auf <strong>die</strong>Taschenlampe. Vermutlich wird es etwas wehtun, wenn Sie das erste Mal das Licht sehenkönnen, aber das ist normal. Bleiben Sie ruhig sitzen und schauen Sie nach vorn. SagenSie mir, welche Farbe das Licht hat, falls Sie es erkennen können. Ich möchte Ihnen nichtdirekt <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen leuchten, weil Ihnen das sehr große Schmerzen bereiten könnte.“„Ja.“ E<strong>in</strong> herausgewürgter Laut.Es war zu hören, wie <strong>de</strong>r Arzt im Dunkeln an e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r Schränke herumhantierte.„Machen Sie <strong>die</strong> Augen bitte jetzt erneut auf.“An e<strong>in</strong>em keuchen<strong>de</strong>n Laut war zu hören, dass Avery es trotz aller Furcht tat. AuchLan<strong>de</strong>r sah h<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> schwacher roter Sche<strong>in</strong> glomm <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Dunkelheit und beleuchtete <strong>die</strong>h<strong>in</strong>tere Wand <strong>de</strong>s Zimmers. Es sah aus wie Blut, weshalb er zusammenzuckte, als ihnkurz <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an <strong>die</strong> ausgefochtenen Kämpfe und <strong>die</strong> Toten überkam.„Haben Sie <strong>die</strong> Augen offen?“, fragte <strong>de</strong>r Arzt geduldig.„Wo ist das Licht?“„Es ist vor dir und circa zwei Meter entfernt, Duncan. Du musst es doch sehen!“„Ich… ich kann es nicht sehen! Me<strong>in</strong> Gott, Patrick, ich b<strong>in</strong> immer noch bl<strong>in</strong>d! Ich… ne<strong>in</strong>!“Mit <strong>die</strong>sem Schrei sprang Avery förmlich auf und riss sich los, bevor <strong>de</strong>r ebenso entsetzteLan<strong>de</strong>r ihn aufhalten konnte. Schluchzend rannte Avery mit halbausgestreckten Armenvorwärts, ohne dass se<strong>in</strong> Freund o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Arzt ihn daran h<strong>in</strong><strong>de</strong>rn konnten. Das rote Lichtwarf e<strong>in</strong>en dämonisch wirken<strong>de</strong>n Schatten.Se<strong>in</strong>em guten Orientierungss<strong>in</strong>n hatte <strong>de</strong>r Patient zu verdanken, dass er <strong>die</strong> Tür fand. Erriss sie auf und schrie, bevor er <strong>in</strong> Ohnmacht fiel.Der Arzt war e<strong>in</strong>e halbe Sekun<strong>de</strong> schneller bei ihm als Lan<strong>de</strong>r. Auch <strong>de</strong>r ehemaligePfarrer und se<strong>in</strong>e Frau kamen schockiert aus <strong>de</strong>m Warteraum herbeigestürzt.„Was ist mit ihm? Er hat doch geschrien! Ist es gut gegangen?“„Wohl eher nicht, Anne“, urteilte Jeremiah Lan<strong>de</strong>r. „Herr im Himmel, ich hätte es ihm sogewünscht.“„Das war sehr unklug von Ihnen, Mister Lan<strong>de</strong>r Junior. Er hätte warten sollen, und ichdachte, Sie wür<strong>de</strong>n ihn festhalten.“„Was hätte das schon gebracht, wenn er doch nichts sehen kann!“, hielt Lan<strong>de</strong>rverzweifelt dagegen. Alles war umsonst gewesen!„Helfen Sie mir bitte, ihn wie<strong>de</strong>r re<strong>in</strong>zutragen und h<strong>in</strong>zulegen. Ich muss e<strong>in</strong>en neuenVerband anlegen und ihm e<strong>in</strong>e Spritze geben, damit er aufwacht“, wies <strong>de</strong>r Arzt sienüchtern an. Er hatte solche Fälle natürlich schon hun<strong>de</strong>rtfach erlebt. HoffnungsloseFälle, <strong>de</strong>nen ke<strong>in</strong>e Behandlung <strong>de</strong>r Welt mehr helfen konnte.„Wieso e<strong>in</strong> neuer Verband?“„Um se<strong>in</strong>e Augen vor <strong>de</strong>r Lichte<strong>in</strong>wirkung zu schützen“, antwortete <strong>de</strong>r Mediz<strong>in</strong>er stoisch.„Warum? Er ist doch bl<strong>in</strong>d!“„Der Ärmste!“, rief Anne Lan<strong>de</strong>r aus.„Ich glaube, Sie verkennen <strong>die</strong> Lage.“„Gibt es Hoffnung, dass er vielleicht e<strong>in</strong>fach länger braucht, Doktor?“ Jeremiah Lan<strong>de</strong>rsah <strong>die</strong> Sache pragmatischer als se<strong>in</strong> Sohn.„Ne<strong>in</strong>, das eher nicht. Es hat etwas damit zu tun, dass er gleich Kopfschmerzen habenwird und mehr bekommen hat als gut für ihn war.“„Mehr wovon?“ Lan<strong>de</strong>r nahm <strong>die</strong> Hand <strong>de</strong>s Arztes, als <strong>de</strong>r Mann gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> Spritzee<strong>in</strong>stechen wollte, und hielt sie fest. „Mehr wovon?!“Als Antwort wies <strong>de</strong>r Fachmediz<strong>in</strong>er h<strong>in</strong>aus auf <strong>de</strong>n Gang. Da Patrick Lan<strong>de</strong>r nichtverstand, lächelte <strong>de</strong>r Spezialist unsche<strong>in</strong>bar. „Für Sie alle mag es ja selbstverständlichse<strong>in</strong>, aber…“Es war Lan<strong>de</strong>rs Mutter, <strong>die</strong> jene Anspielung zuerst verstand. „Er me<strong>in</strong>t das Neonlicht,Patrick.“„Gepriesen sei <strong>de</strong>r Herr!“„Amen, Jeremiah.“Da Lan<strong>de</strong>r zu ke<strong>in</strong>er Äußerung fähig war, sagte <strong>de</strong>r Arzt schlicht: „Nehmen Sie ihn mitund verdunkeln Sie das Zimmer, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er liegt. Ke<strong>in</strong> Licht, und fangen Sie danachlangsam mit e<strong>in</strong>er Taschenlampe an, wie ich es auch getan habe. Immer mal wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>ige M<strong>in</strong>uten, mehrmals am Tag. Irgendwann nach e<strong>in</strong>er Gewöhnung schalten Sie dasZimmerlicht e<strong>in</strong> und danach wie<strong>de</strong>rum können Sie abends o<strong>de</strong>r frühmorgens <strong>die</strong>


Vorhänge aufmachen. Das ist das Beste. Jedoch nicht vor übermorgen anfangen, <strong>de</strong>nn erhat sich selbst ke<strong>in</strong>en Gefallen getan, als er <strong>in</strong> Panik geriet. Vermutlich wird erSchmerzen haben, weshalb ich ihm e<strong>in</strong> Schmerzmittel <strong>in</strong> Tablettenform aufschreibe. Eskostet nur sieben Credits und ist das billigste Mittel auf <strong>de</strong>m Markt.“„Wann kann er völlig sehen?“„Wenn es ihm nicht mehr wehtut.“„Sollen wir noch mal zur Nachsorge kommen?“„Das br<strong>in</strong>gt nichts, Herr Pfarrer. Ich kann ihm nicht mehr helfen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>n Rest muss eralle<strong>in</strong> schaffen. Sparen Sie das Geld und kaufen Sie ihm davon nach <strong>de</strong>r Gewöhnung ansLicht bei e<strong>in</strong>em Optiker e<strong>in</strong>e Brille. Die wird er wahrsche<strong>in</strong>lich brauchen. Er wird wie<strong>de</strong>rsehen können, aber <strong>die</strong> Frage ist, wie viel. Das wird <strong>die</strong> Zeit erweisen müssen.Verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn Sie nur, dass er zu viel auf e<strong>in</strong>mal will und zu schnell auf <strong>de</strong>n Verbandverzichtet. Das wäre schädlich.“„Das wer<strong>de</strong>n wir. Haben Sie tausend Dank, Doktor!“ Es war seit se<strong>in</strong>em beruflichen En<strong>de</strong>das erste Mal, dass Jeremiah Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e so starke Emotion zeigte.„Danken Sie nicht mir, son<strong>de</strong>rn Ihrem überirdischen Arbeitgeber und me<strong>in</strong>etwegen auchme<strong>in</strong>en Kollegen auf Cambridge. Sie s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Spezialisten, und ich b<strong>in</strong> nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>facherQuacksalber.“„Ne<strong>in</strong>. Sie s<strong>in</strong>d viel mehr als das.“ Anne Lan<strong>de</strong>r schüttelte <strong>de</strong>m Arzt <strong>die</strong> Hand und warfe<strong>in</strong>en Blick auf ihren Sohn, <strong>de</strong>r mit Tränen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen vor Avery kniete und selbst <strong>de</strong>nneuen Verband wickelte. „Auch Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Held.“Erleichtert schlug Patrick Lan<strong>de</strong>r zwei beson<strong>de</strong>rs aufdr<strong>in</strong>glichen Exemplaren <strong>de</strong>r SpeziesReporter <strong>die</strong> Haustür vor <strong>de</strong>r Nase zu und eilte <strong>die</strong> Stufen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n vierten Stock h<strong>in</strong>auf.Er hatte längst e<strong>in</strong>en Schlüssel für <strong>die</strong> Wohnung und betrat sie daher, ohne eigens zukl<strong>in</strong>geln.Er sah <strong>die</strong> Mutter se<strong>in</strong>er Verlobten <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Küche und grüßte: „Guten Morgen, MadamHalmers.“„Morgen, Patrick.“ Sie grüßte ihn, ohne von <strong>de</strong>r Spüle aufzuschauen. „Betty ist mitGregor spazieren.“„Ah. Das ist aber ungewöhnlich. Normalerweise geht sie doch eher abends. Soll ich <strong>de</strong>nnwarten, o<strong>de</strong>r kommt sie gleich wie<strong>de</strong>r?“Anstatt ihm zu antworten, drehte sie sich schließlich um und sah ihn merkwürdig schiefan. Lan<strong>de</strong>r wusste <strong>de</strong>n ihn treffen<strong>de</strong>n, durchdr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n Blick nicht recht zu <strong>de</strong>uten.„Möchtest du vielleicht e<strong>in</strong>en Moment Platz nehmen und etwas tr<strong>in</strong>ken?“„E<strong>in</strong> Glas Wasser bitte.“Fast je<strong>de</strong>r Bürger von Planet Leeds hätte jetzt <strong>de</strong>n Wasserhahn aufgedreht undKraneberger aus <strong>de</strong>m Hahn serviert, aber <strong>die</strong> Familie Halmers konnte sich M<strong>in</strong>eralwasservon Planet Cambridge leisten. Das leedser Wasser war zwar nicht schädlich, dafür sorgte<strong>die</strong> bretonische Kontrollbehör<strong>de</strong>, aber eben auch nicht gesund. Ganz im Gegensatz zu<strong>de</strong>m, was von an<strong>de</strong>ren Planeten importiert wur<strong>de</strong>. Bei <strong>de</strong>m kle<strong>in</strong>en Gregor achtete Bettystets nur auf das Beste, wie Lan<strong>de</strong>r schon mitbekommen hatte.Kate Halmers ließ das Spülwasser ab und brachte ihm dann se<strong>in</strong> Glas. Nach<strong>de</strong>m sie esauf <strong>de</strong>n Tisch gestellt hatte, setzte sie sich zu ihm. Sie schien irgen<strong>de</strong>twas von ihm zuwollen, und se<strong>in</strong> Gesicht verhärtete sich, als er daran <strong>de</strong>nken musste, wie sehr DuncanAvery ihn <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen immer wie<strong>de</strong>r bekniet hatte, <strong>die</strong> Verlobung zu lösen.„Ke<strong>in</strong>e Angst, Madam Halmers. Es ist mir ernst mit Ihrer Tochter, und me<strong>in</strong>e Elternwer<strong>de</strong>n sowieso bald mit Ihnen über <strong>de</strong>n Hochzeitsterm<strong>in</strong> sprechen wollen. Es soll ja nure<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Feier wer<strong>de</strong>n. Ich bedaure nur, dass uns <strong>de</strong>r… Nachfolger me<strong>in</strong>es Vaterstrauen muss.“ Beim bloßen Gedanken daran biss er <strong>die</strong> Zähne zusammen.Sie alle waren nicht mehr <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kirche gewesen, seit <strong>de</strong>r neue Pfarrer <strong>die</strong> Geme<strong>in</strong><strong>de</strong> vordrei Wochen übernommen hatte. Es war so endgültig. Er war nicht e<strong>in</strong>mal gekommen,um sich Jeremiah Lan<strong>de</strong>r vorzustellen. Das hatte se<strong>in</strong>en Vater noch e<strong>in</strong>mal sehr hartgetroffen.Sie seufzte leise und schaute weg. „Patrick… darum geht es ja.“ Sie schien zu überlegen,was sie jetzt sagen sollte, bis sie sich gemäß <strong>de</strong>r leedser Eigenart für <strong>de</strong>n gera<strong>de</strong>n und


direkten Weg entschied: „Sie wird dich nicht heiraten und bat mich, dir <strong>die</strong>s zu sagen. Ichhabe gera<strong>de</strong> gelogen, Gott möge mir verzeihen. Sie ist seit gestern Mittag fort.“„Fort?“, echote er dumm, während er zu verstehen versuchte, was ihre Mutter gera<strong>de</strong>gesagt hatte.„Ja, Patrick. Es tut mir bei Gott sehr leid, dir <strong>die</strong>s sagen zu müssen. Du bist e<strong>in</strong> sehranständiger Junge und wärst me<strong>in</strong>er Betty sicherlich e<strong>in</strong> guter Ehemann gewor<strong>de</strong>n, wennsie dich damals gewollt hätte. De<strong>in</strong>e Mutter und ich haben vor fast genau zwei Jahrendarüber gesprochen, weil wir sehen konnten, wie verliebt du <strong>in</strong> sie bist. Ich habe dannauch mit ihr darüber gesprochen, aber… sie wollte dich nicht als Ehemann. Sie hat diche<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, hässlichen Gnom genannt.“Jetzt erst kam das Verstehen <strong>de</strong>s ersten Schlages, während ihre Mutter schon <strong>de</strong>nzweiten austeilte. ‚Warum erzählt sie mir das alles?’, fragte e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Teil von ihm,während <strong>de</strong>r Hauptteil se<strong>in</strong>es Gehirns noch verstehen wollte, was Betty angeblich getanhatte. „Das kann nicht se<strong>in</strong>! Sie liebt mich doch!“„Schlag dir das bitte aus <strong>de</strong>m Kopf. Sie tut nur das Beste für das K<strong>in</strong>d, wie sie sagt,obwohl genau das nicht stimmt. Sie wollte jedoch nicht auf me<strong>in</strong>en Mann und mich hörenund hat uns sehr verletzt.“„Das Beste für Gregor? Ich dachte, das wäre, e<strong>in</strong>en Vater zu haben! Ich war bereit, ihnwie me<strong>in</strong>en eigenen Sohn zu lieben!“„Das wissen wir, Patrick. Sie ist auch erneut schwanger. Diesmal von dir, wenn ich sierichtig verstan<strong>de</strong>n habe. Lei<strong>de</strong>r…“„Was? Wir haben doch nur e<strong>in</strong>mal mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r gekuschelt!“ Er hatte das Gefühl, umfallenzu müssen. Er wur<strong>de</strong> Vater! Heiße Er<strong>in</strong>nerung durchflutete ihn - an eben jenenNachmittag, als sie ihn nach <strong>de</strong>m Backen und Kuchenessen <strong>in</strong>s Schlafzimmer ihrer Elterngezogen und sich entklei<strong>de</strong>t hatte. ‚Es ist nur e<strong>in</strong> Spiel und wird dir sehr gefallen,Patrick’, hatte sie gesagt.„Wo ist sie <strong>de</strong>nn?!“ Er wollte bei ihr se<strong>in</strong>, nicht begreifend, was ihre Mutter sagte.„Sie ist auf Planet New London. Vielleicht ist sie auch schon <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kl<strong>in</strong>ik, um sich <strong>de</strong><strong>in</strong>K<strong>in</strong>d wegmachen zu lassen.“„Was?!“ Er schrie jetzt. „Sie will unser K<strong>in</strong>d…“ Nichts hielt ihn mehr auf se<strong>in</strong>em Stuhl. Erhatte das Gefühl, gleich umzufallen.„Glaub mir, wir haben auch alles versucht, um sie davon abzubr<strong>in</strong>gen, aber <strong>de</strong>r Flug warschon gebucht. Er hat ihn gebucht.“ Unverhohlene Bitterkeit und Ärger schwangen <strong>in</strong>ihrer Stimme mit. „Wir sollen ihr ihre Sachen nachschicken, Patrick. Sie wohnt nach <strong>de</strong>rAbtreibung auf Planet Cambridge. Dorth<strong>in</strong> hat er sie und se<strong>in</strong>en Sohn geschickt, damit sieihm nicht im Weg s<strong>in</strong>d. Er hat ihr das vage Versprechen gemacht, sie zu heiraten undGregor als Erben e<strong>in</strong>zusetzen. Sie hat nicht auf uns gehört, als wir ihr sagten, dass er sienach Cambridge abschiebt und es niemals tun wird.“ Jetzt wur<strong>de</strong> Kate Halmers regelrechtlaut. „Sie ist nicht mehr unsere Tochter! Nach allem, was wir wegen ihr an Elend erdul<strong>de</strong>thaben, als sie <strong>die</strong>sen Bastard zur Welt br<strong>in</strong>gen wollte, macht sie uns jetzt das zweite MalSchan<strong>de</strong>. Uns und dir. Es tut mir so leid, aber unsere Tochter hat dich nur ausgenutztund am En<strong>de</strong> gesagt, dass sie ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>es schwulen Bastards zur Welt br<strong>in</strong>genwür<strong>de</strong>.“ Die Frau brach <strong>in</strong> Tränen aus.Er ließ sie re<strong>de</strong>n und stürzte h<strong>in</strong>aus. Die Wohnungstür warf er lautstark zu. Schon vor<strong>de</strong>m Haus konnte er nichts mehr sehen. Die ihm folgen<strong>de</strong>n Journalisten und Fotografenignorierte er völlig. Er sah we<strong>de</strong>r sie noch das Blitzlichtgewitter, als <strong>die</strong> Frem<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>egute Story witterten.Wie er nach Hause kam, wusste er nicht, aber er stürmte <strong>die</strong> Stufen hoch, gefolgt von<strong>de</strong>n Reportern. Da er sturmgekl<strong>in</strong>gelt hatte, stand se<strong>in</strong>e Mutter <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tür. Sie hatte ihnja auch von oben gesehen und überhaupt erst <strong>in</strong>s Treppenhaus here<strong>in</strong>gelassen. Er fiel ihrum <strong>de</strong>n Hals und schluchzte auf. „Mutter…“Duncan Avery und se<strong>in</strong> Vater kamen nachsehen, was los war. Der Freund <strong>de</strong>r Familie wares auch, <strong>de</strong>r <strong>die</strong> prekäre Situation erfasste und hastig <strong>die</strong> Tür zuwarf.„Was ist <strong>de</strong>nn los, Patrick?“, stammelte Anne Lan<strong>de</strong>r.„Ma…“ Er konnte <strong>die</strong> Worte nicht aussprechen, weil sie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Kehle stecken blieben.„Sie ist weg!“E<strong>in</strong> getauschter Blick zwischen <strong>de</strong>n drei älteren Erwachsenen war <strong>die</strong> Folge.


„Wer ist weg?“ Avery fragte es völlig geduldig, obwohl er <strong>die</strong> Antwort schon längstkannte. Mitfühlend legte er Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Hand auf <strong>die</strong> Schulter.„Betty… sie… sie hat mich verlassen… ihre Familie… verlassen… und ist zu Marlowegezogen!“ Er schrie es zwischen immer neuen Schluchzern plötzlich heraus. „DieserDreckskerl lässt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Kl<strong>in</strong>ik unser K<strong>in</strong>d töten!“„Sie bekommt e<strong>in</strong> Baby von dir?“ Anne Lan<strong>de</strong>r war so verdutzt, dass sie es kaum glaubenkonnte.„Ja, und sie will es töten! Ihre Mutter hat es mir gesagt!“„Komm, Patrick.“ Avery war sich <strong>de</strong>r garantiert an <strong>de</strong>r Tür lauschen<strong>de</strong>n Reporter bewusstund zog Lan<strong>de</strong>r vorsichtig <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmers, wo er gearbeitet hatte.„Ich glaube, wir gehen am besten zu Madam Halmers, Anne. Duncan kümmert sichsicherlich solange um Patrick. De<strong>in</strong>e ehemalige Freund<strong>in</strong> wird sicher wissen, wie sie ihreTochter erreichen kann und vermutlich ebenfalls Hilfe brauchen. Wenn Betty ihn schonnicht heiratet, dann soll sie wenigstens ke<strong>in</strong>en Mord begehen und uns das K<strong>in</strong>d lassen.“„Ich habe es geahnt, Jeremiah. In ihr ist e<strong>in</strong>fach nichts Gutes, genauso wenig wie <strong>in</strong> ihrerMutter.“„Wenn nichts Gutes <strong>in</strong> Madam Halmers wäre, hätte sie es Patrick kaum alles so ehrlichgesagt und noch dazu mit ihrer Tochter gebrochen. Komm schnell!“Ihrem Mann zustimmend warf Anne Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en hilfesuchen<strong>de</strong>n Blick zu Duncan Avery,<strong>de</strong>r lediglich nickte und <strong>die</strong> Tür zum K<strong>in</strong><strong>de</strong>rzimmer schloss. Er führte <strong>de</strong>n aufgelöstenLan<strong>de</strong>r zum Bett und setzte sich neben ihn.„Ich br<strong>in</strong>ge Victor Marlowe um, Duncan. Ich br<strong>in</strong>ge ihn und Lord Daniel Fowley um!“„Das wird auch nicht helfen, Patrick. De<strong>in</strong>e Eltern wer<strong>de</strong>n es schon richten.“„Da gibt es nichts zu richten! Ich will und kann ohne sie nicht leben, Duncan!“Se<strong>in</strong>en verliebten Freund so zu sehen wusch sogar Averys Ärger darüber, dass Lan<strong>de</strong>r ihnbelogen und doch Sex mit Betty Halmers gehabt hatte, h<strong>in</strong>weg. Auch <strong>de</strong>nbesserwisserischen Vorwurf, dass er gleich gesagt hatte, sie wür<strong>de</strong> ihm das Herzbrechen, behielt er tunlichst für sich. Darüber konnte man später re<strong>de</strong>n. Ohne Worte hieltAvery ihn e<strong>in</strong>fach fest und ließ ihn we<strong>in</strong>en. Er hatte es gewusst, genau wie Lan<strong>de</strong>rs Elternauch.„Sie hat mich e<strong>in</strong>en schwulen Bastard genannt und ihren Eltern gesagt, sie wolle ke<strong>in</strong>K<strong>in</strong>d von mir haben!“ Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r nie <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Leben richtigen Liebeskummer gehabthatte, fühlte <strong>de</strong>n <strong>in</strong>nigen Wunsch, zu sterben.„Das waren mit Sicherheit nicht ihre Worte.“ Wie<strong>de</strong>r war Marlowes Strategie e<strong>in</strong> Stückaufgegangen. Dermaßen am Bo<strong>de</strong>n hatte <strong>de</strong>r ehemalige Stabsoffizier se<strong>in</strong>en Freund nochnie gesehen. Ihm war klar, was geschehen war. Victor Marlowe hatte e<strong>in</strong>mal kurzgepfiffen, und <strong>die</strong> junge Frau hatte bl<strong>in</strong>d gehorcht.„Aber es war so schön! Wir waren doch so glücklich!“„Du alle<strong>in</strong> warst glücklich, doch das be<strong>de</strong>utet ihr nichts.“„Aber sie be<strong>de</strong>utet mir alles!“Ihm über das Haar streichend schloss Avery <strong>die</strong> Augen. Se<strong>in</strong>e Kopfschmerzen mel<strong>de</strong>tensich, und es wur<strong>de</strong> Zeit, für <strong>de</strong>n Rest <strong>de</strong>s Tages e<strong>in</strong>en Tuchverband anzulegen, um se<strong>in</strong>eAugen zu schonen. Es war ja erst läppische zwei Wochen her, dass sie das letzte Mal <strong>in</strong><strong>de</strong>r Kl<strong>in</strong>ik gewesen waren. Trotz<strong>de</strong>m wäre er jetzt um nichts <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Welt aufgestan<strong>de</strong>n,um das Tuch zu holen. „Es gibt noch Milliar<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>re Frauen.“„Ich will aber ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re! Wie kann Betty nur so etwas machen? Wie kann sie nur sograusam se<strong>in</strong>? Das ist alles nur Victor Marlowe schuld, o<strong>de</strong>r? Also muss ich nur zu ihrfliegen und sie dort rausholen!“„Man wird dich we<strong>de</strong>r vorlassen noch wird sie dich sehen wollen. Auch <strong>die</strong> schlechtesteSaat geht nur auf, wenn sie auf fruchtbaren Bo<strong>de</strong>n fällt und gegossen wird. Vergiss <strong>die</strong>seHexe e<strong>in</strong>fach. Es ist uns allen mal so gegangen wie dir jetzt, Patrick. Ich weiß, dass eshart ist und dich kaum tröstet, aber f<strong>in</strong><strong>de</strong> dich damit ab. Wir alle haben unseren erstenLiebeskummer irgendwann e<strong>in</strong>mal überlebt.“ Der Freund verschwieg, dass sie sowiesoke<strong>in</strong> Geld für <strong>de</strong>n sofortigen Flug hatten und dass es se<strong>in</strong>er Ansicht nach e<strong>in</strong>e re<strong>in</strong>eVerschwendung von Zeit und Geld wäre.„Ich wünschte, ich wäre tot!“„Das wür<strong>de</strong> uns alle aber sehr traurig machen. De<strong>in</strong>e Eltern, mich…“


Die sanften und <strong>de</strong>nnoch ta<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Worte Averys bewirkten e<strong>in</strong>en neuen heftigenTränenausbruch.Nach mehr als zwei Stun<strong>de</strong>n kamen Lan<strong>de</strong>rs Eltern zurück. Auf <strong>die</strong> unausgesprocheneFrage <strong>de</strong>s ehemaligen Stabsoffiziers sagten sie nur: „Zu spät.“Daraufh<strong>in</strong> erhob sich Lan<strong>de</strong>r urplötzlich und schwankend. „Duncan, es reicht mir.Marlowe will uns fertigmachen, und ich will mich nicht mehr fertigmachen lassen!“Das war <strong>de</strong>r Patrick Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n Avery damals an Bord <strong>de</strong>r Brisbane sehr bewun<strong>de</strong>rthatte. Der drahtige Zwerg, <strong>de</strong>r so unendlich stark war. Woher er <strong>die</strong>se <strong>in</strong>nere Größe <strong>in</strong>solchen Momenten nahm, war <strong>de</strong>m älteren ehemaligen Offizierskollegen e<strong>in</strong> großesRätsel. Fest stand jedoch, dass etwas anstand. Etwas Großes. „Was hast du vor?“„Zurückschlagen mit <strong>de</strong>nselben Metho<strong>de</strong>n. So macht man es zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten.“„Du <strong>de</strong>nkst doch nicht etwa daran, tatsächlich e<strong>in</strong>en Mordanschlag auf Victor Marlowe zuverüben?“„Ich sagte mit <strong>de</strong>n gleichen Metho<strong>de</strong>n. Er hat zwar schon <strong>in</strong>direkt versucht, michumzubr<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er <strong>die</strong> Verhörprotokolle im Gericht fälschen ließ, aber ich will es jetztbei etwas an<strong>de</strong>rem belassen. Nur brauche ich dabei <strong>de</strong><strong>in</strong>e Hilfe und eure Billigung. Diesbetrifft auch euch, aber ich muss zurückschlagen. Wir müssen zurückschlagen!“ DasLetzte war an Lan<strong>de</strong>rs Eltern gerichtet gewesen.„Was hat Victor Marlowe bitte getan? Was soll <strong>die</strong>ses Gere<strong>de</strong> von gefälschtenVerhörprotokollen und <strong>in</strong>direktem Mord? Klär mich bitte mal auf!“, herrschte Avery ihnerschrocken an.„Sie hätten mich fast zum To<strong>de</strong> verurteilt, und e<strong>in</strong> illegal durchgeführtes Verhör <strong>de</strong>rRhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r sowie <strong>de</strong><strong>in</strong>e Verhörprotokolle aus <strong>de</strong>r Zeit nach <strong>de</strong><strong>in</strong>er Rückkehr haben michgerettet. Verstehst du? Jemand wollte mich <strong>de</strong>m Volk als Sün<strong>de</strong>nbock präsentieren undstandrechtlich als Meuterer erschießen lassen, weil <strong>die</strong> wirklichen Schuldigen bis heutenicht gefasst wer<strong>de</strong>n konnten! Rate mal, wer wohl auch dah<strong>in</strong>tersteckte!“„Das ist nun wirklich etwas zu gewagt, Patrick. Selbst Marlowe wür<strong>de</strong> nie e<strong>in</strong>en Mord…“„Darauf wür<strong>de</strong> ich mich nicht verlassen.“„Aber warum sollte er an <strong>de</strong><strong>in</strong>em Tod <strong>in</strong>teressiert se<strong>in</strong>?“„Aus <strong>de</strong>mselben Grund, weshalb er jetzt gegen uns hetzt. Du dachtest, es wäre, weileure Familien sich nicht ausstehen können und wegen <strong>de</strong>m, was gesagt wur<strong>de</strong>, als du ihnund Fowley aus <strong>de</strong>n Grenzwelten geholt hast, aber das stimmt nicht! Ich b<strong>in</strong> daseigentliche Ziel <strong>die</strong>ser Kampagne!“„Aber warum <strong>de</strong>nn?“„Er will mich kle<strong>in</strong> halten, Duncan. Ich vermute, es ist wegen Lord Fowley. Marlowe hatsich sofort an ihn herangemacht, als er bei Cly<strong>de</strong> Searle e<strong>in</strong>traf.“„Aber ich verstehe nicht…“„Wieso hat <strong>de</strong><strong>in</strong>e Familie damals <strong>de</strong><strong>in</strong>e Kus<strong>in</strong>e mit Daniel Fowley verheiratet?“„Sie brauchten e<strong>in</strong>e direktere Verb<strong>in</strong>dung zur Krone, und wir…“„Sag es ruhig: Ihr brauchtet das Geld!“„Es geht Marlowe um Geld? Nur warum dann…“„Weil <strong>de</strong>r Lord und ich enge Freun<strong>de</strong> waren, bevor er kam. Du hast selbst gesagt, dassFowley ihm nahezu hörig se<strong>in</strong> muss. Ich sage dir, dass das stimmt, <strong>de</strong>nn er ist e<strong>in</strong> sehrschwacher Mensch. Er war e<strong>in</strong> sehr launenhafter Offizier und ist als Mensch leicht zubee<strong>in</strong>flussen. Wenn wir uns noch e<strong>in</strong>mal unter an<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong>n begegnet wären,wür<strong>de</strong> Marlowe se<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>fluss auf Fowley womöglich verlieren!“„Und damit <strong>die</strong> Aussicht auf mehr als e<strong>in</strong>e halbe Milliar<strong>de</strong> Credits! Me<strong>in</strong> Gott!“„Fowleys Familie hat mehr als e<strong>in</strong>e halbe Milliar<strong>de</strong>. Der Wert <strong>de</strong>r ganzen Immobilien,alle<strong>in</strong> <strong>die</strong> Grundstücke auf New London und Cambridge und das Barvermögen <strong>de</strong>r FamilieFowley dürften zusammen mehr als an<strong>de</strong>rthalb bis zwei Milliar<strong>de</strong>n Credits ausmachen.“„Und dafür begeht Marlowe Rufmord?“„Und wäre vermutlich auch bereit, dafür mehr als nur e<strong>in</strong>en richtigen Mord zu begehen.Wenn ich eure Welt richtig verstehe, wür<strong>de</strong> Fowleys Vermögen ihm <strong>de</strong>n Weg nach ganzoben öffnen.“„Fast bis zur Krone“, bestätigte Avery. „Das war damals auch <strong>de</strong>r Gedanke me<strong>in</strong>erFamilie, wie ich unrühmlicherweise zugeben muss. Selbst das Königshaus ist hochverschul<strong>de</strong>t, wie so viele A<strong>de</strong>lshäuser <strong>in</strong>klusive unserem. E<strong>in</strong>e Tilgung <strong>de</strong>r Schul<strong>de</strong>n


wür<strong>de</strong> vielleicht e<strong>in</strong>e Heirat mit…“ Avery begriff jetzt endgültig <strong>die</strong> gesamte Tragweiteund sprach <strong>in</strong> <strong>de</strong>r falschen Gegenwartsform von se<strong>in</strong>er toten Familie.„… <strong>de</strong>r Königstochter Emily ermöglichen. Besagte achtzehnjährige Herzog<strong>in</strong> of Cambridgeist <strong>die</strong> alle<strong>in</strong>ige Erb<strong>in</strong> von König William und kommt gera<strong>de</strong> <strong>in</strong>s Heiratsalter.“„Gütiger Gott! Victor Marlowe als Gatte <strong>de</strong>r König<strong>in</strong> und im Fall <strong>de</strong>r Fälle späterermöglicher Herrscher wäre mehr als ich jemals ertragen könnte!“ Da sprach wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rhochgeborene Adlige aus Avery. „Wie konnte ich nur so bl<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>? Natürlich, er willEmily heiraten und braucht Lord Fowleys Geld, um sich dort e<strong>in</strong>zukaufen! Die Hand <strong>de</strong>rHerzog<strong>in</strong> gegen <strong>die</strong> Bezahlung sämtlicher Schul<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Königsfamilie! Gott, das wür<strong>de</strong>selbst e<strong>in</strong>en Daniel Fowley als Lord of L<strong>in</strong>colnshire vermutlich ru<strong>in</strong>ieren! Du hast Recht,das muss es e<strong>in</strong>fach se<strong>in</strong>!“Lan<strong>de</strong>r bemerkte Averys Rückfall <strong>in</strong> alte Verhaltens- sowie Denkweisen und sprachentschlossen: „Ich wer<strong>de</strong> ihm <strong>die</strong> Suppe versalzen - und wenn es das Letzte ist, was ichtue!“„Und wie willst du das schaffen?“„Was <strong>de</strong>nkst du über unseren lieben Lord?“„Er wür<strong>de</strong> mir leidtun, wenn er nicht erwachsen wäre. Marlowe muss ihn vollständigunter se<strong>in</strong>er Fittiche haben, und Fowley kann dabei nur verlieren.“„Ihr habt etwas vergessen, Jungs.“ Anne Lan<strong>de</strong>r hatte genau wie ihr Mann schweigendund traurig zugehört. Sie hatten ja soeben bei e<strong>in</strong>em Telefonat mit New London unhöflichvon e<strong>in</strong>em Diener <strong>de</strong>r Marlowes gesagt bekommen, dass ihr erstes Enkelk<strong>in</strong>d tot war.Als bei<strong>de</strong> jungen Männer sich ihr zuwandten, sagte Lan<strong>de</strong>rs Mutter: „Ich habe vorWochen aufgehört, jene schrecklichen Zeitungen zu lesen, aber <strong>die</strong> Boulevardreporterschreiben immer wie<strong>de</strong>r von e<strong>in</strong>em Erbstreit zwischen Lord Fowley und Lady HelenFowley. Sie hat als alle<strong>in</strong>ige Erb<strong>in</strong> das Vermögen und <strong>die</strong> Bank zugesprochen bekommen,da Fowley ja als verschollen und nach e<strong>in</strong>igen Tagen als tot galt. Bei Geld hört ebenFreundschaft auf - und auch <strong>die</strong> Geschwisterliebe. Das Bankhaus Fowley & Sons wur<strong>de</strong>seit Jahrhun<strong>de</strong>rten stets <strong>de</strong>m erstgeborenen Sohn <strong>de</strong>r Familie vererbt. Da Daniel Fowley<strong>de</strong>r letzte leben<strong>de</strong> Sohn ist, wäre es se<strong>in</strong> Besitz, aber sie hat ihm lediglich e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dungvon ungefähr 250 Millionen angeboten. Dazu noch e<strong>in</strong>e Teilung <strong>de</strong>s Herzogstitels, sofern<strong>de</strong>r König zustimmt. Lord Fowley hat abgelehnt und g<strong>in</strong>g vor Gericht. Der Fall istkompliziert und wur<strong>de</strong> immer wie<strong>de</strong>r vertagt. E<strong>in</strong>e Entscheidung wird frühestens nächstesJahr fallen, wenn nicht sogar noch später. Daher ist nicht gesichert, ob Lady Helen dasvollständige Erbe behalten darf, o<strong>de</strong>r ob er alles bekommt und sie abf<strong>in</strong><strong>de</strong>n muss. Auchum <strong>de</strong>n Herzogstitel wird noch gestritten, da er <strong>die</strong> Teilung ja abgelehnt hat.“„Marlowe wird ihm sicherlich <strong>die</strong> besten Anwälte bezahlen und ihn sich warmhalten, bisFowley erbt.“„Falls er erbt.“„Wenn nicht, wird er wohl e<strong>in</strong> großes Problem bekommen“, mutmaßte Lan<strong>de</strong>r. Se<strong>in</strong>Seelenschmerz war noch immer schrecklich, aber wie damals <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten hattense<strong>in</strong>e Gefühle e<strong>in</strong>em kühlen und rationalen Denken Platz gemacht. „Duncan, wür<strong>de</strong> es diretwas ausmachen, auch ihm zu scha<strong>de</strong>n, um Marlowe damit <strong>in</strong>direkt zu treffen? Es istke<strong>in</strong>e schöne Metho<strong>de</strong>, aber…“Avery lachte kurz und hässlich auf. „Mir? Oh Gott, es gab Zeiten, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen ich me<strong>in</strong>enehemaligen Freund Danny am liebsten umgebracht hätte! Beson<strong>de</strong>rs, nach<strong>de</strong>m er mir amTelefon sagte, dass ich doch bitte e<strong>in</strong> Interview mit <strong>de</strong>r Boulevardpresse zu führen hätte,während sie Fotos von eurer Wohnung schießen, um zu zeigen, wie ärmlich ich jetzt imVergleich zu früher lebe! Marlowe stand übrigens daneben und hat mitgehört, was ichFowley gesagt habe.“„Hat es dir jemals leidgetan?“ Jeremiah Lan<strong>de</strong>r sah Avery mit unverhohlenem Schmerzan. „Ich me<strong>in</strong>e, fühlst du dich bei uns…“„Ne<strong>in</strong>! Niemals wird es mir leidtun! Patrick hat viel mehr für mich getan.“ Avery zuckte<strong>die</strong> Achseln. „Nur wäre ich jetzt unendlich dankbar, wenn <strong>de</strong>r große Admiral uns kle<strong>in</strong>en,dummen Mannschafts<strong>die</strong>nstgra<strong>de</strong>n gnädigerweise von se<strong>in</strong>em großen Schlachtplanerzählen wür<strong>de</strong>.“„Hör auf zu sticheln, Duncan!“, fauchte Lan<strong>de</strong>r, bevor er wie<strong>de</strong>r sachlich wur<strong>de</strong> und sichzärtlich an se<strong>in</strong>e Eltern wandte: „Ich b<strong>in</strong> mir nur <strong>in</strong> zwei Punkten nicht sicher. Siebetreffen e<strong>in</strong>mal euch und zweitens Duncan. Me<strong>in</strong> Plan…“


„Diese Punkte wären?“, unterbrach Jeremiah Lan<strong>de</strong>r.„Erstens: Me<strong>in</strong> Plan schädigt vermutlich euren Ruf. Insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong><strong>in</strong>en als Geistlicher…“„Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Pastor mehr, seit man mich aus me<strong>in</strong>en kirchlichen Ämtern entlassen hat.Um me<strong>in</strong>en Ruf brauchst du dich also nicht zu sorgen. Davon abgesehen glaube ich, dassauch <strong>de</strong>r Bibelgrundsatz <strong>de</strong>r h<strong>in</strong>gehaltenen Wange nach e<strong>in</strong>em Schlag auf <strong>die</strong> an<strong>de</strong>re hiernicht gilt. Jemand wie <strong>de</strong>r geehrte Mister Marlowe wird nämlich dankend noch e<strong>in</strong>malzuschlagen, bis man tot am Bo<strong>de</strong>n liegt.“Diese Äußerung se<strong>in</strong>es Vaters verriet Lan<strong>de</strong>r viel über <strong>de</strong>ssen Gefühle wegen se<strong>in</strong>erEntlassung. Jeremiah Lan<strong>de</strong>r war sehr wütend sowie verletzt und <strong>de</strong>shalb sogar bereit,mit se<strong>in</strong>en alten biblischen Grundsätzen zu brechen.„Ich stehe h<strong>in</strong>ter Jeremiah. Tu, was immer du für richtig hältst, und wehr dich, me<strong>in</strong>Sohn!“, for<strong>de</strong>rte auch se<strong>in</strong>e Mutter.Mit e<strong>in</strong>em dünnen Lächeln wandte Lan<strong>de</strong>r sich an Avery: „Nun du. Auch <strong>de</strong><strong>in</strong> Ruf…“„Du me<strong>in</strong>test <strong>de</strong>n <strong>de</strong>s verrückten, unmündigen Adligen, <strong>de</strong>r sich selbst erniedrigt, <strong>in</strong><strong>de</strong>mer bei e<strong>in</strong>er armen Arbeiterfamilie lebt und sich ausnutzen lässt?“ Averys Lächeln wargenauso dünn wie Lan<strong>de</strong>rs. „Auf <strong>die</strong>sen Ruf kann ich wohl verzichten.“„Ja, aber er wird dadurch nicht besser wer<strong>de</strong>n.“„Oh, ich b<strong>in</strong> mir ziemlich sicher, dass er auch nicht mehr viel schlimmer wer<strong>de</strong>n kann,also nur zu! Wo willst du mich für <strong>de</strong><strong>in</strong>e Rache e<strong>in</strong>spannen?“ Der Unterton <strong>in</strong> AverysStimme war fast fröhlich zu nennen.„Hast du schon e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>en Mann geküsst?“„Patrick…“, begann Lan<strong>de</strong>rs Mutter nach <strong>de</strong>r ersten Schrecksekun<strong>de</strong>.„Lass, Anne!“, for<strong>de</strong>rte ihr Mann kaum hörbar.„Ähhh, um ehrlich zu se<strong>in</strong>, wäre mir <strong>die</strong>se Erfahrung doch neu. Also zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st, wenn dume<strong>in</strong>st…“ Avery schien doch ernstlich schockiert und versuchte krampfhaft, es zuüberspielen und se<strong>in</strong> Schau<strong>de</strong>rn zu verbergen.„Hör mich an und sag dann, ob du magst o<strong>de</strong>r nicht. Ehrlich, <strong>de</strong>nn wenn wir es machen,dann nur zusammen! Wir müssen bei<strong>de</strong> voll dah<strong>in</strong>terstehen.“ Lan<strong>de</strong>r beugte sich vor undflüsterte se<strong>in</strong>em Freund kurz etwas <strong>in</strong>s Ohr.Das Gesicht <strong>de</strong>s ehemaligen Stabsoffiziers erhellte sich nach e<strong>in</strong>igen Momenten sichtlich,und er nickte. „Ich dachte nur schon…“„Ke<strong>in</strong>e Angst, so ist es natürlich nicht! Bist du dabei o<strong>de</strong>r nicht?“„Es könnte <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat spaßig wer<strong>de</strong>n.“„Es ist nichts an<strong>de</strong>res als er auch macht. Nur <strong>die</strong>smal drehen wir <strong>de</strong>n Spieß um.“„Das wird ihm aber gar nicht gefallen.“ Avery musste kichern. „Na komm, du Held! Bevordu dich präsentierst, gehen wir aber noch zusammen <strong>in</strong>s Bad, <strong>de</strong>nn du siehst schrecklichaus.“„Ne<strong>in</strong>, das ist gut so. Was ist mit <strong>de</strong><strong>in</strong>en Augen? Ist es nicht längst wie<strong>de</strong>r Zeit für <strong>de</strong><strong>in</strong>enVerband?“ Lan<strong>de</strong>r war besorgt.„Hat noch Zeit, und wir bleiben ja nicht allzu lange weg. Wenn ich es schon mache, willich dir dabei wenigstens ihn <strong>die</strong> Augen schauen und <strong>de</strong>ren dumme Gesichter sehen!“„Dann komm!“„Woh<strong>in</strong> geht ihr?“„Nur kurz spazieren.“ Plötzlich zuckte Lan<strong>de</strong>r zusammen. „Nur, was ist mit <strong>de</strong><strong>in</strong>em Job,Duncan? Mich hat Jeffreys nach e<strong>in</strong>er ähnlichen Sache damals entlassen.“„Mister Jeffreys hat dich entlassen, weil <strong>de</strong><strong>in</strong>e angeblichen politischen Äußerungen zumReizthema Erasmus Raven nicht opportun waren. Das ist etwas an<strong>de</strong>res. Für <strong>die</strong>se Sachedarf man jedoch selbst auf Planet Leeds nicht gekündigt wer<strong>de</strong>n. Glaub mir, ich habezufällig vor e<strong>in</strong>er Woche e<strong>in</strong> entsprechen<strong>de</strong>s Rechtsdokument gelesen. Außer<strong>de</strong>m schätztMister Jeffreys mich mittlerweile zu sehr als wertvollen Mitarbeiter und Ratgeber.“„Na gut, dann auf <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Kampf, Sir!“ Lan<strong>de</strong>r verspürte ebenfalls fast Fröhlichkeit,vielleicht weil er nun Victor Marlowe auch e<strong>in</strong>mal dort treffen wür<strong>de</strong>, wo es wehtat. DieKlatschpresse kannte ihre eigenen Gesetze. Avery und er hatten ja bereits selbst genugunter ihnen gelitten.Darum warf er sich also e<strong>in</strong>e leichte Jacke über, half Avery <strong>in</strong> se<strong>in</strong>e und g<strong>in</strong>g h<strong>in</strong>aus.Das Treppenhaus war mittlerweile von Reportern geräumt wor<strong>de</strong>n, weil sich e<strong>in</strong> Nachbarbeschwert und <strong>die</strong> Polizei gerufen hatte. Es waren ja ohneh<strong>in</strong> nicht mehr so viele


