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Theol_Revue_05_2010 1..44 - Universidad Pontificia Comillas

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357 <strong>2010</strong> Jahrgang 106 THEOLOGISCHE REVUE Nr. 5 358und seine Gedankenwelt als etwas Eigenständiges wahrzunehmenund zu interpretieren. Jedoch fand auch dieses Bemühen in einemKlima statt, das Christof Gestrich in seinem Vortrag treffend so formulierte:„So freundlich wie jetzt zu seinem 500. Geburtstag ist das Urteilüber ihn noch nie ausgefallen.“ 8 Eine Ursache dafür lag – und liegt –schlicht darin, dass es bei diesem Vergleich mit L. ja um etwas Gewichtigesgeht, und zwar um nichts Geringeres als um die „Einheitder Reformation“, ja die Frage, was „Reformation“ und „das Reformatorische“in ihrem Kern eigentlich sind. Das in den letzten Jahren insbes.durch den fruchtbaren Austausch mit den Erkenntnissen der Profanhistoriegewachsene Bewusstsein von der Reformation als pluralemGeschehen provoziert die Frage ungleich schärfer: Wie viel Pluralitätim Blick auf die „Reformation“ als historisches Geschehenverträgt „das Reformatorische“ als namentlich theologische Bestimmungdieses Geschehens? In diesem Zusammenhang entbehrte esnicht einer erheblichen Brisanz, die Hauptgestalt der deutschenReformation plötzlich in einen größeren Kontext, und das hieß auch:in den Kontext seiner Mitarbeiter und Weggefährten, zu stellen: Wieviel eigenes Gewicht durfte ihnen und ihren Gedanken zukommen?Wie sehr durften sie unabhängig von L. wahrgenommen werden?Wie viel unmittelbarer Einfluss auf Wachsen, Werden und Gestaltungder Reformation durfte ihnen zugeschrieben werden? All diese in derTat bedeutenden Fragen führten dazu, dass auch und gerade M. immerzuin einen für seine Person und sein Werk unseligen Zusammenhangmit L. gestellt wurde. Das Anliegen des 1997er Kongresses, ihndaraus zu lösen, gelang indes nur teilweise. Nun kann man sagen, essei für einen Lutherforschungskongress durchaus legitim, zuerst nachL. und von dort aus nach M. zu fragen. Dennoch kann man sich desEindrucks nicht erwehren, hier sei eine Chance nicht so ergriffenworden, wie man sie an manchen Stellen hätte ergreifen können. DieSeminarberichte geben ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlichkonzentriert man mit und über M. arbeitete. Zu beobachten ist, dassselbst dort, wo etwa ein M.-Text im Mittelpunkt der Betrachtungstand 9 , mindestens in Diskussionsbeiträgen, meist jedoch explizitdurch ein Referat, der Vergleich mit L. einen wesentlichen Aspektdarstellte.Der Beitrag Gestrichs deutete jedoch an, an welchen Stellen eineLoslösung vom Wittenberger „Schattenwerfer“ L. – und darin dannauch ein bleibendes Erbe M.s – am ehesten erblickt werden könnte:in einer stärkeren Verknüpfung des humanistischen und des reformatorischenGedankenguts; in einer Wahrnehmung des irenischen Impulses,der von M. im 16. Jh. ausging und heute ökumenisch fruchtbargemacht werden könnte; und schließlich in Verknüpfung dieser beidenElemente die Herausstellung der „Notwendigkeit rationaler Darstellungund recht verstandener Toleranz innerhalb theologischerDogmatik und konfessioneller Diskurse“ 10 . Gleichwohl sind diesedrei Ansätze aus einem aktuellen Interesse heraus formuliert wordenund konstatieren jeweils etwas, das der eingehenden Untersuchungerst noch bedürfte. Was nämlich genau etwa unter „humanistisch“ zuverstehen ist oder wie tragfähig es ist, von einer Irenik im 16. Jh. zusprechen, die sich dann auch noch mühelos auf die ökumenischenBemühungen unter den völlig veränderten Bedingungen des 20. Jh.sübertragen ließe, ist bis in unsere Tage hinein einigermaßen ungeklärt.Helmar Junghans jedenfalls stellte bereits in seinem Beitrag auf demKongress plausibel dar, wie unmöglich es sei, von einem einheitlichenMenschenbild der Renaissancehumanisten zu sprechen, und wie sehrdies dann z. B. auch im Blick auf M.s Aussagen zu Anthropologie undPädagogik zu berücksichtigen sei. 11 Bei allem Verständnis also für dasAnliegen, gerade M. für Antworten auf Fragen des modernen undpostmodernen Protestantismus in Anspruch zu nehmen, muss dochbeachtet werden, ob und inwieweit dies M. selbst und seinen Anliegenin seiner Zeit gerecht wird.8 Gestrich, Christof: Luther und Melanchthon in der <strong>Theol</strong>ogiegeschichte des19. und 20. Jahrhunderts, in: LuJ 66 (1999), 29–53, hier: 31.9 Etwa M.s Apologie zur Confessio Augustana (Bericht in LuJ 66 [1999], 295–298) oder sein Römerbriefkommentar (Bericht in LuJ 66 [1999], 298–301).10 Gestrich: Luther und Melanchthon, 31.11 Vgl. Anthropologische Vorstellungen unter Renaissancehumanisten, in: LuJ66 (1999), 107–134, hier v. a. 134: „Die Humanismusforschung hat kein allgemeinanerkanntes Menschenbild des Renaissancehumanismus zutagegefördert, sondern vielmehr zunehmend Unterschiede aufgewiesen. Angesichtsdieser Sachlage besteht die Aufgabe, jeweils präzise inhaltlich auszuführen,welche anthropologische Vorstellung aus der humanistischenBewegung in den vorliegenden Texten bzw. Lehren enthalten ist oder vermutlichnachgewirkt hat und welche Humanisten sie vertreten haben.“Nichtsdestoweniger sind es wohl nicht zufällig gerade auch dieseThemenbereiche gewesen, die in der Folgezeit immer wieder abgefragtwurden, wenn es darum ging, über und mit M. ein protestantischesProfil der Gegenwart zu formulieren.3. EditionenEs ist eine Binsenweisheit, die jedoch gerade angesichts mancher ehersystematisch orientierter Zugänge zu reformatorischen <strong>Theol</strong>ogenund reformatorischer <strong>Theol</strong>ogie nicht genug betont werden kann: Umin einigermaßen adäquater Weise über Personen und Ereignisse derVergangenheit reden zu können, braucht es Quellenmaterial, das kritischediert und kommentiert sein will. Nicht ausschließlich, aber v. a.für das Reformationszeitalter bedeutete die Öffnung der Archive derDDR nach dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung der beidendeutschen Staaten einen Zugriff auf solches Material, das manchebisherigen Forschungsergebnisse ins Wanken geraten ließ. V. a. aberwurde u. a. dadurch die Notwendigkeit sichtbar, manche älteren Editionenvon Grund auf zu überdenken und Neueditionen anzuregen.Dazu gesellte sich durch die Erweiterung der Perspektiven ein Interesse,auch solche Texte zu edieren, die die Breite theologischenDenkens und Wirkens und kirchlicher Handlungsfelder dokumentierenkönnen, wie z. B. Predigten.Für das Werk M.s wurde schon früh erkannt, dass es im Hinblickauf Vollständigkeit und Qualität der Editionen erhebliche Desiderategab. In seiner Darstellung der Heidelberger M.-Forschungsstelle 12 gibtWalter Thüringer einen eindrücklichen Überblick über die Schwierigkeiten,der sich die M.-Forschung aufgrund dieser Desiderate ausgesetztsah. Die Leistung der 1963 gegründeten und 1965 von der HeidelbergerAkademie der Wissenschaften übernommenen Forschungsstelle,die sich der Erschließung von M.s Briefwechsel verschriebenhat, und insbes. ihres Initiators und langjährigen Leiters HeinzScheible können daher nicht genug gewürdigt werden. Gerade unterBerücksichtigung der enormen Bedeutung, die das Briefeschreibennamentlich in Humanistenkreisen genoss, gibt die Übersicht über dieKorrespondenz M.s 13 zunächst in Regesten (die Regestenbd.e inklusiveOrtsregister wurden 1998 abgeschlossen, der Abschluss desPersonenregisters steht noch aus) und nun in der Edition der Texte(erschienen sind bisher 11 Bd.e, welche die Jahre bis 1542 umfassen)einen tiefen Einblick in sein Denken, der bisweilen die Bedeutung derin anderer Weise für die Öffentlichkeit bestimmten, zumeist an einakademisches Publikum gerichteten Texte an Brisanz und Transparenzin den Schatten stellt. Was diese intensive Arbeit an den Quellenfür Erträge liefert, hat nicht zuletzt Heinz Scheible selbst immerwieder in Veröffentlichungen und Vorträgen unter Beweis gestellt 14 ;sie sind genährt aus der intimen Kenntnis der Texte und der Fähigkeitdes Autors, sie in ihrem historischen Kontext genauestens zu verorten.Scheible gehört von dort aus auch zu denjenigen, die in derLage sind, M. in angemessener Weise selbst zu Wort kommen zu lassen,ohne ihn vorschnell und unangebracht über den Leisten „L.“ zuschlagen. Beredtes Zeugnis dafür geben v. a. seine 1996 im Vorfeld desM.-Jubiläums und jetzt aktuell <strong>2010</strong> zusammengeführten Aufsätze. 15Seine 1997 erschienene Biographie M.s 16 ist daher auch 13 Jahre spätervon ungebrochener Aktualität und von den <strong>2010</strong> auf den Marktgekommenen biographischen Zugängen nicht zu verdrängen, wie späternoch gezeigt werden wird.Indes fehlt eine gleichwertige Edition der übrigen Werke M.s. Freilich:Was für die 60er Jahre konstatiert werden konnte, dass nämlich„[f]inanzielle Mittel [. . .] für wissenschaftliche Projekte in einem Maßzur Verfügung [standen] wie nie zuvor“ 17 , gilt für unsere Tage keineswegsmehr, und überall dort, wo es ältere Editionen gibt – also in die-12 Die Melanchthon-Forschungsstelle Heidelberg, Gründung, Entwicklung,Ertrag, in: Dona Melanchthoniana. Festgabe für Heinz Scheible zum 70.Geburtstag, hg. v. Johanna L o e h r. – Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog 2 20<strong>05</strong>. 590 S., ln e 101,00 ISBN 978–3–7728–2189–9. 521–536.13 Melanchthons Briefwechsel. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe,im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften hg. v. HeinzS c h e i b l e / Christine M u n d h e n k . – Stuttgart-Bad Cannstatt 1977ff.14 Einen kurzen Einblick gewährt Thüringer: Die Melanchthonforschungsstelle[Anm. 12], 534f.15 Melanchthon und die Reformation. Forschungsbeiträge, hg. v. GerhardM a y / Rolf D e c o t . – Mainz 1996; Scheible, Heinz: Aufsätze zu Melanchthon.– Tübingen: Mohr Siebeck <strong>2010</strong>. (X) 478 S. (Spätmittelalter, Humanismus,Reformation, 49), ln e 99,00 ISBN 978–3–16–150234–7.16 Scheible, Heinz: Melanchthon. Eine Biographie. – München 1997.17 Thüringer: Die Melanchthon-Forschungsstelle, 525.

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