Presseleute hier wie noch vor zwei Wochen. Diejenigen, <strong>die</strong> geblieben waren, bewiesenjedoch täglich ihre Hartnäckigkeit. Nun wür<strong>de</strong>n sie dafür belohnt wer<strong>de</strong>n.Lan<strong>de</strong>r geleitete se<strong>in</strong>en Freund <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, schmutzigen Park, wo kaum etwasGrünes wuchs. Die ungesun<strong>de</strong> Luft voller Kohlenstaub, <strong>de</strong>r belastete Bo<strong>de</strong>n und <strong>de</strong>rsaure Regen machten das ja auch fast unmöglich.Langsam g<strong>in</strong>gen sie nebene<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r her, während ihnen <strong>die</strong> Boulevardleute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igemAbstand folgten und immer wie<strong>de</strong>r Fotos schossen.„Jetzt?“, wollte Avery kaum hörbar wissen.„Jetzt.“ Lan<strong>de</strong>r dachte an Betty Halmers. Auch sie wür<strong>de</strong> es sehen und vermutlich überihn lachen.„Hast du Angst, Patrick?“, fragte Avery, als Lan<strong>de</strong>r sich nicht an <strong>de</strong>n eiligabgesprochenen Ablauf hielt. „Willst du lieber zurück?“„Ich habe ke<strong>in</strong>e Angst, wenn du auch ke<strong>in</strong>e hast.“ Es wur<strong>de</strong> ja auch wirklich Zeit, <strong>de</strong>nnallzu lange konnte Avery das Tageslicht sicherlich nicht ohne Kopfschmerzen ertragen.„Ich sehe es ehrlich gesagt eher als Scherz an“, wisperte Avery. „Aber ich b<strong>in</strong> soaufgeregt wie damals im Internat auf <strong>de</strong>r Bühne. Es ist schon fünfzehn Jahre her, dassich Wilhelm Tell gespielt habe.“„Besser als <strong>de</strong>n Apfel zu spielen und von e<strong>in</strong>em Pfeil durchbohrt zu wer<strong>de</strong>n.“ DieFähigkeit Averys, <strong>die</strong> vollen<strong>de</strong>te Zerstörung se<strong>in</strong>es ehemals guten Rufes so betrachten zukönnen, gab Lan<strong>de</strong>r Mut und fegte <strong>die</strong> letzten Skrupel beiseite. Sie bei<strong>de</strong> hatten wirklichnichts mehr zu verlieren, was ihren guten Namen ang<strong>in</strong>g. Sie waren bereits fast amBo<strong>de</strong>n angelangt.Se<strong>in</strong>e <strong>de</strong>nnoch zögerlich ausgestreckte Hand wur<strong>de</strong> sofort ergriffen. Lan<strong>de</strong>r musste sichzw<strong>in</strong>gen, e<strong>in</strong> Drehen <strong>de</strong>s Kopfes zu vermei<strong>de</strong>n. Er hätte sich liebend gern umgesehen.„Jetzt?“, drängte Avery nach kaum fünf M<strong>in</strong>uten erneut leise.„Ja. Phase zwei“, bestätigte Lan<strong>de</strong>r und blieb stehen.„Weißt du, was ich dir schon immer sagen wollte?“ Avery hatte es ihm gleichgetan undwandte sich ihm zu.Rennen<strong>de</strong> Schritte waren h<strong>in</strong>ter ihnen zu hören.Der Moment war passend. Avery hatte wirklich e<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n fürs Tim<strong>in</strong>g und <strong>die</strong> richtigenWorte zur richtigen Zeit. „Was?“„Du bist zwar wirklich nicht me<strong>in</strong> Typ, aber für dich wür<strong>de</strong> ich alles tun.“„Dito. Das nennt sich wohl Freundschaft.“„Für mich bist du mehr als nur e<strong>in</strong> Freund, wenn auch nicht so. Danny war auch malme<strong>in</strong> Freund, weshalb ich doch klarstellen möchte, dass ich nie zuvor e<strong>in</strong>en solchenFreund wie dich hatte.“„Wirkliche Freun<strong>de</strong> hat man nur wenige, und ich hatte noch nie e<strong>in</strong>en. Nur halbeFreun<strong>de</strong>. Damit stehst du mir automatisch näher als alle an<strong>de</strong>ren zuvor. Wenn wirzusammen an e<strong>in</strong>er hohen Klippe stehen wür<strong>de</strong>n und du wür<strong>de</strong>st sagen: ‚Spr<strong>in</strong>g!’, dannwür<strong>de</strong> ich es ohne zu zögern tun. Reicht dir das als Freundschaftsbeweis?“„Es reicht gera<strong>de</strong> so.“ Avery lächelte und nahm das Protokoll selbst <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hand. Er warauch <strong>in</strong> solchen D<strong>in</strong>gen erfahrener. Trotz<strong>de</strong>m stockte er kurz, bevor sich ihre Lippenberührten.Es war an<strong>de</strong>rs als bei Betty Halmers. Sehr viel an<strong>de</strong>rs. Averys billiges Aftershave stachLan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Nase, und <strong>die</strong> ganze Angelegenheit reizte ihn schrecklich zum Lachen. Unddoch war es e<strong>in</strong> Kuss, wenn auch ke<strong>in</strong> Zungenkuss. Das brachten sie wirklich nicht fertig.Rufe wur<strong>de</strong>n laut, und es wur<strong>de</strong> schrecklich hell, ganz so wie bei e<strong>in</strong>em schlimmenGewitter. Avery drehte schließlich <strong>de</strong>n Kopf weg und erhob sich aus <strong>de</strong>r gebücktenHaltung. Er lächelte und drückte Lan<strong>de</strong>rs Hand fest.Mikrofone wur<strong>de</strong>n ihnen vors Gesicht halten. „Lieben Sie e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r wirklich?“; „S<strong>in</strong>d Siee<strong>in</strong> Paar?“; „Wann haben Sie das erste Mal mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r geschlafen?“ und Dutzen<strong>de</strong>an<strong>de</strong>re dumme Fragen prasselten auf sie nie<strong>de</strong>r.Es wur<strong>de</strong> jedoch still, als <strong>de</strong>r ehemalige Lieutenant Comman<strong>de</strong>r von sich gab: „Ja, wirlieben uns. Wir s<strong>in</strong>d seit Monaten e<strong>in</strong> Paar.“„Eigentlich habe ich mich schon <strong>in</strong> dich verliebt, als du das erste Mal bei uns zu Hausewarst, Duncan.“


Das Lächeln se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s war voller Ironie, <strong>die</strong> aber nur Lan<strong>de</strong>r ablesen konnte. Erhoffte, es nicht zu sehr übertrieben zu haben, als er das Zucken von Averys Mundw<strong>in</strong>kelnsah. ‚Fang jetzt bloß nicht an zu lachen, Duncan!’„Das erste Mal haben wir an Bord <strong>de</strong>r Brisbane mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r geschlafen, bevor wirgetrennt wur<strong>de</strong>n.“„Mister Lan<strong>de</strong>r, ist es wahr, dass Sie an Bord <strong>de</strong>r Oxford und <strong>de</strong>r Brisbane… äh…verschie<strong>de</strong>ne Liebhaber hatten?“„Ja, aber nichts Dauerhaftes. Es war alles nur bis zu <strong>de</strong>m Tag, als Duncan mir bei me<strong>in</strong>erRettung noch <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten se<strong>in</strong>e Liebe gestand. Danach war ich ihm treu“,säuselte Lan<strong>de</strong>r. „Ich liebe ihn auch wirklich und wür<strong>de</strong> niemals fremdgehen!“„Sie nutzen ihn also nicht nur aus?“, wollte e<strong>in</strong>e Frau wissen.„Das wür<strong>de</strong> ich niemals tun. Er be<strong>de</strong>utet mir alles! Vielleicht wer<strong>de</strong>n wir irgendwannheiraten!“Für e<strong>in</strong>en Moment war selbst Avery überrascht. Das aufgesetzte Lächeln fror kurz e<strong>in</strong>, biser sich wie<strong>de</strong>r f<strong>in</strong>g. „Hören Sie das? Er hat mir soeben e<strong>in</strong>en Antrag gemacht! Er ist <strong>de</strong>rgrößte Schatz <strong>in</strong> ganz Sirius!“„Sie haben also Ihr Erbe und alles an<strong>de</strong>re letztes Jahr aufgegeben, um Ihre große Liebeaus <strong>de</strong>n Klauen <strong>de</strong>r Verbrecher zu retten, Mister Avery?“Diese Frage hatten sie nicht vorausahnen können. Lan<strong>de</strong>r erstarrte. Es war <strong>die</strong> Frage, obDuncan Avery schon immer schwul gewesen war. Die Berührung se<strong>in</strong>es empf<strong>in</strong>dlichstenselten erwähnten Punktes: <strong>die</strong> freiwillige Aufgabe se<strong>in</strong>es Erbes und Rufes für se<strong>in</strong>enFreund. Lan<strong>de</strong>r wusste, dass Avery darunter litt, wenn er es auch nicht bereute.Trotz<strong>de</strong>m war se<strong>in</strong> neues Leben grundverschie<strong>de</strong>n von se<strong>in</strong>em alten, obwohl er niedarüber geklagt hatte.„So könnte man das sagen. Ich konnte e<strong>in</strong>fach nicht mehr ohne ihn leben und hätte ewiggesucht, bis ich ihn gefun<strong>de</strong>n hätte! Ich habe e<strong>in</strong>fach ke<strong>in</strong>e Ruhe gefun<strong>de</strong>n, und was s<strong>in</strong>dschon Geld sowie Macht im Angesicht <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>s e<strong>in</strong>es Menschen, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>em mehrbe<strong>de</strong>utet als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re im Universum?“E<strong>in</strong>e ruhige Verkündigung, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Schau<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rücken h<strong>in</strong>unter jagte. Es ware<strong>in</strong>e Liebeserklärung, aber nicht sexueller Art. Sie war an<strong>de</strong>rs geme<strong>in</strong>t und daher trotz<strong>de</strong>s Schauspielerns ehrlich.„Ich liebe dich auch, Duncan“, sagte er höchst bewegt.„Ich weiß, Schatz.“ Wie<strong>de</strong>r <strong>die</strong>se Ironie, aber e<strong>in</strong> Strahlen <strong>de</strong>r Augen. Sie verstan<strong>de</strong>ne<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r und operierten daher mittlerweile völlig auf e<strong>in</strong>er Wellenlänge. So konnten siee<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r D<strong>in</strong>ge mitteilen, <strong>die</strong> etwas völlig an<strong>de</strong>res be<strong>de</strong>uteten.Derselbe dickliche Reporter wie vorh<strong>in</strong> fragte genauer nach: „Sie haben also vorher mitverschie<strong>de</strong>nen Leuten <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Navy geschlafen, Mister Lan<strong>de</strong>r?“ Das brach <strong>de</strong>nmagischen Moment wie<strong>de</strong>r.Die meisten <strong>de</strong>r Crewmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Brisbane waren tot und <strong>die</strong> überleben<strong>de</strong>n Piraten <strong>in</strong><strong>de</strong>n Grenzwelten verstreut, also konnte Lan<strong>de</strong>r sagen, was er wollte. Auf <strong>die</strong>se Fragehatte er gewartet! Niemand von <strong>de</strong>r Brisbane wür<strong>de</strong> E<strong>in</strong>spruch erheben. Nur e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>ganz Bretonia war dazu <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage, und ihn wollten sie mit <strong>de</strong>r ganzen Show jaschließlich treffen. Lan<strong>de</strong>r beäugte <strong>die</strong> gezückten Notizblöcke kurz, bevor er mit e<strong>in</strong>emstrahlen<strong>de</strong>n Lächeln sagte: „Ja. Ich habe zum Beispiel mit Lieutenant Comman<strong>de</strong>r LordFowley, <strong>de</strong>r damals noch Lieutenant war, monatelang <strong>die</strong> Lagerstatt geteilt.“Die Bombe hatte e<strong>in</strong>geschlagen. Auch Avery starrte ihn aus aufgerissenen Augen an. Diegenaue Art <strong>de</strong>s verbalen Sprengsatzes hatte Lan<strong>de</strong>r auch ihm verschwiegen, um ihrekle<strong>in</strong>e Inszenierung möglichst echt aussehen zu lassen.Die Reporter waren völlig aus <strong>de</strong>m Häuschen. Er hatte ja schließlich gera<strong>de</strong> zugegeben,mit Daniel Fowley geschlafen zu haben.„Du brauchst nicht eifersüchtig zu se<strong>in</strong>, Duncan. Ich liebe wirklich nur dich.“ Wenn se<strong>in</strong>Freund doch nur nicht e<strong>in</strong> so entsetztes Gesicht machen wür<strong>de</strong>!„Wür<strong>de</strong>n Sie sich bitte noch e<strong>in</strong>mal küssen? Das Licht war gera<strong>de</strong> so schlecht.“E<strong>in</strong>e völlig unverfrorene Frage, <strong>die</strong> Lan<strong>de</strong>r jedoch sofort bejahte. Jetzt musste eranfangen, genauso wie es geplant gewesen war. Avery hielt <strong>die</strong> Augen geschlossen, und<strong>die</strong>smal wirkte es dadurch unechter als das letzte Mal. Lan<strong>de</strong>r wusste, woran se<strong>in</strong> besterFreund dachte und bat schließlich: „Wür<strong>de</strong>n Sie uns jetzt bitte <strong>in</strong> Ruhe lassen? Für heuteist es genug.“


Erstaunlicherweise konnte man sogar mit <strong>de</strong>n Paparazzi re<strong>de</strong>n. Sie hatten heute ja auche<strong>in</strong>e Bombenstory bekommen, also verabschie<strong>de</strong>ten sie sich höflich und g<strong>in</strong>gen, um <strong>die</strong>Bil<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>zuschicken o<strong>de</strong>r ihre Story zu verfassen. E<strong>in</strong>e von ihnen me<strong>in</strong>te sogar: „Bismorgen!“Avery löste sich schlussendlich mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>gefrorenen Lächeln aus Lan<strong>de</strong>rs Umarmungund platzte, nach<strong>de</strong>m ihre ganzen Verfolger endgültig abgehauen waren, heraus: „Daswar gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong> volles Eigentor, Patrick! Du hast es übertrieben! Marlowe und Lord Fowleywer<strong>de</strong>n dich vor Gericht zerren und fertigmachen!“„Wieso sollten sie?“„Na, du hast doch gesagt, dass du mit Lord Fowley geschlafen hast, du Idiot! Diesmallan<strong>de</strong>st du wegen übler Nachre<strong>de</strong> für längere Zeit im Gefängnis, weil du ke<strong>in</strong> Geld habenwirst, um <strong>de</strong>n immens hohen Scha<strong>de</strong>nersatz zu bezahlen!“„Reg dich bitte ab, Duncan.“„Ich will mich aber nicht abregen!“Lan<strong>de</strong>r sah, dass e<strong>in</strong>ige Journalisten stehen geblieben waren und e<strong>in</strong>er sogar wie<strong>de</strong>rfotografierte, wohl um das sich anbahnen<strong>de</strong>, verme<strong>in</strong>tliche Eifersuchtsdrama ebenfallsnoch mitzunehmen und zu verwerten. Er fasste Avery an bei<strong>de</strong>n Handgelenken undzerrte ihn vorwärts. „Gehen wir!“„Du bist ja völlig übergeschnappt!“„B<strong>in</strong> ich nicht! Ich wusste genau, was ich tue.“„Dann bist du noch bekloppter als ich dachte! Du bist wohl scharf auf <strong>de</strong>n Knast, was?Reichen dir <strong>de</strong><strong>in</strong>e letzten bei<strong>de</strong>n Besuche h<strong>in</strong>ter Gittern <strong>de</strong>nn noch nicht?“„Im Gegenteil. Unsere Freun<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n sich selbst blamieren, wenn sie mich vor Gerichtzerren.“Avery blieb stehen und fragte: „Was macht dich da so sicher? Ihr habt doch nicht wirklichmite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r geschlafen, o<strong>de</strong>r?“„Kommt darauf an wie du das Wort ‚geschlafen’ <strong>de</strong>f<strong>in</strong>ierst. Man fragt zum Beispiel auch:‚Wie hast du heute Nacht geschlafen?’, und da ist nichts Anrüchiges dabei.“„Du weißt genau, wie ich es me<strong>in</strong>e, also…“ Der Credit fiel. „Oh Himmel, Patrick! Ihrhabt…“„Wir haben auf Planet Cretes Eismond Kalhmera e<strong>in</strong>e Pritsche und e<strong>in</strong>e Decke geteilt,weil das je<strong>de</strong>r gemacht hat und weil es wärmer war als alle<strong>in</strong> zu schlafen. Es war dortsehr kalt. Wir hatten ke<strong>in</strong>en Sex, aber wir haben mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r im selben Bett geschlafen.Genau das habe ich auch gesagt. Alles an<strong>de</strong>re ist re<strong>in</strong>e Interpretation.“„Und du kannst später sagen, dass du nie behauptet hast, mit ihm Geschlechtsverkehrgehabt zu haben!“ Avery lachte befreit auf. „Und ich dachte, ich wäre <strong>de</strong>r Bessere <strong>in</strong>Haarspaltereien!“„Die nächste Skandalschlagzeile wird vermutlich lauten, dass wir e<strong>in</strong> Paar s<strong>in</strong>d und dassich zuvor Sex mit Lord Daniel Fowley hatte, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mnach auch schwul se<strong>in</strong> muss.“„Der liebe Lord wohnt doch sicherlich bei Marlowe, o<strong>de</strong>r? Er arbeitet beim Stab aufSouthampton, wie er mir am Telefon erzählte, und <strong>de</strong>mnach ist er also je<strong>de</strong>sWochenen<strong>de</strong> auf Planet New London, genau wie se<strong>in</strong> Freund Marlowe auch.“„Das wäre dann <strong>die</strong> nächste Implikation. Läuft vielleicht etwas zwischen Lord Fowley undMarlowe?“„Du machst mir Angst, Patrick.“„Warum?“„Er<strong>in</strong>nere mich bitte daran, nie, und zwar wirklich niemals Krieg mit dir anzufangen! Dusolltest <strong>die</strong>ses Talent vor Gericht verwerten und ebenfalls Anwalt wer<strong>de</strong>n! Aber bitte steigdann bei mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kanzlei e<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn ich könnte nicht ertragen, dass du mich e<strong>in</strong>es Tages<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Prozess womöglich <strong>de</strong>rmaßen ause<strong>in</strong>an<strong>de</strong>rnimmst.“„Ke<strong>in</strong> Interesse. De<strong>in</strong>e juristischen Haarspaltereien s<strong>in</strong>d mir zu langweilig.“„Du Banause weißt ja gar nicht, wovon du sprichst! Die Königsfamilie wird sich hüten,jeman<strong>de</strong>n <strong>in</strong> ihr enges Umfeld aufzunehmen, <strong>de</strong>r mit Schwulen verkehrt o<strong>de</strong>r gar selbstschwul ist. Marlowe wird sich rechtfertigen müssen, aber so schnell wird ihm ke<strong>in</strong>erglauben.“„Wir haben ihm also <strong>die</strong> Tour wohl gründlich vermasselt.“ Lan<strong>de</strong>r musste lachen. Es wärerichtig schön gewesen, wenn da nicht <strong>die</strong> Sache mit Betty Halmers gewesen wäre…Sofort verdunkelte sich se<strong>in</strong> Gesicht beim bloßen Gedanken daran.


„Komm nach Hause, Patrick. Erzähl mir gleich was.“„Was soll ich dir erzählen, Duncan?“„Vielleicht e<strong>in</strong>ige pikante Details aus <strong>de</strong>r Zeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten o<strong>de</strong>r aber was da mit<strong>de</strong>r Militärgerichtsverhandlung gewesen ist - eben all das, was du mir beharrlich bisheute verschweigst! Ist vermutlich mehr als <strong>de</strong>r heutige Tag noch Stun<strong>de</strong>n hat, was?“„Ich wollte dir nie sagen, wie knapp es vor Gericht war. Es ist mir e<strong>in</strong>fach soherausgerutscht. Ich unterliege was das anbelangt auch <strong>de</strong>r militärischenSchweigepflicht. Sie buchten mich e<strong>in</strong>, wenn sie erfahren, dass ich es dir erzählt habe.“„Du musst mich nicht schonen, Patrick. Außer<strong>de</strong>m b<strong>in</strong> ich e<strong>in</strong> Anwalt. Nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er,aber immerh<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Anwalt. Ich b<strong>in</strong> auf Militärrecht spezialisiert, und eigentlich ist dasimmer noch me<strong>in</strong> Liebl<strong>in</strong>gsabschnitt <strong>de</strong>r Rechtslehre. Ich kann aus solchen D<strong>in</strong>gen viellernen, und sie <strong>in</strong>teressieren mich brennend. Du glaubst aber doch nicht ernsthaft, dassich jemals etwas so Vertrauliches ausplau<strong>de</strong>rn wür<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r? Das empfän<strong>de</strong> ich jetzt echtals Beleidigung. Niemand wird davon erfahren.“„Bist du eigentlich noch nie auf <strong>de</strong>n Gedanken gekommen, dass du jetzt Geld ver<strong>die</strong>nenkönntest?“, lenkte Lan<strong>de</strong>r entschie<strong>de</strong>n vom Thema ab.„Als was?“„Anwalt. Du kannst jetzt wie<strong>de</strong>r sehen…“„Ich wer<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e Brille brauchen.“„Na und? Die beschaffen wir dir irgendwie. Und dann fängst du an, hier auf Leeds Geld zuver<strong>die</strong>nen. Die Leute wer<strong>de</strong>n dir <strong>die</strong> Tür e<strong>in</strong>rennen, weil du berühmt bist.“„Soll ich vielleicht dazu rosa Anzüge tragen? Du weißt mittlerweile selbst genau, was füre<strong>in</strong>e Schlagzeile sie schreiben wer<strong>de</strong>n. Außer<strong>de</strong>m darf ich mit me<strong>in</strong>em Bachelor ke<strong>in</strong>eeigene Kanzlei aufmachen, son<strong>de</strong>rn höchstens irgendwo als Assistent anfangen, undwoher willst du überhaupt das Geld nehmen?“„Na, wir wollen es ja nicht übertreiben, außer du bist wirklich schwul. Ich dachte eher ane<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Rechtsberatung für je<strong>de</strong>rmann. So wie du es schon bei Mister Jeffreysmachst. Er setzt dich doch auch nicht vor Gericht e<strong>in</strong>. Du könntest e<strong>in</strong>fach Geld damitver<strong>die</strong>nen, Leuten <strong>de</strong><strong>in</strong>en Rat zu geben und kle<strong>in</strong>ere behördliche Angelegenheiten für siezu klären.“„Das ist wirklich ke<strong>in</strong>e schlechte I<strong>de</strong>e, obwohl Mister Jeffreys mir e<strong>in</strong>en Vertrag mit e<strong>in</strong>erAusschlussklausel aufs Auge gedrückt hat, damit ich auch ja nirgendwo an<strong>de</strong>rs anfangenkann. Er ist wirklich sehr zufrie<strong>de</strong>n mit mir und wird mich nur ungern verlieren. Unsereigenes D<strong>in</strong>g zu drehen wür<strong>de</strong> daher be<strong>de</strong>uten, me<strong>in</strong>en Job bei ihm zu kündigen.“ Averyknuffte Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong> Seite. „Aber das ist egal. Ich kann sicher <strong>de</strong><strong>in</strong>e ganze Familiebeschäftigen, wenn es gut läuft. De<strong>in</strong> Vater kann <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>eren D<strong>in</strong>ge plus <strong>die</strong>persönlichen Sachen erledigen und <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter kocht allen Besuchern Tee! Du h<strong>in</strong>gegenwirst me<strong>in</strong> persönlicher Assistent!“„Du bist doch nicht etwa wirklich <strong>in</strong> mich verliebt?“ Lan<strong>de</strong>r war selbst verdutzt, wie feurigund schnell se<strong>in</strong> Freund sich <strong>in</strong> <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>steigerte.„Kaum, Schatz. Ich hätte mich vorh<strong>in</strong> fast krankgelacht. Du sahst aus, als hättest du <strong>in</strong>e<strong>in</strong>e Zitrone gebissen. Aber ernsthaft, wir können es zuerst bei dir zu Hause machen, umKosten zu sparen. Wenn wenn wir genug Geld haben, ziehen wir weg und fangen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>eran<strong>de</strong>ren Stadt mit e<strong>in</strong>em eigenen Büro an. Es ist ja nirgendwo sonst <strong>in</strong> Bretonia soe<strong>in</strong>fach, e<strong>in</strong>e eigene Firma aufzumachen, wie hier auf Planet Leeds. Ich sehe es schon vormir: Lan<strong>de</strong>rs & Avery – Rechtsberatung wird auf <strong>de</strong>m Schild stehen!„Haha! Küss mal <strong>de</strong><strong>in</strong> Spiegelbild, Duncan! Dann weißt du, wie das ist!“ Lan<strong>de</strong>r konnte anjenen positiven Gedanken momentan kaum teilhaben. Se<strong>in</strong> <strong>in</strong>nerer Kummer war zu tief.Er hatte Avery eigentlich primär bloß ablenken wollen, und das war ihm gut gelungen.„Kann auch nicht schlimmer se<strong>in</strong> als dich zu küssen. Wir spielen e<strong>in</strong>fach unsere Rolle,klar? So hübsch bist du nämlich wirklich nicht, dass ich mich <strong>in</strong> dich verlieben und dafürall <strong>die</strong> hübschen Frauen <strong>in</strong> ganz Sirius sausen lassen wür<strong>de</strong>.“Bevor Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Kommentar dazu abgeben konnte, hakte Avery ihn vertraulich unterund steuerte auf ihr Zuhause zu.„Und was ist mit Marlowe und Betty? Er könnte unser kle<strong>in</strong>es Schauspiel <strong>in</strong>s Wankenbr<strong>in</strong>gen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er sagt, dass ich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d mit ihr habe und daher nicht schwul se<strong>in</strong> kann.“„Erstens habt ihr ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zusammen, da sie es gestern Abend abgetrieben hat, undzweitens wird er se<strong>in</strong>e Mätresse Betty mit se<strong>in</strong>em unehelichen Sohn Gregor schön


weiterh<strong>in</strong> verschweigen. Gibt er <strong>de</strong><strong>in</strong> totes K<strong>in</strong>d zu, muss er auch se<strong>in</strong>es zugeben. Dannist er beim König erst recht unten durch und heiratet Pr<strong>in</strong>zess<strong>in</strong> Emily nie. ZukünftigeThronfolger haben ke<strong>in</strong>e unehelichen K<strong>in</strong><strong>de</strong>r.“„Das wird er sowieso nicht wer<strong>de</strong>n, wenn du mich fragst.“„Nach heute wohl nicht mehr, aber erzähl das ihm und nicht mir. Und jetzt kommendlich, me<strong>in</strong>e Augen tun mir langsam weh! Übrigens müssen wir gleich auch noch übere<strong>in</strong>e klitzekle<strong>in</strong>e Sache re<strong>de</strong>n. Du hast mich belogen, als du vor Wochen sagtest, du seistnicht mit Miss Halmers im Bett gewesen.“„Ich wollte nicht lügen, aber du hast mich so angefahren und warst so vehementdagegen, Duncan! Ich war zunächst wütend und habe es verne<strong>in</strong>t und dann konnte ichdoch nicht mehr sagen, dass es doch an<strong>de</strong>rs gewesen ist!“„Lügen haben kurze Be<strong>in</strong>e, wie <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater immer sagt. Ich habe es dir ja sowieso nichtrecht geglaubt. Du hast aber trotz<strong>de</strong>m gesündigt!“„Haben wir das nicht alle irgendwann mal?“„Vermutlich, aber trotz<strong>de</strong>m hättest du mich nicht belügen dürfen.“„Es tut mir ja auch leid! Wirklich, Duncan!“„Schon gut. Sag es mir nächstes Mal bitte nur gleich, ganz egal, was es ist. Ich b<strong>in</strong> re<strong>in</strong>zufälligerweise acht Jahre älter als du und habe dadurch auch mehr Lebenserfahrung.“„Ich schwöre es dir, Duncan. Ich wer<strong>de</strong> dich nie wie<strong>de</strong>r belügen!“„Ich dich nicht auch nicht mehr, um mal fair zu bleiben. Ich b<strong>in</strong> auch ke<strong>in</strong> Heiliger.“„Nicht mehr?“ Lan<strong>de</strong>r blieb stehen.Mit e<strong>in</strong>em abgrundtiefen Seufzer zog Avery ihn weiter. „Ja. Wenn wir schon dabei s<strong>in</strong>d,e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r unsere Lügen zu gestehen… Ich habe euch auch schon belogen. Sag es nur bittenicht <strong>de</strong><strong>in</strong>en Eltern. Der Blick <strong>de</strong><strong>in</strong>es Vaters, als er mich vorh<strong>in</strong> fragte, ob es mir leidgetanhätte, hier gelan<strong>de</strong>t zu se<strong>in</strong> - das konnte ich kaum ertragen und wäre fast rot gewor<strong>de</strong>n.Verstehst du, ich habe es schon bedauert. Manchmal habe ich abends stun<strong>de</strong>nlang <strong>in</strong><strong>de</strong><strong>in</strong>em Zimmer wachgelegen und mich zurück nach New London gewünscht. Wenn ichLord Fowley damals abgewiesen hätte, anstatt erst zu Flaggkapitän Lucan und dann zuAdmiral Wesley zu gehen, dann wäre zwar K<strong>in</strong>gshams und Ravens Betrug <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten weitergegangen, aber es hätte ke<strong>in</strong>e Millionen Toten und ke<strong>in</strong> verwaistesHerzogtum Avery gegeben. Ich hatte nie e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>wandfreies Verhältnis zu me<strong>in</strong>en Eltern,aber als sie gestorben s<strong>in</strong>d, habe ich es doch sehr bedauert.“Avery hielt <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Geständnis kurz <strong>in</strong>ne.„Und dann, als ich entschied, Lord Fowley und dich suchen zu gehen sowie dafür me<strong>in</strong>Erbe aufzugeben… wenn ich es nicht getan hätte, wäre ich vermutlich auf New Londonmit me<strong>in</strong>er Familie gestorben. Aber das erschien mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>n dunklen Stun<strong>de</strong>n <strong>de</strong>rDepression sehr viel verlocken<strong>de</strong>r als bl<strong>in</strong>d und damit beh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, noch dazu völligmittellos und eben gefallen zu se<strong>in</strong>. Früher habe ich nie über zehn Credits nach<strong>de</strong>nkenmüssen. Sie waren e<strong>in</strong>fach immer da, und ich habe h<strong>in</strong>genommen, dass sie da waren. Alsich aus Rhe<strong>in</strong>land zurückkam, war ich regelrecht bettelarm und damit von an<strong>de</strong>renabhängig. Das war sehr schlimm für mich. Ich habe früher stets großen Wert auf me<strong>in</strong>eUnabhängigkeit gelegt.“Über <strong>die</strong>se D<strong>in</strong>ge hatte Avery nie zuvor gesprochen. Er hatte auch se<strong>in</strong>e Gefühle für se<strong>in</strong>etoten Eltern nie zuvor erwähnt.„Ich b<strong>in</strong> dir sehr dankbar, dass du es trotz<strong>de</strong>m getan hast. Diese Lebensschuld kann ichdir nie zurückzahlen“, sagte Lan<strong>de</strong>r langsam. „Ohne dich wäre ich längst tot o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> nochschlimmerer Verfassung als an jenem Tag. Du hast mir me<strong>in</strong> Leben wie<strong>de</strong>r geschenkt.“„Ich weiß. Tut mir leid, ich wollte dich gera<strong>de</strong> nicht verletzen. Ich bereue es nicht mehr.Je<strong>de</strong>nfalls nicht sehr. Ihr seid me<strong>in</strong>e neue Familie, Patrick. E<strong>in</strong>e richtige Familie, <strong>die</strong> zumir steht. Me<strong>in</strong>e eigene hat es damals nicht getan und mich enterbt, als ich ihren Ruf zuschädigen drohte. Me<strong>in</strong> Vater hat mich e<strong>in</strong>en exzentrischen Sp<strong>in</strong>ner genannt, als er michvor <strong>die</strong> Wahl stellte. Ich wür<strong>de</strong> <strong>die</strong> Familienehre beschmutzen und <strong>die</strong> Tradition brechen.Was für e<strong>in</strong>e Tradition <strong>de</strong>nn?“„Die <strong>de</strong><strong>in</strong>es Großvaters. Die Mar<strong>in</strong>etradition.“„Mittlerweile scheiße ich auf <strong>die</strong> Royal Navy. Die Admiralität hat mich aufgrund me<strong>in</strong>esVerhaltens an Bord <strong>de</strong>r York als nicht mehr <strong>die</strong>nstfähig e<strong>in</strong>gestuft. Man sagte mir, ich se<strong>in</strong>ach <strong>de</strong>m Erlebten als Offizier <strong>in</strong> verantwortungsvoller Position nicht mehr tragbar, ohnemich je untersucht zu haben. Ich galt schon damals als geisteskrank!“


„Hör auf, Duncan! Du bist geistig gesün<strong>de</strong>r als ich.“„Ne<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn sonst hätte ich niemals bereut dich, kennengelernt zu haben und bei euchauf <strong>de</strong>r Türschwelle gelan<strong>de</strong>t zu se<strong>in</strong>.“„Es geschieht alles so, wie es geschehen soll. Du bist nicht geisteskrank“, wie<strong>de</strong>rholteLan<strong>de</strong>r unerbittlich. „Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st auf ke<strong>in</strong>en Fall mehr als ich.“„Amen. Du bist mir also nicht böse? Ich konnte dir doch nicht sagen, dass ich anmanchen Tagen me<strong>in</strong>e Probleme mit eurer Armut und me<strong>in</strong>em neuen Status habe.“„Es gibt gute und schlechte Tage. Ich freue mich, dass du es mir gesagt hast. Glaub mir,unsere Armut st<strong>in</strong>kt mir schon seit K<strong>in</strong><strong>de</strong>rtagen genauso wie dir. Ich wollte auch zurNavy, weil ich hier weg wollte.“„Komm zur Navy und sieh Sirius…“„… und mehr als dir gefällt!“, vollen<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r das <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Streitkräften bekannte Zitat.„Sehr passend. Soll ich dir mal was sagen, Patrick?“„Was?“„Wir wer<strong>de</strong>n Planet Leeds verlassen. Wir wer<strong>de</strong>n das Geld teilweise sparen undirgendwann von hier weggehen. In Liberty soll es toll se<strong>in</strong>, und auf manchen <strong>de</strong>r Planetengibt es mit Sicherheit auch e<strong>in</strong>e passen<strong>de</strong> Arbeit für <strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater. Dort spricht man jaauch e<strong>in</strong>e Art Englisch, und dann fangen wir richtig neu an!“„Er ist anglikanischer Geistlicher. Unsere Kirche gibt es <strong>in</strong> Liberty fast nicht!“,wi<strong>de</strong>rsprach Lan<strong>de</strong>r.„Er ist e<strong>in</strong> Mann Gottes. Er hat mir <strong>die</strong> Beichte abgenommen, und ich b<strong>in</strong> katholisch.Glaubst du wirklich, dass Gott e<strong>in</strong>en Unterschied bei se<strong>in</strong>en Dienern macht? Irgendwannstu<strong>die</strong>re ich zu En<strong>de</strong>. Du stu<strong>die</strong>rst auch und machst, was dir gefällt! In Liberty kann ichals Firmenanwalt für e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r großen Konzerne arbeiten. Es gibt ja genug Firmen, <strong>die</strong>mit Bretonia Han<strong>de</strong>l treiben. Dann braucht Jeremiah nicht mehr für Geld zu arbeiten,son<strong>de</strong>rn kann e<strong>in</strong>fach ehrenamtlicher Seelsorger se<strong>in</strong>. Wie gefällt dir das?“„Ich glaube nicht, dass <strong>die</strong> I<strong>de</strong>e, auszuwan<strong>de</strong>rn, me<strong>in</strong>en Eltern großartig schmeckenwird.“„Sie haben genug Zeit, sich alles zu überlegen. Wir wer<strong>de</strong>n wohl e<strong>in</strong> paar Jahrebrauchen, aber wir wer<strong>de</strong>n es schaffen. Zusammen!“„E<strong>in</strong>er für alle…“„… und alle für e<strong>in</strong>en! Das sagt <strong>de</strong><strong>in</strong> Vater auch immer. Du bist ihm sogar recht ähnlich.“„Ich wer<strong>de</strong> aber nie Prediger, obwohl ich nicht schlecht dar<strong>in</strong> b<strong>in</strong>.“„Hast du es <strong>de</strong>nn schon e<strong>in</strong>mal versucht?“, zog ihn Avery auf und war von <strong>de</strong>rernsthaften Antwort überrascht.„In <strong>de</strong>n Grenzwelten.“„Erzähl mir davon!“, war <strong>die</strong> sofortige Reaktion. „Erzähl mir alles!“„Es war auch auf Kalhmera, genau genommen nach <strong>de</strong>m Fall <strong>de</strong>r Fusionsbombe aufPlanet Manhattan…“


Kapitel XVI - Neuanfang„Setzen Sie sich h<strong>in</strong>, Miss.“ Anne Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> ihrer Rolle als Hausherr<strong>in</strong> völlig auf. IhrSohn mühte sich gera<strong>de</strong> während <strong>de</strong>s allgeme<strong>in</strong>en Betriebes mit e<strong>in</strong>em Eimer Farbe ab.Der Vater hielt <strong>die</strong> Leiter fest und lächelte. „Lass mich das lieber machen, du kommst niebis zur Decke. Streich lieber unten.“Früher hätte sich geärgert und es trotz<strong>de</strong>m versucht, aber heute stieg Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Leiterherab und me<strong>in</strong>te: „Puh, so e<strong>in</strong> verdammter Saustall! E<strong>in</strong>e Woche schon, und wir s<strong>in</strong>dimmer noch nicht fertig.“Se<strong>in</strong>e Mutter stemmte <strong>die</strong> Arme <strong>in</strong> <strong>die</strong> Hüften. „Aber dafür billig. Du warst noch nie sehrgeduldig, me<strong>in</strong> Sohn! Und jetzt komm herunter und iss, ich habe gera<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>rNusskuchen gebacken!“Das Gr<strong>in</strong>sen <strong>de</strong>r drei Leute im Warteraum war e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig zu verstehen, aber nichtfe<strong>in</strong>dselig. Man konnte <strong>de</strong>r rundlichen, gemütlichen Anne Lan<strong>de</strong>r eben nicht böse se<strong>in</strong>,also konnte auch ihr Sohn es nicht. Er murmelte e<strong>in</strong>e unverständliche Antwort und hielt<strong>die</strong> <strong>in</strong>stabile Holzleiter fest. Se<strong>in</strong>e Mutter war das Herz <strong>de</strong>s Geschäfts, wie Avery immersagte.Schon <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wohnung <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>rs hatte sie vor an<strong>de</strong>rthalb Monaten Tee und Kuchenserviert. Das hatte sich e<strong>in</strong>gebürgert und war e<strong>in</strong> Grund, weshalb <strong>die</strong> Leute so zahlreichgekommen waren. Viele hatten anfangs nur schauen wollen, aber später war <strong>de</strong>r richtigeBetrieb losgegangen und ihre Wohnung brechend voll gewesen. Lei<strong>de</strong>r waren auch vielekle<strong>in</strong>e D<strong>in</strong>ge aus <strong>de</strong>m Haushalt auf Nimmerwie<strong>de</strong>rsehen verschwun<strong>de</strong>n, weshalbschnellstmöglich e<strong>in</strong>e Alternative hermusste. Sie war <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>gsworth schnell gefun<strong>de</strong>n, mitetwas Unterstützung von Ziegelei<strong>in</strong>haber Jeffreys. Der Kle<strong>in</strong><strong>in</strong>dustrielle nahm noch immerAverys Dienste <strong>in</strong> Anspruch, aber jetzt bezahlte er natürlich wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Kun<strong>de</strong> auchnur noch für <strong>die</strong> tatsächlich geleisteten Stun<strong>de</strong>n.Mittlerweile hatten sie e<strong>in</strong>en relativ festen Kun<strong>de</strong>nstamm, was aber vor allem AverysVer<strong>die</strong>nst war. Er war e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>rer Mensch gewor<strong>de</strong>n, seit er e<strong>in</strong>e Aufgabe hatte und fürdas Familiene<strong>in</strong>kommen sorgte. Er hatte je<strong>de</strong>n Protest <strong>de</strong>r Familie gegen <strong>die</strong>se Form <strong>de</strong>rvölligen Abhängigkeit sofort mit <strong>de</strong>n scharfen Worten: „Vorher konnte ich gar nichtsmachen. Ich verdanke euch alles, sogar me<strong>in</strong> Augenlicht. Außer<strong>de</strong>m arbeitet ihr ja mit!Wir machen es alle zusammen. Ihr schmeißt <strong>de</strong>n ganzen La<strong>de</strong>n, ich mache bloß <strong>die</strong>Beratung.“ sofort unterbun<strong>de</strong>n. Niemand hatte mehr protestiert, obwohl es ohne e<strong>in</strong>enCambridge-Absolventen Avery überhaupt ke<strong>in</strong>en La<strong>de</strong>n gegeben hätte.Mittlerweile hatten sie für <strong>de</strong>n überhöhten Preis von zweihun<strong>de</strong>rt Credits sogar e<strong>in</strong>enuralten Computer gekauft und besaßen hier <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>gsworth e<strong>in</strong> Telefon sowie e<strong>in</strong>enWebanschluss. Gera<strong>de</strong> Pastor Lan<strong>de</strong>r war vom freien Datenzugang natürlich vollendsbegeistert und h<strong>in</strong>g ständig davor, wenn <strong>de</strong>r Computer nicht besetzt war. Natürlich kamdas nicht allzu oft vor, weil <strong>die</strong>s <strong>de</strong>r Platz se<strong>in</strong>es Sohnes war, <strong>de</strong>r <strong>die</strong>ses Amtwi<strong>de</strong>rstrebend übernommen hatte. Lan<strong>de</strong>r drückte sich allerd<strong>in</strong>gs nur zu gerne davor, sowie jetzt. Lei<strong>de</strong>r nicht für lange.Sie hatten kaum <strong>die</strong> halbe Wand gestrichen, als Avery rief: „Patrick, leg <strong>de</strong>n verdammtenP<strong>in</strong>sel weg und schw<strong>in</strong>g <strong>de</strong><strong>in</strong>en H<strong>in</strong>tern hierher! Du musst e<strong>in</strong>e Akte für e<strong>in</strong>en neuenKlienten anlegen!“Es war eben e<strong>in</strong> Kreuz, außer Avery <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie zu se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>rOberschule und von <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie fun<strong>die</strong>rte Computerkenntnisse hatte.„Ja doch, verdammt!“Das Fluchen hatte sich schleichend e<strong>in</strong>gebürgert und wur<strong>de</strong> auch von allen Kun<strong>de</strong>n soakzeptiert. Es war eben leedser Umgangssprache, und selbst Avery war davor nichtgefeit. Nicht mehr, seit er täglich nur mit <strong>de</strong>r hiesigen Bevölkerung zu tun hatte. DerIndustriearbeiter, <strong>de</strong>r wegen e<strong>in</strong>es Behör<strong>de</strong>nbriefes mit <strong>de</strong>r Bitte um e<strong>in</strong>e verständlicheÜbersetzung zu Avery kam, fluchte ebenso wie <strong>die</strong> Hausfrau, <strong>die</strong> zu <strong>de</strong>m Anwalt kam,weil sie ihrem Mann mit <strong>de</strong>r Scheidung drohen wollte. Tatsache war, dass so gut wieke<strong>in</strong>e Ehe auf Planet Leeds geschie<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, weil es unzweckmäßig war. Drohen konnteman jedoch damit, und e<strong>in</strong> Brief von Lan<strong>de</strong>rs & Avery war <strong>de</strong>mentsprechendhochwirksam. Das sprach sich herum.


Ihr erster Fall war vor sechs Wochen ihr eigener gewesen. Avery hatte <strong>de</strong>m Gericht aufPlanet New London e<strong>in</strong>en saftigen Brief geschrieben, wie <strong>die</strong> Presseäußerung von PatrickLan<strong>de</strong>r bezüglich <strong>de</strong>s Lagerstatt-Teilens wirklich zu verstehen war. Marlowe hatte LordFowley offensichtlich tatsächlich dazu gebracht, nach Ersche<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r teilweise bösartigenArtikel zum Anwalt zu gehen und Klage e<strong>in</strong>zureichen. Nach <strong>de</strong>r Klarstellung <strong>de</strong>sUmstan<strong>de</strong>s und <strong>de</strong>r Bitte um Nachfrage bei Lord Fowley herrschte Funkstille. Später warzu lesen, dass gegen e<strong>in</strong>ige <strong>de</strong>r Klatschblätter Klage e<strong>in</strong>gereicht wor<strong>de</strong>n war, aber nichtgegen Patrick Lan<strong>de</strong>r.Sie hatten somit gewonnen und widmeten sich seit<strong>de</strong>m ihrem Projekt namensNeuanfang. Auch Lan<strong>de</strong>r half dabei, wo immer er konnte, auch wenn <strong>die</strong> ihmübertragenen Aufgaben ihm manchmal gegen <strong>de</strong>n Strich g<strong>in</strong>gen. Avery dul<strong>de</strong>te jedochke<strong>in</strong>e Weigerung. Vorschläge ja, aber ke<strong>in</strong>e Verweigerung. E<strong>in</strong>mal hatte se<strong>in</strong> militärischerKommandoton sämtliche Kun<strong>de</strong>n zum Lachen gebracht, als er Lan<strong>de</strong>r anherrschte.Daraufh<strong>in</strong> hatte <strong>de</strong>r Geta<strong>de</strong>lte lediglich gesagt: „Verstehe, Lieutenant Comman<strong>de</strong>r.Natürlich, Sir.“ und ihn übertrieben zackig salutiert, woraufh<strong>in</strong> Avery ihn verdutztangesehen hatte und <strong>de</strong>n Militärgruß scherzhaft erwi<strong>de</strong>rte, bevor sie bei<strong>de</strong> <strong>in</strong> herzlichesGelächter ausgebrochen waren. Danach war alles wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> Butter gewesen und <strong>die</strong> Leuteim Wartezimmer hatten sich über <strong>die</strong> bekloppte Royal Navy <strong>de</strong>n Mund fusselig gere<strong>de</strong>t.„Ah, da bist du ja, Patrick. Nimmst du bitte Miss Rees’ Daten auf?“, for<strong>de</strong>rte Avery.„Aber sicher.“„Macht man das bei Rechtsverdrehern immer so?“, wollte <strong>die</strong> junge Frau salopp wissen.„Wir führen e<strong>in</strong>e Klientendatei, falls <strong>die</strong> Kun<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>mal wie<strong>de</strong>rkommen. Dann weiß ichwie e<strong>in</strong> Arzt sofort, was es se<strong>in</strong> kann und was früher gewesen ist.“„Das verstehe ich. Was ist aber e<strong>in</strong> Klient?“„E<strong>in</strong> Kun<strong>de</strong>.“ Lan<strong>de</strong>r war amüsiert. Das Gespräch versprach, wi<strong>de</strong>r Erwarten lustig zuwer<strong>de</strong>n. „Ihr Name?“„Estelle Rees.“„Wann s<strong>in</strong>d Sie geboren, Miss Rees?“ Lan<strong>de</strong>r hatte Averys ta<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Blick bemerkt. Erhatte ja offen mit ihr gesprochen, wie man eben hier auf Leeds unter sich re<strong>de</strong>te.„Madam Rees bitte, und das da wird Johnny Rees.“ Sie zeigte auf ihren Bauch. „Ihnkönnen Sie auch als Patienten aufnehmen.“Wenn er jetzt zu Avery geblickt hätte, wäre es um ihn geschehen gewesen. Lan<strong>de</strong>rbehielt se<strong>in</strong>e to<strong>de</strong>rnste Miene bei und konzentrierte sich h<strong>in</strong>gebungsvoll auf <strong>de</strong>nBildschirm. Der Arztvergleich hatte sich prompt gerächt.„Ähh ja. Natürlich, Madam Rees. Warum s<strong>in</strong>d Sie heute zu mir gekommen?“„Johnny wird gegen Bretonia klagen, und Sie sollen das schreiben.“„Madam Rees, ich <strong>de</strong>nke nicht, dass Ihr ungeborenes K<strong>in</strong>d…“ Avery starrte auf ihrenflachen Bauch, wo noch nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> kle<strong>in</strong>ste Rundung zu sehen war. „… als rechtlichePerson klagen kann.“„Warum soll Ihr Sohn gegen <strong>de</strong>n Staat klagen?“, griff Lan<strong>de</strong>r helfend e<strong>in</strong>. Er tat es oft,wenn Avery an <strong>de</strong>r Mentalität <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>heimischen zu scheitern drohte.„Was soll das heißen, er kann nicht klagen? Er ist schon jetzt e<strong>in</strong>e Person, und <strong>die</strong> wollennicht bezahlen.“„So leid es mir tut, ich fürchte, <strong>de</strong>r Staat ist nicht für Scha<strong>de</strong>nsersatz zuständig…“ Wie<strong>de</strong>rkam Avery nicht zum En<strong>de</strong>.„Aber er ist doch durch e<strong>in</strong>es <strong>de</strong>r verdammten Schiffes <strong>de</strong>r verfluchten, gottverf******Navy fast draufgegangen! Die dummen Scheiß-Schwe<strong>in</strong>e sagen wegen se<strong>in</strong>er verfluchtenEltern, wir seien nicht verheiratet und das K<strong>in</strong>d sei nicht von Adam! Die vom Staat sollenzahlen, kapiert? Die haben me<strong>in</strong>en Adam fast <strong>in</strong> Scheiben geschnitten, wie mir e<strong>in</strong>Freund von ihm erzählte. Sie haben ihm sogar se<strong>in</strong>en schönen Schwanz abge…“ Sieheulte auf und konnte nicht weitersprechen.Der angesichts <strong>de</strong>s unvermittelten Ausbruches e<strong>in</strong>en Moment lang verdutzte Averybohrte nach: „Ihr Mann war bei <strong>de</strong>r Royal Navy, Madam…“„Rees“, half Lan<strong>de</strong>r ihm aus.„Natürlich war er bei <strong>de</strong>r Scheißnavy! Se<strong>in</strong>e Eltern haben e<strong>in</strong>en Scheißbrief bekommen,vonwegen er sei <strong>in</strong> Ehren fürs Haus Bretonia gefallen, aber <strong>die</strong> haben ihn zurückgelassen,und dann hat man ihn gefoltert sowie ihm <strong>de</strong>n Schwanz abgeschnitten! E<strong>in</strong> Händler hatihn drei Tage später freigekauft und gerettet, aber er ist e<strong>in</strong> Pflegefall und sabbert! Und


was hab ich gekriegt? Was hat Johnny gekriegt? Wir bekommen nichts! Nur, weil se<strong>in</strong>esaudummen, kle<strong>in</strong>lichen Eltern, <strong>die</strong> noch nicht mal e<strong>in</strong>en anständigen Furz lassenkönnen, ihn für sich haben wollen und das Geld fleißig kassieren! Ich will…“„Madam Rees, bitte beruhigen Sie sich!“„Ich mag mich aber nicht beruhigen! Ich will <strong>die</strong>sem gottverdammten Admiral Sir Cairnsmit e<strong>in</strong>em me<strong>in</strong>er Fleischmesser auch <strong>de</strong>n Schwanz abschnei<strong>de</strong>n, wie es <strong>die</strong> Krim<strong>in</strong>ellenbei me<strong>in</strong>em Adam gemacht haben!“ Ihr F<strong>in</strong>ger zuckte nach vorne und <strong>de</strong>utete aufLan<strong>de</strong>r. „Sie müssten doch wissen, wie das ist!“„Ich habe me<strong>in</strong>en ‚verdammten Schwanz’ noch, Miss Rees, also muss ich passen.“ Lan<strong>de</strong>rblieb völlig ruhig.„Madam Rees…“„Schreiben Sie <strong>de</strong>n verfluchten Brief, o<strong>de</strong>r ich schnei<strong>de</strong> Ihren statt<strong>de</strong>ssen ab, Sieschwules Schwe<strong>in</strong>!“Das lange Messer lag wie von selbst <strong>in</strong> ihrer Hand. Sie musste es im Ärmel versteckt o<strong>de</strong>r<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tasche gehabt haben.Für e<strong>in</strong>en Moment herrschte e<strong>in</strong>e belasten<strong>de</strong> Stille, bis Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er Überraschung Herrgewor<strong>de</strong>n war. Er stand auf, g<strong>in</strong>g auf sie zu...„Patrick!“Es war vorbei, bevor Avery erneut schreien konnte. Die Tür wur<strong>de</strong> abrupt aufgerissen,und mehrere Leute stan<strong>de</strong>n plötzlich im Raum. Lan<strong>de</strong>rs Eltern, an<strong>de</strong>re Klienten - ebenfast je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r da war.„Ruft <strong>die</strong> Polizei!“, for<strong>de</strong>rte Avery sie mit schwacher Stimme auf.„Ne<strong>in</strong>! Vater, übernimmst du bitte hier?“Jeremiah Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> blass, als er das lange Messer auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n bemerkte, aber erfasste sich schnell und führte <strong>die</strong> verwirrte, we<strong>in</strong>en<strong>de</strong> Frau zusammen mit Lan<strong>de</strong>rs Mutterh<strong>in</strong>aus. Lan<strong>de</strong>r hatte arge Schwierigkeiten, sie loszulassen.„Wir machen <strong>in</strong> zehn M<strong>in</strong>uten weiter.“Als <strong>die</strong> Tür geschlossen war, lehnte Lan<strong>de</strong>r sich dagegen.Avery saß noch immer an se<strong>in</strong>em Platz. Er war bleich und zitterte, da nun <strong>de</strong>r Schocke<strong>in</strong>setzte. „Sie… sie ist mit <strong>de</strong>m Messer auf mich los, Patrick! Mit e<strong>in</strong>em Messer wolle siemir an <strong>de</strong>n…“„Sie ist geistig nicht ganz gesund, wie ich vermute.“Hysterisch auflachend lehnte Avery sich vor und betrachtete se<strong>in</strong>e zittern<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>. „Sieist nicht mehr ganz dicht! Oh Mann, wie viele Bekloppte laufen hier auf Leeds nochherum?“„Auch nicht mehr als an<strong>de</strong>rswo.“ Lan<strong>de</strong>r hatte se<strong>in</strong>en eigenen Körper endlich wie<strong>de</strong>runter Kontrolle. Er hatte e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv reagiert. Se<strong>in</strong> rationales Denken warausgeschaltet gewesen. Wie damals, als er getötet hatte. Er war dabei gewesen, <strong>die</strong> Frauzu erwürgen. E<strong>in</strong>e Breton<strong>in</strong>! Ihn schau<strong>de</strong>rte.„Danke.“ Avery atmete keuchend und schloss <strong>die</strong> Augen. Für ihn war es ansche<strong>in</strong>endnoch ungleich schlimmer als für Lan<strong>de</strong>r. „Wenn du nicht gewesen wärst…“„Blöds<strong>in</strong>n!“„Ich war wie gelähmt, als sie auf mich zukam!“„Es ist vorbei.“ Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g auf Avery zu und half ihm dadurch, sich wie<strong>de</strong>r zu fassen.Es dauerte weitaus länger als zehn M<strong>in</strong>uten, bis <strong>de</strong>r Anwalt fähig war, weiterzumachen.Der Nächste!“Here<strong>in</strong> kam Estelle Rees <strong>in</strong> Begleitung von Jeremiah Lan<strong>de</strong>r.„Sorry“, sagte sie schlicht. „Ich habe e<strong>in</strong>fach rot gesehen. Sie waren auch bei<strong>de</strong>Offiziere.“„Schickt <strong>die</strong>se Frau weg!“, stammelte Avery, <strong>de</strong>r nun erneut geschockt war.„Ne<strong>in</strong>! Bitte nicht!“, brach aus Estelle Rees heraus.Jeremiah Lan<strong>de</strong>r griff e<strong>in</strong>: „Hört Miss Simmons wenigstens an, K<strong>in</strong><strong>de</strong>r. Sie ist e<strong>in</strong> richtigerFall für euch.“„Wir s<strong>in</strong>d nicht <strong>die</strong> Psychiatrie!“, urteilte Avery fast unhörbar, aber er erhielt von <strong>de</strong>mneben ihm stehen<strong>de</strong>n Patrick Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Tritt gegen das Schienbe<strong>in</strong>.„Ich… b<strong>in</strong> nicht verrückt. Ich bekomme wirklich e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d von Adam Rees. Unseren kle<strong>in</strong>enJohnny. Se<strong>in</strong>e verdammten Eltern wollen mich nicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wohnung lassen. Wir wolltenbei se<strong>in</strong>em nächsten Heimaturlaub heiraten…“


„Ihr Mann <strong>die</strong>nte als Rat<strong>in</strong>g auf <strong>de</strong>r Cardiff.“Wie auf Kommando trafen sich ihre Blicke. „Die Cardiff, Miss?“„Ja. Sie hatten e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>satz, und er blieb verletzt liegen. Der Scheißoffizier behauptete,dass ke<strong>in</strong>e Zeit gewesen wäre, ihn zu holen…“Erneut korrigierte niemand ihre gegen <strong>die</strong> Royal Navy gerichtete Ausdrucksweise.„Miss Simmons möchte, dass ihr zwei D<strong>in</strong>ge für sie tut. Erstens sollt ihr e<strong>in</strong>en Brief an <strong>die</strong>Navy schreiben, damit ihr und ihrem K<strong>in</strong>d ebenfalls e<strong>in</strong>e Rente zusteht, da er ihr immerGeld geschickt hat. Zweitens <strong>de</strong>nke ich, dass ihr bewirken könnt, dass se<strong>in</strong>e Eltern sie <strong>in</strong><strong>die</strong> Wohnung lassen, damit sie Mister Rees sehen kann. Wollt ihr das machen?“„Das wäre toll. Nur ich kann es momentan nicht bezahlen…“„Auch das noch!“, murmelte Avery wenig begeistert und kassierte dafür e<strong>in</strong>en erneutenTritt, <strong>die</strong>smal von Lan<strong>de</strong>rs Vater.„Natürlich schreiben wir <strong>die</strong> Briefe. Sie können morgen wie<strong>de</strong>rkommen und sie abholen.Das Geld können Sie uns geben, wenn Sie es haben“, antwortete Lan<strong>de</strong>r freundlich.„Danke.“ Sie ergriff se<strong>in</strong>e Hand und küsste sie, ohne auf se<strong>in</strong>e unbewussteAbwehrstellung zu achten. „Sie s<strong>in</strong>d sehr barmherzig zu mir und Johnny! Danke, dass Sienicht <strong>die</strong> Polizei gerufen haben. Me<strong>in</strong> Adam fluchte immer auf se<strong>in</strong>e Offiziere, aber Sies<strong>in</strong>d an<strong>de</strong>rs. Sie s<strong>in</strong>d von hier. Danke, dass Sie nicht <strong>die</strong> Polizei gerufen haben und michverstehen.“Trotz<strong>de</strong>m waren sie alle froh, als <strong>die</strong> Frau fort war und sie mit <strong>de</strong>m normalen Betriebweitermachen konnten.„Es muss <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Omega-Systemen passiert se<strong>in</strong>. Dort ist <strong>die</strong> Cardiff stationiert, soweit ichweiß“, griff Duncan Avery <strong>de</strong>n Fall gedankenverloren noch e<strong>in</strong>mal auf, als sie abends zuHause <strong>in</strong> Heresbridge waren und e<strong>in</strong>ige Schreibarbeiten für <strong>de</strong>n nächsten Tag erledigten.„Sie kam aus <strong>de</strong>n Tau-Systemen und hat euch <strong>in</strong> Omega-7 abgelöst, als <strong>die</strong> Oxfordzerstört wur<strong>de</strong>.“Auch Lan<strong>de</strong>r musste daran <strong>de</strong>nken - wie schon fast <strong>de</strong>n ganzen Tag lang. Es waren <strong>die</strong>eigenen Er<strong>in</strong>nerungen, <strong>die</strong> ihn quälten. Er<strong>in</strong>nerungen an se<strong>in</strong>e Zeit auf <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>nPatrouillenkreuzern. „Hat sie e<strong>in</strong>e reelle Chance, das Geld zu bekommen?“„Wenn man sie dank unseres Briefes zu ihm here<strong>in</strong>lässt und sie das Geld für <strong>de</strong>nVaterschaftstest irgendwie aufbr<strong>in</strong>gt, schon. Ich glaube allerd<strong>in</strong>gs nicht, dass sieschwanger ist. Sie hat wohl nur nicht vollends begriffen, was ihm passiert ist.“ Averyklang nach<strong>de</strong>nklich, nicht mehr fe<strong>in</strong>dselig. „Arme Frau. Die Navy wird ihmScha<strong>de</strong>nsersatz zahlen, falls es wirklich Fahrlässigkeit <strong>de</strong>s betreffen<strong>de</strong>n Offiziers war unddaher vermeidbar gewesen wäre. Je<strong>de</strong>n Monat e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Rente o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>egrößere Summe. Miss Simmons bekommt <strong>in</strong> je<strong>de</strong>m Fall e<strong>in</strong>en Anteil davon, falls es e<strong>in</strong>enNachkommen gibt und das K<strong>in</strong>d von ihm ist. Verheiratet waren sie und Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>gRees ja wohl nicht, wenn ich <strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater richtig verstan<strong>de</strong>n habe.“„Der Dienst <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten ist eben gefährlich.“ Lan<strong>de</strong>r sprach es leichth<strong>in</strong>, aberAvery merkte, wie er sich dabei quälte.„Ja, aber jemand muss ihn ja machen. Ich b<strong>in</strong> froh, dass Jeremiah sie nochmalsre<strong>in</strong>geschickt hat. Er muss wohl auch daran gedacht haben.“„Auch ich b<strong>in</strong> dort fast bei me<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz gestorben. Lord Fowley hat mich untergroßem Risiko für se<strong>in</strong> eigenes Leben gerettet.“„Das dürfte ihm heute auch ke<strong>in</strong> zweites Mal mehr passieren.“ Avery musste lachen, aber<strong>de</strong>r Laut blieb ihm plötzlich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kehle stecken. Er sprang auf und ergriff Lan<strong>de</strong>rs Arm.„Me<strong>in</strong> Gott, Patrick!“„Was <strong>de</strong>nn? Hey, willst du mir <strong>de</strong>n Arm ausreißen?!“ Lan<strong>de</strong>r war vom Verhalten se<strong>in</strong>esFreun<strong>de</strong>s irritiert. Vielleicht war es heute im Büro wirklich zu viel für Avery gewesen.„Begreifst du eigentlich, was <strong>die</strong>s be<strong>de</strong>utet? Wir waren so was von blöd!“„Ich habe ke<strong>in</strong>e Ahnung, wovon du re<strong>de</strong>st“, wich Lan<strong>de</strong>r ihm vorsichtig aus.„Die Parallele zwischen Mister Rees und dir!“„Was für e<strong>in</strong>e Parallele? Ich habe me<strong>in</strong>en…“


„Ja, du hast <strong>de</strong><strong>in</strong> bestes Stück noch! Aber <strong>de</strong>nk doch mal nach! Wir waren monatelangviel zu sehr mit uns selbst beschäftigt, als dass wir das Offensichtliche gesehen hätten.Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st gilt das für mich! Ihr habt von solchen D<strong>in</strong>gen sowieso ke<strong>in</strong>e Ahnung.“„Nun blas dich mal nicht so auf o<strong>de</strong>r du platzt, du großer Staranwalt!“„Begreifst du <strong>de</strong>nn nicht?! Avery, <strong>de</strong>r kurzzeitig sehr erregt h<strong>in</strong> und her gelaufen war,während er nachdachte, blieb jäh vor ihm stehen und schüttelte ihn so sehr, dass Lan<strong>de</strong>rdabei Hören und Sehen verg<strong>in</strong>g.„Aua, sp<strong>in</strong>nst du?!“ Lan<strong>de</strong>r befreite sich auch <strong>die</strong>ses Mal energisch.„Hast du damals etwas unterschrieben, das dir von <strong>de</strong>r Navy vorgelegt wur<strong>de</strong>?“„Ich b<strong>in</strong> doch im Gefängnis gelan<strong>de</strong>t, weil ich es nicht getan habe!“„Und danach? Im Gericht?“„Ne<strong>in</strong>!“ Lan<strong>de</strong>r machte e<strong>in</strong>en Schritt zurück, als Avery ihn erneut anfassen wollte, wohlum ihm wie<strong>de</strong>r wehzutun. „Was ist <strong>de</strong>nn los, verdammt?“„Nichts, außer dass wir vor Gericht ziehen!“, rief Avery triumphierend.„Wir? Vor Gericht? Wofür <strong>de</strong>nn das?“„Bei <strong>de</strong>m Schrieb, <strong>de</strong>n ich unterschrieben habe und du nicht, war e<strong>in</strong>eHaftungsausschlusserklärung dabei! Begreifst du das? Adam Rees hat Anspruch aufmehrere Hun<strong>de</strong>rttausend o<strong>de</strong>r sogar Millionen für e<strong>in</strong>e drei Tage andauern<strong>de</strong>Gefangenschaft bei <strong>de</strong>n Krim<strong>in</strong>ellen und <strong>die</strong> Folter, <strong>die</strong> ihn e<strong>in</strong>en Teil se<strong>in</strong>erGeschlechtsorgane und se<strong>in</strong>e mentale Gesundheit kostete. Nehmen wir also mal an, dasses nur das war und auch so zutrifft…“„Ich f<strong>in</strong><strong>de</strong> <strong>de</strong><strong>in</strong>e Formulierung ‚nur das’ <strong>in</strong> jenem Zusammenhang sehr unpassend,Duncan. Der Verlust <strong>de</strong>r Familienjuwelen ist für e<strong>in</strong>en Mann e<strong>in</strong>e sehr ernste Sache, wiedu heute sicherlich gemerkt hast, als Miss Simmons dir <strong>de</strong><strong>in</strong>e abschnei<strong>de</strong>n wollte“,merkte Lan<strong>de</strong>r säuerlich an. Avery g<strong>in</strong>g ihm manchmal schrecklich auf <strong>die</strong> Nerven, und erwar mü<strong>de</strong>. „Dürfte ich dich also daran er<strong>in</strong>nern, dass du angesichts <strong>die</strong>ses h<strong>in</strong>terhältigenPlans geschockt warst?“„Jaja, nur hör mir doch mal richtig zu, Patrick? Verdammt, bist du so doof o<strong>de</strong>r spielstdu’s nur? Drei Tage gegen wie viele? E<strong>in</strong> Jahr und…“„Dreizehn Monate und sechs Tage.“„Drei Tage gegen dreizehn Monate! Begreifst du eigentlich, worauf du Anspruch hast?!“„Scha<strong>de</strong>nsersatz?“, folgerte Lan<strong>de</strong>r vorsichtig. „Ich?“„Du! In Millionenhöhe, Patrick!“„Sagtest du nicht eben etwas von grober Fahrlässigkeit?“„Natürlich! Das ist doch Voraussetzung! Die Navy hat <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Unterschätzung <strong>de</strong>rVorgänge an Bord <strong>de</strong>r Oxford und <strong>de</strong>r Brisbane grob fahrlässig gehan<strong>de</strong>lt!“„Dir ist aber schon klar, dass du dich damit selbst belasten wür<strong>de</strong>st? Ich will nicht, dassich Geld von <strong>de</strong>nen erhalte und du dafür rechtlich belangt wirst, weil du <strong>de</strong>n Ste<strong>in</strong> <strong>in</strong>sRollen gebracht hast.“„De<strong>in</strong>e Vorsicht <strong>in</strong> allen Ehren, aber du bist e<strong>in</strong> Banause! Du hast ke<strong>in</strong>e Ahnung!“„Ansche<strong>in</strong>end nicht, da stimme ich dir zu, me<strong>in</strong> Herr und Meister.“ Lan<strong>de</strong>r amüsierte sicheher königlich über Averys Aufregung.„Quatsch!“, schnappte se<strong>in</strong> Freund über e<strong>in</strong>e Schulter h<strong>in</strong>weg. „Ich muss telefonieren!Wir bei<strong>de</strong> fahren jetzt nochmals nach Ill<strong>in</strong>gsworth <strong>in</strong>s Büro!“„Duncan, f<strong>in</strong><strong>de</strong>t du nicht, dass du jetzt etwas übertreibst? Es ist halb elf!“„Auf Planet New London nicht. Ich muss <strong>de</strong><strong>in</strong>en Capta<strong>in</strong> Newman anrufen, und da ist <strong>die</strong>Tageszeit genau passend.“„Warum?“„Um durchzusetzen, dass er dich erneut als Anwalt vertritt.“Als Avery <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Flur h<strong>in</strong>ausstürmen wollte, hielt Lan<strong>de</strong>r ihn gewaltsam auf. „Langsam,Duncan! Capta<strong>in</strong> Newman hasst mich und hat mir ver<strong>de</strong>utlicht, dass er mich nie mehrsehen will, weil ich se<strong>in</strong>en Freund Brighton von <strong>de</strong>r York auf <strong>de</strong>m Gewissen habe!“„Se<strong>in</strong> Freund Brighton kannte das Risiko, als er sich freiwillig zur Navy mel<strong>de</strong>te. Genauwie wir alle. Er hat se<strong>in</strong>en Preis bezahlt und wir <strong>de</strong>n unseren. Davon ganz abgesehenhabe ich ihn als Idioten kennengelernt, nach<strong>de</strong>m <strong>die</strong> York mich damals aufgelesen hatte.Außer<strong>de</strong>m wird auch Brightons Familie davon profitieren, <strong>de</strong>nn er hatte vielleicht ja Frauund K<strong>in</strong><strong>de</strong>r. Sagen wir zehn Prozent?“„Halt! Duncan…“


„Allerhöchstens fünfzehn. Das s<strong>in</strong>d bereits genug Millionen. Newman wird<strong>de</strong>mentsprechend zustimmen, <strong>de</strong>nn er kann rechnen. Er muss mir e<strong>in</strong>ige Dokumentebeschaffen.“„Dir? Ich dachte, er solle mich vertreten?“ Lan<strong>de</strong>r war langsam vollends verwirrt.„Ich vertrete dich, aber er tut es offiziell, weil ich das nicht darf! O<strong>de</strong>r möchtest du ihnlieber als mich!“Mit <strong>die</strong>ser plötzlichen Anklage konfrontiert schüttelte Lan<strong>de</strong>r abwehrend <strong>de</strong>n Kopf. „Ne<strong>in</strong>,aber nun warte doch mal! Du bist mir zu schnell! Was ist wie gesagt mit <strong>de</strong>m Fakt, dassdu dich selbst anklagen wür<strong>de</strong>st?“„Wür<strong>de</strong> ich nicht, weil ich nicht mehr bei <strong>de</strong>r Navy b<strong>in</strong>. Sie haben mich damals aufgrundme<strong>in</strong>es angeblich labilen Geisteszustan<strong>de</strong>s entlassen. Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Avery gibtes nicht mehr, und damit kann man ihn auch nicht haftbar machen. In<strong>de</strong>m sie mich als<strong>die</strong>nstunfähig bezeichneten, haben sie sich selbst <strong>die</strong>se Möglichkeit genommen. Ich solltevielleicht e<strong>in</strong>en Dankesbrief schreiben. Und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren Leute… Capta<strong>in</strong> Lucan sowieAdmiral Wesley s<strong>in</strong>d damals getötet wor<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>n ganzen restlichen Stab konnte mansowieso vergessen. Nur bornierte Idioten, aber damals waren sie Freun<strong>de</strong> von mir.Freun<strong>de</strong>, <strong>die</strong> mich allesamt nicht mehr kannten, als ich zurückkehrte. Auf wen sollte ichalso Rücksicht nehmen? Ich b<strong>in</strong> doch nur e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Irrer sowie e<strong>in</strong> von allen vergessenerIdiot, <strong>de</strong>r freiwillig <strong>in</strong>s Exil nach Planet Leeds g<strong>in</strong>g und dort blieb. Mehr als Mitleid hatniemand mehr für mich übrig.“„Du hast <strong>de</strong>n Fakt vergessen, dass wir e<strong>in</strong> Liebespaar s<strong>in</strong>d und du bei Plebejern lebst.“„Ach ja, Schatz, danke, dass du mich daran er<strong>in</strong>nerst.“ Avery knuffte ihn <strong>in</strong> <strong>die</strong> Seite.„Wie haben wir es also, du Plebejer? Fahren wir und ver<strong>die</strong>nen uns <strong>die</strong> Millionen?“„Wenn du me<strong>in</strong>st…“ Lan<strong>de</strong>r glaubte immer noch, dass Avery maßlos übertrieb.„Ja, ich me<strong>in</strong>e! Die haben uns übel genug mitgespielt. Das Zivilgericht auf Planet Leedswird <strong>die</strong> Sache sicherlich so sehen wie wir. Ich glaube, <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Antrag kannich sogar selbst stellen. Auf Planet Leeds geht alles eben e<strong>in</strong>facher als woan<strong>de</strong>rs.“„Dafür s<strong>in</strong>d wir ja auch allerübelste Prov<strong>in</strong>z!“„Auch <strong>die</strong> Prov<strong>in</strong>z ist manchmal gut genug, um <strong>de</strong>nen e<strong>in</strong>e Lektion beizubr<strong>in</strong>gen. Wärenhun<strong>de</strong>rt Millionen Credits e<strong>in</strong>e dir angenehme For<strong>de</strong>rungssumme, o<strong>de</strong>r sollen wir höhergehen?“Lan<strong>de</strong>r stockte <strong>de</strong>r Atem. „Hun<strong>de</strong>rt Millionen? Du me<strong>in</strong>st e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>s mit…“„Acht Nullen. Du dachtest doch nicht etwa, dass ich für nichts um Viertel vor elf nochmals<strong>in</strong>s Büro fahren will, o<strong>de</strong>r?“„B<strong>in</strong> ich übergeschnappt, o<strong>de</strong>r bist du es?“„Im Zweifelsfall wir bei<strong>de</strong>, und jetzt komm, sonst wird es zwölf. Dann fährt ke<strong>in</strong> Busmehr.“„… Will <strong>de</strong>r Kläger <strong>die</strong> Sache vor e<strong>in</strong>em höheren Gericht vertreten?“„Ja, Herr Richter. Das will er. Notfalls vor <strong>de</strong>m Hohen Gericht auf Planet New London!“Duncan Averys Stimme war fest, als er se<strong>in</strong>e ruhige Antwort gab. Und das trotz <strong>de</strong>r mehrals zweihun<strong>de</strong>rt Zuschauer <strong>in</strong> <strong>de</strong>m größten Saal <strong>de</strong>s Obersten Gerichts auf Planet Leeds.Es dauerte e<strong>in</strong>ige Sekun<strong>de</strong>n und bedurfte e<strong>in</strong>es strengen Richterblickes, bis dasangeregte Murmeln im offenen Zuschauerraum wie<strong>de</strong>r verebbte. Lan<strong>de</strong>r kam sich wie aufe<strong>in</strong>er Bühne vor. Er war neben se<strong>in</strong>em Freund <strong>die</strong> Attraktion. Avery war auf Planet Leedsmittlerweile ja e<strong>in</strong>e Berühmtheit. Se<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Rechtsberatungsstelle hatte Furoregemacht, und jemand hatte sogar dagegen geklagt. Vermutlich steckte Marlowedah<strong>in</strong>ter. Da Lan<strong>de</strong>rs & Avery jedoch ke<strong>in</strong>e offizielle Anwaltskanzlei war und sienieman<strong>de</strong>n vor Gericht vertraten, hatten sie mühelos gewonnen. Auf Planet Leeds durfteje<strong>de</strong>r das Geschäft aufmachen, das ihm beliebte, um damit Geld zu ver<strong>die</strong>nen.„Die Verhandlungssache Patrick Lan<strong>de</strong>r gegen <strong>die</strong> Royal Navy wird hiermit an daszuständige Hohe Gericht auf Planet New London verwiesen. E<strong>in</strong> Fall von solcher Relevanzund Streitsumme kann nicht durch e<strong>in</strong> Gericht e<strong>in</strong>er Sekundärwelt entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.Auch <strong>die</strong> nie<strong>de</strong>ren Instanzen s<strong>in</strong>d nicht zuständig.“„Ich danke Ihnen, Herr Richter.“ Avery hatte Mühe, se<strong>in</strong> breites Lächeln zu verbergen.„Herr Richter, bitte verzeihen Sie, aber <strong>de</strong>r normale Klageweg…“


„Ich b<strong>in</strong> mir sicher, dass <strong>de</strong>r normale Klageweg <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall unangemessen ist. DerVerteidigung steht aber natürlich <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>spruch gegen <strong>die</strong>se Verfügung frei.“Wie Lan<strong>de</strong>r dachte, wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>r bretonischen Krone mit Sicherheit E<strong>in</strong>spruche<strong>in</strong>legen. Er selbst fand <strong>die</strong> von Avery gefor<strong>de</strong>rte Summe von hun<strong>de</strong>rt Millionen CreditsScha<strong>de</strong>nsersatz für <strong>die</strong> Gefangenschaft und Folter <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten ebenfallsaberwitzig. Sogar jetzt noch.Es war e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziger Wahns<strong>in</strong>n, dass sie überhaupt hier stan<strong>de</strong>n. Avery <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emgeliehenen, etwas zu kle<strong>in</strong>en schwarzen Anzug nebst Krawatte und er selbst, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>emähnlich feierlichen Aufzug. E<strong>in</strong> ehemaliger Lieutenant Comman<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Hand alsirre galt und e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Bachelor <strong>in</strong> Jura hatte, war dabei, das mächtige Haus Bretoniazur Zahlung von hun<strong>de</strong>rt Millionen Credits zu verdonnern. Dies hier war jedoch Averysnatürliches Element - se<strong>in</strong>e selbst gewählte Kampfarena. E<strong>in</strong> Patrick Lan<strong>de</strong>r war dazugedrillt wor<strong>de</strong>n, Schiffe auf <strong>de</strong>r Brücke zu befehligen und gleichzeitig fähig zu se<strong>in</strong>,Bewaffnete <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>nkampf zu führen und Fe<strong>in</strong><strong>de</strong> zu töten. Die Duncan Averys imUniversum kämpften h<strong>in</strong>gegen mit Worten. E<strong>in</strong>e gänzlich an<strong>de</strong>re Art von Intelligenz undWaffen war hier gefragt. Averys und Lan<strong>de</strong>rs Fähigkeiten und Talente unterschie<strong>de</strong>n sichdaher fast gänzlich, aber sie verstan<strong>de</strong>n sich trotz<strong>de</strong>m blen<strong>de</strong>nd. Sie ergänzten sich wieFeuer und Wasser - grundverschie<strong>de</strong>n und doch waren es zwei Elemente.„Die Sitzung ist hiermit geschlossen!“Während alle aufstan<strong>de</strong>n, tauschten Avery und er e<strong>in</strong>en Blick. Lan<strong>de</strong>r verspürte dasBedürfnis, ihm <strong>die</strong> Hand zu schütteln und tat es auch. Fast sofort flammte e<strong>in</strong>Blitzlichtgewitter auf, <strong>de</strong>nn das Fotografierverbot hatte nur während <strong>de</strong>r VerhandlungGeltung gehabt. Alle hatten sich daran gehalten - bis auf e<strong>in</strong>en, <strong>de</strong>r herausgeflogen warund se<strong>in</strong>e Kamera hatte abgeben müssen.Der Anwalt <strong>de</strong>r Krone huschte ohne e<strong>in</strong> weiteres Wort von dannen. Er fummelte bereits <strong>in</strong>se<strong>in</strong>er Hosentasche nach se<strong>in</strong>em Mobiltelefon, wohl um <strong>die</strong> Nachricht durchzugeben.Sie hatten geme<strong>in</strong>sam <strong>de</strong>n ersten Schritt getan.Avery nahm se<strong>in</strong>e Brille vorsichtig ab und schloss e<strong>in</strong>en Moment lang <strong>die</strong> Augen. „Und ichdachte schon er wür<strong>de</strong> sagen: ‚Klage abgewiesen!’ Das wäre wirklich schlimm gewesen.“Diese Ansicht war verständlich, <strong>de</strong>nn sie hatten monatelang auf <strong>die</strong>sen Tag h<strong>in</strong>gearbeitet.Besser gesagt hatte Avery es getan. Er hatte sich völlig <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Sache verbissen.„Du warst großartig, Duncan!“„Danke. Es war aber relativ leicht. Und hier kommen <strong>die</strong> blö<strong>de</strong>n Journalisten!“„Mister Lan<strong>de</strong>r, wer<strong>de</strong>n Sie <strong>die</strong> Sache wirklich durchziehen? Haben Sie das Geld für e<strong>in</strong>enAnwalt auf New London?“, bestürmte ihn e<strong>in</strong> Reporter, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren e<strong>in</strong> Stück vorauswar. Er schien seriös zu se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nn er arbeitete für Hyperbroadcast und trug e<strong>in</strong>enmausgrauen Anzug.Die Äußerung sprach ebenfalls dafür, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mann hatte Ahnung, und <strong>die</strong> Frage warberechtigt. Die Bachelorregelung galt nur auf Planet Leeds. Auf New London brauchteman e<strong>in</strong>en Master und zwei Jahre aktive Berufserfahrung, bevor man als Anwalt e<strong>in</strong>erStreitpartei vor Gericht treten durfte. Das galt natürlich trotz<strong>de</strong>m noch lange nicht fürdas Hohe Gericht, vor <strong>de</strong>m nur wenige Anwälte ihre Fälle vertreten durften. Avery hatteihm all <strong>die</strong>s gesagt und übernahm nun auch <strong>die</strong> Antwort für Lan<strong>de</strong>r: „Wir haben bereitse<strong>in</strong>en Anwalt gefun<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Fall auf New London vertreten wird.“„Wer ist es?“„Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt lei<strong>de</strong>r noch nicht preisgeben.“ Der Stabsoffizier <strong>in</strong>ihm hatte gesprochen. Ob vor Gericht o<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>n Me<strong>die</strong>n, Avery war nicht nur e<strong>in</strong> sehrguter Schauspieler, er verfügte auch über Charisma und mehr Talent, stets <strong>die</strong> richtigenWorte zu f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, als Lan<strong>de</strong>r je besitzen wür<strong>de</strong>.„Haben Sie <strong>de</strong>nn damit gerechnet, <strong>die</strong>se Verhandlung auf Leeds zu gew<strong>in</strong>nen?“E<strong>in</strong> ironisches Lächeln verkün<strong>de</strong>te, dass Avery <strong>in</strong>nerlich über <strong>die</strong> Frage lachte. Sie kamnämlich von e<strong>in</strong>er jungen Klatschreporter<strong>in</strong>. „Es war ke<strong>in</strong>e richtige Verhandlung. Dierichtige Verhandlung führen wir auf New London. Das hier war nur e<strong>in</strong> nötiger Schrittdorth<strong>in</strong>. Jetzt s<strong>in</strong>d wir offiziell zugelassen, obwohl ich damit rechne, dass das HausBretonia E<strong>in</strong>spruch erheben wird. Wir s<strong>in</strong>d jedoch darauf vorbereitet und haben ebenfallsZeit. Wir s<strong>in</strong>d noch jung und können warten. Gemäß <strong>de</strong>m Präze<strong>de</strong>nzfall von WarrantOfficer Ernest Critchly vor mehr als 120 Jahren ist <strong>die</strong> Entschädigung von durchFahrlässigkeit ihrer Vorgesetzten geschädigten Soldaten <strong>de</strong>s bretonischen Militärs mehr


o<strong>de</strong>r weniger üblich. Das wissen <strong>die</strong> Zuständigen <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy genauso. Das Geldsteht Patrick zu, und <strong>de</strong>r Anspruch darauf wird sicherlich auch vom Hohen Gerichtanerkannt wer<strong>de</strong>n.“„Wie hoch war <strong>die</strong> vor Gericht erstrittene Entschädigung von Ernest Critchley damals?“„137.000 Credits.“ Der Hyperbroadcastvertreter mit <strong>de</strong>m SNS-Logo auf <strong>de</strong>r Pressecardhatte se<strong>in</strong>e Hausaufgaben wirklich gemacht und übernahm <strong>die</strong> Antwort.„Oh. Das ist aber schon recht wenig…“ Die Frau brach ab und war zum Glück zunächststill.Avery nickte <strong>de</strong>m Mann zu und begann, se<strong>in</strong>e Papiere <strong>in</strong> <strong>die</strong> Aktentasche zu räumen.„Und was wer<strong>de</strong>n Sie mit so viel Geld machen, Mister Lan<strong>de</strong>r?“ Es war doch raschergegangen als erhofft. Die Sensationsreporter<strong>in</strong> hatte sich schnell wie<strong>de</strong>r gefangen.Lan<strong>de</strong>r schüttelte <strong>de</strong>n Kopf und unterdrückte angesichts <strong>de</strong>r Dummheit jener jungen Fraue<strong>in</strong> Auflachen. „Darüber <strong>de</strong>nke ich nach, wenn ich es erst e<strong>in</strong>mal habe!“„Na, Sie s<strong>in</strong>d ja sehr beschei<strong>de</strong>n“, me<strong>in</strong>te e<strong>in</strong> Kollege von ihr, <strong>de</strong>r ebenfalls für <strong>die</strong>Boulevardme<strong>die</strong>n arbeitete, feixend.Lan<strong>de</strong>r wollte soeben ‚Eher realistisch.’ sagen, als Avery ohne aufzublicken verkün<strong>de</strong>te:„Wir wer<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e monatelange Reise machen. Nach Kusari, Rhe<strong>in</strong>land, Liberty…überallh<strong>in</strong>!“„Und <strong>die</strong> Grenzwelten? Die s<strong>in</strong>d doch auch sehr schön…“, flötete <strong>die</strong> Frau, <strong>die</strong> vonLan<strong>de</strong>rs unterdrücktem Spott etwas mitbekommen hatte und sich so an ihm rächenwollte.„Ich glaube, <strong>die</strong> Grenzwelten wer<strong>de</strong>n wir auf unserer Besichtigungstour eher auslassen.“Lan<strong>de</strong>r hatte zwar nichts von Averys Reiseplänen gewusst, aber er stellte sich auf <strong>de</strong>ssenAntwort e<strong>in</strong> und spielte mit. Wenn se<strong>in</strong> Freund reisen wollte, schön. Wenn nicht, auchgut. Falls sie das Geld überhaupt bekamen.Mittlerweile waren sie nicht mehr dr<strong>in</strong>gend darauf angewiesen, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Zeit hatte ihnenHun<strong>de</strong>rte neue Fälle beschert. Mehr als sie jemals abarbeiten konnten. Sogar aus <strong>de</strong>mManchester-System hatte schon jemand angerufen.Nun wür<strong>de</strong> Lan<strong>de</strong>rs Vater sich e<strong>in</strong>e Weile alle<strong>in</strong> um das Beratungsbüro kümmern müssen,aber er kam mittlerweile mit <strong>de</strong>n kle<strong>in</strong>en D<strong>in</strong>gen gut zurecht. Se<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Manko war,dass er zu barmherzig war und verme<strong>in</strong>tlich sehr armen Kun<strong>de</strong>n zu viel vom verlangtenHonorar schenkte. Daraufh<strong>in</strong> hatten alle neuen Klienten ihre ältesten Sachen angezogenund gebettelt, aber <strong>die</strong> meisten hatten dann eben doch <strong>die</strong> gefor<strong>de</strong>rten fünf o<strong>de</strong>r zehnCredits auf <strong>de</strong>m Kreditchip gehabt, als sie von Patrick Lan<strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r weniger höflichdarum gebeten wor<strong>de</strong>n waren.Da Avery mit <strong>de</strong>m Verstauen se<strong>in</strong>er Sachen fertig war, machte er Anstalten zu gehen.Der Mann von SNS hielt ihn jedoch auf und bot ihm <strong>die</strong> Hand dar. „Viel Glück. Sie wer<strong>de</strong>nes me<strong>in</strong>er Ansicht nach brauchen.“„Es ist eben immer e<strong>in</strong>e seltsame Sache mit <strong>de</strong>r Gerechtigkeit.“ Der Mann schien Averysympathisch zu se<strong>in</strong>, da <strong>de</strong>r ehemalige Lieutenant Comman<strong>de</strong>r sich zu e<strong>in</strong>er solchenBemerkung h<strong>in</strong>reißen ließ und <strong>die</strong> Hand <strong>de</strong>s Journalisten schüttelte.„Das ist auch me<strong>in</strong>e Erfahrung. Ich wer<strong>de</strong> natürlich versuchen, Ihren Prozess weiterh<strong>in</strong>zu begleiten.“„Das wür<strong>de</strong> mich freuen, Mister…“„W<strong>in</strong>ston Treverne. W<strong>in</strong>ston für Sie, falls Sie mögen. Ich gehöre nämlich zu Ihrem Uferund f<strong>in</strong><strong>de</strong> ganz toll, was Sie vor e<strong>in</strong>igen Monaten gemacht haben. Ich hatte nie <strong>de</strong>n Mut,mich <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Öffentlichkeit zu outen.“ Der blass und unsche<strong>in</strong>bar wirken<strong>de</strong> Mann war kaumzu hören.„Ah.“ Averys Lächeln wur<strong>de</strong> noch breiter. „Freut mich, Sie kennenzulernen. Trauen Siesich ganz e<strong>in</strong>fach. Es ist nicht so schlimm, wie Sie <strong>de</strong>nken!“‚Wenn du wüsstest, dass wir bei<strong>de</strong> <strong>in</strong> Wahrheit heterosexuell s<strong>in</strong>d!’, dachte Lan<strong>de</strong>r undunterdrückte e<strong>in</strong> Lachen, als er sich vorstellte, dass <strong>de</strong>m katholischen Avery gera<strong>de</strong>sicherlich das Gleiche durch <strong>de</strong>n Kopf g<strong>in</strong>g wie ihm. Für sie war mittlerweile völlig normalgewor<strong>de</strong>n, das verliebte Paar zu spielen. Sie hielten eben öfters Händchen, wenn siedurch <strong>die</strong> Straßen g<strong>in</strong>gen o<strong>de</strong>r im Bus saßen. Der Hän<strong>de</strong>druck war außer<strong>de</strong>m e<strong>in</strong> drittesKommunikationsmittel für sie gewor<strong>de</strong>n. Durch ihre enge Freundschaft war <strong>de</strong>rKörperkontakt ke<strong>in</strong> Problem. Sie wussten ja, wie es geme<strong>in</strong>t war.


Dieser Mann me<strong>in</strong>te es jedoch ernst und tat Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>shalb gera<strong>de</strong>zu leid. Für Trevernewaren sie vermutlich so etwas wie Idole, obwohl sie niemals im Leben auf <strong>de</strong>n Gedankengekommen wären, mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r <strong>in</strong>s Bett zu steigen, um Sex zu haben. Das war tabu,eben weil sie nicht verliebt waren. Ihre Freundschaft grenzte an Liebe, aber nicht an<strong>die</strong>se Art von Zuneigung.Die Leute machten Platz und fotografierten nur noch ihren Abgang, als sie <strong>de</strong>nGerichtssaal verließen, um zur Haltestelle <strong>de</strong>s Flugbusses zu gehen.Avery lachte leise – Laute, <strong>die</strong> sich schließlich verstärkten.„Was ist?“„Nichts.“ Erneut kicherte <strong>de</strong>r ältere Freund. „O<strong>de</strong>r besser ausgedrückt: Mittlerweile ist esecht witzig, dass mich je<strong>de</strong>rmann für vom an<strong>de</strong>ren Ufer hält. Wie Treverne gera<strong>de</strong>. Mangew<strong>in</strong>nt so echt Unterstützung aus unerwarteten Ecken. Wür<strong>de</strong>n wir nicht das schwulePärchen spielen, wür<strong>de</strong> er sich kaum für uns <strong>in</strong>teressieren.“„Du hast <strong>die</strong>sem Kerl aber auch e<strong>in</strong>e viel zu leichtfertige Antwort gegeben.“Avery sah sich angesichts <strong>die</strong>ser Kritik um und zuckte mit <strong>de</strong>n Schultern. „Stimmt es<strong>de</strong>nn etwa nicht?“„Ich habe manchmal <strong>de</strong>n E<strong>in</strong>druck, dass alles für dich manchmal nur e<strong>in</strong>e Art Spiel ist.“„Ist das Leben <strong>de</strong>nn nicht teilweise so? Mal gew<strong>in</strong>nt man und mal verliert man. E<strong>in</strong>ewiges Auf und Ab, genau wie im Spiel.“Mit e<strong>in</strong>em leisen Seufzer hielt Lan<strong>de</strong>r dagegen: „Ja, aber was ist mit <strong>de</strong>n Gefühlen? Erwollte e<strong>in</strong>en Rat von dir.“„Den hat er doch auch bekommen, o<strong>de</strong>r?“ Langsam wur<strong>de</strong> Avery ärgerlich.„Ja, obwohl uns kaum zusteht, darüber e<strong>in</strong>e Aussage zu treffen. Irgendwann wirdherauskommen, dass wir nur Freun<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d. Was ist dann mit Treverne?“„Der erwachsene und vollmündige Treverne wird es entwe<strong>de</strong>r getan haben o<strong>de</strong>r auchnicht. Was geht uns das an? Das ist we<strong>de</strong>r <strong>de</strong><strong>in</strong> Problem noch me<strong>in</strong>es, Patrick. Er isterwachsen und kann für sich selbst entschei<strong>de</strong>n, was er tut.“„Manchmal bist du wirklich unausstehlich, wenn du <strong>de</strong>n New Londoner Gentlemanheraushängen lässt und dich so herablassend gibst. Diese Art ist hier auf Leedsunangebracht.“Nun vollends empf<strong>in</strong>dlich gewor<strong>de</strong>n reagierte Duncan Avery heftig: „Ich lasse gar nichtsheraushängen! Ich b<strong>in</strong> nur ich selbst! Was hat sich <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Umwelt um dich und michgekümmert, als wir ganz unten waren? Auf uns gespuckt haben sie! Du machst dir viel zuviele Sorgen um an<strong>de</strong>re, anstatt um unsere eigenen Probleme!“„Nur weil <strong>die</strong> Umwelt e<strong>in</strong>en schlecht behan<strong>de</strong>lt, hat man noch lange ke<strong>in</strong> Recht, es ihrgleichzutun.“ Lan<strong>de</strong>r war nicht wütend. Er ahnte nur, dass Avery trotz ihres Erfolgeswie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Phasen hatte.„Ach verdammt! Nun hör aber mit <strong>die</strong>ser Masche <strong>de</strong>s guten Christenmenschen auf! Waswar <strong>de</strong>nn an <strong>de</strong>m Tag, als <strong>de</strong><strong>in</strong>e liebe Betty dir höflich durch ihre Mutter mitteilen ließ,dass sie abgehauen ist und <strong>de</strong><strong>in</strong> K<strong>in</strong>d wegmachen lässt? Da warst du doch auch ke<strong>in</strong>guter Christenmensch mehr, son<strong>de</strong>rn du hast gesagt, man könne <strong>de</strong>n schmutzigen Kriegnur gew<strong>in</strong>nen, <strong>in</strong><strong>de</strong>m man <strong>die</strong> gleichen Metho<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>setzt. Du hast es getan, und allesg<strong>in</strong>g wie<strong>de</strong>r aufwärts. Nur komm mir jetzt bitte nicht mit <strong>die</strong>ser sche<strong>in</strong>heiligenChristenmoral!“Da sie mittlerweile <strong>die</strong> Haltestelle erreicht hatten und <strong>de</strong>r Bus schon dort stand, schwiegLan<strong>de</strong>r. Auch Avery hielt sich jetzt während <strong>de</strong>r Fahrt nach Ill<strong>in</strong>gsworth zurück, war abervon Ärger erfüllt. Lan<strong>de</strong>r sah es an <strong>de</strong>r Art, wie se<strong>in</strong> Freund h<strong>in</strong>ausstarrte.An <strong>de</strong>r Zielhaltestelle sah Avery auf <strong>die</strong> Uhr. „Ich gehe noch <strong>in</strong> <strong>die</strong> Kanzlei und hole<strong>de</strong><strong>in</strong>en Vater. Vielleicht arbeite ich noch e<strong>in</strong> bisschen. Fahr nur schon voraus, <strong>de</strong><strong>in</strong>eMutter wird auch sofort wissen wollen, was los ist.“„Duncan, <strong>de</strong>nk bitte wenigstens über me<strong>in</strong>e Worte nach. Sie waren nicht böse, son<strong>de</strong>rnehrlich geme<strong>in</strong>t.“„Ne<strong>in</strong>, <strong>de</strong>nk du lieber darüber nach, was ich dir gesagt habe, und wer<strong>de</strong> dir darüber klar,was du eigentlich willst! Das wäre nötiger!“ Mit <strong>die</strong>sem nahezu spöttischen Ausruf stapfteAvery davon.Betroffen wechselte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Straßenseite und g<strong>in</strong>g das kurze Stück zur Haltestelle <strong>de</strong>sAutobusses nach Hause. Er sah sich e<strong>in</strong>mal um, aber Avery war schon um e<strong>in</strong>eStraßenecke verschwun<strong>de</strong>n.


Hoffentlich wür<strong>de</strong> ihn das Gespräch mit Jeremiah Lan<strong>de</strong>r abkühlen.Während er selbst nach Hause fuhr, h<strong>in</strong>g Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Gedanken nach. ‚Ich weiß ja,dass es schwer für dich ist, Duncan. Warum kannst du nicht auch mich verstehen?’ Siewür<strong>de</strong>n heute Abend über ihren Krach sprechen und sich aussöhnen müssen.Manchmal war Avery zu Lan<strong>de</strong>rs Leidwesen durch und durch borniert und hochnäsig,genauso wie <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren se<strong>in</strong>es Stan<strong>de</strong>s es waren – egal, ob sie Fowley o<strong>de</strong>r Marlowehießen. Vor allem aber ließ se<strong>in</strong> bester Freund sich <strong>in</strong> solchen Situationen auch nichtssagen, ganz egal, ob er richtig lag o<strong>de</strong>r falsch.E<strong>in</strong> solcher eiserner Wille war gut, aber er konnte auch dazu führen, dass man böse überdas Ziel h<strong>in</strong>ausschoss. Der Leedser fragte sich, ob se<strong>in</strong> Freund <strong>de</strong>n Prozess nur fürLan<strong>de</strong>r führte o<strong>de</strong>r ob er es nicht <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie für sich selbst tat. Das war ke<strong>in</strong> guterGedanke, wie Lan<strong>de</strong>r entschied, aber er zeigte, dass auch er sich richtig über <strong>de</strong>n Streitärgerte.Bei sich zu Hause traf er <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat se<strong>in</strong>e Mutter an.„Hallo, Patrick.“ Sie kam heran und gab ihm e<strong>in</strong>en Kuss, ganz wie immer, wenn jemandnach Hause kam und sie zuvor alle<strong>in</strong> gewesen war. Das machte sie mittlerweile sogar beiAvery so.„Und wie ist es gelaufen?“„Wir gehen nach New London. Fleet Admiral Avery führt, ich folge!“„Ohoh. Habt ihr euch mal wie<strong>de</strong>r gestritten? Was ist passiert?“„Re<strong>de</strong>n wir bitte später darüber. Er hat wie<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e Phase und kehrt <strong>de</strong>n borniertenGentleman heraus.“„Er hat es eben schwer hier auf Leeds…“ Sie schien mehr sagen zu wollen, aber dannschlug sie sich gegen <strong>die</strong> Stirn. „Du liebe Güte! Im Wohnzimmer sitzt Besuch für dich!“„Wer ist es?“Gera<strong>de</strong> als se<strong>in</strong>e Mutter <strong>die</strong> Frage beantworten wollte, trat e<strong>in</strong>e junge Frau <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Flurh<strong>in</strong>aus, was bewies, dass sie mehr o<strong>de</strong>r m<strong>in</strong><strong>de</strong>r alles gehört hatte, da Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>erUnwissenheit natürlich nicht leise gewesen war. Nun verfluchte er sich dafür, <strong>de</strong>nn siewar garantiert ke<strong>in</strong>e Freund<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Familie. Sie trug Uniform… e<strong>in</strong>e Offiziersuniform, <strong>die</strong>mit Sicherheit nicht von <strong>de</strong>r Stange stammte.Während er voller Vorsicht ihre sehr wohlgeformten Be<strong>in</strong>e unter <strong>de</strong>m knapp knielangenRock ansah, begann sie eisig: „Lieutenant Harmony, Stabsoffizier <strong>de</strong>r Royal Navy aufSouthampton.“Ihm war klar, dass sie darauf wartete, sich setzen zu dürfen, also ließ er sie eiskaltstehen. Er hatte nicht darum gebeten, dass sie herkam, und sagte daher gar nichts.Nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort zur Begrüßung.„Tr<strong>in</strong>kt ihr Tee, Patrick?“, fragte se<strong>in</strong>e Mutter, <strong>die</strong> auch sofort <strong>die</strong> Fe<strong>in</strong>dseligkeit zwischenihnen bei<strong>de</strong>n bemerkte.„Ne<strong>in</strong>.“„Mister Lan<strong>de</strong>r, ich will gleich zur Sache kommen. Die Royal Navy bietet Ihnen e<strong>in</strong>eEntschädigung von zweihun<strong>de</strong>rttausend Credits an. Das ist e<strong>in</strong> Vermögen für Sie und IhreFamilie. Sie und Ihre Angehörigen können davon mit Sicherheit e<strong>in</strong> Leben lang an e<strong>in</strong>emOrt Ihrer Wahl leben. Die Kirche erwägt auch e<strong>in</strong>e Wie<strong>de</strong>re<strong>in</strong>stellung Ihres Vaters, sollteer <strong>die</strong>s wollen. Man hat sich eben geirrt. Die Bed<strong>in</strong>gung dafür ist nur, dass Sie <strong>de</strong>nUns<strong>in</strong>n mit Lord Avery aufgeben und ke<strong>in</strong>erlei weitere Ansprüche stellen. UnterschreibenSie, Mister Lan<strong>de</strong>r, das ist e<strong>in</strong> ehrlicher Rat von mir. E<strong>in</strong>e weitere Chance gibt es nicht.Ke<strong>in</strong> Anwalt wird Ihre Sache auf Planet New London vertreten…“„Ich habe e<strong>in</strong>en Anwalt, <strong>de</strong>r mich auf New London vertritt“, verkün<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r gefährlichleise. Er war kurz davor, ihr <strong>in</strong>s Gesicht zu schlagen.„Falls Sie Capta<strong>in</strong> Newman me<strong>in</strong>en, bedaure ich, Ihnen mitteilen zu müssen, dass er Sienicht vertreten wird. Er wird <strong>die</strong> Royal Navy nicht verlassen, was jedoch nötig wäre, um<strong>die</strong> Zivilklage führen zu dürfen. Ich rate Ihnen noch e<strong>in</strong>mal, zu unterschreiben, o<strong>de</strong>r Siegehen leer aus. Es ist e<strong>in</strong> faires Angebot.“„Sagten Sie gera<strong>de</strong> Lord Avery, Miss?“„Ja.“ Sie lächelte unfreundlich und strafte damit ihren wohlkl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>n, verheißungsvollenNamen Lügen.„Der Comman<strong>de</strong>r hat vor e<strong>in</strong>er Stun<strong>de</strong> <strong>in</strong> Ill<strong>in</strong>gsworth durch me<strong>in</strong>en Kollegen e<strong>in</strong> Angeboterhalten, das er gar nicht abschlagen konnte. Me<strong>in</strong> Kollege hat mich vor zehn M<strong>in</strong>uten


angerufen. Der Lord of Sussex wird <strong>in</strong> <strong>die</strong> Navy wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>geglie<strong>de</strong>rt und zunächst nachCambridge auf e<strong>in</strong>en planetaren Posten versetzt. Er ist mit me<strong>in</strong>em Kollegen bereits auf<strong>de</strong>m Weg nach New London, damit er von <strong>die</strong>ser ärmlichen Welt mit ihrem unpassen<strong>de</strong>nUmfeld schnellstmöglich fortkommt. Er kann ab heute Abend auf se<strong>in</strong>em eigenen Besitzwohnen und sich e<strong>in</strong>er Therapie unterziehen. Danach wird er je nach Wunsch weiterverwen<strong>de</strong>t. Das jetzige Angebot lautet darauf, dass er auf unsere Kosten an <strong>de</strong>rMilitäruniversität se<strong>in</strong>en Master <strong>in</strong> Militärrecht machen kann. Die Schul<strong>de</strong>n se<strong>in</strong>er Familiewur<strong>de</strong>n getilgt, und er kann über se<strong>in</strong>en gesamten, noch vorhan<strong>de</strong>nen Besitz freiverfügen. Er hat nur das getan, was je<strong>de</strong>r <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Lage getan hätte. Sie sollten dasselbetun, <strong>de</strong>nn ohne Anwalt können Sie nicht weitermachen. Niemand wird Ihren Fall auf NewLondon vertreten. Unser Angebot ist großzügig und gesteht Ihnen mehr zu als Ihneneigentlich zusteht, Mister Lan<strong>de</strong>r.“Betäubt sah Lan<strong>de</strong>r zu se<strong>in</strong>er Mutter, <strong>die</strong> ebenfalls nicht glauben wollte, was sie da hörte.‚Nicht schon wie<strong>de</strong>r! Nicht du auch noch, Duncan!’ Daniel Fowley hatte ihn verraten - undjetzt auch noch Duncan Avery!Lan<strong>de</strong>r ließ ihren Streit im Bus Revue passieren, hörte erneut <strong>die</strong> bitteren Worte <strong>de</strong>sgefallenen Herzogs. Avery hatte vor Monaten selbst zugegeben, dass er sich <strong>in</strong>sgeheimwünschte, se<strong>in</strong> altes Leben weiterzuleben. E<strong>in</strong> Duncan Avery gehörte nicht nach PlanetLeeds. Nun hatte er <strong>die</strong> größte Chance schlechth<strong>in</strong> bekommen und Patrick Lan<strong>de</strong>rverraten und verlassen. Daniel Fowley hatte es vor gut e<strong>in</strong>em Jahr getan - und BettyHalmers später ebenfalls. Nun auch se<strong>in</strong> letzter und bester Freund Avery. Er spürte es.Da brauchte es kaum noch <strong>die</strong> tonlosen Worte se<strong>in</strong>er Mutter: „Sie hat tatsächlich e<strong>in</strong>enAnruf bekommen, Patrick. Oh Gott…“Für se<strong>in</strong>e Mutter war es genauso hart wie für ihn. Avery gehörte mittlerweile zur FamilieLan<strong>de</strong>r wie e<strong>in</strong> zweiter Sohn.„Sie müssen auch an Ihre Angehörigen <strong>de</strong>nken, Mister Lan<strong>de</strong>r“, bohrte LieutenantHarmony ihren F<strong>in</strong>ger jetzt genau <strong>in</strong> <strong>die</strong> Wun<strong>de</strong>. „Sie verfügen alle über ke<strong>in</strong>erlei eigenesE<strong>in</strong>kommen. Ihre kle<strong>in</strong>e Firma Lan<strong>de</strong>rs & Avery wer<strong>de</strong>n Sie ohne <strong>de</strong>n Comman<strong>de</strong>r nichtweiterführen können. Er wird sich verbitten, dass Sie se<strong>in</strong>en Namen dafür missbrauchen,und Ihnen fehlt ja sowieso das nötige fachliche Knowhow dazu. Wir bieten Ihnen e<strong>in</strong>enehrenvollen Ausgleich an, lehnen Sie ihn jedoch ab, lan<strong>de</strong>n Sie mit Sicherheit auf <strong>de</strong>rStraße. Mit Ihrem zweifelhaften Ruf, <strong>de</strong>r noch von Ihrer Vergangenheit als Navyoffizierherrührt, f<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie sicherlich so schnell ke<strong>in</strong>en Job auf Planet Leeds. Sie haben ke<strong>in</strong>eWahl, Mister Lan<strong>de</strong>r.“Mit e<strong>in</strong>em leisen Schrei griff er nach <strong>de</strong>m Papier. Er starrte es an und las das obersteWort: HaftungsausschlusserklärungEr kämpfte mit <strong>de</strong>n Tränen, als er nach <strong>de</strong>m Kugelschreiber griff. Er tat es für se<strong>in</strong>eFamilie - und weil ihm ke<strong>in</strong>e weitere Möglichkeit blieb. Das schwächste Glied <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Kettewar gebrochen. Er hätte ahnen müssen, dass es dazu kommen wür<strong>de</strong>, und es irgendwieverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn sollen… Er hätte eben vorhersehen müssen, dass Duncan Avery sie jetzt imStich ließ.Hätte es Lan<strong>de</strong>r jedoch verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rn können? Er hatte Unmögliches von Duncan Averyverlangt, von e<strong>in</strong>em Mann, <strong>de</strong>r alles für ihn geopfert hatte. Se<strong>in</strong>en Ruf, se<strong>in</strong> Erbe, se<strong>in</strong>enTitel. Se<strong>in</strong> ganzes altes Leben, nach <strong>de</strong>m er sich doch je<strong>de</strong>n Tag so sehnte. Lan<strong>de</strong>rmusste sich daher e<strong>in</strong>gestehen, dass er gegenüber <strong>de</strong>m größten Wunsch se<strong>in</strong>es bestenFreun<strong>de</strong>s bl<strong>in</strong>d gewesen war. Se<strong>in</strong>es ehemaligen besten Freun<strong>de</strong>s.„Tu wegen uns nichts, das du vielleicht mal bereust, Patrick. Überleg es dir undunterschreib morgen, wenn du mit Jeremiah gesprochen hast. Wir haben es immerirgendwie geschafft.“„Jetzt o<strong>de</strong>r nie, Mister Lan<strong>de</strong>r!“Es war genau jene For<strong>de</strong>rung, <strong>die</strong> endgültig <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung an Elbich wachrief. Damalshatte er se<strong>in</strong>e Ehre und se<strong>in</strong>e Seele nicht verkauft… und er wür<strong>de</strong> es auch heute nichttun!Wütend sowie halb bl<strong>in</strong>d vor Tränen nahm er <strong>de</strong>n Vertrag und riss ihn <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Mitte durch.Sie wür<strong>de</strong>n arm se<strong>in</strong>, aber sie waren immer schon arm gewesen. Es war nichts Neues. Esg<strong>in</strong>g immer weiter, genau wie se<strong>in</strong>e Mutter gesagt hatte. Patrick Lan<strong>de</strong>r war lieber armals dass er se<strong>in</strong>e Ehre verkauft hätte. Sie war das Letzte, was ihm immer geblieben war.


Inst<strong>in</strong>ktiv wusste er, dass se<strong>in</strong>e Eltern es genauso sahen. Auch sie waren lieber arm als<strong>die</strong> Schmach zu ertragen, dass <strong>die</strong>se Leute vollends gewonnen hatten. Das versprocheneGeld wür<strong>de</strong> sie nur bis <strong>in</strong> alle Ewigkeit daran er<strong>in</strong>nern.„Ich gratuliere. Sie s<strong>in</strong>d ja noch verrückter, als ich dachte!“„Raus! Raus!“ Es war Lan<strong>de</strong>rs Mutter, <strong>die</strong> jene Worte <strong>in</strong> voller Lautstärke brüllte. „Ichwer<strong>de</strong> nicht dul<strong>de</strong>n, dass jemand me<strong>in</strong>en Sohn <strong>in</strong> unserem Hause beleidigt! Scheren Siesich zum Teufel, Sie ungehörige Person!“Se<strong>in</strong>e Mutter als Ehefrau e<strong>in</strong>es arbeitslosen Pastors hatte geflucht.Von Lieutenant Harmonys Abgang bekam Lan<strong>de</strong>r nichts mehr mit. Auch dass se<strong>in</strong>ewe<strong>in</strong>en<strong>de</strong> Mutter ihn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Inst<strong>in</strong>ktreaktion trösten wollte, merkte er nicht. Er stürztebl<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Zimmer und warf <strong>die</strong> Tür zu. Den Kopf im Kissen vergrabend we<strong>in</strong>te er, bl<strong>in</strong>dfür se<strong>in</strong>e Umwelt und alles an<strong>de</strong>re. Alles außer <strong>de</strong>m schrecklichen Gefühl, erneut vonjeman<strong>de</strong>m verraten wor<strong>de</strong>n zu se<strong>in</strong>, <strong>de</strong>r ihm sehr nahestand. Von jeman<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>m ere<strong>in</strong>en Freundschaftseid geschworen hatte. Da er für <strong>die</strong> obere Gesellschaftsklasse jedochnicht existent war, durfte man sicherlich auch <strong>die</strong>sen Eid beliebig brechen.Irgendwann setzte sich jemand zu ihm aufs Bett.„Vater…“, murmelte Lan<strong>de</strong>r voller Schmerz. Er wollte nicht hören, was <strong>de</strong>r heimgekehrteJeremiah Lan<strong>de</strong>r ihm sicherlich erzählen wollte. Er konnte es sich ja auch schrecklichgenug selbst ausmalen.Se<strong>in</strong>e Hand wur<strong>de</strong> ergriffen und vom Pastor mit bei<strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n festgehalten sowiegedrückt. „Ich b<strong>in</strong> es, Patrick. Duncan.“Den Kopf aus <strong>de</strong>n Kissen hebend sah Lan<strong>de</strong>r zur Seite. Verschwommen sah er das jungeGesicht Averys über sich, genauso verheult wie se<strong>in</strong> eigenes.Niemand von ihnen konnte e<strong>in</strong> Wort herausbr<strong>in</strong>gen. Mehr als fünf M<strong>in</strong>uten lang g<strong>in</strong>g <strong>in</strong><strong>die</strong>ser Richtung gar nichts. Sie we<strong>in</strong>ten e<strong>in</strong>fach nur alle bei<strong>de</strong>.„Du… du hast doch… unterschrieben? Willst du dich… nur verabschie<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r…“Ihm e<strong>in</strong>en F<strong>in</strong>ger sanft auf <strong>die</strong> Lippen legend, um ihn zum Schweigen zu br<strong>in</strong>gen,entgegnete Avery nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort. Es lautete: „O<strong>de</strong>r.“Die Royal Navy hatte sie nicht überlisten können. Ihre Freundschaft hatte gesiegt.E<strong>in</strong>e Viertelstun<strong>de</strong> später kl<strong>in</strong>gelte das Telefon. Am Apparat war Paul Newman.


Kapitel XVII - Und alle an<strong>de</strong>ren„… und dann wur<strong>de</strong> sogar noch versucht, e<strong>in</strong>en Keil zwischen uns zu treiben, <strong>in</strong><strong>de</strong>m manuns bei<strong>de</strong>n unabhängig vone<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Ausgleich anbot!“ Auch nach e<strong>in</strong>em halbenJahr war Duncan Avery noch immer sehr erbost darüber. Man hörte es daran, wie ersprach.„Was hat man Ihnen angeboten, Mister Avery?“„Alles, was me<strong>in</strong>er Familie früher gehörte, sowie e<strong>in</strong>e Beför<strong>de</strong>rung <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r RoyalNavy plus weiterer Verwendung nach Wunsch.“„Und warum haben Sie abgelehnt?“, hakte W<strong>in</strong>ston Treverne professionell nach. „Nichtviele Menschen <strong>in</strong> Ihrer Position hätten e<strong>in</strong> solches Angebot ausgeschlagen.“„Ich b<strong>in</strong> nicht käuflich, genauso wenig wie Patrick. Unsere Beziehung zue<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r ist vielmehr wert als Geld, <strong>de</strong>nn wir haben e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Eid geschworen. Die Annahme <strong>de</strong>sAngebots stand daher außer Frage, selbst wenn man mir ganz Bretonia o<strong>de</strong>r dasUniversum zu Füßen gelegt hätte. Se<strong>in</strong>e Familie hat mich aufgenommen, und er hat se<strong>in</strong>ganzes ausstehen<strong>de</strong>s Gehalt geopfert, um mir e<strong>in</strong>en Teil me<strong>in</strong>es Augenlichtszurückzugeben. Ihn wollte <strong>die</strong> Navy im Gegensatz zu mir mit e<strong>in</strong>er lächerlichen Summeabspeisen, <strong>die</strong> weit unter <strong>de</strong>m Streitwert liegt und ke<strong>in</strong>esfalls ausgleicht, was ihmwi<strong>de</strong>rfahren ist. Das Gericht steht vor <strong>de</strong>r schwierigen Entscheidung, menschliches Leidmit Geld aufwiegen zu müssen. Es ist offensichtlich, dass auch <strong>die</strong> Royal Navy umPatricks Anspruch darauf weiß. Se<strong>in</strong> Fall ist bis dato e<strong>in</strong>malig. Diese unmoralischenAngebote, <strong>de</strong>ren Darbr<strong>in</strong>gung <strong>in</strong> unseren bei<strong>de</strong>n Fällen <strong>die</strong> Grenze zur Nötigung durch <strong>die</strong>bei<strong>de</strong>n nach Leeds gereisten Offiziere <strong>de</strong>r Royal Navy klar überschritten hat, beweisen,dass das Haus Bretonia Angst vor <strong>de</strong>m Richterspruch hat…“Derartige Worte ließen noch immer Lan<strong>de</strong>rs Ohren glühen. Er warf Avery e<strong>in</strong>en Blick zuund sah, dass auch se<strong>in</strong> Freund ihn anlächelte.„Sie vertrauen also auf <strong>die</strong> Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Gerichte?“Avery wollte darauf antworten, aber Paul Newman, ehemals Capta<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy,sprach erstmalig und nahm Avery so das Wort ab: „Wenn wir unseren eigenen Gerichtennicht mehr vertrauen können, herrscht im Haus Bretonia Anarchie. Das wäre <strong>de</strong>r Tag, an<strong>de</strong>m ich als loyaler Untertan <strong>de</strong>s Königs sofort auswan<strong>de</strong>rn und woan<strong>de</strong>rs <strong>in</strong> Sirius me<strong>in</strong>Glück suchen wür<strong>de</strong>. E<strong>in</strong> Richter hat stets im S<strong>in</strong>ne <strong>de</strong>r Gerechtigkeit zu entschei<strong>de</strong>n, undich habe sehr selten Fälle erlebt, <strong>in</strong> <strong>de</strong>nen <strong>die</strong>s nicht auch getan wur<strong>de</strong>. UnserStaatswesen fußt auf <strong>de</strong>r Unabhängigkeit <strong>de</strong>r Gerichte. Wenn sie nicht mehr gegeben ist,herrscht <strong>in</strong> unserem Haus ke<strong>in</strong>e Demokratie mehr.“„Dürfte ich Ihnen e<strong>in</strong>e persönliche Frage stellen, Mister Newman?“„Bitte, Mister Treverne.“ Der renommierte Anwalt war zwar alles an<strong>de</strong>re als begeistert,aber er ergab sich <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Schicksal.„Warum haben Sie als Staranwalt <strong>die</strong> Royal Navy verlassen, obwohl man Ihnen me<strong>in</strong>enQuellen zufolge e<strong>in</strong>e Beför<strong>de</strong>rung <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Flaggrang anbot, um Sie zu halten?“„Ich b<strong>in</strong> ke<strong>in</strong> Staranwalt, son<strong>de</strong>rn nur e<strong>in</strong>er unter vielen guten, <strong>die</strong> es <strong>in</strong> Bretonia und<strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Royal Navy gibt. Wir fechten hier zu dritt unseren ganz persönlichen Kampfgegen <strong>die</strong> Streitkräfte aus.“„Das ist ke<strong>in</strong>e Antwort, Mister.“„Nun…“ Newman verzog das Gesicht. „Manchmal muss Verantwortung eben vor alleman<strong>de</strong>ren stehen. Auch ich als erfahrener Anwalt habe <strong>die</strong>se Verantwortung.“Diese Worte <strong>de</strong>s ehemaligen Kapitäns waren nicht unwahr, aber auch nicht so geme<strong>in</strong>t,wie sie schienen.„Sie waren doch Capta<strong>in</strong> und haben <strong>die</strong> Norfolk komman<strong>die</strong>rt, wo Sie Mister Lan<strong>de</strong>r,damals noch Sub-Lieutenant <strong>in</strong> Ausbildung, kennenlernten?“„Drei Jahre lang war ich Capta<strong>in</strong> <strong>de</strong>r HMS Norfolk. Davor und danach war ich stets Anwaltan Se<strong>in</strong>er Majestät Militärgerichten. Sie können sich darauf verlassen, dass ich <strong>de</strong>n Fallvon Mister Lan<strong>de</strong>r mit größter Gewissenhaftigkeit vertreten wer<strong>de</strong>, wobei Mister Averymir assistiert.“„Ich hoffe weiterh<strong>in</strong> viel von Ihnen zu lernen, Sir“, warf Lan<strong>de</strong>rs Freund leise e<strong>in</strong>. „Genauwie <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Monaten.“„Wir alle wer<strong>de</strong>n heute Mittag etwas lernen können“, verkün<strong>de</strong>te Newman.


Patrick Lan<strong>de</strong>r hatte <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen ebenfalls gar nicht mehr aufgehört zu lernen.Obwohl <strong>de</strong>r Anwalt ihn immer noch nicht lei<strong>de</strong>n mochte, waren sie zu e<strong>in</strong>em Konsensgekommen. Paul Newman war nicht wegen ihrer Sache hier, son<strong>de</strong>rn wegen se<strong>in</strong>ereigenen, <strong>die</strong> allerd<strong>in</strong>gs mit ihrer verknüpft war. Er wollte 25 Millionen, also e<strong>in</strong> Viertel <strong>de</strong>rGesamtsumme, falls sie wirklich gewannen und <strong>die</strong> hun<strong>de</strong>rt Millionen bekamen. Zehn fürsich und fünfzehn Millionen für <strong>die</strong> Familie se<strong>in</strong>es ums Leben gekommenen Freun<strong>de</strong>sFrancis Brighton, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong>e Frau und zwei m<strong>in</strong><strong>de</strong>rjährige K<strong>in</strong><strong>de</strong>r h<strong>in</strong>terlassen hatte, als erbei <strong>de</strong>r Explosion <strong>de</strong>r Fusionsbombe an Bord <strong>de</strong>r Brisbane se<strong>in</strong> Leben gelassen hatte.Lan<strong>de</strong>r und Avery respektierten <strong>die</strong>sen Wunsch und hatten Newman e<strong>in</strong>e schriftlicheBestätigung <strong>de</strong>s verlangten Honorars ausgestellt. Die 25 Millionen wür<strong>de</strong>n es wert se<strong>in</strong>,<strong>de</strong>nn e<strong>in</strong> erfahrener Anwalt wie Newman hatte natürlich se<strong>in</strong>en Preis. Der ehemaligeCapta<strong>in</strong> hatte wirklich aus <strong>de</strong>r Navy ausschei<strong>de</strong>n müssen, um vor e<strong>in</strong>em Zivilgericht alsJurist ersche<strong>in</strong>en zu dürfen. Jetzt klagte er gegen se<strong>in</strong>en ehemaligen Arbeitgeber. Dafürwar nur recht und billig, e<strong>in</strong>e großzügige Entschädigung zu verlangen.Das Motiv dafür war jedoch weit weniger ehrenhaft als Lan<strong>de</strong>r gedacht hatte. Wie Averyes ausgedrückt hatte, war Newman sowieso bald zu alt für <strong>de</strong>n aktiven Dienst. Außer<strong>de</strong>mwar er ke<strong>in</strong> guter Capta<strong>in</strong> gewesen, son<strong>de</strong>rn eben Anwalt. Je<strong>de</strong>r aktive hochrangigeOffizier sorgte jedoch auf se<strong>in</strong>e Weise fürs Alter vor. Lan<strong>de</strong>r war regelrecht geschocktgewesen, dass Korruption auch weiter oben im Herzen Bretonias so weit verbreitet war.Er hatte K<strong>in</strong>gsham und Raven für e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>zelfall gehalten, begünstigt durch <strong>die</strong>beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten und <strong>de</strong>n täglichen Kontakt mit krim<strong>in</strong>ellenElementen. Der ehemalige Stabsoffizier hatte ihn nach <strong>die</strong>ser Mutmaßung angelächeltund erzählt, dass auch e<strong>in</strong> Capta<strong>in</strong> Lucan o<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Admiral Wesley mit Sicherheit ihreSchwarzgeldkonten gehabt hatten. Danach hatte er über Lan<strong>de</strong>rs dummes Gesichtschallend gelacht. Wenn sie gewannen, wür<strong>de</strong> Paul Newman zehn Millionen Creditsbesitzen. Falls sie verloren, wür<strong>de</strong>n sie alle mite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r leer ausgehen. Dieses Risikohatte <strong>de</strong>n Preis ihres namhaften Rechtsvertreters natürlich ebenfalls hochgetrieben.Mit Duncan Avery wäre es nach Lan<strong>de</strong>rs Ansicht viel besser gewesen, aber <strong>de</strong>r durfte hierauf New London nicht als Anwalt sprechen. Außer<strong>de</strong>m traute er sich ohneh<strong>in</strong> nicht. Kaumjemand, <strong>de</strong>n er namentlich kannte, hatte jemals e<strong>in</strong>en Fall vor das höchste Gericht <strong>in</strong>ganz Bretonia gebracht.Nun waren sie hier <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em H<strong>in</strong>terzimmer <strong>de</strong>s Hohen Gerichts. Zusammen und bei<strong>de</strong>sehr aufgeregt. Hatten sich früher auf Planet Leeds <strong>die</strong> Klatschreporter um sie gedrängt,jetzt waren es <strong>die</strong> von Hyperbroadcast und sämtlicher großen seriösen Agenturen. Derkle<strong>in</strong>e, unsche<strong>in</strong>bare W<strong>in</strong>ston Treverne, <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Sirius News Service arbeitete, hattees auf Leeds als Erster gewusst und war auch jetzt hier. Er kannte <strong>die</strong> Gerichte und hattejahrelange Berufserfahrung. Er hatte geahnt, dass jener Fall auf <strong>de</strong>mH<strong>in</strong>terwäldlerplaneten Leeds sich zum Kracher entwickeln und wirklich bis nach NewLondon vors Hohe Gericht kommen wür<strong>de</strong>.Bis vor e<strong>in</strong>er Woche hatte Treverne nur im H<strong>in</strong>tergrund gearbeitet und Berichte überGerichtsverhandlungen für <strong>die</strong> stündlichen Nachrichtensendungen e<strong>in</strong>esHyperbroadcastsen<strong>de</strong>rs geschrieben. Jetzt stand er selbst vor <strong>de</strong>r Kamera und machtee<strong>in</strong> Exklusiv<strong>in</strong>terview, das live nach ganz Bretonia und darüber h<strong>in</strong>aus ausgestrahltwur<strong>de</strong>. Er war genauso so nervös wie sie alle und hatte von se<strong>in</strong>em technischen Teamvor <strong>de</strong>r Aufnahme beruhigt wer<strong>de</strong>n müssen. Wie Lan<strong>de</strong>r und Avery jedoch sofort bemerkthatten, trug Treverne e<strong>in</strong>e rosa Krawatte und e<strong>in</strong>en weißen Sei<strong>de</strong>nschal. Da <strong>die</strong> Klägernur ihn als Interviewer haben wollten und das Exklusiv<strong>in</strong>terview für SNS sonst geplatztwäre, konnte <strong>de</strong>r Sen<strong>de</strong>r nicht auf W<strong>in</strong>ston Treverne verzichten. Offensichtlich hatte ersich genau <strong>de</strong>shalb <strong>die</strong>se Stun<strong>de</strong> und ke<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re ausgesucht, um sich so <strong>de</strong>utlich esnur eben g<strong>in</strong>g zu outen. Vor Milliar<strong>de</strong>n Menschen. Sie bei<strong>de</strong> wünschten ihm Glück, <strong>de</strong>nnso etwas konnten sie kaum verstehen.„Ich bedanke mich für das Interview, o<strong>de</strong>r wollen Sie noch was sagen?“Der erfahrene Tontechniker verdrehte <strong>die</strong> Augen und hielt Treverne sichtlich für e<strong>in</strong>enStümper. Lan<strong>de</strong>r sah es und ergriff das Wort, um <strong>de</strong>n frischgebackenen Reporter vor <strong>de</strong>rverme<strong>in</strong>tlichen Blamage zu retten:„Ich wür<strong>de</strong> gerne noch allen Menschen danken, <strong>die</strong> uns geholfen haben und uns vielGlück wünschen. Ich b<strong>in</strong> zwar <strong>de</strong>r Kläger, aber eigentlich ist <strong>die</strong>s e<strong>in</strong> Fall, <strong>de</strong>r alle angeht,<strong>die</strong> so von <strong>de</strong>n Streitkräften abserviert wor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d wie auch Duncan. Bei mir hat man es


nur versucht, und ich habe mich dagegen verweigert. Für <strong>die</strong>se Verweigerung musste ichaufgrund fa<strong>de</strong>nsche<strong>in</strong>iger Grün<strong>de</strong> für e<strong>in</strong> halbes Jahr <strong>in</strong>s Gefängnis. Das kann e<strong>in</strong>fachnicht se<strong>in</strong>. Die Soldaten <strong>de</strong>r Streitkräfte <strong>de</strong>s Hauses Bretonia wissen um <strong>die</strong> Gefahr undriskieren je<strong>de</strong>n Tag ihr Leben. Trotz<strong>de</strong>m ist nicht richtig, dass wir nichtszurückbekommen, wenn es uns e<strong>in</strong>mal erwischt. Man wird <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Plastiksack aus <strong>de</strong>nGrenzwelten nach Hause geflogen o<strong>de</strong>r kommt als Krüppel heim, und <strong>die</strong> Rente reichtnicht e<strong>in</strong>mal zum Leben. Falls man noch klar <strong>de</strong>nken kann, bekommt man e<strong>in</strong>eHaftungsausschlusserklärung vorgelegt, sodass <strong>de</strong>r Staat nicht e<strong>in</strong>mal <strong>die</strong> Rente bezahlenmuss. Man wird komplett alle<strong>in</strong> gelassen - und das, obwohl man nur se<strong>in</strong>en Dienst getanund das Haus Bretonia verteidigt hat. Das ist nicht richtig.“„Sie haben <strong>de</strong>n Ausdruck ‚Wir’ benutzt, Mister Lan<strong>de</strong>r. Sehen Sie sich selbst nach wie vorals Mitglied <strong>de</strong>r Streitkräfte?“„Ich wur<strong>de</strong> unehrenhaft entlassen, aber <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Herzen b<strong>in</strong> ich nach wie vorNavyoffizier, genauso wie Duncan und Mister Newman auch. Wir haben uns jeneProfession ausgesucht, weil sie unser Traumberuf war. Es ist scha<strong>de</strong>, dass wir jetzt hierstehen müssen. Vermutlich hätte ich nie Klage erhoben, wenn man sich damals um michgekümmert und mich wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>geglie<strong>de</strong>rt hätte. Dann wür<strong>de</strong> ich heute sicherlich erneutauf e<strong>in</strong>em Schiff <strong>die</strong>nen, vielleicht sogar wie<strong>de</strong>r auf e<strong>in</strong>em dritten Patrouillenkreuzer.Körperlich fehlt mir nichts, und <strong>die</strong> Häuser Rhe<strong>in</strong>land sowie Liberty haben e<strong>in</strong>en sehrguten psychologischen Dienst. Warum haben wir so etwas nicht? Warum wirft man Leutewie uns statt<strong>de</strong>ssen raus? Duncan kann offensichtlich noch als Anwalt arbeiten. Warumhat man ihn rausgeworfen, anstatt ihn zu behan<strong>de</strong>ln und wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Beruf ausüben zulassen, <strong>de</strong>n er liebt und gelernt hat? Er wäre e<strong>in</strong>e Bereicherung für je<strong>de</strong>n Stab und je<strong>de</strong>sMilitärgericht. Statt<strong>de</strong>ssen stehen wir hier und verklagen <strong>die</strong> Navy, <strong>die</strong> jedoch nur alsSynonym für <strong>die</strong> Regierung zu sehen ist. Es wer<strong>de</strong>n nur Befehle ausgeführt, undAußenseiter bleiben dabei gna<strong>de</strong>nlos auf <strong>de</strong>r Strecke.“Lan<strong>de</strong>r sah Newman von <strong>de</strong>r Seite an. „Man soll ja eigentlich ke<strong>in</strong> Geld ausgeben, bevorman es nicht besitzt, aber falls wir gew<strong>in</strong>nen, wird e<strong>in</strong>iges Geld <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Fond zurEntschädigung <strong>de</strong>r Angehörigen <strong>de</strong>r Toten <strong>de</strong>s Landungstrupps <strong>de</strong>r HMS York gehen. Dasbe<strong>de</strong>utet, dass je<strong>de</strong> Familie, <strong>de</strong>ren Mann o<strong>de</strong>r Frau, Tochter o<strong>de</strong>r Sohn bei <strong>de</strong>r Explosion<strong>de</strong>r Brisbane gefallen ist, noch e<strong>in</strong>mal zusätzlich etwas bekommen wird. Es ist nur Geld,aber ich hoffe, es drückt aus, wie sehr ich alles bedaure. Ich war damals auf <strong>de</strong>r Brückekörperlich am En<strong>de</strong> und bl<strong>in</strong>d für jene Gefahr. Den Preis dafür mussten an<strong>de</strong>re bezahlen -und ich selbst.“„Wir haben <strong>de</strong>n Preis dafür bezahlt, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Tage <strong>in</strong> jenem Frachter wer<strong>de</strong> ich nievergessen. Ebenso wenig wie <strong>die</strong> Barmherzigkeit <strong>de</strong>s Ersten Offiziers <strong>de</strong>r York“, ergriffAvery noch e<strong>in</strong>mal das Wort. Er berührte Lan<strong>de</strong>r dabei freundschaftlich am Arm.Da sie so sichtlich bewegt waren, war endgültig mehr o<strong>de</strong>r weniger klar, dass dasInterview been<strong>de</strong>t war. Es bedurfte aber noch e<strong>in</strong>iger heftiger Gesten <strong>de</strong>s Kameramannesund <strong>de</strong>s Tontechnikers, bevor W<strong>in</strong>ston Treverne das auch e<strong>in</strong>mal zur Kenntnis nahm.„Ich bedanke mich für das Interview und wünsche Ihnen viel Glück. Liebe Zuschauer,Sirius News Service wird nachher natürlich vor Ort se<strong>in</strong>. Wir wer<strong>de</strong>n uns kurz vorSitzungsbeg<strong>in</strong>n noch e<strong>in</strong>mal mel<strong>de</strong>n, um Sie über <strong>de</strong>n neuesten Stand <strong>de</strong>r Entwicklungenam letzten und entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Tag <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>nsersatzprozesses Patrick Lan<strong>de</strong>r gegenRoyal Navy, bei <strong>de</strong>m e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Mann gegen <strong>de</strong>n großen Staat kämpft, zu <strong>in</strong>formieren.Lan<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>te, e<strong>in</strong>en halblauten Seufzer <strong>de</strong>r Erleichterung bei e<strong>in</strong>em <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>nNachrichtentechniker zu vernehmen, als sie ihre Geräte abschalten konnten.„Vielen Dank für das Interview!“, wie<strong>de</strong>rholte Treverne nochmals. „Sie haben sehr viel fürmich getan.“Paul Newman blickte <strong>de</strong>n Mann säuerlich an. Er wusste ja nichts von <strong>de</strong>r früherenBegegnung. Alle Reporter waren ihm schrecklich lästig, ganz gleich, wer sie waren undfür wen sie arbeiteten. „Vielen Dank auch und jetzt raus!“Die bei<strong>de</strong>n Techniker waren über <strong>de</strong>n resoluten Rauswurf weitaus weniger geschockt als<strong>de</strong>r Interviewer. Lan<strong>de</strong>r und se<strong>in</strong> Freund erhoben gegen <strong>die</strong> Verfügung <strong>de</strong>s Anwaltske<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>spruch.„So, <strong>die</strong>ser hirnverbrannte Blöds<strong>in</strong>n wäre geschafft. Mister Avery, wir müssen <strong>die</strong>Unterlagen und das Proze<strong>de</strong>re nochmals durchgehen. Mister Lan<strong>de</strong>r, Sie können jetzt


e<strong>in</strong>en Kaffee mit Ihren Eltern tr<strong>in</strong>ken gehen, bis es <strong>in</strong> zwei Stun<strong>de</strong>n losgeht. Wir brauchenRuhe, <strong>de</strong>nn ich muss mich konzentrieren.“Das mit <strong>de</strong>m Kaffee wür<strong>de</strong> er zwar nicht tun, aber trotz<strong>de</strong>m nickte Lan<strong>de</strong>r. Newmanwusste am Besten, was gut für sie war.Avery, <strong>de</strong>r im Gegensatz zum Vorprozess auf Leeds <strong>die</strong>smal als offizieller Anwaltsgehilfevon Newman ebenfalls täglich e<strong>in</strong>e schwarze Anwaltsrobe über se<strong>in</strong>em dunklenneugekauften Anzug trug, was ihn vollends entfrem<strong>de</strong>t wirken ließ, lächelte flüchtig.Auch er war <strong>in</strong> Gedanken bereits beim Prozess, das bewies se<strong>in</strong>e Fahrigkeit. „Sei <strong>in</strong>ungefähr neunzig M<strong>in</strong>uten bitte im Gerichtssaal, falls noch etwas ist.“„Wer<strong>de</strong> ich. Duncan, darf ich dir gera<strong>de</strong> nochmals sagen, dass du seit Wochen wie e<strong>in</strong>richtiger Anwalt aussiehst?“ Se<strong>in</strong> Freund war so nervös! Lan<strong>de</strong>r hatte ihn noch nie sogesehen. Es war e<strong>in</strong>e an<strong>de</strong>re Art von Nervosität als damals auf <strong>de</strong>r Brisbane o<strong>de</strong>r langeZeit später im Krankenhaus, als <strong>de</strong>r Augenverband <strong>de</strong>s Bl<strong>in</strong><strong>de</strong>n abgenommen wor<strong>de</strong>nwar. Es war <strong>die</strong>smal ke<strong>in</strong>e wirkliche Angst, son<strong>de</strong>rn richtiges Lampenfieber, genau wievor e<strong>in</strong>em Auftritt.„Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> richtiger Anwalt, Patrick. Auch wenn ich bis vor <strong>die</strong>sem Prozess noch nie soe<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g getragen habe.“„Wenn <strong>de</strong>r große Herr Anwalt sich dann e<strong>in</strong>mal geruhen wür<strong>de</strong>, hierher zu kommen undmir <strong>die</strong> Papiere zu ordnen…“Newmans Dämpfer wirkte prompt. Avery schob se<strong>in</strong>e Brille auf <strong>de</strong>r Nase zurecht undmachte kehrt. „Sofort, Sir. Bis dann, Patrick!“Noch über <strong>die</strong>se <strong>de</strong>utliche Verän<strong>de</strong>rung se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s nachgrübelnd, schloss Lan<strong>de</strong>r<strong>die</strong> Tür. Se<strong>in</strong>e Eltern wür<strong>de</strong>n <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em extra Raum warten, genau wie alle an<strong>de</strong>renzugelassenen Beobachter auch. Es wür<strong>de</strong>n natürlich auch genug Leute draußen vor <strong>de</strong>mGericht se<strong>in</strong>, <strong>die</strong> ke<strong>in</strong>e zugelassenen Zuschauer waren und hofften, trotz<strong>de</strong>mhere<strong>in</strong>zukommen. Seit <strong>de</strong>r Prozess vor drei Wochen eröffnet wor<strong>de</strong>n war, war es immerschlimmer gewor<strong>de</strong>n, je größer das Me<strong>die</strong>n<strong>in</strong>teresse am Prozess wur<strong>de</strong>. Viele Leutedraußen waren sicher auch von <strong>de</strong>r Presse. E<strong>in</strong>e Boulevardschlagzeile hatte ja schließlichgestern gelautet: David gegen Goliath – wird das Liebespaar gew<strong>in</strong>nen?Das war <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat <strong>die</strong> große Frage. Lan<strong>de</strong>r glaubte jedoch noch immer, dass Avery<strong>die</strong>sen Prozess zu e<strong>in</strong>em guten Teil für sich selbst ausfocht. Er hatte <strong>die</strong> Chance dazudurch se<strong>in</strong>e geleistete Verzichtsunterschrift ja nie gehabt und holte jetzt alles nach. Eswar Averys Rache für se<strong>in</strong>e Schan<strong>de</strong>. Se<strong>in</strong> Freund wür<strong>de</strong> es <strong>de</strong>mentsprechend wohlhärter nehmen, falls sie verlören. Und das, obwohl sie weich fallen wür<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nnmittlerweile g<strong>in</strong>g <strong>die</strong> Rechtsberatung auf Planet Leeds wirklich sehr gut. Sie hätten siesogar ausbauen und zusätzliche Leute e<strong>in</strong>stellen können, <strong>de</strong>nn dank <strong>de</strong>s mittlerweileallzu großen Me<strong>die</strong>nrummels waren sie sogar über Planet Leeds h<strong>in</strong>aus bekannt undbekamen Anrufe sowie Aufträge von e<strong>in</strong>fachen Leuten aus ganz Bretonia.Und jetzt stan<strong>de</strong>n sie hier. Nichts hatte sie aufhalten können, nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>Anfechtungsgutachten <strong>de</strong>s Urteils auf Leeds mit <strong>de</strong>r Begründung, dass Avery aufgrundse<strong>in</strong>es Geisteszustan<strong>de</strong>s gar nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage gewesen wäre, Lan<strong>de</strong>r dort zu vertreten.Der E<strong>in</strong>spruch war abgeschmettert wor<strong>de</strong>n. Heute war <strong>de</strong>r Tag X, an <strong>de</strong>m das großeUrteil hoffentlich fallen wür<strong>de</strong>. Danach wür<strong>de</strong> ihr Leben endlich wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> normalenBahnen verlaufen.Drei Wochen lang waren Zeugen und Gutachter gehört wor<strong>de</strong>n. Unter Letzteren warenMediz<strong>in</strong>er, Experten für <strong>die</strong> Grenzwelten und Militärs gewesen. Ihn selbst hatte man auchbefragt und noch dazu Avery. Dabei war es aber nicht geblieben, <strong>de</strong>nn auch ihre Fe<strong>in</strong><strong>de</strong>waren gekommen. Comman<strong>de</strong>r Marlowe und Lieutenant Comman<strong>de</strong>r Lord Fowley, bei<strong>de</strong><strong>in</strong> großer Uniform, hatten ihre Aussagen gemacht. Gera<strong>de</strong> Fowley war dabei fastzusammengebrochen, was Lan<strong>de</strong>r erstaunte. Sie hatten ke<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges Wort gewechselt,aber Lan<strong>de</strong>r hatte ihre Gegenwart und ihre Blicke seit jenem Tag förmlich auf sichgespürt.


An e<strong>in</strong>em Kaffeeautomaten zog er zwei Becher. E<strong>in</strong>er war für ihn selbst und e<strong>in</strong>er fürse<strong>in</strong>en Vater. Tee für se<strong>in</strong>e Mutter gab es hier lei<strong>de</strong>r nicht. Die Preise am Automatenwaren zum Glück weniger horren<strong>de</strong> als im Café um <strong>die</strong> Ecke, obwohl auch sie immernoch viel zu hoch waren. Typisch New London.Paul Newman hatte Lan<strong>de</strong>rs Eltern <strong>de</strong>n Flug hierher bezahlt, <strong>de</strong>nn sonst hätte das Geldnicht mehr gereicht. Gleiches galt auch für das Hotelzimmer. Duncan Avery wohnte beiNewman, da sie sonst zwei Zimmer gebraucht hätten. Lan<strong>de</strong>r vermutete, dass <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>nJuristen, <strong>de</strong>r erfahrene Newman und <strong>de</strong>r mittlerweile dreißigjährige, vor Gericht nochsehr unerfahrene Avery bis spät <strong>in</strong> <strong>die</strong> Nacht alle potenziellen Möglichkeiten bedachthatten, um sich bestmöglich auf <strong>de</strong>n Prozess e<strong>in</strong>zustellen.Vielleicht war das auch e<strong>in</strong> Grund, weshalb Avery ihm so fremd vorkam. So unendlichernst und erwachsen. Lan<strong>de</strong>r vermisste ihn e<strong>in</strong>fach, seit er ihn nicht mehr ständig umsich hatte.Se<strong>in</strong> Freund hatte sogar e<strong>in</strong>mal von <strong>de</strong>r vagen Möglichkeit gesprochen, dass Newmane<strong>in</strong>e Kanzlei eröffnen wür<strong>de</strong>, als sie e<strong>in</strong>mal überlegt hatten, was wohl passieren mochte,falls sie tatsächlich <strong>de</strong>n Prozess verlören. Der ehrenvoll auf eigenen Wunsch entlasseneCapta<strong>in</strong> wollte Avery vielleicht auf Planet New London e<strong>in</strong>stellen. Diese vage Möglichkeithatte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en schmerzhaften Stich gegeben, obwohl es genau das war, was se<strong>in</strong>Freund sich wahrsche<strong>in</strong>lich am meisten wünschte. Newman dachte eben praktisch.Duncan Avery war bereits e<strong>in</strong>e Berühmtheit und wür<strong>de</strong> es nach Abschluss <strong>de</strong>s Prozessesvielleicht sogar noch mehr se<strong>in</strong>. Ihn e<strong>in</strong>zustellen war wohl <strong>die</strong> beste Werbung überhaupt.Lan<strong>de</strong>r war klar, dass er auf Newman eifersüchtig war. Und vielleicht auch auf Avery,<strong>de</strong>nn er war sich während <strong>de</strong>s Prozesses mehr und mehr wie das fünfte Rad am Wagenvorgekommen. Die bei<strong>de</strong>n sprachen morgens und abends ihr Juristenenglischmite<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r, und während <strong>de</strong>s Prozesses durfte man ohneh<strong>in</strong> nicht viel re<strong>de</strong>n. Es warstreckenweise sehr langweilig für Lan<strong>de</strong>r gewesen, aber zum Glück wür<strong>de</strong> es heutevorbei se<strong>in</strong>.Jemand rempelte ihn von <strong>de</strong>r Seite an, und <strong>de</strong>r Kaffee schwappte über se<strong>in</strong>e Hän<strong>de</strong>sowie se<strong>in</strong> weißes Hemd. Er verbrannte sich daran und schrie auf. Bei<strong>de</strong> Becher fielenherunter.Leute drehten sich nach ihm und <strong>de</strong>m Verursacher um. Victor Marlowe stand neben ihm.Se<strong>in</strong>e maßgeschnei<strong>de</strong>rte Uniform hatte natürlich ke<strong>in</strong>en Spritzer abbekommen, weil errechtzeitig aus <strong>de</strong>m Weg gesprungen war.Es war wie damals, als Marlowe mit allen Mitteln gegen ihn <strong>in</strong>trigiert hatte. Lan<strong>de</strong>r warnur e<strong>in</strong>en Moment lang wütend, dann übernahm das rationale Bewusstse<strong>in</strong>, und er verfiel<strong>in</strong>s Kampf<strong>de</strong>nken. Er hatte selbst ke<strong>in</strong>e Ahnung, wieso <strong>de</strong>r bloße Anblick von Marlowedazu stets ausreichte, aber es war so. Lan<strong>de</strong>r fühlte sich alle<strong>in</strong> durch <strong>de</strong>ssen Gegenwartbedroht. Für Gefühle wie Wut war da ke<strong>in</strong> Platz mehr, <strong>de</strong>nn sie vernebelten das Denkenund damit <strong>die</strong> Reaktionsfähigkeit – egal, wie sehr sich se<strong>in</strong>e Nackenhaare vorher auchgekräuselt hatten. Er war auf <strong>de</strong>n Kampf vorbereitet. Mit allen Mitteln. Genau wie man esihm beigebracht hatte.„Ach das tut mir aber jetzt leid, Mister Lan<strong>de</strong>r.“ Der ganze Tonfall war verächtlich.Die Leute um sie herum begannen heranzudrängen. Man wusste, wer er war und nochviel mehr, wer Victor Marlowe war. Marlowe und Herzog Daniel Fowley.Nur kurz kreuzten sich ihre Blicke, dann sah <strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r rasch weg.„Na, bereit für e<strong>in</strong>e Abfuhr vor Gericht, Mister Lan<strong>de</strong>r? Haben Sie <strong>de</strong>n Rückflug <strong>in</strong>sArbeiterpara<strong>die</strong>s bereits gebucht o<strong>de</strong>r müssen Sie ihn sich erst am Raumhafen erbetteln?Lei<strong>de</strong>r gibt es auf Planet New London ke<strong>in</strong>e Armenhäuser…“, begann Marlowe, se<strong>in</strong> Giftzu verspritzen. „Obwohl Ihr Geliebter sicherlich etwas f<strong>in</strong><strong>de</strong>n wird. Er ist ja recht hübsch,ganz im Gegensatz zu Ihnen. Vielleicht kennt er ja e<strong>in</strong>ige e<strong>in</strong>schlägige Etablissements, <strong>in</strong><strong>de</strong>nen e<strong>in</strong> Mann wie er recht schnell zu Geld kommt.“Sich beherrschend ballte Lan<strong>de</strong>r nur <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> zu Fäusten. Es wür<strong>de</strong> schlecht für <strong>de</strong>nProzess und sie alle se<strong>in</strong>, wenn er Marlowe jetzt k. o. schlug o<strong>de</strong>r gar umbrachte. JenenMann, <strong>de</strong>r für so viel Unglück verantwortlich war und ihnen allen das Leben so schwergemacht hatte.„Wir wer<strong>de</strong>n sehen, Mister Marlowe.“ Mit e<strong>in</strong>em kalten Lächeln wandte Lan<strong>de</strong>r sich ab,<strong>de</strong>nn er hatte se<strong>in</strong>e Mutter rufen gehört.


Und wirklich, Anne Lan<strong>de</strong>r kam mit ihrem Mann auf ihn zu. Sie sah <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n Offiziere <strong>in</strong>Uniform und spuckte impulsiv vor ihnen aus. „Hören Sie auf, me<strong>in</strong>en Sohn zu belästigen,Sie hochmütiger Affe! Er ist im Gegensatz zu Ihnen bei<strong>de</strong>n wenigstens e<strong>in</strong> Mann!“Die Zuhörer, <strong>die</strong> all das ebenfalls gehört hatten, kicherten größtenteils.„Komm, Patrick. Gib dich nicht mit solchem Abschaum ab. Das ist ke<strong>in</strong> Umgang für dich“,trompete sie noch abschließend, bevor sie ihn wegzerrte.„Mutter!“, protestierte er leise, als sie schließlich anf<strong>in</strong>g, se<strong>in</strong> Anzughemd zu re<strong>in</strong>igen.Man starrte ihnen nämlich h<strong>in</strong>terher.„So kannst du niemals vor Gericht ersche<strong>in</strong>en, me<strong>in</strong> Sohn!“„Mutter!“, wie<strong>de</strong>rholte Lan<strong>de</strong>r.„Lass nur, Anne. Es wird schon gehen. Er kann se<strong>in</strong> Jackett darüber zuknöpfen.“„Genau!“, stimmte Lan<strong>de</strong>r vehement zu, weil viele Leute bereits darüber gr<strong>in</strong>sten, dassse<strong>in</strong>e Mutter sich an ihm wie an e<strong>in</strong>em Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>d zu schaffen machte. Darum entzog ersich eilig ihrem Zugriff. „Es muss gehen! Tut mir nur leid wegen <strong>de</strong>s Kaffees, Dad.“„Schon <strong>in</strong> Ordnung, mir wäre sowieso kaum danach gewesen. Was sagt Duncan?“, lenkte<strong>de</strong>r ehemalige Geistliche rasch ab.„Er geht mit Mister Newman noch e<strong>in</strong>mal alles durch.“„Und wie war das Interview mit <strong>die</strong>sem Typen von SNS?“„Alles bestens. Wirklich, Vater.“ Lan<strong>de</strong>r wusste, dass se<strong>in</strong>e Eltern genauso nervös warenwie Avery und er selbst. So äußerte es sich eben. Se<strong>in</strong>e Mutter benahm sich wie e<strong>in</strong>eungeduldige Glucke, und se<strong>in</strong> Vater stellte nervige Fragen.„Es wird schon gut gehen, Jeremiah. Gott wird dafür sorgen.“„Amen, Anne. Ich hoffe, dass er <strong>die</strong>smal auf unserer Seite steht.“Nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong>rartige Aussagen störten Lan<strong>de</strong>r heute. Er wollte nur, dass es endlichvorbei war. Umso froher war er, als <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>lass an<strong>de</strong>rthalb Stun<strong>de</strong>n spätergeöffnet wur<strong>de</strong>. Es g<strong>in</strong>g endlich los, weshalb er auf Avery und Newman wartete. Dies warnicht mehr se<strong>in</strong> Geschäft, son<strong>de</strong>rn das <strong>de</strong>r Fachmänner.„… hören wir nun das Abschlussplädoyer <strong>de</strong>r Klägerpartei. Bitte, Sie haben das Wort,Mister Newman.“War es vorher schon still im Gerichtssaal gewesen, könnte man jetzt e<strong>in</strong>e Steckna<strong>de</strong>lfallen hören, wie Lan<strong>de</strong>r dachte. Was se<strong>in</strong> Anwalt exakt sagen wür<strong>de</strong>, wusste nichte<strong>in</strong>mal er. Genau wie damals vor <strong>de</strong>m Militärgericht, als Newman ihn verteidigt hatte. Eswar Newmans Sache, und damals hatte <strong>de</strong>r Capta<strong>in</strong> durch e<strong>in</strong>e Überraschungsstrategieja auch großen Erfolg erzielt.Nach<strong>de</strong>m er sich erhoben und se<strong>in</strong>e Robe sorgsam zurechtgezogen hatte, setzte <strong>de</strong>rehemalige Capta<strong>in</strong> an: „Hohes Gericht, ich <strong>de</strong>nke, dass ich nach all <strong>de</strong>n Gutachten undBeschreibungen das letzte Wort jeman<strong>de</strong>m überlassen sollte, <strong>de</strong>r bei allem dabeigewesen ist. Jeman<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es zum Teil Seite an Seite mit <strong>de</strong>m Kläger erlebt hat. Ichweiß, dass <strong>die</strong>s ungewöhnlich ist, aber me<strong>in</strong> Gehilfe hat das Plädoyer ausgearbeitet un<strong>de</strong>s mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>n letzten Wochen m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens zehnmal als Vortrag gehalten. Daher möchteich, dass er se<strong>in</strong>en Vortrag auch jetzt selbst hält. Ich befürchte, dass Mister Avery mitse<strong>in</strong>em Bachelor Juris. mir <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser H<strong>in</strong>sicht doch überlegen ist, was mir <strong>in</strong> me<strong>in</strong>erKarriere <strong>de</strong>rartig auch noch nicht passiert ist. Deshalb möchte ich me<strong>in</strong>e mangeln<strong>de</strong>praktische Eignung <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall bestätigt haben.“Verhaltenes Gelächter aus <strong>de</strong>m Zuschauerraum krönte jene Worte, und sogar zwei <strong>de</strong>rBeisitzer mussten gr<strong>in</strong>sen. Sie verbargen es jedoch, als <strong>de</strong>r für <strong>die</strong>sen Fall zuständigeRichter <strong>de</strong>s Höchsten Gerichts, Clarance Fraser, <strong>die</strong> Stirn runzelte. Er wirkte auf se<strong>in</strong>emStuhl sowieso wie festgewachsen, als wäre er mit se<strong>in</strong>en passen<strong>de</strong>rweise grauen Haarene<strong>in</strong> Teil <strong>de</strong>s Interieurs aus <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>rzeit <strong>de</strong>s Hauses Bretonia.„Ihr Anliegen ist ungewöhnlich, Mister Newman. Da es sich jedoch um dasAbschlussplädoyer han<strong>de</strong>lt, möchte ich <strong>de</strong>m lediglich nach E<strong>in</strong>verständnis <strong>de</strong>s Beklagtenstattgeben.“Der Anwalt <strong>de</strong>s Hauses Bretonia, <strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r weniger <strong>in</strong>direkt <strong>die</strong> Royal Navy vertrat,erwi<strong>de</strong>rte nach e<strong>in</strong>er kurzen Beratung mit se<strong>in</strong>en Assistenten: „Ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>wän<strong>de</strong>.“„Fahren Sie fort, Mister Newman“, erteilte Fraser ihnen wie<strong>de</strong>r das Wort.


Lan<strong>de</strong>r konnte nur ahnen, dass <strong>die</strong>se Angelegenheit <strong>de</strong>likat war, weil Avery ihm vorWochen erzählt hatte, dass je<strong>de</strong> Abweichung von Standardverfahrensweisen e<strong>in</strong>möglicher Grund für e<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>spruch e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Parteien war. Vermutlich hatteFraser sich so abgesichert, damit <strong>die</strong> Beklagten später ke<strong>in</strong>erlei E<strong>in</strong>sprüche aufgrund vonVerfahrensfehlern geltend machen konnten. Avery hatte ja offiziell ke<strong>in</strong> Recht, hier <strong>in</strong><strong>die</strong>sen alten Hallen zu sprechen.Und doch tat er es. Er erhob sich mit rascheln<strong>de</strong>r Robe von se<strong>in</strong>em Sitz neben Lan<strong>de</strong>r,ohne se<strong>in</strong>en Freund auch nur e<strong>in</strong>es Blickes zu würdigen. Falls <strong>de</strong>r gegnerische Anwaltdarauf spekuliert hatte, dass <strong>de</strong>r unerfahrene junge ehemalige Militäranwalt versagenwür<strong>de</strong>, so hatte er sich wohl verkalkuliert. Avery wirkte zwar kurz unsicher, aber erwür<strong>de</strong> tatsächlich sprechen. Se<strong>in</strong>e ganze Haltung er<strong>in</strong>nerte Lan<strong>de</strong>r plötzlich an <strong>die</strong> Zeitauf <strong>de</strong>r Brisbane. Damals hatte Avery Angst gehabt - und er hatte sie auch jetzt. Unddoch war er dabei, sie zu überw<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Er wür<strong>de</strong> kämpfen und bereitete sich mit e<strong>in</strong>emtiefen Durchatmen darauf vor.Verdutzt blickte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Freund daraufh<strong>in</strong> an, aber Avery sah ihn noch immernicht. Er quittierte <strong>die</strong> Auffor<strong>de</strong>rung Newmans mit e<strong>in</strong>em knappen Nicken und strich sich<strong>de</strong>n braunen, lockigen Pony aus <strong>de</strong>r Stirn. „Hohes Gericht, Vertreter <strong>de</strong>r Anklage, ichmöchte hier nicht <strong>die</strong> Worte wie<strong>de</strong>rholen, <strong>die</strong> während <strong>die</strong>ses Prozesses und nicht zuletztauch während <strong>de</strong>s Eröffnungsplädoyers bereits gefallen s<strong>in</strong>d…“E<strong>in</strong> Lächeln stahl sich auf <strong>die</strong> Lippen <strong>de</strong>s ehemaligen Stabsoffiziers, was Lan<strong>de</strong>r unendlichverwun<strong>de</strong>rte.„Statt<strong>de</strong>ssen möchte ich lieber e<strong>in</strong> paar abschließen<strong>de</strong> Worte zu <strong>de</strong>m sagen, wasgeschehen ist. Sie wissen, wieso wir hier s<strong>in</strong>d. Wir haben Zeugen und Experten gehört,<strong>die</strong> alle ihre Aussagen gemacht haben. Die e<strong>in</strong>zige e<strong>in</strong><strong>de</strong>utige Schlussfolgerung, zu <strong>de</strong>rich gekommen b<strong>in</strong>, ist lei<strong>de</strong>r, dass es noch immer zwei Sichtweisen gibt.“ Sich nunerstmalig zu Lan<strong>de</strong>r wen<strong>de</strong>nd, hob Avery <strong>die</strong> Stimme:„Wir sehen hier e<strong>in</strong>en jungen Mann vor uns, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy Karriere machenwollte. Er kommt zu se<strong>in</strong>em persönlichen Pech von Planet Leeds und hat ke<strong>in</strong>e gutsituierten Eltern. E<strong>in</strong> Stipendium ermöglichte ihm <strong>die</strong> Aufnahme <strong>de</strong>rMar<strong>in</strong>eoffiziersausbildung <strong>in</strong> Sandhurst, <strong>die</strong> er als Drittbester se<strong>in</strong>es Jahrgangs abschloss.Versuchen Sie bitte, zu verstehen, was <strong>die</strong>ses e<strong>in</strong>e Wort be<strong>de</strong>utet. Mehr als tausendOffiziersanwärter begannen mit ihm ihre Ausbildung, 740 davon machten zweie<strong>in</strong>halbJahre später ihren Abschluss und wur<strong>de</strong>n somit Mar<strong>in</strong>eoffiziere. E<strong>in</strong> Viertel Ausschuss<strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Jahrgangs ist auf <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie nichts. Die Ausbildung ist hart. Erwar <strong>de</strong>r Drittbeste von allen, <strong>die</strong> es geschafft haben. Dementsprechend könnte mansagen, dass wir es mit e<strong>in</strong>em erstklassigen ehemaligen Offizier zu tun haben. Es fällt mirschwer, <strong>die</strong>s zu sagen, aber Patrick Lan<strong>de</strong>r ist sogar e<strong>in</strong> besserer Offizier gewesen als ich.Ich war immerh<strong>in</strong> Nummer zwanzig me<strong>in</strong>es Jahrgangs. Er h<strong>in</strong>gegen war Nummer drei.Deshalb ist Mister Lan<strong>de</strong>r jemand, <strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> Suffolk o<strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Stabs<strong>die</strong>nst gehörthätte. Er ist jemand, <strong>de</strong>r e<strong>in</strong> Studium auf unserer Militäruniversität ver<strong>die</strong>nt hätte…“Nach e<strong>in</strong>er effektvollen Pause fragte Avery:„Und wo ist er statt<strong>de</strong>ssen gelan<strong>de</strong>t? … Auf e<strong>in</strong>em Patrouillenkreuzer <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten.Ich möchte natürlich nichts gegen <strong>die</strong> Patrouillenkreuzer Se<strong>in</strong>er Majestät sagen, ganz imGegenteil, aber e<strong>in</strong> Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r war dort fehl am Platz. Daher dürfte erlaubtse<strong>in</strong>, sich <strong>die</strong> Frage zu stellen, wie und warum er dorth<strong>in</strong> gekommen ist. Ich <strong>de</strong>nke, dassich e<strong>in</strong>e Antwort darauf gefun<strong>de</strong>n habe. Mister Newman, ehemals Capta<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navyund genau zu jener Zeit Capta<strong>in</strong> <strong>de</strong>r HMS Norfolk, hat mir bestätigt, dass Mister Lan<strong>de</strong>rnicht e<strong>in</strong>mal zur technischen Ausbildung als Wachoffizier auf se<strong>in</strong>em Schiff bleibenkonnte, weil se<strong>in</strong>e Familie e<strong>in</strong>e arme Arbeiterfamilie ist. Das ist für e<strong>in</strong>en großen Teilunserer Bevölkerung e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>s Gesicht und lei<strong>de</strong>r <strong>die</strong> traurige Realität <strong>in</strong> Bretonia.Unsere Navyoffiziere kommen größtenteils aus <strong>de</strong>r Oberschicht o<strong>de</strong>r bestenfalls aus <strong>de</strong>mMittelstand. Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> gezielt aus <strong>de</strong>m Arbeiterstand rekrutiert, weilSub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r daher ke<strong>in</strong> Verlust gewesen wäre, wenn er von e<strong>in</strong>em E<strong>in</strong>satznicht zurückgekehrt wäre, was <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten auf Dauer relativ gesichert gewesenwäre. Nur wenige Soldaten und <strong>in</strong>sbeson<strong>de</strong>re nur wenige junge Navyoffiziere wer<strong>de</strong>n dorttatsächlich im Dienst alt. Wissen Sie eigentlich, wie man solche Soldaten früher auf Terranannte? Ich wer<strong>de</strong> es Ihnen sagen, da es e<strong>in</strong>en Begriff dafür gibt. Er lautet:Kanonenfutter.“


Die Stille im Gerichtssaal war absolut. Nach e<strong>in</strong>em tiefen Luftholen setzte Avery wie<strong>de</strong>ran:„Genau <strong>die</strong>s ist auch <strong>de</strong>n Begriff, mit <strong>de</strong>m auf <strong>de</strong>m Southampton Yard <strong>die</strong> Crews <strong>de</strong>rPatrouillenkreuzer <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten betitelt wur<strong>de</strong>n. Das kann und darf eigentlich nichtstimmen, aber es ist Realität. In unseren Streitkräften und beson<strong>de</strong>rs <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy,wer<strong>de</strong>n Sie nahezu sämtliche hohen Kommandoposten mit Offizieren besetzt f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, <strong>die</strong>e<strong>in</strong>en A<strong>de</strong>lstitel besitzen o<strong>de</strong>r aber erwarten. Auch ich war e<strong>in</strong> solcher Offizier. Es istlei<strong>de</strong>r traurige Wahrheit, dass bei <strong>de</strong>r Rekrutierung jener Führungskräfte Abstrichegemacht wer<strong>de</strong>n. Anstatt fähige Leute auszubil<strong>de</strong>n, <strong>die</strong> auch von Planet Leeds kommendürfen, wenn sie <strong>die</strong> Voraussetzungen mitbr<strong>in</strong>gen, wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong> besseren Posten nahezuausschließlich unter <strong>de</strong>r Hand vergeben. Es steht bereits für <strong>die</strong> nächsten fünf bis zehnJahre fest, wessen Sohn o<strong>de</strong>r Tochter und welcher Lord wann welchen Job bekommt.Daher gibt es ke<strong>in</strong>e Chance für fähige Offiziere, <strong>die</strong> jene strikten Voraussetzungen nichterfüllen.“Protestieren<strong>de</strong>s Gemurmel erhob sich im Saal, aber Avery ignorierte es. „Das kannme<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach nicht richtig se<strong>in</strong>. Wir haben zu viele Leute <strong>in</strong> Schlüsselpositionen,<strong>die</strong> völlig unfähig s<strong>in</strong>d und niemals e<strong>in</strong>e ehrliche Aufnahmeprüfung geschafft hätten. Zume<strong>in</strong>em persönlichen Leidwesen habe ich feststellen müssen, dass auch ich <strong>in</strong> <strong>die</strong>seKategorie gehöre. Ich b<strong>in</strong> zwar e<strong>in</strong> Militäranwalt mit e<strong>in</strong>em recht guten Bachelorzeugnisgewesen, aber ich war ke<strong>in</strong> guter Offizier. In e<strong>in</strong>er Extremsituation habe ich völlig versagtund an<strong>de</strong>re Menschenleben <strong>in</strong> Gefahr gebracht - o<strong>de</strong>r als Resultat <strong>de</strong>ssen auch auf <strong>de</strong>mGewissen. Damit muss ich heute leben. Es wäre allerd<strong>in</strong>gs besser gewesen, wenn mir dasjemand nach me<strong>in</strong>er Rettung durch <strong>die</strong> Crew <strong>de</strong>r York ehrlich gesagt hätte. Statt<strong>de</strong>ssenentließen sie mich auf e<strong>in</strong>e h<strong>in</strong>terhältige Art und Weise, um sich me<strong>in</strong>er Person möglichstohne weitere Umstän<strong>de</strong> zu entledigen. Heute ist mir klar, dass ich für <strong>die</strong> Streitkräftetatsächlich untragbar gewesen b<strong>in</strong>, aber <strong>die</strong>s vermutlich schon am Tag me<strong>in</strong>erRekrutierung. Wieso hat man me<strong>in</strong>e Untauglichkeit dann nicht früher festgestellt?“Erst zu Paul Newman und dann zu Patrick Lan<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>sehend schloss Avery se<strong>in</strong>e Re<strong>de</strong> mit<strong>de</strong>n Worten: „Es gibt me<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach e<strong>in</strong>e große Ungerechtigkeit <strong>in</strong> <strong>de</strong>nRekrutierungs- und Stellenvergabeverfahren <strong>de</strong>r Royal Navy. Was damals auf Terra undhier <strong>in</strong> Sirius zur Grün<strong>de</strong>rzeit richtig gewesen se<strong>in</strong> mag, ist es heute nicht mehrunbed<strong>in</strong>gt. E<strong>in</strong> A<strong>de</strong>lstitel alle<strong>in</strong> macht heute ke<strong>in</strong>en guten Offizier mehr aus. Vermutlichhat er das auch nie getan. Mister Lan<strong>de</strong>r ist <strong>in</strong> <strong>die</strong>se Mühle geraten und hat <strong>die</strong> bittersteSeite <strong>de</strong>r Medaille kennengelernt. Er <strong>die</strong>nte auf <strong>de</strong>r HMS Oxford, <strong>de</strong>ren Offiziere bereitsseit Jahren Nebengeschäfte mit Krim<strong>in</strong>ellen tätigten, weil sie <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Navy nichtvorwärtskamen. Vetternwirtschaft und Korruption haben unsere I<strong>de</strong>ale längst verdrängt.Es gibt vermutlich mehr Lionel K<strong>in</strong>gshams und Erasmus Ravens <strong>in</strong> unserer Navy als wir<strong>de</strong>nken. Was ist uns heute e<strong>in</strong> Menschenleben wert? Was s<strong>in</strong>d uns jene Offiziere undMannschaftsmitglie<strong>de</strong>r wert? … Für Patrick und mich wird es ke<strong>in</strong>e Rückkehr zur RoyalNavy geben. Höchstens Gerechtigkeit und <strong>die</strong> Gewissheit, dass es hoffentlich nicht noche<strong>in</strong>mal passieren möge. Darauf hoffen wir heute. Vielleicht wird unser Prozess genau wie<strong>de</strong>rjenige von Lead<strong>in</strong>g Rat<strong>in</strong>g Rees vor e<strong>in</strong>igen Monaten zu e<strong>in</strong>er Entschädigung führen.Wichtiger als jene Anerkennung wäre jedoch e<strong>in</strong>e Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s verkrusteten Denkensund <strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>en Umstän<strong>de</strong>. Hoffentlich wird das heutige Urteil wenigstens dazuführen, nun da <strong>die</strong>se D<strong>in</strong>ge endlich e<strong>in</strong>mal öffentlich ausgesprochen wur<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong>eEntschädigung wäre das M<strong>in</strong><strong>de</strong>ste, das Patrick zusteht. Die Royal Navy ist auch ihmetwas schuldig.“Selbst <strong>de</strong>r Richter war baff, weil er sicherlich alles erwartet hatte, aber nicht <strong>die</strong>seanklagen<strong>de</strong>n Worte.Die Zuschauer betrachtend, las Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong> ihren Mienen ebenfalls Erstaunen, Entsetzenund <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen wie <strong>de</strong>m von Victor Marlowe auch offene Empörung.Erst das Rascheln von Averys Robe brach <strong>de</strong>n Zauber se<strong>in</strong>er Worte, aber nicht <strong>die</strong> Stille.Der ehemalige Stabsoffizier hatte sich wie<strong>de</strong>r h<strong>in</strong>gesetzt und drückte Lan<strong>de</strong>r kurz <strong>die</strong>Hand. Dabei spürte se<strong>in</strong> Freund <strong>de</strong>n Schweiß. Die Worte hatten Avery doch mehrgekostet als geahnt, wie auch <strong>die</strong> wahrsche<strong>in</strong>lich unbeabsichtigte Benutzung von Lan<strong>de</strong>rsVornamen am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Plädoyers bewies.Kurz aufstehend verkün<strong>de</strong>te Paul Newman <strong>in</strong> <strong>die</strong> unbehagliche Ruhe h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>: „HohesGericht, ich habe <strong>de</strong>m nicht viel h<strong>in</strong>zuzufügen. Ich kann jene Worte lei<strong>de</strong>r nur bestätigen,


obwohl ich selbst ke<strong>in</strong>en A<strong>de</strong>lstitel besitze. Ich gehörte zu <strong>de</strong>n wenigen Angehörigen <strong>de</strong>sbretonischen Mittelstan<strong>de</strong>s, <strong>die</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Royal Navy <strong>in</strong> gehobener Position <strong>die</strong>nten. Auch siekann man im Offizierskorps <strong>in</strong> <strong>de</strong>n leiten<strong>de</strong>n Positionen nahezu an e<strong>in</strong>er Hand abzählen.Genau wie <strong>de</strong>r junge Mister Lan<strong>de</strong>r habe ich lernen müssen, wie es ist, e<strong>in</strong>e Messe mit<strong>de</strong>m bretonischen Hocha<strong>de</strong>l zu teilen, ohne selbst dazuzugehören. Gera<strong>de</strong> <strong>die</strong> Offiziere<strong>de</strong>s Arbeiterstan<strong>de</strong>s wer<strong>de</strong>n jedoch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat auf Patrouillenkreuzern und <strong>in</strong> ähnlichenSelbstmordkommandos nahezu verheizt. Sie sehen sich also <strong>de</strong>mentsprechend e<strong>in</strong>emÜberleben<strong>de</strong>n gegenüber, me<strong>in</strong>e Herrschaften! E<strong>in</strong>em Überleben<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m selbst <strong>de</strong>rger<strong>in</strong>gste Scha<strong>de</strong>nsersatz verwehrt wird, weil er nach Me<strong>in</strong>ung vieler sowieso nicht <strong>in</strong> dasOffizierskorps <strong>de</strong>r Royal Navy gehört hätte.“Endlich hatte sich <strong>de</strong>r Richter wie<strong>de</strong>r gefasst. „Ehh… war es das?“„Wir s<strong>in</strong>d fertig, Herr Richter“, bestätigte Paul Newman lächelnd.Nach e<strong>in</strong>em Blick auf <strong>die</strong> Uhr seufzte Clarance Fraser schwer. „Möchte <strong>die</strong> Gegenseitesich vor o<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m Mittagessen dazu äußern?“Der Zuständige erhob sich langsam von se<strong>in</strong>em Sitz und lächelte <strong>de</strong>m Richter zu. „HohesGericht, ich <strong>de</strong>nke, dass wir es ruhig noch vor <strong>de</strong>m Essen regeln können. Unser Plädoyerwird be<strong>de</strong>utend kürzer ausfallen als das von Mister… ehhh… Avery.“Diese Unkenntnis <strong>de</strong>s Namens war geschauspielert, das merkte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich. Undnicht nur er. Es war e<strong>in</strong>e Annahme <strong>de</strong>r Kriegserklärung, <strong>die</strong> seitens Averys erfolgt war.„Bitte fahren Sie fort, Mister Charles.“Der füllige Anwalt drehte sich kurz zu ihnen um und begann prompt mit <strong>de</strong>m Beschuss,<strong>de</strong>nn so schnell ratterten <strong>die</strong> Worte aus se<strong>in</strong>em Mund: „Punkt e<strong>in</strong>s, zu <strong>de</strong>m ich jetztStellung nehmen möchte, ist <strong>die</strong> Position <strong>de</strong>s Anwaltsassistenten <strong>de</strong>s Klägers. MisterDuncan Avery wur<strong>de</strong> aufgrund hoher geistiger Labilität aus <strong>de</strong>m Dienst entlassen. Dasund se<strong>in</strong>e daraufh<strong>in</strong> folgen<strong>de</strong>n Aktionen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten führten dazu, dass er alsnicht mehr voll zurechnungsfähig anzusehen ist. Zu se<strong>in</strong>em Glück, <strong>de</strong>nn sonst b<strong>in</strong> ich mirrelativ sicher, dass <strong>die</strong> Royal Navy sich für se<strong>in</strong>e heute hier an <strong>die</strong>sem Ort gemachtenAussagen sehr <strong>in</strong>teressieren wür<strong>de</strong>. Ich habe me<strong>in</strong>erseits e<strong>in</strong> vertrauliches Gespräch mite<strong>in</strong>em Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r geführt, <strong>de</strong>r mir erzählte, dass Mister Avery nach se<strong>in</strong>er Rettung <strong>in</strong>Omega-7 sowie auch auf Planet Stuttgart wochenlang nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage war, auch nure<strong>in</strong>en zusammenhängen<strong>de</strong>n Satz von sich zu geben. Er befand sich dort vor se<strong>in</strong>erÜberstellung nach Bretonia übrigens <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Psychiatrie. Genau da wäre er sicherlichauch hier <strong>in</strong> Bretonia gelan<strong>de</strong>t, wenn sich nicht <strong>die</strong> Familie Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>er angenommenhätte, was sicherlich bis heute alles an<strong>de</strong>re als leicht für sie gewesen ist.“Mit e<strong>in</strong>em schweren Schlucken starrte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Freund an, <strong>de</strong>r vor Wut über <strong>die</strong>senpersönlichen Angriff puterrot gewor<strong>de</strong>n war und am liebsten etwas dazu gesagt hätte,um sich zu verteidigen. Nur Paul Newman hielt ihn davon ab, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er Averys l<strong>in</strong>ken Armfest umklammert hielt.„Punkt zwei, zu <strong>de</strong>m ich etwas sagen möchte, betrifft Mister Lan<strong>de</strong>r selbst. Ich <strong>de</strong>nke,dass uns allen noch das von ihm gegebene Interview mit e<strong>in</strong>em Reporter e<strong>in</strong>esRevolverblattes präsent ist, <strong>in</strong> <strong>de</strong>m er sich nicht klar und e<strong>in</strong><strong>de</strong>utig von <strong>de</strong>n Taten <strong>de</strong>rSchiffsführung und Crew <strong>de</strong>r Brisbane distanzierte. Die Umstän<strong>de</strong> se<strong>in</strong>es Aufenthalts <strong>in</strong><strong>de</strong>n Grenzwelten und auch se<strong>in</strong>e Rettung müssen als sehr zweifelhaft e<strong>in</strong>gestuft wer<strong>de</strong>n.Da wir lei<strong>de</strong>r ke<strong>in</strong>en Zugang zu <strong>de</strong>n Verhörprotokollen hatten, bleiben uns nurMutmaßungen und <strong>die</strong> Aussagen <strong>de</strong>s Angeklagten sowie <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Zeugen undExperten, um e<strong>in</strong> Urteil über <strong>die</strong> Vorgänge <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten zu treffen. Ich möchte dasHohe Gericht und alle an<strong>de</strong>ren hier im Saal nur darauf h<strong>in</strong>weisen, dass <strong>de</strong>mentsprechendZweifel an <strong>de</strong>n Handlungen und Motiven <strong>de</strong>s ehemaligen Sub-Lieutenants bestehenbleiben. War er vielleicht gar Teil <strong>de</strong>r Piratencrew? Ist er mitschuldig an <strong>de</strong>n Mor<strong>de</strong>n?Vermutlich, so lautet zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st me<strong>in</strong>e Theorie, ist er genauso mental <strong>in</strong>stabil wie se<strong>in</strong>Freund Avery. Niemand will ihm etwas wegnehmen, all se<strong>in</strong> angesammeltes Gehalt istausgezahlt wor<strong>de</strong>n. Me<strong>in</strong>er Ansicht nach ist nur richtig, dass <strong>die</strong> Royal Navy ihmScha<strong>de</strong>nersatz verweigert, da se<strong>in</strong>e Rolle <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Meuterei an Bord <strong>de</strong>r Brisbane nichte<strong>in</strong><strong>de</strong>utig geklärt wer<strong>de</strong>n kann. Mister Avery hat von Verantwortung gesprochen, aber wowar <strong>de</strong>nn Mister Lan<strong>de</strong>rs S<strong>in</strong>n für Verantwortung <strong>in</strong> all <strong>de</strong>n Monaten? Von e<strong>in</strong>erSympathie für <strong>die</strong> Piraten ist auszugehen, da er ihnen am Schluss zur Flucht verhalf,anstatt se<strong>in</strong> Leben für das Wohl se<strong>in</strong>es Hauses zu opfern, wie es sich für e<strong>in</strong>en


Drittbesten <strong>de</strong>s Mar<strong>in</strong>ejahrgangs vielleicht eher gehört hätte. Das zu beurteilen steht mirals Nichtbeteiligtem aber kaum zu.“Diesmal war es Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Schlag <strong>in</strong>s Gesicht erhalten hatte. Erstaunlicherweisehatte ihn nur <strong>de</strong>r letzte Teil <strong>de</strong>r persönlichen Beleidigungen wirklich getroffen. Auch daswar jedoch weit weniger schlimm, als Averys Erschütterung angesichts <strong>de</strong>r vorherigenWorte.„Punkt drei wäre noch <strong>de</strong>r kurze H<strong>in</strong>weis auf <strong>die</strong> Absurdität <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung. Hun<strong>de</strong>rtMillionen Credits s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Scha<strong>de</strong>nsersatzfall noch niemals gezahlt wor<strong>de</strong>n.In Mister Lan<strong>de</strong>rs Fall ist von <strong>de</strong>r Royal Navy auch ke<strong>in</strong>erlei Fahrlässigkeit begangenwor<strong>de</strong>n. Es war nicht <strong>die</strong> Schuld <strong>de</strong>r Navy, dass <strong>de</strong>r damalige Sub-Lieutenant Lan<strong>de</strong>r <strong>in</strong><strong>de</strong>n Grenzwelten lan<strong>de</strong>te. Daher wäre sehr viel s<strong>in</strong>nvoller, wenn Mister Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong>jenigenaufspüren wür<strong>de</strong>, <strong>die</strong> wirklich verantwortlich s<strong>in</strong>d. Da er e<strong>in</strong> möglicher Beteiligter an <strong>de</strong>rErmordung von Millionen Menschen <strong>in</strong> Bretonia und Liberty ist – o<strong>de</strong>r zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st e<strong>in</strong>Mitverantwortlicher - ersche<strong>in</strong>t mir sehr unangemessen von ihm, <strong>die</strong> Royal Navy zuverklagen. E<strong>in</strong>e traditionsreiche Institution, <strong>die</strong> ihm vor Jahren e<strong>in</strong>e Chance gegeben hat,se<strong>in</strong>en Heimatplaneten zu verlassen, und ihm e<strong>in</strong>e gesicherte Zukunftsperspektiveofferierte. Mister Averys <strong>in</strong>direkter Vergleich e<strong>in</strong>es Patrouillenkreuzers mit e<strong>in</strong>erTo<strong>de</strong>sfalle und <strong>die</strong> Betitelung ‚Kanonenfutter’ s<strong>in</strong>d im Gegenteil eher e<strong>in</strong> Schlag <strong>in</strong>sGesicht aller Mannschaften und Offiziere, <strong>die</strong> auf jenen acht Schiffen <strong>die</strong>nen und unsereGrenzen tagtäglich sichern.“ Charles wies auf <strong>die</strong> dasitzen<strong>de</strong>n Zuschauer: „Ich möchtedas Hohe Gericht ebenfalls darauf h<strong>in</strong>weisen, dass auch e<strong>in</strong>e gute Anzahl vonAngehörigen <strong>de</strong>s Hocha<strong>de</strong>ls auf Se<strong>in</strong>er Majestät Patrouillenkreuzern täglich ihr Lebenriskiert. Auch <strong>in</strong> Mister Lan<strong>de</strong>rs Offiziersmesse gab es sie. Ist also so ungerecht, e<strong>in</strong> sogenanntes Mitglied <strong>de</strong>r Arbeiterklasse zu bitten, Seite an Seite mit <strong>de</strong>m Hocha<strong>de</strong>l als‚Kanonenfutter’ zu <strong>die</strong>nen?“ Mit e<strong>in</strong>em Kopfschütteln sah Charles zu Richter Fraser. „Ichbitte das Hohe Gericht daher, <strong>die</strong>sem absur<strong>de</strong>n Spektakel, <strong>de</strong>m von Mister Avery zuallem Überfluss nun auch noch das Bild e<strong>in</strong>es Klassenkampfes verliehen wur<strong>de</strong>, mit <strong>de</strong>rVerkündigung <strong>de</strong>s Urteils e<strong>in</strong> En<strong>de</strong> zu bereiten.“Jene e<strong>in</strong><strong>de</strong>utigen Worte schienen nach Lan<strong>de</strong>rs Me<strong>in</strong>ung genauso lange im Raumnachzuhallen wie <strong>die</strong> se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s davor.E<strong>in</strong> leises, beifälliges Klopfen kam aus <strong>de</strong>m Zuschauerraum, und Lan<strong>de</strong>r wusste<strong>in</strong>st<strong>in</strong>ktiv, dass es von Marlowe stammte. Noch bevor <strong>de</strong>r Richter energisch um Ruhebitte konnte, war es bereits zu e<strong>in</strong>em lauten Klatschen angeschwollen.„Das Gericht wird sich jetzt zur Urteilsf<strong>in</strong>dung zurückziehen. In zwei Stun<strong>de</strong>n wird <strong>die</strong>Verhandlung fortgeführt.“„Erheben Sie sich!“, skan<strong>die</strong>rte <strong>de</strong>r Gerichts<strong>die</strong>ner.Erst nach<strong>de</strong>m Clarance Fraser sich zurückgezogen hatte und alle Zuschauer <strong>de</strong>n Raumverlassen hatten, wandte Newman sich über <strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>r auf se<strong>in</strong>en Sitz gesunkenenAvery h<strong>in</strong>weg stoisch an Lan<strong>de</strong>r: „Es hätte schlimmer kommen können.“E<strong>in</strong> hysterisch kl<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>s Auflachen Averys war <strong>die</strong> Folge. „Noch schlimmer? Was hätte<strong>de</strong>nn bitteschön noch schlimmer kommen können, Sir?“Die Antwort darauf blieb Newman ihm schuldig. Er sagte nur: „Ich wer<strong>de</strong> jetzt genaudasselbe tun wie Richter Fraser, sprich erst e<strong>in</strong>mal Lunch e<strong>in</strong>nehmen.“„Lunch“, wie<strong>de</strong>rholte Lan<strong>de</strong>r perplex.„Ja. Es geht doch nichts über e<strong>in</strong> gutes Mittagessen.“Als Newman sie verlassen hatte, setzte Lan<strong>de</strong>r sich wie<strong>de</strong>r zu Avery. „Kopf hoch, Duncan.Lass dich nicht von solchen Leuten fertigmachen. Wenn wir das Geld nicht bekommen, istes auch egal. Mir ist es mittlerweile sogar völlig gleich.“Mit Tränen <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen h<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>n Brillengläsern blickte Avery zu ihm auf. „Das sagst dujetzt nur, um mich zu trösten. Ich habe mit me<strong>in</strong>em Plädoyer <strong>de</strong>n Prozess ru<strong>in</strong>iert unddich um das Geld gebracht!“„Das hast du sicherlich nicht“, beruhigte Lan<strong>de</strong>r ihn.„Doch, das habe ich! Ich habe dich lächerlich gemacht!“„Ne<strong>in</strong>, du warst wirklich mutig, Duncan. Ich habe dich noch nie so gesehen.“„Das wirst du auch nie wie<strong>de</strong>r, wenn wir…“Ihn umarmend schüttelte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Kopf. „Vergiss das Geld. Ich möchte nur, dass duals me<strong>in</strong> bester Freund glücklich bist.“„Das b<strong>in</strong> ich, solange wir Freun<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d.“


„Na also. Möchtest du jetzt auch etwas essen? Ich <strong>de</strong>nke mal…“Der ehemalige Stabsoffizier stieß Lan<strong>de</strong>r heftig von sich. „Hör mir mit <strong>die</strong>sen blö<strong>de</strong>n NewLondoner Sitten auf! Wenn du jetzt auch noch damit anfängst, erschlage ich dicheigenhändig!“Entwaffnend <strong>die</strong> Hän<strong>de</strong> hebend musste Lan<strong>de</strong>r schrecklich lachen. „Ist ja gut! Wie wärees dann mit e<strong>in</strong>em Kaffee? Lass uns zum Automaten gehen.“„Pah! Ich b<strong>in</strong> Teetr<strong>in</strong>ker! Den gibt’s nicht am Automaten!“„Wer von uns bei<strong>de</strong>n hat hier New Londoner Sitten, Duncan?“„Nun hör aber endlich mit <strong>de</strong>m Sticheln auf!“Gr<strong>in</strong>send stand Lan<strong>de</strong>r auf. „Mach, was du willst. Ich gehe mir jetzt je<strong>de</strong>nfalls zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st<strong>die</strong> Be<strong>in</strong>e vertreten.“„Natürlich komme ich mit, o<strong>de</strong>r glaubst du etwa, ich bleibe hier alle<strong>in</strong> sitzen?!“ Die eiligeEntgegnung Averys zeigte Lan<strong>de</strong>r, dass se<strong>in</strong> Freund wie<strong>de</strong>r halbwegs <strong>in</strong> Ordnung war. Erhakte ihn unter und steuerte auf <strong>de</strong>n nächsten Ausgang <strong>de</strong>s Gerichtssaales zu.„Haben Sie sich wie<strong>de</strong>r beruhigt, Mister Avery?“Paul Newmans kurze Frage vor <strong>de</strong>m H<strong>in</strong>setzen ließ Avery erneut erröten. „Ja, Sir.“„Dann schreiben Sie sich bitte h<strong>in</strong>ter <strong>die</strong> Ohren, dass man e<strong>in</strong>e Verhandlung erst verlorengibt, wenn das Urteil gefallen ist. Davor ist alles noch offen. Und selbst nach e<strong>in</strong>emverlorenen Prozess kann man meistens <strong>in</strong> Revision gehen.“„Wir können das aber nicht, Sir.“„Ne<strong>in</strong>. Sie vergessen jedoch wie gesagt, dass wir noch nicht verloren haben.“„Sie sagen das, als ob es gleich geschehen wür<strong>de</strong>“, mischte sich Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>.„Das kann ich nicht vorhersehen, auch wenn <strong>die</strong> Wahrsche<strong>in</strong>lichkeiten gegen uns stehen.Ich hätte nicht gedacht, dass Mister Charles komplett von se<strong>in</strong>er vorbereiteten Re<strong>de</strong>abweichen wür<strong>de</strong>. Mister Avery sollte ihn überraschen, und das ist ihm zweifellos auchgelungen, aber lei<strong>de</strong>r gereicht uns genau das jetzt eher zum Nachteil, weil <strong>die</strong> Gegenseiteso gut reagiert hat.“„Ich wusste, dass ich es verbockt habe!“, murmelte <strong>de</strong>r ehemalige Stabsoffiziernie<strong>de</strong>rgeschlagen und nahm se<strong>in</strong>e Brille ab.„Ne<strong>in</strong>, Duncan! Ich <strong>de</strong>nke…“„E<strong>in</strong>es wer<strong>de</strong>n Sie auf je<strong>de</strong>n Fall erreicht haben: e<strong>in</strong>e hohe Sensibilisierung <strong>de</strong>rÖffentlichkeit für das Thema Rekrutierung und Postenvergabe <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Royal Navy.Ganz wie Sie es sich gewünscht haben. Das habe ich gera<strong>de</strong> übrigens auch gegenüberIhrem Freund Treverne betont, als ich ihm e<strong>in</strong> weiteres Interview gegeben habe.“Newman klang harsch. E<strong>in</strong> weiteres Zeichen dafür, dass er <strong>de</strong>n Prozess bereits alsverloren ansah.„Ja, aber…“„Ungewöhnliche Mittel führen eben nicht immer zum Sieg, Mister Avery. Wenn Sie e<strong>in</strong>edrohen<strong>de</strong> Nie<strong>de</strong>rlage nicht wegstecken können, sollte ich me<strong>in</strong> Jobangebot vielleicht noche<strong>in</strong>mal über<strong>de</strong>nken.“„Nimm es nicht zu schwer, ganz egal, was kommt“, tröstete Lan<strong>de</strong>r.„Geht es Ihnen etwa tatsächlich auch so sehr um das Geld, Mister Avery? Und das ganzim Gegensatz zu Ihren vorherigen Worten?“Newmans zusätzlicher Hohn brachte Lan<strong>de</strong>r zum Kochen. „Nun hören Sie endlich auf, auf<strong>de</strong>n Gefühlen me<strong>in</strong>es besten Freun<strong>de</strong>s herumzutrampeln!“Die e<strong>in</strong>treten<strong>de</strong>, erwartungsvolle Stille im sich wie<strong>de</strong>r füllen<strong>de</strong>n Zuschauersaal machteLan<strong>de</strong>r bewusst, dass er <strong>die</strong> Worte lauter ausgesprochen hatte als ursprünglichbeabsichtigt.„Wenn Ihr Freund ke<strong>in</strong>e Kritik und ke<strong>in</strong>e Nie<strong>de</strong>rlage ertragen kann, ist das nicht me<strong>in</strong>Problem. Und jetzt seien Sie gefälligst leiser!“„Es geht mir nicht ums Geld, son<strong>de</strong>rn ich will nur das Beste für Patrick und se<strong>in</strong>eFamilie!“„Und für sich selbst natürlich auch, damit Sie Ihrem gehobenen Lebensstandard wie<strong>de</strong>rfrönen können.“ Newman fixierte Avery erbarmungslos. „Ich habe mich tatsächlich <strong>in</strong>


Ihnen getäuscht. Sehr bedauerlich für Sie. Karrierefixierte Adlige kann ich lei<strong>de</strong>r nicht <strong>in</strong><strong>de</strong>r Kanzlei gebrauchen…“„Gehen Sie sich Teufel, Mister Newman!“ Lan<strong>de</strong>r machte e<strong>in</strong>en Schritt auf <strong>de</strong>n Anwalt zu.„Wenn Sie mich jetzt entlassen, platzt <strong>de</strong>r Prozess!“„Patrick, lass! Ich…“ Averys Wangen zeigten e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>utliche Röte, aber er ertrug auchjenen neuen Schlag. Er tat es wegen <strong>de</strong>s Prozesses, da sie schon fast am Ziel waren.„Ne<strong>in</strong>!“ Lan<strong>de</strong>r war wirklich <strong>de</strong>rmaßen wütend, dass er Newman sofort rauswerfen wollte- ganz gleich, was dann geschehen mochte.„Ich wer<strong>de</strong> sowieso niemals bei Ihnen arbeiten, Mister Newman! Sie s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> sehrrespektloser und verletzen<strong>de</strong>r Mensch“, brachte <strong>de</strong>r Angegriffene gera<strong>de</strong> noch heraus.„Ich b<strong>in</strong> nicht an<strong>de</strong>rs als je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Chef im Universum auch, Mister Avery.“„Das glaube ich nicht!“ Lan<strong>de</strong>r g<strong>in</strong>g dazwischen. „Sie s<strong>in</strong>d hiermit als me<strong>in</strong> Anwalt entl…“„Erheben Sie sich!“ Der Gerichts<strong>die</strong>ner brachte Lan<strong>de</strong>r zum Verstummen.Clarance Fraser tauchte wie<strong>de</strong>r auf und schritt zu se<strong>in</strong>em Platz, gefolgt von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren.Stumm stand Lan<strong>de</strong>r da, unschlüssig, ob er nicht <strong>in</strong> <strong>de</strong>r entstehen<strong>de</strong>n Stille e<strong>in</strong>fachweitersprechen sollte.Avery flüsterte: „Mensch, Patrick! Halt bloß <strong>die</strong>…“„Ruhe im Gerichtssaal!“, fauchte Fraser, bevor er formal anf<strong>in</strong>g: „Im Namen <strong>de</strong>s HausesBretonia fälle ich folgen<strong>de</strong>s Urteil: Dem Antrag auf Scha<strong>de</strong>nsersatz <strong>in</strong> Höhe von hun<strong>de</strong>rtMillionen Credits wird nicht stattgegeben. E<strong>in</strong>e Revision steht <strong>de</strong>m Kläger nicht offen, dadas Hohe Gericht bereits <strong>die</strong> höchste richterliche Instanz <strong>de</strong>s Hauses Bretonia darstellt.“E<strong>in</strong>e erregte Unterhaltung setzte b<strong>in</strong>nen weniger Sekun<strong>de</strong>n im Zuschauerraum e<strong>in</strong>.Obwohl Lan<strong>de</strong>r bis jetzt von sich gedacht hatte, dass er sowieso ke<strong>in</strong> Geld bekommenwür<strong>de</strong>, zog ihm <strong>die</strong> brutale Bestätigung <strong>de</strong>ssen doch für e<strong>in</strong>en Moment <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n unter<strong>de</strong>n Füßen weg.„Ne<strong>in</strong>!“, entfuhr Avery neben ihm.„Ruhe im Gerichtssaal, o<strong>de</strong>r ich lasse ihn räumen!“ Der Zivilist Fraser stand trotz se<strong>in</strong>esnahen<strong>de</strong>n Rentenalters e<strong>in</strong>em Ausbil<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Militäraka<strong>de</strong>mie Sandhurst <strong>in</strong> Ton undLautstärke um nichts nach. Er ließ sich Zeit, um schließlich fortzufahren:„Zur Urteilsbegründung: Die <strong>de</strong>r Royal Navy zur Last gelegte angebliche Fahrlässigkeit istnicht nachzuweisen. Demzufolge ist sie auch nicht scha<strong>de</strong>nsersatzpflichtig. Es kam zue<strong>in</strong>er Verkettung von bedauerlichen Ereignissen, <strong>die</strong> unglücklicherweise am En<strong>de</strong> zurVerschleppung von Mister Lan<strong>de</strong>r führten. E<strong>in</strong>e beson<strong>de</strong>re Schuld <strong>de</strong>s Hauses Bretonia ist<strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Fall we<strong>de</strong>r offensichtlich noch e<strong>in</strong>wandfrei nachzuweisen. Es han<strong>de</strong>lt sich ume<strong>in</strong>en bedauerlichen E<strong>in</strong>zelfall, <strong>de</strong>r <strong>in</strong> <strong>die</strong>ser Art nie wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>treten wird. Generell giltlei<strong>de</strong>r, dass Mister Lan<strong>de</strong>r mit so etwas hätte rechnen müssen, genau wie je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>reSoldat auch. Wer auch immer sich zu <strong>de</strong>n Streitkräften mel<strong>de</strong>t, muss damit rechnen,dass er getötet, verletzt o<strong>de</strong>r im E<strong>in</strong>satz gefangengenommen wird. Die Royal Navy istTeil <strong>de</strong>r Streitkräfte und damit ke<strong>in</strong> K<strong>in</strong><strong>de</strong>rspielplatz.“Nach <strong>die</strong>sen unvermittelt harten Worten blickte Fraser auf und durchbohrte <strong>de</strong>n jungenKläger mit se<strong>in</strong>em aufdr<strong>in</strong>glichen Blick. „Ich wünsche Ihnen ehrlich alles Glück <strong>die</strong>serWelt, Mister Lan<strong>de</strong>r. Sie waren sehr naiv, als Sie sich freiwillig gemel<strong>de</strong>t haben, aber dasist nicht unbed<strong>in</strong>gt etwas Schlechtes. Lei<strong>de</strong>r haben Sie auf <strong>die</strong> drastischste Art lernenmüssen, welche möglichen Konsequenzen Ihre Berufsentscheidung hatte. Ich persönlichbedaure, dass das Haus Bretonia nicht dafür zuständig ist, Ihnen e<strong>in</strong>e Kompensation fürjene verlorene Zeit zu gewähren. Es g<strong>in</strong>g schon an<strong>de</strong>ren so wie Ihnen. Sie s<strong>in</strong>dwenigstens noch immer jung und gesund. Machen Sie etwas aus Ihrem restlichen Lebenund versuchen Sie, das Geschehene zu vergessen. Fangen Sie noch e<strong>in</strong>mal neu an.“Nach e<strong>in</strong>em letzten Blick zu <strong>de</strong>n Zuschauern verkün<strong>de</strong>te Clarance Fraser lautstark: „DieSitzung ist geschlossen!“Jene Worte glichen e<strong>in</strong>em Hammerschlag.Erst als Fraser aus <strong>de</strong>m Raum gerauscht war, begann wie<strong>de</strong>r das große Gemurmel. DieZuschauer drängten zu <strong>de</strong>n Ausgängen, und Patrick Lan<strong>de</strong>r f<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Blick von VictorMarlowe auf. Triumph lag dar<strong>in</strong>. Triumph, weil sie gescheitert waren. Fowleys Blickh<strong>in</strong>gegen zeugte fast von Mitleid und Sympathie, was noch ungleich schlimmer war, bis<strong>de</strong>r Lieutenant Comman<strong>de</strong>r schließlich se<strong>in</strong>em Vorgesetzten und Freund zum Ausgangfolgte.


„Das war’s dann ja wohl! Vielen Dank, Mister Avery! Ihr gedankenloses Verhalten hat uns<strong>de</strong>n Prozess gekostet!“, warf Newman <strong>de</strong>m Anwaltsgehilfen an <strong>de</strong>n Kopf. Der ehemaligeCapta<strong>in</strong> hatte sich se<strong>in</strong>e Robe bereits wütend vom Leib gerissen.Betäubt saß Avery da, ohne zu reagieren.„Verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n Sie! Der Prozess war nicht zu gew<strong>in</strong>nen, und damit basta! Wenn Sie dasPlädoyer an Duncans Stelle gehalten hätten, wäre es mit Sicherheit noch schneller zuEn<strong>de</strong> gewesen!“, herrschte <strong>de</strong>r junge Leedser <strong>de</strong>n Anwalt an.„Dies alles wird Ihnen leidtun, Mister Lan<strong>de</strong>r! Wegen Ihnen habe ich <strong>die</strong> Royal Navyverlassen! Was soll jetzt außer<strong>de</strong>m aus Francis’ Familie wer<strong>de</strong>n?“„Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass Sie es mehr auf e<strong>in</strong>e persönliche Bereicherungals auf e<strong>in</strong>e Entschädigung <strong>de</strong>r Familie Ihres Freun<strong>de</strong>s abgesehen haben. Wo ke<strong>in</strong> Geldist, da kann eben auch ke<strong>in</strong>es verteilt wer<strong>de</strong>n. Was <strong>die</strong> Royal Navy angeht, gehen Sieeben am besten Kl<strong>in</strong>ken putzen, Mister Newman“, gab Lan<strong>de</strong>r katzenfreundlich zurück.„Vielleicht stellt <strong>die</strong> Admiralität e<strong>in</strong>en so hervorragen<strong>de</strong>n Offizier und Anwalt wie Sie jawie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>. Im Abwälzen von Verantwortung und Schuld auf an<strong>de</strong>re s<strong>in</strong>d Sieoffensichtlich Weltmeister.“„Ich wer<strong>de</strong>… ich wer<strong>de</strong>…“ Newman fand ke<strong>in</strong>e Worte mehr. Er brüllte gera<strong>de</strong>zu.„Sie wer<strong>de</strong>n jetzt hübsch <strong>de</strong>n Rückzug durch <strong>die</strong>se Tür dah<strong>in</strong>ten antreten, o<strong>de</strong>r ich helfenach.“ Lan<strong>de</strong>r zwang <strong>de</strong>m aufgebrachten Mann se<strong>in</strong>en Blick auf und fügte fast sanft, vorallem aber im Flüsterton h<strong>in</strong>zu: „Ihnen tut es doch nicht e<strong>in</strong>mal weh, also schlage ichvor, dass Sie gehen. Sie können Ihre Kanzlei auch ohne jene Millionen von uns eröffnen,<strong>de</strong>nn Sie haben ja sicherlich bereits etwas für schlechte Zeiten zurückgelegt. Er<strong>in</strong>nern Siesich <strong>de</strong>ssen und geben Sie Comman<strong>de</strong>r Brightons Familie e<strong>in</strong>fach je<strong>de</strong>n Monat etwas vonIhrem Schwarzgeld sowie Ihren zukünftigen Kanzleie<strong>in</strong>künften ab, o<strong>de</strong>r ich kommeeventuell auf <strong>de</strong>n Gedanken, <strong>de</strong>r Royal Navy e<strong>in</strong>en Tipp zu geben. Und jetzt wünsche ichIhnen noch e<strong>in</strong>en schönen Tag!“Dieser drohen<strong>de</strong> H<strong>in</strong>weis hatte zusammen mit <strong>de</strong>m lautstarken Abschlusssatz <strong>die</strong>gewünschte Wirkung. Paul Newman murmelte etwas vor sich h<strong>in</strong>, raffte eilig se<strong>in</strong>ePapiere zusammen und eilte mit langen Schritten von dannen.„Patrick…“ Plötzlich stan<strong>de</strong>n Lan<strong>de</strong>rs Eltern bei ihnen.„Es tut mir schrecklich leid, Mutter.“„Me<strong>in</strong> Sohn, ich dachte, du wür<strong>de</strong>st Mister Newman schlagen.“„Habe ich wohl auch fast. Ver<strong>die</strong>nt hätte er es je<strong>de</strong>nfalls. Ich hätte ihn be<strong>in</strong>ahe schon vor<strong>de</strong>r Urteilsverkündigung rausgeworfen, weil er gegenüber Duncan sehr unverschämtwar“, gestand Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>. Die Aussprache von Averys Namen ließ Lan<strong>de</strong>r zu se<strong>in</strong>emFreund h<strong>in</strong>sehen, <strong>de</strong>r zusammengesunken auf se<strong>in</strong>em Sitz h<strong>in</strong>g.„Es ist ke<strong>in</strong> Weltuntergang, Duncan.“Die Berührung an <strong>de</strong>r Schulter ließ Avery qualvoll langsam aufblicken. „Es ist alles me<strong>in</strong>eSchuld! Wenn ich nicht das Abschlussplädoyer versaut hätte…“„Aber du warst doch großartig!“ Lan<strong>de</strong>r nahm ihn am Arm und zog ihn hoch. „Komm, eshat eben nicht sollen se<strong>in</strong>. Ich schlage vor, dass wir <strong>die</strong> Tickets für <strong>de</strong>n Rückflug nachLeeds e<strong>in</strong>lösen und von hier verschw<strong>in</strong><strong>de</strong>n. Zu Hause setzen wir uns e<strong>in</strong>fach h<strong>in</strong> undmachen e<strong>in</strong> paar Flaschen Bier auf. Und morgen…“„Wie kannst du bloß an morgen <strong>de</strong>nken, Patrick?“„Weil ich <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten gelernt habe, dass <strong>die</strong> Welt morgen viel besser aussehenkann als heute. Und das stimmt am heutigen Tag <strong>de</strong>f<strong>in</strong>itiv. Ich b<strong>in</strong> froh, wenn wir endlichzu Hause s<strong>in</strong>d.“„Anne und ich haben uns bereits unsere Gedanken gemacht, Patrick. Genau für jenenFall. Es wäre schön gewesen, wenn wir gewonnen hätten, aber es war unwahrsche<strong>in</strong>lich.Das System gew<strong>in</strong>nt immer.“„Worüber habt ihr nachgedacht?“ Lan<strong>de</strong>r verstand nicht.„Wir haben für unsere jetzige Situation vorgesorgt und etwas Geld aus <strong>de</strong>r Kasse <strong>de</strong>sBüros abgezweigt. Zusammen mit e<strong>in</strong>em Rest von Mister Newmans Geld, das er wohlkaum zurückfor<strong>de</strong>rn wird, wer<strong>de</strong>n wir genug haben, um nach Liberty auszuwan<strong>de</strong>rn.“„Nach Liberty auszuwan<strong>de</strong>rn?“, echote Lan<strong>de</strong>r. „Davon höre ich gera<strong>de</strong> zum ersten Mal!Ich me<strong>in</strong>e, seid ihr <strong>de</strong>nn sicher?“


„Wir s<strong>in</strong>d sicher, Patrick. Wegzugehen ist besser als dauerhaft <strong>in</strong> Heresbridge zu bleiben.Wir wären ja auch im Fall e<strong>in</strong>es Prozessgew<strong>in</strong>ns weggegangen. Was sollen wir dort noch?Also gehen wir auch so weg, aber eben woan<strong>de</strong>rs h<strong>in</strong>.“Duncan Averys Blick verriet Lan<strong>de</strong>r, dass auch se<strong>in</strong> Freund erstmalig davon hörte. „Ach,<strong>de</strong>shalb fehlten manchmal e<strong>in</strong>ige Credits auf <strong>de</strong>m Kreditchip <strong>de</strong>r Kanzlei!“„Sorry, Duncan. Ich habe das Geld genommen, <strong>de</strong>nn ich wollte euch nicht sagen, dasswir uns auch auf e<strong>in</strong>e mögliche Nie<strong>de</strong>rlage vor Gericht vorbereiten.“Anne Lan<strong>de</strong>r schaltete sich unterstützend e<strong>in</strong>: „Bitte seid nicht böse, aber lasst uns dochheute Abend <strong>in</strong> Ruhe darüber sprechen. Jeremiah und ich haben bei <strong>de</strong>r Botschaft <strong>de</strong>sHauses Liberty bereits vier E<strong>in</strong>bürgerungsanträge besorgt. Man hat uns zugesichert, dasssie auch mit nahezu hun<strong>de</strong>rtprozentiger Sicherheit angenommen wer<strong>de</strong>n. Auf PlanetPittsburgh wer<strong>de</strong>n immer neue Siedler gesucht.“„Planet Pittsburgh!“, rief Avery erschrocken aus. „Das ist e<strong>in</strong>e Wüsten- und Bergbauweltund daher ke<strong>in</strong> guter Ort! Niemand geht dort freiwillig h<strong>in</strong>!”„Vermutlich hast du genau das vor zwei Jahren auch noch über Planet Leeds gesagt,Duncan. Uns ist gleich, wo wir neu anfangen. Gera<strong>de</strong> an solchen Orten bedarf es GottesWort beson<strong>de</strong>rs dr<strong>in</strong>gend. Ich habe nichts an<strong>de</strong>res gelernt als das Wort <strong>de</strong>s Herrn zupredigen und möchte es auch wie<strong>de</strong>r tun. Auf Planet Pittsburgh wer<strong>de</strong> ich gebraucht. Hier<strong>in</strong> Bretonia nicht mehr.“Von ähnlichen Gedanken durchdrungen wie se<strong>in</strong> Freund sie hegte, murmelte Lan<strong>de</strong>r:„Müssen wir das alles <strong>de</strong>nn sofort entschei<strong>de</strong>n, Vater?“„Anne und ich haben uns bereits entschie<strong>de</strong>n, Patrick. Obwohl wir es natürlich gernsehen wür<strong>de</strong>n, wenn ihr bei<strong>de</strong> mitkommt, können wir aber auch verstehen, dass ihr eserst verdauen müsst. Planet Pittsburgh ist außer<strong>de</strong>m vielleicht nicht <strong>de</strong>r richtige Ort füreuch. Euch bieten sich sicherlich irgendwo an<strong>de</strong>rs bessere Chancen. Lasst euch <strong>de</strong>shalbmit <strong>de</strong>r Entscheidung Zeit, K<strong>in</strong><strong>de</strong>r. Wir haben ja auch sechs Monate gebraucht. Lasst unsjetzt zunächst zurück nach Leeds fliegen.“„Ja, tun wir das.“ Avery fasste sich etwas und legte Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Arm um <strong>die</strong> Schulter.„Tut mir wirklich leid, dass ich wie<strong>de</strong>r versagt habe.“„Und ich bedaure, dass du das immer noch <strong>de</strong>nkst. Du hast nicht versagt und bist immernoch me<strong>in</strong> bester Freund. Br<strong>in</strong>gen wir <strong>de</strong>n Spießrutenlauf h<strong>in</strong>ter uns und verlassen wirendlich <strong>die</strong>sen Drecksplaneten.“„Vorher wür<strong>de</strong> ich gern noch zum Bomb Victim Memorial gehen, Patrick.“Lan<strong>de</strong>r zuckte zusammen und realisierte, wie wenig er all <strong>die</strong> Wochen daran gedachthatte, dass Averys Familie damals auf <strong>die</strong>sem Planeten durch <strong>die</strong> E<strong>in</strong>wirkung <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>nCorsairs über New London abgeworfenen Fusionsbombe ums Leben gekommen war.„Natürlich, Duncan. Verzeih mir, dass ich nicht daran gedacht habe.“„Es ist schon gut so. Ich habe selbst nicht daran <strong>de</strong>nken wollen. Nun möchte ich jedochAbschied nehmen.“„Ist schon gut. Soll ich mitgehen? O<strong>de</strong>r möchtest du lieber alle<strong>in</strong>…“„Hör bitte auf, so blö<strong>de</strong> Fragen zu stellen. Ich glaube nicht, dass ich es alle<strong>in</strong> schaffe!“Avery nahm <strong>die</strong> Brille ab und wischte sich hastig über <strong>die</strong> Augen.Wortlos legte auch Lan<strong>de</strong>r e<strong>in</strong>en Arm um ihn und drückte so se<strong>in</strong>e Gefühle aus.Jeremiah Lan<strong>de</strong>r rückte näher, legte Avery kurz <strong>die</strong> Hand auf <strong>die</strong> Schulter und offerierte:„Wenn es dir recht ist, kommen wir auch mit, Duncan. Wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Familie. Du gehörstzu uns, und ich möchte e<strong>in</strong> Gebet sprechen. Für <strong>de</strong><strong>in</strong>e Familie und alle an<strong>de</strong>ren.“„Ja, das wäre sehr nett, Jeremiah. Sie waren ke<strong>in</strong>e so gute Familie wie ihr, aber…“„Aber sie waren <strong>de</strong><strong>in</strong>e Verwandten. Wir verstehen dich“, beruhigte <strong>die</strong> gleichfalls näherherangekommene Anne Lan<strong>de</strong>r ihn.Zusammen verließen sie als Letzte <strong>de</strong>n Gerichtssaal und kaum zwei M<strong>in</strong>uten später auchdas aus <strong>de</strong>r Grün<strong>de</strong>rzeit stammen<strong>de</strong> Gerichtsgebäu<strong>de</strong> auf Planet New London. Auf<strong>die</strong>sem Teil <strong>de</strong>s Planeten hatte es bei <strong>de</strong>r Explosion <strong>de</strong>r Fusionsbombe ke<strong>in</strong>eVerwüstungen gegeben. E<strong>in</strong> schwacher Trost angesichts <strong>de</strong>r Flächenverwüstung auf <strong>de</strong>ran<strong>de</strong>ren Seite <strong>de</strong>r bretonischen Hauptwelt und <strong>de</strong>r vielen Menschen, <strong>die</strong> dort <strong>de</strong>n Todgefun<strong>de</strong>n hatten. Und doch g<strong>in</strong>g das Leben hier normal weiter.E<strong>in</strong> wahres Blitzlichtgewitter empf<strong>in</strong>g sie draußen, und Mikrofone wur<strong>de</strong>n ihnen vorsGesicht gehalten, während von allen Fragen auf sie e<strong>in</strong>prasselten.


Niemand von ihnen gab Antworten, und selbst <strong>de</strong>r sich vordrängeln<strong>de</strong> W<strong>in</strong>ston Treverneg<strong>in</strong>g zunächst leer aus, bis Lan<strong>de</strong>r sich aus e<strong>in</strong>em kurzen Impuls heraus herumdrehteund leise sprach: „Danke für alles. Ich bedaure sehr, Ihnen sagen zu müssen, dassDuncan und ich nicht schwul s<strong>in</strong>d. Bitte <strong>de</strong>nken Sie nicht schlecht von uns, aber wir s<strong>in</strong>dnur Freun<strong>de</strong>. Freun<strong>de</strong> fürs Leben. Viel Glück.“Jene persönlichen Worte wur<strong>de</strong>n natürlich nach ganz Sirius übertragen und mochtengenerell wenig aussagen, aber e<strong>in</strong>em Hyperbroadcastreporter und <strong>de</strong>m verme<strong>in</strong>tlichenLiebespaar be<strong>de</strong>uteten sie sehr viel.„Warum hast du das gemacht?“, wollte Avery leise wissen, als sie durch <strong>die</strong> Absperrunge<strong>in</strong>iger Polizisten g<strong>in</strong>gen und <strong>de</strong>n wie verste<strong>in</strong>ert wirken<strong>de</strong>n Mann sowie <strong>die</strong> restlichePressemeute h<strong>in</strong>ter sich zurückgelassen hatten.„Es macht doch auch ke<strong>in</strong>en Unterschied mehr.“ Lan<strong>de</strong>r w<strong>in</strong>kte e<strong>in</strong> Flugtaxi heran, dassie zum Bomb Victim Memorial br<strong>in</strong>gen sollte. „Falls du es genau wissen willst: Wegenme<strong>in</strong>er Eltern“, flüsterte er schließlich noch. „Sie wer<strong>de</strong>n es im konservativen Libertysonst schwer haben.“Daraufh<strong>in</strong> sagte Avery auf <strong>de</strong>m ganzen Flug nichts mehr, aber nach<strong>de</strong>m er e<strong>in</strong>e langeWeile alle<strong>in</strong> an <strong>de</strong>m Denkmal <strong>de</strong>r Ge<strong>de</strong>nkstätte gekniet hatte, nahm er das Gesprächwie<strong>de</strong>r auf, ohne e<strong>in</strong>e Träne vergossen zu haben: „Jetzt geht es mir besser. Endlichkonnte ich auf irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>e Weise Abschied nehmen und me<strong>in</strong>en Frie<strong>de</strong>n mit me<strong>in</strong>em Vatermachen. Nur, was <strong>die</strong> Zukunft betrifft: De<strong>in</strong>en Worten im Wagen entnehme ich, dass dunicht mit ihnen nach Planet Pittsburgh gehen willst?“„Ich weiß es nicht. Was <strong>de</strong>nkst du <strong>de</strong>nn?“Der völlig gefasst wirken<strong>de</strong> Avery sah zu <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Engel mit <strong>de</strong>n gefalteten Hän<strong>de</strong>nund <strong>de</strong>n ausgebreiteten Schw<strong>in</strong>gen hoch, zuckte <strong>die</strong> Achseln und stand auf. „Ich möchtenicht dorth<strong>in</strong>, aber ich wür<strong>de</strong> gehen, wenn du dorth<strong>in</strong> übersie<strong>de</strong>ln willst.“„Genau dasselbe habe ich auch geme<strong>in</strong>t.“Avery musste daraufh<strong>in</strong> zu Lan<strong>de</strong>rs Eltern, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>ige Schritte entfernt auf <strong>de</strong>nMarmorplatten stan<strong>de</strong>n, h<strong>in</strong>sehen. „Das be<strong>de</strong>utet, dass wir uns von Anne und Jeremiahtrennen und etwas an<strong>de</strong>res tun müssen.“„Wir wer<strong>de</strong>n etwas f<strong>in</strong><strong>de</strong>n, Duncan. Wir s<strong>in</strong>d erwachsen. Damals war es bei mir auchnicht an<strong>de</strong>rs, als ich zur Navy gegangen b<strong>in</strong>. Sie entschei<strong>de</strong>n jetzt über ihr weiteresLeben und wir über unseres. Wir wer<strong>de</strong>n ihnen außer<strong>de</strong>m Geld schicken müssen. Vaterstellt sich das alles zu e<strong>in</strong>fach vor. Auch auf Pittsburgh wird er Geld brauchen, und dasbekommt man dort fast nur im Bergwerk. Genau das will ich aber nicht, weil es dort soviele Grubenunglücke gibt. Er ist für solche Abenteuer außer<strong>de</strong>m langsam zu alt.“„Lass uns doch <strong>die</strong> Beratungskanzlei auf Leeds erst e<strong>in</strong>mal wie<strong>de</strong>reröffnen, bis uns e<strong>in</strong>ebessere Alternative e<strong>in</strong>fällt.“Lan<strong>de</strong>r lächelte unsicher und drückte ihm <strong>die</strong> Hand. „Es wäre sicherlich das Beste. Lassuns <strong>in</strong> Ruhe überlegen. Ich b<strong>in</strong> je<strong>de</strong>nfalls froh, dass es dir besser geht.“„Mir geht es sogar gut, so absurd das am heutigen Tag auch kl<strong>in</strong>gen mag. Ich habe <strong>die</strong>losen En<strong>de</strong>n <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Leben gera<strong>de</strong> endlich wie<strong>de</strong>r zu e<strong>in</strong>em Ganzen zusammenfügenkönnen, Patrick. Darum geht es mir jetzt so gut wie seit Jahren nicht mehr.“„Das freut mich sehr.“Arm <strong>in</strong> Arm schlen<strong>de</strong>rten sie zu <strong>de</strong>m warten<strong>de</strong>n Ehepaar zurück.Kaum drei Stun<strong>de</strong>n später saßen sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Cly<strong>de</strong>sdale e<strong>in</strong>er Transportgesellschaft, <strong>die</strong>sie zurück nach Planet Leeds brachte.Vor ihrer Haustür saß zu Lan<strong>de</strong>rs Überraschung e<strong>in</strong> Mann <strong>in</strong> Zivil auf <strong>de</strong>r Treppe, <strong>de</strong>n ernicht hier erwartet hätte. Avery h<strong>in</strong>gegen wirkte nur irritiert. „Warten Sie auf uns,Mister…“„Darf ich euch Capta<strong>in</strong>lieutenant Karl Ulrich von <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr vorstellen?Capta<strong>in</strong>lieutenant, das s<strong>in</strong>d me<strong>in</strong>e Eltern und Duncan Avery.“„Sehr angenehm.“ Avery war m<strong>in</strong><strong>de</strong>stens genauso überrascht wie Lan<strong>de</strong>rs Eltern, aber erfasste sich rasch und streckte <strong>die</strong> Hand aus. „Patrick hat mir von Ihnen erzählt. Siewaren doch <strong>de</strong>r Offizier, <strong>de</strong>r ihn auf <strong>de</strong>m Überführungsflug nach se<strong>in</strong>er Verhaftung…“„Ich schlage vor, dass wir <strong>die</strong>s alles wirklich besser <strong>in</strong>nerhalb <strong>de</strong>r Wohnung ausmachen.Mir ist kalt, <strong>de</strong>nn lei<strong>de</strong>r hat es draußen wie aus Eimern gegossen, und mir steht <strong>de</strong>r S<strong>in</strong>njetzt nach e<strong>in</strong>em Tee!“ Mit e<strong>in</strong>em knappen F<strong>in</strong>gerzeig wies Anne Lan<strong>de</strong>r auf <strong>die</strong> von ihrem


Mann aufgeschlossene Tür. Ulrich lächelte breit und küsste ihre kurz dargereichte, nasseHand. „Ganz wie Sie wünschen, Madam.“„Ist ja gut, Sie bekommen auch e<strong>in</strong>en Tee, obwohl Sie im Gegensatz zu uns nicht nassgewor<strong>de</strong>n s<strong>in</strong>d!“Irritiert starrte <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Breton<strong>in</strong> nach. „Habe ich gera<strong>de</strong> vielleicht etwasFalsches gesagt, Lieutenant Lan<strong>de</strong>r? Ich wollte nicht…“„Oh ne<strong>in</strong>, Anne ist nur nicht so ganz daran gewöhnt, dass Leute mit guten Manieren beiuns vorstellig wer<strong>de</strong>n.“ Die Hand mit e<strong>in</strong>em Lächeln <strong>in</strong> Richtung <strong>de</strong>s Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>rsausstreckend, stellte ihr Mann sich vor: „Jeremiah Lan<strong>de</strong>r.“„Ihr Sohn hat ja bereits erklärt, wer ich b<strong>in</strong>.“ Mit e<strong>in</strong>em Bl<strong>in</strong>zeln <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Augen schüttelte<strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r <strong>die</strong> angebotene Hand und legte danach wie sie alle <strong>de</strong>n Mantel ab. „Ine<strong>in</strong>er H<strong>in</strong>sicht muss ich Ihnen allerd<strong>in</strong>gs wi<strong>de</strong>rsprechen, Lieutenant. Ich b<strong>in</strong> mittlerweileKorvettenkapitän und als Zweiter Offizier auf <strong>die</strong> Westfalen <strong>in</strong>s Hamburg-System versetztwor<strong>de</strong>n.“„Me<strong>in</strong>e Gratulation! Sie haben es mit Sicherheit ver<strong>die</strong>nt!“, rief Lan<strong>de</strong>r ehrlich erfreutaus.„Dito“, schloss Avery sich <strong>de</strong>r Gratulation an.„Es ist <strong>de</strong>r Lauf <strong>de</strong>r D<strong>in</strong>ge. Ich habe nur me<strong>in</strong>en Job gemacht, aber Konteradmiral Beckerwar <strong>de</strong>r Me<strong>in</strong>ung, dass ich das besser tun wür<strong>de</strong> als an<strong>de</strong>re, und hat mich daher für <strong>de</strong>nPosten vorgeschlagen.“ Die Augen <strong>de</strong>s ausländischen Offiziers blitzten, als er lachte.„Manchmal vermisse ich jedoch <strong>die</strong> Grenzwelten, <strong>de</strong>nn im Hamburg-System ist so gutwie nichts los, wenn man es mit Stuttgart und <strong>de</strong>n Omega-Systemen vergleicht. Mankann aber eben nicht alles haben.“„Ich freue mich sehr für Sie. Nur, was machen Sie <strong>de</strong>nn hier auf Planet Leeds?“Der Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r zuckte <strong>die</strong> Achseln und setzte sich auf e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Küchenstühle. „Ich b<strong>in</strong>seit vorgestern hier im Urlaub und habe vor e<strong>in</strong>igen Stun<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>en Anruf erhalten. Siewissen ja, wie es <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzstreitkräften so ist. Auch wenn man ausschei<strong>de</strong>t bleiben<strong>die</strong> alten Verb<strong>in</strong>dungen bestehen. E<strong>in</strong> e<strong>in</strong>flussreicher Freund, wie ich ihn jetzt kurzerhan<strong>de</strong><strong>in</strong>mal nennen will, hat sich bei mir gemel<strong>de</strong>t und mich um e<strong>in</strong>en Gefallen gebeten. Siebei<strong>de</strong> dürften wissen, von wem ich spreche, auch wenn se<strong>in</strong> Name hier <strong>in</strong> Bretoniaaufgrund <strong>de</strong>r Wahrheitsdrogenaffäre besser nicht laut genannt wird.“Nach e<strong>in</strong>em langen Blick zu Avery, <strong>de</strong>r plötzlich beunruhigt wirkte, nickte Lan<strong>de</strong>rvorsichtig. „Ja, wir wissen, von wem Sie sprechen.“„Nun, sowohl <strong>de</strong>r Freund als auch ich haben <strong>die</strong> Hyperbroadcastübertragungen vomProzess auf New London verfolgt. Wir bei<strong>de</strong> bedauerten Ihre vor Gericht erlitteneNie<strong>de</strong>rlage außeror<strong>de</strong>ntlich, aber da unser Freund sich Ihrer unglücklichen Lage besserbewusst ist als ich, hat er sich an mich gewandt, um mich zu bitten, Ihnen bei<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>eNachricht zu überbr<strong>in</strong>gen. Er hat auf gewisse Weise vorgesorgt...“Averys Faust krachte laut auf <strong>de</strong>n Tisch. „Hat <strong>de</strong>nn halb Sirius damit gerechnet, dass wir<strong>de</strong>n verdammten Prozess verlieren, bloß wir bei<strong>de</strong> nicht?!“Ulrich zog <strong>die</strong> Augenbrauen hoch. „Wür<strong>de</strong>n Sie mich bitte zu En<strong>de</strong> anhören?“Lan<strong>de</strong>r ignorierte <strong>de</strong>n Ausbruch se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s. „Dürfte ich fragen, <strong>in</strong>wiefern Vorsorgegetroffen wur<strong>de</strong>?“„Darauf wollte ich ja gera<strong>de</strong> kommen. Es geschah <strong>in</strong> Form e<strong>in</strong>es Angebots, Mister Lan<strong>de</strong>r.Besagtem Freund ist bekannt, dass Sie und Ihre Familie <strong>die</strong> Ausreise nach Liberty planen.Genau genommen nach Planet Pittsburgh.“Als Avery erstaunt zu e<strong>in</strong>er erneuten Unterbrechung ansetzen wollte, während auch <strong>die</strong>verblüffte Anne Lan<strong>de</strong>r sich umgedreht und e<strong>in</strong>e <strong>de</strong>mentsprechen<strong>de</strong> Frage auf <strong>de</strong>r Zungehatte, zuckte <strong>de</strong>r Korvettenkapitän <strong>die</strong> Achseln. „E<strong>in</strong> Vögelchen hat es ihm wohlgezwitschert. Fest steht, dass er Ihnen allen e<strong>in</strong> besseres Angebot machen möchte.Lei<strong>de</strong>r ist es auf Planet New Berl<strong>in</strong> eher kalt als heiß, aber ich <strong>de</strong>nke, dass Sie sich se<strong>in</strong>enmir am Telefon diktierten Brief an Sie bei<strong>de</strong> e<strong>in</strong>mal durchlesen sollten. Möchten Sie ihnhaben?“„Bloßes Ansehen scha<strong>de</strong>t ja nicht, o<strong>de</strong>r?“„Ich weiß nicht, Patrick.“ Averys Er<strong>in</strong>nerung an Rhe<strong>in</strong>land und <strong>die</strong> dortige Behandlungdurch <strong>de</strong>n Geheim<strong>die</strong>nst war schlechter als Lan<strong>de</strong>rs.„Lesen Sie es e<strong>in</strong>fach und sagen Sie Ja o<strong>de</strong>r Ne<strong>in</strong>. Diesmal hat alles se<strong>in</strong>e Richtigkeit.“Ulrich zauberte e<strong>in</strong>en Umschlag hervor und legte ihn auf <strong>de</strong>n Tisch. „Wenn Sie möchten,


wer<strong>de</strong> ich Sie an <strong>die</strong>ser Stelle auch verlassen, <strong>de</strong>nn es ist e<strong>in</strong>e Telefonnummerangegeben, <strong>die</strong> Sie wählen sollen, falls Sie sich dafür entschei<strong>de</strong>n. Sie haben natürliche<strong>in</strong>ige Tage Zeit, um sich über Ihre Zukunft klar zu wer<strong>de</strong>n. Ich wür<strong>de</strong> dann nämlich jetztme<strong>in</strong>en Urlaub fortsetzen und zu me<strong>in</strong>en Freun<strong>de</strong>n auf Planet Cambridge zurückfliegenwollen.“„Halt!“, herrschte Anne Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Besucher an und brachte <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n jüngeren Männeram Tisch damit zum Lachen. „So nun nicht, werter Herr! Sie bleiben gefälligst hier, bisSie Ihren Tee ausgetrunken haben, Sie Gent!“Angesichts von Averys lautem Herausplatzen, Lan<strong>de</strong>rs offensichtlicher Heiterkeit und <strong>de</strong>munerwartet energischen Kommandoton <strong>de</strong>r ehemaligen Pfarrersfrau ließ <strong>de</strong>r überrumpelteUlrich sich auf <strong>de</strong>n Stuhl zurücks<strong>in</strong>ken.Auf Socken, mit e<strong>in</strong>em als Turban gewickelten Handtuch auf <strong>de</strong>m Kopf, se<strong>in</strong>er Lesebrilleauf <strong>de</strong>r Nase und <strong>de</strong>r Bibel <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand kam Jeremiah Lan<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Wohnzimmer <strong>in</strong><strong>die</strong> Küche. „Was brüllst du <strong>de</strong>nn so herum, Frau?“Die erneut ausbrechen<strong>de</strong> Heiterkeit angesichts <strong>die</strong>ser patriarchalischen Bemerkung und<strong>de</strong>r allgeme<strong>in</strong>en Ersche<strong>in</strong>ung <strong>de</strong>s ehemaligen Geistlichen schloss <strong>die</strong>smal auch Karl Ulriche<strong>in</strong>. „Ich glaube, langsam verstehe ich <strong>de</strong>n bretonischen Humor. Planet Leeds mag nichtgera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>e touristische Attraktion se<strong>in</strong>, aber <strong>die</strong> Menschen hier s<strong>in</strong>d wirklich <strong>in</strong>Ordnung!“, brachte <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r unter Lachtränen hervor.„Danke für das Kompliment, aber tun Sie mir bitte e<strong>in</strong>en Gefallen, Comman<strong>de</strong>r“, wandteAvery sich ernst an <strong>de</strong>n Gast.„Ehhh… und welchen?“„Sie sagten doch, dass Sie <strong>de</strong>n bretonischen Humor verstehen. Könnten Sie ihn mir bei<strong>die</strong>ser Gelegenheit vielleicht erklären? Damit haben Sie nämlich bei Weitem mehrgeschafft als ich.“Mit e<strong>in</strong>em Klirren lan<strong>de</strong>te <strong>die</strong> Teetasse auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n und zerbrach, als Anne Lan<strong>de</strong>re<strong>in</strong>en gewaltigen Heiterkeitsanfall bekam. Jetzt lachte sogar <strong>die</strong> ganze Familie - und <strong>de</strong>rRhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r erneut auch, als er etwas zeitverzögert <strong>de</strong>n auf se<strong>in</strong>e Kosten gehen<strong>de</strong>nScherz <strong>de</strong>s ehemaligen Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs verstan<strong>de</strong>n hatte.Erst nach<strong>de</strong>m er sich wie<strong>de</strong>r etwas beruhigt hatte, brachte Patrick Lan<strong>de</strong>r es fertig, nachKonrad Fel<strong>de</strong>ns Brief zu greifen und ihn zu öffnen.


Kapitel XVIII - Vertrauen und Freundschaft„Hast du <strong>die</strong> Akte e<strong>in</strong>es gewissen Herman Eggsfield auf <strong>de</strong><strong>in</strong>em Screen, Duncan?“, riefPatrick Lan<strong>de</strong>r quer durch das kle<strong>in</strong>e Büro, bevor er erneut auf <strong>de</strong>n Formularstapel aufse<strong>in</strong>em Tisch sah und schwer seufzte.Rhe<strong>in</strong>land war an<strong>de</strong>rs als Bretonia. Für alles gab es Tausen<strong>de</strong> Seiten Papierkram - undwenn es nur <strong>de</strong>n monatlichen Verbrauch an Büroklammern betraf. Das war jedoch nichtdas Schlimmste. Es war viel schlimmer, dass er <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Papierbergen schier erstickte. Vore<strong>in</strong>er Woche hatte er sogar nachts davon geträumt und war schweißgeba<strong>de</strong>t <strong>in</strong> se<strong>in</strong>emSchlafzimmer <strong>in</strong> ihrer geme<strong>in</strong>samen Wohnung aufgewacht. E<strong>in</strong> Schreibtischjob war fürihn schon immer e<strong>in</strong> Alptraum gewesen.„Hey, Duncan!“ Lan<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong> lauter. „Leutnant Wagner möchte auf <strong>die</strong> Akte zugreifenund kann es nicht, weil du vermutlich das File blockierst! Geh da raus!“Quer durch <strong>de</strong>n Raum sah er, dass Avery immer noch ke<strong>in</strong>e Anstalten machte. „Sorry,Leutnant. Wer<strong>de</strong> mich sofort darum kümmern.“Froh, für e<strong>in</strong>en Moment se<strong>in</strong>en eigenen hohen Papierstapeln zu entr<strong>in</strong>nen, knallte Lan<strong>de</strong>r<strong>de</strong>n Telefonhörer auf <strong>die</strong> Gabel und stand auf.„Patrick an Duncan, bitte kommen!“Erst e<strong>in</strong>e Wie<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>ssen, als er bereits vor <strong>de</strong>m Platz se<strong>in</strong>es besten Freun<strong>de</strong>sstand, führte dazu, dass Avery <strong>die</strong> Augen vom Bildschirm abwandte. Se<strong>in</strong>Gesichtsausdruck war son<strong>de</strong>rbar, als er <strong>de</strong>n Monitor herumdrehte. „Lies das hier malbitte, Patrick.“Vergessen war das von <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r<strong>in</strong> angefor<strong>de</strong>rte File, als er auf <strong>de</strong>m Bildschirm <strong>die</strong>Homepage e<strong>in</strong>er großen bretonischen Nachrichtenagentur erblickte. Averys und se<strong>in</strong>eigenes Deutsch war nach nicht e<strong>in</strong>mal zwei Monaten noch nicht son<strong>de</strong>rlich weitge<strong>die</strong>hen, weshalb sie ihre Nachrichten stets aus <strong>de</strong>m Netz holten. So hatte Avery esauch jetzt getan, aber er war wohl genauso überrascht gewesen wie Lan<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn auf<strong>de</strong>r Frontpage prangte Daniel Fowleys Konterfei. Gegenüber <strong>de</strong>m e<strong>in</strong>er Frau, <strong>die</strong> wohl<strong>de</strong>ssen Schwester Helen se<strong>in</strong> musste.„Lady Fowley gew<strong>in</strong>nt Prozess auf New London”, las Lan<strong>de</strong>r halblaut vor.„Er hat verloren, Patrick. Er bekommt nur <strong>die</strong> Abf<strong>in</strong>dung, <strong>die</strong> er vor Monaten abgelehnthat. Se<strong>in</strong>e Schwester erbt alles alle<strong>in</strong>. Inklusive <strong>de</strong>s Titels. Ihre K<strong>in</strong><strong>de</strong>r, wenn sie dannmal welche hat, wer<strong>de</strong>n das ganze Erbe bekommen.”Eigentlich sollte er jetzt Triumph empf<strong>in</strong><strong>de</strong>n, aber das wäre billig gewesen. Nach <strong>de</strong>nletzten Wochen und <strong>de</strong>m gewagten Neubeg<strong>in</strong>n auf Planet New Berl<strong>in</strong> fühlte Lan<strong>de</strong>r sichdazu kaum mehr <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Lage. Die Vergangenheit schien ihm manchmal unendlich fern,fast wie e<strong>in</strong> an<strong>de</strong>res Leben. In gewisser Weise stimmte das ja auch. Der rhe<strong>in</strong>ländischeMilitärgeheim<strong>die</strong>nst, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mann angehörte, <strong>de</strong>n sie nur als Konrad Fel<strong>de</strong>n kannten,hatte sie hergeholt und ihnen bei<strong>de</strong>n e<strong>in</strong>e Wohnung, e<strong>in</strong>en Job bei <strong>de</strong>n Grenzstreitkräftenund <strong>die</strong> rhe<strong>in</strong>ländische Staatsbürgerschaft verschafft. Es war zwar e<strong>in</strong> ziviler, aber e<strong>in</strong>fairer und vor allem sehr gut bezahlter Job. Eben e<strong>in</strong>e ungefährliche und wenig stressigeArbeit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er neuen Umgebung. Wie Patrick Lan<strong>de</strong>r dachte, war ihr eigenes Haus wohlfroh gewesen, dass sie nach Rhe<strong>in</strong>land auswan<strong>de</strong>rten. Mit Bretonia verban<strong>de</strong>n sie nurnoch ihre Sprache, ihre Er<strong>in</strong>nerungen und natürlich ihre Gefühle. Der Wechsel <strong>de</strong>rStaatsbürgerschaft war trotz<strong>de</strong>m nicht e<strong>in</strong>fach, wie Averys Reaktion auf jene Nachrichtaus <strong>de</strong>r alten Heimat bewies. Loszulassen und neu anzufangen war schwer.Der Blick se<strong>in</strong>es Freun<strong>de</strong>s war seltsam und nötigte Lan<strong>de</strong>r zu e<strong>in</strong>er Antwort. „Was soll ichjetzt dazu sagen? Ich könnte nicht sagen, dass es mir egal ist, aber nahezu. Er hat se<strong>in</strong>eWahl damals getroffen und sich mit Victor Marlowe e<strong>in</strong>gelassen. Se<strong>in</strong> Freund wird schonfür ihn sorgen. Das Militär wird für ihn sorgen.“„Das ist es ja, Patrick. Er steht auf <strong>de</strong>r Straße. In <strong>de</strong>m Artikel steht, dass er pleite ist,weil er hohe Schul<strong>de</strong>n hat. Zweifellos Victor Marlowes Schul<strong>de</strong>n.“„Dann kann ich ihn umso weniger bedauern.“ Lan<strong>de</strong>r zuckte <strong>die</strong> Achseln. „Er wird ebenarbeiten müssen wie wir auch. In spätestens vier Jahren ist er Comman<strong>de</strong>r. E<strong>in</strong>Lieutenant Comman<strong>de</strong>r dürfte bereits um <strong>die</strong> zehntausend Credits pro Monat ver<strong>die</strong>nen.“„E<strong>in</strong> Navyoffizier <strong>de</strong>r vierten Gehaltsstufe bekommt 8.780 Credits plus gelegentlicheReisezulagen“, korrigierte Avery.


„Sage ich doch. Also warum machst du dir solche Sorgen um jeman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r dich tiefverletzt hat, Duncan? Er wird schon klarkommen.“„Marlowe hat sich von ihm distanziert. Ich mache mir auch ke<strong>in</strong>e Sorgen, aber ichempf<strong>in</strong><strong>de</strong> tiefes Mitleid mit Fowley. Trotz allem, was er damals zu mir gesagt hat. DieNavy hat mit ihm dasselbe gemacht wie mit mir. Hier steht, dass er aufgrund psychischerProbleme auf eigenen Wunsch entlassen wur<strong>de</strong>.“„Und wer sagt, dass <strong>die</strong>s nicht stimmt? Vielleicht will er ja auch mit se<strong>in</strong>er Schwester <strong>die</strong>Bank leiten.“„Ich sage es, <strong>de</strong>nn ich kenne Helen Fowley. Sie ist geizig, und außer<strong>de</strong>m haben er sowiese<strong>in</strong>e Schwester sich <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Prozess völlig verkracht. Sie wird ihm nicht helfen. DieFowleys s<strong>in</strong>d alle Egoisten.“„Ich <strong>de</strong>nke, sie wird es trotz<strong>de</strong>m tun. Er ist ihr letzter naher Verwandter und noch dazuihr Bru<strong>de</strong>r. Und außer<strong>de</strong>m, was erwartest du überhaupt? Soll ich mich etwa anbie<strong>de</strong>rnund ihm Hilfe offerieren? Das kannst du vergessen! Er hat mich oft genug genarrt undbelogen. Ich b<strong>in</strong> mit ihm fertig!“„Und ich b<strong>in</strong> gleich mit Ihnen bei<strong>de</strong>n fertig, wenn Sie nicht sofort <strong>die</strong> Eggsfield-Aktefreigeben und hier noch lange quatschen!“ Leutnant Wagner kam eiligen Schrittes zumSchreibtisch, warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>de</strong>n Screen und schüttelte resigniert <strong>de</strong>n Kopf. „Rausaus <strong>de</strong>m File, Herr Avery!“„Aye, Madam.“ Der ertappte Schuldige hatte e<strong>in</strong>en hochroten Kopf bekommen, wieLan<strong>de</strong>r nicht unamüsiert beobachtete. Vor allem aber schloss er sowohl das Nachrichtenalsauch das Programmfenster.„Das heißt Fräule<strong>in</strong>, Herr Avery! O<strong>de</strong>r me<strong>in</strong>etwegen auch Leutnant, obwohl Sie bei<strong>de</strong> jake<strong>in</strong>e Angehörigen <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr s<strong>in</strong>d. Nur bitte re<strong>de</strong>n Sie endlich Deutsch mit IhrenKollegen! Und wenn Sie nicht <strong>in</strong> naher Zukunft e<strong>in</strong>e bessere Arbeitsmoral an <strong>de</strong>n Taglegen und vor allem stark an Ihrem Deutsch arbeiten, wer<strong>de</strong>n Sie auch <strong>in</strong> sechs Jahren,wenn <strong>die</strong> Verjährungsfrist und <strong>die</strong> damit verbun<strong>de</strong>ne Eidsb<strong>in</strong>dung an das Haus Bretoniaabläuft, noch immer ke<strong>in</strong>e Angehörigen unserer Streitkräfte se<strong>in</strong>! War das <strong>de</strong>utlich?“Den jungen rothaarigen Feger mit <strong>de</strong>m kurzen Uniformrock anstarrend, verbiss Lan<strong>de</strong>rsich e<strong>in</strong> Lachen. „Ja, Fräule<strong>in</strong>.“„Ja, Sir… eh Miss… eh Froille<strong>in</strong>.“E<strong>in</strong>en ernsthaften Hustenanfall vortäuschend versuchte Lan<strong>de</strong>r krampfhaft, nicht <strong>in</strong>lautes Gelächter auszubrechen. Vergessen war Daniel Fowley, <strong>de</strong>nn Duncan Averys Faiblefür Leutnant Christ<strong>in</strong>a Wagner war schon oft Ziel se<strong>in</strong>es freundschaftlichen Spottesgewesen. Heute hatte Avery sich mit <strong>die</strong>ser Nummer erneut selbst ans Messer geliefert.Das Gesicht <strong>de</strong>s ehemaligen bretonischen Lieutenant Comman<strong>de</strong>rs war mittlerweilefeuerrot, obwohl <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r<strong>in</strong> gute sieben Jahre jünger war als er.„Aus Ihnen wird nie etwas, Herr Avery!“, urteilte sie to<strong>de</strong>rnst und führte damit Lan<strong>de</strong>rsAusbruch endgültig herbei. „Lachen Sie mich etwa aus, Herr Lan<strong>de</strong>r?“„Verzeihung, eh… Leutnant. Ich habe mir <strong>in</strong> <strong>de</strong>m für mich noch ungewohnten Klima NewBerl<strong>in</strong>s wohl e<strong>in</strong>e Erkältung…“„Ihr Gr<strong>in</strong>sen gehört eher zu <strong>de</strong>n Symptomen <strong>de</strong>r Lachkrankheit als zu <strong>de</strong>nen irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>erErkältung. Zum Glück weiß ich dagegen aber Abhilfe. Überstun<strong>de</strong>n zum Beispiel o<strong>de</strong>r…“„… o<strong>de</strong>r?“, führte Avery <strong>de</strong>n Fragesatz fort.„Ich wer<strong>de</strong> mir schon etwas aus<strong>de</strong>nken! Sie bei<strong>de</strong> s<strong>in</strong>d je<strong>de</strong>nfalls zu nichts zugebrauchen!“ Sie marschierte hocherhobenen Hauptes davon, drehte sich aber noche<strong>in</strong>mal um. Ihre Züge hatten sich geglättet, und sie lächelte <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Männernplötzlich zu. „Nehmen Sie sich heute frei. Sie könnten Ihre Sprachkenntnisse beimSonnenwen<strong>de</strong>nfest voranbr<strong>in</strong>gen, das heute Abend am Fuß <strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>land stattf<strong>in</strong><strong>de</strong>t. Siewissen schon, bald fängt <strong>de</strong>r Sommer auf <strong>die</strong>ser Halbkugel an. Dann wird es auch e<strong>in</strong>igeJahre lang nicht mehr ganz so kalt bei uns.“E<strong>in</strong>e vage Ahnung Lan<strong>de</strong>rs fand damit ihre Bestätigung. Leutnant Wagner wusste nichtrecht, wie sie sich ihnen gegenüber verhalten sollte. Sie war jung - genau genommenetwa <strong>in</strong> Lan<strong>de</strong>rs Alter - und hatte ihre Probleme mit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Angestellten, <strong>die</strong> ihrerAbteilung aus heiterem Himmel auf Anordnung von oben zugeteilt wor<strong>de</strong>n waren. SowohlLan<strong>de</strong>r als auch Avery besaßen mehr praktische Erfahrung und wussten, wie es <strong>in</strong> <strong>de</strong>nGrenzwelten wirklich aussah. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st Avery war auch früher e<strong>in</strong> ranghöherer Offiziergewesen. Verständlicherweise konnte <strong>die</strong> junge Frau damit nicht so recht umgehen.


Ansche<strong>in</strong>end war <strong>die</strong> abgelieferte Arbeit jedoch wirklich nicht so schlecht, wie <strong>de</strong>r fastimmer sehr schlecht gelaunte Leutnant ihnen stets weismachen wollte. Das sprachebenfalls dafür, dass es sich bei <strong>de</strong>r abweisen<strong>de</strong>n Haltung nur um e<strong>in</strong>e Art Schutzpanzerhan<strong>de</strong>lte.Lan<strong>de</strong>r dachte an Averys Verliebtheit sowie <strong>die</strong> Reaktion auf <strong>die</strong> Nachricht aus Bretoniaund beschloss aus <strong>die</strong>sem Grund spontan, se<strong>in</strong>em Freund e<strong>in</strong>en Gefallen zu tun. Er bog<strong>die</strong> Wahrheit etwas zurecht: „Danke für E<strong>in</strong>ladung. Wir kennen uns hier noch nicht allzugut aus. Ich nehme aber an, dass Sie heute auch beim Sleepership se<strong>in</strong> wer<strong>de</strong>n, Fräule<strong>in</strong>Wagner?“Sie blieb unschlüssig stehen. „Soll das e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung se<strong>in</strong>?“Averys entsetztes Gesicht bereitete Lan<strong>de</strong>r nahezu Freu<strong>de</strong>. „Kommt ganz darauf an,Leutnant.“„Kommt wohl eher darauf an, wie lange ich arbeiten muss. Ich habe mich noch nichtentschie<strong>de</strong>n“, erwi<strong>de</strong>rte sie knapp.‚Doch das hast du’, folgerte Lan<strong>de</strong>r. Er ignorierte <strong>de</strong>n heftigen Tritt, <strong>de</strong>n Avery ihmverpasste, und lächelte breit. „Vielleicht begegnet man sich ja heute Abend…“„Ich glaube nicht. Halb New Berl<strong>in</strong> wird heute Abend feiern. Es wird auf <strong>die</strong>ser Hälfte <strong>de</strong>sPlaneten wie an Sylvester se<strong>in</strong>. Davon e<strong>in</strong>mal abgesehen halte ich nichts von zu engenPrivatbeziehungen mit Untergebenen.“„Wäre ja auch durchaus e<strong>in</strong>e lobenswerte Haltung, wenn wir bei<strong>de</strong> nicht noch jahrelangZivilisten wären, Leutnant“, entgegnete Lan<strong>de</strong>r ruhig. „Sie haben es vorh<strong>in</strong> selbsterwähnt.“Er hatte sie <strong>in</strong> <strong>die</strong> Ecke gedrängt, und Christ<strong>in</strong>a Wagner wusste es auch. „Ich <strong>de</strong>nkenicht, dass ich heute Abend gehen wer<strong>de</strong>!“, wich sie aus. „Mir ist nicht nach Feuerwerkund Tanzen.“„Sehr scha<strong>de</strong>. Ihre Gegenwart hätte uns e<strong>in</strong>e große Freu<strong>de</strong> bereitet, und außer<strong>de</strong>mmüssen wir uns nun e<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren ortskundigen Begleiter suchen. Könnten Sie unsvielleicht jeman<strong>de</strong>n empfehlen?“ Die bereits seit Wochen getroffene Verabredung mit KarlUlrich und e<strong>in</strong>igen an<strong>de</strong>ren Bekannten aus <strong>de</strong>m Grenz<strong>die</strong>nst sowie <strong>de</strong>r übrigen Rhe<strong>in</strong>wehrverschwieg Lan<strong>de</strong>r geflissentlich.„Sie geben nicht leicht auf, was?“Lan<strong>de</strong>r sah ihr <strong>in</strong> <strong>die</strong> Augen. „Hätte ich das generell getan, wären Duncan und ich jetztnicht hier.“Sie war es, <strong>die</strong> <strong>de</strong>n Blick senkte. „Was für das Haus Rhe<strong>in</strong>land durchaus scha<strong>de</strong> wäre.“„Nur für das Haus Rhe<strong>in</strong>land?“Sie ergriff <strong>die</strong> Flucht, ohne noch mehr sagen zu müssen. Ihr Ruf: „Heute Abend um zehnOrtszeit hier am Tor, Herr Lan<strong>de</strong>r!“ war aber noch <strong>de</strong>utlich zu hören.„Sag mal sp<strong>in</strong>nst du?“, legte Avery auch prompt los, als sie verschwun<strong>de</strong>n war.„Wieso?“„Erlaube mal, du flirtest mit Miss Wagner, als ob du <strong>in</strong> sie verschossen wärst!“„Was auf dich natürlich überhaupt nicht zutrifft, Duncan. O<strong>de</strong>r höre ich da etwa e<strong>in</strong>enAnflug von Eifersucht aus <strong>de</strong><strong>in</strong>er Stimme und <strong>de</strong><strong>in</strong>en Worten heraus?“„Quatsch!“ Avery schnaubte. „Nur…“„Erstens ist sie nett, zweitens will ich nichts von ihr, und drittens gehst du heute Abendum zehn alle<strong>in</strong> hierher, während ich mit Karl und <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren feiere. Wie ich siee<strong>in</strong>schätze, wird sie nämlich ebenfalls früher da se<strong>in</strong>.“„Du willst wirklich nichts von ihr?“„Himmel, bist du misstrauisch! Ich habe nach <strong>de</strong>r Sache mit Betty für <strong>die</strong> nächsten Jahregenug vom weiblichen Geschlecht, Duncan. Nur waren es nicht e<strong>in</strong>mal <strong>de</strong><strong>in</strong>e Worte, dasse<strong>in</strong>e echte Männerfreundschaft niemals wegen e<strong>in</strong>er Frau Scha<strong>de</strong>n nehmen dürfe?“„Das darf sie auch nicht, aber…“„Aber.“ Lan<strong>de</strong>r tippte ihm auf <strong>die</strong> Brust. „Du sagtest es. Aber. Du bist über bei<strong>de</strong> Ohren<strong>in</strong> sie verliebt, also hör endlich auf, es abzustreiten.“„Ich weiß gar nicht, was ich jetzt noch sagen soll, Patrick.“„Danke wür<strong>de</strong> reichen.“„Aber was ist, wenn sie wirklich <strong>in</strong> dich verschossen ist?“, jammerte Avery.„Dann lei<strong>de</strong>t sie an grober Geschmacksverirrung und braucht e<strong>in</strong>e Therapie.“„Na! Jetzt bist du aber sehr hart zu dir selbst.“


„Manchmal muss man das auch se<strong>in</strong>.“ Lan<strong>de</strong>r lächelte. „Und jetzt Kopf hoch, das hier istdoch nicht <strong>de</strong><strong>in</strong> erstes Date, o<strong>de</strong>r?“Se<strong>in</strong>e Brille abnehmend und umständlich putzend schüttelte Avery <strong>de</strong>n Kopf. „Ne<strong>in</strong>, aberes ist an<strong>de</strong>rs. Ich war damals verlobt, aber ich habe mich nicht so gefühlt.“„Ja, ich kann es mir vorstellen. Das nennt sich Liebe.“„Ich habe mich gera<strong>de</strong> wie e<strong>in</strong> Idiot benommen! B<strong>in</strong> ich etwa auch noch rot gewor<strong>de</strong>n?“„Ne<strong>in</strong>, Duncan. Zum Glück nicht.“ Lan<strong>de</strong>r wandte sich ab, um se<strong>in</strong> Gr<strong>in</strong>sen zu verbergen.„Ich wette aber sowieso, dass sie <strong>de</strong><strong>in</strong> Gestotter nicht bemerkt hat.“„Hoffentlich.“Zum ersten Mal seit langer Zeit war Patrick Lan<strong>de</strong>r alle<strong>in</strong>. Er war vor e<strong>in</strong>er halben Stun<strong>de</strong>nach Hause gefahren und hatte ihre geme<strong>in</strong>same Penthousewohnung <strong>in</strong> Stützpunktnähealle<strong>in</strong> betreten. Sie hatten herausgefun<strong>de</strong>n, dass Leutnant Wagner bis zehn Uhr arbeitenmusste, weshalb Avery entschie<strong>de</strong>n hatte, freiwillig dazubleiben und auchweiterzuarbeiten, um so auf sie zu warten. Lan<strong>de</strong>r schüttelte darüber noch immerverwun<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>n Kopf. Die junge Frau war von Duncan Avery bereits h<strong>in</strong>reichendbee<strong>in</strong>druckt, wie er heute bemerkt hatte. Diese Aktion wäre also wirklich nicht vonnötengewesen, aber wenn se<strong>in</strong> Freund me<strong>in</strong>te…Die Ruhe <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Wohnung war gespenstisch und doch auch wohltuend zugleich. Lan<strong>de</strong>rzog sich um, schaltete <strong>die</strong> Anlage e<strong>in</strong>, um sich noch <strong>die</strong> alltägliche Dosis <strong>de</strong>sSprachkurses Deutsch für Anfänger 2 anzuhören, und machte sich zwischendurch e<strong>in</strong>enToast mit Bohnen fertig.„… Mart<strong>in</strong> und Julia warten auf <strong>de</strong>n Bus zum Raumhafen. Sie wollen heute nach PlanetManhattan <strong>in</strong> Urlaub fliegen. Ihr Bus hat e<strong>in</strong>e Stun<strong>de</strong> Verspätung… Mart<strong>in</strong> and Julia arewait<strong>in</strong>g for the bus to the spaceport. Today they want to go on holiday to PlanetManhattan. Their bus is one hour <strong>de</strong>layed… Vokabeln: Raumhafen – Spaceport,Verspätung – Delay. Urlaub – Holiday… Planetennamen wer<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>r neu<strong>de</strong>utschenSprache stets aus <strong>de</strong>m Orig<strong>in</strong>al übernommen, <strong>die</strong> e<strong>in</strong>zige Ausnahme bil<strong>de</strong>t hier <strong>die</strong>japanische Sprache…“Planet Manhattan - Se<strong>in</strong>e Gedanken schweiften ab, und <strong>in</strong> <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>samkeit <strong>de</strong>r leerenWohnung dachte er plötzlich an se<strong>in</strong>e Eltern. Sie waren nicht mit Avery und ihm nachRhe<strong>in</strong>land gezogen, son<strong>de</strong>rn hatten an ihrer vorherigen I<strong>de</strong>e festgehalten. ‚In Libertyspricht man Englisch, und wir wer<strong>de</strong>n auf Planet Pittsburgh gebraucht. Kannst du dir<strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter mit e<strong>in</strong>em Deutschbuch <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand vorstellen, Patrick? Das wird dochnichts. Planet New Berl<strong>in</strong> ist reich und bietet euch jungen Leuten e<strong>in</strong>e Chance, aber wirwer<strong>de</strong>n nach Liberty zu <strong>de</strong>n Armen auf Planet Pittsburgh gehen.’Und dorth<strong>in</strong> waren <strong>de</strong>r ehemalige Pfarrer und se<strong>in</strong>e Frau auch gegangen. Pittsburgh lag<strong>in</strong> <strong>de</strong>mselben Sektor wie Planet Manhattan. Das war ziemlich weit weg von hier. Seit<strong>de</strong>mmel<strong>de</strong>ten sie sich nur noch höchst selten. Lan<strong>de</strong>r und Avery waren ebenfalls noch nichtdazu gekommen, sie zu besuchen. Sie konnten nicht mal eben ‚<strong>in</strong> Urlaub fliegen’, wie es<strong>die</strong> Sprecher<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Sprachlektion nannte.Die Arbeit von Lan<strong>de</strong>rs Eltern ließ auch nicht zu, dass sie mit <strong>de</strong>m aus Rhe<strong>in</strong>landgeschickten Geld nach New Berl<strong>in</strong> flogen. Der Geistliche und se<strong>in</strong>e Frau bauten mitSpen<strong>de</strong>n und viel lokaler Unterstützung <strong>de</strong>r Bevölkerung <strong>de</strong>s armen Planeten gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong>Waisenhaus mit e<strong>in</strong>er Schule. Lan<strong>de</strong>r vermutete daher, dass all ihr Geld eher dortlan<strong>de</strong>te, anstatt gespart und <strong>in</strong> teure Flugtickets angelegt zu wer<strong>de</strong>n. Das war zwarbedauerlich, aber wenn es se<strong>in</strong>e Eltern glücklich machte! In weniger als vier Monatenwür<strong>de</strong>n <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n jungen Angestellten ihren ersten Urlaub bekommen und konnten dannihrerseits nach Pittsburgh fliegen.Das Telefon kl<strong>in</strong>gelte. Lan<strong>de</strong>r schaltete <strong>die</strong> Stereoanlage mit <strong>de</strong>r langweiligen Lektion abund nahm <strong>de</strong>n Anruf an.„Hi, Karl. … Ja natürlich bleibt es bei heute Abend. Von mir aus können wir auch schonfrüher losgehen. Nur Duncan wird lei<strong>de</strong>r nicht mitkommen, <strong>de</strong>nn er ist an<strong>de</strong>rweitigbeschäftigt… Ja genau. Korrekt geraten… Ne<strong>in</strong>, wirklich nicht… Ja… e<strong>in</strong>e Frau. Du weißtschon, so e<strong>in</strong> Wesen vom an<strong>de</strong>ren Ufer… Ne<strong>in</strong>, das ist mir schon klar, aber hast du etwatatsächlich gedacht, dass wir bei<strong>de</strong> e<strong>in</strong> Pärchen wären? Das kaufe ich dir nicht ab! … Ja,


ich musste etwas dazu beitragen, aber am En<strong>de</strong> hat er doch <strong>de</strong>n Dreh rausbekommenund freut sich riesig… Also schon früher? … Wun<strong>de</strong>rbar. Kommt e<strong>in</strong>fach vorbei, wann eseuch passt… ja, bis dann. Bye.“Gr<strong>in</strong>send drückte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ausknopf <strong>de</strong>s Telefons. Der lebenslustige Karl Ulrich hatte<strong>die</strong> Situation sofort korrekt erfasst und se<strong>in</strong>e Scherze darüber gemacht, dass Avery mite<strong>in</strong>er Frau ausgehen wollte.Der Korvettenkapitän war ihr bester Bekannter <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land, nahezu schon e<strong>in</strong> Freund.Mittlerweile kannten Lan<strong>de</strong>r und Avery auch <strong>die</strong> restliche ehemalige Crew <strong>de</strong>sKanonenbootes, das nun von Ulrichs ehemaligem Kontrolloffizier befehligt wur<strong>de</strong>. Die dreiJungs, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r relativ neu dazugekommene Kontrolloffizier anfangs noch grünerh<strong>in</strong>ter <strong>de</strong>n Ohren gewesen war als Lan<strong>de</strong>r bei se<strong>in</strong>em ersten E<strong>in</strong>satz, wür<strong>de</strong>n ebenfallsmitkommen. Jene Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r hatten <strong>die</strong> bei<strong>de</strong>n ehemaligen Bretonen sofort <strong>in</strong> ihre Mitteaufgenommen und voll akzeptiert.Offiziell arbeiteten Lan<strong>de</strong>r und Avery ja ebenfalls bei <strong>de</strong>n Grenzstreitkräften, wenn auchnur als zivile Verwaltungsangestellte. Sie leisteten e<strong>in</strong>en Teil <strong>de</strong>r Verwaltungsarbeit undRecherche für <strong>die</strong> Grenzsicherungskräfte. Auch <strong>in</strong> Bretonia hatte es e<strong>in</strong>e solche Abteilunggegeben, aber von <strong>de</strong>ren Arbeit hatte Lan<strong>de</strong>r kaum etwas gewusst. Rhe<strong>in</strong>land war besserorganisiert und viel effizienter, was das anbelangte. Vor allem aber war <strong>die</strong> hiesigeMar<strong>in</strong>e nicht so starr und hierarchisch organisiert wie <strong>die</strong> Royal Navy, obwohl gera<strong>de</strong> <strong>die</strong>Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r an sich <strong>in</strong> ganz Sirius jenen Ruf hatten.Beim Weglegen <strong>de</strong>s Telefons bemerkte Lan<strong>de</strong>r, dass mehrere Anrufe auf <strong>de</strong>r Mailbox <strong>de</strong>sGeräts gespeichert waren. Seufzend drückte er <strong>die</strong> Abruftaste.Es begann alles mit e<strong>in</strong>em Werbeanruf für Zahnpasta. Die Datei löschte er sofort. Esfolgte e<strong>in</strong> Aufruf zu e<strong>in</strong>em Gew<strong>in</strong>nspiel. Auch er wur<strong>de</strong> gelöscht. Die dritte Datei betrafe<strong>in</strong>en Anruf von Pittsburgh. Lan<strong>de</strong>r hatte daraufh<strong>in</strong> das Vergnügen, se<strong>in</strong>e Mutterellenlang über ihr erstes Adoptivk<strong>in</strong>d schwadronieren zu hören, das Cathy hieß undsieben Jahre alt war. Ihre Eltern waren bei e<strong>in</strong>em Grubenunglück ums Leben gekommen.Das war also endgültig das En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Besuchshoffnung, <strong>de</strong>nn das Waisenhaus war nochnicht e<strong>in</strong>mal annähernd fertiggestellt. Mit Anhang wür<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Pfarrer und se<strong>in</strong>e Frau <strong>de</strong>nWüstenplaneten jedoch niemals freiwillig verlassen. Nach <strong>de</strong>r Bitte um Rückrufverstummte auch <strong>die</strong>ses Gespräch. Lan<strong>de</strong>r speicherte es für Avery ab, <strong>de</strong>nn se<strong>in</strong> Freundwür<strong>de</strong> sich dafür ebenfalls sehr <strong>in</strong>teressieren.E<strong>in</strong> vierter Listene<strong>in</strong>trag ließ Lan<strong>de</strong>r jedoch zögern, <strong>de</strong>nn <strong>die</strong> Nummer war ellenlang undwies auf e<strong>in</strong> weiteres außerplanetarisches Gespräch h<strong>in</strong>. Die Kennziffer war ihmwohlbekannt und ließ ihn schau<strong>de</strong>rn. Er glaubte nicht an Vorsehung o<strong>de</strong>r auch nurVorahnung, aber er wusste sofort, von wem <strong>de</strong>r Anruf war. Dies ließ ihn sogar an e<strong>in</strong>eLöschung <strong>de</strong>nken, aber trotz<strong>de</strong>m überwand er sich und drückte <strong>de</strong>n Knopf.„Hallo Patrick… ich b<strong>in</strong> es… Daniel Fowley…“Alle<strong>in</strong> <strong>die</strong>se Worte reichten fast, um Lan<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Haut fahren zu lassen. E<strong>in</strong>zig <strong>de</strong>r Ton<strong>in</strong> <strong>de</strong>r Stimme <strong>de</strong>s ehemaligen Freun<strong>de</strong>s verh<strong>in</strong><strong>de</strong>rte <strong>die</strong>s, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r gefallene Lord klangfast fröhlich, und das war angesichts <strong>de</strong>s heute verlorenen Prozesses sehr wi<strong>de</strong>rs<strong>in</strong>nig.„… Es ist scha<strong>de</strong>, dass du nicht zu Hause bist, aber das liegt wohl an <strong>de</strong>rZeitverschiebung. Um ehrlich zu se<strong>in</strong> hätte ich auch nicht gewusst, was ich gemachthätte, wenn du tatsächlich ans Telefon gegangen wärst.“ Fowley lachte auf, aber es klangnervös.„Also bitte nimm nicht ab, selbst wenn du danebenstehst und mithörst. Lass mich e<strong>in</strong>fachre<strong>de</strong>n und jene D<strong>in</strong>ge sagen, <strong>die</strong> ich dir seit über e<strong>in</strong>em Jahr gerne gesagt hätte. Duhattest Victor betreffend Recht. Er hat dich gehasst, und du mochtest ihn nicht. Er hatmich gegen dich aufgebracht, obwohl ich das niemals hätte geschehen lassen dürfen.Ich… habe es aber geschehen lassen, weil ich so e<strong>in</strong> verdammt schlechtes Gewissenhatte. Das ist bis heute so, <strong>de</strong>nn ich habe <strong>de</strong><strong>in</strong>e Freundschaft nicht ver<strong>die</strong>nt. Ich habe dirall <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mühen und Opfer mit Verrat gedankt. Ich b<strong>in</strong> weggelaufen und habe dichzurückgelassen, als du mich am meisten gebraucht hast. Das war unverzeihlich und hatverh<strong>in</strong><strong>de</strong>rt, dass ich dich früher angerufen habe. Ich habe mir sehr gewünscht, dass dumich anrufen wür<strong>de</strong>st, aber das hast du nie getan. Wie <strong>de</strong>nn auch, du hattest ja Duncan.Er hat fast noch mehr mitgemacht als wir und ist dir sicherlich e<strong>in</strong> guter Freund. E<strong>in</strong>besserer Freund als ich es dir je hätte se<strong>in</strong> können. Ich habe ihn ebenfalls stark verletzt,weil Victor es so wollte. Auch für me<strong>in</strong>e Errettung habe ich Duncan nie gedankt, seit er


me<strong>in</strong>e f<strong>in</strong>anzielle Hilfe abgelehnt hat, weil er ke<strong>in</strong>e Almosen wollte. Es war aber ganzan<strong>de</strong>rs geme<strong>in</strong>t, und Victor hat mich dafür auch tagelang geschnitten… Ich kann wegenall<strong>de</strong>m sehr gut verstehen, dass du von mir nichts mehr wissen willst… und es tut mirleid…“Jene kle<strong>in</strong>lauten Worte klangen genau wie damals <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten. Lan<strong>de</strong>r wollte sicham liebsten <strong>die</strong> Ohren zuhalten, aber er konnte nicht. Er brachte es nicht fertig. Genausowenig wie damals. Er starrte unwillkürlich auf se<strong>in</strong> l<strong>in</strong>kes Handgelenk, wo <strong>die</strong>selbe Narbee<strong>in</strong>gebrannt war, <strong>die</strong> auch Fowley hatte.„Hör zu, Patrick, ich will nicht sagen, dass alles Victors Schuld war, <strong>de</strong>nn es war auchme<strong>in</strong>e. Ich habe ihm vertraut und gedacht, er sei wirklich me<strong>in</strong> Freund. Das ware<strong>in</strong>facher als mich bei dir entschuldigen zu müssen. Ich glaubte, er sei ebenso gut un<strong>de</strong>hrlich wie du und könne dich ersetzen. Ich habe erst begriffen, dass <strong>de</strong>m nicht so ist,als er gegen euch zu hetzen begann. Ich war dagegen. Danach hat er mich erpresst. Erhat sogar aus Spaß e<strong>in</strong>en Mord an e<strong>in</strong>em Bouleveardjournalisten namens Carsonbegehen lassen und <strong>de</strong>n Mör<strong>de</strong>r mit me<strong>in</strong>em Kreditchip bezahlt, um mich danach damitzu erpressen. Als er es mir erzählte, hat er gelacht. Er hatte mich völlig <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand, aberdas war mir erst klar, als es längst zu spät war. Zum Glück ist wenigstens das nichtrausgekommen, und das betreffen<strong>de</strong> Konto ist längst aufgelöst. Es war aber auch ohnedas schlimm genug, <strong>de</strong>nn ich habe alles verloren…“Nun klang <strong>die</strong> allzu vertraute Stimme am Telefon doch nach Tränen. Lan<strong>de</strong>r biss <strong>die</strong>Zähne zusammen und umklammerte <strong>de</strong>n Telefonhörer, als Fowley weitersprach:„Er<strong>in</strong>nerst du dich an das, was ich dir <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Grenzwelten von me<strong>in</strong>er älteren SchwesterHelen erzählt habe? Sie hat <strong>die</strong> Bank und alles an<strong>de</strong>re geerbt. Heute vor sechs Stun<strong>de</strong>nfiel das Urteil. Ich bekomme lediglich e<strong>in</strong>e Abf<strong>in</strong>dung von e<strong>in</strong>er Viertelmillion Credits,aber <strong>die</strong> hat Victor alle<strong>in</strong> kassiert. Ich musste <strong>de</strong>n Betrag sofort an ihn überweisen, umdas zu bezahlen, was ich ihm laut se<strong>in</strong>en Worten schul<strong>de</strong>te. Er hat von me<strong>in</strong>em Geldgelebt, Patrick. Kannst du dir e<strong>in</strong>e solche Dreistigkeit vorstellen? Wenn ich dasGesamtvermögen geerbt hätte, wäre er <strong>de</strong>rjenige gewesen, <strong>de</strong>r sich auch das alles unter<strong>de</strong>n Nagel gerissen hätte.“Nach e<strong>in</strong>er kurzen Pause erklärte Fowley wie<strong>de</strong>r etwas ruhiger:„Ich wollte nicht <strong>in</strong>s Gefängnis und hätte nahezu alles dafür getan. Victor wusste das. E<strong>in</strong>Wort von ihm hätte aber gereicht und das mit <strong>de</strong>m Mord wäre herausgekommen. Vormehr zwei Monaten im Gericht habe ich mir nichts so sehr gewünscht wie dir all dassagen zu können und mich zu entschuldigen. Ich habe versucht, dir mit me<strong>in</strong>er Aussagezu helfen, aber mehr konnte ich lei<strong>de</strong>r nicht tun, <strong>de</strong>nn er hat mich kontrolliert und hättemich wie gesagt an <strong>die</strong> Polizei verkauft, wenn ich mich dir anvertraut hätte. Es brachtemich sogar so weit, dass ich froh war, als du ihm <strong>de</strong>n Schlag versetzt hast, <strong>in</strong><strong>de</strong>m du<strong>in</strong>direkt behauptet hast, ich wäre schwul. Da war mir schon alles recht, was ihmirgendwie scha<strong>de</strong>te. Ich wollte aus <strong>de</strong>r Sache nur noch mit heiler Haut raus, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong>Mord war viel zu schrecklich und e<strong>in</strong>e Nummer zu groß für mich. Wer hätte mir dannschon geglaubt? Das Geld kam ja von me<strong>in</strong>em Kreditchip, also habe ich mitgespielt undalles getan, was Victor wollte. Ich hatte gedacht, es wür<strong>de</strong> en<strong>de</strong>n, aber heute hat er michanstelle <strong>de</strong>ssen an <strong>die</strong> Navy verkauft, weil er enttäuscht war. Es war fast genauso wie eseuch auch passiert ist. Seit Monaten habe ich vor <strong>die</strong>sem Tag Angst gehabt. Sie s<strong>in</strong>d zuviert angerückt, haben mich bedroht und gegen me<strong>in</strong>en Willen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Bürofestgehalten, bis ich unterschrieben habe, dass ich freiwillig ausschei<strong>de</strong>. Ich habe esgetan, weil es ke<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Weg gab - und über all<strong>de</strong>m wachte se<strong>in</strong> gr<strong>in</strong>sen<strong>de</strong>sGesicht.“Das Schluchzen nahm erneut be<strong>de</strong>nkliche Ausmaße an. Lan<strong>de</strong>r versuchte verzweifelt,daran zu <strong>de</strong>nken, dass genau <strong>die</strong>s Fowleys immer wie<strong>de</strong>r erfolgreich angewandteMitleidsmasche war. E<strong>in</strong> erfolgreicher Trick, um ihn immer wie<strong>de</strong>r spr<strong>in</strong>gen zu lassen.„Es ist vorbei, Patrick. Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Niemand gewor<strong>de</strong>n. E<strong>in</strong> Niemand ohne Geld, ohneDach über <strong>de</strong>m Kopf, ohne Job, ohne Familie, ohne Freun<strong>de</strong>. In zehn Stun<strong>de</strong>n muss ichvon fort weg se<strong>in</strong>, sonst holt Helen <strong>die</strong> Polizei und lässt mich gewaltsam aus ihrem Hausentfernen. Ich weiß jedoch nicht, woh<strong>in</strong> ich gehen soll. Das heißt, eigentlich weiß ich esschon. Es ist eben nur ke<strong>in</strong> Ort auf Er<strong>de</strong>n.“


Als <strong>die</strong> so unendlich vertraute Stimme endgültig ihre Fassung zurückgewann und plötzlichwie<strong>de</strong>r völlig heiter, ja gera<strong>de</strong>zu erleichtert klang, begriff Lan<strong>de</strong>r vollends. Se<strong>in</strong>e Handumkrampfte <strong>de</strong>n Telefonhörer, als Fowley <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Tat sprach:„Ich wollte mich von dir verabschie<strong>de</strong>n. Richte auch Duncan bitte me<strong>in</strong>e besten Grüßeaus. Er soll wissen, was er an dir hat, und es sich warmhalten. Genauso wie du ihn dirwarmhalten musst. Für dich hat er D<strong>in</strong>ge getan, <strong>die</strong> er früher vor <strong>de</strong>r Meuterei auf <strong>de</strong>rBrisbane niemals gemacht hätte. Seid stark, <strong>de</strong>nn ich weiß selbst, wie schwer das ist.Auch ich kann es nicht vergessen. Ke<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>zigen Tag habe ich Frie<strong>de</strong>n gefun<strong>de</strong>n, seitich zurückgekehrt b<strong>in</strong>. Damit wird jetzt Schluss se<strong>in</strong>. Ich wer<strong>de</strong> Esther und Keith ane<strong>in</strong>em Ort wie<strong>de</strong>rsehen, wo mich we<strong>de</strong>r Victor noch Helen jemals erreichen können. Dortwer<strong>de</strong> ich frei se<strong>in</strong>. Vorher wollte ich dich allerd<strong>in</strong>gs um Verzeihung bitten. Nun, nach<strong>de</strong>mich das getan habe, kann ich leichter sterben.“Mit e<strong>in</strong>em Klick brach <strong>die</strong> Verb<strong>in</strong>dung ab.Es dauerte mehrere Herzschläge, bis Patrick Lan<strong>de</strong>rs Gehirn wie<strong>de</strong>r funktionierte. Dannwählte er <strong>die</strong> Datei an und drückte hastig auf <strong>de</strong>n Wahlknopf. Er warf e<strong>in</strong>en Blick auf <strong>die</strong>Uhrzeit <strong>de</strong>s e<strong>in</strong>gegangenen Gesprächs und fluchte lauthals. Daniel Fowley hatte vor mehrals zweie<strong>in</strong>halb Stun<strong>de</strong>n angerufen.Mehr als genug Zeit, um sich selbst zu töten, also been<strong>de</strong>te Lan<strong>de</strong>r das Gespräch auchrasch wie<strong>de</strong>r, da nach <strong>de</strong>m fünften Läuten noch niemand das Gespräch angenommenhatte. Vor se<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Auge stand das verzweifelte, ja fast flehen<strong>de</strong> Gesicht, dasFowley während <strong>de</strong>r Aussage vor Gericht gemacht hatte.Noch bevor er jedoch dazu kam, etwas an<strong>de</strong>res zu tun, kl<strong>in</strong>gelte es an <strong>de</strong>r Tür. Mit <strong>de</strong>mTelefon <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Hand stürzte er h<strong>in</strong>.Karl Ulrich und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren stan<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>r Tür. Lan<strong>de</strong>r riss sie auf und fummelte hastigam Telefon herum. Er konnte <strong>de</strong>n Gedanken nicht ertragen, dass Fowley gera<strong>de</strong>irgendwo lag und starb. Trotz allem, was passiert war…„Hi Patrick, was…“„Kommt re<strong>in</strong> und setzt euch, aber ich muss…“ Ja, was musste er eigentlich?„De<strong>in</strong> Freund sieht wie <strong>de</strong>r Tod persönlich aus, Karl“, sagte e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>r drei Frem<strong>de</strong>n <strong>in</strong> <strong>de</strong>rzehn Mann starken Truppe.„Was um Himmels willen ist <strong>de</strong>nn los, Mann? Ist <strong>de</strong><strong>in</strong>e Mutter gestorben, o<strong>de</strong>r warumziehst du so e<strong>in</strong> Gesicht?“„E<strong>in</strong> Anruf aus Bretonia“, erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r knapp. „Der Zweite Offizier <strong>de</strong>r Brisbane riefvor zweie<strong>in</strong>halb Stun<strong>de</strong>n an, sprach auf Band und sagte, dass er sich jetzt umbr<strong>in</strong>gt.“Sie starrten ihn allesamt an. Je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r rhe<strong>in</strong>ländischen Offiziere wusste Bescheid, wer <strong>de</strong>rZweite Offizier <strong>de</strong>r Brisbane war.„Karl, du machst <strong>de</strong><strong>in</strong>em Freund jetzt e<strong>in</strong>en Scotch aus unseren Vorräten. Nimm reichlichEis, falls welches da ist. Lothar, du setzt dich sofort mit unserer Dienststelle <strong>in</strong>Verb<strong>in</strong>dung. Christoph, f<strong>in</strong><strong>de</strong> heraus, wann e<strong>in</strong> Flug nach Bretonia geht. Vielleichtbrauchen wir <strong>die</strong>se Info gleich. Der Rest von euch macht sich auch entwe<strong>de</strong>r nützlicho<strong>de</strong>r hält <strong>de</strong>n Mund! Gute I<strong>de</strong>en s<strong>in</strong>d natürlich trotz<strong>de</strong>m willkommen.“ Der blon<strong>de</strong>, etwavierzigjährige Mann, <strong>de</strong>r ohne weitere Fragen das Kommando übernommen hatte, sahLan<strong>de</strong>r an. „Und Sie schreiben jetzt <strong>die</strong> Nummer auf, wo <strong>de</strong>r Anruf herkam, rufenunverzüglich <strong>die</strong> bretonische Auskunft an und lassen sich mit <strong>de</strong>r oberstenPolizei<strong>die</strong>nststelle <strong>de</strong>s Planeten verb<strong>in</strong><strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Anruf kam.“„New London.“„Umso besser. Dann s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Rettungskräfte wenigstens schnell dort. E<strong>in</strong>e rückständigeWelt wie Planet Leeds wäre schlimmer.“We<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sprecher noch <strong>de</strong>r Leedser dachten jetzt an <strong>die</strong> ungewollte Beleidigung <strong>in</strong> <strong>de</strong>mSatz.„Der Scotch, Herr Fregattenkapitän.“„Besten Dank.“ Der resolute Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r hielt ihn Lan<strong>de</strong>r an <strong>die</strong> Lippen, während <strong>de</strong>rehemalige Bretone <strong>die</strong> Nummer <strong>de</strong>r Auskunft wählte. „Austr<strong>in</strong>ken!“„Was für e<strong>in</strong>en Flug soll ich erfragen? Kommerziell-, Passagier- o<strong>de</strong>r auch Fracht?“„Alles… Moment! Lothar, kann ich mit <strong>de</strong>r Dienststelle sprechen? Halt mal das Glas, Karl.“Alles um Lan<strong>de</strong>r herum verschwamm wie durch e<strong>in</strong>en Nebel, während er nur das Tickene<strong>in</strong>er imag<strong>in</strong>ären Uhr registrierte. Er trank <strong>de</strong>n Scotch, <strong>de</strong>n Ulrich ihm h<strong>in</strong>hielt, ohne zu


emerken, was genau <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Glas war. Nach e<strong>in</strong>er endlosen Warterei kam er schließlichbei <strong>de</strong>r Auskunft durch und bat dr<strong>in</strong>gend um e<strong>in</strong>e sofortige Weiterverb<strong>in</strong>dung.Endlich knackte es <strong>in</strong> <strong>de</strong>r Leitung.„Polizeidirektion New London, zentrale Anrufannahme“, mel<strong>de</strong>te sich e<strong>in</strong>e neutraleFrauenstimme.„Patrick Lan<strong>de</strong>r von Planet New Berl<strong>in</strong>. Ich möchte e<strong>in</strong>en Selbstmordversuch mel<strong>de</strong>n…“„Um Gottes willen, Patrick! Bitte wo bist du gera<strong>de</strong>?“„In e<strong>in</strong>em Taxi auf Planet New London. Genauer gesagt auf <strong>de</strong>m Weg <strong>in</strong>s Krankenhaus.“„Karl und e<strong>in</strong> gewisser Fregattenkapitän Enke haben mir das gestern Nacht auch bereitsgesagt, aber ich wollte es nicht glauben!“„Bitte reg dich nicht auf, Duncan.“„Ich rege mich aber gera<strong>de</strong> auf! Du hättest wenigstens anrufen können!“„Sorry, aber ich war völlig daneben. Du hättest ihn hören sollen.“„Ja, aber spätestens vor <strong>de</strong><strong>in</strong>em Abflug hättest du mich <strong>in</strong>formieren müssen. Ich wäredoch mitgekommen!“„War das Date wenigstens schön?“ Lan<strong>de</strong>r versuchte verzweifelt, se<strong>in</strong>e an ihm nagen<strong>de</strong>Angst loszuwer<strong>de</strong>n.„Wie kannst du jetzt bloß davon anfangen? Da lasse ich dich e<strong>in</strong>mal zwei Stun<strong>de</strong>nalle<strong>in</strong>…“„Sag das Daniel Fowley und nicht mir. Ich habe nicht agiert, son<strong>de</strong>rn reagiert.“„Haarspaltereien!“, explo<strong>die</strong>rte Avery, bevor wie<strong>de</strong>r ruhiger wur<strong>de</strong> und fragte: „Soll ich<strong>de</strong>nn sofort nachkommen?“Im H<strong>in</strong>tergrund war e<strong>in</strong>e Frauenstimme zu hören, <strong>die</strong> etwas von dr<strong>in</strong>gen<strong>de</strong>mSon<strong>de</strong>rurlaub erwähnte.„Wenn du magst, Duncan. Bitte aber frühestens, wenn ich Genaueres weiß, ja? Sag nurme<strong>in</strong>en Eltern und Karl Bescheid. Und grüß auch <strong>de</strong><strong>in</strong>e Miss Frost herzlich von mir.“Ohne Gewissensbisse würgte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>en Freund e<strong>in</strong>fach ab, <strong>in</strong><strong>de</strong>m er das Gesprächmittendr<strong>in</strong> been<strong>de</strong>te. Er war todmü<strong>de</strong> und wür<strong>de</strong> Duncan Avery später um Verzeihungbitten.Daniel Fowley hatte alle<strong>in</strong> Patrick Lan<strong>de</strong>r mit jenen Abschiedsworten erreichen wollen.Das sorgsam von ihm gelöschte Gespräch war se<strong>in</strong>e Sache gewesen. Vor allem aberhatte er wirklich erst <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Humpback <strong>de</strong>r rhe<strong>in</strong>ländischen Streitkräfte an Averygedacht, und da hatte <strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>e sich bereits <strong>in</strong> <strong>de</strong>n Omega-Systemen zwischenRhe<strong>in</strong>land und Bretonia befun<strong>de</strong>n.Die Son<strong>de</strong>rmasch<strong>in</strong>e war e<strong>in</strong> Glücksfall gewesen. Sie hatte e<strong>in</strong>en teuren Wettersatelliten<strong>de</strong>r Rhe<strong>in</strong>wehr nach Bretonia transportiert. Vermutlich han<strong>de</strong>lte es sich eher um e<strong>in</strong>engekauften Spionagesatelliten, aber das war Lan<strong>de</strong>r völlig egal gewesen. Fest stand, dass<strong>die</strong> Masch<strong>in</strong>e nonstop bis nach Planet Cambridge flog, von wo aus er leicht nach NewLondon umsteigen konnte. Nur <strong>die</strong> E<strong>in</strong>reiseformalitäten waren langwierig gewesen, aber<strong>de</strong>r Erste Offizier <strong>de</strong>r Westfalen hatte auch dah<strong>in</strong>gehend an alles gedacht und dafürgesorgt, dass er alle Papiere mitnahm. Lan<strong>de</strong>r hatte sich während <strong>de</strong>s Fluges sehrgewünscht, dass er e<strong>in</strong> Stück weit so wäre wie Fregattenkapitän Clemens Enke. OhneUlrichs Vorgesetzten und <strong>die</strong> an<strong>de</strong>ren wäre er wohl kaum <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es e<strong>in</strong>zigen Tageshierher gekommen - und ohne Enke wäre auch Daniel Fowley nicht mehr am Leben.Zum Glück war es wahr, <strong>de</strong>nn im W<strong>in</strong>ston Churchill Hospital konnte man es ihmbestätigen. Die Polizei hatte ihm ja lediglich sagen können, dass e<strong>in</strong> gewisser DanielFowley hier e<strong>in</strong>geliefert wor<strong>de</strong>n war.Auch e<strong>in</strong>ige Boulevardblätter hätten es Lan<strong>de</strong>r bestätigen können, sofern er sie <strong>de</strong>nngekauft und gelesen hätte.Schlagzeilen wie: Mittelloser Adliger wollte sich umbr<strong>in</strong>gen o<strong>de</strong>r auch: Daniel Fowley <strong>de</strong>sMor<strong>de</strong>s beschuldigt beherrschten e<strong>in</strong>ige wenige <strong>de</strong>r Titelblätter.Nichts davon stimmte, wenn man Fowley glauben durfte. Die Klatschpresse <strong>in</strong>teressiertedas jedoch nicht. Sie hatte e<strong>in</strong>e neue Topstory.„Zwölfter Stock, Abschnitt B, Zimmer 44“, gab ihm e<strong>in</strong>e KrankenhausangestellteAuskunft.


„Intensiv?“, fragte Lan<strong>de</strong>r leise.„Normale Station. Er kam noch relativ früh an, das arme Schwe<strong>in</strong>. Wenn Sie mich fragen,hätte <strong>de</strong>r unbekannte Anrufer ihn e<strong>in</strong>fach sterben lassen sollen. Fünfzig MillionenSchul<strong>de</strong>n und…“Lan<strong>de</strong>r ließ <strong>die</strong> Frau e<strong>in</strong>fach re<strong>de</strong>n und stieg <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>r Aufzüge.„Ungehobelter Flegel!“, rief sie ihm nach, aber dann grübelte sie laut: „Irgendwoherkenne ich <strong>de</strong>n Kerl doch…“Im zwölften Stock war weitaus weniger los als auf <strong>de</strong>r Ankunftsebene. Lan<strong>de</strong>r fand sichrelativ schnell zurecht und wusste auch gleich, woh<strong>in</strong> er sich wen<strong>de</strong>n musste. Vor e<strong>in</strong>em<strong>de</strong>r Zimmer stand e<strong>in</strong> uniformierter Polizist.„Darf ich re<strong>in</strong>?“„Tut mir leid, <strong>de</strong>r Zeuge wird gera<strong>de</strong> e<strong>in</strong> zweites Mal unter Hypnose befragt.“„Wenn’s funktioniert…“ Erst dann begriff Lan<strong>de</strong>r, was <strong>de</strong>r Mann gesagt hatte, undvergewisserte sich eilig: „Sagten Sie ‚Zeuge’, Mister?“„Wer s<strong>in</strong>d Sie eigentlich, dass Sie das wissen wollen? Doch nicht auch e<strong>in</strong>er <strong>die</strong>serPressefuzzis, o<strong>de</strong>r?“„Ich b<strong>in</strong> e<strong>in</strong>… Bekannter von ihm.“ Es war mehr als schwierig, das so genau zu sagen.„Das sagen sie alle. Ihre ID-Card bitte, <strong>de</strong>nn ansonsten muss ich Sie bitten, sofort wie<strong>de</strong>rzu gehen!“Lan<strong>de</strong>r holte sie hervor. Nie zuvor war er über se<strong>in</strong>en rhe<strong>in</strong>ländischen Pass frohergewesen als jetzt.„Ah ja, also s<strong>in</strong>d Sie ja weit gereist, Mister… Lan<strong>de</strong>r.“ Nun kam das Begreifen. „Lan<strong>de</strong>r…Moment mal, s<strong>in</strong>d Sie etwa …“Zum Glück wur<strong>de</strong> <strong>die</strong> Tür zum Krankenzimmer <strong>in</strong> <strong>die</strong>sem Moment von <strong>in</strong>nen geöffnet.Zwei Männer <strong>in</strong> Zivil kamen heraus.Der uniformierte Ordnungshüter sah sich zu e<strong>in</strong>er halblauten Erklärung genötigt: „Das istMister Lan<strong>de</strong>r aus Rhe<strong>in</strong>land, Inspektor.“„Angenehm.“ Der Ältere <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n schüttelte Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Hand, während se<strong>in</strong> Kollege <strong>die</strong>Tür schloss.„Was ist mit Mister Fowley?“Der Polizist nahm ihn zur Seite und begann se<strong>in</strong>e Erklärung: „Das müssen Sie e<strong>in</strong>en <strong>de</strong>rÄrzte fragen, aber soweit ich es mitbekommen habe, hat er stümperhaft versucht, sichmit e<strong>in</strong>em alten Degen o<strong>de</strong>r Schwert zu erstechen. Als das fehlschlug, hat er sich e<strong>in</strong>ePulsa<strong>de</strong>r aufgeschnitten.“„Nur e<strong>in</strong>e?“„Fragen Sie mich nicht, er konnte selbst nicht genau sagen, wieso nur <strong>die</strong> e<strong>in</strong>e Seite.“Der Beamte zog <strong>die</strong> Schultern hoch. „Sie wollen aber etwas ganz an<strong>de</strong>res von mir hören,nehme ich an. Schließlich s<strong>in</strong>d Sie nach se<strong>in</strong>em Anruf für Ihren ehemaligenBordkamera<strong>de</strong>n extra <strong>de</strong>n ganzen weiten Weg aus Rhe<strong>in</strong>land hierher gekommen. DieGesprächsdatei haben wir uns als Beweismittel übrigens von <strong>de</strong>r Telefongesellschaftbesorgt, bevor Sie mich danach fragen.“„Und was ist nun mit…“„… <strong>de</strong>r Mordanklage?“ Der Polizist lächelte. „Sie ist erledigt. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Fall. Erwird beim Prozess als Zeuge auftreten müssen, aber nicht als Angeklagter.“„Freut mich, das zu hören. Ist er <strong>de</strong>nn ansprechbar?“„Ansprechbar und kooperativ. Wie gesagt, wenn Sie mich fragen, war er sogar zu blöd,um sich richtig umzubr<strong>in</strong>gen, o<strong>de</strong>r er wollte es gar nicht tun.“„Ich danke Ihnen.“„Wir haben zu danken. Niemand von uns hätte gedacht, dass e<strong>in</strong> Comman<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r RoyalNavy e<strong>in</strong>en Killer damit beauftragt, e<strong>in</strong>en Boulevardreporter töten zu lassen, um e<strong>in</strong>enKamera<strong>de</strong>n damit zu erpressen. Es sah alles wie e<strong>in</strong> echter Selbstmord e<strong>in</strong>es entlassenenMannes aus. Den wahren Mör<strong>de</strong>r suchen wir noch, aber da erhoffen wir uns H<strong>in</strong>weisevom Auftraggeber. Die Wahrheit wird e<strong>in</strong> Skandal, und Sie täten gut daran, Ihren Freundmit nach Rhe<strong>in</strong>land zu nehmen, bevor <strong>die</strong> große Bombe platzt. Ansonsten wer<strong>de</strong>n <strong>die</strong>Reporter sich zuhauf hier <strong>in</strong>s Krankenhaus e<strong>in</strong>schmuggeln, um ihn zu <strong>in</strong>terviewen.“„Mit nach Rhe<strong>in</strong>land?“ Lan<strong>de</strong>r starrte <strong>de</strong>n Polizisten an. „Moment, so war es gar nicht...“Der Mann war bereits gegangen, ohne sich noch länger um ihn zu kümmern. „…geme<strong>in</strong>t.“


Nur <strong>de</strong>r Uniformierte war geblieben und amüsierte sich über Lan<strong>de</strong>rs zögerlichesVerhalten - schlussendlich klopfte <strong>de</strong>r Auslän<strong>de</strong>r ja sogar an <strong>die</strong> Tür.„Kommen Sie re<strong>in</strong>!“Die Stimme klang schwach und mitgenommen, aber <strong>die</strong> Antwort kam.Als Lan<strong>de</strong>r <strong>die</strong> Tür vorsichtig öffnete, wur<strong>de</strong> er als Erstes <strong>de</strong>s Faktes gewahr, dass Fowleysich abgewandt hatte. Er wirkte <strong>in</strong> <strong>de</strong>m Bett hager und verletzlich.„Was <strong>de</strong>nn nun noch, Inspektor? Ich habe Ihnen doch alles gesagt, was ich weiß.“Der Anblick war e<strong>in</strong> Schock. Lan<strong>de</strong>r konnte nichts sagen, son<strong>de</strong>rn nahm e<strong>in</strong>fach auf <strong>de</strong>mStuhl neben <strong>de</strong>m Bett Platz. Mehrfach wollte er ansetzen, aber <strong>die</strong> Worte blieben ihm imHals stecken.Schließlich drehte Fowley sich im Bett um. Se<strong>in</strong> l<strong>in</strong>ks Handgelenk und <strong>die</strong> l<strong>in</strong>ke Brustseitewaren dick bandagiert. Er wirkte wie e<strong>in</strong> halbtoter Mensch und war es vermutlich auch,ganz im Gegensatz zu <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r Inspektor gesagt hatte.Ihre Blicke trafen sich, aber niemand von ihnen sprach. Lan<strong>de</strong>r sah FowleysÜberraschung und auch <strong>de</strong>n Verlust jeglicher Fassung. Die Tränen stiegen <strong>in</strong> <strong>die</strong>hübschen Augen mit <strong>de</strong>n langen Wimpern.„Du… du bist gekommen“, brachte Fowley schließlich stotternd hervor. „Ich wusste, dassdu es warst, <strong>de</strong>r angerufen hat, wagte aber nicht zu hoffen, dass du kommen wür<strong>de</strong>st…“„Ich musste.“ Auch Lan<strong>de</strong>rs Stimme war rau.„Genau… wie damals.“ Fowley schluchzte, richtete sich im Bett auf und ergriff e<strong>in</strong>e vonLan<strong>de</strong>rs Hän<strong>de</strong>n. Er führte sie zum Mund und küsste sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>de</strong>mütigen Geste. Dabeiverschloss er <strong>die</strong> Augen.„Bitte verzeih mir alles, was passiert ist… mir ist erst klar gewor<strong>de</strong>n, wie sehr ich dichbrauchte, als du nicht mehr bei mir warst. Kannst du mir all das vergeben… weil ich dichnoch immer brauche… und das, obwohl ich mich selbst dafür hasse?“Es war an<strong>de</strong>rs als früher. Es gab ke<strong>in</strong>e Lügen mehr. Daniel Fowley hatte alles verloren.Auch se<strong>in</strong>e Selbstsicherheit und <strong>de</strong>n Panzer aus Lügen. Er sah sich selbst nur noch alsdas, was er war, und erkannte damit se<strong>in</strong>e eigene Schwäche an. In <strong>de</strong>n Grenzweltenhatte er das nie gekonnt. Auch dort war er angekrochen gekommen, aber niemals<strong>de</strong>rmaßen auf Knien wie heute.„Ich b<strong>in</strong> hier, Daniel. Ich konnte nicht mit <strong>de</strong>m Gedanken leben, dass du dich selbstumbr<strong>in</strong>gst und ich dir nicht geholfen habe.“ Lan<strong>de</strong>r wünschte sich weit fort. Er wolltenicht Zeuge <strong>die</strong>ser anhalten<strong>de</strong>n Selbsterniedrigung wer<strong>de</strong>n, aber jetzt zu gehen wäreverantwortungslos und grausam gewesen.Während er Lan<strong>de</strong>rs Hand fest umklammerte, schüttelte es <strong>de</strong>n ehemaligenVorgesetzten.„Ich wollte es tun, Patrick. Ich wollte nicht mehr leben und heim zu Esther und Keith.Dorth<strong>in</strong>, wo mir ke<strong>in</strong>er mehr wehtun kann. Du hast <strong>die</strong>se Formulierung an jenem Tag, als<strong>de</strong>r Corsair und Searle mir Gewalt angetan haben, benutzt, da du wolltest, dass ich <strong>die</strong>Bombe unschädlich mache o<strong>de</strong>r zün<strong>de</strong>. Seit<strong>de</strong>m musste ich immer wie<strong>de</strong>r daran <strong>de</strong>nken.Ich habe mich so sehr nach e<strong>in</strong>em Ort ohne Er<strong>in</strong>nerung gesehnt - <strong>die</strong> Er<strong>in</strong>nerung andamals macht mich heute noch fertig. Das Jenseits war <strong>in</strong> me<strong>in</strong>er Vorstellung dasPara<strong>die</strong>s!“Daniel Fowley war manchmal schrecklich naiv, wie Lan<strong>de</strong>r genau wusste. K<strong>in</strong>dlich naiv,wie er selbst es ganz früher e<strong>in</strong>mal gewesen war. Früher, bevor man <strong>de</strong>n Sub-Lieutenantauf <strong>de</strong>n Patrouillenkreuzer Oxford versetzt hatte und er dadurch langsam erwachsengewor<strong>de</strong>n war.„Ich weiß.“„Nur… nicht e<strong>in</strong>mal das konnte ich. Ich kann gar nichts! Ich konnte mich nicht e<strong>in</strong>malselbst töten, so wie Esther es getan hat. Es tat so weh, also habe ich es gelassen und mir<strong>die</strong> Pulsa<strong>de</strong>r aufgeschnitten. Nur, das tat genauso weh… und ich musste zusehen und vorallem fühlen, wie me<strong>in</strong> eigenes Blut aus mir herausfloss… daher habe ich <strong>de</strong>n Armabgebun<strong>de</strong>n und mich selbst dafür gehasst. Ich wollte weiterleben… und ich habegebetet, dass du kommst, obwohl es völlig unmöglich war...“„Ich b<strong>in</strong> hier, Daniel“, wie<strong>de</strong>rholte Lan<strong>de</strong>r se<strong>in</strong>e vorherigen Worte nochmals. „Vergiss,was zwischen uns gewesen ist.“„Kannst du es <strong>de</strong>nn? Sonst macht <strong>de</strong><strong>in</strong> Besuch doch nur wenig S<strong>in</strong>n…“


Seufzend erwi<strong>de</strong>rte Lan<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Druck von Fowleys Hand und blickte <strong>in</strong> <strong>die</strong> ängstlichenbraunen Rehaugen. „Ich will es zum<strong>in</strong><strong>de</strong>st versuchen.“„Sie wollen mich <strong>in</strong> zwei Tagen entlassen. Wirst du bitte wenigstens solange hier <strong>in</strong>Bretonia bleiben? Die Polizei will Victors Verhaftung offiziell h<strong>in</strong>auszögern und arbeitetdabei mit <strong>de</strong>r Navy zusammen. Er wur<strong>de</strong> heute Morgen nach Southampton beor<strong>de</strong>rt undsteht jetzt sicher schon auf <strong>de</strong>r HMS York unter Arrest, damit es ke<strong>in</strong>er mitbekommt.Wegen me<strong>in</strong>es dir gegenüber gemachten Telefongeständnisses vor me<strong>in</strong>em gescheitertenSelbstmord und me<strong>in</strong>er gera<strong>de</strong> unter Hypnose gemachten Aussage stehe ich nicht mehrunter Verdacht. Ich habe nur ke<strong>in</strong> Dach mehr über <strong>de</strong>m Kopf und fünfzig MillionenSchul<strong>de</strong>n, weswegen man mich wohl nach me<strong>in</strong>er Entlassung <strong>in</strong> Beugehaft nehmen wird.Bitte komm wenigstens mit mir und br<strong>in</strong>g mich <strong>in</strong>s Gefängnis, damit es nicht ganz soschlimm wird!“„Besteht nicht vielleicht e<strong>in</strong>e Chance, dass <strong>de</strong><strong>in</strong>e Schwester dir das Geld noch gibt?“„Helen? Niemals! Sie hasst mich mittlerweile regelrecht. Ich habe sie bereits angerufen,bevor ich bei dir aufs Band gequatscht habe. Sie sagte Ne<strong>in</strong>, weil es nicht das letzte Malwäre und sie auch an ihre eigenen Interessen <strong>de</strong>nken müsste. Ich könnte laut ihrerAussage vor ihrer Tür verrecken, und sie wür<strong>de</strong> trotz<strong>de</strong>m nicht aufmachen.“„Und wie wür<strong>de</strong>st du <strong>die</strong> Chancen sehen, wenn ich noch e<strong>in</strong>mal mit ihr sprechen wür<strong>de</strong>?Wenn ich ihr sagen wür<strong>de</strong>, dass du nach Rhe<strong>in</strong>land auswan<strong>de</strong>rn wirst? Wenn ich dafürbürge, dass du nie wie<strong>de</strong>r hierher kommst und sie nie wie<strong>de</strong>r <strong>in</strong> irgen<strong>de</strong><strong>in</strong>er Formbelästigst?“ Es war genau <strong>die</strong> Entscheidung, <strong>die</strong> <strong>de</strong>r Polizist vorh<strong>in</strong> ange<strong>de</strong>utet hatte.Auswan<strong>de</strong>rung o<strong>de</strong>r Gefängnis. In Lan<strong>de</strong>rs Fall waren <strong>die</strong> Optionen, entwe<strong>de</strong>r <strong>die</strong>Verantwortung für e<strong>in</strong>en ehemaligen Freund zu übernehmen o<strong>de</strong>r aber zuzusehen, wie<strong>de</strong>ssen Leben unwie<strong>de</strong>rbr<strong>in</strong>glich zerstört wur<strong>de</strong>. Es gab nur e<strong>in</strong>en Weg für ihn, <strong>de</strong>n er mitse<strong>in</strong>em Gewissen vere<strong>in</strong>baren konnte. Auch Daniel Fowley wusste darüber Bescheid undsetzte all se<strong>in</strong>e Hoffnung <strong>in</strong> ihn. Patrick Lan<strong>de</strong>r war <strong>de</strong>r E<strong>in</strong>zige, <strong>de</strong>r ihm jetzt noch Hilfeleisten könnte und wollte.„Das wäre toll, aber was soll ich <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land?“, murmelte Fowley unsicher, dabei <strong>die</strong>Augen nie<strong>de</strong>rschlagend.„Dasselbe wie wir. Deutsch lernen, arbeiten und leben. De<strong>in</strong>e Schwester wird dasvielleicht auch e<strong>in</strong>sehen und dir hoffentlich wenigstens e<strong>in</strong>en Neubeg<strong>in</strong>n ohne Schul<strong>de</strong>nermöglichen. Irgendwann <strong>in</strong> sechs Jahren könnten wir alle vielleicht <strong>in</strong> <strong>die</strong> Rhe<strong>in</strong>wehraufgenommen wer<strong>de</strong>n. Es wäre nur e<strong>in</strong> niedriger Offiziers<strong>die</strong>nstgrad bei <strong>de</strong>r Verwaltung<strong>de</strong>r Grenzsicherungstruppen, aber das ist besser als nichts. New Berl<strong>in</strong> ist kalt, doch <strong>die</strong>Rhe<strong>in</strong>län<strong>de</strong>r s<strong>in</strong>d sehr nette Menschen. Du wür<strong>de</strong>st sie sicherlich mögen. Sie s<strong>in</strong>d ganzan<strong>de</strong>rs als <strong>die</strong> Vorurteile über sie besagen. Natürlich nicht alle, aber <strong>die</strong> meisten. Beiihnen s<strong>in</strong>d alle Menschen gleich, was ja hier <strong>in</strong> Bretonia nicht so ist.“„Das kl<strong>in</strong>gt zu schön, um wahr zu se<strong>in</strong>, aber ich habe Angst. Ich schaffe es bestimmtnicht…“„Doch du schaffst alles, wenn du nur willst. Ich wer<strong>de</strong> dir dabei helfen. Wir müssen vielwie<strong>de</strong>raufbauen, Daniel. Auch Duncan wirst du erst von <strong>de</strong><strong>in</strong>er Vertrauenswürdigkeitüberzeugen müssen, aber vielleicht gel<strong>in</strong>gt es dir ja mit unserer Hilfe und e<strong>in</strong>emgeregelten, sicheren Umfeld, wie<strong>de</strong>r e<strong>in</strong> normales Leben zu führen. Ich hoffe es für dich.Falls du das versuchen möchtest, wirst du dich stets an mich wen<strong>de</strong>n können. Zum<strong>in</strong><strong>de</strong>stan mich, höchstwahrsche<strong>in</strong>lich auch an Duncan.“„Ich schwöre dir, dass ich dich nie wie<strong>de</strong>r enttäuschen wer<strong>de</strong>, Patrick. Du bist e<strong>in</strong>unendlich gutherziger und selbstloser Mensch…“„Versprich mir erst e<strong>in</strong>mal nur, dass ich nie wie<strong>de</strong>r alles stehen und liegen lassen muss,bloß weil du e<strong>in</strong>e Dummheit angestellt hast. Dieses e<strong>in</strong>e Versprechen reicht für <strong>de</strong>nAnfang. Für größere Schwüre ist später noch Zeit, wenn <strong>die</strong>se Sache aus <strong>de</strong>r Weltgeschafft ist und du bei uns <strong>in</strong> Rhe<strong>in</strong>land bist.“„Versprochen! Ich wusste nur ke<strong>in</strong>en an<strong>de</strong>ren Ausweg mehr…“„Re<strong>de</strong>n wir nicht mehr davon. Duncan möchte ebenfalls herkommen und könnte morgenhier se<strong>in</strong>. Wäre dir das recht?“„Aber sicher. Wenn er so nett ist, herzukommen, und mir auch noch e<strong>in</strong>e Chance gebenwill…“


„Er wird es sicher tun, wenn ich es ihm vorschlage. Außer<strong>de</strong>m hat ihm <strong>de</strong><strong>in</strong> Schicksalehrlich leidgetan. Duncan und ich vertrauen e<strong>in</strong>an<strong>de</strong>r vollkommen. Dieses Vertrauenwirst du dir lei<strong>de</strong>r erst ver<strong>die</strong>nen müssen.“„Denkst du etwa, dass mir das nicht auch längst selbst bewusst wäre?“ Fowley vermied,Lan<strong>de</strong>r dabei anzusehen und platzte abrupt heraus: „Ich weiß, dass ich e<strong>in</strong> Arschlochwar.“Lan<strong>de</strong>r wi<strong>de</strong>rsprach ihm nicht. „Dann ist ja gut. Und nun schlage ich vor, dass duschläfst. Ich muss mir e<strong>in</strong> Hotelzimmer nehmen und wer<strong>de</strong> danach dasselbe tun wie du.“„Du bist e<strong>in</strong> schlechter Lügner.“ Fowley verzog <strong>die</strong> Lippen zu e<strong>in</strong>em halbherzigen Gr<strong>in</strong>sen.„Du konntest Unwahrheiten noch nie glaubhaft rüberbr<strong>in</strong>gen. Du bist e<strong>in</strong>fach zu gut für<strong>die</strong>se Welt, Patrick. Ich weiß, dass du me<strong>in</strong>e Schwester besuchen willst.“„Später wer<strong>de</strong> ich auch das tun. Zunächst möchte ich aber schlafen, <strong>de</strong>nn e<strong>in</strong> geregeltesLeben hat se<strong>in</strong>e Nachteile. Man ist schrecklich mü<strong>de</strong>, sobald man e<strong>in</strong>mal nicht se<strong>in</strong>e achtStun<strong>de</strong>n Schlaf hat.“„Mag se<strong>in</strong>, aber momentan habe ich wirklich genug von <strong>de</strong>r Navy, <strong>de</strong>n Grenzwelten undallem sonst! Ich will nur me<strong>in</strong>e Ruhe und mehr als acht Stun<strong>de</strong>n Schlaf! Ich habe seitMonaten nicht mehr ungestört schlafen können, aber wie du damals auf Crete und beiMister Searle immer gesagt hast, kann das Morgen nur besser wer<strong>de</strong>n als das Heute!“„Amen… me<strong>in</strong> Freund.“ Lan<strong>de</strong>r testete das letzte Wort aus wie e<strong>in</strong>en Schluckunbekannten We<strong>in</strong>, <strong>de</strong>n man sich auf <strong>de</strong>r Zunge zergehen lässt, um <strong>de</strong>n Geschmack zutesten. In <strong>die</strong>sem Fall stellte er fest, dass <strong>de</strong>r ausgesuchte Tropfen nicht e<strong>in</strong>mal schlechtschmeckte. Ungewohnt, aber gleichzeitig doch vertraut. Def<strong>in</strong>itiv nicht wi<strong>de</strong>rlich, wie er<strong>in</strong>sgeheim stark befürchtet hatte.„Gute Nacht, Patrick… me<strong>in</strong> Freund.“ Fowleys nun erstrahlen<strong>de</strong>s Lächeln war mit Abstanddas hoffnungsvollste und aufrichtigste, das Patrick Lan<strong>de</strong>r je bei ihm gesehen hatte. Esgab auch ihm Hoffnung. Hoffnung, dass sich selbst <strong>de</strong>r unzuverlässigste, oberflächlichsteund wankelmütigste Mensch e<strong>in</strong>mal än<strong>de</strong>rn mochte – und das Bewusstse<strong>in</strong>, dass jenePerson Vertrauen ver<strong>die</strong>nte, um das zu vollbr<strong>in</strong>gen. Vergebung, Vertrauen undFreundschaft.THE END

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